Protokoll:
14087

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 87

  • date_rangeDatum: 17. Februar 2000

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 23:10 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/87 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 87. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2000 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Kollegen Dr. Erika Schuchardt, Margot von Renesse und Karl-Hermann Haack ........................... 7973 A Wahl der Abgeordneten Helga Kühn-Mengel zur Schriftführerin ........................................... 7973 A Erweiterung der Tagesordnung ....................... 7973 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 7 und 11 .............................................................. 7974 A Tagesordnungspunkt 2: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 2000 der Bun- desregierung „Arbeitsplätze schaffen – Zukunftsfähigkeit gewinnen“ (Drucksache 14/2611) ............................... 7974 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Zwölftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1996/1997 (Drucksachen 13/11291, 13/11292, 14/69 Nr. 1.8 und 1.9, 14/1274, 14/2005) ........... 7974 C c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresgutachten 1999/2000 des Sach- verständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache 14/2223) ............................... 7974 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2 Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Für eine sachgerechte Aufteilung wirt- schaftspolitischer Zuständigkeiten (Drucksache 14/2707) ................................ 7974 D Hans Eichel, Bundesminister BMF ................. 7975 A Michael Glos CDU/CSU ................................. 7978 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 7982 B Rainer Brüderle F.D.P. .................................... 7985 D Dr. Christa Luft PDS ....................................... 7990 A Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi .... 7991 D Gunnar Uldall CDU/CSU ................................ 7994 A Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ................................................ 7996 A Ursula Lötzer PDS .......................................... 7998 B Ernst Schwanhold SPD ................................... 7999 A Dagmar Wöhrl CDU/CSU .............................. 8002 B Dr. Mathias Schubert SPD .............................. 8004 B Hansjürgen Doss CDU/CSU ........................... 8005 D Nina Hauer SPD .............................................. 8007 D Hans Michelbach CDU/CSU .......................... 8009 B Fritz Schösser SPD .......................................... 8010 D Tagesordnungspunkt 3: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Faße, Ulrike Mehl, weiterer II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2000 Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Gila Altmann (Aurich), Albert Schmidt (Hitzhofen), weiterer Abgeordneter und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Op- timierung des Sicherheits- und Not- fallkonzepts für Nord- und Ostsee ... 8013 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion CDU/CSU: Folgerungen aus der Havarie der „Pallas“ vor Amrum (Drucksachen 14/281, 14/160, 14/843) 8013 A b) Antrag der Abgeordneten Jürgen Koppe- lin, Ulrike Flach und der Fraktion F.D.P.: Bericht der Unabhängigen Experten- kommission „Havarie Pallas“ unver- züglich vorlegen (Drucksache 14/2454) ............................... 8013 B c) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Nordseeküste schützen, Küstenwache einrichten, in- ternational besser zusammenarbeiten (Drucksache 14/548) ........................ ......... 8013 B d) Große Anfrage der Abgeordneten Wolf- gang Börnsen (Bönstrup), Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Schaffung einer Deutschen Küstenwache (Drucksachen 14/1229, 14/2430) .............. 8013 B e) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ für den Zeitraum 1999 bis 2002 (Drucksache 14/1634) ....... 8013 C f) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die künftige Gestaltung der Gemeinschafts- aufgabe „Verbesserung der Agrarstruk- tur und des Küstenschutzes“ (GAK); hier: Rahmenplan 2000 bis 2003 (Drucksache 14/1652) ............................... 8013 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Annette Faße, Ulrike Mehl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Gila Altmann, Albert Schmidt (Hitzhofen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sicherung der deutschen Nord- und Ostseeküste vor Schiffsunfällen (Drucksache 14/2684) ...... ......................... 8013 D Annette Faße SPD ........................................... 8013 D Dietrich Austermann CDU/CSU ..................... 8016 B Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ................................................ 8018 C Jürgen Koppelin F.D.P. ................................... 8020 D Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8022 D Eva Bulling-Schröter PDS .............................. 8023 B Reinhard Klimmt, Bundesminister BMVBW 8024 A Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU ...... 8026 A Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 8028 A Ulrike Flach F.D.P. ......................................... 8030 A Kersten Naumann PDS ................................... 8031 C Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 8032 C Dr. Barbara Hendricks SPD ........................ 8034 C Jürgen Koppelin F.D.P. ............................... 8035 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8036 C Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 8037 A Ulrike Mehl SPD ............................................. 8037 C Jürgen Koppelin F.D.P. ............................... 8038 B Gert Willner CDU/CSU .................................. 8039 D Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 8041 A Ulrike Flach F.D.P. ......................................... 8041 B Jürgen Koppelin F.D.P. ................................... 8041 B Ulrike Mehl SPD ............................................. 8041 D Manfred Opel SPD .......................................... 8042 B Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU ....................................................... 8042 C Cajus Caesar CDU/CSU .................................. 8044 A Karl-Heinz Funke, Bundesminister BML ....... 8045 C Tagesordnungspunkt 14: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Flurbereinigungs- gesetzes (Drucksache 14/2445) ........... 8046 D b) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Melderechtsrahmengesetzes (MRRG) (Drucksache 14/2577) .......... 8046 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2000 III Zusatztagesordnungspunkt 4: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 14.) a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbrau- cherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro (Drucksache 14/2658) .......................... 8046 D b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Festlegung ei- nes vorläufigen Wohnortes für Spät- aussiedler (Drucksache 14/2675) ........ 8047 A Tagesordnungspunkt 15: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes (15. WSGÄndG) (Drucksachen 14/2498; 14/2625) ........ 8047 B b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Bun- desbesoldungsgesetzes (Drucksachen 14/2094; 14/2602) ........ 8047 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie .......................................... 8047 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Gunnar Uldall, Dr. Bernd Protzner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: „Jahr-2000- Problem“ in der Informations- technik ernst nehmen ................... 8047 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Jahr-2000-Prob- lem – Unterstützung zur Prob- lemlösung (Drucksachen 14/1334, 14/1544, 14/2115) ......................................... 8047 D d) – h) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses Sammelübersicht 117, 118, 119, 120, 121 zu Petitionen (Drucksachen 14/2585, 14/2586, 14/2587, 14/2588, 14/2589) ..................................... 8048 A Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung im Hinblick auf einen möglichen Schaden für die Demokratie in Deutschland durch die aktuellen Er- kenntnisse zu Praktiken der Parteienfi- nanzierung und deren mögliche Aus- wirkungen auf Mehrheitsverhältnisse in Bundesorganen Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 8048 C Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU ....................................................... 8050 A Franz Müntefering SPD .................................. 8051 A Dr. Guido Westerwelle F.D.P. ........................ 8052 C Dr. Dietmar Bartsch PDS ................................ 8053 D Rita Streb-Hesse SPD ..................................... 8054 D Hartmut Schauerte CDU/CSU ........................ 8056 A Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8057 C Gerald Weiß (Groß-Gerau) CDU/CSU ........... 8059 B Bernd Reuter SPD ........................................... 8060 C Dr. Wolfgang Bötsch CDU/CSU .................... 8062 A Ludwig Stiegler SPD ....................................... 8063 A Tagesordnungspunkt 4: Vereinbarte Debatte zur Eröffnung der Regierungskonferenz über institutio- nelle Reformen der EU und zu den Er- gebnissen der Tagung des Allgemeinen Rates am 14./15. Februar 2000 ............... 8064 B Michael Roth (Heringen) SPD ........................ 8064 B Peter Altmaier CDU/CSU ............................... 8066 C Dr. Norbert Wieczorek SPD ........................ 8068 B Joseph Fischer, Bundesminister AA ............... 8069 B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. ... 8071 A Uwe Hiksch PDS ............................................. 8072 C Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA ......... 8073 C Dr. Gerd Müller CDU/CSU ............................ 8075 C Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8077 C Tagesordnungspunkt 5: Unterrichtung durch die Bundesregierung: 9. Sportbericht der Bundesregierung (Drucksache 14/1859) ............................. 8078 C Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatsekretär BMI 8078 C IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2000 Klaus Riegert CDU/CSU ................................ 8080 D Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8083 D Dr. Klaus Kinkel F.D.P. .................................. 8087 A Gustav-Adolf Schur PDS ................................ 8089 C Dagmar Freitag SPD ....................................... 8091 B Klaus Riegert CDU/CSU ................................ 8092 D Dagmar Freitag SPD ....................................... 8093 A Peter Letzgus CDU/CSU ................................ 8093 B Christine Lehder SPD ..................................... 8095 B Dr. Klaus Rose CDU/CSU .............................. 8096 D Friedhelm Julius Beucher SPD ....................... 8098 D Tagesordnungspunkt 6: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Gesetzes zur Ände- rung des Abgeordnetengesetzes und ei- nes Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Drucksachen 14/2235, 14/2660) .. ............ 8100 A Dr. Uwe Küster SPD ....................................... 8100 B Joachim Hörster CDU/CSU ............................ 8101 D Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8102 D Jörg van Essen F.D.P. ..................................... 8104 A Roland Claus PDS .......................................... 8105 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung und der Liberalisierung“ (Drucksache 14/2687) ............................... 8105 C Monika Ganseforth SPD ................................. 8105 C Dr. Ralf Brauksiepe CDU/CSU ...................... 8107 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN ................................................................ 8109 C Walter Hirche F.D.P. ...................................... 8111 A Eva Bulling-Schröter PDS .............................. 8112 A Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Fraktion CDU/CSU: Hilfspro- gramm für die Sturmschäden im Wald durch den Orkan „Lothar“ (Drucksache 14/2570) ............................... 8112 D b) Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Rasche und wirksame Hilfe für Waldbesitzer (Drucksache 14/2583) ................................ 8113 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Heidemarie Wright, Iris Follak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeord- neten Steffi Lemke, Ulrike Höfken, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Waldschäden durch die Orkane im Dezember 1999 (Drucksache 14/2685) ................................ 8113 A Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU .......... 8113 B Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU ............... 8114 A Peter Dreßen SPD ........................................... 8115 A Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU .......... 8115 C Heidemarie Wright SPD .................................. 8116 A Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU ...... 8117 A Ulrich Heinrich F.D.P. .................................... 8117 C Heinz Wiese (Ehingen) CDU/CSU ............. 8118 C Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ... 8119 B Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU ...... 8120 B Kersten Naumann PDS ................................... 8121 B Marion Caspers-Merk SPD ............................. 8122 B Ernst Burgbacher F.D.P. ............................. 8123 A Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU ........... 8123 D Karl-Heinz Funke, Bundesminister BML ....... 8125 A Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU ...... 8125 C Ulrich Heinrich F.D.P. ................................ 8126 C Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU ........... 8127 B Karl-Heinz Funke, Bundesminister BML ....... 8127 C Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ordneten Dr. Evelyn Kenzler, Roland Claus, weiteren Abgeordneten und der Fraktion PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksent- scheid (dreistufige Volksgesetzgebung) (Drucksachen 14/1129;14/2151) ............. 8128 A Dr. Evelyn Kenzler PDS ................................. 8128 B Peter Enders SPD ............................................ 8129 C Norbert Röttgen CDU/CSU ............................ 8131 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2000 V Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 8132 C Dr. Max Stadler F.D.P. ................................... 8133 A Nächste Sitzung .............................................. 8134 S Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 8135 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2000 7973 (A) (B) (C) (D) 87. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2000 Beginn: 9.00 Uhr
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    Dr. Max Stadler Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2000 8135 (A) (B) (C) (D) Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 17.02.2000 Dr. Brecht, Eberhard SPD 17.02.2000 Bulmahn, Edelgard SPD 17.02.2000 Falk, Ilse CDU/CSU 17.02.2000 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 17.02.2000 Frick, Gisela F.D.P. 17.02.2000 Friedrich (Altenburg), Peter SPD 17.02.2000 Fuchs (Köln), Anke SPD 17.02.2000 Gehrcke, Wolfgang PDS 17.02.2000 Günther (Plauen), Joachim F.D.P. 17.02.2000 Homburger, Birgit F.D.P. 17.02.2000 Ibrügger, Lothar SPD 17.02.2000 Klose, Hans-Ulrich SPD 17.02.2000 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 17.02.2000 Leidinger, Robert SPD 17.02.2000 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Loske, Reinhard BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.02.2000 Metzger, Oswald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.02.2000 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 17.02.2000 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 17.02.2000 Moosbauer, Christoph SPD 17.02.2000 Mosdorf, Siegmar SPD 17.02.2000 Rühe, Volker CDU/CSU 17.02.2000 Dr. Rüttgers, Jürgen CDU/CSU 17.02.2000 Schmidt (Aachen), Ulla SPD 17.02.2000 Schmitz (Baesweiler), Hans Peter CDU/CSU 17.02.2000 Schütze (Berlin), Diethard CDU/CSU 17.02.2000 Dr. Schwarz-Schilling, Christian CDU/CSU 17.02.2000 Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.02.2000 Wieczorek (Duisburg), Helmut SPD 17.02.2000 Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1408700000
Die Sitzung ist er-
öffnet.

Zunächst möchte ich zwei Kolleginnen und einem
Kollegen zum Geburtstag gratulieren. Die Kollegin Dr.
Erika Schuchardt feierte am 29. Januar, die Kollegin
Margot von Renesse am 5. Februar und der Kollege
Karl-Hermann Haack am 17. Februar, also heute, je-
weils den 60. Geburtstag. Im Namen des Hauses spreche
ich ihnen die besten Glückwünsche aus.


(Beifall)

Die Fraktion der SPD teilt mit, dass der Kollege Dr.

Michael Bürsch sein Amt als Schriftführer niedergelegt
hat. Als Nachfolgerin wird die Kollegin Helga Kühn-
Mengel vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Kollegin
Kühn-Mengel als Schriftführerin gewählt.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte
sind in der folgenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P. ge-

mäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b GO-BT zu den
Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 14 bis 19
in Drucksache 14/2664 zur Haltung der EU zur neuen
österreichischen Regierung (siehe 86. Sitzung)


2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle,
Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Für eine sachge-
rechte Aufteilung wirtschaftspolitischer Zuständigkeiten
– Drucksache 14/2707 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-

schätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Faße, Ulrike

Mehl, Anke Hartnagel, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on der SPD sowie der Abgeordneten Gila Altmann, Albert
Schmidt (Hitzhofen), Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Siche-
rung der deutschen Nord- und Ostseeküste vor Schiffsun-
fällen – Drucksache 14/2684 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)


Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

(Er gänzung zu TOP 14.)

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach-

ten Entwurfs eines Gesetzes über Fernabsatzverträge
und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur
Umstellung von Vorschriften auf Euro – Drucksache
14/2658 –

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen

Union
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach-

ten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohn-
ortes für Spätaussiedler – Drucksache 14/2675 –

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
5. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung im Hinblick
auf einen möglichen Schaden für die Demokratie in
Deutschland durch die aktuellen Erkenntnisse zu Prakti-
ken der Parteienfinanzierung und deren mögliche Aus-
wirkungen auf Mehrheitsverhältnisse in Bundesorganen

6. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD, CDU/CSU,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Einsetzung einer
Enquete-Kommission „Nachhaltige Energieversorgung
unter den Bedingungen der Globalisierung und der Libe-
ralisierung“ – Drucksache 14/2687 –

7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidemarie Wright,
Iris Follak, Renate Gradistanac, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Steffi Lemke,
Ulrike Höfken, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Waldschäden
durch die Orkane im Dezember 1999 – Drucksache
14/2685 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss






(A)



(B)



(C)



(D)


8. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU: Eine
Steuerreform für mehr Wachstum und Beschäftigung
– Drucksache 14/2688 –

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann

Otto Solms, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer
Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P:
Unternehmensteuerreform – Liberale Positionen gegen
die Steuervorschläge der Koalition – Drucksache 14/2706 –

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
10. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜND-

NIS 90/DIE GRÜNEN: Ergänzung des Untersuchungsauf-
trages des 1. Untersuchungsausschusses – Drucksache
14/2686 –

11. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Aus für den Transrapid Hamburg-Berlin; Auswirkungen
für den Wirtschafts- und Technologiestandort Deutsch-
land

Außerdem ist vereinbart worden, den für Freitag mit
Tagesordnungspunkt 11 zur Beratung vorgesehenen An-
trag der Fraktion der CDU/CSU „Gegen den Missbrauch
von Kindern als Soldaten“ auf Drucksache 14/2243 ab-
zusetzen.

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich schaue auf die Besuchertribüne und sehe, dass
dort ein Gast Platz genommen hat, der Präsident der Na-
tionalversammlung der Republik Kamerun, Herr Djibril
Cavaye Yeguie, mit einer Abgeordnetendelegation.
Herr Präsident, ich begrüße Sie und Ihre Kollegen im
Namen der Mitglieder des Deutschen Bundestages sehr
herzlich.


(Beifall)

Mit großer Aufmerksamkeit verfolgen wir die Bemü-

hungen Ihres Landes auf dem Weg zu gefestigten de-
mokratischen Strukturen und wirtschaftlichem Wohl-
stand. Hierbei leistet Ihr Parlament einen wesentlichen
und verantwortungsvollen Beitrag. Seien Sie versichert,
dass der Deutsche Bundestag Sie mit allen ihm zur Ver-
fügung stehenden Mitteln unterstützen wird.

In der Hoffnung, dass Ihr offizieller Besuch in unse-
rem Lande unsere parlamentarischen Beziehungen wei-
ter vertiefen möge, wünsche ich Ihnen einen angeneh-
men und fruchtbaren Aufenthalt. Seien Sie uns herzlich
willkommen.


(Beifall)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 c sowie

Zusatzpunkt 2 auf:

2 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung

Jahreswirtschaftsbericht 2000 der Bundes-
regierung „Arbeitsplätze schaffen – Zu-
kunftsfähigkeit gewinnen“

– Drucksache 14/2611
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-

heit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-

schätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen

Union Haushaltsausschuss
2 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des

Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie (9. Ausschuss) zu der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung

Zwölftes Hauptgutachten der Monopol-
kommission 1996/1997

– Drucksachen 13/11291, 13/11292, 14/69
Nr. 1.8 und 1.9, 14/1274, 14/2005 –

Berichterstattung:
Abgeordneter: Dr. Uwe Jens
2 c) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-

desregierung
Jahresgutachten 1999/2000 des Sachver-

ständigenrates zur Begutachtung der ge-
samtwirtschaftlichen Entwicklung

– Drucksache 14/2223 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten


(Augsburg)

ter und der Fraktion der F.D.P.

Für eine sachgerechte Aufteilung wirt-
schaftspolitischer Zuständigkeiten

– Drucksache 14/2707 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-

schätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen

Union

Präsident Wolfgang Thierse






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Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion PDS
zum Jahreswirtschaftsbericht vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Nunmehr eröffne ich die Aussprache zum Jahreswirt-
schaftsbericht. Das Wort hat der Bundesminister der Fi-
nanzen, Herr Eichel.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408700100
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
„Arbeitsplätze schaffen – Zukunftsfähigkeit gewinnen“:
Mit dem Titel des diesjährigen Jahreswirtschaftsberichts
bringt die Bundesregierung die wichtigsten Ziele ihrer
Finanz- und Wirtschaftspolitik auf eine Formel: die Be-
kämpfung der immer noch viel zu hohen Arbeitslosig-
keit und die Schaffung von Rahmenbedingungen für ei-
ne moderne leistungsfähige Wirtschaft. Die Bilanz des
diesjährigen Jahreswirtschaftsberichts zeigt, dass wir
den richtigen Kurs eingeschlagen haben, um diese Ziele
zu erreichen. Erste Erfolge stellen sich bereits ein, nach-
dem wir im vergangenen Jahr das Ruder energisch he-
rumgeworfen und in Kursrichtung Zukunft eingeschla-
gen haben.

Modernisierung ist dabei der Leitgedanke, der die
Richtung angibt. Geradlinigkeit und Verlässlichkeit die-
ser Politik bilden das Fundament. Dies ist die Grundla-
ge, damit unsere Wirtschaft wieder richtig in Fahrt
kommt und für den langen, steilen Weg zu mehr Wachs-
tum und Investitionen auch die nötige Durchhaltekraft
hat.

Modernisierung heißt dabei erstens, dass unsere Wirt-
schafts- und Finanzpolitik konsequent auf Europa ausge-
richtet ist. Nicht mehr der nationale, sondern der europä-
ische Markt und die einheitliche Währung bestimmen
zukünftig die Entwicklung von Wachstum und Beschäf-
tigung.

In Wirklichkeit ist die Koordinierung der europäi-
schen Wirtschaftspolitiken auch unter elf oder unter
15 Nationalstaaten – unter elf im Blick auf die ge-
meinsame Währung, unter 15 im Blick auf die Europäi-
sche Union – weit vorangeschritten. Die Grundzüge der
Wirtschaftspolitik, die die Kommission aufstellt, die der
Wirtschafts- und Finanzausschuss billigt und die im
Ecofin beschlossen werden, werden künftig Leitplanken
für unsere nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitiken
sein. Wir werden sie in Zukunft hier in die Debatten ein-
führen müssen. Der makroökonomische Dialog, der auf
unseren Vorschlag hin auf europäischer Ebene in Gang
gekommen ist – mit einem sehr positiven Einstieg –,
macht deutlich, dass die großen Partner hinsichtlich der
Geldpolitik, der Lohnpolitik und der Fiskalpolitik dabei
sind, eine Verständigung über den Weg in Europa zu su-
chen und – der erste Einstieg stimmt hoffnungsvoll –
auch zu finden.

Die Konvergenzprogramme, die wir im Zuge des eu-
ropäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes vorlegen
müssen – und die übrigens nach vorheriger Prüfung
durch die Kommission und dann im Ecofin sehr genau

im Wirtschafts- und Finanzausschuss betrachtet werden,
womit ein ganz starker Druck auf gemeinsames Verhal-
ten ausgeübt wird –, werden künftig auch die Grundlage
für unsere nationale Politik sein müssen.

Zweitens gilt es, solche Rahmenbedingungen zu
schaffen, die die Innovationskräfte in unserem Land
stärken und Investitionen sowie Existenzgründungen er-
leichtern.

Drittens bedeutet Modernisierung, dass wir die not-
wendigen Strukturveränderungen, etwa in der Frage der
Alterssicherung, konsequent angehen. Die Leitplanken
für eine solche Politik bilden dabei die Haushaltskonso-
lidierung auf der einen und Entlastungen bei Steuern
und Abgaben auf der anderen Seite.

Dass wir auf dem richtigen Weg sind, zeigen die
Konjunkturprognosen für dieses Jahr. Die Aussichten
sind gut. Die deutsche Wirtschaft hat nach der Wachs-
tumsdelle Ende 1998 und im ersten Halbjahr 1999 wie-
der Tritt gefasst. Die Stimmung ist so positiv wie seit
langem nicht mehr. Die Auftragsbücher der Industrie
sind überwiegend – ich sage „überwiegend“, weil es ei-
nen kleinen Wermutstropfen bei der Automobilindustrie
gibt –


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und beim Mittelstand!)


gut gefüllt. Die Auslandsnachfrage ist lebhaft, die Be-
stellungen aus dem Inland haben zumeist ordentlich zu-
gelegt.

Auch im internationalen Wettbewerb kann sich die
deutsche Wirtschaft sehr gut behaupten. Die Warenex-
porte bewegen sich auf einem steilen Wachstumspfad.
Unsere Projektion für dieses Jahr sieht deshalb einen
Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um real 2,5 Prozent
vor und liegt damit ziemlich am unteren Ende der Er-
wartungen aller internationalen Institutionen und der
Wirtschaftsforschungsinstitute.

Die Verbraucherpreise werden relativ stabil bleiben.
Wir erwarten eine Inflationsrate von 1 bis 1,5 Prozent,
nach dem Preisbuckel, den wir im ersten Quartal dieses
Jahres – das hat mit dem Basiseffekt der Ölpreissteige-
rungen am Weltmarkt zu tun –


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Steuererhöhungen!)


haben werden. Dass das nicht auf die inländische Infla-
tionsrate durchschlägt, hat damit zu tun, dass wir an an-
deren Märkten im Inneren durch Deregulierung sehr
günstige Preisentwicklungen haben. Ich nenne insbe-
sondere den Strommarkt und den Telekommunikations-
markt.

Die Europäische Zentralbank hat für sich ein Stabili-
tätsziel von weniger als 2 Prozent definiert. Von deut-
scher Seite wird das nicht gefährdet.

Die Zahl der Arbeitslosen wird bis zum Ende dieses
Jahres im Vergleich zum Ende des vergangenen Jahres
um etwa 300 000 geringer sein. Damit werden wir in
diesem Jahr durchschnittlich die 4-Millionen-Marke klar
unterschreiten. Wir gehen davon aus, dass bis zum Jah-

Präsident Wolfgang Thierse






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resende 120 000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen
werden. Die Erwerbstätigkeit wird damit um knapp
0,5 Prozent zulegen.

Doch dies ist längst nicht genug. Deshalb werden wir
mit unserer Politik dafür sorgen, dass die Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit weiter vorankommt. Das gilt nicht
nur für Deutschland, sondern auch für die europäische
Ebene. Allein kann ein einzelnes Land dies ohnehin
nicht mehr leisten. Ich habe eben schon darauf hinge-
wiesen, dass auf der europäischen Ebene der makroöko-
nomische Dialog zwischen den Gewerkschaften, der Po-
litik und der Europäischen Zentralbank in Gang ge-
kommen ist. Der Sonderrat von Lissabon im März wird
die Themen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, inflati-
onsfreies Wachstum in Europa und Modernisierung in
den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellen.

Hier können wir aber auch von den guten Erfahrun-
gen anderer Länder lernen. Wachstumsfördernde Rah-
menbedingungen, ein beschäftigungsfreundliches Steu-
er- und Transfersystem sowie flexible Güter- und Fak-
tormärkte sind die Voraussetzungen für einen Abbau der
hohen Arbeitslosigkeit. Dänemark und die Niederlan-
de haben uns beispielhaft vorgemacht, wie dies funktio-
niert: flexible Arbeitsmarkt- und Arbeitszeitregelungen,
flankiert von einer Senkung der Steuer- und Abgabenlast
bei gleichzeitiger Haushaltskonsolidierung. Im Falle von
Dänemark hatte die Haushaltskonsolidierung den ein-
deutigen Vorrang, im Falle der Niederlande spielte die
Senkung der Steuern und Abgaben eine größere Rolle.
Das war dort die Basis für einen lang anhaltenden Auf-
schwung und eine deutliche Verringerung der Arbeitslo-
sigkeit.

Auch wenn sich diese Rezepte nicht nahtlos übertra-
gen lassen, zeigt sich doch: Positive gesamtwirtschaftli-
che Rahmenbedingungen und strukturelle Reformen
entwickeln zusammen die stärksten Wirkungen. Diesen
Weg werden wir weiterhin verfolgen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zur Schaffung eines günstigen Umfeldes für Wachs-
tum und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat zu-
nächst die strikte ausgabenseitige Haushaltskonsolidie-
rung Priorität. Hierzu gibt es angesichts unseres Schul-
denberges keine Alternative. Bei allen Konsolidierungs-
anstrengungen verlieren wir aber nicht die Konjunktur
aus den Augen. Im Gegenteil: Mit einer konsequenten
Haushaltssanierung schaffen wir Spielräume an den
Kreditmärkten und leisten so unseren Beitrag dazu, dass
die Zinsen eine gute Basis für Wachstum schaffen. Eine
konsequente Haushaltssanierung bewirkt auch, dass die
Finanzierungsbedingungen gerade für die kleinen und
mittleren Unternehmen vergleichsweise günstig bleiben
und wir Spielräume für Steuersenkungen schaffen kön-
nen, und zwar Steuersenkungen für alle, insbesondere
für die kleinen und mittleren Unternehmen sowie für die
Familien und die Arbeitnehmer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies belebt die Nachfrage, fördert Investitionen und
stärkt das Wachstum.

Erste Erfolge nach den Entlastungsschritten durch das
Steuerentlastungsgesetz können wir jetzt schon deut-
lich erkennen. Ergänzt wird diese Entlastung durch die
Steuerreform 2000, die wir morgen hier im Deutschen
Bundestag in erster Lesung beraten werden. Die Entlas-
tung der Unternehmen von inzwischen fast 9 Milliar-
den DM im Entstehungsjahr und deutliche Senkungen
der Einkommensteuersätze setzen weitere wichtige Im-
pulse für unsere Wirtschaft.

Eine Steuerentlastung auf Pump – das werden wir
morgen diskutieren – lehnen wir ab. Das lehnen übri-
gens auch alle Sachverständigen ab. Das lehnt auch, wie
Sie sich werden sagen lassen müssen, die Europäische
Union mit Nachdruck ab.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Haushaltskonsolidierung und Steuersenkungen: Da-
mit habe ich die Leitplanken für Investitionen und Ar-
beitsplätze skizziert. Allerdings können wir uns bei der
Schaffung von Arbeitsplätzen nicht allein auf das Wirt-
schaftswachstum verlassen. Gleichzeitig brauchen wir
Strukturreformen zur Aktivierung von Beschäftigungs-
potenzialen ebenso wie eine gezielte Arbeitsmarktförde-
rung.

Dabei hat für uns die Förderung von Arbeit, also von
aktivierenden Maßnahmen, sowie die Förderung von
Qualifikation deutlich Vorrang vor reinen Lohnersatz-
leistungen. Hierzu gehören vor allem auch verstärkte
Anstrengungen in der Aus- und Weiterbildung. Das bes-
te Beispiel für mich ist immer noch das erfolgreiche
Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosig-
keit, das wir fortsetzen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bisher haben über 200 000 Jugendliche dadurch eine
neue Perspektive bekommen. In keinem Land der Euro-
päischen Union geht die Jugendarbeitslosigkeit so deut-
lich zurück wie in Deutschland, seit diese Bundesregie-
rung unter Bundeskanzler Schröder im Amt ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Besondere Verantwortung für die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit haben auch die Tarifvertragsparteien.
Deshalb hat die Bundesregierung das Bündnis für Ar-
beit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit initiiert.
Ich werte die gemeinsame Erklärung über eine beschäf-
tigungsorientierte und längerfristig ausgerichtete Tarif-
politik als ersten wichtigen Erfolg. Sollte es gelingen,
diese Ankündigung vernünftig umzusetzen, wäre dies
ein wichtiges Signal für eine an längerfristigen Zielen
orientierte und damit kalkulierbare Tarifpolitik. Auch
dies wäre eine wichtige Grundlage für Investitionen und
Wachstum.

Meine Damen und Herren, ich sagte eingangs, der
Leitgedanke unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik auch

Bundesminister Hans Eichel






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im Hinblick auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sei
die Modernisierung unserer Wirtschaft. Es geht darum,
unsere Gesellschaft zukunftsfähig zu machen – mit einer
lebenswerten Umwelt, mit Bildungs- und Ausbildungs-
chancen für alle, mit einem hohen technologischen
Standard und einer modernen, international wettbe-
werbsfähigen Wirtschaft. So schaffen wir die Basis für
eine dauerhafte Förderung von Innovationen und In-
vestitionen.

Auch die Modernisierung ist immer nur im europäi-
schen Rahmen zu sehen. Nehmen wir das Beispiel Öko-
steuer. Mit ihr haben wir eine maßvolle, schrittweise
Verteuerung der Energie vorgenommen. Im Vergleich
der europäischen Preise liegen wir auch nach diesen
Maßnahmen deutlich im unteren Bereich. Wir geben
damit also keineswegs ein Preissignal, das irgendeine
geldpolitische Wirkung haben könnte. Auch einen Wett-
bewerbsnachteil für den europäischen Binnenmarkt kann
ich beim besten Willen nicht ausmachen – im Gegenteil.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Sie müssen ganz vorsichtig sein. Die Richtlinie zur
Ökosteuer ist doch zu Ihrer Zeit, unter Ihrer tätigen
Mitwirkung in Brüssel formuliert worden. Wären nicht
Irland und Spanien dagegen gewesen, wäre dies schon
damals Gesetz geworden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU und der F.D.P.)


Es ist wirklich erstaunlich, was für ein kurzes Gedächt-
nis Sie haben. Sie haben doch etwas Vernünftiges ge-
macht. Dass wir Ihre damalige Vernunft nun gegen Sie
verteidigen müssen, ist ein Drama.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU und der F.D.P.)


Erstens senken wir mithilfe der Einnahmen aus der
Ökosteuer die Rentenversicherungsbeiträge und gehen
damit ein Problem an, das bisher ein Investitions- und
Arbeitsplatzhindernis ersten Ranges war. Wenn wir über
Europafähigkeit reden, wenn wir darüber reden, wie wir
im europäischen Vergleich dastehen, werden wir fest-
stellen müssen, dass wir mit unseren hohen gesetzlichen
Lohnnebenkosten – nur davon rede ich – in Europa auf
Dauer nicht werden bestehen können. Das haben Sie zu
vertreten. Wir ändern diesen Zustand.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens ist es – ich wiederhole es – ein europäischer
Weg. Dies zeigt die Tatsache, dass sich bis auf ein ein-
ziges Land, bis auf Spanien, alle darüber einig sind, dass
eine einheitliche Richtlinie zur Energiebesteuerung er-
lassen werden muss. Man hat erkannt, dass die Wirt-
schaft von morgen angesichts der globalen Umweltprob-
leme nicht so produzieren kann, wie es die Wirtschaft
von gestern tun konnte. Der Ressourcenverbrauch muss
verteuert werden, die Arbeit muss billiger werden. Die-
ses Signal für Modernisierung haben wir gesetzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Drittens ist die Ökosteuer ein wichtiger Beitrag zur
Stärkung der Innovationskräfte unserer Wirtschaft. Sie
bewirkt eine Initialzündung für die Entwicklung neuer,
Ressourcen schonender Produkte und Produktionsver-
fahren. Dies ist der richtige Weg in die Zukunft.

Ein weiterer wichtiger Beitrag zur Modernisierung ist
die Schaffung eines leistungsfähigen, international wett-
bewerbsfähigen Steuersystems. Hier leistet die Steuer-
reform 2000 den entscheidenden Beitrag. Investitionen
werden erleichtert, und mit Investitionen geht in der Re-
gel eine schnellere Umsetzung des technischen Fort-
schritts einher.

Um eine langfristige Zukunftsfähigkeit zu erreichen,
müssen die Anstrengungen für Bildung und Forschung
heute verstärkt werden. Wenn jeder Bereich seinen Bei-
trag zur Konsolidierung leistet, gewinnen wir Freiräume
für mehr Investitionen im Bereich Forschung und Bil-
dung, zum Beispiel für die Förderung der modernen
Technologien, für Fachprogramme für den Hochschul-
ausbau, den wir gemeinsam mit den Ländern fortsetzen.
Wir werden neue Ausbildungsberufe schaffen und be-
stehende Ausbildungsberufe modernisieren. Innovative
Wirkungen verspreche ich mir insbesondere von einer
Erleichterung des Wissenstransfers zwischen Wissen-
schaft und Wirtschaft.

Meine Damen und Herren, Modernisierung macht na-
türlich auch nicht vor der öffentlichen Verwaltung
Halt. Die Orientierung der Bundesverwaltung am Gebot
der Wirtschaftlichkeit ist beispielsweise ein wichtiger
Reformbereich. Neue Führungs- und Steuerungsinstru-
mente, der flächendeckende Einsatz von Informations-
technologien – das sind nur einige Beispiele dafür, dass
der Leitgedanke „moderner Staat und moderne Verwal-
tung“ für uns keine Worthülse ist.

Natürlich gehört auch der weitere Aufbau Ost zu
dieser Modernisierung zentral hinzu. Denn die Zukunfts-
fähigkeit Deutschlands setzt voraus, dass die neuen
Länder den wirtschaftlichen Aufholprozess fortsetzen.
Sie werden von dieser Bundesregierung dabei nachhaltig
unterstützt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Förderschwerpunkt liegt auch hier beim Mittelstand
und bei den Existenzgründern sowie bei dem weiteren
Ausbau der Infrastruktur, den wir noch über lange Zeit
mit allen Mitteln fortsetzen müssen.

Meine Damen und Herren, das Fazit: Der Jahreswirt-
schaftsbericht 2000 zeigt, dass wir auf dem richtigen
Weg sind. Mit unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik
gehen wir die wichtigsten Probleme unseres Landes an.
Diese Probleme sind nicht nur auf eine, sondern auf ein
ganzes Bündel von Ursachen zurückzuführen. Deswe-
gen haben wir auch ein Maßnahmenpaket geschnürt.
Strukturreformen, verbesserte Rahmenbedingungen und
konkrete Unterstützungsmaßnahmen – das sind unsere
Antworten auf die Herausforderungen, die sich uns jetzt
stellen. Der Jahreswirtschaftsbericht ist die gesamtwirt-

Bundesminister Hans Eichel






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schaftliche Projektion der Bundesregierung. Aber er ist
mehr als das: Er zeigt, auf welchem Weg wir sind, damit
Arbeitsplätze geschaffen werden; er zeigt, wie wir die
Zukunftsfähigkeit gewinnen; und er zeigt: Wir sind auf
einem guten Weg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1408700200
Für die CDU/CSU-
Fraktion erteile ich nun dem Kollegen Michael Glos das
Wort.


(Unruhe bei der SPD – Beifall bei der CDU/ CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Zieht euch nur warm an!)



Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1408700300
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass
wir heute endlich wieder über die wichtigen Probleme
unseres Landes diskutieren können.


(Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS – Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei der F.D.P.)


Ich glaube, diese Diskussion ist nötig. Wir sind als Poli-
tiker dafür gewählt, die Probleme zu lösen.


(Unruhe bei der SPD – Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der SPD: Haben wir die ganze Zeit getan!)


Die Bundesregierung hat die wichtigsten Probleme un-
seres Landes nicht gelöst


(Beifall der Abg. Ina Lenke [F.D.P.])

und konnte sich im Schatten von Affären vor der Öffent-
lichkeit verstecken.


(Lachen bei der SPD)

Ungelöst ist nach wie vor die große Steuerreform,


(Lachen bei der SPD)

die für sofort angekündigt war. Ungelöst ist – trotz aller
Reden – die Rentenproblematik. Ungelöst ist das Prob-
lem der Kernenergie – oder Sie wollen aussteigen.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist nicht ungelöst! Das ist gelöst!)


Ungelöst sind die Tarifauseinandersetzungen, die in
Folge des Bündnisses für Arbeit gekommen sind. Unge-
löst ist die Schwäche unserer Währung; das Problem
wird immer stärker. Das sind die Probleme, über die wir
diskutieren müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, es mag Sie freuen, dass man all

dies in den Hintergrund hat rücken können und dass
über andere Probleme diskutiert worden ist.


(Widerspruch und Lachen bei der SPD)


Aber diese Probleme werden Sie einholen. Die Freude
darüber, dass es der Union derzeit schlecht geht, wird
nur von kurzer Dauer sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wollten sich zu jeder Zeit am Abbau der Arbeitslo-
sigkeit messen lassen. In Ihrer Amtszeit ist die Zahl der
Arbeitslosen um 328 000 gestiegen.


(Widerspruch bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Herr Glos, heute Morgen im Fernsehen waren Sie viel besser als jetzt!)


Die Eingriffe bei den 630-Mark-Jobs waren ein erfolg-
reiches Arbeitsplatzvernichtungsprogramm.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage es noch einmal: Trotz aller Beteuerungen ist
nach wie vor keine echte Rentenreform in Sicht. Das,
was man mit den Rentnern vorhat, ist Betrug; und wir
nennen es auch so. Ich meine die willkürliche Ausset-
zung. Das ist bisher das Einzige, was beschlossen wor-
den ist. Eine echte Gesundheitsreform steht nach wir vor
aus. Die jetzige Budgetierung ist nichts anderes als eine
Rationierung zulasten der Patienten und ein Marsch in
die Zweiklassenmedizin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die viel gepriesene Ökosteuer – Herr Eichel hat sich

noch einmal ausdrücklich dazu bekannt – ist ein Rohr-
krepierer. Sie trägt nicht zur Energieeinsparung bei. Sie
dient lediglich zum Abkassieren bei den deutschen Au-
tofahrerinnen und Autofahrern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist noch nicht zu Ende. Drei weitere Stufen sind be-
schlossen. Auch diese Stufen werden sich preistreibend
auswirken.

Was jetzt Herr Klimmt auf den Tisch gelegt hat, ist
ebenfalls kein besonders geschickter Klimmt-Zug. Die-
ses so genannte Notprogramm gegen den Stau wird die
Probleme auf den deutschen Autobahnen nicht lösen.

Das Interessanteste am Jahreswirtschaftsbericht ist
nicht unbedingt das, was darin geschrieben steht, son-
dern das, was ausgeklammert worden ist. So steht auf
den 91 Seiten des Jahreswirtschaftsberichtes nicht ein-
mal das Wort „Euro-Schwäche“. Das ist eines unserer
größten Probleme. Das hat langfristige Auswirkungen
auch auf die Stabilität bei uns im Land.

Der Bundeskanzler hat am 10. November 1998 bei
seiner Regierungserklärung im Deutschen Bundestag er-
klärt: Wir wollen nicht, dass der Euro Deutsch spricht.
Wir wollen einmal davon absehen, dass er vielleicht
damit irgendjemand Zucker geben wollte, weil wir ja
wissen, dass auf der linken Seite des Hauses ein gewis-
ser Deutschenhass verbreitet ist.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

– Entschuldigung. Das Schlimme ist, dass der Euro jetzt
offensichtlich Italienisch spricht. Italien ist auch ein
Stück weit kommunistisch regiert, was heute durchaus

Bundesminister Hans Eichel






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en vogue ist. Daran stört sich niemand. Wenn andere
Länder demokratisch andere Entscheidungen treffen,
dann wird das von der gesamten Europäischen Union
zensiert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit der verräterischen Aussage, der Euro solle nicht

Deutsch sprechen, ist ein verhängnisvoller Kurswechsel
bei der Stabilität eingeleitet worden. 15 Monate nach
dieser Erklärung ist sehr viel bittere Wirklichkeit ge-
worden. Man kann und muss zur Kenntnis nehmen:
20 Prozent Abwertung gegenüber dem japanischen Yen,
13 Prozent Abwertung gegenüber dem britischen Pfund,
16 Prozent Abwertung gegenüber dem amerikanischen
Dollar. Mit einem Kurs von 2 DM muss heute so viel für
den Dollar wie seit über 10 Jahren nicht mehr bezahlt
werden.

Der Präsident der Europäischen Zentralbank Duisen-
berg hält nationale Preisziele bei anhaltender Euro-
Schwäche für gefährdet. Das ist die eigentliche ver-
hängnisvolle Langzeitwirkung, so willkommen es kurz-
fristig einmal für den deutschen Export zu sein scheint.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ernst Schwanhold [SPD]: Das stimmt nicht!)


– Entschuldigung, Sie können dann später reden, Herr
Kollege. – Ich zitiere nun den französischen Notenbank-
Gouverneur Trichet. Auch er warnt vor einer importier-
ten Inflation.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Das hat nichts mit der deutschen Wirtschaft oder der deutschen Politik zu tun! Sie verrühren ein paar Dinge, weil Sie den Zusammenhang nicht erkennen!)


Die Briten, in deren Glanz sich der Bundeskanzler
selbstverständlich gerne sonnt – Tony Blair ist schließ-
lich sein bester Freund –, gehen mehr und mehr auf Dis-
tanz zu Europa und zur Europäischen Währungsunion,
weil sie Folgen für ihre Stabilität befürchten.

Die Menschen geraten dadurch natürlich in Sorge um
ihr Erspartes. Ein schwacher Außenwert kann sehr
schnell auch den Binnenwert einer Währung gefährden,
wie wir alle wissen. Über die preistreibenden Folgen der
Ökosteuer haben wir schon gesprochen. Die überzoge-
nen Lohnforderungen tragen ebenfalls zu dieser Schwä-
che bei. Auch Staatsinterventionismus bei bestimmten
Konzernen aus parteipolitischen Werbegründen vor Par-
teitagen tragen zu dieser Euro-Schwäche bei.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ernst Schwanhold [SPD]: Meinen Sie den bayerischen?)


Was gleichzeitig noch mehr besorgt macht: Der
Preisanstieg hat sich bereits kräftig beschleunigt. Im Ja-
nuar 1999 lag er bei plus 0,2 Prozent, ein Jahr später, im
Januar 2000, bei plus 1,6 Prozent. Die Tendenz ist leider
weiter steigend. Darüber sollten wir sprechen. Das
macht uns allen Sorge. Im Jahreswirtschaftsbericht heißt
es trotzdem verharmlosend: Die Stabilität des Preisni-
veaus bleibt ungefährdet.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Das ist völlig richtig!)


Wer Gefahren verharmlost, der läuft Gefahr, dass
sich diese Gefahren verstärken und dass dann das ein-
tritt, was wir alle nicht wollen, nämlich eine neue Lohn-
preisspirale. Für mich ist es deshalb unabdingbar: Die
Bundesregierung muss endlich wieder ein klares Signal
geben, dass ein starker Euro im europäischen und im
deutschen Interesse ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Bei aller verständlichen Freude – ich habe es vorhin
schon einmal gesagt – für unsere Exportindustrie: Die
Bundesregierung muss in dieser stabilitätspolitisch
schwierigen Lage die weiteren Stufen der Ökosteuer
aussetzen.

Deutschland braucht mehr Investitions- und Wachs-
tumsdynamik. Das ist unabdingbare Voraussetzung zur
Lösung einer Vielzahl von Problemen. Es ist Vorausset-
zung für die Lösung des Problems Euro-Schwäche. Es
ist Voraussetzung für die Konsolidierung der Staatsfi-
nanzen. Es ist Voraussetzung für eine Rentenreform, die
den Namen verdient, weil auch die Quellen der Rente
wieder stärker gespeist werden müssen, indem mehr
Leute in Arbeit und Brot kommen. Gleichzeitig ist es
natürlich auch der Schlüssel zur Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit.

Der amerikanische Wirtschaftsmotor brummt seit vie-
len Jahren. In diesem Jahr wird es dort ein reales Wachs-
tum von 4 Prozent geben.


(Detlev von Larcher [SPD]: Und 30 Millionen Hungernde!)


Viele Länder in der Europäischen Union verzeichnen
kräftige Zuwächse: Irland plus 7,5 Prozent, Luxemburg
plus 4,75 Prozent, Finnland plus 4,25 Prozent, Spanien
und Schweden plus 3,75 Prozent, Frankreich und Hol-
land plus 3,5 Prozent. Deutschland hinkt mit einem
Wachstum von knapp 2,5 Prozent weit hinterher. Das
sind die Fakten.

Und die Arbeitslosigkeit – das ist die Kehrseite der
Medaille – ist in der EU deutlich gesunken, außer in
Deutschland: um 2 Prozent in Spanien, um 1,4 Prozent
in Irland, um 1,1 Prozent in Frankreich, um 0,8 Prozent
in Holland, Finnland und Dänemark, um 0,6 Prozent in
Belgien. In der Bundesrepublik Deutschland dagegen ist
die Arbeitslosigkeit, wie gesagt, nicht gesunken.

Das ist die Bilanz Ihrer Regierungspolitik zur heuti-
gen Stunde. Sie müssen sich deshalb fragen lassen, Herr
Bundeskanzler, warum das so genannte Bündnis für
Arbeit, das Sie selbst zum Kernstück Ihrer Regierungs-
arbeit erklärt haben, jetzt schon gescheitert ist. Diese
Bündnisvereinbarung zwischen Arbeitgebern und Ge-
werkschaften war ein einziges Dokument der Beliebig-
keit. Diese Seifenblase ist schon jetzt geplatzt; das ist
nur nicht eingestanden worden. Es sollte ein großer
Durchbruch in Richtung einer mehrjährigen Beschäfti-
gungspolitik sein. Bereits nach wenigen Tagen hat sich

Michael Glos






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gezeigt: Das war alles nur ein Formelkompromiss.
Plötzlich gab es Lohnforderungen von 5,5 Prozent.

Auch die Schlussfolgerung, das Bündnis für Arbeit
bringe in diesem Jahr eine Abnahme der Arbeitslosen-
zahl um 200 000, ist, Herr Bundeskanzler, verräterisch.
Die gleiche Prognose stellt übrigens die Bundesanstalt
für Arbeit. Sie sagt allerdings, dass der Rückgang von
200 000 daher kommen wird,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Jetzt kommt es! Zuhören!)


dass weniger Menschen Arbeit suchen, weil mehr Men-
schen aus dem Erwerbsleben austreten als in das Er-
werbsleben eintreten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nicht die Politik!)


Es gibt keinerlei Erfolg Ihrer Bemühungen. Wir brau-
chen diese Erfolge aber für unser Land.


(Zuruf von der SPD: So geht ihr mit Zahlen um!)


– Das liegt nicht daran, wie wir mit Zahlen umgehen. Es
zeigt doch vielmehr inzident, dass man letztendlich
selbst nicht an das Ergebnis der Bemühungen glaubt. Ich
finde, auch hierüber verdient die Öffentlichkeit eine rea-
listische Aufklärung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Für diese wirtschaftspolitische Nullnummer hätte

man keine Spitzengespräche gebraucht, keine Steue-
rungsgruppe, keine Benchmarkinggruppe und keine
sonstigen neuen Arbeitsgruppen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Nichts tun wie Sie?)


Ich kann nur sagen: außer Spesen nichts gewesen! Diese
Bundesregierung lässt es zu, dass die IG Metall die
Bündniserklärung als Alibi für verstaubte Vorschläge
für eine Rente mit 60 missbraucht. Wir wissen ganz ge-
nau, dass die Jungen diese Rente mit 60 finanzieren
müssten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wissen, dass sich unsere Arbeitsmarktprobleme
nicht durch Umverteilung vorhandener Arbeitsplätze lö-
sen lassen. Wir brauchen stattdessen Wirtschafts-
dynamik. Wir wissen auch, dass man erfahrene Fach-
kräfte, die man mit 60 oder noch früher wegschickt,
nicht ohne weiteres durch schlecht ausgebildete junge
Kräfte ersetzen kann, die nicht entsprechend eingearbei-
tet sind. Das geht nicht so rasch. Letztendlich kann man
dieses Problem nicht statisch lösen.

Gerade für kleine und mittlere Betriebe ist die Erfah-
rung dieser älteren Arbeitnehmer unverzichtbar.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen ist es auch unverantwortlich, sie in die Rente
zu drängen. Wir müssen eine Politik für die Zukunft
machen. Wenn die Jungen neben ihren eigenen Renten-

beiträgen und der notwendigen privaten Zusatzvorsorge
auch noch die vorzeitige Rente für die Älteren finanzie-
ren sollen, ohne dass sich dauerhaft entsprechende Ge-
genleistungen abzeichnen, dann ist es kein Wunder,
wenn sie aus unserem Rentenversicherungssystem aus-
steigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen sage ich es noch einmal: Wir brauchen keine
runden Tische, sondern wir brauchen endlich das Han-
deln der Regierenden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie haben gewaltige Mehrheiten. Sie haben derzeit sogar
das Glück, eine Opposition zu haben, die sich sehr stark
mit sich selbst beschäftigt. Ich verspreche Ihnen aber:
Das wird wieder besser.

Wir brauchen eine Steuerreform aus einem Guss.

(Ernst Schwanhold [SPD]: Eine kalte Dusche habt ihr schon!)

Hierfür hat die CSU gemeinsam mit der CDU Eckpunk-
te vorgeschlagen. Darüber werden wir in dieser Woche
noch diskutieren. Wir brauchen vor allen Dingen eine
rasch wirkende Nettoentlastung, um die Kaufkraft zu
stärken.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Wie viel darf es sein?)


Wir brauchen die Senkung aller Steuersätze über den
gesamten Tarifverlauf.


(Joachim Poß [SPD]: Machen wir ja!)

Wir brauchen Impulse für Wachstum und Beschäfti-
gung. Auf Ihre Frage, Herr Schwanhold: „Wie viel darf
es denn sein?“, eingehend, sage ich: Wir brauchen eine
Nettoentlastung in einer Größenordnung von circa
50 Milliarden DM. Wir brauchen vor allen Dingen Steu-
ersätze zwischen 15 und 35 Prozent.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ernst Schwanhold [SPD]: 82 Milliarden DM Zinsen schmälern den Spielraum!)


Der Spitzensteuersatz darf nicht aus ideologischen
Gründen von der Steuersenkung ausgenommen sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sonst laufen wir Gefahr, dass immer mehr leistungsfä-
hige Arbeitskräfte verloren gehen.


(Joachim Poß [SPD]: Kennen Sie den Art. 115 des Grundgesetzes, Herr Glos?)


Im Bereich der gut verdienenden Spezialisten wandern
heute durch die Globalisierung und Europäisierung Ar-
beitskräfte und Arbeitsplätze ins Ausland ab,


(Ernst Schwanhold [SPD]: Durch Ihre Politik!)


weil man viel vom Bildschirm aus erledigen kann.

(Ernst Schwanhold [SPD]: Zu Ihren Zeiten scharenweise gegangen!)


Michael Glos






(A)



(B)



(C)



(D)


So sehr wir die Globalisierung auch begrüßen, so sind
wir auf der anderen Seite gezwungen, Gegenmaßnah-
men durchzuführen. Das kann man aber nur marktwirt-
schaftlich, indem man den Arbeitskräften bezüglich der
Steuersätze das gleiche Angebot macht.

Ein Bauer kann seine Hühner zwar einzäunen, vor al-
lem, wenn er sie ökologisch halten will – dafür sind die
Grünen sicher –, aber man kann Arbeitskräfte nicht ein-
sperren und immer noch glauben – jetzt greife ich wie-
der auf die Hühner zurück –, dass goldene Eier gelegt
werden.

Die Bundesregierung will die Wachstums- und Be-
schäftigungsprobleme von heute mit Steuersenkungen
von übermorgen lösen. Herr Eichel, es wäre redlich ge-
wesen, wenn Sie bei der Darstellung Ihrer Steuerreform,
die Sie gepriesen haben – ein wenig Selbstlob gehört
immer dazu –,


(Ernst Schwanhold [SPD]: Dazu sind Sie bei sich noch gar nicht gekommen!)


auch gesagt hätten, dass die entscheidenden Entlastungs-
schritte erst im Jahr 2005 eintreten sollen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

Wir brauchen sie allerdings jetzt, um das Pflänzchen
Konjunktur zu kräftigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich hätte eigentlich niemals geglaubt, dass es unter

einem sozialdemokratischen Kanzler, der sich auf Öko-
sozialisten stützt, möglich ist – –


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Sagen Sie einmal, Herr Schlauch, betrachten Sie das
inzwischen als Schimpfwort?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Habt ihr euch so weit von der Basis, die euch einmal ge-
tragen hat, entfernt, nur weil ihr nun in den Sesseln der
Macht sitzt?


(Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Ökosozialist ein Schimpfwort ist, dann weiß ich
nicht mehr weiter.

Eigentlich wollte ich aber etwas anders sagen.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Das täte ich auch!)

Ich finde es einmalig – das ist ein Skandal –, dass man
großen, leistungsfähigen Konzernen – Bankkonzernen,
Versicherungskonzernen und Industriekonzernen – beim
Beteiligungsverkauf einen Nullsteuersatz einräumen
will, während man bei kleinen Mittelständlern bei Be-
triebsaufgabe gnadenlos abkassiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wenn wir einen solchen Vorschlag zu Zeiten von Theo
Waigel gemacht hätten, dann hätten uns Ihre Genossen
nachts die Bude angezündet, der Mob hätte auf den
Straßen getobt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist letztendlich die Wahrheit.
Wir wissen doch noch, in welchem Klima des Klas-

senkampfes wir unsere Steuerreformvorschläge vom Pe-
tersberg im Deutschen Bundestag durchsetzen mussten.
Anschließend sind sie von Ihnen, Herr Eichel, sabotiert
worden. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Und Schröder!)


Etwas anderes: Große Aktiengesellschaften sollen
bevorteilt werden. Darüber kann man reden, aber dann
muss auch Gerechtigkeit für die Kleinen gelten. Bei Ih-
nen sollen die Kleinaktionäre schonungslos abkassiert
werden.

Herr Eichel, ich kann nur sagen: Wenn man die
Eichelaktie am Neuen Markt einführen würde, wäre sie
nach kurzer Zeit ein Flop, obwohl da heute die tollsten
Dinge laufen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der geplante Übergang vom Vollanrechnungsver-
fahren bei der Körperschaftsteuer hin zum Halbein-
künfteverfahren trifft nun einmal die Aktionäre mit
mittleren Einkommen, Herr Schwanhold. Wenn es nicht
richtig ist, können Sie es anschließend darstellen.

Wenn jetzt noch jemand von Umverteilung von unten
nach oben redet, so hat er dafür eine Berechtigung. Vor
Jahren haben Sie das immer gesagt; da hatten Sie nie ei-
ne Berechtigung für diese Aussagen.


(Lachen bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Wahrheit!)


Wir werden jedenfalls einen Nulltarif bei der Besteu-
erung weniger großer Leistungsfähiger und ein Abkas-
sieren der Kleinen im Bundesrat nicht mitmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Bravo!)


Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Ausstieg
aus der Kernenergie sagen. Ausstieg aus der Kern-
energie bedeutet steigende Strompreise und Ver-
schlechterung der Wettbewerbsfähigkeit der strom-
verbrauchenden Industrie.

Ausstieg aus der Kernenergie bedeutet die stärkere
Abhängigkeit von Energieimporten. Dadurch wird auf
die Dauer auch der außenpolitische Spielraum Deutsch-
lands geringer.

Michael Glos






(A)



(B)



(C)



(D)


Ausstieg aus der Kernenergie bedeutet einen techno-
logischen Fadenriss in einer wichtigen Zukunftstechno-
logie.

Ausstieg aus der Kernenergie bedeutet eine geringere
weltweite Reaktorsicherheit.

Ausstieg aus der Kernenergie bedeutet eine Nichtein-
haltung der internationalen Klimaschutzvorschriften –
und das alles, obwohl man sich das Klima und die Um-
welt aufs Panier geschrieben hat.

Wir von der CDU und der CSU werden deswegen –
das sage ich auch Herrn Müller, der hierüber verhan-
delt – diesen Weg nicht mitgehen, auch nicht, wenn es
Ihnen gelingt, sich mit den Bossen der Kernenergie zu
einigen. Das ist lang nicht unsere Position.


(Peter Dreßen [SPD]: Also Blockadepolitik! – Detlev von Larcher [SPD]: Glos gegen die Bosse!)


Wir werden alle rechtlichen und gesetzlichen Möglich-
keiten einsetzen, um diese falsche Weichenstellung zu
verhindern, unabhängig davon, was Sie mit den großen
Bossen vereinbaren. Die großen Bosse diktieren nicht
uns, sondern Sie lassen sich vielleicht von denen etwas
diktieren.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Glos!)


Deswegen sage ich es noch einmal: Ich freue mich,
dass wir heute in großer Sachlichkeit über Wirtschafts-
probleme diskutieren können,


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ernst Schwanhold [SPD]: Warum haben Sie das nicht geleistet?)


und kann Sie nur auffordern:

(Ernst Schwanhold [SPD]: Warum haben Sie es nicht getan, Herr Glos? – Joachim Poß [SPD]: Der größte Schauspieler der Welt!)


Herr Bundeskanzler, beziehen Sie die Vorschläge, die
Ihnen die Opposition macht, zum Wohle unseres Landes
auch in Ihre Regierungsarbeit ein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Ökonomischer Sachverstand aus dem Hinterhof! – Zuruf von der SPD: Euch wird das Lachen noch vergehen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1408700400
Ich erteile dem Kol-
legen Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Glos, es ist in diesen Tagen wahrlich nicht
leicht, sich mit Sachpolitik auseinander zu setzen, weil

die Spendenaffäre der CDU und auch die Selbstbedie-
nungsmentalität im Parteienfilz alles andere überlagert.
Der Flurschaden, der eingetreten ist, wird uns mögli-
cherweise noch Jahre zu schaffen machen.

Was hier Spitzenpolitiker, allen voran der Altbundes-
kanzler Helmut Kohl und der ehemalige Innenminister
Manfred Kanther, angerichtet haben, hat das Grundver-
trauen in die Politik, in den politischen Betrieb erschüt-
tert und schweren Schaden angerichtet. Es ist wahrlich
tragisch anzusehen, dass selbst die, die um Aufklärung
bemüht sind und heute nicht hier sind, sich aus ihrer
Selbstverstrickung überhaupt nicht befreien können. Ich
bedauere das sehr, weil die politischen Talente – –


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

– Ja, natürlich. Das ist durchaus ein Verlust, wenn es
nicht mehr zu dieser Auseinandersetzung kommt, die
wir hier im Parlament brauchen, weil die politischen Ta-
lente rar sind und weil auch die Umstände und Maßstäbe
für den Rücktritt und das Verschwinden von der politi-
schen Bildfläche in Deutschland sehr unterschiedlich
und sehr fragwürdig sind. Während die einen wegen
Widersprüchen und Lügen abtreten müssen, können die
anderen sich trotz erwiesener Stasispitzelei halten. Auch
darüber sollten wir einmal nachdenken.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Sie können mir glauben: Es bereitet keine Lust, mit an-
zusehen, wie die Grundwerte und Grundfesten dieser
Republik mittlerweile erschüttert werden. Wir haben im
Deutschen Bundestag eine hohe Verantwortung und ste-
hen vor einer großen Bewährungsprobe, dafür zu sorgen,
dass die politische Willensbildung, zu der wir bekannt-
lich mitverpflichtet sind, jetzt nicht in Politikverdruss
und Aversion umschlägt.

Zum eigentlichen Thema: Der vorliegende Jahres-
wirtschaftsbericht gibt Anlass zu Optimismus. Während
im vergangenen Jahr das Wirtschaftswachstum bei
1,4 Prozent lag und die Arbeitslosigkeit nur wenig zu-
rückgegangen ist, zeichnet sich zu Beginn dieses Jahres
ein Wirtschaftsaufschwung ab, der sich auf relativ ho-
hem Niveau stabilisieren wird. Abweichend von den üb-
lichen Ritualen könnten wir uns darüber wirklich ge-
meinsam freuen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


falls wir in diesen für die Politik lausigen Zeiten noch zu
gemeinsamer Freude fähig sind. Aber vielleicht ist es
genau das, was der Politik manchmal fehlt und ihr einen
zänkisch-neurotischen Charakter verleiht, nämlich dass
wir uns über wichtige und positive Dinge nicht freuen
können;


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


denn selten zuvor waren die Aussichten so gut wie in
diesem Jahr und für die kommenden Jahre. Alle Kon-
junkturindikatoren wie Auftragseingang, Geschäftsklima
und Aktienindex weisen nach oben. Die Prognosen der

Michael Glos






(A)



(B)



(C)



(D)


Wirtschaftsforschungsinstitute werden in diesem Jahr
möglicherweise sogar noch übertroffen. Es besteht also
Grund für Optimismus. Optimismus ist schließlich eines
der wichtigsten Wachstumshormone in der Wirtschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um

2,5 Prozent wird sich auch deutlich auf den Arbeits-
markt auswirken. Kollege Glos, es ist nicht nur auf
demographische Faktoren zurückzuführen, dass mit
200 000 bis 300 000 weniger Arbeitslosen zu rechnen
ist; denn es werden auch 120 000 neue Stellen geschaf-
fen. Wenn Sie den Jahreswirtschaftsbericht genau analy-
siert hätten, dann wären Sie darauf gestoßen. Sie sind
vielleicht unzufrieden darüber, weil Sie selbst noch in
den letzten Tagen Ihrer alten Regierung von der Halbie-
rung der Arbeitslosigkeit gesprochen haben. Das ist in
fataler Weise auch eingetreten: Ihre Halbierung sah so
aus, dass es etwas über 2 Millionen Arbeitslose im Wes-
ten und etwa 2 Millionen Arbeitslose im Osten gab. So
sah die Situation aus, als wir die Regierung in diesem
Land übernommen haben. Jetzt haben wir eine Trend-
wende auf dem Arbeitsmarkt erreicht. Die Arbeitslosig-
keit nimmt wirklich ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Hinsichtlich der Geldwertstabilität und der Zinsent-
wicklung wird in dem Bericht für meine Begriffe ein
etwas zu optimistisches Bild gezeichnet. Allerdings ge-
hen selbst die größten Pessimisten von einer maximalen
Steigerung der Zinsen um 1 Prozentpunkt auf 4 Prozent
aus. Das wird der wirtschaftlichen Entwicklung keinen
Abbruch tun und das können wir ohne größere Probleme
verkraften.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Wir sollten nicht so leichtfertig über höhere Zinsen reden, Herr Schulz!)


Wir sollten diesen Erfolg nicht kleinreden; denn er
hat nicht nur mit der Wirtschaftsentwicklung und der
anhaltenden Konjunktur in den USA sowie damit zu tun,
dass sich die meisten Krisenländer dieser Welt wesent-
lich schneller erholt haben, als wir das erwartet haben,
und jetzt der wettbewerbsstarken deutschen Industrie
und Wirtschaft Impulse geben. Sicherlich spielt auch die
Schwäche des Euro eine Rolle. Aber das hat, wie man
am Exportboom sieht, auch positive Wirkungen.

Es gibt – es ist viel wichtiger, dass wir das hier her-
ausarbeiten und betonen – aber auch erste und ziemlich
klare Signale für ein Anspringen der Binnenkonjunk-
tur und der Binnennachfrage. Hier lohnt sich schon eine
genauere Betrachtung; denn der unglückliche Start der
rot-grünen Regierung und das erste holprige, wenig
glanzvolle Jahr haben natürlich zunächst in der Wirt-
schaft zu Skepsis und Attentismus geführt. Nun ist man,
glaube ich, doch eher wieder optimistisch hinsichtlich
der Entwicklung gestimmt. Die Panikmache, die
Schwarzmalerei und so manche Regelung wie die der
630-Mark-Jobs haben sich überhaupt nicht so ausge-
wirkt, wie das hier dargestellt worden ist,


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: 700 000 Arbeitsplätze sind hops gegangen!)


im Gegenteil: Das eigentliche Ziel, nämlich den mas-
senhaften Missbrauch dieser Jobs zu verhindern, ist im
Grunde genommen erreicht worden. Das war das eigent-
liche Anliegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Selbst hinsichtlich der Scheinselbstständigkeit war
die Regierung in der Lage, die erkannten Fehler zu kor-
rigieren. Auch das mögen Sie als Anzeichen für eine
neue Politik betrachten, die in der Lage ist, über sich
selbst kritisch zu reflektieren und Korrekturen vorzu-
nehmen, und die nicht mit Starrsinn reagiert, wie wir es
früher erlebt haben: Augen zu und weitermachen.

Zum Glück haben wir jetzt also eine stabile und
handlungsfähige Regierung, die aus den überhasteten
Anfangstagen gelernt hat und die sich nicht durch die
Schwäche der Opposition, sondern aus eigener Kraft ge-
festigt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie liefert nun Schritt für Schritt klare Marschrichtungs-
zahlen, an denen man sich orientieren kann. Das hat
Vertrauen geschaffen und wirkt sich positiv auf die In-
vestitionsbereitschaft und auf die Binnenkonjunktur aus.

Hinzu kommt die gelungene Haushaltskonsolidie-
rung. Damit verbunden ist der glaubhafte Wille, mittel-
fristig einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen und
den geerbten Schuldenberg abzutragen. Ein Staat, der
seine Finanzen im Griff hat und nicht über seine Ver-
hältnisse lebt, erspart sich kontraproduktive Spekulatio-
nen über Steuererhöhungen. Im Gegenteil, er kann sich
Steuerentlastungen in angemessenen Größenordnungen
leisten.

Allein durch das, was wir morgen diskutieren, wer-
den die Bürger und die Unternehmen demnächst um et-
wa 44 Milliarden DM entlastet. Nimmt man die gesamte
Steuerreform und den Familienlastenausgleich, den die-
se Regierung angeschoben hat, zusammen, dann ergibt
sich eine Nettoentlastung von insgesamt 73 Milliar-
den DM. Das ist die größte Steuerreform, die diese Re-
publik je erlebt hat. Das müssen wir immer wieder deut-
lich machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Steuerreform ist sozial ausgewogen, an Wachs-
tum und Beschäftigung orientiert; gleichzeitig werden
international wettbewerbsfähige Steuersätze eingeführt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ist der Mittelstand dabei? In welchen Verhältnis?)


Zugegeben, das Steuerrecht wird nicht gerade einfa-
cher und logischer. Allerdings halte ich die Kritik der
Union für kleinkariert und nörglerisch. Abgesehen von
Detailregelungen ist die Reaktion aus der Wirtschaft

Werner Schulz (Leipzig)







(A)



(B)



(C)



(D)


überwiegend positiv. Sie können Ihre Vorschläge in den
weiteren Beratungen einbringen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Und die Mittelständischen-Verbände?)


Schon heute steht fest: Die vorgesehene steuerliche
Freistellung von Veräußerungsgewinnen hat eine enor-
me Dynamik ausgelöst. Galt der Standort Deutschland
bis vor kurzem noch als verkrustet und zu teuer, so wird
er bereits im Vorfeld der Steuerreform als Niedrigsteuer-
land bezeichnet und deutsche Aktien werden als heißer
Anlagetipp gehandelt. Das Allzeithoch des DAX ver-
deutlicht die Aufbruchstimmung in vielen Bereichen der
deutschen Wirtschaft. Was sich hier abspielt, beschreibt
den Wandel weg von den alten Schornsteinindustrien
hin zu modernen Sektoren der Wissens-, Informations-
und Dienstleistungsgesellschaft. Kollege Glos, Sie ha-
ben das Ganze, was sich hier abspielt, überhaupt nicht
verstanden. Ich hatte den Eindruck, Ihre Rede war in der
Art eines bayerischen PDS-Vorsitzenden gehalten.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Fast reziprok zu den steigenden Aktienkursen fällt
das Ansehen früherer Regierungspolitiker. Mit Wucht
erfüllt sich offenbar die so oft dahergesagte Vermutung,
dass nichts so bleibt, wie es war, und dass die Bonner
Republik zu Ende geht. Seit dem Ende der Ära Kohl und
nun mit denkmalstürzender Geschwindigkeit erleben wir
einen Abschied aus dem Beziehungsgeflecht des Natio-
nalstaates, der korporatistischen Gesellschaft.

Wir erleben, dass die Globalisierung eben nicht nur
ein Thema für Talkshows oder der Blickfang unsinniger
Anzeigenkampagnen ist. Die Vernetzung der Welt und
das neue Wirkungsgefüge lassen die erstarrten Struktu-
ren in der Wirtschaft und in der Politik zerfallen. Die
Konsensgesellschaft löst sich dort auf, wo sie als Klün-
gelwirtschaft bestand.

Vielleicht anders als erwartet und dennoch ein-
drucksvoll markiert der Beginn des Jahres 2000 einen
epochalen wirtschaftlichen Um- und Aufbruch: auf der
einen Seite die Rettungsaktion des Bundeskanzlers für
den schwer angeschlagenen Holzmann-Konzern, auf
der anderen Seite die so genannte feindliche Übernahme
von Mannesmann durch Vodafone. Treffender könnte
man diesen Umbruch eigentlich gar nicht symbolisieren.
Hier der vermutlich letzte Versuch staatlicher Interven-
tion zur Rettung eines Großunternehmens, dessen An-
teilseigner – vor allem die Banken – alles zur Rettung
ihres Kapitals und herzlich wenig zur Rettung des Be-
triebes getan haben, dort die Schaffung des fünftgrößten
Konzerns der Welt, finanziert, wenn man so will, aus
Eigenmitteln bzw. über die Börse.

Beide Beispiele verweisen allerdings auch auf
schwerwiegende Defizite. So zeigt der Fall Holzmann,
dass die Unternehmensaufsicht in Deutschland nicht
ausreichend ist. Die Einfluss- und Kontrollmöglichkei-
ten von Aufsichtsräten sind zu gering und wurden oben-
drein sträflich vernachlässigt.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Genossen bei der WestLB!)


Wir fordern hierfür schon seit langem Veränderungen.
Eine verbesserte Kontrolle durch Aufsichtsrat und
Hauptversammlung ist die wesentliche Voraussetzung
für die Schaffung einer neuen Aktienkultur in Deutsch-
land. Das gibt den Anlegern mehr Sicherheit und Trans-
parenz.

Der Fall Mannesmann/Vodafone hat eine andere
Schwachstelle des deutschen Finanzmarktes bloßgelegt.
Bisher gibt es keine verbindlichen Regeln für die Über-
nahme von Unternehmen. Die weltweite Fusionswelle
rollt, ohne dass in Deutschland private Kleinaktionäre
vor Nachteilen geschützt sind. Deswegen ist es dringend
geboten, dass wir im Vierten Finanzmarktförderungsge-
setz oder in einem speziellen Übernahmegesetz verbind-
liche Regeln festlegen, die sich an dem EU-Richtlinien-
entwurf und dem freiwilligen Übernahmekodex der
Kommission orientieren und den Interessen von Anle-
gern wie Kleinaktionären oder Arbeitnehmern gerecht
werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Grenzüberschreitende, weltumspannende Unterneh-
men mit Umsätzen, die weit über dem Bruttoinlandspro-
dukt der meisten Staaten dieser Erde liegen, zeigen al-
lerdings auch die Grenzen politischer Einflussnahme
nationaler Regierungen auf die ökonomische Entwick-
lung auf. Der Chef der Deutschen Bank, Rolf E. Breuer,
hat kürzlich festgestellt, dass das alte System der Finan-
zierung und Kontrolle von Unternehmen durch die Ban-
ken zusammenbreche. Auch die deutsche Wirtschaft
entwickele sich zunehmend zu einer Wirtschaft der Ei-
genfinanzierung. Für ihn ist das Signal klipp und klar:
Das bedeutet das Ende der Deutschland AG. Ausgedient
hat damit nicht die soziale Marktwirtschaft, der gebän-
digte, so genannte rheinische oder westdeutsche Kapita-
lismus, sondern der reformunfähige, allumfassende, al-
les regelnde Fürsorgestaat. Es gilt, die Rolle des Staates
neu zu bestimmen. Durch den Jahreswirtschaftsbericht
zieht sich deswegen auch das Leitbild des aktivierenden
Staates: eines Staates, der sich auf seine Kernaufgaben
konzentriert, sich seiner begrenzten Ressourcen bewusst
ist und mehr Freiräume für gesellschaftliche Eigeninitia-
tive und Selbstorganisation schafft.

Wir müssen die unheilvolle Spirale wachsender An-
sprüche der Gesellschaft und deren Erfüllung durch den
Staat zurückschrauben, um den Kollaps zu verhindern.
Gute Politik ist gefragt. Sie misst sich nicht an der Höhe
der staatlichen Aus- und Aufgaben. Gute Politik läuft
nicht über geheime Finanzierung, sondern über den of-
fenen und fairen Wettbewerb der Ideen. Den Umbau des
Sozialstaates – Stichworte sind Rentenreform und Ge-
sundheitsreform – und die föderalen Herausforderun-
gen – Länderfinanzausgleich, Ländergebietsreform, Ver-
waltungsreform – können wir nur im Abwägen des Für
und Wider, im Ausklamüsern der besten politischen Lö-
sung meistern.

Ich will einige Felder herausgreifen, die das neue
Staatsverständnis der rot-grünen Regierung zeigen: Für
den Abbau der Arbeitslosigkeit, um beim dringendsten
Problem anzufangen, wurde eine bessere Koordination
auf nationaler Ebene geschaffen. Hierzu wurde das

Werner Schulz (Leipzig)







(A)



(B)



(C)



(D)


Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbs-
fähigkeit ins Leben gerufen. Das ist keine wesensfrem-
de Angelegenheit der bundesdeutschen Wirtschaftsord-
nung, wie der Sachverständigenrat kritisiert, sondern es
verhält sich wohl eher so, dass man nicht mehr daran ge-
wöhnt ist, dass es einen regelmäßigen, kontinuierlichen,
verbindlichen und konstruktiven Dialog zwischen Poli-
tik, Wirtschaft und Gewerkschaften gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Er ist ja gerade in den letzten Jahren der Regierung Kohl
systematisch verhindert worden. Auch erste Erfolge sind
zu vermelden: Man hat sich maßvolle Tarifabschlüsse
vorgenommen, es besteht die Bereitschaft zur Reform
des Flächentarifs, zur Schaffung von Korridoren und
Öffnungsklauseln, zum beschäftigungswirksamen Ab-
bau von Überstunden.

Das Bündnis für Arbeit – das sage ich hier klipp und
klar – kann allerdings nur Erfolg haben, wenn alle Betei-
ligten zum Geben und Nehmen bereit sind und sich an
die Abmachungen halten. Die Regierung hat mit ihrem
Zukunftsprogramm 2000, mit der Steuerreform und mit
dem Sofortprogramm gegen die Jugendarbeitslosigkeit
immense Vorleistungen erbracht und auch ein hohes
Maß an Geduld bewiesen. Jetzt sind die Arbeitgeber und
Gewerkschaften gefragt. Die Faustzahlen der IG Me-
tall – 5,5 Prozent Lohnerhöhung, Rente mit 60 – sind je-
doch nicht gerade hilfreich, um den Produktivitätsfort-
schritt in Beschäftigung umzusetzen. Das ist eher ein
Rückfall in die Zeiten von Brenner und Steinkühler.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man hat mehr den Eindruck, als ob hier ein Bündnis ge-
gen die Arbeitslosen zustande kommen soll. Es emp-
fiehlt sich dabei durchaus noch einmal ein Aufenthalt in
Dänemark oder den Niederlanden, wo das Ganze länger-
fristig funktioniert hat. Dort kann man studieren, was zu
tun ist, um zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit zu
kommen. Statt Tariffonds für die Frührente einzurichten,
sollten wir Tariffonds eher für eine Offensive nutzen,
um Teilzeitarbeit voranzubringen.

Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition
haben im letzten Jahr mit einer Fülle von Maßnahmen
den Strukturwandel in der Wirtschaft unterstützt und
damit Wachstum und Beschäftigung gefördert. Ich er-
wähne hier nur das Aktionsprogramm für den Weg in
die Informationsgesellschaft, das jetzt aufgelegt wurde.
Damit wird ein Wirtschaftszweig gefördert, dessen Ent-
wicklung zu den spannendsten in der Wirtschaft über-
haupt gehört.

Hier bestehen vor allen Dingen Chancen für kleine
und mittlere Unternehmen. Gerade der Mittelstand und
das Handwerk liegen uns am Herzen. Hier liegt das Gros
der Arbeits- und Ausbildungsplätze. In diesem Bereich
haben wir das Hauptaugenmerk auf die Verbesserung
der Investitionsbedingungen, auf die Unterstützung von
Existenzgründern, die verbesserte Kapitalversorgung,
auf den Bürokratieabbau usw. gerichtet. Gerade in dieser
Woche ist in den zuständigen Ausschüssen der Entwurf
eines Gesetzes zur Verbesserung der Zahlungsmoral be-

raten worden. Auch dies ist ein wesentlicher Beitrag da-
für, Liquiditätsengpässe und Schwierigkeiten im Mit-
telstand zu verhindern und zu überbrücken.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein Strukturwandel, der die Gemüter am meisten er-
hitzt, findet in der Energiepolitik statt. Damit meine ich
den Ausstieg aus der Kernenergie und – dies ist ebenso
wichtig und gehört dazu – den Einstieg in eine zukünfti-
ge Energieversorgung. Es ist an der Zeit, dass die Kern-
kraftwerksbetreiber, die erkannt haben müssten, dass sie
noch lange mit der jetzigen Bundesregierung zu tun ha-
ben werden, endlich den Ausstieg, den sie intern längst
verfolgen, verbindlich vereinbaren. Dies wäre für uns al-
le von Nutzen und würde endlich den Blick dahin ge-
hend freigeben, dass wir ein weltweit einzigartiges Pro-
gramm zur Nutzung der regenerativen Energien einge-
leitet haben, und zwar mit den Komponenten 100 000-
Dächer-Programm, einem Marktanreizprogramm für re-
generative Energien und einem geplanten Gesetz hin-
sichtlich der erneuerbaren Energien.

Diese Veränderungen in der Energiewirtschaft sind
ein wesentlicher Beitrag zur ökologischen Modernisie-
rung und zu einer auf Nachhaltigkeit angelegten Ent-
wicklung. Im dialektischen Duktus eines Trierer Philo-
sophen müsste man heute sagen: Im 20. Jahrhundert
wurde das Problem der Umweltzerstörung nur erkannt,
im 21. Jahrhundert müssen wir es lösen.

Meine Damen und Herren, die Anzeichen deuten auf
einen dauerhaften Wirtschaftsaufschwung. Wir sehen
das mit verhaltenem Optimismus; andere gehen sogar
weiter – wie auch immer. Es gibt jedenfalls keinen
Grund, vom Kurs der Haushaltsdisziplin und der Konso-
lidierung, der Strukturreform und der Neuorientierung
staatlicher Aufgaben abzuweichen. Die Zeiten des
Wohlfahrtsstaates – egal ob bei BAföG oder Rente –
sind vorbei. Die Systeme müssen strukturell verbessert
und angepasst werden. Es reicht nicht aus, kurzfristig
Zuschüsse zu erhöhen, weil jetzt die Steuereinnahmen
zufällig wieder sprudeln. In einer Zeit, in der die CDU –
selbst verschuldet – mit drastischen Einsparungen rech-
nen muss, gilt es, die Erkenntnis und die Erfahrung zu
vermitteln, dass nur Sparsamkeit, Klarheit und Wahrheit
den Weg aus der Krise bahnen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1408700500
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rainer Brüderle, F.D.P.-Fraktion.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1408700600
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! „Nur mit einer konstanten Wirt-
schaftspolitik ist eine ausreichende Investitionstätigkeit
zu erreichen. Ohne Konstanz ist auch die Wettbewerbs-
ordnung nicht funktionsfähig.“


(Beifall bei der F.D.P.)

Diese Sätze stammen von Walter Eucken, dem geistigen
Wegbereiter unseres Wirtschaftssystems, der sozialen
Marktwirtschaft.

Werner Schulz (Leipzig)







(A)



(B)



(C)



(D)


Konstanz in der Wirtschaftspolitik, das ist heute lei-
der keine Selbstverständlichkeit mehr. Dies ist vielmehr
eine notwendige Einleitung einer Rede zu einer Zeit, in
der sich Wirtschaftspolitik immer mehr von ordnungs-
politischen Zusammenhängen entfernt, zu einer grün-
roten Zeit, in der Wirtschaftspolitik durch sprunghafte
Entscheidungen, fehlende Konsequenz und mangelnde
Berücksichtigung marktwirtschaftlicher Funktionswei-
sen gekennzeichnet ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Der Wirtschaftspolitik fehlt seit anderthalb Jahren

Verlässlichkeit.

(Zurufe von der SPD: Oh!)


Sie trägt zur Verunsicherung von Bürgern und Unter-
nehmen bei. Sie führt dazu, dass Investoren längst einen
Bogen um den Standort Deutschland machen. Sie trägt
zu Kursverfällen an den Devisenmärkten bei und be-
schädigt das Image des Wirtschaftsstandortes Deutsch-
land.


(Beifall bei der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Zeit!)


Dass der Euro – Deutschland ist in Euro-Land das größ-
te Land und hat mit Abstand die größte Wirtschafts-
kraft – täglich derart abgewertet wird, hat seinen Grund:
Die Ursache liegt in der mangelnden Anpassungsfähig-
keit in Deutschland.


(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

Es ist schon merkwürdig: Hier debattieren praktisch

nur Wirtschaftspolitiker miteinander. Nur die Bundesre-
gierung schickt ihren Finanzminister. Herr Eichel, ich
gebe zu, Sie haben schon viele Fehler Ihres Vorgängers
korrigieren müssen. Dennoch fordere ich Sie auf: Korri-
gieren Sie einen weiteren Fehler!


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Geben Sie die wirtschaftspolitische Grundsatzabtei-
lung dahin zurück, wo sie hingehört, nämlich ins Wirt-
schaftsministerium!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Grün-rote Wirtschaftspolitik wird durch medienge-
rechte Ad-hoc-Entscheidungen bestimmt. Eine ord-
nungspolitische Linie ist nicht mehr erkennbar. Die
Rückgliederung der Grundsatzabteilung, des ordnungs-
politischen Gewissens, in das Wirtschaftsministerium ist
nach unserer Ansicht eine notwendige Voraussetzung,
dieser Entwicklung entgegenzuwirken.

Herr Eichel, wir verfolgen durchaus nicht ohne Sym-
pathie Ihre Versuche, die Schulden abzubauen. Ihr Mi-
nisterium ist mit den elementaren Herausforderungen in
der Steuer- und Finanzpolitik gut beschäftigt. Andere
wirtschaftspolitisch wichtige Vorhaben im Geld- und
Kreditwesen, wie etwa ein neues Finanzmarktförde-
rungsgesetz oder eine politische Initiative zu den neuen
Eigenkapitalrichtlinien, werden derzeit aber an den Rand
gedrängt.

Auch die europäische Wirtschafts- und Strukturpoli-
tik wird in Ihrem Haus derzeit stiefmütterlich behandelt.
Ich nenne in diesem Zusammenhang etwa die Problema-
tik des Euro und den Komplex der Landesbanken; die
WestLB lässt grüßen. Außerdem ist es wenig sinnvoll,
wenn europäische Beihilfepolitik im gleichen Ministeri-
um angesiedelt ist, in dem über die Gewährung von Bei-
hilfen fiskalisch entschieden wird. Deshalb, Herr Eichel,
geben Sie im Interesse der wirtschaftspolitischen Leis-
tungsfähigkeit der Bundesregierung die Europaabtei-
lung und die Abteilung Geld und Kredit zurück in das
Ministerium für Wirtschaft!


(Beifall bei der F.D.P.)

Diese organisatorische Rückgliederung ist auch deshalb
geboten, weil sich die praktische Wirtschaftspolitik zu-
sehends von der Konzeption der sozialen Marktwirt-
schaft entfernt. Das ordnungspolitische Gewissen ist
quasi ruhig gestellt. Statt auf Wettbewerb zu setzen und
die Marktkräfte zu stärken, wendet sich die Bundesre-
gierung der instrumentalen Beliebigkeit zu. Sie betreibt
eine Wirtschaftspolitik, vor der Walter Eucken immer
gewarnt hat: eine Politik des Punktualismus.

Die Liste der ordnungspolitischen Sünden von Grün-
Rot ist lang. Dazu zählen das Zurückdrehen der markt-
wirtschaftlichen Reformen der alten Bundesregierung,
die Fälle Holzmann und Mannesmann, die Gewinnver-
wendungssteuerung im Rahmen der Unternehmensteuer-
reform, die diskriminierende so genannte Ökosteuerre-
form, die Verzögerung bei der Liberalisierung der Post-
märkte und der Versuch der nationalen Abschottung ge-
genüber dem Ausland etwa in der Energiepolitik.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ernst Schwanhold [SPD]: Das machen die anderen!)


Sie betreiben eine korporatistische Politik, statt Ver-
antwortung zu übernehmen und zuzuweisen. Sie wollen
die Koordinierung und Harmonisierung in der europäi-
schen und internationalen Wirtschafts- und Beschäfti-
gungspolitik, statt den Systemwettbewerb zu fördern.
Wo man hinschaut, kann man den Versuch erkennen,
den Markt und den Wettbewerb durch politische Eingrif-
fe quasi auszuhebeln. Sie wollen die Zeit zurückdrehen
und wie in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhun-
derts sozusagen Wirtschaft machen. Sie wollen vom
Schiedsrichter zum Mitspieler werden.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Grün-Rot betreibt eine Politik der Intervention, der Pro-
tektion und des Kollektivismus.

Mit der Abwendung vom Markt und vom Wettbe-
werb verlassen Sie nicht nur die Grundlagen der sozia-
len Marktwirtschaft; Sie behindern vor allem notwendi-
ge marktwirtschaftliche Anpassungsprozesse. Sie schaf-
fen dauerhafte Investitions- und Wachstumshemmnisse:
630-Mark-Regelung, Gesetz zur Scheinselbstständigkeit,
Atomausstieg und Ökosteuer.


(Detlev von Larcher [SPD]: Erfolgreich!)


Rainer Brüderle






(A)



(B)



(C)



(D)


Sie verhindern vor allem das Entstehen neuer, wettbe-
werbsfähiger Arbeitsplätze.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge-
samtwirtschaftlichen Lage hat zu Recht drei Reformblö-
cke aufgezeigt, die vor allem die Wirtschaftspolitik
dringend in Angriff nehmen muss: die Reform des Ar-
beitsmarktes, die Steuerreform und die Reform der So-
zialversicherung, hier insbesondere der Reform der Al-
terssicherung.


(Beifall bei der F.D.P.)

Zum Arbeitsmarkt. Im Jahreswirtschaftsbericht

stellt die Bundesregierung zu Recht fest, dass die Erstar-
rungen auf den Güter- und Faktormärkten den Abbau
der Arbeitslosigkeit verhindern. Das ist interessant.
Noch interessanter wird es, wenn im gleichen Bericht
Dänemark und die Niederlande lobend erwähnt werden.
Diese konnten ihre Erfolge am Arbeitsmarkt durch mo-
derate, beschäftigungsorientierte Lohnabschlüsse und
flexible Arbeitsmarkt- und Arbeitszeitregelungen erzie-
len.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Sehr richtig!)


Diese Einsicht ist erstaunlich. Die Worte des Jahres-
wirtschaftsberichtes stehen aber, wie bei dieser Bundes-
regierung üblich, wieder einmal in krassem Widerspruch
zu ihren Taten. Grün-Rot sorgt mit seiner Politik dafür,
dass sich die Rahmenbedingungen für den Arbeitsmarkt
weiter verschlechtern. Die Bundesregierung setzt auf
Arbeitsumverteilung statt auf neue Jobs, sie redet, Arm
in Arm mit den Gewerkschaften, dem Überstundenab-
bau, der Frühverrentung und der Arbeitszeitverkürzung
das Wort. Sie erstickt mit ihrer Politik das zarte Flexi-
bilisierungspflänzchen und zieht das Korsett des Ar-
beitsmarktes enger, als es ohnehin schon ist.

Des Kanzlers Funktionärsstammtisch, das Bündnis
für Arbeit, hat bis heute nichts bewegt, aber vieles ver-
hindert. Der so genannte Durchbruch bei dieser Ge-
sprächsrunde hat beschäftigungsfeindlichen Lohnforde-
rungen und der volkswirtschaftlich unsinnigen Rente mit
60 den Weg geebnet. Welche Gefahren von diesem
Frühverrentungsmodell für den Arbeitsmarkt ausgehen,
sollten Sie einmal genau im Sachverständigengutachten
nachlesen. Die fünf Wirtschaftsweisen haben das Milli-
arden teure IG Metall-Modell als Irrweg bezeichnet.


(Fritz Schösser [SPD]: Wer zahlt denn das? – Weiterer Zuruf von der SPD: Quatsch!)


– Sie mit Sicherheit nicht.
Das Bündnis für Arbeit ist längst ein Bündnis gegen

Reformen geworden. Es ist ein letzter verzweifelter Ver-
such, das Tarifkartell zu retten. Die Interessen derjeni-
gen, die arbeitslos sind oder Angst um ihren Arbeitsplatz
haben, werden durch den Schulterschluss von Verbands-
funktionären und Bundesregierung nicht beachtet. Dabei
ächzt der Arbeitsmarkt immer mehr unter der Selbstblo-
ckade eines erstarrten Tarifkartells. Das Holzmann-
Debakel belegt eindrucksvoll die Schwäche und Unbe-
weglichkeit des Tarifvertragsystems. Der Flächentarif-

vertrag, der alles bis in kleinste Detail regelt, verhindert
neue Arbeitsplätze.


(Beifall bei der F.D.P.)

Er wird zudem von der Wirklichkeit längst ausge-

höhlt. Die Mitglieder laufen den Tarifparteien scharen-
weise davon. Die Tarifverträge werden besonders in den
neuen Bundesländern unterlaufen. 60 Prozent der Ar-
beitsplätze dort befinden sich außerhalb des Tarifver-
tragsrechts.


(Uwe Hiksch [PDS]: Sauerei!)

In Ostdeutschland haben bereits 75 Prozent der Unter-
nehmen den Arbeitgeberverbänden den Rücken gekehrt.
Gerade hier werden Tarifverträge in Übereinstimmung
von Unternehmen und Mitarbeitern immer wieder be-
wusst verletzt. Die Wirklichkeit in den neuen Ländern
ist weiter als das Gesetz.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. – Fritz Schösser [SPD]: Ein echter Fortschritt!)


Dieses Beispiel belegt einmal mehr, dass gerade aus
Ostdeutschland wichtige Anstöße für Reformen kom-
men. Beispiele hierfür sind der Ladenschluss und das
Abitur nach dem 12. Schuljahr, was de facto eine Ver-
längerung der Lebensarbeitszeit bedeutet. Die ostdeut-
schen Bürgerinnen und Bürger haben sich selbst zur
Chefsache Ost erklärt. Dazu brauchen sie keinen Kanz-
ler, der nur warme Worte, aber keine Taten für sie übrig
hat.


(Beifall bei der F.D.P. – Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


Meine Damen und Herren, eine Reform des Tarifver-
tragsrechts ist überfällig. Die F.D.P. fordert deshalb die
Einführung von gesetzlichen Öffnungsklauseln, die
freiwillige Betriebsvereinbarungen zwischen Unterneh-
men und Belegschaft ermöglichen. Wir wollen zudem
das gesetzliche Günstigkeitsprinzip erweitern. Lohn-
und Arbeitszeitzugeständnisse müssen möglich sein,
wenn dadurch Arbeitsplätze gesichert werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir wollen außerdem der Tendenz zu Verbandskla-

gen im Arbeitsrecht gesetzlich entgegenwirken. Es kann
nicht sein, dass – wie im Falle Viessmann – dann, wenn
98 Prozent der Belegschaft, um ihre Arbeitsplätze, ihr
Werk in Hessen zu halten, länger arbeiten wollen, dies
durch eine Klage der IG Metall verhindert wird.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir wollen die Rechte des einzelnen Mitarbeiters stär-
ken und die Fremdbestimmung durch Verbände zurück-
drängen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir brauchen ordnungspolitisch klare Rahmenbedin-
gungen, die den einzelnen Unternehmen und Beschäftig-
ten mehr Spielräume für arbeitsplatzsichernde und ar-
beitsplatzschaffende Vereinbarungen lassen. Statt einer
Strategie, die alleine auf die Umverteilung von Arbeit
setzt, brauchen wir einen Befreiungsschlag –

Rainer Brüderle






(A)



(B)



(C)



(D)



(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Den haben wir Gott sei Dank am 27. September 1998 gehabt!)


für mehr Beschäftigung in Deutschland. Die Arbeits-
marktergebnisse der Länder mit flexiblen Regelungen
sind deutlich besser als in Deutschland.

Zur Steuerpolitik. Herr Eichel, Ihre Steuerreform of-
fenbart einige bemerkenswerte Kehrtwendungen der Fi-
nanzpolitik der Sozialdemokraten. Sie gehen erstmals
von einem Selbstfinanzierungseffekt von mehreren Mil-
liarden DM aus. Als die F.D.P. diesen steuerpolitischen
Ansatz in ihr Konzept einbezogen hat, galt für Sie – und
das noch bis vor kurzem – immer das Credo: Ohne Ge-
genfinanzierung läuft nichts. Jetzt schließen Sie sich auf
einmal unserer Auffassung an, dass eine Steuersenkung
in der Wirtschaft Wachstumseffekte auslöst und damit
das Steueraufkommen mittelfristig erhöht. Gratulation
zu dieser Einsicht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Anders als Ihr Vorgänger Lafontaine wollen Sie nicht
nur die Nachfrageseite, sondern auch die Angebotsseite
stärken, indem Sie das Investitionsklima der Steuersen-
kung verbessern. Bis vor kurzem wollte die SPD aus-
schließlich die Kaufkraft stärken. Auch hier haben Sie
zumindest teilweise die ökonomischen Grundtatsachen
akzeptiert, dass bessere Angebotsbedingungen zu mehr
Wachstum und Beschäftigung führen können.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist auch nicht wahr! – Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Jetzt lobt er Sie!)


Anders als andere wollen Sie keine schuldenfinan-
zierte Steuerreform. Auch das ist vernünftig, denn bei
einer Staatsquote von fast 50 Prozent sind genug fiskali-
sche Spielräume vorhanden, um eine umfassende Steu-
erreform ohne eine Ausweitung des Defizits zu finanzie-
ren,


(Ernst Schwanhold [SPD]: Insbesondere wegen Ihrer Schulden ist das nicht erforderlich!)


zumal Ihr Kollege, der Bundeswirtschaftsminister
Müller, große Subventionskürzungen versprochen hat.
Falls er immer noch auf die Kürzungsvorschläge wartet,
etwa im Steinkohlebereich, kann er sicherlich warten,
bis er schwarz wie die Kohle wird. Er muss endlich
selbst aktiv werden, sonst passiert überhaupt nichts.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Doch nicht nur Ihr Kollege muss mehr tun, auch Sie,
Herr Eichel. Denn bei der Unternehmensteuerreform
haben Sie sich verrannt. Sie haben die Reform aus der
Perspektive der großen Konzerne, der großen Kapitalge-
sellschaften konzipiert. Nur für sie gibt es eine systema-
tische einfache Lösung. Für den Großteil der Unterneh-
men in Deutschland, nämlich die mittelständischen Ein-
zelpersonenunternehmen, wollen Sie komplizierte Rege-
lungen durchsetzen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist nicht wahr!)


Damit stellen Sie sich aber gegen Ihre eigenen Zielvor-
gaben. Denn im Jahreswirtschaftsbericht heißt es, die
Bundesregierung strebe ein einfaches und gerechtes
Steuersystem an. Das so genannte Optionsmodell ist das
Gegenteil. Die Idee, aus Personenunternehmen per Steu-
ergesetz sozusagen virtuelle Kapitalgesellschaften zu
formieren, ist völliger Unfug.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ernst Schwanhold [SPD]: Sie wissen es doch besser, Herr Brüderle!)


Doch den Mittelstand in die Rechtsform der Kapital-
gesellschaft zu drängen ist offensichtlich von Ihnen ge-
wollt. Anders sind Ihre Äußerungen, Herr Eichel, nicht
zu verstehen, Deutschlands Unternehmen müssten sich
auch bei der Wahl der Rechtsform an internationalen
Maßstäben messen lassen. Doch gerade um die mittel-
ständische Struktur, die als Grundvoraussetzung das spe-
zifische Eigentumsinteresse des selbsthaftenden Unter-
nehmers hat, wird Deutschland in der Welt beneidet.
Mehr Kapitalgesellschaften bedeuten eben nicht gleich-
zeitig ein Mehr an Innovation, Wachstum und Beschäf-
tigung.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Trinken Sie doch etwas Wasser!)


– Herr Schwanhold, vielleicht haben Sie auch einmal ei-
ne Erkältung, dann lache ich auch. Sie sollten sich viel-
leicht als Minister ein bisschen mehr Niveau ange-
wöhnen, sonst werden Sie nicht ernst genommen.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Ich wollte Ihnen Zeit geben, einen Schluck Wasser zu trinken!)


– Ihr Mitgefühl ist wirklich entwaffnend.
Die Unternehmensteuerreform könnte das Ende des

selbsthaftenden Unternehmertums in Deutschland ein-
läuten. Dieser gefährlichen Entwicklung kann die F.D.P.
weder im Bundestag noch im Bundesrat die Hand rei-
chen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wir müssen Deutschland

zurück zum Steuersystem führen, das die wirtschaftli-
chen Entscheidungen der Bürger und Unternehmen nicht
von vornherein präjudiziert. Es darf nicht von der Be-
steuerung abhängen, ob sich jemand selbstständig
macht, seinen Lebensunterhalt mit Wohnungsvermie-
tung bestreitet oder eine abhängige Beschäftigung an-
nimmt. Es darf ebenfalls nicht von der Besteuerung ab-
hängen, ob ein Unternehmen investiert oder rationali-
siert. Ein Steuersystem sollte eben nicht bevormunden,
sondern die Entscheidungsfreiheit der Bürger und der
Unternehmen akzeptieren.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Persönliche Neigungen oder Begabungen, Risikoein-
stellung und Marktlage müssen die Maßstäbe sein. Das

Rainer Brüderle






(A)



(B)



(C)



(D)


Steuerkonzept der F.D.P. trägt diesem Maßstab Rech-
nung. Alle Einkünfte von natürlichen und juristischen
Personen sollen einfachen, international üblichen Stu-
fentarifen mit Grenzsteuersätzen von 15 Prozent,
25 Prozent und 35 Prozent unterliegen. Die Gewerbe-
steuer wird gänzlich abgeschafft.

Unser Modell ist so einfach und überzeugend, dass
selbst Ihr Fraktionschef, Herr Struck, den ganzen letzten
Sommer damit hausieren ging.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Er tanzte nur einen Sommer!)


Ich fordere Sie deshalb auf: Versuchen Sie nicht, die
wirtschaftliche Realität Ihrem Steuerkonzept anzupas-
sen, sondern passen Sie Ihr Konzept der wirtschaftlichen
Realität an.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie sich nicht trauen, uns zu fragen, dann gehen
Sie zu Herrn Struck. Er hat sicherlich noch das eine oder
andere Exemplar unserer Vorschläge in seiner Schubla-
de.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wie sieht Ihre Finanzpolitik sonst aus? Auch in der

Haushaltspolitik haben Sie eine Kehrtwende vollzogen.
Statt Deficitspending à la Lafontaine wollen Sie jetzt bis
2006 einen ausgeglichenen Haushalt. Diese Zielsetzung
kann ich nur unterstützen. Vor diesem Hintergrund soll-
ten wir alle gemeinsam in diesem Haus darüber nach-
denken, ob nicht eine grundlegende Erneuerung unserer
Finanzverfassung notwendig ist. Unsere Finanzverfas-
sung stammt noch aus der Hochzeit keynesianischer
Nachfragepolitik. Das ist nicht mehr zeitgemäß, vor al-
lem seit auch die Sozialdemokratie die Angebotsseite
wenigstens nicht mehr komplett ausblendet. Lassen Sie
uns diese Chance ergreifen und die Finanzverfassung
grundlegend erneuern. Ich denke vor allem an die Ver-
schuldungsklausel des Grundgesetzes. Sie müsste deut-
lich enger gefasst werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Zur Rentenpolitik. Ich stimme den im Jahreswirt-

schaftsbericht erwähnten Zielen durchaus zu. Sie haben
Recht, Herr Eichel, wenn Sie einen Beitrag der Wirt-
schafts- und Finanzpolitik zu einer höheren Erwerbsbe-
teiligung einfordern, wenn Sie die steuerliche Behand-
lung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersein-
künften generationenverträglich ausgestalten wollen und
wenn Sie die Altersvorsorgesysteme mit dem Ziel, dass
sie auch bei veränderter Bevölkerungsstruktur dauerhaft
leistungsfähig bleiben, reformieren wollen. Auch Ihrer
Erkenntnis, dass eine Verlängerung der Lebensarbeitzeit
unausweichlich ist, stimme ich zu.

Die von mir eingangs bemängelte fehlende Konstanz
grün-roter Wirtschaftspolitik spiegelt sich im Rentenka-
pitel des Jahreswirtschaftsberichts eindrucksvoll wider.
Sie versprechen dort nämlich, die zusätzlichen gesetzli-
chen Voraussetzungen zu schaffen, um die Rente mit 60

zu ermöglichen. Das bedeutet im Ergebnis nichts ande-
res als eine geringere Erwerbsbeteiligung, eine Verkür-
zung der Lebensarbeitzeit und vor allem einen nicht ge-
nerationenverträglichen Lösungsansatz, sondern eher ei-
nen Missbrauch der sozialen Sicherungssysteme.

Statt dass Sie Ihren Zielvorgaben gleich widerspre-
chen, hätte ich wirklich logische Folgerungen erwartet:
die Selbstverantwortung bei den sozialen Siche-
rungssystemen zu stärken, einen Demographiefaktor in
die Rentenformel einzuführen und das Prinzip der nach-
gelagerten Besteuerung anzugehen. Wie diese Prinzipien
zusammenpassen, können Sie übrigens wunderbar im
Rentenreformkonzept der F.D.P. nachlesen. Wir schla-
gen mit einem ganzheitlichen Ansatz eine echte Renten-
strukturreform vor, die dauerhaft Vertrauen in unsere
Altersversorgung aufbauen soll.


(Beifall bei der F.D.P.)

Unsere Ideen bringen wir selbstverständlich auch kon-
struktiv in die derzeit laufenden Rentengespräche ein.

Die Bundesregierung distanziert sich von der sozialen
Marktwirtschaft nach Ludwig Erhard. Sie setzt auf eine
Politik der punktuellen Eingriffe, bei der die eine Hand
meist nicht weiß, was die andere Hand tut. Die volks-
wirtschaftlichen Zusammenhänge geraten dabei zuse-
hends aus dem Blick. Gerade das Wirtschaftsministeri-
um, das einmal von Erhard als ordnungspolitischer
Wächter über die Tätigkeit der Fachministerien angese-
hen wurde, mutiert immer mehr zum Wettbewerbssün-
der Nummer eins. Der Wettbewerb wird nunmehr als
störend empfunden. So setzt Herr Müller in der Energie-
politik alles daran, ein Wettbewerbsmodell zu verhin-
dern. Das Duopol im Energiebereich, das Herr Müller
massiv unterstützt, ist wohl der Preis, den die Bundesre-
gierung für einen Atomausstieg zu zahlen bereit ist.

Mit einer solchen diffusen Haltung zu marktwirt-
schaftlichen Grundsatzfragen gerät Deutschland interna-
tional immer weiter ins Abseits.


(Beifall bei der F.D.P.)

Es ist interessant, dass im Rating der Liste marktwirt-
schaftlicher Volkswirtschaften des Fraser-Instituts in
Kanada, das insgesamt 23 Kriterien untersucht, Deutsch-
land nur noch auf Platz 22 zu finden ist.

Wie man aus Ihrem Hause auch hört, Herr Müller,
wollen Sie dem wirtschaftspolitischen Credo, dem bis-
her alle Wirtschaftsminister der Bundesrepublik
Deutschland gefolgt sind, nämlich „Mehr Markt, Wett-
bewerb schaffen“, entsagen. Ich fordere Sie auf, Herr
Müller, Ihr Bekenntnis zu Ludwig Erhard ernst zu neh-
men und für die soziale Marktwirtschaft einzustehen.
Ansonsten machen Sie selbst das Wirtschaftsministeri-
um völlig überflüssig.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1408700700
Ich erteile das Wort
der Kollegin Christa Luft, PDS-Fraktion.

Rainer Brüderle






(A)



(B)



(C)



(D)



Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1408700800
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist es wichtig, dass
sich der Deutsche Bundestag endlich wieder einem
Sachthema zuwendet. Es scheint mir jedoch so zu sein,
dass das, was von der CDU/CSU-Fraktion und der
F.D.P.-Fraktion zum Jahreswirtschaftsbericht der Bun-
desregierung vorgetragen worden ist, wenig glaubhaft
ist. Dieser superkritische Rundumschlag ist außerordent-
lich verwunderlich, denn die neue Bundesregierung setzt
doch in ganz wesentlichen Teilen die angebotsorientierte
Politik der Vorgängerregierung fort.


(Beifall bei der PDS)

Insofern hätten Sie, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU und F.D.P., durchaus Anknüpfungspunkte
feststellen müssen.

Wenn Sie, Herr Glos, die Euroschwäche beklagen,
müssten Sie sich mindestens heute sehr deutlich an die
vielen Debatten in diesem Hause erinnern. Speziell mei-
ne Fraktion hat immer darauf hingewiesen, dass wir mit
der Einführung des Euro dem europäischen Integrati-
onsprozess zwar eine Krone aufsetzen, dass ihm aber
immer noch die Füße fehlen. Das heißt, diesem Integra-
tionsprozess fehlt ein wichtiges Fundament, ein Funda-
ment in Form abgestimmter Politik zur Bekämpfung der
Massenarbeitslosigkeit in Europa, zur Steuerharmonisie-
rung und zur Weichenstellung für eine Sozialunion.


(Beifall bei der PDS)

Dieses Defizit, das wir in der europäischen Politik haben
und zu dessen Abbau die Bundesregierung zu wenig
beigetragen hat, hat dazu geführt, dass der Euro bislang
wenig Vertrauen gewinnen konnte.

Bei der Regierung fällt mir ein überschäumender und
für mich unerklärlicher Optimismus auf.


(Joachim Poß [SPD]: Oh!)

Wir erkennen sehr wohl an, dass es im Verlaufe des letz-
ten Jahres einige positive Trends gegeben hat, sowohl
bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit als auch
beim Einstieg in die Senkung des Eingangssteuersatzes
sowie bei der Anhebung des steuerfreien Existenzmini-
mums. Das sind sehr wohl von uns registrierte positive
Akzente. Insgesamt aber scheint mir dieser Bericht vor
unberechtigtem Optimismus überschäumend zu sein.


(Beifall bei der PDS – Ernst Schwanhold [SPD]: Selbst die Deutsche Bank ist optimistisch!)


Lassen Sie mich wenigstens drei Probleme nennen.
Erstens. Die rot-grüne Koalition stützt ihren Optimismus
bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit im
Wesentlichen auf Wachstumserwartungen. Dies hat aber
schon in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nicht
funktioniert.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Aber es ist doch in Ordnung, dass wir das tun, oder?)


Ein prognostiziertes Wachstum von 3 Prozent ist zum
einen völlig unsicher und zum anderen entwickelt sich

die Arbeitsproduktivität noch schneller, sodass die Rati-
onalisierungseffekte stärker zum Tragen kommen.


(Beifall bei der PDS)

Mit den in dem Bericht erwarteten Beschäftigungswir-
kungen ist unter dem Strich schwerlich zu rechnen.

In ihrem Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung der
Massenarbeitslosigkeit kommen Überlegungen zur Ver-
kürzung der Arbeitszeit viel zu kurz. Ich kann nur raten:
Richten Sie doch den Blick auf unser unmittelbares
Nachbarland Frankreich! Dort gibt es den Einstieg in die
verkürzte Arbeitszeit.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Die arbeiten länger als wir!)


Dort gibt es erste positive Tendenzen, trotz all der Kom-
plikationen, die man auch dort noch feststellen kann.
Aber es ist ein Beispiel, das man analysieren kann. Man
muss nicht immer den Blick auf die USA richten. Wir
haben ein Nachbarland, das einen solchen Weg mit Er-
folg beschreitet.


(Beifall bei der PDS)

Von Ihnen werden auch keine Überlegungen zur

Aufnahme von Tätigkeiten in Bereichen angestellt, in
denen es zuhauf ungetane Arbeit gibt. Ich nenne bei-
spielsweise Sozialarbeit und humane Dienstleistungen.
Wir müssen in der Bundesrepublik Deutschland Überle-
gungen anstellen, wie wir Arbeiten in diesen Bereichen
finanzierbar machen. Wir wissen auch, dass das nicht
der wirksame Weg zur Bekämpfung der Massenarbeits-
losigkeit sein kann. Es kann jedoch nicht angehen, dass
wir auf der einen Seite mit einem großen Berg von ar-
beitslosen Menschen in die Zukunft gehen, während auf
der anderen Seite ein großer Bedarf an Tätigkeiten in
Bereichen besteht, in denen sich Private nicht engagie-
ren.


(Beifall bei der PDS)

In Ihrem Maßnahmenkatalog kommt ebenso wenig

die Verantwortung der öffentlichen Hand als Arbeitge-
ber vor. Im Gegenteil: Sie kündigen weitere Privatisie-
rungen mit unabsehbaren Folgen für die Beschäftigung
an. Sie müssen doch außer den optimistischen Einschät-
zungen, wo möglicherweise neue Beschäftigung entste-
hen kann, gegenrechnen, wo Beschäftigung weiter ab-
gebaut wird. Das geschieht ganz besonders auch im Be-
reich des öffentlichen Dienstes, für den die Bundesregie-
rung mit die Verantwortung trägt.

Durch Ihr vorrangiges Setzen auf Exportwachstum
machen Sie sich im Übrigen von der Wirtschaftspolitik
anderer Länder und auch vom Devisenmarkt einseitig
abhängig. Beides kann auf Dauer nicht gut gehen.
Kommt die allfällige Korrektur des Wechselkurses, steht
der deutsche Arbeitsmarkt wieder im Regen. Man kann
sich doch nicht nur auf das Exportwachstum, so groß
seine Bedeutung auch sein mag, kaprizieren. Es bleibt
wichtig, die kurze Zeit, in der die Zeichen weltweit auf
Aufschwung stehen, nachfrageorientiert zu nutzen. Die-
se Erkenntnis aus vielen zurückliegenden Jahrzehnten






(A)



(B)



(C)



(D)


ist, so denke ich, aktuell und muss von der Bundesregie-
rung beachtet werden.

Ein zweites Problem: Die rot-grüne Regierung setzt
insbesondere mit ihrer Steuerpolitik darauf, die Stand-
ortbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland zu
verbessern. Das ist nicht neu. Wo aber sind die Beschäf-
tigungs- und Investitionswirkungen geblieben, die in
der Vergangenheit durch die Steuersenkungspolitik der
alten Regierung, von CDU/CSU und F.D.P., eingeleitet
werden sollten? Wo sind die Beispiele dafür, dass eine
solche Politik Auswirkungen auf Investitionen und Be-
schäftigung hat?

Ich erinnere daran, dass die Vorgängerregierung die
Körperschaftsteuer mehrfach gesenkt hat. Ich erinnere
daran, dass die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft wor-
den ist. Ich erinnere an die Aussetzung der Vermögens-
teuer und den reduzierten Solidarbeitrag. Dies alles wa-
ren beträchtliche Entlastungen für die Unternehmen,
insbesondere für große Konzerne. Wo aber sind die be-
absichtigten Wirkungen auf Investitionen und Beschäf-
tigung geblieben?


(Beifall bei der PDS)

Woher wollen Sie in einer Marktwirtschaft, in einer

offenen Gesellschaft wissen, wie viele Investoren unter
günstigeren Bedingungen was investieren werden, wel-
che Ideen sie verwirklichen können und wie viel Wachs-
tum sich daraus ergeben wird? Das alles bleibt Spekula-
tion.

Wenn Sie tatsächlich etwas für die Verbesserung der
Standortbedingungen und die Förderung der Beschäfti-
gung tun wollen, dann entschließen Sie sich endlich zu
einer Mehrwertsteuerentlastung für arbeitsintensive
Dienstleistungen.


(Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS])

Das haben wir hier wiederholt diskutiert. Sie sagen, das
würde Steuerausfälle zur Folge haben, die zu groß seien,
die wir nicht verkraften könnten. Ich habe den Eindruck,
dass die Bundesregierung durch die neue Steuerpolitik
in vielen Bereichen Selbstfinanzierungseffekte in zwei-
stelliger Milliardenhöhe erwartet. Dagegen wären die
Steuerausfälle durch eine geringere Mehrwertsteuer für
arbeitsintensive Dienstleistungen wirklich Peanuts. Sie
sollten sich entscheiden, das zu tun, was andere europäi-
sche Länder auf diesem Gebiet inzwischen auf den Weg
gebracht haben. Ich nenne Frankreich, Griechenland und
Holland als Beispiele.


(Beifall bei der PDS)

Auch die gezieltere Förderung regional vernetzter

Wirtschaftsstrukturen gehört zu den Entwicklungspoten-
zialen, über die stärker nachgedacht werden muss. Ins-
besondere im Osten Deutschlands wird es noch für eine
ganze Reihe von Jahren unverzichtbar sein, die regiona-
le Wirtschaftsförderung zu intensivieren; denn dort
weltmarktorientierte Großinvestitionen als Königsweg
zu erwarten führt in die Irre. In Ostdeutschland geht es
im Besonderen um die Umsetzung der lokalen Agen-
da 21, um die Veränderung der Ordnung bei der Verga-
be öffentlicher Aufträge und viele andere Dinge. Über-

haupt kommt der Osten Deutschlands in diesem Jahres-
wirtschaftsbericht nur sehr traditionell vor. Ob wirklich
etwas Neues auf den Weg gebracht worden ist, was man
unter „Chefsache Aufbau Ost“ verbuchen könnte, bleibt
im Dunkeln.

Lassen Sie mich drittens sagen: Absolut unterbelich-
tet ist in Ihrem Bericht die Vorsorge für eine soziale
Gestaltung des europäischen Integrationsprozesses. Sich
für soziale Mindeststandards einzusetzen ist doch un-
verzichtbar, sollen den Menschen Ängste vor der Oster-
weiterung der EU genommen werden. Das würde auch
Rechtspopulisten den Boden für eine Rattenfängerpolitik
entziehen.


(Beifall bei der PDS)

Aber Niedriglohnpolitik, die vollständige Aushöhlung
der Tarifverträge und Ladenöffnungen rund um die Uhr
zu propagieren, wie dies eben Herr Brüderle getan hat,
ist doch nichts, womit Sie Menschen, die schon jetzt ei-
ne sehr niedrig bezahlte Beschäftigung haben und sich
vor der Zukunft fürchten, auf ein in Zukunft größeres
Europa vorbereiten können. Dabei ist es den Menschen
auch egal, ob das, was gegenwärtig geschieht, eine
Marktwirtschaft im Eucken‘schen Sinne ist oder nicht.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das haben Sie ja 40 Jahre mit Bravour vorgeführt, wie man das besser macht!)


Menschen messen ihre Zukunftszuversicht doch an dem,
was sie in ihrer täglichen Arbeit spüren, und an den Er-
wartungen, die sich bislang nicht erfüllt haben.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1408700900
Ich erteile dem Bun-
desminister Werner Müller das Wort.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Eines will ich vorab sagen: Dieser Jah-
reswirtschaftsbericht ist ein so gutes Dokument, dass er
durchaus eine etwas bessere Würdigung verdient gehabt
hätte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das sage ich insbesondere im Hinblick auf die Rede von
Herrn Glos.

Lassen Sie mich ein Zweites vorneweg schicken. Ich
möchte mich insbesondere im Namen meiner Mitarbei-
ter sehr herzlich bei dem Finanzminister und seinen
Mitarbeitern für die Art und Weise bedanken, in der die-
ser Jahreswirtschaftsbericht erstellt worden ist. Er ist ein
insgesamt völlig einvernehmlich erarbeitetes Dokument.
Infolgedessen ist manches von dem, was Sie, Herr Brü-
derle, gesagt haben, für mich nicht so furchtbar wichtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Christa Luft






(A)



(B)



(C)



(D)


Wichtig ist, dass wir eine gute Politik machen. Nicht so
wichtig ist, in welchem Ressort das jeweils geschieht.

Ich betone diese große Einvernehmlichkeit, weil das
wirtschaftspolitische Konzept der Renaissance einer
wohlverstandenen sozialen Marktwirtschaft in diesem
Jahreswirtschaftsbericht ganz klar erkennbar ist. Die
Eckpunkte – und es sind Eckpunkte im klassischen Sin-
ne – sind im Grunde einfach: Senkung der Arbeitslosig-
keit, Steigerung der Erwerbstätigkeit; Senkung von
Steuern und Abgaben, Steigerung von Investitions- und
Kaufkraft; Senkung der Staatsquote, Steigerung der pri-
vaten Initiative.

Besonders wichtig ist – und auch das ist in diesem
Jahreswirtschaftsbericht klar beschrieben –, dass wir uns
angewöhnen müssen, immer weniger auf Kosten der
Zukunft zu leben und auf Kosten der Zukunft zu wirt-
schaften. Das heißt im Klartext: Wir müssen alle zu-
sammen wesentlich mehr Achtung vor dem vertikalen
Generationenvertrag gewinnen. Wir können uns nicht
immer neu verschulden. Wir können auch nicht immer
mehr der natürlichen Lebensgrundlagen verfrühstücken.
All das formuliert der Jahreswirtschaftsbericht sehr klar,
und er führt auch die notwendigen Konsequenzen auf,
die wir anstreben müssen. Ich will in aller Deutlichkeit
sagen: Dafür ist diese Koalition auch gewählt worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Jahreswirtschaftsbericht stehen Ziele, die Sie –
wenn Sie ehrlich sind – in früheren Jahren nie aufzu-
schreiben gewagt hätten: etwa das Ziel eines ausgegli-
chenen Haushaltes. Wir haben dieses Ziel festgeschrie-
ben und werden es spätestens im Jahre 2006 erreicht ha-
ben.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Haben Sie schon einmal etwas von Maastricht gehört, Herr Müller?)


– Das ändert nichts daran, dass Sie sich jetzt freuen, dass
wir solche Ziele haben, weil Sie wissen, dass das für
Deutschland gut ist. Ich habe mir nur die Bemerkung er-
laubt, dass das Ziele sind, die man von Ihnen nicht zu
hören gewohnt war.


(Beifall bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was?)


Der Jahreswirtschaftsbericht in toto rechtfertigt das
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, das sie an dem
Wahltag im Herbst 1998 geäußert haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist ja Selbstgefälligkeit!)


Der Jahreswirtschaftsbericht beschreibt die notwendige
Reformpolitik, um Deutschland in eine wirtschaftlich
bessere und insbesondere sichere Zukunft zu führen.

Natürlich sind Reformen unbequem. Das hat für die
Regierung in gewisser Hinsicht einen scheinbaren Nach-
teil: Unbequeme Reformen bieten der Opposition immer
die Möglichkeit, zu sagen, sie könnte das alles wesent-
lich bequemer machen.

Das ist das Kennzeichen der Kritik an der Wirtschafts-
und Finanzpolitik. Sie sagen: Das ist für die Bürger alles
zu unbequem, wenn wir es machten, wäre es viel be-
quemer. Ich sage Ihnen in aller Klarheit: Natürlich, das
haben wir beobachtet. Eine Politik auf Pump und auf der
Basis des Schuldenmachens ist unterm Strich eine be-
queme Politik.

Infolgedessen will ich Ihnen einmal zu bedenken ge-
ben: Wenn Ludwig Erhard – Sie zitieren ihn immer so
freundlich, auch ich zitiere ihn gerne – den Bürgerinnen
und Bürgern seinerzeit eine Politik der Bequemlichkeit
gepredigt hätte, dann hätten wir das Wirtschaftswunder
nie erreicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Noch eines: Wenn Ludwig Erhard gesehen hätte, was
Sie in Ihren 16 Jahren aus einer sozialen Marktwirt-
schaft gemacht haben, dann hätte er sich im Grabe um-
gedreht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Über 4 Millionen Arbeitslose, eine Steuerlast, die vie-
le erwürgt, eine viel zu hohe Staatsquote sind alles nicht
Kennzeichen einer sozialen Marktwirtschaft. Deswegen
sage ich: Wir sind angetreten und wir wollen eine Re-
naissance der wohlverstandenen sozialen Marktwirt-
schaft erreichen.

Noch eines fällt mir auf, während ich den Reden zu-
höre: Sie klagen oft auf einem recht hohen Niveau und
unterlassen auch noch heute das, was Sie seit Jahren un-
terlassen haben, nämlich das Bewusstsein in der Gesell-
schaft, in der Wirtschaft wie bei Bürgerinnen und Bür-
gern zu wecken, dass wir dieses Niveau, das wir haben,
auch verteidigen müssen. Das erfordert Anstrengungen
und eine entsprechende Politik; denn es gibt kein
Grundgesetz, in dem steht, dass unserer Nation, die heu-
te noch einen führenden Platz in der Weltwirtschaft ein-
nimmt, dieser Platz auf ewig zustände.

Jeder von uns, wir alle müssen uns das erarbeiten,
und zwar umso härter, je größer der Wettbewerb der In-
dustrienationen und insbesondere auch der Anwärter, die
Industrienationen werden wollen, ist. Infolgedessen war
ein wirtschafts- und finanzpolitischer Neuanfang not-
wendig. Sie können diesen Neuanfang in dem Jahres-
wirtschaftsbericht nachlesen.

Von Neuanfang ist in diesen Tagen viel die Rede.
Aber wem sage ich das? Mir ist dieser Tage eingefallen,
dass sich die Wählerinnen und Wähler glücklich schät-
zen können, dass sie den Wechsel gewählt haben;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Ihre Süffisanz spricht für Sie!)


denn ich mag mir gar nicht vorstellen, wie die CDU an-
gesichts der tiefen Krise jetzt regieren wollte. Dann hät-
ten wir wahrscheinlich echte Probleme. So kann man
sagen: Wir haben eine gut funktionierende Regierung,
übrigens auch eine gut funktionierende Presse. Wir ha-

Bundesminister Dr. Werner Müller






(A)



(B)



(C)



(D)


ben jedenfalls null Staatskrise. Alle, die auch nur Ähnli-
ches andeuten wollen, wollen von Problemen ablenken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: „Gut funktionierende Presse“! Das lässt auch Rückschlüsse zu! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so erregen. In die-
sem Land sind die Aufgaben doch klar verteilt: Sie müs-
sen sich eine Zukunft suchen, wir führen Deutschland in
eine sichere Zukunft hinein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Sie sind der parteilose Sozi!)


Oder etwas anders gesagt: Sie müssen irgendwie wieder
politikfähig werden, wir machen Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Die Arroganz holt Sie bald ein, Herr Müller!)


– Ich bin doch nicht arrogant.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Welch eine Selbstgefälligkeit! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU – Dr. Theodor Waigel [CDU/ CSU]: Lasst ihn doch reden, damit er bald aufhört!)


Ich bin doch nicht derjenige, der immer feststellt, dass
Sie zurzeit nicht richtig politikfähig sind. Das steht
überall. Das hat auch Herr Glos gesagt. Herr Glos hat
seine Rede damit begründet, er könne jetzt nicht besser
reden, weil Sie zurzeit nicht richtig sprechfähig seien.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt! Nehmen Sie das sofort zurück!)


Eines jedenfalls beobachte ich auch mit einem gewis-
sen Maß an Freude: Das Zutrauen von Wirtschaft und
Gesellschaft zu dieser Bundesregierung wächst.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Früher haben Wirtschaftsminister mal große Reden gehalten!)


Die „FAZ“ schrieb dieser Tage – ich zitiere –: „In
Deutschland herrscht Gründerstimmung.“ Das ist eine
richtige Beschreibung. Sie schrieb weiter: „Die Grün-
derszene ist das Beste, das der deutschen Wirtschaft seit
langem passiert ist.“ Auch hier muss ich sagen: Das ist
völlig richtig.

Sie können auch heute beispielsweise in der „Berliner
Zeitung“ lesen, dass der BDI nun eine – Zitat – „Trend-
wende im Verhältnis zwischen Wirtschaft und Regie-
rung“ feststellt. Der BDI begrüßt die Wirtschafts- und
Finanzpolitik dieser Bundesregierung und will – ich zi-
tiere – „die Regierung bei dem begleiten, was sie jetzt
tut“.

Das ist eine richtige Erkenntnis der deutschen Wirt-
schaft. Sie kommt ein bisschen spät;


(Ernst Schwanhold [SPD]: Das ist wohl wahr!)

ich habe sie hier ab und an schon einmal kritisch ange-
mahnt. Ich habe immer gesagt: Wir lassen uns gerne für
die Belange der Wirtschaft in Anspruch nehmen. Wir
müssen redlich miteinander umgehen. Ich erkenne, dass
das zunehmend der Fall ist. Wir als Bundesregierung
wissen: Wir können eine erfolgreiche Wirtschafts- und
Finanzpolitik nur mit der Wirtschaft machen, nicht ge-
gen sie. Das haben wir immer gesagt.

Jetzt erkenne ich, dass die Wirtschaft das Vertrauen
gewinnt. So schreibt beispielsweise die „Süddeutsche“
heute in einer Überschrift – ich zitiere – „Konzernchefs
und Mittelständler mutieren zu Anhängern der rot-
grünen Regierungskoalition“.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 DIE GRÜNEN)


Auch das ist eine sehr zutreffende Überschrift.
Wenn wir mit den Vertretern der Wirtschaft eine

Energiepolitik konzipieren – wir sitzen ja in mehreren
Runden zusammen –, Sie aber ankündigen, völlig unge-
achtet dessen, was die Vertreter der Wirtschaft für ver-
nünftig halten, Ihren eigenen Kurs zu gehen, dann kön-
nen Sie das machen. Vielleicht finden Sie sogar noch ir-
gendwo jemanden, der eines Tages das umsetzen will,
was Sie politisch fordern. Aber ich habe Ihnen schon öf-
ters gesagt: Ihrer Energiepolitik folgt die Wirtschaft
nicht. Das ist ein Problem, das Sie irgendwann noch
einmal durchdenken sollten.

Zum Abschluss kommend will ich insgesamt sagen:
Deutschland steht vor exzellenten Wachstumsperspekti-
ven. Wir nutzen nun diesen Wachstumsprozess zu Re-
formen, die nicht immer – wie soll ich sagen? –
schmerzlos sind. Nur, wann sonst sollen wir solche Re-
formen machen, wenn nicht in einem Prozess des Auf-
schwungs?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Reformen generieren ihrerseits wieder Wachstum.
So führen wir unsere Gesellschaft auf einen stabilen
Weg in eine gute Zukunft und die Gesellschaft gewinnt
erkennbar Zuversicht.

Deswegen habe ich eine Bitte an die Wirtschaft, ins-
besondere auch an die vielen Unternehmer des Mit-
telstandes, und an die Bürgerinnen und Bürger in diesem
Lande: Vertrauen Sie weiterhin dieser Wirtschafts- und
Finanzpolitik! Unser Land ist auf einem guten Weg und
wir werden uns mit einer erfolgreichen Bilanz der Wie-
derwahl stellen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1408701000
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gunnar Uldall, CDU/CSU-Fraktion.

Bundesminister Dr. Werner Müller






(A)



(B)



(C)



(D)



Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1408701100
Herr Präsident! Meine
Damen! Meine Herren! Es grenzt schon etwas ans Ko-
mische, Herr Minister Müller, wenn sich gerade Vertre-
ter einer rot-grünen Bundesregierung auf Ludwig
Erhard berufen. Dabei waren es doch immer die Sozi-
aldemokraten – Sie sind ja parteilos –, es waren immer
die Grünen, die in den vergangenen Jahren, wo immer es
ging, versucht haben, uns dann, wenn wir den Markt
stärken wollten, zu bremsen und zu behindern.

Wenn Sie den Jahreswirtschaftsbericht prüfen, wer-
den Sie erkennen, dass es auch hier nicht darum geht, ir-
gendwo mehr Markt einzuführen, sondern dass Sie, wo
es geht, Rahmenbedingungen schaffen, die mit einer
Ausweitung des Marktes überhaupt nichts zu tun haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Insofern sage ich: Es grenzt ans Komische, wenn Sie
Ludwig Erhard als Zeugen aufrufen.

Aber bevor ich mich dem sachlichen Inhalt des Be-
richtes zuwende, möchte ich einen besonderen Gruß an
einen langjährigen Kollegen aussprechen, nämlich an
Ernst Schwanhold, der über viele Jahre im Wirt-
schaftsausschuss mein Visavis gewesen ist. Auch wenn
Ernst Schwanhold noch nicht als neuer Wirtschaftsmi-
nister in Düsseldorf vereidigt ist, so möchte ich doch
schon jetzt – auch im Namen meiner Kollegen – Gratu-
lation sagen.


(Beifall)

Wir haben immer gut zusammengearbeitet. Es war so,
wie es sich unter Wirtschaftlern gehört: immer sachlich
und fair. Wir wünschen Ernst Schwanhold viel Glück in
den nächsten drei Monaten.


(Peter Dreßen [SPD]: Ein paar Jahre arbeitet er noch!)


Wir wünschen, dass er in den nächsten drei Monaten
möglichst viel an Aufräumarbeiten macht, damit es sein
CDU-Nachfolger anschließend etwas leichter hat. In
diesem Sinne: Alles Gute!


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Dann geht er anschließend zur WestLB!)


Sie, Herr Minister Eichel, beginnen den Jahreswirt-
schaftsbericht mit einer richtigen Feststellung. Sie sa-
gen: Ein entscheidender Abbau der Arbeitslosigkeit ist
nur im wechselseitigen Zusammenspiel günstiger mak-
roökonomischer Rahmenbedingungen und nachhaltiger
Strukturreformen zu erreichen. Das ist richtig.

Es ist aber auch richtig, was Sie danach sagen: Die
Bundesregierung hat Glück, dass sie weltwirtschaftlich
so günstige Rahmenbedingungen vorfindet wie seit lan-
gem nicht. Aber deswegen ist es auch nur eine unver-
diente Glückslage, dass Sie im nächsten Jahr von einer
Wachstumsrate in Höhe von 2,5 Prozent ausgehen
können. Der Jubel aber, der von Ihnen hier im Parlament
darüber angestimmt wird oder über den heute in der
„Bild“-Zeitung in einer großen Anzeige zu lesen ist, ist
völlig unangebracht, denn Sie erreichen mit diesem An-
stieg des Wachstums auf 2,5 Prozent gerade das Niveau,

das im letzten Jahr der Regierung Helmut Kohls in
Deutschland erreicht worden ist. Insofern gibt das über-
haupt keinen Anlass zum Jubeln.

Der Jubel ist auch deswegen nicht passend, weil das
Wachstum völlig am Arbeitsmarkt vorbeigeht. Man
kann feststellen, dass die Zahl der Arbeitsplätze in
Deutschland sogar rückläufig ist. Es kommt nicht so
sehr auf die Zahl der Arbeitslosen an, sondern darauf,
wie viele Menschen in Deutschland arbeiten, Steuern
und Versicherungsbeiträge zahlen und unser Bruttoin-
landsprodukt erwirtschaften. Das ist die entscheidende
Zahl.

Wenn ich die letzte verfügbare Zahl von November
1999 mit der Zahl von November 1998 vergleiche, dann
muss ich feststellen, dass die Zahl der Beschäftigten in
Deutschland um über 60 000 zurückgegangen ist. Meine
Damen und Herren, das ist kein Erfolg einer Arbeits-
marktpolitik. Deswegen sind wir strikt dagegen, dass
hier immer so getan wird, als wenn es nur auf die Ar-
beitslosenzahl ankäme. Wir richten stattdessen den Blick
auf das, worauf es tatsächlich ankommt, nämlich auf die
Zahl der Beschäftigten in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn es möglich ist, in den Statistiken von 200 000

Arbeitslosen weniger zu reden, dann kann ich nur sagen:
Dies ist nichts anderes als der demographische Effekt,
der sich positiv für Sie auswirkt.


(Bundesminister Hans Eichel: Unsinn!)

Ein kluger Nationalökonom hat einmal gesagt: Eine

Regierung tut schon viel, wenn sie nichts tut und die
Menschen in Ruhe arbeiten lässt. Wenn sich die Regie-
rung Schröder daran gehalten hätte, wären wir auf dem
Arbeitsmarkt im vergangenen Jahr ein ganzes Stück vo-
rangekommen. Dann hätten wir eine stärkere Senkung
der Arbeitslosenzahlen erreichen können und nicht nur
das, was sich im Umfang des demographischen Faktors
praktisch von allein eingestellt hat.

Dass das Wachstum am Arbeitsmarkt vorbeigeht,
liegt mit daran, Herr Minister Eichel, dass Sie den zwei-
ten Teil der Voraussetzungen, die Sie für eine Verbesse-
rung der Beschäftigungssituation aufzählen, nämlich ne-
ben verbesserten makroökonomischen Bedingungen
auch ein mutiges Anpacken nachhaltiger Strukturre-
formen durchzusetzen, nicht erfüllen. Es ist auch nicht
erkennbar, dass dies in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht
für das kommende Jahr geschehen soll.

Wo immer es geht, vermeiden Sie klare Worte zu
Strukturreformen. Dort, wo es möglich ist, versuchen
Sie, Strukturreformen zurückzunehmen. Dabei sind
Strukturreformen in Deutschland nichts Schlechtes. Sie
haben sich immer zum Guten ausgewirkt. Deswegen
möchte ich Sie ausdrücklich auffordern, in größerem
Umfang als bisher mutig Strukturreformen in Angriff zu
nehmen.

Ich will ein paar Beispiele nennen. Wir haben mit
dem Energiewirtschaftsrecht eine Senkung der Strom-
kosten für die Familien und die Betriebe erreicht. Jetzt
versuchen Sie, das zurückzunehmen. Sie fordern eine






(A)



(B)



(C)



(D)


höhere Vergütung für die Stromeinspeisung. Das bedeu-
tet 0,4 Pfennig pro Kilowattstunde. Die Stadtwerke mit
KWK-Anlagen sollen 0,2 Pfennig zusätzlich bekommen.
Für die ostdeutsche Braunkohle müssen 0,2 Pfennig be-
zahlt werden, die Ökosteuer macht 4 Pfennig noch ein-
mal obendrauf. Wenn ich das alles zusammenpacke,
meine Damen und Herren, dann ist das, was wir an Ent-
lastung für die Familien im Umfange von 400 DM pro
Jahr bei den Stromkosten erreicht haben, fast schon wie-
der aufgefressen worden.

Das bedeutet, dass durch diese klammheimliche Poli-
tik eine Belastung der Bürger verursacht wurde, die mit
einem Volumen von 15 bis 20 Milliarden DM einen hö-
heren Betrag erreicht als eine Erhöhung der Mehr-
wertsteuer um einen Punkt, eine Belastung, die – ohne
dass es von der Öffentlichkeit so richtig gespürt wird –
0,2-Pfennig-weise den Bürgern abverlangt wird. Meine
Damen und Herren, das ist nicht unsere Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich erinnere bei den Strukturmaßnahmen, die wir er-

folgreich durchgeführt haben, an die Absenkung der Te-
lefonkosten. Wir entlasten den Haushalt damit um rund
300 DM pro Jahr. Die Liberalisierung des Versiche-
rungsmarktes hat die Haushalte im Schnitt um 100 DM
entlastet. Wenn ich das alles zusammenzähle, bin ich bei
einer Entlastung von 800 DM pro Jahr für den Ledigen.

Jetzt vergleichen Sie das einmal mit Ihrer großartig
angekündigten Steuerreform. Ich habe aus Ihren Tabel-
len herausgesucht, dass die Steuerreform bei einem ledi-
gen Durchschnittsverdiener mit einem Einkommen von
40 000 DM pro Jahr in den Jahren 1999 und 2000 zu-
sammengefasst eine Entlastung von 614 DM ergibt. Das,
was Sie nebenbei einfach durch diese Maßnahmen,
durch das Zurückführen von Strukturmaßnahmen, die
erfolgreich durchgeführt worden sind, den Bürgern wie-
der wegnehmen, liegt weit darüber.

Diese Beispiele zeigen, dass das Aufbrechen von
Verkrustungen und die Einführung von marktwirtschaft-
lichen Elementen immer Vorteile für alle Beteiligten
bringt. Deswegen muss es auch sein, dass wir Verkrus-
tungen im Arbeitsrecht, auf dem Arbeitsmarkt, im Sozi-
alversicherungswesen mutig angehen und zu einem stär-
keren marktwirtschaftlichen Rahmen auch auf dem Ar-
beitsmarkt kommen.


(Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])

Dazu zähle ich zum Beispiel auch eine Überarbeitung

unseres Tarifrechts.

(Dirk Niebel [F.D.P.]: Ein guter Finanzminis ter für Schleswig-Holstein!)

Bundeskanzler Schröder hat das inzwischen ja auch er-
kannt, als er selber bei den „Gerhard, Gerhard!“-
Demonstrationen bei Holzmann sagte, dass man in ei-
nem Zusammenspiel zwischen Betriebsrat und Ge-
schäftsleitung durchaus darauf hinarbeiten muss, das
Günstigkeitsprinzip sozusagen neu zu regeln. Ich kann
dazu nur sagen: Das, was für einen von 8 000 in Schwie-
rigkeiten geratenen Baubetrieben gelten darf und richtig

ist, das muss auch generell für die anderen Betriebe mit
gelten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deswegen plädieren wir nachdrücklich dafür, dass die-
ses hier vorgenommen wird.

Im Übrigen wird jetzt langsam klar, was eigentlich
bei Holzmann vor sich geht. 5 500 Arbeitnehmer werden
dort ihren Arbeitsplatz verlieren. Sie werden das Unter-
nehmen verlassen.


(Joachim Poß [SPD]: Was war die Alternative?)


Man kann wirklich jetzt nur sagen: Die großartige De-
monstration, bei der 5 500 Arbeitskräfte jubelnd „Ger-
hard, Gerhard!“ gerufen haben, ist wahrscheinlich die
Einzige gewesen, die ich kenne, bei der die Arbeiter, die
aus ihrem Unternehmen entlassen werden, auch noch
gejubelt haben. Aber mit Fernsehevents – so ist eben die
ganze Politik bei Ihnen aufgebaut – lässt sich leider
nichts erreichen.


(Joachim Poß [SPD]: Wollen Sie das über die Wupper gehen lassen, 60 000 Arbeitsplätze?)


Meine Damen und Herren, der Bundesregierung fehlt
der Mut zu echten Strukturreformen für mehr Beschäfti-
gung.


(Zuruf von der SPD: Mal den Saldo ziehen!)

Deswegen ist es kein Wunder, dass der Jahreswirt-
schaftsbericht trotz guter weltwirtschaftlicher Rahmen-
bedingungen von einem erheblich niedrigeren Be-
schäftigungswachstum als in den übrigen 15 EU-Staa-
ten ausgeht. Schon 1999 lagen wir weit unter dem EU-
Durchschnitt. Wir haben in Deutschland im vergangenen
Jahr ein Wachstum der Beschäftigung von 0,3 Prozent
gehabt. Der EU-Durchschnitt lag viermal so hoch, bei
1,2 Prozent.

Jetzt zeigen die Grafiken in Ihrem Jahreswirtschafts-
bericht, dass sich diese Schere im Wachstum der Be-
schäftigung in den nächsten Jahren durch Ihre Politik
nicht nur nicht schließen wird, sondern dass sie sich so-
gar noch weiter öffnen wird. Ich muss wirklich sagen,
Herr Minister: Dieses ist das Verabschieden von einer
richtigen Arbeitsmarktpolitik.

Sie erklären mit diesem Jahreswirtschaftsbericht, dass
Sie es nicht schaffen, in Deutschland eine solche Politik
zu betreiben, die darauf hinausläuft, dass in Deutschland
in dem gleichen Maße wie in den anderen europäischen
Ländern das Beschäftigungswachstum wieder zunimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Damit schiebt die Regierung die Lösung der eigentli-
chen Aufgabe und des eigentlichen Problems, das wir
haben, wiederum auf die lange Bank. Gerhard Schröder
hat gesagt, er wolle sich jederzeit daran messen lassen,
ob er die Arbeitsmarktsituation in Deutschland verbes-
sern kann. Diese Messlatte hat Gerhard Schröder selber
gerissen.

Gunnar Uldall






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1408701200
Ich erteile nun das
Wort dem Kollegen Klaus Müller, Bündnis 90/Die Grü-
nen.

Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Kollege Brüderle, als Sie in Ihrer
Rede Walter Eucken zu zitieren anfingen, habe ich ge-
dacht: Aha, einmal lauschen, was jetzt kommt.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wissen Sie denn, wer das ist?)


Vielleicht wird er ja etwas zu dem Prinzip ordoliberaler
Wirtschaftspolitik sagen, nach dem nicht nur die Wirt-
schaft florieren muss, sondern auch der Staat für ver-
nünftige Rahmenbedingungen sorgen muss. Leider
gab es eine Diskrepanz zwischen dem Zitat am Anfang,
mit dem ich durchaus viel anfangen kann – übrigens
auch die gesamte Koalition –, und dem, was Sie nachher
Stück für Stück aufzählten, zum Beispiel 630-Mark-
Kräfte. Natürlich ist es für jede einzelne Person hart ge-
wesen, die auf einen solchen Job verzichten musste. A-
ber im Sinne einer vernünftigen Wirtschaftspolitik, die
an volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen und an die
Setzung eines vernünftigen Ordnungsrahmens denkt,
war diese Reform notwendig und richtig. Mit ihr haben
wir für vernünftige Rahmenbedingungen in der Wirt-
schaft zu gesorgt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Rainer Brüderle [F.D.P.]: Quatsch!)


Herr Glos, Sie haben vorhin das Vorgehen bei Holz-
mann hart gegeißelt. Ich erinnere mich, dass neben dem
Kanzler noch eine zweite Person oben auf dem Podest
stand.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Ja, Herr Wiesehügel! Der ist wieder nicht da!)


– Herr Wiesehügel? Nein, die Person hieß Roland Koch!
Mir ist ja bewusst, dass die CDU diese Person momen-
tan am liebsten verstecken möchte. Aber zur Wahrheit
gehört, dass die hessische Landesregierung die Maß-
nahmen zur Rettung von Holzmann genauso mitgetra-
gen hat wie die rot-grüne Bundesregierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Noch ein Satz zu meinem Vorredner: Herr Uldall, ich
habe diese Woche mit Interesse vernommen, dass Sie
sich auch für Höheres berufen fühlen und von Herrn
Rühe als Schattenminister für Schleswig-Holstein vor-
geschlagen worden sind.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das war eine richtige Entscheidung von Rühe!)


Schade, dass sich für Sie in zehn Tagen nichts ändern
wird und dass wir uns im März wieder im Bundestag se-
hen werden. Ich möchte Ihnen auch sagen, warum das so

sein wird: Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-
Holsteiner haben ein feines Gefühl für soziale Gerech-
tigkeit. Ihr Vorschlag zu Beginn der Legislaturperiode,
Arbeitslose sollten im ersten Monat nach Verlust ihres
Arbeitsplatzes kein Arbeitslosengeld mehr erhalten, oder
Ihr Plädoyer für die Erhöhung der Zuzahlung zu Medi-
kamenten machen Sie, glaube ich, in Schleswig-Holstein
nicht attraktiv. Damit können Sie in Schleswig-Holstein
keine Stimmen sammeln.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


An dieser Stelle einen herzlichen Glückwunsch an
den Finanzminister in Schleswig-Holstein, Claus Möller,
und den Wirtschaftsminister Herrn Bülck; denn das
„Handelsblatt“ titelt heute: Schleswig-Holstein beim
Wirtschaftswachstum vorne! Schleswig-Holstein hat die
höchste preisbereinigte Wachstumsrate, die sogar noch
die von Bayern übertrifft, auf das Sie bei anderen Ge-
legenheiten so gerne hinweisen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Insofern kann man sagen: Rot-Grün ist gut für Schles-
wig-Holstein und wird mit Sicherheit in zehn Tagen
auch wieder bestätigt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt zum Thema –

(Dirk Niebel [F.D.P.]: Zum Krisenmanage ment bei der „Pallas“!)

– das diskutieren wir in zwei Stunden, Herr Kollege; das
wird sehr spannend, und es wird sehr gut für uns ausge-
hen – Jahreswirtschaftsbericht. Das Klima wird freund-
licher, zwar nicht hier im Saal – wir haben die Zwi-
schenrufe gehört – und vielleicht auch nicht immer im
nasskalten Berlin der vergangenen Tage, aber zumindest
in den Führungsetagen der deutschen Unternehmen. Ich
darf nochmals das „Handelsblatt“ zitieren: Führungs-
kräfte erstmals mit Standort zufrieden. In der Mehrheit
schätzen die vom „Handelsblatt“ befragten Führungs-
kräfte das Wirtschafts-, Investitions- und Beschäfti-
gungsklima optimistisch ein.

Auch mir sind die Veränderungen im Klima in den
Führungsetagen kleiner wie großer Unternehmen nicht
entgangen. Das ist wichtig für unser Land und sagt auch
etwas darüber aus, dass der Aufschwung auf dem Ar-
beitsmarkt nicht nur auf der demographischen Entwick-
lungen beruht, sondern auch viel damit zu tun hat, wel-
che Rahmenbedingungen Rot-Grün schafft. Dieser
Stimmungsumschwung liegt nicht allein an günstigen
Konjunkturaussichten; vielmehr hat das, was im „Han-
delsblatt“ „Standortklima“ genannt wurde, sehr viel mit
konkreter Politik zu tun, nämlich mit den Rahmenbedin-
gungen, die Rot-Grün in den vergangenen anderthalb
Jahren geändert hat und die im Rahmen der morgigen
Diskussion über das vorliegende Konzept von Herrn
Minister Eichel und von der rot-grünen Koalition aus-
führlich beraten werden. Das heißt – ich glaube, dass
man auch heute schon ein bisschen ins Detail gehen
muss, gewissermaßen als Auftakt für die morgige De-

Gunnar Uldall






(A)



(B)



(C)



(D)


batte –, dass wir uns an ein paar Fakten orientieren müs-
sen.

Herr Uldall hat vorhin nette Zahlenspielereien vorge-
führt. Er sprach von einer Familie, die bei einem Jah-
reseinkommen von 40 000 DM nur um 600 DM entlastet
werden würde. Sie haben schlicht eine Komponente
vergessen: Wenn Sie von einer klassischen Familie aus-
gehen, dann müssen Sie bedenken, dass Kinder dazuge-
hören. Allein die bereits beschlossene Kindergelderhö-
hung, die Ihre Fraktion übrigens teilweise belächelt und
am Anfang auch abgelehnt hat, bedeutet für jede Familie
mit zwei Kindern 1 200 DM mehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu kommen die steuerlichen Entlastungen. Rot-
Grün hat eine Steuerreform vorgelegt, die in drei Kom-
ponenten entlastet.

Die erste Komponente ist die Entlastung für die Kör-
perschaften. Bei der Gelegenheit will ich einen Satz zu
Kapitalgesellschaften sagen. Gerade in CDU-Presse-
äußerungen wird es verwirrenderweise oft so dargestellt,
dass Kapitalgesellschaften per se die Großen und Perso-
nengesellschaften per se die Kleinen sind. Wenn man
sich junge, innovative Firmen auf dem Neuen Markt, im
Bereich von Technologie und Medien, anschaut, dann
erkennt man, dass es jede Menge Kapitalgesellschaften
gibt. Immer mehr Existenzgründerinnen und Existenz-
gründer fangen an, auch die Rechtsform der Kapitalge-
sellschaft zu wählen. Das heißt, unter Mittelstandsge-
sichtspunkten sind auch Reformen bei Kapitalgesell-
schaften im Bereich der Körperschaftsteuer notwendig.

Die zweite Komponente betrifft den Mittelstand. Ich
glaube, dass die Grünen gemeinsam mit ihrem Koaliti-
onspartner an einer Mittelstandskomponente deutlich
beigetragen haben.

Die dritte Komponente ist eine weitere Entlastung
für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wenn
wir uns darüber unterhalten, wo es besonders notwendig
ist, in unserem Steuerrecht etwas zu verändern, dann
werden wir zu dem Ergebnis kommen, dass dies für den
unteren Eingangsbereich gilt. Noch vor einem Jahr ha-
ben wir den Niedriglohnbereich diskutiert. Wir haben
davon gesprochen, dass man einen Anreiz setzen muss,
eine Arbeit aufzunehmen. Was macht Rot-Grün? – Rot-
Grün senkt den Eingangssteuersatz auf 15 Prozent. Da-
mit wird gerade dort ein besonders wichtiges Signal ge-
setzt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Steuerfreie Veräußerungsgewinne für Kapitalgesellschaften!)


– Dazu komme ich gerne, Herr Michelbach. Ich finde es
schade, dass Sie nicht vor mir geredet haben; sonst hätte
ich dazu jetzt eine Menge sagen können. Ich will Ihre
Rede einmal vorwegnehmen und darauf eingehen.

Wenn wir die Signale von Herrn Merz vom Wochen-
ende und des Hintergrundgesprächs, das Sie am Montag

geführt haben, richtig deuten, dann ist klar, dass Sie sa-
gen: Rot-Grün macht eine gute Steuerreform;


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! Das habe ich überhaupt nicht gesagt!)

der Karriere von Herrn Merz nicht schaden!)

die Wirtschaftsunternehmen bestätigen das. Daher übt
man sanften Druck auf die CDU aus. Hans Peter Stihl
hat gestern ganz deutlich gesagt: Wenn die CDU blo-
ckiert, wenn die CDU nicht mitmacht, dann erhöhen wir
den Druck, sodass die CDU gar nicht anders kann. Herr
Merz, in allen Ehren: Ich akzeptiere Ihr Angebot, in die-
ser Frage zusammenzukommen. Dass Sie sich auf uns
zubewegen, ist ein wichtiger Schritt.

Insofern gibt es nur noch einen einzigen Punkt, der
von der CDU/CSU an dieser Stelle streitig gestellt wird.
Es handelt sich um die Steuerbefreiung von Kapitalge-
sellschaften bei Beteiligungsveräußerungen. Herr Mi-
chelbach, ich will Ihnen sagen, warum ich das richtig
finde. Dafür will ich Ihnen drei Gründe nennen.

Der erste Grund: Das ist gut für Existenzgründungen
in Deutschland. Existenzgründerinnen und Existenz-
gründer bekommen zurzeit leichter Kredite. Daran ha-
ben viele rot-grüne Landesregierungen hervorragend ge-
arbeitet. Für Beteiligungsgesellschaften, wie es sie im
angloamerikanischen Raum gibt, ist das aber schwierig,
weil sie in eine Kapitalgesellschaft eintreten und sie mit
Geld und Know-how mit aufbauen; aber wenn sie die
Kapitalgesellschaft später verlassen wollen, gab es im-
mer ein Hemmnis. Darum ist die Absenkung an dieser
Stelle ein richtiger Schritt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Grund: Sie sagen ja immer, für die Staats-
kasse komme dabei nichts herum und wir verteilten zu
hohe Steuergeschenke. Gerade wenn die Unternehmen
in Zukunft von einem Körperschaftsteuersatz von
25 Prozent und von einer großzügigen, systematisch
korrekten Regelung bei den Beteiligungsveräußerungen
tatsächlich profitieren werden, dann wird sich der Wert
der Unternehmen erhöhen und die Dividenden, die aus-
geschüttet werden, werden ansteigen. Gemäß der
Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip wird
der Staat davon profitieren. Auch das ist ein Argument,
warum diese Reform schlichtweg richtig ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der dritte Grund: Sie sagen, dass Personengesell-
schaften schlechter gestellt werden würden. Ich entgeg-
ne Ihnen ganz deutlich: Wenn Sie das Steuergesetz von
Rot-Grün richtig gelesen hätten, dann hätten Sie ge-
merkt, dass wir nicht nur ein Steuerschlupfloch ge-
schlossen haben; vielmehr haben wir auch die Fünfte-
lungsregelung eingeführt, sodass unter Rot-Grün gerade
kleine Personengesellschaften bis zu einem Gewinn von
einer halben Million DM weniger Steuern als unter
Schwarz-Gelb zahlen. Das heißt, die Reform ist zwi-
schen Kapitalgesellschaften auf der einen Seite und Per-
sonengesellschaften auf der anderen Seite ausgewogen.

Klaus Wolfgang Müller (Kiel)







(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum Schluss würde ich gern noch einen Blick in
Richtung Europa bzw. OECD werfen, weil ich glaube,
dass wir die Steuerreform nicht zum Selbstzweck und
nicht nur mit Blick auf die Binnennachfrage machen –
das ist sicherlich auch richtig und wichtig –, sondern
auch deshalb, um die Steuersätze und den Grundfreibe-
trag wieder auf ein im internationalen Vergleich ausge-
wogenes Niveau zurückzuführen, ein Niveau das den
Leistungen, die der Standort Deutschland bietet, ent-
spricht. Unternehmen zahlen ja etwas dafür, dass wir ei-
ne gute Hochschullandschaft, eine gute Wirtschafts-
struktur und Rechtsfrieden in Deutschland haben. Diese
Leistungen müssen mit der Höhe der Steuersätze in Ein-
klang gebracht werden.

Wenn Ihre Wirtschaftspolitiker, sei es in Bayern oder
sonst wo, einmal einen Blick auf die Zahlen werfen,
werden sie feststellen, dass Rot-Grün sowohl im Ein-
gangsteuerbereich als auch im Spitzensteuerbereich, im
Körperschaftsteuerbereich und beim Grundfreibetrag ei-
ne Position erarbeitet hat, die international wettbewerbs-
fähig, sozial gerecht und ausgewogen ist und Deutsch-
land insgesamt nach vorne bringen wird.

Insofern gehe ich davon aus, dass wir darüber morgen
eine spannende Debatte führen werden. Im Bundestag
bekommen wir dazu vielleicht noch nicht Ihre Zustim-
mung, aber spätestens im Bundesrat werden auch die
CDU-regierten Länder einsehen, dass dieser Kurs ver-
nünftig ist. Ich gehe davon aus, dass wir dieses dann
auch bis zum Sommer unter Dach und Fach bringen
werden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408701300
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ulla Lötzer.


Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1408701400
Frau Präsidentin! Kolleginnen
und Kollegen! Nach wie vor stützt sich Ihre Prognose
und die Hoffnung auf günstige Bedingungen vor allem
auf eine relativ stabile weltweite Konjunkturentwicklung
und auf Wachstum des Exports. Träger von Beschäfti-
gungswachstum sind die Exportunternehmen jedoch
nicht, im Gegenteil: Gerade wegen des verschärften
Konkurrenzkampfes um Marktanteile auf dem Welt-
markt hatten die Unternehmen mit einer Außenhandels-
abhängigkeit von mehr als 40 Prozent den größten An-
teil am Beschäftigungsabbau. Auch der Bericht der Mo-
nopolkommission weist nach, dass die 100 größten,
weltweit tätigen Unternehmen einen überproportionalen
Anteil am Beschäftigungsabbau hatten.

Noch dazu hängt das Exportwachstum in hohem Ma-
ße von der amerikanischen Entwicklung ab: Wenn Sie
schon unsere Warnungen nicht beachten wollen, Kollege
Eichel, hören Sie doch vielleicht auf amerikanische Ö-
konomen wie Baldwin, Galbraith und Friedman, die sich

gerade jetzt mit einer Erklärung an die deutschen Kolle-
ginnen und Kollegen gewandt haben, in der sie nach-
drücklich vor der Entwicklung in den USA warnen. Sie
sagen: Die Konsumentenverschuldung ist, gemessen am
Anteil der verfügbaren Einkommen, 20 Prozent höher
als zu Zeiten des vorhergehenden Höhepunktes. Das
amerikanische Handelsdefizit ist explodiert. Der US-
Aktienmarkt hat die Kurs-Gewinn-Relation auf mehr als
das Doppelte angehoben. Niemand kann sagen, wie oder
wann diese Trends umkippen, aber sie sind gefährlich,
zu gefährlich, meinen wir, um in dem Umfang, wie Sie
es tun, darauf zu bauen, dass diese Lage stabil bleibt.

Umso dringender sind nach unserer Auffassung Re-
formen, die der strukturellen Arbeitslosigkeit entge-
genwirken und die Nachfrage auf dem Binnenmarkt
stärken. Im Mittelpunkt Ihrer Reformen steht die Steuer-
reform. Damit würden Arbeitsanreize verstärkt, Investi-
tionen ermutigt und sogar soziale Gerechtigkeit wieder-
hergestellt, wie Sie sagen. Kollege Eichel, dass es in
diesem Land Vermögende gibt, deren privates Geldver-
mögen in den letzten Jahren auf 5,7 Milliarden DM ge-
stiegen ist, darüber reden Sie seit dem letzten Parteitag
vielleicht nicht mehr. Aber zu sozialer Gerechtigkeit –
daran werden wir Sie weiterhin erinnern – gehört die
Einbeziehung von Vermögen in die Besteuerung.


(Beifall bei der PDS)

Eine Entlastung aller angesichts des Zustandes, dass 16
Jahre lang hohe Einkommen entlastet wurden und sich
eine Lage höchster Verteilungsungerechtigkeit her-
ausgebildet hat, ist und bleibt ungerecht und führt zur
Krise auf den Nachfragemärkten. Zur Stärkung der Bin-
nennachfrage wäre hier eine sehr viel entschiedenere
Korrektur erforderlich.

Das Anhäufen großer Vermögen, die nicht mehr pro-
duktiv angelegt und steuerlich nicht abgeschöpft wer-
den, auf der einen Seite und Staatsverschuldung und Ar-
beitslosigkeit auf der anderen Seite sind zwei Seiten ei-
ner Medaille. Diese Geldanhäufung hat auch zum Re-
gime des Shareholder-Value in den Betrieben mit seinen
verheerenden Folgen für Beschäftigung und soziale
Demokratie geführt. Sie hat einen gewaltigen Umstruk-
turierungsprozess ausgelöst. Statt Diversifikation gibt
es nun eine Konzentration auf das Kerngeschäft in
weltmarktorientierten Wertschöpfungsketten. Das wird
begleitet von Fusionen, Übernahmen, Outsourcing, Ver-
lagerungen bis hin zur Schließung vieler Unternehmen.
Dies alles sind Prozesse, die zum Abbau von Beschäfti-
gung geführt haben und führen werden sowie zur „Pre-
karisierung“ von Arbeit beigetragen haben und beitragen
werden.

Die Regierung sieht hier keinen Handlungsbedarf.
Wir schon! Eine Reform der Mitbestimmung, die ein
Vetorecht für Betriebsräte und Gewerkschaften bei Fu-
sionen, Übernahmen, Verlagerungen und Schließungen
beinhaltet, halten wir im Interesse von Beschäftigung
und sozialer Demokratie für dringend geboten.


(Beifall bei der PDS)

Die Senkung der Unternehmensteuern trägt unserer

Auffassung nach ebenso zu dieser Entwicklung, zur

Klaus Wolfgang Müller (Kiel)







(A)



(B)



(C)



(D)


Stärkung der Finanzmärkte und damit zur Zunahme der
Arbeitslosigkeit, bei. Der Anteil, des Ertrages den Un-
ternehmen in Sachmitteln investieren, ist auf 54 Prozent
des Ertrages von Produktionsunternehmen gesunken.
Drei Viertel aller international tätigen Unternehmen
spekulieren selbst mit Derivaten, ein Viertel der Mittel
wird in Aktienkäufen angelegt.

Auch Produktionsunternehmen verlagern ihre Aktivi-
täten zunehmend in den Bereich Vermögenswirtschaft
und Spekulation. Dies sind zwei Gründe mehr, Vermö-
gen endlich der Besteuerung zu unterziehen und von ei-
ner Senkung der Unternehmensteuern, die vor allem den
Konzernen mehr Geld in die Kasse bringt, Abstand zu
nehmen, wenn man strukturelle Reformen für mehr Be-
schäftigung will. Die vermissen wir in dem vorliegenden
Jahreswirtschaftsbericht noch deutlich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408701500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ernst Schwanhold.


Ernst Schwanhold (SPD):
Rede ID: ID1408701600
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zu-
nächst an Herrn Glos wenden, der gesagt hat, er freue
sich, dass wir uns wieder der Sachpolitik zuwenden
können. Herr Glos, dies war nicht unser Problem. Wir
haben in den letzten Monaten eine gute Sachpolitik ge-
macht. Ihr Problem ist es, dass Sie sich daran nicht
beteiligen konnten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Gerade Sie aus Niedersachsen müssen das sagen! Waren auch Sie zu der Hochzeit eingeladen?)


Anders ist es auch nicht zu erklären, dass der Jah-
reswirtschaftsbericht 2000 ebenso wie das Sachver-
ständigengutachten Folgendes belegt: Alle wirt-
schaftlichen Rahmendaten für das Jahr 2000 zeigen nach
oben, zeigen auf Erfolg, auf Wachstum und zusätzliche
Beschäftigung bei gleichzeitiger Preisstabilität und
Haushaltskonsolidierung. Es ist schon erstaunlich, dass
in dem vorliegenden Jahreswirtschaftsbericht – übrigens
anders als bei den von Ihnen in der Vergangenheit vor-
gelegten – von deutlich geringeren Wachstumszahlen
ausgegangen wird. Dies geschieht deshalb, um sich nicht
hinterher dem Vorwurf aussetzen zu müssen, man habe
diesen nach oben manipuliert. Deutsche Bank Research
und alle anderen Institute prognostizieren bessere Er-
gebnisse.

Ich habe mir einmal angeschaut, wie dies in der Ver-
gangenheit war, als der Wirtschaftsminister, der meist
der F.D.P. angehörte, diesen Jahreswirtschaftsbericht
noch zu verantworten hatte. Da lagen die vorgelegten
Zahlen immer deutlich oberhalb der realen Zahlen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Die Ergebnisse waren besser!)


Es ist also dem Finanzminister und dem Wirtschafts-
minister dafür zu danken, dass sie mit Realismus an die-
se Sache herangegangen sind und die Rahmendaten so
gesetzt haben, dass sie auch eingehalten werden können,
damit nicht aus der jetzigen psychologisch positiven
Stimmung wieder eine Enttäuschung wird. Dies wäre
das Schlimmste, was der deutschen Wirtschaft passieren
könnte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es wurde der Vorwurf gemacht, dass wir noch nicht
alle Probleme gelöst haben. Dieser Vorwurf wurde auch
von Herrn Brüderle erhoben. Herr Brüderle, Ihre Rede
war meiner Meinung nach in weiten Passagen eine aus-
drückliche Bestätigung der Politik der rot-grünen Koali-
tion-ein Schelm, der irgendetwas dabei denkt. Ich gehe
einmal davon aus, dass dies ein Erkenntniszugewinn ist.
Ich fand Ihre Rede in den Teilen, in denen sie Kritik
enthielt partiell sogar berechtigt. Natürlich haben wir
noch eine zu hohe Arbeitslosigkeit. Aber, Herr Brüderle,
so schlecht kann Ihr Gedächtnis doch nicht sein: Sie
müssen sich doch daran erinnern, dass am Ende der Re-
gierung, der Ihre Partei angehört hat, die Arbeitslosen-
zahlen deutlich höher als heute lagen, dass Sie uns diese
Probleme hinterlassen haben und dass wir, nebenbei
bemerkt, auch noch eine Haushaltskonsolidierung einzu-
leiten hatten, was ja keine leichte Aufgabe gewesen ist.
Was meinen Sie, wie es in diesem Land aussehen würde,
wenn wir die 82 Milliarden DM, die wir für Zinszahlun-
gen auszugeben haben, für Strukturreformen, für Infra-
strukturmaßnahmen sowie für Forschung und Tech-
nologie ausgeben könnten?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da kann sich Herr Brüderle ja noch einmal mit Herrn Waigel austauschen!)


Ich möchte, wie sich das für eine Debatte gehört,
noch auf ein paar Rahmendaten eingehen und nicht al-
lein die positiven Zahlen des Jahreswirtschaftsberichtes
wiederholen. Es wird ein künstlicher Gegensatz – wir al-
le neigen gelegentlich dazu – zwischen kleinen und
Großbetrieben aufgebaut. Ich möchte ausdrücklich
darauf hinweisen, dass mir die Großbetriebe, die wir in
der Bundesrepublik Deutschland haben, alle sehr will-
kommen sind, weil wir ohne diese Großbetriebe die
Spitzentechnologien in unserem Land nicht zu der Reife
hätten entwickeln können, die wir jetzt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist deshalb leichtfertig, so zu tun, als ob man nur
auf die kleinen Betriebe setzen könnte. Diese Betriebe
sind unendlich wichtig für die Beschäftigung. Aber die
Spin-offs, die sich von Großbetrieben zu Kleinbetrieben
ergeben, übrigens auch das Hereinholen von internatio-
nalem Kapital und insbesondere das Hereinholen von
neuer Technologie sind ganz wesentliche Elemente für
das Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum in den
nächsten Jahren. Wie anders können wir die Lücken in
der Biotechnologie, in der Informations- und Kommuni-

Ursula Lötzer






(A)



(B)



(C)



(D)


kationstechnologie, die leider in Ihrer Regierungszeit
entstanden sind, eigentlich schließen?

Es ist eben nicht gut, wenn Mannesmann Orange
kauft, aber wenn sich ausländische Investoren auf dem
deutschen Markt nicht bewegen können. Natürlich müs-
sen sich ausländische Unternehmen auf dem deutschen
Markt und deutsche Unternehmen auf internationalen
Märkten bewegen können. Es muss nur sichergestellt
sein, dass die Produktionsstandorte und die Kompetenz-
zentren dort bleiben, wo die Entwicklungen durchge-
führt wurden. Darin liegt die Aufgabe – in diesem Punkt
gibt es keine Kritik – des Zusammenschlusses von Vo-
dafone und Mannesmann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will auf das hinweisen, was bezüglich der kleinen
Betriebe erreicht worden ist. Die Landespolitik, aber
auch die Bundespolitik haben dabei eine wichtige Rolle
gespielt. Die Zahl von Unternehmensgründungen nimmt
endlich wieder zu, nicht nur in den Bereichen der neuen
Technologien, wie zum Beispiel in der Bio-, Umwelt-,
Informations- und Kommunikationstechnologie, sondern
auch in den klassischen Bereichen. Diese Entwicklung
ist gut und auch richtig, weil wir damit eine Neustruktu-
rierung der Wirtschaft erreichen. Wir sollten darüber
froh sein und den Betrieben Mut machen, indem wir ih-
nen sagen: Ihr habt alle Chancen auf dem Binnenmarkt
und alle Chancen auf den internationalen Märkten; wir
werden euch dabei helfen, eure Zukunft zu finanzieren.

Wir sollten aber nicht behaupten, dass diese Maß-
nahmen nicht ausreichend seien, dass nicht genügend
getan werde und dass die Lage schlecht sei. Nein, diese
Unternehmer brauchen Mut, damit sie sich am Markt
bewähren können. Sie haben vor vielen Jahren schon
einmal die Konjunktur schlechtgeredet. Sie sollten nicht
noch einmal den gleichen Fehler machen. Im Übrigen
glaubt Ihnen niemand Ihre Kritik. Herr Henkel und an-
dere sehen die Lage nämlich völlig anders.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn es noch eines Indizes für die gute Entwicklung
bedarf, dann sind dies die jüngsten Zahlen, die uns vor-
gelegt worden sind. Es werden plötzlich 7 Prozent mehr
für Forschung und Entwicklung am Standort Bundes-
republik Deutschland ausgegeben. Man würde in diesen
Standort nicht investieren, wenn die Rahmenbedingun-
gen so wären, dass man nicht die Früchte dieser In-
vestition in Forschung und Entwicklung im eigenen
Land ernten und auf den Weltmärkten präsentieren
könnte. Die Hoffnung bezüglich des Weltmarktes wird
von der Tatsache getragen, dass wir in den vergangenen
Jahren die Lohnstückkosten durch Setzen der entspre-
chenden Rahmenbedingungen deutlich gesenkt haben.
Wir sind durch die Steuerreform und durch Strukturre-
formen, die wir eingeleitet haben, wettbewerbsfähiger
geworden. Insbesondere sind wir durch das Schaffen
verlässlicher Rahmendaten wettbewerbsfähiger gewor-
den.


(Beifall bei der SPD)


Ich will an dieser Stelle eine Bemerkung zu dem
Thema Kernenergie und Energieversorgung machen,
welches Sie immer wieder in die Debatte – es handelt
sich mittlerweile um eine Mammutdebatte – einbringen.
Wer der investierenden Wirtschaft verspricht, eine si-
chere Energieversorgung mit Hilfe der Kernkraft sei in
Europa und in der Bundesrepublik Deutschland möglich,
der lenkt sie auf einen falschen Pfad. Gegenwärtig gibt
es nämlich keine Akzeptanz für die Kernkraft. Weil es
diese Akzeptanz nicht gibt, haben wir eine neues Ener-
gieszenario mit Steinkohle und Braunkohle, mit alterna-
tiven Energieträgern und mit Energieeinsparung aufzu-
bauen. Der Job des Bundeswirtschaftsministers ist es, im
Konsens mit den Unternehmen dafür zu sorgen, dass die
Energieversorgung in diesem Lande auf lange Zeit si-
chergestellt ist und dass wir Arbeitsplätze und den Ener-
gieproduktionsstandort Bundesrepublik Deutschland er-
halten. Ihre Kassandrarufe dienen nicht dem Standort
und insbesondere nicht der Entwicklung dieses Marktes.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die immer wieder aufgeworfene Frage der sozialen
Gerechtigkeit wird uns sicherlich in der Zukunft von
einer etwas anderen Seite beschäftigen. Ein Teil des
Hauses meint, dass nur Umverteilung soziale Sicherheit
gewährleisten könnte. Ich glaube, dass dies ein Modell
der Vergangenheit ist.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Früher hat man es anders gesagt, Herr Schwanhold!)


Soziale Sicherheit wird man sicherlich eher durch Brü-
cken in den ersten Arbeitsmarkt, durch eigene Er-
werbstätigkeit, bekommen. Wir müssen darüber nach-
denken, wie wir auch jenen in bei uns leicht unterentwi-
ckelten Bereichen einen Anreiz geben, in den ersten Ar-
beitsmarkt zu gehen, diese Stellen und diese Arbeit an-
zunehmen. Das ist das eigentliche Erfolgsmodell, bei ge-
ringerem Wirtschaftswachstum zu einer höheren Zahl
von Beschäftigten zu kommen.

Zuruf des Abg. (Michael Glos [CDU/CSU])

– Herr Glos, machen Sie sich nichts vor: Jedes Land hat
eine eigene Tradition. Keiner sollte diese Tradition über
Bord werfen und wir sollten schon gar nicht so tun, als
ob wir den schwarzen Peter den Gewerkschaften zu-
schieben könnten. Diese haben eine äußerst große Ver-
antwortung für die Entwicklung dieses Landes über-
nommen und sie sind in der Vergangenheit wichtiger
Partner wirtschaftlicher Entwicklung gewesen.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Mehr, als sie vom Grundgesetz mit Verantwortung ausgestattet sind! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Wer blockiert denn die ganze Zeit?)


Sie werden dies mit dem notwendigen Maß an Flexibili-
tät auch in Zukunft sein. Wer die Schwarz-Weiß-
Debatte will, der will in Wahrheit den Abbau des Sozial-
staates und nicht dessen Fortentwicklung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ernst Schwanhold






(A)



(B)



(C)



(D)


Genau in diesem Bereich setzt das Bündnis für Ar-
beit an. Ja, man hätte sich wünschen können, dass es
schneller geht, übrigens auf beiden Seiten. Ich will die
Rufe des einen oder anderen Unternehmens- oder Ver-
bandsvertreters nicht noch einmal zitieren, obwohl mir
das sogar aus dem Gedächtnis heraus nicht schwer fallen
würde; denn es brennt sich ein, wenn man ein halbes o-
der Dreivierteljahr in der Kritik ist. Ja, es hätte schneller
gehen können. Wer uns aber heute das Beispiel von Hol-
land oder Dänemark vorhält, vergisst, dass deren Gesell-
schaften von Hause aus Konsensgesellschaften sind, die
einen langen Prozess hinter sich haben, in denen das
Wort des einen Partners gegenüber dem anderen Partner
auch noch gilt und in denen in den vergangenen 16 Jah-
ren insbesondere das Wort der Politik verlässlich war.
Dass Ihr Wort nicht verlässlich war, hat Unsicherheit in
diese Gespräche hineingebracht. Sie sind es gewesen,
Kohl ist es gewesen, der dies mutwillig zerstört hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was sollen Ihnen eigentlich die anderen Partner glau-
ben? Nein, ich halte es für einen ausgesprochen gefähr-
lichen Weg, sich hierher zu stellen und zu kritisieren,
insbesondere auch im Hinblick auf die internationalen
Signale. Damit will ich mich noch einem Punkt zuwen-
den, über den ich mich ausdrücklich freue.

Wir haben eine gute Exportkonjunktur. Wir sollten
alles tun, damit dieses so bleibt. Es wird übrigens
schwieriger werden, unsere Produkte und Dienstleistun-
gen auf den Weltmärkten zu verkaufen, weil der Globa-
lisierungsprozess voranschreitet.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Ja!)

Wir können dies am besten dann bewerkstelligen, wenn
wir die Binnenkonjunktur auch stärken.


(Michael Glos [CDU/CSU] und Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Richtig!)


Diese Binnenkonjunktur ist in den letzten zwei Jahren
durch die rot-grüne Regierung gestärkt worden,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist nun allerdings gelogen!)


weil wir nämlich eine Steuerreform gemacht haben, mit
der wir genau jene, die alles Geld, das sie haben, für den
Konsum ausgeben, mit mehr Geld ausgegeben haben.
Dieses Geld geht nicht in die Sparbücher.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Genau dies macht die Teilhabe für diejenigen aus, die
jeden Tag in die Fabriken und in die Verwaltungen ge-
hen und am Ende des Monats auch einen Ertrag haben
sollen. Deshalb haben wir die Lohnnebenkosten gesenkt.
Deshalb haben wir die Steuern gesenkt, was übrigens
dazu führen wird, dass vom Jahre 2005 an ein Arbeit-
nehmerhaushalt mit vier Personen und einem Jahresein-
kommen von 50 000 DM keine Mark Steuern bezahlen
wird. Dies ist der richtige Weg, damit sich Arbeit lohnt
und damit es sich nicht lohnt – auch bei jenen nicht, die
sich schon 50-mal beworben haben –, sich nur auf Sozi-

altransfer und Schwarzarbeit zu kaprizieren. Dies ist ei-
ne ernsthafte Gefahr, wenn man sich vergegenwärtigt,
dass 650 Milliarden DM oder gar 700 Milliarden DM
durch Schwarzarbeit umgesetzt werden. Das kann man
auch durch die Senkung um einen halben Mehrwert-
steuerpunkt oder durch Senkung der Lohnnebenkosten
nicht beseitigen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Auch durch 630-DM-Jobs nicht!)


Schwarzarbeit wird immer preiswerter sein als Arbeit,
die im ersten Arbeitsmarkt geleistet wird. Wir müssen
die Anreize für Arbeit im ersten Arbeitsmarkt stärken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS] Tun Sie nicht so, als ob dies nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betrifft. Wenn Sie schon kritisieren, dann sollten Sie auch dazu sagen, dass für manchen Handwerksmeister der Satz gilt: Brauchst du eine Rechnung oder brauchst du keine? Auch das ist Schwarzarbeit, und diese halte ich für mindestens ebenso kritikwürdig, weil sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dazu zwingt, ihre Arbeitskraft billig zu verkaufen. Dies kann nicht das Ziel sozialdemokratischer Politik sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Glos, ich kann ja verstehen, dass Sie momentan
wenig Zeit haben, den Jahreswirtschaftsbericht zu lesen.
Ich hätte ihn an Ihrer Stelle auch nicht gelesen. Es gibt
ja jeden Tag so viel Spannendes an anderer Stelle zu le-
sen. Wenn Sie sich aber nach den Tagen der Hektik
wirklich einmal dem Jahreswirtschaftsbericht und der
wirtschaftlichen Entwicklung zuwenden, dann werden
wir uns möglicherweise in einem halben Jahr darüber
unterhalten müssen, welche weltwirtschaftlichen Risi-
ken es gibt, wie es mit der Überbewertung des Yen aus-
sieht und wie wir es erreichen können, den völlig unter-
bewerteten Euro in eine vernünftige Relation zum Dollar
zu setzen.
Aber dafür sind nicht die wirtschaftlichen Fundamental-
daten zum gegenwärtigen Zeitpunkt verantwortlich.

Ich glaube, es ist eine relativ kurzfristige Reaktion,
die sich bald harmonisieren wird, und ich glaube, dass
die Schwäche überwunden wird. Erste Signale gibt es
auch von großen staatlichen Reservebanken, die sagen,
sie wollen in den Euro investieren und teilweise aus dem
Dollar umschichten. Dies ist ein positives Signal. Wir
dürfen als Leitwirtschaftsnation in Europa nicht dazu
beitragen, dass der Euro schlechtgeredet wird. Wir sind
dauerhaft auf einen stabilen Euro angewiesen, der im
Außenwert so stabil sein muss wie im Binnenwert. Ich
bitte Sie sehr herzlich: Weisen Sie darauf hin, wie stabil
der Euro im Binnenwert ist, damit Sie nicht eine Verun-
sicherungskampagne gegenüber den Kleinsparern in die
Welt setzen. Das würde nämlich deren Investitionsnei-
gung wieder reduzieren und nicht der Wirtschaft und der
Beschäftigung dienen. Vertrauen ist angesagt, gerade
auch in diesen Bereichen.

Ernst Schwanhold






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss einen ganz kurzen Dank an Sie richten. Ich habe
den einen oder anderen gelegentlich hart attackiert. Herr
Brüderle kann ein Lied davon singen. Der hat sich ein-
mal bei mir beschwert. Ich fand es immer angemessen,
Herr Brüderle. Wer selbst zuschlägt, soll kein Glaskinn
haben. Auch den leicht vergifteten Glückwunsch von
Gunnar Uldall nehme ich so, wie ich ihn verstehe, in
Freundschaft entgegen. Gunnar, das geht auch weiter so.
Ich kann Sie nicht mit einer Abschiedsrede beglücken,
weil ich noch lange Zeit von der Bundesratsbank zu Ih-
nen reden werde. Ich freue mich darauf.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408701700
Lieber Herr
Kollege Schwanhold, ich wollte gerade ankündigen,
dass das vorerst Ihre letzte Rede in diesem Parlament ist.
Sie haben aber zu Recht darauf hingewiesen, dass es die
letzte vermutlich nur in dieser Funktion war. Jedenfalls
wünsche ich Ihnen auch im Namen des Hauses für Ihre
zukünftige Arbeit in Nordrhein-Westfalen alles Gute.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das Wort hat die Abgeordnete Dagmar Wöhrl.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1408701800
Frau Präsidentin! Lie-
be Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Kollege
Schwanhold, auch von meiner Seite wünsche ich Ihnen
für Ihren persönlichen Lebensweg weiterhin alles Gute.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Auch den politischen!)


Ich glaube, wir haben immer gute Diskussionen im
Wirtschaftsausschuss geführt und werden sie auch zu-
künftig haben, wenn Sie hier auf der anderen Bank sit-
zen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Immer allseits einen guten Flug, Herr Schwanhold!)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir haben heute
zum zweiten Mal einen Jahreswirtschaftsbericht vorlie-
gen, den der Bundesfinanzminister verfasst hat. Lieber
Herr Minister Müller, ich bedauere wirklich sehr, dass
Sie es nicht geschafft haben, diesen wichtigen Bereich
wieder in Ihr Ressort zurückzuholen.

Das zeigt uns, welche Bedeutung diese Regierung der
Wirtschaftspolitik zumisst:


(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Wirtschaftspolitik ist bei Ihnen ein schmückendes
Beiwerk für Finanzpolitik einerseits, für Sozialpolitik
andererseits. Da braucht man sich nicht zu wundern,

wenn uns ein solcher Jahreswirtschaftsbericht vorgelegt
wird, bei dem nicht sehr viel herauskommt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was war beim letzten Bericht 1999? Wachs-
tumsprognose: 2 Prozent. – Voll daneben gelegen! He-
rausgekommen ist ein Wirtschaftswachstum von
1,4 Prozent, bei einem EU-Durchschnitt – ich bitte, ge-
nau zuzuhören – von 2,1 Prozent. Dann kann man sich
nicht darauf berufen, dass irgendwelche außenwirt-
schaftlichen Einflüsse daran schuld gewesen sein sollen.
Verantwortlich waren innenpolitische Fehlentscheidun-
gen. Ich denke hier an die Rücknahme arbeitsmarktpoli-
tischer Reformen noch im Dezember 1998. Ich denke an
das so genannte Steuerentlastungsgesetz, das den deut-
schen Unternehmen im Zeitraum 1999 bis 2002 rund 30
Milliarden DM mehr Belastung bringt. Ich denke an die
zum 1. April eingeführte Ökosteuer, die seitdem die
Energiekosten in die Höhe treibt, ohne irgendeinen um-
weltpolitischen Nutzen zu haben. Diese Steuer ist weder
öko noch logisch.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie ist sozial ungerecht. Es ist eine Umverteilung zulas-
ten von Pendlern, Rentnern und Einkommensschwa-
chen.

Was das Stärkste ist: Sie berufen sich dabei darauf,
diese Einnahmen zur Senkung der Rentenversiche-
rungsbeiträge zu verwenden. Warum haben Sie dann
kein Junktim zwischen Steuererhöhung und Beitrags-
senkung in Ihrem zweiten Gesetz? Das fehlt in diesem
Gesetz!

Wenn man sich dann die Zahlen anschaut, stellt man
fest: geplante Einnahmen durch die Ökosteuer im Jahre
2003 38 Milliarden DM; die Senkung der Rentenver-
sicherungsbeiträge auf 19 Prozent bedeutet eine Entlas-
tung um 20 Milliarden DM. Wo sind denn die 18 Milli-
arden DM Differenz hingekommen? – Die gehen in Ih-
ren Haushalt, und das ist die Mogelpackung, die Sie
nach draußen verkaufen!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich denke auch an etwas anderes, nämlich an die

Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhält-
nisse, die 700 000 Jobs vernichtet hat,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Mindestens!)


worüber sich – das verwundert mich wirklich sehr –
Herr Minister Riester anscheinend noch freut. Das ist ei-
ne sehr eigenartige Mentalität.

Lieber Herr Minister Müller, ich habe nachgelesen,
was Sie letztes Jahr zum Jahreswirtschaftsbericht gesagt
haben. Damals haben Sie angegeben, die Steuerreform
komme noch im Jahr 1999, und zwar mit einem refor-
mierten Steuersystem mit einer Steuerbelastung der Un-
ternehmen von höchstens 35 Prozent. Stattdessen haben
wir jetzt einen Gesetzentwurf mit einem steuersystema-
tischen Murks auf dem Tisch liegen, einen Entwurf, der
mit Trippelschritten – ich möchte nicht sagen, dass es
nicht die richtige Richtung ist – vorangeht. Aber Sie

Ernst Schwanhold






(A)



(B)



(C)



(D)


werden eines mit dieser Reform nicht erreichen, nämlich
das Ziel, das Sie sich gesetzt haben.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Ein ganz großes Manko dieser Reform ist vor allem,
dass Sie den Beschäftigungsmotor Mittelstand immens
krass benachteiligen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Außerdem ist dieser Entwurf sogar in den Reihen der
Regierungskoalition nicht unumstritten.

Auch aus den 35 Prozent ist nichts geworden. Denn
selbst die von Ihnen bevorzugten Kapitalgesellschaften
kommen mit der von Ihnen bisher geplanten Unterneh-
mensteuerreform auf eine Gesamtbelastung von circa 38
Prozent. Von Personengesellschaften, Freiberuflern und
Einzelkaufleuten will ich hier jetzt überhaupt nicht re-
den.

Hinsichtlich der Prognosedaten des Jahreswirt-
schaftsberichts ist Herr Minister Eichel schon vorsichti-
ger als sein Vorgänger. Er rechnet mit 200 000 Arbeits-
losen weniger. Aber diese Zahl kannten wir schon. Das
war nämlich die Zahl der Bundesanstalt für Arbeit,


(Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

die – was auch hier heute schon erwähnt worden ist –
aufgrund des demographischen Faktors so prognostiziert
wird.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Richtig! Das kann man immer nur wieder sagen!)


Denn es werden weniger Menschen in das Erwerbsleben
einsteigen, als Menschen aus Altersgründen ausscheiden
werden.

Wenn man an das denkt, was Herr Schröder damals
gesagt hat, nämlich dass er sich jederzeit am Rückgang
der Zahl der Arbeitslosen messen lassen werde, muss
man sagen: Dann muss er sich jetzt daran auch messen
lassen. Wir haben allein in dieser Legislaturperiode ei-
nen demographisch begründeten Rückgang von über 1
Million Arbeitslosen. Das heißt, diese Regierung müsste
bis Ende der Legislaturperiode eine Quote von unter 3
Millionen Arbeitslosen aufweisen. Erst dann hätten Sie
einen Erfolg, der auf Ihre Arbeit zurückzuführen wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben eine Stagnation auf dem Arbeitsmarkt, lie-

be Kolleginnen und Kollegen von der Regierung. Diese
Stagnation kommt nicht von ungefähr. Bei Ihrem Kampf
gegen die Arbeitslosigkeit betreiben Sie eine Mangel-
verwaltung: Sie verteilen knappe Arbeit auf möglichst
viele Köpfe. Da mahnt der Sachverständigenrat voll-
kommen zu Recht dringend eine Reform der Arbeits-
marktordnung an, die darauf ausgerichtet sein muss,
den Arbeitslosen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu er-
leichtern. Er kritisiert die Allgemeinverbindlichkeit von
Tarifverträgen und fordert die Abschaffung von § 77
Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes sowie eine Re-
form des Günstigkeitsprinzips. Und er hat Recht. Die
bestehenden gesetzlichen Regelungen verhindern die
notwendigen betrieblichen und regionalen Bündnisse für

Arbeit. Da braucht man nicht erst einen Fall Holzmann,
um das festzustellen.

Was sagt die Bundesregierung in ihrem Jahreswirt-
schaftsbericht zu diesen zentralen Anliegen des Sach-
verständigenrates? Sie wischt sie einfach beiseite. Ich zi-
tiere:

Die Prüfungen durch die Bundesregierung haben
ergeben, dass die Vorschriften nach wie vor erfor-
derlich sind, um das Arbeitsrechtssystem zu erhal-
ten.

Das ist der ganze Kommentar, den Sie dazu abgegeben
haben.

Sie haben aber noch etwas anderes in Ihrer Schubla-
de. Es ist schade, dass Herr Kollege Riester jetzt nicht
da ist. Es gibt nämlich einen Vorschlag von den Ge-
werkschaften zur Novellierung des Betriebsverfassungs-
gesetzes. Das ist aber kein Vorschlag zu dringend not-
wendigen Flexibilisierungen. Stattdessen wird vorge-
schlagen, die unternehmerischen Abläufe noch stärker in
ein Korsett einzuspannen und damit den Unternehmen
noch mehr Flexibilität wegzunehmen, noch mehr Mitbe-
stimmung einzuführen sowie den Gewerkschaften ein
noch stärkeres Klagerecht einzuräumen. Wir sind sicher,
dass dieser Entwurf sehr bald hier auf dem Tisch liegen
wird.

Sie haben sich in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht bei
der Arbeitsmarktpolitik nicht an einer neuen Mitte, son-
dern – ich sage es ganz offen und klar – an einer alten
Linken orientiert. Sie haben seit Ihrem Regierungsantritt
den Mangel an Flexibilität noch verschärft. Das heißt,
wir haben nicht nur einen Stillstand, sondern wir haben
in diesem Bereich einen klaren Rückschritt.

Ich möchte noch ganz kurz Ihr Lieblingsprojekt, das
Bündnis für Arbeit, ansprechen. Am 10. Januar hat das
letzte Spitzengespräch stattgefunden. Herausgekommen
ist ein ziemlich nichtssagendes Papier, in dem von be-
schäftigungsorientierter Lohnpolitik die Rede ist. Der
Kanzler hat sich hierzu medienwirksam feiern lassen.
Aber schon zwei Tage später legt die IG Metall eine
Forderung von 5,5 Prozent Lohnerhöhung vor. Eine
schlimmere Demontage des Bündnisses kann es nicht
geben. Es ist ein eklatanter Widerspruch zu den Pseudo-
vereinbarungen des Bündnisses.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Wenn Herr Schulte jetzt noch mitteilt, definitiv nicht

über Tarifpolitik sprechen zu wollen, sieht man den gro-
ßen Fehler des Bündnisses. Der Sachverständigenrat
sagt zu Recht: Lohn ist die wichtigste Steuergröße auf
dem Arbeitsmarkt. Es gibt einen Zusammenhang zwi-
schen Lohnhöhe und Arbeitsplätzen. Deshalb ist es wi-
dersinnig, dass man hier versucht, Lohn- und Tarifpoli-
tik aus dem Bündnis auszuklammern.

Wir wissen ganz genau, dass unsere Nachbarn in ih-
ren Bündnissen und ihrer Arbeitsmarktpolitik erfolg-
reich waren, indem sie langjährige moderate Tarifab-
schlüsse vereinbart und in ihrer Arbeitsmarktpolitik fle-
xibilisiert haben. Aber dazu, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der Regierung, fehlt Ihnen der Mut.

Dagmar Wöhrl






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(B)



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(D)



(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Unsere Wirtschaft strahlt nicht so hell, wie Sie es

immer wieder darzustellen versuchen. Wir haben ein Ri-
siko für unsere Konjunktur. Das sind die Löhne und die
Zinsen. Sie wissen, dass wir im europäischen und welt-
weiten Vergleich hinterherhinken. Wir haben einen Auf-
schwung, aber das ist ein importierter Aufschwung. Das
ist nicht Ihr Aufschwung, auch wenn sich der Kanzler
immer wieder als Aufschwungkanzler darstellt.

Zum Schluss möchte ich noch die Frage stellen: Was
boomt denn außer dem Export? Es boomen Hochtechno-
logien und Branchen, vor allem des Telekommunikati-
onsbereiches, die wir gegen heftigste Widerstände von
Ihnen liberalisiert haben.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408701900
Frau Kollegin,
darf ich Sie darauf hinweisen, dass Sie schon zwei Mi-
nuten über die Zeit reden.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Frauensolidarität! – Zurufe von der SPD: Oh!)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1408702000
Ja. – Heute ernten Sie
die Früchte unserer Politik.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Ich kenne ganz wenige überjährige Früchte! Die Fruchtfolge ist kürzer!)


Sie machen keine Aufbruchstimmung, denn Ihre Wirt-
schaftspolitik kann nicht überzeugen und Ihr Jahreswirt-
schaftsbericht auch nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408702100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Mathias Schubert.


Dr. Mathias Schubert (SPD):
Rede ID: ID1408702200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht
2000 hat in der Öffentlichkeit ein bemerkenswert positi-
ves Echo ausgelöst. Ich glaube, Herr Minister, dass diese
Voten der Öffentlichkeit für uns auch politisch viel
schwerer wiegen als das, was eine Opposition, die ohne-
hin kaum sprachfähig ist, uns ins diesem Bereich zu sa-
gen hat.

Am bemerkenswertesten war für mich ein Satz eines
Kommentators der „Süddeutschen Zeitung“ vom 27. Ja-
nuar. Ich zitiere:

Die rot-grüne Bundesregierung ist nicht der stetigen
Versuchung der Schönfärberei erlegen.

Wir haben es ja erlebt: Berichte zum Abfeiern der eige-
nen Großartigkeit führen, wie dieses Land in den 90er-
Jahren erleben musste, zu Stillstand, zu Reformstau und
vor allen Dingen zu politischer Mutlosigkeit.


(Beifall bei der SPD)

Selbstverständlich sind die Erwartungen bezüglich

einer positiven Entwicklung in der Wirtschaft und einer

endlich zurückgehenden Arbeitslosigkeit darauf zurück-
zuführen, dass unsere Reformprogramme zu greifen
beginnen, so zum Beispiel die Haushaltskonsolidierung,
die Steuerreform und auch das Bündnis für Arbeit. Aber
wir stehen – das ist ganz klar – erst am Anfang. Der
dauerhafte, der nachhaltige Erfolg dieser Politik wird
sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Denn die Wie-
dergewinnung der Zukunftsfähigkeit in Deutschland
ist nicht mit einem Jahreswirtschaftsbericht zu schaffen;
sie erfordert Verantwortung auch und gerade über den
Tag hinaus. Deshalb sind all unsere Reformvorhaben als
langfristige Prozesse – über diese Legislaturperiode hin-
aus – angelegt.

Hinter dieser Strategie verbirgt sich aber noch mehr:
Unsere Politik ist auf Dialog angelegt, auf die Einbezie-
hung möglichst vieler bei der politischen Konsolidie-
rung und Neuorientierung, und zwar gerade nicht im
Sinne eines einseitigen Lobbyismus, sondern orientiert
an dem, was zu nennen immer wieder wichtig ist, dem
Gemeinwohl.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mir scheint, dass gerade in dieser Grundüberzeugung
dessen, was Politik bedeutet, was sie sein kann und sein
muss, ein wesentlicher Unterschied zu dem christsozia-
len und christdemokratischen Politikverständnis vor al-
lem der letzten Jahre Ihrer Regierungszeit liegt. Wir ver-
stehen Politik als Verpflichtung und Verantwortung zum
Gemeinwohl. Bei Ihnen hatte ich zunehmend den Ein-
druck, Sie betreiben Politik nach dem Motto: Der Staat
gehört uns.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Tosender Beifall bei der Regierungsfraktion!)


Es ist wichtig, gerade bei so harten Faktenthemen wie
Wirtschaft und Finanzen auf diese grundsätzliche Moti-
vation hinzuweisen; denn die Menschen haben ein
Recht, zu wissen, von welchen Überzeugungen sich die-
jenigen, die Politik zu verantworten haben, leiten lassen.

Der Realismus, der sich durch den Jahreswirtschafts-
bericht zieht, kommt ebenso wie unser Wille zu gestal-
ten auch in den Passagen, die Ostdeutschland betreffen,
zum Ausdruck. Wir müssen den vielschichtigen Realitä-
ten ins Auge sehen und alle Ideologisierungen hinter uns
lassen. In diesem Sinne möchte ich im Einzelnen Fol-
gendes sagen:

Am höchst erfreulichen Wirtschaftswachstum in die-
sem Jahr werden die neuen Länder – aufs Ganze gese-
hen – nicht gleichwertig Anteil haben. Das gilt auch für
die Rückführung der Arbeitslosigkeit. Doch die Wirt-
schafts- und Arbeitsmarktlandschaft in Ostdeutschland
ist zum Glück längst keine homogene Wüste mehr. Es
gibt Hochtechnologieregionen mit jährlichen Wachs-
tumsraten zwischen 8 und 12 Prozent in den zukunfts-
orientierten Branchen und mit entsprechend relativ nied-
riger Arbeitslosigkeit, und es gibt Regionen, die nach
wie vor große Schwierigkeiten haben, überhaupt den
Sprung in die Konsolidierungsphase zu schaffen. Es gibt
Regionen, in denen ein massiver Arbeitskräftemangel
auf der ganzen Breite informationstechnologischer

Dagmar Wöhrl






(A)



(B)



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(D)


Branchen herrscht, und es gibt solche, wo die Abwande-
rung hauptsächlich Jugendlicher deshalb so hoch ist,
weil sie keine beruflichen Perspektiven sehen.

Einerseits beschreibt der Jahreswirtschaftsbericht die
industrielle Basis Ostdeutschlands zutreffend als immer
noch zu schmal, andererseits erwarten nach einer Um-
frage des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle vom
vergangenen Montag 70 Prozent der ostdeutschen Un-
ternehmen in diesem Jahr Umsatzsteigerungen. Vor al-
lem die Investitionsgüterindustrie rechnet mit einer Ver-
besserung des Geschäftsklimas.

Diese regionale Ausdifferenzierung bedingt eine ent-
sprechende Wirtschaftspolitik. Das jahrelang angewand-
te Gießkannenprinzip wird der Situation überhaupt nicht
mehr gerecht. Darauf hat die Bundesregierung reagiert.
Neben die klassischen Förderprogramme treten mehr
und mehr Programme, die regionale Investitionskräfte
gezielt ansprechen. Als zurzeit vielleicht herausragends-
tes Beispiel – es ist nicht das einzige, wohl aber das be-
kannteste und wohl auch derzeit wirkungsvollste – nen-
ne ich das Inno-Regio-Programm. Darin geht es um
die Förderung von regionalen Netzwerken aus Wirt-
schaft, aus Forschung, aus Wissenschaft und Bildung.
Eine der wesentlichsten Voraussetzungen für den Erfolg
dieses Programms ist, dass es die Selbstorganisation der
Akteure voraussetzt, ja fordert. Es geht um Eigeninitia-
tive statt Druck von oben und Selbstorganisation statt
Amtsstubenbürokratie. Wie diese Chance zur Eigeniniti-
ative auch diejenigen motiviert, die nicht prämiert wor-
den sind, zeigt, welch große Bedürfnisse zur Bündelung
der eigenen Kräfte und welche Energien zur Kooperati-
on bei vielen in Ostdeutschland vorhanden sind und nun
mit diesem und ähnlichen Programmen aktiviert werden.
Darin werden zunehmend nicht mehr chancenlose Wirt-
schaftsstrukturen alimentiert, darin wird zur Eigenver-
antwortung motiviert.

Diese Neuorientierung aus einem wachsenden eigen-
ständigen Selbstbewusstsein heraus ist auch bei dem e-
her konservativen Förderinstrument Gemeinschaftsauf-
gabe zu beobachten. Seit 1996 gehen die neuen Bundes-
länder mehr und mehr dazu über, mit diesem Geld die so
genannten weichen Faktoren wie Aus- und Weiterbil-
dung, Managementtraining, Unterstützung von Koopera-
tion zwischen Forschung, Entwicklung und Wirtschaft
usw. zu fördern. Neben die Investitionsförderung tritt al-
so – das ist wichtig und wird im Jahreswirtschaftsbericht
klar hervorgehoben – mehr und mehr die Förderung von
Innovation, die Förderung der Kooperation von Wirt-
schaft und Forschung sowie die Förderung von regiona-
len Bündnissen.

Solche Neuorientierungen erfordern natürlich politi-
schen Mut – besonders den, sich vom Althergebrachten
zu verabschieden. Dieser Mut ist in unseren Strukturre-
formprogrammen für die neuen Bundesländer ganz ein-
deutig vorhanden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Übrigens sind solche Neuorientierungen auch not-

wendig, weil zehn Jahre nach Herstellung der deutschen
Einheit auf die Tatsachen reagiert werden muss, dass die

Arbeitslosigkeit im Osten nach wie vor signifikant höher
ist als im Westen, dass die wirtschaftliche Leistungskraft
in den neuen Ländern immer noch bei nur ungefähr
60 Prozent des westlichen Vergleichswertes liegt und
dass es insbesondere im produzierenden Gewerbe und
im Dienstleistungsbereich erheblichen Nachholbedarf
gibt. Dieser Anpassungsprozess wird – machen wir uns
nichts vor! – noch Jahre dauern. Aber die Politik der
Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen – mani-
fest geworden im Jahreswirtschaftsbericht 2000 – mit
der politischen Umorientierung weg vom Gießkannen-
und Alimentationsprinzip hin zur Förderung und Moti-
vation der Selbstorganisationspotenziale und deren Ent-
wicklungsmöglichkeiten ist genau der richtige Weg; auf
ihm muss weitergegangen werden.


(Beifall bei der SPD)

Insofern gibt die Bundesregierung im Jahreswirt-

schaftsbericht – realistisch anstatt jubelnd eingefärbt –
nicht nur den Istzustand wieder, sondern auch die künf-
tigen Leitlinien für einen wirtschaftlichen und arbeits-
marktpolitischen Erfolg auch und gerade in Ostdeutsch-
land vor. Als ostdeutscher Abgeordneter kann ich dem
nur zustimmen und sagen: Wir werden von unserer Seite
natürlich alles tun, um die Bundesregierung auf diesem
Weg zu begleiten und zu unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408702300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hansjürgen Doss.


Dr. Hansjürgen Doss (CDU):
Rede ID: ID1408702400
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kol-
legen! „Arbeitsplätze schaffen – Zukunftsfähigkeit ge-
winnen“ lautet der hochtrabende Untertitel des Jahres-
wirtschaftsberichts. Er ist übrigens der zweite, der vom
Bundesfinanzminister vorgelegt wird. Das ist durchaus
bemerkenswert. Zwei Kollegen – Rainer Brüderle und
Dagmar Wöhrl – haben das in der Debatte schon ange-
sprochen. Ein Wirtschaftsbericht gehört letztlich ins
Wirtschaftsministerium. Das ist doch das Wächteramt
der sozialen Marktwirtschaft.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Sollte man meinen!)

Dort sollte die Kraft der Argumente, der Ordnungspoli-
tik und des freiheitlichen Gedankenguts der sozialen
Marktwirtschaft angesiedelt sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])


Es ist bezeichnend, dass die SPD Wirtschaftspolitik zur
Finanzpolitik degradiert, also mit dem Geldbeutel
macht. Das bedeutet – so muss vermutet werden – keine
klare Konzeption, sondern die Steuerung über Staatsfi-
nanzen.

Aber zurück zum Titel des Jahreswirtschaftsberichts:
große Worte, schwache Taten. Mit Rot-Grün wird es –
so müssen wir befürchten – keine neuen Arbeitsplätze

Dr. Mathias Schubert






(A)



(B)



(C)



(D)


geben. Sie reden darüber, aber schaffen werden Sie kei-
ne.

Im Übrigen werden in erster Linie die Mittelständler
Arbeitsplätze schaffen. Das machen sie darüber hinaus
völlig alleine, wenn man ihnen die richtigen Rahmenbe-
dingungen gibt. Diese richtigen Rahmenbedingungen
sind gefragt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sagen Sie doch einmal etwas zu Ihrer Bilanz aus 16 Jahren!)


– Ich komme noch darauf. Ich weiß, Sie sind ungedul-
dig, wenn Sie meine Ausführungen hören, weil Sie ein-
fach dazulernen wollen. Das kann ich gut verstehen.

Ihre Politik belastet den Mittelstand, hindert die Un-
ternehmer an der freien Entwicklung, will nach wie vor
die Belastbarkeit der Wirtschaft testen und nutzt besten-
falls angeschlagenen Baukonzernen, denen Sie großzü-
gige Staatsgarantien geben und Zuschüsse spendieren,
während Sie die Investitionen beim Mittelstand und die
Mittelstandsförderung großzügig kürzen.

Also: Das augenblickliche Wirtschaftswachstum ist
zu gering. Dem Aufschwung mangelt es an Breite. Er
wird weitestgehend am beschäftigungsintensiven Mit-
telstand, an den kleinen und mittleren Unternehmen, am
Handel, am Handwerk und an den freien Berufen vor-
beigehen. Dort ist nach wie vor die große Flaute.

Für ein beschäftigungswirksames Wachstum ist es
dringend erforderlich, die Gesamtbelastung der kleinen
und mittleren Unternehmen deutlich zu reduzieren. Das
sagt nicht, wie man vermuten könnte, ein ewiger Nörg-
ler der Opposition. Das sagt der Zentralverband des
Deutschen Handwerks – er ist im Übrigen der größte
Arbeitgeber in Deutschland –


(Ernst Schwanhold [SPD]: Das Handwerk, nicht der Zentralverband!)


in seiner Presseerklärung vom 26. Januar 2000.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der Nörgelt auch immer an der falschen Stelle!)


Vielleicht sollten Sie auf die hören, die das tun, was wir
von ihnen erwarten, und nicht in Ihre eigenen ideologi-
schen Gedanken zurückverfallen, die uns nicht weiter-
führen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ernst Schwanhold [SPD]: Ist Herr Philipp eigentlich noch Ratsherr der CDU in Aachen?)


Der Aufschwung, den Sie laut reklamieren, ist stark
vom Export getragen. Wenigstens das sollte unstrittig
sein. Er steht nur auf einem Bein. Auf einem Bein zu
stehen ist immer eine wackelige Sache. Deswegen müss-
ten Sie eine andere Politik machen. Sie tun das genaue
Gegenteil.


(Beifall bei der CDU/CSU)

– Vielen Dank, liebe Kollegen. Ich sehe hohe Kompe-
tenz und Sachverstand. Wenn meine Ausführungen
nachvollzogen werden können, ist das der Fall.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Schauen wir uns einmal die Mittelstandsförderung im

Bundeshaushalt an: 1998 gab es insgesamt 1,3 Milliar-
den DM im Einzelplan des Bundeswirtschaftsministers.
2003 werden daraus 620 Millionen DM. Das ist eine
glatte Halbierung. Das muss man sich vor Augen führen.
Die Förderung von Unternehmensberatung wird im Zeit-
raum von 1998 bis 2000 von 44 Millionen DM auf
34 Millionen DM gekürzt. Das ist ein Viertel weniger.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist ja die Schwindsucht!)


Ich komme zu Forschung und Entwicklung. Sie re-
den immer davon, das sei die Zukunftsfähigkeit. Was
tun Sie? – Sie reduzieren von 896 Millionen DM auf
680 Millionen DM im Jahr 2003. Dann ist da noch Ihre
Steuerreform. Darüber wird morgen noch zu reden sein.
Sie ist zu spät, zu zaghaft und hat zu wenig Entlas-
tungswirkung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber Sie haben doch 16 Jahre gar nichts gemacht!)


Was ich ganz besonders toll finde – ich freue mich,
dass ich Ihre Aufmerksamkeit errege –, ist folgende Tat-
sache – das sollten Sie sich wirklich auf der Zunge zer-
gehen lassen –: 200 Milliarden DM mehr Steuereinnah-
men bis 2005,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Weil die Wirtschaft funktioniert!)


aber nur 43 Milliarden DM Steuerentlastung durch die
Reform. Wo ist da die Reform?


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: So ist es! Exakt! – Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist rot-grünes Raubrittertum!)


Uns Mittelständlern liegt besonders schwer im Ma-
gen: Die Steuerreform begünstigt die Körperschaften.
Die Unternehmen in Deutschland sind zu über 80 Pro-
zent – der Kollege von den Grünen, den das beschäftigt
hatte, ist nicht mehr da, – Personenunternehmen oder
Einzelkaufleute. Sie zahlen weiter die hohen Einkom-
mensteuersätze. Ihr Optionsmodell bringt da gar nichts.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir haben sie doch schon gesenkt! Sie haben überhaupt nichts verstanden!)


– Hören Sie doch einmal zu. Sie können doch gar nicht
zuhören, wenn Sie dauernd reden.

Der bereits zitierte ZDH sagt, es wird nur 1 Prozent
dieser Personengesellschaften für die Körperschaftsteuer
optieren. Sollte es aber so kommen, dass sie optieren,
dann bedeutet das, es gibt einen Umbau unserer Unter-
nehmenskultur: raus aus der Personengesellschaft, rein
in die Kapitalgesellschaft. Es ist eine qualitative Verän-
derung, die in Deutschland stattfindet.
Wenn nicht mehr der selbstverantwortliche, persönlich
haftende Unternehmer – er ist der SPD nach wie vor
suspekt –, sondern die anonyme Kapitalgesellschaft, am
besten noch unter Gewerkschaftskontrolle, zur Regel

Hansjürgen Doss






(A)



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(D)


wird, wie es Ihnen lieber ist, dann ist das eine qualitative
Veränderung in Deutschland.

Was wir brauchen, ist mehr Mut in der Steuerreform,
auch in der Debatte morgen. In der Länderkammer wer-
den, so denke ich, die nötigen Korrekturen erfolgen.
Deswegen nur noch ein paar Bemerkungen zur Öko-
steuer. Diese Steuer soll – das ist bereits angesprochen
worden – bis zum Jahr 2003 rund 38 Milliarden DM
einbringen. Die Beitragszahler werden aber nur mit
20 Milliarden DM entlastet. – Dagmar Wöhrl hat das be-
reits erwähnt, aber wichtige Dinge muss man immer
wieder sagen. –


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dadurch werden sie auch nicht richtig!)


Die restlichen 18 Milliarden DM steckt der Bundesfi-
nanzminister ein.

Die Entlastung beim Rentenbeitrag beträgt für den
Durchschnittsverdiener 25 DM im Monat, während die
Belastung durch die Ökosteuer für einen Durchschnitts-
haushalt 85 DM ausmacht. Eine achtköpfige Familie aus
Heidelberg wird deshalb gegen dieses Gesetz klagen.
Der Bundesverband des Groß- und Außenhandels über-
legt sich eine Verfassungsklage, ebenso das Güterkraft-
verkehrsgewerbe – und das aus gutem Grund: Die Re-
gierung bricht nicht nur ihr Versprechen, diese Steuer
voll zur Senkung der Beiträge einzusetzen, dieses Ge-
setz verstößt auch eklatant gegen den Gleichheitsgrund-
satz des Art. 3 Grundgesetz. Zu diesem Sachverhalt lie-
gen bereits Gutachten von Rechtswissenschaftlern vor.
Auch der von mir in dieser Frage angesprochene Wis-
senschaftliche Dienst des Bundestages hat in seiner
Antwort eine Fülle verfassungsrechtlicher Zweifel fest-
gestellt.

Meine Damen, meine Herren, einige Schlaglichter:
Das produzierende Gewerbe wird ohne sachlichen
Grund gegenüber anderen Branchen bevorzugt. Es be-
zahlt nur rund 20 Prozent des Regelsteuersatzes. So ist
der Strom für die Säge im Sägewerk privilegiert, wäh-
rend der gleiche Strom für die gleiche Säge im Holz-
großhandelsbetrieb mit dem vollen Steuersatz belastet
wird. Der Strom in der Brotfabrik ist privilegiert, wäh-
rend der gleiche Strom für den gleichen Backofen beim
Bäckermeister mit dem vollen Steuersatz belastet wird.
Man muss einmal versuchen, das jemandem zu erklären!

Neben dem gebrochenen Versprechen der Verwen-
dung der Erträge für die Senkung der Rentenbeiträge
und neben den verfassungsrechtlichen Problemen ist die
Ökosteuer drittens auch noch ökonomisch eine schwere
Last für die Betriebe. Beispiel Güterkraftverkehr: Schon
die erste Stufe brachte für einen durchschnittlichen
LKW Mehrkosten von 2 800 DM, während der Renten-
beitrag des Fahrers nur um 280 DM gesenkt wurde. Die
Entlastung beträgt also nur 10 Prozent der Belastung.
Diese Art von Politik führt nicht, wie im Jahreswirt-
schaftsbericht angekündigt, zu neuen Arbeitsplätzen,
höchstens zur Schwarzarbeit: In der relativ kurzen Zeit
Ihrer Verantwortung ist in diesem Bereich eine Steige-
rungsrate von 6,8 Prozent festzustellen. Der entgangene
Jahresumsatz ist von 548 Milliarden DM – Sie haben
das angesprochen, Herr Schwanhold – auf 640 Mil-

liarden DM angestiegen. Das sind rund 16 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes. Das sollte uns große Sorge ma-
chen.

Durch die zweite Stufe dieser Ökosteuer wird die Be-
lastung des angeführten LKWs bis 2003 auf mehr als
11 000 DM pro Jahr steigen – und das angesichts des
harten internationalen Wettbewerbs und eines offenen
europäischen Verkehrsmarktes. So wird die Ökosteuer
nicht nur zur Wachstumsbremse, sondern auch zum
Jobkiller.


(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

Deswegen sollten wir einen Rat von den Amerika-

nern annehmen. Die sagen nämlich: Die beste Wirt-
schafts- und Mittelstandspolitik ist, wenn du, Staat, von
meinem Rücken gehst und deine Hand aus meiner Ta-
sche nimmst.


(Ernst Schwanhold [SPD]: Deswegen haben die auch keine mittelständische Wirtschaft!)


Ich empfehle dieser Bundesregierung: Gehen Sie uns
Mittelständlern vom Rücken und nehmen Sie beide
Hände aus unseren Taschen. Dann wird ein Schuh da-
raus, dann wird sich ein Aufschwung einstellen und
dann bekommen wir auch wieder mehr Arbeitsplätze.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408702500
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Nina Hauer.


Nina Hauer (SPD):
Rede ID: ID1408702600
Frau Präsidentin! Verehrte Da-
men und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht dokumen-
tiert, was überall zu spüren ist: Wir haben in Deutsch-
land mehr Beschäftigung und mehr wirtschaftliches
Wachstum. Grund dafür ist mit Sicherheit die erfolgrei-
che Politik dieser Bundesregierung:


(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Ab jetzt wird es zur Büttenrede!)


das Zukunftsprogramm, die steuerlichen Entlastungen
und die aktive Beschäftigungspolitik, die insbesondere
für die junge Generation eine Perspektive bietet.

Wir haben aber auch ein neues wirtschaftliches
Klima in Deutschland.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist wohl wahr!)

Das liegt daran, dass wir nicht nur den Mut hatten, Ver-
änderungen vorzunehmen, sondern auch die Verände-
rung der Zukunft zu gestalten. „Wirtschaftspolitik unter
Reformdruck“ hat deshalb der Sachverständigenrat das
erste Kapitel seines Jahresgutachtens 1999/2000 über-
schrieben. Ich denke, wir können das als Bestätigung,
als Ratschlag und Wegweiser für die Zukunft nehmen.

Es gibt in Deutschland weniger Firmenpleiten und ei-
ne richtige Gründerwelle von neuen, jungen Unterneh-
men, die als Botschafter eines Strukturwandels auftreten
und die Dienstleistungsgesellschaft zu einer Wachs-
tumsgesellschaft machen. Das bedeutet auch mehr Be-

Hansjürgen Doss






(A)



(B)



(C)



(D)


schäftigung. Zwar ist es richtig zu sagen, dass Rationali-
sierungsfortschritte Arbeitsplätze kosten können. In der
Dienstleistungsgesellschaft aber wird das nicht mehr in
dem bisher gekannten Maß der Fall sein. Deswegen
schauen wir auf eine Entwicklung, die uns mehr Be-
schäftigung bringen und das wirtschaftliche Wachstum
unterstützten wird.

Die jungen Unternehmen in Deutschland treten im in-
ternationalen Wettbewerb an. Sie verkaufen Dienstleis-
tungen, sie transportieren Informationen, auch im Inter-
net, und durchbrechen damit Monopolstrukturen. Sie
brauchen Freiräume für ihre ökonomische Entwicklung
und sie brauchen einen staatlichen Partner, der mit Bera-
tung und Risikokapital zur Verfügung steht. Die Bun-
desregierung hat mit ihren Programmen und den Trägern
dieser Programme einiges geleistet.


(Beifall bei der SPD)

Diese jungen Unternehmen werden auch von unserer

Steuerreform profitieren. Sie gehören zu denjenigen,
die von der Senkung der Einkommensteuer profitieren,
und sie gehören zu denjenigen, die davon profitieren
werden, dass mit dieser Steuerreform die Bildung von
Eigenkapital in Deutschland unterstützt wird. Mehr Ei-
genkapital und mehr Risikokapital in Deutschland heißt
aber auch, die Weichen für den Finanzplatz Deutschland
neu zu stellen.

Dabei ist das, was wir in den letzten Wochen im
Übernahmekampf von Mannesmann zu Vodafone erlebt
haben, mehr als ein unternehmerischer Krimi. Es ist
auch ein Wegweiser dafür, dass sich Strukturen verän-
dern und wir auf einer gemeinsamen europäischen
Grundlage darüber nachdenken müssen, was bei uns in
Deutschland nötig ist. Nötig ist auf jeden Fall, dass wir
die Rechte unserer Aktionäre stärken. Nötig ist, dass wir
zu einem anderen Umgang mit Beteiligungen an Unter-
nehmen finden. Übernahmen bieten Chancen für Unter-
nehmen, aber auch für mehr Beschäftigung.

Selbstbewusste Aktionäre – das lehrt uns Amerika –
können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein, die
in wirtschaftspolitischen Entscheidungen mitreden. Dass
sich ein amerikanischer Gewerkschaftspensionsfonds in
die Übernahme einmischt und Mannesmann Tipps gibt,
was der beste Weg sein kann, wäre in Deutschland un-
denkbar. Es wäre nicht falsch, wenn wir uns auf die Fra-
ge konzentrierten, wie auch wir dahin kommen.

In diesem Zusammenhang muss ich ehrlich sagen:
Ich verstehe den bayerischen Konservatismus nicht, der
sich gegen die Steuerfreiheit von Gewinnen aus Beteili-
gungsveräußerungen richtet.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Sie müssen die Texte genauer lesen!)


Sie müssen natürlich beachten, dass das Kapital, das in
Deutschland bei den Banken konzentriert ist, ein Mo-
ment ist, das mögliche neue ökonomische Entwicklun-
gen im Dienstleistungsbereich und in anderen beschäfti-
gungswirksamen Bereichen verhindert.

Die hohe Kapitalkonzentration bei den Banken war
eines der Probleme, die wir bei Holzmann kennen ge-
lernt haben. Die Beweglichkeit von Beteiligungskapital
wird durch Steuerbelastung unnötig eingeschränkt.
Deswegen ist es richtig zu sagen, wir stellen diesen Be-
reich steuerfrei. Das ist nicht nur steuersystematisch und
steuerpolitisch richtig, sondern auch aus unternehmens-
politischen und damit auch beschäftigungspolitischen
Gründen richtig.


(Beifall bei der SPD)

Es gibt ökonomische Veränderungen, die in ganz Eu-

ropa bekannt sind. Es wurde Zeit, dass es in Deutschland
eine Regierung gibt, die den Mut hat, auch hier die Wei-
chen für die Zukunft zu stellen. Das gilt auch für die
mittelständischen Unternehmen. Unser Mittelstand ist
zunehmend darauf angewiesen, auch innerhalb von Eu-
ropa und gegen europäische Anbieter auf unserem Markt
konkurrenzfähig zu sein. Und er ist natürlich auch daran
interessiert, im eigenen Bereich konkurrenzfähig zu
sein. Da will man weniger Steuern zahlen und auch we-
niger Bürokratie haben. In beide Richtungen geht die
Bundesregierung mit ihrer Steuerreform. Sie wissen
ganz genau, auch wenn Sie immer das Gegenteil be-
haupten – der DIHT bestätigt es heute noch einmal offi-
ziell –, dass der Mittelstand einer der Hauptprofiteure
unserer Steuerreform sein wird.


(Beifall bei der SPD)

Die mittelständischen Unternehmen profitieren auch

von dem Abbau bürokratischer Vorschriften und sie pro-
fitieren auch vom Steuerentlastungsgesetz. Es gibt eini-
ge Dinge, die wir ihnen aus dem Kreuz genommen ha-
ben. Ich denke da zum Beispiel an die Auszahlung des
Kindergeldes. Das war eine Belastung für ein kleines
Unternehmen. Diese Belastung haben sie jetzt nicht
mehr.

In einem Klima, in dem sich Mut für die Zukunft
ausbreitet, Mut, neue Wege zu gehen, brauchen wir na-
türlich auch die Köpfe für die Zukunft. Insofern ist es
gut, dass im Jahreswirtschaftsbericht so großer Wert
darauf gelegt wird, einmal zu schildern, wie die Investi-
tionen in diese Köpfe ablaufen, wie Qualifikationen in
den Branchen – gerade im Informationsbereich und in
der Kommunikationstechnologie – gefördert werden,
wie Ausbildungsgänge überarbeitet werden, wie über-
dacht wird, welche Qualifikation, welche Ausbildung
für die Zukunft notwendig ist, wie Qualifikationen im
Wettbewerb mit anderen Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern geleistet werden.

Dazu zählt natürlich auch die unbürokratischere und
schnellere Zulassung von neuen Berufen. Wir haben Be-
schäftigte in kleinen Computerunternehmen, bei denen
keiner weiß, welche Ausbildung sie eigentlich benöti-
gen, wenn sie da arbeiten wollen. Das sind keine Indus-
triekaufleute, das sind aber auch noch keine Informati-
ker. Da gibt es viele Möglichkeiten für Beschäftigung,
da sitzen junge Leute, aber auch ältere Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer, die eine Bezeichnung für ihren
Beruf haben wollen, die dafür eine Ausbildung haben
wollen.

Nina Hauer






(A)



(B)



(C)



(D)


Auf diesem Gebiet hat die Bundesregierung Steine
aus dem Weg geräumt, die verhinderten, dass diese Be-
rufe schneller anerkannt worden sind. Sie wird weiter
Steine aus dem Weg räumen, damit man in diesen Be-
reichen ohne komplizierte, jahrelange Verfahren, son-
dern mit einem guten Konzept in ein oder zwei Jahren
ausbilden kann.


(Beifall bei der SPD)

Es wurde aber auch einiges für die Umsetzung von

neuen Produkten und neuen Ideen geleistet. Es sind
die großen Unternehmen, aber auch die mittelständi-
schen Unternehmen, die in der Kooperation zwischen
Wissenschaft, ihrem eigenen Bereich und Forschung
neue Produkte und neue Dienstleistungen, neue Angebo-
te erfinden. Sie zu unterstützen – ohne ihnen bü-
rokratisch im Wege zu stehen –, und zwar nicht nur in
finanzieller Hinsicht, sondern auch überall dort, wo Mo-
deration und Vermittlung zu leisten sind, war das Ziel
der Bundesregierung. Im Jahreswirtschaftsbericht kön-
nen wir nun lesen, dass sie dieses Ziel auch erreicht hat.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Investitionen in die Köpfe

heißt natürlich auch, dass wir unsere Arbeitsmarktpolitik
an dem orientieren, was nötig ist. Es nützt nichts, da-
rüber zu jammern, dass irgendeine Entwicklung in ei-
nem bestimmten Bereich, in einer Branche dazu führen
wird, dass durch Rationalisierung oder andere Dinge
Arbeitsplätze verloren gehen. Wir werden das nicht auf-
halten können und verbieten können wir es auch nicht.
Was wir machen können, ist, den Menschen die Unter-
stützung zu geben, sich für neue Aufgaben zu befähigen,
in neuen Bereichen Fuß zu fassen und einen neuen Ar-
beitsplatz zu finden. Das verstehen wir unter aktiver Ar-
beitsmarktpolitik: dass ein Staat auch als ein aktivieren-
der Staat auftritt. Ich denke, dass das der richtige Weg
ist, um auch diejenigen, die nicht zu den Gewinnern ei-
ner neuen ökonomischen Entwicklung und neuer Struk-
turen gehören, daran teilhaben zu lassen.

Meine Damen und Herren, im Jahreswirtschaftsbe-
richt 2000 ist zu lesen, was wir nicht erst seit einer Wo-
che, sondern schon länger auch in allen Zeitungen lesen
können und auch überall spüren: Wir haben in Deutsch-
land mehr wirtschaftliches Wachstum, wir haben mehr
Beschäftigung. – Es ist klar: Die rot-grüne Koalition
gestaltet die Zukunft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408702700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Michelbach.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1408702800
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Aus dem
Jahreswirtschaftsbericht 2000 ergibt sich für uns die
vordringliche Aufgabe, eine langfristige und nachhaltige
Sicherung des sozialen, ökonomischen und ökologi-
schen Wohlstandes für uns alle zu entwickeln. Dabei ist

die Euphorie der Bundesregierung, die wir heute gehört
haben, nach meiner Ansicht völlig fehl am Platze.


(Joachim Poß [SPD]: Nur Optimismus! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ihre Kassandrarufe sind völlig deplatziert!)


Aus der zutreffenden Diagnose des Sachverständigenrats
ziehen Sie immer wieder falsche Schlussfolgerungen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ihre Kassandrarufe sind völlig unnötig!)


Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Illusio-
nen, falsche Versprechungen und Weichenstellungen
haben das letzte Jahr zu einem verlorenen Jahr für die
Wirtschaft gemacht


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

und haben die Nettoumsatzrentabilität der mittelständi-
schen Betriebe sinken lassen.

Herr Müller, ich kann nicht nachvollziehen, wie Sie
feststellen können, dass die rot-grüne Politik bei der
mittelständischen Wirtschaft an Sympathie gewinnt.
Ich kann Ihnen nur sagen: Eine Umfrage zeigt,
90 Prozent von 2 500 mittelständischen Betrieben halten
die derzeitige Politik für mittelstandsfeindlich. Sie sind
der Auffassung, die gesamtwirtschaftliche Erholung
schlage sich nicht in der mittelständischen Wirtschaft
nieder. Insbesondere die Mittelstandsfeindlichkeit der
rot-grünen Wirtschafts- und Steuerpolitik verhindert
auch mehr Wirtschaftsdynamik. Zwar beschleunigt sich
das Tempo der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, vor
allem im Lichte der weltwirtschaftlichen Rahmenbedin-
gungen, aber 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum ist keine
Richtgröße, die zum Jubeln Anlass gibt. Bei richtiger
Weichenstellung zugunsten einer mittelstandsfreundli-
chen Politik ist angesichts der weltwirtschaftlichen
Rahmenbedingungen hier erheblich mehr möglich.

Nach dem selbst ernannten Weltökonomen Lafontai-
ne haben Sie sich, Herr Bundesfinanzminister Eichel,
nun das Image eines großen Modernisierers zugelegt. In
Wahrheit haben Sie eine neue und besser gestylte Tarn-
kappe aufgesetzt. Sie waren immer der Blockierer. Wir
wären erheblich weiter, wenn Sie nicht blockiert hätten,
insbesondere bezüglich der Arbeitsplätze und insbeson-
dere bezüglich der mittelständischen Wirtschaft. Heute
entwickeln Sie sich, Herr Eichel, vornehmlich zum Mit-
telstandsvernichter und zu jemandem, der die Wirtschaft
teilt. Ihre Politik der Ungleichbehandlung von Personen-
und Kapitalgesellschaften sowie der Tarifspreizung bei
der Körperschaft- und Einkommensteuer ist Steuerwill-
kür und Steuerungerechtigkeit. Das ist ein Mittelstands-
vernichtungsprogramm. Das muss ich Ihnen, Herr
Eichel, deutlich sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Rot-Grün hat keine ganzheitliche Konzeption für ei-
ne effiziente Wirtschafts- und Finanzpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nina Hauer






(A)



(B)



(C)



(D)


Statt einer langfristigen Sicherung durch eine effiziente
Renten- und Gesundheitsreform gibt es zweifelhafte
Subventionen von Lohnzusatzkosten durch die Ökosteu-
er. Damit wird die Steuer- und Abgabenquote insgesamt
nicht gesenkt, sondern erhöht. Das ist für die Kostenfak-
toren unserer Betriebe und für die Schaffung von Ar-
beitsplätzen letzten Endes wesentlich.

Statt der Regulierung und Flexibilisierung des Ar-
beitsmarktes gibt es eine zweifelhafte Rationierung von
Arbeit durch die Rente mit 60, durch die bürokratische
Regelung der 630-Mark-Jobs, durch die komplexe Rege-
lung zur Scheinselbstständigkeit und durch die Rück-
nahme von Reformen.

Statt kurzfristiger Steuerentlastung der Wirtschaft
gibt es Scheingewinnbesteuerung, Behinderung der In-
vestitionen durch hohe Gegenfinanzierungen und neue
AfA-Tabellen. Die Umsetzung der Steuerreform wird
auf das Jahr 2005 hinausgezögert. Bis 2005 werden
200 Milliarden DM mehr an Steuern eingenommen wer-
den. Trotzdem wollen Sie 43 Milliarden DM an Steuer-
entlastungen als den großen Wurf für die Wirtschaft in
Deutschland darstellen. Da sind Sie auf dem falschen
Weg!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Statt klarer Vereinbarungen über eine beschäftigungs-

orientierte, längerfristige Lohnpolitik erleben wir eine
zweifelhafte Show beim Bündnis für Arbeit, das ein
Nullsummenspiel für die Arbeitslosen ist.

Statt einer Begünstigung von Betriebsübernahmen
und Existenzgründungen gibt es mittelstandsfeindliche
Belastungen durch Erhöhung der Erbschaftsteuer sowie
Abschaffung des halben Steuersatzes bei Betriebsveräu-
ßerungen und Aufgaben von Personengesellschaften.

Statt einer wirklichen Modernisierung der Wirt-
schafts- und Finanzpolitik erleben wir – das müssen wir
sehr ernst nehmen – einen schädlichen Wertverfall des
Euro. Die Tatenlosigkeit der Bundesregierung beim
Wertverfall des Euro-Kurses muss uns mit größter Sorge
erfüllen. Der butterweiche Euro wird von Ihnen gerade-
zu begrüßt. Es ist eine Fehleinschätzung zu meinen, der
Verfall des Euro-Außenwertes würde letzten Endes die
Notwendigkeit zu Reformen in irgendeiner Weise ver-
mindern.

Der anhaltende Verfall des Euro führt zu einer Ver-
schlechterung des Preisklimas und zu steigenden Zinsen,
die wiederum die Investitionen verteuern. Das führt da-
zu, dass weniger Arbeitsplätze entstehen. Der Euro-
Raum wird für ausländische Anleger aufgrund der steti-
gen Entwertung der Währung unattraktiver. Wegen der
vorhandenen Unsicherheit und der Angst, dass sich die
Investitionen durch die Abwertung nicht rentieren,
wird grundsätzlich weniger investiert. Kapital fließt an
Deutschland vorbei. Die Situation ist so, weil in anderen
Ländern wesentlich höhere realwirtschaftliche Renditen
erzielt werden.

Ausländische Investoren meiden unseren Investiti-
onsstandort, weil keine stabilen, optimistischen Erwar-
tungen vorhanden sind. Die Folgen sind weniger Ar-
beitsplätze und Wohlstandsverluste. Der Markt lässt sich
auch von Ihrer Rhetorik, Herr Eichel, nicht überlisten.

Tatsache ist, dass wir inzwischen einen Wertverfall des
Euro haben. Das ist der Beweis, dass Sie eine falsche
Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben.

Außerdem besteht das Risiko, dass vor dem Hinter-
grund negativer Preissignale durch die Verteuerung der
Importe von den Gewerkschaften hohe Lohnforderungen
gestellt werden, die sich beschäftigungsfeindlich aus-
wirken können. Dies wird schwerwiegende Folgen für
die Wirtschafts- und Finanzpolitik haben – ich hoffe,
dass Sie dies ernster nehmen –: Liquiditätsprobleme in
den Betrieben, Insolvenzen und – für eine große Zahl
der Arbeitnehmer – Arbeitsplatzverluste.

Ein schwacher Euro-Kurs ist letzten Endes Ausdruck
dieser Entwicklung. So kann man unsere Wirtschaft
nicht erneuern. Es genügt nicht, immer nur von Moder-
nisierung zu sprechen. Ihre Gesetze sprechen gegen
Modernisierung. Lassen Sie Ihren Worten endlich Taten
folgen und modernisieren Sie unsere Wirtschafts- und
Finanzpolitik in der Weise, dass durch eine Steuerre-
form wirklich Nettoentlastungen von 50 Milliarden DM
bis zum Jahr 2001 herbeigeführt werden.

Die Vorschläge der CDU/CSU liegen auf dem Tisch.
Wir stehen für eine Steuerreform, die alle, Arbeitnehmer
und Arbeitgeber, entlastet, damit Nachfrage schafft, In-
vestitionen fördert und uns in Deutschland insgesamt
weiterbringt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408702900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Fritz Schösser.


Fritz Schösser (SPD):
Rede ID: ID1408703000
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Mi-
chelbach, wenn Sie Ihre Rede zum Jahreswirtschaftsbe-
richt 1998 gehalten hätten, dann hätten Sie sogar Ap-
plaus von mir bekommen. Zum Jahreswirtschaftsbericht
2000 ist sie leider nicht mehr sehr angebracht. Ich will
ein paar Äußerungen zitieren, die aus Ihren Reihen zum
Jahreswirtschaftsbericht 1998 gemacht worden sind:

Wenn Rot-Grün ans Ruder kommt, bekommen wir
eine Regierung, die alles andere als wirtschafts-
freundlich ist.

Heute fordert Stihl den Rücktritt von Koch und die
Wirtschaft lobt die Unternehmensteuerreform – Recht
hat sie damit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weiter wurde damals in der Debatte – vollmundig; mit
diesem Wort beginnt auch das Zitat – gesagt:

Vollmundig will jetzt die SPD im Rahmen ihrer
Steuerreform eine Durchschnittsfamilie mit zwei
Kindern um rund 2 500 DM pro Jahr entlasten.
Dies ist reine Augenauswischerei.

Wir haben nicht nur unser Versprechen gehalten;
vielmehr haben wir es übererfüllt. Wir haben Sie und Ih-
re Demagogie Lügen gestraft. Wir haben nachgeholt,

Hans Michelbach






(A)



(B)



(C)



(D)


was Sie in diesem Hause eineinhalb Jahrzehnte versäumt
haben.


(Beifall bei der SPD)

Im Vergleich zu 1998 ist eine vierköpfige Familie mit
einem durchschnittlichen Einkommen heute um rund
2 200 DM besser gestellt. Bis zum Jahr 2005 soll die
Entlastung auf mehr als 4 300 DM steigen. Im Übrigen
sage ich gerade Ihnen als Unternehmer, Herr Michel-
bach: Wir haben für Nachfrage gesorgt. Sie haben ein
Hotel und ein Kaufhaus. Wenn Familien mehr Kaufkraft
haben, klingelt doch bei Ihnen die Kasse. Warum be-
schweren Sie sich denn eigentlich jetzt hier an dieser
Stelle im Bundestag?


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, nach all den Skandalen

der letzten Wochen kann ich nur sagen: Es wäre nicht
auszudenken, wenn die heutige Opposition noch an der
Regierung wäre. Gott sei Dank haben wir eine andere
Bundesregierung. Diese Bundesregierung saniert endlich
konsequent den Staatshaushalt, statt auf Kosten der
Haushalte von Klein- und Mittelverdienern steuer- und
finanzpolitische Klientelpolitik zu betreiben und sich da-
für auch noch einen goldenen Handschlag geben zu las-
sen.

Diese Bundesregierung sucht in einem Bündnis für
Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit den wirt-
schafts-, sozial- und beschäftigungspolitischen Konsens,
statt den Wirtschaftsstandort Deutschland kaputtzureden
und Arbeitslose als Drückeberger zu diffamieren.


(Beifall bei der SPD)

Diese Bundesregierung fördert mit Investitionen in

Bildung, Forschung und Wissenschaft die Kreativität
und die Innovationsfähigkeit auch der Facharbeitnehmer
und der kleinen und mittleren Betriebe, statt bis zum
Sankt-Nimmerleins-Tag auf das Beschäftigungswunder
durch hoch subventionierte Großkonzerne zu warten, die
unter Ihrer Verantwortung über Jahre hinweg keine
Mark an Steuern bezahlt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Diese Bundesregierung hat mit dem Investitionspro-

gramm für den Ausbau der Schienenwege, der Bun-
desfernstraßen und der Bundeswasserstraßen in den
Jahren 1999 bis 2002 trotz Sparzwangs endlich einmal
eine verlässliche, mittelfristige Finanzplanung zum Er-
halt der Mobilität vorgelegt, anstatt mit dem – von der
Regierung Kohl geerbten – fahrlässig unterfinanzierten
Verkehrswegeplan weiter ein löcheriges Verkehrsnetz
zu häkeln. Sie haben viel versprochen, meine Damen
und Herren, aber in Fragen des Straßenbaus wenig
gehalten.


(Beifall bei der SPD)

Mit dem Jahreswirtschaftsbericht 2000 stellt die Bun-

desregierung nicht nur eine überaus vorsichtige Projek-
tion der wirtschaftlichen Entwicklung im laufenden Jahr
an, sondern legt über die wirtschafts-, sozial- und ar-
beitsmarktpolitischen Rahmensetzungen ihres ersten
Regierungsjahres Rechenschaft ab. Sie, meine Damen
und Herren von der heutigen Opposition, haben uns

schwere Altlasten hinterlassen, zum Beispiel eine unak-
zeptabel hohe Belastung des Faktors Arbeit durch Lohn-
nebenkosten, weil Sie die deutsch-deutsche Wiederver-
einigung zu einem guten Teil über die Arbeitslosen- und
Rentenversicherung finanziert haben. Allein der Beitrag
der Rentenversicherung stieg zwischen 1991 und 1998
um 2,6 Prozentpunkte, nämlich von einem Beitragssatz
von 17,7 Prozent auf 20,3 Prozent.

Frau Wöhrl, zu Ihren Einlassungen zum Flächenta-
rifvertrag kann ich nur sagen: Hören Sie sich einmal
um, was die mittelständischen Bauunternehmer in der
bayerischen Bauwirtschaft zum Flächentarifvertrag ge-
rade vor dem Hintergrund des Falls Holzmann sagen.
Sie klagen diesen Flächentarifvertrag ein. Sie wissen
nämlich, dass Lohn kein taugliches Mittel für den Wett-
bewerb ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Sie klagen Ungleichbehandlung und Wettbewerbsverzerrung an!)


Außerdem wird es nicht angehen, dass ich mich als
DGB-Vorsitzender von Bayern mit dem bayerischen
Ministerpräsidenten auf die Tariftreue im Bausektor im
Rahmen des Beschäftigungspaktes verständige und Sie
hier Lohndumping betreiben. Da sollte die CSU endlich
einmal zu einer einheitlichen Linie finden.


(Beifall bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Alles Heuchelei!)


Ihre so genannten Reformen in der Arbeitslosen-,
Renten- und Krankenversicherung hatten weder für
die Beitragszahler noch für die Leistungsempfänger
Vorteile, sondern nur Leistungskürzungen bei gleich
bleibend hohen Lasten für die Versicherten zur Folge.
Ihr Steuer- und Finanzchaos – ohne irgendeine beschäf-
tigungspolitische Zielsetzung – hat Großkonzernen beim
Steuersparen geholfen. Damit aber noch nicht genug:
Sie haben diese Konzerne auch noch mit Subventionen
belohnt. Den kleinen und mittleren Unternehmen und
den privaten Haushalten haben Sie aber immer stärker in
die Tasche gegriffen und so dauerhaft eine tragfähige
Binnenkonjunktur unterminiert.

Wenn Teile des Mittelstandes nun beklagen, dass sie
in einer schwierigen Situation sind und durchaus große
Hoffnungen in die rot-grüne Koalition setzen, so frage
ich mich immer, wer eigentlich die hohen Belastungen
für den Mittelstand verursacht hat, die wir heute bekla-
gen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Genauso ist es!)


Ganz ohne Scheinheiligkeit können Sie das Steuerkon-
zept der Bundesregierung im Augenblick nicht kritisie-
ren. Das traurige Ergebnis Ihrer Politik waren zuletzt
4,3 Millionen Arbeitslose, immer mehr Jugendliche oh-
ne Berufsperspektive und immer mehr Menschen, denen
nach Verlust ihres Arbeitsplatzes – im Übrigen schon ab
Mitte des vierten Lebensjahrzehntes – kaum eine Rück-
kehr ins Arbeitsleben gelang.

Die neue Bundesregierung hat nicht nur ein schlüssi-
ges Steuerkonzept auf den Weg gebracht. Sie hat da-

Fritz Schösser






(A)



(B)



(C)



(D)


rüber hinaus in der Arbeitsmarktpolitik Sofortmaßnah-
men ergriffen: Die Mittel für Maßnahmen der aktiven
Arbeitsmarktpolitik wurden deutlich erhöht und das
Arbeitsmarktförderungsinstrumentarium stärker auf die
Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit hin ausgerich-
tet. Das ist richtig so.

Die Ausgaben für eine aktive Arbeitsmarktpolitik
wurden von 39 Milliarden DM im Jahre 1998 auf
46 Milliarden DM im Jahre 2000 erhöht. Damit machen
wir unser Versprechen wahr und finanzieren Arbeit statt
Arbeitslosigkeit. Das ist die einzige effiziente Möglich-
keit, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.


(Beifall bei der SPD)

Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit war

und ist uns so viel wert, dass wir nun im zweiten Jahr
mit Mitteln in Höhe von 2 Milliarden DM Jugendlichen
zu einem Ausbildungsplatz, einer Arbeitsstelle oder ei-
nem Trainingsprogramm verhelfen. Wir wollen den jun-
gen Menschen das Trauma eines gescheiterten Einstiegs
in das Erwerbsleben ersparen. Sie haben ihnen das über
viele Jahre hinweg nicht erspart.


(Beifall bei der SPD)

Das sind übrigens Investitionen in die Zukunft, die

den Menschen dienen. Wir schwingen nicht lediglich die
Globalisierungskeule und wir lassen die Menschen mit
ihren Problemen nicht alleine. Wir werden mit aller
Kraft und Entschlossenheit der nationalen Schande, der
Arbeitslosigkeit, zu Leibe rücken und den geerbten ar-
beitsmarktpolitischen Schlamassel Ihrer Regierungszeit
überwinden.

Die Bundesregierung hat es sich nicht leicht gemacht
und ein Paket geschnürt, das den gestiegenen Anforde-
rungen des globalen Wirtschaftens, der Belebung des
Binnenmarktes, der Nachhaltigkeit des Wachstums und
der sozialen Ausgewogenheit mit der Maßgabe des Ab-
baus der Arbeitslosigkeit entsprechen soll. Dieses Paket
enthält auch noch offene Fragen, Risiken und Maßnah-
men; dies will ich nicht verschweigen.

So besteht für mich im Hinblick auf die künftige fi-
nanzielle Ausstattung der Kommunen noch Handlungs-
bedarf. Denn wer sonst als die Kommunen ist in der La-
ge, wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Feinarbeit zu
leisten und eine möglichst ausgewogene Entwicklung
zwischen den verschiedenen Regionen Deutschlands zu
ermöglichen? Das Schaffen einer auf Dauer tragfähigen
finanziellen Grundlage für die kommunalen Haushalte
wird daher weiterhin auf der politischen Tagesordnung
der Regierungskoalition oberste Priorität haben.

Von besonderer Bedeutung wird es sein, die Mittel
für investive Maßnahmen des Bundes wieder zu erhö-
hen. Es ist bedauerlich, dass das Schuldendesaster der-
zeit nicht mehr Spielräume zulässt.

Lassen Sie mich zum Schluss einen Appell an die
Adresse der Wirtschaft richten: Die Regierungskoaliti-
on gibt ihr einen riesigen Vertrauensvorschuss. Wir alle
können nun mit Recht erwarten, dass sie ihren eigenen
Beschwörungen der segensreichen Wirkungen eines
Rückgangs der Staatsquote Glauben schenkt und dies

mit einem gehörigen Zuwachs der eigenen Investitions-
und Geschäftstätigkeit mehr als nur wettmacht. Ich war-
ne die Wirtschaft davor, ihre Glaubwürdigkeit endgültig
aufs Spiel zu setzen, indem sie ihrer gesellschaftlichen
Verantwortung trotz hervorragender Rahmenbedingun-
gen nicht nachkommt.

Ich habe aber größte Bedenken dahin gehend, dass
die deutschen Großkonzerne, Versicherungen und
Großbanken das Geschenk der Bundesregierung, näm-
lich den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen steu-
erfrei zu belassen, auch nur im Ansatz zu würdigen wis-
sen. Ich höre bisher leider keine Silbe von den Häuptlin-
gen der Wirtschaftsverbände, welche Anstrengungen sie
zum Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland leisten
wollen. Ich kann nur sagen: Es ist schön, dass die Un-
ternehmensverbände jetzt die Bundesregierung für ihr
Unternehmensteuerkonzept loben.

Wie hat Herbert Wehner gesagt: Ihr Lob kann uns
nicht treffen. – Wir wollen jetzt Taten sehen. Sie sind
am Zuge, und zwar schnell. Dies sollte vor allem im
Rahmen des Bündnisses für Arbeit erfolgen. Meine Kol-
leginnen und Kollegen von der Opposition, ich sehe das
ein wenig anders als Sie: Das Bündnis für Arbeit ist da-
rauf ausgerichtet, dass Politik, Gewerkschaften und Ar-
beitgeber zu einem vernünftigen beschäftigungspoliti-
schen Konsens kommen. Ich kann die Bundesregierung
nur ermuntern, auf diesem Weg weiterzumachen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408703100
Ich schließe
damit die Aussprache.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie zu dem Bericht der Bundesregierung zum
Zwölften Hauptgutachten der Monopolkommission
1996/1997. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der
Unterrichtung durch die Bundesregierung, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung des Ausschusses? – Gegenstimmen?
– Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses mit Ausnahme der F.D.P., die da-
gegen gestimmt hat, angenommen worden.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/2611 und 14/2223 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der
Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Druck-
sache 14/2721 soll an dieselben Ausschüsse wie der Jah-
reswirtschaftsbericht auf Drucksache 14/2611 überwie-
sen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Weiterhin wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/2707 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie und zur
Mitberatung an den Finanzausschuss, den Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und
den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union zu überweisen. Gibt es anderweitige Vor-

Fritz Schösser






(A)



(B)



(C)



(D)


schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 a bis 3 f so-
wie den Zusatzpunkt 3 auf:
3. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des

Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen (15. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Annette
Faße, Ulrike Mehl, Dr. Hans Bartels, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Gila
Altmann (Aurich), Albert Schmidt (Hitz-
hofen), Angelika Beer, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Optimierung des Sicherheits- und Not-
fallkonzepts für Nord- und Ostsee

– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolf-
gang Börnsen (Bönstrup), Dirk
Fischer (Hamburg), Kurt-Dieter Grill,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU

Folgerung aus der Havarie der „Pallas“
vor Amrum

– Drucksachen 14/281, 14/160, 14/483 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Michael Goldmann
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten

Jürgen Koppelin, Ulrike Flach und der Frak-
tion der F.D.P.

Bericht der Unabhängigen Expertenkom-
mission „Havarie Pallas“ unverzüglich
vorzulegen

– Drucksache 14/2454 –
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten

Ulrike Flach, Birgit Homburger, Hildebrecht
Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.

Nordseeküste schützen, Küstenwache ein-
richten, international besser zusammenar-
beiten

– Drucksache 14/548 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-

heit
Ausschuss für Tourismus
d) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne-

ten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Ulrich
Adam, Dietrich Austermann, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Schaffung einer Deutschen Küstenwache
– Drucksachen 14/1229, 14/2430 –

e) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung

Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des
Küstenschutzes“ für den Zeitraum 1999 bis
2002

– Drucksache 14/1634 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie/Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-

heit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
f) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-

desregierung
Bericht der Bundesregierung über die

künftige Gestaltung der Gemeinschafts-
aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ (GAK);

hier: Rahmenplan 2000 bis 2003
– Drucksache 14/1652 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie/Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-

heit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten

Annette Faße, Ulrike Mehl, Anke Hartnagel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Gila Altmann,
Albert Schmidt (Hitzhofen), Dr. Reinhard
Loske, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sicherung der deutschen Nord- und Ost-
seeküste vor Schiffsunfällen

– Drucksache 14/2684 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-

heit
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Abgeordnete Faße.


Annette Faße (SPD):
Rede ID: ID1408703200
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Das „Sicherheitskonzept
Deutsche Küste“ der ehemaligen Bundesregierung weist
eine Reihe von Schwachstellen auf. Darauf haben die

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer






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(B)



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Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
seit Jahren deutlich hingewiesen. Die notwendigen Än-
derungen am Konzept wurden jedoch in der Zeit von
Kohl, Wissmann und Co. nicht als notwendig betrachtet.


(Beifall bei der SPD)

Ich zitiere aus der Antwort der alten Bundesregierung

auf eine Kleine Anfrage:
Die Bundesregierung bekräftigt ihre Auffassung,
dass die breite Palette der teilweise gemeinsam mit
den Küstenländern eingeleiteten Vorsorge- und Be-
kämpfungsmaßnahmen die Sicherheit und den
Schutz der maritimen Umwelt in der Deutschen
Bucht gewährleisten.

Jetzt frage ich mich: Sind die in den letzten Monaten
und im letzten Jahr vonseiten der CDU/CSU und
der F.D.P. vorgebrachten Anschuldigungen eigentlich
schlüssig? Ihre Anschuldigungen in den vergangenen
Monaten sind ein Bumerang. Er wird schneller wieder
bei Ihnen sein, als Sie es ahnen.

Unser Hauptkritikpunkt über die ganzen Jahre hinweg
war, dass das alte Konzept als Schwerpunkt die Be-
kämpfung der Folgen eines Schiffsunfalls und leider
nicht die Prävention hatte. Auf die Prävention war bis-
her nur zweitrangig gesetzt worden. Erfahrungen ande-
rer Nationen haben jedoch deutlich gemacht, dass der
Schwerpunkt eines Sicherheitskonzeptes auf der Ver-
hinderung von Havarien sowie auf dem zügigen und ef-
fektiven Eingreifen bei Schiffsunfällen liegen muss.

Die durch den Tanker „Erika“ ausgelöste Umwelt-
katastrophe vor der bretonischen Küste hat uns vor Au-
gen geführt, dass Schiffsunfälle und Havarien verhindert
werden müssen, bevor es zu Schäden durch Ladung und
Treibstoffe kommt. Darüber hinaus hat sie erneut ge-
zeigt, dass die Bekämpfung eines Schadstoffunfalls mit
den vorhandenen Einsatzkonzepten und -mitteln nur be-
grenzt möglich ist.

Konkreter Anlass für unsere Bemühungen um eine
Verbesserung des Sicherheits- und Notfallkonzeptes für
Nord- und Ostsee ist die Havarie des Holzfrachters
„Pallas“ vor Amrum im Oktober 1998. Diese Havarie
hat die von SPD und Grünen aufgezeichneten Schwach-
stellen bestätigt. Sie hat zudem gezeigt, dass national
und international Optimierungsbedarf bei der Prävention
von Schiffsunfällen, aber auch beim Unfallmanagement
besteht.

Die Bundesregierung hatte nach der „Pallas“-Havarie
umgehend mit einer lückenlosen Aufklärung und Analy-
se des Unfallhergangs begonnen. Kurzfristig wurden
Verbesserungen am bisherigen Notfallkonzept umge-
setzt. Es bleibt festzuhalten, dass der federführende
Bundesminister bereits bei Amtsantritt der rot-grünen
Regierung den Chartervertrag mit dem Hochseeschlep-
per „Oceanic“ – entgegen den Planungen der damals
abgewählten Regierung – verlängert hat. Weitere bereits
im Bericht des Bundesverkehrsministeriums vom
8. März 1999 genannte Maßnahmen sind inzwischen re-
alisiert. Dazu gehören die Überwachung und Überarbei-
tung der Alarmpläne, die Definition von Entscheidungs-

kriterien für den Notschleppereinsatz, die Bestimmung
der Vor-Ort-Einsatzleitung und die Ausrüstung der
Schiffe „Neuwerk“ und „Mellum“ mit hochfesten
Schlepptrossen. Die Realisierung weiterer Maßnahmen
ist bereits eingeleitet. Dazu gehören die vertragliche
Bindung zusätzlicher allwettertauglicher Hubschrauber,
die Bereitstellung zusätzlicher Mannschaften für Not-
schleppeinsätze und das Zusammenwirken mit den für
den verbesserten Katastropheneinsatz zuständigen Stel-
len der Länder.

Umgehend wurde auch mit den Arbeiten zum Ge-
setzentwurf zur Umsetzung des internationalen Überein-
kommens zur Haftungsbeschränkung für Seeforderun-
gen begonnen. Gleiches gilt für das internationale Ber-
gungsübereinkommen. Der Gesetzentwurf zu Haftungs-
fragen liegt inzwischen vor. Mit dem Referentenentwurf
zum Bergungsübereinkommen ist innerhalb kürzester
Zeit zu rechnen.

Diese Abkommen gibt es bereits, meine Damen und
Herren, nur leider gelten sie nicht in Deutschland. Das
heißt, internationale Haftungsabkommen sind immer
verändert worden, aber die alte Bundesregierung hat sie
schlicht und einfach nicht ratifiziert. Dies holen wir
nach.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dem 1996 in Kraft getretenen internationalen Ber-
gungsübereinkommen von 1989 ist die Bundesrepublik
tatsächlich nicht beigetreten. Die Übereinkommen hät-
ten die „Pallas“-Havarie sicherlich nicht verhindern, die
negativen ökologischen und ökonomischen Folgen auf
deutscher Seite aber wesentlich reduzieren können. Ich
möchte an die Summen erinnern: Wir hätten über
8 Millionen DM zurückbekommen können, aber wir be-
kommen nur eine Entschädigung von 3 Millionen DM.
Dieses Versäumnis haben allerdings nicht wir, sondern
andere zu verantworten.


(Zuruf von der F.D.P.: Sie hätten es doch längst machen können!)


Gleichzeitig tragen solche Übereinkommen natürlich
mit zur Prävention bei; denn sie haben eine abschre-
ckende Wirkung. Wenn es darum geht, den Transport
mit Schiffen sicherer zu machen, ist es sehr wichtig,
auch zu wissen, welche Strafe ansteht, wenn ein Un-
glück passiert.

Die durch die „Erika“ ausgelöste Umweltkatastrophe
macht deutlich, wie wichtig diese internationalen
Abkommen und eine europaweit effizientere Koor-
dinierung der Sicherheits- und Notfallmaßnahmen sind.
Besonders zu begrüßen ist deshalb die von Minister
Klimmt und seinem französischen Kollegen am
3. Februar in Saarbrücken auf den Weg gebrachte
„Gemeinsame deutsch-französische Initiative zur
Verbesserung der Sicherheit auf See“.


(Beifall bei der SPD)

Diese Initiative ist ein bedeutsamer Schritt, der neue
Wege für die Sicherheit des Seeverkehrs und der euro-
päischen Küsten aufzeigt.

Annette Faße






(A)



(B)



(C)



(D)


Deutschland und Frankreich werden sich durch aktive
Mitarbeit in der IMO und in der EU dafür einsetzen, die
Sicherheit nicht nur in der Tankschifffahrt, sondern für
alle Bereiche der Seeschifffahrt zu verbessern.

Maßgebliche Bausteine für das zukünftige Si-
cherheits- und Notfallkonzept sind vor allem durch die
Umsetzung der Empfehlungen der Unabhängigen Ex-
pertenkommission zu erwarten. Sie war kurz nach dem
Unfall der „Pallas“ mit dem Auftrag eingesetzt worden,
„unter Auswertung der Havarie der ‚Pallas‘ eine Bewer-
tung des bisherigen Notfallkonzeptes und dessen Wei-
terentwicklung für die Sicherung der deutschen Küsten
an Nord- und Ostsee vor den Folgen von Schiffsunfällen
zu erarbeiten, das sowohl Vorschläge für Optimierungen
im Bund/Küstenländerbereich als auch im internationa-
len Bereich enthalten“ soll. Es ist ausdrücklich zu be-
grüßen, dass der Abschlussbericht der Kommission seit
gestern und damit vor der Landtagswahl in Schleswig-
Holstein vorliegt. Damit wird den Vorwürfen der CDU
und der F.D.P., die Wahrheit solle erst nach der Land-
tagswahl ans Licht kommen, der Boden entzogen. Ihren
Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der F.D.P.,
können Sie also vergessen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn im Gegensatz zu einigen anderen politischen Ver-
tretern sind wir an einer vorbehaltlosen Aufklärung inte-
ressiert. Wir werden uns sehr wohl mit den entsprechen-
den Empfehlungen der Kommission auseinander setzen.
Durch die Arbeit dieser Kommission ohne Öffentlich-
keit und die absolute Verschwiegenheit ihrer Mitglieder
hat sie im Übrigen ihre Unabhängigkeit auf bemerkens-
werte Weise gewahrt. Auch uns hat es manchmal geär-
gert; so ist es ja nicht. Wenn ich das Ergebnis sehe, so
möchte ich mich an dieser Stelle herzlich für die zielori-
entierte, konstruktive Arbeit dieser Kommission bedan-
ken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Nach der ersten Durchsicht des gestern vorgelegten
Berichts habe ich festgestellt, dass der Auftrag des Mi-
nisteriums auf bemerkenswerte Weise erfüllt worden ist.
Einer Optimierung des Notfall- und Sicherheitskonzep-
tes steht auf der Basis der Grobecker-Empfehlungen
aus meiner Sicht inhaltlich nichts mehr im Wege. Im
Bereich der präventiven Maßnahmen ist für uns von
großer Bedeutung, dass BGS, Zoll, Fischereiaufsicht
und Wasser- und Schifffahrtsverwaltung – unter Beteili-
gung der Wasserschutzpolizeien der Länder – möglichst
eng zusammenarbeiten. Daher begrüßen wir die Emp-
fehlung der Expertenkommission, dass die mit Auf-
sichtsaufgaben betrauten, auf See tätigen Dienste des
Bundes zu einer Seewache mit einer gemeinsamen Flot-
te zusammengefasst werden. Sämtliche Fahrzeuge, so
der Vorschlag der Kommission, sollen mit gemischtem
Personal aus den beteiligten Behörden besetzt und da-
rüber hinaus einheitlich gekennzeichnet werden. Zur
Führung der Seewache empfiehlt die Expertenkommis-
sion die Bildung eines Havariekommandos. Dieses soll

die bisherigen Einrichtungen und Stellen ersetzen und
deren Aufgaben übernehmen.

Meine Damen und Herren, wir alle sind gefordert, die
Vorschläge, die in großer Zahl vorliegen, ernsthaft zu
prüfen. Wir alle sind gefordert, dann an die konsequente
Umsetzung zu gehen.

Die Verantwortlichen für das Unfallmanagement so-
wie alle Einsatzkräfte müssen umfassend ausgebildet
und trainiert werden. Nur so kann der flexible gemein-
same Einsatz der Kräfte sichergestellt werden.

Sowohl bei Notfällen als auch bei länger andauernden
Notschlepp- und Schadstoffbekämpfungseinsätzen müs-
sen zusätzliche Einsatzkräfte und -mittel eingesetzt
werden können. Dafür müssen die notwendigen Maß-
nahmen ergriffen werden. Wir wollen, dass die Einsatz-
kräfte mit bestmöglicher Ausrüstung für die Gefahren-
abwehr bei Schiffsunfällen versorgt werden. Dazu ge-
hört eine Ausrüstung, die sich natürlich auf die Schlepp-
kapazität genauso bezieht wie auf Feuerlösch- und
Schadstoffunfallbekämpfungsschiffe. Notwendig ist die
Bereithaltung von Schleppgeschirr und Einrichtungen an
Bord von Mehrzweckschiffen und Schleppern, die auch
unter ungünstigen technischen Voraussetzungen und
Witterungsbedingungen eine dauerhafte Schleppverbin-
dung herstellen können.

Ein Schwachpunkt sind Vorrichtungen an den Schif-
fen zur Herstellung einer Schleppverbindung im Notfall.
Das hat sich bei der Havarie der „Pallas“ eindeutig ge-
zeigt. Es ist schwierig, selbst kleinere Schiffe auf den
Haken zu nehmen, wenn kein Haken an Bord ist. Das
heißt, wir müssen dafür sorgen, dass überhaupt die not-
wendigen Einrichtungen auf den Schiffen vorhanden
sind. Dass dies nicht eine nationale, sondern eine inter-
nationale Aufgabe ist, ist klar. Darum halte ich es auch
für wichtig, dass wir hier nicht nur national und EU-
weit, sondern international denken. Gerade der Unfall
der „Erika“ hat gezeigt, dass wir international fragen
müssen: Warum wird schweres Heizöl auf Schiffen
transportiert, die dafür nicht die notwendige Sicherheit
bieten? Es darf nicht sein, dass bei einem Schiff entspre-
chende Klassifizierungen vorgenommen worden sind,
das fast auseinander gebrochen wäre, weil es durchge-
rostet war. Ich habe mit Leuten gesprochen, die vor Ort
gewesen sind.

Das Thema Hafenstaatkontrollen dürfen wir auch
nicht unter den Tisch fallen lassen. Auch hier gilt es, eu-
ropaweit und international konsequent zu arbeiten.

Ein weiterer wichtiger Punkt auch auf internationaler
Ebene ist die Sicherung der Ausbildung für Schiffsoffi-
ziere, aber auch für das gesamte Personal an Bord, ganz
besonders für Krisensituationen. Es ist unbestritten, dass
unzureichende Schiffsbesatzungen auf Seeschiffen, so-
wohl was deren Qualifikation als auch was deren Stärke
betrifft, ein weiteres Risiko bilden. Nach Meinung von
vielen Fachleuten hätten sich zahlreiche Unfälle in den
letzten Jahren mit besser ausgebildeten Besatzungen
vermeiden lassen. Dieser Punkt ist uns ganz besonders
wichtig. Es gilt natürlich auch, für eine konsequente
Umsetzung der schon geltenden Sicherheitsvorschriften

Annette Faße






(A)



(B)



(C)



(D)


bis hin zu Sanktionen bei Verstößen gegen die Flaggen-
staatpflichten zu sorgen.

Wir müssen uns auch darüber unterhalten, wie weit
die Übergangszeiten für Tanker noch gelten sollen. Es
ist zum Beispiel die große Frage, ob wir nicht hinsicht-
lich der Übergangsfrist von 25 Jahren für Einhüllentan-
ker eine Veränderung vornehmen müssen.

Internationale Übereinkommen zu Haftungs- und
Bergungsfragen bei Schiffsunfällen müssen ratifiziert
werden. Es besteht hier weiterhin dringender Hand-
lungsbedarf.

Die Koordination, auch innerhalb Europas, hapert.
Das sieht man deutlich an dem, was sich zwischen
Deutschland und Dänemark abgespielt hat. Es gilt, ein
besseres länderübergreifendes Frühwarnsystem zur
Meldung von Schiffsunfällen und eingeleiteten Maß-
nahmen aufzubauen.

Es gibt eine Vielfalt von Fragen und Problemen, mit
denen wir uns schon befassen oder auch in Zukunft aus-
einander setzen müssen. 30 Empfehlungen hat die Ex-
pertenkommission aufgelistet. Wir sind nun gefordert,
uns sachlich mit den Vorschlägen zu befassen. Lassen
Sie uns gemeinsam alles tun, um die Sicherheit in Nord-
und Ostsee zu erhöhen. Schadensvermeidung und Scha-
densbegrenzung werden eine Daueraufgabe bleiben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408703300
Das Wort hat
jetzt der Herr Kollege Austermann.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr gut!)



Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1408703400
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich bemüht,
die Tagesordnungspunkte zusammenzufassen und ein
gemeinsames Thema zu suchen, kommt man, glaube
ich, zu dem Ergebnis: Wie geht eine Regierung – egal,
wie sie gebildet wird, aber Sie erwarten sicher von uns,
dass wir danach fragen, wie es eine rot-grüne Regierung
tut, sowohl im Bund als auch im Land, zum Beispiel in
Schleswig-Holstein – mit der Natur, mit Tier- und
Pflanzenwelt um?


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! Und verantwortlich!)


Wie wird auf Katastrophenfälle reagiert? Wie werden
vorbereitende Maßnahmen getroffen, um Katastrophen
nach Möglichkeit zu vermeiden und um die Landschaft
und die Natur optimal zu schützen?

Wenn man sich dann die Berichte, die in den Aus-
schüssen erörtert worden sind, und Auswertungen dazu
anschaut und diesen die Fakten gegenüberstellt, insbe-
sondere die Fakten der letzten 15 Monate, kommt man
zu einer ziemlich klaren Bewertung.


(Ulrike Mehl [SPD]: In 15 Monaten ist mehr passiert als in 15 Jahren!)


– Ich habe ja gesagt, Frau Kollegin Mehl, dass ich so-
wohl die Regierung des Bundes als auch die Regierun-
gen der Länder anspreche.

Ich nenne das Thema Küstenschutz. Küstenschutz ist
ja auch Natur- und Landschaftsschutz. Die rot-grüne
Landesregierung in Schleswig-Holstein hat jahrelang
Bundesmittel, die für den Küstenschutz bereitstanden,
nicht in Anspruch genommen, weil das Land seine Er-
gänzungsmittel nicht bereitstellen konnte.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Aha! – Renate Blank [CDU/CSU]: Hört mal zu!)


Das waren für die letzten vier, fünf Jahre allein Bun-
desmittel in der Größenordnung von 32 Millionen DM.
Ergänzt um die Landesmittel sind weit mehr als
50 Millionen DM für den Küstenschutz nicht ausgege-
ben worden.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Leichtsinnig!)

Ich erinnere mich – der Kollege Carstensen wird da-

rauf noch eingehen –, dass wir uns einmal gemeinsam
bemüht haben, zusätzliche Mittel aus der Gemein-
schaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des
Küstenschutzes“ für Schleswig-Holstein und für den
Schutz von Sylt vor die Klammer zu ziehen und dass das
vom Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein,
Hans Wiesen – die Älteren werden sich noch an ihn er-
innern –, blockiert worden ist.

Das heißt, wir können Ernsthaftigkeit beim Küsten-
schutz und eigene Interessen des Landes nicht verzeich-
nen. In den letzten vier Jahren hätten dort über
50 Millionen DM mehr dafür ausgegeben werden kön-
nen. Wenn jetzt vor der Wahl die Erklärung kommt,
man werde in diesem Jahr zusätzliche Mittel für den
Küstenschutz bereitstellen, dann sage ich, dass auch da-
vor wieder der Finanzminister des Landes stünde –
wenn er denn im Amt bliebe, wovon ich nicht ausgehe –


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie werden es nicht, Herr Austermann!)


weil er sagte, er brauche eine globale Minderausgabe.
Ich komme zu dem zweiten Themenkomplex, der an-

zusprechen ist, nämlich zum Thema Agrarstruktur.
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-
zes“ heißt eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und
Ländern. Ich bedaure, dass der Finanzminister nicht
mehr da ist; aber der Bundeslandwirtschaftsminister ist
ja anwesend. Durch Entscheidungen im Haushalt für das
Jahr 2000 werden Mittel hin und her geschoben. Dabei
geht es um die Gasölbetriebsbeihilfe und um Sozial-
maßnahmen zugunsten der Landwirtschaft. Wir stellen
fest, dass im Haushalt dieses Jahres die Mittel für die
Landwirtschaft drastisch nach unten korrigiert worden
sind und mittelfristig weiter nach unten korrigiert wer-
den. Das soll jetzt in einer Notaktion wieder aufgefan-
gen werden, indem man einen Ausgleich für die Öko-
steuer in Höhe von 900 Millionen DM schafft.

Annette Faße






(A)



(B)



(C)



(D)


Aber schauen wir uns einmal an, welche Auswirkun-
gen das auf die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ hat, die ja
nicht nur für den Küstenschutz, sondern auch für die
Frage wichtig ist, wie wir mit den Flächenregionen um-
gehen und welche landwirtschaftlichen Strukturmaß-
nahmen in der breiten Fläche gefördert werden können.
Hier stelle ich fest, dass allein beim Bund die Mittel von
1,78 Milliarden DM auf 1,4 Milliarden DM herunterge-
fahren werden. Das hat Folgewirkungen auf die Situati-
on in den Bundesländern, denn sie werden entsprechend
kleinere Förderanteile erbringen. Die Agrarstruktur wird
also unter dieser Regierung schlechter behandelt als in
den Jahren vorher von den vorangegangenen Regierun-
gen.

Ein drittes Thema ist die Frage, wie ernst wir es mit
dem Küstenschutz nehmen, wenn man in den Ländern
und im Bund auf Notfallmaßnahmen reagieren muss.
Auch hier muss ich feststellen, dass es große Probleme
gibt. Ich erinnere mich an das Jahr 1994, als es darum
ging, eine gemeinsame Küstenwache von Bund und
Ländern zu schaffen. Damals sagte der Innenminister
des Landes Schleswig-Holstein, Zuständigkeiten trete er
nicht ab, der Bund möge seine Zuständigkeit koordinie-
ren, er könne aber nicht mit der Wasserschutzpolizei des
Landes rechnen, es gebe in diesem Bereich keine Zu-
sammenfassung der Aufgaben. Heute behauptet der
Umweltminister des Landes Schleswig-Holstein, der
noch wenige Tage im Amt sein wird, die CDU weigere
sich, eine Bündelung der Interessen des Küstenschutzes
mittels einer stärkeren, leistungsfähigen Küstenwache
vorzunehmen.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch so! Ihre Landtagsfraktion hat lange gebraucht!)


– Das ist doch lächerlich! Noch sind Sie an der Regie-
rung, Herr Müller. Sie hätten längst Maßnahmen ergrei-
fen können, um auf die Bundesregierung zuzugehen und
gemeinsam eine kraftvolle Küstenwache zu installieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Tun wir! – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das wollen sie ja nicht! Der Schily will es nicht, der Wienholtz will es nicht, niemand will es!)


Ich möchte den vierten Punkt ansprechen, der hier ei-
ne Rolle spielt. Frau Kollegin Faße, Sie haben es sich
sehr einfach gemacht, als Sie andeuteten, die „Pallas“-
Katastrophe sei eingetreten, weil wir seinerzeit eine
CDU-geführte Bundesregierung gehabt hätten. Derlei
Konsequenzen sind von Ihnen ganz schnell gezogen
worden. Schauen wir uns demgegenüber doch einmal
den zeitlichen Ablauf an.

Am 25. Oktober letzten Jahres, wenn ich mich nicht
irre


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Vorletzten Jahres!)


– vorletzten Jahres –, ging es im Verkehrsministerium
vor allen Dingen darum, dass die Abteilungsleiter alle
politisch richtig ausgerichtet wurden.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fachlich!)


Der Verkehrsminister hat so brutal wie kein anderer
vorher durch die Neubesetzung von Ämtern in die
Strukturen eingeschnitten. Das hatte zur Folge, dass in
jenen Tagen keine handlungsfähige Mannschaft da war,


(Lachen bei der SPD)

die seitens des Bundes hätte konkret reagieren können.
Das lag an der Umverteilung von Ämtern und Zustän-
digkeiten.

Auf der anderen Seite ist die Situation bei der Lan-
desregierung in Schleswig-Holstein zu betrachten. Sie
kennen den Kalender und wissen, wie sich das Unglück
abgespielt hat. Am 25. Oktober 1998 ist das Schiff in
Brand geraten. Schauen Sie sich an, wann die zuständige
Landesregierung, der zuständige Minister begonnen ha-
ben, Entscheidungen zu treffen. Am 25. Oktober 1998
ist das Unglück passiert. Am 10. November – jeder kann
leicht ausrechnen, wie viele Tage später das war – be-
schließt die Landesregierung die Einsetzung eines Lei-
tungsstabes. Das war 14 Tage später!
Am 11. November, nach Aufforderung durch die Minis-
terpräsidentin, findet sich der grüne Umweltminister
endlich bereit, mit dem Innenminister des Landes da-
rüber zu reden, welche Maßnahmen wohl die geeignet-
sten seien, die eingeleitet werden könnten.

Ich habe großen Respekt vor denen, die vor Ort ge-
handelt haben, die sich bemüht haben, das Schlimmste
zu verhindern, vor den Bergungsmannschaften und de-
nen, die betroffen waren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich habe weniger großen Respekt vor den vielen anderen
in den Verwaltungen – das meine ich jetzt nicht poli-
tisch –, die offensichtlich nicht auf solche Fälle
vorbereitet waren, die nicht wussten, wie groß die
Tankerkapazität eines Rettungsschiffes und wie groß die
Schlepperzugkraft sein müssen, auch nicht, welche
Ministerien sich abzustimmen haben.


(Klaus Wolfgang Müller NIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Wissmann!)


– Wenn Sie gerecht wären, würden Sie weiter herunter-
gehen auf den Bereich der Fachleute. Es kann doch nicht
Aufgabe eines Ministers


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Herr Wissmann!)


oder der Abgeordneten hier sein, sich darum zu küm-
mern, wie stark das Schleppseil eines Schiffes sein soll-
te.


(Kristin Heyne [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So hat Herr Wissmann das auch gesehen! Deshalb hat er sich auch nicht darum gekümmert!)


Ich glaube schon, dass die Verantwortung in den einzel-
nen Verwaltungen gesucht werden muss. Wenn es um

Dietrich Austermann






(A)



(B)



(C)



(D)


andere Dinge geht, meldet sich die Verwaltung auch tat-
kräftig zu Wort.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Wenn man sich die Bewertung der Grobecker-
Kommission ansieht – ich habe den Bericht gestern be-
kommen; ich weiß nicht, ob Sie ihn eher hatten – und
die gut 100 Seiten querliest, dann kommt man zu der
Empfehlung, die eigentlich dem entspricht, was wir seit
langer Zeit wollen.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben aber nichts getan!)


Wir haben eine Küstenwache eingerichtet, die Maß-
nahmen durch den BGS, den Zoll und die Fischereiauf-
sicht koordiniert, die aber nicht die Wasser-
schutzpolizei einbeziehen kann. Jetzt wird gefragt, ob es
möglich sei, die Kräfte zu bündeln, ohne dass das
Grundgesetz tangiert wird. Es muss also an der Verwei-
gerung der betroffenen Länder gelegen haben, dass das
Angebot von Wissmann damals nicht angenommen
wurde, dass nicht gesagt wurde: Wir kommen zusam-
men und gehen erst dann auseinander, wenn wir ein ge-
meinsames Konzept beschlossen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nach den Details der Feststellungen, die in dem Be-

richt aufgezeichnet sind, hat es viele Tage lang kein ak-
tuelles Lagebild gegeben, nach dem Menschen und Ret-
tungsmittel hätten koordiniert werden können. Für be-
stimmte Dinge reichte das Personal nicht aus, weil nicht
entschieden wurde, dass es zur Verfügung gestellt wird.
Es heißt, die Reaktion auf das „Pallas“-Unglück durch
die Behörden der Landesregierung sei falsch gewesen,
sei zu spät erfolgt. Dies alles können Sie zwischen den
Zeilen dieses Berichtes lesen. Natürlich wird ein ordent-
licher Sozialdemokrat wie der Herr Grobecker davon
Abstand nehmen, massiv zu kritisieren, was tatsächlich
vorgefallen bzw. nicht vorgefallen ist. Aber dass man
überhaupt eine Verwaltung auffordern muss, in Kata-
strophenfällen ein Lagebild aufzuzeichnen und eine Be-
hörde einzusetzen, die die Hilfsmaßnahmen koordiniert!

Die Lehre, die wir aus den verschiedenen Berichten
zur Kenntnis nehmen mussten und müssen, wird deut-
lich: Durch Nichtannahme der Entscheidungsbe-
fugnisse durch den grünen Umweltminister sind 16 000
Seevögel verendet. Die Umwelt hat Schaden genom-
men. Das ist ein Fazit. Und: Sowohl von der rot-grünen
Bundes- wie auch von der rot-grünen Landesregierung
sind die Maßnahmen, die vorgesehen sind, um Natur
und Landschaft stärker zu schützen, offensichtlich nicht
mit der notwendigen Aufmerksamkeit versehen worden;
es wird lieblos gehandelt. Ich glaube deshalb, dass es er-
forderlich ist, eine Kurskorrektur vorzunehmen, wenn
man tatsächlich Natur und Landschaft dienen will.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408703500
Als
nächster Redner hat der Kollege Müller vom Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.

Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Lieber Kollege Austermann, ich
verstehe ja, dass Sie in solchem Maße Geschichtsklitte-
rung betreiben müssen, um sich in Schleswig-Holstein
in den nächsten zehn Tagen wenigstens noch an die 35-
Prozent-Grenze heranzurobben. Ich verstehe auch, dass
Sie dafür tief in die Mottenkiste greifen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Renate Blank [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit gewesen!)


Aber was Sie hier darstellen, ist falsch. Mir fällt auch
noch mehr dazu ein.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Gehen Sie mal nach Dithmarschen!)


– Lieber Peter Carstensen, brüllen Sie nicht so durch die
Gegend! Ihr designierter Ministerpräsident verkündet
landauf, landab eine zehnjährige Pause im Umwelt-
schutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Nein! Sie lügen, Herr Müller!)


Wer sich in einem Land wie Schleswig-Holstein so dis-
kreditiert, sollte in Umweltfragen nicht mehr den Mund
aufmachen.

An dieser Stelle können wir uns wieder ein Stück
weit der sachlichen Debatte zuwenden.


(Peter H. Carstensen CSU]: Sie sagen nicht die Wahrheit, Herr Müller!)


Deutschland ist ein maritimes Land. Ein Großteil unse-
res Außenhandels wird über die Häfen abgewickelt.
Lassen Sie mich das als Kieler sagen: Das ist ein wichti-
ger Wirtschaftsfaktor. Gleichzeitig wissen wir, dass die
Interessen der Küstenländer in einem Spannungs-
verhältnis stehen: in dem Spannungsverhältnis zwischen
einem zügigen Seehandel auf der einen Seite, den wir
durchaus wollen, und dem Interesse des Naturerbes, des
Küstenschutzes und des Naturschutzes auf der anderen
Seite. Wenn wir schon auf das zu sprechen kommen,
was in Schleswig-Holstein wirklich passiert ist, dann
muss man feststellen, dass es eine Menge Verfehlungen
gegeben hat, die unter anderem von einem Herrn zu ver-
antworten sind, der dieser Debatte wohlweislich nicht
beiwohnt.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Steenblock!)


Das ist Ihr Kollege Wissmann. Er hat sich in seiner Zeit
als Verkehrsminister – mit Verlaub – einen feuchten
Kehricht darum gekümmert, was in Sachen Vorsorge,
Naturschutz und Küstenschutz zu machen ist.

Dietrich Austermann






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist das Problem, das wir jetzt auszubaden haben.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sie sagen doch die Unwahrheit!)

Umso empörender ist es, dass CDU und CSU jetzt ver-
suchen, aus der „Pallas“-Havarie politisches Kapital zu
schlagen,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es!)


statt mit konstruktiven Lösungen aufzuwarten und eine
ernsthafte Debatte zu führen, was die Menschen in
Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vor-
pommern, Bremen und Hamburg wirklich brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben in Ihrem Antrag, der mit „Folgerungen aus
der Havarie der ‚Pallas‘ vor Amrum“ überschrieben ist,
keine konstruktiven Vorschläge gemacht.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Endlich was zur Sache!)


Es ist ja richtig, einen Blick in die Vergangenheit zu
werfen, und, wie gesagt, ich verstehe auch billige Wahl-
kampfmanöver. Aber Sie haben wirklich nichts vor-
geschlagen, um in Zukunft etwas zu ändern, damit so
etwas wie mit der „Pallas“ nicht noch einmal passieren
kann.

Gerade gestern hat die bereits erwähnte Experten-
kommission, die fraktionsübergreifend gefordert wor-
den ist, ihre Empfehlungen dem Herrn Bundesminister
Klimmt übergeben. Vieles davon deckt sich mit den
Forderungen von Bündnis 90/Die Grünen.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Stimmt doch gar nicht!)


Manches werden wir kritisch zu hinterfragen haben.

(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Stimmt überhaupt nicht!)

– Gerade Bündnis 90/Die Grünen und gerade auch mein
Kollege Rainder Steenblock, als er noch Bundestagsab-
geordneter war, haben mehrfach auf die Probleme hin-
gewiesen. Ihr Minister war nicht in der Lage, etwas Ent-
sprechendes vorzubereiten, und hat uns eine Erblast hin-
terlassen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Gerade Rainder Steenblock hat mehrfach darauf hinge-
wiesen, dass die Schlepperkapazitäten unbedingt gesi-
chert werden müssen, dass es um ausreichende Schlep-
perkapazitäten im Seegebiet in Stand-by-Position geht
und dass die Bereitschaft eines einsatzstarken Hochsee-
schleppers garantiert sein muss.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Wo steht das denn im Bericht? Das steht gar nicht drin!)


Ferner müssen wir – das wird auch von der Kommis-
sion empfohlen – die bisherigen Einrichtungen von
Bund und Ländern zusammenfassen


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Sie müssen den Bericht einmal lesen! Ich möchte wirklich einmal wissen, wo das steht! – Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Steht wirklich nicht drin!)


– brüllen Sie doch nicht so, Herr Koppelin –

(Lachen bei der F.D.P.)


und ein Havariekommando mit Durchgriffsrechten und
Weisungsbefugnissen einsetzen. Zudem wird die Ein-
richtung einer Seewache gefordert, die mit ver-
schiedenen Aufsichtsmitteln zentral zusammengeführt
wird. Gerade mit den letzten beiden Punkten – Einrich-
tung einer Seewache und dem Havariekommandos –
können deutliche Zeichen in die richtige Richtung ge-
setzt werden.

Diese Forderungen bleiben allerdings hinter den Vor-
stellungen des schleswig-holsteinischen Landtages zu-
rück. Dort ist man – was die konstruktive Zusammenar-
beit anbelangt, nicht aber, was die polemischen Töne be-
trifft – schon etwas weiter als hier.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Am 26. Januar dieses Jahres wurde im Kieler Landtag
fraktionsübergreifend mit nur einer Gegenstimme des
SSW ein gemeinsamer Beschluss gefasst. Gefordert
wird die Einrichtung einer deutschen Küstenwache, die
die vorhandenen Kräfte stärker bündeln und die Kom-
munikationswege noch stärker vernetzen würde.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das ist ja richtungsweisend! Großartig!)


Dies haben im November 1998 die Umweltminister der
Länder auf Initiative Schleswig-Holsteins gegenüber
dem Bund gefordert.


(Ulrike Flach [F.D.P.]: Wer fordert das denn nicht?)


Insofern ist es aus der Mottenkiste gegriffen, wenn sich
Herr Austermann hinstellt und versucht, die Bemühun-
gen Schleswig-Holsteins kleinzureden oder schlicht
nicht zu berücksichtigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Vorhandene Strukturen haben so funktioniert, wie es
eben ging. Notwendig ist größtmögliche Effizienz bei
der Bekämpfung von Havarien. Dazu braucht man, wie
gesagt, eine einheitliche Kommandostruktur sowie ei-
ne Mannschaft von Expertinnen und Experten in ständi-
ger Einsatzbereitschaft und steter Übung. Ich bin froh,
dass wir uns für die Auswertung der Havarie und der
daraus resultierenden Ereignisse sowohl in einem Unter-
suchungsausschuss in Schleswig-Holstein als auch in
der Expertenkommission genügend Zeit genommen ha-
ben. Aber wir sollten in der Diskussion – das meine ich
gerade mit Blick auf Herrn Austermann – die Kirche im
Dorf lassen. Das „Pallas“-Unglück war furchtbar. Gera-

Klaus Wolfgang Müller (Kiel)







(A)



(B)



(C)



(D)


de als Schleswig-Holsteiner, der vor Ort war, weiß ich,
wovon ich spreche. Dennoch war das „Pallas“-Unglück
vor allem ein Schuss vor den Bug,


(Ulrike Flach [F.D.P.]: Von Steenblock!)

damit wir wissen, was wir jetzt besser machen müssen.
Stellen wir uns vor, dort wäre kein Holzfrachter, son-
dern womöglich ein Öltanker gestrandet. Dann wären
nicht 100 Tonnen ausgelaufen,


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Was ist denn bisher gemacht worden?)


sondern, Herr Carstensen, wesentlich mehr, etwa das
Zehn- oder Hundertfache davon. Dann hätten wir wirk-
lich eine ökologische Katastrophe gehabt. Dann hätten
wir ein Fiasko gehabt. Dann wären nicht nur die 16 000
Vögel, die furchtbar, grausam und schrecklich dort ver-
endet sind – das ist keine Frage –, gestorben, sondern
dann wäre die Katastrophe noch größer gewesen. Inso-
fern sollten wir dieses Unglück tatsächlich als eine
Mahnung annehmen, aus der wir jetzt Konsequenzen
ziehen müssen.

Ich will an dieser Stelle ein paar Sätze zu meinem
Kollegen Rainder Steenblock sagen, Umweltminister
in Schleswig-Holstein. Ich verstehe, dass Sie gerne eine
Person, die kein schwarzes Parteibuch hat, im Zentrum
der Kritik sehen wollen. Dafür habe ich menschlich vol-
les Verständnis. Aber dann lassen Sie uns ehrlich da-
rüber reden: Was kann man Rainder Steenblock an die-
ser Stelle vorwerfen?


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Versagen!)


– Blödsinn. Die Grünen sind ein Stück weit für Selbst-
kritik bekannt. Dazu stehen wir.

Was er nicht gemacht hat, ist, noch am gleichen Tage
zum Strande zu eilen, um dort mit der Schippe im Öl die
richtigen Fernsehbilder zu liefern. Das räumen wir ein.
Das ist richtig. Er hat im Kapitel Show leider nicht die
100 Punkte bekommen, die man sich hätte wünschen
können.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Sie sollten nach Hamburg kommen und das den Leuten erzählen!)


Aber es gibt keinen einzigen Punkt, bei dem Sie ihm
ein fachliches Fehlverhalten vorwerfen können. Es gibt
keinen einzigen Punkt, bei dem er in der Sache andere
Handlungsmöglichkeiten gehabt hätte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Austermann, Sie sprachen gerade von den
15 Tagen, an denen vermeintlich nichts geschehen sei.
Sie wissen, dass in dieser Zeit Dinge geschehen sind. Sie
wissen, dass in dieser Zeit, aufbauend auf den katastro-
phalen Strukturen, die Sie uns durch Ihren ehemaligen
Verkehrsminister hinterlassen haben, das getan wurde,
was möglich war. Die „Oceanic“ war eben nicht sofort
verfügbar, so wie das Bündnis 90/Die Grünen und die
SPD immer gefordert haben. Insofern gab es dort Män-
gel. Aber das hat nicht der schleswig-holsteinische Um-

weltminister zu verantworten. In dem Moment, wo
schleswig-holsteinische Landeskompetenz gefragt war,
hat er gehandelt. Die Ölbeseitigung hat hervorragend
geklappt. Es ist dort nicht festzustellen, dass irgendwo
dauerhafte Schäden geblieben sind. Das müssen auch
Sie akzeptieren.

Wenn Sie hier eine redliche Diskussion führen wür-
den, Herr Carstensen, wenn wir tatsächlich über die Sa-
che streiten würden und es nicht um Ihren Wahlkampf
ginge, weil Sie Herrn Steenblock doch gerne beerben
möchten, und zwar nicht als Umweltminister, sondern
als Landwirtschaftsminister – die Umwelt würde dann
bei Ihnen irgendwo drangeheftet –,


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abgeschafft!)


wenn Sie ernsthaft darüber reden würden, müssten auch
Sie eingestehen, dass dort die Aufräumarbeiten sachlich
gut funktioniert haben, dass es dort tatsächlich in dem
Sinne keine bleibenden Schäden gegeben hat. Wir, die
rot-grüne Bundesregierung, und wir, die wir hier im Par-
lament in der Verantwortung sind, wir sind dabei, die
Strukturen zu schaffen und durchzusetzen, die wirklich
erforderlich sind, um beim nächsten Unglück nicht wie-
der so dazustehen, sondern von Bundesseite her die
Kompetenzen und die Ausstattung zu haben, um auf so
eine Katastrophe angemessen reagieren zu können.

Sie haben hier versagt. Ihr ehemaliger Verkehrs-
minister Wissmann hat hier versagt. Insofern sollten Sie
sich ein Stück weit dafür schämen, zu Ihrer eigenen
Verantwortung bekennen


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Wann wollen Sie denn mal Verantwortung übernehmen?)


und uns jetzt dabei unterstützen, die richtigen Strukturen
zu schaffen, um auf das nächste Unglück angemessen
reagieren zu können oder es idealerweise sogar zu ver-
hindern.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408703600
Als
nächster Redner hat der Kollege Jürgen Koppelin von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1408703700
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte jetzt eigentlich vor,
intensiv zu dem Bericht Stellung zu nehmen und natür-
lich auch das eine oder andere zu dem zu sagen, was der
Untersuchungsausschuss des Schleswig-Holsteinischen
Landtages vorgelegt hat. Das muss man beides in einem
Paket sehen.
Aber nach der Rede des Kollegen Müller, glaube ich,
muss man doch noch das eine oder andere bemerken und
dem Kollegen Müller einen Spiegel vorhalten. Er hat na-
türlich das Vorurteil, das man draußen in der Bevölke-
rung hat, voll bestätigt. Er redet hier über etwas, was er

Klaus Wolfgang Müller (Kiel)







(A)



(B)



(C)



(D)


überhaupt nicht selber gelesen hat; sonst könnte er hier
eine solche Rede überhaupt nicht halten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was den Bericht angeht: Dazu muss ich noch etwas
sagen. Wir haben einen Antrag gestellt, dass der Bericht
rechtzeitig, und zwar vor der Landtagswahl in Schles-
wig-Holstein, vorgelegt wird. Er ist jetzt vorgelegt wor-
den. Wir sind nicht ganz ohne darauf gekommen, diesen
Antrag zu stellen. Herr Steenblock ist im Lande Schles-
wig-Holstein durch die Gegend gereist und hat erklärt –
das können Sie auch nachschauen, wenn Sie die Presse-
konferenz der Ministerpräsidentin mit Herrn Steenblock
nachlesen –, am 29. Februar käme der Bericht heraus.
Insofern ist es gut, dass er jetzt da ist. Aber dazu wird
gleich noch etwas zu sagen sein.

Noch eine Vorbemerkung. Ich bedaure sehr, dass
kein Mitglied des Bundesrates aus den norddeutschen
Ländern hier anwesend ist, einschließlich des Herrn
Steenblock – auch das darf ich einmal sagen –, wenn wir
so ein Thema hier behandeln.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bundeskompetenzen!)


Nun, Herr Müller, kommen wir tatsächlich zu den
Fakten, die Sie alle völlig verdrängt haben. Rückblick
auf das Geschehen: Am 25. Oktober 1998 – Sie dürfen
sich die Daten mitschreiben – geriet die „Pallas“ vor der
dänischen Küste in Brand. Es war übrigens kein
Schrottkahn, wie der Herr Bundesumweltminister erklärt
hat, sondern auf diesem Schiff ist ein Brand ausgebro-
chen. Tage später driftet dann die „Pallas“ in Richtung
der deutschen Nordseeküste aus Dänemark kommend.

Von da an, Herr Kollege Müller, zieht sich die Unfä-
higkeit des schleswig-holsteinischen Umweltministers
Steenblock wie ein grüner Faden durch das Geschehen:


(Beifall bei der F.D.P.)

Erst 20 Tage nach dem Geschehen beginnen die Lösch-
arbeiten.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen auch, warum!)


Austretendes Öl sorgt für den Tod von Tausenden von
Seevögeln und die Verschmutzung des Wattenmeeres.
Und wenn Sie schon von Selbstkritik sprechen, Herr
Kollege Müller: Es gab nicht nur Selbstkritik, sondern
auch massive Kritik an Ihrem Umweltminister. Wissen
Sie noch, was auf Ihrem Bundesparteitag – oder wie
immer man das bei den Grünen nennt – in Leipzig im
Dezember 1998 beschlossen wurde? Man sprach von ei-
nem – Sie waren ja wahrscheinlich dabei; vielleicht ha-
ben Sie sogar den Parteitag geleitet – „dilettantischen
Katastrophenmanagement“. Ja, wer hat denn das Ka-
tastrophenmanagement in der Hand gehabt? Herr
Steenblock hatte es in der Hand.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Herr Müller, wie konnte das geschehen?

(Klaus Wolfgang Müller NIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsche Vorgaben durch Wissmann!)


Sie sagen, sein Fehler war, dass er nicht sofort zur Küste
gefahren ist. Das konnte er auch gar nicht. Herr Steen-
block ist nämlich in Urlaub gefahren, als die Ka-
tastrophe entstand. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Als er aus dem Urlaub zurückgerufen wurde, hat er noch
nicht einmal die betroffene Bevölkerung informiert und
vor der Strandung der „Pallas“ gewarnt. Er hat die Be-
völkerung auch nicht auf die Verschmutzung durch Öl
vorbereitet. Nichts hat er getan.


(Klaus Wolfgang Müller NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht, Herr Koppelin!)


Herr Minister Steenblock hat zu keinem Augenblick die
Zeit für die Klärung der Zuständigkeiten, für die Koor-
dinierung eines Einsatzes, für die Bereitstellung des Ma-
terials genutzt.

Hinzu kommt noch etwas – das ist auch im Untersu-
chungsbericht des Landtages festgestellt worden –:
Dreimal bietet der schleswig-holsteinische Innen-
minister dem grünen Umweltminister die Krisenzentra-
le des Innenministeriums an. Die dort vorhandene Tech-
nik sowie für solche Einsätze geschultes Personal hätten
zahlreiche Versäumnisse und Pannen verhindern kön-
nen. Der grüne Umweltminister Steenblock lehnt ab.
Das müssen Sie einmal der Bevölkerung in Schleswig-
Holstein erklären.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Erst als die Empörung an der Westküste immer grö-

ßer wurde, hat die Ministerpräsidentin – ich sage dies-
mal: Gott sei Dank! – persönlich eingegriffen und veran-
lasst, dass der Krisenstab des Innenministers tätig wur-
de.


(Klaus Wolfgang Müller NIS 90/DIE GRÜNEN]: Der war schon längst tätig!)


– Das können Sie uns gleich erklären. Machen Sie eine
Kurzintervention! Erklären Sie uns einmal, wie denn
Frau Simonis dazu kommt, ihrem grünen Um-
weltminister zu raten, er möge doch einmal für drei Ta-
ge nach Hause fahren und ausschlafen – nicht weil der
Mann überarbeitet, müde und kaputt war, sondern weil
er unfähig war und im Weg gestanden hat, als die Leute
anpacken wollten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das war das Entscheidende. Sonst hätte Frau Simonis
das doch niemals gesagt.

Einmal in vier Jahren Rot-Grün in Schleswig-
Holstein hätte Schleswig-Holstein den Umweltminister
wirklich gebraucht, und zwar bei der Katastrophe der

Jürgen Koppelin






(A)



(B)



(C)



(D)


„Pallas“. Da hat er versagt, da ist er im Urlaub gewesen.
Er war nicht präsent, er hat völlig versagt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Hilflosigkeit, Tatenlosigkeit, Konzeptlosigkeit – das hat
diesen Umweltminister zu einer tragischen Figur in der
Landesregierung von Schleswig-Holstein gemacht.


(Manfred Opel [SPD]: Besser als eine Witzfigur wie eure Leute!)


Es möge jetzt kein Grüner kommen und sagen: Dass
ich diese Aussage treffe, hat mit dem schleswig-
holsteinischen Wahlkampf zu tun.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rede ganz besonders!)


– Ich erspare Ihnen sogar, all das zu zitieren, was die
Ministerpräsidentin über Herrn Steenblock im
Zusammenhang mit dieser Katastrophe gesagt hat.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das wären auch Beleidigungen!)


Oder ist etwa auch das Wahlkampf gewesen?
Wir müssen weiter feststellen: Auch der Bundesver-

kehrsminister – das war damals übrigens Herr Münte-
fering – wäre zuständig gewesen. Denn die Katastrophe
fand ja in einer Wasserstraße des Bundes statt. Wo war
er? Er hat nichts gemacht. Und da es sich um eine Be-
drohung des Nationalparks Wattenmeer handelte, muss
man auch fragen: Wo ist eigentlich der Bundesum-
weltminister gewesen? Ich habe von ihm nichts gehört
und nichts gesehen.


(Gila Altmann [Aurich] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Staatssekretärin war da!)


Die Staatssekretärin Altmann ist auf ein Schiff gestiefelt
und hat sich das Ganze einmal von Ferne angeguckt.
Dann ist sie wieder abgedüst. Sie hat mit ein paar Par-
teigenossen von den Grünen gesprochen und war dann
wieder weg. Das war der Einsatz des Umweltministeri-
ums.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Klaus Wolfgang Müller NIS 90/DIE GRÜNEN]: So dümmlich, diese Rede!)


In der Zwischenzeit, Frau Altmann, sind Tausende von
Seevögeln verendet und ist das Wasser verseucht wor-
den.


(Gila Altmann [Aurich] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben 16 Jahre nichts getan!)


Der Umweltminister hat sich nicht zuständig gefühlt,
Herr Müntefering, damals Verkehrsminister, war nicht
zuständig, Herr Steenblock war nicht zuständig, die
Staatssekretäre waren alle nicht zuständig. Festzustellen
ist ein Versagen aller politisch Verantwortlichen. Wenn
die Bürger, wenn die Amtsvorsteher dort nicht ange-
packt hätten, dann wäre die Katastrophe noch viel grö-
ßer geworden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Jetzt komme ich auf das, was uns beim hier zu debat-

tierenden Bericht der Bundesregierung und beim Unter-
suchungsbericht des Landtages bewegen muss: Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen, was nutzen diese Be-
richte, was nutzen die Empfehlungen, wenn man einen
Minister hat, der nicht in der Lage ist, mit solchen Kon-
zepten zu arbeiten? Wo war denn Minister Steenblock
zum Beispiel,


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie von Wissmann!)


als es um die Feuerwehren in Cuxhaven und in Ham-
burg ging? Warum hat er den Einsatz nicht nach den
vorhandenen Richtlinien koordiniert? Er konnte damit
gar nichts anfangen.


(Gila Altmann GRÜNEN]: Das ist dummes Zeug!)


Wir haben einen Minister, der unfähig war, mit den vor-
handenen Konzepten zu arbeiten. Umweltminister
Steenblock hat sich, so meinen wir, in der Katastrophe
der „Pallas“ weder nach den Einsatzmöglichkeiten des
Hochseeschleppers „Oceanic“ noch nach den Einsatz-
möglichkeiten der Feuerwehren von Hamburg und Cux-
haven erkundigt. Das hat übrigens auch der Untersu-
chungsbericht des Landtags festgestellt. Allein der Ein-
satz der Feuerwehren von Hamburg und Cuxhaven, Herr
Kollege Müller, hätte eine sachgerechte Brandbekämp-
fung ermöglicht. Der Brand auf dem Schiff hätte min-
destens eingedämmt werden können, sodass die anfangs
noch funktionsfähige Betriebstechnik des Schiffes und
somit die Manövrierfähigkeit der „Pallas“ erhalten
geblieben wären. Damit hätten wir das Schiff auf einen
Notliegeplatz bringen können.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408703800
Herr
Kollege Koppelin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Heyne?


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1408703900
Ja.


Kristin Heyne (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408704000
Lie-
ber Herr Kollege Koppelin, über die „Oceanic“ sowie
deren Einsatzmöglichkeiten haben wir hier schon häufig
diskutiert. Könnten Sie meine Einschätzung bestätigen,
dass die „Oceanic“ vonseiten des Bundes finanziert und
selbstverständlich auch von Bundesseite eingesetzt
wird?


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1408704100
Selbstverständlich kann
ich das.


(Gila Altmann [Aurich] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, was denn?)


Allerdings hat die Kollegin Altmann aus bestimmten
Gründen bessere Kontakte als ich zur „Oceanic“. Ich
will dies nicht näher erläutern.

Jürgen Koppelin






(A)



(B)



(C)



(D)



(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würde uns aber interessieren! – Unterstellungen müssen Sie begründen!)


Ich will noch einmal sagen: Wir waren uns – auch im
Haushaltsausschuss – immer darüber einig, was wir wol-
len. Es geht nicht darum, ob das Schiff einsatzfähig ist
oder nicht. Herr Steenblock hat doch gar nichts gemacht.


(Kristin Heyne [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist sie eingesetzt worden? Sie haben ihm vorgeworfen, er hätte sie nicht eingesetzt!)


– Frau Kollegin Heyne, er hat sich nicht einmal erkun-
digt.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber natürlich! Das ist doch gelogen!)


Sie können das alles im Bericht des Untersuchungsaus-
schusses nachlesen. Das ist festgestellt worden. Wenn
ein zögerlicher, unentschlossener und hilfloser Landes-
minister wie der grüne Umweltminister Steenblock un-
fähig zur Zusammenarbeit ist, wenn dieser Minister in
einer Situation der Gefahr handlungs- und führungsun-
fähig ist, nutzen auch die besten Konzepte und Papiere
nichts. Diese Erfahrung haben die Menschen an der
schleswig-holsteinischen Westküste machen müssen.
Tausende von Seevögeln haben den Tod gefunden. Ver-
antwortlich dafür ist der grüne Umweltminister Steen-
block und kein anderer.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408704200
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Eva
Bulling-Schröter von der PDS-Fraktion.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1408704300
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Gut 16 Monate nach dem
„Pallas“-Unglück und knapp drei Monate nach der ver-
heerenden Ölkatastrophe der „Erika“ an der bretoni-
schen Küste liegt nun der abschließende Untersu-
chungsbericht vor.

Im Kern enthält er einige wichtige Forderungen, die
auch die Umweltverbände zum Schutz der Nord- und
Ostsee gestellt haben. So ist die Gründung eines zentra-
len Havariekommandos, das das Recht haben sollte,
auf alle Einsatzkräfte und Einsatzmittel von Bund, Län-
dern und Kommunen zuzugreifen, notwendig.

Der Bericht macht auch klar, dass auch das beste Ka-
tastrophenmanagement keine Unglücke verhindern kann
und die Bekämpfung der Folgen nur sehr schwer mög-
lich ist. In diesem Sinne unterstützen wir auch die
Hauptintentionen des Koalitionsantrags.

Zur vorbeugenden Sicherheitsphilosophie gehört für
uns aber noch einiges andere. Im Expertenbericht wird

in klarer Sprache darauf verwiesen, dass bei der Unfall-
ursache „menschliches Versagen“ die wirklichen Grün-
de meist tiefer liegen. Um Lohnkosten einzusparen,
rekrutieren sich die Schiffsbesatzungen erstens „aus al-
ler Herren Länder“, wie der Bericht schreibt, und zwei-
tens aus oft unqualifizierten Mannschaften. Um Tarif-
verträgen aus dem Weg zu gehen, wird fleißig ausge-
flaggt, auch von deutschen Reedereien.

Wohl in keinem Bereich greift das internationale
Lohndumping, das andere für Wettbewerb halten, so
stark wie in der vermeintlich christlichen Seefahrt.
Nutznießer auf Kosten der Schiffssicherheit, also auf
Kosten der Umwelt oder gar von Menschenleben, sind
nicht nur Reedereien oder beauftragte Privatunterneh-
men, Nutznießer ist beispielsweise auch die Bundesre-
gierung.

So führte Ende September letzten Jahres die Interna-
tionale Transportarbeiter-Föderation eine europaweite
Aktionswoche durch, bei der Sicherheits- und Ausbil-
dungsstandards von unter Billigflagge fahrenden See-
schiffen überprüft wurden und die Reedereien zum Ab-
schluss eines Tarifvertrages bewegt werden sollten.
Die Aktion wurde von der ÖTV unterstützt und führte
dazu, dass für 17 Schiffe Tarifverträge abgeschlossen
werden konnten. In diesem Zusammenhang wurde am
29. September in Cuxhaven die wie die „Pallas“ unter
der Flagge der Bahamas fahrende „Ravenna Bridge“
beim Laden bestreikt, weil für die Besatzung kein Tarif-
vertrag bestand. Laut ÖTV hat sich hier niemand ande-
res als die Bundeswehr als Streikbrecher betätigt. Sie
war nämlich Auftraggeber und wollte Güter für die
Truppe in den Kosovo verschiffen.

Aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der PDS
ergibt sich, dass 70 Prozent der Schiffscharterungen der
Bundeswehr durch „offene Register“, also Billigflaggen,
realisiert werden. Die Charterung der Schiffe erfolge in
erster Priorität nach Wirtschaftlichkeit und Zuverlässig-
keit, begründet die Bundesregierung ihre Strategie des
Lohndumpings. Dass in der Seefahrt das Konzept der
Billigflaggen in der Regel der Zuverlässigkeit genau
diametral entgegengesetzt ist, weiß allerdings jeder, der
mit der Materie nur ein bisschen zu tun hat. Das hat au-
ßerdem der vorliegende Expertenbericht bestätigt.

Hier zeigt sich im Übrigen eine Kontinuität. Die
„Ausflaggung“ von gesicherten Arbeitsplätzen aus Ver-
waltungen oder Betrieben des Bundes, der Länder und
Kommunen zu Privatfirmen spart Geld. Doch seien es
Reinigungskräfte, Postangestellte oder Bundestagspfört-
ner – das Ganze geht auf die Knochen und Geldbörsen
der Beschäftigten, die fast immer deutlich niedriger ent-
lohnt werden und deren Arbeitsbedingungen sich ver-
schlechtern.

Ein Rätsel bleibt übrigens, warum seinerzeit die
Treuhand die ausreichende Bekämpfungskapazität der
DDR zum Schutz der Ostsee an Private verscheuert hat.
Alle Bekämpfungsschiffe und sonstiges Ölgerät wurden
verkauft. Mecklenburg-Vorpommern musste sich einen
Teil davon zurückchartern, damit nicht der Sicherheits-
standard gegen Null gefahren wird. Das sage ich an Ihre
Adresse, die Adresse der CDU/CSU.

Jürgen Koppelin






(A)



(B)



(C)



(D)


Zum Schutz des Wattenmeeres scheint es uns gebo-
ten, die Verlegung der Hauptschifffahrtsstraße nach
Norden zu prüfen. Vorwarnzeiten und Sicherheits-
abstände zum hochsensiblen Schutzgebiet können damit
vergrößert werden.

Wir fordern einen zweiten Hochseeschlepper mit der
Schleppkapazität der „Oceanic“. Dieser sollte vorgehal-
ten werden.

Wir meinen, dass die Frist zum Übergang auf Dop-
pelwandigkeit bei Tankern als Standard verkürzt wer-
den muss. 25 Jahre sind hierfür zu lang. Wir fordern
weiter schärfere Haftungsverpflichtungen für Havaristen
und eine grenzüberschreitende polizeiliche Verfolgung
von Öl- und Müllsündern.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408704400
Als
nächstem Redner erteile ich dem Bundesminister Rein-
hard Klimmt das Wort.

Reinhard Klimmt, Bundesminister für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen: Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Die Pallas-Katastrophe vom Oktober
1998 hat über viele Wochen hinweg die Öffentlichkeit
bewegt. Das Schicksal der gequälten Kreatur, gleichzei-
tig die Belastung der Natur, die wir immer wieder in den
Bildern der Medien gesehen haben, haben uns alle ge-
troffen und betroffen gemacht. Deswegen haben wir
heute eine ganze Reihe von parlamentarischen Initiati-
ven zu diesem Thema zu behandeln.

Bereits am 18. November 1998 hatte Ihnen mein
Amtsvorgänger Franz Müntefering einen Bericht vorge-
legt, der die erste Thematik der Schadensbegrenzung,
die Bekämpfung der Ölverschmutzung und gleichzeitig
auch weitere Vorhaben, zum Beispiel die Einsetzung ei-
ner Kommission, zum Inhalt hatte.

Ich möchte Herrn Austermann in einem Punkt etwas
korrigieren. Mein Ministerium, das ja aus zwei Häusern
zusammenwächst, wurde in seiner personellen Ausges-
taltung in den Hauptteilen nicht unbedingt durch Sozial-
demokraten besetzt, sondern durch Vorgänger, die so-
wohl die F.D.P. als auch die CDU und die CSU gestellt
haben. Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns auf die
Loyalität und die Fähigkeiten der im Baubereich und im
Verkehrsbereich Beschäftigten, der Beamten und auch
der Angestellten, voll verlassen können. Ich möchte
ausdrücklich die Beamten und Angestellten meines
Hauses gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, sie wür-
den unqualifizierte, parteipolitisch motivierte Arbeit
leisten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eingesetzt wurde, wie sich das gehört, eine unabhän-
gige Expertenkommission. Diese Expertenkommission
hat unter der Leitung von Senator a. D. Claus Grobecker
getagt. Sie konstituierte sich vor etwa einem Jahr und sie
hatte den Auftrag, das Notfallkonzept zu bewerten und

gleichzeitig Vorschläge für seine Weiterentwicklung zu
machen, um einen optimalen Küstenschutz sowohl für
die Nord- als auch die Ostsee zu garantieren.

Dieser Bericht ist gestern vom früheren Senator
Grobecker vorgelegt worden. Ich möchte ihm für seine
gründliche Arbeit danken. Es war richtig, dass man
gründlich gearbeitet und sich Zeit genommen hat. Es
gab zwischendurch den Wunsch, etwas mehr Druck auf
die Pipeline zu bringen, damit der Bericht schneller zu-
stande kommt. Aber die 30 Punkte, die nach wirklich
gründlicher Analyse erarbeitet worden sind, können sich
sehen lassen. Deswegen ein ganz herzliches Dankeschön
an Claus Grobecker und seine Mitstreiter, die diesen Be-
richt erstellt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Anhand der 30 Punkte ist deutlich geworden, dass
einiges veränderungswürdig und veränderungsbedürftig
ist. Deswegen gibt es eine Reihe von zukunftsorientier-
ten Empfehlungen. Es ging nicht darum, festzustellen,
wie die Verantwortlichkeit in der Vergangenheit war. Es
gibt andere Einrichtungen und auch andere parlamenta-
rische Gremien, um individuelle Schuld und Verant-
wortung zu definieren oder entsprechende Ursachen auf
ihre Konsequenz etwa in strafrechtlicher Hinsicht zu
überprüfen.

Nein, es geht vor allem darum – das sind auch die
vier wichtigsten Kapitel des Berichts –, die Sicherheit
der Verkehrswege und die damit verbundene Landorga-
nisation zu garantieren. Es geht auch darum, die Sicher-
heit an Bord und des Schiffbetriebs zu garantieren. Es
muss also auch die Sicherheit des Schiffbetriebs selbst
überprüft werden, um zu erkennen, was dort verbessert
werden kann. Es geht auch um das wichtige und große
Thema der Ausbildung; denn wir müssen darauf achten,
dass angesichts der Standards, die trotz einer immer
komplizierter werdenden Technik erfüllt werden müs-
sen, auch diejenigen, die die Schiffe führen und die Ar-
beiten auf den Schiffen erledigen, optimal ausgebildet
sind, damit sie nicht aufgrund von Unkenntnis – nicht
aus bösem Willen heraus – Fehler machen.


(Beifall bei der SPD)

Wir müssen überprüfen, wie wir den Schutz der Mee-

resumwelt und der Küste garantieren können. Auch hier
gibt es einiges, was durch die Forschung geklärt werden
muss, etwa der Einsatz von Chemikalien, mit deren Hil-
fe Ölkatastrophen bekämpft werden können, die aber
möglicherweise neue Risiken in sich bergen. Hier muss
eine ausführliche Forschung betrieben werden.

Wir müssen prüfen – das gehört zu unserer Gesell-
schaft dazu –, wie die jeweilige Rechtslage ist, ob unsere
Rechtsinstrumente ausreichen und ob das, was die Ver-
sicherungen anbieten, noch den entsprechenden Risiken
und Gefährdungen entspricht, gerade auch im Hinblick
auf unsere sehr dicht befahrenen Wasserstraßen.

30 Empfehlungen sind ausgesprochen worden. Das,
was mir und sicherlich auch dem Herrn Innenminister
gut schmeckt, ist, dass nicht vorgeschlagen wurde,

Eva Bulling-Schröter






(A)



(B)



(C)



(D)


grundsätzlich die Zuständigkeiten durch eine Änderung
des Grundgesetzes zu korrigieren.


(Beifall der Abg. Ulrike Flach [F.D.P.])

In der Diskussion über die Frage, ob nach amerikani-
schem Vorbild etwas verändert werden muss, ist deut-
lich geworden: Veränderungen können wir auch mit den
vorhandenen Zuständigkeiten, Regelungen und Organi-
sationen erreichen. Es ist völlig unbestritten, dass wir
dabei für eine klare und eindeutige Leitungsstruktur sor-
gen müssen – vielleicht darf man in diesem Zusammen-
hang auch den Begriff Kommandostruktur verwenden –,
und zwar unabhängig davon, wie wir das im Einzelnen
in Übereinstimmung mit den betroffenen Küstenländern
organisieren.

Ich bin auch der Meinung, dass wir uns sehr viel Ge-
danken darüber machen müssen, was auf der internati-
onalen Ebene dazu beigetragen werden kann. Es liegt
nicht nur in unseren Händen, die entsprechenden Verän-
derungen vorzunehmen; denn ein Großteil hängt natür-
lich von Vereinbarungen ab, die wir bilateral mit unse-
ren Nachbarländern treffen, bzw. von dem, was auf EU-
Ebene geregelt werden kann. Natürlich spielt für den ge-
samten internationalen Bereich die IMO eine ganz be-
sondere Rolle. Im Rahmen dieser Organisation müssen
wir versuchen, mit unseren Vorstellungen durchzudrin-
gen, um zweifellos notwendige Verbesserungen zu er-
reichen.

Auch die schrecklichen Bilder von der Katastrophe
der „Erika“ vor der bretonischen Küste haben ganz Eu-
ropa und insbesondere Frankreich aufgeschreckt. Ich bin
sehr dankbar, dass die damit verbundene gewachsene
Sensibilität den französischen Verkehrsminister dazu
gebracht hat, sich mit mir zusammen vorzunehmen, et-
was auf der internationalen Ebene zu verändern. Es geht
darum, die Vorschläge der Expertenkommission, die wir
bei uns nicht umsetzen können, auf der EU-Ebene und
gleichzeitig gemeinsam mit anderen interessierten Län-
dern in der IMO zu realisieren.

Wir haben uns auf folgende Themen verständigt, die
wir aufgreifen wollen. Wir wollen ein europäisches Sys-
tem für die Überwachung des Seeverkehrs schaffen.
Das gibt es noch nicht. Es europaweit zu garantieren, ist
meines Erachtens eine der wichtigen Aufgaben für die
Zukunft. Wir dürfen nicht nur Normungen schaffen;
vielmehr müssen wir auch dafür Sorge tragen, dass die
Kontrollen tatsächlich ausgeübt werden. Mit diesem
Punkt müssen Garantien verbunden sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch der „Erika“ wurde von einer zuständigen und
anerkannten Stelle ihre Seetüchtigkeit bestätigt. Man
bedenke, in welchem Zustand sich dieses Schiff befun-
den hat. Von einer deutschen Überwachungsbehörde
wäre es nicht als tauglich anerkannt worden. Insofern
müssen wir diese Frage nicht nur bei uns, sondern natür-
lich auch international klären.

Dazu gehören die Verschärfung der technischen
Normen und Transparenz auf dem Seeverkehrsmarkt. Es
ist zu klären – mit den vorhandenen Möglichkeiten ist

das durchaus machbar –, in welchem Zustand sich ein
Schiff, das unterwegs ist, eigentlich befindet, wie alt es
ist und wann es das letzte Mal eine Überprüfung seiner
Einrichtungen gehabt hat. Wir brauchen selbstverständ-
lich Sanktionsmöglichkeiten bei Nichtbeachtung der
IMO-Normen. Auch auf diesem Gebiet muss etwas zu-
stande gebracht werden.

Die französische Ratspräsidentschaft in der zweiten
Hälfte dieses Jahres bietet uns dazu die Gelegenheit. Ge-
rade in der Phase einer so hohen Sensibilisierung ist die-
se Ratspräsidentschaft ein günstiges Zusammentreffen.
Vor dem Hintergrund des gigantischen Verkehrs, der
sich etwa auf dem Kanal abwickelt, ist Frankreich stän-
dig in einem hohen Maße gefährdet. Die Bereitschaft
müsste dort eigentlich vorhanden sein, die Lösung die-
ses Problems jetzt endlich in Angriff zu nehmen. Wir
haben auf unsere Initiative eine deutsch-französische
Arbeitsgruppe vereinbart, die entsprechende Lösungs-
vorschläge im Vorlauf entwickeln wird, sodass der
Startschuss hierfür nicht erst fällt, wenn im Sommer die
Ratspräsidentschaft an die Franzosen übergeht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, dass wir
auch mit unseren anderen Nachbarn zusammenarbeiten
müssen. Ich denke an Dänemark. Eines der Probleme,
das uns besondere Sorgen gemacht hat, war, wie das Zu-
sammenspiel zwischen den beiden Ländern funktioniert.
Bisher hat es eher nicht funktioniert. Ich erinnere da-
rüber hinaus an die Zusammenarbeit mit den Holländern
und den Belgiern.

Für die Ostsee ist es von großer Bedeutung, was die-
ses endlich wieder zum Binnengewässer gewordene
Meer eigentlich macht. Wie schützen wir es in Zusam-
menarbeit mit den Polen, mit den skandinavischen Län-
dern und auch mit Russland? Wie können wir die ent-
sprechenden Abmachungen treffen? Wir werden Rege-
lungen finden, damit man nicht meint, die Behandlung
dieses Themas sei auf die Zusammenarbeit zwischen
Deutschland und Frankreich beschränkt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408704500
Herr
Bundesminister, Ihre angemeldete Redezeit ist bei wei-
tem überschritten. Sie können natürlich weitersprechen;
aber das geht dann zulasten Ihrer Fraktionskollegen.

Reinhard Klimmt, Bundesminister für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen: Das würde auf das Konto
meiner verehrten Freunde von der sozialdemokratischen
Fraktion gehen. Das möchte ich natürlich nicht, weil
diese Abgeordneten mindestens so viel an Argumentati-
on wie ich sachkundig vortragen können.

Es sei mir erlaubt, nur noch eines zu sagen: Hundert-
prozentige Sicherheit werden wir nicht erreichen kön-
nen. Aber es ist unsere Aufgabe, mit Sofortmaßnahmen,
von denen es eine ganze Reihe gibt und die die Bundes-
regierung eingeleitet hat, dafür Sorge zu tragen, dass wir
die Risiken, so weit es mit unseren menschlichen Kräf-
ten möglich ist, ausschließen.

Bundesminister Reinhard Klimmt






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408704600
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Börnsen von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1408704700
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Verkehrsmi-
nister, dat hört sik good an, wat Se seggt hebben. Man
glöben doon wi dat erst, wenn dat Wirklichkeit ward.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrike Mehl [SPD]: Das wirst du schon sehen! – Gila Altmann [Aurich] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dat ward schon Wirklichkeit!)


Der Verkehrsminister wird auch von uns bei der Er-
greifung von Maßnahmen unterstützt, die wir für sinn-
voll halten und die für die nationale Küstensicherung
wichtig sind. Bisher hat in diesem Parlament über diese
Grundsätze immer Einvernehmen geherrscht, querbeet
durch alle Fraktionen. Dabei soll es auch bleiben.

Herr Verkehrsminister, ich muss aber noch eine Kor-
rektur vornehmen: Niemand hat gesagt, dass Ihre Mitar-
beiter nicht loyal arbeiten.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Richtig!)

Der Vorwurf lautete, dass Ihr Vorgänger – dafür können
Sie nichts – genau in den Tagen der „Pallas“-Krise von
acht Abteilungsleitern sechs ausgewechselt hat,


(Manfred Opel [SPD]: Aber die waren doch nicht in Cuxhaven, Herr Börnsen!)


weil er der Auffassung war, sie würden nicht loyal mit-
arbeiten. In einer Krisenzeit muss man sich aber auf die
bewährten Kräfte verlassen. Allein so lautete der Vor-
wurf und nicht anders.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Manfred Opel [SPD]: Das hat doch damit nichts zu tun, Herr Börnsen!)


Um einen Eindruck davon zu bekommen, um was es
uns eigentlich geht, will ich auf einige Tatsachen auf-
merksam machen: Jährlich haben wir 420 000 Schiffs-
passagen in der Nordsee, 80 000 davon in der Deutschen
Bucht. Es handelt sich um eines der meistbefahrenen
Seereviere in der Welt. Entsprechend groß ist die Anzahl
der Havarien; in den letzten zehn Jahren gab es im-
merhin 48. Über 122 größere Ölunfälle hat es allein zwi-
schen 1985 und 1995 gegeben.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Daran ist Steenblock auch schuld!)


Die Anzahl der verdeckten und unentdeckten Umwelt-
sünder und der Beinahe-Katastrophen geht in die Tau-
sende. Mindestens 20 Prozent aller Tanker haben Sub-
standard, nur ein Bruchteil ist mit modernen Doppelhül-
len ausgestattet. Menschen, Tiere und Pflanzen an der
Küste leben ständig auf einem Pulverfass, und die Lunte
brennt.


(Manfred Opel [SPD]: Das ist doch Angstmacherei!)


Stellen Sie sich vor, dass dpa gerade meldet: Super-
tanker im Orkan vor Helgoland havariert – 50 000 Ton-
nen Öl laufen aus! Panik auf See und an der Küste. Die
Meldung geht dann weiter: Deutschlands Nachbarn ha-
ben bereits reagiert, Frankreich hat seine Taskforce
alarmiert, Hubschrauber aus England sind im Einsatz,
Dänemarks Marine ist bereits auf dem Weg zum Un-
glücksort, Brandexperten aus den Niederlanden sind un-
terwegs. Die Meldung endet mit dem Satz:


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Steenblocks Handy ist abgeschaltet!)


In Deutschland laufen schon lange die Kabel zwischen
Berlin und Bremen, Kiel und Hamburg, Wilhelmshaven
und Bremerhaven heiß. Drei Krisenstäbe sind eingesetzt.
Klärungsbedarf gibt es über die Zuständigkeit, doch
Bund und Länder sind sich einig: Wir müssen handeln. –
Ende der fiktiven Meldung.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was haben Sie denn 16 Jahre gegen solche Möglichkeiten getan? – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch scheinheilig!)


Ein havarierter Großtanker vor der deutschen Küste –
das kann uns täglich treffen. 16 Monate nach der „Pal-
las“-Havarie sind wir immer noch nicht für ein Meeres-
unglück dieser Art ausreichend gerüstet, Herr Ver-
kehrsminister.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dabei hat die „Pallas“ den Finger auf die Wunde gelegt.
Das politische Krisenmanagement hat versagt, nicht das
administrative und nicht die Rettungsorganisationen. Ein
grüner Umweltminister hat sich als unfähig erwiesen,
die Umwelt zu schützen. Das ist die Wirklichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch das Konzept „Küstenwache“ zeigt deutliche
Schwächen. Ein Holzfrachter mittlerer Größe hat das
trügerische System Küstensicherheit am 26. Oktober
1998 demaskiert. Noch immer liegt die Führungskompe-
tenz im Ernstfall nicht klar in einer Hand. Noch immer
liegen wichtige Seerechtsabkommen ununterschrieben
auf dem Tisch,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie schon bei Ihnen!)


noch immer gibt es Widersprüche bezüglich der Zustän-
digkeiten von Bund und Ländern, noch immer haben wir
keine einheitliche nationale Küstenwache wie die Ame-
rikaner, die Franzosen oder die Dänen.


(Gila Altmann [Aurich] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo waren Sie denn in den letzten Jahren?)


Bundesminister Reinhard Klimmt






(A)



(B)



(C)



(D)


Dabei haben wir bereits vor über einem Jahr über die
Konsequenzen aus der „Pallas“-Katastrophe diskutiert.
Wir waren uns damals parteiübergreifend einig: Die na-
tionale Küstenwache muss her – so zügig wie möglich.
Greifbare Ergebnisse fast 500 Tage nach der Havarie:
Fehlanzeige! Gutachten ja, Konzepte nein, und das, ob-
wohl die Idee einer schlagkräftigen Wasserschutztruppe
nicht neu ist.

Mehrfach hatte bereits Matthias Wissmann Mitte der
90er-Jahre mit Unterstützung des Parlamentes versucht,
eine nationale Küstenwache einzurichten.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was hat er denn erreicht?)


Manch einer auch Ihrer Kollegen wird sich daran erin-
nern, dass unsere Freunde in den Bundesländern die
Verhinderer eines nationalen Konzeptes gewesen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das war bereits Anfang 1990 so und das war 1994 so.
Inzwischen hatte man zwar Küstenzentren für die Nord-
see und für die Ostsee geschaffen. Aber die Straffung al-
ler Maßnahmen im Hinblick auf eine nationale Füh-
rungskompetenz ist ausgeblieben.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das war wahrscheinlich auch die Schuld von Steenblock!)


Die Begründung der Bundesländer war immer – dafür
muss man Verständnis haben –: Verfassungsmäßig sind
wir für die Polizeiaufgaben zuständig. Wenn uns auch
das noch verloren geht, welche Kompetenzen bleiben
denn dann bei uns Bundesländern, ob sie nun schwarz,
rot, gelb oder grün regiert werden? Dahinter steckt eben
mehr als nur das Problem eines gemeinsamen Handelns
im Falle der Notwendigkeit von Rettungsmaßnahmen.

Ich denke schon, dass es richtig gewesen ist, dass die
frühere Regierung trotz dieses Widerstandes mit Unter-
stützung des Parlamentes Rettungsstrukturen durchge-
setzt hat, die zu einer Straffung geführt haben, zwei
Küstenwachzentren eingesetzt hat und dass es zu einer
ersten Vernetzung von Küstenwachorganisationen ge-
kommen ist.

Was wir jetzt noch brauchen, ist Entscheidungsklar-
heit und mehr Entscheidungskompetenz in einer Hand.
Die „Pallas“-Havarie hat die Notwendigkeit eines über-
greifenden Schutzkonzeptes deutlich gemacht. Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bereits 1998 auf eine
verbesserte Sicherheitsstruktur aufmerksam gemacht.
Was hat der damalige Verkehrsminister, Herr Münte-
fering, geantwortet? Es bestehe kein Handlungsbedarf –
hier im Parlament. Das Wrack der „Pallas“ sprach und
spricht, wie ich finde, immer noch eine andere Sprache.

Im Frühjahr 1999 hat die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion in einer Großen Anfrage sachbezogen
nachgefragt. Denn es ging uns um die Schaffung einer
nationalen Küstenwache und um die Aufforderung zu
einem gemeinsamen parlamentarischen Handeln. Auch
hier haben wir leider Fehlmeldungen zu verzeichnen.
Denn von 54 Fragen in unserer Anfrage sind 26 nicht

vernünftig bzw. ausweichend beantwortet worden. Das
ist gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit
nicht vertretbar. Die Regierung ist zu einer sachkundi-
gen Aussage angehalten und dafür verantwortlich. Ich
glaube schon, dass das jetzt vorgelegte Gutachten dazu
beitragen kann, die diesbezügliche Diskussion gemein-
sam neu auszurichten.

16 Monate nach der „Pallas“-Havarie fehlt noch im-
mer ein vertretbares Regierungshandeln. Wir müssen
weg vom Kompetenzwirrwarr, hervorgerufen von vier
Bundesministerien, 16 Landesministerien und fünf Bun-
desbehörden, die alle eingeschaltet werden, wenn es ein
Unglück in der Nordsee gibt. Im Krisenfall muss in ei-
ner Zentrale, aus einer Hand entschieden werden. Auch
sollte überlegt werden, ob nicht in Zukunft die Bundes-
marine, wie in anderen Ländern auch, Teil eines solchen
maritimen Krisenkonzeptes wird. Dänemark zeigt, wie
es geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Manfred Opel [SPD]: Dänemark? Die „Pallas“ kam aus Dänemark!)


In einer Katastrophe muss uns ein gemeinsames Han-
deln von einer Zentrale aus möglich sein.

Wir schlagen vor, eine nationale Küstenwache einzu-
richten. Die Einsetzung einer Seewache und die Hava-
rieorganisation sind ein guter Anfang, aber noch nicht
die ideale Umsetzung des gesetzten Zieles. Wir brau-
chen eine jährliche Küstenwachekonferenz. Wir brau-
chen in Europa eine verstärkte Vernetzung zwischen den
Nordseeanrainern, um ein Euro-Schutzkonzept aufzu-
stellen. Auf dem nächsten Ministerrat sollte über dieses
Thema verhandelt werden. Herr Minister, Ihre Initiative
zusammen mit Frankreich ist ein erster guter Schritt.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Wir brauchen eine Optimierung der internationalen
Schiffssicherheit. Sie muss auf den Prüfstand. Die
Mehrzahl der Schiffe wird tadellos gefahren. Doch die
Seelenverkäufer, die schwarzen Schafe, sind auszugren-
zen. Doppelhüllentanker sind für die Deutsche Bucht zur
Pflicht zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Gefahrgüter wie Öltransporte auf gefährdeten Wasser-
straßen müssen bei widrigem Wetter durch Schlepper
begleitet werden. Wir brauchen ferner eine Datenauto-
bahn für eine vernetzte europäische Küstenwache.

Wir müssen – dieser Punkt ist ganz wichtig – immer
wieder an die Ursachen von Havarien und Meeresunglü-
cken denken. Neben der technischen Schiffssicherheit ist
menschliches Fehlverhalten immer noch Ursache Num-
mer eins für die Katastrophen. Ich glaube schon, es ist
richtig, dass man eine Bildungs- und Ausbildungsoffen-
sive startet, damit besonders bei dem Faktor Mensch an-
gesetzt werden kann.

Abschließend möchte ich sagen, dass die Experten-
kommission auch von uns allen Dank verdient. Aber es
bleibt die Kardinalfrage – der Verkehrsminister ist ihr

Wolfgang Börnsen (Bönstrup)







(A)



(B)



(C)



(D)


ausgewichen –: Kommen wir im Hinblick auf die jetzi-
gen Vorschläge ohne eine Verfassungsänderung aus?
Kann man die Maßnahmen ohne eine Verfas-
sungsänderung umsetzen? Das ist eben nicht möglich.
Wir haben zehn Jahre lang bezüglich dieser Frage mit
den Ländern im Streit gelegen. Nach meiner Auffassung
erreichen wir erst dann eine einheitliche, vernünftige
und vertretbare nationale Küstenwache – wie sie auch
von unserer Fraktion in Kiel inzwischen gefordert
wird –, wenn wir zu einer Verfassungsänderung kom-
men. Sie gibt Klarheit, Ausblick und eine europäische
Dimension, die wir brauchen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht toll!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408704800
Als
nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Gila Altmann
vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Herr Börnsen, eens is seker: Wat wi hier vertellen, dat
mok wi ok – anners als ji 16 Johr lang.

Trotz des Wahlkampfes muss man sich über einige
Punkte doch wundern. Zum ersten Punkt. Man muss
sich zunächst über das wundern, was uns Herr Koppelin
gerade verkauft hat. Ich möchte hinsichtlich des Zeitab-
laufes der Wahrheit etwas nachhelfen. Am 25. Oktober
gerät die „Pallas“ vor der dänischen Küste in Brand. Am
26. Oktober treibt sie führerlos in deutsche Hoheits-
gewässer.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Und Herr Steenblock in den Urlaub!)


Erst am 27. Oktober wird die „Oceanic“ nach Scheitern
des Abschleppversuches durch die Mehrzweckschiffe
angefordert. Die „Oceanic“ kann aber wegen zu großen
Tiefganges nicht mehr eingreifen, weil die „Pallas“
schon zu weit in Richtung auf die Küste getrieben ist.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Stimmt doch gar nicht, was Sie sagen!)


Herr Koppelin, am 27. Oktober ist aber noch etwas
passiert. Erst an diesem Tag hat der Regierungswechsel
stattgefunden. Das heißt, wenn die damalige Regierung
und unsere jetzige „fitte“ Opposition hätte handeln wol-
len, dann hätte sie es am 25. und 26. Oktober noch tun
können. Das ist der erste Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zum zweiten Punkt. Die „Oceanic“ ist erst mit
17 Stunden Verspätung eingesetzt worden, weil der
zentrale Meldekopf – das ist eine Bundesbehörde – erst
verspätet reagiert hat. Die Gründe waren, wie wir inzwi-
schen wissen, Kompetenzgerangel und auch Eifersüch-

teleien. Aber auch wenn es Ihnen nicht passt und Sie es
nicht mehr hören können: Es sind Ihre Altlasten.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Steenblock!)

– Von wegen Steenblock. – Es sind Ihre Versäumnisse,
die wir jetzt aus dem Weg räumen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bis zum Regierungswechsel haben CDU/CSU und
F.D.P. gemeinsam auf die Sturmgewalten, die die Frach-
ter und Tanker vor der deutschen Nordseeküste in Ge-
fahr brachten, weitgehend mit geistiger Windstille rea-
giert, nach dem Motto „Lieber nie als gar nicht“. Inso-
fern wollte ich Sie eigentlich heute zu der späten Ein-
sicht beglückwünschen, dass das Konzept der alten
Bundesregierung nicht ausreicht und dass es dringend
nachgebessert werden muss. Aber Ihr Reden ist ein zu
durchsichtiges Manöver und enthält zu viel Wahl-
kampfgetöse auf Kosten der Umwelt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Ach, min Deern!)


Jetzt komme ich zur Sache.

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Vorher waren Sie nicht bei der Sache?)


Sie koffern gegen Steenblock, dass es nur so kracht. Ich
frage Sie aber: Auf welcher Grundlage? Auf welche
konkrete Eingriffsermächtigung und auf welches Aus-
wahlermessen beziehen Sie sich? Aber einmal ange-
nommen, es würde stimmen: Was hätte Steenblock dann
tun können? Welche Einsatzmittel hatte er denn zur Ver-
fügung? In dieser Frage möchte ich mit Herrn Börnsen
und mit Herrn Koppelin auf der Grundlage der Ergeb-
nisse des Untersuchungsausschusses in Schleswig-
Holstein einmal zehn kleine Jägermeister spielen.

79 Schlepper waren in der Deutschen Bucht. Davon
kamen Schiffe mit weniger als 34 Tonnen Pfahlzug
nicht in Frage, das heißt 48 schieden aus. Von den
verbleibenden Schleppern hätten 14 eine zu lange Anrei-
se gehabt. Bleiben 17. Von den 17 Schleppern wären
sieben nicht einsetzbar gewesen, weil sie ab Windstär-
ke 7 nur noch bedingt schleppen können. Wir hatten
aber Orkan, also Windstärke 9 bis 11.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ist das das Motto von den zehn kleinen Negerlein?)


– Nein, das steht im Untersuchungsbericht des Lan-
destages von Schleswig-Holstein. – Bleiben also noch
zehn Schiffe. Davon gehören zwei der Bundesmarine,
über die Schleswig-Holstein nicht verfügen kann.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da waren es nur noch acht!)


Fünf sind Hafenschlepper, das heißt für Häfen und nicht
für die hohe See. Verbleiben drei, nämlich die Mehr-
zweckschiffe „Mellum“ und „Neuwerk“ und der Sicher-
heitsschlepper „Oceanic“, die auch, vom Bund geordert,
am Einsatzort waren.

Wolfgang Börnsen (Bönstrup)







(A)



(B)



(C)



(D)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408704900
Frau
Kollegin Altmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin?

Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Nein, nicht von Herr Koppelin. Ich finde, er hat
heute schon genug dummes Zeug reden können.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Steenblock! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: So, und was machen wir nun?)


Was also hätte Herr Steenblock tun können? Sich an
den Strand stellen und rufen, die „Pallas“ solle nicht nä-
her kommen? Das wäre es doch gewesen!

Herr Austermann, Sie singen hier die Arie vom Res-
pekt gegenüber den Leuten. Sie tun aber Folgendes: Sie
diskreditieren all jene, die bei der Havarie der „Pallas“
ihr Leben und ihre Knochen riskiert haben.


(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr! Unerhört!)


Sie stempeln sie als faul und unfähig ab.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und Sie lassen die Leute im Stich!)

Aber im Wahlkampf ist Ihnen ja jedes Mittel recht.

Folgendes möchte ich noch sagen: Wenn Sie von
Herrn Steenblock so etwas wie eine Django-Manier er-
warten, dann heißt das ja, dass Sie eine Art Noteintritts-
recht im Zusammenhang mit Art. 31 GG fordern. Dieses
Recht hätte er aber nur wahrnehmen können, wenn die
Bundesbehörden völlig untätig und völlig unfähig gewe-
sen wären.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das war er ja selber!)


Dort haben jedoch Beamte 16 Jahre lang loyal das ge-
macht, was ihnen letztendlich von der alten Bundesre-
gierung auferlegt worden ist.


(Ulrike Flach [F.D.P.]: Das kann doch wohl nicht wahr sein, Frau Altmann! – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, genau so ist es!)


Diese Leute diskreditieren Sie ebenfalls. Ich muss sagen,
Sie leisten hier wirklich ganze Arbeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie müssen einen Steenblock im Kopf haben! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wofür ist der Minister eigentlich da? – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um die Natur zu bewahren, die Sie abschaffen wollen!)


Aber nach vorne gucken ist angesagt, und zwar sach-
orientiert. Eine entscheidende Schwäche war das Kom-
petenzgerangel. Deshalb wollen wir eine Bündelung
der Entscheidungsstrukturen, das heißt, wir wollen

die verschiedenen Ebenen zu einem Gesamtkonzept zu-
sammenschließen. Was wir nicht wollen, ist ein weiteres
Aufblähen der bestehenden Strukturen zu einem büro-
kratischen Wasserkopf. Erst recht nicht wollen wir die
verschiedenen Versuche der CDU – die Herr
Austermann heute auch wieder unternommen hat –, über
den Schutz der Küsten andere ordnungsrechtliche oder
sonstige Ziele zu verfolgen.

Die Große Anfrage der CDU/CSU zum Thema Küs-
tenschutz hat hierüber sehr viel Aufschluss gegeben. Sie
besteht ungefähr zur Hälfte aus Fragen, die sich auf an-
dere Themen beziehen, wie Kriminalitätsbekämpfung,
Drogen, die Umsetzung des Schengener Abkommens,
also das Verfolgen von Flüchtlingen. Auch die CDU in
Mecklenburg-Vorpommern hat sich ja dazu geäußert.
Sie verfolgt in Anlehnung an die Aufgaben der US
Coast Guard, bei der übrigens der Umweltschutz nur ein
Punkt von vielen ist, sogar eine Änderung des Grundge-
setzes, um Hoheitsrechte umzuverteilen. Das heißt, Sie
wollen den Küstenschutz als Vehikel benutzen, um den
Law-and-Order-Staat durch die Hintertür zu installieren.
Genau das machen wir nicht mit.

Einziger Maßstab, wenn es darum geht, Entschei-
dungs- und Verantwortungsstrukturen zu effektivieren,
kann der größtmögliche Schutz des Wattenmeeres, der
Küste und der Inseln sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Hierfür hat die neue Bundesregierung bereits eine ganze
Menge getan, und sie wird noch viel mehr tun. Das ist
hier schon ausgeführt worden. Deshalb erspare ich mir
weitere Ausführungen dazu. Man muss aber sehen, dass
Prävention das beste und erfolgreichste Mittel ist. Wenn
der Unfall erst passiert ist, ist alles zu spät. Das hat uns
der Unfall des Tankers „Erika“ vor der bretonischen
Küste drastisch vor Augen geführt. Dabei sind über
300 000 Vögel elendig verreckt, und der Albtraum ist
noch längst nicht zu Ende.
Diese Katastrophe hat aber auch die technischen Gren-
zen der Ölbekämpfung aufgezeigt. Es waren zehn Öl-
bekämpfungsschiffe aus ganz Europa vor Ort. Sie haben
aber zusammen nur einen Bruchteil der ausgelaufenen
Ladung, nämlich gerade einmal 400 der insgesamt
10 000 bis 12 000 Tonnen Schweröl aufnehmen können.
Immerhin ein Viertel davon, nämlich 100 Tonnen, hat
die „Neuwerk“ geleistet. Aber insgesamt war es nur ein
Tropfen auf dem heißen Stein.

Die Erfahrungen mit „Lucky Fortune“ und „Ruby
XL“ haben auf der anderen Seite deutlich gemacht, dass
Vorsorge auch in der akuten Notsituation möglich ist.
Sie erinnern sich: Im Dezember trieb die „Lucky Fortu-
ne“ bei Orkan mit Maschinenschaden und mit 1 200
Tonnen Schweröl im Bauch auf Sylt zu. Mit dem recht-
zeitigen und beherzten Einsatz des Sicherheitsschleppers
„Oceanic“ ist es gelungen, die „Lucky Fortune“ zwölf
Meilen vor der Küste vor einer Strandung zu bewahren.
Der Havarist wurde später mit Unterstützung des Mehr-
zweckschiffes „Mellum“ in einen sicheren Hafen ge-
bracht. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir mindes-
tens einen Sicherheitsschlepper mit mindestens 165






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Tonnen Pfahlzug in der Deutschen Bucht weiterhin sta-
tionieren.

Meine Damen und Herren, Verkehrsminister Klimmt
hat schon angesprochen, dass es keine absolute Sicher-
heit gibt. Es bleibt immer ein Restrisiko. Wir können
Schäden an Bord nicht verhindern, aber wir können das
kalkulierbare Risiko minimieren. Alles andere wäre
fahrlässig.

Gestern Abend haben wir den Bericht der unabhängi-
gen Expertenkommission erhalten. Die Ergebnisse des
Berichtes müssen jetzt Punkt für Punkt bewertet und wo
nötig auch kritisch hinterfragt werden. Die Koalition
und die Bundesregierung arbeiten mit Hochdruck an ei-
nem Sicherheitskonzept, das diesen Namen verdient –
was Sie in 16 Jahren nicht geschafft haben –, das bei der
Verkehrslenkung beginnt und beim Unfallmanagement
noch lange nicht endet.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408705000
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Flach von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1408705100
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Das Unglück des Holzfrachters „Pallas“
war keine ökologische Katastrophe, liebe Frau Altmann,
es war eine organisatorische Katastrophe für die rot-
grünen Regierungen in Schleswig-Holstein und Berlin.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt geht es aber los!)


Durch die Unfähigkeit, eine schnelle Koordination
der zuständigen Behörden zu gewährleisten, ist der
Schaden wesentlich größer geworden, als es bei einer
funktionierenden Krisenbewältigung der Fall gewesen
wäre. Da hilft es auch nicht, das durch das Aufzählen
von Schlepperkapazitäten zu beschönigen, Frau Alt-
mann. Frau Simonis hat Ihretwegen bzw. wegen Herrn
Steenblock eine Regierungskrise, eine Koalitionskrise,
ausgerufen. Ich glaube, das spricht für sich.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir alle wissen – ich habe heute einen friedlichen

Tag –, dass Unfälle in der Schifffahrt nicht hundertpro-
zentig zu vermeiden sind. Die Zusammenarbeit von
Bundes- und Landesbehörden und privaten Rettungsor-
ganisationen ist dringend verbesserungsbedürftig. Das
hat der Unfall eindeutig bewiesen, und das hat das See-
amt Kiel noch vor der dankenswerten Arbeit der Kom-
mission schon am 21. August 1999 eindeutig bestätigt.

Bereits im Frühjahr 1999 haben wir alle Anträge zur
Verbesserung des Küstenschutzes vorgelegt. Sie ha-
ben immer darauf verwiesen, man müsse erst den Be-
richt der unabhängigen Sachverständigenkommission
abwarten. Wir haben auf eine sehr schnelle Vorlage ge-
drängt. Es ging dabei nicht darum, die Arbeit von Sena-

tor Grobecker und seiner Kommission unter Druck zu
setzen.
Die Regierung selbst hat mehrfach eine Vorlage des Be-
richtes angekündigt und das dann nicht eingehalten. Wir
haben Sie zum Schluss sogar mit einem Antrag auffor-
dern müssen, den Bericht unverzüglich vorzulegen. Ich
frage mich zu Recht, Herr Koppelin: Warum diese
Langsamkeit? Es geht schließlich um den Schutz von
einmaligen Naturräumen, seltenen Vogelarten und nicht
zuletzt um den Schutz von Menschenleben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manfred Opel [SPD]: Warum waren Sie dann in Schleswig-Holstein gegen das Nationalparkgesetz?)


Ich habe den Eindruck, bei der Langsamkeit geht es
auch um den Schutz von Herrn Steenblock.

Dass eine bessere Koordination dringend notwendig
ist, beweist folgender Vorfall unter Ihrer Ägide: Am
5. November 1999 brach auf dem norwegischen Frach-
ter „MS Mercator“ ein Feuer aus. Auf ihrem Weg von
Hamburg nach Berlin wollte die „Mercator“ deshalb
Brunsbüttel als Nothafen anlaufen. Die schleswig-
holsteinischen Behörden lehnten es jedoch ab, einen
Liegeplatz zur Verfügung zu stellen. Die Feuerwehr
Brunsbüttel, die zur Brandbekämpfung bereits an Bord
gegangen war, musste unverrichteter Dinge wieder ab-
ziehen.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Hört! Hört!)

Unter dem Geleit des Schleppers „Mellum“ musste die
brennende „Mercator“ in den Hamburger Hafen einlau-
fen, wo sie von der Hamburger Feuerwehr gelöscht
wurde.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ein Skandal ist das!)


Das ist ein Skandal, der gefährliche Folgen hätte ha-
ben können. Es kann nicht sein, dass brennende Schiffe
aufgrund bürokratischer Borniertheit über unsere Meere
fahren müssen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Gestern Abend hat die unabhängige Expertenkom-

mission ihren Abschlussbericht vorgelegt. Ich möchte
mich bei dieser Gelegenheit bei Senator Grobecker und
seinem Team herzlich für die geleistete Arbeit bedan-
ken.

Ich stelle fest, dass die 30 Empfehlungen des Berich-
tes eine sehr hohe Übereinstimmung mit den von der
F.D.P. geforderten Maßnahmen aufweisen, die wir im
letzten Jahr in unserem Antrag vorgeschlagen haben. Da
ist die Kernforderung nach Zusammenführung der mit
Aufsichtsaufgaben betrauten, auf See tätigen Dienste des
Bundes zu einer Einheit mit gemeinsamer Flotte und
gemeinsamem Kommando. Wir haben dies „Küstenwa-
che“ genannt, die Kommission nennt es „Seewache“.
Das ist wohl treffender, weil es schließlich nicht nur um
den Schutz von Küstengewässern geht. Ein gemeinsa-
mes Havariekommando soll den zentralen Meldekopf,
Meldestelle, Einsatzleitgruppe, Sonderstellen von Bund

Gila Altmann (Aurich)







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und Ländern ersetzen und autonom entscheiden, in wel-
chen Fällen es das Kommando mit Durchgriffsrecht auf
alle erforderlichen Einsatzkräfte übernimmt. Auch dies
finden Sie in unserem Antrag.

Ganz wichtig ist auch eine verbesserte Öffentlich-
keitsarbeit, wie sie in Empfehlung 13 vorgeschlagen
wird. Ein Mitarbeiter des Havariekommandos soll zent-
ral als Ansprechpartner für Medien und Öffentlichkeit
dienen. Ich weise nur darauf hin, dass die F.D.P. auch
dies gefordert hat.

Beide Papiere enthalten die Forderung nach verbes-
serter Zusammenarbeit mit den Niederlanden und Dä-
nemark sowie nach Modernisierung der Ausrüstung der
Schlepper. Im Bericht der Kommission finden Sie au-
ßerdem – das ist für uns Umweltpolitiker sehr begrü-
ßenswert – den Vorschlag zur Weiterentwicklung von
Ölbekämpfungsmitteln mit möglichst geringen Um-
weltschäden.

Von der rechtlichen Seite empfehlen F.D.P.-Antrag
und Kommissionspapier die schnelle Ratifizierung des
internationalen Bergungsabkommens, des internationa-
len Abkommens über die Beschränkung für Seeforde-
rungen sowie die Weiterentwicklung der IMO-Richt-
linien für ein Haftungsübereinkommen für austretendes
Bunkeröl.

Ganz wichtig ist aus unserer Sicht, meine lieben Kol-
legen von der SPD, dass die Kommission ausdrücklich
keine Notwendigkeit für eine generelle Ausweitung der
Schutzzonen und eine generelle Verlegung von Ver-
kehrstrennungsgebieten sieht, sondern ein System der
flexiblen Wegeführung bevorzugt. Das widerspricht
eindeutig dem überzogenen Vorschlag von SPD und
Grünen nach einer Ausweisung des Wattenmeeres als
Particular Sensitive Sea Area mit Durchfahrverboten für
Sub-Standard-Schiffe.


(Manfred Opel [SPD]: Das Wattenmeer kann gar keiner ausweisen!)


Wir fordern, dass das Machbare schnell umgesetzt
wird, damit ein verbesserter Umweltschutz gewährleistet
werden kann. Auch die Kommission kommt zu der Er-
kenntnis – da stimme ich Herrn Klimmt zu –, dass für
die Umsetzung der Maßnahmen keine Grundgesetzände-
rung nötig ist und die Kosten für die Umsetzung aller
Empfehlungen mit rund 130 Millionen DM erträglich
sind, wenn man bedenkt, dass allein die Kosten für den
„Pallas“-Unfall bei rund 25 Millionen DM liegen, von
denen nur 3,5 Millionen DM über Versicherungen ge-
deckt sind.

Aufgrund der sehr hohen Übereinstimmung zwischen
dem F.D.P.-Antrag und dem Kommissionsbericht sind
wir der Ansicht, mit der Unterstützung unseres Antrages
könnte der Bundestag nach dem langen Warten nun
schnelle Handlungskompetenz beweisen. Wir bitten um
Ihre Unterstützung.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408705200
Als
nächster Rednerin gebe ich der Kollegin Kersten Nau-
mann von der PDS-Fraktion das Wort.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1408705300
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich möchte trotz der Wichtigkeit
des Küstenschutzes und sicher auch des Wahlkampfes
zu einem weiteren Schwerpunkt dieses Tagesordnungs-
punktes sprechen, nämlich der Agrarpolitik. Denn die
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ ist eines der wichtigsten In-
strumente der Bundesregierung zur Durchsetzung der
Agrarpolitik.


(Beifall bei der PDS)

Sie ist aber auch das Ergebnis einer starken Einfluss-
nahme der Bäuerinnen und Bauern auf die Regierungs-
politik, die wir für dringend notwendig erachten. Sie
enthält deshalb viele Maßnahmen, die auch von der PDS
nachdrücklich unterstützt werden.

Aus der Sicht der PDS und der Landwirte sind aller-
dings noch einige Schwachstellen zu kritisieren und zu
beseitigen, die ich hier benennen möchte.

Erstens. Auch die Regierung von Bundeskanzler
Schröder setzt den unter Kanzler Kohl eingeleiteten ri-
gorosen Sparkurs fort. Standen 1993 noch 2,6 Milliar-
den DM für die Gemeinschaftsaufgabe zur Verfügung,
so sind es im Haushaltsjahr 2000 nur noch
1,7 Milliarden DM. Das entspricht einer Kürzung um
über 35 Prozent. Eine Aufstockung der Mittel ist nicht
zu erwarten, wie uns Minister Funke gestern im Aus-
schuss vermittelte.

Gemessen an der Dynamik des Strukturwandels in
der Landwirtschaft und den sich daraus ergebenden An-
forderungen an eine gestaltende Agrarpolitik ist diese
Mittelkürzung Ausdruck einer verantwortungslosen Po-
litik. Sie wird leider durch viele andere agrarpolitische
Maßnahmen der Bundesregierung noch verstärkt. Ich er-
innere in diesem Zusammenhang nur an die Haushalts-
kürzungen bei der landwirtschaftlichen Sozialpolitik und
die Auswirkungen der Steuerpolitik auf die Landwirt-
schaft. Das bestärkt den Eindruck, dass die Agrarpolitik
mehr und mehr zu einem Restposten verkommt.

Ein zweiter Schwachpunkt der Gemeinschaftsaufgabe
ist die Verteilung der Mittel auf die verschiedenen Maß-
nahmen. Darunter wird die „Förderung der agrarstruktu-
rellen Entwicklungsplanung“ genannt. Unter diesen
Grundsätzen ist das Ziel formuliert: „Erarbeitung ge-
bietsspezifischer Leitbilder zur Landentwicklung sowie
von Vorschlägen sachlicher und/oder räumlicher Ent-
wicklungsschwerpunkte.“ Und weiter: „Mitwirkung der
Öffentlichkeit an der agrarstrukturellen Entwicklungs-
planung“.

Welche Bedeutung dieser Maßnahme beigemessen
wird, lässt sich daran erkennen, dass lediglich 0,3 Pro-
zent der Gesamtmittel dafür zur Verfügung stehen. Von
einer Mitwirkung der Öffentlichkeit kann unter diesen
Bedingungen überhaupt nicht die Rede sein. Es ist des-
halb kein Wunder, wenn es lautstarke Proteste gegen die
Einrichtung neuer Naturschutz- oder FFH-Gebiete gibt.

Die Vernachlässigung dieser Planungsaufgabe ist
auch ein wesentlicher Grund dafür, dass es erhebliche
Rückstände bei der Vorlage der Länderprogramme
zur ländlichen Entwicklung gibt. Sie sind aber die

Ulrike Flach






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Voraussetzung dafür, dass von der EU die Mittel für die
Förderung der ländlichen Entwicklung bereitgestellt
werden.

Wir halten die Aufstockung der Mittel für die agrar-
strukturelle Entwicklungsplanung und eine tatsächliche
Beteiligung der Öffentlichkeit an dieser Planung für
dringend erforderlich. Mehr noch: Die im Ergebnis die-
ser Planung getroffenen Entscheidungen müssen zu Kri-
terien für die Investitionsförderung der landwirtschaftli-
chen Betriebe werden. Wir erwarten, dass die Regierung
ihre Grundsätze ernst nimmt und tatsächlich, wie es in
der Unterrichtung der Bundesregierung heißt, „die För-
dermaßnahmen so aufeinander abstimmt, dass auch zu-
künftig eine integrierte Förderpolitik in allen Regionen
ermöglicht“ wird.

Damit komme ich zu einem dritten Problem der Ge-
meinschaftsaufgabe: Der größte Anteil der Mittel aus
der Gemeinschaftsaufgabe wird für die einzelbetrieb-
liche Investitionsförderung eingesetzt. Das entspricht
dem Grundsatz der Regierungspolitik „Stärkung der
Wettbewerbsfähigkeit der land- und forstwirtschaftli-
chen Betriebe“. Mit diesem Grundsatz befördert die
Bundesregierung aber nachdrücklich den Verdrän-
gungswettbewerb und das Höfesterben; denn förderfähig
sollen nach ihren eigenen Aussagen vor allem „Rationa-
lisierung und Kostensenkung“ sein. Damit, meine Da-
men und Herren, ist die Arbeitsplatzvernichtung vor-
programmiert. Zwar lässt die Agrarinvestitionsförderung
auch die „Förderung von Betriebszusammenschlüssen“,
also der Agrarkooperation, zu. Doch dieses Thema spielt
für die Bundesregierung nur in Sonntagsreden eine Rol-
le.

Wir halten es für dringend erforderlich, den Erfah-
rungen der neuen Bundesländer zu folgen, die trotz gro-
ßer Betriebseinheiten die „Prioritäten zugunsten überbe-
trieblicher Maßnahmen ... verschieben“, wie es in der
Unterrichtung der Bundesregierung heißt. Ziel der Ge-
meinschaftsaufgabe muss es sein, das betriebliche Inte-
resse an der Steigerung der Effektivität mit der Schaf-
fung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum zu verbin-
den.


(Beifall bei der PDS)

Das erfordert Förderung der Kooperation zur Anglei-
chung der Arbeits- und Lebensbedingungen in Stadt und
Land.

Ich komme zu einem letzten Problem: Der von der
Bundesregierung durchgesetzte Sparzwang hat dazu ge-
führt, dass in einer Reihe von Bundesländern bei den
Schwächsten gespart wird, nämlich bei den Betrieben in
den benachteiligten Gebieten. Ihnen wurde kurzerhand
die Ausgleichszulage gekürzt.

Meine Damen und Herren, die PDS hält eine flächen-
deckende Landwirtschaft für unverzichtbar und fordert
deshalb, die natürlichen Ertragsunterschiede durch an-
gemessene Ausgleichszulagen abzufangen. Außerdem
erneuern wir unsere Forderung, eine Steuer- und Haus-
haltspolitik zu betreiben, die die Handlungsfähigkeit des
Bundes und der Länder erhöht und nicht schmälert.

Danke schön.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408705400
Als
nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Peter
Carstensen von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1408705500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ik glöv, dat is vielleicht ganz goot, um dat ook mol op
Plattdüütsch zu seggen, dat eener vun de Küst, der so-
goor op een Insel wohnen deit, mit beiden Küsten-
schutzmaßnahmen een beten wat to doon hett und
bedropen is, eniges dorto seggt.

Leev Kollege Müller, man wunnert sik ja manchmol.
Man wunnert sik, wie so’n jungen Kerl wie Sie so goot
vergeten kann. Ik kööm dor glieks nochmol dorop.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehen Sie, das ist die Zukunft!)


– Ja, aber man kann nicht nur mit Vergessen Zukunft
machen, sondern man muss dabei auch etwas tun. Das
aber vergessen Sie offensichtlich auch.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die „Pallas“ fing am

25. Oktober 1998 an zu brennen, und bis heute, 16 Mo-
nate später, hat man den Eindruck, es habe sich nicht
viel geändert.


(Annette Faße [SPD]: Da sind Sie schlecht informiert!)


– Reden Sie einmal mit den Leuten auf den Inseln! Die
Wut ist ihnen noch immer ins Gesicht geschrieben, Wut
darüber, dass noch immer über Küstenwache und dau-
erhafte Schlepperkapazitäten diskutiert wird, Wut
darüber, dass man sich noch immer allein gelassen fühlt,
Wut darüber, dass noch immer nicht entschieden wird,
Wut darüber, dass es offenbar auch wenig Interesse da-
für gibt.


(Ilse Janz [SPD]: Richten Sie das gegen die alte Bundesregierung?)


Ich habe einen Artikel gelesen, in dem es heißt:
„Das Thema ist so tot wie der Friedhof von Chica-
go“, erklärt Helmut Plüschau (SPD) seine „Pallas“-
Pause. Im Hamburger Umland interessiere das
niemanden mehr ...

Das ärgert die Leute; denn sie haben das Gefühl, sie
werden nicht ernst genommen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Annette Faße [SPD]: Die CDU ärgert das!)


Die Menschen ärgern sich auch darüber, wenn der
Innenminister auf einer Wahlkampfveranstaltung in
Schleswig-Holstein – dass er dort ist, ist ja in Ordnung –
sagt: Berlin will alle Vorschläge genau prüfen. Er hat
gesagt, es gebe gewisse Probleme und für die Aufga-
benwahrnehmung seien verfassungsrechtliche, rechtli-

Kersten Naumann






(A)



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(D)


che und finanzielle Fragen zu prüfen. Prüfen, prüfen,
prüfen – bloß nicht entscheiden!


(Iris Gleicke [SPD]: Sie haben es nötig!)

Auch ich vergesse manchmal etwas nach anderthalb

Jahren. Da ich aber im Hinterkopf noch etwas in Erinne-
rung hatte, habe ich nachgesehen, wie die Situation da-
mals war. Ich will sie Ihnen noch einmal vor Augen füh-
ren.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ganze Wahrheit bitte!)


– Ja, das ist die ganze Wahrheit. – Ich habe damals mit
den Amtsvorstehern, mit den Leuten auf Amrum ge-
sprochen. Sie haben mir gesagt – das ist wörtlich aus
meiner Rede am 18. November 1998 im Bundestag –:

Es gab keine Ansprechpartner. Informationen, die
anfangs aus Cuxhaven kamen, wurden abgeschnit-
ten mit dem Hinweis, jetzt sei das Umweltministe-
rium in Kiel zuständig. Per dortigen Verteiler gin-
gen die Informationen an zwei offizielle Stellen
und neun Umweltverbände, nicht aber zum Beispiel
an die Wasserschutzpolizei. Das alles ist erst später
erfolgt.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Dazu passt, dass auf Hilfsangebote vor Ort nicht
reagiert wurde.

Sie wurden geradezu verhindert, so zum Beispiel das
Angebot der örtlichen Feuerwehren zu helfen. Erst am
11. November um 8 Uhr – die „Pallas“ brannte seit dem
25. Oktober, am 29. Oktober ist sie auf Grund gelaufen
– wurde die Arbeitsbereitschaft des innenministeriellen
Leitungsstabes der Landesregierung hergestellt.

Und da wundern Sie sich, dass diese Katastrophe un-
trennbar mit dem Namen Steenblock verbunden ist?
Nennen Sie einmal an der Westküste den Namen Steen-
block und fragen Sie die Leute, was ihnen dazu einfällt!
Sie werden „Pallas“ sagen.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Übler Wahlkampf!)


Fragen Sie die Leute an der Westküste: Was fällt dir
zum Namen „Pallas“ ein? Sie werden sagen: Steenblock.
Diese beiden Namen sind miteinander verbunden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich darf daran erinnern, wie es damals war. Heide

Simonis war es – nicht wir waren es –, die nach zwei
Wochen ihren Umweltminister anfauchte: „Rainder,
schlaf endlich einmal aus, und dann pack deine Akten
und sieh zu, dass du nach Amrum kommst!“ Steenblock
ist dann am Abend des 10. November mit der Fähre um
18.30 Uhr nach Amrum gefahren, hat sich dort in der
Dunkelheit informiert und ist noch vor Tagesanbruch am
11. November um 6.15 Uhr wieder abgefahren. Das war
die Informationsbeschaffung des Herrn Steenblock, ei-
nes Ministers, der dafür zuständig war, dort etwas zu
tun.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt andere Möglichkeiten!)


Meine Damen und Herren, die Leute haben das Ge-
fühl, dass sie allein gelassen werden, dass immer noch
nicht gehandelt wird. Ich glaube, es ist notwendig, hier
zu handeln. Wir brauchen ein Zeichen, dass die Bundes-
regierung etwas tun will. Wir brauchen endlich eine
zentrale, schlagkräftige Küstenwache und eine dauerhaf-
te Schlepperkapazität für die Notfälle in der Deutschen
Bucht.

Ich sage ein bisschen kritisch – ich habe den Bericht
auch nur überfliegen können –:
Da helfen die Vorschläge der Grobecker-Kommission
nicht, wo geschrieben steht, dass der Bedarf mit kleine-
ren seegängigen Schleppern abgedeckt bzw. sogar Ka-
pazität auf dem Londoner Schleppermarkt über Makler
gebunden werden soll. Will man bei der nächsten Ka-
tastrophe erst eine Ausschreibung machen oder wie hat
man das vor? Wir brauchen keine Schiffe, die zur Not
auch schleppen können. Wir brauchen Schiffe, die in der
Not schleppen können. In dieser Richtung müssen wir
etwas machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

So sind auch die Resolutionen der Kreistage von Dith-
marschen und Nordfriesland zu verstehen, die eine dau-
erhafte Stationierung der „Oceanic“ oder eines ver-
gleichbaren Schiffes fordern. Herr Minister Klimmt, ich
glaube, diese Resolutionen sind Ihnen in den letzten Ta-
gen zugegangen.

Außerdem glaube ich – das ist allerdings meine per-
sönliche Meinung –, es reicht nicht aus, den Vertrag mit
der „Oceanic“ immer wieder nur für kurze Zeit zu ver-
längern. Die „Oceanic“ ist alt; und auch dieses Schiff
wird nicht jünger und kommt an seine Grenzen. Deswe-
gen bitte ich ganz herzlich darum, einmal zu überprüfen,
ob es nicht notwendig ist, ein eigenes Schiff – eventuell
mit den Dänen oder den Holländern zusammen – auf
Kiel zu legen, das durchaus auch andere Aufgaben über-
nehmen kann, aber in der Not eben auch wirklich
schleppen kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sicherheit
muss dauerhaft gewährleistet werden. Das gilt auch für
den klassischen Küstenschutz. Damit meine ich den
Schutz der Leute, die hinter den Deichen wohnen. Of-
fensichtlich ist für sie Hilfe in Sicht. Es sind nicht nur
die Küstenländer, die sich um Küstenschutz bemühen,
sondern wohl auch andere Länder. Ich meine Minister-
kollegen von Ihnen, Herr Minister, die Sie sehr gut ken-
nen und die – auch aus Nordrhein-Westfalen – vor kur-
zem wohl vor Ort gewesen sind und sich über die Prob-
leme des Küstenschutzes informiert haben.

Ich habe einen Artikel vorliegen, der mit „Geheime
Deichschau oder Jux-Tour?“ überschrieben ist. Die Mi-
nister Heinemann, Schleußer, Schwier und der leider
verstorbene Matthiesen sind auf Sylt gewesen und haben
sich dort nach dem Küstenschutz erkundigt.

Peter H. Carstensen (Nordstrand)







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(Zuruf von der SPD: Das muss aber schon eine Weile her sein! – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Mit Gummistiefeln oder ohne?)


Vor dem Untersuchungsausschuss in Düsseldorf wurde
– so der Zeitungsbericht – gesagt, sie hätten

bei ihrem Abflug mit Gummistiefeln und Angel-
route bewaffnet den Eindruck vermittelt, auf dem
Weg zur privaten Angeltour zu sein ...

(Manfred Opel [SPD]: Das ist ja zehn Jahre her!)

Weder Westerlands damaliger Bürgermeister und
Vorsitzender des Landschaftszweckverbands, Vol-
ker Hoppe, noch Amtsvorsteher Claus Andersen
waren informiert. „Das ist schon ´ne komische
Nummer.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wie sind die denn geflogen?)

Da will mein Freund Hans Wiesen auf Sylt jeman-
dem die Sandvorspülung zeigen und ruft mich nicht
an? Das hat´s nicht gegeben. Wenn das man nicht
doch ´ne Juxtour war.“

Herr Minister, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns
einmal sagen würden, wie das Ergebnis dieser Informie-
rung über den Küstenschutz lautet und ob wir jetzt den
Rückhalt der nordrhein-westfälischen Landeregierung
haben, wenn es bei der Gemeinschaftsaufgabe darum
geht, mehr für den Küstenschutz zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Eine sehr interessante Frage!)


Küstenschutz wird zu 70 Prozent vom Bund und zu
30 Prozent von den Ländern finanziert. Ich habe mit In-
teresse festgestellt, dass Sie, Herr Kollege Opel, gleich
noch reden werden. Ich kenne die ganzen Äußerungen,
die Sie gemacht haben. Wahrscheinlich werden Sie sa-
gen, der Bund müsse mehr für den Küstenschutz tun.


(Manfred Opel [SPD]: Das ist eine nationale Aufgabe!)


Der Bund müsse – richtig, nationale Aufgabe! – mehr in
die Finanzierung des Küstenschutzes eingebunden wer-
den. Es gehe um eine Übernahme des Küstenschutzes zu
100 Prozent durch den Bund. Das und nicht das, was wir
im Moment in Schleswig-Holstein erleben, wäre der
richtige Weg.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408705600
Herr
Kollege Carstensen, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Hendricks?


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1408705700

Aber sicher.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist die rechte Hand vom Vielflieger Schleußer! Die ist mit Schleußer mitgeflogen, vermute ich! – Gegenruf von der SPD: Als Tiefflieger wäre ich da etwas vorsichtig!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408705800
Frau
Hendricks, bitte schön.


Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1408705900
Herr Kollege Cars-
tensen, ich kann ja verstehen, dass Sie vor dem Hinter-
grund, dass Sie im November noch sicher waren, dem-
nächst Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein
zu werden,


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Bin ich jetzt immer noch!)


nunmehr ein bisschen Amok laufen.

(Heiterkeit bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sind Sie trotzdem bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
die Aussage, die Sie vor dem deutschen Parlament wie-
derholen, von einer zwielichtigen Zeugin im Untersu-
chungsausschuss des Düsseldorfer Landtages stammt,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Da waren mehrere zwielichtig!)


deren Aussage vom „Spiegel“ gekauft und im Untersu-
chungsausschuss von ihrem eigenen früheren Mitarbei-
ter widerlegt worden ist, der ausdrücklich gesagt hat, es
habe eine solche Reise nicht gegeben?


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Nein! Er hat gesagt, es habe keine Gummistiefel gegeben!)


Sind Sie im Übrigen bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass der ehemalige Minister Heinemann in der vergan-
genen Woche ausgesagt hat, es habe die Reise genau so
gegeben, wie sie beschrieben worden ist, es sei aber
selbstverständlich niemand mit Gummistiefeln gereist,
denn alle Beteiligten seien aus Sitzungen heraus dorthin
gekommen und hätten deswegen normale Kleidung ge-
tragen?


(Zurufe von der CDU/CSU: Ballettschuhe! – Lackschuhe! – Turnschuhe!)


Sind Sie vor diesem Hintergrund vor allen Dingen be-
reit, dieses Hohe Haus nicht in der schäbigen Weise, in
der Sie es jetzt getan haben, für Ihren doch schon verlo-
ren gegangenen Wahlkampf zu benutzen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1408706000

Frau Kollegin, erst einmal ist dieser Wahlkampf nicht
verloren. Ich gehe davon aus, dass wir diese Wahl ge-
winnen.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unter 35 Prozent!)


– Kollege Müller, Sie sollten lieber erst einmal dafür
sorgen, dass Sie in Schleswig-Holstein 5 Prozent be-
kommen.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Werden wir!)


Peter H. Carstensen (Nordstrand)







(A)



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(C)



(D)


Die Grünen sind bei den Kreistagen in Dithmarschen
und in Nordfriesland schon in hohem Bogen herausge-
flogen, auch wegen „Pallas“ und vieler anderer Dinge.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überall sonst hereingekommen!)


Dass die Grünen in diesen beiden Kreistagen nicht ver-
treten sind, hat sich in der letzten Zeit überaus bewährt –
um auch das nur einmal kurz zu sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich darf Ihnen, Frau Kollegin, aus diesem Artikel zi-

tieren, der noch weiter geht: Das Landwirtschaftsminis-
terium bestätigte gestern, dass die Herren dort auf einer
Tour gewesen sind.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das hat doch niemand bestritten!)


– Gerade haben Sie gesagt, das sei nicht der Fall gewe-
sen.


(Zuruf von der SPD: Sie haben nicht zugehört! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie Tomaten auf den Ohren?)


– Sie haben doch gesagt, das sei nicht der Fall und ich
solle es zurücknehmen. Es ist bestätigt worden – ich ha-
be auch Volker Hoppe zitiert, der sich ebenfalls darüber
gewundert hat –, dass vier hochrangige Leute aus Nord-
rhein-Westfalen nach Sylt angeflogen kommen, dort he-
rumlaufen und sich auch informieren.


(Manfred Opel [SPD]: Sagen Sie doch einmal, wann das war!)


– Das kann ich einmal nachsehen: 14. und 16. Juni 1990.

(Manfred Opel [SPD]: Was hat das denn mit der „Pallas“ zu tun?)

– Entschuldigen Sie bitte, lieber Herr Opel, Sie müssen
die Tagesordnung lesen und zur Kenntnis nehmen, dass
wir auch über Küstenschutz und über die Gemein-
schaftsaufgabe reden. Sie werden doch wohl noch wis-
sen, dass das etwas mit Küstenschutz zu tun hat.

Jetzt wollen wir das noch einmal für Sie aufdröseln.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408706100
Herr
Kollege Carstensen, befinden Sie sich noch in der Be-
antwortung der Frage von Frau Hendricks?


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1408706200
Ich
befinde mich noch in der Beantwortung. Das dauert
noch lange.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408706300
Dann
würde ich die Frau Kollegin Hendricks bitten, stehen zu
bleiben.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1408706400

Das waren vier Fragen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408706500
Es gibt
den Wunsch nach einer weiteren Frage. Wenn Sie mit
der Beantwortung dieser Frage zu Ende sind, dann
möchte ich Sie bitten, eine weitere Frage zu genehmi-
gen.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1408706600
Ich
stelle noch einmal fest: Es hat dort eine Reise von vier
Ministern gegeben. Es ist völlig gleichgültig, wann das
gewesen ist. Hier geht es um den Küstenschutz, nicht
um die „Pallas“.


(Manfred Opel [SPD]: Aber von heute und nicht von vor zehn Jahren!)


Es gab diese Reise dorthin. Es hat nicht eine Presse-
mitteilung darüber gegeben. Es hat darüber anschließend
keine Diskussion gegeben, weder in Nordrhein-
Westfalen noch bei uns.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Keinen schriftlichen Bericht!)


Auch gab es keinen schriftlichen Bericht. Ich fordere in
diesem Zusammenhang den Minister auf, der hier für die
Gemeinschaftsaufgabe zuständig ist, in seinem Hause
einmal nachzuforschen, ob diese Informationsreise mit
vier hochrangigen Ministern, die sich den Küstenschutz
und die Sandvorspülung auf Sylt ansehen wollten, etwas
bei der Bewilligung, der Ausgabe und der Diskussion
über den Küstenschutz in Nordfriesland, an der West-
küste und wo auch immer bewirkt hat.


(Manfred Opel [SPD]: Das ist immer noch besser als ein Jagdausflug nach Spanien!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408706700
Herr
Kollege Carstensen, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Koppelin?


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1408706800

Aber gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408706900
Bitte,
Herr Koppelin.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1408707000
Lieber Herr Kollege
Carstensen, erkenne ich es bei Ihnen richtig, dass Sie
nach diesem Beitrag und nach der Frage völlig über-
rascht sind, dass der Minister Schleußer in NRW zu-
rückgetreten ist?


(Zurufe von der SPD: Oh!)



Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1408707100
Die
Frage kann ich so beantworten: Ich bin völlig über-
rascht. Das ist schon richtig.

Herr Präsident, ich komme jetzt wieder zu meinem
Redetext. Es ist schon erstaunlich, wenn bei einer so
wichtigen Aufgabe wie der Gemeinschaftsaufgabe, fi-
nanziert mit 60 Prozent vom Bund und 40 Prozent von

Peter H. Carstensen (Nordstrand)







(A)



(B)



(C)



(D)


den Ländern in der normalen Gemeinschaftsaufgabe, ein
Land wie Schleswig-Holstein 1 DM ausgibt und zusätz-
lich 1,50 DM an Bundesmitteln erhält; beim Küsten-
schutz ist es noch mehr. In den letzten Jahren, wie Diet-
rich Austermann auch schon gesagt hat, hat das Land
auf 34 Millionen DM an Bundesmitteln verzichtet.


(Manfred Opel [SPD]: Das stimmt doch alles nicht!)


– Natürlich stimmt das, Herr Opel. Sie sind nicht infor-
miert. Es wurde auf 34 Millionen DM verzichtet.
22 Millionen DM sind an Landesmitteln für den Küsten-
schutz und für die Verbesserung der Agrarstruktur nicht
dazugegeben worden.


(Manfred Opel [SPD]: Das hat Ihnen persönlich der Minister Buß widerlegt! Sie waren dabei!)


– Nein, das hat er eben nicht.

(Manfred Opel [SPD]: Natürlich! Das wissen Sie!)

– Nein, Herr Opel. Sie haben keine Ahnung.


(Manfred Opel [SPD]: Aber Sie haben alle Ahnung dieser Welt!)


Das ist an sich schade. Sie haben keine Ahnung, aber
Sie sind trotzdem immer noch sehr laut.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Schleswig-Holstein hat hier darauf verzichtet, Ausga-
ben in einer Größenordnung von 56 Millionen DM in
diesem Bereich zu tätigen. Wenn Sie das auf Investiti-
onstätigkeiten im ländlichen Raum umrechnen, Herr
Opel, dann sind das 250 Millionen DM, die im ländli-
chen Raum in Schleswig-Holstein nicht investiert wor-
den sind, weil die Landesregierung nicht bereit ist, hier
mitzumachen.

Jetzt zu meinen, dass die zukünftigen Küstenschutz-
aufgaben über Brüsseler Mittel finanziert werden kön-
nen, nun herumzulaufen und überall laut zu verkünden
und zu versprechen, ihr bekommt auf Sylt wesentlich
mehr Sandvorspülung und mehr Geld für den Küsten-
schutz, und dann darauf zu hoffen, dass Brüssel dies ge-
nehmigt, das ist schon ein dreistes Stück.
Ich finde, es ist unredlich, erst jetzt den Antrag auf Ge-
nehmigung dieser Mittel für den Küstenschutz zu stel-
len, aber draußen und zu verkünden: Jawohl, wir werden
die Küstenschutzmaßnahmen verstärken.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408707200
Herr
Kollege Carstensen, kommen Sie bitte zum Schluss.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1408707300
Ja -
Der beste Küsten- und der beste Katastrophenschutz ist,
eine Landesregierung wie die in Schleswig-Holstein ab-
zuwählen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Schwache Rede! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wird das nichts mit dem Minister!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408707400
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, es gibt keine Geschäftsord-
nungsregelung, die denjenigen, der eine Zwischenfrage
stellt, zwingt, bei der Antwort stehen zu bleiben. Aber es
ist ein Akt der Höflichkeit und für die Zuschauer ein
Zeichen, dass hier ein Frage-und-Antwort-Spiel statt-
findet.


(Iris Gleicke [SPD]: Aber dann muss er auch antworten!)


Deswegen wäre ich dankbar dafür, wenn man sich an
diese Regelung halten würde. Der Inhalt der Antwort
liegt in der Kompetenz des Redners; dazu kann ich
nichts sagen.


(Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt etwas über seine Kompetenz aus!)


Jetzt gebe ich das Wort zu einer Kurzintervention der
Kollegin Ulrike Höfken von Bündnis 90/Die Grünen.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408707500
Vie-
len Dank. – Die Verzweiflung muss groß sein, wenn
man sich schon darüber unterhalten muss, ob jemand vor
100 Jahren mit Gummistiefeln herumgelaufen ist oder
nicht.


(Zuruf von der SPD: 1990!)

Wenn das zum Wahlkampfthema wird, dann sind die

Chancen für die CDU aber gering.
Ich möchte auf einen anderen Punkt eingehen, näm-

lich auf das Märchen der mangelnden Ausgaben für
den Küstenschutz, das hier verbreitet wird. Ich will nur
darauf hinweisen, dass sich das Land Schleswig-
Holstein gerade in den letzten Jahren erheblich ins Zeug
gelegt hat.


(Manfred Opel [SPD]: Richtig!)

Das gilt im Übrigen auch für den Bund. Im Jahr 1998
hat es 151 Millionen DM für den Küstenschutz gegeben,
im Jahr 1999 waren es 243 Millionen DM.


(Iris Gleicke [SPD]: Hört! Hört!)

Schleswig-Holstein hat 61 Millionen DM für den Küs-
tenschutz zur Verfügung gestellt bekommen, zusammen
mit der Kofinanzierung mehr als 80 Millionen DM

Um auch das noch einmal zu sagen: Die alte Bundes-
regierung hatte die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe
– und damit für den Küstenschutz, der ja hilft, Herrn
Carstensen, vor dem „Land unter“ zu bewahren – um ein
ganzes Drittel gekürzt. Dagegen hat das Land Schles-
wig-Holstein, das oft wegen mangelnder Kofinanzierung
gescholten wurde, was natürlich auch damit zusam-
menhing, dass andere Schwerpunkte gesetzt wurden –
gerade der Agrarbericht weist aus, dass die Betriebser-

Peter H. Carstensen (Nordstrand)







(A)



(B)



(C)



(D)


gebnisse in Schleswig-Holstein gut sind, sogar viel bes-
ser als in anderen Ländern –, erhebliche Anstrengungen
unternommen, um die Kofinanzierung hinzubekommen.
Das gilt – das muss man betonen – gerade für die letzten
drei Jahre: Im Jahr 1997 gab es noch ein Defizit von
16,5 Millionen DM – Sie haben das einfach alles zu-
sammengerechnet –, aber im Jahr 1999 nur noch eines
von 4,5 Millionen DM. Jetzt hat Schleswig-Holstein ein
großes Programm gemeldet. Ich finde, das ist eine er-
hebliche Leistung, die die rot-grüne Landesregierung
hier vollbracht hat.

Schließlich noch zur Gemeinschaftsaufgabe: Diese
Bundesregierung hat die Gemeinschaftsaufgabe stabili-
siert, trotz der finanziellen Engpässe. Das hat der Mini-
ster auch gestern im Ausschuss laut und deutlich gesagt.
Das bedeutet keineswegs – wie Frau Naumann gesagt
hat– eine Reduzierung der Unterstützung für die Ent-
wicklung der ländlichen Räume. Vielmehr wird die
Entwicklung mit einer Reform der Gemeinschaftsaufga-
be vorangebracht. Das ist, finde ich, eine gute Sache.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408707600
Zur Er-
widerung Herr Carstensen.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1408707700

Frau Kollegin Höfken, ich stelle noch einmal fest: Von
1996 bis einschließlich 1999 sind – seinerzeit von Hans
Wiesen und jetzt von Klaus Buß unterschiedlich ge-
handhabt – ungefähr 34 Millionen DM an Bundesmit-
teln aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ entweder wieder
zurückgegeben – das war die Zeit von Hans Wiesen –
oder gar nicht erst abgerufen worden, nämlich zu der
Zeit von Klaus Buß.

Die nicht abgerufenen Mittel betrugen im Jahr 1999
4,8 Millionen DM. Durch die globalen Minderausgaben,
die Finanzminister Möller in Schleswig-Holstein
beschlossen hat, ist zu erwarten – und keiner bestreitet
das –, dass auch im Jahre 2000 4,6 bis 4,8 Milli-
onen DM der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe
nicht abgerufen werden. – Das ist der erste Punkt.


(Gert Willner [CDU/CSU]: Klaus Buß hat die Mittel gar nicht erst abgerufen! Genau das ist der Punkt!)


Der zweite Punkt ist: Frau Kollegin, ich begrüße es,
wenn man versucht, für den Küstenschutz Mittel aus eu-
ropäischen Töpfen zu gewinnen.
Aber ich halte es für unredlich – das hat überhaupt
nichts mit Wahlkampf zu tun –, im Moment nach Sylt,
Föhr, Amrum oder Pellworm zu fahren und dort zu ver-
künden, dass das Land Schleswig-Holstein in diesem
Jahr 12 Millionen DM mehr in den Küstenschutz ste-
cken will.

Es ist gut, wenn man das will. Aber es ist unredlich,
wenn man die Finanzierung über die Mittel aus Brüssel

sicherstellen will und noch nicht einmal weiß, ob Brüs-
sel die Verwendung dieser Mittel, die nach Art. 33 die-
ser Richtlinie für Katastrophenvorsorge gegeben werden
können, für den Küstenschutz genehmigt. Dieses be-
mängele ich.

Ich wäre dankbar, wenn der Minister dazu etwas sa-
gen und vielleicht auch ankündigen würde, dass der An-
trag von Schleswig-Holstein unterstützt wird. Es wäre
gut, wenn er sagen würde: Die Mittel fließen in den
Küstenschutz; wir haben nichts dagegen, dass die Mittel,
die in den ländlichen Raum fließen sollen, auch für den
Küstenschutz herangezogen werden. – Man kann aber
nicht vorher sagen: Ihr werdet mehr Geld für den Küs-
tenschutz bekommen; wir müssen aber immer noch auf
die Genehmigung aus Brüssel warten. – Das halte ich
für unredlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408707800
Das
Wort hat nun die Kollegin Ulrike Mehl von der SPD-
Fraktion.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Sie sagt nun endlich was zu Steenblock!)



Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1408707900
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Ich höre immer von der Opposition –
auch bei anderen Gelegenheiten –, man möchte sich
unbedingt wieder inhaltlich politisch auseinander setzen.
Das, was Sie heute abgeliefert haben, war keine inhalt-
liche Auseinandersetzung,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


es sei denn, Sie hätten andere Vorstellungen von dem,
was Inhalte sind.

Ich finde es auch ziemlich öde, dass jedes Mal dann,
wenn in Schleswig-Holstein eine Wahl ansteht, der
Bundestag zum Landtag gemacht wird und hier Debat-
ten geführt werden, die zu 90 Prozent in den Schleswig-
Holsteinischen Landtag gehören. Der einzige qualifizier-
te Beitrag war der von Herrn Kollegen Börnsen; ihn
möchte ich ausdrücklich von meiner Kritik ausgenom-
men wissen.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Und der von mir!)

Alles andere waren Debatten, die im Landtag von
Schleswig-Holstein längst geführt worden sind und nicht
hierher gehören.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: War das auch auf den Klimmt bezogen?)


Man hätte mit dieser Debatte eigentlich noch eine
Woche warten können. Auch das wäre noch vor der
Wahl gewesen. Man hätte sich dann in Ruhe mit diesem
Bericht auseinander setzen können, der ausgesprochen
differenziert ist. Jetzt musste man in einer Nachtschicht
den Bericht lesen und kann ihn nicht in Ruhe in den ei-
genen Reihen diskutieren. Das finde ich sehr schade,
zumal darin sehr viel Arbeit steckt.

Ulrike Höfken






(A)



(B)



(C)



(D)


Ich will noch einmal auf Herrn Carstensen zurück-
kommen, der gesagt hat, dass die Bevölkerung der
Westküste stinkwütend sei und eineinhalb Jahre nach
dem Unfall noch immer mit Blutdruck 180 darüber ge-
redet werde. In dem Gutachten für die Ministerpräsiden-
tin – der Schwachstellenanalyse – steht als Schwach-
stelle acht: Eine Region mit einem Außendarstellungs-
problem wie die Westküste hatte kein Konzept, einen
populären Unglücksfall so darzustellen, dass der Frei-
zeitsektor minimal geschädigt wurde. Statt dessen wurde
gefährlich lamentiert. Alleingänge betroffener Gemein-
den können einfallsreich sein, sind aber doch insgesamt
eher bedenklich. – Dies kann ich nur betonen. Es gibt
noch andere kritische Dinge.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das finde ich ganz schön zynisch!)


– Nein. Ich glaube, dass gewisse Debatten dazu beitra-
gen, dass nicht Lösungen gebracht werden, sondern nur
Dinge unter den Teppich gekehrt werden, und genau das
finde ich zynisch.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408708000
Frau
Kollegin Mehl, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Herrn Kollegen Koppelin?


Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1408708100
Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408708200
Bitte
schön, Herr Koppelin.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1408708300
Liebe Kollegin Ulrike
Mehl, haben Sie in diesem Bericht unter Schwachstelle
sechs auch gelesen, dass das gesamte Landeskabinett
unter unerwarteten symbolischen Druck geraten sei?


Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1408708400
Das steht dort. Das kann ich be-
stätigen.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1408708500
Können Sie noch einmal
kommentieren, wie das zustande gekommen ist? Kann
das nicht doch an Minister Steenblock gelegen haben?


Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1408708600
Herr Kollege Koppelin, genau
das wollte ich eben nicht tun, weil ich hier im Bundestag
und nicht im Landtag bin. Deswegen werde ich mich
jetzt dem Thema widmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Warum haben Sie das erste Zitat gebracht, Frau Mehl? Wir können alle nicht aus unserer Haut heraus!)


– Man muss ja wenigstens reagieren.
Also zum Bericht: In dem Bericht, der glücklicher-

weise in einer gut lesbaren und nachvollziehbaren Form
geschrieben ist – das kann man nicht von allen Berichten

sagen –, gibt es viele Lösungsansätze, wie das Risiko
von Schiffsunfällen durch ein verbessertes und optimier-
tes Notfallkonzept von Bund und Ländern sowie ge-
meinsam mit den europäischen Nachbarn verringert
werden kann. Ich komme noch auf einzelne Punkte zu
sprechen.

Aber klar ist auch – das ist in mehreren Beiträgen ge-
sagt worden –, dass wir Gefahren oder Havarien natür-
lich nicht hundertprozentig ausschließen können. Es
wurde jetzt mehrmals das Beispiel des Tankers „Erika“
angeführt, der vor der bretonischen Küste verunglückte,
auch wenn dort andere Standards oder Messlatten ange-
legt werden müssen. Trotzdem können wir nicht hun-
dertprozentig ausschließen, dass eine Katastrophe pas-
siert.

Wir können in dem Zusammenhang durchaus froh
sein, dass bisher an der deutschen Küste keine Katastro-
phe und kein Super-GAU passiert ist. Die „Pallas“ war
ein Holzfrachter und hatte nur relativ wenig Öl an Bord.
Es sind da nur 244 Kubikmeter Öl ausgelaufen. Trotz-
dem hat das gerade im Wattenmeer eine enorme negati-
ve ökologische Wirkung entfaltet. 16 000 Seevögel sind
verendet, 600 Kubikmeter ölverseuchter Sand mussten
entsorgt werden.

Man muss sich einmal vorstellen – es gibt ja auch an-
dere Beispiele, nicht nur der Fall der „Erika“ –, was ge-
schähe, wenn ein solcher Unfall wie jener der „Braer“,
die 1993 vor den Shetland-Inseln zerschellte – damals
sind 95 000 Tonnen Rohöl ins Meer geflossen –, oder
beispielsweise die Havarie der „Sea Empress“ 1996 vor
Wales sich bei uns ereignet hätten. Das wäre für das
Wattenmeer eine absolute Katastrophe, wenn so etwas
passieren würde. Das gilt nicht nur für die Ökologie des
Wattenmeeres, sondern natürlich auch für die Men-
schen, die dort leben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen drängen wir als SPD-Fraktion natürlich
auch seit vielen Jahren darauf, dieses Problem der Si-
cherheit durch eine Küstenwache oder irgendetwas
Ähnliches konzentriert zu lösen. Darüber sind wir uns in
Teilen auch einig gewesen, aber die alte Bundesregie-
rung hatte offenbar nicht vor, das umzusetzen.


(Beifall bei der SPD)

Das ist meine Kritik: Wenn Sie immer mit dem Finger
in unsere Richtung zeigen, dann erinnert das daran, dass
drei Finger in Ihre eigene Richtung zeigen müssten.

Die Expertenkommission hat Grundsätze erarbeitet,
die ich außerordentlich begrüße, und zwar hat sie fol-
gende Reihenfolge aufgestellt: Schadensvermeidung hat
Vorrang vor Schadensbegrenzung. Die Rettung von
Menschen hat Vorrang vor der Rettung von Ökosyste-
men. Die Rettung von Ökosystemen hat Vorrang vor der
Rettung von Sachwerten. Ich finde, das ist genau die
richtige Reihenfolge. Das kann ich nur begrüßen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht jetzt nicht
um Schuldzuweisungen, sondern wir müssen schnell die
Frage beantworten, wie das Risiko von Schiffstranspor-

Ulrike Mehl






(A)



(B)



(C)



(D)


ten möglichst minimiert wird. Wenn wir schon auf ganz
bestimmte Stoffe wie Rohöl, Chemikalien und andere
gefährliche Stoffe nicht grundsätzlich verzichten kön-
nen, müssen wir wenigstens alles für den vorsorgenden
Schutz und für ein reibungslos funktionierendes Katas-
trophenmanagement tun. Das heißt konkret:

Erstens müssen wir uns auf internationaler Ebene da-
für einsetzen, dass die passive Transportsicherheit der
Schiffe insgesamt und insbesondere bei gefährlichen
Gütern wie Chemikalien und Schweröl erhöht wird.
Doppelhöhlentanker sind ja für bestimmte Bereiche vor-
geschrieben, aber die Übergangsfrist, bis sie eingeführt
werden müssen, ist zu lang. Wir müssen darauf drängen,
dass diese Fristen verkürzt werden.


(Beifall bei der SPD)

Zweitens müssen Schiffe mit hohem Risikopotenzial

auf küstenfernere Fahrwasser verwiesen werden können,
und es muss auch möglich sein, Einlaufverbote für Hä-
fen auszusprechen. Diesem Ansatz folgt auch die Exper-
tenkommission zum Teil. Sie empfiehlt, Schiffen mit er-
höhtem Risikopotenzial küstenfernere Fahrwasser zu-
zuweisen. Das wäre jedenfalls ein wesentlicher Schritt
in die richtige Richtung.

Drittens müssen die Reeder und die Flaggenstaaten
stärker in die Pflicht genommen werden. Das ist vorhin
auch schon angesprochen worden. Haftungssummen und
Haftungsregelungen für ökonomische und ökologische
Schäden müssen eine wirksame Abschreckung gegen
Sicherheitsdumping bieten. Auch dieser Ansatz wird
von der Expertenkommission teilweise aufgegriffen.

Viertens – das ist der zentrale Ansatzpunkt für die
Expertenkommission – brauchen wir für den schnellen
Einsatz bei Schiffshavarien dringend ein zentrales, stän-
dig besetztes Havariekommando, das ein schnelles und
effizientes Eingreifen bei Schiffsunfällen ermöglicht. Es
wird empfohlen, die bisherigen Einrichtungen des Bun-
des und der Länder in Cuxhaven zusammenzufassen.
Ein solches ständig besetztes Kommando hätte im Ernst-
fall Durchgriffsrecht und Weisungsbefugnis bezüglich
aller erforderlichen Ressourcen von Bund, Ländern und
Kommunen. Dazu gehört auch, dass die auf See tätigen
Aufsichtsfahrzeuge von Einheiten des Bundesgrenz-
schutzes bis zur Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zu
einer zentral geführten Seewacht zusammengefasst wer-
den. Genau diese Punkte entsprechen auch unseren Vor-
stellungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Expertenbericht hat den Kompetenzwirrwarr, der

stellenweise beim Abwickeln des Unfalls der „Pallas“
gegeben war, deutlich gemacht, einen Wirrwarr, den wir
uns sicherlich kein zweites Mal leisten können und auch
nicht wollen. Deshalb kommen wir auf jeden Fall an ei-
ner gut organisierten, von bürokratischen Hürden befrei-
ten deutschen und – langfristig gesehen – auch europäi-
schen Küstenwache – hier sind erste Schritte bereits
gemacht worden – nicht vorbei.

Die Expertenkommission hat geprüft und geht davon
aus, dass ihre Vorschläge auf der Basis der geltenden
Rechtslage umgesetzt werden können. Das steht aus-

drücklich in dem Bericht. Aber wenn sich herausstellen
sollte – das nehme ich im Moment nicht an –, dass für
die Umsetzung notwendiger Maßnahmen eine grundge-
setzliche Änderung erforderlich ist, dann dürfen wir da-
vor nicht zurückschrecken. Herr Kollege Börnsen sagt
zu Recht, dass es immer sehr schwierig sei; man brauche
andere Mehrheiten; man müsse vor allem die Länder ins
Boot holen. Aber gerade angesichts solcher Fragen und
der Unfälle in jüngster Zeit kann es nicht nur um Recht-
haberei und darum gehen, was wer behalten und nicht
abgeben möchte; vielmehr müssen wir einen Anlauf ver-
suchen. Ich hoffe, dass die Expertenkommission Recht
hat und dass es ohne eine grundgesetzliche Änderung
möglich ist. Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat
übrigens partei- und fraktionsübergreifend auch so etwas
anvisiert.

Wenn wir über Öltanker, Schiffsunfälle und mögliche
Vorsorgemaßnahmen sprechen, dann dürfen wir nicht
vergessen, was dem Wattenmeer neben der Gefahr von
Unfällen ständig zugemutet wird. Jedes Jahr geraten
schätzungsweise 100 000 Tonnen Öl aus dem regulären
Schiffsverkehr oder durch den Betrieb von Ölplatt-
formen in die Nordsee, genauso wie 1 Million Tonnen
Stickstoffe vornehmlich aus dem Kfz-Verkehr und auch
aus der Landwirtschaft. Hier müssen wir dringend eine
Vorsorge organisieren, speziell in diesem Fall. Aber die
Vorsorge zu organisieren ist eine ständige und dauernde
Aufgabe. Wenn Sie, Herr Kollege Koppelin – Sie haben
mir das reihenweise vorgemacht –, und die Opposition
anmahnen, dass aus ökologischen Gründen dringend
Maßnahmen durchgeführt werden müssten – 16 Jahre
lang ging es nicht; wir müssen es jetzt in anderthalb Jah-
ren schaffen –,


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: 30 Jahre!)

dann müssen Sie erklären, wie dazu passen soll, dass Sie
mit einer Partei in Schleswig-Holstein koalieren wollen,
die sagt: Wir müssen den Umweltschutz zehn Jahre aus-
setzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408708700
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Gert Willner
von der CDU/CSU-Fraktion.


Gert Willner (CDU):
Rede ID: ID1408708800
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Traurige Tatsache ist, dass wir 16 Monate
nach dem Ereignis „Pallas“ nicht durchgreifend besser
auf ein solches Unfallgeschehen vorbereitet sind, als es
die Beteiligten damals waren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es gibt vielleicht jetzt ein bisschen mehr Routine, aber
mehr auch nicht.

Die rot-grünen Regierungen im Bund und in Schles-
wig-Holstein haben die vergangenen Monate nur für
Rechtfertigungen genutzt. Es wurde versäumt, einige
Veränderungen in wenigen beherzten Schritten anzuge-
hen.

Ulrike Mehl






(A)



(B)



(C)



(D)



(Ilse Janz [SPD]: Stimmt doch nicht! Falsch!)

Bis zur gestrigen Vorlage des Expertenberichtes bestand
offensichtlich ein Denk- und Handlungsverbot. Dabei
gibt es genügend Fachleute in Bund und Land. Da hätte
selbstständig weitergedacht werden können. Die in der
Beantwortung unserer Großen Anfrage als praktisch
einziges Handeln der Bundesregierung herausgestellte
Überarbeitung der Alarmpläne, die Definition von Ent-
scheidungskriterien für den Notschleppeinsatz, die Aus-
rüstung der Mehrzweckschiffe des Bundes mit – man
höre und staune – hochseefesten Schlepptrossen und die
Schließung von Verträgen über den Einsatz von Hub-
schraubern sind, gemessen an der Erwartungshaltung der
Bürgerinnen und Bürger, bitter wenig. Das ist nämlich
ganz normales Verwaltungshandeln. Dazu braucht es
keines politischen Impulses und es bedarf erst recht kei-
ner Havarie oder massiver Forderungen. Im Klartext:
16 Monate ist politisch nicht gehandelt worden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch mit der heutigen Vorlage des Expertenberich-

tes ist die Welt nicht plötzlich in Ordnung. Alle wortrei-
chen Erklärungen der rot-grünen Politiker in Bund und
Land kaschieren nur notdürftig, dass bisher kein ge-
meinsames Handlungskonzept der Küstenländer vor-
liegt. Grundsätzliche Meinungsunterschiede zwischen
den Einsatzkonzepten von Bund und Ländern bestehen
weiterhin.

Es ist nicht einmal zu den von allen Seiten geforder-
ten gemeinsamen Übungen der Einsatzstäbe von Bund
und Ländern gekommen, obwohl die Bundesregierung
zugesagt hat, die Konzepte für solche Übungen fortzu-
schreiben. Das ist ein Defizit. Ich hoffe, dass es Bund
und Ländern gelingt, auf der Basis des Expertenberich-
tes die Kraft zu einer wirklich durchgreifenden Neuaus-
richtung des Sicherheitskonzeptes für die Küsten von
Nord- und Ostsee zu finden. Das ist unser gemeinsames
Anliegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Welche Fakten müssen heute genannt werden? Nicht

einmal die Landesregierung Schleswig-Holstein verfügt
über ein geschlossenes Konzept. Der Landesumweltmi-
nister und der Landesinnenminister sind zerstritten. Der
Landesumweltminister kann sich in Schleswig-Holstein
in der alles entscheidenden Frage der Küstenwache in-
nerhalb der Landesregierung nicht durchsetzen. Heute
darf er wohl nicht reden, weil es in Schleswig-Holstein
keine klare Regierungsposition gibt.

Deshalb fordert der Umweltminister am liebsten
gleich eine europäische Coast Guard. Das ist risikolos.
Dazu gibt es kaum einen Widerspruch; nur löst es kein
Problem. Denn schon 1998 wurde deutlich, dass die
EU-Mitgliedstaaten eine zentrale Leitung aller Küsten-
wachen nicht für zweckmäßig erachten. Deshalb fordern
wir nach dem schwedischen Vorbild eine deutsche Küs-
tensicherung mit starken, im Krisenfall jederzeit aus
dem Routinebetrieb heraus operierenden Einsatzkräften.

Die Überlegungen hinsichtlich der Seewache sind für
uns sehr diskutierenswert, wenn die Führung durch ein
Havariekommando ausgeübt wird, das die Möglichkeit

zum Durchgriff hat. Wir müssen uns vor Augen führen:
Schwerpunktaufgabe bleibt die Vermeidung von Unfäl-
len. Das ist der Knackpunkt. Wir fordern eine einheitli-
che Führung aller auf See eingesetzten Kräfte des Bun-
des. In den Einsatzstäben muss die verantwortliche Ein-
personenleitung auch organisatorisch verankert sein; die
Mannschaft muss eingespielt sein und sie darf nicht erst
mit der Buschtrommel zusammengerufen werden müs-
sen.

Alle rechtlichen Möglichkeiten unterhalb einer
Grundgesetzänderung müssen genutzt werden. Die Ex-
perten haben gute Ansätze vorgeschlagen. Die internati-
onale Zusammenarbeit muss verbessert werden und der
Schiffsverkehr muss besser überwacht werden. In der
Ostsee findet praktisch keine Überwachung statt. Über-
wachung ist Vorsorge zur Vermeidung von Unfällen.
Für Schiffe mit gefährlicher Ladung in der Nordsee
müssen erforderlichenfalls Routenverlegungen durchge-
setzt werden; denn nicht nur die Leichtigkeit, auch die
Sicherheit des Seeverkehrs ist Aufgabe einer Küstenwa-
che.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Brandbekämpfung auf See muss neu geordnet

werden. Dafür sind ausgebildete und ständig geschulte
Seeleute einzusetzen – nicht Feuerwehrleute, die erst
von Land abgezogen werden. Das ist nicht der richtige
Weg. Wir müssen überlegen, ob die Notschleppkapazität
in dieser Form ausreicht. Peter Harry Carstensen hat da-
zu ein Wort gesagt.

Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Erwartungen
der Betroffenen sagen. Die Menschen an den Küsten,
die beruflich und wirtschaftlich von sauberen Meeren
und Stränden abhängig sind, können – auch aus Sorge
um mögliche ökologische Auswirkungen von Hava-
rien – erwarten, dass es endlich zu den nach der „Pal-
las“-Havarie versprochenen durchgreifenden Verände-
rungen kommt und dass nicht nur alter Wein in neue
Schläuche gegossen wird.

Die rot-grüne Landesregierung in Schleswig-Holstein
will offenbar – das muss ich hier deutlich sagen – nur
eine gemeinsame Führung im Krisenfall mit Unterstüt-
zung aus dem Bundesinnenministerium und aus den
Küstenländern. Dies ist nicht der richtige Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Große Anfrage der CDU/CSU zur Schaffung ei-

ner Deutschen Küstenwache hat dazu geführt, dass die
grundsätzliche Problematik aufgearbeitet wurde. Ich sa-
ge meinem Kollegen Wolfgang Börnsen ein herzliches
Dankeschön für die Arbeit, die er hineingesteckt hat.
Das muss einmal deutlich und klar gesagt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, mancher von Ihnen hat

sich gegen Mitternacht auch mit dem dicken Gutachten
der Expertenkommission befasst. Dort steht, dass die
Umsetzung der Empfehlungen der Expertenkommission
einmalig 130 Millionen DM kostet. Die laufenden Kos-
ten konnten noch nicht ermittelt werden. Diese
130 Millionen DM sind ein Betrag, mit dem, verteilt auf

Gert Willner






(A)



(B)



(C)



(D)


Bund und Länder, schnell Verbesserungen erreicht wer-
den können.

Schadensvermeidung hat Vorrang vor Schadensbe-
grenzung. Jetzt muss zügig und schnell ausgewertet, be-
raten und entschieden, also gehandelt werden. Noch
einmal dürfen 16 Monate nicht ungenutzt verstreichen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408708900
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Gila
Altmann.

Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ich möchte noch einmal auf den Redebeitrag von
Frau Flach eingehen, in dem sie gesagt hatte, dass
Schleswig-Holstein der brennenden „MS Mercator“
quasi die Hilfe verweigert habe, weil man ihr untersagt
habe, in Brunsbüttel einzulaufen. Ich hatte diesen Vor-
gang anders in Erinnerung, habe aber in der Zwischen-
zeit noch einmal Recherchen angestellt, um ganz sicher-
zugehen. Ich möchte Ihnen deshalb noch einmal zur
Kenntnis geben, dass dieses Schiff mit Eisenspänen be-
laden war, die schon brannten, die Feuerwehr Brunsbüt-
tel an Bord gegangen ist und in Absprache mit der Be-
satzung und dem Hamburger Hafen die Freigabe erteilt
hat, weil die brennenden Eisenspäne, die ja ein gewisses
Gefahrenpotenzial darstellten, besser in Hamburg ge-
löscht werden konnten. Genau so ist es dann ja auch pas-
siert. Die von Ihnen konstruierte Unterstellung, dass
Schleswig-Holstein in einer akuten Gefahrensituation
keine Hilfe geleistet habe, ist nach meinen Informatio-
nen falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408709000
Wollen
Sie erwidern? – Bitte.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1408709100
Nichtsdestoweniger stimmen
Sie mir doch sicherlich zu, Frau Staatssekretärin, dass
dieses Schiff brennend über das Meer gefahren ist. Es
ging darum, dass hier etwas ablief, was nicht hätte sein
müssen.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.] – Ilse Janz [SPD]: So ein Quatsch! Soll man das Schiff tragen? – Ulrike Mehl [SPD]: Wir haben das Schiff nicht angesteckt!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408709200
Zu einer
weiteren Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kol-
legen Jürgen Koppelin.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1408709300
Die Kollegin Ulrike
Mehl hat mich ja direkt im Zusammenhang mit dem
Thema Umweltschutz in Schleswig-Holstein ange-
sprochen. Sie hat behauptet, eine Koalition aus

CDU/CSU und F.D.P. würde den Umweltschutz für
zehn Jahre stoppen.


(Ulrike Mehl [SPD]: Sagen die!)

– Entschuldigung, das haben Sie gesagt. Deswegen habe
ich mich gerade gemeldet. Ich bin mir auch sicher, dass
die Kollegin Mehl, die ich sehr schätze, zu intelligent
ist, um nicht selber zu wissen, dass es Unsinn ist, was
sie da erzählt hat.

Der Sachverhalt – das wissen Sie, Kollegin Mehl – ist
doch folgender: Es geht nicht darum, dass der Umwelt-
schutz in Schleswig-Holstein gestoppt wird, sondern
darum, dass die Drangsalierung vor allen Dingen der
Menschen an der Westküste durch die Politik des Um-
weltministers Steenblock aufhören muss. Darum geht es.


(Beifall des Abg. Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU])


Ich fahre auch gerne mit Ihnen dahin, damit Sie sehen,
dass es sich so verhält.

Ich will Ihnen auch noch ein Beispiel nennen: Wird
ein Landwirt an der Westküste Schleswig-Holsteins, der
einen Bauantrag stellt, um am Stall noch etwas anzubau-
en, eine Baugenehmigung dafür bekommen? Nein! So
werden die Leute dort drangsaliert. Das muss aufhören.
Dafür stehen wir ein.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU – Manfred Opel [SPD]: Das ist überhaupt nicht wahr! Was soll das?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408709400
Zur Er-
widerung Frau Mehl, bitte schön.


Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1408709500
Jetzt sind wir schon wieder bei
Themen aus dem Schleswig-Holsteinischen Landtag.
Aber Ihre Aussage kann man so nicht stehen lassen.

Zumindest ist herübergekommen, dass Herr Rühe das
so sieht. Auf einer Pressekonferenz und bei verschiede-
nen Veranstaltungen in Schleswig-Holstein hat er auch
konkrete Beispiele gebracht, wo der Amtsschimmel
wiehert. Er sagte sogar: Der Amtsschimmel wiehert röh-
rend. Vorstellen kann ich mir das nicht, da Hirsche röh-
ren und keine Schimmel, erst recht keine Amtsschim-
mel. Aber das nur nebenbei. Er brachte dann zwei Bei-
spiele, die wirklich neben der Kappe lagen, um es so
auszudrücken.

Es ging zum Beispiel um eine Boßelbahn in einem
Naturschutzgebiet, um die ein 1 Kilometer langer Zaun
gebaut werden sollte. Zwei Tage später las man in einem
Presseartikel, dass diejenigen, die diese Bahn beantragt
hatten, sehr großen Wert darauf legten, dass dieser Zaun
gebaut wird, weil sie sich nicht vorhalten lassen wollten,
dass die Leute in diesem Gebiet irgendetwas zerstörten.
Diese Frage ist dann absolut einvernehmlich geregelt
worden. Die waren nämlich sauer darüber, dass das als
Beispiel gebracht wurde.

In diesem Zusammenhang kann ich nur sagen: Dafür
sind die Kreise zuständig. Man kann darüber diskutie-

Gert Willner






(A)



(B)



(C)



(D)


ren, ob man den Kreisen Kompetenzen abnimmt. Wir
wollen das nicht tun.


(Abg. Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU] meldet sich zu Wort)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1408709600
Herr
Carstensen, ich habe Ihnen nicht das Wort gegeben. –
Wir haben jetzt eine Reihe von Kurzinterventionen er-
lebt. Es macht keinen Sinn, dass die Redner, die bereits
gesprochen haben, diese Debatte durch Kurzinterventio-
nen verlängern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich schlage vor, dass jetzt der Kollege Opel von der

SPD-Fraktion das Wort bekommt.

(Gert Willner [CDU/CSU]: Dazu muss gesagt werden, dass die Beispiele, die genannt wurden, nicht die Behauptung stützen, dass Rühe in Schleswig-Holstein gesagt hat, dass der Umweltschutz 10 Jahre lang ausgegrenzt worden ist! Rühe hat dies nicht gesagt!)


– Jetzt hat Kollege Opel das Wort.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Ich sage euch: Es gibt nicht weniger Umweltschutz, sondern anderen! Die Leute werden keine Angst mehr haben vor Umweltschutz! Auch bei euch nicht! – Gegenruf der Abg. Ulrike Mehl [SPD]: So ängstlich sind die Schleswig-Holsteiner nicht!)


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)



Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1408709700
Werte Frau Präsidentin! Mei-
ne lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal
möchte ich als der Abgeordnete, in dessen Wahlkreis die
„Pallas“ gestrandet ist und wo im Moment das, was von
der „Pallas“ noch übrig ist, im Sand des Wattenmeeres
langsam versinkt, einen Dank aussprechen. Mein Dank
gilt jenen Helferinnen und Helfern, die damals zum Teil
unter Einsatz ihres Lebens bei schwierigster See und un-
ter schwierigsten Verhältnissen auf einem brennenden
Frachter mit Holzladung – Holz ist, wenn es sehr heiß
wird und wenn alle Planken glühen, bekanntlich sehr
schwierig zu handhaben – die erforderlichen Lösch- und
Bergearbeiten, soweit es möglich war, durchgeführt ha-
ben. Dies war eine besondere Leistung. Deswegen herz-
lichen Dank an alle, die geholfen haben!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe mit Freude festgestellt, dass Kollege Willner
gesagt hat, man wolle eine saubere Nordsee haben. Dies
steht im Programm der SPD bzw. der Koalition. Herr
Kollege Willner, ich kann mich aber erinnern: Als wir
den Bau der dritten Klärstufe, Uferrandstreifenpro-
gramme oder Ähnliches gefordert haben, war die
CDU/CSU immer dagegen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ist doch Quatsch!)


Heute haben wir zwar eine sauberere Nordsee; aber dies
ist nur deswegen so, weil wir vor Ort die Politik der
SPD bzw. der rot-grünen Landesregierung über Jahre
durchgesetzt haben. Dies wird auch weiter so sein.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408709800
Herr Kollege Opel,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Carsten-
sen?


Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1408709900
Aber selbstverständlich. Mit
größtem Vergnügen.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1408710000

Herr Kollege Opel, können Sie bestätigen, dass zum
Beispiel auf der Insel Nordstrand vor zwei Jahren alle
Ackerrandstreifen wieder umgepflügt worden sind, weil
das Landesnaturschutzgesetz es nicht erlaubt, solche
Streifen außerhalb von Naturschutzgebieten anzulegen,
wenn man sie länger als fünf Jahre belässt?


Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1408710100
Herr Kollege Carstensen, ich
kann bestätigen, dass es Rechtsstreitigkeiten gibt, die
bisher nicht entschieden worden sind. Ich kann aber
auch bestätigen, dass Sie, Herr Carstensen, noch vor ei-
nigen Jahren gesagt haben, man solle das Umweltminis-
terium in Schleswig-Holstein abschaffen. Jetzt lese ich
in der Zeitung, dass Sie selber Umweltminister werden
wollen. Das ist ein Widerspruch.


(Beifall bei der SPD – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Können Sie mir sagen, wo Sie das gelesen haben?)


Ich möchte auf einen Punkt eingehen, den Kollege
Willner angesprochen hat: Er hat gesagt, man habe in
den letzten 16 Monaten nicht gehandelt. Kollege Cars-
tensen hat gesagt, es werde geprüft, geprüft und geprüft,
aber nicht entschieden. Verehrte Kolleginnen und Kol-
legen, wir müssen doch erst einmal untersuchen, was
wir tun müssen. Wir können nicht in Aktionismus ver-
fallen. Wir müssen wissen, wohin die Reise gehen soll.
Genau das hat dankenswerterweise die Bundesregierung
getan. Der diesbezügliche Bericht, der uns von der
Grobecker-Kommission sehr schnell vorgelegt worden
ist – Herrn Grobecker ist dafür heute schon gedankt
worden –, sowie die Arbeit des Untersuchungsausschus-
ses des schleswig-holsteinischen Landtages haben in
diesem Zusammenhang viel aufgezeigt.

Wir alle sind dafür, dass sich solche Unglücke nicht
wiederholen. Wir alle sind für Prävention und nicht so
sehr für eine Beseitigung hinterher. Auch die ist erfor-
derlich; aber Prävention ist wichtiger. Darauf werde ich
zurückkommen.

Herr Kollege Carstensen – darin stimme ich Ihnen
zu –, wir wollen nach Möglichkeit für die Durchführung
von Rettungsmaßnahmen ein eigenes Schiff haben. Der
entsprechende Prüfauftrag – es muss natürlich erst ge-
prüft werden, ob das sinnvoll bzw. billiger ist – befindet
sich im Moment beim Bundesverkehrsminister. Der

Ulrike Mehl






(A)



(B)



(C)



(D)


Bundesverkehrsminister hat mir dankenswerterweise
geantwortet, dass er die Prüfung dieser Frage in die
Aufarbeitung des Untersuchungsberichtes mit einarbei-
ten wird. Ich hoffe, dass wir nach Abschluss der Arbei-
ten eine gute Nachricht für die Menschen an der West-
küste bzw. überhaupt an der Küste haben.

Darüber hinaus gestehe ich Ihnen gerne zu, dass nach
meiner Auffassung und übrigens auch nach Auffassung
des damaligen Ministerpräsidenten Björn Engholm der
Küstenschutz eine nationale Aufgabe ist. Nur: Sie müs-
sen bedenken, dass sich die Finanzierung des Küsten-
schutzes verändert hat; sie hat sich nämlich für das Land
verschlechtert.

Sie und auch der Kollege Austermann haben mehr-
fach gesagt, die Mittel für den Küstenschutz seien nicht
ausgegeben worden.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Für die Gemeinschaftsaufgabe!)


Hinterher ist diese Aussage korrigiert worden: Für die
Gemeinschaftsaufgabe sind die Mittel nicht ausgegeben
worden. Dafür gibt es einen Grund – ich weiß, dass der
Minister Buß Ihnen persönlich diesen Grund mehrfach
genannt hat –: Innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe sind
nämlich Einzelanträge nicht genehmigt worden; entspre-
chende Mittel konnten nicht in Anspruch genommen
werden und damit nicht abfließen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das ist Quatsch! Unsinn! Sie reden wider besseres Wissens!)


Im Übrigen erwecken Sie den Eindruck, als liege im
Bereich des Küstenschutzes irgendetwas im Argen. Das
stimmt nicht. Die Küsten an der Nordsee sind sicher.
Alle Aussagen, die Angstmacherei beinhalten, sind
schlichtweg falsch.


(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie, Herr Kollege Carstensen, sagen, die In-

formation der Wasserschutzpolizei sei nicht erfolgt,
dann bitte ich Sie doch einmal nachzulesen, was auf die
Kleine Anfrage der F.D.P. am 29. Januar 1999 von der
Bundesregierung geantwortet wurde. Die Wasserschutz-
polizei in Husum ist nämlich schon am
27. Oktober 1998 um 7.37 Uhr informiert worden. Im
Gegensatz zu Ihrer Aussage war die Wasserschutzpoli-
zei also informiert.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Lesen Sie noch einmal nach, was ich gesagt habe!)


Verehrter Herr Kollege Carstensen, wenn man Sie
und andere Wahlkämpfer von der CDU und F.D.P. hört,
dann könnte man wirklich meinen, die „Pallas“ sei ein
Holzfrachter der Landesregierung gewesen, eingesetzt
von der Reederin Heide Simonis, der Kapitän sei
Rainder Steenblock gewesen und er habe die Weisung
der Reederin Simonis erhalten, diesen Frachter ausge-
rechnet vor Amrum auf Grund zu setzten. Ich darf Ihnen
sagen, dass es nicht so war.


(Beifall bei der SPD – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Aber das Ergebnis war so! – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das Schiff liegt noch da!)


Richtig ist nur ein Punkt: Die „Pallas“ ist eine Billig-
flaggen-Lösung gewesen. Deswegen sind bei diesem
Schiff viele Mängel zu verzeichnen gewesen. Ich will
Sie daran erinnern, dass Sie gegen unseren erbitterten
Widerstand die Billigflaggen ins deutsche Schifffahrts-
register eingeführt haben. Sie haben auf diese Weise das
Problem erzeugt, welches wir nun lösen müssen.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Völliger Quatsch! – Völliger Unfug!)


Nehmen Sie zur Kenntnis, dass unsere Forderungen
nach umfassender und wirksamer Unfallprävention rich-
tig sind! Der Reeder, dem die „Pallas“ gehörte, war ein
Italiener, dem 25 solcher Schiffe gehören. Er hatte dafür
25 Reedereien gegründet. Alle 25 Schiffe dieser insge-
samt 25 Reedereien fuhren unter Billigflaggen. Genau
das darf in Zukunft nicht mehr passieren! Wir müssen
diese unselige Billigflaggen-Politik von CDU/CSU und
F.D.P. endlich überwinden.

Ich möchte auf einen Widerspruch hinweisen, den der
Kollege Austermann vorgetragen hat. Ich freue mich ja,
dass Sie jetzt eine zentrale Küsten- oder Seewache for-
dern. Das ist prima. Es ist gut, wenn dieses Haus ge-
meinsam eine entsprechende Lösung mit einer Exper-
tenkommission erarbeiten will.
Aber Ihr Antrag vom 8. Dezember 1998 spricht von
„Durch das Nordsee-Schutz-Abkommen und im Rah-
men des auf Subsidiarität aufbauenden Sicherheitskon-
zepts ...“. Was heißt das? Das heißt doch, dass Sie keine
zentrale Lösung wollen. Sie wollen vielmehr eine auf
Subsidiarität aufgebaute Lösung. Das kann es aber nicht
sein. Wir möchten einen länderübergreifenden Küsten-
schutz, möglichst in ganz Europa. Ich freue mich, dass
Sie heute Ihre Meinung in diesem Punkt geändert haben.
Die Küsten- oder Seewache ist eine nationale und – bes-
ser noch – eine europäische Aufgabe, der wir uns alle
stellen müssen.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte auf den endgültigen Spruch des Seeamtes

in Kiel zurückkommen. Verehrter Herr Kollege
Börnsen, Sie haben gesagt, Dänemark zeige, wie es
geht. Ich bin anderer Meinung. In dem Spruch des See-
amtes Kiel heißt es nämlich:

Die Einschätzung der Gefahrensituation durch die
dänischen Sicherheitsbehörden wurde der Gefah-
renlage nicht gerecht.


(Zuruf von der SPD: Genau!)

Ich möchte also nicht, dass so wie in Dänemark gehan-
delt wird.

Was sind die Schlussfolgerungen? Es gibt vier
Schlussfolgerungen, denen wir uns anschließen. Erstens.
Wir wollen eine Küstenwache bzw. Seewache neuer Art,
wie sie vorgeschlagen worden ist. Zweitens. Wir wollen

Manfred Opel






(A)



(B)



(C)



(D)


eine leistungsfähige Schleppkapazität in der Deutschen
Bucht, und zwar möglichst schnell. Drittens. Wir möch-
ten international verbesserte Melde- und Informati-
onssysteme, die funktionieren. Viertens. Wir möchten
eine seewärtige Verlegung der Schifffahrtsstraßen, da-
mit die Gefährdung unserer Küsten, vor allem die Ge-
fährdung des Wattenmeeres, geringer wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408710200
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Cajus Caesar.


Cajus Julius Caesar (CDU):
Rede ID: ID1408710300
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-
Fraktion hat heute diesen Antrag eingebracht, um noch
einmal auf die Konsequenzen dieser großen Katastrophe
hinzuweisen. Wichtig ist, dass die Verantwortlichen
endlich aus den Fehlern, die sie seinerzeit gemacht ha-
ben, ihre Schlüsse ziehen, ja aus ihren Fehlern lernen.


(Zustimmung bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Es ist höchste Zeit!)


Solch verheerende Folgen für Umwelt und Wirtschaft
waren nicht nötig: zerstörte Meeresbiologie und 16 000
tote Vögel, und das unter der Verantwortung von zwei
grünen Umweltministern.


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! – Unglaublich!)


Beide waren nicht in der Lage, die notwendigen Maß-
nahmen zu ergreifen, um die Katastrophe rechtzeitig ab-
zuwenden. Sie haben das Problem schlichtweg ausge-
sessen. Das ist das erschreckende Fazit dieser Vorge-
hensweise.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Erinnern wir uns noch einmal an die Ereignisse von

damals, meine Damen und Herren. In der Nacht vom 25.
auf den 26. Oktober 1998 brach an Bord des Frachters
„Pallas“ ein Feuer aus. Technische Mängel und unsach-
gemäße Brandbekämpfung führten schließlich dazu,
dass das Schiff von der Besatzung aufgegeben und ver-
lassen werden musste. Es trieb dann einige Tage führer-
los auf See, und es strandete am 29. Oktober 1998 vor
Amrum.

Ein offensichtlich völlig desinteressierter und inkom-
petenter – noch im Amt befindlicher – Umweltminister
Rainder Steenblock ließ sich ebenfalls dahintreiben;
denn er ergriff keine Maßnahmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch am 6. November 1998, als klar war, dass sich

die Lage dramatisch verschärft hatte – zwischenzeitlich
war ein Riss im Rumpf entstanden, Öl trat aus –, lehnte
der Umweltminister ein erneutes Angebot seines eige-
nen Innenministeriums ab und schlug die Hilfe aus.

Tagelang tritt Öl aus, verschmutztes Wasser und ver-
schmutzte Küsten verölte Vögel werden gefunden – und
das unter den beiden Umweltministern Steenblock und
Trittin, die mehr oder weniger tatenlos zusehen.

Man schiebt die Verantwortung zwischen Land und
Bund hin und her. Der frühzeitige Einsatz des Hochsee-
schleppers „Oceanic“ erfolgt nicht. Es bleibt eigentlich
nur ein Schluss: Überforderung und Gleichgültigkeit.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)

16 000 tote, ölverschmutzte Vögel und eine langfris-

tig geschädigte Umwelt gehen auf das Konto der beiden
Umweltminister.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Kompetenzwirrwarr ist zu verzeichnen. Die Verantwor-
tung wird vom Land auf den Bund geschoben, und man
ist nicht in der Lage, Hilfe zu leisten, Verantwortung zu
übernehmen und Gefahren von der Umwelt abzuwen-
den.


(Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


100 000 Liter Öl liefen ins Meer. Wenn wir uns die
gutachterlichen Stellungnahmen von Experten ansehen,
Herr Minister Fischer, dann stellen wir fest: Versäum-
nisse und Fehleinschätzungen. Sie hätten sich das ein-
mal durchlesen sollen.

Die „Kieler Nachrichten“ weisen darauf hin: Das
Land darf sich bei der Gefahrenabwehr in Küstengewäs-
sern nicht hinter dem Bund verstecken. Das Seeamt in
Cuxhaven stellt fest: Gefahrenlage bei dem Unglück
falsch eingeschätzt. Greenpeace bringt zum Ausdruck:
Der unprofessionelle und nachlässige Umgang mit der
Ölverschmutzung ist nur ein Aspekt des mangelhaften
Krisenmanagements im Fall „Pallas“.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Über mangelhaftes Krisenmanagement müsst i h r reden! Da seid ihr Experten!)


– Die SPD selbst bestätigt Reibungsverluste – dies zu
Ihrem Zwischenruf, Herr Minister Fischer –, spricht aber
ansonsten von einem „ganz normalen Schadensfall“. Na
ja, bei der Politik, die Sie leisten, ist es normal, wenn die
Umwelt geschädigt wird.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich sage nur: Krisenmanagement!)


Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden. Die
Bundesregierung sollte endlich etwas unternehmen, um
die Schlüsse aus diesem Vorgehen zu ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir fordern deshalb nachdrücklich – und dies nicht erst
heute –, dass die internationale Zusammenarbeit in die-
sem Zusammenhang verbessert wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)


Manfred Opel






(A)



(B)



(C)



(D)


Hierbei gilt es, Vereinbarungen über die Sicherheit der
Schiffe zu treffen.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Richtig! Habt ihr 16 Jahre nicht gemacht!)


Das bestehende Sicherheitskonzept muss in Zusam-
menarbeit zwischen Ländern und Bund dahin gehend
überarbeitet werden, dass Kompetenzen und Verant-
wortlichkeiten geklärt werden und klar zugeordnet wer-
den können. Mit rot-grünem Kompetenzwirrwarr muss
jedenfalls endlich Schluss sein. Es muss eine einheit-
liche deutsche Küstenwache geschaffen werden. In die-
sem Zusammenhang muss es endlich zu einer hand-
lungsfähigen Umweltpolitik kommen. Nur – wie bei
Rot-Grün – über die Restlaufzeiten von Kernkraftwer-
ken zu diskutieren ist in der Umweltpolitik einfach zu
wenig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ein effizienter Schutz von

Mensch, Tier und Natur muss durch eine Kompetenzfu-
sion erreicht werden. Uns, der CDU/CSU, geht es da-
rum, den Menschen vor Ort zu helfen.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber nach der Devise: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!)


Jeder vierte Arbeitnehmer in diesem Raum ist mit dem
Tourismus und der Fischerei in Zusammenhang zu brin-
gen. Durch Inkompetenz und dadurch, dass die Bundes-
regierung die notwendige finanzielle Unterstützung
nicht geleistet hat, ist hier viel Schaden entstanden.

Bei Rot-Grün stehen die Fragezeichen im Vorder-
grund. Die Ausrufungszeichen fehlen oder sind nicht in
Sicht. Wo bleiben bei der rot-grünen Politik – neben
dem Vorgehen in diesem konkreten Fall – die Weiter-
entwicklung der Naturschutzgesetzgebung, die Ent-
scheidungen zur Verpackungsverordnung, die Umset-
zung der FFH-Richtlinie, das Konzept zur CO2-Reduzierung und zum Klimaschutz? Sie propagieren
den Atomausstieg, haben aber keine Konzepte. Sie wol-
len auf der grünen Wiese zwischenlagern.


(Zuruf von der SPD: Was hat das mit der „Pallas“ zu tun?)


Wir mahnen Handlungsbedarf an. Nicht Lamentieren,
sondern Handeln ist angesagt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wollen eine sinnvolle Vernetzung von Ökonomie
und Ökologie. Verantwortliches Handeln im Sinne zu-
künftiger Generationen ist gefordert.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408710400
Herr Kollege Caesar,
dies war Ihre erste Rede, nicht im römischen Senat, son-
dern im Plenum des Deutschen Bundestages. Im Namen

aller Kolleginnen und Kollegen möchte ich Sie an dieser
Stelle herzlich beglückwünschen.


(Beifall)

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Bundesminis-

ter für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten, Kollege
Karl-Heinz Funke.

Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf zwei
Punkte hinweisen, die in dieser Debatte vor allem bei
den Rednern der CDU/CSU-Fraktion eine Rolle gespielt
haben.

Erstens ist unterstellt worden, dass es angesichts der
Tatsache, dass Schleswig-Holstein – aus welchen Grün-
den auch immer – die Gemeinschaftsaufgaben nicht voll
bedient habe, auch Vernachlässigungen des Küsten-
schutzes gegeben habe. Das ist eindeutig falsch.


(Beifall bei der SPD)

Jeder, der sich im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe
auskennt, weiß – –


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das ist nicht unterstellt worden, Herr Minister!)


– Doch, doch, ich habe sehr genau zugehört; aber es ist
ja schön, wenn Sie es jetzt zurücknehmen, Herr Kollege
Carstensen. Ich bin sehr froh darüber, dass das so ist.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Carstensen im Rückwärtsgang!)


Ich stelle das mit großer Genugtuung fest. Denn jeder
weiß, dass die Länder Schwerpunkte innerhalb der Ge-
meinschaftsaufgabe setzen können. Hier mag man be-
klagen, dass für die agrarstrukturelle Vorplanung, für
Dorferneuerung und anderes zu wenig getan worden ist.
Das will ich jedem selbst überlassen. Aber Schleswig-
Holstein ist seinen Verpflichtungen im Küstenschutz
genauso vorbildlich wie Niedersachen, Bremen und
Hamburg nachgekommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das muss man eindeutig feststellen oder man ist – Herr
Carstensen, um mit Ihren Worten zu reden – unredlich.

Zweitens, Schleswig-Holstein hat ein Programm im
Rahmen der so genannten zweiten Säule der Agenda
gemacht und dabei auch Maßnahmen zum Küstenschutz
angemeldet.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: 12 Millionen!)


Es ist eindeutig so, dass die Maßnahmen, die Schleswig-
Holstein angemeldet hat, im vorgegebenen Rahmen die-
ses Programms aus der zweiten Säule der Agenda dazu
geeignet sind, von der EU mitfinanziert zu werden. Das
zeigen unsere Unterlagen. Deswegen haben wir das von

Cajus Caesar






(A)



(B)



(C)



(D)


Schleswig-Holstein gemeldete Programm zur Beurtei-
lung, zur Notifizierung nach Brüssel weitergegeben.

Sie haben mich aufgefordert zu sagen, ob wir das,
was Schleswig-Holstein gemeldet hat, unterstützen. Ich
sage dazu: Es gibt erstens überhaupt keinen Grund an-
zunehmen, dass Institutionen oder Stellen der Europäi-
schem Union genötigt sein könnten, irgendeinen Teil
dieses Programms in Frage zu stellen. Denn mit Beihil-
ferecht oder Ähnlichem hat das überhaupt nichts zu tun.


(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Zweitens unterstützen wir nachdrücklich das Begehren
Schleswig-Holsteins und wollen helfen, dass dieses Pro-
gramm, wie von Schleswig-Holstein vorgetragen und
vorgelegt, auch notifiziert wird, gerade im Interesse der
Küstenbewohner des Landes Schleswig-Holstein.


(Beifall bei der SPD)

In Ihrer Rede wäre es, wenn Sie denn schon aus poli-

tischen Gründen Zweifel anmelden, unheimlich wertvoll
gewesen, wenn Sie genau diesen Satz, dass Sie dem
Kollegen Buß dabei helfen, das durchzusetzen, gesagt
hätten.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das habe ich gesagt, als Frau Höfken gesprochen hat! Da waren Sie die ganze Zeit draußen!)


– Wenn Sie ihn gesagt haben, habe ich ihn überhört,
Entschuldigung. Dann nehme ich das jetzt ausdrücklich
zurück und freue mich, dass wir gemeinsam die bewähr-
te Linie Schleswig-Holsteins, über Küstenschutz die Si-
cherheit von Menschen, Sachen und Biotopen sicherzu-
stellen, unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408710500
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis
90/Die Grünen zur Optimierung des Sicherheits- und
Notfallkonzepts für Nord- und Ostsee auf Drucksache
14/843. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/281
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und
F.D.P. angenommen.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/843, den Antrag
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/160 zu
den Folgerungen aus der Havarie der „Pallas“ vor Am-
rum abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen von

CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS-Fraktion
angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion der F.D.P. zur unverzüglichen Vorlage des
Berichts der Unabhängigen Expertenkommission „Ha-
varie Pallas“ auf Drucksache 14/2454. Wer stimmt für
diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Antrag ist gegen die Stimmen der F.D.P.-
Fraktion abgelehnt.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 14/548, 14/1634 und 14/1652 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-
geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist of-
fensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.

Weiterhin wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/2684 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
und zur Mitberatung an den Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie den Ausschuss
für Tourismus zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? – Auch das ist nicht der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b so-
wie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf:
Überweisungen im vereinfachten Verfahren
14 a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge-

brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Flurbereinigungsgesetzes

– Drucksache 14/2445 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
b) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD

und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Melderechtsrahmenge-
setz (MRRG)


– Drucksache 14/2577 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten

Verfahren (Ergänzung zu TOP 14.)

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
Fernabsatzverträge und andere Fragen des
Verbraucherrechts sowie zur Umstellung
von Vorschriften auf Euro

– Drucksache 14/2658 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus

Bundesminister Karl-Heinz Funke






(A)



(B)



(C)



(D)


Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Vierten Geset-
zes zur Änderung des Gesetzes über die
Festlegung eines vorläufigen Wohnortes
für Spätaussiedler

– Drucksache 14/2675 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen un-
ter Punkt 14 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann sind auch diese Überwei-
sungen so beschlossen.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/2658 zur federführenden Beratung an
den Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss
für Gesundheit, den Ausschuss für Tourismus und den
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vor-
schläge? – Auch das ist nicht der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Weiterhin wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/2675 zur federführenden Beratung an
den Innenausschuss und zur Mitberatung an den
Rechtsausschuss und den Ausschuss für Arbeit und So-
zialordnung zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? – Auch das ist nicht der Fall. Dann sind
diese Überweisungen ebenso beschlossen.

Damit kommen wir zu den Tagesordnungspunkten
15 a bis 15 h. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 15 a:
Zweite und Dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Fünf-
zehnten Gesetzes zur Änderung des Wehr-
soldgesetzes (15. WSGÄndG)


– Drucksache 14/2498 –

(Erste Beratung 81. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidi-
gungsausschusses (12. Ausschuss)


– Drucksache 14/2625 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Uwe Göllner
Helmut Rauber

Der Verteidigungsausschuss empfiehlt auf Drucksa-
che 14/2625, den Gesetzentwurf unverändert anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung bei Enthaltung der PDS-
Fraktion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung! Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in dritter Lesung bei Enthaltung der
PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 15 b auf:
Zweite und Dritte Beratung des vom Bundesrat

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Bundesbesoldungsgesetzes

– Drucksache 14/2094 –

(Erste Beratung 79. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidi-
gungsausschusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 14/2602 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Peter Kemper
Meinrad Belle
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung! Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in dritter Lesung einstimmig ange-
nommen.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 15 c auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und Berichts

des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie

(9. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Gunnar
Uldall, Dr. Bernd Protzner, Karl-Heinz Scher-
hag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU

„Jahr-2000-Problem“ in der Informations-
technik ernst nehmen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Homburger, Ulrike Flach, Horst Friedrich

(Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion der F.D.P.

Jahr-2000-Problem – Unterstützung zur
Problemlösung

– Drucksache 14/1334, 14/1544, 14/2115 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Axel Berg

Wir stimmen zuerst über die Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/2115, Buchstabe a ab. Der Ausschuss

Vizepräsidentin Petra Bläss






(A)



(B)



(C)



(D)


empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1334 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU
und F.D.P. angenommen.

Wir kommen nun zu der Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem
Antrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2115,
Buchstabe b. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/1544 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. bei
Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 d auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-

tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelbericht 117 zu Petitionen
– Drucksache 14/2585 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Damit ist die Sammelübersicht 117 einstim-
mig angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 e auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-

tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelbericht 118 zu Petitionen
– Drucksache 14/2586 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Damit ist die Sammelübersicht 118 bei Ent-
haltung der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 f auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-

tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelbericht 119 zu Petitionen
– Drucksache 14/2587 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Damit ist die Sammelübersicht 119 einstim-
mig angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 g auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-

onsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelbericht 120 zu Petitionen
– Drucksache 14/2588 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 120 ist ebenfalls ein-
stimmig angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 h auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-

tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelbericht 121 zu Petitionen
– Drucksache 14/2589 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Damit ist die Sammelübersicht 121 gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist
vereinbart, den Tagesordnungspunkt 7 – es handelt sich
um die abschließende Beratung des Zuwanderungsbe-
grenzungsgesetzes – von der heutigen Tagesordnung ab-
zusetzen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offen-
sichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDIS 90/DIE

GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung im Hinblick auf

einen möglichen Schaden für die Demokratie
in Deutschland durch die aktuellen Erkennt-
nisse zu Praktiken der Parteienfinanzierung
und deren mögliche Auswirkungen auf Mehr-
heitsverhältnisse in Bundesorganen

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Spre-
cherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Kerstin
Müller.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
gestrige Rücktritt des Fraktionsvorsitzenden Wolfgang
Schäuble war aus unserer Sicht ein überfälliger, ein
notwendiger Schritt. Ich glaube, der Kollege Schäuble
konnte nicht mehr glaubwürdig aufklären und konnte
nicht zur Erneuerung beitragen, weil er viel zu sehr
selbst im Gestrüpp des Systems Kohl verfangen war.
Dennoch möchte ich hier zu Beginn sehr klar sagen –
das ist von meiner Fraktion aufrichtig gemeint –: Wir
haben großen Respekt vor dieser persönlichen Entschei-
dung des Kollegen Schäuble.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Allerdings ist das allein – das möchte ich auch ganz klar
sagen – noch nicht der Neuanfang, von dem Sie in die-
sen Tagen so viel reden. Es kann allenfalls ein erster
Schritt sein. Der Fraktionsvorsitzende Schäuble, so sa-
gen selbst Abgeordnete aus Ihren Reihen, hat mit seinem
Rücktritt Maßstäbe gesetzt. Ich glaube, dass andere die-
sen Maßstäben folgen sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wo ist zum Beispiel der Abgeordnete Kohl? Seit
Aufdeckung der Spendenaffäre habe ich den Abgeord-
neten Kohl in diesem Hohen Hause nicht mehr gesehen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Wo ist denn der Kollege Schmidt in diesem Haus?)


Ich frage mich: Hat er so viel in seinem Wahlkreis zu
tun, oder in welcher Form kommt er seinen Pflichten als

Vizepräsidentin Petra Bläss






(A)



(B)



(C)



(D)


Abgeordneter nach? Bis heute hat der ehemalige Bun-
deskanzler die Namen der Spender nicht genannt. Er be-
geht an jedem Tag, an dem er schweigt, einen Bruch von
Gesetz und Verfassung.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Darüber lachen Sie auch noch? Das finde ich wirklich
ungeheuerlich.

Heute hat der Untersuchungsausschuss mit einer er-
staunlich turbulenten Anhörung begonnen. Allein dieser
erste Tag hat gezeigt, dass die CDU die Aufklärung be-
hindert, statt wirklich etwas zur Aufklärung beizutragen.
Mit ausgesprochen krimineller Energie und offensicht-
lich in großem Stil hat das frühere Kanzleramt Akten
manipuliert und verschwinden lassen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Glogowski!)

Ich finde, das Mindeste ist, dass der Abgeordnete Kohl
sein Mandat niederlegt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Und was ist mit dem hessischen Ministerpräsidenten
Koch, dem selbst ernannten brutalsten Aufklärer aller
Zeiten? Seine vorgelegte Chronologie der schonungslo-
sen Aufklärung – erweist sich inzwischen als Chronolo-
gie der konsequenten Verschleierung und Trickserei –
anders kann man das wirklich nicht mehr nennen –: ma-
nipulierter Rechenschaftsbericht, um den Schwarzgeld-
zufluss von 1,5 Millionen DM zu verschleiern,


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Sie sind eine Pharisäerin!)


und mehrfache Lügen in der Öffentlichkeit, in den Pres-
sekonferenzen am 10. und am 14. Januar. Am 14. Januar
wurde aus einem von Koch selbst erfundenen Brief zu
diesem Darlehen, das es niemals gegeben hat, von ihm
zitiert, nur um die ungeklärte Herkunft von
1,5 Millionen DM zu verschleiern.

Um es mit einem Zitat aus der „Berliner Zeitung“
vom 10. Februar auszudrücken:

Doch nun hat sich Koch als das entpuppt, was er
immer war: der legitime Erbe Kanthers. Der Auf-
klärer selbst hat gelogen, auch er hat getarnt, ge-
trickst und getäuscht.

Und weiter heißt es:
Wie Helmut Kohl hat ... (er) gegen Amtseid, Gesetz
und Verfassung verstoßen.

Dem ist, so glaube ich, nichts mehr hinzuzufügen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Mit diesem Geld wurde aber nicht nur diese brutal-

populistische, ausländerfeindliche Kampagne finanziert,
die ja schließlich zum Wahlsieg führte, also schwarzes
Geld für einen schwarzen Sieg. Ich frage Sie auch:
Glauben Sie denn wirklich, die Wählerinnen und Wähler
hätten die CDU gewählt, wenn sie gewusst hätten, dass
ausgerechnet diese Partei, die Partei von Law and Order,

über Jahrzehnte hinweg systematisch und mit hoher
krimineller Energie Geld verschoben hat? Das glauben
Sie heute selbst nicht mehr; denn sonst würde Minister-
präsident Koch zurücktreten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der einzige Weg, um die politische Glaubwürdigkeit
wiederherzustellen, ist deshalb, dass Ministerpräsident
Koch Schäubles Beispiel folgt und in Hessen den Weg
für Neuwahlen frei macht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte noch zur F.D.P. kommen. Es reicht nicht,
nur die Person Koch auszuwechseln; das wäre eine of-
fensichtliche Mogelpackung. Die F.D.P. führt zurzeit ei-
ne ganz nette Inszenierung auf: Auf Bundesebene spie-
len Sie die Saubermänner und schwadronieren über
Glaubwürdigkeit, während in Hessen der Landesverband
des Bundesvorsitzenden Gerhardt mit Ruth Wagner an
der Spitze wie mit Pattex an den Sesseln klebt.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Was machen Sie denn gerade in NRW?)


Ich halte das für ein ziemlich durchsichtiges Doppel-
spiel.

Was wäre eigentlich, wenn keine Landtagswahlen in
Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen anstün-
den? Was würden Sie dann machen? Würden Sie dann
auch auf Bundesebene über den Rücktritt von Herrn
Koch diskutieren? Wären Sie dann auch so um eine
weiße Weste bemüht? Das wäre wirklich etwas Neues.
Nein, ich glaube, der einzig saubere Weg sind Neuwah-
len. Dafür sollten Sie sich heute hier ganz deutlich aus-
sprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408710600
Frau Kollegin
Müller, Sie müssen zum Schluss kommen.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ich komme zum Schluss. – Eines finde ich – Frau
Merkel, die bei einer solchen Debatte nun wirklich an-
wesend sein sollte, ist leider nicht da –


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Die hat auch noch etwas anderes zu tun!)


wirklich unglaublich: die Angriffe und Einschüchte-
rungsversuche gegen den Bundestagspräsidenten,


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Freie Meinungsäußerung für alle!)


der Sie nach Recht und Gesetz zur Rückzahlung von
41 Millionen DM verpflichtet hat. Wenn Sie nicht wol-
len, dass diese Debatte in der Gesellschaft eskaliert und
dass sich die Menschen mit Grauen von der Politik und
den Parteien abwenden,

Kerstin Müller (Köln)







(A)



(B)



(C)



(D)



(Dirk Niebel [F.D.P.]: Sie kommen doch aus Nordrhein-Westfalen! Ziehen Sie doch Konsequenzen! Oder fliegen Sie selbst auch?)


dann kann ich Ihnen nur raten: Pfeifen Sie Ihre Anwälte
zurück! Die vergrößern nur den Schaden für die Demo-
kratie.

Und das alles zeigt doch: Ihnen ist es mit der Erneue-
rung nicht Ernst. Machen Sie Ernst! Hören Sie auf mit
diesen Spielchen! Schaffen Sie einen echten Neuanfang
und reden Sie nicht nur davon.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408710700
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Herr Kollege Dr. Klaus
Lippold.


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1408710800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Frau Müller, Sie fordern den Wechsel in Hessen,
weil Sie nicht wollen, dass durch die dortige Koalition
eine miserable Politik auf Bundesebene nach wie vor
korrigiert werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist doch der wahre Sachverhalt. Ihr Versagen bei
der Steuerreform und bei der Gesundheitsreform können
wir mit der Koalition in Hessen korrigieren.


(Zuruf von der SPD: Mit Lug und Betrug!)

Ohne diese Koalition geht es aber nicht.


(Zuruf von der SPD: Reine Hysterie!)

Damit deutlich wird, wie es läuft: Was ist denn mit

NRW? Wo ist denn die schonungslose und zügige Auf-
klärung in Nordrhein-Westfalen?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Scheibchenweise lässt sich der dortige Ministerpräsident
die Würmer aus der Nase ziehen. Scheibchenweise gibt
Herr Schleußer zu,


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist zurückgetreten!)


dass manches privat genutzt war. Scheibchenweise wird
deutlich – im Gegensatz zu den Vorgängen bei der Uni-
on –, dass es sich um persönliche Vorteile handelt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Das sind Dinge, die Sie der Union in dieser Form nicht
nachweisen können.

Was Sie in der aktuellen Diskussion machen wollen,
ist ganz einfach: Sie wollen davon ablenken, dass der
hessische Ministerpräsident in unheimlich harter Arbeit


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


nahezu 97 Prozent der Vorgänge aufgeklärt hat. Davon
wollen Sie ablenken, weil Ihnen das nicht gefällt.


(Lachen und Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn dabei Äußerungen kommen, die zu einem be-
stimmten Zeitpunkt richtig sind, und sich das hinterher
anders darstellt, dann ist das nur so zu beurteilen, dass
damit die Richtigkeit der Rechenschaftsberichte nicht in
Frage steht. Wir haben neutrale Gutachter beauftragt, die
nachgewiesen haben, dass der Rechenschaftsbericht kor-
rekt abgegeben worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen und Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Davon wollen Sie, Frau Kollegin Müller, schlicht und
ergreifend ablenken. Das ist ein Punkt, den wir Ihnen so
nicht durchgehen lassen.


(Lachen bei der SPD)

Kommen wir auf etwas anderes zu sprechen. Gerade

wurde gesagt, Frau Kollegin Merkel sei nicht anwesend.
Ich halte fest: Soweit ich sehe, ist auch Herr Kollege
Struck nicht anwesend. An dieser Stelle fängt es an, in-
teressant zu werden. Ich lese in der „Wirtschaftswoche“:
Zunächst schien es wieder nur eine der zahlreichen,
schon sattsam bekannten Filzgeschichten im SPD-
Milieu zu sein: gut dotierte Pöstchen gegen nützliche
politische Kontakte. Doch je länger die „Wirtschaftswo-
che“-Hauptstadtkorrespondenten recherchierten – und
die Verbindungen, die sich dabei offenbarten, deutlich
wurden –, desto mehr stellte sich der Verdacht ein, dass
Sozialdemokraten mit Geld, jedenfalls mit Spendengeld,
womöglich besser umgehen können, als ihnen oft nach-
gesagt wird.


(Unruhe bei der SPD)

So, liebe Freunde, nun klären Sie doch einmal die Ver-
strickung des Kollegen Struck mit einer Institution, in
der er Aufsichtsratsvorsitzender war, und mit Spenden-
geldern, die von dort Vereinigungen zuflossen, die ihm
nahe stehen, auf!


(Zuruf von der SPD: Lesen Sie doch einmal richtig!)


Klären Sie doch einmal die Situation, dass ein früherer
Mitarbeiter von Lafontaine mit einem mit 1 Million DM
dotierten Posten abgefunden wurde.


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Sie haben in Ihrem Bereich wirklich mehr als genug zu
tun


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

und brauchen gar nicht mit dem Finger auf andere zu
zeigen. Ich gehe davon aus, dass das erst der Anfang ei-
nes langen Weges ist und dass da noch einige Positionen
hinzukommen werden.

Im Übrigen: Frau Kollegin Müller, warum adressie-
ren Sie Ihre Forderung, dass Aufklärung betrieben wird,
denn nicht mehr an die Kollegen von der SPD? Dem

Kerstin Müller (Köln)







(A)



(B)



(C)



(D)


Vernehmen und den Mitteilungen nach soll Ministerprä-
sident Clement, als es um eine Erweiterung des Auftra-
ges des Untersuchungsausschusses in NRW ging und
dieses von Ihrer Kollegin Höhn befürwortet wurde, mit
dem Bruch der Koalition und dem Rausschmiss von
Frau Höhn gedroht haben. Diese Pressemitteilungen sind
nach wir vor nicht dementiert. Sagen Sie mir doch ein-
mal, was das mit Aufklärung in Sachen SPD zu tun hat.
Das macht doch deutlich: Sie sprechen mit doppelter
Zunge. Sie ziehen über andere her. Dazu haben Sie aber
nicht das Recht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Machen Sie es wie wir in Hessen. Klären Sie auf –

schonungslos und deutlich! Dann kommen Sie weiter.

(Zuruf von der SPD: Schämen Sie sich! – Weitere Zurufe von der SPD)

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408710900
Für die SPD-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Franz Müntefering.


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1408711000
Frau Präsidentin! Kolle-
ginnen und Kollegen! Lassen Sie uns über das sprechen,
was dieses Haus angeht. Erstens. Demokratie braucht
Regeln und Gesetze. Die Regeln und die Gesetze haben
wir gemacht. Diese Gesetze für die Parteien, die Partei-
enfinanzierung, auch die Regelungen bei Verstößen ge-
gen Parteienfinanzierung, haben wir gemeinsam im An-
gesicht des Flick-Ausschusses beschlossen. Die CDU
hat dabeigesessen und hinterrücks das verraten, was wir
alle miteinander beschlossen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb will ich noch einmal feststellen: Das, was
der Bundestagspräsident am 15. Februar 2000 hier ent-
schieden hat, war eine Entscheidung nach Recht und
Gesetz. Das musste so sein. Es findet unsere ausdrückli-
che Unterstützung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens. Demokratie braucht gleiche Chancen. Sie
haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ver-
sucht, diese gleichen Chancen auch für uns zu reduzie-
ren, und zwar als Überzeugungstäter. Sie haben über die
Jahre immer wieder versucht, sich eigene – besondere –
Möglichkeiten gegenüber anderen demokratischen Par-
teien zu verschaffen.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Sie werden das Geld nicht annehmen!)


Kohl, Kanther und andere lebten in der Vorstellung,
dies sei ihr Land.


(Zuruf von der CDU/CSU: Clement!)

Sie haben sich im Recht gefühlt, was noch einmal deut-
lich wurde, als in diesen Tagen Herr Dregger von der

„Kampfgemeinschaft CDU“ gesprochen hat – und über
sein Geld, das wahrscheinlich aus der Kriegskasse
stammt.

Die CDU hat sich als „originärste“ Westpartei nach
dem Krieg in Abgrenzung zum Kommunismus definiert.
Sie versucht auch, Sozialdemokraten und andere Partei-
en in diese Ecke zu stellen. Ich bin alt genug, um mich
an die fiese Art und Weise erinnern zu können, in der
Sie versucht haben, Willy Brandt und andere klein zu-
machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen heute: Wir Sozialdemokraten haben ei-
nen Ehrenvorsitzenden, auf den wir jetzt und auch in
Zukunft stolz sein können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [F.D.P.]: Wir haben sogar drei Ehrenvorsitzende!)


Sie werden sich damit abfinden müssen, dass die
CDU in Zukunft eine demokratische Partei unter ande-
ren ist, nicht mehr und nicht weniger. Dieses Land ge-
hört Ihnen nicht. Das wird mit der Aufarbeitung dieser
Affäre klar, die wir in diesen Tagen zu bewältigen ha-
ben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Drittens. Demokratie braucht Transparenz. Schäubles
Rücktritt ist kein Ersatz für Transparenz. Es wird in der
Chronologie dieser Wochen vielleicht einmal beach-
tenswert sein, dass Schäuble gegangen ist, während
Koch und Kohl noch selbstgerecht ihre Runden drehen.
Das wird noch einmal besonders zu bewerten sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber es muss zum Beispiel noch das Jahr 1990 unter
dem Stichwort „Transparenz“ aufgearbeitet werden.
Dies war das Jahr, in dem sich die CDU in einem Jahr
um 34,8 Millionen DM entschuldet hat, um 82 Prozent
innerhalb eines Jahres. Am 1. Januar 1990 waren es
noch 42,5 Millionen DM Schulden, am Ende des Jahres
7,7 Millionen DM Schulden. Der Wahlkampf im verein-
ten Deutschland ist von der CDU um 36,1 Millionen
DM billiger durchgeführt worden als der Wahlkampf
1987. Wenn man nicht an Wunder glaubt, muss man sa-
gen: Auch das bedarf noch der Aufklärung. Da stimmt
etwas nicht, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns einmal an, was der damalige Gene-
ralsekretär Volker Rühe dazu gesagt hat. Ich möchte ihn
zweimal zitieren. Volker Rühe sagte am 11. März 1992,
als er darauf angesprochen wurde: Ich hätte eigentlich
öffentliches Lob dafür verdient, dass ich die Überschul-
dung der Partei zurückgeführt habe.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)







(A)



(B)



(C)



(D)


Am 30. November 1999 sagte Volker Rühe: Ich hatte in
meiner Zeit als Generalsekretär keinen Überblick über
die Finanzen und somit auch keine Verfügungsgewalt.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es wird noch zu klären sein: War der Herr nun General
und wusste alles, oder war er Sekretär und wusste
nichts?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun höre ich – das geht ja auch Rühe an –, die Wahl
Ihres Fraktionsvorstandes solle möglicherweise doch
nicht nächsten Dienstag stattfinden, sondern eine Woche
später. Ergänzend dazu lese ich, dass Rühe für Eventua-
litäten zur Verfügung stehen könnte.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Ich glaube, das ist unsere eigene Sache!)


Den können Sie jetzt schon nehmen, der wird in
Schleswig-Holstein nicht gebraucht. Das darf ich Ihnen
versprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Streit um die Termine in den letzten Stunden macht
deutlich, dass die Grabenkämpfe bei Ihnen fröhlich wei-
tergehen. Das werden Frau Merkel und Herr Merz noch
merken. Man kann in Anlehnung an ein altes Wort nur
sagen: „Merzlein, du gehst einen schweren Gang!“.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wie arrogant! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Viertens. Demokratie braucht Parteien. Affären wi-
derlegen das nicht. Politische Parteien haben die Mög-
lichkeit, Interessen zu bündeln, Dialoge zu führen,
Kompromisse zu finden und politische Arbeit zu organi-
sieren. Ich wende mich gegen jene im Land, die – mit
mancher Larmoyanz – Politikverdrossenheit verkünden.
Richtig ist: Es gibt guten Grund, selbstkritisch zu sein,
auf Ihrer Seite in besonderer Weise.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich wende
mich an alle in diesem Haus –, wir müssen als politische
Parteien auch deutlich machen, dass wir mit dem nöti-
gen Selbstbewusstsein darauf hinweisen können: Weil
wir uns bemühen und weil wir uns in dieser Gesellschaft
engagieren, ist die Demokratie in diesem Lande möglich
geworden. Da schließe ich manche von denen mit ein,
die zu den 630 000 Mitgliedern der CDU gehören. Den-
jenigen, die draußen herumlaufen und sich das Maul zer-
reißen, anstatt mitzuhelfen, muss ich sagen: Derjenige,
der sich anstrengt, ist auch dann, wenn er Fehler macht,
gerechtfertigter als derjenige, der von ferne aus dem
Busch heraus das ignoriert, was Politik versucht. Des-
halb braucht Demokratie Parteien, jetzt und in Zukunft.

Und abschließend: Politik in demokratischen Parteien
macht sogar Spaß – ich glaube, im Augenblick uns mehr
als Ihnen. Aber das kann ich Ihnen nicht ersparen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408711100
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Dr. Guido Westerwelle.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1408711200
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Ich
glaube nicht, dass diese von der Tonlage des Wahlkamp-
fes geprägte Debatte geeignet ist, das Vertrauen der
Bürgerinnen und Bürger in diesen Zeiten zurückzuer-
obern.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich glaube, dass es ein großer Fehler ist, wenn auf diese
Art und Weise eine Debatte entsteht, von der die Men-
schen den Eindruck gewinnen müssen: Es geht lediglich
darum, den Splitter im Auge der anderen Parteien zu
finden.

Wir, die wir hier gemeinsam Verantwortung tragen,
müssen meiner Meinung nach begreifen, dass das Anse-
hen der deutschen Parteien – und zugleich das Ansehen
der Politik insgesamt – in großer Gefahr ist. Ich habe die
Sorge – und ich denke, viele von Ihnen teilen, jenseits
des Wahlkampfes, diese Sorge –, dass aus den derzeiti-
gen Affären zunächst eine Glaubwürdigkeitskrise er-
wächst und irgendwann eine Krise der demokratischen
Institutionen erwachsen kann. Das ist die Aufgabe, die
wir hier haben: den Menschen zu sagen, dass wir als
Parlamentarier bemüht sind, jenseits der Parteitaktik zur
Aufklärung dieser Affären und zur Transparenz beizu-
tragen. Deshalb dürfen wir die Vorkommnisse nicht für
kleine parteitaktische Manöver missbrauchen. Es geht
vielmehr darum, dass die Bürgerinnen und Bürger wie-
der zur Wahl gehen wollen. Dazu bedarf es aber Partei-
en, die den Eindruck erwecken, dass sie um Aufklärung
bemüht sind.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Tatsache, dass diese Affären aufgedeckt werden, ist
kein Zeichen für das Versagen der Demokratie, es ist ein
Zeichen für das Funktionieren von Demokratie.

Die Spendenaffäre oder die Roter-Filz-Affäre in Düs-
seldorf oder die Mandatsträgeraffäre im Zusammenhang
mit der Finanzierung Ihrer Partei sind in meinen Augen
kein Anlass zu Triumphgeheul und zur Schadenfreude.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Staatsschauspieler Westerwelle!)


Ich kann für meine Partei sagen: Unsere Kassen sind
gewiss nicht voll, aber sie sind transparent. Wir sind als
F.D.P. zwar nicht belastet, aber wir sind nicht froh da-
rüber, dass dies bei den anderen Parteien der Fall ist.
Denn ich glaube, dass keine Partei von diesen Affären
profitieren wird. Das Ansehen der Politik insgesamt
nimmt Schaden.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist jetzt mit den Neuwahlen in Hessen?)


Sie vergrößern den Schaden, wenn Sie in diesem Hause
ein reines Wahlkampfmanöver veranstalten.

Franz Müntefering






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der F.D.P.)

Herr Schäuble hat gestern eine, wie ich finde, honori-

ge Erklärung abgegeben. Er hat gesagt:
... ohne einen sichtbaren, also auch personellen
Neuanfang sich die Union nicht aus der Umklam-
merung dieser Krise befreien kann.

Das waren die Worte von Wolfgang Schäuble. Er hat
damit Maßstäbe gesetzt und Konsequenzen aus Fehlver-
halten gezogen. Dieser Maßstab ist auch für andere bei-
spielgebend. Diese Maßstäbe sollten für alle gelten. Für
meine Fraktion im Deutschen Bundestag füge ich hinzu:
Dieses gilt auch für den hessischen Ministerpräsidenten
Roland Koch.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Koalition von F.D.P. und CDU in Hessen hat ei-
nen klaren Wählerauftrag. Diesen Wählerauftrag wollen
wir erfüllen. Mit einem Ministerpräsidenten Koch, der
die Unwahrheit gesagt und wissentlich einen falschen
Rechenschaftsbericht abgegeben hat, wird weiterer
Schaden für die Glaubwürdigkeit der Politik eintreten.
Herr Schäuble musste sich gewiss nicht mehr vorwerfen
als Herr Koch. Herr Koch sollte genauso konsequent
und honorig handeln.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir Liberalen im Deutschen Bundestag halten aus

diesem Grunde einen Wechsel des Regierungschefs in
Hessen für notwendig. Dabei geht es längst nicht nur um
die Angelegenheit einer Partei. Es geht um das Ansehen
der Politik und der demokratischen Institutionen insge-
samt. Wenn wir nicht Acht geben, sind wir sehr schnell
auf einer schiefen Bahn. Erst ist es eine Partei, dann ist
es eine andere Partei, in Düsseldorf mit rotem Filz, dann
ist es die nächste Partei, und irgendwann ist die Partei
der Nichtwähler die größte Partei in Deutschland. Das
gilt es zu verhindern und das kann man nur, wenn man
wirklich die gleichen Maßstäbe bei allen anlegt.

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen sagen, was
mich ärgert – Sie von den Grünen haben diese Debatte
beantragt –: Ich habe den Eindruck, die Grünen fragen
nicht danach, was sie zur Bewältigung der Krise der
Demokratie tun können, sie fragen nur, was die Krise
der Demokratie für sie tun kann, und das ist falsch. Das
ist nicht gut.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit Neuwahlen?)


Wir sind sehr schnell beieinander, wenn wir darüber
sprechen, dass die Losung in diesen Tagen Klarheit und
Wahrheit heißt. Das gilt für alle, das gilt selbstverständ-
lich auch für den amtierenden Bundespräsidenten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, es geht weniger um die Fragen, die ge-

stellt, und die Vorwürfe, die in der Öffentlichkeit ge-
macht werden. Ich glaube vielmehr, dass die meisten

Bürgerinnen und Bürger bereit wären zu akzeptieren,
dass Fehler gemacht worden sind, wenn sie wenigstens
zugegeben würden. Die Taktik des Verschleierns – es
wird immer nur so viel zugegeben, wie sowieso heraus-
kommt – ist das Problem, und das muss auch durch per-
sonelle und persönliche Konsequenzen gelöst werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich teile die Auffassung, dass ein Abgeordneter die-

ses Hauses, der Mitglied eines Verfassungsorgans ist
und sich im Zustand des permanenten Verfassungs-
bruchs befindet, wohl kaum parlamentarische Arbeit
leisten kann. Es handelt sich hier nicht um irgendeine
Petitesse, es handelt sich um Art. 21 unseres Grundge-
setzes.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das war aber auch in Hessen so!)


Das Transparenzgebot – das müssen wir zur Kenntnis
nehmen – ist die Folge von Fehlentwicklungen in der
Weimarer Republik gewesen. Wir reden hier über ein
ungeheuer hohes Gut. Dieses Gut, nämlich das Ansehen
der Politik, die bewährte Demokratie zu verteidigen,


(Ludwig Stiegler [SPD]: Reden wir von Hessen!)


ist die Aufgabe, die an dieses Hohe Haus gestellt ist. Es
ist ganz gewiss nicht Aufgabe, diesen oder jenen klein-
karierten Vorteil in einer solchen Debatte zu erlangen.
Wir nehmen alle Schaden in diesem Hause, wenn die
Debatte auf diese Art und Weise weitergeführt wird.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]:Und wenn in Hessen nicht neu gewählt wird?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408711300
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Dietmar Bartsch.


Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1408711400
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen und Herren! Im Zusammenhang mit dem
größten Spendenskandal in der Geschichte der Bundes-
republik noch von einem möglichen Schaden für die
Demokratie zu sprechen ist meines Erachtens nicht an-
gemessen. Sieht man die der CDU nachgewiesenen Ver-
stöße gegen Recht und Gesetz einerseits und das latente
Unrechtsbewusstsein, das auch Herr Lippold ausge-
drückt hat, andererseits, kann es nur einen Schluss ge-
ben: Die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland
hat Schaden genommen.

Wir haben eine Krise des parlamentarischen Systems,
wir haben eine Krise des Parteiensystems, wir haben ei-
ne Staatskrise. Wer daran zweifelt, der schaue sich das
Agieren des ehemaligen Bundeskanzlers an, der die Ver-
fassung bricht, der Gesetze bricht und keinerlei Konse-
quenzen zieht; der schaue sich die Wahlen an, die am
letzten Wochenende stattgefunden haben. Bei den Land-
ratswahlen in Quedlinburg lag die Beteiligung bei unter
20 Prozent und bei den Oberbürgermeisterwahlen in
Halle bei knapp über 30 Prozent.

Dr. Guido Westerwelle






(A)



(B)



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(D)


Die CDU sollte sich endlich darüber klar werden,
dass die zu Tage getretenen Missstände zuerst Resultat
eines verheerenden Partei- und Demokratieverständ-
nisses sind und erst in zweiter Linie auf das – allerdings
grandiose – Fehlverhalten Einzelner zurückzuführen
sind. Herausgefordert sind allerdings, wie Herr Wester-
welle richtig sagte, alle demokratischen Parteien. Her-
ausgefordert ist zuallererst die CDU. Machen Sie den
Menschen in diesem Land glaubhaft, dass Sie für den
ungeheuren Schaden, den Sie angerichtet haben, gerade-
stehen wollen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dazu brauchen wir die Kommunisten!)


Verzichten Sie auf juristische Winkelzüge gegenüber
dem Bescheid des Bundestagspräsidenten! Das Aussit-
zen war ein Markenzeichen jenes Systems, das Sie vor-
geben überwunden zu haben.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Überzeugen Sie die Öffentlichkeit davon, dass Sie
angesichts finanzieller Einschnitte Ihre politische Arbeit
neu ordnen, ohne in Abhängigkeit von Großspenden zu
geraten. Machen Sie sich gemeinsam mit allen Fraktio-
nen dieses Hauses Gedanken darüber, wie die unheilvol-
le Verquickung von Politik und Geld, von Politik und
Wirtschaft beendet wird. Geben Sie den Weg für Neu-
wahlen in Hessen frei!


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist doch in der Tat bemerkenswert, dass eine schmut-
zige politische Kampagne in Hessen mit schmutzigem
Geld geführt worden ist. Bei der Hessenwahl ist gegen
das Prinzip der Chancengleichheit verstoßen worden.
Die Landesregierung hat sich selbst die Vertrauens-
grundlage entzogen. Stellen Sie Aufklärung vor Macht-
erhalt! Das gilt natürlich auch für die hessische F.D.P.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Stellung zu Neuwahlen in Hessen ist in gewissem
Sinne eine Nagelprobe für die Demokratie.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das sagt gerade ihr!)


– Ja, das sagen wir. Man kann gut dazulernen.
Die Veränderung der Mehrheitsverhältnisse – um das

auch zu sagen, Frau Müller – kann natürlich Resultat
von Neuwahlen sein, aber nicht das Motiv dafür, was da
zu geschehen hat.

Letztlich ist ganz klar: Wir alle sind gefordert. Es
geht um die politische Moral, es geht um Glaubwürdig-
keit, es geht um das Vertrauen der Bürgerinnen und
Bürger. Weitreichende Konsequenzen stehen auf der
Tagesordnung, aber einige Schritte sollten ohne Zeitver-
zug gegangen werden.

Das Parteiengesetz gehört auf den Prüfstand. Die
Pflicht zur Rechenschaftslegung ist zwingender auszu-
gestalten, um dem verfassungsrechtlichen Transparenz-

gebot gerecht zu werden. Verstöße müssen wirkungsvoll
geahndet werden. Unzulässige Einflussnahmen juristi-
scher Personen müssen strukturell ausgeschlossen wer-
den.


(Beifall bei der PDS)

Wir haben gestern auf einer Pressekonferenz unsere

Vorschläge für die Modifizierung des Parteiengesetzes
vorgelegt. Die Berichtspflicht des Bundestagspräsiden-
ten zu den Parteifinanzen sollte erweitert und öffentlich
gemacht werden. Spenden juristischer Personen sollten
nicht mehr statthaft sein. Spenden natürlicher Personen
sollten begrenzt werden und die Publizitätsgrenze sollte
gesenkt werden. Nicht zuletzt sollte das Führen von
Auslandskonten für Parteien verboten werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: SchalckGolodkowski!)


– Ja, das sollte verboten werden. Dazu stehen wir.
Schließlich ist ein sofortiger gemeinsamer Beitrag al-

ler Fraktionen möglich, um ein Stück Vertrauen in die
Demokratie zurückzugewinnen. Die CDU sollte sich be-
reit erklären, den vom Bundestagspräsidenten auferleg-
ten Sanktionen ohne Wenn und Aber nachzukommen.
Alle Fraktionen – letztlich die Parteien – sollten gemein-
sam entscheiden, von diesen Geldern nicht zu profitie-
ren, sondern sie dem Gemeinwohl zuzuführen. Wie wäre
es, wenn wir der Forderung von Arbeitsloseninitiativen
nachkämen und diese Mittel für eine aktive Beschäfti-
gungspolitik einsetzten?

Mir ist klar, dass die Mehrheit in diesem Hause dem
nur eingeschränkt Folge leisten kann. Vielleicht können
Sie aber dem Neujahrsgebet des Pfarrers von St. Lam-
berti in Münster folgen, der gesagt hat:

Herr, lasse die Leute kein falsches Geld machen,
aber auch das Geld keine falschen Leute.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS – Zuruf von der CDU/CSU: Der hat auch noch etwas von „Gib uns eine bessere Regierung“ gesagt!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408711500
Herr Kollege
Bartsch, dies war Ihre erste Rede hier im Plenum des
Deutschen Bundestages. Im Namen aller Kolleginnen
und Kollegen möchte ich Sie dazu herzlich beglückwün-
schen.


(Beifall)

Nächste Rednerin in dieser Debatte ist Kollegin Rita

Streb-Hesse für die SPD-Fraktion.

(Bundesminister Joseph Fischer: Rita, pack mal Hessen auf den Tisch!)



Rita Streb-Hesse (SPD):
Rede ID: ID1408711600
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der Redebeitrag des Kollegen
Lippold aus Hessen, aber auch die Stellungnahme der
CDU über Frau Merkel zu der Strafe, die das Parteien-
gesetz vorsieht, hat gezeigt – ich bedauere, das so sagen

Dr. Dietmar Bartsch






(A)



(B)



(C)



(D)


zu müssen, weil ich heute insbesondere aufgrund des
Rücktritts Ihres Partei- und Fraktionsvorsitzenden,
Herrn Schäuble, gern anders geredet hätte –,


(V o r s i t z: Vizepräsident Rudolf Seiters)

dass die Aufklärung weder in Ihren Köpfen stattgefun-
den hat noch dass Sie bis heute bereit sind, irgendeine
Art von Verantwortung zu übernehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das zeigt sich besonders deutlich dann, wenn – sicher-
lich zu Recht – darauf hingewiesen wird, dass es auch
bei anderen Parteien Schwierigkeiten gibt. Aber Sie sind
sich bis heute nicht über die Dimension Ihres Gebarens
im Klaren; denn Mitglieder Ihrer Partei haben einen
Rechtsbruch und einen Verfassungsbruch begangen. Sie
haben den Wettbewerb der Parteien – ein wichtiges
Element – bis zur totalen Verzerrung verkommen lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie räsonnieren über 41,3 Millionen DM und bezwei-
feln die Rechtmäßigkeit dieser Summe. Sie wissen of-
fenbar nicht, dass sich allein die Schwarzgelder in Hes-
sen, deren Existenz scheibchenweise enthüllt worden ist,
deutlich auf diese Summe belaufen. Ich möchte Ihnen
das vorrechnen: Es wurden 22 Millionen DM in die
Schweiz gebracht. Sie sollten 1983/84 vor den Folgen
des Parteiengesetzes in Sicherheit gebracht werden. Das
hat der ehemalige Finanz- und Innenminister, Herr
Kanther, im Januar offenbart.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Verfassungsminister!)


24,3 Millionen DM sind zurückgeflossen, aber nicht auf
legalem Weg, sondern als Vermächtnisse, Darlehen,
Spenden und Zuwendungen, und zwar über eine höchst
dubiose Stiftung namens Zaunkönig in Liechtenstein.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das so genau? – Gegenruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man alles nachlesen!)


– Kollegin Blank, ich zitiere nur aus Aufklärungsberich-
ten der hessischen CDU, nicht aus eigenen Quellen;
denn diese sind mir nicht zugänglich.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Eben!)

Am meisten davon profitiert hat der Frankfurter

CDU-Kreisverband mit seiner damaligen Vorsitzenden
und heutigen Oberbürgermeisterin, Frau Petra Roth.
Hier werden alleine von der CDU 9,1 Millionen DM be-
nannt. Man schämt sich noch nicht einmal, das Ver-
schwinden eines Defizits von 3 Millionen DM in den ei-
genen Kassen mit dem Hinweis auf Vermächtnisse
deutschstämmiger Juden zu erklären und dies auch nach
Wochen nicht richtig gestellt zu haben.


(Zurufe von der SPD: Übelst! – Pfui!)

Dies ist schon ein Skandal im Skandal und zeigt ein
Höchstmaß an politischer Verantwortungslosigkeit.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Es gibt auch eine wundersame Geldvermehrung: Von
22 Millionen DM – 24 Millionen DM sind zurückge-
flossen – lassen sich noch immer 17 Millionen DM auf
Schweizer Konten finden. Meine Damen und Herren
von der CDU, wenn Sie Probleme mit der Rückzahlung
haben, dann wenden Sie sich an die hessische CDU; dort
gibt es noch einiges zu holen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Bimbes!)

Seit In-Kraft-Treten des Parteiengesetzes ist von der
CDU in Hessen eine Parteienfinanzierung betrieben
worden, die selbst Roland Koch als „ausgeklüngeltes“,
geheimbündlerisches System bezeichnet.

Es kommt noch viel dicker. Wenn man nachfragt:
„Wer trug denn die Verantwortung?“, dann taucht stän-
dig das Bild der drei Affen auf. Keiner hat etwas ge-
wusst; niemand hat gefragt; niemand wurde misstrau-
isch, nicht der CDU-Geschäftsführer, nicht die jeweili-
gen Vorsitzenden und auch nicht die Parteivorstände. Es
gibt ein System der organisierten Verantwortungslosig-
keit in Frankfurt bzw. in Gesamthessen, leider auch in
Berlin. In Hessen sollen allein ein Edelmann, ein Sau-
bermann und ein Geldmann ohne Kompetenz und ohne
Befugnisse entschieden haben, wer wann was an Zu-
wendungen erhielt. Rupert von Plottnitz hat zu Recht im
Hessischen Landtag gesagt: Das waren wohl keine
feindlichen Agenten im Netz der CDU. Sie sind nicht
Opfer von Machenschaften; vielmehr müssen Sie sich
Ihrer Verantwortung endlich bewusst werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Man darf nicht bei der notwendigen Aufklärung ste-
hen bleiben. Sie gestehen wohl auch zu, dass diese Auf-
klärung ein Verdienst der Presse und der Parlamente war
und noch immer ein Verdienst der Justiz ist. Ein solches
von Ihnen praktiziertes und geduldetes Verhalten über-
trifft bei weitem die Dimension aller bisher bekannten
politischen Skandale. Es erfordert nicht erst seit gestern
Konsequenzen in Ihrer und durch Ihre Partei – auch in
Hessen und vielleicht auch in Frankfurt.

Der „brutalmöglichste Aufklärer“ Herr Koch darf bei
der eigenen Aufklärung nicht Halt machen.


(Beifall bei der SPD)

Er hat selbst zugegeben, vor Weihnachten den Rechen-
schaftsbericht seiner Partei als Landesvorsitzender ge-
fälscht zu haben, indem er Schwarzgeld als Kredit de-
klarierte. Dies hat er dem Parlament und der Öffentlich-
keit über Wochen verschwiegen, obwohl er mehrfach
die Möglichkeit gehabt hat, anders zu handeln.

Das ist keine Dummheit mehr. Und Kolleginnen und
Kollegen von der F.D.P., siehe Frau Wagner, es ist nicht
nur ein Fehler, sondern auch eine bewusste Täuschung.
Sogar Herr Stihl sagt: Das ist eine Lüge.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Rita Streb-Hesse






(A)



(B)



(C)



(D)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408711700
Frau Kollegin, Sie
haben Ihre Redezeit schon um eine Minute überschrit-
ten. Ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu kommen.


Rita Streb-Hesse (SPD):
Rede ID: ID1408711800
So gilt für Roland Koch
jetzt das, was er selbst 1994 als Maßstab für sein Han-
deln gegenüber der Vorgängerregierung formuliert hat:
„Diese Landesregierung hat den Anspruch verwirkt, den
Menschen Vorbild zu sein und sie zu führen.“ Lassen
Sie mich zum Schluss ergänzen: Es ist nicht mit dem
Rücktritt des Ministerpräsidenten allein getan.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Niedersachsen!)


Zu viele Mitglieder der Landesregierung sind involviert.
Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408711900
Frau Kollegin
Streb-Hesse, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Ich darf Ihnen dazu gratulieren.


(Beifall)

Nun hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege

Hartmut Schauerte das Wort.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1408712000
Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Müntefe-
ring, ich möchte mich zu Anfang etwas mit Ihnen be-
schäftigen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Es lohnt zwar nicht, aber es ist richtig!)


Wir haben eine wirklich schwierige Krise. Wolfgang
Schäuble hat gestern und vorgestern für sich unendlich
schwere Entscheidungen treffen müssen. Ihr
Bundeskanzler hat – das konnte man heute in allen
Zeitungen lesen – Worte gefunden, um ihm gegenüber
sein Mitgefühl und seine Betroffenheit zum Ausdruck zu
bringen. Und Sie halten hier eine Rede, als wäre nichts
passiert – in einer besserwisserischen, pharisäerhaften,
unüberlegten Art,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


dass ich nur sagen kann: Das ist eine wirklich doppelte
Moral, die nicht weit trägt. Das wird Ihnen nicht gut be-
kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin wirklich von dem betroffen, was mit Finanzen

in unserer Partei passiert ist.

(Hubertus Heil [SPD]: Sagen Sie das doch Herrn Koch!)

Aber, Herr Müntefering, ich habe wieder ein bisschen
Vertrauen, weil ich erkenne, dass wir uns wirklich
ernsthaft mit der Lösung dieses Problems beschäftigen.


(Franz Müntefering [SPD]: Wann denn?)

Das macht mir langsam wieder etwas Mut. Gleichzeitig
bin ich aber auch betroffen, dass Sie hier so tun, als hät-
ten Sie kein einziges Problem in dieser Richtung. Das
macht mich in einer Weise betroffen, die Sie sorgfältig
studieren müssten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Unsere sind längst zurückgetreten)


Herr Müntefering, es ist eigentlich ärgerlich, dass wir
gegeneinander aufrechnen müssen; denn wir sollten uns
um die Sache kümmern. Aber wer so pharisäerhaft jede
eigene Fehlentwicklung leugnet, dem darf man das nicht
durchgehen lassen und den muss man mit seiner doppel-
ten Moral stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann fangen wir doch einmal an. Herr Nau hat da-

mals 6,7 Millionen DM abgegeben. Das Gesetz galt
schon; es war nur noch keine Strafe da. Niemand redet
darüber. Der Herr Maschmeyer hat eine Spende in Höhe
von 1 Million DM gezahlt. Das sollte anonym gesche-
hen – eine klare Umgehung der Parteienfinanzierung.
Um für die Zukunft zu verhindern, dass so etwas wieder
passieren kann, müssen Sie einmal bei sich selbst nach-
sehen.

Im Land Nordrhein-Westfalen sind 2,5 Millionen DM
für Flugkosten ausgegeben worden, die im Wesentlichen
privat oder parteipolitisch bedingt waren. Das ist eine
verdeckte Parteienfinanzierung. Das muss aufgeklärt
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Wo ist der Kohl überall hingeflogen?)


Das hat doch nichts mit gleichen Chancen zu tun.

(Hubertus Heil [SPD]: Was ist mit Teufel?)


Es gibt sogar den Verdacht, dass hier tatsächlich Beste-
chung stattgefunden hat.


(Widerspruch bei der SPD)

Ich will Ihnen das erklären: Die WestLB wollte die
Wohnungsbauförderungsmittel des Landes für sich. Das
Land hat diese Mittel verschenkt.


(Ludwig Stiegler [SPD]: An sich selber!)

Als Belohnung dafür, dass das Kabinett dem zustimmte,
durfte es fliegen, wann und wohin auch immer es wollte.
Die EU aber hat gesagt: Ihr habt 1,5 Milliarden DM ver-
schenkt, ihr müsst sie zurückfordern. So verhält es sich.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch und Lachen bei der SPD)


Das Land Nordrhein-Westfalen hat aufgrund dieser
Verflechtungen große Schwächen, Herr Müntefering.
Um Ihren Landesverband – Sie sind ja auch Generalsek-
retär der gesamten Partei – kümmern Sie sich nicht ein
Jota. Clement geht hin und sagt, es sei eine Luftnummer.


(Zuruf von der SPD: Sie sind eine Luftnummer!)







(A)



(B)



(C)



(D)


Er hat erklärt, eher wolle er sich erschießen, als Herrn
Schleußer zu entlassen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Er ist längst zurückgetreten!)


Wir müssen uns jetzt Sorge um die Gesundheit von
Herrn Clement machen. So klären Sie auf.


(Hubertus Heil [SPD]: Koch!)

Uns meinen Sie vorwerfen zu müssen, wir machten

zu langsam. Sie machen sich jetzt lustig darüber, dass
wir nach der Entscheidung von Wolfgang Schäuble sa-
gen, Gründlichkeit in der Neubestimmung unserer Per-
sonalstruktur geht vor Schnelligkeit.


(Franz Müntefering [SPD]: Wie haben Sie denn in der Fraktion abgestimmt?)


Das ist doch unter Niveau, Herr Müntefering.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Man braucht doch, wenn 50 oder 60 Positionen neu mit
Leuten zu besetzen sind, die für zwei bis drei Jahre
wichtigste Ämter in diesem Staat übernehmen sollen,
eine Phase der Überlegung. Wer sich darüber lustig
macht, ist doch im Unrecht. Geben Sie es doch zu, stel-
len Sie Ihr Lachen ein wenig ein und werden Sie etwas
nachdenklicher. Gehen Sie ein wenig in sich und fragen
Sie sich, ob Sie so mit dem politischen Gegner umgehen
können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Sie lügen die ganze Zeit! Sie betuppen doch nur!)


Wir wollen diese Dinge ändern, Herr Müntefering.
Auch etwas anderes tut weh. Warum ist denn der

Bundespräsident, der sonst in solchen Fragen moralische
Kompetenz hat, genau bei diesem Thema so still?


(Hubertus Heil [SPD]: Jetzt wird es gemischt! Jetzt schmeißt er mit Kübeln Dreck!)


Das hat doch seine ganz besonderen Gründe. Auch Sie
müssen bereit sein, darüber noch einmal selber nachzu-
denken.

Ich sage daher: Wir haben genug zu tun. Wir müssen
ein neues Parteienfinanzierungsgesetz erarbeiten und
wirklich klare Strukturen herstellen.


(Erika Lotz [SPD]: Einhalten!)

Wir müssen zum Beispiel überlegen, ob es angesichts
der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland
wirklich richtig ist, auf Dauer jedes Verhalten eines
Kreisverbandes oder eines Landesverbandes dem
gesamten Bundesverband anzulasten.


(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Lasst uns darüber einmal reden. Nicht mit Blick auf die
Vergangenheit, wohl aber auf die Zukunft. Ich glaube
nämlich, dass es eine wichtige Frage ist, ob wir das rich-
tig miteinander organisiert haben.

Wir haben noch genug aufzuräumen. Für Häme und
Fingerzeigen auf andere Leute gibt es wirklich keinen

Anlass. Ich entschuldige mich dafür, dass ich es teilwei-
se musste, aber Sie haben eine unerträgliche Vorlage da-
für geliefert.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [SPD]: Weiter so!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408712100
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Matthias Berninger für Bündnis 90/Die
Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

noch nicht allzu lange her, da hat ein Bun-
desinnenminister aus meiner Sicht Maßstäbe für die Ü-
bernahme von politischer Verantwortung gesetzt. Er ist
hier im Raum. Es war Herr Seiters. Er hat für das Vor-
gehen in Bad Kleinen die politische Verantwortung ü-
bernommen und ist deshalb zurückgetreten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Seitdem hat sich einiges getan. Sein Nachfolger, der
schwarze Sheriff Herr Kanther, hat sich als wahrer Ex-
perte für Geldwäsche im Ausland im Amt des Innenmi-
nisters profilieren können.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Der Bock als Gärtner!)


Er hat uns hier über Jahre mit seiner Null-Toleranz- und
Law-and-Order-Politik genervt und genau das Gegenteil
gemacht.


(Rita Streb-Hesse [SPD]: So ist es!)

Der Dritte im Bunde ist der, der sich so gerne als

hundertprozentiger Kohlianer bezeichnet hat: Roland
Koch. Dieser Roland Koch hat vor nicht mehr als einem
Jahr in Hessen eine Landtagswahl gewonnen. Er hat
diese Landtagswahl aus vielen Gründen gewonnen. Er
hat sie unter anderem deshalb gewonnen, weil die jun-
gen Menschen gesagt haben: Wir wollen lieber diesen
Roland Koch als die rot-grüne Koalition. – Das hat uns
sehr geschmerzt.

Nur, was mich wundert, ist, dass bei Ihnen keiner
darüber nachdenkt, dass genau diese jungen Menschen,
die ihre erste Stimme Herrn Koch gegeben haben, heute
fordern, sie wollten ihre Stimme zurück, dass Sie an
keiner Stelle, nicht ein einziges Mal auf die Idee kom-
men, darüber nachzudenken, was es in der Demokratie
für eine Erfahrung ist, wenn man jemanden wählt, der
zunächst mit Schwarzgeld seinen Wahlkampf bezahlt
hat und der dann bei der Übernahme politischer Verant-
wortung Maßstäbe setzt, die nichts anderes sind als der
Beweis für die Verrottung des politischen Systems.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, Herr Koch hat nicht nur
systematisch getäuscht und Herr Koch war nicht nur der

Hartmut Schauerte






(A)



(B)



(C)



(D)


Meister der Salamitaktik. Dafür will ich Ihnen ein Bei-
spiel nennen; denn es gibt dafür sehr viele Sachstands-
darstellungen der CDU. Eine betrifft den Fall
Reischmann. Dieser Mitarbeiter der CDU hat 1 Mil-
lion DM veruntreut.


(Rita Streb-Hesse [SPD]: Zwei!)

– Lassen Sie mich das erst einmal ausführen. - Dazu gibt
es folgende Sachstandsdarstellung vom 8. Februar dieses
Jahres seitens des Herrn Koch – das ist noch nicht lange
her –:

Am 14. August 1992 gab Reischmann ein notariel-
les Schuldanerkenntnis ab, in dem ein Betrag von
1 Million DM als Schadenssumme genannt wurde.
Das Schuldanerkenntnis machte

– jetzt kommt es –
den raschen Zugriff auf die Vermögenswerte
Reischmanns möglich. Als Treuhänder für den
Landesverband trat dabei die Firma Weyrauch &
Kapp GmbH auf.

Was stellt sich heraus? Nicht einmal eine Woche spä-
ter veröffentlicht der „Spiegel“, dass man nicht etwa auf
das Vermögen von Herrn Reischmann zugegriffen hat,
sondern dass man ihm weitere 1,2 Millionen DM gezahlt
hat. Warum hat man das getan? Weil man Schweigegeld
zahlen wollte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Warum sagt Herr Koch das nicht eine Woche vorher?
Warum stellt er sich nicht hin und sagt die Wahrheit?
Warum versucht er, die Öffentlichkeit wiederholt zu
täuschen? Weil er Roland „Pattex-Koch“ heißt, weil er
am Amt des Ministerpräsidenten, an seinem Posten
klebt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie
haben in dieser Woche vorexerziert, dass auch Sie damit
nicht mehr zufrieden sind.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außer der Herr Lippold!)


Auch heute ist die Zahl der Kritiker groß. Norbert
Lammert sagt, Roland Koch sollte besser zurücktreten.
Christa Thoben sagt, Roland Koch sollte besser zu-
rücktreten. Rita Süssmuth sagt: Ich würde Roland Koch
nahe legen, zurückzutreten.


(Bernd Reuter [SPD]: Sie hat heute Geburtstag!)


Nichts dergleichen tut dieser Mann. Denn er ist eben
doch der „Pattex-Koch“. Wenn Herr Lippold sich hier
aufregt und einerseits die Verflechtungen von Posten in
der Wirtschaft und andererseits von Posten in der Politik
anspricht, dann ist das schon ein starkes Stück für je-
mand, der seit Jahren gleichzeitig Verbandsfunktionär in
der Wirtschaft und Bundestagsabgeordneter ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD] – (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: BDI und CDU passen halt zusammen! – Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Was sagt Herr Wiesehügel dazu?)


Er hätte besser auf die beiden Wirtschaftskapitäne, näm-
lich auf Herrn Stihl und Herrn Henkel vom BDI hören
müssen, die auch sagen: Roland Koch muss zurücktre-
ten.

Nun komme ich zu dem entscheidenden Punkt dieser
Aktuellen Stunde, zum Verhalten der F.D.P. Herr Kol-
lege Westerwelle, ich verstehe, dass Sie sich sozusagen
als Lautsprecher des politischen Anstandes hier hinstel-
len und dass Sie hier als Übervater, der über politischen
Anstand referiert, sprechen,


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: So viel älter bin ich gar nicht!)


ohne auf das Thema F.D.P. deutlich einzugehen. Ich be-
zweifle, dass die Koalition in Hessen noch über Legiti-
mität verfügt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dies bezweifle ich genauso wie die vielen jungen Wäh-
ler, die ihre Stimme in Unkenntnis der jetzigen Situation
gegeben haben. Ich bezweifle, dass eine Kampagne ge-
gen mehr Rechte für junge Migrantinnen und Migranten
noch einmal einen solchen Erfolg, wie dies vor einigen
Monaten der Fall war, hätte angesichts dessen, dass wir
uns beim Staatsbürgerinnen- und Staatsbürgerrecht
durchgesetzt haben.


(Lachen bei der F.D.P. Dirk Niebel [F.D.P.]: Ihr?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., ich be-
zweifle, dass Sie hier als Saubermänner und Moralisie-
rer auftreten können, solange sich Frau Wagner und die
hessische F.D.P. gegen Neuwahlen sperren. Ich halte das
für ein ziemlich komisches Vorgehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Für Hessen muss es aus drei Gründen einen Neuan-
fang geben: Es muss ihn geben, weil die CDU seit Jah-
ren Schwarzgelder im Ausland parkt, weil sie noch heu-
te stolz ist, dort diese Vermögenswerte zu haben,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Dummes Gerede!)


und weil sie die Öffentlichkeit seit Jahren getäuscht hat.
Die Regierung muss zurücktreten


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– ich weiß nicht, warum Sie so aufgeregt sind – , weil
der Ministerpräsident, der so getan hat, als wüsste er von
nichts, von diesen Dingen nicht nur frühzeitig wusste,
sondern weil er auch als Fraktionschef zusammen mit
seinem Generalsekretär Jung zumindest für den Fall
Reischmann selbst die Verantwortung getragen hat.
Denn dabei ging es zum Teil um Fraktionsgelder und er
war Fraktionschef.

Matthias Berninger






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die hessische Regierung muss zurücktreten, weil der
Neuanfang, der durch solche Aktionen wie durch die des
Rücktritts von Herrn Schäuble möglich wird, nur dann
eine Chance hat, wenn man für klare Verhältnisse sorgt.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung
machen: Nicht Herr Koch, sondern Herr Schäuble, der
jetzt zurückgetreten ist, hat sich damals für diesen un-
glaublichen Ausfall des Prinzen zu Sayn-Wittgenstein
entschuldigt, der gesagt hat, die Vermächtnisse stamm-
ten von jüdischen Mitbürgern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch gar nicht!)


Nicht Herr Koch, sondern Herr Schäuble hat sich zuerst
entschuldigt. Das hat mir sehr imponiert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Er hat es auch gesagt!)


– Später hat sich auch Herr Koch entschuldigt. Aber am
Tag der Pressekonferenz war davon keine Rede.

Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen.
Herr Schäuble ist unter dem Strich wegen 100 000 DM
zurückgetreten. Wenn Sie allein die 2,2 Millionen DM
nehmen, deren Herkunft noch unsicher ist, dann kom-
men Sie zu dem Ergebnis, dass Herr Koch 22-mal zu-
rücktreten müsste. Einmal würde mir schon reichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der F.D.P.: Dümmer geht es nicht!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408712200
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht der Kollege Gerald Weiß.

Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
möchte mich mit einigen Debattenbeiträgen auseinander
setzen, aber nicht mit dem von Herrn Bartsch von der
PDS. Es wäre ja noch schöner, wenn sich die PDS als
Hüterin der parlamentarischen Demokratie hier aufspie-
len könnte und eine vermeintlich blütenweiße Weste
nachweisen wollte. Das darf nicht sein.


(Beifall bei der CDU/CSU Dr. Dietmar Bartsch [PDS]: Da sehen Sie mal: Wir haben gelernt!)


Herr Berninger, was Sie eben als Ansammlung von
Verleumdungen und Lügen geboten haben, ist unakzep-
tabler Tobak.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Oh!)


Ich mache diese Aussage an einigen Beispielen fest. Mi-
nisterpräsident Koch hat sich beispielsweise sehr wohl
bei der jüdischen Gemeinde dafür entschuldigt, dass
Prinz Wittgenstein die jüdischen Erblasser als vermeint-
liche Geldgeber in Anspruch genommen hat.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hinterhergehoppelt!)


So billig kommen Sie mir nicht davon: Erst Behauptun-
gen aufstellen, diese dann aber nicht beweisen können.
Auf diese Weise können wir in der jetzigen Debatte
nicht verfahren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Streb-Hesse, zu dem angeblich gefälschten Re-

chenschaftsbericht.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: „Angeblich“? Ha!)

Wir haben inzwischen Rechtsgutachten und Wirt-
schaftsprüfergutachten vorliegen. Herr Koch hat von
dem Geldzufluss von einem Anderkonto, das er nicht
kannte, nichts gewusst.


(Bernd Reuter [SPD]: Doch!)

Um diese Zahlung zurückweisen zu können und dieses
Geld als Eigentum der hessischen Union abwehren zu
können, hatte er rechtlich keine andere Wahl, als dieses
Geld als Darlehen zu verbuchen.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein übergesetzlicher Notstand!)


Bei seinem Wissensstand am Ende des Jahres und bei
Abgabe des Rechenschaftsberichts blieb keine andere
Möglichkeit übrig. Lesen Sie die entsprechenden Gut-
achten! Wir lassen Roland Koch von Ihnen nicht in die
Ecke der Verleumdung und der Denunzierung rücken.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [SPD]: Unglaublich!)


Frau Streb-Hesse, zu welchen Plattitüden und zu wel-
chen maßlosen Anschuldigungen – diese absolute Maß-
losigkeit ist ja das Kennzeichen der Debatte – Sie grei-
fen,


(Hubertus Heil [SPD]: Ja, genau!)

wird deutlich, wenn Sie von den Vorwürfen Verfas-
sungsbruch, Staatskrise und Demokratiekrise sprechen.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 22 Millionen DM auf Schweizer Konten sind ziemlich maßlos!)


Wir verniedlichen nicht das Fehlverhalten und die Feh-
ler Einzelner. Aber es ist doch keine Staatskrise, keine
Demokratiekrise und kein Verfassungsbruch. Herr Isen-
see hat Ihnen unlängst ins Stammbuch geschrieben, dass
es diese Maßlosigkeit ist, die die Demokratie in der
Bundesrepublik Deutschland vergiftet.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Berninger – Frau Müller, Sie haben sich vorhin

ähnlich ausgedrückt, – was ist denn das für eine Vorstel-
lung, dass man in dieser Demokratie Stimmen kaufen
kann?

Matthias Berninger






(A)



(B)



(C)



(D)



(Lachen bei der SPD Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha!)


Wählerstimmen gibt es nicht für Geld; Wählerstimmen
gibt es für Argumente.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eisenbahnerwohnungen!)


Wenn es Wählerstimmen für Geld gäbe, dann müsste ja
die SPD die Wahl in Hessen gewonnen haben, weil sie
6 Millionen DM im hessischen Landtagswahlkampf
ausgegeben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die hessische Union hat aber nur 4 Millionen DM, or-
dentlich finanziert, ausgegeben.


(Kerstin Müller GRÜNEN]: Schwarzes Geld!)


Wenn ich die Aktion gegen die doppelte Staatsbür-
gerschaft und für Integration nehme, dann muss ich sa-
gen – diese Feststellung ist richtig –, dass diese Aktion
sehr viel mit dem Wahlerfolg zu tun hatte.


(Kerstin Müller GRÜNEN]: Woher kam das Geld?)


Was hat aber die hessische CDU angesichts dieser
Aktion gesagt? Lasst den monetären und den materiellen
Aspekt beiseite! Sie hat nur 230 000 DM aus dem
Wahlkampfbudget umfinanziert. Wer diese Aktion groß
gemacht und ins Bewusstsein gerückt hat, waren man-
che Medien und Sie selbst von der SPD und den Grünen,
sodass diese Aktion zum Schluss wahlrelevant wurde.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Eigentlich haben wir Ihnen dafür zu danken.

Der Kollege Schauerte hat sich vorhin verdienstvoll
mit dem Beitrag von Herrn Müntefering auseinander ge-
setzt. Diese Einäugigkeit, diese Selbstgerechtigkeit ist
nur Ihnen, Herr Müntefering, zu Eigen. Das Kompli-
ment muss man Ihnen schon machen. An allen jetzt im
Raume stehenden Vorwürfen – Struck, Rau, Clement,
Schleußer –, an allen diesen Fragestellungen vorbei, die
sich letztlich auch an Sie richten, sich in der Attitüde des
Saubermanns vor den Deutschen Bundestag zu stellen,
ist schon eine unglaubliche Heuchelei, ein unglaubliches
Pharisäertum.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Und wenn Sie uns pathetisch sagen: Ihr dürft euch

diesen Staat nicht zu Eigen machen, dann halte ich Ih-
nen vor, wie Sie das Bundesland Nordrhein-Westfalen
einschließlich WestLB vereinnahmt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dort haben Sie nach Gutsherrenart Mittel gebraucht, um
nicht den Begriff des Missbrauchs zu verwenden. Was
hier abläuft, meine sehr verehrten Damen und Herren,
diese Schlammschlacht gegen den - auch in der Aufklä-
rung der Missstände – verdienstvollen Roland Koch, hat
ein einziges Ziel: Machtumverteilung. Hinter dieser Fra-

ge steht die Machtfrage. Sie wollen im Bundesrat und in
Hessen Macht umverteilen, weil Sie eine andersfarbige
Regierung wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Lächerlich!)


Wir wollen die Farbe der jetzigen hessischen Regierung,
weil diese eine leistungsfähige Landesregierung ist.
Deshalb und auch um seiner Aufklärungsverdienste wil-
len stellen wir uns vor Roland Koch, wie die F.D.P. in
Hessen auch.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408712300
Für die SPD-
Fraktion spricht der Kollege Bernd Reuter.


Bernd Reuter (SPD):
Rede ID: ID1408712400
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst die
unverschämten Unterstellungen, die hier vom Kollegen
Weiß im Hinblick auf Johannes Rau vorgetragen wur-
den, zurückweisen.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Ich kann mich nicht erinnern, dass seit Friedrich Ebert
ein amtierender Präsident in Deutschland so falsch an-
gegiftet wurde, wie das hier geschehen ist.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


– Ihr Gelächter ist schon in Ordnung. – Solange Sie sich
hier so selbstgerecht wie Herr Weiß, Herr Lippold und
Herr Schauerte hinstellen, so lange werden Sie nicht in
der Lage sein, Ihre Probleme einer Lösung zuzuführen.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, welchen Schaden hat denn

die Demokratie durch diese verwerflichen Taten, die bei
Ihnen begangen wurden, genommen? Es gibt einen Ver-
lust an Glaubwürdigkeit in der Politik, Ihrer höchsten
Repräsentanten. Aber am meisten ärgert mich, dass die
F.D.P. mit dranhängt. Das, was Herr Westerwelle hier
vorgetragen hat, war ja alles sehr schön. Es hört sich
immer an wie das Wort zum Montag.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Jetzt werden Sie nicht übermütig Aber Sie brauchen uns doch nicht vorzuhalten, wir würden das wegen eines billigen Wahlerfolges machen. Sie freuen sich doch, dass Ihre Pünktchen nach oben wandern. Das ist doch auch Tatsache. (Beifall bei der SPD – Ina Lenke [F.D.P.]: Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt!)


Am meisten ärgert es mich, dass die Frauen und
Männer, die vor Ort treu und brav ihre Arbeit machen,
jetzt alle in einen Sack mit denen gesteckt werden, die
gegen Recht und Gesetz und gegen die Verfassung ver-
stoßen haben. Das ist das Ärgerliche, auch in der CDU,
meine Damen und Herren.

Gerald Weiß (Groß-Gerau)







(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich sage Ihnen: Willy Brandt hat einmal ausgeführt:
Demokratie ist keine Frage der Zweckmäßigkeit, son-
dern der Sittlichkeit.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Er hat seine Kanzlerschaft gekauft! – Gegenrufe von der SPD: Wie bitte?!)


Seien Sie ruhig!

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wie ist er denn gewählt worden? – Gegenrufe von der SPD)


Meine Damen und Herren, ich komme ja nun aus
Hessen. Hessen ist ja die Schaltstelle der Bimbes-
Schwarzkonten gewesen. Ich will auch hinzufügen: Ich
war derjenige, der am meisten mit Manfred Kanther zu
kämpfen hatte.

Dazu möchte ich Ihnen auch einmal etwas sagen. Sie
haben das seltene Talent entwickelt, sofort von der Tä-
terrolle in die Opferrolle zu schlüpfen. Sie fühlen sich
von allen verfolgt, so ähnlich wie dies Manfred Kanther
auch getan hat. Stellen Sie sich vor, meine Damen und
Herren, er hat erklärt: Ich mache hiermit der Treibjagd
ein Ende und trete zurück. Ein unterfränkischer Kabaret-
tist, Urban Priol, hat dazu ausgeführt: Das ist genau so,
als wenn bei einer richtigen Treibjagd die Sau aus dem
Unterholz kommt und erklärt den staunenden Jägern:
Jetzt ist die Treibjagd zu Ende. So mutet das an.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wer ist die Sau?)


Dann will ich Ihnen noch sagen: Der spätere Minis-
terpräsident Koch konnte seine unselige Unterschriften-
kampagne nur machen, weil er wusste, dass er Geld im
Rücken hat.

Ich kann Ihnen sagen, wo das Ganze seinen Anfang
genommen hat. Ich habe hier einen Brief:

Seit Beginn der 80er-Jahre wütet in Mittelhessen
ein „kleiner Haider“ ...

Der „kleine Haider“ hat auch einen Namen. Der heißt
nämlich Irmer. Herr Reif feierte seinen fünfzigsten Ge-
burtstag. Am 14. Januar 1999 begann in Mittelhessen
diese Unterschriftenaktion. Bei dieser Geburtstagsfeier
hat Herr Irmer Herrn Koch, der verspätet eingetroffen
war, als Hauptredner des Abends vorgestellt, hat gesagt,
dass er in Sachen doppelte Staatsbürgerschaft der erste
Spitzenpolitiker sei, der sich hinter Wolfgang Schäuble
gestellt habe. Das heißt im Klartext: Wer ist denn Herr
Clemens Reif?


(Bundesminister Joseph Fischer: Den kenne ich auch!)


Clemens Reif ist der Schatzmeister, der Prinz Wittgen-
stein abgelöst hat. Ich behaupte steif und fest: Die Her-
ren wussten, wo das Geld ist. Sie waren deshalb willens

und entschlossen, diese Kampagne zu führen. Ich höre
von Herrn Weiß immer, der brutalstmögliche Aufklärer
sei Koch. Meine Damen und Herren, ich erwarte von ei-
nem Parteivorsitzenden, dass er aufklärt. Aber warum
sagt er, er wolle dieses Geld nicht haben? Dann hätte er
es zurückweisen müssen und nicht als Darlehen verbu-
chen dürfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wer einen Rechenschaftsbericht fälscht, kann nicht Mi-
nisterpräsident bleiben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Ludwig Stiegler [SPD]: Subventionsbetrüger!)


Es geht nicht nur darum, meine Damen und Herren,
so wie die F.D.P. sagt: Der Herr Koch muss weg. Es
geht auch nicht darum, dass uns die Farbe der Regierung
nicht gefällt.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Da geht doch die Lügerei los!)


– Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Schauerte, bin ich ein
überzeugter Demokrat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen: Ich bin der Meinung, dass die Wählerin-
nen und Wähler von diesem Herrn Koch getäuscht wur-
den und dass jetzt die Wählerinnen und Wähler ent-
scheiden müssen, welche Regierung sie in Hessen haben
wollen. Dann wird sich herausstellen, ob noch einmal
jemand wie Herr Koch Ministerpräsident von Hessen
werden kann. Wer das Parlament und die Öffentlichkeit
belügt, muss seinen inneren Schweinehund überwinden
und sagen: Ich trete zurück. Andere haben das vorge-
macht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Wie in Niedersachsen!)


Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist leider
zu Ende. Ich könnte Ihnen noch einiges aus dem schö-
nen Hessen erzählen. Ich sage Ihnen: Kehren Sie in sich,
räumen Sie auf! Wir sind gerne bereit hier mitzuwirken.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Ihr Gelächter beweist mir, dass Sie noch nicht die Rei-
fe haben, um die Dimension Ihrer moralischen Verwer-
fung zu begreifen. Sie sollten sich als Demokraten ei-
gentlich schämen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408712500
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Wolfgang Bötsch von der CDU/CSU-
Fraktion.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Jetzt kommt der Postillon d´Amour! – Günter Gloser [SPD]: Jetzt kommt ein Unterfranke!)


Bernd Reuter






(A)



(B)



(C)



(D)



Dr. Wolfgang Bötsch (CSU):
Rede ID: ID1408712600
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Den unterfränkischen Kaba-
rettisten kenne ich persönlich. Er ist wirklich gut, auch
wenn ich diese Aussage in diesem Zusammenhang nicht
begrüßen kann.


(Bernd Reuter [SPD]: Man muss Gott für alles danken, auch für einen Unterfranken!)


Frau Kollegin Müller, ich weiß nicht, wer Ihnen be-
richtet hat, die Sitzung des Untersuchungsausschusses
heute früh sei turbulent verlaufen.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Mitglieder!)


Sie habe ich dort jedenfalls nicht gesehen, während ich
als stellvertretendes Mitglied an der Sitzung vier Stun-
den teilgenommen habe. Da war von Turbulenzen über-
haupt keine Rede.


(Zuruf von der SPD: Hoffentlich waren Sie wach!)


Nicht einmal Ihr Fraktionskollege Ströbele hat dort Tur-
bulenzen angerichtet, obwohl er dafür immer ganz gut
ist. Sie sollten Ihren Informanten noch einmal fragen,
auf was er sich bezieht.

Von Ihnen hätte ich gerne noch etwas zu dem gehört,
was der Kollege Westerwelle in einem Halbsatz ange-
sprochen hat: Ihren Parteitagsbeschluss zu der Finanzie-
rung der Fraktion oder der Partei aus Mitteln der Kos-
tenpauschale.


(Kerstin Müller [Köln]: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht das Thema! Das Thema ist die CDU-Spendenaffäre!)


Ich bin der Auffassung: Jeder sollte die Probleme in sei-
nem eigenen Bereich selbst klären.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Probleme gibt es überall. Es gibt mehr oder weniger.

Ich will sie nicht alle in gleicher Gewichtung darstellen.

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Thema!)

Aber wenn jeder in seinem eigenen Bereich die Pro-

bleme klärt – die CDU ist mittendrin –,sie zu klären dann
tun wir alle miteinander der Demokratie einen guten
Dienst.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn eines steht fest: Die Vorgänge der letzten Wo-

chen haben viele Bürger unseres Staates irritiert, verär-
gert, bei vielen Diskussionen Zweifel und auch berech-
tigte Kritik ausgelöst sowie die Sympathie für die eine
oder andere Partei etwas anders gewichtet – zu Ihrer
Freude wahrscheinlich, Herr Generalsekretär –, als dies
im letzten Jahr durch Wahlergebnisse zum Ausdruck ge-
kommen ist.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Da war er auch noch in der Bundesregierung!)


Fest steht, dass es hierbei eigentlich bei niemandem
etwas zu beschönigen gibt. Jeder der Beteiligten hat sich

an Recht und Gesetz zu halten. Ich sage auch: Keiner ist
da gleicher als der andere. Ich meine, es ist selbstver-
ständlich, dass jeder Betroffene die gesetzlich vorgese-
henen Konsequenzen zu tragen hat, was aber auch be-
deutet, dass die Anwendung von Sanktionen unpartei-
isch zu erfolgen hat und das Parteiengesetz nicht der
Hebel dafür sein darf, andere, in Konkurrenz zur CDU
stehende Parteien etwa auf Kosten der Union zu berei-
chern,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Wer hat sich denn auf wessen Kosten bereichert? – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn die 41 Millionen zu verantworten?)


Der Chef der Mittel verwaltenden Behörde Deutscher
Bundestag – so hat es der Bundestagspräsident in seiner
Pressekonferenz vorgestern selbst bezeichnet – hat dazu
Ausführungen gemacht, die ich jetzt nicht rechtlich be-
werten will. Er war übrigens souveräner als manch ande-
rer. Er hat gesagt, dass das rechtlich möglicherweise an-
gegriffen werde, liege in der Natur der Sache. Aber
wenn Sie so hehre Ziele verfolgen, wenn Sie so großzü-
gig und großherzig sind, dann könnten Sie ja einmal
überlegen, ob Sie – ob das nun gesetzlich vorgeschrieben
ist oder nicht – den auf Sie entfallenden Anteil vielleicht
einem guten Zweck zuführen. Sonst stehen Sie mögli-
cherweise in dem Verdacht, aus der Misere der CDU
selbst politischen Vorteil ziehen zu wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt denn „Misere“? Was haben Sie denn für ein Rechtsstaatsverständnis?)


– Ist es keine Misere? Herr Fraktionsvorsitzender, das
Rechtsstaatsverständnis der Grünen ist heute vielleicht
besser, als es früher war, aber dazu sollten Sie keine all-
zu umfangreichen Ausführungen machen.


(Zuruf von der SPD: Kanther!)

Ich sorge mich, dass der breite Eindruck entstehen

könnte, dass Parteispenden grundsätzlich etwas Schädli-
ches, Verderbtes oder Unanständiges sind.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Delinquent setzt seine Strafe selber fest!)


Herr Kollege Müntefering, Sie haben am Ende Ihrer
Rede einen Satz gesagt, dem ich zustimme – ansonsten
schließe ich mich der Bewertung des Kollegen Schauer-
te an –, nämlich: Politik braucht auch in Zukunft Partei-
en. Das stimmt. In diesem Zusammenhang haben Sie ein
paar nachdenkliche Sätze gesagt, für die ich Ihnen aus-
drücklich dankbar bin. Das bedeutet aber, dass die Par-
teien auch in Zukunft Spenden brauchen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Öffentlich! Wie es das Gesetz verlangt!)


– Ja, öffentlich und transparent. Ich sage Ihnen: Ich war
17 Jahre Kreisvorsitzender und habe viele Spenden ge-
sammelt. Ohne Spenden hätte ich keinen einzigen
Wahlkampf durchführen können. Ich werde mich auch






(A)



(B)



(C)



(D)


in Zukunft um Spenden bemühen, entsprechend den ge-
setzlichen Bestimmungen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ja eben!)

Auch das will ich der Öffentlichkeit einmal sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wer dies bezweifelt, sollte einmal darlegen, wie politi-
sche Parteien ohne Parteispenden überhaupt tätig wer-
den können.

Ich glaube, unsere repräsentative Demokratie hat sich
bewährt. Sie bewährt sich auch in dieser Krise und sie
bewährt sich ebenso in der demokratischen Auseinan-
dersetzung um die Krise. Das sollten wir nicht verges-
sen, auch wenn wir hier streitig miteinander umgehen
müssen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408712700
Für die SPD-
Fraktion spricht der Kollege Ludwig Stiegler.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1408712800
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Wir haben zu untersuchen, welche
Auswirkungen das Verhalten der Union in Hessen und
anderswo auf die Mehrheitsverhältnisse in den Bundes-
gremien hat. Da kann ich mich jetzt nicht mit all den
Ablenkungsmanövern befassen, bei denen Sie Splitter
suchen, um Ihren eigenen Balken zu bedecken, um das
einmal biblisch auszudrücken. Nein, wir müssen die
Auswirkungen auf die Mehrheitsverhältnisse in den
Bundesgremien untersuchen.

Nach dem Grundgesetz geht die Staatsgewalt vom
Volke aus. Sie wird durch Wahlen ausgeübt. Ohne kor-
rekte Wahlen ist die Legitimität der Herrschaft in einer
Demokratie nicht gegeben, denn nur korrekte Wahlen
führen dazu, dass die Minderheit die Mehrheit anerken-
nen kann.

Vor diesem Hintergrund haben wir in Hessen Do-
pingwahlen. Herr Koch hat mit schwarzem Geld gedopt.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wen hat er denn gedopt? Hat er Sie gedopt?)


Deshalb sind das Ergebnis und das Verfahren dieser
Wahl nicht anzuerkennen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Beleidigung der Wähler!)


Das Wahlverfahren in Hessen war durch Schwarzgelder,
die verfassungswidrig verwendet worden sind, gedopt,
korrumpiert, verdorben.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wer ist denn gedopt worden? Wer?)


Die Herkunft der Mittel ist nicht offen gelegt worden,
der politische Wettbewerb ist durch Verfassungsbruch
verletzt worden.


(Beifall der Abg. Erika Lotz [SPD])

Deshalb kann das Ergebnis keinen Bestand haben. Die
Voraussetzung dafür, dass die Minderheit die Mehrheit
anerkennt, liegt nicht mehr vor.

Das hessische Wahlprüfungsgericht muss berücksich-
tigen, dass die Staatsgewalt in Hessen, soweit sie sich
derzeit in Parlamentsmehrheit und Regierung darstellt,
von schwarzem Geld und von korrupten Verfahren und
nicht vom Volke ausgeht, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Deshalb muss das Wahlprüfungsgericht das Verfahren
wieder aufnehmen und die Wahl annullieren.

Schauen wir uns an, was das für Berlin bedeutet. Der
Bundesrat ist falsch zusammengesetzt. Der Vermitt-
lungsausschuss ist falsch zusammengesetzt. Der Rich-
terwahlausschuss ist falsch zusammengesetzt. Alle
Gremien, die Sie mit besetzen, sind falsch zusammenge-
setzt. Damit ist auch das Bundestagswahlergebnis be-
schädigt, weil Herr Koch mit seiner korrupten Mehrheit
dafür sorgt, dass keine soziale Steuerreform mehr zu-
stande kommen kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Verteilungswirkung
dieser illegitim eingesetzten Geldmittel schreit zum
Himmel. Dies kann nicht akzeptiert werden. Hier ist ei-
ne Entscheidung notwendig und hier kommt die Stunde
der F.D.P.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wenn jemals jemand gekauft wurde, dann war es im Zusammenhang mit einem sozialdemokratischen Bundeskanzler! – Zurufe von der F.D.P.)


– Ich habe unlängst in freier Rede etwas zu harte Worte
gewählt; das gebe ich zu. Ich habe mit Herrn Kinkel be-
reits darüber geredet. Wenn ich die Rede vorbereitet ge-
habt hätte, hätte ich das Thema – ich will das Wort gar
nicht mehr in den Mund nehmen – anders bezeichnet.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Einer, der in Frankfurt gewählt worden war, wurde mit 50 000 DM gekauft!)


Aber, Herr Kinkel, die F.D.P. reitet auf einem schwar-
zen Ross, das Rotz hat. Steigen Sie von diesem schwar-
zen Pferd ab und geben Sie den Weg frei. Nicht Herr
Koch allein ist das Problem. Koch ist ein Symptom. Ent-
scheidend ist, dass Sie an einer Wahlmehrheit beteiligt
sind, die keine Legitimation hat.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wieso?)

Das kann zu einer Staatskrise führen, weil keine Ach-
tung vor dieser Entscheidung mehr besteht.


(Beifall bei der SPD)


Dr. Wolfgang Bötsch






(A)



(B)



(C)



(D)


Hier ist die F.D.P. gefordert, nicht die scheinheiligen
Brüder, die sich an der Macht festklammern, die sich mit
Schwarzgeld wählen lassen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aufhören!)

– Das hätte ich mir denken können, dass man aufhören
soll, wenn man Ihnen die Wahrheit sagt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Alles Unwahrheit! – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ein Marktschreier!)


Sie haben die Macht in Hessen illegitim inne und
bestimmen illegitim auf Bundesebene mit. Das ist die
Staatskrise, meine Damen und Herren; sie kann nur
durch Neuwahlen in Hessen beendet werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)


Deshalb fordere ich Sie auf, zum Thema zurückzu-
kommen und aufzuhören, zum Beispiel Peter Struck zu
verleumden. Das war eine Schweinerei. Hier liegt die
Spendenquittung an das Forum Ostdeutschland der So-
zialdemokratie e. V. vor. Sie stammt vom 3. September,
also von einem Zeitpunkt, längst bevor Struck mit dem
Unternehmen im Aufsichtsrat etwas zu tun hatte. Sie
graben hier herum und schleudern mit Dreck, um von
Ihrer Schande abzulenken. Sie sollten sich schämen, an-
dere Kolleginnen und Kollegen in Anspruch zu nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wer die politische Macht
gestohlen hat und damit auch die Ergebnisse auf Bun-
desebene verfälscht, kann nicht sagen, er habe nun den
Schäuble abgeräumt und jetzt sei alles in Ruhe und Frie-
den. Richtig ist vielmehr, dass Sie den Schaden, den Sie
angerichtet haben, wieder gutmachen müssen. Der erste
und wichtigste Schritt dazu sind Neuwahlen in Hessen.
Herr Westerwelle, geben Sie den Weg frei!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408712900
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Vereinbarte Debatte
zur Eröffnung der Regierungskonferenz über

institutionelle Reformen der EU und zu den
Ergebnissen der Tagung des Allgemeinen Ra-
tes am 14./15. Februar 2000

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst für die
SPD-Fraktion dem Kollegen Michael Roth das Wort.


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1408713000
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt mir als hessi-
schem Abgeordneten, ehrlich gesagt, ein wenig schwer,

nach diesem doch außerordentlich brisanten Thema auf
Europa zu sprechen zu kommen. Aber es lohnt sich al-
lemal, über dieses Thema eine ernsthafte Debatte zu füh-
ren.

Am Montag wurde die Regierungskonferenz eröff-
net. Mit ihr haben sich die Bundesrepublik Deutschland
und die anderen Partnerländer in der Europäischen Uni-
on ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Wir verfolgen drei
wesentliche Projekte: Zum einen wollen wir die Euro-
päische Union erweiterungsfähig gestalten. Zum ande-
ren wollen wir den Integrationsprozess voranbringen.
Und zum Dritten – dieser Punkt scheint mir besonders
wichtig zu sein – werden wir die demokratische Legiti-
mität innerhalb der EU vor allem auch gegenüber den
Bürgerinnen und Bürgern stärken müssen.

Der Fahrplan dieser Regierungskonferenz ist eng ge-
steckt, so eng wie noch nie. Wir wollen Ende dieses Jah-
res unter französischer Präsidentschaft unsere Arbeit be-
enden. Gerade weil dieser Fahrplan so eng gesteckt ist,
haben sich die SPD-Fraktion und der Deutsche Bundes-
tag insgesamt für ein begrenztes Mandat der Regie-
rungskonferenz ausgesprochen. Ich halte das für ganz
wesentlich und will mit einigen wenigen Argumenten
darauf eingehen.

Zuvor aber will ich fragen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, welche Rolle uns, den Mitgliedern des Deut-
schen Bundestages, bei dieser wichtigen europapo-
litischen Weichenstellung zukommt. Ich meine, wir soll-
ten uns noch stärker als bisher als ein zentrales Forum
der Auseinandersetzung über den richtigen Weg in Eu-
ropa begreifen.

Geben wir es doch offen zu: Die Begeisterungsfähig-
keit der Bürgerinnen und Bürger im Hinblick auf die
Regierungskonferenz hält sich sehr in Grenzen. Wie ich
an dem Interesse an dieser Debatte sehe, scheint das
auch für viele Kolleginnen und Kollegen zuzutreffen.
Was mich, offen gestanden, am meisten stört – ich neh-
me mich von der Kritik ausdrücklich nicht aus –, ist die-
se unsägliche Phraseologie, mit der wir gelegentlich die
Öffentlichkeit überschütten. Außerhalb der Experten-
runden versteht uns häufig niemand mehr.

Dabei finde ich es wichtig, dass wir Parlamentarie-
rinnen und Parlamentarier auch in diesem Bereich unse-
re Hausaufgaben machen. Wir sollten die europäische
Idee greifbarer und transparenter machen. Das gelingt
uns wahrscheinlich nur, wenn wir ganz selbstbewusst
mit kreativen Vorschlägen in die Debatte eingreifen,
auch als Deutscher Bundestag im Hinblick auf unsere
Regierungsvertreter in der Regierungskonferenz.

Ich will nur auf einen Vorschlag hinweisen, den ich
als kreativ erachte und der einen ganz bedeutenden
Punkt aufgreift. Er betrifft die Begrenzung der Anzahl
der Kommissare, einhergehend mit der Einsetzung von
politischen Vertretern, so genannten Juniorkommissa-
ren. Ich werde anschließend noch einige Bemerkungen
dazu machen.

Das Problem ist doch, dass die Debatten der Regie-
rungskonferenz überwiegend hinter verschlossener Tür
stattfinden.

Ludwig Stiegler






(A)



(B)



(C)



(D)



(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: So ist es leider!)


Wir Parlamentarier können die Debatten zwar nicht aus
diesem Hinterzimmer herausholen, können aber hier, im
Blickpunkt der Öffentlichkeit, darüber diskutieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, einer, der nun wirk-
lich von uns allen sehr respektiert wird, Jacques Delors,
hat sich kürzlich wieder in die Diskussion über die Zu-
kunft der europäischen Integration eingebracht. Dabei
hat er eine Frage aufgeworfen, die uns alle sehr be-
drängt: Wie können wir der drohenden Gefahr einer
Verwässerung des europäischen Integrationsgedankens
durch das rasche Anwachsen der EU auf fast 30 Mit-
gliedstaaten entgegentreten? Er spricht von einer Avant-
garde, von einer so genannten Föderation der National-
staaten. Der dahinter stehende Gedanke ist sehr sympa-
thisch: Innerhalb der EU-Strukturen müssen wir zu einer
verstärkten Flexibilisierung kommen. Wir machen das
schon bei der Europäischen Wirtschafts- und Wäh-
rungsunion; wir betreiben das beim Schengener Ab-
kommen und bei der Gemeinsamen Außen- und Sicher-
heitspolitik. Das alles sind wichtige Flexibilisierungsfel-
der und es werden nicht die einzigen bleiben.

Bei dieser gesamten Debatte habe ich allerdings ein
Problem. Bei der „Kerneuropa“-Debatte, die von der
CDU maßgeblich angestoßen wurde, haben wir das vor
Jahren sehr kritisch angemerkt. Der Solidaritätsgedan-
ke in der Europäischen Union ist lebensnotwendig. Die-
sen Solidaritätsgedanken dürfen wir nicht aufgeben. Vor
allem dürfen wir keine verstärkte Zusammenarbeit au-
ßerhalb der EU-Institutionen organisieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sprechen häufig über die berühmt-berüchtigten
„leftovers“ – wobei ich behaupte, dass außerhalb dieses
Kreises niemand weiß, worum es dabei geht –:


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Innerhalb auch nicht! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


erstens die Größe und die Zusammensetzung der Kom-
mission, zweitens die Stimmengewichtung im Rat, drit-
tens den Übergang zu Mehrheitsentscheidungen als Re-
gelfall. Bei den Debatten im Deutschen Bundestag in der
Vergangenheit hatte ich manchmal den Eindruck, es
handele sich bei diesen Fragen um belanglose Lappa-
lien. Die Bundesregierung hat zu Recht darauf hinge-
wiesen, dass wir in diesen drei Bereichen, die auf der
Amsterdamer Konferenz unerledigt geblieben sind, nach
vorne gehen und dass wir vorrangig auf diesen Feldern
zum Durchbruch kommen müssen. Dann hätten wir am
Ende dieses Jahres eine ganze Menge erreicht. Das muss
im Mittelpunkt der Regierungskonferenz stehen.

Alles andere wird jetzt auf Vorschlag der portugiesi-
schen Präsidentschaft in eine so genannte Crazy Box ge-
stopft. Ich finde diesen Begriff sehr interessant. Aller-
dings ist nicht das „crazy“, was sich in dieser Box befin-
det – das sind ja Notwendigkeiten. Es wäre aber ganz

schön „crazy“, wenn die Umsetzung im Rahmen dieser
Regierungskonferenz auf den Weg gebracht werden
sollte. Das halte ich in der Tat für verrückt und das soll-
ten wir gegenüber den anderen Mitgliedstaaten sehr
deutlich machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Vergangenheit haben wir es uns relativ einfach
gemacht. Bei jeder Erweiterung haben wir die Organe
der EU einfach aufgebläht. Das wurde bei der Regie-
rungskonferenz von Amsterdam schon recht schwierig.
Wir haben gesehen: Es geht so nicht mehr weiter. Des-
halb stehen wir vor einer Gezeitenwende. Den Weg, die
Organe immer wieder personell aufzustocken, bis jeder
überall vertreten ist, können wir nicht weiter beschrei-
ten.

Machen wir uns nichts vor: Wir befinden uns, ob wir
es wollen oder nicht, in einem Prozess der europäischen
Verfassungsgebung. Ich weiß um die Irritationen, die
das in einigen Partnerländern hervorruft. Der Begriff
„Verfassung“ wird dort etwas anders oder bisweilen
auch überhaupt nicht verwandt. In der deutschen Debat-
te sollten wir das Kind aber beim Namen nennen. Denn
es geht um die Überlebensfähigkeit der EU. Dazu ge-
hört, dass wir die Organe der EU sehr radikal weiter-
entwickeln.

Ich habe schon einiges zur Europäischen Kommis-
sion gesagt. Der Vorschlag der Europäischen Kommis-
sion erscheint mir problematisch. Wir können nicht ein-
fach eine Obergrenze einführen und damit ein so ge-
nanntes Rotationsprinzip verbinden. Das würde bedeu-
ten, dass bevölkerungsreiche Mitgliedstaaten mitunter
fünf Jahre nicht in der Kommission vertreten wären.
Schon alleine vor dem Hintergrund der Handlungsfähig-
keit muss es unterhalb der Kommissare eine weitere po-
litische Ebene geben – ähnlich dem, was wir in der Bun-
d
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408713100
politische Stellvertreter der Bundesministe-
rinnen und Bundesminister.

Zudem müssen wir das Ressortprinzip mit dem Kol-
legialitätsprinzip verknüpfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In den vergangenen Monaten haben wir auch im Bun-
destag viele Skandale innerhalb der Kommission disku-
tiert. Wer die Übernahme von politischer Verantwortung
durch die Kommissionsmitglieder einfordert, der muss
ihnen zuvor die klare Verantwortung für ein Ressort zu-
ordnen.

Wir fordern eine Reform der Stimmgewichtigung im
Ministerrat. Wir debattieren im Augenblick über die
doppelte Mehrheit. Das heißt, die Mehrheit im Rat muss
durch eine Mehrheit bei der Bevölkerung der Mitglied-
staaten ergänzt werden.

Wir fordern den Übergang zur qualifizierten Mehrheit
als Regel. Was ich bei der qualifizierten Mehrheit als
Regel als besonders bedeutsam erachte, ist die Verknüp-
fung mit dem Mitentscheidungsverfahren im Europä-

Michael Roth (Heringen)







(A)



(B)



(C)



(D)


ischen Parlament. Wenn wir das Mitentscheidungsver-
fahren grundsätzlich einführen, haben wir ein stärkeres
Europäisches Parlament und eine damit einhergehende
Stärkung der demokratischen Legitimität.

Lassen Sie mich noch einen Aspekt anbringen, der
mir auch vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte
wichtig ist: die europäische Grundrechtscharta. Einige
von uns fordern, dass wir die europäische Grundrechts-
charta in diese Debatte einbeziehen. Ich gehe aber davon
aus, dass wir mit der Grundrechtschartadebatte bis Ende
des Jahres nicht fertig werden.

Gerade in diesen Zeiten, wo nationalistisches, rassis-
tisches und auch intolerantes Gedankengut innerhalb der
Europäischen Union regierungsfähig geworden ist,
müssen wir uns dessen vergewissern, was Europa im
Kern ausmacht. Europa ist und bleibt eine Wertege-
meinschaft, die sich in all ihrem Handeln immer auf die
Freiheits- und die Grundrechte berufen muss. Lassen Sie
uns das in diesen Monaten sehr deutlich machen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich bin nach der Debatte, die wir gestern im Europa-
ausschuss geführt haben – Bundesminister Fischer hat
hier einige wichtige Vorschläge unterbreitet, die wir
noch ein bisschen intensiver diskutieren müssten –, sehr
optimistisch, dass wir gemeinsam eine ganze Menge an
guten Vorschlägen auf den Weg bringen können. Wir
müssten nur öfter als bislang die Gelegenheit nutzen,
auch hier im Deutschen Bundestag und nicht nur im Eu-
ropaausschuss über Europapolitik zu diskutieren.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Ich will mit einem Beispiel aus meiner Kindheit ab-
schließen. Damals habe ich gerne mit Lego gespielt.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: War das gestern?)


Dabei setzt man Stein auf Stein. Diese Debatte ist dem
nicht unähnlich. Wir bauen am Haus Europa. Wir soll-
ten immer bemüht sein, es sorgfältig und behutsam zu
bauen. Das Schöne am Legospiel war immer, dass man
kein Architekt sein musste, damit es trotzdem auch mit
der Statik funktioniert. Wir konnten unserer Kreativität
freien Lauf lassen.

Das ist bei der europäischen Aufbauarbeit und bei der
Integrationsarbeit leider nicht so. Aber vielleicht möge
es uns beflügeln, unsere kreativen Vorschläge in den
nächsten Monaten einzubringen. Der Bundesregierung
wünsche ich für die schwierigen Verhandlungen alles
Gute. Auf die Unterstützung der SPD-Fraktion kann sie
sich zweifellos verlassen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408713200
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht der Kollege Peter Altmaier.


Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1408713300
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Es geht bei der Regierungskonfe-
renz nicht um irgendwelche technischen Detailregelun-
gen, sondern es geht um eine ganz zentrale Weichenstel-
lung, die für Millionen von Menschen in Europa Aus-
wirkungen bis in ihren persönlichen Lebensbereich hin-
ein haben wird und die die politische Landkarte und die
politische Situation auf unserem Kontinent so oder so,
bei Erfolg oder Scheitern, auf Jahre hinaus beeinflussen
wird.

Herr Bundesaußenminister, bei allem Respekt vor
dem großen Einsatz der Beamten Ihres Hauses, den wir
unterstützen, bei allem Respekt auch für Ihren persönli-
chen Einsatz: Wir haben den Eindruck und die zuneh-
mende Sorge, dass die Bundesregierung ohne wirkliches
Konzept und ohne wirkliche Strategie in diese große
Regierungskonferenz hineinstolpert. Das kann für das
Ergebnis dieser Regierungskonferenz nichts Gutes be-
deuten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht darum, dass wir bei der Regierungskonferenz

eine grundlegende Reform der Europäischen Union zu-
stande bringen, eine Reform, die uns in die Lage ver-
setzt, ab dem Jahre 2003 die ersten Mitgliedstaaten aus
Mittel- und Osteuropa aufzunehmen, die sich ihrerseits
für den Beitritt qualifiziert haben.

Das ist uns ein Anliegen, für das wir bereit sind zu
kämpfen. Aber es bedeutet, dass wir in der verbleiben-
den Zeit unsere Hausaufgaben machen müssen, damit
die Union überhaupt erst erweiterungsfähig wird. Wenn
man Zwischenbilanz zieht, stellt man fest, dass Sie mit
Ihren Hausaufgaben im Rückstand sind, dass Sie einen
großen Teil der Hausaufgaben entweder gar nicht oder
nicht ausreichend gemacht haben. Ich will das bei den
einzelnen Themen jetzt ansprechen.

Es geht darum, die europäischen Institutionen effi-
zienter zu machen. Wir müssen erreichen, dass die Eu-
ropäische Union in den Bereichen, in denen sie Kompe-
tenzen hat, diese auch wirksam wahrnehmen kann. Denn
es ist keine Lösung – auch in den Augen der europäi-
schen Bürger nicht –, wenn Kompetenzen nach Brüssel
übertragen werden, der Ministerrat und das Parlament
aber aufgrund der Schwerfälligkeit der Entscheidungs-
prozeduren nicht imstande sind, diese Kompetenzen in
angemessener Zeit wirksam auszuüben, damit Ergebnis-
se herauskommen, die im Interesse der europäischen
Bürger für die Lösung der bestehenden Probleme not-
wendig sind.

Das heißt konkret: Wir brauchen Mehrheitsent-
scheidungen in praktisch allen Bereichen des Gemein-
schaftshandelns, weil es nicht vorstellbar ist, dass eine
Union mit 20, 25 oder 28 Mitgliedstaaten in wichtigen
Bereichen weiterhin einstimmig entscheidet. Herr Au-
ßenminister Fischer, Sie tragen dieses Ziel ja vor sich
her. Wir unterstützen Sie auch dabei. Aber ich sage Ih-
nen voraus: Sie werden die Zustimmung für die Auswei-
tung der Mehrheitsentscheidungen auf der Regierungs-
konferenz nicht bekommen, wenn Sie nicht bereit sind,
auf dieser Regierungskonferenz auch über eine genauere

Michael Roth (Heringen)







(A)



(B)



(C)



(D)


und klarere Kompetenzabgrenzung in den europäischen
Verträgen zu diskutieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Günter Gloser [SPD]: Zustimmung durch Bayern?)


Wie ist denn die Situation? Die Widerstände gegen
eine Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen werden
doch in dem Maße wachsen, wie die Sorge besteht, dass
aufgrund unklarer Kompetenzverteilungen weitere
Kompetenzen auf die europäische Ebene abwandern.
Das sind alles keine Hirngespinste. Sie brauchen sich
nur bei den Bundesratsvertretern der Länder zu erkundi-
gen, auch bei denen, die sozialdemokratisch und grün
regiert sind. Dort teilt man diese Sorgen über alle Par-
teigrenzen hinweg. Deshalb sollten Sie darüber nach-
denken, wie man in der Europäischen Union eine ver-
nünftige Kompetenzabgrenzung hinbekommen kann.
Das kann man nicht von heute auf morgen leisten. Sie
werden auf der nächsten Regierungskonferenz keinen
Kompetenzkatalog hinbekommen, aber Sie können zu-
mindest den Anfang machen: zum Beispiel indem man
in einzelnen Bereichen dafür sorgt, dass die Abgrenzun-
gen klarer werden.

Ich bin zum Beispiel überzeugt davon, dass der Euro-
päische Gerichtshof seine Kompetenzen beim Thema
„Dienst an der Waffe für Frauen“ nicht überschritten
hat; aber ich glaube nicht, dass die Staats- und Regie-
rungschefs, als sie vor vielen Jahren diese Zuständigkeit
geschaffen haben, davon ausgingen, dass sie so weit rei-
chen würde, wie sie der Europäische Gerichtshof derzeit
definiert.


(Hedi Wegener [SPD]: Hat Herr Geis Sie angesteckt?)


Deshalb glauben wir – bei allem Verständnis für eine
begrenzte Tagesordnung –, dass dieser Ansatz nicht
durchhaltbar ist. Wir fordern Sie auf, auf die Vorschläge
einzugehen, die Richard von Weizsäcker, die der ehema-
lige belgische Premierminister Dehaene und andere in
diesem Zusammenhang gemacht haben. Wir wollen eine
Europäische Union, die sich nicht um alles und jedes
kümmert. Wir wollen eine Europäische Union, die sich
vor allem auf ihre Kernaufgaben konzentriert. Das sind
für die europäischen Bürger der Binnenmarkt, die Wäh-
rungspolitik und ein Euro, der stabil ist und nicht jeden
Tag weicher wird, die gemeinsame Außen-, Sicherheits-
und Verteidigungspolitik, die Asyl- und Flüchtlingspoli-
tik, die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Krimi-
nalität und der Umweltschutz. Wenn wir uns auf diese
Kernaufgaben beschränken und den Mitgliedstaaten die
Angst nehmen, dass ihre verbleibenden Kompetenzen in
allen anderen Bereichen – Tourismus, Fremdenverkehr
und andere Fragen – zunehmend nach Brüssel wegrut-
schen, dann werden Sie auch Fortschritte in diesem Be-
reich erzielen.

Sie müssen auf der Regierungskonferenz auch über
die so genannte Flexibilisierung reden. In einer Europä-
ischen Union von 28 Mitgliedstaaten wird es nicht mög-
lich sein, dass alle Mitgliedstaaten bei allen Vorhaben
mitmachen. Das ist nicht erforderlich und das führt auch
zur Reduzierung des Erpressungspotenzials, das derzeit
darin besteht, dass jeder einzelne Mitgliedstaat verhin-

dern kann, dass andere Mitgliedstaaten gemeinsam Ent-
scheidungen treffen, die nur für ihren Bereich Gültigkeit
haben. Deshalb brauchen wir eine verstärkte Zusam-
menarbeit, die nicht mehr durch ein Veto eines einzel-
nen Mitgliedstaates ausgehebelt werden kann. Es muss
möglich sein, in bestimmten Bereichen – ohne irgend-
jemanden zu überstimmen und ohne irgendjemanden zu
bevormunden – unter einer begrenzten Anzahl von Mit-
gliedstaaten Fortschritte zu erreichen und die Integration
voranzubringen.


(Beifall des Abg. Peter Hintze [CDU/CSU])

Es geht um die Größe der Kommission, um das Euro-

päische Parlament, die Ausweitung seiner Mitentschei-
dungsrechte, die Sicherstellung einer doppelten Mehr-
heit im Ministerrat, die dafür sorgt, dass weder die Gro-
ßen die Kleinen noch die Kleinen die Großen überstim-
men. Es gibt Themen über Themen!


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Ich wiederhole: Dies alles ist schon seit dem letzten Jahr
bekannt, Sie haben es aber unterlassen – auch während
der deutschen Präsidentschaft –, weiterführende inhaltli-
che Vorstellungen zu entwickeln, wie man kreative, zu-
kunftsweisende Lösungen zu entwickeln.


(Hedi Wegener [SPD]: Herr Altmaier! Quatsch!)


Herr Bundesaußenminister, Sie befinden sich in der
Situation eines Schülers, der mit Hausaufgaben ein gan-
zes Jahr im Rückstand ist und sie nun an einem Wo-
chenende erledigen soll. Da darf man sich nicht wun-
dern, wenn am Ende, in der Hektik der Regierungskon-
ferenz, die europäischen Verträge und Institutionen
komplizierter statt einfacher werden, sodass sie am Ende
kaum noch jemand in Europa versteht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Günter Gloser [SPD]: Dieser Außenminister macht Fleißaufgaben, Herr Altmaier!)


Es geht bei all den Diskussionen über die Regie-
rungskonferenz, die wir in diesem Jahr führen werden,
nicht nur um technische Fragen. Es geht darum, dass wir
das große Projekt der Osterweiterung auch in der in-
nenpolitischen Diskussion akzeptanzfähig halten. Die
Union steht zur Osterweiterung.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Wie ist es mit der CSU?)


Wir stehen zu den ambitionierten Zeitplänen. Sie müs-
sen aber auch in diesem Bereich die Hausaufgaben ma-
chen. Die Osterweiterung bringt riesige Chancen, die
Osterweiterung löst aber auch – zum Teil berechtigte,
zum Teil unberechtigte – Ängste aus. Sie löst bei vielen
Menschen in den neuen Bundesländern Besorgnis aus:
zum Beispiel bei Handwerkern und bei Arbeitnehmern,
die Angst vor verstärkter Konkurrenz durch vermehrte
Freizügigkeit haben.

Deshalb unsere Aufforderung an Sie: Sagen Sie uns,
wie Sie sich die Übergangsvorschriften in diesem Be-
reich vorstellen. Sagen Sie uns, wie Sie sich, das Zu-

Peter Altmaier






(A)



(B)



(C)



(D)


sammenwachsen in diesem Bereich vorstellen. Es macht
wenig Sinn, die Ängste zunächst entstehen zu lassen, um
sie dann mühsam wieder zu bekämpfen und aufzulösen.

Die entscheidende Frage wird sein, mit welcher Stra-
tegie Sie die Regierungskonferenz angehen werden. Sie
werden unsere Unterstützung haben, wenn Sie uns eine
Strategie präsentieren, die es möglich macht, in einem
geordneten Diskussionsprozess sowohl in der europäi-
schen Öffentlichkeit als auch bei uns zu Hause die not-
wendigen Diskussionen zu führen und die Entscheidun-
gen vorzubereiten. Wir haben den Eindruck, dass bis-
lang nicht klar ist, wie die Strategie aussieht und wer
dabei unsere Partner sind.

Bisher war es so, dass bei allen großen Projekten der
europäischen Integration, angefangen von den Römi-
schen Verträgen über die Einheitliche Europäische Akte,
den Vertrag von Maastricht und den Euro, die deutsch-
französische Zusammenarbeit eine ganz wesentliche
Rolle gespielt hat.


(Beifall des Abg. Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.])


Wir haben den Eindruck, dass der deutsch-französische
Motor seit einigen Monaten stottert und inzwischen
möglicherweise ganz zum Stillstand gekommen ist.


(Widerspruch bei der SPD)

Und deshalb, Herr Kollege Wieczorek, bitte ich Sie: Er-
klären Sie uns, ob es eine deutsch-französische Initiative
zu den Inhalten der Regierungskonferenz geben wird
und wo die Parallelität der Interessen liegt, die wir brau-
chen, um in diesem Prozess der Regierungskonferenz
einen konstruktiven Input für die weiteren Verhandlun-
gen zu ermöglichen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408713400
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage?


Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1408713500
Ja, bitte sehr.


Dr. Norbert Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1408713600
Herr Kollege Alt-
maier, Sie haben das deutsch-französische Verhältnis
angesprochen. Es geht hier um die drei großen Komple-
xe, die fälschlich „leftovers“ genannt werden. Können
Sie sich daran erinnern, dass es vor dem Amsterdamer
Gipfel einen gemeinsamen Brief des französischen
Staatspräsidenten und des damaligen Bundeskanzlers
gab, in dem gerade für die Frage der Abstimmung im
Rat zwei Alternativen vorgeschlagen wurden und in dem
man sich gegenseitig versicherte, man könne mit der je-
weils anderen Alternative leben? Können Sie bestätigen,
dass diese gemeinsame Initiative wegen eines Konfliktes
zwischen Frankreich und der Bundesrepublik eben nicht
zustande gekommen ist und bereits beim informellen
Gipfel in Noordwijk und erst recht in Amsterdam eine
Lösung nicht mehr möglich war? Insofern meine Frage:
Wie bewerten Sie dies im Hinblick auf das Verhältnis
zwischen der früheren deutschen Regierung und der da-
maligen – und jetzigen – französischen Regierung?


Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1408713700
Herr Kollege
Wieczorek, ich gehöre zu denen, die mit den Ergebnis-
sen der Regierungskonferenz von Amsterdam genauso
wenig zufrieden waren wie Sie und viele andere in die-
sem Hause. Aber darf ich Sie daran erinnern, dass die
Probleme, die wir in der allerletzten Phase der Regie-
rungskonferenz hatten, insbesondere im Hinblick auf die
Einführung von Mehrheitsentscheidungen in ganz be-
stimmten Bereichen, auf eine Initiative des Bundesrates
zurückgingen und dass der rheinland-pfälzische Minis-
terpräsident, Herr Beck, an dieser Initiative ganz
maßgeblich beteiligt war. Dieser kommt, wenn ich mich
recht erinnere, aus Ihren Reihen.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Das war nicht meine Frage! Sie reden von etwas anderem!)


Andere Beteiligte kamen aus unseren Reihen.
Wenn die Bundesregierung, Herr Kollege Wieczorek,

verhindern will, dass wir in der Endphase der nächsten
Regierungskonferenz eine ähnliche Erfahrung machen,
das heißt, dass wir uns hier auf Mehrheitsentscheidun-
gen und auf ein bestimmtes Vorgehen einigen, das dann
am Widerstand auch des Bundesrates, möglicherweise
parteiübergreifend, scheitert, tut die Bundesregierung
sehr gut daran, die vom Bundesrat formulierten Beden-
ken nicht beiseite zu wischen, sondern sie ernst zu neh-
men und darüber nachzudenken, wie man sie im Vorfeld
so auflösen kann, dass ein Konzept daraus wird. Ich
glaube, dass die Diskussion über die Kompetenzabgren-
zung einen ganz wichtigen Beitrag dazu leisten könnte,
eine solche Blockade zu verhindern.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408713800
Gestatten Sie
eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?


Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1408713900
Bitte sehr.


Dr. Norbert Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1408714000
Ich habe Ihre Ant-
wort gehört. Ich habe allerdings nach dem deutsch-
französischen Verhältnis und nicht nach dem Verhältnis
zum Bundesrat gefragt. Aber wenn Sie schon darauf
eingehen, möchte ich Sie Folgendes fragen. Die Stel-
lungnahmen, die die Ministerpräsidenten abgegeben ha-
ben, gehen ja genau davon aus, dass zunächst einmal
das, was in Amsterdam übrig geblieben ist, was jetzt
praktisch mit ein paar Ergänzungen angegangen wurde,
später geregelt werden sollte – so der Wortlaut. Insofern
wundere ich mich, dass Sie auf die Frage nach dem
deutsch-französischen Verhältnis – ich mache der alten
Bundesregierung da ja keinen Vorwurf – mit dem Hin-
weis auf den Bundesrat antworten.
Deshalb meine Frage: Können Sie mir zumindest in der
Bewertung zustimmen, dass das deutsch-französische
Verhältnis auch damals schon in dieser Frage gestört
war? Das hat nichts mit dem Bundesrat zu tun.


Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1408714100
Herr Kollege Wieczo-
rek, über eines sollten wir uns doch einig sein: Wir wis-

Peter Altmaier






(A)



(B)



(C)



(D)


sen alle, dass es auch im deutsch-französischen Verhält-
nis in der Vergangenheit Schwierigkeiten gegeben hat.
Aber das ist doch keine Entschuldigung dafür, dass Sie
jetzt und gerade in der jüngsten Zeit dieses deutsch-
französische Verhältnis vernachlässigen


(Günter Gloser [SPD]: Sie wissen es doch besser, Herr Altmaier!)


und damit auch die Gefahr von Missverständnissen grö-
ßer wird.

Unser Anliegen besteht darin, dass wir diese Proble-
me, die in der französischen Presse, die in der französi-
schen politischen Diskussion jeden Tag Thema sind –
Sie brauchen nur die Zeitungen zu lesen –, ernst nehmen
und dass wir im Vorfeld versuchen, eine abgestimmte
gemeinsame deutsch-französische Position zustande zu
bringen. Meine Frage an den Bundesaußenminister war,
ob es eine solche Position im Hinblick auf die Regie-
rungskonferenz geben wird und was die Kernpunkte die-
ser Position sein werden.

Meine Damen und Herren, ich halte es für wichtig,
dass wir die Debatte über die Regierungskonferenz im
Plenum des Deutschen Bundestages, im Forum des Eu-
ropaausschusses regelmäßig führen.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Ja!)


Die Zeiten, in denen Regierungskonferenzen hinter ver-
schlossenen Türen stattgefunden haben, in denen die Er-
gebnisse – ganz egal, wie sie aussahen – anschließend
akzeptiert und ratifiziert wurden, sind lange vorbei.
Wir könnten einen Beitrag zur politischen Diskussions-
kultur, zum Entstehen einer europäischen öffentlichen
Meinung leisten, wenn wir diese Debatte, so wie wir es
heute begonnen haben, in den nächsten Wochen und
Monaten regelmäßig und konstruktiv fortführten. Die
Bereitschaft unserer Fraktion dazu besteht, aber die
Hausaufgaben werden Sie machen müssen. Aus dieser
Verpflichtung werden wir Sie nicht entlassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408714200
Das Wort hat
jetzt Herr Außenminister Joschka Fischer.


(Dr. Willfried Penner [SPD]: Wann kommt Hintze? – Peter Hintze [CDU/CSU]: Wartet ab!)



Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408714300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter,
geschätzter Kollege Altmaier, ich weiß jetzt, was mich
in jungen Jahren daran gehindert hat, der Jungen Union
beizutreten, nämlich ein grundsätzlich anderes Verhält-
nis zu Hausaufgaben. Sie haben ja eine fast schon eroti-
sche Bindung an diese Qual einer jeden Schulzeit.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich weiß nicht, warum Sie sich hier mit solcher Leiden-
schaft für Hausaufgaben aussprechen. Ich kann Ihnen
nur sagen: Das Ergebnis ist bekannt. Sie sehen, dabei
kann am Ende sogar noch etwas Vernünftiges heraus-
kommen.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aber jetzt im Ernst: Wir sollten alle miteinander die
Differenzen – Sie tragen hier mit großem Tremolo vor –
nicht überbetonen. Die Differenzen zwischen uns beiden
sind, behaupte ich, minimal. Die Differenzen liegen wo-
anders. Wenn ich mich hier umschaue, vermute ich, dass
sich die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer im Saal fra-
gen werden: Worum streiten die sich eigentlich? Ich
glaube nicht, dass jemand hier versteht, worum wir strei-
ten.

Wenn ich mich hier unten umschaue, scheinen es die
Kolleginnen und Kollegen auch nicht zu begreifen, wo-
rüber wir hier reden. Ich meine nicht diejenigen, die hier
sind, sondern die vielen, die nicht da sind, die Fachpoli-
tiker.
Es geht faktisch darum, ob der Deutsche Bundestag in
Zukunft weniger und die europäische Ebene mehr zu sa-
gen haben wird. Darum geht es und das findet nicht sehr
großes Interesse. Das zeigt, dass offensichtlich noch
nicht begriffen wird, in welchem Stadium wir uns da be-
finden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da hat er Recht!)

Wenn ich einmal die Summe der Erfahrungen – nicht

parteipolitisch; da werden wir uns weiter zu streiten ha-
ben – aus einem starken Jahr, das ich jetzt als Außenmi-
nister und vor allen Dingen in der exekutiven Europa-
politik – sie ist hauptsächlich Regierungspolitik – tätig
bin, bilanzieren darf, dann kann ich Ihnen nur sagen:
Wenn wir dieses Europa nicht schneller schaffen, als
viele unserer Bürger es für erforderlich halten, dann
werden wir unter dem Gesichtspunkt Arbeitsplätze, un-
ter dem Gesichtspunkt Sicherung unseres Sozialstaates,
unter dem Gesichtspunkt Einkommen, unter dem Ge-
sichtspunkt Gewinne Positionen verlieren.

Unsere Wettbewerber in der Welt von heute und vor
allem in der Welt von morgen schlafen nicht, sondern
sind sehr dynamisch dabei, Positionen zu beziehen. Wir
werden das als Nationalstaat Bundesrepublik Deutsch-
land, der größte innerhalb der EU, nicht schaffen, die
kleineren für sich genommen auch nicht. Das heißt: Im
Grunde genommen wird es darum gehen – das wird die
schwierige Aufgabe sein –, Verständnis dafür zu schaf-
fen, dass wir dieses Europa brauchen, dass wir in dieses
gemeinsame Europa heute investieren müssen, um mor-
gen ernten zu können.

Die Regierungskonferenz ist einer der nächsten,
ganz entscheidenden Schritte. Nur, wie so oft in Europa,
wird es ein Schritt sein, von dem man noch nicht klar
sagen kann, wie er aussehen wird. Das hat nichts mit
nicht gemachten Hausaufgaben der Bundesregierung zu
tun; vielmehr müssen 15 Interessen gebündelt werden.
Sie wissen selber, dass das schwer ist. Ich habe noch
von gestern die Aussagen von Herrn Stoiber im Ohr. Ich

Peter Altmaier






(A)



(B)



(C)



(D)


habe jenseits der Polemik sehr genau zugehört. Ich ken-
ne seine europapolitischen Positionen. Ich weiß, er ist
zwar kein engagierter Antieuropäer, aber er ist letztlich
jemand, der meint, dass der Zug verlangsamt werden
sollte. Ich glaube, das wäre ein großer strategischer Feh-
ler.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Eine völlige Fehleinschätzung! Da verstehen Sie Herrn Stoiber offensichtlich falsch! – Günter Gloser [SPD]: Da hat sich Stoiber falsch ausgedrückt!)


– Ich höre sehr sorgfältig zu. – Er ist jemand, der meint,
dass am Ende doch noch die volle Integration infrage
gestellt werden sollte. Dies hielte ich unter vielen Ge-
sichtspunkten ebenfalls für einen großen Irrtum.

Zu den Kleinigkeiten, die Sie angesprochen haben,
möchte ich Ihnen sagen: Dem, was Sie über Mehrheits-
entscheidungen und Kompetenzabgrenzungen gesagt
haben, stimme ich zu. Aber außerhalb des Verfassungs-
gefüges des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutsch-
land gibt es in Europa kaum Erfahrung mit konkurrie-
render Gesetzgebung. Das heißt, über Mehrheitsent-
scheidungen werden wir Kompetenzabgrenzungen erzie-
len, nicht umgekehrt. Ich halte Kompetenzabgrenzungen
für dringend notwendig. Wir befinden uns bereits in ei-
ner – nicht offiziell erklärten – Verfassungsdebatte über
die Frage: Was soll auf der nationalstaatlichen und was
auf der europäischen Ebene getan werden? Ich kann Ih-
nen nur versichern: Wir wollen in den drei entscheiden-
den Punkten, die in Amsterdam nicht gelöst worden
sind, vorankommen.

Die Größe und die Zusammensetzung der Kom-
mission betrifft schwierige Fragen: Sollen alle Länder
nach ihrer Größe bewertet werden? Wenn ja, werden die
zwei größten Nationen weiterhin zwei EU-Kommissare
stellen? Ist eine Kommission mit über 30 Kommissaren
überhaupt noch handlungsfähig, wenn sich die Zahl der
Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf 20 oder 25
erhöht? Ich halte das für praktisch nicht machbar und für
nicht gut. Die Handlungsfähigkeit der Kommission wäre
nicht mehr gegeben. Aber dann stellt sich die Frage:
Verzichten die großen Staaten auf einen Kommissar?
Das hieße wiederum, dass ein Land wie Luxemburg ge-
nauso bewertet wird wie die Bundesrepublik Deutsch-
land oder Frankreich. Das ist ebenfalls eine Frage der
Repräsentation. Das sind alles schwierige Fragen, bei
denen Interessen aufeinander stoßen.

Wir sind in der Tat dabei – diesen Punkt möchte ich
noch ansprechen –, auf deutsch-französischer Ebene vo-
ranzukommen. Wenn Sie behaupten, wir hätten unsere
Hausaufgaben nicht gemacht, dann möchte ich Sie da-
rauf hinweisen, dass wir auf dem deutsch-französischen
Gipfel in Toulouse zum ersten Mal gut vorbereitet über
die Regierungskonferenz gesprochen und vereinbart ha-
ben, dass es keine überladene Tagesordnung geben soll;
denn wir verfolgen nicht die Strategie – die andere unter
der Hand verfolgen –: Überladen wir doch die Tages-
ordnung, dann wird es ad calendas graecas gelöst. Wir
verfolgen eine realistische Strategie. Für uns ist es wich-
tig, dass die Regierungskonferenz bis zum Ende der

französischen Präsidentschaft auf dem Gipfel in Nizza
Ergebnisse zeitigt. Das wollen wir erreichen; das ist
realistisch. Deswegen gibt es nur ein reduziertes Pro-
gramm: Zusammensetzung und Größe der Kommission
sowie die Stimmgewichtung.

Das Wort Stimmgewichtung sagt unseren Bürgerin-
nen und Bürgern auch nichts. Damit ist die entscheiden-
de Frage gemeint: Wie viel ist eine Stimme in der EU
wert? Von der Beantwortung dieser Frage hängt sehr
viel ab, nämlich wie weit die Interessen von kleinen im
Vergleich zu großen Mitgliedstaaten zum Tragen kom-
men. Hier kann es um sehr wichtige Fragen gehen, die
dem einen oder anderen weniger wichtig erscheinen, die
aber in anderen nationalen Öffentlichkeiten von zentra-
ler Bedeutung sind.

Schließlich geht es um das Prinzip der Mehrheits-
entscheidung. Zu diesem Prinzip haben wir gestern im
Ausschuss – ich möchte hier deswegen nicht mehr ins
Detail gehen – unser Konzept vorgestellt. Wir unterstüt-
zen den ersten Entwurf, der während der Präsidentschaft
vorgelegt worden ist, sozusagen um hier ein entspre-
chendes Screening vorzunehmen und abzugleichen, was
möglich ist. Aber das Prinzip der Mehrheitsentscheidung
ist natürlich eine delikate Frage. Ich möchte ein Beispiel
nennen: Dann, wenn sich eine Mehrheitsentscheidung –
zum Beispiel über den Sherryexport oder über das Rein-
heitsgebot beim deutschen Bier – gegen die nationalen
Interessen des jeweiligen Landes und seiner Öffentlich-
keit richtet, wird es eine riesige Debatte geben. Das
heißt, ohne gleichzeitige Unterfütterung durch eine ent-
sprechende parlamentarische Stärkung wird es meines
Erachtens im Konfliktfall sehr schwierig werden. Den-
noch sind wir für eine Ausdehnung des Prinzips der
Mehrheitsentscheidung, weil dies ein unabweisbarer
Schritt ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich kann Ihnen versichern: Das, was Sie über
Deutschland und Frankreich gesagt haben, ist grund-
falsch. Hier gibt es überhaupt keinen Dissens.
Der deutsch-französische Motor der europäischen Inte-
gration ist unersetzbar, unabhängig von den Regie-
rungsmehrheiten in Paris und in Berlin bzw. früher
Bonn. Die deutsch-französische Verbindung ist der ent-
scheidende Motor, der den europäischen Einigungspro-
zess voranbringen muss. Daran arbeiten wir auf das In-
tensivste. Es gibt keinen Kollegen, den ich öfter sehe
und den ich mehr konsultiere als den von mir sehr ge-
schätzten Hubert Védrine. Für den Bundeskanzler gilt,
was die Konsultationen auf bilateraler Ebene mit Präsi-
dent Chirac und Premierminister Jospin betrifft, dassel-
be. Das gilt ganz genauso für die Kollegen der Fachres-
sorts. Da brauchen Sie sich wirklich keine Sorgen zu
machen.

Ich bin der Meinung, wir sollten eine parallele Vor-
gehensweise an den Tag legen. Sie haben die Frage nach
der Strategie der Bundesregierung gestellt. Meine Rede-
zeit ist hier begrenzt; ich habe es gestern im Ausschuss
detailliert dargestellt: Wir wollen einerseits eine realisti-
sche Strategie verfolgen, das heißt, dass das, was aus

Bundesminister Joseph Fischer






(A)



(B)



(C)



(D)


heutiger Sicht wirklich gemacht werden kann, auch er-
reicht wird. Wir wollen andererseits aber parallel dazu –
nicht als Alternative – eine Diskussion vor allen Dingen
unter dem Gesichtspunkt der zukünftigen Verfasstheit
Europas, sozusagen eine Maastricht-II-Diskussion über
die politische Integration.

Wenn es eine Mehrheit für weitergehende Schritte in
dem anvisierten Zeitraum bis zum Ende der französi-
schen Präsidentschaft geben sollte, dann wollen wir die
Möglichkeit nutzen, energische, weiterführende Schritte
zu gehen. Vielleicht können die Konturen der nächsten
Entscheidungen nach der Regierungskonferenz auch
schon konkretisiert werden.

Ich darf mich bedanken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408714400
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1408714500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir müs-
sen uns nicht rechtfertigen, überzeugte Europäer zu sein;
denn wir haben das in vielen Jahren mit einer sehr ziel-
orientierten europäischen Politik unter Beweis gestellt.
Deshalb sagen wir ganz klar: Die dritte Regierungskon-
ferenz in diesem Jahrzehnt muss für die Europäische
Union zu einem deutlichen Qualitätssprung führen.


(Beifall des Abg. Ernst Burgbacher [F.D.P.])

Wie alle richtig gesagt haben: Es ist eben keine

Technik, die jetzt auf der Tagesordnung steht. Es kommt
ja nicht von ungefähr, dass in den europäischen Gremien
eine Einigung über offene Punkte – sie sind hier genannt
worden – bisher nicht erzielt werden konnte. Diese so
nüchtern klingenden Verhandlungspunkte sind in Wirk-
lichkeit ein entscheidender Schritt zur Staatswerdung
der Europäischen Union. Natürlich ist das in einem ge-
wissen Umfang mit der Verringerung nationalen Ein-
flusses verbunden. Deshalb konnten diese Fragen bisher
trotz ambitionierten Vorgehens nicht gelöst werden und
deshalb hat diese Regierungskonferenz eine riesige Auf-
gabe.

Sie muss die Handlungs- und Funktionsfähigkeit der
Europäischen Union für die eingeleitete Erweiterung,
die wir immer propagiert haben, herstellen. Auch muss
die mit der Europäischen Wirtschafts- und Währungs-
union initiierte Dynamik für den Integrationsprozess
der Europäischen Union jetzt genutzt und umgesetzt
werden; denn es war unsererseits immer ein Argument
für den Euro, dass damit Dynamik in den Integrations-
prozess der politischen Union kommt.


(Beifall bei der F.D.P.)

In ihrer jetzigen Verfasstheit ist die Europäischen

Union eben nicht in der Lage, sich von derzeit
15 Mitgliedern in eine Europäische Union mit bis zu
28 Mitgliedern auszuweiten. Herr Außenminister, wir

sind deshalb der Auffassung, dass die Regierungskonfe-
renz mit großem Ehrgeiz, mit großem Elan, mit sehr kla-
ren Vorstellungen und mit der Perspektive, einen bedeu-
tenden historischen Verfassungsgebungsprozess in Gang
zu setzen, durchgeführt werden muss.

Zur erfolgreichen Durchführung der Erweiterung ist
jetzt ein sehr ambitionierter Vertiefungsprozess gefor-
dert, bei dem die Bundesregierung zusammen mit
Frankreich natürlich eine besondere Verantwortung be-
sitzt, der sie gerecht werden muss. Sie muss entspre-
chend initiativ werden, um diesen Prozess in Gang zu
setzen und zu einem Erfolg zu führen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir sind der Auffassung, dass das Mandat für die

Regierungskonferenz nicht nur die genannten und be-
kannten Themen umfassen muss; vielmehr gehören zu-
sätzliche Punkte auf die Tagesordnung. Einmal sollte
das Prinzip der kollektiven Verantwortung der Kommis-
sion der Europäischen Union sehr viel stärker durch die
Verankerung der individuellen Verantwortung der
Kommissare ersetzt werden. Die Entwicklungen im letz-
ten Jahr zeigen ganz deutlich, dass das ein notwendiger
und überfälliger Schritt ist.

Wir wollen aber auf alle Fälle auch anstreben und al-
les versuchen, um dazu beizutragen, dass die in der Er-
arbeitung befindliche europäische Grundrechtscharta in
den Vertrag übernommen wird. Wir wollen nicht von
Anfang an sagen, das sei nicht zu schaffen, sondern wir
meinen, dass man hier sehr ambitioniert herangehen
sollte.

Schließlich sollte man in diese Überlegungen natür-
lich auch die Strukturen des Europäischen Gerichtsho-
fes, für den es ja schon umfangreiche Änderungsvor-
schläge gibt, einbeziehen.

Deshalb stellt diese Regierungskonferenz eine ent-
scheidende Weichenstellung für die Europäische Union
dar. Sie braucht die nötigen Kompetenzen und die klare
Abgrenzung von Kompetenzen, sie braucht die Souve-
ränität, aber ganz klar auch die demokratische Legitima-
tion und ein ausgewogeneres Verhältnis als bisher in den
Beziehungen der Mitgliedstaaten untereinander. Europa
braucht für diesen Prozess eine klare politische Perspek-
tive.

Mehr als eine halbe Milliarde Menschen, die künftig
Unionsbürger in der politischen Europäischen Union
sein werden, wollen wissen, in welche Richtung sich die
Europäische Union entwickelt.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Genau!)

Sie muss sich über den derzeitigen Staatenverbund hin-
aus entwickeln. Man muss es deutlich sagen: Europa be-
findet sich mitten in einem Verfassungsgebungs-
prozess, der hin zu einer europäischen Verfassung füh-
ren soll, die sich unserer Auffassung nach sehr wohl
auch am Leitbild des europäischen Bundesstaates orien-
tieren sollte.


(Beifall bei der F.D.P. – Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!)


Bundesminister Joseph Fischer






(A)



(B)



(C)



(D)


Jeder, der das bestreitet und sagt, mit Verfassung habe
das nichts zu tun, drückt sich vor der Verantwortung und
klärt die Unionsbürger nicht richtig auf. Diese erwarten
es aber; sie haben ein Recht auf umfassende Beteiligung
und Information über diesen wirklich einmaligen Ver-
fassungsgebungsprozess.

Wir sollten jetzt die richtigen Lehren ziehen. Das
heißt, die anstehenden Beratungen müssen durchschau-
bar und verständlich sein. Sie müssen für die Bürgerin-
nen und Bürger nachvollziehbar sein. Diese müssen wis-
sen und verstehen können, warum sich Europa zu mehr
Staatlichkeit hin orientiert und warum ein abnehmender
Einfluss der nationalen Parlamente durch eine stärkere
demokratische Legitimation und eine stärkere Ausge-
staltung des Europäischen Parlamentes ersetzt und aus-
geglichen werden muss. Sie wollen wissen, was mit ei-
ner europäischen Grundrechtscharta verbunden ist, in
welchem Verhältnis sie zu den nationalen Grundrechten
steht und wie der Schutz dieser Grundrechte aussieht.

Damit die Bürger diesen Prozess begleiten und auch
unterstützen können, müssen wir die entsprechenden
Vorgaben machen. Deshalb brauchen wir regelmäßige
und sehr viel offenere Debatten über die nächsten
Schritte, die auf der Tagesordnung der Regierungskonfe-
renz stehen. So können wir die Argumente austauschen
hinsichtlich der Frage, ob die Kommission künftig viel-
leicht sogar nur mit 15 Kommissaren auskommt. Ein
Modell müssen wir auf jeden Fall diskutieren – wir ver-
treten es so –, dass nämlich künftig nicht mehr jeder
Mitgliedstaat einen Kommissar wird stellen können.
Auch hier wird eine Form des nationalen Einflusses re-
duziert werden.

Wir brauchen eine Kommission, die sich gemeinsam
an europäischen Interessen orientiert. Natürlich ist das
nicht leicht. Das wissen wir, die wir jahre- oder jahr-
zehntelang in europäischen Gremien Verhandlungen ge-
führt haben und Verantwortung getragen haben. Gerade
vor diesem Hintergrund wissen wir auch, dass man
dann, wenn man nicht mit hohem Anspruch an diese
Aufgaben herangeht, hinterher ein Ergebnis erzielen
wird, das vielleicht nur kleine Münze ist. Das wäre das
schlechteste Ergebnis, das bei dieser Regierungskonfe-
renz herauskommen könnte.


(Beifall bei der F.D.P.)

Deshalb ist – ich komme zum Schluss, meine Damen

und Herren – natürlich auch die Grundrechtscharta,
die der Wertegemeinschaft Europa Ausdruck verleiht,
von so herausragender Bedeutung. Angesichts unserer
Grundrechtstradition und unseres Verständnisses von
Grundrechten wollen wir, dass es einen wesentlichen
Bestand von Grundrechten gibt, der nicht antastbar ist
und vor Einschränkungen sicher ist. Wir Liberalen ha-
ben uns dieses fest vorgenommen und wollen dabei
mitwirken. Insofern können Sie, Herr Außenminister,
wenn Sie diesen Prozess ambitioniert vorantreiben, mit
unserer Unterstützung rechnen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU: Nur dann! – Walter Hirche [F.D.P.]: Ambitioniert heißt, auch Hausaufgaben zu machen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408714600
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Uwe Hiksch.


Uwe Hiksch (PDS):
Rede ID: ID1408714700
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Mit der Eröffnung der Regie-
rungskonferenz werden die Grundlagen für eine Vertie-
fung und Erweiterung der Europäischen Union geschaf-
fen. Die PDS möchte die Erweiterung der Union mit ei-
ner klaren Perspektive auch für eine demokratische Tür-
kei, die in die Europäische Union eingeschlossen wer-
den muss.

Wir treten ausdrücklich dem entgegen, was gestern in
reaktionärer Manier vom Ministerpräsidenten Bayerns,
Herrn Stoiber, dargelegt wurde, der die Europäische
Union als christlich-abendländisches Bollwerk begreift
und nicht mehr als weltoffenes, multikulturelles Europa,
das auch für Minderheiten, Asylbewerber und Flüchtlin-
ge offen sein muss.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Quatsch!)


Der Gründer des Freistaates Bayern, der Sozialist Kurt
Eisner, würde sich im Grabe umdrehen, wenn er feststel-
len würde,


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Dass solche Leute wie Sie hier reden!)


was aus dem Freistaat Bayern geworden ist, welche Re-
den unter dem Begriff des Freistaates, der eine Ablösung
vom Kaiserreich bedeutet hatte, heute gehalten werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa darf keine
Festung werden. Europa muss weltoffen sein und muss
auch Asylbewerbern eine Perspektive geben, wenn sie
verfolgt werden. Deshalb tritt die Partei des Demokrati-
schen Sozialismus dafür ein, dass im Rahmen der
Grundrechtscharta darüber geredet und möglichst
durchgesetzt wird, ein Individualrecht auf Asyl auf eu-
ropäischer Ebene festzuschreiben, und dass Europa nicht
zu einem Bollwerk aufgebaut wird.


(Beifall bei der PDS)

Die Regierungskonferenz muss dazu beitragen, dass

wir zu einer Demokratisierung der Europäischen
Union kommen. Es darf nicht mehr so sein, dass über
die Zukunft der Europäischen Union in nicht öffentli-
chen Sitzungen diskutiert wird. Vielmehr muss endlich
durchgesetzt werden, dass das demokratische Gremium
der Europäischen Union, das Europäische Parlament,
gestärkt und mit wesentlich mehr Rechten ausgestattet
wird.

Wir müssen die Europäische Union auch erweite-
rungsfähig machen. Wir brauchen sowohl eine Höchst-
grenze für die Zahl der Abgeordneten im Europäischen
Parlament, weil das EP arbeitsfähig bleiben muss, als
auch eine Höchstgrenze für die Zahl der Kommissare,
damit die Kommission das tun kann, was sie tun muss,
nämlich arbeiten.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger






(A)



(B)



(C)



(D)


Lieber Kollege Altmaier, ich habe sehr genau zuge-
hört, wie Sie das Europa der Zukunft beschrieben haben.
Sie haben ein Europa beschrieben, das sich auf Kern-
kompetenzen beschränken soll, die vor allen Dingen in
drei Bereichen angesiedelt sind: Wirtschaftspolitik für
ein wirtschaftsfreundliches Europa, Sicherheitspolitik
und Militarisierung. Ein solches Europa allein möchte
die PDS nicht. Das Europa, das wir wollen, muss für
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer da sein, muss ei-
nen der Schwerpunkte der Politik auf die Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit setzen und muss ökologische und
soziale Mindeststandards in den Mittelpunkt seiner Po-
litik stellen. In der CDU spielt ein soziales Europa keine
Rolle mehr.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb wundert es mich, sehr geehrter Herr Außen-

minister Fischer, wenn Sie in diesem Hause keine Un-
terschiede mehr feststellen können. Wir sehen durchaus
große Unterschiede zwischen dem, was die rot-grüne
Bundesregierung wenigstens angekündigt hat, in Europa
durchsetzen zu wollen, und dem, was vor allen Dingen
vonseiten des rechten Teiles des Hauses, der CDU/CSU,
beschrieben wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erweiterung der
Europäischen Union bringt für viele Menschen auch
Ängste mit sich. Ängste kann man auf zwei verschiede-
ne Arten aufgreifen: so, wie es in reaktionären Tönen
gestern durch Stoiber passiert ist, oder dadurch, dass
man sich die Ängste anschaut und konkrete Antworten
gibt. Menschen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben,
müssen wissen, wie Arbeit in Zukunft gesichert wird.
Menschen, die Angst um die sozialen Standards haben,
müssen wissen, dass in Europa Sozialpolitik eine Rolle
spielt. Vor allen Dingen müssen auch Handwerker wis-
sen, wie durch Übergangsvorschriften beispielsweise im
Bereich der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit
gewährleistet werden kann, dass sie ihre Arbeitneh-
merinnen und Arbeiternehmer weiter beschäftigen kön-
nen.

Wir, die PDS, treten dafür ein, dass die Grund-
rechtscharta nicht nur ein Schriftstück wird, das einen
deklaratorischen Charakter hat. Wir treten ausdrücklich
auch dafür ein, dass die EU-Charta und die Grund-
rechtscharta zusammengeführt werden und dass die
Grundrechtscharta integraler Bestandteil der EU-Ver-
träge wird. Wir wollen, dass das, was in der Grund-
rechtscharta stehen wird, von den Menschen auch ein-
geklagt werden kann und dass sie einen Anspruch darauf
haben, die festgelegten Rechte durchzusetzen und vor
dem Europäischen Gerichtshof auch einzuklagen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa darf durch
die Erweiterung nicht zu einem Kerneuropa werden, das
sich immer weiterentwickelt und das um sich herum ei-
ne Freihandelszone hat, die vor allen Dingen die Funkti-
on hat, den kerneuropäischen Ländern zu helfen. Wir
wollen ein Europa, in dem sich alle europäischen Länder
weiterentwickeln können und aus dem sich nicht die
wirtschaftlich starken Länder herauslösen. Wir wollen
ein Europa, von dem die kleinen Länder wissen, dass sie
integraler Bestandteil dieses Europas sind. Wir wollen

ferner ein Europa der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer, ein Europa der Menschen und nicht eine Frei-
handelszone und ein Europa der Wirtschaft.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408714800
Das Wort hat
jetzt der Herr Staatsminister Christoph Zöpel.

D
Dr. Christoph Zöpel (SPD):
Rede ID: ID1408714900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolle-
ginnen und Kollegen! Ein Zwischenruf von Ihnen, Herr
Kollege Haussmann, enthielt das Wort Vision, eine Vi-
sion, die Europa brauche. Ich stimme Ihnen auf der ei-
nen Seite zu, schränke aber auch auf der anderen Seite
ein.

Das Wort Vision sollte nicht inflationär gebraucht
werden. Im Augenblick gibt es für mich hinsichtlich des
Zusammenlebens in Europa eine Vision, nämlich dass
nach realistischer Einschätzung der Lebenserwartung
der Generation, zu der ich gehöre – dazu zähle ich die
westdeutsche Generation, die die Entwicklung Europas
seit 1956/1957 erleben konnte, aus persönlicher Erfah-
rung sage ich: dazu gehören auch die Menschen, die
durch Zufall der Geschichte in Ost-Mitteleuropa gebo-
ren wurden, aber in Westdeutschland aufgewachsen
sind –, wir erleben können, dass die Friedensgemein-
schaft für ganz Europa gilt. Für ganz Europa heißt, dass
sie auch in den Ländern gilt, mit denen derzeit verhan-
delt wird, und auch in denen, die nordwestlich von Grie-
chenland liegen. Das ist die Vision.

Dieser Vision ordnen sich auch die anderen Ziele der
Bundesregierung unter, die mit der jetzt anstehenden
Regierungskonferenz verbunden sind.

Wenn wir über politische Moral sprechen, dann
müssen wir erkennen, dass es eine Ebene der politischen
Moral gibt, die gerade heute nicht vergessen werden
darf. Diese politische Moral ist eine Verpflichtung mei-
ner Generation. Wir müssen den Frieden, den wir in Eu-
ropa erfahren durften, auf das ganze Europa erweitern.
Das ist unsere moralische Verpflichtung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Angesichts dieses Oberzieles kommt man zu der
Feststellung, dass die Regierungskonferenz am Ende
dieses Jahres das Vertragswerk so ändern muss, dass die
EU erweiterungsfähig ist. Erweiterungsfähig bedeutet –
realistisch formuliert – die Erweiterung um 70 Millionen
Menschen. Ich gebrauche bewusst die Formulierung
„Erweiterung um 70 Millionen Menschen“ und nicht die
Formulierung „Erweiterung um maximal 10 Staaten“,
weil die Zahl von den 10 Staaten die Dimension ver-
zerrt. Aber die Zahl von zusätzlich 70 Millionen Men-
schen in der Europäischen Union macht deutlich, dass
die Union um weniger Menschen erweitert wird, als die
Bundesrepublik Deutschland Einwohner hat. Diese Zahl
ist im Verhältnis zu der Zahl von 370 Millionen Ein-

Uwe Hiksch






(A)



(B)



(C)



(D)


wohnern, die jetzt der Europäische Union angehören,
überschaubar.

Das ist die Perspektive bis zum Jahr 2006. Bis zu die-
sem Jahr reichen auch die finanziellen Perspektiven der
Agenda 2000. Die Durchsetzung dieser Agenda war der
wesentliche Erfolg der deutschen Präsidentschaft. Dar-
um geht es.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: So weit sind wir noch nicht!)


– Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass dieser Rahmen
bis zum Jahre 2006 hält.

Dieses Ziel verbindet sich nun – vielleicht durch die
List der Vernunft – mit dem Ehrgeiz Frankreichs, am
Ende dieses Jahres unter französischem Vorsitz ein Ver-
tragswerk zu erarbeiten, das den Namen einer französi-
schen Stadt trägt – wahrscheinlich Nizza. Ich halte diese
List der Vernunft für geeignet, diese Kopplung zu errei-
chen.

Auf beides kann in diesem Jahr hingearbeitet werden.
Dabei ist so viel wie möglich zu erreichen, aber eben so-
viel, wie in den verbleibenden zehn Monaten möglich
ist. Den Ehrgeiz, Herr Kollege Haussmann, bestimmt in
diesem Falle Frankreich, und an Ehrgeiz ist die Grande
Nation ja nicht zu überbieten.

Nun aber zu den Hausaufgaben, die Sie – Herr
Minister Fischer hat dazu eine richtige Bemerkung ge-
macht – so gerne im Munde führen. – Vielleicht sollte
manches Vokabular erwachsener sein. – Zu den Aufga-
ben der Bundesregierung hinsichtlich der drei wichtigs-
ten zu verhandelnden Punkte gehören zwei, bei denen
die vorschnelle Formulierung einer deutschen Position
nicht hilfreich wäre, nämlich die Zahl der Kommissare
und die Quantifizierung der Stimmrechte. In dem ei-
nen Fall wird Deutschland im Ergebnis auf irgendetwas
verzichten müssen. In dem anderen Fall wird man
durchsetzen müssen, dass kleinere Länder zugunsten be-
völkerungsreicher Länder etwas nachgeben. Sich vorei-
lig festzulegen würde in beiden Fällen nicht helfen.


(Beifall bei der SPD)

Beim dritten Bereich sollten wir, wieder einmal das

Wort „Haus“ gebrauchend, darüber reden, dass die Pro-
bleme in der Bundesrepublik und nicht anderswo liegen.
In der Frage der Kompetenzabgrenzung, in der Frage
der Mehrheitsentscheidungen im Verhältnis des Bun-
des zu den Ländern gibt es quer durch die Parteien noch
nicht ausdiskutierte Positionen. Dies ist auch nicht ein-
seitig eine Frage der Regierung, dies ist nicht einseitig
eine Frage von Opposition und der die Regierung tra-
genden Parteien, nicht einseitig eine Frage der A- und
der B-Länder, sondern ein wichtiger Prozess, der inten-
siver als bisher betrieben werden muss. Dieser ver-
schränkt sich noch zusätzlich mit wirtschaftsphiloso-
phischen und wirtschaftskonzeptionellen Einsichten;
denn einer der Hauptreizpunkte der derzeitigen vorgeb-
lichen Überkompetenzen der EU hängt ja mit einer sehr
unterschiedlichen Bewertung der Wettbewerbspolitik
zusammen. Und einheitlich und parteiübergreifend strei-
ten die deutschen Länder dagegen, dass die EU darüber
diskutiert, ob es in Deutschland Sparkassen geben darf.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Und Landesbanken!)


– Sie streiten einheitlich darüber, ob es in Deutschland
Sparkassen geben darf, habe ich gesagt. Mir ist noch
nicht aufgefallen, dass sie ganz einheitlich über Landes-
banken diskutieren.

Die Antwort darauf hat aber in der französischen
Terminologie etwas mit Service publique zu tun, also
mit einer wirtschaftspolitischen Auffassung, die in
Deutschland wiederum von der Wettbewerbsphilosophie
her nicht einheitlich geteilt wird. Bei der letzten Regie-
rungskonferenz wäre es möglich gewesen, die Sparkas-
sen sichernden Bestimmungen in das Vertragswerk auf-
zunehmen, wenn nicht die damalige deutsche Regierung
dagegen gewesen wäre. So kompliziert ist das mit der
Frage der Kompetenzabgrenzung und der Mehrheitsent-
scheidung.


(Beifall bei der SPD)

Ich hatte vor 14 Tagen die Möglichkeit, im Bundesrat

zu sprechen. Damals konnte ich mich bei Herrn Minis-
terpräsidenten Teufel so wie heute bei Ihnen, Herr Kol-
lege Altmaier, dafür bedanken, dass Sie dem Hauptziel
der Bundesregierung, wegen der Osterweiterung bis En-
de 2000 das Vertragswerk abzuschließen, zugestimmt
haben.


(Peter Altmaier [CDU/CSU]: Es muss aber auch ein vernünftiges Ergebnis sein!)


– Das ist unstreitig. – Das wollte ich an dieser Stelle
festhalten und ich wollte zu der Frage, was umgesetzt
wird, das wiederholen, was ich im Bundesrat gesagt ha-
be. Die Bundesregierung – ich fühle mich in meiner der-
zeitigen Zuständigkeit diesbezüglich besonders ver-
pflichtet – ist zu intensivstem Dialog mit allen Fraktio-
nen dieses Hauses wie auch mit allen im Bundesrat ver-
tretenen Ländern bereit, um – Herr Kollege Altmaier,
Sie haben das auch angedeutet – darüber zu sprechen,
was an Beschwernissen der Länder noch in dieses Ver-
tragswerk passt und was darüber hinaus formuliert wer-
den muss. Herzlichen Dank, dass Sie mit ähnlichen
Formulierungen, wie ich sie im Bundesrat gewählt habe,
aufgezeigt haben: Darüber sollte über das Ende dieses
Jahres hinaus intensiver diskutiert werden. Dies gilt
auch für die Fragen: Wann wird der Grundrechtskatalog
aufgenommen? Kann daraus ein anders gegliedertes
Vertragswerk werden, wie es das Europäische Parlament
will? Jetzt schon muss gefragt werden: Muss es nicht
Bestimmungen unter den Stichworten Flexibilität und
verstärkte Zusammenarbeit geben?

Dies alles möchte die Regierung mit Ihnen allen und
mit den Ländern sehr schnell, in der ersten Hälfte des
Jahres 2000, diskutieren. Ich habe den Prozess zu orga-
nisieren, habe ihn eingeleitet und erste Termine ge-
macht. Wenn die Länder, die Opposition, die Regierung
und die Regierungsfraktionen in der Frage, was unter
diesen Gesichtspunkten noch ins Vertragswerk kommen
kann bzw. unbedingt kommen muss – ich stelle noch
einmal die Frage, wie wir vielleicht jetzt schon die
Sparkassen im Vertragswerk sichern –, zu einem ge-
meinsamen Ergebnis kämen, dann wäre das gut.

Staatsminister Dr. Christoph Zöpel






(A)



(B)



(C)



(D)



(Zuruf des Abg. Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.])


– Herr Haussmann, wer sagt, es gäbe solche – da werden
Sie mir zustimmen, Herr Altmaier –, stößt auf das Pro-
blem und sieht, wie kompliziert es ist. Darüber hinaus
wäre zu verabreden, welche weiteren Schritte danach
von Deutschland unter Wahrung des Gedankens des Fö-
deralismus – das im Bundestag zu formulieren ist nicht
immer populär – nach draußen getragen werden.

Zum Föderalismus eine Bemerkung. Ich halte den
deutschen Föderalismus für ein Geschenk für Europa.
Probleme in einigen europäischen Ländern, wie zum
Beispiel in Bosnien-Herzegowina, werden sich ohne den
Grundgedanken des Föderalismus nicht lösen lassen.
Dies in Europa weiter zu verbreiten kann ein echter Auf-
trag auch der deutschen Länder sein. – Ich wiederhole
hier eine Bemerkung, die ich auch im Bundesrat machen
konnte.

Lassen Sie mich zum Schluss aufgrund meiner Erfah-
rungen aus meiner Tätigkeit in den europäischen Institu-
tionen sagen: Ich sehe mit einer gewissen Faszination
einen für die Beurteilung der Politik bedeutsamen Pro-
zess einer politischen Entwicklung. Jeder Gipfel gibt
sich einen Auftrag, der angegangen werden muss, der
nächste nimmt ihn auf und Schritt für Schritt wird tat-
sächlich erreicht, was drei oder vier Gipfel vorher noch
als Vision galt. Das ist bemerkenswert. So habe ich
überhaupt keinen Zweifel daran, dass manches, was heu-
te zu Recht als Notwendigkeit in den Debatten über
Europa formuliert wird, aber im Vertrag von Nizza nicht
steht, im nächsten Vertragswerk stehen wird.

Nach dem Sondergipfel von Tampere hatten wir ei-
ne Debatte, in der der eine oder andere fragte: Was hat
sich in Europa in der Rechts- und Verfassungslage ge-
ändert? Die Antwort war zu Recht: heute nichts. Dassel-
be konnte man über den Gipfel sagen, auf dem der Euro
verabredet wurde: heute nichts. Nur, wir werden den
Euro haben. Wir werden ein mehr und mehr einheitli-
ches europäisches Straf- und Zivilrecht, eine europäi-
sche Verfassung und einen kompetenzabgegrenzten Ver-
trag haben. Ich bin sicher, dass wir das erreichen kön-
nen.

Um die viel zitierten Bürger nicht zu verunsichern:
Lassen Sie uns bei den Auseinandersetzungen über die
Perspektive Europas die Notwendigkeiten, die erfüllt
werden müssen, wenn Europa als Ganzes da ist, nicht
deshalb als gescheitert definieren, weil sie noch nicht im
Vertrag von Nizza stehen. Das ist ganz wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich schließe mit dem, was ich dem neuen, derzeiti-

gen – eine große Hoffnung für Europa – Premierminister
von Kroatien, Herrn Racan, gesagt habe, als ich ihn als
ersten ausländischen Besucher an seinem ersten Ar-
beitstag nach seiner Amtsernennung besuchen durfte:
Ich wünsche uns, Herr Ministerpräsident, dass Sie mich
zu Ihrem 75. Geburtstag einladen. Dann haben wir beide
einen europäischen Pass in der Tasche. Diese Vision ha-
be ich. Ich bin jedem dankbar, der sie mit mir teilt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408715000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Gerd Müller.


Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1408715100
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Entgegen der Erwartung ei-
niger Kollegen möchte ich heute nicht den Dissens in
den Vordergrund stellen, sondern daran anknüpfen, was
wir gestern im Europaausschuss sehr interessant mitein-
ander entwickelt haben und was Außenminister Fischer
auch dargelegt hat. Wir stehen in der Europäischen Uni-
on vor einem Quantensprung von 15 auf 25, ja vielleicht
30 Mitgliedstaaten. Es stellt sich in der Tat die Frage:
Wohin geht dieser Weg? Frau Kollegin Leutheusser-
Schnarrenberger, der europäische Staat mit 25 Mitglied-
staaten? Ich würde sagen: nein.

Ich möchte einleitend mit sieben Punkten zur Frage
sprechen: Welche neuen Kriterien muss die Regierungs-
konferenz – Herr Roth und andere – für die europäische
Rechtsetzung schaffen? Der Außenminister hat dazu
gestern einige wichtige Dinge gesagt.

Erstens. Wir brauchen bei der europäischen Rechtset-
zung in Brüssel über die Mitgliedstaaten die Verwirkli-
chung des Prinzips der Demokratie. Die Rechtsetzung
der Europäische Union entspricht nicht den demokrati-
schen Mindeststandards, wie sie in allen Mitgliedstaaten
für die Rechtsetzung umgesetzt werden. Mit anderen
Worten: Die EU könnte, wenn sie ein Staat wäre, unter
diesem Gesichtspunkt niemals Mitglied der Europäi-
schen Union sein.

Der Bürger als Souverän muss hinsichtlich der Zu-
sammensetzung über Wahlen beteiligt sein. Seine Wahl-
entscheidung muss direkt oder indirekt einen Einfluss
auf die europäische Politik haben.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Richtig!)

Dies ist nicht der Fall. Der Bürger kann durch seine
Wahlentscheidung im Augenblick kaum etwas bewegen,
was die europäische Rechtsetzung anbetrifft.

Stichwort Demokratie. 80 Prozent der Gesetzgebung
auf europäischer Ebene erfolgen in so genannten Beam-
tenausschüssen – die Insider wissen das, kaum einer
spricht das an – im Umlaufverfahren unter Ausschluss
der Öffentlichkeit. Dies ist absolut inakzeptabel. Ich will
nicht auf die Rolle des EuGH beim Thema Frauen in der
Bundeswehr – ein eklatantes Beispiel – eingehen. Von
Demokratie ist die europäische Rechtsetzung weit ent-
fernt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zweitens. Das Grundprinzip der Gewaltenteilung ist

nicht umgesetzt. Gewaltenteilung in der europäischen
Rechtsetzung widerspricht allen Grundregeln demokra-
tischer Systeme. Der Rat ist Exekutive und Legislative.
Das wäre in einem Mitgliedstaat nicht möglich. Die
Kommission als Exekutive hat das alleinige Initiativ-
recht. Das wäre in einem Mitgliedstaat absolut unmög-
lich.

Staatsminister Dr. Christoph Zöpel






(A)



(B)



(C)



(D)



(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Ich möchte als drittes Kriterium das Stichwort Re-
präsentation aufgreifen. Wenn wir im Rat oder im Eu-
ropäischen Parlament Mehrheitsentscheidungen, Mitent-
scheidungsrechte usw. fordern, Frau Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger, wenn das Europäische
Parlament wirklich die Vertretung der europäischen
Bürgerinnen und Bürger sein will und muss, dann müs-
sen wir das Prinzip „One man, one vote“ auch dort
umsetzen. Aber Faktum ist: Ein deutscher Abgeordneter
vertritt 800 000 Wählerinnen und Wähler, ein Nieder-
länder zum Beispiel vertritt 500 000. Wie ist das zu
rechtfertigen? Wir müssen die Proportionalität im Rat,
in der Kommission und im Europäischen Parlament
wahren.

Vierter Punkt: Transparenz und Öffentlichkeit.
Niemand von Ihnen und kein einziger Bürger oder Jour-
nalist in Europa ist in der Lage, das Zustandekommen
von Entscheidungen, Richtlinien oder Verordnungen im
europäischen Regelungswerk nachzuvollziehen. Damit
kann es auch nicht kontrolliert werden. Es kann keine
verantwortliche Zuweisung erfolgen. Das ist absolut
nicht akzeptabel.

Fünftens. Daraus erwächst das Problem der Akzep-
tanz. Ich erinnere an die Beteiligung bei den Wahlen
zum Europäischen Parlament.

Sechstens. Wir brauchen, was Kollege Altmaier ge-
sagt hat, eine klare Abgrenzung der Kompetenzen und
das Strukturprinzip des Föderalismus. Die Proportiona-
lität ist die Voraussetzung für Mehrheitsentscheidungen
und Mitentscheidungen.

Wir brauchen siebtens, wenn ich das sagen darf, eine
Debatte über die Finalität der europäischen Entwick-
lung, die über diese technischen Details hinausgeht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wo ist die europäische Vision für das neue Jahrhundert?
Die Idee von der europäischen Integration hat uns Frie-
den, Freiheit und Wohlstand für das 20. Jahrhundert ge-
bracht. Wo ist die Vision, die uns darüber hinaus in das
21. Jahrhundert führt?

Da stellt sich natürlich die Frage im Zusammenhang
mit 25, 30 Mitgliedstaaten: Muss die Türkei Vollmit-
glied sein? Warum die Türkei? Ich bin der Meinung:
nein! Warum nicht die Ukraine? Warum nicht Israel?
Wo sind die Grenzen der Europäischen Union? Wo sind
die Wertefundamente der Europäischen Union? Gibt es
nicht auch eine andere Form der Kooperation in Europa,
von Sizilien bis Skandinavien, von Portugal bis Weiß-
russland, als den Weg der Vollmitgliedschaft?

Mir wird immer wieder bestätigt, auch von Regie-
rungschefs, dass es leider zu spät ist; ein EWR Ost wäre
vermutlich der vernünftigere Weg gewesen. Auch bei
der Frage der Einbindung der Türkei stellt sich doch für
alle Bürgerinnen und Bürger und für uns die Frage: Ist
die Vollmitgliedschaft der richtige Weg? Ich meine:
nein.

Mir bleiben vier Minuten. Ich möchte die gestrige
Debatte aus dem Ausschuss aufgreifen. Ich bitte Sie aus
allen Fraktionen um Unterstützung oder Widerspruch.
Wir müssen diese Debatte führen über die Frage: Euro-
pa – wo bleibt der Deutsche Bundestag? Wir haben hier
eine Stunde Redezeit für diese zentrale, wichtige Frage.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Keine Kritik an Beschlüssen des Präsidiums!)


Für den Sportbericht nachher stehen eineinhalb Stunden
zur Verfügung.

Wo bleibt also der Deutsche Bundestag in der euro-
päischen Rechtsetzung? Das Bundesverfassungsgericht
hat in seinem Maastricht-Urteil festgelegt, dass sich
die Legitimation der europäischen Rechtsetzung in ers-
ter Linie über die Wahl des Deutschen Bundestages und
der anderen Parlamente in den Mitgliedstaaten durch die
Bürgerinnen und Bürger und sodann über die daraus re-
sultierenden Wahlen der nationalen Regierungen, die im
Ministerrat mitwirken, ergibt. Das ist der Legitimations-
strang. Die erste Legitimation ergibt sich über uns, die
Parlamente der Mitgliedstaaten, und erst in zweiter Linie
– so das Bundesverfassungsgericht – ergänzend über die
Wahl des Europäischen Parlaments. Im Deutschen Bun-
destag müssen daher substanzielle Rechte verbleiben,
was Mitsprache und Kontrolle im Zusammenhang mit
der europäischen Gesetzgebung angeht.


(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Gestern hat mit Bundesaußenminister Fischer im Eu-

ropaausschuss zum ersten Mal, wie ich meine, sich ein
Außenminister über die Frage Gedanken gemacht, wie
die nationalen Parlamente ihrer Rolle gerecht werden
können. Es ist eigentlich ein Armutszeugnis für das Par-
lament, wenn uns dies ein Außenminister servieren
muss.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: So ist es!)

Aber Respekt! Ich nehme es gerne auf, und wir sollten
mit ihm den Gedanken weiterentwickeln, wie wir die
Rolle der nationalen Parlamente in der europäischen
Rechtsetzung verstärken können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist eine sehr gute Fragestellung, eine zentrale Frage!)


Ich möchte diese Frage nicht nur aufwerfen, sondern
dazu sieben Punkte in die Diskussion einbringen:

Erstens. Den nationalen Parlamenten sollte auch im
Rahmen der Regierungskonferenz im sekundärrechtli-
chen Rechtsetzungsprozess künftig ein maßgebliches
Mitwirkungs- und Kontrollrecht zuerkannt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das heißt, bei grundlegenden Richtungsentscheidungen
des Ministerrates ist das Mitentscheidungsrecht der nati-
onalen Parlamente vorzusehen.

Zweitens. Das Mitwirkungsrecht der nationalen Par-
lamente bei grundlegenden Richtungsentscheidungen
des Ministerrates könnte in der Weise erfolgen, dass
nach Einbringung einer Kommissionsinitiative im Rat

Dr. Gerd Müller






(A)



(B)



(C)



(D)


und der ersten Lesung keine Abstimmung im Ministerrat
erfolgen darf, bevor die endgültige Stellungnahme der
nationalen Parlamente dem Ministerrat vorliegt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Votum der nationalen Parlamente sollte bindende
Wirkung für die Vertretung im Ministerrat haben.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P.]: Dann können Sie aber den Integrationsprozess aufgeben!)


– Ich bin gern bereit, im Ausschuss dies im Detail aus-
zuformulieren.

Drittens. Die nationalen Parlamente sollten ein Kla-
gerecht vor dem EuGH bekommen, welches die Durch-
setzung ihrer Mitwirkungsrechte und des Subsidiaritäts-
grundsatzes sicherstellt.

Viertens. Dem Deutschen Bundestag sollte ein Fra-
gerecht bei den europäischen Institutionen eingeräumt
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist ja paradox, dass wir nicht einmal eine Frage an die
EU-Kommission richten können, sondern zu diesem
Zweck den Weg über den Europaabgeordneten gehen
müssen.

Fünftens. Bei der Regierungskonferenz 2000 sind
die Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente ver-
traglich abzusichern.

Sechstens. Im Zuge einer Parlamentsreform sind neue
Formen der Parlamentarisierung des EU-Prozesses
umzusetzen. Wir haben gestern im Ausschuss dazu eini-
ge interessante Ansätze diskutiert.

Siebtens. Wir brauchen eine Parlamentarisierung der
Gemeinschaft, weil wir die Legitimation über die natio-
nalen Parlamente, über die Bürger brauchen.

Herr Außenminister Fischer, Sie haben nicht alle
meine Ausführungen vorhin gehört. Ich wollte das noch
einmal verdeutlichen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408715200
Herr Kollege,
denken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1408715300
Ich komme zum
Schluss. – Wir sollten an das, was Sie gestern im Aus-
schuss angedeutet haben, parteiübergreifend anknüpfen
und vielleicht auch eine Enquete-Kommission oder eine
Expertenkommission einsetzen, die sich wirklich einmal
vertieft mit der Frage beschäftigt: Wie schaffen wir es,
den Deutschen Bundestag und die Mitgliedsparlamente
insgesamt in die europäische Rechtsetzung effektiver –
wirkungsvoller auch im Sinne unserer Bürger – einzu-
binden?

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408715400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Sterzing.


Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408715500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde die Vorschläge, die Kollege Müller gemacht hat,
durchaus diskussionswürdig. Allerdings muss ich daran
erinnern, dass Sie sich gestern im Ausschuss darüber be-
schwert haben, wie kompliziert die Entscheidungspro-
zesse innerhalb der Europäischen Union sind. Ob Sie
durch diese Vorschläge durchsichtiger und einfacher
werden, mag mit Fug und Recht bezweifelt werden.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das kann aber nicht das einzige Argument sein!)


– Nein.
Wir beschäftigen uns heute mit einem Ereignis, das

von der breiten Öffentlichkeit eigentlich kaum
wahrgenommen wird, der Regierungskonferenz. Noch
viel mehr im Verborgenen ist geblieben, dass in dieser
Woche die Beitrittsverhandlungen mit sechs weiteren
Kandidatenländern aufgenommen werden. Überdeckt
wurden diese beiden Ereignisse schließlich von einem
dritten Ereignis, von der Auseinandersetzung über die
Reaktion der 14 EU-Staaten auf die Regierungsbildung
in Österreich. Diese drei Ereignisse werfen zusammen-
genommen sehr grundsätzliche Fragen auf, fern aller
parteipolitischen Auseinandersetzung und fern allen in-
nenpolitischen Streits zum Beispiel über die angemesse-
ne Reaktion auf die Regierungsbildung in Österreich.

Gerade wenn wir uns mit der Reaktion der 14 Mit-
gliedstaaten auf die Situation in Österreich beschäftigen,
stellen sich – darüber haben wir gestern diskutiert – fol-
gende Fragen: Wie soll es mit der Integration weiterge-
hen? Was verstehen wir unter einer Politischen Union?
Wie tief verändert sich durch die Entwicklung dieser Po-
litischen Union auch das Verhältnis der Mitgliedstaaten
innerhalb der EU? Wie weit verschiebt sich die Grenze
zwischen Außenpolitik und europäischer Innenpolitik?
Müssen wir nicht das völkerrechtliche Gebot der Nicht-
einmischung in die so genannten inneren Angelegenhei-
ten in einer Politischen Union neu definieren? Müssen
wir nicht auch den Begriff der Wertegemeinschaft, der
für unsere Europäische Union so prägend ist, neu kon-
kretisieren? Wo liegen also die Grenzen dieses politi-
schen Europas, die Grenzen der Vertiefung?

Um Grenzen geht es auch bei dem zweiten Ereignis,
bei den Beitrittsverhandlungen, von denen ich gespro-
chen habe. Es geht um die geographischen Grenzen Eu-
ropas. Wo liegen diese Grenzen? Kann die EU unbe-
grenzt wachsen, ohne dass das, was bislang an politi-
scher Integration erreicht ist, Schaden erleidet? Wird
sich der Charakter der Politischen Union notwendiger-
weise verändern müssen? Droht der Rückfall in eine eu-
ropäische Freihandelszone?

Diese beiden Problemkreise, die Vertiefung und
Erweiterung, verschränken sich sozusagen im dritten
Ereignis, der Regierungskonferenz. Hier wird versucht
werden, auf einige Fragen, die sich in diesem Zusam-

Dr. Gerd Müller






(A)



(B)



(C)



(D)


menhang stellen, Antworten zu geben, nämlich darauf,
was Vertiefung und Erweiterung für das institutionelle
Gefüge der Europäischen Union bedeuten.

Wir sagen – das ist sehr leicht dahingesagt –: Die EU
muss fit gemacht werden für die Erweiterung. Aber die
pragmatische Bescheidenheit, mit der wir die Tagesord-
nung dieser Regierungskonferenz behandeln, und die
begrenzte Reichweite dieser Reformen, auf die wir uns
jetzt auch schon einzustellen beginnen, dürfen nicht da-
rüber hinwegtäuschen, dass wir uns mehr und mehr ei-
nem Wendepunkt der europäischen Geschichte nähern,
einem Wendepunkt, der uns zwingt, über die Perspekti-
ven und Grenzen von Vertiefung und Erweiterung stär-
ker nachzudenken und sie auch zu definieren.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Da haben Sie Recht, Herr Sterzing!)


Wir haben in den letzten Jahren immer sehr deutlich
gesagt, dass wir besser nicht über das Ziel reden, son-
dern einfach nach der „Methode Monnet“ vorgehen:
pragmatisch, einen Schritt nach dem anderen. Es stellt
sich die Frage, inwieweit wir am Ende der „Methode
Monnet“ angelangt sind, inwieweit wir die Debatte über
die Gestalt und Zukunft dieses Europas viel offensiver
führen müssen.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Richtig!)


Sie wurde bislang tabuisiert. Ich glaube, es muss uns ge-
lingen, diese Debatte parallel zur Regierungskonferenz
mit ihrer begrenzten Tagesordnung innerhalb, aber na-
türlich auch außerhalb des Parlamentes anzustoßen und
zu intensivieren. Denn anders wird es uns nicht gelin-
gen, die Bürgerinnen und Bürger in Europa auf diesem
Wege mitzunehmen. Insofern müssen wir uns darum
bemühen – das hat die Kollegin Leutheusser-
Schnarrenberger ja auch angesprochen – die Tendenz
der Reduzierung der Tagesordnung im Hinblick auf die
europapolitische Debatte umzukehren. Wir müssen uns,
was das notwendige Maß an Kreativität, an Fantasie und
an Engagement für die europäische Debatte anbelangt,
sozusagen umgekehrt proportional verhalten.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408715600
Herr Kollege,
ich muss Sie auf die Zeit hinweisen.


Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408715700

Insofern sollten wir, glaube ich, diese Regierungskonfe-
renz dazu nutzen, diese Debatte gemeinsam fort-
zuführen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408715800
Ich schließe
die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Eine
Abstimmung ist nicht vorgesehen.

Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

9. Sportbericht der Bundesregierung
– Drucksache 14/1859 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Einen
Widerspruch sehe ich nicht. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper das
Wort.

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1408715900
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Es handelt sich um den 9. Sportbericht.
Damit wahrt die Bundesregierung die Kontinuität hin-
sichtlich ihrer Sportberichte. Man sollte berücksichtigen,
dass es sich bei diesem Sportbericht um den Bericht der
alten Bundesregierung handelt. Sie sehen mir mit Si-
cherheit nach, wenn ich mich mehr auf die Aktivitäten
und Initiativen, die im Bereich des Sports unter der Ägi-
de der neuen Bundesregierung ergriffen worden sind,
beziehe.

Deshalb mache ich jetzt einige Bemerkungen zur
Sportsituation in Deutschland insgesamt. Ich denke,
wir können stolz darauf sein, 87 000 Sportvereine mit
sage und schreibe 27 Millionen Mitgliedern zu haben.
Das ist ein gutes Zeichen. Wenn das fort- und weiter-
entwickelt wird, ist es gut. Denn der Sport übernimmt
auf vielfältige Weise eine soziale Funktion, die für den
Zusammenhalt unserer Gesellschaft von außerordentlich
hoher Bedeutung ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang möchte ich – weil mich mei-
ne Kollegin aus dem Bundesverteidigungsministerium
darauf hingewiesen hat – einmal auf die Leistungen im
Bereich des Sports durch die Bundeswehr und – das fü-
ge ich hinzu, Frau Kollegin – durch den Bundesgrenz-
schutz aufmerksam machen. Ich denke, in diesem Be-
reich wird eine hervorragende Arbeit geleistet.

Viele Leute reden über das Ehrenamt. Vielleicht wä-
re es besser, nicht so viel über das Ehrenamt zu reden,
sondern es zu praktizieren. An dieser Stelle möchte ich
all denjenigen ein ganz herzliches Dankeschön ausspre-
chen, die ehrenamtlich in Sportorganisationen tätig sind,
insbesondere denjenigen, die sich auch heute noch für
die Arbeit im Jugendbereich des Sports zur Verfügung
stellen. Ihnen allen gebührt ein ganz besonderer Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Christian Sterzing






(A)



(B)



(C)



(D)


Die Bundesregierung hat handfeste finanzielle Entlas-
tungen geschaffen, um das Ehrenamt zu stärken.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Welche?)


– Das sage ich: beispielsweise, dass die Übungslei-
tungspauschale ab Januar dieses Jahres um 50 Prozent
von 2 400 DM auf 3 600 DM angehoben worden ist


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie einmal etwas zum 630-MarkGesetz!)


und dass zugleich der Kreis der Begünstigten über den
Kreis der Übungsleiter hinaus auf die Betreuer erweitert
worden ist. Meine Damen und Herren von der Oppositi-
on, Sie sollten mit der Kritik vorsichtig sein. Das sind
Entscheidungen, die Sie jahrelang überhaupt nicht zu-
stande bekommen haben.


(Beifall bei der SPD)

Zudem können – anders als beim bisherigen Pauschalbe-
trag – von den Einkünften, die den Steuerfreibetrag
übersteigen, entstandene Kosten wie zum Beispiel
Fahrtkosten anteilmäßig abgesetzt werden. Ich denke,
auch das muss erwähnt werden.

Heute klagen auch vielfach Vereine des Breiten-
sports, dass es immer weniger Menschen gibt, die sich
ehrenamtlich zur Verfügung stellen. Ich denke, dass das,
was auf den Weg gebracht worden ist, nämlich das ar-
beitsaufwendige so genannte Durchlaufspendenverfah-
ren über Gemeindeverwaltungen und Stadtverwaltungen
abzuschaffen, eine gute Tat für die Sportvereine ist. Jetzt
können alle gemeinnützigen Vereine, auch Sportvereine,
Geldspenden unmittelbar entgegennehmen


(Peter Dreßen [SPD]: Aber nicht schwarz! – Weiterer Zuruf von der SPD: Nur gegen Quittung!)


und Spendenquittungen selbst ausstellen. Diese Maß-
nahme baut zugleich unnötige Bürokratie ab und wird
helfen, die Vereine finanziell zu stärken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Dreßen [SPD]: Keine schwarzen Koffer!)


Auch ist es notwendig, deutlich zu machen, dass in
diesem Haushaltsjahr die Mittel für die Sportförderung
trotz schwierigster Haushaltslage erhöht worden sind,
nämlich um den Betrag von 41 Millionen DM. Die
Sportförderung hat jetzt das beachtliche Volumen von
fast 280 Millionen DM erreicht. In Anbetracht der
schwierigen Haushaltslage ist das ein sehr positives Er-
gebnis.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben eine Initiative mit dem Sonderförderpro-

gramm Goldener Plan Ost vollzogen. Ich denke, dass
gerade auch für den Sportstättenbau in den neuen Bun-
desländern damit ein guter Ansatz gewählt worden ist.
Ich könnte mir vorstellen, dass sofort kritisiert wird,
dass das finanzielle Volumen noch größer hätte sein

können. Aber mit diesen 60 Millionen DM können wir
bis zum Jahre 2002 wesentliche Impulse auch für den
Sportstättenneubau in den neuen Bundesländern geben.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, festzuhalten,
dass zwar die Länder für den Breitensport und der Bund
für den Spitzensport zuständig ist, dass man dies aber
nicht trennen kann. Ich bringe das auf den einfachen
Nenner: ohne Breite keine Spitze, ohne Spitze keine
Breite. Deswegen gehören beide Komplexe zusammen.


(Beifall bei der SPD)

Nur nebenbei möchte ich erwähnen, dass diese Bun-

desregierung mit der Zurverfügungstellung von insge-
samt 200 Millionen DM für die Sanierung des Olympia-
stadions Berlin und des Leipziger Zentralstadions einen
ganz wesentlichen Beitrag für eine vielleicht erfolgrei-
che Bewerbung für die Fußballweltmeisterschaft 2006
leisten wird. Dieses große Ereignis würde uns gut anste-
hen. Hoffentlich gelingt es, das nach Deutschland zu ho-
len.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Sportförderhaushalt 2000 gewährleistet auch,
dass Vorbereitung und Entsendung der deutschen Mann-
schaften zu den Olympischen Spielen und zu den Para-
lympics nach Sydney im vorgesehenen Umfang reali-
siert werden können. Das möchte ich hier noch einmal
festhalten.

Aber der Sport wird auch nicht umhinkönnen, sich zu
fragen, wo er sich effektiver und effizienter organisieren
kann. Ich bin dem Deutschen Sportbund sehr dankbar,
dass er sich konstruktiv an diesem Prozess beteiligt. Die
von ihm angeregte Konzentration, etwa zukünftig nur
noch einen speziell geförderten internationalen Haupt-
wettkampf in den einzelnen Sportarten pro Jahr durchzu-
führen, wirkt nicht nur finanziell entlastend, sondern
schützt auch die Athletinnen und Athleten vor den Ge-
fahren einer permanenten gesundheitlichen Überforde-
rung. Deswegen ist der Vorschlag nicht schlecht.

In solchen Maßnahmen liegt auch ein Ansatzpunkt
für konsequente Dopingbekämpfung, die zugleich
Grundvoraussetzung für staatliche Spitzenförderung ist.
In dieser Zielsetzung nämlich mit Nachdruck die huma-
ne Gestaltung des Leistungssports einzufordern, besteht
Grundkonsens zwischen allen im Deutschen Bundestag
vertretenen Parteien.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Unser Land belegt bei Dopingkontrollen weltweit ei-

nen führenden Platz. Dies hat die Jahresstatistik gezeigt,
die am 10. Februar dieses Jahres von der Anti-Doping-
Kommission von DSB und NOK vorgelegt wurde. Ins-
gesamt gab es mehr als 7 700 Dopingtests, davon 4 265
Trainingskontrollen. Die seit Bestehen des Dopingkon-
trollsystems höchste Anzahl gaben die im DSB zusam-
mengeschlossenen Verbände 1999 in Auftrag. Wenn
man über dieses Thema redet, ist festzuhalten, dass le-
diglich 39 dieser Tests aus Wettkampf und Training po-
sitiv waren; das sind – um einmal die Relation deutlich
zu machen – 0,5 Prozent. Es ist ein gutes Zeichen, dass

Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper






(A)



(B)



(C)



(D)


trotz vermehrter Trainingskontrollen die Zahl positiv ge-
testeter Sportler nicht gestiegen ist.

Intensivere Trainingskontrollen und verfeinerte Ana-
lysemethoden haben wohl zur verstärkten Abschreckung
geführt. Diese Entwicklung ist maßgeblich durch die Po-
litik der Bundesregierung mitbestimmt worden. So wur-
den 1999 die Bundesmittel für die beiden deutschen Do-
pingkontrolllabore und für die Dopingforschung um
400 000 DM aufgestockt, nachdem wir den noch von
der alten Bundesregierung hierfür zunächst vorgesehe-
nen Ansatz bereits um 100 000 DM erhöht hatten. Allein
in den Jahren 1999 und 2000 wird rund 1 Million DM
für Forschungen auf den Gebieten Wachstumshormone
und EPO bereitgestellt werden. Dies unterstreicht die
Entschlossenheit der Bundesregierung im Kampf gegen
Doping.

Mit dem Deutschen Sportbund und dem Nationalen
Olympischen Komitee weiß ich mich auch darin einig,
dass die gemeinsame Anti-Doping-Kommission von
DSB und NOK möglichst rasch zu einer eigenständigen
nationalen Anti-Doping-Agentur fortentwickelt wird.
Wichtig ist eine Zusammenführung des Sachverstandes,
wenn es darum geht, konkreten Anhaltspunkten für eine
Beteiligung des Athletenumfeldes an Dopingverstößen
nachzugehen. Die Einrichtung einer Schwerpunktstaats-
anwaltschaft ist dabei ein aus meiner Sicht Erfolg ver-
sprechender Ansatz.

Die Bundesregierung bekennt sich nachdrücklich zur
Förderung des Leistungssports der Behinderten, de-
ren Leistungen nicht nur Anerkennung, sondern auch ei-
ne angemessene Darstellung in den Medien verdienen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Behinderung ist nicht gleichbedeutend mit Leistungs-
minderung. Behindertensport trägt viel zu einer huma-
nen Gesellschaft bei. Deswegen verdient er unsere Un-
terstützung.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Klaus Kinkel [F.D.P.] – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Aber auch der Behindertenmassensport!)


Ein besonderes Anliegen ist in diesem Zusammen-
hang die Berichterstattung über den Behindertensport.
Gerade mit Blick auf die Berichterstattung über die Pa-
ralympics in Sydney im Oktober dieses Jahres appelliere
ich auch von dieser Stelle noch einmal eindringlich an
die Medien, den Behindertensport in Zukunft stärker zu
berücksichtigen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Hoffentlich hören sie es auch!)


– Sie können ja dazu beitragen, dass das erhört wird. Ich
bin sicher – das wird dann auch dem Breitensport der
Behinderten dienlich sein –, dass das Interesse durch ei-
ne verstärkte Darstellung in den Medien weiter steigen
wird, wenn beispielsweise von Sydney in den Fernseh-
programmen breit berichtet wird.

Mit der Fußballeuropameisterschaft steht uns in
diesem Jahr ein herausragendes Sportereignis bevor. Wir
freuen uns alle und hoffen, dass die deutsche National-
mannschaft in den Niederlanden und Belgien entspre-
chend gut abschneidet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Klaus Kinkel [F.D.P.])


Damit diese Europameisterschaft auch ein schönes,
großes und friedliches Fußballfest werden kann, bei dem
Spieler und Zuschauer nicht durch Randalierer oder gar
Kriminelle gefährdet werden, wird es eine umfängliche
Zusammenarbeit der Polizeibehörden aller beteiligten
Länder über die Grenzen hinweg geben. Gestern hat
Bundesminister Otto Schily mit seinen belgischen und
niederländischen Kollegen vereinbart, dass wir zur Ver-
hinderung von Gewalt bei der Europameisterschaft 2000
sowie zur zügigen Ahndung eventueller Ausschreitun-
gen eng zusammenarbeiten werden. Dies können wir nur
gemeinsam tun und wir hoffen, dass wir erreichen, dass
für Rowdys und Hooligans bei solchen Sportereignissen
kein Platz bleibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Klaus Kinkel [F.D.P.])


Die weitere Gestaltung der Spitzensportförderung
vonseiten der Bundesregierung ist eine Aufgabe mit
großer Tragweite. Ihre Auswirkungen gehen weit über
den engeren Sportbereich hinaus. Ein Engagement zum
Wohle des Sports sollte ein über alle Parteigrenzen hin-
weg einheitliches und verbindliches Ziel sein, dem wir
uns alle verpflichtet fühlen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408716000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Riegert.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1408716100
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der 9. Sportbericht belegt mit Zah-
len und Dokumenten die Zielsetzung und Leistung der
Bundesregierung bei der Förderung des Sports, vor-
nehmlich des Spitzensports, in den Jahren 1994 bis
1997, zum Teil noch 1998.

Dieser Bericht ist eine Bilanz des Erfolges, der Zu-
verlässigkeit und der partnerschaftlichen Zusammenar-
beit mit dem Sport. Deutschland gehört zu den Top-
Nationen des Spitzensports sowohl im Bereich der nicht
behinderten als auch der behinderten Sportler. Diese er-
folgreiche Bilanz lässt sich an den Medaillenzahlen bei
den Olympischen Spielen und bei den Paralympics able-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Diese erfolgreiche Bilanz lässt sich vor allem ableiten
aus der Breite, in der Spitzensport heute in Deutschland
erfolgreich gefördert wird.

Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper






(A)



(B)



(C)



(D)


Diese erfolgreiche Bilanz ist möglich, weil der deut-
sche Spitzensport über eine hervorragende Infrastruktur
an Trainings- und Wettkampfeinrichtungen verfügt und
die sportwissenschaftliche Forschung in den vergange-
nen Jahren vorangebracht worden ist. Wir verfügen heu-
te über qualifizierte Trainer, unsere Athleten werden
sportmedizinisch und sozial gut betreut. Dies ist möglich
durch eine konsequente und verlässliche Förderung des
Spitzensports durch die früheren Bundesregierungen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Danckert [SPD]: Das ist zu einseitig!)


Der Vizepräsident des Deutschen Sportbundes traut un-
seren Athleten ein hervorragendes Abschneiden in Syd-
ney zu, weil alle Koordinaten des Spitzensportkonzepts
stimmen. Wir wünschen unseren Athleten diesen Erfolg
als Ergebnis von jahrelangem, oft entbehrungsreichem
Training.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es wäre deshalb fatal, junge Menschen durch Kür-
zung von Fördermitteln in ihrer Leistungsentwicklung
zu hemmen. Es wäre fatal, Spitzensport nur dort zu för-
dern, wo er international erfolgreich ist. Dies wäre eine
Rückkehr zur Förderpraxis des ehemaligen DDR-
Systems. Dort wurden nur die Bereiche des Spitzen-
sports gefördert, die mit wenigen Mitteln sehr effektiv
und erfolgreich waren. Die Folgen sind bekannt: Weg-
brechen der Breite des Spitzensports, Vernachlässigung
von Talenten, die nicht zu den förderfähigen Sportarten
gehörten.


(Zurufe von der PDS: Na, na, na! – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Jetzt muss ich wirklich ein bisschen lachen!)


Dies wollen wir nicht und dies hat die alte Bundesre-
gierung stets verhindert. Sie hat in den vier Jahren des
Berichtszeitraumes von 1994 bis 1997 die Förderung des
Spitzensports auf einem sehr hohen Niveau gehalten.
Die Mittel für den Spitzensport sind in diesen Jahren
nicht angehoben, aber auch nicht abgesenkt worden.
Zum ersten Mal nun werden die Mittel für die Förderung
des Spitzensports im Haushalt 2000 drastisch gekürzt.
Da hilft, Herr Staatssekretär, auch kein Gesundrechnen.

Es ist unredlich, die Kosten für die Entsendung zu
den Olympischen Spielen und zu den Paralympics in
Höhe von 9,4 Millionen DM in die Fördermittel des
Sports hineinzurechnen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Sie kürzen real die Leistungen für den Spitzensport um
8,2 Millionen DM,


(Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!)

und zwar im Bereich der Olympiastützpunkte und Bun-
desleistungszentren, für Wettkampf- und Trainingsmaß-
nahmen, für medizinische Versorgung der Spitzen-
athleten usw. Da können Sie herumrechnen, wie Sie
wollen. Ich schließe mich der Aussage des Präsidenten
des Deutschen Sportbundes an,


(Dagmar Freitag [SPD]: Das wundert uns nicht!)


der Ihre Art des Rechnens und Ihren Haushalt schlicht
und einfach eine Mogelpackung nennt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Danckert [SPD]: Das hat noch Folgen!)


In dem Berichtszeitraum 1994 bis 1997/98 hat der
deutsche Sport seine Kooperation unter Beweis gestellt,
die Fördermittel des Bundes sparsam und effizient ein-
zusetzen. Das nationale Spitzensportkonzept bewirkt ei-
ne Konzentration der Olympiastützpunkte und Leis-
tungszentren, sieht doch das Förderkonzept 2000 Förde-
rung nach Leistung vor; es setzt Qualifizierung von
Trainern voraus und betreibt gezielt Nachwuchsförde-
rung.

Diese Konzeption ist nicht zum Nulltarif zu haben,
im Gegenteil. Internationale Konkurrenz nimmt zu, im-
mer mehr Länder etablieren sich erfolgreich im Spit-
zensport. Es wird nicht gelingen, dieses international
hohe Spitzenniveau auf breiter Basis zu erhalten, wenn
die Bundesregierung die Fördermittel drastisch kürzt –
bei den Olympiastützpunkten, den Bundesleistungszent-
ren, den Trainings- und Wettkampfmaßnahmen.

Sie wollen zusätzlich die Investitionen für Sport-
stätten im Spitzensport bis zum Jahre 2003 um 60 Pro-
zent, von jetzt 68 Millionen DM auf 32 Millionen DM,
kürzen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Wie wollen Sie eigentlich noch Sportstätten für den
Spitzensport finanzieren? – Schon heute gibt es eine
Bugwelle von Verpflichtungsermächtigungen für die
nächsten Jahre, und Sie wissen ganz genau, dass der
deutsche Spitzensport die ihm jetzt gekürzten Mittel aus
dem Investitionshaushalt herausschneidet. Wie wollen
Sie in drei oder vier Jahren noch Sportstätten für den
Spitzensport fördern, wenn Sie die Mittel so drastisch
kürzen?


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Tosender Beifall!)


Wir werden – dies sagen Experten – auf Dauer keine
Sportstätten und keine Trainingseinrichtungen mit einem
solch hohen internationalen Niveau mehr haben.

Der Aktivensprecher der deutschen Sportlerinnen und
Sportler hat bei der Anhörung im Sportausschuss zum
Thema Doping deutlich gesagt, sollten Sie es nicht ge-
hört haben, können Sie es in seinem Statement nachle-
sen – :

Die sehr gute Infrastruktur des deutschen Sportes
darf nicht gefährdet werden, wenn unsere Sportler
international mithalten wollen, ohne auf illegale
Methoden, sprich: Doping, zurückgreifen zu müs-
sen.

Diese Warnung der Aktiven sollten Sie ernst nehmen.

(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das ist ja ein merkwürdiger Zusammenhang, den Sie da darstellen, Herr Riegert! Ich dachte, Sie wären ein fairer Sportler!)


Klaus Riegert






(A)



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(D)


Deshalb fordere ich Sie auf: Kürzen Sie nicht. Blei-
ben Sie bei Ihrer früheren Aussage. Jede Mark, die dem
Sport entzogen wird, muss dreifach im sozialen Bereich
zugezahlt werden. Dies haben Sie uns im Sportaus-
schuss immer wieder vorgehalten. Dies sollte für Sie
heute auch Gültigkeit besitzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Herr Minister – leider ist er vor Beginn der De-

batte gegangen; ich weiß nicht, wohin er musste –

(Dagmar Freitag [SPD]: Das muss er Ihnen auch nicht sagen!)

inszeniert sich ja gern selbst.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Zu wichtigen Geheimverhandlungen mit Ihren Leuten!)


So hat er zu Recht darauf hingewiesen, dass die Einheit
im Sport hervorragend und beispielhaft gelungen sei.
Nur, der Herr Minister schmückt sich mit fremden Fe-
dern. Er hat dazu nichts, aber auch gar nichts beigetra-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der F.D.P.: Leider wahr! – Dr. Peter Danckert [SPD]: Das ist ja die Unwahrheit! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie wissen, dass das nicht stimmt!)


Mit 665 Millionen DM hat die Bundesregierung bis
1998 den Aus- und Neubau von Spitzensporteinrichtun-
gen in den neuen Ländern gefördert. Wo sind Ihre Mittel
für die zusätzliche Förderung des Spitzensports?


(Dagmar Freitag [SPD]: Immer noch nichts verstanden, Herr Riegert!)


Sie gefährden durch Ihre Haushaltspolitik diese Leistun-
gen.

Zu Beginn seiner Tätigkeit hat sich der Minister in
Dopingaktionismus und in geradezu hysterischer Über-
bewertung von Einzelfällen geübt.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Jetzt verliert er jede Balance! Es ist ja nicht mehr auszuhalten!)


Manchmal hatte man den Eindruck, als wimmle es in
seinen Vorstellungen geradezu von gedopten Sportlern.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Aber ein bisschen gedopt sind Sie auch, nicht?)


Diese Aufregung hätte er sich sparen können. Er hat in
Sachen Doping ein gut bestelltes Haus vorgefunden.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ja? Wer hat denn dort vorher „gekanthert“?)


Wir haben das Arzneimittelgesetz geändert. Er will oder
wollte – man weiß es nicht genau – ein eigenständiges
Antidopinggesetz, wir nicht. Die Sachverständigen ge-
ben uns Recht. Das deutsche Dopingkontrollsystem
funktioniert sehr gut. Der Herr Staatssekretär hat es auch
ausgeführt. Es arbeitet effektiv und die Abschreckung
funktioniert. Von 7 726 Kontrollen – Wettkampf und
Training – waren 39 positiv, davon 14 in einer Kraft-
sportart. Dies sind weniger als 0,5 Prozent der unter-

suchten Proben. Das ist erfolgreiche Prävention und Do-
pingbekämpfung und ein Verdienst der alten Bundesre-
gierung.


(Zuruf von der SPD: Da müssten wir Ihnen aber auf die Sprünge helfen!)


Der Leiter des Dopingkontrolllabors in Köln warnt
vor einer Dopinghysterie und gibt Ihnen, Herr Minister
und Herr Staatssekretär, Hausaufgaben auf.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Alle kommen mit Hausaufgaben! Das hatten wir schon!)


Wir brauchen eine kontinuierliche Erhöhung der Zahl
unangemeldeter Trainingskontrollen von 4 000 auf
6 000, um auch die C- und D-Kader im Nachwuchs-
bereich stärker zu erfassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir brauchen eine unabhängige Antidopingagentur.
Stellen Sie hierfür Mittel bereit!


(Zuruf von CDU/CSU: Jawohl!)

Wir brauchen auch mehr Mittel für Dopingforschung
und -analytik.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Sie können doch die Mittel von Herrn Kanther in der Schweiz benutzen!)


Sie dagegen kürzen die Mittel.
Ihre Behauptung, Sie gäben mehr Mittel für die Do-

pingbekämpfung aus, wird durch die Zahlen des Haus-
haltes widerlegt. 1998 gab die Bundesregierung für die
Förderung der sportwissenschaftlichen Forschung und
die Durchführung der Dopinganalytik 5,86 Milli-
onen DM aus. 1999 waren es noch 5,094 Millionen DM.
Im Jahre 2000 sind es nur noch 4,498 Millionen DM.
Sie haben diesen Bereich von 1998 bis 2000 um rund
12 Prozent gekürzt. Das sind über 600 000 DM. In wel-
chen Bereichen der Forschung wollen Sie sonst kürzen,
wenn nicht im Dopingbereich, etwa bei der Forschung
im Bereich des Behindertensports? Sagen Sie uns das!
Das würde uns interessieren.

Ihre Aktivitäten in Sachen Doping beschränken sich
auf Drohgebärden: Dies geht vom Entzug der Fördermit-
tel über Verschärfung der Gesetze,


(Zuruf von SPD: Das war sehr richtig so!)

über den juristischen Flop mit der Androhung einer
Mindeststrafe von zwei Jahren bei Ersttätern bis hin zum
Olympiaboykott. Aber Drohgebärden ersetzen keine
Sachpolitik. Wir, aber vor allem der Sport, erwarten von
Ihnen sachliche, konstruktive und kontinuierliche Ar-
beit. Aber die ist beim besten Willen nicht zu erkennen.
Wenn Sie in Sachen Doping hohe Anforderungen an an-
dere stellen, dann müssen Sie auch die erforderlichen
Haushaltsmittel bereitstellen. Diese verweigern Sie. Wir,
die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, fordern ein For-
schungsprogramm zur Dopingbekämpfung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Klaus Riegert






(A)



(B)



(C)



(D)


Auch im Bereich des Behindertensports müssen Sie
sich an den Leistungen der Vorgängerregierung messen
lassen. In den letzten Jahren haben sich die Leistungen
im Bereich des Behindertensports geradezu explo-
sionsartig entwickelt. Immer mehr Nationen schicken
Athleten zu den Paralympischen Spielen. Es wird des-
halb zukünftig von herausragender Bedeutung sein, den
behinderten Sportlerinnen und Sportlern die gesamte
Infrastruktur des Spitzensports zur Verfügung zu stellen.
Dies sind wir den Behinderten schuldig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Hättet ihr doch längst machen können!)


Behinderte müssen kurze Wege zu den Trainings-
und Wettkampfeinrichtungen haben. Darauf sind sie
mehr angewiesen als andere Sportler. Tägliches Training
ist auch bei unseren behinderten Spitzensportlern zu-
künftig gefragt, damit sie international konkurrenzfähig
bleiben können.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Was haben Sie denn bis 1998 gemacht?)


– Hören Sie bitte zu! Ich bin gerade dabei, dies zu erklä-
ren.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Ja, sagen Sie einmal, was Sie bis 1998 gemacht haben!)


Lesen Sie den Sportbericht! Dort steht, dass wir den be-
hindertengerechten Ausbau und Zugang zu den Einrich-
tungen des Spitzensports auf den Weg gebracht haben.
Setzen Sie diesen erfolgreichen Weg fort


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Werden Sie an der Stelle doch einmal konkret!)


und kürzen Sie nicht willkürlich bei Olympiastützpunk-
ten und Leistungszentren!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir wollen, dass den behinderten Leistungssportlern das
gesamte Leistungsangebot der Olympiastützpunkte und
Leistungszentren zur Verfügung steht.
Sie verhindern dies durch Ihre Kürzungen.

Ziehen wir das Fazit des 9. Sportberichts für die Jahre
von 1994 bis 1998: hervorragende Leistungsbilanz für
den deutschen Sport, Kontinuität und partnerschaftliche
Zusammenarbeit mit dem deutschen Sport. Trotz ange-
spannter Haushaltslage hat der Spitzensport bei der al-
ten Bundesregierung einen hohen Stellenwert gehabt.


(Zuruf von der SPD: Alles auf Pump!)

Spitzenleistungen – auch im Sport – sind kein Selbst-

zweck. Spitzenleistungen sind Voraussetzungen für eine
gesunde Breite und umgekehrt. Deshalb sind die Mittel
für den Spitzensport nicht gekürzt worden. In der Be-
wertung von Leistungen für unsere Gesellschaft liegt der
wesentliche Unterschied zu der neuen Regierung. Spit-
zensport und damit Spitzenleistungen scheinen für Sie
Luxus zu sein, bei dem man ruhig sparen kann. In die-
sem Sinne äußerte sich der sportpolitische Sprecher der
Grünen im Sportausschuss des Bundestages.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das ist doch abenteuerlich!)


Dementsprechend ist Ihre Bilanz: Unzuverlässigkeit,
drastische Kürzungen im Spitzensport und Unklarheit.

Trotz aller Differenzen, die es naturgemäß gibt, sind
wir zu einer fairen und konstruktiven Zusammenarbeit
bereit. Wir werden Sie daran messen, ob Sie dem Sport
die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen. Wir
werden Sie daran messen, ob Sie alle Voraussetzungen
für Sportlerinnen und Sportler aufrechterhalten, eine fai-
re Chance im internationalen Wettbewerb zu haben. Wir
werden Sie auch daran messen, ob Sie Talente in der
ganzen Breite des Spitzensports fördern.

Noch ein Wort zum Minister. Das Vorwort des
9. Sportberichtes strotzt vor vollmundigen Ankündigun-
gen, die ein sportpolitisch neues Zeitalter prophezeien.
Leider können wir nicht erkennen, wer hier so tönt. Wir
nehmen aber an, dass es der Herr Minister ist, der dahin-
ter steckt. Wenn das so ist, dann soll er sich dazu beken-
nen, dass er der Sportminister dieses Landes sein soll.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Er ist jedenfalls besser als Kanther!)


Mir stellt sich oft die Frage: Haben wir überhaupt ei-
nen Sportminister? Seine Abwesenheit heute spricht ei-
ne deutliche Sprache.


(Ingrid Holzhüter [SPD]: Er ist aber nicht in Liechtenstein!)


Herr Staatssekretär, richten Sie bitte Herrn Schily
aus, er solle das Vorwort des Sportberichtes unterschrei-
ben, er solle sein Konterfei dem Bericht hinzufügen und
diesen Bericht als Broschüre herausgeben. Auch alle
seine Vorgänger haben dies bei einem Regierungswech-
sel so gehalten. Wir versichern Ihnen: Sein Vorwort und
sein Konterfei interessieren nicht; doch der Bericht ist
für Sportinteressierte sehr interessant.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Wir sprechen uns beim 10. Sportbericht wieder!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408716200
Jetzt hat der
Abgeordnete Winfried Hermann das Wort.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408716300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Liebe Sportfreunde, liebe Sportfreundinnen!


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht in die Kniebeuge!)


Kollege Riegert, sehen Sie es etwas lockerer und
nicht ganz so verbiestert, wenn Sie über Sport reden.
Behalten Sie ein bisschen die Lockerheit, die Freiheit
und die Leichtigkeit des Sports auch in Ihren Reden; das
würde die Sache auch in der Debatte etwas einfacher
machen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Klaus Riegert






(A)



(B)



(C)



(D)


Ich möchte meine Rede gern mit einer kleinen per-
sönlichen Anekdote beginnen. Als ich – Sie verzeihen
mir, dass ich so persönlich werde – vor 15 Jahren zum
ersten Mal in einem deutschen Landtag, nämlich in dem
von Baden-Württemberg, zur Sportpolitik gesprochen
habe, bin ich mit Rollschuhen angereist.


(Dr. Klaus Kinkel [F.D.P.]: Warum heute nicht?)


Danach bin ich häufig auch mit dem Rad gekommen.
Damals waren Rollschuhe die totale Sensation und

das Rad war wie eine Provokation. Heute kommen aus-
gewachsene Abgeordnete – übrigens aus Ihrer Frak-
tion – auf Tretrollern. Ich sage das nicht, um die Kollegen
lächerlich zu machen; vielmehr ist das heute sozusagen
Zeitgeist. An schönen Tagen gibt es heute schon
Schwierigkeiten, einen Fahrradparkplatz zu bekommen,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heute gibt es welche!)


weil so viele Abgeordnete, sogar ehemalige Minister
und Noch-Minister, Rad fahren.

Warum erzähle ich das? Es ist zum einen Ausdruck
dafür, dass die politische Klasse, die vor 15 Jahren eher
dickbäuchig-männlich war, heute eher sportiv ist und
selbst ein ganz anderes Leben als damals lebt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einige!)


Sportpolitiker sind tatsächlich auch aktive Sportler.
Das ist gut so. Es ist aber auch ein Stück weit Ausdruck
einer Veränderung der gesamten Gesellschaft. Heute ist
Sport weit mehr Teil des Alltags. Der Sport ist weit
mehr in die Breite der Gesellschaft gegangen. Sport ist
nicht nur Sport in der Sportstätte; vielmehr ist Sport tat-
sächlich auch sportives Handeln im Alltag.

Der Sportbericht selber ist, wie ich meine, ein schö-
ner Spiegel der ganzen Vielfalt des Sports in unserer
Gesellschaft während der letzten Jahre. Er ist hinsicht-
lich der aufgezeigten Facetten durchaus interessant. Es
wird deutlich, dass Sport auch im Sportverein nicht nur
der „kleine Hochleistungssport“ ist, sondern auch eine
ganz eigene Sport-, Spiel- und Bewegungskultur, die ei-
nen eigenständigen Charakter hat. Insofern widerspreche
ich übrigens auch den beiden Vorrednern. Für mich ist
der Breitensport nicht nur der untere Teil des Hochleis-
tungssports, sondern stellt eine eigenständige Bewe-
gungskultur in der Gesellschaft dar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sportpolitik muss von daher breiter gedacht werden,
sie kann sich nicht nur auf herkömmliche Sportförde-
rung und insbesondere auf Spitzensportförderung kon-
zentrieren. Trotzdem ist und bleibt diese wichtig. Da
Sie, Kollege Riegert, ja immer wieder gerne meinen
Ausspruch zum Spitzensport zitieren, sage ich es gerne
auch an dieser Stelle: Wir haben ein sehr gut ausgestat-
tetes System. Es ist das System eines reichen Landes,
das sich ein gutes bis luxuriöses Sportleistungssystem
leistet. Dafür müssen wir uns nicht schämen. Aber diese

Gesellschaft braucht das eigentlich nicht unbedingt,
sondern sie leistet es sich. Das halte aber auch ich für
gut.

Wenn wir uns den Sportbericht anschauen, finden wir
eine sehr beeindruckende Darstellung dessen, was Sie in
Ihrer Regierungszeit alles geleistet haben.


(Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wir können sagen, dass wir in der Bundesrepublik her-
vorragende Trainingsmöglichkeiten und fachlich sehr
gut qualifizierte Trainer sowie hervorragende Olympia-
stützpunkte und Leistungszentren zur Sportförderung
haben. Es gibt auch eine exzellente Förderung des
Sports im Rahmen der Bundeswehr und des Bundes-
grenzschutzes, wodurch es gelingt, einerseits berufliche
Qualifizierung und andererseits Förderung sportlicher
Leistung miteinander zu verbinden. All das verdient An-
erkennung. Sie haben uns in dieser Hinsicht durchaus
ein gut bestelltes Haus hinterlassen. Wir werden das
aber auch weiterführen.

Sie brauchen jetzt nicht anzufangen, über das zu
jammern, was wir alles kaputtmachten – das tun Sie ja
schon die ganze Zeit im Sportausschuss –, sondern
schauen Sie sich doch einmal die Haushalte der letzten
zwei Jahre an: von wegen „alles gestrichen“. Auch wenn
wir in allen Bereichen sparen mussten, haben wir die
Sportförderung auf höchstem Niveau erhalten und haben
für die Olympischen Spiele sogar eins drauflegen kön-
nen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir werden weiterhin alles tun, damit wir in diesem Be-
reich Spitze bleiben. Es kann aber durchaus sein, dass
man da und dort im Sportsystem nachschaut, ob alles
wirklich effizient ist oder ob nicht da und dort zu viel
nebeneinander und parallel gearbeitet wird und Geld he-
rausgeht, das man sparen könnte. Auch das muss mög-
lich sein.

Ein nächster Punkt, bei dem in den letzten Jahren
wirklich Vorbildliches geleistet wurde, ist der Behin-
dertensport. Es wurde viel für den Behindertensport
und den Leistungssport von Behinderten getan. Ich finde
es ausgezeichnet, dass wir es geschafft haben, nicht mit
zweierlei Maß zu messen, sondern beide Bereiche nach
denselben Kriterien zu fördern. Das ist ein Gebot der
Fairness und gute Politik. Diese Politik werden wir fort-
setzen.

Ich habe bei der Anhörung zum Behindertensport ge-
lernt, dass man in diesem Bereich durchaus auch noch
etwas verbessern kann, etwa den Transfer. Sehr beein-
druckt hat mich, dass zwischen dem Hochleistungssport
von Behinderten und dem von Nichtbehinderten ein re-
ger Austausch in den Zentren besteht und dass zum Teil
in den technisch-wissenschaftlichen Abteilungen dieser
Zentren Prothesen entwickelt werden, die auch für den
alltäglichen Breitensport von Behinderten taugen. Ich
würde mir wünschen, dass hier ein Transfer in die Ge-
sellschaft hin zu den Behinderten stattfindet, die Brei-
tensport betreiben.

Winfried Hermann






(A)



(B)



(C)



(D)


Ich komme nun zu einem Bereich, der mir große Sor-
gen bereitet. Ich finde, dass man in dieser Frage nicht so
polemisieren darf, wie Sie es, Herr Riegert, getan haben.
Wir sollten darüber gemeinsam weiter nachdenken. Ich
rede von Doping. Doping ist


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Körperverletzung!)


nach wie vor trotz der geringen Zahlen, die wir bei Pro-
ben finden, neben der totalen Kommerzialisierung des
Sports die größte Bedrohung des Sports überhaupt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das gilt nicht nur, weil Doping eine Gefahr für Leib und
Leben mit sich bringt und wir auch immer wieder fest-
stellen müssen, dass Sportler in jungen Jahren aufgrund
von Dopingmissbrauch plötzlich sterben oder schwer
erkranken, sondern auch, weil durch solche Manipulati-
onen des Körpers das Leitbild des Sports, nämlich Fair-
ness und fairer Wettkampf, im Grunde genommen ad
absurdum geführt wird. Dem fairen Wettkampf wird so-
zusagen faktisch die Manipulation entgegengestellt.
Dem Leitbild des Sportes, Gesundheit zu schaffen, wird
die Maxime entgegengesetzt: Es ist völlig egal, was mit
dem Körper geschieht, Hauptsache gewonnen. Das ist
die völlige Untergrabung des sportlichen Ideals und in-
sofern eine schwerwiegende Bedrohung des Sports.

Wir dürfen nicht müde werden, Doping mit allen uns
zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen und tat-
sächlich ernsthaft zu suchen, wo das bisherige System
Lücken hat und wo es verbessert werden muss.

Lange Zeit hieß es: Doping ist wie eine Hydra; wenn
man ein Mittel verbietet, kommt ein anderes zum Vor-
schein. Daraus hat sich eine fatale Haltung – bisweilen
auch in der Politik – abgeleitet. Man hat gesagt: Da kann
man sowieso nichts machen; das gehört halt irgendwie
zum Leistungssport.

Ich bin froh, dass es hier in den letzten Jahren zu ei-
nem völligen Umdenken gekommen ist. Heute sagt im
Sportausschuss kein Mensch mehr so etwas. Auch in
den Medien herrscht eine ganz andere Grundstimmung.
Die Politik, die Wissenschaft, die Medien, aber auch der
Sport selber sagen: Wir müssen dieses Dopingelend ge-
meinsam mit allen Mitteln bekämpfen. – Das ist meines
Erachtens die einzige Chance, zu verhindern, dass aus
dem Sport ein Festival der chemiegesteuerten Giganten
wird. Das wäre fatal.

Ich möchte übrigens ausdrücklich dem Innen-
minister – ich hätte es ihm gerne persönlich gesagt – da-
für Dank sagen, dass er den Mut gehabt hat, die Laisser-
faire-Haltung der alten Innenminister nicht weiter zu
pflegen, sondern zu sagen: Dort, wo der Sport versagt,
dort, wo auch aus dem Sport selber Stimmen kommen,
die den Staat, der den Sport fördert und unterstützt, um
Hilfe bitten, greifen wir ein, ohne die Autonomie des
Sports zu gefährden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich meine, der Sport hat in der Politik durchaus einen
guten Partner. Wir in der Politik haben auch eine eigen-
ständige Verantwortung.

In der Anhörung ist deutlich geworden: Der Kampf
gegen Doping ist schwierig, aber nicht aussichtslos. Mit
einem konsequenten Kontrollsystem im Training ist
viel zu machen. – Herr Riegert, ich kann Ihnen versi-
chern: Es wird da keine Kürzungen geben. Im Gegenteil
werden wir dafür sorgen, dass dieses System eher ver-
bessert als verschlechtert wird.

Die Anhörung hat auch deutlich gemacht, dass wir
weiter arbeiten müssen. In der Exekutive bestehen of-
fensichtliche Lücken. Zollpolizei und Staatsanwaltschaft
erfahren eher zufällig vom Schmuggel von Dopingmit-
teln. Sie erinnern sich vielleicht an die Beispiele, die da
genannt wurden: Hunderttausende Medikamenten-
packungen wurden in wenigen Taschen über die Gren-
zen transportiert.

Neu ist – jedenfalls wird es von der Öffentlichkeit als
neu wahrgenommen –, dass diese Dopingmittel nicht al-
leine im Spitzensport Verwendung finden, sondern zu-
nehmend auch im Breitensport, in den Fitnessstudios.
Man hat ausgerechnet – ich habe mir heute eine neuere
Untersuchung aus Lübeck angeschaut –, dass vermutlich
an die 300 000 Menschen regelmäßig ihren Körper in
Fitnessstudios anabolisch behandeln. Diesen Punkt müs-
sen wir unbedingt in den Fokus unserer Bemühungen
nehmen. Ich glaube, die bisherigen gesetzlichen Rege-
lungen reichen hier nicht aus. Wir werden noch abwar-
ten und schauen, was die Verbesserung im Arzneimit-
telgesetz bringt. Aber ich persönlich glaube, dass das
Gesetzeswerk, das wir jetzt haben, nicht ausreicht und
dass wir erstens eine nationale Antidopingagentur und
zweitens eine gesetzliche Grundlage dafür brauchen,
auch und nicht zuletzt um das Doping im Breitensport
zu bekämpfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P.)


Ich komme nun zu einem ganz anderen Bereich, zum
Breitensport, dem wir uns im Koalitionsvertrag ver-
pflichtet haben. Sie haben das sehr aufmerksam verfolgt:
Wir haben uns im Koalitionsvertrag verpflichtet, neben
dem Spitzensport zukünftig auch den Breitensport stär-
ker zu fördern, ihn gewissermaßen gleichartig zu behan-
deln. Damit tragen wir der Tatsache Rechnung, dass der
Sport sich verändert hat und nicht nur der Spitzensport,
sondern gerade auch der Breitensport für uns als Ge-
setzgeber interessant ist.

Es muss uns interessieren, was im Bereich des Sports
im Sinne von Gesundheitsförderung geschieht. Es muss
uns interessieren, wie Sport Lebensstile prägt und ent-
wickelt. Das ist auch für den Nationalstaat von Bedeu-
tung, wenn wir über Entwicklungskonzepte, über
Verbrauch und Konsumverhalten oder beispielsweise
über die Gesundheitsreform nachdenken.

Insofern glaube ich nicht, dass das alte System trägt,
wonach die Kommune für den Breitensport, das Land
für den Schulsport und der Bund für den Spitzensport
zuständig ist. Wir müssen da zu einer sinnvollen Ver-

Winfried Hermann






(A)



(B)



(C)



(D)


schränkung, zu einer ganzheitlichen Betrachtung auf al-
len Ebenen kommen. Wir müssen auf Bundesebene ein
neues Breitensportförderkonzept erarbeiten, in dem
wichtige Fragen geklärt werden, beispielsweise: Wie
können wir Gruppen, die ausgegrenzt sind, an den Sport
heranführen? Wie können wir etwa Senioren und Frauen
besser in den Sport eingliedern? Welche Arten von
Spiel- und Bewegungskultur müssen wir im Sinne der
Gesundheit fördern?

Damit bin ich bei einem weiteren wichtigen Punkt,
der Gesundheitspolitik. Aus unserer Sicht war es ein
Riesenschritt, dass wir es im Rahmen der Gesundheits-
reform endlich geschafft haben, § 20 des Sozialgesetz-
buches V zu korrigieren und im Rahmen dieser Ände-
rung die primäre Prävention zu fördern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der F.D.P.: Nur für sinnvolle Maßnahmen!)


– Für sinnvolle Maßnahmen der Gesundheitsprävention
und nicht zum Beispiel für einen Segeltörn.

Die alte Koalition hatte leider diese Regelung gestri-
chen. Wir haben es jetzt geschafft, pro Versicherten pro
Jahr fünf Mark dafür bereitzustellen. Das sind im ersten
halben Jahr 170 Millionen DM und im zweiten Jahr
schon 350 Millionen DM. Das ist eine Menge Geld, mit
dem sich der Sport an der Gesundheitsförderung beteili-
gen wird. Der Sport wird dadurch seinen Beitrag zur
Gesundheitsförderung leisten. Das ist gut so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Friedhelm Julius Beucher [SPD]: Das hatten die anderen gestrichen!)


Nun können Sie natürlich wieder jammern und sagen:
Gemessen an den hohen Kosten des Gesundheitssystems
ist dieser Beitrag zu gering; da haben Sie vollkommen
Recht. Aber Sie haben einst diese Regelung gestrichen.
Wir haben sie wieder eingeführt und werden dafür
kämpfen, dass dieser Beitrag systematisch erhöht wird,
weil wir wissen, dass die beste Sparpolitik für die Kran-
kenkassen eine gute Primärprävention durch Sport ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Sportpolitik im neuen Sinne muss auch neue Sicht-
weisen haben. So ist es zum Beispiel dringend notwen-
dig, dass wir darüber nachdenken, wie wir außerhalb der
Sportstätten dafür sorgen, dass Menschen zur Bewe-
gung, zur sportlichen Aktivität angeregt werden. Ich sa-
ge immer: Ein guter Sportpolitiker ist zugleich ein guter
Stadtpolitiker, ein guter Architekt; denn er muss sich
darüber Gedanken machen, wie er die Stadt, die Kom-
mune und den nahen Wohnort so gestalten kann, dass
sie spiel- und bewegungsfreundlich sind, sodass Kinder
und Menschen jeden Alters zur Bewegung angeregt wer-
den. Sie dürfen aber nicht in Gefahr sein, wenn sie zum
Beispiel mit dem Fahrrad fahren. Es müssen also Räume
geschaffen werden, in denen man sich frei, sicher und
spielerisch bewegen kann.

Das ist eine neue Qualität, von der ich glaube, dass
der Bund diesbezüglich eine Leitbildfunktion hat. Wir
müssen auf der Bundesebene beispielhaft für die Länder
und für die Kommunen wissenschaftliche Modellstudien
anstoßen und müssen Modelle fördern und unterstützen.
Dies muss beispielhaft, aber nicht flächendeckend ge-
schehen. Die Aufgabe des Bundes ist es nämlich,
beispielhaft auf Bundesebene auszuprobieren, was
andere dann nachmachen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Modellhaft in sozialer und ökologischer Hinsicht
muss etwa auch die Sanierung von Sportstätten mit gu-
ter Verkehrsanbindung durchgeführt werden. Modellhaft
müssen auch die Sportstätten in den neuen Bundeslän-
dern ausgebaut werden, von denen wir bewusst gesagt
haben: Im Zuge des Goldenen Planes Ost wollen wir
nicht einfach irgendwelche Sportstätten fördern, sondern
wir wollen auch neue sozialökologische Kriterien anle-
gen, damit nicht einfach so wie bisher weitergemacht
wird, sondern damit auch neue Gesichtspunkte berück-
sichtigt werden können.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Dann müssen Sie auch Geld dazu bereitstellen!)


– Wir haben Geld dafür bereitgestellt. Damit lösen wir
andere Investitionsströme aus. Ich denke, dass dies ein
guter Anfang ist. Wir hätten natürlich gerne mehr Geld
ausgegeben. Immerhin aber handelt es sich jetzt um
60 Millionen DM. Das ist weit mehr, als Sie uns zuge-
traut haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zum Schluss. Ich glaube, es ist klar ge-
worden, dass moderne Sportpolitik mehr sein muss als
herkömmliche Leistungssportförderpolitik. Sie muss
auch andere Felder berühren. Die Sportpolitik muss es
schaffen, dass diese Gesellschaft spiel- und bewegungs-
freundlich ist, dass beispielsweise Gebäude, in denen
sich viele Menschen aufhalten, nicht ohne Umkleideka-
binen und nicht ohne Möglichkeit zum Duschen gebaut
werden. Auch im Reichstag fehlt eine solche Möglich-
keit.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408716400
Herr Kollege,
Sie müssen zum Schluss kommen.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408716500

Hier gibt es nämlich kein Studio und keine Dusche. Wir
sollten gemeinsam dafür eintreten, dass beispielsweise
auch hier im Reichstag die Bedingungen für Bewegung
und Spiel im Alltag besser werden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Zuruf von der SPD: Ausgezeichnet! Eine exzellente Anregung!)


Winfried Hermann






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(B)



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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408716600
Jetzt spricht
der Abgeordnete Klaus Kinkel.


Dr. Klaus Kinkel (FDP):
Rede ID: ID1408716700
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Im Sportausschuss des
Deutschen Bundestages, dem anzugehören ich seit kur-
zem die Ehre habe,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besondere Ehre!)


sind wir uns in den letzten Monaten sehr oft in der
Grundaussage einig gewesen: Deutschland muss eine
große Sportnation bleiben. Das muss unser Stolz und das
muss sozusagen auch Grundlage all unserer Anstren-
gungen sein.

Der Bund ist ja nur für den Spitzensport zuständig.
Dennoch möchte ich in den zehn Minuten, die mir heute
zur Verfügung stehen, einige grundsätzliche Ausführun-
gen zu ein paar Fragen machen, die über die Zuständig-
keit des Bundes hinaus gehen, weil ich das Gefühl habe,
dass es sich der Deutsche Bundestag nicht nehmen las-
sen sollte, über die Kernfragen des Sports zu sprechen,
auch wenn er nur für die Förderung des Spitzensports
zuständig ist.

Deutschland ist und bleibt eine große und wichtige
Sportnation. Ein großes Problem – ich will hauptsäch-
lich auf Problemfälle eingehen – ist aber der Schul-
sport. Ohne guten Schulsport wird es in Deutschland
künftig keinen Leistungssport, keinen Spitzensport und
keinen Breitensport geben, und auch für den Behinder-
tensport und dort, wo wir in anderen Sportbereichen Un-
terstützung brauchen, werden wir auf den Schulsport
angewiesen sein.

Wie sieht die Situation aus? 40 Prozent unserer 12-
jährigen Schüler haben Kreislaufprobleme, 30 Prozent
haben Haltungsfehler und 20 Prozent haben Überge-
wicht. Beim Schulsport in Deutschland – das muss man
klar und deutlich sagen – liegt einfach vieles im Argen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Sehr viel!)

Deshalb drängen wir auch darauf, dass wir zu Anhörun-
gen kommen, obwohl die Kultusministerkonferenz er-
neut ein wenig bockt. Sie sollte für meine Begriffe froh
sein, dass sich der Sportausschuss des Deutschen Bun-
destages um dieses Thema kümmert.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


In Deutschland haben wir ja derzeit die Situation,
dass die Elterngeneration einer Fitnesswelle huldigt und
in die Sportstudios rennt, während es beim Schulsport an
allen Ecken und Enden hapert. Es gibt in starkem Um-
fange Unterrichtsausfall. Die dritte wöchentliche Sport-
stunde fällt weitgehend weg. In einzelnen Bundeslän-
dern ist dies besser, in anderen schlechter. Bei den
Sportlehrern ist eine Überalterung zu verzeichnen, und
es gibt eine zu freizügige Vergabe von Attesten zur Be-
freiung vom Schulsport.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Niedergang des
Schulsports in Deutschland – das wird auch bei der
Anhörung herauskommen – ist eine gesundheitspolitische

Zeitbombe. Wir werden uns noch mächtig wundern.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Der alte Spruch „Der Alte joggt, der Junge hockt“ darf
nicht mehr gelten. Das hat natürlich auch ein wenig da-
mit zu tun, dass wir unseren Kindern beim Hinüberglei-
ten von der Industrie- und Produktionsgesellschaft in die
Informations- und Wissensgesellschaft so viele andere
Dinge bieten, dass das meiste von dem, was notwendig
ist, um insgesamt zu Leistungen zu kommen, leider Got-
tes unterbleibt.

Was mich besonders bedrückt – darüber haben wir im
Ausschuss schon öfter gesprochen – ist, dass es in
Deutschland zu wenig sportbetonte Schulen gibt. Es
sind, wenn ich es richtig im Kopf habe, 31 an der Zahl,
davon 21 in den neuen Bundesländern. Das ist für ein
Land mit 82,2 Millionen Menschen ein Witz. Ich habe
kürzlich meinem Ministerpräsidenten in Baden-
Württemberg einen Brief geschrieben und habe gefragt:
Wäre es nicht gut, wenn unser Heimatland hier vorange-
hen würde?


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)

Man schämt sich fast, dass ein Land wie Baden-
Württemberg nur zwei sportbetonte Schulen hat. Wenn
man sich einmal ansieht, woher die Olympia- und die
Weltmeisterschaftskader kommen, dann stellt man fest:
Sie kommen natürlich aus den sportbetonten Schulen.
Hier sitzen einige, die dies erfahren haben und wissen,
dass wir die sportbetonten Schulen unterstützen und viel
mehr, als es bisher der Fall ist, antreiben müssen.

Nochmals: Die Kultusministerkonferenz sollte da
nicht bocken, sondern sollte auch joggen und zu uns in
den Sportausschuss des Deutschen Bundestages kom-
men.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fußballweltmeisterschaft 2006: Es wird schwierig
sein. Gerade ich als früherer Außenminister weiß das.
Aber wir sollten uns gemeinsam anstrengen, um sie
hierher zu holen.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und der CDU/CSU)


Man sollte auch sehen, was dies im Hinblick auf Werbe-
effekte bedeuten würde, welchen Image – und auch wel-
chen wirtschaftlichen Gewinn dies bringen würde. Die
Kosten, die dafür aufgewendet würden, wären gut ange-
legt.

Ich möchte auch noch einmal deutlich sagen – das
beziehe ich auch auf meine frühere Tätigkeit –: Ich habe
auf vielen Reisen erlebt, dass unsere Spitzensportler mit
weitem Abstand die besten Botschafter waren, die
Deutschland überhaupt haben kann. Insoweit bin ich vor
allem der Bundeswehr und dem Bundesgrenzschutz
dankbar, die den Spitzensport außerordentlich stark un-
terstützen. Dabei soll es auch bleiben.






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der F.D.P., der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Höhepunkt des
Sportjahres 2000 werden natürlich die Olympischen
Spiele und die Paralympics sein. Ich bin überzeugt da-
von, dass unsere Sportler dort gute Ergebnisse erzielen
werden. Darauf können wir hoffen und darauf können
wir auch stolz sein. Mich beunruhigt allerdings, dass wir
für unsere Mannschaft möglicherweise zu stark daran
festhalten, dass eine Chance auf die Endkampfteilnahme
ein strenges Nominierungskriterium ist. Sollten wir uns
als große und verhältnismäßig reiche Sportnation nicht
leisten können, bei jeder olympischen Sportart unseren
besten Sportler oder unsere beste Sportlerin zur Olympi-
ade zu schicken? Das müsste doch eigentlich möglich
sein.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)

Meine Damen und Herren, man muss natürlich auch

über die Finanzierung, über das Geld sprechen. Geld
ist bei den Olympischen Spielen leider Gottes zum Fak-
tor Nummer eins geworden. Das ist bedauerlich, es ist
aber so. Ich mache mir überhaupt große Sorgen um die
Denaturierung des Sports durch Geld. Bei vielen Sport-
arten sind auch durch Fernsehvermarktung exorbitant
hohe Summen im Spiel, so dass jede Verhältnismäßig-
keit verloren gegangen ist.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ob wir wollen oder nicht: Die Olympischen Spiele sind
nicht mehr die fröhlichen Jugendspiele, sondern es sind
teure Fernsehspiele geworden. Da muss man sich natür-
lich ein paar Gedanken machen. Zwei Gedanken will ich
hierzu kurz einführen: Könnten nicht Teile der vom IOC
durch Vermarktung der Spiele, insbesondere durch TV-
Vermarktung, erzielten Gelder auch zur Finanzierung
der Teilnehmer an Olympischen und vor allem Paralym-
pischen Spielen herangezogen werden? Ich bitte, das zu
überlegen.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Könnte die Industrie nicht etwas mehr die Olympiabetei-
ligung sponsern? Wäre es nicht möglich – das interes-
siert mich auch aufgrund meines früheren Amtes als
Justizminister sehr –, beispielsweise Patenschaften für
die Athleten aus Entwicklungsländern zu übernehmen?


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und der CDU/ CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wenn wir von der Herrschaft des Geldes im Sport re-
den, dann sind wir zwangsläufig sehr schnell beim Do-
ping. Warum? Weil die Zuschauer Höchstleistungen
erwarten und sich die Sportler selbst Höchstleistungen
zutrauen müssen, um mithalten zu können. Dann sind
wir bei der Geißel Doping. Ich nenne das „Geißel Do-
ping“. Wir müssen uns natürlich überlegen, wie wir das
in den Griff bekommen können und wie wir das Drecks-
zeug wegbekommen, mit dem sich die Sportler im

wahrsten Sinne des Wortes aufpumpen. Der Sport-
ausschuss hat hier wirklich gute Arbeit geleistet. Wir
waren in dem bekannten medizinischen Labor in Köln.
Wir haben uns auch in der Anhörung, die für meine
Begriffe sehr gut war, sehr intensiv mit dieser Frage be-
schäftigt. Als ehemaliger Justizminister bin ich für harte
Strafen. Dennoch glaube ich, dass trotzdem nur dort
gemacht werden sollten, wo sie unbedingt notwendig
sind. Was die Subsidiarität angeht, Herr Kollege, teile
ich Ihre Meinung. Es sollte bei der Autonomie des
Sports bleiben, soweit es nur geht. Wir brauchen drin-
gend eine nationale Dopingagentur. Wir brauchen natür-
lich auch europäische Vorschriften auf diesem Gebiet.
Wir sollten uns anstrengen, dass die Sanktionierung auf
eine professionelle Ebene gehoben wird, was auch ange-
sichts der hohen Verantwortung durch eventuelle Re-
gressansprüche wichtig ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Kollege aus meiner Heimat Tübingen hat darauf
hingewiesen, dass in Sportstudios und Fitnesscentern
heute schon über 20 Prozent der Männer und fast
10 Prozent der Frauen Mittel zur Leistungssteigerung
nehmen. Solange das mit dem Arzneimittelgesetz in
Einklang steht, ist das kein staatliches Problem. Es wird
aber natürlich aus anderen Gründen ein staatliches Pro-
blem. Deshalb müssen wir uns Doping im Breitensport
genau ansehen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einen
Punkt aufgreifen, der die Sportmedizin betrifft. Bei der
Aufklärung von Dopingfällen spielen die Sportmedizi-
ner eine große Rolle. Sie sind mehr als Doping-Päpste.
Die medizinische Betreuung unserer Leistungssportler
ist gut. Von der Hochleistung in der deutschen Sportme-
dizin sollte aber stärker als bisher auch die breite Öffent-
lichkeit profitieren. Das Bindeglied, das Gelenk zwi-
schen Sportmedizin und allgemeiner Medizin funktio-
niert noch nicht. Die Sportmedizin – ich schlage dies je-
denfalls vor – sollte in die Approbationsordnung der
Ärzte aufgenommen werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Als jemand, der aus einer nicht ganz kleinen Arztfamilie
stammt und zunächst selber Medizin studiert hat, rege
ich an, dass eine Facharztausbildung für Sportärzte ein-
geführt wird, weil dies heute notwendig und richtig ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Goldener Plan Ost: Hier hat die Koalition den Mund

ein wenig voll genommen. Es ist nur wenig dabei he-
rausgekommen. Natürlich kritisiere ich, wie der Kollege
Riegert, dass bei den Sportmitteln gekürzt wird. Ich
möchte das jetzt nicht mit Zahlen belegen. Ich appelliere
an die Koalition, besonders an die Kolleginnen und Kol-
legen im Sportausschuss, dass hier mehr als bisher getan
wird.
Dazu wäre einiges zu sagen.

Ich persönlich habe mich sehr für die Verankerung
des Sports in den Amsterdamer Verträgen eingesetzt.

Dr. Klaus Kinkel






(A)



(B)



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(D)


Das ist uns in dieser schwierigen Nacht nicht so gelun-
gen, wie wir es uns vorgestellt hatten. Aber ich meine
schon, dass wir alles tun sollten, damit der Sport in Zu-
kunft im europäischen Vertragswerk verankert wird.


(Beifall bei der F.D.P.)

Zum Schluss ein Wort zu einem Gebiet, von dem die

Kollegen wissen, dass es für mich wichtig ist, nämlich
zum Behindertensport: Ich bin vor allem deshalb in
den Sportausschuss gegangen, um mich in besonderer
Weise für die behinderten Sportler einzusetzen. Warum?
Wir haben 5 bis 7 Millionen Behinderte in Deutschland,
aber lediglich 250 000 bis 300 000 Behinderte, die sich
in Behindertensportvereinen betätigen.


(V o r s i t z: Vizepräsident Rudolf Seiters)

Die Zahl klingt sehr gering. Auf der anderen Seite müs-
sen wir aber sehen, dass die Tendenz immer mehr zu in-
tegrierten Sportveranstaltungen geht. Ich möchte die
Kollegen, gerade die aus dem Sportausschuss, auffor-
dern, dass sie, wenn sie um die Teilnahme an Sportver-
anstaltungen, um die Übernahme von Schirmherrschaf-
ten usw. gebeten werden, sagen: Wir kommen gern, aber
vor allem dann, wenn zum Beispiel im Tennis, in der
Leichtathletik usw. eine Behindertensportveranstaltung
integriert wird. Ich glaube, dass das ein gutes Beispiel
wäre.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Sie alle wissen, was es bedeutet, beispielsweise einen
Spastiker dazu zu bringen, dass er zusammen mit Spas-
tikern Fußball spielt. Das tut er nicht, ohne dass man
ihm die Möglichkeit dazu gibt. Sie alle wissen, was es
bedeutet, Behinderten zu helfen, in einer schwierigen Si-
tuation durch Sport über manches leichter hinwegzu-
kommen. Da muss eine gewisse Hemmschwelle über-
wunden werden. Dabei muss man helfen. Ich finde, es
ist des Schweißes der Edlen wert, dass sich unsere Ge-
sellschaft um die Behinderten, die wir haben, mehr küm-
mert. Es ist schon vieles besser geworden, vor allem
auch bei geistig Behinderten, bei denen das natürlich be-
sonders schwierig ist.

Ich habe insgesamt nicht den Eindruck, dass es bei
uns in Deutschland um die schönste Nebensache der
Welt, nämlich den Sport, schlecht steht. Das ist gut so.
Das verdanken wir vor allem den Millionen Aktiven und
Funktionären, die sich im und für den Sport engagieren.
Ein Lob auch all denen, die es wegen der Übernahme
eines Ehrenamtes verdienen, noch mehr hervorgehoben
und gewürdigt zu werden.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Politik sollte, kann und darf sich nur subsidiär, hel-
fend, ergänzend einmischen. Für politische Graben-
kämpfe bestehen im Sport nicht so viele Möglich-
keiten – zum Glück!


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408716800
Herr Kollege
Kinkel, Sie haben Ihre Redezeit schon lange überschrit-
ten.


Dr. Klaus Kinkel (FDP):
Rede ID: ID1408716900
Das ist minimal.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408717000
Nein, das ist ein
Langstreckenlauf, den Sie hier machen.


Dr. Klaus Kinkel (FDP):
Rede ID: ID1408717100
Geben Sie mir einen
zweiten Schuss Luft. Ich komme zum Schlusssatz.

Ich möchte die Diskussion des Sportberichts, der im
Wesentlichen der alten Koalition zugeschrieben wird,
zum Anlass nehmen, ein ausdrückliches Angebot zur
Zusammenarbeit im Interesse des deutschen Sports zu
machen. Ich habe in der relativ kurzen Zeit, in der ich im
Sportausschuss bin, den Eindruck gewonnen, dass je-
denfalls der Spitzensport dort nicht schlecht aufgehoben
ist. Wir sollten uns noch ein bisschen mehr um andere
Bereiche kümmern dürfen und uns nicht kleinkariert mit
der Kultusministerkonferenz herumschlagen müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408717200
Nun gebe ich das
Wort dem Kollegen Gustav-Adolf Schur für die Fraktion
der PDS.


Gustav-Adolf Schur (PDS):
Rede ID: ID1408717300
Herr Präsident! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Ein Sportbericht in einem
Parlament wie dem deutschen ist für die Sportler eigent-
lich eine gewaltige Sache, weil mit einem solchen Be-
richt zugleich die Leistung derer gewürdigt wird, die
draußen tätig sind,


(Beifall bei der PDS)

von Millionen von Sportlern, die sich dafür interessie-
ren, was sich hier im Bundestag tut. Die Ehrenamtlichen
sind genannt worden, deren Leistungen wir hier nicht
ermessen können. Deswegen hätte ich eigentlich erwar-
tet, dass sich bei diesem Punkt, bei dem es grundsätzlich
um die Gesundheit der Bevölkerung geht, mehr Abge-
ordnete im Saal befinden. Das muss ich als ehemaliger
Aktiver schon sagen. Jedenfalls möchte ich mich bei den
Abgeordneten bedanken, die anwesend sind, aber auch
bei denen, die oben auf den Zuschauertribünen zuhören.
Herzlichen Dank!


(Beifall bei der PDS)

Ein Sportbericht, selbst wenn ihn die Bundesregie-

rung schreiben ließ, bietet viele Möglichkeiten zur Dis-
kussion. Aber als ehemaliger Radrennfahrer habe ich ge-
lernt, auf kürzestem Wege möglichst schnell zum Ziel
zu kommen. Deswegen halte ich mich kurz; ich versu-
che es zumindest. Ich lasse mich auch nicht über unsere
Olympiamannschaft und den Spitzensport aus. Darum
kümmern sich unsere Spezialisten; sie brauchen kaum
Tipps, weder von der Regierung noch von Abgeordne-
ten.

Aber ich möchte einiges zum Goldenen Plan Ost sa-
gen. Zunächst rufe ich kurz in Erinnerung, dass Mitte
der 50er-Jahre die Deutsche Olympische Gesellschaft

Dr. Klaus Kinkel






(A)



(B)



(C)



(D)


eine Riesenkonzeption auf den Weg brachte, den Golde-
nen Plan für Gesundheit, Spiel und Erholung. In einem
beispielhaften Gemeinschaftswerk von Bund, Ländern
und Gemeinden wurde dieser Plan in die Tat umgesetzt.
Von 1960 bis 1975 wurden für die Verbesserung der
Sportstätteninfrastruktur 17,4 Milliarden DM aufge-
bracht. Von 1976 bis 1991 sind nochmals 20 Milliarden
DM in die Sportstätten investiert worden. Nach der
Wiedervereinigung wurde auf Initiative des Deutschen
Sportbundes für die neuen Bundesländer der Goldene
Plan Ost konzipiert und mit der Bitte um zügige Umset-
zung ohne Vorbehalte an die Politik übergeben. Eine
Wiederholung der enormen Leistungen von 1960 bis
1975 war gefordert.

Seither ist im Osten zweifelsohne viel erreicht wor-
den. Durch das Investitionsförderungsgesetz und das
Sportstättenprogramm Goldener Plan Ost der neuen
Bundesregierung sind, wie heute schon ausführlich be-
merkt wurde, bereits 1990 sichtbare Ergebnisse zu ver-
zeichnen. Aber jeder von uns weiß – die einen sagen es,
die anderen reden drum herum und noch andere ver-
schweigen es –, dass mit dem bisherigen Tempo die
schrittweise Angleichung der Lebensverhältnisse an das
Niveau der alten Länder nicht realisierbar ist.


(Beifall bei der PDS)

Alle auch noch so lobenswerten Maßnahmen sind kein
adäquater Ersatz für den eigentlichen Goldenen Plan
Ost.

Die neuen Bundesländer benötigen eine wirkungsvol-
lere Anschubfinanzierung. Zur berühmten Frage „Woher
nehmen?“ ein einfaches Rechenexempel: 15 Millionen
DM hat die Bundesregierung erstmals in den Haushalt
eingestellt. Das sind haargenau 14,4 Prozent der Kosten
eines einzigen Eurofighters, dessen Stückpreis
104,5 Millionen DM beträgt, wie wir kürzlich lesen
konnten. Da die Bundesregierung 180 dieser Todesengel
anschaffen will, betragen die Ausgaben für das Sport-
stättenprogramm Goldener Plan Ost also 0,08 Prozent
der Ausgaben für die Eurofighter. Ich denke, ein Kom-
mentar ist hier überflüssig.


(Beifall bei der PDS)

Zu meinem zweiten Anliegen: Am 30. September

machte ich hier an dieser Stelle einige Ausführungen
über Defizite in der sportlichen Ausbildung an unse-
ren Schulen und wiederholte die Beschreibung dieser
Mängel im Dezember anlässlich des 30-jährigen Beste-
hens des Sportausschusses. Als wir den Saal verließen,

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1408717400

Herr Schur, der Schulsport ist nicht Ihre Sache. Er woll-
te mich wohl aufklären, dass Schulsport Ländersache
sei. Um ehrlich zu sein, das wusste ich.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS)

Aber damit darf und werde ich mich nicht zufrieden ge-
ben. Ich sage auch, warum: Der Schulsport erreicht als
einzige Form des Sports grundsätzlich alle Kinder und
Jugendlichen. In ihm verwirklicht sich vordergründig
das sozialpolitische Ziel „Sport für alle“. In der Schule
wird das Fundament für sportliche Begeisterung oder
sportliche Antipathie gelegt. Ich verstehe es als unsere

moralische Pflicht, den Schulsport zu unserer Sache zu
machen.


(Beifall bei der PDS)

Offene Ohren dafür gibt es in allen Ländern und Kom-
munen.

Der sportpolitische Sprecher der bayerischen SPD-
Landtagsfraktion, Wilhelm Leichtle, sagte auf einer Ta-
gung am 25. Januar, dass, obwohl der Schulsport als Be-
standteil der bayerischen Gemeindeordnung eine staatli-
che Aufgabe darstellt, der Schulsport in Bayern faktisch
am Ende sei, und bezog darin aus seinem Wissen das
Saarland ein. Die dritte Sportstunde ist selbst im „Länd-
le“ weggefallen und in mehreren Ländern nicht einmal
mehr Planansatz. Der Karlsruher Sportwissenschaftler
Professor Dr. Klaus Bös warnt vor einer gesellschaftli-
chen Zeitbombe. Er führt an, dass Kinder, die zu wenig
Bewegung haben und sich nicht ausreichend spielerisch
und sportlich betätigen können, später gesundheitliche
Probleme bekommen. Nüchtern formuliert: Deutschland
wird krank. Der Freiburger Professor Aloys Berg – Kol-
lege Kinkel, hier haben wir dieselben Veröffentlichun-
gen studiert – wies in Untersuchungen nach, dass
40 Prozent der zwölfjährigen Kinder bereits Kreislauf-
probleme haben, jedes dritte Kind Haltungsfehler auf-
weist, jedes zweite Muskelschwächen hat und jedes
fünfte Kind übergewichtig ist. Weitere Negativerfahrun-
gen: Viele Ärzte sind zu großzügig bei Attesten zur Be-
freiung vom Sportunterricht. Zunehmende Überalterung
der Sportlehrer signalisiert mit Deutlichkeit, dass sie den
gestellten Anforderungen eines modernen Sportunter-
richts nicht mehr gewachsen sind.

Zu allem Übel führt der Sportwissenschaftler der FU
Berlin, Dr. Kuhlmann, aus, dass die Freie Universität
nach 50 Jahren ihres Bestehens beschlossen hat, sämtli-
che Studiengänge ihres Instituts für Sportwissenschaft
spätestens im Jahr 2001 auslaufen zu lassen.

Der Weltschulsportgipfel tagte im November bei
uns in Berlin. Die Präsidentin des Weltrates für Sport-
wissenschaft und Leibeserziehung, Frau Doll-Trepper,
stellte in Auswertung einer weltweiten Studie zum
Schulsport fest, dass die meisten Kongressteilnehmer
über den katastrophalen Stand im Schulsport, insbeson-
dere in Deutschland, nicht informiert waren. Umso mehr
ist die Berliner Agenda des Weltschulsportgipfels auch
als ein Appell an die deutsche Regierung zu verstehen.

Sehr geehrter Herr Bundesminister Schily – schade,
er ist heute nicht hier, aber das Wort gilt ihm –, beim
Schulsport geht es um die Herstellung gleichwertiger
Lebensverhältnisse im Bundesgebiet, wie in Art. 72 des
Grundgesetzes nachzulesen ist. Eine bundesgesetzliche
Regelung ist im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich.
Durch konkurrierende Gesetzgebung sollte festgeschrie-
ben werden, dass in allen allgemein bildenden Schulen
und Berufsschulen eine Mindestanzahl von drei Unter-
richtsstunden Sport in der Woche gesetzlich verankert
wird.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])


Gustav-Adolf Schur






(A)



(B)



(C)



(D)


Bis zur Realisierung des alten Traums von der täglichen
Sportstunde blieben noch genügend Freiräume. Aber der
erste Schritt von der Vision zur Gegenwartsaufgabe wä-
re getan.

Auch hier abschließend eine Bemerkung zur mögli-
chen Finanzierung. Der ehemalige Präsident des Deut-
schen Sportlehrerverbandes, Hansjörg Kofink, sagte in
einem Interview:

Die großen Krankenkassen bieten längst Fortbil-
dungen an – auch für Sportlehrer –, wie Jugendli-
che zeitgemäß, konditionell und koordinativ zu be-
lasten sind. Die Konzerne haben Angst vor der
Kostenlawine, die auf sie zurollt.

Nutzen wir das Interesse der Konzerne! Jüngstes Bei-
spiel: Telekom. 40 000 Schulen in Deutschland sollen
bis zum Jahr 2001 kostenlos mit Internetzugängen und
ISDN-Anschlüssen versorgt werden. Das Programm
kostet die Telekom jährlich circa 125 Millionen DM.

Werte Kolleginnen und Kollegen, potenzielle Partner
für die Bundesregierung hätte ich damit benannt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS und der SPD sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408717500
Ich gebe der Kolle-
gin Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion das Wort.


Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1408717600
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In diesem Jahr ist der eher seltene Fall einge-
treten, dass eine Bundesregierung einen Bericht über ei-
nen Zeitraum vorlegt, in dem sie in der Opposition war
und die Sportpolitik naturgemäß nur in beschränktem
Maße gestalten konnte. Heute sollte aber ganz sicher
nicht die Stunde sein, ausschließlich die Ergebnisse der
alten Bundesregierung zu diskutieren; denn wie vieles
andere sind diese bereits weitgehend Vergangenheit.
Dennoch lohnt sich rückblickend die eine oder andere
Anmerkung.

Meine Damen und Herren, die Förderung des Spit-
zensports – wir haben dies heute mehrfach gehört – ist
das Kernstück der Sportförderung durch das Innenminis-
terium. Aber auch andere Ressorts – ich möchte aus-
drücklich das Verteidigungsministerium nennen – tragen
in erheblichem und, wie ich finde, vorbildlichem Maße
zur Förderung des Spitzensports bei.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums sind
vorrangig die zentralen Maßnahmen zu fördern: Lehr-
gänge, Trainingsmaßnahmen, Teilnahmen an nationalen
und internationalen Wettkämpfen, Finanzierung von
Leistungs- und Olympiastützpunkten sowie Leistungs-
zentren.

Bekanntlich hat sich die Bundesregierung – dies dürf-
te Ihnen nicht entgangen sein – mit der zwingend erfor-

derlichen Konsolidierung des Haushalts ein ehrgeiziges
Ziel gesetzt. Da verwundert es schon, Herr Kollege
Riegert, wenn Sie von einer Mogelpackung im Sporthaus-
halt sprechen. Vielleicht haben Sie vergessen, dass Ihre
Sporthaushalte weitgehend auf Pump finanziert worden
sind. Wir sind dabei, den Laden in Ordnung zu bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das führt – übrigens in jedem Ressort – dazu, lieb
Gewonnenes zu überprüfen, und, wenn es notwendig ist,
möglicherweise auch dazu, Prioritäten neu zu setzen.
Wir werden diese Diskussion im engen Dialog mit dem
Deutschen Sportbund führen. Ziel unserer Bemühungen
muss und wird es sein, unseren Athletinnen und Athle-
ten bestmögliche Vorbereitungs- und Trainingsbedin-
gungen zu bieten.


(Beifall bei der SPD)

Ich bin davon überzeugt, dass uns das in Zukunft auch
gelingen wird.

Aber nicht nur der Spitzensport hat in unserer Gesell-
schaft einen unbestreitbar hohen Stellenwert. Auch die
Vielfalt des breitensportlichen Angebots hat unter
sport-, sozial- und gesundheitspolitischen Aspekten eine
nicht zu unterschätzende Bedeutung. Anders als die frü-
here Regierung hat die jetzige Koalition dieses aus-
drücklich anerkannt. Von dieser Thematik ist die Dis-
kussion um die Sportstättensituation nicht zu trennen.
Der Deutsche Sportbund hatte bereits im zweiten Jahr
nach der Wiedervereinigung den Goldenen Plan Ost
vorgelegt und die katastrophale Sportstättensituation in
den neuen Bundesländern eindrucksvoll dokumentiert.

Unter Hinweis auf die unverzichtbare Angleichung
der Lebensverhältnisse in Ost und West hatte die
SPD-Bundestagsfraktion bereits in der letzten Wahlperi-
ode die Forderung erhoben, diesen Plan zu verfolgen
und umzusetzen. Mit den verschiedensten – unter ande-
rem mit verfassungsrechtlichen – Argumenten hat die
damalige Bundesregierung die Umsetzung dieses sinn-
vollen Plans stets abgelehnt.


(Zuruf von der SPD: Das ist die Wahrheit!)

Zwar ist der Hinweis, Länder und Gemeinden in den
neuen Bundesländern hätten Gelder aus dem IFG für die
Instandsetzung und teilweise auch für den Neubau von
Sportstätten verwenden können, durchaus zutreffend.
Das ist mit Einschränkungen auch so geschehen. Der
Ehrlichkeit halber muss jedoch festgestellt werden, dass
IFG-Mittel gemäß der Protokollerklärung eben nicht für
den Sportstättenneubau eingesetzt werden dürfen. Spä-
testens seit 1997/98 – übrigens hat damals Ihr Finanz-
minister darauf hingewiesen – mussten die Gemeinden
in den neuen Ländern und auch die neuen Länder selber
den Neubau von Sportanlagen vollständig aus Eigenmit-
teln finanzieren. Was das angesichts der Situation in den
kommunalen Haushalten bedeutet, muss ich an dieser
Stelle nicht ausdrücklich beschreiben.

Wir haben unsere entsprechende Aussage in der Koa-
litionsvereinbarung umgesetzt, auch wenn wir uns – das
ist heute schon angeklungen; ich räume das an dieser

Gustav-Adolf Schur






(A)



(B)



(C)



(D)


Stelle gern ein – einen höheren Betrag als insgesamt
60 Millionen DM bis 2002 hätten vorstellen können.
Aber der Goldene Plan Ost – und an der Erkenntnis
führt kein Weg vorbei – ist und bleibt ein zusätzliches
Förderinstrument, das im Übrigen von den Kommunen
in den neuen Ländern zügig und äußerst erfolgreich ge-
nutzt worden ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die ständig verbreitete Kritik der Opposition, die
15 Millionen DM jährlich seien nur der berühmte Trop-
fen auf dem heißen Stein, ist vor dem Hintergrund ihrer
jahrelangen völligen Untätigkeit schlicht und einfach
unglaubwürdig. Ihre Bilanz beim Goldenen Plan Ost
war nichts anderes als eine Nullnummer im wahrsten
Sinne des Wortes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Luftnummer!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe
bereits kurz die Bedeutung des Sports unter gesund-
heitspolitischen Aspekten erwähnt. In diesem Zusam-
menhang darf ich Sie – Sie werden es mir nachsehen –
an das Jahr 1996 erinnern, in dem die damalige Parla-
mentsmehrheit die Regelungen in § 20 SGB V gegen al-
le Vernunft abgeschafft hat. Alle Grundlagen einer sinn-
vollen und für die Menschen nachvollziehbaren Ge-
sundheitspolitik wurden von CDU/CSU und F.D.P. da-
mals mit einem Federstrich zerstört. Insofern war es nur
folgerichtig, dass die neue Bundesregierung das SGB V
im Rahmen der Gesundheitsreform geändert hat. Künf-
tig „sollen“ – das ist im Übrigen weit mehr als „kön-
nen“ – die Krankenkassen in ihren Satzungen wieder fi-
nanzielle Leistungen zur primären Prävention vorsehen.


(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Nach meinen heutigen Informationen findet in Kürze

ein Gespräch zwischen Deutschem Sportbund und Ver-
tretern der Krankenkassen statt, in dem der Kriterienka-
talog des § 20 SGB V abschließend beraten werden soll,
um die Zusammenarbeit von GKV und dem organisier-
ten Sport zu regeln. Um es einmal sportlich auszudrü-
cken: Es ist wieder Bewegung in den § 20 SGB V ge-
kommen. Für uns Sportpolitiker ist wichtig: Die Bedeu-
tung des Sports im Bereich der Primärprävention wird
mit dieser Novelle im Interesse einer vorausschauenden,
flächendeckenden Gesundheitspolitik ausdrücklich an-
erkannt, in der die Angebote von Sportverbänden und
Sportvereinen eine ganz wichtige Funktion haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu
einem letzten Aspekt kommen. Die SPD-Bundestags-
fraktion teilt ohne jede Einschränkung die Auffassung
des Bundesministers des Innern zur Dopingbekämp-
fung. Wir begrüßen insbesondere, dass der Minister mit
vielfältigen Initiativen vor allen Dingen auf internationa-
ler Ebene neue Akzente in der Dopingbekämpfung ge-
setzt hat. Doch auch die nationale Diskussion ist frei von
jeglicher Langeweile. Im 9. Sportbericht ist nachzulesen,
dass es ein Gesetzentwurf der SPD-Fraktion aus dem

Jahre 1996 war, der zu einer öffentlichen Anhörung des
zuständigen Fachausschusses 1997 und letztendlich zur
Änderung des Arzneimittelgesetzes im Jahre 1998 führ-
te.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie die Sachverständigen anlässlich der jüngsten
Anhörung am 26. Januar 2000 feststellten, war und ist
diese Änderung des AMG ein durchaus wichtiger Bei-
trag im Rahmen der Dopingbekämpfung. Wenn ich
mich an die parlamentarische Diskussion in der letzten
Wahlperiode erinnere, insbesondere im Sportausschuss,
dann kann ich feststellen: Sie, meine Herren von CDU,
CSU und F.D.P. sahen dies damals völlig anders. Wenn
es damals nach Ihnen gegangen wäre, wäre dieses Ge-
setz nicht geändert worden.

Wie aktuelle Fälle zeigen, ist die Diskussion über
Doping noch lange nicht beendet. Im Gegenteil: Sowohl
in rechtlicher als auch in medizinischer Hinsicht sind
noch viele Fragen offen. Wir erleben es fast täglich: Es
kommen immer neue Fragen hinzu. Diesen Herausforde-
rungen werden sich Sport und Politik gemeinsam stellen
müssen. Wir von der SPD-Bundestagsfraktion sind dazu
bereit.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408717700
Zu einer Kurzinter-
vention gebe ich dem Kollegen Klaus Riegert das Wort.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1408717800
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich wollte nur kurz zu der Null-
nummer Stellung nehmen. Die Frau Kollegin Freitag hat
von Redlichkeit und Wahrhaftigkeit gesprochen,


(Dagmar Freitag [SPD]: Wir dürfen das auch!)

sie hat von Nullnummer gesprochen. Zur Redlichkeit
und Wahrhaftigkeit gehören in der Tat einige Ausfüh-
rungen zum so genannten Goldenen Plan Ost – ein
Schwabe nennt so etwas „Plänle“; denn er ist nur mit
schlaffen 15 Millionen DM jährlich ausgestattet. Der
Kollege Schur hat darauf hingewiesen, dass der Investi-
tionsbedarf etwa bei 25 Milliarden DM liegt. Man kann
sich dann ausrechnen, wie lange man bei 15 Millio-
nen DM braucht, um diesen Investitionsstau aufzulösen.

Zur Wahrhaftigkeit gehört aber auch, dass über das
Investitionsförderungsgesetz 1995 350 Millionen DM,
1996 über 400 Millionen DM und 1997 über 460 Milli-
onen DM in Sportstätten in den neuen Ländern geflos-
sen sind. Wir werden daran die Zahlen 1999 und in den
Folgejahren messen, um zu sehen, was durch das IFG
und den Goldenen Plan Ost in der Addition tatsächlich
herauskommt. Dann werden wir vergleichen und wissen,
wer mehr für die Sportstätten getan hat. Wenn weit über
1 Milliarde DM eine Nullnummer ist, dann kenne ich
mich nicht mehr aus.

Dagmar Freitag






(A)



(B)



(C)



(D)



(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist zu befürchten! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Das glauben wir!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408717900
Zu einer Erwide-
rung erhält das Wort die Kollegin Dagmar Freitag.


Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1408718000
Herr Kollege Riegert, diese
Diskussion führen wir nun nicht zum ersten Mal. Ich
bin – ich muss es einräumen – etwas erschüttert, dass
Sie das offensichtlich immer noch nicht verstanden ha-
ben. Ich will es Ihnen aber gerne zum wiederholten Ma-
le erklären.

Das Investitionsförderungsgesetz kann durch den
Goldenen Plan Ost nur ergänzt werden. Im Investitions-
förderungsgesetz sind nur Maßnahmen zur Sanierung
und Modernisierung von maroden Sportanlagen unter-
zubringen. Dass teilweise Mittel aus dem IFG über eine
gewisse Zeit auch in den Neubau geflossen sind, wissen
wir. Aber Sie wissen auch, dass das nicht der Zweckbe-
stimmung des Gesetzes entsprochen hat.

Ich wundere mich ein wenig, dass Sie von einem In-
vestitionsstau sprechen. Der müsste dann allerdings in
Ihrer Regierungszeit aufgelaufen sein. Die von uns ver-
anlassten 15 Millionen DM sind eine zusätzliche Förde-
rung über das hinaus, was das IFG bietet. Das IFG bietet
die gleichen Möglichkeiten, die es früher gegeben hat.
Das heißt, wir satteln drauf. Das ist einfach nicht zu
bestreiten. Ich weiß auch nicht, warum Sie das nicht ver-
stehen wollen.

Ich sage Ihnen noch einmal: Die 15 Millionen DM
zusätzlich in 1999 haben zu Gesamtinvestitionen in den
neuen Bundesländern von 78 Millionen DM geführt, al-
so zu weit mehr, als wir gemeinsam erwartet haben.
Wenn Sie jemals eine solche Bilanz hätten vorweisen
können, wären Sie darauf sehr stolz gewesen. Wir jeden-
falls sind es. Wir wissen, dass man sich in den neuen
Ländern über den Goldenen Plan Ost durchaus freut.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gustav-Adolf Schur [PDS])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408718100
Nun gebe ich das
Wort dem Kollegen Peter Letzgus für die CDU/CSU-
Fraktion.


Peter Letzgus (CDU):
Rede ID: ID1408718200
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Freitag, da Sie
nicht unbedingt Ausführungen zu den Ergebnissen –
sprich: Erfolgen – der Sportpolitik der alten Bundesre-
gierung machen wollten, setze ich Ihr vollstes Verständ-
nis voraus, dass ich das jetzt nachholen werde.


(Dagmar Freitag [SPD]: Wir warten mal, was noch kommt!)


Ich werde mich bei den Ausführungen allerdings auf den
Sportstättenbau in den neuen Ländern beschränken.

„Sportler sind Diplomaten im Trainingsanzug“, so
hieß es in der ehemaligen DDR. Das ist heute nicht an-
ders; der Kollege Kinkel hat darauf hingewiesen. Unsere
Sportler sind tatsächlich die besten Diplomaten, die wir
in die Welt hinausschicken können. Damals sollten die
sportlichen Erfolge vor allen Dingen dazu beitragen,
dass die DDR international Anerkennung erfährt.


(Roland Claus [PDS]: Das hat aber funktioniert!)


– Ja, das hat funktioniert. Das streite ich überhaupt nicht
ab. Es waren allerdings sehr viele Mittel recht.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Mit Doping! Mit kräftigem Doping!)


Infolgedessen hatte in der DDR der Spitzensport absolu-
te Priorität.

Der Breitensport lebte überwiegend von der Eigenini-
tiative seiner Mitglieder, und die war zum Glück recht
groß. Trotzdem – darauf ist heute schon mehrfach hin-
gewiesen worden – befand sich die Sportstättenstruk-
tur der neuen Bundesländer vor zehn Jahren in einem
desolaten Zustand. So wurde dann vom Deutschen
Sportbund der Goldene Plan Ost aufgestellt, mit einem
Investitionsbedarf von sage und schreibe rund 25 Milli-
arden DM – eine gewaltige Summe! Obwohl die alte
Bundesregierung kein spezielles Programm, also auch
keinen Goldenen Plan Ost für die Sanierung der Sport-
stätten in den neuen Bundesländern, auflegte, ging sie
doch zügig daran, den Nachholebedarf auf diesem Sek-
tor zu beseitigen.

Führen wir uns die Situation nach der Wiedervereini-
gung Deutschlands noch einmal kurz vor Augen: Bis
1993 wurden allein aus dem Sportetat des BMI mehr als
40 Prozent aller Mittel in die neuen Bundesländer trans-
feriert. Für den Bau der Olympiastützpunkte wurden
jährlich rund 10 Millionen DM bereitgestellt. Weitere
erhebliche finanzielle Mittel sicherten die Weiterbe-
schäftigung von haupt- und nebenamtlichen Trainern ab,
eine ganz wichtige Sache in der damaligen Zeit.

Für die Fortführung von FES, IAT und dem Doping-
labor Kreischa wurden die notwendigen Mittel einge-
plant und ausgegeben. Nur so – das darf, das muss man
hier eigentlich sagen – konnten diese für den Sport in
der Bundesrepublik so wichtigen Einrichtungen über-
haupt erhalten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Öffentliche Investitionen im Sportstättenbau sind

Grundvoraussetzung für den Breiten- und Spit-
zensport. Wir brauchen eine ausreichende Anzahl viel-
fältiger Sportstätten für die Grundversorgung des Brei-
tensports und wir brauchen Trainings- und Wettkampf-
möglichkeiten für den Leistungssport, für unsere Spit-
zensportler. Die Infrastruktur der Sportstätten bedarf ei-
ner ständigen Erneuerung, Sanierung und Modernisie-
rung. Die Länder sind dabei zuständig für die Brei-
tensporteinrichtungen, der Bund – dies ist unbestritten –
für den Bau und die Unterhaltung von Spitzensportein-
richtungen wie Olympiastützpunkten, Bundesleistungs-

Klaus Riegert






(A)



(B)



(C)



(D)


zentren, Bundesstützpunkten und Sportinternaten mit
bundeszentraler Funktion.

Dieser Verantwortung ist die alte Bundesregierung
gerecht geworden. Rund 270 Millionen DM hat der
Bund im Berichtszeitraum, also von 1994 bis 1997, für
Sportstätten des Spitzensports bereitgestellt. Dass die-
se Summe nicht zu üppig bemessen war, zeigen die
Verpflichtungsermächtigungen für die nächsten Jahre.
Deshalb ist das Vorhaben der jetzigen Bundesregierung,
die Investitionen bis zum Jahr 2003 von heute 68 Mil-
lionen DM auf 32 Millionen DM um beinahe 60 Prozent
zu kürzen, fast als abenteuerlich zu bezeichnen. So wer-
den die Sportstätten für unsere Spitzensportlerinnen und
Spitzensportler keine geeigneten Trainingseinrichtungen
und Wettkampfstätten mehr sein. Diese aber brauchen
sie, um im immer härter werdenden Wettkampf bestehen
zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regie-
rungskoalition: Nehmen Sie die Hinweise unserer Sport-
ler ernst. Eine hervorragende Infrastruktur ist Vorausset-
zung für Spitzensport mit legalen Mitteln. Kürzungen im
Spitzensport beschneiden diese fundamentalen Voraus-
setzungen, das heißt, sie gefährden die Trainingsstätten,
die unsere Sportler brauchen.

Bis 1997 hat die alte Bundesregierung 665 Millio-
nen DM in die Sportstätten des Spitzensports und in die
Sportinfrastruktur der neuen Länder gesteckt. Diese Inf-
rastruktur steht auch dem Breitensport zur Verfügung.
Sie hilft unter anderem dabei, Jugendliche von der Stra-
ße zu holen. Das ist eine vordringliche Aufgabe, speziell
in den neuen Bundesländern, aber nicht nur dort.

Nun zu dem Goldenen Plan, über den schon viel ge-
sagt worden ist und auf den auch Herr Kollege Riegert
schon hingewiesen hat. Insgesamt war vorgesehen,
100 Millionen DM jährlich für die Förderung von Sport-
stätten des Breitensports in die neuen Länder zu geben.
Das war allerdings vor der Bundestagswahl. Es sind er-
hebliche Hoffnungen geweckt worden, die sich jedoch
längst wieder verflüchtigt haben. Immerhin haben Sie
mit Mühe 50 Millionen DM in den Haushalt eingestellt.
Mit den von den Ländern und Kommunen aufzubrin-
genden Komplementärmitteln macht dies eine Summe
von 45 Millionen DM jährlich aus.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das war aber mehr, das wissen Sie doch!)


– Hinsichtlich der Zahlen ist zu sagen: Der eine sieht es
so und der andere sieht es anders, Frau Kollegin Freitag.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Lesen müsste man können! Das ist eine Voraussetzung! – Dr. Peter Danckert [SPD]: Zahlen sind unbestechlich! – Dagmar Freitag [SPD]: Sie kennen sich nur mit Zahlen ab 100 000 aus!)


– Herr Küster, bei Ihnen fällt mir immer ein: Kurz vor
der Küste küsste der Küster Käthe komischerweise. Ich
weiß nicht, wieso.

Der Goldene Plan des DSB sah einen Investitionsbe-
darf von 25 Milliarden DM vor. Also hätten Sie wenigs-

tens bei der Wahl des Begriffs etwas ehrlicher sein kön-
nen. Ein goldenes Zeitalter wird mit diesen 15 Mil-
lionen DM für den Sport in den neuen Bundesländern
wahrlich nicht ausbrechen.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Sie haben doch gar nichts gemacht!)


Natürlich sind 15 Millionen DM mehr als nichts, das ist
richtig.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Letzgus, der Nichtsmacher! – Dr. Peter Danckert [SPD]: Genau, das ist er!)


Wir würden das auch gern anerkennen, wenn Sie dies
nicht an anderen Stellen wieder kürzen würden.

Die alte Bundesregierung hat die neuen Länder mit
großem Erfolg ermuntert, verstärkt Mittel aus dem In-
vestitionsförderungsgesetz für Sportstätten heranzuzie-
hen. Frau Staatssekretärin Dr. Hendricks vom Bundes-
ministerium für Finanzen war so freundlich, für die Jah-
re 1995 bis 1997 die Mittel projektbezogen aufzulisten.
Wir sind somit in der Lage, genau zu sagen, in welchem
Umfang und wo etwas saniert, erneuert oder auch neu
errichtet worden ist.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das bestreitet kein Mensch!)


Kollege Riegert hat die Zahlen schon genannt. Es wa-
ren allein 1997 über 450 Millionen DM. Das heißt: Der
Bund hat in drei Jahren in den neuen Ländern Sportein-
richtungen mit rund 1,2 Milliarden DM gefördert. Hinzu
kommen über 770 Millionen DM an Komplementärmit-
teln der Länder und Kommunen. Einschließlich der Mit-
tel für den Spitzensport sind damit rund 2,65 Milliar-
den DM für Einrichtungen des Sports in die neuen Län-
der geflossen. Das ist, so glaube ich, wahrlich eine stol-
ze Summe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Interessant ist – das wurde hier auch schon gesagt –,

dass darin nicht nur Mittel für die Sanierung und den Er-
satzneubau, sondern auch für Neubauten enthalten sind.
Das waren in den letzten drei Jahren insgesamt 87 Milli-
onen DM. In Verbindung mit den Komplementärmitteln
kommt ebenso eine große Summe zusammen. Allein in
meinem Bundesland, Sachsen-Anhalt – das wird Sie,
Herr Küster, freuen –, wurden auch zwei Hallen errich-
tet, nämlich die Leichtathletikhalle in Halle an der Saale
und die Bördelandhalle in Magdeburg. In Berlin nenne
ich als Ersatzneubauten beispielhaft die Max-Schme-
ling-Halle und die Radsporthalle an der Landsberger
Allee.

Wenn Sie, die Kollegen der Koalition, in dem Jahres-
bericht 1999 der Bundesregierung zum Stand der deut-
schen Einheit beklagen, dass erst 15 Prozent der nach
dem Goldenen Plan notwendigen Investitionen realisiert
werden konnten, so frage ich: Was heißt hier an dieser
Stelle „erst“? Eigentlich müsste es doch „schon“ heißen;
denn wenn wir die von Ihnen eingestellten 15 Millionen
DM zum Maßstab nähmen, was wir natürlich alle nicht
tun wollen, dauerte die völlige Angleichung im Sport-

Peter Letzgus






(A)



(B)



(C)



(D)


stättenniveau zwischen Ost und West noch locker
150 Jahre.


(Dagmar Freitag [SPD]: Und bei Ihnen 200 Jahre!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408718300
Herr Kollege
Letzgus, ich muss Sie jetzt bitten, doch zu den letzten
Sätzen zu kommen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Warum? Ihm lässt sich gut zuhören!)



Peter Letzgus (CDU):
Rede ID: ID1408718400
Abschließend ist noch
zu sagen: Wir werden Sie an den Leistungen der ver-
gangenen Jahre messen, daran, wie viel Mittel insgesamt
in die Sportstättenförderung der neuen Ländern fließen.
Dann werden wir Bilanz ziehen und hoffentlich nicht
feststellen müssen, dass durch den Goldenen Plan Ost
Investitionen durch das Investitionsförderungsgesetz für
Sportstätten zu kurz gekommen sind. Investitionsförde-
rungsgesetz plus Goldener Plan Ost kann somit die
Formel für die Sportstättenförderung in den neuen Bun-
desländern nur heißen, und wenn wir da konform gehen,
ist das besonders nett.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1408718500
Nunmehr spricht für
die SPD-Fraktion die Kollegin Christine Lehder.


Christine Lehder (SPD):
Rede ID: ID1408718600
Herr Präsident! Sehr ge-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Von meinen Vorred-
nern wurden schon viele Bereiche aus dem 9. Sport-
bericht aufgegriffen und die sich daraus ergebende Prob-
lematik wurde ausführlich dargestellt. Ein Bereich wur-
de bisher noch gar nicht angesprochen, nämlich der Be-
reich, den das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend abzudecken hat. In dessen Verantwortungs-
bereich fällt die Förderung von Jugendsport im Rahmen
des Kinder- und Jugendplanes des Bundes, der Sport für
Frauen und Mädchen sowie der Seniorensport.

Der erste große Bereich, auf den ich eingehen möch-
te, ist der Jugendsport. Die meisten Mittel des Ministe-
riums stehen für die sportliche Jugendbildung zur Ver-
fügung. Daran ändert auch die neue Regierungskoalition
nichts.

Ein wesentliches Instrument zur Förderung des au-
ßerschulischen Jugendsports ist der Bundesjugendplan
des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen
und Jugend. In ihm sind die konzeptionellen und finan-
ziellen Möglichkeiten der Förderung der freien und öf-
fentlichen Jugendarbeit zusammengefasst. Er ist unter
anderem Finanzierungsgrundlage der Deutschen Sport-
jugend und anderer zentraler Jugendverbände sowie für
die Bundesjugendspiele.

Diese Bundesjugendspiele werden hauptsächlich
von dem Gedanken getragen, dass alle Jugendlichen
teilnehmen können, dass jeder einen Anreiz erhalten

soll, teilzunehmen, zu üben und die für ihn optimalen
Leistungen zu erzielen. Dabei werden unterschiedliche
Veranlagungen angesprochen und sie sollen auch entwi-
ckelt werden. Hierbei geht es nicht um sportliche
Höchstleistungen; vielmehr sollte jeder Schüler seine im
Unterricht erlernten Fertigkeiten erproben können.


(Beifall bei der SPD)

Im Berichtszeitraum 1994 bis 1997 wurde eine Koor-

dinationsgruppe aus Vertretern des Deutschen Leichtath-
letikverbandes, des Deutschen Turnerbundes, des Deut-
schen Schwimmvereins und der Deutschen Sportjugend
gegründet, die ein Konzept erarbeitet hat, um die Bun-
desjugendspiele neu und zeitgemäß zu gestalten. Die
Erprobung fand im Schuljahr 1998/99 statt, sodass nach
entsprechender Auswertung die neuen Bundesjugend-
spiele in die Ausschreibung für das Schuljahr 2000/2001
aufgenommen werden. Hierfür sind im Haushalt für das
Jahr 2000 jetzt zusätzlich 100 000 DM eingestellt wor-
den.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein weiteres
wichtiges Gebiet des Jugendsports sind die internationa-
len Beziehungen und der Jugendaustausch. Neben der
gemeinsamen sportlichen Betätigung können sich dabei
freundschaftliche Beziehungen entwickeln. Die Jugend-
lichen lernen so das gesellschaftliche und das kulturelle
Umfeld des jeweiligen Landes kennen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Einen besonderen Stellenwert haben hierbei das
deutsch-französische und das deutsch-polnische Jugend-
werk. Ich persönlich würde mir wünschen, dass es in
Zukunft noch mehr solcher länderübergreifender Ju-
gendwerke gibt, die das Ziel haben, Vorurteile abzu-
bauen, den Weg zur Versöhnung zu ebnen sowie gute
Nachbarschaft und das gegenseitige Kennenlernen der
jungen Menschen zu fördern.

Aus meiner Sicht kann man sagen, dass der bisher be-
schrittene Weg der Förderung des Jugendsports in die
richtige Richtung geht. Sicherlich gibt es noch einige
Felder, die der besonderen Förderung bedürfen. Aber bei
der Aufdeckung solcher bestehenden Defizite sind wir
auch auf die Zuarbeit der jeweiligen Sportverbände an-
gewiesen.

Auch wenn wir mit der Förderung der Jugend im
Rahmen der Sportpolitik relativ konform mit der alten
Bundesregierung gehen, erschreckt mich dagegen in be-
sonderem Maße die in meinen Augen verfehlte Politik
im Bereich des Seniorensports in unserem Berichtszeit-
raum von 1994 bis 1997. So sind die Ausgaben in die-
sem Bereich von 428 000 DM im Jahre 1996 über
245 000 DM im Jahre 1997 auf sage und schreibe
78 000 DM im Jahre 1998 gesunken.


(Dagmar Freitag [SPD]: Skandal!)

Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, weil man
nicht erst seit gestern weiß, dass der Anteil der älteren
Menschen an der Gesamtbevölkerung zunimmt. Wenn
man von einer zukunftsgestaltenden Politik für ältere
Mitbürger und mit der älteren Generation sprechen

Peter Letzgus






(A)



(B)



(C)



(D)


möchte, dann müssen deren Wünsche und Bedürfnisse
noch stärker berücksichtigt werden; denn nur so kann
man Bedingungen für ein sinnerfülltes und selbstständi-
ges Leben im Alter schaffen oder verbessern.

Die Mehrzahl unserer älteren Menschen ist rege, leis-
tungsfähig und vital. Seniorinnen und Senioren möchten
aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Lang ge-
hegte Wünsche, die wegen Berufstätigkeit oder Ver-
pflichtungen in der Familie zurückgestellt wurden, kön-
nen jetzt im Alter erfüllt werden. Viele Freizeitaktivitä-
ten werden in der nachberuflichen Phase erweitert oder
treten neu hinzu, auch im sportlichen Bereich. Bewe-
gung, Spiel und Sport im Alter tragen wesentlich zur
Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen bei.
Sportliche und spielerische Betätigung hilft, soziale
Kontakte zu knüpfen und einer eventuellen Vereinsa-
mung entgegenzuwirken.

Sportliche Betätigung ist jedoch nicht nur für Jung-
und Fitgebliebene von hohem Stellenwert. Auch man-
chem hilfs- und pflegebedürftigen älteren Menschen bie-
ten Spiel und Sport gewisse Möglichkeiten, Selbststän-
digkeit, Kompetenz und Lebensfreude zu erhalten.

All dies hat die alte Bundesregierung erkannt und
verweist in ihrem 8. wie auch in dem vor uns liegenden
9. Sportbericht immer wieder darauf. Nur, man muss
feststellen, dass dies keinen Niederschlag in ihrer finan-
ziellen Förderung im Bereich des Seniorensports fand.

Als im Herbst 1998 die neue Regierungskoalition ihre
Arbeit aufnahm, wurden die Ausgaben für den Senio-
rensport um 50 000 DM erhöht. Natürlich war auch das
nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Leider war zu die-
sem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Jedoch unmittelbar
im Anschluss an die parlamentarischen Beratungen hat
die SPD-Fraktion die Initiative ergriffen und den DSB
gebeten, eine eigene neue Konzeption bezüglich des Se-
niorensports vorzulegen. Dies ist durch die Mitarbeiter
des Deutschen Sportbundes zügig geschehen. Ich möch-
te an dieser Stelle ausdrücklich meinen herzlichen Dank
dafür aussprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nur dadurch war es möglich, dass die Konzeption mit
dem Ministerium abgestimmt werden konnte und
im Haushalt 2000 eine nochmalige Erhöhung um
90 000 DM eingestellt werden konnte. Man mag sich
über den relativ bescheidenen Betrag wundern. Wenn
man jedoch sieht, wie die Kampagne für den Senioren-
sport konzipiert ist und wie diese durch Eigenmittel und
engagierte Sponsoren mit finanziert wird, dann muss
man feststellen, dass hier eine positive Entwicklung be-
gonnen hat, die die alte Regierung nicht in der Lage war
in Gang zu setzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle möchte ich abschließend auch noch
auf den dritten Förderbereich des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Frauen-
und Mädchensport, eingehen. Es ist besonders hervor-

zuheben, dass im 9. Sportbericht dieser Thematik zum
ersten Mal ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Dies ist für
mich auch ein Indiz, dass die Rolle der Frau in der Ge-
sellschaft einen höheren Stellenwert bekommen hat.
Sport hat im Leben von Mädchen und Frauen verstärkt
an Bedeutung gewonnen. Die zunehmenden sportlichen
Aktivitäten von Mädchen und Frauen schlagen sich auch
deutlich in den Mitgliedszahlen des DSB nieder. Wur-
den hier 1970 noch 28 Prozent weibliche Mitglieder
verzeichnet, so bestanden 1997 bereits 38,1 Prozent
weibliche Mitgliedschaften. Aber diese erfreuliche Ent-
wicklung hat sich leider nicht in der Besetzung von Vor-
ständen und Präsidien niedergeschlagen.
Dort sind Frauen nämlich nur zu circa 15 Prozent vertre-
ten. Daran hat sich bis heute bedauerlicherweise nicht
viel geändert. Es stellt uns vor die besondere
Herausforderung, diesen Missstand zu beheben.

Ein besonderes Anliegen der alten und der neuen Re-
gierung war und ist es, verstärkt den frauen- und mäd-
chenpolitischen Interessen im Sport Rechnung zu tragen.
Dies wird besonders an der Entwicklung mädchen- und
frauengerechter Trainingsangebote deutlich. Hierfür hat
die rot-grüne Regierung zum Beispiel im Jahr 2000 För-
dermittel in Höhe von 400 000 DM zur Verfügung ge-
stellt. Diese werden für ein Modellprojekt des Deut-
schen Basketball Bundes und der Damenbasketballbun-
desliga eingesetzt.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Ich möchte noch auf ein von der alten Bundesregie-

rung initiiertes Forschungsvorhaben hinweisen, das
mich als ostdeutsche Politikerin besonders interessiert
und auf dessen Ergebnisse ich mit Spannung warte.
Hierbei handelt es sich nämlich um die Erforschung der
Entwicklung des Frauensports in der DDR – eine bisher
vollkommen unbeachtete Thematik. Ich könnte mir vor-
stellen und ich würde mir wünschen, dass sich daraus
nachahmenswerte Anregungen für die Vereinbarkeit von
Familie, Beruf und sportlicher Betätigung im Bereich
des Breiten- und des Leistungssports auch für Frauen
unserer jetzigen Gesellschaft ergeben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Abschließend kann ich nur sagen: Sport frei und vie-
len Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408718700
Es spricht jetzt der
Kollege Dr. Klaus Rose für die CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Klaus Rose (CSU):
Rede ID: ID1408718800
Verehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe sportliche Kolleginnen und Kollegen! Ich
meine nicht bloß diejenigen, die jetzt im Plenarsaal sind,
sondern auch die vielen anderen Kolleginnen und Kolle-
gen, die zur Stunde außerhalb des Hauses Sport treiben.


(Beifall des Abg. Friedhelm Julius Beucher [SPD])


Christine Lehder






(A)



(B)



(C)



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Denn das Interesse an der Sache, lieber Herr Kollege
Schur, ist sicherlich viel größer, als es den Anschein hat.
Die geringe Zahl von Anwesenden liegt mehr an der Ta-
geszeit und weniger am Interesse.

Wir praktizieren im Sportausschuss – ich greife ger-
ne das auf, was Kollege Dr. Kinkel sagte – eine große
sportpolitische Zusammenarbeit. Es geht um gemeinsa-
me Ziele und um die Vertretung der Interessen des
Sports, der Sportlerinnen und Sportler. Uns eint auch der
faire Wille zum Erfolg im Interesse der Sache. Wir ha-
ben auch deshalb im Laufe der Jahre einiges gemeinsam
erreicht.


(Beifall des Abg. Friedhelm Julius Beucher [SPD])


Nur, das heißt nicht, dass man nicht sportlich fair Punkte
sammeln will


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Sportlich fair!)

und dass wir uns Gedanken machen, wie es in Zukunft
noch besser wird – so wie Sie es uns versprochen haben.

Wir Sportpolitiker wissen auch, dass wir eine ver-
schworene Gemeinschaft sind und gerne mehr möchten,
auch wenn wir von den Finanzpolitikern und von den
Fraktionsführungen nicht ganz so viel gehört werden.
Deshalb müssen wir über unseren eigenen Bereich hin-
aus Freunde sammeln. Das macht man am besten, wenn
man miteinander sportlich umgeht.

Die unterschiedlichen Auffassungen möchte ich nicht
verschweigen. Im Laufe meiner parlamentarischen Kar-
riere sind sie mir immer wieder bewusst geworden. Ich
musste mich immer wieder, wenn das Stichwort „Sport
und Umwelt“ kam, damit auseinander setzen, dass mir
vonseiten der Grünen ganz andere Vorstellungen ent-
gegnet wurden. So hieß es, dass man Sport fast nicht
mehr betreiben dürfe, weil man eigentlich die Umwelt
zerstöre.

Ich war mir auch bei der SPD nicht immer so sicher,
dass sie zum Leistungs- und Spitzensport ein wirklich
gutes Verhältnis gehabt hat. Dies galt zwar für viele
Kolleginnen und Kollegen; aber die Gesamtaussage war
oft sehr differenziert, sodass ich festhalten muss: Begrif-
fe wie „Leistung“ und „Elite“ sind manchem nicht so
leicht über die Lippen gegangen. Wenn Sie sich in der
Regierungsverantwortung jetzt verantwortlich fühlen
und das anders wird, dann kann ich das im Interesse des
Sports und der vielen Sportlerinnen und Sportler nur
dankbar begrüßen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Klaus Kinkel [F.D.P.])


Auch einen zweiten Hinweis kann ich Ihnen nicht er-
sparen: Es ist die unsportliche Politik der Bundesregie-
rung im Zusammenhang mit dem 630-Mark-Gesetz.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Na, na, na!)

Das tut Ihnen noch immer weh; aber es hat den Sport-
vereinen viel mehr wehgetan, weil sie damit wichtige
Aufgaben nicht vollenden und wichtige Leistungen nicht
anbieten konnten. Zusätzlich beabsichtigen Sie jetzt eine

erneute Belastung des Ehrenamts durch Sozialabgaben
auf Aufwandsentschädigungen. Wir spüren die Folgen
zurzeit bei den Feuerwehren, die sich rühren. Ich weiß
noch nicht, ob diese Welle auf die Sportvereine über-
schwappt. Ich traue ihnen zu, dass sie an ähnliche Reak-
tionen denken.

Meine Damen und Herren, wir debattieren zwar heute
den 9. Sportbericht, also unsere Leistungsbilanz, aber im
Vorwort haben Sie ja doch sehr vollmundig davon ge-
sprochen, dass Sie für die Zukunft eine klare Hand-
schrift anbieten.


(Dagmar Freitag [SPD]: Die ist schon erkennbar!)


Sie wollten ja überhaupt alles neu erfinden. Ich erinnere
mich an manche Aussagen nach dem Regierungswech-
sel, in denen es hieß: Jetzt geht es mit dem Sport erst
richtig los.


(Dagmar Freitag [SPD]: Wo haben Sie das Zitat her?)


Ich frage: los, ohne Moos? Sie führen doch so gerne an,
dass Sie sparen müssen und nur mit großen Schwierig-
keiten überhaupt einige Millionen für den Goldenen
Plan gefunden haben.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Hauptsache ist: Wir haben sie gefunden!)


Wir werden das auch in Zukunft intensiv beobachten
und Ihre Versprechen dann daran messen, was Sie in die
Tat umgesetzt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wer sich mit den Spitzen des deutschen Sports unter-

hält, der weiß, dass die derzeitige Förderung der Spit-
zensportler durchaus gewürdigt wird. Ich sage aber auf
den bisherigen Bericht bezogen auch: Wie steht es um
künftige Investitionen in Sportstätten? Zieht man näm-
lich eine Bilanz der Leistungsfähigkeit der derzeitigen
Leistungszentren, dann taucht die klare Erkenntnis auf,
dass man nicht nur reparieren und flicken darf, sondern
dass man modernisieren und klotzen muss, weil allein
das den deutschen Sportlern angemessen ist. Sie werden
also über den Goldenen Plan Ost hinaus einen Plan auf-
stellen müssen, wie in den nächsten Jahren wirklich eine
konzentrierte Sportstättenförderung im ganzen Lande
durchgeführt werden kann. Auch daran werden wir Sie
messen.

Kommen Sie mir bitte nicht mit der Leier, Sie hätten
eine dramatische Finanzlage vorgefunden.


(Dagmar Freitag [SPD]: So ist das! Weiterer Zuruf von der SPD: Nicht falsch!)


Zunächst einmal sprechen die gesamtwirtschaftlichen
Daten dagegen. Sie alle wissen, dass Faktoren wie Infla-
tionsrate und Geldwertstabilität eine deutlich andere
Sprache sprechen. Außerdem geben Sie in anderen Be-
reichen ja auch mehr als zuvor aus, beim Sport aller-
dings nicht. Sie sagen, beim Sport müsse man einsparen
und den Gürtel enger schnallen. Vor dem Hintergrund,
dass der Bundeshaushalt im Jahre 1999 Ausgaben in

Dr. Klaus Rose






(A)



(B)



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(D)


Höhe von 485 Milliarden DM vorsah, die nach Ihrem
Finanzplan im Jahre 2003 auf 504 Milliarden DM an-
wachsen, kann es nicht heißen, auch beim Sport müsse
gespart werden. Wir werden Sie also beobachten und an
den Taten messen.

Wir werden Sie natürlich auch – das sage ich als alter
Haushaltspolitiker – daran messen, wie viel Schulden
Sie machen. Uns werfen Sie das ja immer vor. In Ihren
derzeitigen Haushaltsplänen machen Sie Schulden in
Höhe von 50 Milliarden DM pro Jahr. Wenn Sie einmal
die nächsten vier Jahre zusammenrechnen, dann ergibt
sich, dass der Schuldenberg danach um 200 Milliarden
DM höher sein wird. Sie können dann nicht mehr sagen,
das liege leider an der Situation, die Sie vorgefunden
hätten.

Im Vorwort des Sportberichtes haben Sie auch ge-
schrieben, dass Haushaltskonsolidierung und Einsparun-
gen bei der Sportförderung eine Chance für Strukturver-
besserungsmaßnahmen bieten. Das sah ich immer so.
Jede Sparmaßnahme und jeder Druck auf öffentliche
Haushalte führte immer auch zu Verbesserungen. Aber
auch da werden wir Sie daran messen, ob Sie wirkliche
Verbesserungen vorweisen können. Wenn Sie diese
nachweisen, dann – das verspreche ich Ihnen heute –
sind wir auf Ihrer Seite.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Dann bekommen Sie die goldene Rose!)


– Ich verteile dann gerne auch die goldene Rose. Sehr
richtig.

Ich setze Ihr Einverständnis voraus, wenn ich jetzt
zwei Bereiche des Spitzensports noch einmal besonders
erwähne, weil ich mich für diese auch verantwortlich
fühlte, nämlich die Förderung durch Bundeswehr und
Bundesgrenzschutz. Die Frau Kollegin Parlamentari-
sche Staatssekretärin Schulte war nur am Anfang der
Debatte anwesend, als die Bundeswehr gelobt wurde,
um die Blumen entgegenzunehmen. Vielleicht ist ja
noch jemand da, der ihr auch meine Worte mitteilt. Wir
freuen uns, dass hier die Kontinuität gewahrt bleibt und
die Bundeswehr weiterhin als bedeutsamer Förderer des
Sports auftritt. Auch Bundesminister Scharping scheint
diese bisher gut entwickelte Politik in Bezug auf die 25
Sportfördergruppen fortzusetzen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Unsere gute Politik!)


– Der Zwischenruf kommt mir gerade gelegen, lieber
Kollege Dr. Ramsauer. Bezüglich des Wintersportes
sollten wir Bayern natürlich besonders stolz auf unsere
bayerischen Sportstätten und besonders auch auf unsere
Aushängeschilder sein; ich nenne Martina Ertl, Uschi
Disl, Claudia Pechstein, Barbara Niedernhuber


(Beifall bei der CDU/CSU)

oder den legendären Schorsch Hackl – bei der Erwäh-
nung seines Namens bekomme ich jetzt natürlich –
Durst – und Fritz Fischer.
Aber nicht nur der Freistaat Bayern, auch der Freistaat
Thüringen, der Freistaat Sachsen und die „Freiburg“

Schwabenland werden nicht vergessen. Sie bringen gro-
ße Leistungen für den Sport.

Olympiastützpunkte und Bundesleistungszentren
in ganz Deutschland fördern Talente im Sommersport.
Bundeswehr und Bundesgrenzschutz bieten auch be-
rufliche Perspektiven. Dafür sind wir dankbar. Das sollte
fortgesetzt werden. Ich sage heute das Gleiche wie ges-
tern im Ausschuss: Ich persönlich hoffe, dass die allseits
diskutierte und befürchtete Verkleinerung der Bundes-
wehr die Sportplanstellen unangetastet lässt, und zwar
über das Olympiajahr hinaus.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Beim Stichwort Olympia fällt mir ein, dass Uli Feld-

hoff davon gesprochen hat, dass wir in diesem olympi-
schen Sommer noch erfolgreicher als die Amerikaner
abschneiden werden. – Na gut, Funktionäre sprechen so.
Ich hoffe, dass sich die Gedanken in Medaillen umset-
zen. Wir können uns darüber nur freuen.

Lassen Sie mich abschließend einige gesellschaftspo-
litische Auswüchse im Umfeld des Sports erwähnen.
Zum Doping ist schon viel gesagt worden; das kann ich
mir also jetzt sparen. Aber ich finde es traurig und auf-
rüttelnd zugleich, dass die diesjährige Fußballeuropa-
meisterschaft –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408718900
Herr Kollege Rose,
Sie müssen langsam zum Schluss kommen, bitte.


Dr. Klaus Rose (CSU):
Rede ID: ID1408719000
– in Holland und Bel-
gien zu einem Ausnahmezustand im Nordwesten unse-
res Kontinents führt. Ich finde es unsportlich und men-
schenverachtend, dass junge Skiflieger wegen Geld und
Fernsehrechten Sturmböen und Lebensgefahr verges-
sen sollen. Es gibt also über den Erfolg hinaus eine Rei-
he von Aufgaben, die wir demnächst behandeln müssen.
Dazu rufe ich uns gemeinsam auf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408719100
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Friedhelm Julius Beucher
für die SPD-Fraktion.


Friedhelm Julius Beucher (SPD):
Rede ID: ID1408719200
Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Präsiden-
tin! Mögen Sie meinen Solidarbeitrag zu dieser Debatte
daran messen, dass ich mit gebrochenem Zeh zu Ihnen
geeilt bin.

Sport ist, wie Sie wissen, Ausdruck von Lebensfreu-
de. Dazu passte die Rede des Kollegen Riegert nicht
ganz. Sie war zu verbiestert und hat zu sehr das Tren-
nende, das wir im Sport haben, hervorgehoben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dabei haben wir doch seit über 30 Jahren die gute Tradi-
tion im Sportausschuss des Deutschen Bundestages, dass
wir uns oft als die Fraktion des Sports bezeichnen dür-

Dr. Klaus Rose






(A)



(B)



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(D)


fen, das heißt über die Parteigrenzen hinweg – aus-
schließlich an der Sache orientiert – für den Sport zu-
sammenarbeiten.

Es ist ebenso richtig – das kann man denjenigen, die
das nicht begriffen haben, nicht oft genug sagen –, dass
der Sport die größte Personenvereinigung in dieser Re-
publik ist. Über 26 Millionen Mitglieder hat der Deut-
sche Sportbund, dem der Berliner von Richthofen vor-
steht, der auf eine gute Bilanz seiner Vorgänger zurück-
greifen kann und der diese noch ausgeweitet hat. Das
heißt, dass der Sport ein gesellschaftlich ungeheuer
wichtiger Faktor ist.

Ich bin dem Kollegen Rose dankbar, dass er ein paar
nachdenkliche Akzente eingebracht hat. Denn Sport be-
findet sich in einigen Bereichen in der Krise. Das hängt
mit der zunehmenden Kommerzialisierung zusammen.
Das ist genau das, was Sie bei den Skiflugweltmeister-
schaften beklagt haben: Sehr oft wird bei uns nach tele-
genen und nicht telegenen Sportarten unterschieden, und
danach gerät der Sport vor Ort in eine Abhängigkeit von
der Finanzierung. Wir haben Gegensätze mit Millionen-
einkommen Einzelner auf der einen Seite und Vereins-
leuten vor Ort, die manchmal nicht wissen, wie sie ihre
Schülermannschaften zum nächsten Spiel transportiert
bekommen, auf der anderen Seite.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Diese Gegensätze gilt es aufzuarbeiten und da gilt es ge-
genzusteuern.

Wir dürfen hier nicht unerwähnt lassen, dass wir uns
vor einem Jahr durch einen Skandal, ausgelöst vom
IOC, erschüttert sahen. Ich freue mich, dass es darum
ruhiger geworden ist. Die olympische Idee war in Ge-
fahr. Besonnene Sportführer in der ganzen Welt haben
dazu beigetragen, dass das vergessen gemacht werden
konnte.

Doping ist hier genannt worden. Es ist nicht genannt
worden, was Doping ist. Doping ist Betrug, und Betrug
lassen wir nicht zu.


(Beifall bei der SPD)

Doping ist Betrug am eigenen Körper und Betrug im fai-
ren Wettkampf miteinander.

Wenn wir immer mehr Gelder für die Dopingfor-
schung fordern, dann dürfen wir nicht nur auf die staat-
liche Seite schauen, sondern wir müssen auch die Phar-
maindustrie an diesen Kosten beteiligen. Es geht nicht
an, dass eine Seite Geld mit den Pillen verdient, die an-
dere Menschen schädigen. Auch dieser Punkt gehört in
die Debatte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Den Schulsport bewerte ich nicht danach, ob wir zu-
ständig sind oder nicht. Es ist von allen Fraktionen ein-
hellig gesagt worden: Wir können nicht zulassen, dass
diese Entwicklung in die falsche Richtung läuft. Die
Entwicklung bei unseren Kinder ist einfach zu drama-
tisch. Herr Kollege Kinkel, ich muss aber die Kultusmi-
nisterkonferenz verteidigen. Sie bockt hier nicht, son-

dern sie hat zum Zeitpunkt unserer Anhörung – diesen
Punkt muss man anerkennen – ihre Jahrestagung „Ju-
gend trainiert für Olympia“. Das respektiere ich.


(Dr. Klaus Kinkel [F.D.P.]: Doch, sie bockt! Einspruch, Euer Ehren!)


Wir nehmen diese Situation zum Anlass, zusammen mit
der Kulturministerkonferenz und mit der Sportminister-
konferenz eine Extraveranstaltung durchzuführen.

Der 9. Sportbericht beschreibt die gute Grundlage in
der Sportpolitik der früheren Regierung, in einigen Tei-
len; – das erkenne ich an. – Ich freue mich aber, dass
die neue Regierung mit Unterstützung der Koalitions-
fraktionen und innerhalb des Sportausschusses oft mit
Unterstützung aller Fraktionen des Hauses einige we-
sentliche Akzente hinzugefügt hat.

Alles, was recht ist: Sie haben bei all den Zahlenver-
gleichen einfach vergessen, dass insgesamt 13 Millio-
nen DM mehr im Haushalt 2000 als im Haushalt 1999
enthalten sind. Sie haben nur zum Teil erwähnt, dass der
Behindertensport der Bereich ist, der sozusagen den
größten Schluck aus der Pulle bekommen hat. Das ist
aber eine Fortsetzung der guten Politik in Sachen Be-
hindertensport, die wir von der Vorgängerregierung
übernommen haben. Ich erkenne diese Tatsache aus-
drücklich an und freue mich, dass wir diese Entwicklung
weitergeführt haben.

Zu dem Geschaffenen gehört, dass nach der Regie-
rung Brandt/Scheel, die erstmals eine Übungsleiterpau-
schale von 1 200 DM eingeführt hat, die Regierung
Schmidt/Genscher diese Pauschale auf 2 400 DM erhöht
hat. Danach gab es 16 Jahre lang einen Stillstand. Wir
haben jetzt aber konsequent das Ehrenamt nicht nur mit
Worten anerkannt, sondern wir haben eine steuer- und
sozialversicherungsfreie Pauschale von 3 600 DM ein-
geführt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es muss auch klar gesagt werden, dass wir zurzeit ein
neues Stiftungsrecht diskutieren. Das heißt, dass dem-
nächst mit rückwirkender Geltung über Stiftungen Geld
für den Sport gesammelt werden kann, was es bisher
nicht gegeben hat.

Wir haben zum Goldenen Plan schon viel gehört. Ich
sage dazu: Auch kleine Schritte sind Schritte. Verinner-
lichen Sie dies bitte und schauen Sie, was schon ge-
schaffen worden ist!

Zu den Aufgaben und Zielen. Es ist wichtig, dass wir
die Bundeswehr weiterhin als größten Förderer des
Leistungssports in der Republik auch mit finanziellen
Mitteln stärken. Der Sport in der EU darf nicht nur in
Fußnoten vorkommen, sondern er muss einen eigenen
Artikel bekommen. Bei der Novellierung des Bundes-
naturschutzgesetzes, muss der Sport berücksichtigt
werden, wie es in der Koalitionsvereinbarung heißt. Das
wird den Kollegen Rose sicher beruhigen.

Wir haben bei Olympia 2000 schöne Spiele zu er-
warten. Das wünsche ich mir. Ich wünsche mir aber

Friedhelm Julius Beucher






(A)



(B)



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(D)


auch den notwendigen Erfolg. Die Grundlagen für die
Erfolge bei Olympia und bei den Paralympics sind ge-
schaffen. Ich wünsche mir auch, dass am 6. Juni ent-
schieden wird, die WM 2006 in Deutschland durchzu-
führen. Insofern hoffe ich, das Haus hinsichtlich der Zie-
le und Aufgaben des Sportes in den Jahren 2000 und
folgende wieder geeint zu haben.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408719300
Ich schließe die Aus-
sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vor-
lage auf Drucksache 14/1859 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Frak-

tionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Einund-
zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des
Abgeordnetengesetzes zur Änderung der
Europaabgeordnetengesetzes

– Drucksache 14/2235 –

(Erste Beratung 78. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung (1. Ausschuss)


– Drucksache 14/2660 –
Berichterstattung
Abgeordnete Roland Claus
Jörg van Essen
Joachim Hörster
Dr. Uwe Küster
Steffi Lemke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Dr. Uwe Küster das Wort für die SPD-Fraktion.


Dr. Uwe Küster (SPD):
Rede ID: ID1408719400
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Nach einem langen Diskussionsprozess
können wir heute über einen reifen Entwurf zur Ände-
rung des Abgeordnetengesetzes beschließen. Dieser ist
ein bedeutender Schritt zur Reform des Abgeordneten-
rechts. Er ist insbesondere ein überzeugender Nachweis
unseres Sparwillens. Wer von den Bürgern zur Konsoli-
dierung des Haushaltes Opfer verlangt, muss selbst mit
gutem Beispiel vorangehen. Dies tun wir mit dem von
den Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge-
brachten Entwurf zur Änderung des Abgeordnetengeset-
zes, und zwar in mehrfacher Hinsicht.

Der Präsident des Bundestages hatte eine moderate
Erhöhung der Diäten vorgeschlagen. Hierzu ist er nach
dem Abgeordnetengesetz verpflichtet. Gleichwohl haben
wir auf die Anhebung der Entschädigung für die Tätig-
keit als Abgeordneter verzichtet.

Dies ist die zehnte Nullrunde für Abgeordnete seit
1977. Es wäre gut, wenn sich dies auch einmal in der
Öffentlichkeit herumspräche. Keine gesellschaftliche
Gruppe hat in diesem Zeitraum in gleicher Weise auf
Einkommenserhöhungen verzichten müssen. Keine Be-
rufsgruppe – auch nicht die Rentner – war in der Ver-
gangenheit von Nullrunden betroffen.

Ich bin mir ganz sicher: Eine Anhebung der Diäten
wäre keinem Nachrichtenmagazin entgangen. Ob die
jetzt vorgenommenen Kürzungen von Abge-
ordneteneinkünften ähnlich breite Aufmerksamkeit fin-
den, ist eher fraglich.

Meine Damen und Herren, es ist erklärter politischer
Wille von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, konsequent
– ich sage es ganz deutlich: konsequent – ungerechtfer-
tigte Mehrfachbezüge von Abgeordneten zu streichen.
Das Bundesverfassungsgericht verlangte bereits in sei-
nem Diätenurteil von 1975 die Beseitigung von Doppel-
alimentationen. Die Union und die F.D.P. haben sich
dieser Forderung in den vergangenen Jahren immer wie-
dersetzt. In dieser Richtung ist nichts passiert.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Das stimmt doch gar nicht! Sie wissen doch, dass das falsch ist!)


Jetzt haben wir die Mehrheit. Jetzt setzen wir endlich
diesen Gesetzgebungsauftrag des Bundesverfassungsge-
richtes um. Mehrfachversorgungen werden mit dem nö-
tigen Augenmaß – ich sage es ganz deutlich: mit dem
nötigen Augenmaß – auf ihren berechtigten Umfang zu-
rückgeschnitten.

Dabei geht es uns um zwei Fälle von Überversor-
gung. Erstens. Aus dem Amt scheidende Bundesminister
und Parlamentarische Staatssekretäre erhalten nach der
alten Regelung auch dann ein Übergangsgeld, wenn sie
ihre politische Arbeit als Abgeordneter fortsetzen. Das
ist nicht einzusehen. Für ihre wichtige und verantwor-
tungsvolle Aufgabe als Abgeordneter erhalten sie eine
Entschädigung. Diese sichert bereits den Lebensunter-
halt. Deshalb sagen wir: Mit sofortiger Wirkung soll das
Übergangsgeld ab dem zweiten Monat nach dem Aus-
scheiden aus dem Regierungsamt in voller Höhe ruhen.

Lassen Sie mich das anhand eines konkreten Bei-
spiels verdeutlichen. Ein früherer Bundesminister erhält
bisher neben seiner Abgeordnetenentschädigung ein
Übergangsgeld von bis zu 244 000 DM.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist nicht nötig!)

Wir kürzen den Höchstbetrag des Übergangsgeldes auf
unter zehn Prozent. Ich wiederhole: auf unter zehn Pro-
zent. Ein höheres Übergangsgeld verfehlt deutlich sei-
nen Zweck.


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Friedhelm Julius Beucher






(A)



(B)



(C)



(D)


Zweitens. Mit gleicher Entschlossenheit kürzen wir
zusätzlich zur Abgeordnetenentschädigung bezogene
Versorgungsbezüge aus öffentlichen Kassen. Wen
trifft dies aus unserem Hohen Hause? Einzelne unter Ih-
nen, liebe Kolleginnen und Kollegen, waren vor ihrer
Mitgliedschaft im Bundestag als Oberbürgermeister,
Landräte, als kommunale Wahlbeamte tätig. Andere bli-
cken auf eine Tätigkeit als politische Beamte zurück.
Dafür haben sie zu Recht Versorgungsansprüche erwor-
ben. Aber warum verbleiben Abgeordneten hiervon ne-
ben der Abgeordnetenentschädigung 50 Prozent, wäh-
rend Beamte nur 20 Prozent behalten dürfen? Das ist
nicht in Ordnung. Deshalb rechnen wir künftig alle Ver-
sorgungseinkünfte aus öffentlichen Kassen zu 80 Pro-
zent auf die Abgeordnetenentschädigungen an.

Einige fordern hier eine vollständige Anrechnung. Ich
warne aber vor übertriebenem Populismus. Richtig ist
auch: Versorgungsbezüge beruhen auf beruflichen Leis-
tungen. Diese genießen deshalb den Schutz unserer Ver-
fassung. Nach meiner Überzeugung haben wir mit unse-
rer verschärften Anrechnungsbestimmung den politisch
notwendigen und überfälligen Schritt vollzogen. Wir ha-
ben den Gestaltungsspielraum, den uns die Verfassung
lässt, vollständig ausgeschöpft.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Nur Oskar Lafontaine betrifft das alles nicht)


– Aber die Zukünftigen wird es betreffen. Das ist genau
der Zweck, den wir haben wollen.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Aber ich nicht! – Dagmar Freitag [SPD]: Da gibt es wohl noch andere!)


Wie wirkt sich nun die neue Anrechnungsbestim-
mung konkret aus? Dazu ein Zahlenbeispiel: Erhält ein
Abgeordneter eine monatliche Amtsversorgung von
vielleicht 9 000 DM, verbleiben ihm nach der alten An-
rechnungsregelung 4 500 DM, nach neuem Recht wer-
den ihm neben der Abgeordnetenentschädigung nur
noch1 800 DM ausgezahlt. In diesem Beispielsfall erhält
der Abgeordnete 2 700 DM weniger.

Diese verschärfte Anrechnungsregelung tritt ab der
15. Wahlperiode in Kraft. Dies gebietet das Rückwir-
kungsverbot unserer Verfassung. Entgegen der Auffas-
sung der Damen und Herren von der CDU/CSU-
Fraktion halten wir es für falsch, bei der Anrechnung
von Versorgungseinkünften zwischen neu gewählten
und wieder gewählten Abgeordneten zu unterscheiden.
Abgeordnete stellen sich zu jedem Bundestag unter den
jeweils geltenden Rahmenbedingungen zur Wahl. Nie-
mand würde es verstehen, wenn Überversorgung aus öf-
fentlichen Kassen als Besitzstand von Abgeordneten ge-
setzlich festgeschrieben würde. Nicht gerechtfertigte
Überversorgung soll deshalb über die jetzige Wahlperi-
ode hinaus keinen Bestandsschutz genießen.

Es freut mich zu betonen, dass wir wenigstens zu un-
serer Reform der Amtsausstattung für Abgeordnete den
Konsens aller Fraktionen des Hohen Hauses festzustel-
len ist. Die Arbeitsbedingungen für Abgeordnete sind
nicht mehr zeitgemäß. Sie halten mit den an sie gerichte-

ten Forderungen hinsichtlich Quantität und Qualität der
für ihre politische Arbeit notwendigen Informationen
nicht mehr Schritt. Die Arbeitsbedingungen für Abge-
ordnete genügen nicht mehr den hohen Mobilitätsan-
sprüchen des Mandats. Wir können uns nicht den Luxus
erlauben, weniger professionell zu arbeiten als bei-
spielsweise die Wirtschaft. Wie kann die Politik ernst-
haft den Anspruch erheben, den Wandel in der Infor-
mationsgesellschaft zu gestalten, wenn sie sich dieser
Entwicklung verschließt? Wenn wir keinen Zugang zu
modernen Informations- und Kommunikationstech-
nologien finden, traut uns niemand die Kompetenz zur
Zukunftsgestaltung zu. Die Anforderungen an die
Betreuung der Wahlkreise sind deutlich gewachsen. Die
Bürgerinnen und Bürger erwarten in ihrem Wahlkreis
einen schnell und zuverlässig informierenden Abgeord-
neten. Deshalb führt kein Weg daran vorbei: Die ge-
meinsame Informations- und Kommunikationsplattform
des Deutschen Bundestages muss mit dem technischen
Fortschritt im Bereich der Kommunikations- und Infor-
mationstechnologien Schritt halten. Nur dann – ich be-
tone es ganz deutlich: nur dann – kann es gelingen, den
für politische Entscheidungen notwendigen hohen In-
formationsbedarf zu sichern. Aber auch bei der Reform
der Amtsausstattung für Abgeordnete vergessen wir un-
sere Sparziele nicht. Alle Kosten in diesem Bereich
werden deshalb aus den bestehenden Haushaltsansätzen
finanziert.

Ich stelle fest: Die Bilanz der von den Fraktionen
SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Novelle
zum Abgeordnetengesetz kann sich sehen lassen. Mehr-
fachversorgungen von Abgeordneten werden konse-
quent zurückgeschnitten. Die Arbeitsbedingungen für
Abgeordnete werden modernisiert. Wir rüsten unser Par-
lament für die Herausforderungen der Informationsge-
sellschaft. Mehr Gerechtigkeit und mehr Modernität
müssen nicht unbedingt mehr Geld kosten. Im Gegen-
teil: Wir sparen. Solche Reformen erwarten die Bürge-
rinnen und Bürger von uns. Ich hoffe, dass wir damit ei-
nen guten Beitrag geleistet haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408719500
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Joachim Hörster.


Joachim Hörster (CDU):
Rede ID: ID1408719600
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Das fulminante Werk, das
der Kollege Küster hier so gepriesen hat, lässt sich im
Grunde in drei Bestandteile zerlegen.


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber drei gute!)


Das Erste ist, dass in diesem Abgeordnetengesetz ei-
ne ganze Reihe sprachlicher und technischer Rege-
lungen getroffen worden sind, die die Verweisungssys-
tematik vereinfachen und das Gesetz etwas lesbarer ma-
chen.

Dr. Uwe Küster






(A)



(B)



(C)



(D)


Das Zweite ist, dass wir im Bereich der Amtsausstat-
tung im § 12 Abs. 4 die Informations- und Kommuni-
kationstechnik einbezogen haben, eine Regelung, die in
der Sache vernünftig ist und die mitgetragen worden ist.

Das Dritte, was der Herr Kollege Küster als Ausdruck
eines optimalen Sparwillens bezeichnet hat, ist nur
nicht konsequent zu Ende gedacht worden. Denn man
könnte ja noch mehr einsparen, wenn man das Parlament
noch kleiner machte und die Abgeordneten vielleicht eh-
renamtlich tätig sein ließe oder Ähnliches.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Oder wir sogar etwas dafür zahlen müssten, dass wir hier sind! – Zuruf von der SPD: Abschaffen! Das wäre das Billigste!)


Das Ganze, was Sie hier vorgelegt haben, Herr Kol-
lege Küster, entspricht zum Beispiel überhaupt nicht
dem Paket, das der Herr Bundestagspräsident den Frak-
tionen in seinem Schreiben vom 21. April 1999 empfoh-
len hat, weil in diesem Paket beispielsweise auch einige
Regelungen hinsichtlich der Transparenz enthalten wa-
ren, die merkwürdigerweise von Ihnen nicht aufge-
nommen worden sind, obwohl Sie die Mehrheit gehabt
hätten, diese hier einzubringen und entsprechend durch-
zusetzen.

Im Übrigen haben Sie vergessen – auch das will ich
Ihnen gleich entgegenhalten –, dass die Regelung mit
der Doppelalimentation einem Gesetz von 1996 ent-
spricht, das von CDU/CSU und SPD in diesem Hause
alleine getragen worden ist. Die F.D.P. hat ihm nicht zu-
gestimmt, weil in diesem Gesetz eine Regelung über ei-
ne Diätenanhebung enthalten war, die die F.D.P. nicht
mittragen wollte. Deswegen richtet sich Ihr Vorwurf,
CDU/CSU und F.D.P. hätten nichts gegen Doppelali-
mentation unternommen, ganz massiv gegen die F.D.P..
Denn die letzten Änderungen des Abgeordnetengesetzes
sind gemeinsam von unseren beiden großen Fraktionen
getragen worden.

Wir haben bei dieser Änderung des Abgeordnetenge-
setzes zum Beispiel die Verringerung der Zahl der
Wahlkreise festgelegt. Wir haben ebenfalls festgelegt,
wie der Streit entschieden werden soll, was denn nun die
richtige Ausstattung der Abgeordneten und die richtige
Höhe der Abgeordnetenentschädigung sei. Mit dem Kol-
legen Dr. Struck bin ich in früheren Jahren einmal ge-
meinsam in eine Pressekonferenz gegangen, um anhand
von zwei Gutachten, die Sachverständige erstellt haben,
die nicht dem Bundestag angehört haben, zu begründen,
warum die Abgeordnetenbesoldung, die wir gegenwär-
tig haben, den verfassungsrechtlichen Geboten nicht ent-
spricht. Ich finde, man macht sich einen sehr schlanken
Fuß, wenn man sich einfach aus der Vergangenheit ver-
abschiedet.

Im Übrigen – auch das ist eine Erfahrung, die sicher
jede Kollegin und jeder Kollege, die oder der hier sitzt,
mitgenommen hat – hat uns der Verzicht auf eine Diä-
tenerhöhung noch nie ein größeres Ansehen in der Be-
völkerung eingebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ganz im Gegenteil, wir haben immer erlebt, dass die
Reaktion war: Offenbar haben die genug, die können ja
verzichten.

Dabei geht es uns überhaupt nicht darum, ob das
100 DM mehr oder 100 DM weniger sind, sondern es
geht entscheidend darum, ob das Ansehen des Parlamen-
tarismus und einer parlamentarischen Tätigkeit in unse-
rer Gesellschaft so ist, dass sie auch in entsprechender
Weise vergütet wird. Das ist der entscheidende Punkt.


(Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da war die Union ganz vorn! – Zuruf von der SPD: Dazu haben Sie in den letzten Wochen einen entscheidenden Beitrag geleistet!)


Das Ganze beim Abgeordnetengesetz mit Sparwillen
und Populismus zu begründen scheint mir nicht sehr
vernünftig zu sein.

Da dieses Gesetz, wie wir wissen und wie ich es eben
dargelegt habe, aus drei unterschiedlichen Bereichen be-
steht, von denen jedenfalls zwei in unserer Fraktion ab-
solut unbestritten sind, haben wir in unserer Fraktion be-
schlossen, keine Fraktionsmeinung herbeizuführen.
Das heißt, jeder kann nach Lust und Laune abstimmen.


(Zuruf von der SPD: Das steht sogar im Grundgesetz!)


Für so wichtig halten wir dieses Opus der Koalition
nicht, dass wir darüber länger diskutieren müssten.

Ich persönlich werde gegen das Gesetz stimmen und
will das damit begründen, dass ich mich, im Gegensatz
zu dem Kollegen Küster, aus dem gemeinsamen Wirken
an dem Abgeordnetengesetz mit SPD-Kollegen in Ge-
schäftsführerfunktion über viele Jahre hinweg nicht ver-
abschieden möchte. Denn das, was wir damals gemein-
sam für richtig gehalten haben, wird von mir auch heute
noch für richtig gehalten.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein echter Wertkonservativer!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408719700
Das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Cem
Özdemir.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408719800
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stehen, was
die Seriosität des Parlaments und des Parlamentarismus
angeht, vor einem Scherbenhaufen, der von „Don
Kohleone“ und seiner Fraktion, der CDU/CSU, ausge-
löst wurde. Aber jeder von uns, in welcher Fraktion und
Partei er auch immer ist, wird im Wahlkreis darauf an-
gesprochen und damit konfrontiert. Die Bürgerinnen und
Bürger tun sich zunehmend schwer zu unterscheiden,
wer hier was angerichtet hat. Insofern können wir es uns
nicht so einfach machen und sagen, das sei ein Problem
zwischen Regierung und Opposition. Jeder von uns ist
gefragt, Beiträge zu leisten.

Joachim Hörster






(A)



(B)



(C)



(D)


Wir stehen erst am Anfang der Debatte über die völ-
lige Neustrukturierung der Finanzierung des Politikbe-
triebs in der Bundesrepublik Deutschland. Wir werden
neue Regelungen brauchen, was die Parteienfinanzie-
rung und die Parteispenden angeht. Tragender Gedanke
im Hinblick auf den gesamten Bereich der Parteienfi-
nanzierung wird zukünftig die Transparenz sein müs-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Was wir seit November Tag für Tag erfahren, darf nicht
ohne tief greifende Auswirkungen auf die Gestaltung
und Finanzierung unserer demokratischen Institutionen
bleiben.

Ich glaube allerdings nicht, dass wir von einer Staats-
krise reden müssen, auch wenn das immer wieder kol-
portiert wird. Wir hätten vielleicht eine Staatskrise ge-
habt, wenn es nicht zu einem Regierungswechsel ge-
kommen wäre.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch das ist ein wichtiges Argument dafür, dass es gut
ist, dass es zu diesem Regierungswechsel gekommen ist.
Wir sehen in diesen Tagen, warum.

Da in unserem Berufstand gelegentlich eine gewisse
Form von Amnesie um sich greift, möchte ich die Gele-
genheit auch nutzen, daran zu erinnern, dass vieles an
der Diskussion, die wir heute führen, so neu nicht ist.
Ich erinnere an die Diskussion in der Gemeinsamen
Verfassungskommission nach der deutsch-deutschen
Einheit, in der viele Vorschläge, über die wir heute dis-
kutieren, bereits angesprochen worden sind. Wir werden
es Ihnen nicht ersparen, Sie daran zu erinnern, wie da-
mals die Union, aber leider auch die F.D.P. nahezu jeden
Vorschlag in Sachen Transparenz, Reform und direkte
Demokratie abgelehnt haben. Herr Kollege, Sie sollten
sich einmal die Protokolle der damaligen Gemeinsamen
Verfassungskommission durchlesen; es lohnt wirklich
die Lektüre.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Ich kenne das sehr genau, Herr Kollege!)


Wir werden viele sinnvolle Vorschläge zur Weiterent-
wicklung unserer Demokratie, die damals auch mit un-
seren Freunden und Freundinnen aus den neuen Ländern
erarbeitet worden sind, aufgreifen.

Herr Kollege Küster hat bereits darauf hingewiesen,
dass diese Reform eine Reform mit Augenmaß ist. Es
geht hier nicht darum, dass wir unseren eigenen Berufs-
stand diskreditieren. Es geht auch nicht darum, dass wir
so tun, als müssten wir in Sack und Asche herumlaufen.
Wir sollten die Diätendiskussion von dem trennen, was
wir hier tun. Hier machen wir notwendige Einschnitte in
die Doppelalimentation von politischen Würdenträ-
gern. Hier geht es darum, dass Dinge, die von nieman-
dem verstanden werden, so nicht länger Bestand haben
können.

Der von uns eingebrachte Vorschlag – Bündnis 90/
Die Grünen hat das früher schon gefordert – ist sinnvoll
und es wert, dass wir ihn durchsetzen. Wir wollen die

Mehrfachversorgung von Abgeordneten kräftig zusam-
menstreichen. Die Bürgerinnen und Bürger haben das
„Sterntalersyndrom“ vom unbegrenzten Aufsammeln
himmlischer Wohltaten zu Recht nie verstanden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im ersten Punkt geht es darum, dass ab der kommen-
den Legislaturperiode – insofern könnte man sagen, wir
schädigen uns selbst, da wir davon ausgehen, dass es zu
einer Wiederauflage der rot-grünen Koalition kommt;
auch daran sehen Sie, wie seriös wir arbeiten, denn wir
treffen uns mit dem, was wir hier machen, selbst – alle
aus öffentlichen Kassen bezogenen Versorgungsbezüge
zu 80 Prozent auf die Diäten angerechnet werden. Das
heißt, frühere Landesminister und hauptamtliche Bür-
germeister dürfen neben der Abgeordnetenentschädi-
gung nur noch 20 Prozent ihrer Versorgungsbezüge be-
halten. Das ist übrigens im Beamtenrecht üblich und
insofern auch keine Schlechterstellung, sondern ange-
messen. Das Übergangsgeld für Bundesminister und
Parlamentarische Staatssekretäre wird künftig bereits ab
dem zweiten Monat neben den Abgeordnetendiäten ru-
hen. Bisher bekamen sie bis zu drei Jahre lang Über-
gangsgeld. Auch das scheint mir eine Maßnahme mit
Augenmaß zu sein.

Die drastischen Kürzungen, die wir jetzt vornehmen,
sollen zu einer Reform der Politikfinanzierung beitra-
gen. Ich nehme an, dass auch Herr Eichel sich darüber
freuen wird, auch wenn dies nur einen symbolischen
Beitrag zur Haushaltskonsolidierung darstellt. Aber es
ist ein wichtiger Beitrag in einer Zeit, in der wir über
Zukunftsgestaltung und Sparpakete reden. Auch dies un-
terscheidet uns von der alten Regierung. Während die al-
te Regierung – Kohl und die Minister, insbesondere der,
der für Recht und Ordnung zuständig war – den Staat im
Wesentlichen als Ressource für eigene Privilegien ver-
standen hat, sehen wir unsere Aufgabe auch darin, sie
dort zu beschneiden, wo sie überflüssig oder unange-
messen sind. Auch das ist ein Signal gegen Politikver-
drossenheit, ein Signal dafür, dass diese Regierung und
die sie tragenden Fraktionen bereit sind, diese Diskussi-
on selbstkritisch zu führen.

Sicherlich gibt es Bereiche, in denen uns die Rege-
lungen – Herr Kollege Hörster hat dies, zugegebener-
maßen ironisch, aufgegriffen; ich meine es ernst – nicht
weit genug gehen. Wir haben uns daher in der Koalition
darauf verständigt, weiter darüber zu diskutieren und
noch in dieser Legislaturperiode ein Angebot vorzule-
gen. Meine Fraktion ist der Meinung, dass zum Beispiel
die geltenden gesetzlichen Regelungen bezüglich der so
genannten politischen Beamten weder sachlich gerecht-
fertigt noch gegenüber der Öffentlichkeit zu erklären
sind. Ich weiß, dass viele mit den herkömmlichen
Grundsätzen des Berufsbeamtentums ankommen. Aber
wir erwarten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern, dass sie sich veränderten Gegebenheiten anpas-
sen, dass sie bereit sind, sich umzustellen, sich weiter-
zubilden und auch Tätigkeiten in einem völlig anderen
Umfeld anzunehmen. Ich glaube durchaus, dass wir
auch beamteten Staatssekretären Selbiges zumuten kön-
nen.

Cem Özdemir






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb meine Bitte: Lassen Sie uns nach diesem ers-
ten Schritt den zweiten folgen; das wäre nur konsequent.
In der Zeit tiefer Einschnitte wird niemand für sich in
Anspruch nehmen können, dass diese Maßnahmen vor
ihm Halt machen.

Danke sehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408719900
Für die F.D.P.-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Jörg van Essen.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1408720000
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der Kollege Özdemir hat einen
bunten Strauß von Themen angesprochen, allerdings nur
ganz wenig zu dem gesagt, was wir im Augenblick de-
battieren. Ich möchte mich auf dieses Thema beschrän-
ken; denn ich denke, dass es uns hilft, wenn wir uns mit
den Debattenthemen intensiver auseinander setzen.


(Beifall des Abg. Walter Hirche [F.D.P.] sowie des Abg. Joachim Hörster [CDU/ CSU])


Im Gegensatz zu der größeren Oppositionsfraktion
werden wir als F.D.P. diesem Gesetzentwurf zustim-
men – nicht, weil wir mit allem einverstanden wären,
sondern weil wir der Auffassung sind, dass die Richtung
stimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Christian Sterzing [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dass die Richtung stimmt, können Sie daran ersehen,
dass wir als Regierungskoalition versucht haben, einen
Teil dessen, was heute verabschiedet werden wird, um-
zusetzen, nämlich die Anrechnung der Bundestagsdiäten
auf die Übergangsgelder.

Es ist völlig falsch, wenn hier, insbesondere vom
Kollegen Özdemir, der Eindruck erweckt wird, als seien
in der letzten Legislaturperiode in diesem Bereich keine
Änderungen vorgenommen worden. Wir haben erhebli-
che Einschnitte vorgenommen, übrigens mit dem Ergeb-
nis, das wir alle kennen, nämlich dass die Akzeptanz der
Tätigkeit der Abgeordneten nicht besser geworden ist.
Jeder, der hier die Illusion erweckt – Gott sei Dank hat
dies in der bisherigen Debatte nach meiner Beobachtung
niemand getan –, dass dadurch eine größere Zufrieden-
heit mit der Tätigkeit der Parlamentarier zu erreichen
wäre, wird sich täuschen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Die Zufriedenheit war früher größer! Das hat gar nichts damit zu tun!)


Es wird weiterhin Kritik geben, egal was wir machen.
Ich denke aber, dass es berechtigte Kritik ist, und wir
haben die Verpflichtung, auf berechtigte Kritik ein-
zugehen.

Für uns hat zur berechtigten Kritik immer gehört,
dass Übergangsgelder nur dazu dienen sollen, einen
Übergang abzufedern. Wer ein Regierungsamt über-
nommen hat, wie zum Beispiel das der Parlamentari-
schen Staatssekretärin im Innenministerium, der unter-
liegt dem Berufsverbot, der darf keinen anderen Beruf
ausüben und dem kann es passieren, dass er, wenn er
sein Amt verliert, von heute auf morgen auf der Straße
steht. Deshalb muss es Übergangsgelder geben. Der
Sinn der Übergangsgelder tritt jedoch dann nicht ein,
wenn ein Beruf ausgeübt wird, wie es eben bei der ge-
nannten Parlamentarischen Staatssekretärin der Fall ist.
Sie ist Abgeordnete und bekommt Abgeordnetenbezüge;
sie steht nicht auf der Straße. Es macht also Sinn, dann
das Gehalt, das man als Abgeordneter bezieht, anzu-
rechnen. Das wird von uns unterstützt.

Der zweite Punkt, den wir für richtig halten, ist die
Änderung der Bestimmung, durch die es uns ermöglicht
wird, die moderne Kommunikationstechnologie in unse-
re Arbeit einzubeziehen, und zwar im Rahmen der Gel-
der, die uns dafür zur Verfügung stehen. Von daher sa-
gen wir Ja zu der Zielrichtung.

Trotzdem – das will ich deutlich machen – bleiben
wir bei unseren Überlegungen, zu einer radikalen Neu-
ordnung zu kommen. Der Kollege Hörster hat schon ge-
sagt, dass die letzte große Initiative zur Regelung der
Abgeordnetendiäten von CDU/CSU gemeinsam mit
der SPD erfolgt ist, weil wir der Auffassung sind, dass
wir nicht wie Beamte besoldet werden sollten, uns also
nicht am öffentlichen Dienst orientieren sollten, sondern
dass unser Beruf den Freiberuflern gleichgestellt werden
sollte. Deshalb bleiben wir dabei, dass uns eine Kom-
mission, bestehend aus unabhängigen Persönlichkeiten,
Vorschläge machen soll und dass unsere Altersver-
sorgung so geregelt werden soll, wie es bei Freiberuflern
üblich ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Unsere Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf hindert
uns nicht daran, dieses Ziel, das ich hiermit noch einmal
deutlich machen wollte, weiter zu verfolgen.
Lassen Sie mich noch folgende Bemerkung machen. Sie
alle wissen, dass die Landtage Jahr für Jahr ihre Diäten
erhöhen. All die Diskussionen, die bei uns geführt wer-
den, finden dort nicht statt. Sie wissen, dass fast alle
Landtage keine Bestimmungen haben, die dem entspre-
chen, was wir heute verabschieden. Ich habe den
Wunsch, dass die vernünftigen Gründe, die uns dazu
bewegen, diese Änderungen vorzunehmen, bald auch in
den Landtagen gesehen werden und dass die Landtage
uns folgen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Besonders in Bayern!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408720100
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Roland Claus für die
PDS-Fraktion.

Cem Özdemir






(A)



(B)



(C)



(D)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1408720200
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Auch unsere Fraktion will diesem Ge-
setzentwurf die Zustimmung geben. Uns bewegen dabei
die heute schon geschilderte Vermeidung von Doppel-
vergütungen und die Möglichkeit der Nutzung moderner
Technik. Das ist nicht viel von dem, was man sich ins-
gesamt gewünscht hätte, aber es geht in die richtige
Richtung.

Der Einwand, den der Kollege Hörster für die Christ-
demokraten gemacht hat, ist uns aber nicht verständlich.
Ich fand seine Argumentation auch reichlich gestelzt.
Wenn es Ihnen wirklich darum geht, viel weiter gehende
Vorschläge einzubringen, so hätten Sie das mit einem
Änderungsantrag locker machen können. Wenn Sie sich
dem verweigern, was die anderen Fraktionen heute be-
schließen, wird die öffentliche Botschaft über die
CDU/CSU wiederum lauten: Bescheidenheit ist uns
immer noch fremd. Ich glaube, das ist nicht gut.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das lassen Sie einmal unsere Sorge sein!)


– Das ist für uns alle nicht gut.
Eines ist übrigens bemerkenswert: Während Sie im

federführenden Ausschuss noch geschlossen gegen das
Gesetz gestimmt haben, haben Sie, Herr Kollege
Hörster, heute gesagt, die Abgeordneten könnten nach
„Lust und Laune“ abstimmen. Vielleicht hat es auch bei
Ihnen einiges an Bewegung gegeben.

An der Einbringung des Gesetzentwurfes hat mich
das etwas zu dick geratene Eigenlob der Koalition etwas
gestört.


(Beifall bei der PDS)

Der Kollege Küster hätte mir die Zustimmung beinahe
ausgeredet. Es hat nur noch gefehlt, dass Sie das gesagt
hätten, was wir jetzt immer zu hören bekommen, näm-
lich das Gesetz sei „alternativlos“. Sie wissen, wovon
ich rede.

Eine Reform wurde angekündigt; ein „Reförmchen“
ist daraus geworden. Die Sache bewegt sich aber in die
richtige Richtung. Deshalb lassen wir uns unsere Zu-
stimmung auch nicht von Ihrem Eigenlob ausreden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408720300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge-
brachten Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordne-
ten- und Europaabgeordnetengesetzes auf den Drucksa-
chen 14/2235 und 14/2660. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung gegen einige Stimmen aus der CDU/CSU-
Fraktion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit gegen die Stimmen einiger Mitglieder
der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 6 der Tagesordnung
auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen SPD,

CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
F.D.P.

Einsetzung einer Enquete-Kommission „Nach-
haltige Energieversorgung unter den Bedin-
gungen der Globalisierung und der Liberali-
sierung“

– Drucksache 14/2687 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die

Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die
Kollegin Monika Ganseforth für die Fraktion der SPD.


Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1408720400
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen! Viele sagen, sie
wüssten genug, um eine nachhaltige Energieversorgung
einzuleiten, und fragen, wozu wir noch eine Enquete-
Kommission brauchen. In der Tat haben sich in der Ver-
gangenheit diverse Kommissionen mit dem Thema einer
nachhaltigen Energieversorgung beschäftigt und dem
Bundestag ausführliche Berichte mit einer Fülle von
Empfehlungen vorgelegt. Ich habe den letzten Bericht
auf der Drucksache 12/8600 vom 31. Oktober 1994 mit-
gebracht. Das ist nicht der dickste, der unter der Über-
schrift „Mehr Zukunft für die Erde – Nachhaltige Ener-
giepolitik für dauerhaften Klimaschutz“ steht. Obwohl
wir so viel wissen, ist es in der Vergangenheit kaum ge-
lungen, diese Empfehlungen umzusetzen.

Eines der größten Hemmnisse war dabei das Festhal-
ten an den überkommenen Strukturen der angebots-
orientierten Energiebereitstellung. Ein wesentlicher
Grund dafür war der Preis. Mit der bisherigen Energie-
erzeugung wurde sehr viel Geld verdient, wie sich an
dem Sinken der Strompreise seit dem Aufbrechen der
Monopole zeigt. Langsam werden diese Luft und diese
Zusatzverdienste herausgedrückt.

Der zweite Grund für den Stillstand in der Energiepo-
litik der Vergangenheit war der Streit um die Zukunft
der Atomenergie. Die Atomenergie trägt in Deutschland
mit etwa 10 Prozent zur Primärenergie bei. Bei der
Stromerzeugung sind es allerdings 30 Prozent. Weltweit
ist der Anteil der Atomenergie sogar nur halb so groß.
Aber der Streit um diesen Teil hat eine nachhaltige
Energiepolitik in der Vergangenheit weitgehend blo-
ckiert und verhindert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A)



(B)



(C)



(D)


Es wurde beispielsweise das Ausschöpfen der enormen
Effizienzpotenziale verhindert. Wir haben in der En-
quete-Kommission damals ermittelt, dass es rund
40 Prozent sind. Der Wirkungsgrad von der Primärener-
gie bis zur Nutzenergie beträgt ungefähr 10 Prozent. Das
heißt, 90 Prozent der eingesetzten Energie geht im We-
sentlichen auf dem Umwandlungsprozess bis zur Nutz-
energie verloren. Weltweit ist es sogar noch viel
schlechter. Da gehen ungefähr 95 Prozent verloren. Hier
wäre also sehr viel zu tun. Man könnte mit der halben
Primärenergie genau dieselbe Wirkung haben, wenn
man diese Potenziale nutzen würde.

Auch die Nutzung erneuerbarer Energien wie Solar-
energie, Biomasse, Wasser und Wind wurde wegen der
Blockade nicht in dem notwendigen Maß vorangetrie-
ben.


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Aber jetzt!)


Es gelang noch nicht einmal, die Hemmnisse zu beseiti-
gen, die den ökonomischen Potenzialen für eine nach-
haltige Energieversorgung im Wege stehen.

Es ist richtig: Es hat sich seit dem Regierungswechsel
einiges getan. Wir haben das 100 000-Dächer-Programm
auf den Weg gebracht. Wir haben die Ökosteuer einge-
setzt, die die Energieeffizienz verbessern soll. Wir haben
ein Anreizprogramm mit den eingenommenen Mitteln
aufgelegt, die nicht für die Senkung der Lohnnebenkos-
ten verwendet werden. Wir sind dabei, ein hervorragen-
des Gesetz für die Förderung erneuerbarer Energien zu
machen. Die Energieeinsparverordnung, die den Namen
auch verdient, ist in Arbeit. Gleiches gilt für die Kam-
pagne „Solar – Na klar!“ usw. Wir haben also mehr
Tempo in die Sache gebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dann stellt sich, wenn wir auf so einem guten Weg
sind, natürlich die Frage: Was soll eine neue Enquete-
Kommission noch leisten? Was ist neu? Seit den letzten
Arbeiten haben sich die Rahmenbedingungen für Ener-
giepolitik durch die Liberalisierung der Energiemärkte
und die Globalisierung durchgreifend geändert. Das sind
neue Gesichtspunkte. Nationale Energiepolitik muss
diese Bedingungen stärker berücksichtigen als in der
Vergangenheit. Das wird der Schwerpunkt der Arbeit
der neuen Enquete-Kommission sein.

Es heißt zum Beispiel im Einsetzungsbeschluss: „Im
Zentrum sollen die kurz-, mittel- und langfristigen
Klimaschutzziele … stehen.“ Wichtig sind hier die
25 Prozent CO2-Reduktion, die wir zugesagt haben, sowie die völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutsch-
lands im Rahmen des Kioto-Prozesses. Es geht um die
Konkretisierung dieser Ziele einmal bis zum Jahr 2010,
aber auch der Ziele bis zum Jahr 2050. Die Enquete-
Kommission hat damals gesagt, dass die Industriestaaten
ihre Emissionen bis zu 80 Prozent reduzieren müssen.
Das ist wahrlich eine anspruchsvolle Aufgabe.

Trends, Ziele und Gestaltungsspielräume sind natio-
nal, europäisch und im globalen Rahmen aufzuzeigen.
Insbesondere geht es darum, die veränderten Rahmen-

bedingungen von Globalisierung und Liberalisierung zu
berücksichtigen.


(Unruhe bei der CDU/CSU)

– Ich habe nicht den Eindruck, als wenn dies die Kolle-
gen und Kolleginnen von der Opposition sonderlich in-
teressierte. Ich kann verstehen, wenn Sie im Augenblick
andere Sorgen haben. Aber hier geht es um wichtige
Fragen für die Zukunft. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn
Sie sich auch damit etwas beschäftigen würden und
nicht nur mit sich selber.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Joachim Hörster [CDU/CSU]: Dann reden Sie nicht so langweilig!)


Ob die Enquete-Kommission diese Aufgabe, die ich
eben geschildert habe, wirklich lösen kann und ihr ge-
recht wird, wird davon abhängen, ob es gelingt, Pro und
Kontra der Atomenergie nicht wieder in den Mittel-
punkt zu stellen; denn das würde die Diskussionen blo-
ckieren. Über dieses Thema werden wir keine Einigung
zwischen der rechten und linken Seite des Hauses erzie-
len. Auf Ihrer Seite sind nach wie vor die Befürworter
der Atomenergienutzung, während wir diese gefährliche
Energieform nicht mehr verwenden wollen. Wir halten
sie für zu riskant. Die Gründe dafür sind altbekannt: Die
Nutzung ist zu gefährlich, die Proliferation kann nicht
ausgeschlossen werden und für die Endlagerung gibt es
keine sichere Lösung.

Gestern gab es wieder einen Störfall in einem Atom-
kraftwerk bei New York.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Was hat das jetzt mit der Enquete-Kommission zu tun?)


Dort hat es ein Leck in einer Wasserleitung gegeben, ra-
dioaktiver Dampf ist entwichen. Alarmstufe 2 ist ausge-
rufen worden. Jetzt passiert das, was immer passiert. Es
wird gesagt: Es ist ja nicht die ganz große Katastrophe
eingetreten, wir haben alles im Griff. Ich muss Ihnen sa-
gen: Wir werden und wollen uns nicht an diese Meldun-
gen gewöhnen.

Den Streit um die Atomenergie werden wir also auch
in dieser Enquete-Kommission nicht lösen. Wir werden
nur dann erfolgreich sein, wenn wir uns nicht an der
Frage der national 10 Prozent bzw. weltweit etwa
5 Prozent der Primärenergienutzung festbeißen, sondern
wenn wir uns um die restlichen 90 bzw. 95 Prozent des
Energiebedarfs kümmern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage einmal ganz klar an Ihre Seite gerichtet: Die
Enquete-Kommission darf kein Kampfinstrument wer-
den.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Hören Sie doch auf! – Walter Hirche [F.D.P.]: Dann müssen Sie eine andere Rede halten!)


– Ich bekomme große Bedenken, wenn ich das höre. –
Sie muss einen Dialog- und Lernprozess einleiten. Wir

Monika Ganseforth






(A)



(B)



(C)



(D)


haben eine große Verantwortung. Wir müssen über die
90 bzw. 95 Prozent der restlichen Energie sprechen; dar-
auf kommt es an.

Ich will einen Teil aus den Empfehlungen dieses Be-
richts vorlesen, den damals die Minderheit verabschiedet
hat.


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Ich habe große Sorge, wenn ich Sie so höre.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Ich habe große Sorge, wenn ich Sie höre!)


Ich bitte Sie, wirklich zuzuhören, weil es dabei um
wichtige Dinge geht.

Wir haben geschrieben:
Unverantwortlich ist, dass und wie wir Reichen zu-
lasten der Armen leben. Diese Unverantwortlich-
keit wird noch dadurch verschärft, dass wir – und
das gilt auch für Deutschland – dies wissen und in
Kenntnis der Folgen fast nichts tun, um daran etwas
zu ändern.
Und vielleicht noch schlimmer ist, dass dieses
Nichtstun im Wesentlichen auf einem Mangel an
Verständigungswillen beruht. Diejenigen, die den
energiepolitischen Gegensatz aufrechterhalten und
damit die gegenseitige Blockade stabilisieren,
kämpfen nicht nur gegeneinander. Vor allem ver-
weigern sie gemeinsam die Verständigung zulasten
der Dritten Welt und der Nachwelt.

Das war das Zitat, und ich will nicht verhehlen, dass
ich – gerade nach Ihren Reaktionen – skeptisch bin, ob
der Verständigungswille inzwischen größer geworden ist
als zu der Zeit, als wir an diesem Bericht gearbeitet ha-
ben, und ob die Enquete-Kommission gelingen wird.
Wir müssen aber versuchen, diesen Dialog über Partei-
grenzen hinweg und mit den Wissenschaftlern und den
Expertinnen und Experten der verschiedenen Gruppen
und der verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte zu füh-
ren. Dieser Dialog ist ganz wichtig; denn die Herausfor-
derungen, vor denen wir stehen und die wir zu bewälti-
gen haben, sind mit oder ohne Atomenergie gewaltig.

Die Regierungskoalition ist bereit, sich diesen Her-
ausforderungen zu stellen und diesen Dialog im Interes-
se der Verantwortung zu führen. Wir werden unseren
Beitrag für eine erfolgreiche Arbeit der Enquete-
Kommission leisten. Es kommt darauf an, dass auch Sie
bereit sind, zusammenzuarbeiten. Nur dann werden wir
Erfolg haben.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408720500
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Herr Kollege Dr. Ralf
Brauksiepe.


Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1408720600
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heutigen
Einsetzungsbeschluss für unsere Enquete-Kommission
stehen wir zunächst einmal an einem erfolgreichen Ende
schwieriger Verhandlungen, aber eben erst am Anfang
einer gemeinsamen Suche nach Problemlösungen für die
Aufgaben, die wir uns gestellt haben.

Ich bin froh, für die CDU/CSU-Fraktion, die diese
Enquete-Kommission ausdrücklich wollte, feststellen zu
können, dass nach unserer Auffassung mit diesem Ein-
setzungsbeschluss, über den Sie, Frau Kollegin, relativ
wenige Worte verloren haben, eigentlich alle Vorausset-
zungen dafür gegeben sind, dass wir die Ziele, die wir
uns vorgenommen haben, auch erreichen können und
dass wir insbesondere auch eine langfristige Energiepo-
litik in ihren Grundzügen hoffentlich weitgehend im
Konsens verabreden können.

Wir stehen in der Energiepolitik zweifellos vor gra-
vierenden Herausforderungen. Dazu zählt selbstver-
ständlich nicht zuletzt das wichtige Ziel des Umwelt-
und Klimaschutzes. Wir müssen die natürlichen Lebens-
grundlagen vor dem Hintergrund des nicht tolerierbaren
Klimawandels und seiner Auswirkungen sichern. Wir
haben dieses Ziel so in unserem Beschluss formuliert.
Dazu gehört die Bekämpfung der CO2Problematik. Dazu gehört auch, dass wir die gemeinsam beschlossenen na-
tionalen und internationalen Ziele der CO2-Reduktion verwirklichen und den Weg, den die frühere Bundesre-
gierung in diesem Bereich so erfolgreich eingeschlagen
hat, auch gemeinsam fortsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Michael Müller Wir freuen uns in diesem Zusammenhang im Übrigen auch, wenn die heutige Bundesregierung nach dem Motto „Besser spät als nie“ irgendwann zu den richtigen Einsichten kommt. Deswegen haben wir es auch begrüßt, dass der heutige Bundesumweltminister im letzten Jahr auf der 5. Internationalen Klimaschutzkonferenz in Bonn ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass Deutschland zu den wenigen Ländern gehört, die seit 1990 überhaupt eine Reduktion ihres CO2-Ausstoßes er-reicht haben. Er hat weiter darauf hingewiesen, dass mit den bereits eingeleiteten Maßnahmen bis zum Jahr 2005 eine Reduktion um immerhin 17 Prozent erreicht sein wird. Wir wären froh, wenn wir guten Gewissens sagen könnten, dass die neue Bundesregierung die richtigen Maßnahmen ergriffen hat, um auch die restlichen 8 Prozent der angestrebten Reduktion, gemessen an unseren Zielvorstellungen, bis zum Jahr 2005 zu erreichen. Davon kann aber leider nicht die Rede sein. Das ist für uns im Übrigen ein ganz entscheidender Aspekt in der Debatte über die Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist für uns etwas anderes als Langfristigkeit. Nachhaltige Energiepolitik ist eben eine Politik, die klar auf die Senkung des CO2-Ausstoßes setzt und generell keine Energieträger aus der Betrachtung ausschließt, die dazu einen wichtigen Beitrag leisten können. Monika Ganseforth (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Michael Müller nicht begriffen!)





(A)


(B)


(C)


(D)


Bei aller Bedeutung der umwelt- und klimapoliti-
schen Fragen geht es uns bei der vor uns liegenden Ar-
beit nicht allein um diese Fragen. Sämtliche Ziele, die
wir uns setzen – das ist bereits angesprochen worden –,
sind vor dem Hintergrund der Globalisierung und der
Liberalisierung zu verwirklichen. Das bedeutet auch,
dass wir die volkswirtschaftlichen Aspekte der Energie-
politik keinesfalls außer Acht lassen dürfen.

Für uns als CDU/CSU spielt die Wettbewerbsfähig-
keit des Energieproduktionsstandortes Deutschland eine
ganz herausragende Rolle. Wir wollen nicht, dass in
Deutschland nur Energie verbraucht wird, sondern wir
wollen, dass dort auch Energie produziert wird.


(Monika Ganseforth [SPD]: Da sind wir uns einig!)


Wir brauchen den Energieproduktionsstandort
Deutschland gerade auch für die Sicherung bestehender
und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wahrscheinlich hört die Einigkeit auf, sobald ich
feststelle, dass es dabei nicht darum gehen kann, Ar-
beitsplätze in gute und schlechte zu teilen. Eine sinnvol-
le Energiepolitik sieht für uns nicht so aus, mit einem
großen moralischen Anspruch in Deutschland Arbeits-
plätze im Bereich der Kernenergie zu vernichten und
gleichzeitig Atomstrom aus Frankreich oder anderen
Ländern zu importieren. Das kann nicht der richtige
Weg in die Energiepolitik der Zukunft sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wer will das? Das fängt ja gut an!)


Dabei sind wir uns darüber im Klaren, dass es gerade
vor dem Hintergrund der Liberalisierung der Energie-
märkte, die – ob wir wollen oder nicht – ja noch weiter
voranschreiten wird, nicht möglich ist, die Anteile ein-
zelner Energieträger am Energiemix der Zukunft von
vornherein durch staatliche Regulierungen exakt festzu-
schreiben.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Der kennt das Thema nicht!)


Das funktioniert nicht. In einem globalisierten und li-
beralisierten Energiemarkt muss sich dieser Energiemix
vielmehr ein Stück weit am Markt bilden.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Es geht doch nicht um den Energiemarkt! Es geht um die Senkung des Stromverbrauchs!)


Die Politik muss dafür, national und international ab-
gestimmt, die erforderlichen Rahmenbedingungen set-
zen. Verbote gehören sinnvollerweise nicht zu solchen
Rahmenbedingungen.

Vor diesem Hintergrund ist es für uns als CDU/CSU-
Fraktion besonders wichtig, dass die in unserem Einset-

zungsbeschluss vorgesehenen fünf Optionen, die für
jeweils vergleichbare Zeiträume untersucht werden sol-
len, auch klar und gleichberechtigt nebeneinander ste-
hen. Es kann keine von vornherein politisch festgesetzte
Prioritätenfolge und auch keine Präjudizierung dahin
gehend geben, wie der Energiemix der Zukunft aussehen
soll.

Deswegen möchte ich diese nach langen Verhandlun-
gen gemeinsam festgelegten Optionen noch einmal in
Erinnerung rufen. Da ist zunächst selbstverständlich die
Ausschöpfung der kurz- und mittelfristig verfügbaren
Energieeinsparpotenziale in den Bereichen Elektrizität,
Wärme und Mobilität unter Berücksichtigung von Ener-
giedienstleistungen. Es ist völlig klar, dass Energieein-
sparpotenziale genutzt und ausgeschöpft werden müs-
sen.

Uns ist aber gleichzeitig auch klar, dass die so viel
beschworene Effizienzrevolution von uns hier nicht ein-
fach beschlossen und verkündet werden kann und dass
von daher eine solche Option allein auch nicht ausrei-
chend ist. Deswegen legen wir großen Wert auch auf die
Optionen, die uns die erneuerbaren Energien geben. In
diesem Zusammenhang wirkt natürlich auch der Ausbau
weiterführender Technologien als Ergänzung zu den er-
neuerbaren Energien. Wir unterstützen es auch, die
Möglichkeiten für den Einsatz von Kraft-Wärme-
Kopplung für die langfristige Energieversorgung zu prü-
fen, so wie wir es uns vorgenommen haben.

Wir nehmen darüber hinaus auch dankbar zur Kennt-
nis – ich halte mich zunächst einmal an das, was wir
vereinbart haben –, dass es nach schwierigen Verhand-
lungen und nach einer längeren Vorbereitung doch ge-
lungen ist, sich darauf zu verständigen, dass wir eben
auch – hier zitiere ich unseren Einsetzungsbeschluss
wörtlich – den „Beitrag der Kernenergie sowie der wei-
terführenden Forschung in der Kernenergie“ als eine
gleichberechtigte Option in den Arbeitsauftrag der En-
quete-Kommission aufgenommen haben.

Es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein,
dass man vorbehaltlos sämtliche Optionen prüft. Aber
wir sind ja nicht nur aus den Vorgesprächen für die Bil-
dung dieser Enquete-Kommission, sondern leider auch
aus der praktischen Regierungspolitik dieser Bundesre-
gierung eine Menge Kummer gewöhnt.


(Monika Ganseforth [SPD]: Da werden wir uns auch nicht einigen können!)


Meine Damen und Herren, wie Sie von der Regie-
rungskoalition in den letzten Monaten versucht haben,
den Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie poli-
tisch durchzusetzen, das widerspricht nicht nur aller
ökonomischen, sondern auch aller ökologischen Ver-
nunft. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie endlich aufhö-
ren, mit Ihrer Verstopfungsstrategie bei den notwendi-
gen Atomtransporten und mit anderen Nadelstichen auf
kaltem Wege diesen Kernenergieproduktionsstandort
Deutschland – gegen den Import von Kernenergiestrom
haben Sie ja offenbar nichts – kaputtmachen zu wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Ralf Brauksiepe






(A)



(B)



(C)



(D)


Dagegen wehren wir uns. Hören Sie damit auf!
Warten Sie ab; lassen Sie sich in dieser Enquete-
Kommission wissenschaftlich beraten und treffen Sie
erst dann vernünftige Entscheidungen in der Sache! Das
ist unser Wunsch.

Zu Ihrer bisher betriebenen Energiepolitik passen lei-
der eben auch die Tendenzen – mit denen wir konfron-
tiert waren –, dass Sie eine wissenschaftlich fundierte
Diskussion über die Kernenergie eigentlich von vorn-
herein verhindern oder – um es mit Ihren Worten zu sa-
gen – blockieren wollten. Es widerspricht doch eigent-
lich dem Sinn jeder Enquete-Kommission, Optionen von
vornherein auszuschließen und Denkverbote erteilen zu
wollen. Deswegen nehmen wir schon mit Befriedigung
zur Kenntnis, dass Sie sich bei der Formulierung dieses
Beschlusses unserer Auffassung in dieser Frage, dass
wir über dieses Thema diskutieren wollen, letztlich doch
angeschlossen haben.

Es gibt nach unserer Überzeugung in der Energiepoli-
tik keinen Weg ohne Risiken. Wir bestreiten nicht, dass
bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie Risiken zu
beachten und zu minimieren sind. Wir wollen uns aller-
dings nicht so verheben, uns vorzunehmen, dass wir im
Rahmen der Arbeit dieser Enquete-Kommission die
Kernenergieprobleme des Staates New York lösen wer-
den. Das wird unsere Möglichkeiten übersteigen.

Wir sagen aber auch, dass es Risiken gibt, die mit an-
deren Energieträgern verbunden sind. Ich erinnere nur
an die regional sehr unterschiedliche Verteilung der
Energieressourcen auf der Welt und an die politischen
Risiken, die damit verbunden sind, wenn wir uns zu-
nehmend von Energieimporten nach Deutschland ab-
hängig machen.


(Dr. Axel Berg [SPD]: Die Sonne scheint doch immer!)


Gerade vor diesem Hintergrund – das sage ich Ihnen
von der Regierungskoalition auch als Abgeordneter aus
Nordrhein-Westfalen; der eine oder andere Nordrhein-
Westfale ist ja hier auch anwesend – sollten wir mit un-
seren heimischen Energieträgern sorgsam umgehen.

Deshalb sage ich auch: Es ist unverantwortlich, wenn
Sie mit Ihren Ökosteuerplänen die Arbeitsplätze in der
Braunkohle erst massiv gefährden und dann noch nicht
einmal den Mut haben, das den betroffenen Menschen
auch zu sagen,


(Beifall bei der CDU/CSU)

sondern sich mit Ankündigungen von Nachbesserungen
über die nordrhein-westfälischen Landtagswahlen retten
wollen. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.


(Peter Dreßen [SPD]: Das werden Sie aber müssen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das geringste Risi-
ko in der Energiepolitik, in der Energieversorgung ist
nach aller Erfahrung mit einem ökonomisch und ökolo-
gisch vernünftigen Mix der verschiedenen Energieträger
verbunden.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


Wir als CDU/CSU wollen sämtliche Wege vorbehalt-
los untersuchen. Wir wollen bei der Arbeit in dieser En-
quete-Kommission nichts von vornherein ausschließen.
Wir wollen keine Energieträger diskriminieren und auch
keinen bevorzugen.

Wir wissen natürlich, dass wir in dieser Enquete-
Kommission keine politische Mehrheit haben. Deswe-
gen setzen wir auf den Sachverstand nicht nur der Ab-
geordneten, sondern gerade auch der Vertreter der Wis-
senschaft in dieser Kommission. Wir sind sehr zuver-
sichtlich, dass auch die von Ihnen benannten Sachver-
ständigen zu der notwendigen Versachlichung der ener-
giepolitischen Debatte beitragen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Selbstverständlich!)


Unser Eindruck von der Energiepolitik der Bundesre-
gierung ist: Diese Bundesregierung hat energiepolitische
Beratung wirklich bitter nötig. Wir hoffen sehr, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktio-
nen, dass Sie sich bei den Beratungen der Enquete-
Kommission nicht wie in vielen anderen politischen
Sachfragen als beratungsresistent erweisen. Das können
wir nicht gebrauchen. In diesem Sinne freuen wir uns
auf die gemeinsame Arbeit in der Enquete-Kommission.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408720700
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Michaele Hustedt für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408720800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Brauksiepe, ich hoffe – ehrlich gesagt –, dass die Dis-
kussion in unserer Enquete-Kommission ein etwas bes-
seres Niveau haben wird als das, was Sie hier gezeigt
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Angesichts dieser platten Diskussion über Energiepoli-
tik, die nicht zur Kernzeit stattfindet, sondern dann,
wenn keiner mehr zuhört – es geht schließlich um eine
Enquete-Kommission –, hoffe ich, dass wir in der En-
quete-Kommission nicht auf dieses Niveau zurückfallen
werden und dass sich dieser Stil dort nicht wiederholen
wird. In der Enquete-Kommission sollten wir ein biss-
chen tiefer in die Thematik einsteigen.


(Kurt-Dieter Gill doch keine Zensur!)


– Ich kann sagen, was ich will. Noch habe ich ein freies
Rederecht, Herr Grill. Danach sind Sie an der Reihe.

Dr. Ralf Brauksiepe






(A)



(B)



(C)



(D)


Wir fangen auch nicht bei Null an. Wir knüpfen –
Frau Ganseforth hat darauf hingewiesen – an die alte
Klimaenquete an. Unser Ziel ist, die Treibhausgase bis
2005 – EU-weit bis 2010 – zu reduzieren. Wir alle ak-
zeptieren wohl das Leitbild der nachhaltigen Entwick-
lung, auch wenn wir es zum Teil unterschiedlich ausle-
gen. Das EU-Ziel ist, den Anteil der erneuerbaren Ener-
gien und der Kraft-Wärme-Kopplung zu verdoppeln.
Das alles ist die Grundlage, um die Diskussion fortzu-
führen.

Aber Marktwirtschaft im Bereich der Energiever-
sorgung ist für alle Neuland. Wir alle lernen während
der Entstehung des Marktes gleichzeitig hinzu. Alle
müssen umdenken. Wer behauptet, er brauche es nicht,
der macht sich etwas vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt völlig neue Akteure auf dem Markt. Die Ak-

teure haben ganz andere Rollen und werden sie auch in
Zukunft innehaben. Es muss überdacht werden, ob die
Instrumente noch in den marktwirtschaftlichen Rahmen
passen, um die Ziele zu erreichen. Wir müssen viel stär-
ker lernen, auch im europäischen und nicht nur im
deutsch-nationalen Maßstab zu denken.

Das Spannende an einer Enquete-Kommission ist,
dass man dort etwas tun kann, was man im normalen Po-
litikgeschehen nicht tun kann, nämlich dass man über
die Legislaturperiode hinaus plant und denkt und zum
Beispiel auch über das Thema „Übergang ins Wasser-
stoffzeitalter“ diskutiert, obwohl man im parlamentari-
schen Rahmen eingebunden ist. Wir sollten diskutieren,
was wir tun können, um schon heute Brücken auch zu
weiter entfernten visionären Energieszenarien zu
schlagen, die uns dann, wenn sie Wirklichkeit werden,
tatsächlich eine nachhaltige Energieversorgung gewähr-
leisten. Hier geht es nicht nur, Herr Brauksiepe, um die
Arbeitsplätze im Bereich der Energieproduktion.

In Deutschland ist die Maschinen- und Anlagenbran-
che die größte. Zurzeit gibt es eine außerordentlich hohe
Investitionszurückhaltung, sowohl im Anlagenbau als
auch im Ausbau des Netzes. Das ist für die Anlagen-
branche zurzeit ein Riesenproblem. Wenn man sich an-
gesichts dessen vor Augen führt, dass sich der Energie-
verbrauch aufgrund der Entwicklung in den Entwick-
lungsländern verdoppeln wird, und wenn man weiß, dass
es einen sehr großen Exportmarkt in diesem Bereich
gibt, dann darf man das Problem „Arbeitsplätze durch
Energie“ nicht nur auf die Energieproduktion verengen;
vielmehr muss man sich fragen, wie diese Investitions-
zurückhaltung aufgebrochen werden kann.

Ich möchte nun noch einige Punkte über die Verzah-
nung von aktueller Politik und Enquete-Kommission sa-
gen. Früher hat die Klimaenquete gute Vorschläge aus-
gearbeitet, die dann in den Schubladen vermodert sind.
Nichts, aber auch gar nichts von diesen teilweise ge-
meinschaftlich verabschiedeten Vorschlägen wurde von
der alten Bundesregierung übernommen. So sah das
Verhältnis zwischen Enquete-Kommission und Bundes-
regierung früher aus.


(Zuruf von der SPD: So ist es! Genau!)


Jetzt gibt es eine völlig andere Situation. Wir werden
die anstehenden Probleme anpacken. Wir werden zum
Beispiel den erneuerbaren Energien auch in der Markt-
wirtschaft eine Perspektive eröffnen.
Wir werden etwas für die Kraft-Wärme-Kopplung tun,
damit diese Investitionszurückhaltung überwunden wer-
den kann. Wir haben schon durch die Ökosteuer einen
Anreiz zur Effizienz gegeben.

Wir werden auch den Atomausstieg organisieren. Es
ist völlig klar: Es wird in nächster Zeit ein Ergebnis ge-
ben – egal ob wir es im Konsens oder im Dissens zu-
stande bringen. Dann wird der Atomausstieg in Deutsch-
land beginnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


In der Enquete-Kommission wird deswegen aus unse-
rer Sicht mehr die Diskussion über eine Energiepolitik
in mittel- und langfristiger Sicht im Zentrum stehen. Es
wird durchaus darauf ankommen, den Einsatz dieser In-
strumente zu diskutieren.

Ich nenne folgendes Beispiel: Viele von Ihnen wollen
die Diskussion über den Instrumentenwechsel bei den
erneuerbaren Energien in Richtung Quote. Ich finde,
dieses Thema gehört als Instrumentendebatte in die En-
quete-Kommission, auch wenn ich in der Sache eher
skeptisch bin. Ich fände es sehr gut, wenn Sie vor dem
Hintergrund, dass wir diese Diskussion führen werden,
jetzt erst einmal für Investitionssicherheit sorgen, den
Attentismus, den es in diesem Bereich gibt, überwinden,
dann konstruktiv bei einer Novellierung des EEG mit
uns zusammenarbeiten und uns zustimmen. Das würde
ich mir wünschen. Es wäre ein guter Start für diese En-
quete-Kommission.

Ein letztes Wort an Herrn Grill persönlich.

(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Der hat doch gar nichts gesagt!)

– Sie, Herr Grill, waren ja Vorsitzender. – Diese En-

quete-Kommission macht nur Sinn, wenn wir dort nach-
denklich diskutieren und wenn wir nicht gegenseitig po-
larisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Da werden Sie eine besondere Aufgabe haben.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408720900
Frau Kollegin
Hustedt, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408721000

Ich bin gleich am Ende.

Ich fand unseren Start und die Art, wie diese Vorlage
zustande gekommen ist, sehr schlecht. Wenn wir es tat-
sächlich schaffen, ein gemeinsames Votum für
„Rio + 10“ im Jahr 2002 abzugeben, dann wird das sehr
deutlich beachtet werden; denn die Rolle Deutschlands
bei dieser Diskussion ist außerordentlich bedeutend. Ein

Michaele Hustedt






(A)



(B)



(C)



(D)


gemeinsames Votum aller Fraktionen würde das Ge-
wicht unserer Stimme in der Welt noch erhöhen.

Deswegen wünsche ich uns allen eine konstruktive
Zusammenarbeit, die nicht polarisiert. Ich wünsche uns
allen eine sachkundige Diskussion und fantasievolle
Ideen zum guten Gelingen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408721100
Es spricht jetzt für
die F.D.P.-Fraktion der Kollege Walter Hirche.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1408721200
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Beschluss,
den wir heute fassen, setzt sich dieser Bundestag ein
ganz ehrgeiziges Ziel. Wir sollen in der Enque-
te-Kommission diskutieren, wie es möglich ist, bis zum
Jahr 2010 den Anteil der erneuerbaren Energien zu
verdoppeln und bis zum Jahr 2050 – ein weiter Horizont
– den Umfang der Treibhausemissionen um 80 Prozent
zu verringern. Ich nenne diese Zahl deswegen am An-
fang, weil ich glaube, dass vielen in diesem Hause über-
haupt nicht bewusst ist, was das letzten Endes unter den
Bedingungen von Globalisierung und Liberalisierung
bedeutet.

Wer „Klima“ an die oberste Stelle der Ziele setzt, der
begeht einen Anschlag auf dieses Ziel, wenn er zu die-
sem Zeitpunkt eine CO2-freie Energieerzeugung, die Kernenergie, vom Markt entfernt,


(Monika Ganseforth [SPD]: Das musste ja kommen! Das ist doch falsch!)


ohne dass er in entsprechendem Umfang eine Alternati-
ve zur Verfügung hat.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


An dieser Frage entscheidet sich, ob „Klima“ oder die
Gegnerschaft gegenüber der Kernenergie das oberste
Ziel ist.

Ich verstehe den Antrag auf Einsetzung der Enque-
te-Kommission so, dass wir verschiedene Szenarien
entwickeln. In der einen Kategorie spielt die Kernener-
gie eine Rolle, während in der anderen Kategorie Szena-
rien beschrieben werden, wie es gelingen kann, die
Probleme ohne Kernenergie zu bewältigen. Dies muss
vor dem Hintergrund der Globalisierung und der Libera-
lisierung geschehen.

Liberalisierung bedeutet in diesem Zusammenhang,
dass wir den Innovationsdruck im Energiebereich auf-
rechterhalten müssen, zum Beispiel so, wie es bis jetzt
mit dem Stromeinspeisungsgesetz in Richtung auf die
erneuerbaren Energien vonstatten gegangen ist. Aber
genau diesen Innovationsdruck, nämlich durch eine An-
kopplung von Preisen auf dem Markt, wollen Sie jetzt
mit Ihrem neuen Gesetzentwurf herausnehmen.

Nach meiner festen Überzeugung schaden Sie mit
diesem Gesetzentwurf der Entwicklung der erneuerbaren

Energien. Frau Hustedt, weil Sie es angesprochen haben,
sage ich Folgendes auch in Ihre Richtung: Es wäre bes-
ser, das bestehende Gesetz bestehen zu lassen und da-
rüber nachzudenken, wie man ohne das Aufwerfen all
der Verfassungsprobleme, die mit Ihrem Entwurf ver-
bunden sind und die eine totale Verunsicherung in die
Szene der erneuerbaren Energien treiben, in einer ruhi-
gen Diskussion mit Fachwissenschaftlern und Rechtsex-
perten eine sichere Grundlage für den Ausbau der er-
neuerbaren Energien schaffen kann.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich plädiere jedenfalls dafür, dass wir das versuchen

und dabei – auch das ist im Zuge der Liberalisierung zu
beachten – daran denken, dass es natürlich eine Rolle
spielt, gerade wenn wir die globale Entwicklung be-
trachten, zu welchen Kosten wir CO2-Vermeidung betreiben. Wenn zum Beispiel die Biomasse zu geringe-
ren Kosten als die Windenergie und in ihrer Gesamtbi-
lanz CO2-frei Energie erzeugt, dann muss dieses Haus den Akzent stärker auf die Biomasse als auf die Wind-
energie legen. Wenn dieses morgen auf die Geothermie
oder etwas anderes zutrifft, dann muss dieses Haus eine
entsprechende Gewichtung vornehmen.

Ich plädiere in dieser Situation dafür, dass wir offen
bleiben und in dieser Debatte nicht versuchen, uns ge-
genseitig auf bestimmte Wege und Instrumente festzule-
gen. Global heißt aber auch – das ist mein Appell insbe-
sondere an die SPD – zu registrieren, was im Europäi-
schen Parlament Positives über Kernenergie gesagt wur-
de. Ich denke da an Ihren Sprecher, den Kollegen Link-
ohr.


(Lachen des Abg. Peter Dreßen [SPD])

– Natürlich ist das so. Lesen Sie doch einmal die Zei-
tungsinterviews nach. In zehn Jahren ändern sich auch
die in Debatten behandelten Fragen. Lassen Sie uns das
vorurteilsfrei diskutieren. Ich plädiere dafür, Szenarien
der unterschiedlichsten Art nebeneinander zu stellen.


(Beifall bei der F.D.P.)

In fünf oder zehn Jahren werden dann Parlamente

entscheiden, was nach neuesten Erkenntnissen für sie
das Richtige ist. Lösen Sie sich davon, heute durch einen
Beschluss festlegen zu wollen, was für die Zukunft rich-
tig ist. Derjenige hat eine schwache Position, der heute
mit Verboten oder Geboten festlegen will, was morgen
richtig ist. Wir als Liberale verstehen die Aufgabe der
Enquete-Kommission und jede aktuelle Debatte so, dass
man nach jeweils aktuellem Erkenntnisstand, sicherlich
von unterschiedlichen Auffassungen ausgehend, ver-
sucht, eine Situation zu beschreiben. Sie darf aber nicht
zementiert werden,


(Beifall bei der F.D.P.)

sondern es muss die Möglichkeit offen gelassen werden,
morgen eine Entwicklung in Gang zu setzen, die dazu
beiträgt, dass auf der ganzen Welt zu bezahlbaren Prei-
sen – das ist dann Weltpolitik für die Umwelt – umwelt-
verträglich Energie erzeugt werden kann. Wenn wir uns
in dieser Frage in der Kommission annähern, dann hät-
ten wir eine ganze Menge erreicht.

Michaele Hustedt






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408721300
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Eva Bulling-Schröter für
die PDS-Fraktion.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1408721400
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einsetzungsbe-
schluss für die Enquete-Kommission zu Energiefragen
hat eine lange Vorgeschichte und hat die Beteiligten bis
jetzt schon viele Nerven gekostet. Es begann damit, dass
sich SPD und CDU/CSU darum stritten, wer denn ei-
gentlich zu den Vorbereitungstreffen einladen dürfe.

Bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Antrages wur-
den vonseiten der CDU/CSU immer wieder bekannte
Wahrheiten infrage gestellt,


(Walter Hirche [F.D.P.]: Bekannte Wahrheiten kennt nur der Marxismus-Leninismus! – Gegenruf von der PDS: Herr Hirche, davon haben Sie nun wirklich keine Ahnung!)


während sich die SPD-Vertreter selbst uneinig über die
Zielrichtung der Enquete-Kommission waren. In lang-
wierigen mühsamen Verhandlungen wurde dann ein
Kompromiss gefunden, dem sich alle Parteien anschlie-
ßen konnten.

Obwohl über Nachhaltigkeit viel im Antrag geschrie-
ben steht und bekannterweise dabei alle gesellschaftli-
chen Gruppen einbezogen werden sollen, durfte die PDS
nicht als Antragstellerin erscheinen. Die beiden großen
Volksparteien wollten das wieder einmal so. Offensicht-
lich hat sich bis jetzt immer noch nicht herumgespro-
chen, dass wir hier im Bundestag über zwei Millionen
Wählerinnen und Wähler vertreten. Vielleicht will man
aber auch schlicht und einfach mit einer Partei nichts zu
tun haben, die sich nach wie vor für den sofortigen
Atomausstieg einsetzt.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das habt ihr ja schon immer gemacht!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Titel für
die Enquete-Kommission im Einsetzungsbeschluss wird
suggeriert, dass die Wirkungen der Globalisierung und
der Liberalisierung gottgegeben und deshalb unabwend-
bar sind. Entsprechend untergeordnet werden dann auch
die damit zusammenhängenden Fragen behandelt, wie
zum Beispiel die mögliche Verdoppelung des Einsatzes
von erneuerbaren Energien. Mit dem hoffentlich bald
beschlossenen Stromeinspeisungsgesetz werden hier
Möglichkeiten geschaffen, im Rahmen marktwirtschaft-
licher Instrumente regenerative Energien zu fördern. Si-
cher kann hier noch sehr viel mehr bewegt werden, vor
allem dann, wenn andere Energieträger die von ihnen
erzeugte Energie endlich zu realen Kosten verkaufen
müssen, also zum Beispiel endlich die Rückstellungen
der Atomkonzerne versteuert oder die Haftpflichtsum-
men der AKWs der realen Gefährdung angepasst wer-
den.

Weiter soll der Einsatz von Kraft-Wärme-
Kopplung erforscht werden „mit dem Ziel, sie als mög-

liche Technologie zur Überbrückung bis zu einer lang-
fristig wesentlich auf erneuerbaren Energieträgern beru-
henden Energieversorgung ... zu installieren“. Ich bin
mir nicht sicher, ob wir mit unserer Untersuchung nicht
zu spät kommen. Denn schon jetzt kämpfen die Stadt-
werke und KWK-Anlagen-Betreiber ums Überleben.
Wenn hier nicht schnell reagiert wird, besteht die Ge-
fahr, dass die Diskussion um KWK zu spät kommt und
diese Anlagen inzwischen alle abgeschaltet sind. Des-
halb hat die PDS einen Antrag zur Sicherung und zum
Ausbau der gekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung
eingebracht, um die Diskussion ein bisschen zu beför-
dern.

Natürlich soll auch „der Beitrag der Kernenergie
sowie der weiterführenden Forschung in der Kernener-
gie“ zum x-ten Mal untersucht werden. Offensichtlich
reichen Atomunfälle wie in Japan oder in Tschernobyl
nicht aus, um endlich zu einer gemeinsamen Einsicht zu
kommen. Ich befürchte allerdings, dass man darüber
auch im Abschlussbericht keine Einigung erzielen wird.
Denn die Atombefürworter werden nicht zu überzeugen
sein, selbst wenn es noch einmal ein anderes Tscherno-
byl geben würde. Herr Dr. Brauksiepe hat das schon
deutlich gemacht.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Ein guter Mann!)


Ich meine also: Es wurden Chancen vertan, wirkliche
Perspektiven für eine zukunftsfähige Energieversorgung
zu erarbeiten. Dass Kollege Scheer, wie ich gehört habe,
die Enquete-Kommission schon im Vorfeld verlässt, ist
nur ein Indiz dafür.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Wir werden uns deshalb bei der Abstimmung enthal-

ten, werden aber versuchen, in der Enquete-Kommission
unsere Meinung und unser Wissen einzubringen.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408721500
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den
Antrag auf Drucksache 14/2687 zur Einsetzung einer
Enquete-Kommission? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist bei Enthaltung der PDS-
Fraktion angenommen. Die Enquete-Kommission
„Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen
der Globalisierung und der Liberalisierung“ ist damit
eingesetzt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b sowie
Zusatzpunkt 7 auf:
8 a) Beratung des Antrages der Fraktion der CDU/

CSU)/CSU
Hilfsprogramm für die Sturmschäden im

Wald durch den Orkan „Lothar“
– Drucksache 14/2570 –
Überweisungsvorschlag:

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Finanzausschuss

Walter Hirche






(A)



(B)



(C)



(D)


Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Ernst
Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.

Rasche und wirksame Hilfe für Waldbesit-
zer

– Drucksache 14/2583 –
Überweisungsvorschlag:

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-

sicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten

Heidi Wright, Iris Follak, Renate Gradistanac,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Steffi Lemke,
Ulrich Höfken, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN/

Waldschäden durch die Orkane im De-
zember 1999

– Drucksache 14/2685 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich hö-
re keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist für die
Fraktion der CDU/CSU der Kollege Peter Weiß.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1408721600
Frau Prä-
sidentin! Meine Damen und Herren! Der Orkan „Lo-
thar“ am zweiten Weihnachtsfeiertag hat in vielen Län-
dern Europas – bei uns in Deutschland vor allem am
Oberrhein und im Schwarzwald, woher ich komme –
riesige Waldschäden verursacht. Private Waldbesitzer,
aber auch viele Kommunen stehen vor einem riesigen
finanziellen Desaster.

Da gibt es kleine Gemeinden, in denen zwei Drittel
des gesamten Starkholzvorrates auf dem Boden liegen –
eine finanziell kaum zu schulternde Aufgabe. Da gibt es
Landwirte – ich nehme jetzt kein übertriebenes, sondern
ein mittleres Beispiel – mit einem Jahreseinkommen von
vielleicht 45 000 DM, davon 15 000 DM aus der Wald-
wirtschaft, die über Jahre und Jahrzehnte auf diese Ein-
kommensquelle verzichten müssen und die mit dem
Verkauf des Sturmholzes vielleicht gerade noch die

Aufarbeitung und die Wiederaufforstung bezahlen kön-
nen.

Meine Damen und Herren, in Sonntagsreden spre-
chen wir oft von der Sozialpflichtigkeit des Waldes. Er
ist allgemein begehbar für Wanderer und Erholung Su-
chende. Aber Sozialpflichtigkeit ist keine Einbahnstraße.
Jetzt, da die Wälder durch einen Orkan massiv geschä-
digt wurden, brauchen diejenigen, die unsere Wälder
hegen und pflegen, die Unterstützung der Solidarge-
meinschaft und des Staates.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun haben wir bereits die Verordnungen nach dem

Forstschäden-Ausgleichsgesetz. Das ist auch alles
sinnvoll und notwendig. Aber für diejenigen, die die
großen Kosten der Holzaufbereitung, der Holzlagerung
und der Wiederaufforstung, die immensen Einkom-
mensausfälle über Jahre hinweg nicht aus eigener Kraft
schultern können, brauchen wir dringend zusätzliche fi-
nanzielle Hilfen in Form eines Sonderprogramms.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Für die betroffenen Gemeinden und Waldbauern in

unserer Region ist es völlig unverständlich, dass der
Bundeslandwirtschaftsminister zwar in interessierter
Weise Waldbesichtigungen vornimmt, aber nicht bereit
ist, einen zusätzlichen finanziellen Beitrag des Bundes
in Form eines Sonderprogrammes für die Hilfen hin-
sichtlich der Orkanopfer einzubringen.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Die Begründung, dass es sich um eine regionale Ka-
tastrophe in wenigen Bundesländern handele, halte ich
für eine faule Ausrede.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

1990 gab es nämlich ein Sonderprogramm des Bundes
bezüglich der damaligen Schäden. Damals lag der Scha-
den europaweit bei rund 103 Millionen Festmetern. Die-
ses Mal liegt der Schaden – je nach Schätzung – bei
150 Millionen bis 200 Millionen Festmetern. Diese Zahl
zeigt deutlich, dass es sich nicht um eine regional be-
grenzte Katastrophe, sondern um eine Katastrophe han-
delt, die nationale und europäische Solidarität erfordert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesländer haben ja gehandelt. Das hauptbe-

troffene Bundesland Baden-Württemberg hat ein Sofort-
hilfeprogramm in Höhe von 100 Millionen DM aufge-
legt. Innerhalb der von der EU finanzierten Maßnahmen
im Rahmen des Entwicklungsplanes zur Förderung
des ländlichen Raumes werden Mittel zugunsten der
Forstwirtschaft umgeschichtet. Aber von Berlin wie
auch von Brüssel gibt es bis heute keine einzige müde
Mark zusätzlicher Hilfe für die Opfer der Orkanschäden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist traurig!)


Ich will nicht in Abrede stellen, dass auch im Antrag
der Koalitionsfraktionen eine Vielzahl sinnvoller Maß-
nahmen zu finden ist. Aber der entscheidende Punkt

Vizepräsidentin Petra Bläss






(A)



(B)



(C)



(D)


fehlt, nämlich die Zusage, dass sich der Bund an einem
Sonderprogramm für die Beseitigung und Aufarbeitung
der Orkanschäden mit zusätzlichen finanziellen Mitteln
beteiligt.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408721700
Herr Kollege Weiß,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fuchtel?


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1408721800
Ja.


Hans-Joachim Fuchtel (CDU):
Rede ID: ID1408721900
Herr Kollege
Weiß, gestern war der Kommissar Fischler in Gengen-
bach. Dort wurde konkretisiert, wie die europäische Hil-
fe aussieht. Können Sie uns darüber unterrichten, ob es
zutrifft, wie Kollegen der SPD aus diesem Haus behaup-
tet haben, dass in den nächsten Jahren allein für Baden-
Württemberg eine Hilfe der Europäischen Union von
6 Milliarden DM zur Verfügung stehen soll?


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1408722000
Herr Kol-
lege Fuchtel, es ist richtig, dass der EU-Agrarkommis-
sar Fischler gestern in Gengenbach – dieser Ort liegt
übrigens im Wahlkreis von Wolfgang Schäuble – ein
besonders stark betroffenes Waldgebiet besucht hat. Bei
dieser Gelegenheit ist mit der Landwirtschafts-
ministerin von Baden-Württemberg ein Gespräch über
mögliche Hilfen der EU geführt worden. Er hat aus-
drücklich darauf hingewiesen, dass Umschichtungen bei
den dem Land Baden-Württemberg ohnehin zustehen-
den EU-Mitteln möglich sind und vorgenommen werden
können,


(Heidemarie Wright [SPD]: So ist es!)

aber dass keine einzige zusätzliche Mark aus Brüssel
fließt.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: So ist es!)

Ich will in Fortführung dessen, was gefragt worden

ist, betonen: Ich bin der Auffassung, dass Solidarität
auch innerhalb der Europäischen Union notwendig ist.
Eine Möglichkeit dafür wäre, dass Restmittel aus dem
Programm für die ländliche Entwicklung, die in diesem
Jahr eventuell nicht abfließen, für die Hilfen in der
Forstwirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Der EU-
Agrarkommissar Fischler hat übrigens gestern in Gen-
genbach erklärt, dass er sich hierfür gerne einsetzen
werde. Er hat aber hinzugefügt, dass es ihm leichter fal-
le, innerhalb der Europäischen Union finanzielle Solida-
rität für die geschädigten Waldregionen zu fordern,
wenn schon innerhalb Deutschlands Solidarität geübt
worden sei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Minister Funke, alle Bundesländer, auch die

SPD-regierten, haben Sie aufgefordert, sich als Bund an
einem Bund-Länder-Sonderprogramm zu beteiligen.
Der EU-Kommissar Fischler hat Ihnen das ebenfalls ins
Stammbuch geschrieben. Wann endlich gibt es eine na-
tionale Hilfe der Bundesregierung? Geben Sie Ihre dies-
bezüglich ablehnende Haltung auf!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was übrigens die Punkte aus dem Koalitionsantrag

hinsichtlich des Holztransportes anbelangt, so muss ich
sagen: Es ist mir mittlerweile nicht mehr verständlich,
dass zwei Monate nach dem Sturm einzelne Bundeslän-
der immer noch unterschiedliche Regelungen haben und
dass es nicht eine einheitliche Regelung gibt, die groß-
zügig gehandhabt wird. Das ist mir völlig unverständ-
lich. Auch die Betroffenen verstehen nicht, dass beim
Oder-Hochwasser die Bundeswehr selbstverständlich
eingesetzt wurde, aber hinsichtlich der Orkanschäden
der Einsatz von Bundeswehrgerät für den Abtransport
riesiger Holzmengen schlichtweg abgelehnt wird.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht wahr! – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie mit dem G 3 nicht abräumen! Dafür brauchen Sie andere Geräte!)


– Auf Ihren Zwischenruf kann ich Folgendes sagen: Ein
Einsatz der Bundeswehr für Arbeiten im Wald kommt in
der Tat nicht in Frage. Dafür braucht man Fachleute.
Aber wenn riesige Mengen von Holz und von Reisig am
Waldrand liegen und die Wege zum Teil in einem ka-
tastrophalen Zustand sind, dann ist der Einsatz von
schwerem Gerät in der einen oder anderen Gegend
durchaus sinnvoll und hilfreich.


(Waltraud Wolff [Zielitz] [SPD]: SachsenAnhalt hat doch seine Hilfe angeboten!)


Mittlerweile haben wir den Zustand erreicht, dass sich
bei vielen Betroffenen Wut, Enttäuschung und Resigna-
tion breit machen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von Rot-
Grün, ich fordere Sie auf: Geben Sie Ihre kaltherzige
Haltung auf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD)


Bewegen Sie den Bundeslandwirtschaftsminister dazu,
endlich zusätzlich etwas für unsere geschädigten Wald-
regionen zu tun. Der Bundeskanzler lobt bis zum heuti-
gen Tage seinen angeblich so großartigen Einsatz für
den Holzmann-Konzern.


(Zuruf von der SPD: Recht hat er!)

Aber er hat kein Herz für die Holzmänner, für diejeni-
gen, die in unseren Wäldern arbeiten, die vom Wald le-
ben, die mit ihm ihre Existenz bestreiten und heute zum
Teil vor dem wirtschaftlichen Ruin stehen. Die Gemein-
den wissen nicht ein noch aus, weil sie die immensen
Kosten nicht aufbringen können, um die Waldschäden
zu beseitigen, und können die riesigen Einnahmeausfälle
nicht verkraften.

Ändern Sie endlich Ihre Haltung. Heute haben Sie
Gelegenheit dazu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Peter Weiß (Emmendingen)







(A)



(B)



(C)



(D)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408722100
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Peter Dreßen das
Wort.


Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1408722200
Kollege Weiß, aus Ihrer Rede
ist deutlich geworden, was ich im Wahlkreis seit Wo-
chen erlebe. Ich habe das Gefühl, Sie suhlen sich regel-
recht in diesem Unglück anderer Leute.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Jetzt aber!)

Jeder umgefallene Baum, den Sie finden, wird geküsst,
um eine Schlagzeile zu erhaschen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist ja unglaublich!)


Dabei geht es völlig unter, dass dies den Betroffenen in
keiner Weise hilft. Im Gegenteil. Ich finde, dadurch wird
die Politikverdrossenheit sogar noch erhöht.

Sie wissen doch genau, dass bei regionalen Katastro-
phen in erster Linie das Bundesland zuständig ist. Von
dort sind 100 Millionen DM geflossen. Davon sollen un-
ter anderem Nasslager eingerichtet werden. Das ist auch
gut so.

Zu Ihrer Forderung bezüglich der Bundeswehr muss
ich Ihnen sagen: Sie haben doch selber gehört, dass man
hierfür keine Bundeswehrsoldaten nehmen kann. Hier
braucht man Facharbeiter, Holzarbeiter, die etwas von
der Arbeit verstehen.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das habe ich doch gerade nicht gesagt! Hören Sie doch zu!)


– Warum erwähnen Sie dann, dass Sie Bundeswehrein-
sätze haben wollen? Das verstehe ich nicht.

Kollege Weiß, ich finde, in dieser Sache sind
Schnellschüsse überhaupt nicht angebracht. In meinem
politischen Leben habe ich schon oft erfahren, dass die
vorhergehende Regierung bei Katastrophen – ich denke
an Hochwasser in Köln, Bonn, Koblenz usw. – gesagt
hat, der Bund werde helfen, und die Leute warten heute
noch darauf. Nichts ist passiert. Diesen Weg geht die
jetzige Regierung nicht, und das ist, finde ich, auch in
Ordnung.

Sie haben auch gefordert, dass den Kommunen bald
finanziell geholfen wird. Sie haben aber vergessen, dass
den Kommunen bereits dadurch, dass andere Bundes-
länder die Hiebansätze verringert haben, geholfen wird;
sie werden ihr Holz nun los. Sie sollten zur Kenntnis
nehmen, dass die Bundesregierung das, was auf die
Schnelle getan werden konnte, auch sofort getan hat.

Allerdings müssen wir uns hier in diesem Parlament
darüber unterhalten, wie wir künftig mit solchen Kata-
strophen umgehen; denn ich befürchte, dass dies nicht
die letzte Katastrophe war, die wir erleben. Wir müs-
sen – da gebe ich jedem in diesem Hause Recht – in ir-
gendeiner Form helfen, wenn es zu größeren Katastro-
phen kommt und insbesondere wenn Existenzen verlo-
ren gehen. Dabei denke ich auch an die Waldbauern.
Das ist völlig in Ordnung. Aber nochmals: Mit Forde-

rungen, wie Sie sie hier und im Wahlkreis stellen, ist
niemandem geholfen.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sie helfen niemandem! – Walter Hirche [F.D.P.]: So lange, wie er redet, ist das ja ein Redebeitrag! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/ CSU]: Das kann nicht angehen! Er hält hier eine Rede!)


Schnellschüsse sind hier nicht in Ordnung.
Deswegen finde ich es richtig, dass wir diese Anträge

in die Ausschüsse verweisen. Es ist gut, dass wir dort in
aller Ruhe, emotionslos und ohne große Hektik darüber
diskutieren, wie man effektiv helfen kann. Darauf
kommt es Ihnen allerdings nicht an. Sie wollen mit
Schnellschüssen nur wieder einmal eine Schlagzeile er-
haschen. Dagegen wehre ich mich. Wie Sie sich in die-
ser Angelegenheit verhalten, finde ich nicht in Ordnung.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408722300
Herr Kollege Weiß
zur Erwiderung.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Sage ihm, dass er lernt, dass sie an der Regierung sind!)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1408722400
Herr Kol-
lege Dreßen, wer schnell hilft, hilft doppelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Den Satz hat übrigens ein sozialdemokratischer Ober-
bürgermeister unserer Region immer wieder vorgetra-
gen.

Herr Kollege Dreßen, was Sie hier vorschlagen, näm-
lich dass wir noch weiter warten, wird die Wut und Em-
pörung derer, die den Besuch von Herrn Funke in unse-
rer Region mitbekommen haben und die bis zum heuti-
gen Tag auf eine konkrete Antwort und darauf, was Ber-
lin tut, warten, noch mehr steigern. Das ist der Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht! – Peter Dreßen [SPD]: Sie nehmen es zur Kenntnis!)


Nehmen Sie doch einmal die Briefe und Stellung-
nahmen zur Kenntnis, die Persönlichkeiten bei uns ab-
geben, die nicht der CDU angehören. Zum Beispiel
schreibt Ihnen der Bürgermeister einer der hauptbetrof-
fenen Gemeinden: Der Bund entzieht sich in jeder Hin-
sicht seiner Verantwortung, was ich sehr bedauere. Das
ist die Stellungnahme eines Bürgermeisters, der wirklich
nicht der CDU angehört.


(Peter Dreßen [SPD]: Wen meinen Sie denn jetzt?)


– Ich nehme doch an, dass Sie die Briefe, die Sie be-
kommen, lesen. Wenn es nicht so ist, ist es bedauerlich.

Ich muss Ihnen antworten: Was Sie in Ihrer Kurzin-
tervention vorgetragen haben, ist in meiner Rede nicht
vorgekommen. Was ich zum Thema Bundeswehr gesagt
habe, bezieht sich auf den Abtransport. Man sollte seine






(A)



(B)



(C)



(D)


Kurzintervention nicht vorher schreiben, sondern erst als
Reaktion auf eine Rede formulieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der entscheidende Punkt ist und bleibt: Der Bund

gibt keine zusätzlichen finanziellen Hilfen. Er weigert
sich, das zu tun, was er 1990 getan hat, als wir einen
weitaus geringeren Schaden hatten. Das ist der Punkt.


(Peter Dreßen [SPD]: Sie lügen!)

Sie verdrehen hier die Tatsachen und sagen, dass das

eine regionale Katastrophe ist, und Sie nehmen das
Ausmaß des Schadens überhaupt nicht zur Kenntnis.
Das ist blinde Ignoranz.


(Beifall bei der CDU/CSU) – Peter

Dreßen [SPD]: Sie lügen!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408722500
Für die SPD-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Heidemarie Wright.


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1408722600
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Kolleginnen und Kollegen! Erschütterung und
Besorgnis waren die ersten Reaktionen und Erschütte-
rung und Besorgnis halten auch jetzt noch an bezüglich
der schlimmen Auswirkungen des Orkans „Lothar“,
der eine Schneise der Verwüstung hauptsächlich durch
Frankreich und Baden-Württemberg geschlagen hat –
Erschütterung insbesondere auch deshalb, weil uns allen
bewusst wurde, dass die Jahrhundertstürme in Abstän-
den von zehn Jahren auch in unseren Regionen auf-
treten. Die Besorgnis gilt natürlich zunächst den betrof-
fenen Regionen, aber wir empfinden auch Besorgnis,
weil wir bei aktuellen Verwüstungen bereits um zukünf-
tige Verwüstungen aufgrund von zukünftigen Naturka-
tastrophen Sorge haben. Hier teile ich die Einschätzung
des Kollegen Dreßen, der auf die langfristigen Wirkun-
gen hingewiesen hat.

Ob und wie langfristige Anstrengungen zur Vermei-
dung von Umweltkatastrophen greifen, wissen wir alle
nicht. Wir wissen aber, dass wir das Ankämpfen nicht
aufgeben dürfen, sondern verstärken müssen. Wir müs-
sen unsere Erde und Atmosphäre von den Auswirkungen
unserer Umweltnutzung noch sehr viel mehr entlasten.
Umweltschutz ist eine fortwährende Aufgabe, um
Nachhaltigkeit wirklich zu gewährleisten und um der
Sorge vor Katastrophen aufgrund von Umweltbelastun-
gen unser aktives Handeln entgegenzusetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese notwendi-
gen und langfristigen Aufgaben nützen natürlich denen
nichts, die unmittelbar von der Sturmkatastrophe betrof-
fen sind. Das wusste auch der Landwirtschaftsminister,
das wussten auch die Bundestagskollegen vor Ort. Somit
hat sich nicht nur Bundesminister Funke, sondern es ha-
ben sich auch viele andere direkt nach dem Geschehen
in das Sturmgebiet begeben. Wir von den Fachausschüs-
sen werden die Problematik um die Aufräumarbeiten

und die Entwicklung der Bewältigung der Schäden auch
weiter im Auge behalten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Passiert ist bisher aber nichts!)


Wir aus den Fachausschüssen, der Bundeslandwirt-
schaftsminister, insbesondere aber auch die Kollegen
aus Baden-Württemberg werden in Berlin alle mögliche
Hilfe und Unterstützung für die Betroffenen eruieren
und die entsprechenden Möglichkeiten ausreizen.

Somit sind auch die Anträge der Fraktionen der
CDU/CSU und der F.D.P. teilweise schon überholt,
denn viele der berechtigten Forderungen sind ohne Zö-
gern und Zeitverlust umgesetzt worden


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber nicht von Bonn!)


– doch, von Bonn. Ich nenne den umgehenden Erlass ei-
ner Verordnung des Bundeslandwirtschaftsministers zur
Beschränkung des ordentlichen Holzeinschlages auf der
Basis des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes sowie Steu-
ererleichterungen für Kalamitätennutzungen. Hier sehen
wir erneut, wie wichtig es war, dass diese steuerliche
Möglichkeit beibehalten wurde.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die ist verändert worden! Die ist verschlechtert worden)


– Sie ist verändert worden, wurde aber beibehalten, weil
wir die Notwendigkeit schon im letzten Jahr eingesehen
haben. Wir sehen erneut, wie notwendig es ist, sie weiter
beizubehalten. Es wird die Kalamitätennutzungen wei-
terhin geben und wir werden somit auch Steuererleichte-
rungen hierfür benötigen.

Das Verteidigungsministerium gewährt Freistellun-
gen von Forstwirten und Hofnachfolgern von der Bun-
deswehr. Die Bundesforstverwaltung stellt selbstver-
ständlich ihre qualifizierten Arbeitskräfte zur Holzaufar-
beitung zur Verfügung. Ebensolche Angebote gibt es
aus allen Bundesländern.

Der Weg auf der Europaschiene, so im Agrarrat am
24. Januar 2000, und die Abstimmung mit dem so heftig
betroffenen Nachbarn Frankreich wurden über das
Landwirtschaftsministerium und Minister Funke prompt
gesucht. Das hält an.

Die Hilfe für Baden-Württemberg ist gesteuert von
Kopf und Herz und erfolgt mit Herz und Hand. Wohl
weiß ich, dass hier natürlich auch die gebende Hand, al-
so die Ausreichung unmittelbarer Bundesmittel, gefor-
dert wird. Gerade über die vom Bund für Gesamt-
deutschland bereitgestellten 1,7 Milliarden DM für die
Gemeinschaftsaufgabe ist dies bereits geschehen. Hier-
aus wird ein erheblicher Teil für die sturmgeschädigten
Regionen aufzubringen sein.


(Zuruf von der CDU/CSU)/CSU: Das Geld

brauchen wir für etwas anderes!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408722700
Frau Kollegin
Wright, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Weiß?

Peter Weiß (Emmendingen)







(A)



(B)



(C)



(D)



Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1408722800
Bitte sehr.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1408722900
Verehrte
Frau Kollegin, Sie haben die Gemeinschaftsaufgabe er-
wähnt. Können Sie mir irgendwie erklären, wie aus der
Gemeinschaftsaufgabe derzeit zusätzliches Geld für die
Forstschäden in Baden-Württemberg kommen soll? Die
Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe sind doch, wenn
ich das richtig sehe, für das Jahr 2000 bereits fest ver-
teilt. Wo kommt das zusätzliche Geld her – nicht das
Geld, das Baden-Württemberg ohnehin bekommen hat?


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1408723000
Kollege Weiß, ich rede
nicht über das zusätzliche Geld, sondern ich freue mich
erst einmal über die 1,7 Milliarden DM,


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Da freuen wir uns gemeinsam!)


die wir – schwer erkämpft – auch in diesen Haushalt
eingestellt haben. Baden-Württemberg erhält den dritt-
größten Anteil an den Bundesmitteln.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Das war früher mehr! – Gegenruf von der SPD: Fuchtel, das habt ihr gestrichen, nicht wir!)


Die Festlegung hat jedoch – hier kann ich nahtlos zu
meinem Konzept zurückkehren und Sie können sich
wieder setzen; danke, Herr Kollege Weiß –


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ich danke Ihnen für die Auskunft!)


über das Land Baden-Württemberg zu erfolgen. Hier
sind natürlich ganz besonders die soziale Kompetenz in
der Landesregierung, zum Beispiel durch Umwidmung
im Rahmenplan, und die soziale Solidarität von großen
gegenüber kleinen Waldbesitzern gefragt.

Gott sei Dank konnten wir trotz des hohen Sparzieles
der Bundesregierung die Mittel für die Gemeinschafts-
aufgabe hoch halten. Es wird selbstverständlich möglich
sein, vielleicht nicht aufgebrauchte Mittel anderer Bun-
desländer zur finanziellen Katastrophenbewältigung mit
einzusetzen.

Zum Schluss. Holz ist der nachwachsende Rohstoff
Nummer eins, Holz ist ein wertvolles Gut und vielfältig
verwendbar und nutzbar. Ich bin sehr erfreut, dass der
Absatz und die Verwendung des nachwachsenden Roh-
stoffes Holz in den letzten Jahren wächst und gerade von
der Bundesregierung kräftig gefördert wird. Auch die
energetische Holznutzung gewinnt enorm an Bedeutung.
Die neuen Fördermöglichkeiten zur Nutzung erneuerba-
rer Energien und das Erneuerbare-Energien-Gesetz sind
hier sehr hilfreich. Das nutzt bei dem zu erwartenden
Überangebot auf dem Holzmarkt. So wächst in der Not
in Baden-Württemberg auch das Rettende.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Diese Rede sollten Sie den Betroffenen einmal schicken! Verhöhnung!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408723100
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist zu Ende.


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1408723200
Mein letzter Satz.
Wir werden alle vorliegenden Anträge in die Fach-

ausschüsse überweisen,

(Walter Hirche [F.D.P.]: Und im übernächsten Jahr entscheiden!)

um insbesondere im Sinne des Koalitionsantrages weite-
re Unterstützungsmöglichkeiten, zum Beispiel über den
Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die
Landwirtschaft, und die Möglichkeiten zusätzlicher
Zinsverbilligung auszuloten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408723300
Für die F.D.P.-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Ulrich Heinrich.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1408723400
Frau Präsidentin! Meine
liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wäre ja froh, Frau
Kollegin Wright, wenn unsere Anträge nicht mehr bera-
ten werden müssten, weil sie überholt wären. Leider
Gottes ist das nicht so; denn Sie haben jetzt erst relativ
spät – in Anbetracht der von uns beantragten Debatte –
Ihren eigenen Antrag formuliert. Für mich ist es eigent-
lich ganz furchtbar, dass wir erst solche Anträge und
Debatten brauchen, um auf Not aufmerksam zu machen,
die andere offensichtlich so nicht erkennen, auch wenn
sie deutlich sichtbar ist.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir brauchen hier nichts

herbeizureden. Es gibt riesige Schäden, die bis an die
2 Milliarden DM und wahrscheinlich noch darüber hin-
aus gehen. Wollen Sie denn denen, die ohne eigenes
Verschulden in eine solche existenzielle Not geraten
sind, weismachen, dass die öffentliche Hand nicht zur
Hilfe aufgerufen ist? Ich halte es schon für ausgespro-
chen keck von Ihnen, Herr Minister, dass Sie am
27. Januar im Bericht über die Situation nach dem Sturm
„Lothar“ geschrieben haben, dass eine gesamtstaatliche
Bedeutung vorliegen müsse, um handeln zu können. Wo
war denn die gesamtstaatliche Bedeutung beim Oder-
Hochwasser?

Lassen Sie sich eines sagen: Ich war im letzten Jahr
an genau dem Platz, der vom Oder-Hochwasser überflu-
tet war. Alles war paletti: die Felder in Schuss, die Häu-
ser von oben bis unten renoviert. Gehen Sie einmal im
nächsten Jahr in den Schwarzwald oder die anderen be-
troffenen Regionen und schauen Sie sich den Wald an.
Eine ganze Generation wird unter diesen Schäden zu
leiden haben. Angesichts dessen sagt der Bundesland-
wirtschaftsminister: Nein, hier helfen wir nicht! Damals
wurden 160 Millionen DM lockergemacht.

Meine Damen und Herren, es ist auch unverständlich,
dass man bei Holzmann, einem in Not geratenen Ein-
zelunternehmen, einfach so 300 Millionen DM locker-
macht,






(A)



(B)



(C)



(D)



(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


zugleich aber viele einzelne Waldbauern und Kommu-
nen in ihrer existenziellen Not allein lässt. Was soll
denn der Bauer machen, der 80 Hektar Wald hat, von
denen 60 Hektar gefallen sind? Wir bekommen auf diese
Frage keine befriedigende Antwort vonseiten der Bun-
desregierung.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich halte es einfach nicht für akzeptabel, wenn wir hier
so wenig Solidarität bekunden.

Die Bundesregierung hat seither nichts weiter getan,
als dass sie den Antrag vom Bundesrat in eine Verord-
nung umgesetzt hat.


(Heidemarie Wright [SPD]: Hätten wir das denn nicht machen sollen?)


Das haben Sie zeitig gemacht, aber das ist der großen
Solidarität der Länder untereinander zu danken; denn die
Länder wissen ganz genau, dass der Sturm nicht immer
die gleiche Region trifft. Er kann auch wieder einmal ein
anderes Land treffen; 1974 war ja Niedersachsen beson-
ders stark betroffen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin
nicht damit einverstanden, dass man jetzt auf die
Gemeinschaftsaufgabe verweist. Ich bin auch nicht
damit einverstanden, dass man auf den europäischen
Strukturfonds für die ländlichen Räume verweist. Diese
Gelder stehen für bereits angemeldete Maßnahmen zur
Verfügung und sind in der Regel schon verplant. Hier
muss jetzt also der Bund tatsächlich den Mut haben und
allen Betroffenen – nicht mit der Gießkanne, sondern
einzelbetrieblich erfasst – zinsfreie Darlehen mit
fünfjähriger Laufzeit geben. Das wäre einmal ein Wort;
wir erwarten es.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Erst dann könnten wir sagen, dass sich der Bund ernst-
haft beteiligt hat.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Zum Beispiel über die Kreditanstalt für Wiederaufbau!)


100 Millionen DM hat das Land gegeben. Natürlich
ist das seine Aufgabe; das ist gar keine Frage. Wenn es
notwendig ist, wird das Land Baden-Württemberg auch
noch einen Nachtragshaushalt aufstellen. Aber wir tref-
fen auf europäischer Ebene natürlich nur dann auf offe-
ne Türen und offene Ohren – hier gebe ich dem Kolle-
gen Weiß absolut Recht –, wenn sich wenigstens auch
die nationale Ebene solidarisch zeigt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir berufen uns immer zu Recht auf den föderativen
Staat und sagen: Wir haben zwar eine Aufgabenteilung,
sind aber immer dann solidarisch, wenn es um die Lin-
derung unverschuldeter Not geht. Das konnte man bei
Holzmann guten Gewissens vielleicht gar nicht sagen.
Aber da hat der Staat geholfen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408723500
Herr Kollege
Heinrich, da Sie nicht zu stoppen sind, muss ich Sie jetzt
unterbrechen. Es gibt einen Fragewunsch vom Kollegen
Wiese. – Bitte.


Heinz Wiese (CDU):
Rede ID: ID1408723600
Herr Kollege
Heinrich, der Kollege Weiß und ich haben uns bereits in
der ersten Fragestunde des neuen Jahrhunderts an den
Staatssekretär des Landwirtschaftsministeriums, Herrn
Dr. Thalheim, mit der Bitte gewandt, rechtzeitig zu hel-
fen. Wie gestaltet sich nach Ihrer Auffassung der zeitli-
che Rahmen der Hilfsmaßnahmen? Ist es nicht so, dass
nach solch einem Orkan – wir haben das in Baden-
Württemberg mit „Wiebke“ erlebt, von der wir vor zehn
Jahren heimgesucht wurden – innerhalb kürzester Frist,
innerhalb eines Vierteljahres massiv geholfen werden
muss, das Holz aus dem Wald zu holen, es auf Nasslager
zu bringen und Sekundärschäden zu vermeiden? Gerade
die Problematik der Sekundärschäden, die entstehen
können, wenn nicht rechtzeitig geholfen wird, ist dieser
Bundesregierung anscheinend entgangen. Teilen Sie
diese Auffassung?


(Heidemarie Wright [SPD]: Ja natürlich! Die teilen wir alle! – Gegenruf des Abg. Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Nur, Sie machen nichts!)



Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1408723700
Ich teile diese Auffassung.
Wir müssen selbstverständlich beachten, dass eine Vor-
leistung erbracht werden muss. Die Leute müssen be-
zahlt werden. Das Holz kann in der Regel nicht verkauft
werden, es muss auf Nasslager gelegt werden. Die Ein-
kommen durch den Verkauf des Holzes können also erst
sehr viel später erzielt werden. Es bedarf deshalb einer
raschen Finanzierung. Deshalb habe ich gesagt, dass wir
zinsfreie Darlehen über fünf Jahre brauchen. Dann
können wir alles überblicken, dann kann auch die Wie-
deraufforstung ordnungsgemäß erfolgen, dann könnten
wir den Betrieben tatsächlich unter die Arme greifen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bun-
desregierung hat leider Gottes beim letzten Steuerentlas-
tungsgesetz, und zwar in § 34 Abs. 3 Einkommen-
steuergesetz, eine Verschlechterung bei der Kalami-
tätsnutzung vorgenommen. Wir fordern, dass der Ach-
telsteuersatz wieder eingeführt wird.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das wäre eine Maßnahme, von der man sagen kann,
dass sie vernünftig ist. Es muss entsprechend gehandelt
werden. Es handelt sich nicht um eine generelle Steuer-
befreiung, sondern nur um eine Befreiung in Kalamitäts-
fällen. Dieser Vorteil ist entfallen. Ich fordere deshalb
nachdrücklich, dass diese Verschlechterung zurückge-
nommen wird und der Achtelsteuersatz wieder zum Tra-
gen kommt.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass wir hier
kein Neuland betreten. Wir haben nämlich leider Gottes
Erfahrung mit solchen Fällen. Wir sollten diese Erfah-
rung nutzen und eine entsprechende finanzielle Hilfe
leisten, um all das zu tun, was wir dem Wald schuldig
sind, nicht nur den Besitzern des Waldes, nicht nur den

Ulrich Heinrich






(A)



(B)



(C)



(D)


Kommunen, sondern auch dem Wald selbst. Er hat näm-
lich auch eine soziale Funktion.

Von den Grünen und auch von der SPD höre ich im-
mer große Reden darüber, wie wertvoll der Wald für die
Umwelt ist. Die sozialen Funktionen werden stets herun-
tergebetet. Wenn es aber darauf ankommt, diesen Wald
zu erhalten, ihn wieder aufzuforsten, diejenigen, die tag-
täglich im Wald arbeiten, nicht in Existenznöte zu trei-
ben bzw. ihnen zu helfen, sich aus dieser Not zu befrei-
en, dann bekommt man zu hören, man solle irgendwel-
che Programme in Anspruch nehmen, die ohnehin schon
ausgebucht sind. Das ist wirklich nicht besonders hilf-
reich.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408723800
Herr Kollege Hein-
rich, Sie müssen wirklich zum Schluss kommen.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1408723900
Ja. – Herr Minister Funke,
ich habe Sie in der vorletzten Ausschusssitzung gebeten,
noch einmal nachzusehen, ob nicht ein vernünftiges,
zinsfreies Kreditprogramm auf die Beine gestellt werden
kann. Das, was Sie vorgeschlagen haben, ist absolut un-
genügend. Bei einer Zinsverbilligung um 1 Prozent la-
chen mir die Waldbauern ins Gesicht und fragen: Was
soll denn das? In dieser großen Not ist wirklich aktive
Hilfe notwendig.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408724000
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408724100
Ver-
ehrte Frau Präsidentin! Wehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Im Dezember des letzten Jahres haben Stürme in
vielen Teilen Europas Menschenleben gekostet. Häuser,
Wälder und andere Werte wurden vernichtet. Insbeson-
dere Frankreich hat schwerste Schäden in den Forsten zu
verzeichnen. In Deutschland ist das Bundesland Baden-
Württemberg besonders betroffen. Ich finde, dass die
heutige Debatte


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sehr sachlich geführt wird!)


den damit verbundenen Leiden und Schäden nicht ge-
recht wird. Denn Landes- und Bundesregierung haben
Sofortmaßnahmen eingeleitet, um die Betroffenen zu
unterstützen. Es ist einfach nicht seriös, wenn Sie in der
Debatte so tun, als ob die Bundesregierung in keiner
Weise gehandelt hätte. Finanziell und auch in anderer
Weise sind Sofortmaßnahmen eingeleitet worden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Aber Sie verweigern doch das, was die Bundesländer fordern! – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird immer mehr gefordert, als gegeben wird!)


Das Forstschäden-Ausgleichsgesetz wurde mit Un-
terstützung der Bundesregierung so schnell wie irgend
möglich in Kraft gesetzt. Eigentlich müssten Sie wissen,
dass damit sehr wohl finanzielle Hilfen in Form von
Steuererleichterungen verbunden sind. Wenn es Ihnen
darum geht, dass der Bund Geld geben soll, so müssen
Sie bedenken, dass das mit Einnahmenausfällen des
Bundes verbunden ist. Es gibt also sehr wohl Geld.

Wichtig an diesen Maßnahmen ist insbesondere, dass
nicht auch noch der Holzmarkt zusammenbricht. Das
wäre eine Situation, die den Betroffenen zusätzliche fi-
nanzielle Einbußen zufügen würde, die sie wirklich
nicht mehr verkraften könnten. Nach Angaben der
Fachpresse ist das momentan allerdings nur in begrenz-
tem Umfang zu erwarten. Vollständig auffangen lässt
sich eine Entwicklung wie die in Baden-Württemberg
natürlich nicht. Panikmache ist aber mit Sicherheit nicht
angesagt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Aber die Leute sind in Panik!)


Die Bundesregierung hat darüber hinaus ein Sonder-
kreditprogramm aufgelegt


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: 1 Prozent)

und die Unterstützung der Bundeswehr angeboten. Sie
wissen, dass die Bundeswehr im Wald momentan nicht
sinnvoll eingesetzt werden kann.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


Darin liegt ein Unterschied zum Oder-Hochwasser.
Beim Oder-Hochwasser hat die Hilfe des Bundes zu
sehr wesentlichen Teilen in der Unterstützung durch die
Bundeswehr bestanden. Das ist bei den Waldschäden
nicht in diesem Umfang möglich. Möglich war – dieses
Angebot ist vor Ort mit großem Interesse aufgenommen
worden – die konkrete Aufnahme der Schäden durch die
Bundeswehr, um überhaupt erst einmal einen Überblick
zu bekommen, welche Schäden es wo gibt.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Es geht um Transporthilfen!)


– Reden Sie doch einmal mit den Transportunternehmen
vor Ort! Die wollen das doch nicht.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Aber die Landwirte wollen es! Die Forstwirte wollen es!)


Im Moment existiert kein Engpass beim Transport; das
ist doch überhaupt nicht das Problem. Der Wald kann
doch noch gar nicht geräumt werden. Diese Forderung
in die Debatte einzubringen ist bitterste Polemik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Bundesregierung hat verkehrsrechtliche Aus-
nahmegenehmigungen in die Wege geleitet. Sie hat –
das finde ich besonders wichtig – Gespräche mit Frank-
reich aufgenommen, um dort Hilfestellung zu geben.
Frankreich profitiert momentan von den Erfahrungen,

Ulrich Heinrich






(A)



(B)



(C)



(D)


die Deutschland – leider! – bereits gemacht hat. Wichtig
für den Holzmarkt ist, dass der Holzpreis in Deutschland
nicht wegen der großen Schäden in Frankreich in den
Keller geht.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das tut er doch!)


Für finanzielle Hilfen im Rahmen der Gemein-
schaftsaufgabe und durch EU-Mittel sind die Möglich-
keiten eröffnet worden. Ich finde es sinnvoller, solche
Mittel im Katastrophenfalle auch tatsächlich einzuset-
zen, auch wenn sie sonst unter Umständen für andere
Maßnahmen ausgegeben worden wären. Sie wissen aber
auch, dass die GAK-Mittel oft nicht ausgeschöpft wor-
den sind. Deshalb können diese Mittel ruhig dafür ver-
wendet werden.

Zu der Frage, inwieweit der Bund seiner Verantwor-
tung nachkommt: Sie wissen, dass zunächst das Land in
Verantwortung steht. Solange das Land Baden-
Württemberg kein konkretes Hilfsersuchen an die Bun-
desregierung gerichtet hat – –


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja lächerlich! – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Hat es doch!)


– Das ist erst vor wenigen Tagen erfolgt. Vorher gab es
einen Brief der Ministerin für den ländlichen Raum.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die waren doch zusammen im Wald, die beiden! Die werden nicht Pilze gesammelt haben! Ich nehme nicht an, dass sie Pilze gesammelt haben!)


Erst inzwischen hat Ministerpräsident Teufel ein Hilfs-
ersuchen an die Bundesregierung gerichtet.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408724200
Frau Kollegin Lem-
ke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Weiß?


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408724300
Bitte
schön.


(Zurufe von der SPD: Der hat doch schon geredet!)


– Er hat von seiner Fraktion nicht genug Redezeit be-
kommen.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1408724400
Frau Kol-
legin Lemke, da Sie soeben behauptet haben, es sei kein
Hilfsersuchen an den Bund ergangen,


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Also, jetzt hören Sie wenigstens einmal zu, bevor sie solche Fragen stellen! Das ist ja die Höhe!)


– langsam! – möchte ich Sie fragen: Können Sie bestäti-
gen, dass die Konferenz der Amtschefs der 16 Bundes-
länder am 13. Januar 2000 einstimmig die Bundesregie-
rung gebeten hat, ein Bund-Länder-Sonderprogramm
„Orkanschäden“ mit 60-prozentiger Finanzierung durch

den Bund aufzulegen, und dass dieses Ersuchen bis zum
heutigen Tag nicht beantwortet worden ist?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408724500
Ich
gebe Ihnen Recht.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Ich denke, dass die Regierung sofort helfen sollte, ohne auf Briefe zu warten!)


Aber können Sie mir erklären, warum sich Ministerprä-
sident Teufel erst vor einigen Tagen an die Bundesregie-
rung gewandt hat? Ich gebe Ihnen Recht, dass die Situa-
tion in Baden-Württemberg schlimm ist und dass der
Bund helfen soll. Der Bund hilft bereits. Ich finde es
aber schlimm, dass Sie die Debatte und die Situation
dort benutzen, um auch jetzt noch polemisch auf den
Bund zu weisen, obwohl Ministerpräsident Teufel erst
jetzt an den Bund herangetreten ist.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Weil Sie auf den 13. Januar nicht reagiert haben!)


Ich finde es schlimm, dass Sie mit dem Schaden der
Betroffenen, auf dem Rücken der Betroffenen in billigs-
ter Polemik Politik machen. Das ist es, was ich nicht in
Ordnung finde, Herr Kollege.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Weil der Bund nicht reagiert hat, muss er erneut schreiben! Das ist ja unglaublich! – Walter Hirche [F.D.P.]: Hilfe statt Bürokratie ist gefragt!)


– Ich habe versucht, es Ihnen darzulegen, aber Sie kön-
nen oder wollen offensichtlich nicht zuhören, weil Sie
mit anderen Dingen beschäftigt sind. Der Bund hilft den
Betroffenen vor Ort bereits mit Hilfsmaßnahmen.

Ein weiteres Wort zu Ihren Vergleichen zum Oder-
Hochwasser und zu Baden-Württemberg beziehungs-
weise zu den Schäden, die damals durch „Wiebke“ und
„Vivien“ entstanden sind. Um der Redlichkeit willen
sollten Sie einräumen, dass die Schäden damals, auf
mehrere Bundesländer verteilt, zweieinhalb Mal so hoch
gewesen sind, wie sie es diesmal sind. Deshalb ist auch
beim Oder-Hochwasser eine andere Situation entstan-
den. Die Menschen waren dort anders betroffen. Sie
können die Finanzkraft Brandenburgs nicht mit der Fi-
nanzkraft Baden-Württembergs vergleichen. Ich finde,
dass eine wohl überlegte Abwägung erforderlich ist, wie
der Bund in solchen Fällen eingreifen soll.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Bei „Wiebke“ waren es 15 Millionen! Das ist doppelt so viel!)


– Der Bund hat mit 20 Millionen beim Oder-Hoch-
wasser geholfen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Im Klartext: Wenn Sachsen-Anhalt betroffen wäre, würden Sie Geld geben!)


Steffi Lemke






(A)



(B)



(C)



(D)


– Nein, das ist nicht richtig, Herr Kollege. Unterstellen
Sie nichts, was ich nicht sage.

Kommen wir zu einer weiteren Dimension, die wir
aus meiner Sicht in dieser Situation diskutieren müssen:
Da ist zum einen die aktuelle existenzielle Betroffenheit,
und zum anderen stellt sich eine grundsätzliche, ursa-
chenbezogene Frage, und zwar die, wie wir in Zukunft
mit solchen Schäden, die nach Einschätzung vieler Kli-
maforscher öfter auftreten werden, umgehen wollen. Ich
denke, dass es nicht die Lösung sein kann, dass in allen
Fällen, wenn solche Schäden für Privatleute oder für die
Wirtschaft auftreten, ob es Hochwasser, Orkanschäden
sind, der Bund alle diese Schäden mit Bund-Länder-
Sofortprogrammen aufgreift.

Hier sind weiter gehende Überlegungen notwendig.
Ich denke, hier wäre die Mithilfe aller Fraktionen und
Parteien gefragt, insbesondere auch bei dem Klima-
schutzprogramm, das die Bundesregierung jetzt noch
einmal mit intensiven Anstrengungen zum Erreichen des
Klimaschutzziels auflegt. Wir werden nur mit diesem
Problem fertig werden, wenn wir versuchen, die Klima-
schutzprobleme grundsätzlich in den Griff zu bekom-
men, und dann überlegen, wie in solchen Fällen den Be-
troffenen geholfen werden kann.

Die Koalition hat in ihrem Antrag die Bundesregie-
rung aufgefordert, zu schauen, welche Unterstützung für
die Betroffenen, beispielsweise bei Zinsprogrammen,
möglich ist, welche Kapazitäten vorhanden sind und ob
Forstfachkräfte, die dort momentan gebraucht werden –
nicht Bundeswehrsoldaten – hingeschickt werden kön-
nen. Auch bei der Wiederaufforstung muss geschaut
werden, wie dort mit einem minimalen Kostenaufwand
ein möglichst hoher Effekt erreicht werden kann, um
den wirtschaftenden Betrieben dort wieder auf die Füße
zu helfen.

Ich fände es gut, wenn diese Debatte nicht in Wahl-
kampfpolemik ausartet. Das ist nicht im Interesse der
Betroffenen. Vielmehr muss hier gemeinsam anerkannt
werden, was Bundes- und Landesregierung bisher ge-
leistet haben und was dort in Zukunft gemeinsam geleis-
tet werden kann.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Soforthilfe ist gefragt!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408724600
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat jetzt die Kollegin Kersten Naumann.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1408724700
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der Wald erfüllt vielfältige Funkti-
onen im Ökosystem, in der Gesellschaft, im sozialen, im
kulturellen und im wirtschaftlichen Bereich. Holz ist ein
wichtiger nachwachsender Rohstoff, auf den wir nicht
verzichten können.

Seine Integration in die genannten Systeme müsste
viel mehr Beachtung auch im Blick auf die Belange zu-
künftiger Generationen finden. Die in den Anträgen von

der CDU/CSU, der F.D.P und zum Teil auch der SPD
geforderten Maßnahmen machen deren politische Ziele
deutlich: Gewinne wirtschaftlicher Tätigkeit sollen pri-
vatisiert und Verluste sozialisiert werden.

Auch die PDS ist der Überzeugung, dass dringend
Maßnahmen zur Überwindung der Sturmschäden
notwendig sind und die sozialen Folgen für die Wald-
bewirtschafter minimiert werden müssen. Allerdings
wäre zu diskutieren, wie die Lasten für solche Maßnah-
men zu verteilen sind. Wir halten es für richtig, wenn an
der Spitze der Maßnahmen die Solidarität der Waldbe-
sitzer untereinander steht, wie sie mit der Verordnung
zum Holzeinschlag vom 8. Februar 2000 eingefordert
wird.

Durch die Einschränkung vorgesehener planmäßiger
Holzeinschläge leisten sie einen konkreten Beitrag da-
für, dass die Holzpreise nicht zusammenbrechen. Aller-
dings scheint dieses Risiko nach Meinung der deutschen
Sägeindustrie nicht besonders groß zu sein. Der Anfall
von Sturmholz beträgt etwa 50 Prozent des europawei-
ten Rohholzbedarfs der Sägewerke. Sie sehen vor allem
Handlungsbedarf bei der Förderung der Marktnachfrage
und der Einflussnahme auf den Holztransport. Grund da-
für ist die Verstärkung der Diskrepanzen zwischen dem
Holzanfall durch die Orkanschäden und der Verarbei-
tungskapazität.

Da die Waldwirtschaft eine Ökonomie über Generati-
onen ist, besteht das Hauptproblem in der zeitlichen Ab-
federung der mit den Sturmschäden entstandenen Wi-
dersprüche zwischen Bewirtschaftungsaufwand und Er-
trag. Dazu sind die in den Anträgen geforderten Maß-
nahmen aber nicht ausreichend. So muss für die Zukunft
nicht nur über die Vergrößerung der Risikoabsicherung
durch eine entsprechende Sturmversicherung nachge-
dacht werden; denn dadurch bekämpft man nur die
Symptome.


(Beifall bei der PDS)

Durch eine gemeinschaftliche und vielfältige Wald-
bewirtschaftung könnten die Risiken weiter minimiert
werden. Dadurch wäre eine Generationensolidarität der
Waldbesitzer möglich – von den dadurch möglichen
Bewirtschaftungsvorteilen ganz zu schweigen.

In der konkreten Situation ist kurzfristig sicherlich
auch die Bereitstellung staatlicher Mittel notwendig.
Warum aber wird die Mittelbereitstellung nicht mit ei-
nem Programm für eine nachhaltige Waldwirtschaft und
dem Umbau der Waldbestände verbunden?


(Beifall bei der PDS)

Ein solches Programm könnte auch in die Debatte um

die Ausweisung von FFH-Gebieten einbezogen werden.
Nicht zuletzt geht es um die Weiterentwicklung der vom
Sturm geschädigten Gebiete als Wirtschaftsregionen mit
einer spezifischen Weiterentwicklung der Kulturland-
schaft.

Nachzudenken ist nicht nur über die Interessen und
Sorgen der Waldbesitzer, sondern auch über die Zukunft
der von der Sturmkatastrophe betroffenen Regionen. Die
Bewältigung der Folgen der Sturmkatastrophe muss

Steffi Lemke






(A)



(B)



(C)



(D)


deshalb zu einem Anliegen aller Bürger der Region
werden. Sie sind unter Leitung der Kommunalvertretun-
gen in einen breiten demokratischen Diskurs über die
Weiterentwicklung der Region einzubeziehen. Ich bin
überzeugt, dass sich dadurch auch noch andere Finanzie-
rungsquellen erschließen lassen als der Bundeshaushalt
und die Landeshaushalte.

Allen ist klar, dass die Beseitigung der Sturmschäden
auch eine riesige Arbeitsaufgabe ist. Aus den Presse-
meldungen der letzten Jahren und Monate entnehme ich
aber, dass Waldarbeiter zu Tausenden entlassen werden.
In den vorliegenden Anträgen lese ich nun von Umset-
zung von Arbeitskräften und – im F.D.P.-Antrag – dem
Einsatz von Facharbeitern aus Osteuropa. Ich lese nichts
von Reaktivierung der arbeitslosen Waldarbeiter oder
von besonders vorteilhaften Tarifverträgen und Auf-
wandsentschädigungen für die Sondereinsätze in Baden-
Württemberg und Bayern,


(Beifall bei der PDS)

ich lese kein Wort von einer Beschäftigungspolitik, die
langfristig den Waldumbau und die effiziente Waldbe-
wirtschaftung sichert.

Die vorliegenden Anträge sind unseres Erachtens
zum Großteil Klientelpolitik. Mit ihnen wird einseitig
um die Interessen von Waldbesitzern gekämpft. Ge-
samtgesellschaftliche Anliegen spielen dabei keine Rol-
le. Die PDS wird sich dafür einsetzen, dass die Anträge
im weiteren parlamentarischen Verfahren nachgebessert
werden.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408724800
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Marion Caspers-Merk für die SPD-
Fraktion.


Marion Caspers-Merk (SPD):
Rede ID: ID1408724900
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde,
dass die Debatte notwendig ist und dass wir richtig da-
ran tun, dieses Ereignis zum Anlass zu nehmen, um zu
überlegen: Wie kann man der Region, wie kann man
Baden-Württemberg, wie kann man den Kommunen –
über die noch niemand geredet hat;


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Doch, ich habe darüber geredet!)


es gibt ja auch viele Kommunen, die betroffen sind –
und wie kann man den privaten Waldbesitzern adäquat
helfen?

Herr Kollege Weiß, Sie führen diese Debatte sehr
vordergründig. Sie haben in Ihrem Antrag nur kurz ge-
sprungene Hilfen – zum Thema Klimaschutz kein Wort,
zum Thema Förderung von Biomasse kein Wort, zum
Thema langfristige ökologische Waldwirtschaft und den
Chancen einer ökologischen Wiederaufforstung kein
Wort. Ihre Anträge sind vordergründig und polemisch
und reihen sich in eine Ebene. Wenn Sie sich hier so

empören, sollten Sie morgen zeigen, dass Sie das Thema
ernst nehmen. Sie können etwas für den Klimaschutz
tun, indem Sie unserem Gesetzentwurf zum Thema re-
generative Energien zustimmen; denn damit tun wir
ganz konkret etwas für die Nutzung von Biomasse, un-
ter anderem auch für die Nutzung des nachwachsenden
Rohstoffs Holz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was tut dagegen die Baden-Württembergische Lan-
desregierung? Die Baden-Württembergische Landesre-
gierung hat die Programme für regenerative Energien
zusammengestrichen. Das ist Fakt. Sie ist beim Thema
Klimaschutz Schlusslicht. Zum Beispiel hat sie das da-
malige Programm zur Photovoltaik, das die große Koali-
tion aufgelegt hatte, zusammengestrichen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das hat doch nichts mit der Hilfe zu tun, die erforderlich ist! – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wir reden nicht vom Klimaschutz! Wir reden von der Not der Waldbauern!)


– Wir reden auch vom Klimaschutz. Der Punkt ist, dass
dieser Sturm Ursachen hatte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir nicht über die Ursachen nachdenken, werden
wir immer wieder über die einzelnen Schäden und deren
Regulierung reden. Wir wollen in einer proaktiven Um-
weltpolitik dafür sorgen, dass diese Orkanschäden nicht
mehr auftreten. Damit ist den Waldbauern am meisten
geholfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)


– Nein, Herr Kollege Heinrich, Sie hatten das Wort.
Ich will nur noch eines dazu sagen: Sie gebrauchen

mit Ihren kurzfristigen Anträgen dieses Thema als In-
strument im Wahlkampf.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Es ist für uns zurzeit kein Wahlkampf! – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wir haben keinen Wahlkampf!)


In der heutigen Debatte über die „Pallas“ haben Sie kri-
tisiert, dass der Minister nicht vor Ort war.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Er war doch da!)

Ich möchte an dieser Stelle Karl-Heinz Funke danken.
Er war sofort vor Ort. Er war in Lahr, hat sich unmittel-
bar ein Bild gemacht und die Hilfsmaßnahmen eingelei-
tet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408725000
Frau Kollegin
Caspers-Merk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Burgbacher?

Kersten Naumann






(A)



(B)



(C)



(D)



Marion Caspers-Merk (SPD):
Rede ID: ID1408725100
Sehr gern.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1408725200
Danke schön, Frau Kol-
legin.– Ich möchte Sie fragen: Reden wir heute Abend
über Soforthilfe für die betroffenen Waldbauern, die Sie
– im Gegensatz zu Ihren Vorrednerinnen – eigentlich
kennen müssten und die Ihre heutigen Aussagen als
Hohn empfinden müssten? Sind Sie bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, dass gerade bei dieser Katastrophe alle Be-
stände, ob Buchen oder Eichen, betroffen waren und
deshalb viele Argumente völlig ins Leere gehen?


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Marion Caspers-Merk (SPD):
Rede ID: ID1408725300
Ich darf Ihnen Fol-
gendes erwidern: Ich habe zu den unterschiedlichen An-
trägen gesprochen. Unsere Anträge beinhalten – im Ge-
gensatz zu Ihren Anträgen – diese Aspekte. So fordern
wir die Bundesregierung auf, bei der Wiederaufforstung
auf ökologisch nachhaltige Waldwirtschaft zu achten
und Elemente des Klimaschutzes zu verstärken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Weil es in Baden-Württemberg nicht gemacht wird!)


Deswegen habe ich auf den Unterschied hingewiesen.
Herr Kollege Burgbacher, Sie können gerne stehen blei-
ben; ich bin noch nicht fertig. Sie verlängern meine Re-
dezeit.

Allein in meinem Wahlkreis – ich war vor Ort und
kenne die Schäden – sind 631 000 Kubikmeter Wald
zerstört worden. Der Schaden beläuft sich beim Privat-
wald auf ungefähr 15 Millionen DM und bei den Kom-
munen auf 35 Millionen DM. Ich weiß, dass wir hier
auch darüber nachdenken müssen, wie wir die Existenz
der Privatwaldbesitzer sichern können.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Na, endlich ein Wort!)


Deswegen finde ich zielführend, dass wir das Ganze an
die Ausschüsse überweisen und dort noch einmal da-
rüber nachdenken, ob die Maßnahmen auch zielgerichtet
sind.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wie lange wollen Sie nachdenken, Frau Caspers-Merk?)


– Die Bundesregierung hat in einem Sofortprogramm
geholfen. Das nehmen Sie nicht zur Kenntnis. Es wur-
den hier acht Punkte vorgetragen, die wir konkret ange-
stoßen haben. Sie negieren das einfach, indem Sie diese
Punkte nicht zur Kenntnis nehmen.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


Sowohl das Land als auch wir haben geholfen und jetzt
müssen wir prüfen, ob die Maßnahmen ausreichen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wie viel Darlehen sind in Anspruch genommen worden?)


Lassen Sie uns das in den Fachausschüssen ohne Not
und Eile tun, damit die Hilfe auch wirklich dort an-
kommt, wo sie gebraucht wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408725400
Frau Kollegin
Caspers-Merk, gestatten Sie eine zweite Frage des Kol-
legen Burgbacher?


Marion Caspers-Merk (SPD):
Rede ID: ID1408725500
Nein. – Ich will ab-
schließend aus meiner Sicht noch einmal zwei Aspekte
hinzufügen. Wir meinen, dass wir die Chance nutzen
sollten, bei der Wiederaufforstung das Thema der nach-
haltigen Waldwirtschaft in den Mittelpunkt zu stellen.
Ich will darüber hinaus betonen, dass es uns darum geht,
mit einer langfristigen Klimaschutzpolitik proaktiv da-
für zu sorgen, dass sich solche Naturkatastrophen nicht
wiederholen.

Ich kann verstehen, dass es Ihnen nicht gefällt, dass
wir in Südbaden vor Ort waren und geholfen haben.
Aber die Menschen vor Ort wissen die Hilfe zu schät-
zen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nein, die sind bitter enttäuscht!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408725600
Nächster Redner für
die Fraktion der CDU/CSU ist der Kollege Heinrich-
Wilhelm Ronsöhr.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1408725700
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
war in Baden-Württemberg – wie der Minister, wie viele
andere. Ich habe dort Waldbauern kennen gelernt: Größe
des Waldes 40 Hektar; 38 Hektar davon ist – geworfen.
Buchen, Eichen, Laubwälder.


(Marion Caspers-Merk [SPD]: Das wissen wir doch!)


– Nein, eben hat eine Dame aus der SPD-Fraktion davon
gesprochen, dass man doch jetzt endlich einmal mit dem
ökologischen Waldbau beginnen müsse. Diese Wald-
bauern haben das Jahrzehnte getan; sonst hätten dort
nicht 250 Jahre alte Buchen gestanden!


(Beifall bei der CDU/CSU – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Caspers-Merk hat vom Klimaschutz gesprochen und nicht vom ökologischen Waldbau!)


Jetzt kommen die zu uns und fragen, was wir tun. Ich
sage: Wir haben das Forstschäden-Ausgleichsgesetz er-
lassen. Wir haben damit die Beschränkung des Holz-
einschlages bewirkt. Das ist ja wichtig zur Marktstabili-
sierung. Ich glaube, darin stimmen wir auch alle überein.
Diesem Verordnungsentwurf von Baden-Württemberg
haben alle Bundesländer zugestimmt. Dankenswerter-
weise war das überhaupt nicht umstritten.






(A)



(B)



(C)



(D)


Darum geht es aber nicht, sondern die Frage ist doch:
Wenn jetzt so viel Wald geworfen ist, teilweise in Hoch-
lagen, wo nichts anderes als eine Fichte wächst dann be-
darf es eines erheblichen Geldaufwandes, diese Holz zu
bergen, was insbesondere in den Steillagen schwierig ist.
Da sind Landwirte, die im Nebenerwerb Holzbergung
betreiben und die mit ihren Maschinen teilweise in die-
ses geschmissenen Steillagen nicht hineinkommen. Das
birgt auch ein ungeheures Gefährdungspotenzial. Das
wissen wir doch alle. Wenn wir es aber wissen, dann
sollten wir doch einige vernünftige Rückschlüsse daraus
ziehen.

Dann ist die Frage zu stellen: Wie kommen denn
Waldbauern jetzt mit ihrer Liquidität hin? – Die brau-
chen jetzt Liquidität.

Ich habe mir das einmal an einem Waldstück ange-
guckt. Da sind fünf Hektar geschmissen, alles schlagreif.
Der Bauer hätte 150 000 DM dafür bekommen; er hätte
die Bäume nacheinander schlagen können. Jetzt muss er
diesen Wald bergen, das Holz vermarkten und kriegt
noch 40 000 DM. Die gesamten fünf Hektar sind auf
einmal weg.

Natürlich sind Teile der entsprechenden Vorschriften
eines ermäßigten Steuersatzes für Kalamitätsnutzun-
gen erhalten geblieben – das ist ja sinnvoll und richtig
gewesen –, aber Teile sind auch verändert worden. Jetzt
werden die Geschädigten möglicherweise noch mit einer
höheren Besteuerung bestraft. Dabei haben sie nachhal-
tig Waldwirtschaft betrieben und somit eine gesell-
schaftliche Leistung erbracht. Nun können wir ihnen na-
türlich auch damit kommen, dass uns möglicherweise
eine Klimakatastrophe bevorsteht. Das ist eine Frage,
die wir auch in aller Ernsthaftigkeit zu erörtern haben.
Ich gebe jedem Vorredner und jeder Vorrednerin Recht,
dass man darüber sprechen muss. Aber was nutzt denn
das jetzt einem Waldbauern, der diesen existenziellen
Schaden aufzuarbeiten hat? Das ist doch die Frage, die
hier einmal zu stellen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Staatssekretär Thalheim hat uns hier in der Fra-

gestunde – wir hätten ja möglicherweise sonst unsere
Anträge gar nicht gestellt – gesagt, es könne über das
jetzt Angesprochene hinaus keine weiteren Hilfen ge-
ben, weil es letztlich eine regionale Katastrophe sei.

Nur, dann sind alle Bundesländer – auch die SPD-
regierten – anderer Auffassung,


(Heidemarie Wright [SPD]: Das war Solidarität!)


denn die Bundesländer haben den Bund aufgefordert,
mit einem Sonderprogramm zu helfen. Deshalb fordere
ich für meine Fraktion hier dieses Sonderprogramm.

Nun sagt man, das könne man ja aus den 1,7 Milliar-
den DM, die für die Gemeinschaftsaufgabe zur Verfü-
gung stehen, nehmen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Voll kann man es nicht!)


Ich will das heute hier gar nicht kritisieren, weil es mir
um die Hilfen für die Waldbauern geht. Aber wir wissen
doch ganz genau, dass mit den Mitteln der Gemein-
schaftsaufgabe immer neue Aufgaben zu bewältigen
sind.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vernünftig!)


Wir wissen ganz genau, dass diese Mittel häufig sehr
knapp sind. Wir wissen ganz genau, dass der Struktur-
wandel durch die Agenda 2000, aber auch durch den
Preisverfall in der Landwirtschaft verstärkt wird, dass
also immer mehr Mittel der Gemeinschaftsaufgabe ein-
gefordert werden. Nun sollen im Rahmen der Gemein-
schaftsaufgabe, die teilweise ausgequetscht ist wie eine
Zitrone, auch noch die Mittel für die baden-württem-
bergischen Waldbauern erwirtschaftet werden.

Wenn ein Betrieb zum Beispiel eine einzelbetriebli-
che Förderung haben möchte und gleichzeitig Hilfe be-
nötigt, weil er erhebliche Waldschäden erlitten hat, dann
kann es sein, dass er sozusagen mit sich selbst um das
Geld aus der Gemeinschaftsaufgabe konkurriert. Des-
wegen sage ich Ihnen: Wir brauchen ein fünfjähriges
Sonderprogramm, das zu 40 Prozent von den Län-
dern – es ist nicht nur Baden-Württemberg, sondern es
sind auch Bayern, Rheinland-Pfalz und Hessen etwas
betroffen – und zu 60 Prozent vom Bund finanziert wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist eigenartig: Der Bundeslandwirtschaftsminister,

der anlässlich der Grünen Woche in Berlin – das wissen
wir, weil wir dort auch manchmal feiern – neulich eine
sehr gute Rede gehalten hat, hat dargestellt, was die
Kommunen im Bereich des Naturschutzes verkehrt ma-
chen. Früher, als er noch Landwirtschaftsminister in
Niedersachsen war, wusste er immer, was der Bund ver-
kehrt macht. Aber jetzt muss er einmal sagen, welche
konkrete Hilfe er für die Waldbauern leistet, die durch
diese Schäden so extrem betroffen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist entscheidend, und nicht, dass man über andere
redet. Hier muss er endlich auf den Tisch legen, welche
konkreten Mittel – über das hinaus, was ohnehin schon
in der Agrarpolitik eingesetzt wird –, zusätzlich zur Ver-
fügung gestellt werden. Darauf erwarten wir heute eine
Antwort.

Ich finde es sowieso komisch, dass Karl-Heinz Funke
hier immer als Letzter spricht. Wir wollen auch einmal
über das diskutieren, was er vorzulegen hat. Aber offen-
sichtlich hat er nichts vorzulegen. Deswegen spricht er
immer als Letzter.

Lassen Sie uns möglichst schnell und zügig ein Son-
derprogramm des Bundes und der Länder beschließen
und damit den Waldbauern helfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408725800
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Bundesminister für Landwirt-
schaft, Ernährung und Forsten, Karl-Heinz Funke.

Heinrich-Wilhelm Ronsöhr






(A)



(B)



(C)



(D)


Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Mit mir müssen Sie
nicht darüber streiten, ob ich als Erster oder als Letzter
reden soll. Herr Kollege Ronsöhr, ich traue mir wie im
Ausschuss durchaus zu, mich mit Ihnen auch dann aus-
einander zu setzen, wenn Sie noch die Chance zur Ant-
wort haben.

Es ist eine Binsenweisheit, dass man in einer solchen
Debatte zwischen dem, was parteipolitisch zu werten ist,
und dem, was die Sache selbst betrifft, trennen muss. Ich
war in der Tat dort. Ich habe gar nicht mitbekommen,
dass jemand behauptet hat, ich sei gar nicht dort gewe-
sen. Es mag sein, dass das jemand behauptet hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat auch niemand behauptet!)


– In Ordnung, ich habe das eben nur aufgeschnappt.
Das ist völlig egal. – Herr Kollege Weiß, ich bin am
7. Januar dort gewesen. Das habe ich nachprüfen lassen;
das ist mir bestätigt worden. Herr Kollege Weiß, durch
Ihr Kopfnicken bestätigen Sie das. Sie waren ja dabei.
Man muss ja selber zusehen, dass man noch auf das Bild
kommt, so drängeln die Oppositionsabgeordneten, um
sich ablichten zu lassen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Nun sagen Sie mal was zur Sache! Das ist ja fürchterlich! Wir sind hier doch nicht zur Volksbelustigung da!)


– Herr Kollege Ronsöhr, worüber ich rede, entscheiden
nicht Sie. Da kann ich Sie beruhigen. Sie müssen sich
gar nicht aufregen.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Dürfen wir denn noch eine eigene Meinung haben?)


– Eben wollte mir der Kollege Ronsöhr vorschreiben,
was ich hier sagen darf. Die Meinungsfreiheit ist seiner-
seits und nicht meinerseits infrage gestellt worden.

Am 7. Januar bin ich also da gewesen. Schon am
10. Januar stand eine Pressemitteilung von Herrn Weiß
in der Zeitung:

Weiß fordert 300 Millionen DM für Sonderpro-
gramm – Ergebnisse des Funke-Besuchs als völlig
ungenügend bezeichnet.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Richtig!)

– Ja, am 10. Januar. Entschuldigung, da hatte das Lan-
deskabinett in Baden-Württemberg noch nicht einmal
einen Beschluss über ein Landesprogramm herbei-
geführt; trotzdem stellte Herr Weiß das schon am
10. Januar fest. Dabei geht es nicht um die Sache, das ist
reine Parteipolitik und nichts anderes.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie haben das doch bestätigt!)


– Nein, so wird das gemacht. Es liegt völlig neben der
Sache. Sie tun es nur, um daraus irgendwie parteipoli-
tisch Honig zu saugen. Aber die Menschen merken das.

Wir waren uns einig, dass wir die ersten Maßnahmen
möglichst schnell umzusetzen haben.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408725900
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?

Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Ja, von mir aus gerne, wenn
er möchte.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1408726000
Herr Mi-
nister Funke, können Sie bestätigen, dass Sie bereits bei
Ihrem damaligen Besuch am 7. Januar 2000 in Lahr
vorgetragen haben, dass Sie die Voraussetzungen für ein
Bund-Länder-Sonderprogramm für nicht gegeben anse-
hen und dass ich deshalb mit meiner Pressemitteilung
vollkommen richtig reagiert habe?

Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Ich will gerne auf Folgen-
des hinweisen – ich hätte es später noch gesagt –: Trotz
allen möglichen Diskussionen, die wir veranstalten kön-
nen, war auch in der Vergangenheit unstrittig, dass zwei
Voraussetzungen notwendig sind, wenn der Bund eintre-
ten soll.

Erstens. Soweit Regionalität und nicht Überregionali-
tät, also nationales Ausmaß, gegeben ist, ist die Angele-
genheit Ländersache.

Zweitens. Der Unterschied etwa zu den Geschehnis-
sen beim Hochwasser im Oderbruch liegt darin, dass zu-
allererst das Land gefragt ist. Der Bund ist dann gefor-
dert, Hilfe zu leisten, wenn das Land dazu nicht in der
Lage ist.

Das ist die Grundlage für die Zusammenarbeit zwi-
schen Bund und Ländern seit eh und je. Das bedeutet,
dass Ihre Wertung am 10. Januar völlig daneben war. Ih-
re Pressemitteilung stand schon fest, bevor ich kam.
Auch ich weiß aus früheren Zeiten, wie so etwas ge-
macht wird.

Unstrittig ist doch – ich weiß nicht, warum man so
manche Debatte darüber aufführt –, dass der Orkan „Lo-
thar“ am 26. Dezember diejenigen Schäden herbeige-
führt hat, die hier erwähnt worden sind. Ich will darauf
im Einzelnen überhaupt nicht mehr eingehen.

Ich anerkenne ausdrücklich auch die Hilfsprogram-
me, die Bayern und Baden-Württemberg gestartet ha-
ben. Wir haben dabei die notwendige Unterstützung ge-
leistet. Es ist im Übrigen vom Land Baden-Württemberg
ausdrücklich anerkannt worden, dass der Bund dem
Land sofort zur Seite gesprungen ist und dass die von
uns zu erbringenden Maßnahmen möglichst schnell
durchgeführt worden sind.

Weil insbesondere Herr Heinrich die Zinsen der Pro-
gramme angesprochen hat, sage ich gerne, dass das
Sonderprogramm natürlich über die Landwirtschaftliche
Rentenbank gestartet worden ist, um möglichst schnell
Schäden zu beseitigen. Dies war als erste Maßnahme






(A)



(B)



(C)



(D)


gedacht, die man sofort umsetzen wollte und konnte. Es
geschah, nebenbei bemerkt, in Übereinstimmung mit der
baden-württembergischen Landesregierung. Man kann
darüber diskutieren, ob die Zinsbelastung nicht trotz der
Zinsvergünstigung so ist, dass unter Umständen die
Wirkung nicht so eintritt, wie wir es gerne hätten. Darin
gebe ich Ihnen ausdrücklich Recht. Aber als notwendige
erste Maßnahme war dieses Vorgehen richtig.

Was die Bundesratsinitiative zur Holzeinschlagsbe-
schränkung anbelangt: Wir haben wiederum mit dem
Land Baden-Württemberg sehr zügig zusammengearbei-
tet, um eine Stabilisierung der Holzpreise zu erreichen.
Ich hoffe, das tritt ein. Diese Verordnung ist am
12. Februar in Kraft getreten. Keiner wird sagen können,
dass es an irgendeiner Stelle hätte schneller gehen müs-
sen. Ich lege ausdrücklich Wert darauf, dass es immer
eine entsprechende Zusammenarbeit gegeben hat.

Hier ist auf das Forstschäden-Ausgleichsgesetz hin-
gewiesen worden. Das, was wir seitens der Bundesforst-
verwaltung tun können, um uns auch im Einschlag zu-
rückzuhalten, ist ebenfalls geleistet worden. Das gilt
auch dort, wo es um verkehrsrechtliche Ausnahme-
regelungen ging.


(Zuruf des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU])


– Ja, Herr Kollege Weiß, ich sage das nur einmal: Alle
diese Dinge sind bei meinem Besuch damals angespro-
chen worden. Trotzdem sagten Sie am 10. Januar: „kei-
ne Ergebnisse“.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nein, das habe ich nicht gesagt! Keine Sonderprogramme habe ich gesagt! Zitieren Sie es richtig!)


– Entschuldigung, ich will es noch einmal zitieren:
„völlig ungenügend.“ Wenn Zensuren noch Sinn
haben heißt das, es hat nichts gegeben. Oder mei-
nen Sie, es hat doch etwas gegeben? Ansonsten
lässt das ja nur diesen Schluss zu, wenn Sie es so
sagen.

Im Übrigen werde ich mich einmal sehr intensiv,
auch mit Kommissar Fischler, darüber unterhalten, was
damit gemeint war. Sowohl der französische Kollege
Glavany als auch ich haben uns getrennt mit dem Kom-
missar darüber unterhalten, was angesichts der Umstän-
de möglich und nötig ist. Im Agrarrat hatten wir uns
darüber unterhalten, nachdem sich Deutschland und
Frankreich abgesprochen hatten. Dort waren wir uns im
Grunde schon einig. Mir scheint, ohne dass ich das end-
gültige Ergebnis des Gespräches kenne, dass der Kom-
missar auch noch einmal an Ort und Stelle deutlich ge-
macht hat, dass im Rahmen der so genannten zweiten
Säule der Agenda Mittel bereitgestellt und zugeführt
werden können, wenn sie woanders nicht abfließen. Da-
zu müssen im Strukturfonds „Ländlicher Raum“ ge-
nauso wie bei der Gemeinschaftsaufgabe die Fördertat-
bestände bzw. die Programmteile so umgestaltet werden,
dass man auch in der Lage ist, zu helfen. Im Übrigen
kann man es auch von den Ländern erwarten, egal um

welches es sich handelt, dieses so umzugestalten und
fortzuschreiben, dass Hilfe möglich ist.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Machen wir auch!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408726100
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?

Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Ja, sie lasse ich noch zu,
obwohl ich gleich zum Schluss kommen möchte.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1408726200
Können Sie bestätigen,
Herr Minister Funke, dass über die Bereitstellung von
Mitteln aus der zweiten Säule allerfrühestens im Herbst
entschieden werden kann? In der Zwischenzeit müssen
die Bauern natürlich wissen, was sie erwartet. Ich bitte
doch, dass hier der Bund einspringt.

Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Jawohl, das bestätige ich
ausdrücklich, dass es sich so verhält. Wir haben auch
darüber gesprochen, dass man unter Umständen das eine
oder andere vorziehen könne. Da es hier um Fragen des
europäischen Haushaltes geht, ist auch die für Finanzen
zuständige Kommissarin damit befasst worden. Ich be-
stätige Ihnen ausdrücklich, dass der Herbst angesichts der
üblichen Abläufe wahrscheinlich der früheste Termin
sein wird. Das ist gar keine Frage.

Insgesamt sind auf europäischer Ebene die Vorarbei-
ten geleistet, um das Bestmögliche zu erreichen. Bei den
Gesprächen, die wir geführt haben, habe ich nie gehört,
dass für die Gewährung von europäischen Hilfen auf der
Grundlage, wie ich sie jetzt geschildert habe, ein Junk-
tim mit einem Bund-Länder-Programm gefordert
worden ist.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Kein Junktim, aber es wäre hilfreich gewesen!)


Es steht ja im Protokoll und ist somit nachprüfbar. Ich
werde das auch tun. Da Kommissar Fischler und ich uns
durchaus offen über solche Dinge unterhalten, bin ich
sicher, dass ich auf meine diesbezügliche Frage auch ei-
ne offene und ehrliche Antwort bekommen werde. In
den Gesprächen, die wir in Brüssel darüber geführt ha-
ben, ist ein solches Junktim oder eine solche Beziehung,
um es etwas weniger tiefgründig zu formulieren, da Sie
nicht von Junktim sprechen wollen,


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Es wäre hilfreicher gewesen!)


nicht hergestellt worden. Vielleicht gefällt Ihnen dieser
Begriff ja eher, Herr Kollege Weiß.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist gut!)


Dieser Begriff ist etwas schwächer, der Begriff Junktim
passte ihm ja nicht. In der Begrifflichkeit bin ich aber

Bundesminister Karl-Heinz Funke






(A)



(B)



(C)



(D)


immer zu Zugeständnissen bereit; da gibt es gar keine
Frage.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Deutsche Begriffe sind sowieso besser!)


– Das trifft unter Umständen auch zu.
Meine Damen und Herren, ich bin dankbar, dass wir

im Ausschuss noch einmal darüber reden. Dann können
wir auch Schlussfolgerungen ziehen. Ich bestätige dabei
ausdrücklich das, was die Vertreter der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen dazu gesagt haben. Es
braucht überhaupt nicht lange zu dauern, um Schlussfol-
gerungen aus den Sofortmaßnahmen, die wir ergriffen
haben, zu ziehen. Wir können abwarten, wie sich der
Holzmarkt entwickelt. Das ist eine ganz entscheidende
Sache. Hierüber muss man Bescheid wissen, aber auch
das braucht nicht lange zu dauern. Sie können sicher
sein, dass uns das Schicksal vieler Einzelfälle – das ge-
stehe ich ausdrücklich zu und freue mich, dass das hier
erwähnt wurde – genauso wie Ihnen am Herzen liegt.
Darüber gibt es keinen Zweifel.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Tun Sie das! – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wir werden Sie daran messen!)


Auch Ihre Äußerungen, Herr Kollege Heinrich, habe ich
dahin gehend verstanden, dass man mit herkömmlich
aufgelegten Programmen unter Umständen Einzel-
schicksalen überhaupt nicht gerecht werden kann, weil
solche Situationen meistens in überhaupt kein Raster
passen.
Auch das ist mir bei der Besichtigung an Ort und Stelle
deutlich geworden. Manchmal kommt man mit her-
kömmlichen Instrumenten nicht zurecht. Dann müssen
wir unter Umständen auch mit unkonventionellen Mit-
teln arbeiten. Das wird die Ausschussberatung aufgrund
der Anträge, die gestellt sind, ergeben. Wir werden ge-
meinsam daraus die entsprechenden Schlussfolgerungen
zu ziehen haben.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408726300
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1408726400
Herr Mi-
nister, die Kritik an Ihnen besteht nicht darin, dass das
Forstschäden-Ausgleichsgesetz nicht in Kraft gesetzt
worden wäre. Vielmehr haben wir gesagt, dass die Ba-
den-Württemberger dazu Vorleistungen erbracht haben
und es deswegen auch ging. Die Kritik an Ihnen besteht
darin, dass Sie nicht bereit sind, separate Mittel in die
Hand zu nehmen und ein Bund-Länder-Programm
aufzulegen.


(Peter Dreßen [SPD]: Warten Sie es doch mal ab!)


– Ich habe Ihnen ganz schwer zuhören können, anderen
besser.

Ich habe auch heute noch kein Signal vernommen,
dass Sie dazu bereit sind. Ich finde, dass das, was Herr
Weiß hier gesagt hat, gilt: Eine sehr schnelle Hilfe ist
möglicherweise eine wirksame Hilfe. Denn die Bestände
müssen jetzt aufgearbeitet werden. Deswegen brauchen
die Waldbesitzer, ob kommunale oder private – für mich
sind die privaten immer wichtiger –, jetzt politische Sig-
nale. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie am Ende
dieser Debatte endlich ein politisches Signal geben
könnten, dass es ein Bund-Länder-Sonderprogramm ge-
ben wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408726500
Zur Erwiderung Herr
Minister Funke, bitte.

Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Ronsöhr, dass
alle Länder bei der Amtschefskonferenz den Bund auf-
fordern, endlich schnell, großzügig und möglichst unbü-
rokratisch und unkonventionell – mir fallen noch mehr
Attribute ein – zu handeln, ist doch selbstverständlich.
Wäre ich niedersächsischer Minister, hätte ich an der
Beschlussfassung genauso mitgewirkt. Das will ich Ih-
nen offen sagen. Aus anderer Leute Leder ist gut Rie-
men schneiden. Da machen es sich solche Konferenzen
von München bis Kiel und von Potsdam bis Stuttgart
manchmal etwas einfach. Ich sage das parteipolitisch
völlig neutral, sehr objektiv, wie wir als Regierung so
sind. Wer wollte das bestreiten?

Zum anderen haben alle Redner der Koalitionsfrakti-
onen und auch ich gesagt – das konnte man hören, wenn
man zuhören wollte –, dass wir anhand der Anträge, die
jetzt an die Ausschüsse überwiesen werden, und im
Lichte der eingeleiteten Maßnahmen – ich bin dankbar,
dass Sie die nicht kritisieren – gucken wollen, was bis-
her gelaufen ist, wie es sich entwickelt hat und was unter
Umständen noch zu tun ist. Ich glaube, das ist sachlich,
das ist richtig und das ist auch vernünftig.

Im Übrigen habe ich genau das auch bei meinem Be-
such am 7. Januar gesagt. Ich habe mich nicht hingestellt
und gesagt: Jetzt fließen Millionen. Das wäre auch un-
verantwortlich gewesen. Ich habe aber sehr wohl gesagt,
dass wir angesichts der bestehenden Nöte bereit sind, in
eine Einzelfallprüfung einzutreten und zu gucken, wel-
che Hilfe notwendig ist und wo das Land – oder wer
auch immer – überfordert ist. Ich habe auch, Herr Ron-
söhr, genau den Standpunkt vertreten, dass Kommunen
in der Lage sein müssen, sich unter Umständen selbst zu
helfen,dass es also in erster Linie um die privaten Wald-
besitzer geht.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das hat aber Herr Staatssekretär Thalheim in der Fragestunde ständig abgelehnt!)


Bundesminister Karl-Heinz Funke






(A)



(B)



(C)



(D)


Das ist der Sachverhalt und nichts anderes, und so
wird es kommen. Insoweit freue ich mich auf die ent-
sprechenden Ausschussberatungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408726600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf
den Drucksachen 14/2570, 14/2583 und 14/2685 zur fe-
derführenden Beratung an den Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung an den
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den
Ausschuss für Tourismus und den Haushaltsausschuss
zu überweisen. Die Vorlagen auf den Drucksa-
chen 14/2570 und 14/2583 sollen zusätzlich an den Fi-
nanzausschuss und an den Ausschuss für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen überwiesen werden. Gibt es dazu
anderweitige Vorschläge? – Das ist offensichtlich nicht
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abge-

ordneten Dr. Evelyn Kenzler, Roland Claus, Ulla
Jelpke, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der PDS eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren

(dreistufige Volksgesetzgebung)


– Drucksache 14/1129 –

(Erste Beratung 53. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-

schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/2151–
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Enders
Erwin Marschewski
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
PDS sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler.


Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1408726700
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Als ich unseren Gesetzent-
wurf zur dreistufigen Volksgesetzgebung im Sommer
letzten Jahres vorstellte, war die Parteiendemokratie
scheinbar noch in bester Bonner Ordnung. Keiner von
uns hätte sich einen Finanzskandal dieses Ausmaßes
vorstellen können. Dass es ausgerechnet jene Partei und
jene Law-and-order-Männer betrifft, die keine Gelegen-

heit ausließen, den Rechtsstaat besonders dann hochle-
ben zu lassen, wenn es gegen die PDS ging, ist schon ei-
ne Ironie des Schicksals.


(Beifall bei der PDS)

Wer das Recht als scharfe Waffe gegen den politi-

schen Gegner wie auch gegen Kleinkriminelle gebraucht
und beim Wirtschaftskapital „höhere“ Interessen und
Ehrenworte gelten lässt, der hat eben leider Nachholbe-
darf in Sachen Demokratie, Rechtsstaat und Moral. Las-
sen Sie mich auch das noch sagen: Irgendwie fühle ich
mich bei dem Gebaren von Helmut Kohl, das seine poli-
tischen Kampfgefährten mitgetragen oder miterduldet
haben – je nachdem –, an den berüchtigten Ausspruch
erinnert, der Ulbricht zugeschrieben wird: „Es muss de-
mokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand
haben.“


(Beifall bei der PDS)

Der Spendenskandal hat auf drastische Weise ge-

zeigt, dass eine Beschränkung der Parteienherrschaft
durch eine Kombination aus effizienter repräsentativer
Demokratie und direkter Mitbestimmung der Bürger
dringend notwendig ist. Davon war ich auch schon vor
der Spendenaffäre überzeugt, als wir unseren Gesetz-
entwurf einbrachten. Es sei mir in diesem Zusammen-
hang gestattet, mich kurz an diese erste Lesung zu erin-
nern.

Grundsätzlich: Die PDS versteht sich weder als
Gralshüterin der Demokratie, wie der Herr Kollege Frie-
se damals meinte, und schon gar nicht als „Hüterin des
Volkes“, wie der Kollege Enders in der Debatte äußerte.
Auch ist unser Gesetzentwurf kein „Ladenhüter“ aus der
letzten Wahlperiode. Wir setzen uns lediglich kontinu-
ierlich für eine Stärkung der plebiszitären Demokratie
ein. Dabei brauchen Sie keine Angst um das parlamenta-
rische System zu haben. Hier soll auch nichts ausgehöhlt
werden.

Auf die „traditionell“ ablehnenden Argumente des
Herrn Kollegen Marschewski kann ich aus zeitlichen
Gründen nicht eingehen.


(Zuruf von der PDS: Das lohnt sich auch nicht!)


Ich kann ihm nur die Homepage von „Mehr Demokra-
tie e. V.“ empfehlen. Da findet er haarklein auf genau
jede seiner Fragen eine überzeugende Antwort; da wird
er aufgeklärt.

Aber eines lasse ich mir nun doch nicht nehmen. Der
Kollege hat in der damaligen Debatte über Ursachen der
Politikverdrossenheit spekuliert und dabei natürlich
weder die PDS noch das Handeln der Bundesregierung
verschont. Einer der schlagenden Einwände gegen die
Plebiszite war die fehlende Allgemeinwohlorientierung,
nämlich die Durchsetzung egoistischer Interessen Ein-
zelner. Es fragt sich jedoch: Wer hat denn nun partei-
egoistisch die Demokratie in einer Weise beschädigt,
dass man von einer in der Bundesrepublik bisher nicht
gekannten politischen Krise sprechen muss? Heutige Po-
litikverdrossenheit ist deshalb nicht zuletzt das zweifel-
hafte Verdienst der CDU. Sie haben etwas gutzumachen.

Bundesminister Karl-Heinz Funke






(A)



(B)



(C)



(D)


Deshalb rechne ich mit Ihrer Stimme, die Sie letztlich
nicht der PDS, sondern den enttäuschten Bürgerinnen
und Bürgern geben.


(Beifall bei der PDS)

Wenn die Kollegin Deligöz davon spricht, dass sie

seit über 10 Jahren über das Problem der Verfassungs-
mäßigkeit der Volksgesetzgebung nachdenkt und dass
sie nun zu dem Schluss gekommen ist, es ginge partout
nicht ohne Grundgesetzänderung und wir hätten dies
nicht berücksichtigt, stimmt das einfach nicht. Erstens
kommen auch andere zu dem Ergebnis, dass „Abstim-
mungen“ nach Art. 20 des Grundgesetzes keine generel-
le Ablehnung plebiszitärer Elemente zulassen. Das
Grundgesetz lässt es offen, wie viele Kompetenzen das
Volk in den Wahlen und wie viele in Abstimmungen
wahrnehmen soll.

Ich halte deshalb eine Grundgesetzänderung nicht für
zwingend. Ich bin jedoch sehr damit einverstanden, dass
man das Grundgesetz im Interesse der Klarheit entspre-
chend ändern sollte. Genau das haben wir auch in unse-
rem Gesetzentwurf vorgeschlagen. In diesem Zusam-
menhang verweise ich auf Art. 1 „Änderung und Ergän-
zung des Grundgesetzes“.

Herrn Funke bin ich sehr dankbar dafür – er ist heute
Abend leider nicht da –, dass er in der damaligen Debat-
te kritisiert hat, dass grundlegende Fragen unserer De-
mokratie in einer halbstündigen Debatte zu später Stun-
de diskutiert werden mussten. Aber daran ist die PDS
mittlerweile schon fast gewöhnt, dass ihr das Nachtpro-
gramm für kurze Beiträge zur Verfügung steht.


(Beifall bei der PDS)

Im Übrigen auch Dank für die zugesagte Unterstüt-

zung bei der rechtlichen Ausgestaltung der Volksinitia-
tive. Die größte Zustimmung hätte ich mir allerdings
vonseiten der Regierungsparteien erhofft. Steht doch in
ihrem Koalitionsvertrag unter der magischen Ziffer 13
ein Passus zur Einführung der Volksgesetzgebung ins
Grundgesetz.

Die Parteispendenaffäre hat dieses Vorhaben nach-
drücklich in Erinnerung gerufen. Kollege Wilhelm
Schmidt regt nun zum Beispiel an, eine neue Verfas-
sungskommission zu bilden, in der auch über die Ein-
führung von Volksbegehren und Volksentscheid dis-
kutiert wird. Rita Süssmuth plädiert für die bundesweite
Einführung von Bürgerbegehren. Jürgen Rüttgers for-
dert, dass die CDU ihr Verhältnis zur Bürgerbeteiligung
überdenkt, da Volksentscheide auf Bundes- und Landes-
ebene einem Machtmissbrauch entgegenwirken könnten.
Und auch Guido Westerwelle tritt unter der Überschrift
„Mehr Demokratie wagen“ für eine Ausdehnung von
Bürgerentscheiden, Bürgerbegehren und Bürgerbefra-
gungen auch auf Landes- und Bundesebene ein. Wört-
lich:

Es ist kein Schaden für die repräsentative Demo-
kratie, wenn Schlüsselentscheidungen für das deut-
sche Volk auf allen Ebenen von ihm selbst unmit-
telbar getroffen werden können.

Selten war die Übereinstimmung in dieser Frage so
groß. Nichtsdestotrotz werden Sie unseren Gesetzent-
wurf ablehnen, weil er eben von uns kommt.


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, aus inhaltlichen Gründen, weil Sie die Verfassung ändern müssen!)


– Das sagen Sie immer. –
Wir bleiben dabei: Die direkte Demokratie ist ein Motor
für die dringend notwendigen Reformen des politischen
Systems. Die gegenwärtige Parteienkrise darf sich nicht
zu einer Demokratiekrise ausweiten. Da stehen alle de-
mokratischen Parteien in der Verantwortung. Da sollte
man keiner Partei Populismus unterstellen oder gar über
ein Urheberrecht auf das Thema „Demokratie“ streiten.
Uns sollte die Demokratie so wertvoll sein, dass wir bei
ihrer Thematisierung nicht in ein unwürdiges Parteien-
gezänk verfallen.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408726800
Für die SPD-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Peter Enders.


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Denken Sie an die Koalitionsvereinbarung)



Peter Enders (SPD):
Rede ID: ID1408726900
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Es ist eigentlich bedauerlich,
dass diese Sache im Innenausschuss nicht etwas ausführ-
licher besprochen worden ist, insbesondere was die Fra-
ge der Grundgesetzänderung angeht. Ich möchte an die-
ser Stelle wie bereits bei der ersten Lesung darauf hin-
weisen, dass es eine rot-grüne Koalitionsvereinbarung
gibt und dass insofern genau dieses auf Bundesebene
vorgesehen ist.


(Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Insoweit brauchen wir uns über die Urheberfrage nicht
zu streiten. Ich darf besonders daran erinnern, dass
schon Willy Brandt in seiner Regierungserklärung vom
28. Oktober 1969 ein Zeichen gesetzt hat, als er davon
sprach, dass wir mehr Demokratie wagen würden.


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Ich darf an diese historische Zeit erinnern.
Im Klartext hieß dies damals, dass wir die Bürger

eben nicht nur alle vier bis fünf Jahre zur Wahlurne ru-
fen, sondern dass wir auch in der Zwischenzeit, wenn
Entscheidungen getroffen werden müssen, den Wähler
hieran stärker beteiligen können.

Wir sind als Sozialdemokraten für mehr direkte De-
mokratie. Dafür gibt es viele Gründe. Das Instrumenta-
rium selbst ist natürlich nicht neu. Das Bedürfnis lässt
sich unter anderem an der vermehrten Gründung von
Bürgerinitiativen und auch an der Vielzahl von Leser-
briefen zu bestimmten öffentlichkeitswirksamen The-

Dr. Evelyn Kenzler






(A)



(B)



(C)



(D)


men ablesen. Hierbei denke ich insbesondere auch an
das Thema der Parteienfinanzierung.

Ich kann durchaus verstehen, dass Bürgerinnen und
Bürger bei neu aufgekommenen Themen ein Interesse
daran haben, auch zwischen den Wahlterminen mitzube-
stimmen. Insoweit verstehe ich den PDS-Antrag, die
Volksentscheide mit Bundestagswahlterminen zu ver-
binden, überhaupt nicht; denn dies ist ein Widerspruch
in sich.

Ein besonderes Bedürfnis bezüglich der Volksent-
scheide besteht, wie wir es 1982 erlebt haben, natürlich
auch nach Koalitionswechseln. Da gab es einige Punkte,
die durchaus in dieses System gepasst hätten.

Wir wollen direkt-demokratische Ansätze in unser
System der repräsentativen Demokratie einbauen und
diese nicht abschaffen, obwohl ich zugebe, dass mich
die Abstimmungsbeteiligung in anderen Ländern auch
nicht gerade vom Stuhl reißt.

Ich möchte der PDS ausdrücklich widersprechen,
wenn sie in ihrem Antrag sehr pauschal und undifferen-
ziert von Politikverdrossenheit spricht. Ich will jetzt
nicht auf die einzelnen Gründe eingehen, die dazu füh-
ren. Aber ich glaube nicht, dass sich permanente Nicht-
wähler – ich grenze diese sehr wohl gegenüber denen
ab, die manchmal aus Protest nicht zu einer Wahl ge-
hen – an einem Mehr an direkter Demokratie wie Volks-
entscheid usw. beteiligen werden. Auch ist es nicht hin-
nehmbar, dass in der Begründung des Gesetzentwurfes
von einer „mangelhaften Repräsentanz der Bürgerinnen
und Bürger durch die Abgeordneten“ gesprochen wird.
Schauen Sie sich doch den Terminkalender vieler Politi-
ker an! Vor allen Dingen auch am Wochenende haben
sie viele Termine.

Lassen Sie mich noch zwei Sätze zu den immer wie-
der zitierten Erfahrungen aus der Zeit der Weimarer Re-
publik sagen: Der nötige Sachverstand der Bevölkerung
ist grundsätzlich vorhanden, um die vorhandenen Infor-
mationen zu verarbeiten. Wenn Sie sich unsere Vor-
schläge im Zusammenhang mit der Gemeinsamen Ver-
fassungskommission von 1993/94 ansehen, die nach der
deutschen Wiedervereinigung das Grundgesetz refor-
mieren sollten, erkennen Sie, dass man viele Hürden
einbauen kann, um der Gefahr der Verführung der
Wahlbevölkerung zu begegnen.

Prinzipiell ist im PDS-Antrag richtig erkannt worden,
dass solche Verfahren die direkte Demokratie viel Geld
kosten. Also müssen wir uns darüber unterhalten, wie
das erforderliche Geld aufzubringen ist, und zwar so-
wohl auf seiten der Antragsteller wie auch auf seiten der
Gegner eines Referendums. Dies ist umso wichtiger, als
wir wissen, dass Unterschriftenaktionen durchaus geeig-
net sind, politische Trends umzukehren; siehe Unter-
schriftenaktion zum Staatsbürgerschaftsrecht in Hessen.
Da alle Anzeichen darauf hindeuten, wie diese Ge-
schichte finanziert worden ist, ist es sehr wichtig, sich
über die Finanzierung zu unterhalten.


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein wichtiger Punkt!)


Der Finanzierungsvorschlag der PDS ist eine einzige
Frechheit. Da wird doch allen Ernstes gefordert, dass die
Mittel durch Kürzungen beim Verfassungsschutz, beim
Bundesnachrichtendienst – und besonders dreist – beim
Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicher-
heitsdienstes der ehemaligen DDR aufzubringen sind.
Da kann ich nur sagen: Das könnte einigen von Ihnen so
passen. Für die Arbeit der Gauck-Behörde brauchen wir
in Zukunft noch viel Geld. Deshalb kommt das über-
haupt nicht in Frage.

Ich möchte an dieser Stelle auf etwas eingehen, was
eineinhalb Jahre zurück liegt. Ich habe mich damals ge-
wundert, wieso sich die PDS bei der Frage der Erhö-
hung der Parteienmittel von 230 Millionen DM auf
245 Millionen DM so vornehm zurückgehalten hat, sich
der Stimme enthalten hat. Wenn ich davon ausgehe, dass
es Volksinitiativen kaum ohne Unterstützung von Par-
teien gibt, werden Sie mit Sicherheit fast ständig dabei
sein. Ich kann mir also gut vorstellen, dass Sie auf diese
Weise versuchen, an die gewünschten Finanzmittel he-
ranzukommen. Ich kann nur fragen: Glauben Sie, dass
Sie die anderen demokratischen Parteien im Hause so
über den Tisch ziehen können? Das wird wohl nicht ge-
hen. Allein schon wegen der Finanzfrage gibt es jeden
Grund der Welt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.

Ich möchte noch auf einige Einzelheiten eingehen,
weil heute die Gelegenheit dazu vorhanden ist. Wir wol-
len eine Erweiterung und keinen Ersatz der repräsentati-
ven Demokratie.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Sie machen es irgendwann?)


– Natürlich, aber Qualität braucht Zeit. Ich will Ihnen an
einigen Beispielen vorführen, dass Ihr Gesetzentwurf
sehr schludrig gemacht worden ist. Wenn Sie mir bitte
zuhören wollen.

Wenden wir uns einigen Problemen im Detail zu. Ei-
ne wichtige Frage ist natürlich die der Mindestbeteili-
gung. Wenn Sie angeben, dass bei einem Volksbegehren
eine Million Wahlberechtigte ausreichend seien – eine
solche Anzahl von Stimmen wäre schon aus der PDS-
Klientel zu beschaffen –, so ist das inakzeptabel. Wenn
ich mir aber, eine Konfliktsituation zwischen Parla-
mentsmehrheiten, die von über 50 Prozent der Wahlbe-
völkerung getragen werden, und den im Einzelfall auf-
gebrachten Stimmen vorstelle, dann muss man darüber
schon etwas intensiver nachdenken.

Was die Kosten angeht, so sagen Sie, dass Sie diese
nicht ermitteln können, da die Anzahl der Volks-
begehren offen ist. Das heißt also, Sie sind bereit,
durchaus über jedes Thema eine Volksinitiative, ein
Volksbegehren und einen Volksentscheid herbeizufüh-
ren. Man muss sich einmal darüber unterhalten, nach
welchen Kriterien so etwas geschen soll.

Dann noch ein Punkt, über den ich mich besonders
gewundert habe: Thema Föderalismus. Sie gehen über
die Fragestellung, inwieweit die Länder zu beteiligen
sind, vollkommen hinweg. Wollen Sie ein duales Sys-
tem haben oder wollen Sie bei zustimmungsbedürftigen
Gesetzen einen unmittelbaren Volksentscheid, der vom

Peter Enders






(A)



(B)



(C)



(D)


normalen Bundesratsverfahren ergänzt wird? Beides zu-
sammen geht nicht. Wir haben 1993/94 dazu einen de-
taillierten Vorschlag gemacht, der darauf hinausläuft:
Wenn ein Volksentscheid durchgeführt wird, muss es
qualifizierte Mehrheiten in den einzelnen Bundesländern
geben, sodass damit regionale Besonderheiten, regionale
Sonderinteressen in den Griff zu bekommen sind.

Ich will es bei diesen Beispielen belassen, die zeigen,
dass dieser Entwurf überhaupt nicht durchdacht ist.

Ich will zum Schluss kommen und heute die Zeit
nicht voll ausnutzen. Ich will nur darauf hinweisen, dass
das wieder einmal ein typisches PDS-Produkt ist:
Schnellschuss, populistisch, aber nicht durchdacht.


(Beifall bei der SPD – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlecht abgeschrieben!)


– Und das noch schlecht abgeschrieben.

(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von uns! – Ludwig Stiegler [SPD]: Nutzlos Perlen vor die Säue geworfen! Das bringt nichts!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408727000
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Norbert Röttgen.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1408727100
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Richard von
Weizsäcker hat vor einigen Wochen in der „FAZ“ seine
Ablehnung hinsichtlich der Einführung von plebiszitären
Elementen kurz und prägnant mit der Feststellung be-
gründet: Das Volk ist zu groß und die Probleme sind zu
komplex. Ich glaube, dass Richard von Weizsäcker da-
mit auf den Punkt gebracht hat, dass Plebiszite und
Volksentscheide keine praktische, keine realistische Al-
ternative zur repräsentativen Demokratie sind. Wir ha-
ben darüber in der ersten Lesung sehr ausführlich und,
wie ich glaube, auch sehr sachlich gestritten und disku-
tiert, und auch damals war das die überwiegende Mei-
nung hier im Plenum.

Ich will darum die Argumente, die sehr ausführlich
dargelegt worden sind, gar nicht mehr im Einzelnen
wiederholen. Es sind auch keine neuen dazugekommen,
weder in den Ausschussberatungen noch heute von der
PDS. Ich glaube nicht, dass man die Argumente heute
redundant wiederholen muss.

Ich möchte nur auf einen Gesichtspunkt eingehen,
nämlich auf den, ob die verschärfte – auch akute – Ver-
trauenskrise gegenüber der Politik – da ist natürlich
die CDU in besonderer Weise betroffen, das ist nicht zu
bestreiten und wird auch von keinem bestritten; aber
auch andere Parteien sind betroffen, zum Beispiel die
SPD – für uns Anlass ist, über die Frage der Einführung
von Plebisziten neu nachzudenken und sie neu zu be-
werten.

Ich nehme das zum Anlass, um genauer zu fragen:
Was macht denn die grundlegende Vertrauenskrise ge-
genüber den politischen Institutionen und gegenüber der

Parteiendemokratie aus? Was ist das wirklich? Nach
meiner Einschätzung haben die Menschen ihr Vertrauen
in erschreckendem Umfang verloren, weil sie erkennen:
Die großen Probleme sind schon seit Jahren bekannt –
ob es die Arbeitslosigkeit ist oder die Frage, wie wir in
der Zukunft soziale Sicherheit finanzieren, ob es Büro-
kratieexzesse sind, ob es die Gesetzgebungsflut ist oder
was auch immer –, aber es kommt in diesem politischen
System nicht zu Entscheidungen, die angesichts dieser
Probleme auch nur halbwegs angemessen wären, ge-
schweige denn, dass sie die Probleme lösen würden. Die
Bürger sagen: Ihr löst unsere Probleme nicht, ihr löst die
Probleme der Gesellschaft nicht. Das ist der Kern des
Vertrauensproblems, das wir sehr ernst nehmen müssen.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Was ist jetzt Ihr Vorschlag?)


Nun ist die Frage: Kann die Einführung von Plebiszi-
ten an dieser Situation etwas ändern, von der ich meine,
dass wir sie ändern müssen? Wenn wir die Krise fest-
stellen, folgt, glaube ich, zwingend daraus, dass wir eine
Modernisierung, eine Veränderung unseres politi-
schen Systems brauchen. Das ist meine feste Überzeu-
gung. Ich halte das auch für die große Herausforderung,
die vor uns allen liegt. Das ist kein parteipolitisches
Problem, sondern ein Problem derjenigen, denen an un-
serem Staat, an unserem Gemeinwesen liegt. Ich glaube,
dass auch die Frage des Ethos der Politik dabei eine
neue Rolle spielen muss, dass wir nach 50 Jahren Partei-
endemokratie eine Diskussion über das Ethos von Poli-
tik und Politikern führen müssen, und zwar parteiüber-
greifend. Ich glaube, dass die Gewichte zwischen Partei-
taktik, Parteiinteresse, Allgemeinwohl und Staatswohl
inzwischen nicht mehr stimmen, dass wir mehr All-
gemeinwohlverpflichtung und mehr Sachorientierung
brauchen, viel mehr, als es gegenwärtig praktiziert wird,
und zwar von allen Parteien. Das parteitaktische Denken
muss zurückgedrängt werden, wenn wir insgesamt wie-
der überzeugen wollen.


(Beifall des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU])


Ich glaube, dass Plebiszite der falsche Weg sind, und
zwar aus drei Gründen. Darauf will ich mich heute
Abend beschränken.


(Ludwig Stiegler [SPD]: So früh am Morgen!)

– Genau, am Abend oder fast schon am Morgen. Es ist
übrigens für diese Debatte typisch; wir reden immer am
Abend im kleinen Kreise darüber. Aber das ist ja nicht
weiter schlimm.

Das Wichtigste, was wir brauchen, ist ein vernünfti-
ger öffentlicher Diskurs über die Probleme. Dies ist die
erste Aufgabe, die wir lösen müssen. Wir müssen über
die Sache reden, und zwar in vernünftiger Weise. Heute
fehlt es am öffentlichen Gebrauch der Vernunft. Nach
meiner festen Überzeugung ist das parlamentarische
Verfahren mit seinen vielfältigen Rationalität stiftenden
Elementen – mit Sachverständigenanhörungen, Pro und
Contra der Diskussion, Folgenabschätzung, Kompro-
misssuche – der auf die Ja-Nein-Alternative reduzierten
plebiszitären Fragestellung weit überlegen. Sie ist die

Peter Enders






(A)



(B)



(C)



(D)


große Chance der Vereinfacher, aber nicht die der Diffe-
renzierer.


(Beifall bei der CDU/CSU – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ergänzt sich doch!)


Meine Befürchtung ist, dass der Diskurs nicht rationaler,
sondern irrationaler wird.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Richtig!)

Zweiter Grund: Wir brauchen Entscheidungsfreu-

digkeit der Institutionen, Flexibilität und die Fähigkeit
zur Reaktion auf veränderte Situationen. Wir leben in
einer Zeit permanenter und rasanter Veränderungen.
Nach meiner Einschätzung und Bewertung bedeuten
Plebiszite eine ganz langwierige, mühsame Art der Ent-
scheidungsfindung. Wer kritisiert eigentlich die Volks-
entscheide? Noch mehr: Wer korrigiert sie, wenn einmal
eine Entscheidung getroffen worden ist? Das ist noch
mühsamer und langwieriger. Mit anderen Worten: Wir
würden die politische Entscheidungsfindung in Zeiten
einer rasanten Veränderung der Wirklichkeit betonieren.
Das Gegenteil aber ist nötig.

Den dritten Grund habe ich eben schon angespro-
chen: Zu den Erfordernissen eines Politikwandels in un-
serem Land gehört eine stärkere Allgemeinwohlorien-
tierung. Ich will hier nicht predigen. Ich glaube auch
nicht, dass Predigen hierüber nötig ist; vielmehr ist eine
veränderte Praxis erforderlich. Natürlich müssen Plebis-
zite organisiert werden. Dafür wird Geld gebraucht.
Meine Befürchtung ist, dass Plebiszite die Gefahr ber-
gen, dass Partikularinteressen mit entsprechenden Fi-
nanzmitteln auf Kosten des Allgemeinwohls durchge-
boxt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Parlament ist dem Allgemeinwohl verpflichtet,
nicht dem Teil. Ich fürchte, dass Partikularinteressen
dann noch stärker werden. Wir haben keinen Mangel an
Partikularinteressen, sondern einen Mangel an Allge-
meinwohldenken.

Diese drei Gründe sprechen dafür, dass Plebiszite
eher eine Verschärfung der Krise herbeiführten als ein
Beitrag zu ihrer Lösung wären. Wir brauchen nicht ei-
nen Wechsel des politischen Systems, sondern müssen
das politische System verbessern. Das ist nötig, aber
auch möglich. Dafür, dass wir es können, nenne ich nur
ein Stichwort, ohne inhaltlich weiter darauf einzugehen.
Ich denke zum Beispiel an die überfällige Reform des
Föderalismus mit der Auszehrung der Länderkompeten-
zen. Wir brauchen eine klare Kompetenzverteilung zwi-
schen Bund und Ländern, eine Auflösung der Mischver-
antwortungen mit ihrem enormen Brems- und Blocka-
depotenzial. Die einzelnen Ebenen müssen klare Ent-
scheidungsmöglichkeiten und Kompetenzen haben. Das
wäre ein Beitrag zur Effizienzsteigerung des politischen
Systems; es gibt auch andere Beispiele.

Ich glaube also, dass diese Diskussion geführt werden
muss. Wir verschließen uns ihr nicht, sind als CDU/
CSU-Bundestagsfraktion aber der klaren Überzeugung,

dass Plebiszite das politische System in Deutschland
nicht verbessern, sondern verschlechtern würden.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408727200
Nächster Redner ist
der Kollege Cem Özdemir für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1408727300
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich
Zufall, dass wir uns am heutigen Tage mit diesem The-
ma beschäftigen. Trotzdem passt es ein bisschen zu der
Umgebung, in der wir diese Diskussion führen: zu dem
Parteispendenskandal und allem, was damit zu tun hat.
Die Vertrauenskrise, die die Parteien, insbesondere die
ehemalige Regierungpartei CDU/CSU, zurzeit zu bewäl-
tigen haben, ist ein Anlass, darüber nachzudenken – ich
habe durchaus ernst genommen, was der Kollege Rött-
gen gesagt hat –, mit welchen Formen wir dieser Ver-
trauenskrise begegnen können. Wir alle werden sie aus-
zubaden haben. Das gilt in stärkstem Maße für diejeni-
gen, die vorhaben, noch längere Zeit in der Politik zu
bleiben. Deshalb ist jeder Ansatz von jeder Fraktion,
sich hierüber Gedanken zu machen, zu begrüßen.

Eine moderne Zivilgesellschaft muss – das gilt mit
Sicherheit für alle Fraktionen – einen entschlossenen
Schlussstrich unter jede Art von Bunkermentalität zie-
hen. Macht, die wir übertragen bekommen, ist auf Zeit
geliehen. Wir sollten im Bewusstsein dessen handeln.
Wir wollen keinen Obrigkeitsstaat, sondern den mündi-
gen Bürger. Auch das sollte für alle Fraktionen dieses
Hauses gelten. Deshalb wird man sich über direkte De-
mokratie hinaus, auf die ich gleich zu sprechen komme,
beispielsweise auch Gedanken über Akteneinsichtsrech-
te machen müssen. Das steht übrigens bereits in der Ko-
alitionsvereinbarung. Auch das ist ein sehr wichtiger
Punkt, der, wenn man so will, ebenfalls zum Thema
„direkte Demokratie“ gehört.

Ich möchte eines klarmachen – das nehme ich sehr
ernst –: Jeder falsche Zungenschlag, der in Richtung An-
tiparlamentarismus geht, ist in dieser Debatte dringend
zu vermeiden. Es geht nicht darum, dass wir Parlamente
mit demokratisch gewählten Volksvertretern schwächen
wollen. Wir müssen uns vielmehr Gedanken darüber
machen, wie wir die Bürgerinnen und Bürger zwischen
den Wahlen „abholen“ können,


(Beifall des Abg. Christian Sterzing [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


wie wir dazu beitragen können, dass klar wird, dass
Demokratie mehr ist, als alle vier oder, wie in manchen
Bundesländern, alle fünf Jahre ein Kreuz zu machen.
Das ist es, worum es uns geht. Wir wollen die parlamen-
tarische Demokratie nicht ersetzen oder abschaffen,
sondern den im Grundgesetz bestehenden Art. 20 – die
Väter und Mütter des Grundgesetzes haben sich damals
etwas dabei gedacht – ausbauen, ergänzen.

Norbert Röttgen






(A)



(B)



(C)



(D)


Meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich, seit
sie im Bundestag sitzt, immer wieder dafür eingesetzt,
Elemente direkter Demokratie, Volksinitiativen,
Volksbegehren und Volksentscheide, in unsere Verfas-
sung aufzunehmen. Insofern hat die PDS dafür mit Si-
cherheit nicht das Urheberrecht. Vieles von dem, was
Sie schreiben – ich würde sagen, die besseren Teile –,
haben Sie von uns.


(Lachen bei der PDS)

Wenn man allerdings den konkreten Gesetzentwurf der
PDS betrachtet, muss man feststellen: Die Zielsetzung
ist richtig, die Form aber, in der dies verankert ist, ist
keinesfalls zustimmungsfähig. Der Entwurf fällt weit
hinter den Stand der Debatte zurück, und zwar nicht nur
in unserer Fraktion oder in der Bundesregierung, son-
dern auch bei allen Initiativen, die sich damit beschäfti-
gen.

Wir müssen über Art. 20 hinaus die grundlegenden
Verfahrensschritte, die Rechte der Initiativen und das
Zustandekommen der Gesetze genau im Grundgesetz
regeln. All dies aber geht bei Ihnen durcheinander und
ist lückenhaft. Ein einfaches Bundesgesetz, in dem alles
festgeschrieben werden soll, reicht nicht aus. Wir müs-
sen fein säuberlich trennen, wie eine Grundgesetzän-
derung aussehen muss und was in das Ausführungsge-
setz gehört.

Seit dem Verfassungsentwurf des Kuratoriums für ei-
nen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder aus
dem Jahre 1991, seit den Grundgesetzentwürfen meiner
Fraktion aus der 12. und 13. Legislaturperiode, seit den
Anträgen in der Gemeinsamen Verfassungskommission –
daran wurde heute schon erinnert – und – damit klar
wird, dass wir die Weisheit nicht gepachtet haben –, seit
dem Entwurf aus der Evangelischen Akademie in Hof-
geismar ist es Konsens, dass wir in einem eigenen Ver-
fassungsartikel die drei Stufen festlegen müssen: erstens
die Initiative, zweitens das Begehren, drittens den
Volksentscheid. Diese drei Punkte müssen durch eine
Grundgesetzänderung geregelt werden. Beispielsweise
muss klar sein, wie viele Unterschriften nötig sind, um
die einzelnen Verfahrensschritte einzuleiten. Derart
grundlegende Dinge kann man nicht erst in einem Bun-
desgesetz festschreiben. Die innere Beziehung der ein-
zelnen Verfahrensschritte verschwimmt ansonsten völ-
lig. Wenn man schon abschreibt, so hätte man – das ist
meine Empfehlung – an dieser Stelle vollständig ab-
schreiben sollen.

Es gibt aber einen Punkt, der vielen auch in meiner
Fraktion, die sich damit beschäftigen, sehr wichtig ist.
Es geht darum, Leuten wie Herrn Frey Möglichkeiten
des Missbrauchs des Verfahrens zu entziehen. Ich weiß,
dass das ein ganz sensibler Punkt ist und dass es höchst
kompliziert ist, dies verfahrenstechnisch zu regeln. Man
wird sich auch der Frage stellen müssen, wie es möglich
ist, in der Antragsprozedur ein Instrumentarium zu ha-
ben, um solche Abstimmungen von vornherein zu ver-
hindern.

Da meine Redezeit praktisch schon abgelaufen ist,
möchte ich zum Schluss sagen: Die Vertrauenskrise
zwingt uns dazu, einmal andere Wege zu gehen als die,

die wir bisher eingeschlagen haben. Ich weiß, dass das
Thema „direkte Demokratie“ nicht unumstritten ist. Wir
als neue Regierung wissen, dass wir die Mehrheit im
Bundestag und auch im Bundesrat brauchen. Daher
mein Appell an die Opposition, an die Volkspartei
CDU/CSU, aber natürlich auch an die F.D.P. und die
PDS: Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken,
ob der Weg „mehr direkte Demokratie“ nicht ein Weg
ist, den wir gemeinsam gehen können! Wir brauchen die
Mehrheit in beiden Häusern. Ich glaube, dass man sich
über die einzelnen Verfahrensschritte sicher noch unter-
halten kann. Die Bundesregierung hat bewusst keinen
detaillierten Antrag vorgelegt, weil uns klar ist, dass wir
das Gespräch mit der Opposition suchen müssen.

Wir wollen eine lebendige Demokratie, mehr als eine
„Zuschauerdemokratie“. Wir laden Sie ein, mit uns ge-
meinsam daran zu arbeiten. Tragen wir gemeinsam dazu
bei, dass wir dieses Projekt in dieser Legislaturperiode
ein gehöriges Stück voranbringen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408727400
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Max Stadler für die
F.D.P.-Fraktion.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1408727500
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Röttgen hat als „Kron-
zeugen“ für seine Auffassung einen früheren Bundes-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408727600
Richard von Weizsäcker. Lieber Kol-
lege Röttgen, Sie wissen natürlich ganz genau, dass man
einen weiteren Bundespräsidenten für die Gegenauffas-
sung, nämlich für mehr plebiszitäre Elemente, nennen
kann, der auch der CDU angehört: Roman Herzog.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Es ist nicht neu, dass beide Auffassungen prominente
Befürworter haben. Auch die Argumente, das Pro und
Contra, wurden oft ausgetauscht. Sie haben Recht: Es
gibt keine neuen Argumente zu der Problematik; aber es
gibt eine neue Situation.


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Diese besteht darin, dass man sich, wenn die Repräsen-
tanten nicht mehr das Vertrauen genießen, nicht wun-
dern darf, wenn die Repräsentierten die Entscheidungen
stärker in die eigene Hand nehmen wollen. Obwohl das
Thema schon so oft Gegenstand parlamentarischer Bera-
tungen im Bundestag war und obwohl es stets zur Ab-
lehnung sämtlicher Initiativen gekommen ist, wissen wir
alle ganz genau, dass das Thema seit der Vertrauens-
krise, die die CDU mit dem Parteispendenskandal aus-
gelöst hat, neu auf der Agenda ist.

Deswegen ist es legitim, dass man über vielfältige
Möglichkeiten der stärkeren Beteiligung von Bürgerin-
nen und Bürgern an politischen Entscheidungen nach-
denkt. Dazu gehört zum Beispiel die Direktwahl von
Bürgermeistern und Landräten in allen Bundesländern.
Dazu gehören die Einführung von Bürgerbegehren und

Cem Özdemir






(A)



(B)



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Bürgerentscheid auf der kommunalen Ebene sowie die
Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid in
allen Bundesländern.

Damit komme ich zu der praktischen Nagelprobe der
ansonsten ja nur theoretisch hin- und hergewendeten
Argumente. Herr Kollege Stiegler, ich spreche Sie ganz
besonders an: Sind denn die Erfahrungen in Bayern mit
Volksbegehren und Volksentscheid wirklich so schlecht,


(Beifall bei der PDS – Cem Özdemir [BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind großartig)


dass man auf der Bundesebene leichter Hand darüber
hinweggehen könnte? Richtig ist, dass für ein so großes
Gebilde wie die Bundesrepublik Deutschland – das ist
noch einmal ein Unterschied zur Länderebene – nicht
leicht zu entscheiden ist, wie man die Grenzen richtig
austariert.

Einen Punkt hat der Kollege Röttgen sehr zutreffend
beschrieben: Der Volksentscheid hat einen kardinalen
Strukturfehler, nämlich die Reduzierung auf die
Ja-Nein-Frage. Das ist aber noch gar nicht das ganz Ent-
scheidende. Es fehlt vor allem der Diskussionsprozess,
der im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren mög-
lich ist und der zu Veränderungen von Vorlagen führt.
Ein gängiger Spruch lautet: Kein Gesetz verlässt den
Bundestag so, wie es hineingekommen ist.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Vogel friss oder stirb!)


In diesem Prozess steckt ein Innovationspotenzial, das
der Volksentscheid, so wie er von der PDS vorgeschla-
gen wird, nicht hat. Die PDS bleibt bei einem traditio-
nellen Modell des Volksentscheids und ist insofern mit
ihrem „revolutionären Vorstoß“ ein wenig zu konserva-
tiv geblieben.


(Zurufe von der PDS: Oh!)

Man muss nach flexibleren Lösungsmöglichkeiten su-
chen. Die Referendumsdemokratie der Schweiz bietet
entsprechende Vorbilder, die der Kollege Enders, ich
und andere uns in der nächsten Zeit einmal näher an-

schauen wollen, denn die Diskussion wird auch in
Deutschland weitergehen.

Ich fasse zusammen. Der vorliegende Entwurf ist
nicht in allen Punkten der Weisheit letzter Schluss. Er
entspricht aber – das will ich betonen – vor allem in dem
Moment der Einführung der Volksinitiative langjähriger
liberaler Programmatik, sodass es eigentümlich wäre,
wenn die F.D.P. bei einem Kernpunkt des Entwurfs, den
sie selber seit langem fordert, nämlich bei der Volksini-
tiative, mit Nein stimmen würde. Andererseits halten wir
den Entwurf auch nicht für zustimmungsfähig. Daher
bringen wir mit unserer Enthaltung zum Ausdruck: Es
handelt sich um einen teilweise richtigen Ansatz, der
aber in manchen Bereichen, nämlich bei der Ausgestal-
tung des Volksentscheids, zu konventionell geraten ist.


(Beifall bei der F.D.P. und der PDS – Zuruf von der SPD: Eine kräftige Enthaltung!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1408727700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion der PDS zur dreistufigen Volksge-
setzgebung auf Drucksache 14/1129. Der Innen-
ausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/2159, den Ge-
setzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzent-
wurf der PDS auf Drucksache 14/1129 abstimmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthal-
tung der F.D.P.-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 18. Februar 2000,
9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen
eine geruhsame Nacht.