Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Die Sommerpause ist endgültig - wir haben uns ja schon am 29. August gesehen - beendet. Ich wünsche uns einen guten gemeinsamen Start und gute Beratungen. Denken Sie daran: Unser Tun wird draußen sorgfältig beobachtet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Kollegen Hansjürgen Doss, der am 9. August seinen 60. Geburtstag feierte, im Namen des Hauses noch nachträglich die besten Glückwünsche aussprechen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1997
- Drucksache 13/5200 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 1996 bis 2000 - Drucksache 13/5201 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache zum Haushalt 7 Stunden, für morgen 8,5 Stunden, für Donnerstag 7,5 Stunden und für Freitag 2 Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theo Waigel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erstmals seit vielen Jahren kann der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Helmut Wieczorek, heute nicht bei uns sein. Nach seiner schweren Erkrankung befindet er sich auf dem Wege der Genesung. Ich wünsche ihm - ich darf wohl sagen: wir wünschen ihm - alles Gute und hoffe, ihn bald wieder in unserem Kreise zu sehen.
Meine Damen und Herren, im sechsten Jahr nach der deutschen Einheit haben wir zentrale finanzpolitische Aufgaben gelöst und die Weichen für das nächste Jahrzehnt gestellt.
- Lustig war nur das Ergebnis Ihrer Wahl zum Fraktionsvorsitzenden, Herr Fischer. Bei einem solchen Ergebnis würde ich mich schämen und an der darauffolgenden Debatte nicht mehr teilnehmen.
Seit 1989 haben sich die Rahmenbedingungen für die Finanzpolitik nicht nur im nationalen Maßstab grundlegend verändert. Mit dem Wegfall des Eisernen Vorhangs sind neue Märkte entstanden. Neue Chancen für den Standort Deutschland sind die Folge. Zugleich entsteht aber eine neue Konkurrenz, die zum Beispiel bei den Lohnkosten und bei den Steuern sehr günstige Standortbedingungen anbieten kann. Gleichzeitig nehmen mit der Verbreitung moderner Kommunikationstechnologie die Globalisierung und die Konkurrenz auf den Weltmärkten zu.
Der Standort Deutschland hat hier Pfunde, mit denen er wuchern kann. Er hat aber auch gravierende Mängel: bei den Steuersätzen, bei den Arbeitskosten und bei der Arbeitszeit. Wir müssen uns wie der Sachverständigenrat in seinem letzten Jahresgutachten fragen, warum die Auslandsinvestitionen in Deutschland so niedrig liegen; in dem Land, das die kürzesten Wege zu den sich entwickelnden Märkten in Mittel- und Osteuropa und viele andere Standort-
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
vorteile hat. Hier etwas zu ändern ist die Aufgabe aller gesellschaftlichen Gruppen.
Auch in der Haushalts- und Steuerpolitik stehen wir einmal mehr vor schwierigen Herausforderungen. Ohne Wachstum, ohne Investitionen in neue Märkte und Produkte, in der Industrie und im Dienstleistungssektor, gibt es keine neuen Arbeitsplätze.
Mit dem Haushaltsentwurf 1997, dem Finanzplan 1996 bis 2000 und dem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung verfolgen wir unsere stabilitätsorientierte Finanzpolitik. Zugleich werden damit die Voraussetzungen für die Einhaltung der Maastricht-Kriterien im entscheidenden Jahr 1997 geschaffen. Nachhaltiges und spannungsfreies Wachstum ist nur durch eine stabilitätsorientierte Finanzpolitik zu erreichen. Zur Konsolidierung, zur Senkung der Staatsquote sowie zur Rückführung der öffentlichen Defizite und der Steuerlast gibt es deshalb keine ökonomisch vernünftige Alternative.
Das Sparen von heute bestimmt die Zukunft. Nur wer heute spart, kann in der Zukunft investieren. Die Frage der Ersparnisbildung, national und international, bestimmt immer stärker auch die internationale Finanzpolitik. Das ist die Botschaft der G 7 und der G 10, und dies bestätigen alle nationalen und internationalen Experten und Institutionen: die Europäische Kommission, der Internationale Währungsfonds und die OECD, die in ihrem in der letzten Woche veröffentlichten Deutschland-Bericht die Konzeption der Finanzpolitik der Bundesregierung nachdrücklich unterstützt.
Hier, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten Sie genau zuhören und nachlesen, was die OECD gesagt hat. Sie mahnt nämlich die vollständige Umsetzung der Spargesetze und Strukturreformen an.
Sie verweist - sehr ungewöhnlich für einen Bericht der OECD - auf den Bundesrat. Ich hoffe, daß diese Botschaft bei Ihnen und bei den SPD-regierten Ländern endlich ankommt.
Statt dessen werden wir von Ihnen wahrscheinlich wieder einmal etwas über vermeintliche soziale Schieflagen beim Haushalt und bei der Steuerpolitik, über Haushaltslöcher und angebliche internationale Versäumnisse hören. Sie werden auch Mehrausgaben unter anderem für die neuen Länder und für die Forschung fordern, ohne daß Sie etwas zur Deckung sagen. Selbst vor weiteren Steuererhöhungen - bei der Vermögensteuer und beim Solidaritätszuschlag - schrecken Sie nicht zurück. Nur: Über die Maßnahmen, die unter den veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zur Wiedergewinnung von Wachstum und Beschäftigung notwendig sind, schweigen Sie sich aus.
Das Wachstum zieht jetzt wieder an. Im zweiten Quartal 1996 ist die Wirtschaft saisonbereinigt um 1,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal gewachsen. Die Konjunktur faßt wieder Tritt, die Produktion steigt. Die Abschwächung der Kapazitätsauslastung ist beendet, und das Geschäftsklima hat sich deutlich verbessert. Die Auslandsaufträge entwickeln sich stabil, die Inlandsaufträge nahmen zuletzt wieder zu.
Die noch vor wenigen Wochen prognostizierte reale Wachstumsrate von dreiviertel Prozent für das BIP des Jahres 1996 dürfte nach den letzten Ergebnissen nun doch übertroffen werden. Eine Wachstumsrate von real 1 Prozent scheint jetzt für 1996 erreichbar. Auch die Wachstumsannahmen für das Jahr 1997 von real 2 bis 2,5 Prozent stehen auf festem Grund.
Wir nehmen hier nicht einfach etwas an, sondern das ist das, was uns die nationalen und internationalen Experten zu dem Thema prognostizieren.
Die Aufwertung der D-Mark hat sich weitgehend zurückgebildet, die Lohnrunde war von großem Realitätssinn geprägt, und mit den Steuerentlastungen 1996 sowie dem Wegfall des Kohlepfennigs haben wir den Verbrauch gestärkt.
Als Vorsitzender des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau kenne ich die Entwicklung bei den Investitionskrediten. Die Bank hat dieses Jahr bereits rund 25 Milliarden DM an Investitionskrediten zugesagt, fast soviel wie im gesamten letzten Jahr. Beim Mittelstand ist die Nachfrage um die Hälfte höher als im vergangenen Jahr. Damit werden mehr als 500 000 Arbeitsplätze gesichert und 44 000 neue geschaffen.
Die Voraussetzungen für einen Aufschwung sind auch auf der Preisseite gegeben. Das Ziel der Preisniveaustabilität ist weitgehend erreicht. Der Preisindex für die private Lebenshaltung sank im August im Vergleich zum Vormonat Juli um 0,1 Prozent; im Vergleich zum Vorjahr betrug der Anstieg des Verbraucherpreisniveaus zuletzt 1,4 Prozent. Das sind Entwicklungen, die wir seit 1988 nicht gekannt haben. Blickt man weiter zurück, muß man lange suchen, um ähnliche Werte zu finden. Erst 1968 wird man fündig; damals betrug die Preissteigerungsrate bei den Lebenshaltungskosten der privaten Haushalte gegenüber dem Vorjahr 1,6 Prozent.
Gefahren für die Preisstabilität sind nicht in Sicht. Dies hat Bundesbankpräsident Tietmeyer anläßlich der kürzlich erfolgten Senkung des dritten Leitzinses noch einmal hervorgehoben.
Niedrige Preise und niedrige Zinsen sind nicht nur eine Voraussetzung für Investitionen, Wachstum und Arbeitsplätze, sondern ein Schlüsselelement sozialer Gerechtigkeit. Dies ist ein Verdienst der Deutschen Bundesbank und ihrer konsequenten, stabilitätsorientierten Geldpolitik. Hier hat die Bundesbank in vielen Jahren ein großes Vertrauenskapital geschaffen, von dem wir alle zehren.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Nur: Ohne eine strikte, auf Konsolidierung gerichtete Finanzpolitik wäre gleichwohl der Spielraum der Bundesbank erheblich kleiner. Niedrige Preise und Zinsen sind daher auch ein Erfolg der Finanzpolitik dieser Bundesregierung.
Der Aufschwung beginnt erst. Er muß noch an Dynamik gewinnen.
- Wollen Sie die Zahlen, die ich vorher genannt habe, bestreiten? Oder freuen Sie sich nicht auch über diese Entwicklung?
Wir sind jedenfalls froh darüber und werden die Voraussetzungen dafür sichern. Hätten Sie sich der Steuer- und Finanzpolitik in den letzten Jahren nicht verweigert, hätten Sie sie im Bundesrat nicht blokkiert, hätten Sie nicht die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer verhindert, wären wir schon weiter.
Bereits seit Anfang des Jahres hätte die arbeitsplatzvernichtende Gewerbekapitalsteuer Geschichte sein können. Sie von der SPD haben es nicht gewollt; Sie haben der Konjunktur diesen wichtigen zusätzlichen Impuls versagt. Zur notwendigen Konsolidierung auch ihrer Haushalte hätten die von der SPD regierten Länder das Sparpaket eigentlich passieren lassen müssen. Zusätzlich hätten sie mit einem gemeinsamen Konsolidierungskonzept ein Signal für sinkende Defizite setzen und damit der Konjunktur weitere Impulse geben können. Statt dessen wurden einsichtige SPD-Länderchefs Opfer der Konfrontationsstrategie des Parteichefs und Ministerpräsidenten des Saarlandes Oskar Lafontaine.
Meine Damen und Herren, eine gemeinsame Einsparliste der Länder schrumpfte binnen Tagen von fast 40 Milliarden DM auf null. Es ist schon ein starkes Stück, auf Bundesebene große Töne zu spucken und sich um den Haushalt und die Finanzpolitik seines eigenen Landes nach dem Motto „Das wird schon der Bund richten und dafür die Gelder bereitstellen" überhaupt nicht mehr zu kümmern.
Bei seinen Haushaltsplanungen ist der Bund auf die Einschätzung der künftigen konjunkturellen Entwicklung angewiesen.
Dazu bedient er sich der Expertise von Fachleuten wie der Forschungsinstitute oder unabhängiger Gremien wie bei der Steuerschätzung. Auch diese Prognosen treffen nicht immer die Realität. Damit muß jeder Finanzminister leben, auch die der Länder.
Im laufenden Haushalt 1996 zeigt sich noch der Einfluß der jetzt beendeten Wachstumspause. Für den Bund ergeben sich dadurch Steuermindereinnahmen und unabweisbare Mehrausgaben auf dem Arbeitsmarkt. Die geplante Nettokreditaufnahme von 59 Milliarden DM wird daher nicht ausreichen. Die Steuerschätzung im Mai 1996 hat für den Bund ein Minus von 11,8 Milliarden DM ergeben. Dem steht eine geringere Abführung an die Europäische Union von rund 3,5 Milliarden DM gegenüber.
Auf dem Arbeitsmarkt müssen wir, entgegen den ursprünglichen Schätzungen, im Jahresdurchschnitt mit erheblich mehr Arbeitslosen als angenommen rechnen. Ich habe daher den Anträgen des Bundesministers für Arbeit auf überplanmäßige Ausgaben in Höhe von 12,5 Milliarden DM zugestimmt.
Die Bundesanstalt für Arbeit ist wie wir alle weiterhin in der Pflicht, alle Einsparmöglichkeiten zu nutzen.
Der Haushalt 1996 würde allerdings deutlich besser dastehen, wenn die SPD unsere Reform- und Spargesetzentwürfe im Bundesrat nicht verzögert oder ganz bzw. teilweise verhindert hätte.
Wir haben 1993 und im Wahljahr 1994 sehr unangenehme und schmerzhafte Einsparvorschläge, was die originäre Arbeitslosenhilfe und ähnliches mehr anbelangt, in Form von Gesetzentwürfen vorgelegt.
Hätten Sie diese mitgetragen, stünde jetzt allein der Bund um 6 Milliarden DM besser da. Dafür, daß dies nicht geschehen ist, tragen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die alleinige Verantwortung.
Unsere Gesetzesvorschläge seit 1993 beinhalteten Maßnahmen zur Sicherung des Haushalts. Das sollte jeder wissen, der über ein Haushaltssicherungsgesetz spricht.
Mit der von mir bereits im März verhängten Haushaltssperre haben wir durch Ressortvereinbarungen schon 5 Milliarden DM eingespart. Entlastungen im Haushalt 1996 gibt es auch durch höhere Verwaltungseinnahmen und geringere Ausgaben für Gewährleistungen, für Zinsen und für die BvS.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Ich werde alles daransetzen, gemeinsam mit dem Haushaltsausschuß und den Politikern der Koalition, die Nettokreditaufnahme 1996 unter 70 Milliarden DM zu halten.
- Ich habe vorher gesagt, daß wir die Nettokreditaufnahme in Höhe von 59 Milliarden DM nicht einhalten können. Dies ist auf Grund der Ereignisse und der neuen Schätzungen bezüglich des Arbeitsmarkts und der Steuermindereinnahmen unabweisbar. Die überplanmäßige Ausgabe habe ich absichtlich in der letzten Woche genehmigt und nicht in der Haushaltswoche; so können Sie dies gleich jetzt kritisieren. Wir haben nichts zu verbergen, meine Damen und Herren. Im übrigen haben Sie keine anderen Einschätzungen gehabt.
Meine Damen und Herren, wie kann man eigentlich höhere Ausgaben des Bundes beklagen, wenn man selber für Einsparungen keine Sorge trägt, sie nicht mitträgt und sogar noch höhere Ausgaben verlangt? Das ist Ihre falsche Politik.
Sie blockieren und verzögern seit Jahr und Tag Einsparungen in Milliardenhöhe. Jetzt hoffen Sie, die Verschiebung der Kindergelderhöhung und andere Elemente der Sparpakete zu Fall bringen zu können. Anschließend zeigen Sie dann mit dem Finger auf den Finanzminister und werfen ihm die Haushaltslücke vor. Ich bezeichne ein solches Verhalten als heuchlerisch und unehrlich.
Wie können Sie hier im übrigen Sparpläne kritisieren, wenn in Ländern, in denen die SPD Regierungsverantwortung trägt, ähnlich einschneidende Maßnahmen erfolgen? In Niedersachsen gibt es massive Kürzungen im sozialen Bereich. In Berlin baut die sozialdemokratische Finanzsenatorin Fugmann-Heesing Sozialleistungen ab. Die Preise für Theaterkarten und Kindertagesstätten werden angehoben. In Magdeburg geht es um die Drosselung von Leistungen, die bisher als rot-grüne Reformprojekte angepriesen wurden: Die tarifliche Gleichstellung der Lehrer mit ihren Westkollegen wird auf 1999 vertagt; Zuweisungen für Kommunen und Subventionen für Kindertagesstätten sollen gekürzt werden.
Meine Damen und Herren, ich kritisiere das nicht. Diese Maßnahmen sind wahrscheinlich notwendig. Ich frage mich nur: Wie kommen Sie eigentlich dazu, uns hier eine soziale Schieflage vorzuwerfen, wenn Sie dort, wo Sie Regierungsverantwortung tragen, ebenfalls Einsparungen vornehmen? Dies ist ein Doppelspiel, das Sie hier betreiben wollen.
Jetzt fordert die SPD die Vorlage eines Ergänzungshaushalts zum Bundeshaushaltsplan 1997. Hierbei handelt es sich um ein durchsichtiges und unnötiges Manöver. In einschlägigen Kommentierungen zu § 32 Bundeshaushaltsordnung wird bei der Notwendigkeit der Anpassung des Haushaltsentwurfs eine Unterrichtung des Haushaltsausschusses regelmäßig für ausreichend angesehen.
Wir werden die Eckwerte des Haushalts 1997 einhalten. Das Sparpaket werden wir verabschieden. Die durch neue volkswirtschaftliche Daten notwendige Anpassung des Entwurfs werden wir im parlamentarischen Verfahren vornehmen. Risiken gibt es auf dem Arbeitsmarkt. Wir wollen an einem Bundeszuschuß von null an die Bundesanstalt für Arbeit festhalten. Dafür sind gegebenenfalls weitere Sparmaßnahmen auch bei der Bundesanstalt notwendig.
Die Eckwerte des Haushalts 1997 und des Finanzplans bis 2000 spiegeln die Konsolidierungsschritte der letzten Jahre wider. Die gesamten Ausgaben belaufen sich für 1997 auf 440 Milliarden DM gegenüber 451 Milliarden DM im laufenden Haushaltsjahr. Dies bedeutet einen Ausgabenrückgang um 2,5 Prozent.
Erneut durchbrechen wir das Wagnersche Gesetz vom vermeintlichen unaufhaltsamen Anstieg der Staatsausgaben. Von einer Ausgabensteigerung in Höhe von 2,4 Prozent, die der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen seiner rot-grünen Koalition offenbar genehmigen mußte, sind wir weit entfernt. Mittelfristig wird der Ausgabenanstieg konsequent begrenzt. Die durchschnittliche jährliche Steigerungsrate im Finanzplanungszeitraum beträgt knapp 1 Prozent. Auch der jahresdurchschnittliche Zuwachs der Ausgaben im Zeitraum 1993 bis 2000 beträgt knapp 1 Prozent. Zum Vergleich: Die durchschnittliche jährliche Ausgabenzuwachsrate im Zeitraum 1969 bis 1982 betrug 8,74 Prozent - neunmal soviel. Seit 1993 ist das Ausgabenniveau des Haushalts nominal unverändert.
1993 betrug das Haushaltsvolumen 457,5 Milliarden DM. Schriebe man das Kindergeld als Ausgabe fort, betrüge das Haushaltsvolumen 1997 etwa 460 Milliarden DM. Deflationiert man den Bundeshaushalt 1997 über die Jahre mit der Preissteigerungsrate des Bruttoinlandsprodukts, zeigt sich: Der Haushalt 1997 hat in realer Rechnung das niedrigste Volumen seit 1989.
Der Anteil der Bundesausgaben am Bruttoinlandsprodukt beträgt 1997 12,5 Prozent. Das entspricht dem bisherigen Tiefstand im Jahre 1954. Bis zum Jahre 2000 sinkt der Anteil der Bundesausgaben am Bruttoinlandsprodukt sogar auf 11,7 Prozent.
Der neue Finanzplan weist 1997 bis 1999 fast 65 Milliarden DM weniger an Ausgaben auf als in der alten Planung vorgesehen. Die Nettokreditaufnahme wird 1997 mit 56,5 Milliarden DM zwar gegenüber der alten Finanzplanung um rund 7 Milliarden DM steigen, ist aber gegenüber dem Soll von 1996 rückläufig.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
- Ich habe gesagt, daß wir die Eckwerte, gerade was die Nettokreditaufnahme 1997, einem entscheidenden Jahr, angeht, festlegen und sie auch einhalten.
Meine Damen und Herren, angesichts der schwierigen haushaltswirtschaftlichen Ausgangslage gibt es zum Sparkurs 1997 keine Alternative. Der Bundeshaushalt 1997 muß neben den Konjunktureffekten auf der Einnahmen- und Ausgabenseite erhebliche Belastungen aus den Vorjahren ausgleichen. Der Bund trägt den Hauptteil der mit der Herstellung der staatlichen Einheit verknüpften Finanzierungsaufgaben. Neben den weiterhin hohen Transferleistungen an die neuen Bundesländer erfordern die Erblasten jährlich fast 37 Milliarden DM an Zinsen. Das ist mehr als ein Drittel der Zinslasten von insgesamt rund 94 Milliarden DM.
Mit 25 Milliarden DM leistet der Bund einen erheblichen Beitrag zum bundesstaatlichen Finanzausgleich. Daneben sind die seit Jahresbeginn wirkenden Entlastungen aus dem Wegfall des Kohlepfennigs sowie die Verbesserungen beim Existenzminimum und beim Familienleistungsausgleich zu verkraften.
Um trotz dieser Belastungen die stabilitätsorientierte und vertrauensbewahrende Finanzpolitik fortzusetzen, ist das im Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung enthaltene Sparpaket für den Haushalt 1997 unverzichtbar. Wohlgemerkt: Trotz der Bezeichnung Sparpaket ist das Programm kein buchhalterisches Konzept. Es ist ein notwendiger Bestandteil dringend erforderlicher Strukturreformen für den Standort Deutschland.
Der im Wachstumsprogramm als Zielgröße genannte Konsolidierungsbeitrag für den Bund von 25 Milliarden DM wird mit den vom Bundestag verabschiedeten Gesetzen zur Umsetzung des Wachstumsprogramms und mit dem Haushaltsentwurf 1997 erreicht.
Ich appelliere noch einmal an die Länder: Sie müssen sich endlich zu einer gemeinsamen Konsolidierungslinie aufraffen und ihren Beitrag zum gesamtstaatlichen Konsolidierungsziel leisten. Die Sparvorschläge der Unions-Finanzminister bilden hierfür eine gute Basis. Es genügt nicht, Grundsatzerklärungen über die gesamtstaatlich notwendigen Sparzwänge abzugeben, sich gemeinsamen Sparbeschlüssen im Rahmen eines nationalen Stabilitätspaktes aber zu verweigern.
Die Opposition beschränkt sich darauf, unser Programm mit populistischen wie falschen Vorwürfen in Richtung eines vermeintlich sozialfeindlichen Kaputtsparens öffentlich zu diffamieren. Nur, meine Damen und Herren: Was einzelne SPD-Politiker manchmal offen und manchmal hinter vorgehaltener Hand sagen, steht im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu dem, was sie hier aufführen.
Bremens Bürgermeister Henning Scherf warnte Oskar Lafontaine laut eines Berichtes der „Süddeutschen Zeitung" vom 21. August in einem Brief vor einer Totalopposition beim Streit um das Sparpaket. In der August-Ausgabe der Zeitschrift „Der Selbständige" schrieb Klaus von Dohnanyi:
Die Bundesregierung ist im Prinzip auf dem richtigen Weg. Es ist höchste Zeit, den gemeinsam erkannten Sparwillen jetzt in die politische Tat umzusetzen.
Der Schwerpunkt der Konsolidierung liegt im konsumtiven Bereich. Der Bundeshaushalt wird vor allem bei den Sozialausgaben, den Personalausgaben und den nicht-investiven Programmausgaben entlastet. Die Investitionen konnten weitgehend geschont werden. So erreicht die Investitionsquote des Haushalts 1997 mit knapp 13,8 Prozent zwar nicht das Soll des laufenden Jahres mit 14,7 Prozent, liegt aber auf dem Durchschnittsniveau des Zeitraums 1990 bis 1995 und deutlich über der Quote vor der Wiedervereinigung. 1989 lag die Quote bei 12,5 Prozent.
Die Ausgaben für Sachinvestitionen steigen gegenüber 1996 um 700 Millionen DM. Das ist eine Steigerung um mehr als 5,5 Prozent.
Das Wachstumsprogramm ist keineswegs sozial schieflastig. Die Sozialausgaben stellen mit rund 148 Milliarden DM im Bundeshaushalt 1997 wiederum den mit Abstand größten Ausgabenbereich dar. Selbst nach einer vollständigen Umsetzung der im Wachstumsprogramm vorgesehenen Konsolidierungsmaßnahmen wird die Sozialleistungsquote nur um rund 0,4 vom Hundert sinken und dann immer noch bei rund 30 Prozent liegen. Wie verfehlt die These vom sozialen Kahlschlag ist, belegt auch die Steigerung des Anteils der Sozialausgaben an den Gesamtausgaben des Bundes von 33,5 Prozent in 1996 auf 33,7 Prozent in 1997.
Es gibt ernstzunehmende Stimmen, die einen noch stärkeren Abbau der Sozialtransfers fordern. Das tun nicht nur die Arbeitgeber; vielmehr hält auch die OECD in ihrem aktuellen Deutschlandbericht unser Sozialsystem im internationalen Vergleich trotz der Reformen immer noch für sehr großzügig.
Bei der Rentenversicherung wird durch ein Entlastungsvolumen von über 11 Milliarden DM der Beitragsanstieg begrenzt. Eines sollte man nicht vergessen: Mit rund 86 Milliarden DM sind allein die Ausgaben für die gesetzlichen Rentenversicherungen fast doppelt so hoch wie die Ausgaben für Verteidigung mit 46,5 Milliarden DM.
Ein weiterer zentraler Schwerpunkt liegt in der Konsolidierung der Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit. Im Vordergrund stehen Korrekturen der Frühverrentungspraxis sowie eine schrittweise Angleichung des Ausgabevolumens für beschäftigungsfördernde Maßnahmen in den neuen Ländern an das Westniveau. Das Thema ABM-Ost ist in den letzten Wochen benutzt worden, um Stimmung gegen die
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Konsolidierungspolitik der Bundesregierung zu machen. Die Bundesregierung setzt hier aber das um, was viele Wirtschaftsexperten in West und Ost seit langer Zeit fordern. So hat der Sachverständigenrat bereits im Herbst 1995, also mitten in der konjunkturellen Wachstumspause empfohlen, die aktive Arbeitsmarktpolitik künftig auch in den neuen Bundesländern auf ihre Kernaufgaben zu konzentrieren.
Wir haben mit der Konzentration der Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik auf die neuen Länder den tiefgreifenden Strukturwandel und die Arbeitsplatzverluste abgemildert. Der hohe Mitteleinsatz - von 1991 bis Ende dieses Jahres fließen für Arbeitsmarktpolitik rund 45 Milliarden DM in die neuen Länder - hatte in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung seine volle Berechtigung.
Eine unveränderte Fortsetzung bringt die Gefahr einer Verfestigung des zweiten Arbeitsmarktes und führt zu einer Beeinträchtigung des regulären Arbeitsmarktes, ohne die Probleme am Arbeitsmarkt auf Dauer zu verbessern. Diese Erkenntnis bestätigte soeben das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle. Die schrittweise Rückführung der arbeitsmarktpolitischen Aufwendungen ist daher nicht nur unter Konsolidierungsaspekten geboten.
Von der Rückführung sind die Maßnahmen der produktiven Arbeitsförderung nicht betroffen. Für diesen Zweck sind 1997 und im Finanzplanungszeitraum jährlich 1 Milliarde DM mit Schwerpunkt im Bereich der neuen Länder vorgesehen.
Bei den Finanztransfers in die neuen Länder ist ein Rückgang gegenüber den Ansätzen im Haushalt 1996 festzustellen. Er beruht im wesentlichen auf dem Auslaufen spezifischer Transferleistungen im konsumtiven Bereich, zum Beispiel beim Altersübergangsgeld Ost. Dabei müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen, wie hoch die Belastung des Bundeshaushalts aus dem Bruttotransfer nach Abzug der aus den neuen Ländern hereinkommenden Steuereinnahmen immer noch ist. Die Nettotransfers übersteigen die Nettokreditaufnahme des Bundes.
Im Bereich der Wirtschaftsförderung steht die Unterstützung der neuen Länder weiterhin im Vordergrund. Trotz der engen Finanzierungspielräume wird die Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation auf hohem Niveau fortgeführt. Die Existenzgründungshilfen über das Eigenkapitalhilfeprogramm sollen künftig aus Mitteln des ERP-Sondervermögens finanziert werden.
Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" bildet nach wie vor einen wichtigen Baustein bei der Investitionsförderung in den neuen Ländern. Insgesamt steht für 1997 ein Bewilligungsrahmen von 6,5 Milliarden DM zur Verfügung, der aus Bundes- und Landesmitteln sowie aus Mitteln des Europäischen Regionalfonds gespeist wird.
Auch außerhalb der Wirtschaftsförderung wird der wirtschaftliche und soziale Anpassungsprozeß in Ostdeutschland weiterhin mit erheblichen Mitteln unterstützt. Wichtige Bereiche sind der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, die Leistungen nach dem Investitionsförderungsgesetz, die Anschubfinanzierung zugunsten der Investitionen in ostdeutsche Pflegeeinrichtungen, die Förderung der ostdeutschen Forschungslandschaft und die erneute Beteiligung des Bundes an einer Lehrstelleninitiative Ost.
Der Verkehrshaushalt bleibt mit einem Investitionsvolumen von rund 20 Milliarden DM mit weitem Abstand größter Investitionshaushalt. Obwohl auch der Verkehrsbereich einen Konsolidierungsbeitrag erbringen mußte, konnten Einschnitte in die Straßen- und Schienenweginvestitionen vermieden werden. Für 1997 stehen mit 10,1 Milliarden DM für die Bundesfernstraßen und 7,2 Milliarden DM für die Schiene die gleichen Investitionsansätze wie 1996 zur Verfügung.
Ermöglicht wird dies durch höhere Einnahmen auf Grund der Veräußerung des Wohnungsbestandes im Bereich des Bundeseisenbahnvermögens. Die für die ökonomische Entwicklung in den neuen Bundesländern wichtigen Verkehrsprojekte können, wenn auch zeitlich gestreckt, alle realisiert werden.
Wie schon in den Vorjahren unterstützt der Bund auch 1997 den sozialen Wohnungsbau und den Städtebau mit erheblichen Finanzmitteln. Die Verpflichtungsrahmen für den Städtebau bleiben mit jährlich 600 Millionen DM ungekürzt. Die Schwerpunkte der Förderung liegen in den neuen Ländern. Im sozialen Wohnungsbau liegt der Verpflichtungsrahmen für 1997 bei rund 2 Milliarden DM. Stärkere Einschnitte konnten vermieden werden.
Im Bereich des Wohngelds werden für die begrenzte Verlängerung einzelner Sonderbestimmungen im Wohngeldrecht für die neuen Länder zusätzliche Haushaltsmittel von jeweils 80 Millionen DM für 1997 und 1998 bereitgestellt. Im übrigen strebt die Bundesregierung eine Wohngeldstrukturnovelle zum 1. Juli 1997 an, die durch Umschichtungen im Bereich des Wohngeldes ohne zusätzliche Haushaltsmittel finanziert wird.
Auch der Bereich Bildung und Forschung konnte nicht völlig von der Konsolidierung ausgenommen werden. Dennoch ist es gelungen, für drei zentrale hochschulpolitische Themenkomplexe eine Lösung zu finden. Das BAföG wird reformiert. Innerhalb der Förderungshöchstdauer der Erstausbildung bleibt es beim bisherigen System, das jeweils zur Hälfte einen Zuschuß und ein haushaltsfinanziertes, zinsloses Darlehen vorsieht. Die darüber hinausgehende Förderung wird in Zukunft als bankenfinanziertes, verzinstes Volldarlehen vergeben. Die durch die strukturellen Änderungen anfallenden Minderausgaben beim BAföG stehen in vollem Umfang zur Verstärkung anderer Bereiche im Bildungs- und Forschungsetat zur Verfügung.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 120, Sitzung. Bonn, Dienstag, den 10. September 1996 10707
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Gelungen ist die strukturelle Bereinigung innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau". Die seit 25 Jahren unveränderte Bagatellgrenze bei Bauvorhaben und Großgeräten wurde deutlich angehoben.
Darüber hinaus konnte nach langwierigen Verhandlungen mit den Ländern Einvernehmen über das neue Hochschulsonderprogramm HSP III erzielt werden. Bis zum Jahr 2000 wird hier ein Finanzvolumen von 3,6 Milliarden DM mobilisiert; der Bund beteiligt sich mit 2,1 Milliarden DM an den Kosten dieses Programmes.
Wie in den vergangenen Jahren wird der Bund zusammen mit den neuen Ländern die Schaffung von bis zu 14 300 Ausbildungsplätzen in den neuen Ländern im Rahmen eines Aktionsprogramms „Lehrstellen Ost" unterstützen.
- In diesem Bereich haben wir von Ihnen ganz bestimmt keinen Nachhilfeunterricht nötig, ganz bestimmt nicht.
Ihre Vorschläge, die eine Abgabe vorsehen, sind völlig verfehlt. Diese Regierung und insbesondere der Bundeskanzler persönlich haben sich darum gekümmert, daß wirklich jedem Auszubildenden ein entsprechender Ausbildungsplatz zur Verfügung steht.
Allein 1997 sind hierfür 230 Millionen DM veranschlagt. Insgesamt trägt der Bund im Zeitraum von 1993 bis 1999 von dem Gesamtfördervolumen in Höhe von 1,9 Milliarden DM die Hälfte.
Richtig ist: Die außerbetriebliche Ausbildung ist gegenüber der Ausbildung im Betrieb immer nur die zweitbeste Lösung. Deshalb appellieren wir noch einmal an die Wirtschaft, das Lehrstellenangebot zu erhöhen. Es liegt im eigenen unternehmerischen Interesse, das System der dualen Berufsausbildung als ein Gütesiegel für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu erhalten und zu stärken.
Meine Damen und Herren, bis zum Ende dieses Jahres sind wichtige Arbeiten an zwei steuerpolitischen Großvorhaben zu leisten: die Verabschiedung des Jahressteuergesetzes 1997 und der dritten Stufe der Unternehmensteuerreform sowie die Vorbereitung der Steuerreform zum 1. Januar 1999, die einen neuen, niedrigen Tarif und eine neugestaltete Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer bringen wird.
Die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland ist insgesamt zu hoch. Im internationalen Vergleich haben wir nicht nur zu hohe Spitzensteuersätze, sondern schleppen auch weiterhin steuerpolitische Fossilien wie die Gewerbekapitalsteuer mit uns herum.
Im letzten Jahr hieß es bei der Opposition: Jetzt geht's los. Nur: Wo? Ich hoffe nur, daß an der Verweigerungsfront jetzt ein leichtes Bröckeln einsetzt. Daß sich dies abzeichnet, hat das Verhalten am 5. Juli bei der Abstimmung über das Jahressteuergesetz 1997 gezeigt. Das von der SPD angestrebte Votum, grundsätzlich bestehe keine Notwendigkeit für eine Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, fand dabei keine Mehrheit. Da einige dies nicht wahrhaben wollten, mußte sogar ein zweites Mal abgestimmt werden.
Die dritte Stufe der Unternehmensteuerreform in Verbindung mit einer Gemeindefinanzreform muß jetzt endlich verwirklicht werden.
Wer sich dem verweigert, trägt die Mitverantwortung dafür, wenn sich die Konjunktur nicht so entwickelt, wie es für die Arbeitsplätze in Deutschland gut wäre.
Das hat auch die Anhörung des Finanzausschusses im Juni gezeigt. Die Wirtschaft, die Gemeinden und die große Mehrheit der Sachverständigen sind eindeutig auf unserer Seite.
- Jawohl, die Gemeinden. Können Sie denn nicht lesen, was die kommunalen Spitzenverbände sagen? Natürlich sind sie dafür, daß die Gewerbekapitalsteuer wegfällt und daß sie endlich an der Umsatzsteuer beteiligt werden, um damit eine dauerhafte, verläßliche Einkommensquelle zu haben.
Gleichermaßen wichtig für die Betriebe und damit für Wachstum und Beschäftigung ist der von uns angestrebte Wegfall der Vermögensteuer zum 1. Januar 1997. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juni letzten Jahres bliebe für die Beibehaltung einer verfassungsfesten Vermögensteuer ein nur sehr enger Spielraum. Durch die erforderliche Freistellung des persönlichen Gebrauchsvermögens, die erforderliche Schonung des Betriebsvermögens und die Wahrung des Grundsatzes der in etwa hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand könnte diese Steuer nur noch im mittleren Einkommensbereich erhoben werden. Das ist nicht sinnvoll.
Derzeit entfallen rund 58 Prozent des Aufkommens der Vermögensteuer auf Betriebsvermögen. Jeder weiß: Die Vermögensteuer muß aus versteuertem Einkommen entrichtet werden, in ertragsschwachen Jahren oder in Verlustjahren aus der Substanz. Das verringert die Ertrags- und Liquiditätsbasis unserer Unternehmen und beeinträchtigt die wichtige Bildung von Eigenkapital. Bei Betriebsvermögen von Körperschaften entsteht bei Vermögensteuerpflicht der Anteilseigner sogar eine Doppelbesteuerung.
Den Wegfall der Vermögensteuer auf Privatvermögen wollen wir bei der Neuregelung der Erbschaft- und Schenkungsteuer angemessen berücksichtigen. Übrigens hat sich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, auf das Sie sich doch
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
sonst gerne berufen, im Juli eindeutig für die Abschaffung der Vermögensteuer ausgesprochen.
Die Opposition versucht immer wieder, die verfassungsrechtlich gebotene Senkung der Vermögensteuer und die Verschiebung der Erhöhung des Kindergeldes um ein Jahr gegeneinander auszuspielen.
- Hören Sie einmal zu, Frau Kollegin MatthäusMaier: Die Verschiebung der Erhöhung des Kindergeldes ist uns nicht leichtgefallen und fällt niemandem leicht.
- Darüber sollte eigentlich ein Einvernehmen ohne jede Bemerkung möglich sein.
Wer würde nicht gern einer Familie mit mehreren Kindern ein höheres Kindergeld geben?
Aber ich sage Ihnen: So wichtig eine Erhöhung des Kindergeldes ist; genauso wichtig oder noch wichtiger ist für eine Mutter und für einen Vater die Frage, ob über mehr Investitionen und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft in Zukunft Arbeits- und Ausbildungsplätze für ihre Kinder geschaffen werden.
Sie von der SPD brauchen über die Familienpolitik keine Krokodilstränen zu weinen. Denn wir haben im Jahr 1996 mehr durchgesetzt, als wir im Wahljahr 1994 versprochen hatten.
Die Ausgaben für Leistungen und Maßnahmen zugunsten von Familien betragen im Jahr 1996 71 Milliarden DM.
In Zeiten sozialdemokratischer Regierungsverantwortung waren es gerade 28 Milliarden DM. Wie kommen Sie dazu, uns hier Vorwürfe zu machen?
Was hat nun die Opposition im Deutschen Bundestag und was haben die SPD-Länder im Hinblick auf die Vermögen- und die Erbschaftsteuer zu bieten? Laut dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Scharping, ist die Vermögensteuer eindeutig zu niedrig. Was hier im Blick auf andere Länder mit einem völlig anderen Steuersystem vorgeschlagen und gefordert wird, ist nicht nur ökonomisch falsch, sondern auch verfassungsrechtlich unhaltbar.
In Abkehr vom einstimmigen Beschluß der Finanzministerkonferenz vom 21. Dezember letzten Jahres, durch die Neuregelung insgesamt kein Mehraufkommen zu erzielen, werden nun von der SPD-Bundesratsmehrheit Steuererhöhungen im Volumen von insgesamt 6 Milliarden DM angestrebt. Erstaunlich ist der Mut der SPD-geführten Länder, die ihre Vorstellungen auch noch als aufkommensneutral bezeichnen.
Doch Äußerungen der Ministerpräsidenten Beck und Stolpe sowie der Ministerpräsidentin Simonis zeigen: Es gibt bei den SPD-Ländern Gesprächsbereitschaft in bezug auf die Vermögensteuer.
All diejenigen, die nach wie vor an einer Vermögensteuer festhalten oder sie gar erhöhen wollen, müssen bereit sein, diese unmittelbar in den neuen Bundesländern einzuführen. Dann muß gegebenenfalls auch die Gewerbekapitalsteuer in Ostdeutschland eingeführt werden, und dann müssen wir die Kredite erhöhen, damit die Betriebe die Steuern überhaupt bezahlen können - ein Aberwitz, der nicht eintreten darf und den wir verhindern müssen.
Der Solidaritätszuschlag wird zum 1. Januar 1997 um einen Prozentpunkt und zum 1. Januar 1998 um einen weiteren Prozentpunkt auf dann 5,5 Prozent gesenkt.
Da sagt Herr Scharping, man könne über niedrigere Steuern und Abgaben gerade für die Leistungsträger reden. Dagegen hat die SPD-Fraktion - allerdings, glaube ich, in Ihrer Abwesenheit, Herr Scharping - beantragt, den Solidaritätszuschlag für alle, die mindestens soviel wie ein Bundestagsabgeordneter verdienen, von 7,5 Prozent auf 10 Prozent zu erhöhen. Was gilt denn nun?
Unstreitig ist: Leistungsträger sind nicht nur diejenigen Menschen, die hohe Einkünfte erzielen. Leistung muß in allen Berufen erbracht werden, und es gibt auch Leistungsträger ohne Bezahlung, zum Beispiel im Ehrenamt. Aber kann man denjenigen, die ein höheres Einkommen erhalten, unterstellen, eigentlich hätten sie das nicht verdient? Hier zielt man mit einer Neidkampagne auf viele Leistungsträger unserer Wirtschaft. Wir bleiben bei der allgemeinen Senkung des Solidaritätszuschlags.
Für diese Senkung fordern wir weiterhin die Rückübertragung von nicht benötigten Umsatzsteuerpunkten durch die Länder, wie Sie sie selbst in den Beratungen zum Solidarpakt im Frühjahr 1993 anerkannt haben. Wir haben die Zahlen auf Grund der
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
regionalen Steuerschätzung angepaßt. Wir wollen nicht mehr, aber auch nicht weniger, als uns damals zugesagt wurde.
Um den Standort Deutschland für Investoren im In- und Ausland attraktiver zu machen, ist eine große Steuerreform für Wachstum und Beschäftigung notwendig. Die erste Aufgabe der darüber beratenden Steuerreformkommission wird die Entscheidung über den vollständigen Abbau des Solidaritätszuschlags sein. Wenn wir die Steuerreform verwirklicht haben, wird auch der Solidaritätszuschlag der Vergangenheit angehören.
Die Spitzensteuersätze der Einkommen- und Körperschaftssteuer müssen gesenkt, Ausnahmen im Gegenzug eingeschränkt werden. Das Steuersystem muß einfacher werden und für jeden einsichtig sein. Ein hochkompliziertes System begünstigt zunehmend Steuercleverneß und nicht Steuergerechtigkeit.
Das Leistungsfähigkeitsprinzip, das Fundamentalprinzip sozial gerechter Besteuerung, bleibt unangetastet. Das gilt auch für das objektive und subjektive Nettoprinzip. Werbungskosten, Betriebsausgaben oder die Aufwendungen für die eigene Existenzsicherung müssen grundsätzlich absetzbar sein.
Bis Ende des Jahres wird die Steuerreformkommission Vorschläge für die Senkung der Steuersätze bei der Einkommensteuer und der Körperschaftssteuer machen. Zugleich wird sie einen Katalog für einen Abbau oder eine Streichung von Steuervergünstigungen, Ausnahme- und Befreiungsvorschriften vorlegen.
Jede Steuerreform ist leicht im Keim zu ersticken, wenn vorab einzelne Elemente herausgelöst und dann von den unterschiedlichen Interessengruppen bewertet werden.
- Einen kleinen Moment, nur noch einen Absatz.
Gleiches gilt, wenn -alle 48 Stunden ein weiterer Tarifvorschlag das Licht der Welt erblickt, ohne die wichtigen Fragen der Bemessungsgrundlage auch nur zu streifen.
Es geht nicht nur um Eleganz; es geht auch um Kosten und um ein für alle Interessengruppen ausgewogenes Gesamtkonzept. In Ihrem Konzept ist bisher nicht ein einziger Gegenfinanzierungsvorschlag enthalten.
Sie haben nicht einmal etwas zum Spitzensteuersatz gesagt. Sie haben wieder nur versucht, die verschiedenen Bevölkerungsschichten gegeneinander auszuspielen. Sie haben zu diesem Punkt bisher nichts gesagt.
Ich habe Eckwerte genannt: So sollte der Spitzensteuersatz unter 40 Prozent und der Eingangssteuersatz bei etwa 20 Prozent liegen. Die Steuerreform muß eine deutliche Nettosteuerentlastung bringen.
Auch über den Zeitpunkt kann es bei realistischer Einschätzung der Dauer des Gesetzgebungsprozesses eigentlich keinen Zweifel geben:
Die Koalition hat beschlossen, daß diese Reform am 1. Januar 1999 in Kraft gesetzt werden soll.
Ob eine Umschichtung der Steuerlasten von den direkten auf die indirekten Steuern eingeplant werden sollte, hängt allein davon ab, wie weit wir bei dem Abbau von Subventionen und bei der Beseitigung von Sonderregelungen kommen. Die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage hat absoluten Vorrang.
Alle Experten kommen zu dem Ergebnis: Indirekte Steuern sind weniger wachstumsschädlich als direkte. Deshalb müssen zuallererst die direkten Steuern gesenkt werden.
Es gehört viel dazu, das Fragment, das die SPD jetzt öffentlich präsentiert hat, mit dem Begriff „Konzept" zu überschreiben. Das sogenannte Konzept verliert kein Wort über die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze, kein Wort zu einer durchgreifenden Steuervereinfachung, kein konkretes Wort zur Gegenfinanzierung bei der Reform der Einkommensteuer. Der „Bonner General-Anzeiger" titelte dann auch zur Gegenfinanzierung des SPD-Konzepts am 5. September 1996: „Die SPD weiß, wo sie sparen will - verrät es aber noch nicht". Das „Wall Street Journal" schreibt in gleicher Sache am 5. September:
Der Plan läßt den Steuerzahler über fast alle wichtigen Elemente der Reform im dunkeln.
Andere Sozialdemokraten in Europa sind schon viel weiter. Wim Kok, Franz Vranitzky und Göran
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Persson haben begriffen, wie man moderne Finanz- und Wirtschaftspolitik macht. Auch der Labor-Führer Tony Blair ist gegenüber dem wirtschafts- und finanzpolitischen Standard der SPD weit voran.
In Österreich, Schweden, den Niederlanden und in vielen anderen Industrieländern hat man die Zeichen der Zeit klar erkannt. Die Staatsquote muß herunter, der Staat muß schlanker werden, die Defizite müssen eingedämmt werden, und die Steuer- und Abgabenlast muß zurückgeführt werden.
Nur so bleibt ein Standort wettbewerbsfähig und entsteht eine produktive Wachstumsdynamik, die den Wohlstand aller steigert. Dies, meine Damen und Herren, ist eine ökonomisch erfolgreiche Maxime seit Adam Smith,
und sie gilt in einer globalisierten Welt heute mehr denn je.
Dagegen setzt Ministerpräsident Lafontaine blumige Worte von internationalen Vereinbarungen und gemeinsamen Aktionen. Ich bin dabei an Willy Brandt erinnert, der in diesem Zusammenhang einmal von den vier Weltmächten und der fünften Weltmacht SPD gesprochen hat. Es geht Ihnen nicht um internationale Abstimmungen, die beispielsweise im Währungsbereich sehr wohl nötig sind; Ihnen geht es um ein internationales Kartell.
Das Ergebnis wäre eine weltweite Stagnation und eine Zementierung von Entwicklungsunterschieden zu Lasten der dritten und vierten Welt. Sie glauben doch nicht im Traum daran, daß sich andere Länder von Ihnen vorschreiben lassen, ihren Wettbewerbsvorteil in der Welt nicht zu nutzen. Es ist doch eine Traumwelt, in der Sie sich hier befinden.
Natürlich braucht die Marktwirtschaft einen ordnungspolitischen Rahmen, sei es in nationalen oder internationalen Bezügen. Aber das Ziel dieses Rahmens kann nicht die Abriegelung, sondern nur die Förderung eines fairen wirtschaftlichen Wettbewerbs sein.
Die nationalen Probleme eines Standorts lassen sich nicht dadurch lösen, daß der internationale Standortwettbewerb verboten wird. Die „Welt am Sonntag " vom 7. Juli zitiert Günter Verheugen - hier zeigt sich der ganze ideologische Ballast, den die SPD immer noch mitschleppt - mit den Worten, es gehe jetzt
darum, den Sozialstaat vor „der nackten Profitgier eines entfesselten Marktes" zu schützen.
- Das war der versammelte Applaus des linken Flügels der SPD: relativ matt. Das gibt Optimismus für den Seeheimer Kreis.
Während für Herrn Scharping eine rot-grüne Bundesregierung 1998 eine realistische Perspektive ist, sagt Klaus von Dohnanyi in der August-Ausgabe des „Selbständigen":
- Meine Damen und Herren, hier rufen aus der SPD einige Abgeordnete, wenn ich von Dohnanyi zitiere: „Wer ist das?" Drei-, viermal habe ich gehört: „Wer ist das?" Klaus von Dohnanyi war in diesem Haus lange Abgeordneter; er war Staatssekretär und Minister und viele Jahre Erster Bürgermeister von Hamburg. Schämen Sie sich, daß Sie den Namen Klaus von Dohnanyi nicht mehr kennen oder nicht mehr kennen wollen!
Ich zitiere ihn jetzt noch:
Eine rot-grüne Bundesregierung wäre eine Katastrophe für Deutschland. Ich sage das ganz uneingeschränkt.
Der Mann hat recht. Wir werden das auch verhindern.
Meine Damen und Herren, die Finanzpolitik 2000 beginnt 1996. Mit dem Haushalt 1997 und dem Finanzplan bis zum Jahr 2000 dokumentieren wir unsere Entschlossenheit, den Standort Deutschland zu sichern. Wir senken die Staatsquote. Wir schaffen den Raum für niedrige Defizite und eine sinkende Steuer- und Abgabenlast. Gleichzeitig gehen wir die strukturellen Probleme der deutschen Volkswirtschaft entschieden an. Unser bisheriger Weg war erfolgreich. Internationale Institutionen haben ihn öfters als beispielhaft bezeichnet.
Die Menschen in unserem Land sehen die noch zu lösenden Probleme. Die bisherigen Erfolge weisen die Richtung.
Wir haben die besseren Argumente und das richtige
Programm. Damit gehen wir gut gerüstet in die Zeitenwende. Meine Damen und Herren, wir sind in der
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Pflicht, und wir werden den Weg entschlossen weitergehen.
Ich danke Ihnen.
Es spricht jetzt die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir danken dem Finanzminister für seine freundlichen Genesungswünsche an Helmut Wieczorek, unseren Kollegen, den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses,
und hoffen, daß er bald wieder gesund und tatkräftig unter uns weilt.
Was wir aber zum Haushalt heute morgen von Ihnen gehört haben, Herr Waigel, das ist die Fortsetzung Ihrer unseriösen Politik aus dem letzten Jahr.
Die Wirtschaftsdaten werden geschönt. Die Risiken werden versteckt. Etatlöcher werden verschwiegen oder durch Luftbuchungen gedeckt. Die Verschuldung wird verniedlicht. Waigel rechnet sich reich.
Wie unglaubwürdig dieser Finanzminister mit seinen Zahlen umgeht, zeigt ein Vergleich von nur drei Sätzen aus seiner letzten Haushaltsrede mit dem, was tatsächlich eingetreten ist:
Originalton Waigel: Trotz hoher Steuerausfälle kann die Nettokreditaufnahme des Bundes in der Größenordnung 60 Milliarden DM gehalten werden. Fehlanzeige! Aus der Koalition und von Ihnen haben wir gerade gehört, es werden wohl mindestens 70 Milliarden DM Neuverschuldung sein.
Originalton Waigel: Deutschland wird auch 1996 die Maastricht-Kriterien zur Neuverschuldung und zum Schuldenstand nicht überschreiten. Fehlanzeige! Deutschland wird 1996 wie schon 1995 die Maastricht-Kriterien nicht einhalten.
Originalton Waigel: Die im Haushalt veranschlagten Privatisierungen sind nicht aus dem Hut gezaubert. Fehlanzeige! Wo sind denn die Milliardeneinnahmen, die Sie im letzten Jahr in dem berüchtigten
Waigel-Wisch über Nacht aus dem Hut gezaubert haben?
Wenn wir dieses unseriöse Spiel kritisieren, dann poltert Herr Waigel regelmäßig los: „Horrorzahlen, Kassandra, Schwarzmalerei", obwohl sich wenige Wochen nach seinen starken Sätzen zeigt: Die Warnungen sind berechtigt gewesen. Die Arbeitslosenzahlen sind höher. 12,5 Milliarden DM mußten Sie allein am Wochenende wegen der Arbeitslosigkeit nachschießen. Die Schulden explodieren. Dies alles zeigt doch: Die wirklichen Zahlen sind immer schlimmer als die angeblich von uns genannten Horrorzahlen.
Nun geht das gleiche Spiel in 1997 wieder los. Sie tun hier heute morgen so, als wäre alles paletti, als hätten Sie alles im Griff.
Graf Lambsdorff sagt doch schon jetzt, es fehlten im Haushalt 1997 mindestens 10 Milliarden DM. Ihre Haushaltspolitiker warnen vor großen Haushaltslöchern. Schauen Sie doch einmal in die Zeitungen von heute morgen.
Mich erinnert das an das bekannte Fernsehspiel „Dinner for one" am Silvesterabend, wo es immer heißt: „The same procedure as every year." Die gleiche Prozedur wie jedes Jahr!
Aber, Herr Waigel, um das hier einmal klarzustellen: Das Fernsehspiel sehen wir gerne. Wenn Sie uns hier aber Jahr für Jahr mit der gleichen unseriösen Haushaltsprozedur kommen, dann hat die Bevölkerung und hat das Parlament das langsam satt.
Ihr Bundeshaushalt 1997 ist durch fünf Merkmale gekennzeichnet:
Erstens. Die Lage ist geschönt, die Zahlen sind nicht seriös, und der Haushalt steckt auf Grund der enormen Staatsverschuldung in einer Zinsfalle.
Zweitens. Die dringend notwendige Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bleibt wieder auf der Strecke. Deswegen mißlingt Ihnen auch die Konsolidierung der Haushalte.
Drittens. Zukunftsaufgaben wie Bildung, Forschung und Technologieförderung werden sträflich vernachlässigt.
Ingrid Matthäus-Maier
Viertens. Das Kürzungspaket der Bundesregierung ist sozial ungerecht und schafft keine neuen Arbeitsplätze.
Fünftens. In der Steuerpolitik der Bundesregierung herrscht das blanke Chaos.
Klar ist bisher nur eines: Diese Bundesregierung will die Mehrwertsteuer erhöhen.
Wer von diesem Haushalt eine Wende hin zu einem seriösen Zahlenwerk, hin zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und hin zur Konsolidierung der Finanzen erhofft hatte, wird wieder einmal schwer enttäuscht.
Am Beginn dieser Debatte müßte doch eigentlich eine ehrliche Bestandsaufnahme stehen, die lautet: Wir haben dauerhaft 4 Millionen Arbeitslose und gleichzeitig einen gigantischen Schuldenberg. Beides hängt unmittelbar zusammen. Denn 100 000 Arbeitslose kosten die öffentliche Hand und die Sozialversicherung 4 Milliarden DM. Allein 160 Milliarden DM pro Jahr kostet uns die Arbeitslosigkeit heute, nicht berücksichtigt die menschlichen Probleme für die Betroffenen und ihre Familien.
Diese Zahlen zeigen doch klar: Nicht der Sozialstaat, nein, die Arbeitslosigkeit ist so teuer. Deswegen müssen wir sie bekämpfen.
Ich erinnere mich noch gut an den Herbst 1982, als Helmut Kohl bei 1,7 Millionen Arbeitslosen Helmut Schmidt entgegenschleuderte, er sei der Kanzler der Arbeitslosen und müsse zurücktreten. Wenn Kanzler Kohl diese seine Worte ernst nähme, hätte er mittlerweile 167mal zurücktreten müssen; denn so oft hat der jeweilige Präsident der Bundesanstalt für Arbeit höhere Arbeitslosenzahlen verkündet.
Das Schlimme ist: Sie lernen nicht aus Ihren Fehlern. So sehen Sie zum Beispiel eine drastische Verringerung der Arbeitsbeschaffungs- und Fortbildungsmaßnahmen in Ostdeutschland vor; Herr Waigel hat dies heute morgen bestätigt. Dies würde bis zum Jahr 2000 in Ostdeutschland bis zu 300 000 zusätzliche Arbeitslose produzieren, und das bei einer Arbeitslosigkeit von heute ohnehin schon über 16 Prozent in Ostdeutschland. Das ist ungerecht, und dies ist auch finanziell verrückt; denn die dann entstehenden Kosten bei der Bundesanstalt, bei Bund, Ländern und Gemeinden wären kaum geringer als das, was Sie angeblich einsparen wollen.
Wir sind bereit, über Neuerungen bei ABM zu sprechen. Aber wir fordern Sie auf: Unterlassen Sie diese wirtschaftspolitisch unvernünftigen und sozial ungerechten Kürzungen bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Ostdeutschland.
Wenn Sie nur einen Teil der fast 3 Milliarden DM Einnahmen aus der Liquidation von 3 700 Treuhandunternehmen wieder in Ostdeutschland investieren, dann haben Sie dazu auch die notwendige Finanzierung.
Zum Stichwort Ostdeutschland außerdem: Daß diese Bundesregierung noch immer nicht das Problem der Altschulden der gesellschaftlichen Einrichtungen der ehemaligen DDR vom Tisch geräumt hat, ist ebenfalls ein schweres Investitionshindernis.
Wir wissen alle: Patentrezepte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gibt es nicht. Aber ich frage Sie, warum Sie alle unsere Vorschläge zur aktiven Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bis heute ablehnen.
Warum gibt es immer noch kein wirksames Entsendegesetz, um sicherzustellen, daß nicht Hunderttausende von deutschen Bauarbeitern arbeitslos sind, weil Portugiesen und Briten hier zu Dumpinglöhnen arbeiten?
Was haben Sie gegen eine große Kampagne zum Abbau von Überstunden, was mindestens 200 000 bis 300 000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen würde? Wo bleibt eine Offensive für Teilzeitarbeit? Wir haben dazu im Bundesrat einen Vorschlag eingebracht.
Was haben Sie eigentlich gegen ein 100 000-Dächer-Solarenergieprogramm? Das ist gut für die Umwelt, das ist gut für die Arbeitsplätze und eröffnet neue Exportchancen.
Wo bleibt Ihre Initiative zur Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital? Das würde doch die aktuellen Lohnverhandlungen entlasten.
Wo bleiben Ihre Aktivitäten gegen die Scheinselbständigkeit? Dieser Tage stand in der Zeitung: Die Gewerbeaufsicht hat bei einer Razzia festgestellt, daß die Toilettenfrau eines Restaurants an einer Bundesautobahn eine Selbständige ist. Wo kommen wir eigentlich hin, wenn Sie die kleinen und kleinsten Verdiener in die Scheinselbständigkeit abdriften lassen, ohne endlich für soziale Absicherung zu sorgen?
Ingrid Matthäus-Maier
Wo bleiben Ihre Vorschläge gegen den Mißbrauch der 590-DM-Regelung? Ihre Arbeitnehmervertretung mahnt diese jeden Tag an.
Wo bleibt Ihre Offensive zur Stärkung der kleinen und mittleren Unternehmen? Ihre Kürzungen bei der Eigenkapitalhilfe sind doch kontraproduktiv.
Warum senken Sie nicht endlich die viel zu hohen Lohnnebenkosten? Die Sozialversicherungsbeiträge sind doch viel zu hoch. Wir haben unseren Vorschlag für eine ökologische Steuerreform auf den Tisch gelegt.
Eines ist klar: Wenn diese Regierung nicht endlich bereit ist, auf unsere Grundidee einzugehen, die da heißt: aus Leistungsempfängern Beitragszahler machen, dann werden Sie weder die Arbeitslosigkeit meistern noch die enorme Staatsverschuldung in den Griff bekommen. Nein, nicht wir Sozialdemokraten blockieren die Konsolidierung der Haushalte. Dies tut eine Bundesregierung, die bis heute nicht energisch genug die Arbeitslosigkeit bekämpft und dadurch die Konsolidierung der Haushalte blockiert.
Die Lage der Staatsfinanzen ist wahrhaftig dramatisch. Der Bundesfinanzminister hat bereits jetzt eingestanden, daß er 1997 fast 57 Milliarden DM neue Schulden aufnehmen will - die sogenannte Nettoneuverschuldung. Diese Zahl verdeckt aber den Blick darauf, welch enormes Schuldenrad von Theo Waigel Jahr für Jahr gedreht wird. Tatsächlich wird der Bund 1997 sehr viel höhere Schulden aufnehmen, nämlich 243 Milliarden DM - die sogenannte Bruttokreditaufnahme. So steht es in seinem Finanzplan. Der Finanzminister muß nämlich 1997 186 Milliarden DM Schulden zurückzahlen. Weil ihm aber dafür das Geld fehlt, nimmt er genau in dieser Höhe Schulden auf; das heißt, das Ganze wird nur umgeschuldet.
Die Folge dieser maßlosen Staatsverschuldung sind enorme Zinsausgaben. 1997 wird der Bund 93 Milliarden DM an Zinsen zahlen. Zum Vergleich: 1,3 Milliarden DM umfaßt der Umweltetat. 93 Milliarden DM stehen für Zinsen im Haushalt. Das sind 26,6 Prozent der gesamten Steuereinnahmen des Bundes. Das heißt: Wenn das Jahr beginnt, muß man erst einmal über ein Viertel der gesamten Steuereinnahmen an die Seite legen, um nur die Zinsen zu zahlen. Solche Zinslasten strangulieren den Bundeshaushalt.
Diese Zinslasten sind auch ein großes Risiko: Wenn die Bundesbank die Zinsen nur um einen Prozentpunkt anhebt, bedeutet das bei der von mir geschilderten enormen Bruttokreditaufnahme von über 240 Milliarden DM im Jahr eine zusätzliche Zinsbelastung von 2,5 Milliarden DM allein im ersten Jahr danach. Auf einen Rutsch wäre der gesamte Umwelthaushalt gleich zweimal nur für zusätzliche Zinsen verfrühstückt. Das zeigt, wie gefährlich die Zinsfalle ist, in die Kohl und Waigel uns hineinmanövriert haben.
Solch enorme Staatsverschuldung führt zwangsläufig auch zu einer Umverteilung von unten nach oben. Denn es sind eben nicht die kleinen Leute, die in der Lage sind, dem Staat ihr Geld zu leihen, sondern es sind die Vermögenden, die davon profitieren, daß sie dem Staat ihr Geld leihen und dieses mit Zins und Zinseszins zurückbekommen. Wer dann noch - wie diese Bundesregierung - die Vermögensteuer abschaffen will, der treibt die Umverteilung von unten nach oben auf die Spitze. Dem werden wir auf gar keinen Fall zustimmen.
Dazu paßt auch, daß es diese Bundesregierung unterläßt, durch Stichproben für eine gerechte und gleichmäßige Besteuerung der Zinsen zu sorgen. Wer in diesem Lande ehrlich seine Zinserträge versteuert, hat doch zunehmend das Gefühl, er sei der Dumme, wenn er sich anschaut, wie diese Bundesregierung die Steuerflucht nach Luxemburg laufen läßt, ohne ernsthaft etwas dagegen zu tun. Stichproben gibt es in der gesamten Wirtschaft. Warum nicht bei den Kreditinstituten? Die Durchsuchungen bei den Kreditinstituten in den letzten Wochen, seien es öffentliche, seien es private, zeigen doch, welches Ausmaß die Steuerflucht, und zwar mit Unterstützung der Kreditinstitute, angenommen hat.
Zu den Wehklagen der Kreditinstitute erlaube ich mir, auf einen Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes vom März 1994 zu verweisen, mit dem die Verfassungsbeschwerde einer großen deutschen Bank gegen die Durchsuchung durch die Steuerfahnder gar nicht erst angenommen wurde. In diesem Beschluß heißt es:
Mit Blick darauf war es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, einen Anfangsverdacht dafür anzunehmen, daß die Organisation der Beschwerdeführerin
- der Bank -
und ihrer luxemburgischen Tochter systematisch in großangelegtem Stil zur Hilfeleistung bei der Hinterziehung von Einkommen- und Vermögensteuer mißbraucht wurde.
Ich weiß, daß es hier nur einen Anfangsverdacht gibt; es gibt noch keine Verurteilung. Aber für Empörung auf seiten der Kreditinstitute ist nun wirklich kein Platz.
Wenn zum Beispiel allein in Rheinland-Pfalz solche Durchsuchungsaktionen der Steuerfahndung bei Großbanken in nur drei Einzelfällen zu mehr Steuern
Ingrid Matthäus-Maier
von insgesamt 24 Millionen DM geführt haben, dann weiß jeder, in welchem Maße hier Steuerhinterziehung betrieben wird. Ich bin wirklich unglücklich darüber, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie sich nicht endlich bereit erklären, Stichproben auch bei den Kreditinstituten einzuführen.
Ihre Absicht, die Vermögensteuer abzuschaffen, zeigt deutlich, daß Ihr sogenanntes Sparpaket gar kein Sparpaket ist. Es ist vielmehr die Kombination eines rücksichtslosen Kürzungspaketes und eines Geschenkpaketes für Vermögende.
Die „Süddeutsche Zeitung" schreibt daher so treffend:
Das Sparpaket ist Produkt eines unfairen Bündnisses von Regierung und Arbeitgebern.
Recht hat die „Süddeutsche Zeitung".
Wir werden die dringend notwendigen Sparmaßnahmen immer daran messen, ob sie a) die Lasten sozial gerecht verteilen und b) geeignet sind, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Beides trifft auf Ihr Kürzungspaket nicht zu.
Nehmen wir doch nur den Teil, um den es am Freitag dieser Woche gehen wird. Erstens wird durch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit für Frauen die Arbeitslosigkeit nicht verringert, sondern offensichtlich erhöht. Zweitens wird durch die Abschaffung des Kündigungsschutzes für Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten nicht die Neueinstellung, sondern die Entlassung von Beschäftigten erleichtert. Das dritte ist die Kürzung der Lohnfortzahlung auf 80 Prozent des letzten Lohnes oder Gehaltes. Richtig ist: Blaumachen muß man bekämpfen, und das haben die Gewerkschaften ja angeboten.
Aber wegen einiger Blaumacher Millionen von Arbeitnehmern die Lohnfortzahlung zu kürzen ist falsch und ungerecht.
Gerade weil Sie Ihr Kürzungspaket so sorgfältig aufgespalten haben, daß Sie unsere Zustimmung nicht brauchten, werden wir um so deutlicher klarmachen, daß Sie für diese unsozialen Kürzungsmaßnahmen ganz alleine die Verantwortung übernehmen müssen.
Schlimm ist dabei, daß die Frauen, die doch ohnehin
meist weniger verdienen, von Ihrem Kürzungspaket
besonders belastet werden. Was hilft es denn, auf Ihrem Bundesparteitag eine Frauenquote zu beschließen, wenn Sie hier im Bundestag die Frauen real belasten.
Ich frage deshalb die Frauen unter Ihnen: Wollen Sie wirklich verantworten - etwa bei der Kürzung der Lohnfortzahlung -, daß Frauen, die während der Schwangerschaft krank werden, auf 80 Prozent ihres Lohnes gesetzt werden? Fünf weibliche Parlamentarier in der Koalition reichen am Freitag, um diese unsoziale Kürzung zu Fall zu bringen. Warum können Sie nicht einfach mal Stehvermögen zeigen?
Ich will aber nicht verhehlen, daß ich in dieser Hinsicht nicht sehr optimistisch bin. Denn in Bonn gibt es das Gerücht: Wenn dieser Bundeskanzler seiner Fraktion sagt, morgen früh Antreten zum Füßewaschen im Rhein, dann ist am nächsten Tag die Rheinaue voll von CDU/CSU-Parlamentariern.
Ihre neue Masche ist, zu behaupten, die SPD blokkiere die Sparmaßnahmen für 1996. Das ist falsch. Für das Jahr 1996, Herr Waigel, gibt es nur noch einen einzigen Gesetzentwurf auf der Tagesordnung. Damit will der Bund die originäre Arbeitslosenhilfe abschaffen und die Ausgaben für die kostenlose Fahrt der Schwerbehinderten im Öffentlichen Personennahverkehr von sich abwälzen. Das ist doch kein Sparvorschlag. Das ist ein Verschiebebahnhof zu Lasten von Ländern und Gemeinden. Einen Verschiebebahnhof werden wir nicht unterstützen.
Wenn die These richtig wäre, daß der Abbau von Schutzrechten der Arbeitnehmerschaft die Beschäftigung gefördert hätte, dann müßte doch im gelobten Land der Deregulierung, nämlich in Großbritannien, wo es beispielsweise in den ersten beiden Jahren überhaupt keinen Kündigungsschutz mehr gibt, ein Beschäftigungswunder stattgefunden haben. Das ist nicht der Fall. Die Arbeitslosigkeit ist in Großbritannien größer als in Deutschland, und zwar mit dramatischen sozialen Begleitfolgen. Das genau wollen wir in Deutschland nicht.
Wirtschaftspolitische Kompetenz heißt nicht, alles nachzuplappern, was die Arbeitgeber und Industrieverbände fordern. Die reden den Standort schlechter, als er ist, und stellen absolut unerfüllbare Forderungen an Arbeitnehmer und Staat - einer besonders, der produziert Kettensägen und benimmt sich auch so.
Ingrid Matthäus-Maier
Dabei hat doch das renommierte Ifo-Institut im Juli dieses Jahres festgestellt:
Die These vom „Hochlohnland Deutschland" konnte nicht bestätigt werden. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene sind die realen Lohnstückkosten weder übermäßig hoch, noch sind sie in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich stark gestiegen. Relativ zu den in D-Mark umgerechneten nominalen Lohnstückkosten anderer Länder haben die nominalen Lohnstückkosten in Deutschland dagegen deutlich zugenommen. Aber das ist kein Arbeitskostenproblem, sondern die unvermeidbare Konsequenz der Aufwertung der D-Mark.
Wenn das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln feststellt:
Rund zwei Drittel des Kostennachteils der westdeutschen Industrie geht auf das Konto der DMark-Aufwertung.
dann zeigt das zwar, daß es hier ein Problem gibt, das wir lösen müssen, aber wer meint, die Lösung des Problems einzig und allein den Arbeitnehmern aufbürden zu müssen, der gefährdet den sozialen Frieden und damit auch den Standort Deutschland.
Der Bundeskanzler sagt, auch andere Länder in Europa kürzten. Dabei nannte er ausdrücklich Schweden. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied zu Schweden. Die Schweden behalten die Vermögensteuer bei und bauen die Bemessungsgrundlage sogar noch aus, während diese Bundesregierung die Vermögensteuer abschaffen will.
In ein und demselben Kürzungspaket schlägt die Bundesregierung die Abschaffung der Vermögensteuer mit Steuerausfällen von 9 Milliarden DM vor - nebenbei gesagt: wieso blockieren wir eigentlich Einsparungen, wenn wir Sie daran hindern wollen, 9 Milliarden DM aus dem Fenster zu werfen, meine Damen und Herren? -,
und gleichzeitig behaupten Sie, Sie hätten nicht die 3,7 Milliarden DM für die bereits beschlossene Erhöhung des Kindergeldes.
Meine Damen und Herren, das paßt nicht zusammen. Wenn wir dies gegeneinander ausspielen, dann sagen Sie, Frau Hasselfeldt - das war dieser Tage in einer Diskussion mit mir -, das sei Sozialneid.
Der Herr Bundeskanzler ist im Jahr 1982 angetreten mit dem Amtsspruch der geistig-moralischen Erneuerung.
Wohin diese Erneuerung geführt hat, sagt recht deutlich Professor Friedhelm Hengsbach von der Katholischen Soziallehre in einem Aufsatz in der „Zeit". Er sagt:
Die politischen Entscheidungsträger haben seit den achtziger Jahren systematisch jene Strukturen ausgehebelt, die den Nährboden für Gemeinsinn und Solidarität bildeten.
Genau das ist es. Ich bin der festen Überzeugung: Wir können und werden die schwierige Lage unseres Gemeinwesens meistern, wenn wir uns als Leistungs- und Solidargemeinschaft verstehen.
Wer wie Sie die soziale Gerechtigkeit als Sozialneid diffamiert, wer unten abkassiert, ohne die deutsche Oberschicht an ihre Solidaritätspflicht gegenüber dem eigenen Volke zu erinnern, der zerstört den Zusammenhalt in dieser Gesellschaft. Und das werden wir nicht zulassen.
Sie sagen, das Urteil zur Vermögensteuer erfordere ihre Abschaffung. Nein, dort heißt es wörtlich:
Das Konzept der geltenden Vermögensteuer entspricht diesen, vom Verfassungsgericht genannten Anforderungen.
Sie sagen, die Erhebung der Vermögensteuer sei so kompliziert. Herrgott noch mal, dann machen Sie doch mit uns ein neues Vermögensteuergesetz - wir haben die Vorschläge eingebracht -, das weniger kompliziert ist.
Sie sagen, die Vermögensteuer sei eine deutsche Besonderheit und in anderen Ländern nicht vorhanden. Das Finanzministerium hat doch gerade, am 30. Juli 1996, eine schöne Übersicht vorgelegt: Die Vermögensteuer gibt es in Dänemark, Finnland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Schweden, der Schweiz und Spanien. Daß Sie angesichts der dramatischen Lage der Staatsfinanzen die 10 Billionen DM Privatvermögen zukünftig steuerfrei lassen wollen, ist wirklich nicht einzusehen.
Dann sagen Sie: Aber die betriebliche Vermögensteuer gibt es in der Welt nur selten. Es gibt sie auch in Luxemburg und in der Schweiz; aber immerhin. Wir sind bereit, mit Ihnen darüber zu reden, aber doch nicht ohne Kompensation, ohne Ausgleich.
Es gibt überhaupt keinen Anlaß, die Unternehmensteuern netto zu senken.
Das gewiß nicht SPD-nahe Institut Finanzen und Steuern hat gerade eine Untersuchung für die letzten zehn Jahre vorgelegt. Danach ist die Lohnsteuer um 91,5 Prozent gewachsen, die Umsatzsteuer um 113,7 Prozent, die Gewerbesteuer dagegen nur um 36,7 Prozent. Die Körperschaftsteuer ist sogar um 43,1 Prozent zurückgegangen; sie liegt bezüglich ih-
Ingrid Matthäus-Maier
res Aufkommens mittlerweile hinter der Tabaksteuer. Was für eine verrückte Situation!
Nein, für eine Nettoentlastung der Unternehmen gibt es keinen Grund.
Außerdem hat sich die Schonung der Unternehmensgewinne in den letzten 14 Jahren, in denen wir die Unternehmenssteuern kräftig gesenkt haben, entgegen Ihren Verheißungen offensichtlich nicht in Form höherer Produktion, nicht in Form höherer Beschäftigung und nicht in Form höherer Staatseinnahmen niedergeschlagen. Deswegen: Für eine Entlastung gibt es keinen Grund.
Entlastungsbedarf gibt es an ganz anderer Stelle: bei den Familien mit Kindern und den Lohnsteuerzahlern. Deswegen werden wir auf der Anhebung des Kindergeldes zum 1. Januar 1997 und der Verbesserung des Grundfreibetrages beharren.
Die Rücknahme dieser bereits im Gesetzblatt stehenden Verbesserungen wäre ein schwerer Vertrauensbruch gegenüber den Familien. Bis in den März dieses Jahres hinein keine Rede von Waigel ohne den Hinweis auf die Kindergelderhöhung in 1997; jede Menge Papier, vor wenigen Tagen noch ein Heft über das Jahressteuergesetz. Ausgerechnet eine Woche nach den Landtagswahlen aber fällt dem Finanzminister ein, daß er die Kindergeldverbesserung in 1997 doch nicht will. Herr Finanzminister Waigel, ich habe Ihre Steuerlüge vom Herbst 1990 gut in Erinnerung. Fügen Sie dem nicht noch eine Kindergeldlüge hinzu!
Das wäre außerdem ein klarer Vertragsbruch gegenüber der SPD.
Sie haben heute morgen so schön gesagt - mir blieb fast die Spucke weg -: Wir haben die Anhebung 1996 und 1997 gewollt. - Das ist die glatte Unwahrheit! Sie haben sie nicht gewollt. Im Frühjahr letzten Jahres haben Sie noch gesagt: vielleicht 20 DM beim Zweitkindergeld; aber keine Verbesserung beim Erstkindergeld. Die haben wir Ihnen abgezwungen. Deshalb werden wir nicht zulassen, daß Sie die streichen.
Außerdem: Das Kindergeld ist keine Gnade des Staates gegenüber den Familien. Es ist die verfassungsrechtlich gebotene Freistellung des Existenzminimums der Kinder von der Steuer.
- Das ist gar nicht mein Thema. Wir wollen ja in 1997 beides verbessern. Ihr Zuruf hilft überhaupt nicht. Wenn Sie hier schon Zurufe machen, dann sagen Sie, daß Sie von der F.D.P. vielleicht mit uns zusammen gegen Herrn Waigel das Kindergeld und den Kinderfreibetrag anheben wollen.
Das Verfassungsgericht hat nämlich in der Entscheidung, in der es Ihnen, Herr Waigel, die Verfassungswidrigkeit Ihres Kindergeldmodells bescheinigt hat, ausdrücklich gesagt:
Der Finanzbedarf des Staates ist nicht geeignet, eine verfassungswidrige Steuer zu rechtfertigen. Auch wenn der Staat auf Einsparungsmaßnahmen angewiesen ist, muß er auf die gerechte Verteilung der Lasten achten.
Genau das klagen wir ein. Wie sagte meine Kollegin Margot von Renesse so treffend: „Vater Staat benimmt sich wie ein unterhaltspflichtiger Vater, der erst zahlt, wenn der Gerichtsvollzieher mit dem vollstreckbaren Urteil vor der Tür steht." Meine Damen und Herren, lassen Sie uns das verhindern! Lassen Sie uns - wie vorgesehen - das Kindergeld gemeinsam in 1997 erhöhen!
Denn unser wirkliches Vermögen sind unsere Kinder und Jugendlichen. Deswegen müssen wir auch mit dem Haushalt die Weichen in Richtung Zukunft stellen. Das tun Sie nicht. Gerade bei knappen Kassen muß ich doch Schwerpunkte setzen, die für die Zukunft wegweisend sind. Sie aber kürzen bei den dringenden Zukunftsaufgaben.
Wer - wie diese Bundesregierung - beim Schienenbau Milliarden kürzt, beim Autobahnbau aber drauflegt, hat keine Ahnung, wo in Zukunft die Schwerpunkte in diesem Lande liegen müssen.
Wie sollen denn die Lkw-Kolonnen von der Straße, wenn nicht über die Schiene?
Wer - wie diese Bundesregierung - für Kernenergie und Atomforschung im Bundeshaushalt immerhin noch über 2,1 Milliarden DM ausgibt, gleichzeitig aber die Ausgaben für erneuerbare Energien und Energieeinsparung um 62 Millionen auf nur noch 258 Millionen DM kürzt, verspielt unsere Zukunft. Denn im Jahre 2000 wird derjenige die Nase beim Export vorne haben, der die besten Umweltschutz- und Energieeinspartechnologien exportieren kann.
Ingrid Matthäus-Maier
Wer - wie diese Bundesregierung - im Umwelthaushalt die Investitionen zur Verminderung von Umweltbelastungen um fast 10 Millionen DM kürzt und gleichzeitig die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit - im Bundeshaushalt insgesamt - um fast die gleiche Summe erhöht, muß sich fragen lassen, ob er wirklich noch weiß, was er tut.
Nur zwei Kostproben: Der Arbeitsminister will sage und schreibe 11 Millionen DM mehr für Öffentlichkeitsarbeit ausgeben, um über die Kürzungspakete aufzuklären. Da rate ich ihm: Lassen Sie die Kürzungspakete, dann brauchen Sie auch keine 11 Millionen DM, um den Menschen diesen Unsinn zu verklickern.
Oder der Jahresbericht der Bundesregierung 1995, erschienen im Sommer 1996: 934 Seiten Lobhudelei und Überholtes von gestern. Zur Rinderseuche BSE steht dort - man höre und staune - wörtlich:
Bisher ergeben sich keine Hinweise auf eine Übertragbarkeit des Erregers auf den Menschen.
Da kann man nur sagen: Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich. Warum haben die Briten denn alle ihre Rinder umgebracht, wenn das so ist?
Nein, meine Damen und Herren, wer - wie diese Bundesregierung - den Anteil des Forschungs- und Technologiehaushaltes am Gesamthaushalt von 4,7 Prozent in 1992 auf nur noch 3,4 Prozent reduziert, der schwächt den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Ihr Forschungs- und Technologiehaushalt wird überdurchschnittlich gekürzt, und das ist der forschungspolitische Offenbarungseid dieser Bundesregierung.
Bei der Projektförderung in den wichtigsten Schlüsseltechnologien kürzt Minister Rüttgers gleich reihenweise: Produktion 2000: minus 11 Prozent, Lasertechnik: minus 11 Prozent, neue Materialien: minus 11 Prozent, Gesundheitsforschung: minus 11 Prozent, Ökologie- und Klimaforschung: minus 11 Prozent; so geht das weiter. Meine Kollegin Edelgard Bulmahn hat daraufhin treffend gesagt: Minister Rüttgers, der einmal als sogenannter Zukunftsminister angetreten ist, sollte sich besser in „Mister minus 11 Prozent" umbenennen lassen, meine Damen und Herren.
Wir werden entsprechende Umschichtungsanträge zu diesen wichtigen Zukunftsaufgaben stellen.
Übrigens: Zur Zukunftsfähigkeit unseres Landes gehört auch, daß jeder Jugendliche, der eine Lehrstelle sucht, auch eine findet. Der Staat kann nicht länger dulden, daß nur oder überwiegend die kleinen und mittleren Betriebe, die Handwerksbetriebe, ausbilden, wofür wir ihnen ausdrücklich danken, und sich die Großbetriebe aus der Ausbildung zurückziehen.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden - nur damit nicht der Eindruck entsteht, wir würden den Betrieben etwas Unzumutbares auferlegen -:
Wenn der Staat in Anerkennung dieser Aufgabenteilung den Arbeitgebern die praxisbezogene Berufsausbildung der Jugendlichen überläßt, so muß er erwarten, daß die gesellschaftliche Gruppe der Arbeitgeber diese Aufgabe nach Maßgabe ihrer objektiven Möglichkeiten und damit so erfüllt, daß grundsätzlich alle ausbildungswilligen Jugendlichen die Chance erhalten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das gilt auch dann, wenn das freie Spiel der Kräfte zur Erfüllung der übernommenen Aufgabe nicht mehr ausreichen sollte.
Wir sagen Ihnen: Wir brauchen ein solidarisches Ausgleichssystem, am besten auf Kammerebene. - Das Bauhandwerk und das Schornsteinfegerhandwerk haben gezeigt, daß das geht. - Wenn es aber auf der Kammerebene freiwillig nicht klappen sollte, dann müssen wir ein solidarisches Ausgleichssystem gesetzlich einführen. Der Skandal, daß September für September Zigtausende von Jugendlichen keine Lehrstelle finden, muß ein Ende haben, meine Damen und Herren!
Zur Zukunftssicherung gehört auch, daß wir endlich den Einstieg in eine ökologische Steuerreform vornehmen. Dieser Tage hat mir eine ledige Arbeitnehmerin ihren Lohnstreifen gezeigt: 5 300 DM brutto im Monat ergeben 2 900 DM netto, und der Arbeitgeber zahlt wegen der Arbeitgeberleistungen zur Sozialversicherung 6 400 DM. Meine Damen und Herren, das ist unerträglich. Das zeigt: Die Lohnnebenkosten sind zu hoch, weil diese Bundesregierung einen großen Teil der Kosten der deutschen Einheit systemwidrig in die Sozialversicherung hineingeschoben hat.
Wer die menschliche Arbeit so massiv besteuert, der ist dafür verantwortlich, daß sie verteuert wird. Das müssen wir ändern. Deswegen fordern wir: kräftige Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge bei gleichzeitiger maßvoller Verteuerung der Energie.
Mittlerweile gibt es viele Unternehmen, die festgestellt haben, daß eine solche Absenkung der Lohnnebenkosten auch für die Wirtschaft sehr viel interes-
Ingrid Matthäus-Maier
santer ist als die von ihren Verbandsoberen eingeforderte Senkung der Unternehmensteuer.
Ich bin ganz sicher, daß es zu einer solchen ökologischen Steuerreform, zu einer solchen Umschichtung - Entlastung des Kostenfaktors menschliche Arbeit bei maßvoller Verteuerung der Energie - kommen wird. Wenn Sie uns Sozialdemokraten das nicht abnehmen, rate ich Ihnen einfach einmal: Lesen Sie das Interview mit dem Astronauten und Physiker Professor Messerschmid im „Publik Forum" vom letzten Jahr, in dem er eindrucksvoll beschreibt, wie er als nicht linker Politiker sich zu einem „radikalen Ökologen" entwickelt hat, weil er im Ablauf der Jahre auch beim Umrunden der Erde festgestellt hat, wie massiv sich die Situation der Umwelt verschlechtert hat und daß daran insbesondere die Energie schuld ist. Schimpfen Sie heute nur! Sie - oder ab 1998 wir, wie wir hoffen - werden eine solche ökologische Steuerreform machen.
Zu diesem Thema gehört dann auch, daß Sie endlich die Subventionen beseitigen, mit denen der Verbrauch von Energie gefördert wird. Wir wissen: Das geht überwiegend nur im internationalen Rahmen. Aber um welche Summen es geht - es geistert immer die Zahl von 400 Millionen herum -, das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Frage meiner Kollegin Monika Ganseforth. Sie hatte gefragt, welche Steuereinnahmen sich durch die Besteuerung des Flugbenzins unter Zugrundelegung des jährlich durch die zivile Luftfahrt verbrauchten Flugkraftstoffs für innerdeutsche und internationale Flüge erzielen ließen. Die für mich verblüffende Antwort der Bundesregierung war: „Bei einer Versteuerung zum Regelsteuersatz ergäben sich Steuereinnahmen von rund 6,7 Milliarden DM" - in Deutschland! Solche Summen fehlen uns, weil Sie nicht an die unökologischen Steuersubventionen herangehen, um so dazu beizutragen, daß diese auch international endlich abgeschafft werden.
Zur Zukunftssicherung gehört auch, daß Bundeshaushalte nach dem Jahr 2000 nicht länger so massiv vorbelastet werden, wie das in der Vergangenheit geschehen ist. Schon jetzt steht für die Zeit nach dem Jahr 2000 fest: Die Bundeshaushalte sind jährlich mit mindestens 103 Milliarden DM an Zinslasten und über 16 Milliarden DM an Versorgungsleistungen für Pensionen vorbelastet. Das ist eine schwere Zukunftshypothek. Um so mehr bedauern wir, daß der Innenminister immer noch nicht den seit Jahren überfälligen Versorgungsbericht für den öffentlichen Dienst vorgelegt hat
und daß diese Bundesregierung bis heute unsere Vorschläge zur Reform des öffentlichen Dienstes ablehnt. Was brauchen wir? Abschaffung der Ministerialzulage, Beförderung nach Leistung statt nach Alter durch Dienstaltersstufen, Beseitigung von Privilegien bei den Beamtenpensionen, Abbau von Sondervorteilen bei der Krankenversicherung, Einführung des Teilzeitbeamtentums usw. Wir fordern diese Bundesregierung auf, diese unsere Vorschläge für eine Reform des öffentlichen Dienstes mit Milliarden Minderausgaben nicht länger zu blockieren.
Zu den Vorbelastungen der Haushalte gehört zum Beispiel auch, daß der Bund rund 24 Milliarden DM dafür aufwenden muß, privat vorfinanzierte Straßen- und Schienenbauprojekte ratenweise zu bezahlen. Dahinter steckt eine ganz unglückselige Entwicklung: Um der aktuellen Haushaltsnot zu entkommen, verschiebt man die Probleme auf die Zeit nach 2000. Ich halte diese Vorbelastung zukünftiger Generationen für verantwortungslos.
In diesen Vorbelastungen durch Verpflichtungen sind bestimmte Dinge noch gar nicht enthalten. Ich nenne hier einmal den Transrapid, der mit einem Betrag von 5,1 Milliarden DM zu Buche schlägt. Gerade an diesem Beispiel läßt sich klarmachen, daß es uns hier nicht um Technikfeindlichkeit geht.
Ich halte den Transrapid für ein technologisches Spitzenprodukt. Darauf zielt unsere Kritik nicht ab. Unsere Kritik zielt auf den Sachverhalt, daß der Staat, nachdem er bereits über 1 Milliarde DM an öffentlichen Geldern in die Erforschung des Transrapid gesteckt hat, jetzt auch noch die Kosten für den Fahrweg tragen soll. Wenn der Transrapid wirklich ein solches technologisches Spitzenprodukt ist, dann müssen doch diejenigen in Politik und Wirtschaft, die Tag und Nacht von Privatisierung reden, endlich bereit sein, den Transrapid privat finanzieren zu lassen.
Eine weitere dramatische Vorbelastung - ich kann es Ihnen nicht ersparen - ergäbe sich, wenn Sie den Jäger 90 beschafften.
Es handelt sich um über 20 Milliarden DM, mit schlimmen Folgen nicht nur für den Bundeshaushalt, sondern auch für die Bundeswehr.
Ingrid Matthäus-Maier
Denn wenn er beschafft wird, ist im Verteidigungshaushalt überhaupt keine Luft mehr für andere Dinge.
Was haben wir eigentlich davon, wenn wir über eine strahlende Luftwaffe verfügen, aber das Heer auf abgefahrenen Reifen herumfahren muß?
Ich habe die Hoffnung noch nicht verloren, daß Sie, Herr Waigel, in dieser Beziehung noch lernen. Denn Sie haben offensichtlich schon einmal in bezug auf den Verteidigungshaushalt gelernt. Als wir Sozialdemokraten im letzten September maßvolle Kürzungsvorschläge für den Verteidigungshaushalt gemacht haben, haben Sie hier wörtlich gesagt: Damit würde der Beitrag zur Verteidigung von Frieden und Freiheit in Deutschland und in Europa in Frage gestellt. Jetzt haben Sie den Verteidigungshaushalt viel stärker gekürzt, als wir vorgeschlagen haben. Ich frage Sie: Was soll das? - Beeinträchtigt Herr Waigel damit den Beitrag zur Verteidigung von Freiheit und Frieden in Deutschland und in Europa?
Nein. Ich fordere Sie auf: Lassen Sie diesen Unsinn! Legen Sie endlich eine Bundeswehr-Strukturreform vor,
damit wir die Anzahl der Soldaten auf unter 340 000 Mann absenken können!
Wir brauchen schließlich eine Steuerreform, die mehr Steuergerechtigkeit und mehr Steuervereinfachung bringt. Wir haben unsere Vorschläge auf den Tisch gelegt: erstens Absenkung des Eingangssteuersatzes auf 19,5 Prozent, zweitens Verbesserung des steuerfreien Grundfreibetrags auf 14 000 DM bei Ledigen und 28 000 DM bei Verheirateten und einen linear-progressiven Tarif ohne leistungshemmende Sprünge.
Das führt zu einer deutlichen Entlastung der Normalverdiener. Da liegt auch unser Schwerpunkt, meine Damen und Herren, im Unterschied zu dem Ihrigen. Denn was Sie vorhaben, konnten wir im Sommer gut beobachten.
Da sagte der Kanzler - noch bevor eine einzige Steuersubvention abgebaut wurde -, die Erhöhung der Mehrwertsteuer sei unumgänglich. Herr Schäuble sagte einige Tage später, mit den Steuersenkungen
bei den unteren Einkommen müsse es nun einmal ein Ende haben.
Er will nur noch den Spitzensteuersatz senken. Das kennen wir: Rentner, Arbeitslose, Arbeitnehmer müssen eine höhere Mehrwertsteuer zahlen, damit Sie den Spitzensteuersatz für Spitzenverdiener absenken können. Das wird es mit uns nicht geben.
Frau Matthäus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Fraktionsvorsitzenden Dr. Schäuble?
Ja. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Bitte.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, würden Sie bitte so liebenswürdig sein, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich mich nicht gegen eine Senkung des Eingangssteuersatzes ausgesprochen habe, sondern daß ich gesagt habe, daß - erstens - im Vordergrund der Überlegungen zur Steuerreform das Prinzip der Vereinfachung und nicht das Prinzip der ausgewogenen Lastenverteilung stehen müsse und daß man - zweitens - bei einer Bewertung von Steuersenkungen die zum 1. Januar 1996 in Kraft getretene Absenkung der Steuersätze, insbesondere für die Bezieher unterer Einkommen, durch die Erhöhung des steuerfreien Existenzminimums mit einer Gesamtentlastungssumme von 18 Milliarden DM einbeziehen müsse?
Das haben Sie gesagt; aber Sie haben mehr gesagt, Herr Schäuble.
Ich habe es zwar nicht wörtlich vorliegen, aber ich habe es sehr gut im Kopf, weil es mich überrascht hat, wie offen und in welch brutaler Klarheit Sie im „Focus" gesagt haben, daß nach diesem Steuerpaket für Entlastungen im unteren Bereich nichts mehr drin ist und daß der Schwerpunkt bei der Senkung des Spitzensteuersatzes liegt.
Herr Waigel hat heute morgen von einem Satz von unter 40 Prozent gesprochen. Ich darf Ihnen, auch den Zuhörern, nur einmal sagen, was das heißt: Jeder Punkt der Absenkung des Spitzensteuersatzes, der heute bei 53 Prozent und bei Gewerbetreibenden bei 47 Prozent liegt, kostet 2 Milliarden DM. Sagen Sie uns doch mal, was Sie in diesem Bereich tatsächlich vorhaben.
Ingrid Matthäus-Maier
Der Unterschied ist klar. Wir wollen eine Entlastung vor allem der Durchschnittsverdiener, der Normalverdiener.
Auch der Spitzensteuersatz kann gesenkt werden; aber nur insoweit, als Einkommensmillionäre ihr zu versteuerndes Einkommen durch Sonderabschreibungen nicht länger so weit herunterschleusen können, daß sie einen Wohnberechtigungsschein erhalten. Eines ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig: Das Ganze läuft nur, wenn man nicht immer lediglich bei den Steuersubventionen und Sonderregelungen der anderen Seite zupackt. Ein besonders klassisches Beispiel hat Otto Graf Lambsdorff gebracht. Er hat vorgeschlagen, alle Sonderregelungen für Arbeitnehmer abzubauen. Ich kenne das von Otto Graf Lambsdorff schon; deshalb kann ich nur sagen: Wenn er die Taschen von Arbeitnehmern sieht, verhält er sich wie ein Kleptomane - dann packt er einfach zu, meine Damen und Herren.
Werbungskosten wie die Kilometerpauschale abschaffen zu wollen - was er vorschlägt -, aber gleichzeitig Betriebsausgaben für Betriebs-Pkw ohne jede Obergrenze absetzbar machen zu wollen, ist wirklich eine unglaubliche Geschichte.
Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Wir wollen die Steuersenkung 1998 und nicht erst 1999.
Bei Ihnen herrscht im Moment noch das blanke Chaos. Der eine sagt hü, der andere sagt hott: 1998, 1999. Die CSU sagt über die F.D.P.: reine Klientelpolitik. - Da haben Sie ausnahmsweise mal recht, Herr Waigel. -
Umgekehrt beschimpft die F.D.P. Herrn Waigel. Wir legen Ihnen einen Antrag vor, damit Sie rechtzeitig mit einem Gesetzentwurf überkommen und 1998 die große Steuerreform kommt, was auch realisierbar ist.
Meine Damen und Herren, ich habe die Alternativen der SPD ausführlich vorgetragen.
Ich weiß aber, daß Sie im Laufe dieser Woche immer wieder behaupten werden, wir hätten keine Alternativen. Das ist falsch. Sie können in der Sache anderer Ansicht sein, aber nicht bestreiten, daß wir ein Alternativkonzept haben. Hier ist es, meine Damen und Herren. Ich erlaube mir, es Herrn Waigel am Schluß meiner Rede zu überreichen.
Niemand hat ein Patentrezept, auch wir nicht. Aber gegen Ihren sozial ungerechten, wirtschaftspolitisch unvernünftigen und finanzpolitisch unseriösen Kurs setzen wir unser Konzept, das zu Recht die Überschrift trägt: „Zukunft sichern - Zusammenhalt stärken".
Das ist unser Beitrag, Wirtschaft und Beschäftigung, sozialen Frieden und stabile Finanzen miteinander zu verbinden.
Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Repnik.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe 48 Minuten darauf gewartet, daß Frau Kollegin Matthäus-Maier ein tragfähiges Konzept vorlegt. Sie hat es nicht getan. Sie hat dem Finanzminister statt dessen ein Papier überreicht, über dessen Inhalte wir nachher noch diskutieren können.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, wenn es Ihnen ernst damit wäre, die Herausforderungen, die wir in der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam zu bestehen haben, zu bewältigen, dann hätten Sie in den vergangenen Monaten und im letzten Jahr Konzepte vorgelegt, die nicht in irgendwelchen Parteipapieren stehen, sondern Gegenstand der parlamentarischen Beratung sind.
Unser Konzept ist der Haushalt 1997 des Bundesfinanzministers. Unser Konzept, um die Probleme zu bewältigen, ist das 50-Punkte-Papier. Unser Konzept sind das Jahressteuergesetz 1996 und das Jahressteuergesetz 1997. Unser Konzept ist das „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung". So reagieren wir auf die großen Herausforderungen in dieser Zeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir verfolgen - das ist mit dem Vortrag des Bundesfinanzministers deutlich geworden - mit dem Haushalt 1997 erneut ehrgeizige Ziele. Es ist ein Haushalt der Verantwortung und, wie ich noch einmal hervorheben möchte, ein Haushalt der ökonomischen Vernunft. Beim staatlichen Konsum und bei den Transferausgaben nach wie vor aus dem vollen zu schöpfen, wie es die SPD auch am heutigen Vormittag wieder gefordert hat, kreditfinanziert selbstverständlich, ist in der Zukunft nicht mehr möglich.
Ich möchte gern ein Wort an die SPD richten. Sehr verehrte Frau Kollegin Matthäus-Maier, der Bürger
Hans-Peter Repnik
hat - im Gegensatz zu Ihnen und zu Ihrem Beitrag - begriffen, daß es so nicht weitergehen kann. Der Bürger begreift die Herausforderung.
Anstatt daß Sie mit uns gemeinsam die Erkenntnis der Bürger, die Bereitschaft der Bürger zur Veränderung aufgreifen, halten Sie hier dagegen und machen zusätzlich Angst.
Daß Sie die Zeichen der Zeit noch nicht begriffen haben, zeigen die Forderungen, die die SPD-Haushaltsgruppe am Ende ihrer Haushaltsklausurtagung in der vergangenen Woche formuliert hat. Selten, verehrter Kollege Diller, habe ich so viele Widersprüche in einer einzigen Presseerklärung gelesen. Sie führen auf der einen Seite Klage über angebliche Haushaltslöcher. Statt dann konsequenterweise auf der anderen Seite Einsparvorschläge vorzulegen, satteln Sie noch einmal drauf.
Sie, Frau Kollegin Matthäus-Maier, haben ebenfalls die Chance, uns eine Alternative darzustellen, heute früh nicht genutzt. Ich habe sie zumindest nicht erkennen können.
Ihre Rede - ich bedaure dies angesichts des Ernstes der Situation - troff vor Polemik. Sie haben einmal mehr Sozialneid geschürt.
Lassen Sie es mich an einem Punkt deutlich machen.
- Hören Sie mir bitte zu!
- Ich habe sehr gut zugehört. - Ich möchte es an einem Beispiel deutlich machen, das sich zum Schluß in der Frage meines Fraktionsvorsitzenden Dr. Wolfgang Schäuble fokussiert hat. Sie haben hier - und nicht nur heute - den Eindruck erweckt, als ob es möglich sei, durch eine große Steuerreform nachhaltig nicht zuletzt auch die unteren Einkommensschichten zu entlasten.
- Und jetzt sagen Sie „Ja" . Frau Matthäus-Maier, Sie sind sachkundig, und ich möchte jetzt gern einmal Ihre Sachkunde in Anspruch nehmen. Sie wissen ganz genau, daß rund 31 Prozent der Steuerpflichtigen auf Grund von Freibeträgen - Kinderfreibeträge, Existenzminima und dergleichen mehr - überhaupt nicht zur Steuer herangezogen werden. Sie vermitteln aber mit Ihren Ausführungen den Eindruck, daß alle von dieser Steuerreform profitieren könnten. Wer heute keine Steuer zahlt, diese 31 Prozent, wird sie auch in Zukunft nicht zahlen müssen. Dies darzustellen ist, glaube ich, wichtig.
Nein, dies ist ein klassisches Beispiel der Volksverdummung.
Darum habe ich vorhin Sozialneid als Stichwort genannt.
Sie stehlen sich aus der Verantwortung. Sie gaukeln den Bürgern vor, es gehe auch ohne nachhaltige Einsparungen. Dies wird nicht gehen.
Theo Waigel hat darauf hingewiesen: Die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft und der damit einhergehende, schneller werdende Strukturwandel verunsichern die Menschen bei uns in Deutschland. Sie fragen sich zu Recht, ob Deutschland diesem zunehmenden internationalen Standortwettbewerb gewachsen ist oder ob wir eine weiter steigende Arbeitslosigkeit zu befürchten haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?
Ich würde ganz gerne, Herr Präsident, im Zusammenhang vortragen.
Zur Bewältigung dieser Probleme schlägt der SPD- Vorsitzende Lafontaine vor, den Standortwettbewerb durch internationale Kooperation - so nennt er es -, durch Angleichung von Sozialstandards zu vermeiden. Diesen Vorschlag anzunehmen würde bedeuten, das Heil in der Flucht zu suchen. Ein Staatenkartell gegen den Staatenwettbewerb und hohe internationale Sozialstandards gegen die Erosion des Sozialen können und werden nicht die Lösung bringen. Er läuft hier in eine Sackgasse.
Daß dies nicht nur meine und unsere Meinung ist, möchte ich an Hand eines Zitats belegen. Der von mir geschätzte SPD-Kollege Siegmar Mosdorf hat nach einem Bericht des „Handelsblattes" vom 2. September 1996 - ich möchte ihn zitieren - wie folgt dazu Stellung genommen:
... hegt Zweifel, ob das Lafontainesche Kooperationsmodell nicht schon an der ersten Hürde der Europäischen Union scheitert. Es sei „problematisch", von internationaler Zusammenarbeit zu sprechen, wenn sie noch nicht einmal in der EU funktioniere, so Mosdorf.
Respekt, die Analyse trifft zu. Ich kann dem nichts hinzufügen.
- Verehrte Frau Kollegin, Sie alle wissen, wie lange es gedauert hat, die europäische Sozialcharta im Rahmen der Europäischen Union zum Tragen zu bringen. Was ist das Ergebnis der europäischen Sozialcharta? Es werden eine ganze Reihe von sozialen
Hans-Peter Repnik
Sicherheiten auf niedrigstem Niveau festgeschrieben, und zwar auf einem solchen Niveau, daß auch die strukturschwächeren Mitgliedstaaten diese Forderungen erfüllen können.
Wenn wir dem Lafontaineschen Gedanken folgen, dann müssen auch wir uns als Bundesrepublik Deutschland, international abgeglichen, auf dieses Niveau begeben. Auf dieses niedrige Niveau wollen wir uns allerdings nicht begeben; das ist richtig.
Vielleicht akzeptieren Sie einen Hinweis des renommierten Ökonomen Herbert Giersch. Er formulierte wie folgt:
Die Weltwirtschaft ist zu groß, als daß sie sich derart einbinden ließe.
Glauben Sie etwa ernsthaft, daß sich die zahlreichen Billiglohnländer zu einer der unsrigen vergleichbaren Sozialpolitik zwingen lassen, die viel Geld kostet und ihre Produkte verteuert, nur damit unsere Probleme so möglicherweise gelöst werden? Das ist doch ein Irrglaube. Auf welchem Planeten leben Sie eigentlich?
Nein, wir haben keine Alternative. Wir müssen den Standortwettbewerb annehmen und Deutschland wieder attraktiver machen. Die Rahmenbedingungen für Unternehmen und Bürger müssen verbessert werden; dann haben wir auch wieder den wirtschaftlichen Erfolg.
Es ist heute morgen einiges über öffentliche Investitionen gesagt worden. Allen voran standen die öffentlichen Infrastrukturinvestitionen. Sie sind für unsere Volkswirtschaft wichtig. Das steht außer Frage. Theo Waigel hat die Zahlen genannt, und wir haben gerade im Haushalt darauf geachtet. Aber - auch das muß gesagt werden - man darf ihre quantitative Bedeutung für die konjunkturelle Entwicklung nicht überschätzen.
Wir wissen: Im langjährigen Schnitt entfallen nur 10 Prozent aller volkswirtschaftlichen Investitionen auf den Staat, 90 Prozent dagegen auf Unternehmen. Gerade deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, die Dynamik der privaten Investitionen dadurch zu verbessern, daß wir die Rahmenbedingungen des Standortes Deutschland verbessern, auch und gerade für ausländische Investitionen.
Wir brauchen mehr Freiräume für die Beschäftigungsdynamik. Die Flexibilität der Märkte muß erhöht werden. Dazu ist es unabwendbar, die Staatsausgaben und die Belastungen durch Steuern und Abgaben gleichermaßen zurückzuführen. Der schlanke Staat, der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert, muß die Realität werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, entschlossenes Handeln ist notwendiger denn je. Zögern und Zaudern heute läßt unsere wirtschaftlichen Probleme nur größer werden und erfordert zukünftig um so stärkere, schmerzhaftere korrigierende Eingriffe, damit Deutschland im internationalen Standortwettbewerb wieder konkurrenzfähiger wird.
Daß dies nicht nur unsere Erkenntnis ist, ist ebenfalls deutlich gemacht worden. Dort, wo Sozialdemokraten in der Regierung stehen, handeln sie doch gleich. Österreich - wir haben es gesagt -, Schweden, die Niederlande, Felipe González in Spanien, solange er an der Regierung war, haben reagiert und Strukturreformen im Sozialsystem und auf den Arbeitsmärkten eingeleitet. Konsolidierung ist Pflicht. Daß die OECD uns dabei den Rat auf den Weg gibt: „Die Finanzpolitik könnte an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn die eingeleiteten Maßnahmen nicht voll umgesetzt werden", sollte uns ebenfalls ermutigen, den von Theo Waigel vorgeschlagenen Weg weiter zu beschreiten.
Frau Kollegin Matthäus-Maier hat einen, wie ich finde, nicht nur gewagten, sondern auch unzulässigen Vergleich angestellt, indem sie die Arbeitslosenzahlen zu Zeiten des Bundeskanzlers Helmut Schmidt mit den Arbeitslosenzahlen von heute, zu Zeiten des Bundeskanzlers Helmut Kohl, verglichen hat. Frau Matthäus-Maier, ist Ihnen eigentlich entgangen, daß nach der Erblast, die wir von Ihnen übernommen haben, nur durch ein ganz konsequentes Konsolidieren in den Jahren 1983 ff. Wachstum möglich war, Steuerentlastung möglich war und mit dieser Politik unter der Führung von Helmut Kohl netto 3 Millionen neue Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen wurden? Dies ist der Ertrag der Politik von Helmut Kohl.
Ich füge noch eines hinzu - deshalb halte ich diesen Vergleich für unzulässig -: In einer Zeit, in der wir die Herausforderungen der Wiedervereinigung, die Hinterlassenschaft der Sozialisten in der ehemaligen DDR aufzuarbeiten haben, in der Millionen von Aussiedlern aus Rußland, Kasachstan, Rumänien, Ungarn und Polen zu uns gekommen sind - alles Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt, dem Wohnungsmarkt nachgefragt haben -, machen Sie uns Vorhaltungen. Wenn die Politik von Helmut Kohl, Gerhard Stoltenberg und Theo Waigel in jenen Jahren nicht konsequent mit dieser Koalition umgesetzt worden wäre, wären wir nicht in der Lage gewesen, die besonderen Herausforderungen der Wiedervereinigung so zu schultern, wie es uns gelungen ist.
Deshalb werden wir den Weg konsequent fortsetzen, den wir in den 80er Jahren beschritten haben. Wir werden übrigens auch vom Internationalen Währungsfonds auf diesem Weg nachhaltig unterstützt. Ich möchte gern die Länder aufrufen, sich hieran zu beteiligen. Es wird viel von der Einhaltung der Kriterien von Maastricht gesprochen, und es wird gelegentlich der Eindruck erweckt, daß es ausschließlich auf Theo Waigel und den Bundeshaushalt ankomme. Die Länder tragen aber, weil die Länderhaushalte in die Gesamtrechnung einfließen, ebenso Anteil
Hans-Peter Repnik
daran, daß wir die Kriterien von Maastricht erfüllen oder nicht.
Ich nenne zwei Bundesländer, zwei SPD-Hoffnungsträger: als erstes Niedersachsen mit Herrn Schröder als Ministerpräsidenten. Die Nettokreditaufnahme Niedersachsens liegt um rund 60 Prozent über dem Durchschnitt der Flächenländer. Der Haushalt 1995 des Landes Niedersachsen verstößt wegen übermäßiger Verschuldung laut Landesrechnungshof gegen die Verfassung und liegt beim Staatsgerichtshof.
Dies ist sozialdemokratische Finanzpolitik. Vom Saarland will ich gar nicht sprechen, das nach wie vor ausschließlich deshalb überleben kann, weil Theo Waigel jedes Jahr einen ansehnlichen Betrag überweist.
Im Gegensatz dazu ist der Bundeshaushalt 1997 von deutlich kurz- und mittelfristig wirkenden Einsparanstrengungen geprägt. Deshalb möchte ich mich im Namen meiner Fraktion bei Theo Waigel für diesen Haushalt herzlich bedanken.
In einer außergewöhnlichen Zeit mit einer außergewöhnlichen Herausforderung hat er gute Arbeit geleistet und zum Beispiel auch das Konsolidierungsvolumen von 25 Milliarden DM aus unserem Wachstums- und Beschäftigungsprogramm im Haushalt bereits umgesetzt.
Daß es gewisse Risiken gibt, darauf hat Theo Waigel selber hingewiesen. Nur, Herr Kollege Scharping, wer von Luftbuchungen und von Lügen spricht, wie Sie es getan haben
- er hat das in einem „dpa"-Interview vom 9. Juli getan -, der wirft polemische Nebelkerzen und hofft, auf diese Weise die eigene Blockadepolitik vertuschen zu können. Das eigentliche Risiko, Herr Kollege Scharping, für den Standort Deutschland ist nicht der Haushalt 1997, das eigentliche Risiko ist
die Obstruktionspolitik der SPD in den vergangenen Monaten und auch jetzt ganz konkret.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will auf ein anderes Risiko eingehen. Das konjunkturelle Risiko hat Theo Waigel beschrieben. Ich möchte dieses andere Risiko als ein politisches Risiko bezeichnen.
- Das möchte ich jetzt gerade begründen.
Ein Teil der Zahlen in dem Bundeshaushalt 1997 basiert auf Maßnahmen, die derzeit noch in der politischen Beratung sind. Das ist wohl wahr. Frau Matthäus-Maier hat einiges dazu gesagt.
Hierzu zählen neben ausgabewirksamen Maßnahmen, wie beispielsweise die Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, die gesetzliche Übertragung der Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf Beamte oder das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsergänzungsgesetz , die Verschiebung der Kindergelderhöhung und der Erhöhung des Existenzminimums um ein Jahr.
- Auch darauf komme ich zu sprechen, wenn ich die Zeit dafür noch habe.
Ich will Sie mit zwei Zahlen konfrontieren. Wenn Sie sich nur ein bißchen der Haushaltssituation der Länder annehmen würden und sich einmal die Haushalte der Kommunen ansähen, dann hätten Sie Verständnis dafür, daß wir sagen: Die Erhöhung des Kindergeldes soll um ein Jahr verschoben werden. Wir wollen sie nicht kappen, wir wollen sie nicht streichen. Wir wollen sie vielmehr um ein Jahr verschieben.
Was hätte das für Konsequenzen? Das hätte zur Konsequenz, daß der Bundeshaushalt um rund 2,4 Milliarden DM entlastet würde und die Länder und die Kommunen eine Entlastung von 2,9 Milliarden DM erfahren würden. Reden Sie einmal mit Ihren Ministerpräsidenten, mit Ihren Finanzministern, mit Ihren Kämmerern und Oberbürgermeistern. Die denken doch nicht anders als wir.
Dies, Herr Kollege Scharping, habe ich vorhin als politisches Risiko bezeichnet.
Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, daß die Länder die Notwendigkeit von Einsparungen im Grundsatz ähnlich sehen wie wir. Insofern bin ich zuversichtlich, daß wir die Bundesländer in den anstehenden Verhandlungen von der Richtigkeit unserer Maßnahmen überzeugen können.
Herr Kollege Diller, ich habe mir, als ich eine „dpa"-Meldung über Sie gelesen habe, überlegt, was eigentlich eine Steigerung von Chuzpe ist.
Ich bin zu keinem Ergebnis gekommen. Sie sagen in
ein und derselben Aussage auf der einen Seite, daß
Hans-Peter Repnik
entsprechende Etatlöcher 1997 vorhanden seien, um auf der anderen Seite gleichzeitig nicht nur einzugestehen, sondern sogar damit zu kokettieren, daß Sie mit Ihrem Blockadeverhalten im Bundesrat dies mitbewirkt hätten. Dazu stehen Sie.
- Lesen Sie die ,,dpa"-Meldung vom 4. September 1996 nach. Sie ist wenige Tage alt, fast noch druckfrisch. Dort steht es. Dies ist kein verantwortungsbewußtes Handeln.
Jetzt möchte ich noch auf die Ausführungen der Kollegin Matthäus-Maier eingehen. Leider Gottes wird die Debatte jetzt nicht mehr im Fernsehen übertragen. Es wäre von Interesse, den Bürgern einmal deutlich zu machen, wie Sie versuchen, die Menschen hinters Licht zu führen.
Sie haben hier die Themen Überstunden, Teilzeit, Lohnnebenkosten und Kündigungsschutz angesprochen und gesagt, wir würden zur Lösung dieser Probleme nichts unternehmen.
Das sind alles Themen, die im Programm für Wachstum und Beschäftigung enthalten sind,
oder Themen, die von unserem Gesundheitsminister Seehofer bereits aufgegriffen worden sind.
Gestatten Sie mir, Herr Präsident, noch eine Minute Redezeit. Ich möchte dieses Thema schon noch gerne zu Ende bringen.
Die Zeit haben Sie, Herr Kollege.
Verehrte Frau Matthäus-Maier, Stichwort Überstunden: Sie wissen ganz genau, daß die neugeschaffenen Arbeitsplätze
- in den vergangenen zwei Jahren 1,3 Millionen netto - fast ausschließlich im Handwerk und im Mittelstand angesiedelt waren, nicht in den Großbetrieben. Welche Konsequenzen haben wir daraus gezogen?
Wir wissen: Nicht zuletzt im Bau- und im Ausbaugewerbe gab es relativ hohe Auftragsbestände; aber sie sind meistens nur kurzfristiger Art; sie reichen für zwei bis drei Monate. Wenn ein Handwerker mit fünf Arbeitskräften einen Auftrag für acht bekam, dann
hat er, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, daß ihm seine Aufträge wegbrechen oder er mit einem Sozialplan die Leute entlassen muß - was ihm aber nicht so wie VW und anderen möglich ist -, in der Regel mit Überstunden reagiert.
Wir haben daraufhin gesagt: Diese. Leute sollen die Chance haben, flexibler zu reagieren. Wir haben die Befristungen neu geregelt, wir haben den Kündigungsschutz neu geregelt, und wir haben im Zusammenhang mit den Lohnnebenkosten eine Reihe von Vorschlägen eingebracht. Alle diese Vorschläge haben Sie konsequent abgelehnt.
Herr Lafontaine, Ihr Parteivorsitzender, hat gesagt: Wir stimmen, und zwar ohne Wenn und Aber, diesem Programm nicht zu.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein letzter Hinweis: Vermögensteuer.
- Ja, nach Ihrer Rede gäbe es noch einiges zu sagen. - Sie erwecken hier den Eindruck, als ob wir die Reichen einmal mehr zu Lasten der Armen entlasten wollten.
Tatsache ist folgendes: Unsere Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland sind von einer Steuer- und Abgabenlast überzogen, die im internationalen Vergleich im Spitzenbereich liegt.
Dies hat doch etwas mit der Konkurrenzfähigkeit zu tun. Deshalb haben wir gesagt: Eine Steuer wie die Vermögensteuer, die einseitig die Unternehmen belastet - es geht um die betriebliche Vermögensteuer -, werden wir abschaffen, um den Betrieben Spielräume für Investitionen und damit zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu eröffnen. Dies ist doch der richtige Weg.
Ich hatte gedacht, Sie hätten aus den Erfahrungen der vergangenen Monate gelernt. Wenn ich mich aber mit dem Programm zur Steuerreform, das Sie in der letzten Woche vorgestellt haben, auseinandersetze, stelle ich nur eins fest: Es gibt einmal mehr nur eine einseitige Belastung der Unternehmen.
- Herr Kollege Scharping, wenn wir Ihr Steuerreformprogramm konsequent durchrechnen, erkennen
Hans-Peter Repnik
wir, daß das zu einer einseitigen Belastung der Unternehmen führt
- egal, wie Sie das rechnen. - Die Unternehmen fahren damit schlechter. Einmal mehr verschlechtern Sie damit die Standortbedingungen Deutschlands, mit der Konsequenz der Schwierigkeiten für den Arbeitsmarkt.
Wir, die Koalition - dies möchte ich zum Schluß sagen -, haben mit dem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung, den daraus resultierenden Spargesetzen und dem Jahressteuergesetz 1997 alle Anstrengungen unternommen, um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland deutlich zu verbessern. Dabei geht es nicht nur um kurzfristige Haushaltskonsolidierung; es geht um die Zukunftsfähigkeit für die künftigen Generationen.
Jetzt müssen Sie, die Opposition, Farbe bekennen. Wenn Sie Ihre Blockadepolitik nicht beenden, dann werden Sie erneut für niedrige Investitionen, für niedriges Wachstum und daraus resultierend weiterhin hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich sein.
Vielleicht zähle ich zu den unverbesserlichen Optimisten. Aber ich baue auf Ihre ökonomische Vernunft und auf Ihre Bereitschaft, gesamtstaatliche Verantwortung in der Opposition auch im Bundesrat wahrzunehmen. Dazu fordere ich Sie im Interesse Deutschlands und unserer künftigen Generationen herzlich auf.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Oswald Metzger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Theo Waigel hat heute in seiner Rede das Wort „Haushalt der Verantwortung" meines Erachtens zu Recht gemieden, das Sie, Herr Repnik, gerade ebendiesem Bundeshaushalt attestiert haben. Denn wie sollte er auch von einem Haushalt der Verantwortung reden, wenn selbst die Haushälter der Koalition, die Kollegen Weng und Roth, gestern der Presse gegenüber erklärt haben, wo die Risiken des Jahres 1997 liegen und daß praktisch Nachbesserungen im Sparkonzept erforderlich sind, wenn die Nullstellung der Überweisungen an die Bundesanstalt für Arbeit überhaupt durchgesetzt werden kann? Welch ein Armutszeugnis zu Beginn einer Haushaltsdebatte, wenn die eigene Koalition ihrem Finanzminister schon signalisiert, daß seine finanzpolitischen Rahmenbedingungen im Prinzip unseriös sind.
Schauen wir uns einmal an, vor welchem Problem diese Regierung steht: Sie hat 1996 - heute von dem Finanzminister auch im Parlament erstmalig eingeräumt - ein zusätzliches Defizit von 10 Milliarden DM eingefahren. Sie wird dieses Jahr, genauso wie letztes Jahr, das Defizitkriterium von Maastricht um einen halben Prozentpunkt verfehlen, und sie wird im Referenzjahr 1997 alles tun, um ihre Politik dieser Zielsetzung unterzuordnen. Vor dem Hintergrund ist jegliche Argumentation des Finanzministers, die darauf hinausläuft zu sagen, die Opposition blockiert im Bundesrat nötige Konsolidierungserfolge, ein Stück Lug und Trug.
Er hat das Wort von der originären Arbeitslosenhilfe verwandt und gesagt, ihre Einführung sei im Bundesrat gescheitert. Was, bitte schön, korrigiert die originäre Arbeitslosenhilfe, gesamtstaatlich gesehen, am Defizit? Wenn sie wegfällt - das sind 600 Millionen DM im Jahr -, dann zahlen doch die kommunalen Sozialhilfeträger diese Aufwendungen. Die höheren Ausgaben für Sozialhilfe vergrößern die kommunalen Defizite, was wieder in die gesamtstaatliche Defizitbilanz einfließt. Das ist doch die Wahrheit; das muß man seriöserweise auch so formulieren.
Der Finanzminister erträgt anscheinend die Aufzählung dieser Fakten nicht.
- Ich korrigiere mich; ich habe das Signal nicht gesehen. Auch ein Finanzminister muß einmal.
Wenn wir die fiskalpolitische Verantwortung anmahnen und sehen, daß diese Regierung auch für das nächste Jahr ein Wirtschaftswachstum unterstellt, das nach menschlichem Ermessen nicht eintreten wird, und wenn ich daran erinnere, daß im September des letzten Jahres während der ersten Lesung des Haushalts 1996 dieser Finanzminister noch von Wachstum geredet hat - was dann bereits zwei Monate später vor der dritten Lesung mit dem Waigel-Wisch korrigiert werden mußte -, so kann ich im gesamtstaatlichen Interesse, zu dem sich auch eine Opposition bekennen muß, nur hoffen, daß hier das Prinzip Hoffnung nicht wieder wie im letzten Jahr auf Sand gebaut ist.
Dieser Haushalt hat keine Knautschzone mehr. Dies war eine Leitaussage der Grünen in der Haushaltsdebatte im Jahr 1995. Es ist in der Tat so: Jede konjunkturelle Delle, jede sogenannte Wachstumspause führt dazu, daß wir gesamtstaatlich gesehen unter einen Konsolidierungsdruck geraten, der jetzt wiederum dazu führt, daß die Regierung und die rechte Seite des Hauses versuchen, ihr Sparkonzept diese Woche durchzuziehen. Ein Sparkonzept, von dem man sagen muß: Ausgabenkonsolidierung gehört vom Grundprinzip her auch in die Zeit der knappen Kassen, aus denen allein in diesem Jahr jede vierte Steuermark zur Begleichung der Schuldenlast dieser Regierung aufgewendet wird.
Oswald Metzger
Wenn man aber an die gesamtstaatliche Solidarität appelliert und ein solches finanzpolitisches Programm zur Debatte stellt, dann kann es doch nicht angehen, daß man die eigenen Sparziele diskreditiert, indem man die gesellschaftliche Lastenverteilung einseitig orientiert. Ich richte hier deutlich an die Adresse der Regierung folgenden Vorwurf: Es ist ein strategischer Fehlgriff sondergleichen, daß Sie den kleinen Leuten und den Familien dieser Republik die Lasten aufbürden, aber die Vermögensteuer abschaffen wollen. Er wird Ihnen die Unterstützung der Bevölkerung vermasseln, die dieses Programm mittragen muß, wenn es tatsächlich greifen soll.
Gesamtgesellschaftliche Konsolidierung heißt natürlich auch, daß alle staatlichen Ebenen ihre Aufgaben erfüllen müssen. Aber wie können Sie erwarten, daß angesichts des Ritus „Regierung macht einen Vorschlag; Opposition reagiert wie Pawlows Hund" eine seriöse Diskussion möglich wird, wenn alle Vorschläge darauf abzielen, den Bundesländern in ihrer strategischen Finanzplanung weh zu tun? Wie können Sie von einem Partner Verhandlungsbereitschaft erwarten, den Sie mit Ihren Konzepten buchstäblich an die Wand zu drücken versuchen? Dann können Sie doch nicht von Blockade reden. Sie könnten von Blockade nur dann reden, wenn Ihre Konzepte tatsächlich auch einen gesamtstaatlichen Ansatz hätten und Sie die Kostenbelastungen der Kommunen und der Bundesländer einbeziehen würden.
Ich nenne nur ein Stichwort: Versorgungsbericht.
Minister Kanther ist seit gut zwei Jahren im Verzug, dem Parlamentsauftrag zu folgen und diesen Versorgungsbericht vorzulegen. Er hat noch im Juni per Telefonat persönlich allen Berichterstattern seines Ressorts, des Innenministeriums - ich gehöre dazu -, gesagt: Vor der ersten Lesung des Bundeshaushalts 1997 wird dieser Bericht öffentlich vorliegen.
Der Bericht liegt nicht vor.
Wenn er vorläge, würde man aus diesem Bericht den lawinenartigen Anstieg der Kostenbelastung im Versorgungsbereich ersehen. Dieser Versorgungsbericht wäre aber auch ein Beispiel dafür, daß sich bei den Bundesländern - entgegen des Finanzministers Argumentation - die Schere zwischen Einnahmenentwicklung und zusätzlichen Kostenbelastungen im Bereich der Versorgung, beispielsweise bei den Beamtenpensionen für Polizeidienst, Lehrer und Justizapparat, immer weiter öffnet, und zwar in einem Ausmaß, das weit über dem des Bundes liegt.
Auch das ist eine Wahrheit. Diese Wahrheit könnte man hier im Parlament durchaus ansprechen, weil alle Parlamentsfraktionen in Landesregierungen in Regierungsverantwortung stehen. Diesen Zusammenhang erwähnt hier niemand. Vor diesem Zusammenhang muß dieses Parlament, muß die Politik in dieser Republik aber durchaus bestehen und dafür Konzepte entwickeln.
Da sagen wir als grüne Fraktion zum Beispiel, die auch im Bereich der Beamten durchaus nicht unerhebliche Wählerschichten hat: Wir müssen in der Beamtenversorgung konsolidieren. Hinsichtlich der Ministerialzulage besteht wohl Konsens. Aber was ist mit der 13. Monatspension? Ist es gerechtfertigt, daß die Gruppe der Versorgungsempfänger 13 Monatspensionen bekommt, während die Arbeiter und Angestellten, die ihre Rentenansprüche mit eigenen Beiträgen erarbeitet haben, nur 12 Monatsrenten bekommen?
Diese Konsolidierungsmaßnahme würde - nur, um einmal ein gesamtstaatliches Volumen zu beziffern - auf allen staatlichen Ebenen 4,5 Milliarden DM ausmachen und allein dem Bund 1997 1,3 Milliarden DM Entlastung bringen. Das ist ein konkretes Wort. Ich sage das so deutlich, damit von der Regierungsseite nicht reflektorisch die Aussage kommt: Ihr Grünen gebt nur ständig mehr Geld aus, von euch kommen keine Konsolidierungsvorschläge.
Oder wer thematisiert denn das Thema Lohnnebenkosten? Eigentlich alle. Aber von der Regierung sehe ich nur folgendes: Der Finanzminister hat eine meines Erachtens richtige Philosophie entwickelt, nämlich symmetrische Finanzpolitik, das heißt Ausgabenreduktion und gleichzeitig Senkung der Steuer- und Abgabenquote. Dieses Ziel wird zwar ständig betont, aber in der Praxis doch jedesmal weitgehend verfehlt. Der Anstieg der Lohnnebenkosten ist in keinster Weise gebremst. Wir hatten dieses Jahr einen Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge, und wir haben jetzt die Pflegeversicherung. Wir werden auch nächstes Jahr einen Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge haben. Damit steigen die Lohnnebenkosten, die den Faktor Arbeit belasten und Arbeitsplätze kosten. Aber wir haben gleichzeitig nicht Schuldenabbau betrieben, sondern häufen dieses Jahr mindestens 70 Milliarden DM, vielleicht auch 75 Milliarden DM und nach Plan des Finanzministers im nächsten Jahr wiederum 57 Milliarden DM zusätzliche Schulden an, wobei man annehmen kann, daß auch diese Zahl nicht eingehalten werden kann.
Was nützt mir also eine richtig erkannte Philosophie, wenn sie in der praktischen Politik nicht umgesetzt wird? Gar nichts. Mich regt ein Stück weit auf, daß diese Redlichkeit, die angesichts der Problemstellung in dieser Gesellschaft nötig wäre, hier kaputtgeredet wird.
Oswald Metzger
Kollege Repnik - ich sehe ihn gerade nicht - hat vorhin davon gesprochen, daß es ein feines Sensorium in der Bevölkerung, und zwar quer durch die sozialen Schichten, dafür gibt, daß es in dieser Gesellschaft so nicht weitergeht und daß ein Stück weit eine Veränderung angesagt ist. Aber dieses Sensorium der Bevölkerung, tatsächlich an den Veränderungen des Systems mitzuwirken, auch im Bereich der Alterssicherung oder bei der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme insgesamt - was nicht nur Umbau heißt, sondern in Teilbereichen manchmal auch Abbau -, geht doch verloren, wenn es eine soziale Schieflage gibt, wenn nicht von solidarischem Sparen die Rede ist, sondern eine Lastenverteilung zuungunsten der Klientelen stattfindet, von denen die Regierung annimmt, daß sie als Wähler eher auf der Oppositionsseite als auf der Regierungsseite angesiedelt sind.
Wenn Sie das anders sähen, müßten Sie eine viel offensivere Rentendebatte führen. Die CDU/CSU kann sich aber ganz stark auf die Wählerklientel der Rentnerinnen und Rentner stützen. Darum werden die jetzigen Rentenbezieher ein Stück weit geschont. Aber die Generation, die beispielsweise in unserer Wählerschaft sehr stark vertreten ist und heute mit ihren Beiträgen die Lasten der jetzigen Rentenversorgung trägt, weiß genau, daß ihr Versorgungssystem im Alter mit Sicherheit nicht mehr auf diesem Level liegt. Diese Generation, die eine hohe Steuerbelastung hat, wird dabei schlichtweg vergessen. Das ist Klientelpolitik eines Parlaments im schlechtesten Sinn.
An die Adresse der F.D.P. möchte ich in dem Zusammenhang sagen: Nicht jeder Stein, den Ihr Generalsekretär nach dem von Waigel gestern im „Focus" -Interview aufgestellten Motto „Westerwelle macht Wind" ins Wasser wirft, löst Ringe aus, die tatsächlich reele Auswirkungen zeigen. Wenn die F.D.P. sich als Steuersenkungspartei verkaufen und den Solidaritätszuschlag abschaffen will - und die Koalition folgt ja dem Druck des kleineren Koalitionspartners -, dann möchte ich wissen, wie man einem vernünftigen Menschen in dieser Republik klarmachen kann, daß man auf die im Rahmen des noch geltenden mittelfristigen Finanzplans bis 1999 eingestellten rund 40 Milliarden DM Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag verzichten will und gleichzeitig für die Gutsituierten eine durch Mehrwertsteuererhöhung gegenfinanzierte Einkommensteuersenkung finanzieren will. Das geht doch nicht auf. Da werden Löcher in den Haushalt gerissen, die die angebotsorientierteste Politik, die dann auf Wachstum und Beschäftigung setzt - Sie unterstellen ja, daß dieser Zusammenhang besteht -, nie und nimmer durch Steuermehreinnahmen wettmachen kann. Das ist Unglaubwürdigkeit in Potenz; das ist unseriös; das sind Sprechblasen. Ich glaube, daß Ihnen das mittelfristig auch niemand abnehmen wird.
- Dieses Prinzip, Kollege Haussmann, können Sie nur durchhalten, wenn Sie darauf bestehen, als Steuersenkungspartei in den Wahlkampf 1998 zu gehen.
Die Wähler, die ein kurzes Gedächtnis haben, werden dann erst im Nachgang bemerken, daß Ihre Rechnung nicht aufgeht, aber Sie haben vielleicht 1 oder 2 Prozent der Wähler für dumm verkauft oder diese als bewußte Wähler, die wissen, daß Sie an die Klientel der Gutsituierten denken, in die Scheune gefahren. Gesamtstaatliche Verantwortung ist so etwas aber nicht. Gesamtstaatliche Verantwortung heißt, den Leuten auch zu sagen, daß die Richtung nicht stimmt.
Ich habe vorhin die Lohnnebenkosten angesprochen. Es diskutiert in diesem Parlament niemand mehr, außer den Grünen und heute der Kollegin Matthäus-Maier, über eine ökologische Steuerreform, weil jeder Mensch zur Zeit bei Steuern automatisch auf Grund der Erfahrungen mit dem Gemeinwesen an Erhöhungen denkt. Ich sage Ihnen aber: Wenn Sie das Verhältnis von indirekten zu direkten Steuern auch strategisch ausbalancieren wollen, denken Sie dabei immer automatisch an die Mehrwertsteuer, die als Konsumsteuer unterdurchschnittliche Einkommen auf jeden Fall stärker belastet. Wenn Sie die Mehrwertsteuererhöhung zur Refinanzierung - der Kanzler hat es ja selber im Sommer in einem Anfall von politischer Dummheit gesagt - einsetzen, führt das dazu, daß Sie den kleinen Einkommen Steuerentlastungen zugunsten Gutsituierter als Gegenfinanzierung wegnehmen und keine Lenkungswirkung für die Wirtschaftspolitik haben. Mit einer Ökosteuer, die Ressourcenverbrauch besteuert und vom steuertechnischen Prinzip her ebenfalls eine Verbrauchsteuer ist, hätten Sie die Möglichkeit, das Aufkommen für die Senkung der Lohnnebenkosten einzusetzen.
Es wäre doch ein Wort, wenn man, wie die Kollegin Matthäus-Maier mit ihrem Beispiel einer Frau, die 5 300 DM brutto verdient, sagen könnte: Du bekommst angesichts 19,2 Prozent Rentenversicherungsbeitrag - nächstes Jahr schätzungsweise 19,9 Prozent, wenn nicht über 20 Prozent - und 6,5 Prozent Arbeitslosenversicherungsbeitrag 2 bis 3 Prozent von deinem Bruttoeinkommen weniger abgezogen. - Das wäre ein Wort. Gleichzeitig hätten wir damit eine Lenkungswirkung, indem tatsächlich die Kosten, die durch unökologisches Verhalten in dieser Gesellschaft entstehen, in Vorsorgemaßnahmen investiert werden könnten. Das würde Produktivkräfte freisetzen, die nötig wären. Das würde den Faktor Arbeit mehr entlasten als eine schmalbrüstige Senkung der Vermögensteuer um 8 Milliarden DM.
Noch ein anderes Stichwort zum Thema Verantwortung dieser Regierung: Verteidigung. Ich möchte jetzt nicht Beschaffungsvorhaben wie den Eurofighter ansprechen - Sie lachen ja im Reflex auch, wenn Kollegin Matthäus-Maier ihren Running Gag der
Oswald Metzger
letzten Jahre, den Jäger 90, immer wieder verwendet. Aber in der Sache verhält es sich eindeutig so, daß diese Regierung, auch der Verteidigungsminister, sich weigert, eine Debatte über die Personalstruktur zu führen. Sie, selbst die Verteidigungspolitiker unter Ihnen, werden angesichts der Defizite der öffentlichen Haushalte bei einem 340 000 Mann starken Heer und den entsprechenden Zivilbeschäftigten nie Ihre Beschaffungsvorhaben finanzieren können. Sie müssen eine Debatte über die Wehrpflicht in dieser Gesellschaft führen. Wenn Sie dies nicht wollen, müssen Sie zumindest über eine Absenkung der Personalstärke - 40 000 oder 50 000 Mann weniger - reden. Denn sonst kommen Sie mit dem abgesenkten Plafonds des Verteidigungshaushalts nicht hin. Diese Debatte aber führt in der Regierung niemand.
Ich habe jetzt bewußt ein Beispiel gewählt, das für die Grünen nicht typisch ist, um auf dieser Ebene einen Zugang zu erreichen. Verantwortung heißt, die Risiken der Zukunft zu benennen und darauf zu reagieren.
Insofern, Herr Minister Rüttgers, der Sie als Zukunftsminister einst mit Vorschußlorbeeren gestartet sind, ist die Absenkung des Volumens Ihres Ressorts - wenn man sich bemüht, die Einsparungen nach Titeln zu untersuchen, machen Sie daraus eine Erhöhung der Zukunftstitel; andere machen das nicht - ein Beispiel für die Verantwortungslosigkeit dieser Regierung an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend. Sie kürzen die Vorsorgeaufwendungen des Bundeshaushalts für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie oder stellen die Weichen für Technologien, die keine Beschäftigungs- und Zukunftsperspektiven eröffnen.
Noch eine Aussage zum Thema Steuerreform. Ein Stück weit habe ich als Haushaltspolitiker die Sorge, daß vor lauter Diskussion um die notwendige Steuerreform mit Tarifabsenkung und Verbreiterung der Bemessungsgrundlage - für mich ist es übrigens ein Treppenwitz, daß ausgerechnet der Finanzminister, der das Bareis-Gutachten vor zwei Jahren in den Papierkorb geworfen hat, jetzt Vorsitzender einer Kommission der Regierung ist, die genau diese Vorschläge aufgreifen muß, weil sonst das Modell der Absenkung der Tarife nicht finanzierbar ist - vergessen wird, daß wir dadurch nicht alle Haushaltsprobleme lösen können. Im Gegenteil, diese Steuerreform wird, vor allem durch die Intention, die beispielsweise die F.D.P. hat, aber auch Herr Uldall in der Union, natürlich weitere Haushaltslöcher verursachen, die man dann entweder, wie es der Kanzler angedeutet hat, durch eine Mehrwertsteuererhöhung schließt oder die zu weiteren Defiziten im Haushalt führen.
Wer mir weismachen will, daß Wirtschaftswachstum im klassischen Sinne - durch mehr Steuereinnahmen - diese Defizite beseitigt, der täuscht sich gewaltig. Das Problem der gegenwärtigen wirtschafts- und finanzpolitischen Diskussion ist, daß wir alle uns nicht dessen bewußt sind, daß wir alle Karten spielen müssen. Wir dürfen nicht nur für ein gerechtes und unbürokratisches Steuerrecht plädieren, sondern müssen der Bevölkerung gleichzeitig sagen: Mit großen nominalen Steuersenkungen wird es nichts.
Theo Waigel selber hat, beispielsweise heute, zu Recht gesagt, die deutsche Vereinigung belaste zu einem Drittel die Zinsausgaben des Bundes. Wie will man aber in einer solchen Situation den Leuten sagen: Wir schaffen den Solidaritätszuschlag ab, lieber gestern als heute? Das ist doch nicht schlüssig.
Oder: Angesichts des globalen Wettbewerbsdrucks, den wir nicht wegdiskutieren können, ist die Produktivität in Deutschland relativ hoch, weswegen zu Recht behauptet wird - das Ifo-Institut hat dies klargelegt -, daß die Lohnstückkosten in Deutschland relativ niedrig sind. Aber: Die Lohnstückkosten orientieren sich immer nur an den Leuten, die beschäftigt sind. Die Arbeitslosen, die Ausgemusterten werden nicht mitgerechnet. Die Produktivität steigt natürlich in dem Ausmaße, wie Leute in die Beschäftigungslosigkeit abgedrängt werden. Vor diesem Hintergrund braucht die öffentliche Hand Geld.
Wie können wir vor dem Hintergrund dieser Herkulesaufgabe auf ein kleinkariertes Parteiengezänk ausweichen, angesichts dessen die Leute sich angewidert abwenden? Dies haben übrigens heute auch viele Kommentatoren getan. Sie haben gesagt: Der Bundestag beginnt am heutigen Dienstag seine rituelle Handlung; die Opposition sagt dies, die Regierung jenes.
Dieses Spiel wollen wir Grünen nicht mitmachen. Wir tun uns aber nicht leicht damit, weil wir über den Weg, durch eine Umverteilung im Steuerrecht soziale Gerechtigkeit zu erreichen, genauso streiten wie Sie in anderen Fraktionen. Wir wollen diesen Diskurs aber öffentlich organisieren. Ich muß allen, die die Hoffnung haben, daß durch eine höhere Belastung der oberen Einkommen gigantische Volumina bewegt werden, sagen: Diese Rechnung wird nicht aufgehen. Es ist einfach ein Faktum, daß bei 31 Millionen Steuerpflichtigen in Deutschland 1 Million Steuerpflichtige 38 Prozent des gesamten Steueraufkommens, 6 Millionen Steuerpflichtige ungefähr 34 Prozent und fast 50 Prozent der Steuerpflichtigen weniger als 8 Prozent des gesamten Steueraufkommens zahlen. Das muß man deutlich sagen, damit diese Diskussion reeller wird und wir hier nicht künstliche Feindbilder aufbauen.
Wenn die Zahlen auf dem Tisch liegen und auch gesagt wird, wo in der Gegenfinanzierung Subventionen im Steuerrecht abgeschafft werden, dann werden Sie merken: Diese Reform wird viele Gewinner und Verlierer haben, und zwar quer durch alle Einkommensgruppen. Es ist nun einmal so, daß zum Beispiel jemand, der sich in einer niedrigen Einkommensgruppe befindet und eine weite Entfernung zum Arbeitsplatz hat, von der Steuerermäßigung in Höhe von 70 Pfennig pro Entfernungskilometer für die Nutzung des Pkw überdurchschnittlich profitiert. Wenn Sie diese abschaffen und in eine ver-
Oswald Metzger
kehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale von 20 Pfennig pro Kilometer umwandeln, dann hätte der Staat zwar 3,2 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen, die Verteilungswirkung aber wäre außerordentlich undurchschaubar, weil man Gewinner und Verlierer nicht genau zuordnen kann. Deshalb müssen wir bei dieser steuerpolitischen Debatte aufpassen, daß wir der Bevölkerung nicht etwas vorgaukeln.
Ich wünsche der Debatte in dieser Woche, daß man bei der ersten Lesung des Haushalts - das betrifft auch die Fachpolitiker - ein Stück über die klassische Verteilung von rechts und links hinausgeht und versucht, angesichts der Probleme dieser Gesellschaft einen konstruktiven Dialog zu erreichen.
Vielen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Wolfgang Weng das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir ist es während der Vorrede nicht gelungen, irgendwelche grünen oder allgemeinen Konzepte zu entdecken. Es war vielleicht unterhaltsam. Wenn man aber weiß, daß Kollege Metzger auch in den eigenen Reihen für das, was er vor der Sommerpause angekündigt hat, überhaupt keine Unterstützung gefunden hat, braucht man sich nicht darüber zu wundern, daß er auch heute nicht mit konkreten Vorschlägen seiner Fraktion angetreten ist.
Die Beratung des Bundeshaushalts ist die Stunde des Parlaments.
Sie sollte eigentlich auch Stunde der Opposition sein. Die Opposition hat dies seit vielen Jahren nicht geleistet. Sie wird es auch heute nicht leisten, wie man an den seitherigen Reden feststellen kann.
Am Ende der Woche wird es zusätzlich darum gehen, daß die Koalition mit ihrer hier im Deutschen Bundestag leider knappen Mehrheit wesentliche Weichen für eine notwendige Zukunftspolitik stellt.
- Die F.D.P.-Fraktion, Herr Kollege Fischer, ist sich hier ihrer Verantwortung bewußt. Sie wird dieser Verantwortung gerecht werden.
Die SPD hat einen Antrag bezüglich einer Vertagung der Beratungen des Haushaltes vorgelegt und heute angesprochen, aber eigentlich nicht zur Diskussion gestellt. Wenn sie es mit diesem Antrag ernst meinen würde, hätten sie ihn hier eigentlich ernsthaft diskutieren müssen. Ihn am Freitag zu diskutieren, wenn die erste Lesung abgeschlossen ist, ist unsinnig.
Der Antrag ist aber auch sonst unnötig, weil wir ja im laufenden Haushaltsverfahren in der Lage sein werden, veränderten Rahmenbedingungen, die sich seit Erstellung des Regierungsentwurfs ergeben haben, Rechnung zu tragen. Deswegen reicht es aus, wenn wir das im Haushaltsverfahren tun. Wir werden diesen Antrag am kommenden Freitag ablehnen.
Meine Damen und Herren, die Bedeutung der Haushaltsdebatte wird durch eine gegenüber dem Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses veränderte Situation vergrößert. Sie wissen, daß sich die Wirtschafts- und Arbeitsmarktprognosen anders darstellen, als das vor der Sommerpause zu sehen war.
Die Arbeit des Parlaments wird durch ein gesamtpolitisches Verhalten der Sozialdemokraten erschwert, das auf Obstruktion ausgelegt ist. Mit dieser Meinung sind wir als F.D.P. nicht allein. Sie ist von anderen Rednern angesprochen worden. Wir werden die SPD und auch die Grünen aus dieser Verantwortung nicht entlassen. Wir werden sie mit dieser Verantwortung und Obstruktion konfrontieren, weil unsere Bürger das wissen müssen. Sie müssen es wissen, damit hier nicht wohlfeil mit der Verhaltensweise, die wir bei der Opposition erleben, ein Erfolg erzielt wird.
Anfang September hat das „Handelsblatt" unter der Schlagzeile „Obstruktionspolitik" geschrieben: Der SPD-Hinweis, Waigel habe bei den Sparvorschlägen eine Bringschuld, sei nur noch als grotesk zu bezeichnen. Die SPD beklage Etatlöcher, die sie selbst im laufenden Jahr ebenso wie mit Blick auf 1997 mit ihrer eigenen Blockadepolitik verursacht. - Gleichzeitig ist sie, wie wir wissen, bei weiteren Einsparungen nicht zur Mitwirkung bereit. Sie fordert wie immer Steuererhöhungen und Mehrausgaben. Ich bin sicher, das Papier, das Frau Matthäus-Maier dem Finanzminister überreicht hat, wird bei kurzer Prüfung zeigen, daß überhaupt nichts Neues, überhaupt nichts anderes drinsteht, daß es noch nicht einmal für die Ablage geeignet ist.
- Nicht einmal ein schönes Rot. Ein bißchen Gelb war drin. Das könnte man farblich positiv bewerten, aber inhaltlich wird es nicht so sein. Die Sozialisten denken einfach, wenn die Kuh keine Milch mehr gibt, muß man stärker am Euter zerren. Wir wollen der Kuh Futter geben.
Selbst die „Süddeutsche Zeitung" erklärt, daß die Risiken, die die SPD präsentiert, zwar nicht völlig aus
Dr. Wolfgang Weng
der Luft gegriffen seien, daß aber hierbei erneut die innere Zerrissenheit der Sozialdemokraten widergespiegelt werde. So ist also im Sinne eigener klarer Vorstellungen zur Lösung der Probleme von seiten der Opposition auch bei dieser Etatberatung leider nichts zu erwarten. Die Stunde der Opposition findet erneut nicht statt.
Ich sage das auch mit Blick auf die Grünen. Oswald Metzger hat massive Sparvorschläge seiner Fraktion angekündigt. Er wird in seiner Fraktion schon mit dem Beinamen „Oswald Graf Lambsdorff" bezeichnet. Aber von diesen Vorschlägen ist überhaupt nichts erschienen. Nach einigen unflätigen Bemerkungen aus den eigenen Reihen ist er abgetaucht und liegt wie der Hase mit angezogenen Ohren in der Furche.
Bei der Auseinandersetzung um die dritte politische Kraft in Deutschland erklärt der Sprecher der Grünen, Joseph Fischer, es werde beinhart zugehen. Seine Partei ist überhaupt keine politische Kraft. Seine Partei ist in wesentlichen inhaltlichen Punkten total gespalten. Die Grünen leben davon, daß ihre unterschiedlichen Positionen von einem Teil ihrer Wähler noch nicht erkannt werden. Dieses werden wir aber in der politischen Auseinandersetzung der nächsten Monate und Jahre weiter verdeutlichen.
Meine Damen und Herren, es kann natürlich nicht überraschen, daß die Mehrheit der Koalition im Deutschen Bundestag keine Unterstützung durch die Oppositionsfraktionen findet. Daß aber gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland und auch gegen die Interessen ihrer eigenen Bürger SPD-Ministerpräsidenten über den Bundesrat diese Blockadepolitik mitmachen, ist bestürzend. Ich wundere mich nicht über ein Land wie das Saarland, das unter einer SPD-Regierung, unter der Führung von Oskar Lafontaine total herabgewirtschaftet und konkursreif ist. Hier gilt das alte Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's gänzlich ungeniert. Was kümmert die dortige SPD die eigene Zahlungsunfähigkeit, wenn letztendlich der Bund nachher eintreten muß und ständig den saarländischen Haushalt finanzieren muß.
- Leider geht es nicht nur um den Länderfinanzausgleich, sondern in diesem Falle noch um zusätzliche Sonderzahlungen in erheblicher Höhe. Wahrscheinlich wäre selbst das Gehalt des Ministerpräsidenten des Saarlandes nicht zu bezahlen, wenn nicht der Bund in die Kasse greifen würde.
Wir nehmen, meine Damen und Herren, die Verhaltensweise der SPD-geführten Länder nicht mehr hin. Die F.D.P.-Fraktion ist entschlossen, mit der Sperrung eines erheblichen Anteils bei den sogenannten Gemeinschaftsaufgaben zu signalisieren, daß wir bei der Fortführung solcher Konfrontationen nicht ohne Waffen dastehen. Wir werden über dieses Instrument dafür sorgen, daß solche Länder erst dann Geld bekommen, wenn sie ihre Obstruktionspolitik gegen den Bund einstellen.
- Ich sage dies auch, Herr Kollege Poß, mit Blick auf den Zeitablauf. Über die Spargesetze, die im Bundesrat oder im Vermittlungsausschuß liegenbleiben, muß entschieden werden. Selbst Ihr Parteikollege Gerhard Schröder hat angekündigt, daß das zustimmungspflichtige Sparpaket und das Jahressteuergesetz in ein großes Paket gepackt werden sollen, darüber also insgesamt entschieden werden soll. Ich fordere die Sozialdemokraten nochmals ausdrücklich dazu auf, dies in einem zeitlich hinnehmbaren Rahmen zu tun. Blockade wird Ihnen nichts nützen; sie schadet vielen Bürgern in unserem Land.
Der Entwurf der Bundesregierung für den Haushalt 1997 hat eine ganze Reihe positiver Aspekte. Diese gehören an den Anfang unserer Haushaltsdebatte. Erneut gehen die öffentlichen Ausgaben beim Bund zurück: 440 Milliarden DM gegenüber dem Ansatz des laufenden Jahres von 451 Milliarden DM. Ein solcher Rückgang im Konzept zeigt, daß wir es mit Sparpolitik auf der Ausgabenseite ernst meinen. Auch der geplante Ausgabenanstieg in der mittelfristigen Finanzplanung ist gemessen am Ausgabenwachstum früherer Jahre akzeptabel.
Die Frage, ob er so zu halten sein wird, ist natürlich eine Frage politischer Rahmenbedingungen, an denen wir alle mitwirken müssen. Sie ist aber auch eine Frage der wirtschaftlichen Entwicklung. Bei weiterer Stagnation werden wir im Bereich der konsumtiven und der Transferausgaben weiter bremsen müssen, denn die Investitionen können wir nicht weiter zurückfahren. Die Investitionen als Impuls in weiten Bereichen der Wirtschaft bleiben notwendig.
Der Entwurf zeigt, daß die Anstrengungen der Koalition mit den Gesetzen zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung begründet und notwendig waren. Man darf sich überhaupt nicht vorstellen, wie die Situation aussehen würde, wenn wir die Anstrengungen der vergangenen Monate nicht geleistet hätten und nicht Notwendiges auf den Weg gebracht hätten. Aus heutiger Sicht müßte das Sparvolumen sogar noch größer sein, als es ursprünglich konzipiert war.
Der Bundesfinanzminister war in Einschätzung dieser Entwicklung gut beraten, bereits im März seine Haushaltssperre einzusetzen. Stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn er das unterlassen hätte - die heutige Situation wäre noch schwieriger. In diesem Punkt hat Theo Waigel vorausschauend und richtig gehandelt.
Wir müssen aber mit aller Nüchternheit erkennen, daß wir nach 1990 in der mittelfristigen Vorausschau die Entwicklung zu positiv gesehen und erwartet haben, daß wir die wirtschaftliche Entwicklung
Dr. Wolfgang Weng
Deutschlands überschätzt haben und daß hieraus zum jetzigen Zeitpunkt die Notwendigkeit erwächst, weiterhin sparsam zu agieren.
Die Wachstumsimpulse, die der Haushalt setzen kann und die benötigt werden, die setzt der Staat, die setzt dieser Haushalt. Aber wir müssen vor allem darauf setzen, daß unser marktwirtschaftliches System eine neue Dynamik bekommt. Genau deshalb haben wir den Kraftakt der Standortgesetze in Angriff genommen, die in dieser Woche dem Deutschen Bundestag in Teilen zur abschließenden Beratung vorliegen.
Die Globalisierung der Märkte, ein weiterer Schritt verstärkten Wettbewerbs nach der Gründung der Europäischen Wirtschaftsunion, macht eine Verbesserung solcher staatlichen Rahmenbedingungen erforderlich. Wer sich die Investitionszahlen ausländischen Kapitals in der Bundesrepublik ansieht und damit vergleicht, wieviel Geld aus Deutschland in anderen Ländern investiert wird, der sieht, daß eine Umkehr unserer Politik in diesem Bereich dringend erforderlich ist.
Ich beklage damit ausdrücklich nicht die Investitionen, die aus Deutschland in andere Länder gehen. Viele dieser Investitionen schaffen auch bei uns zusätzliche Arbeitsplätze. Wir haben uns bei unserer Fraktionsklausur ein sehr plausibles Beispiel der Bayerischen Motoren-Werke darstellen lassen. Die Ausweitung des Marktes durch die Investition in Amerika sorgte auch für zusätzliche Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland. Dieses ist natürlich positiv zu bewerten. Aber die Bilanz insgesamt und die Tatsache, daß eine ganze Zahl von Firmen - zunehmend auch mittelständische Firmen - tatsächliche Arbeitsplatzverlagerungen aus Deutschland heraus betreiben, zeigen, daß wir die Rahmenbedingungen verbessern müssen.
Es ist deswegen lächerlich, wenn Frau MatthäusMaier heute morgen hier erklärt, daß die Einnahmen aus der Gewerbesteuer nicht im gleichen Umfang gewachsen seien wie aus anderen Steuerarten, sei ein Zeichen dafür, daß man in diesem Bereich stärker besteuern müßte. Das ist ein Zeichen dafür, daß die Ertragskraft nicht ausreichend ist
und daß wir genau da ansetzen müssen. Aber sie weiß ja wohl, warum sie zu den Sozialdemokraten gegangen ist.
Die F.D.P.-Fraktion jedenfalls hat die Probleme rechtzeitig erkannt; sie drängt zu dieser richtigen Politik: Es müssen Belastungen gesenkt, es müssen Strukturen verändert werden, wenn wir die Zukunft für unser Land gewinnen wollen.
Zurück zum Haushalt. Der Ernst der Situation wird durch einen Blick auf den Ablauf des laufenden Haushaltsjahres verdeutlicht. Mit Schreiben vom 6. September - Theo Waigel hat ja heute morgen darauf hingewiesen - erbat das Finanzministerium vom Haushaltsausschuß die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe von 7 Milliarden DM an die
Bundesanstalt für Arbeit und in eine ebensolche Ausgabe in Höhe von 5,5 Milliarden DM bei der Arbeitslosenhilfe. Dies zeigt, daß trotz leichter wirtschaftlicher Erholung, trotz Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmendaten die Prognosen der Bundesanstalt für Arbeit und des Arbeitsministers aus der ersten Jahreshälfte nicht eintreten und daß die direkten Kosten der Arbeitslosigkeit höher liegen werden, als sie veranschlagt und von uns bei der Verabschiedung zugrunde gelegt worden sind. Leider hilft es nichts, daß der Bundesfinanzminister schon zu Beginn des Jahres gerade diese Zahlen kritisch hinterfragt hat
und sie nicht recht glauben wollte. Nach der Genehmigung hat der Deutsche Bundestag auf den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit, wie Sie wissen, keinen Einfluß mehr. Deswegen muß jetzt entsprechend der Gesetzeslage der Bund dieses Defizit übernehmen. Das macht uns große finanzielle Probleme, weil dadurch der Schuldenberg erhöht wird.
Für den weiteren Verlauf des Haushaltsjahres 1996 bedeutet das eine schwierige Situation, weil die Verschuldung in einer seither nicht dagewesenen Weise davonzulaufen droht. Eine solche Situation wäre für 1997 nicht tragbar, wenn sich diese Entwicklung fortsetzt. Wir werden im Zuge der Etatberatungen - damit beantworte ich auch die von der Opposition an die F.D.P. gestellten Fragen - im Lichte neuerer Daten, die wir ja vor Abschluß der Beratungen erwarten können, zu entscheiden haben, in welchem Umfang zusätzliche Einsparungen erforderlich sind. Wir werden bereit sein, solche Einsparungen auch zu leisten.
Jeder weiß, daß die hier im Raum stehenden Finanzvolumina nicht in einem normalen Haushaltsverfahren einzusparen oder zu erwirtschaften sind. Die Bundesregierung hat ja entsprechend dem Wunsch der Koalitionsfraktionen in ihrem Haushalt mit der 7-Milliarden-Kürzung im Rahmen des Sparpakets Ernst gemacht. Das muß hier ausdrücklich lobend festgehalten werden. Was im weiteren Verlaufe noch erforderlich werden könnte, sind weitere Veränderungen bei Leistungsgesetzen. Da wird sich die Opposition fragen lassen müssen, ob sie in gesamtstaatlicher Verantwortung mit Blick auf Maastricht und auf Art. 115 Grundgesetz bereit ist, die notwendigen Schritte mit zu vollziehen.
Zurück zum laufenden Jahr 1996. Als Parlamentarier muß ich auch etwas Kritisches in Richtung Bundesregierung äußern. In der Sondersituation des vergangenen Jahres, an die wir uns erinnern, haben wir - das war von der F.D.P. unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten erwünscht - ein aufgetretenes Haushaltsloch, das die Regierung offenlegte und zu dessen Schließung sie uns Vorschläge machte, in Teilen mit einer großvolumigen Privatisierung in einer Größenordnung von rund 9 Milliarden DM, die auf der Einnahmeseite des Bundeshaushalts zu Buche schlugen, geschlossen. Wir hätten diese Einnahme-
Dr. Wolfgang Weng
lücke nicht geschlossen, wenn wir nicht der Versicherung geglaubt hätten, daß eine Privatisierung in dieser Höhe tatsächlich möglich sein würde. Ich sage es unter Haushaltsaspekten ebenso wie unter ordnungspolitischen: Ich bin enttäuscht, daß das in diesem Jahr in einem solch großen Umfang nicht der Fall sein wird. Das sage ich, auch wenn noch keine abschließenden Zahlen festliegen.
Die Privatisierung bleibt ein wichtiges ordnungspolitisches Anliegen der F.D.P. Wir freuen uns über symbolische Akte, wie zum Beispiel den Fortschritt bei der Privatisierung des Petersbergs. Es ist dort zu sehen, daß die Mühlen, auch wenn sie langsam mahlen, doch ihr Werk tun. Über Rheinhäfen, Herr Kollege Thiele, will ich mich heute nicht verbreiten. Auch darauf hat ja der eine oder andere aus unserer Fraktion ein aufmerksames Auge.
Ich möchte aber festhalten: Wir bleiben ordnungspolitisch auf dieser Linie. Die Freien Demokraten sind für alle Schritte zu gewinnen; aber realistisch müssen sie sein. Sie müssen stimmen und konsequent vollzogen werden. Die Bundesregierung bleibt aufgefordert, die entsprechenden Zusagen einzuhalten.
Da wir keinen geschönten, sondern einen ehrlichen Haushalt beraten und verabschieden wollen, wollen wir Erlöse, die nicht erzielt worden sind, in künftigen Haushalten auch nicht als Einnahmen verzeichnen. Wir würden uns unglaubwürdig machen, wenn wir Jahr für Jahr die gleichen Einnahmen fortschreiben, die es eigentlich gar nicht gibt. Ich sage das der guten Ordnung halber. In einem Fall ist uns das mal passiert. Da war es auch nicht zu ändern. Inzwischen haben wir darauf aber ein waches Auge.
Weitere Einsparungen werden aus unserer Sicht auch dadurch erforderlich, daß die Bundesregierung in der Finanzplanung zunächst mal eher buchhalterisch die Nettoneuverschuldung der Folgejahre erhöht hat. Wir wollen, daß hierbei eine Absenkung erfolgt.
In der besonderen Situation der Jahre 1992/93 haben wir akzeptiert, die geplante Verschuldung zu erhöhen. Damals war in der Wirtschaft eine überhaupt nicht vorhersehbare Situation entstanden. Jetzt aber wissen wir, daß das Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung anders ist als erwartet. Wir können natürlich nicht dauerhaft zwar erwünschte, aber nicht eingehende Steuereinnahmen durch Erhöhung der staatlichen Verschuldung ausgleichen.
Ich sage dies ausdrücklich auch mit Blick auf den vorhin erwähnten Art. 115, nach dem die Investitionen höher sein müssen als die Nettoneuverschuldung des Bundes. Das ist Verfassungsgebot.
Ich sage es noch mehr mit Blick auf unsere internationalen Verpflichtungen, auf unseren Wunsch, die Kriterien für die Europäische Währungsunion im
Laufe des Jahres 1997 zu erfüllen, um ein Mitmachen zu ermöglichen. Dieses ist wichtig. Diese Kriterien nicht zu erreichen wäre katastrophal für die Bundesregierung, für die Bundesrepublik. Es wäre katastrophal für die europäische Entwicklung. Die F.D.P. wird all ihre Kraft einsetzen, um über Verringerung der Schulden, über Sparsamkeit die europäische Währung zu erreichen.
Mit unserer Politik beschreiten wir den einzig möglichen Weg zur Besserung der Situation auf dem Arbeitsmarkt.
Nur um die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze zu ermöglichen, nur um die Rahmenbedingungen zu verbessern, um vorhandene Arbeitsplätze zu sichern, müssen wir vielen Bürgern in Deutschland die Lasten dieser Sparpakete auferlegen.
Meine Damen und Herren, wenn bei der Opposition gelacht wird, dann zeigt das,
daß die Opposition die Problematik überhaupt nicht begreift, überhaupt nicht durchblickt
und noch immer genau an der falschen Stelle ansetzt
- der Oberlacher Herr von Larcher insbesondere.
Natürlich werden Sparmaßnahmen von Betroffenen üblicherweise abgelehnt. Naheliegend ist, daß für die Opposition ein Reiz entsteht, aus populistischer Ablehnung politisches Kapital zu schlagen. Wir haben heute morgen wieder solche Beispiele gehört: daß man bestimmte Einnahmen oder bestimmte steuerliche Aspekte einzelnen in der öffentlichen Meinung negativ besetzten Ausgaben zuordnet und damit versucht, Stimmung zu machen. Das kennen wir.
Frau Matthäus-Maier hat am Schluß ihrer Rede wieder heftig mit dem Jäger 90 zugeschlagen. Meine Damen und Herren, die SPD kann eine Marine ohne Schiffe, eine Luftwaffe ohne Flugzeuge natürlich fordern; aber ein wenig lächerlich macht sie sich dabei schon.
SPD-Politiker sind es doch auch, die aus den Ländern signalisieren, daß die Entscheidung für die Beschaffung dieses Flugzeugs fallen soll. Zwar hat Herr Spöri die Unterstützung seiner Partei und der Wähler nicht gefunden; aber Herr Schröder ist noch immer im Amt, der mit gleichen Forderungen aufwartet.
Dr. Wolfgang Weng
Ich bin auf das Verhalten insbesondere der Abgeordneten auf Ihrer Seite gespannt, die unter der Hand überall signalisieren, das sei notwendig, und, wenn hier abgestimmt wird, auf der anderen Seite stehen.
Meine Damen und Herren, um überhaupt den Haushalt des kommenden Jahres abschließend bewerten zu können, brauchen wir auch eine realistische Einschätzung der Einnahmesituation. Dies ist ohne Verabschiedung des Jahressteuergesetzes, der bereits im Bundestag beschlossenen Spargesetze und möglicher weiterer den Haushalt begleitenden Gesetze nicht möglich.
Wenn der Haushalt 1997 also mit Jahresbeginn in Kraft treten soll, dann müssen Bundesrat und Vermittlungsausschuß in einem geordneten Verfahren daran mitwirken, daß alle wesentlichen Entscheidungen vor Ende des Jahres getroffen oder wenigstens gesichert sind.
- Herr Kollege, der Bundeshaushalt wird in diesem Jahr genauso eingebracht wie in all den Jahren, in denen die Koalition hier an der Regierung ist - ordnungsgemäß, zeitlich im richtigen Rahmen -,
und auch in der Weise in Kraft treten, die die Bürger von einer geordneten Koalition, einer geordneten Regierung erwarten können. Sie haben in der Vergangenheit an vielen Stellen versucht zu verzögern. Es wird Ihnen auch hier nicht gelingen.
Sie sind auf Grund Ihrer Verantwortung in den Bundesländern in der Pflicht. Dem können Sie sich nicht entziehen, auch wenn Sie hier mit Zwischenrufen agieren. Wir werden Sie aus dieser Pflicht nicht entlassen. Wir werden die Bürger über diese Pflicht massiv aufklären.
Jede Scheinheiligkeit der Opposition in diesem Zusammenhang wird von uns gnadenlos entlarvt.
- Ja, ich hatte noch eine kleine Steigerung.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie müssen sich selbst verhandlungsfähig machen. Sie müssen bis zum Oktober Ihre eigenen Kompromißlinien eingebracht haben. Es muß Ihnen klar sein: Die Koalition kann nicht um jeden Preis auf Sie zukommen. Die Entwicklung unseres Landes ist wichtiger als parteipolitische Erfolge der SPD oder der Grünen.
Herr des Haushaltsverfahrens ist jetzt der Deutsche Bundestag, für ihn der Haushaltsausschuß. Jeder, der das politische Geschäft kennt, weiß, daß notwendige Maßnahmen im weiteren Verfahren, wenn sie gesetzliche Maßnahmen sind, durch den Finanzminister angeregt, in der Koalition beschlossen werden müssen, daß das der Ausschuß alleine nicht schultern kann. Daß hier gegebenenfalls wahrscheinlich die Sozialpolitiker und Norbert Blüm besonders in die Pflicht kommen, notwendige gesetzliche Maßnahmen zu formulieren, will ich heute erwähnen, gerade deshalb, weil Norbert Blüm von diesem Platz vor nicht allzu langer Zeit in einer Debatte geäußert hat, wer zu spät spare, der müsse im weiteren Verlauf um so härtere Maßnahmen ergreifen. Hier hat er - das sage ich ausdrücklich - recht.
Besondere Pflicht entsteht auch für den Bundesinnenminister. Schon viel zu lange läßt der Versorgungsbericht der Regierung auf sich warten.
Das wissen wir alle aus unserer politischen Tagesarbeit: Mancher Bericht ist schon das Papier derer nicht wert, die die Anforderung des Berichtes geschrieben haben, und dann ist die Antwort häufig entsprechend.
Dies ist aber kein Bericht wie jeder andere. Deswegen kann man nicht auf ihn verzichten. Er wird die Notwendigkeit von Reformen verdeutlichen, weil er auch künftige Haushaltsbelastungen und künftige Haushaltsrisiken aufzeigen wird, weil er mit hoher Wahrscheinlichkeit zwingenden Reformbedarf aufzeigen wird. Auch hier gilt: Je später die erforderliche Änderung erfolgen würde, um so schwieriger, um so härter würden die notwendigen Maßnahmen ausfallen. Deswegen ist der Innenminister in der Pflicht. Die F.D.P.-Fraktion - ich bin sicher, auch die Unionsfraktion - ist hier zum notwendigen Handeln bereit.
Ich will eine Reihe haushaltsmäßiger Einzelfragen ansprechen, zu der ich die Positionen der Freien Demokraten verdeutlichen will, weil hier im Haushaltsverfahren noch Änderungen und Ergänzungen, möglichst auch eine Verbesserung der Haushaltssituation angestrebt werden.
Ich beginne mit dem Subventionsbereich, hier mit einer gewissen Entwarnung: Wir sind weiterhin der festen Überzeugung, daß die Unterstützung des Aufbaus in den neuen Bundesländern notwendig ist und notwendig bleibt. Hier gibt es beim Infrastruktur- und Wirtschaftsaufbau keine Einschränkung der Notwendigkeiten, keine Einschränkung der Erkenntnis, daß der Bund hier in der Pflicht bleibt.
Dr. Wolfgang Weng
Meine Damen und Herren, ich sage dies auch mit Blick auf die Europäische Union. Sie kennen die Auseinandersetzung in der Frage der Subventionierung des VW-Werkes in Sachsen. Wenn die Bundesrepublik Deutschland aus guten Gründen ihr tatsächliches Recht beansprucht, die Folgen der Teilung durch Unterstützung des Wirtschaftsaufbaus in Ostdeutschland zu mildern, dann ist die Europäische Union auch in der Pflicht, den guten Partner Deutschland hierbei nicht unnötig einzuschränken. Bei allem Verständnis für die Sorgen der europäischen Freunde sage ich, sie mögen sich die heutige Situation, sie mögen sich die Entwicklung nach 1990 vor Augen führen, und sie mögen mehr Verständnis für uns aufbringen.
Das begründet keine Gewaltakte, das begründet schon gar nicht einen Rechtsbruch. Aber, meine Damen und Herren, wer sagt, nach sieben Jahren dürfe man nicht mehr von teilungsbedingten Problemen reden, wie es von manchen Europäern zu hören war, der hat tatsächlich keine Ahnung.
Für die F.D.P.-Fraktion bleibt die verfassungsmäßig vorgeschriebene, aber auch von uns politisch gewünschte Anpassung der Lebensverhältnisse in Ostdeutschland ganz vorn im politischen Forderungskatalog.
Daß bei dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt, bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, vom Bund Schritte erforderlich sind, die die Störungen des ersten Arbeitsmarkts so weit wie möglich beseitigen, steht außer Frage. Dies gilt zunehmend natürlich auch im Sinne einer Normalisierung für die neuen Bundesländer. In diesem Bereich muß auch mit Blick auf die Situation im Westen Zug um Zug Normalisierung angestrebt werden. Das heißt vor allem, daß die dauerhafte Einrichtung von ABM-finanzierten Betrieben, die die tatsächliche Entwicklung der Wirtschaft, vor allem der mittelständischen Wirtschaft, nachhaltig behindert, unmöglich gemacht werden muß. Das muß ein Ende haben.
Beim Stichwort Subventionen fällt der Blick immer gern auf die westdeutsche Steinkohle. Die jahrzehntelang geschulten Lobbyisten der deutschen Steinkohle haben ganz schnell nach der Wiedervereinigung ihre Schäfchen ins Trockene gebracht. Aber auch wegen des Wegfalls des Kohlepfennigs, wegen der notwendigen Haushaltsfinanzierung steigt der Druck. Die auf Dauer angelegte Förderung der deutschen Steinkohle zum dreifachen Weltmarktpreis ist nicht tragbar.
Wer davon träumt, wie es die Grünen und Teile der SPD machen, die Energie in Deutschland so teuer zu machen, daß sich die Förderung der deutschen Steinkohle im seitherigen Umfang wieder lohnt, begeht volkswirtschaftlichen Schwachsinn ohne Grenzen.
Wir wollen Signale zum weiteren Abbau auch dieser Subventionen im Haushalt setzen. Daß der energiepolitische Sprecher der SPD in einem Namensartikel im Juli in einem Magazin mitgeteilt hat, die verabredeten Kohlehilfen sollten uneingeschränkt bis zum Jahr 2000 bezahlt werden, zeigt die Wirklichkeitsferne der SPD. Er führte weiter aus, daß dann eine leichte Degression ermöglicht werden soll. Wenn man jedoch weiß, wie die Kohlelobbyisten in Wirklichkeit verfahren, dann ahnt man, daß die SPD andere Pläne hat. Ferner macht dies das engstirnige Klienteldenken der Sozialdemokraten deutlich, die höchste Subventionen fortführen wollen.
Auch die Grünen verfolgen bei der Steinkohle eine Politik der Vergangenheit und des Rückschritts. Es ist interessant, wie still bestimmte Politiker der Grünen zu diesem Thema sind, seit man in NordrheinWestfalen mit in der Regierung ist.
Die preiswerte Braunkohle will man nicht, die überteuerte Steinkohle, deren Subventionierung der Bund bezahlt, will man. Das kennzeichnet, daß die Grünen keine politischen Strategien haben, die ernst zu nehmen und akzeptabel wären.
Unsere Fraktion, Herr Kollege Metzger, setzt auf zukunftsgerichtete Produktion, nicht auf überkommene.
Wir setzen auf moderne Arbeitsplätze, wir setzen auf hohe Wertschöpfung.
- Leider kann ich Ihnen den „Vulkan" nicht vorhalten, weil die Redezeit davonläuft.
- Herr Kollege Fischer, von Rübezahlen mögen Sie in Ihrer Truppe mehr verstehen. Bei uns werden sie solche vergeblich suchen.
Bei allem Sparzwang möchte ich noch ein Wort zur Verteidigung verlieren. Die Frage, wie es mit der Finanzierung bestimmter Vorhaben wird, interessiert natürlich den Haushaltsausschuß. Hier muß die Bundesregierung noch einiges aufzeigen. Wir hören
Dr. Wolfgang Weng
zwar mit Freude, daß der Verteidigungsminister dem Finanzminister erklärt habe, daß die noch notwendigen Maßnahmen aus seinem Etat zu finanzieren seien, Aber dies wollen wir erst sehen. Wir wollen nicht Beschaffungsmaßnahmen, die nachher die gesamte übrige Beschaffung nachhaltig einschränken. Wir wollen - das sage ich ganz ausdrücklich - nach den langen Jahren der Umstrukturierung, der riesigen Umwälzungen bei der Bundeswehr in der Zukunft eine ausgewogene Struktur, in der für die Menschen, für die Soldaten in gleicher Weise etwas getan wird wie für die Beschaffungsseite. Deswegen werden wir hier erst entscheiden können, wenn wir die notwendigen Vorlagen haben. Unsere Verteidigungspolitiker arbeiten an der Planung einer ausgewogenen Finanzierung von Menschen und Material engagiert mit.
Ich will, meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang den Angehörigen der Bundeswehr, ganz besonders natürlich denjenigen, die in fernen Ländern für den Frieden Dienst tun, ausdrücklich und herzlich für diesen Dienst danken.
Herr Kollege, Sie müssen zum Abschluß kommen.
Das ist zu bedauern, Herr Präsident, aber richtig.
Am anderen Ende der Welt hat das kleine Neuseeland gezeigt, welche Kraftanstrengung notwendig ist, um aus einem ausufernden Sozialstaat ein florierendes, für seine Bürger zukunftsträchtiges Staatswesen zu gestalten. Die Politiker dort haben auch gezeigt, daß es, bei allen Schwierigkeiten, geht. Wir, die Freien Demokraten, halten eine vergleichbare Politik für notwendig, für die wir in der Union einen Partner haben, einen Partner, der nicht immer ganz einfach ist, wie Sie wissen. Aber allein mit diesem Partner können wir die Zukunft meistern. Dies wird nicht durch destruktives, durch rot-grünes Verharren, sondern durch zukunftsgerichteten Aufbruch mit der Unterstützung der F.D.P.-Fraktion im Deutschen Bundestag geschehen.
Vielen Dank.
- So viel Schwung hättet Ihr auch gern.
Ich erteile der Abgeordneten Dr. Barbara Höll das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum wiederholten Male legt der Finanzminister heute einen Entwurf eines Bundeshaushaltsplanes vor, dies voller Selbstüberzeugung, denn immerhin verkündete er laut „Focus", daß er sich inzwischen jeden Job zutraut. Ich weiß nicht, ob uns das Hoffnung machen sollte. Aber ich würde sagen, jeder Betrieb, der das in Erwägung zieht, sollte sich an den Spruch halten: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Wie gut ist die Waigelsche Haushaltspolitik? Mehr als alle bisherigen Haushalte zeichnet sich der Entwurf für 1997 dadurch aus, daß mangelnder Realitätssinn voll durchschlägt, die Anwendung unsolider Zahlen zum obersten Prinzip erhoben wird, die Zementierung des Ost-West-Gefälles fortgesetzt wird und eine exorbitante Neuverschuldung und Staatsverschuldung erfolgt, die die Zinsfalle endgültig zuschnappen lassen wird. Ich denke, Herr Waigel hat tatsächlich zu seinem obersten Gebot der Haushaltspolitik erhoben: Gehe nie von verläßlichen und seriösen Zahlen aus; je größer die Haushaltsnöte, desto geschönter müssen die Ausgangsdaten, wie Konjunkturparameter und Steuerschätzung, sein. Im vergangenen Jahr hatten wir kurz vor dem Abschluß der Haushaltsberatungen Deckungslücken in zweistelliger Milliardenhöhe sowohl für den Haushaltsvollzug 1995 als auch für den Entwurf für 1996. Dies führte dann zu einem Eklat in diesem Hause. Im März bekamen wir die Quittung, als bereits dann eine Haushaltssperre ausgebracht wurde, die nach, ich glaube, wieder schöngeredeten Zahlen 5 Milliarden DM Einsparungen gebracht haben soll.
Ich weiß nicht, ob nicht auch die geringe Anwesenheit heute nach dreieinhalb Stunden Debatte ein Beleg dafür ist, daß selbst die Koalitionäre nicht mehr daran glauben, daß das, was wir jetzt diskutieren, überhaupt Bestand hat.
Herr Schäuble hat am Wochenende bereits kundgetan, daß man das alles nicht so verbissen sehen sollte, denn der Entwurf des Planes stamme bereits vom Juli, und verabschiedet werde er erst im November. Ich frage mich: Was ist das für ein Verhältnis zur parlamentarischen Arbeit, zur Beratung des Haushalts?
Anstatt sich zu bemühen, im Sommerloch tatsächlich die Hausaufgaben zu machen, haben Sie eine Einkommensteuerdiskussion vom Zaun gebrochen, mit der Sie wahrscheinlich hauptsächlich bezweckten, das Sparpaket durch Versprechungen für die Zukunft vergessen zu machen und die Mehrwertsteuererhöhung festzuklopfen.
Seit Jahren liegen Sie mit Ihren Prognosen des Wirtschaftswachstums sicher nicht ganz zufällig über der realen Entwicklung. Ich frage mich: Warum wundert sich die Koalition noch über den Vorwurf, Politiker seien abgehoben, wenn man bar jedes Realitätssinns seinen eigenen Haushalt plant? So würde wohl niemand privat arbeiten.
Im Oktober 1995 ging die Regierung noch von einem Wachstum von 4,4 Prozent aus. Im Mai 1996 waren es 2,1 Prozent. Für den Haushaltsvollzug fehlen auf Grund dieser Fehleinschätzungen bereits 8,5 Milliarden DM. Die Daten für 1997 stehen ebenfalls auf tönernen Füßen. Die Bundesregierung geht
Dr. Barbara Höll
laut Entwurf von 3,9 Prozent aus, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung von 2,5 Prozent. Dies ist auch in der mittelfristigen Finanzplanung so, bei der man bei optimistischsten Angaben von 2,5 Prozent ausgehen kann, aber nicht von 4,5 Prozent wie die Regierung. Allein dies wird im nächsten Jahr einen Steuerausfall in Höhe von mindestens 9 Milliarden DM verursachen.
Selbst wenn Sie es am Freitag schaffen sollten, die Kanzlermehrheit für Ihr Sparpaket, für Ihr Horrorpaket zusammenzubekommen, so wird das nur die Spaltung in dieser Gesellschaft vorantreiben. Sie werden immer mehr Menschen direkt in Armut, in soziale Not treiben; aber Sie lösen damit kein Haushaltsdefizit.
Das spiegelt sich in dem wider, wie man die Bundesanstalt für Arbeit behandelt, und in Ihrem blinden Glauben, daß durch Einsparungen und Entlastungen von Unternehmen Kaufkraft gestärkt werden könnte. Das Gegenteil wird eintreten: Die Kaufkraft sinkt, und Arbeitsplätze im Lande werden abgebaut. Was wollen Sie mit den Menschen machen, wenn Sie immer weiter sparen und wenn Herr Waigel wie heute fast beklagt, daß der Sozialhaushalt so groß ist. Nicht nur, daß Sie versuchen, viele Menschen aus der Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe abzuschieben. Soll demnächst, wenn im nächsten Jahr die Bundesanstalt null Zuschüsse bekommen soll, die Sozialhilfe nach amerikanischem Vorbild ganz abgeschafft werden? Diese Frage steht hier tatsächlich im Raume.
Herr Repnik hat gesagt: Immer mehr Menschen denken, es müßten Änderungen eintreten. Ich habe das am Sonnabend in Leipzig erlebt. Es haben Tausende von Menschen dafür demonstriert, daß eine Veränderung dieser Politik eintritt. Ich frage mich, meine Damen und Herren - auch wenn Damen von der Koalition zur Zeit nicht mehr anwesend sind; es sind ja auch nicht so viele in diesen Fraktionen -
- entschuldigen Sie, Frau Albowitz, Sie saßen so weit vorne -: Woher nehmen Sie eigentlich die Überzeugung, daß die gesamte Opposition und alle ihre Mitglieder hier weiter freiwillig auf Einnahmen im Haushalt verzichten werden? Es ist eine Unverschämtheit, wie Sie mit dem Parlament und auch mit dem Bundesrat umgehen.
Die Belastungsquote von Unternehmen sank von 1980 bis 1993 um 15,3 Prozent. Wir haben hier also Einsparungen, ja Einnahmeverluste, die aber nicht dazu führten, daß Arbeitsplätze geschaffen wurden. Der Haushalt ist Ausdruck staatlich verordneter Reichtumspflege. Diese Reichtumspflege geschieht auf Kosten der sozial Schwachen. Ich nenne hier noch einmal die Stichpunkte: die vollkommen unzureichende Höhe des steuerfreien Existenzminimums - die 12 000 DM, die für dieses Jahr beschlossen waren, sind weit unter dem notwendigen Ansatz -, die jetzt von Ihnen anvisierte Verschiebung der bereits beschlossenen Anhebung des Kindergeldes. Ihnen mögen 20 DM nicht viel ausmachen. Aber vielen Menschen bedeuteten 20 DM pro Kind pro Monat eine ganze Menge.
Diese Haushaltssanierung auf Kosten der sozial Schwachen muß gestoppt werden.
Stichwort Vermögensteuer. Nachdem Sie - das ist interessant - im Föderalen Konsolidierungsprogramm 1993 als erstes die Freibeträge hochgesetzt hatten, wollen Sie nun die Vermögensteuer gänzlich abschaffen. Ich frage mich: Wo wurde mit dem Einnahmeverlust von rund 700 Millionen DM, der 1994 daraufhin eintrat, auch nur ein Arbeitsplatz geschaffen? Nun wollen Sie gleich in Milliardenhöhe auf Einnahmen verzichten.
Wie ist es mit der Erbschaftsteuer? Dort haben Sie ebenfalls die Freibeträge erhöht. Jetzt haben wir ein Einnahmevolumen von etwas über 3 Milliarden DM. Das ist im Vergleich zum Bundeshaushalt nichts bei einer enormen Einkommenskonzentration und einer enormen Konzentration des Vermögens in der Hand sehr, sehr weniger Haushalte.
Es geht darum, hier tatsächlich Alternativen aufzuzeigen. Sie haben einen Entwurf von der PDS auf dem Tisch. Mit unserem Entwurf wäre sichergestellt, daß ein Einfamilienhaus im Erbfall für jeden und jede, die darin wohnt, tatsächlich gesichert ist.
Aber wir könnten Einahmen in Höhe von etwa 15 Milliarden DM erzielen. Wir sind nicht bereit, darauf einfach zu verzichten.
Die Verstärkung des Ost-West-Gefälles: Sie wollen die Kürzung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den neuen Ländern durchpeitschen; dadurch sollen 1,7 Milliarden DM eingespart werden. Herr Weng nannte dies eben eine Störung des ersten Arbeitsmarktes.
Kommen Sie doch bitte einmal nach Leipzig. Wir haben dort einen großen ABM-Betrieb, der mit der örtlichen Industrie- und Handelskammer wirklich toll zusammenarbeitet. Dadurch werden sogar Aufträge an die Handwerker vergeben.
Sie wollen das jetzt einfach streichen, anstatt wirklich offensiv nachzudenken und innovativ zu sein in Richtung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors. Es ist ein Armutszeugnis, daß Sie nichts weiter können als sparen, sparen, sparen.
Es tut not, auch die sozialen Sicherungssysteme umzugestalten. Auch dazu liegt ein Antrag von uns auf dem Tisch. Ein wirklich modernes soziales Sicherungssystem muß eine soziale Grundsicherung beinhalten
Dr. Barbara Höll
- dazu, wer das zahlt, liegen die Vorschläge vor -: Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und Einbeziehung aller in diese Sicherungssysteme, damit sie dann wirklich solidarisch funktionieren können.
Wie steht es mit den anderen Einnahmen bezüglich des Ost-West-Gefälles? Herr Waigel sagte wiederum, die Einheit sei so teuer gewesen. Er hat geflissentlich seine Verdrehung von Brutto- und Nettozahlen weggelassen; die sind herausgerechnet.
Aber was machen Sie denn mit den Einnahmen Ost? Die 2,7 Milliarden DM aus der Liquidierung von Treuhandunternehmen sollten eigentlich für die neuen Bundesländer verwandt werden. Stillschweigend werden sie für den allgemeinen Haushalt kassiert.
Und ich frage Sie jetzt: Was ist mit dem ehemaligen SED-Vermögen? Die unabhängige Parteienkommission kann das Geld nicht vollständig ausreichen, weil Herr Waigel noch immer darauf sitzt und damit einen Kuhhandel betreibt. Das muß man hier einmal sagen.
Sie wollen zu Beginn des nächsten Jahres den Sozialzuschlag bei den Rentenzahlungen auslaufen lassen. Das wird vor allem viele, viele tausend ältere Frauen treffen. Sie wollen das einfach auslaufen lassen, um im Bundeshaushalt eine minimale Einsparung in Höhe von 100 Millionen DM zu bekommen, ohne daß für die neuen Bundesländer eine Ergänzung, nämlich ein Mehrbedarfszuschlag für Ältere, in das Sozialhilfegesetz eingefügt wird . Das ist eine Politik, die nur auf Kosten der Armen, der sozial Schwachen geht.
In der bisherigen Zeit Ihrer Regierung haben wir nur eine lange Liste kennengelernt, wie Unternehmen und wie Reiche, wirklich sehr gut Situierte in diesem Lande entlastet wurden.
Schaffen Sie doch eine Vermögensabgabe! Das Grundgesetz verpflichtet doch alle in dieser Gesellschaft lebenden Menschen, und danach verpflichtet auch Eigentum als Sozialstaatsprinzip.
Wir werden uns der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung nicht entziehen und werden darum kämpfen, daß das Grundgesetz eingehalten wird, insbesondere im Zusammenhang mit der Sozialstaatsverpflichtung.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Adolf Roth.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Haushaltsdebatten sind politische Bilanztermine. Es ist sicher angebracht und auch angemessen, daß man bei dieser Gelegenheit Erfolge herausstellt.
Ein zentraler Erfolg ist, daß die Bundesregierung von Helmut Kohl mit diesem Haushalt 1997 bereits den 15. Jahresetat hier präsentiert und der Finanzminister Waigel übrigens seinen achten Jahresetat.
- Meine Damen und Herren von der SPD, es mag Sie erregen, aber dies ist Ausdruck der vernünftigen Kontinuität der deutschen Politik und beweist den Stellenwert, den wir inzwischen international erreicht haben. Wir werden diese Stabilität verteidigen.
Es wird sich auch herausstellen, daß sich die Voraussage von Herbert Wehner damals, daß Sie mindestens 15 Jahre auf die Oppositionsbänke verbannt sein würden, in der zeitlichen Dimension noch in die Zukunft fortsetzt.
Wir haben zwei große Etappen hinter uns: Wir haben sieben erfolgreiche Konsolidierungs- und Aufschwungjahre von 1982 bis 1989 und haben jetzt sieben schwierige Aufbau- und Stabilisierungsjahre im vereinigten Deutschland gemeinsam mit dieser Koalition gemeistert. Ich habe heute in den Beiträgen der Opposition nicht ein einziges Mal den Begriff der Wiedervereinigung Deutschlands gehört und eine Darstellung ihrer Auswirkungen und Herausforderungen in bezug auf die deutsche Finanzpolitik gefunden. Das ist bezeichnend genug.
Diese Koalition von CDU/CSU und F.D.P. braucht sich fürwahr ihrer Leistungen nicht zu schämen, die sie in den letzten Jahren in Deutschland erbracht hat. Begraben muß man allerdings offenbar die Hoffnung, daß sich die SPD in der Opposition auf ihre alten Tage von den stereotypen Angriffsbildern löst, die sie uns in der Tat in diesen letzten 14 Jahren immer wieder zugemutet hat - auch heute.
Ich bin fast versucht, einen Begriff aufzunehmen, den ein Leitartikler der „New York Times", des amerikanischen Weltblattes, dieser Tage verwandt hat, als er die Befindlichkeit der Menschen im wiedervereinigten Deutschland beschrieben hat. Die Überschrift des Kommentars lautete: ,,Grumpy Germany". Das heißt übersetzt: das mißmutige, brummelige Deutschland. Sie verkörpern mit Ihrer Attitüde, die Sie auch hier im Parlament verbreiten, dieses mürrische Deutschland in Reinkultur.
Das einzige, was im Ausland wirlich verblüfft, ist, wie es den Deutschen gelungen ist, trotz der Bürde der Wiedervereinigung heute so gut dazustehen. So steht es jedenfalls in diesem Kommentar. Es heißt weiter: Bonn läßt jedes Jahr mehr Geld in die neuen Bundesländer fließen, als der gesamte Marshallplan heute in Dollar-Werten ausmachen würde.
Ich habe Verständnis dafür, daß die Amerikaner diese Leistungsfähigkeit verwundert. Ich habe aber
Adolf Roth
nicht das Gefühl, daß es Sie von der SPD je beeindruckt hat, was hier gemeinsam geleistet worden ist.
Deshalb ist diese Debatte wichtig, um eine Bilanz dieser Politik zu ziehen.
Das Ignorieren und Schlechtreden ändert doch nichts an den Tatsachen: Es hat keine wirtschaftlichen Verwerfungen nach der Wiedervereinigung gegeben. Die D-Mark ist heute national und international stabiler denn je. Wir haben ein Höchstmaß an Preisstabilität. Wir haben niedrige Zinsen, und sie bleiben auf Sicht niedrig. Wir haben allerdings auch Schwierigkeiten; diese sind heute mehr als einmal angeklungen. Aber diese Koalition wird ihren Weg der Konsolidierung und der finanzpolitischen Verantwortung weitergehen. Es wird uns gelingen, genau wie in den 80er Jahren, diese große Herausforderung zu meistern.
Ausgabenkontrolle ist in der heutigen Zeit eine zentrale Herausforderung an eine verantwortliche Politik. Wir haben durch eine beispielhafte Spar- und Konsolidierungspolitik über viele Jahre hinweg bewiesen, daß man im Bereich der öffentlichen Haushalte sparsam wirtschaften kann. Wir haben im nächsten Jahr einen Ausgabenrückgang von 2,5 Prozent. Dies ist schon der dritte Jahreshaushalt in Folge, der einen Rückgang verzeichnen wird. Wer jetzt von der Opposition immer wieder öffentlich ins Feld führen will, wir hätten damit den Beweis erbracht, daß wir die Ausgaben nicht unter Kontrolle hätten, der übersieht, daß der Anteil der Bundesausgaben am Bruttosozialprodukt in Deutschland - auch im Finanzplan, der jetzt für die Jahre 1996 bis 2000 vorgelegt wird - deutlich zurückgegangen ist. Am Ende dieses Jahrzehnts werden wir mit diesen Ausgaben sogar noch niedriger liegen, als dies im Jahre 1994 der Fall gewesen ist. Schon diese Tatsache beweist doch die Anstrengung, die unsere Koalition unternommen hat. Es wird bei dieser Politik auch bleiben.
Wichtig wäre allerdings, daß die Zielorientierung dieser Koalition - Senkung der Staatsquote, mehr Wachstum und Beschäftigung, verbesserte Standortqualität und damit verbesserte Wettbewerbsfähigkeit - von allen Entscheidungsträgern und von allen Verantwortungsebenen in Deutschland akzeptiert wird. Das stellt eine Herausforderung auch für die anderen Gebietskörperschaften dar, denn wir leben in einer bundesstaatlichen Verfassung.
Wir können es uns auf Dauer nicht leisten, daß andersgeartete Mehrheiten im anderen Verfassungsorgan, im Bundesrat, den Weg der Gesundung und Konsolidierung dauerhaft blockieren. Voraussetzung für eine nachhaltige Stabilisierung und Gesundung ist allerdings die Begrenzung der Finanzierungsdefizite. Das ist eine Achillesferse unserer Politik - das ist immer wieder deutlich geworden -, weil der öffentliche Haushalt mit den konjunkturellen Entwicklungen sozusagen mitatmet und Schwierigkeiten bei
Konjunktur und Arbeitsmarkt im Bundeshaushalt voll ihren Niederschlag finden.
Sie dürfen doch den Finanzminister in seiner Entschlossenheit nicht unterschätzen. Sie können ihn doch nicht kritisieren; denn er hat bereits vor wichtigen Wahlterminen, im Frühjahr dieses Jahres, nach § 41 unserer Bundeshaushaltsordnung mit einer Haushaltssperre gegengesteuert. Er hat frühzeitig die Zügel in die Hand genommen.
Es ist uns auch in diesem Jahr, obwohl der Haushalt schon sehr knapp geschneidert war, gelungen, eine ganz erhebliche Entlastung herbeizuführen. Andernfalls würde die Nettoneuverschuldung in diesem Jahr wegen der verminderten Steuereinnahmen in diesem Haushaltsjahr, bei denen wir nicht auch noch über die Ausgabenseite gegensteuern konnten, weiter ausufern.
Sie wären glaubwürdiger als Opposition, wenn Sie auf einen eigenen Konsolidierungsbeitrag verweisen könnten. Defizit-Astrologie ist kein Ersatz für konzeptionelle Politik.
Wir wären in der Standortmodernisierung weitergekommen, wenn Sie über den Bundesrat föderale Mitverantwortung und nicht Gesetzgebungsblockade praktiziert hätten.
Der auch von Ihnen immer wieder strapazierte Begriff der angeblich leeren Staatskassen trägt doch nur zur Unschärfe der Diskussion bei. Tatsache ist, daß im nächsten Jahr, 1997, über die öffentlichen Haushalte einschließlich der Sonderrechnungen in Deutschland mehr als 1 200 Milliarden DM Ausgaben getätigt werden, ein volles Drittel des für das nächste Jahr erwarteten Bruttoinlandsprodukts von 3 671 Milliarden DM.
1,2 Billionen DM Ausgabenvolumen im Staatsbereich bedeuten eine gewaltige parlamentarische Haushaltsverantwortung. Diese Haushaltsverantwortung muß auch von Ihnen als Opposition getragen werden, hier und anderenorts; denn Sie sind auf den übrigen Ebenen, wo Sie Verantwortung tragen, mit der gleichen Problemsituation konfrontiert.
Leere Kassen sind also nicht das Problem. Das Problem sind leere Versprechungen, die gemacht werden, ohne daß sie bezahlt werden könnten. Das ist die Situation.
Auch das immer wieder kritisierte sogenannte Sparpaket nimmt den Bürgern doch nichts weg. Es verbietet lediglich den Staats- und Sozialkassen, Geld auszugeben, das überhaupt nicht verfügbar ist. Wir vermeiden Beitragserhöhungen zu Lasten der
Adolf Roth
Bürger. Deshalb sparen wir, und deshalb konsolidieren wir.
Natürlich ist die im Haushaltsentwurf 1997 vorgesehene Nettokreditaufnahme von 56,5 Milliarden DM zu hoch, wenn man von ehrgeizigeren Konsolidierungszielen ausgeht, zu hoch, wenn man die Dinge auf der Basis unseres alten Finanzplans bewertet. Das ist unsere Auffassung. Deshalb verteidigen wir diesen Eckwert und gehen nicht sehenden Auges in eine politische Entwicklung hinein, an deren Ende zusätzliche Etatrisiken hingenommen werden müßten.
Kritik an der Verschuldungshöhe ist berechtigt. Aber sie ist so lange unglaubwürdig, wie sie nicht von der Bereitschaft einer ernsthaften Überprüfung aller an den Staat gerichteten Leistungsansprüche begleitet wird. Wir müssen dort Korrekturen anbringen, wo die Defizite ihren Ursprung haben, und das sind die gesetzlichen Transferleistungen. Ohne Umschichtung und ohne Leistungskürzungen wird das auf Dauer nicht finanzierbar sein.
Deshalb müssen auch die SPD und der Bundesrat an dieser inhaltlichen Diskussion aktiv teilnehmen und ihren Teil der Verantwortung mit übernehmen.
Der Finanzminister hat die volle Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion, wenn er sagt, daß die im Etatentwurf veranschlagte Defizitlinie bis zur Verabschiedung des Haushalts verteidigt werden muß und daß wir von diesem Weg nicht abgehen können. Das Bundeskabinett hat im Etatentwurf bereits auf Beschluß der Koalition und der Fraktionen erhebliche Ressorteinsparungen vorgenommen, 7 Milliarden DM, verteilt auf die Einzelpläne. 18 von 26 Einzelplänen zeichnen sich durch ein Minus bei den Ausgaben aus. Es ist also ein gewaltiger Kraftakt, der schon jetzt dem Haushalt zugrunde liegt.
Wir werden für diese gesamte Legislaturperiode, so wie zu Beginn beschlossen, am Haushaltsmoratorium festhalten. Das heißt im Klartext: Wir haben keinerlei Möglichkeiten für neue ausgabenwirksame Leistungen. Das gilt auch für jeden Versuch, mit zusätzlichen Ausgaben der Konjunktur in irgendeiner Weise auf die Beine helfen zu wollen. Strohfeuerpolitik dieser Art hat in der Vergangenheit regelmäßig in die Sackgasse zerstörter Handlungsspielräume und einer höheren Verschuldung geführt. Deshalb wird diese Politik bei uns keine Nahrung finden.
Unser Weg besteht aus den Programmen für Investition, für Wachstum und für Beschäftigung.
In unserer Zielstrategie 2000 legen wir fest, welcher Staatsanteil, welches Maß an öffentlicher Neuverschuldung und welche Entwicklung im Bereich der Kosten unserer Wirtschaft, der Steuern und Abgaben zur Absicherung unseres Sozialstaates auch für künftige Generationen erforderlich sind. Allerdings müssen im Rahmen des nationalen Stabilitätspaktes, den der Bundesfinanzminister mit Recht in diesem Jahr in die Diskussion gebracht hat, alle öffentlichen Ausgaben langsamer wachsen als das Bruttoinlandsprodukt, die gesamtwirtschaftliche Leistung. Dies ist, ich wiederhole es, auch die Herausforderung an Länder und Gemeinden.
Die SPD müßte eigentlich begreifen, daß die Zementierung brüchig gewordener Besitzstände und eine platte Obstruktionspolitik weder ihrer Partei noch den Menschen in Deutschland nutzt.
Das ist doch die Situation. Sie haben in der heutigen Debatte mehr als einmal offenbart, wie Sie dieses Dilemma spüren, in dem Sie sich heute mit Ihrer fehlgeleiteten Strategie befinden.
In Wirklichkeit geht es darum, unser Sozialbudget von ebenfalls 1 200 Milliarden DM, also etwa ein Drittel des Leistungsvermögens in unserem Staat, sicherer zu machen. Die Idee vom Sozialstaat hat doch ihre Rechtfertigung dadurch, daß von einzelnen Menschen nicht tragbare Risiken in Solidarität mit anderen unter einer fairen Beteiligung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen werden. Eine Umverteilungsmaschine, in der die Gutwilligen zahlen und die Cleveren kassieren, kann dieser Sozialstaat jedenfalls nach unserer Auffassung nicht sein. Wir müssen die Aktiven, die Verantwortungsbereiten und die Vorausschauenden mit unserer Politik motivieren. Damit helfen wir den Bedürftigen in diesem Land, den sozial Schwächeren am allerbesten.
So gesehen sind die Haushaltseinsparungen des Bundes ebenso wichtig wie unverzichtbar, wenn wir auf dem steinigen Weg eines bedarfsgerechten Umbaus unseres Sozialstaates vorankommen wollen. Uns Haushaltspolitikern sind daher die Rückführung der Staatsquote und die damit einhergehende Beschränkung der Staatstätigkeit keine inhaltsleeren Programmfloskeln. Wir fordern seit Jahren und forcieren als Haushaltsgesetzgeber die Personalverringerung in der Bundesverwaltung. Wir werden dafür sorgen, daß auch im kommenden Jahr die Reduzierung der Personalstellen beim Bund auf 322 000 Stellen die Untergrenze bleibt; das ist insgesamt ein Abbau um weitere 1,5 Prozent. Wir haben damit übrigens gegenüber dem Spitzenstand des Jahres 1992 - damals waren es 381 000 Stellen - inzwischen einen Abbau von nicht weniger als 60 000 Positionen erreicht. Dabei sind die Soldaten der Bundeswehr nicht mitgerechnet.
Meine Damen und Herren, das ist eine sehr beachtenswerte Leistung. Wir werden den Anteil der Personalausgaben einschließlich der Versorgungsleistungen als Bund auch weiterhin auf der Basis des Trends entwickeln, der sich in den letzten 20 Jahren
Adolf Roth
gezeigt hat. Seit den 70er Jahren ist nämlich die Quote der Personalausgaben im Bundeshaushalt um ein volles Viertel, von 16 auf 12 Prozent der Bundesausgaben, zurückgegangen. Ich denke, wir müssen gerade den Parlaments- und Regierungsumzug nach Berlin nutzen und als erstrangige Chance begreifen, diesen Prozeß der weiteren Entschlackung und Optimierung im Staatsapparat voranzubringen.
Wir haben frühzeitig als Koalition der Regierung Aufträge erteilt. Wir sind deshalb auch erfreut, daß in dem jetzt vorgelegten Kabinettsbericht des Finanzministers zur Verringerung und Straffung von Bundesbehörden bereits ein sehr ermutigendes Zwischenergebnis mit dem Abbau und der Straffung von insgesamt 25 Teilbereichen, mit erheblichen Strukturprojekten und Pilotprojekten in der ministeriellen Verwaltung auf allen Ebenen, bis hin zum Service, deutlich wird.
Meine Damen und Herren, das alles macht deutlich, daß wir als Parlamentarier auch im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger bei der Reform und Modernisierung unseres Staatsapparats sehr engagiert Druck machen. Wir werden auch im Haushaltswesen des Bundes die Ideen der Budgetierung und Flexibilisierung, die in einigen Modellen bereits eine interessante Gestalt angenommen haben, weiterentwickeln, weil wir wollen, daß hier Rendite erwirtschaftet wird und eines Tages auch dieses leidige Dezemberfieber ein Ende hat.
Die aktuellen Auseinandersetzungen über Haushaltslöcher und Höhe der Neuverschuldung, Frau Matthäus-Maier und Kollege Diller - wenn er denn kommt -, sind doch nichts weiter als fruchtlose Polemik, solange Sie keine Handlungsalternativen aufzeigen
oder solange Sie die Polarisierung durch unbezahlbare Mehrforderungen in zweistelliger Milliardenhöhe weiter verschärfen. Hören Sie auf mit dieser Politik! Damit werden Sie kein Profil als Opposition gewinnen können.
Bundesbank und Sachverständige haben immer wieder auf den Vorrang einer entschlossenen Sparund Konsolidierungspolitik hingewiesen. Bundesbankpräsident Tietmeyer hat dieser Tage noch einmal den fristgerechten Start der Europäischen Währungsunion nur dann für erreichbar erklärt, wenn die Teilnehmerstaaten den Mut zur konsequenten Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung auf bringen, und zwar nicht nur einmalig, sondern nachhaltig. Genau das steht auch im Deutschland-Bericht der OECD. Wir unterstützen dies ausdrücklich.
Die vertrauensbildende Wirkung einer stabilitätsorientierten Haushaltspolitik erlaubt daher nach unserem Verständnis nicht die von einigen empfohlene Inkaufnahme konjunktureller Defizite. Deficit-spending ist ein Weg, der mit uns nicht zu gehen ist. Im Gegenteil, meine Damen und Herren: Die Gewöhnung an die Kreditfinanzierung allgemeiner Staatsausgaben innerhalb der letzten 30 Jahre hat bereits zu einer problematischen Schulden- und Zinsdynamik geführt mit Schäden, die wir in unserer Volkswirtschaft gemeinsam tragen müssen.
Wenn dieselben Leute, die den Weg der öffentlichen Verschuldung eingeleitet haben, heute beklagen, hier fände jetzt auf dem Weg über die Begleichung der Schulden und die Zahlung der Zinsen eine Rückverteilung von unten nach oben statt, dann ist das eine unglaubliche Bewertung dessen, was sie mit ihrer eigenen Politik ausgelöst haben und weiter verantworten müssen.
Wir werden im nächsten Jahr die gesamte Nettokreditaufnahme in Höhe von 56,5 Milliarden DM benötigen, um die Zinslasten aus den regulären Bundesschulden finanzieren zu können. Das ist im Grunde genommen, kapitalmarktmäßig betrachtet, ein reines Nullsummenspiel: Wir nehmen Kredite auf, um auf dem Kapitalmarkt alte Lasten bedienen zu können. Über diese regulären Bundesschulden hinaus müssen wir aber auch noch 37 Milliarden DM bedienen, die wir aus der kommunistischen Erblast im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung in die Sonderrechnungen des Bundes überführt haben. Das heißt: Wir müssen aus Haushaltsmitteln in dieser Größenordnung zusätzliche Leistungen erbringen, und zwar ausschließlich zu Lasten des Bundes.
Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir, wenn wir die knebelnde Zinslast in dieser Größenordnung, die von Ihnen immer wieder beklagt wird, jemals abstreifen wollen, uns am Ende des Wiedervereinigungsjahrzehnts mittelfristig auf ein Vorgehen einrichten müssen, das der Politik ausgeglichener öffentlicher Haushalte entspricht.
Hier hat eine internationale Diskussion eingesetzt, die wir nachhaltig unterstützen können. Ich fordere den Finanzminister dazu auf und ermutige ihn, sich aktiv an dieser internationalen Diskussion zu beteiligen. Andernfalls werden wir mit Blick auf die nächste Generation diese Verschuldung des Staates nicht begrenzen können.
Meine Damen und Herren, Erfolge werden sich auf diesem Feld nur dann einstellen, wenn auch die übrigen Beteiligten in den Ländern und Gemeinden eine gleichgerichtete Politik betreiben. Deshalb muß das, was Theo Waigel angeregt hat - eine verpflichtende Begrenzung der einzelnen Finanzierungsdefizitanteile -, konkrete Gestalt annehmen.
Wir haben erlebt, daß wir im Haushalt 1997 trotz dieser harten Sparpolitik dem Aspekt der positiven Gestaltung eine deutliche Rolle zuordnen können. Wir werden weiterhin die Förderung der neuen Länder mit oberster Priorität betreiben. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" werden einschließlich der Mittel der Länder und des Europäischen Regionalentwicklungsfonds insgesamt 6,5 Milliarden DM bereitstehen. Dies ist meines Erachtens eine Basis für einen weiteren wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Bundesländern. Wir werden in Ostdeutsch-
Adolf Roth
land auch in den Bereichen der Forschung, Entwicklung und Innovation weiter aktiv bleiben.
Meine Damen und Herren, trotzdem schonen wir mit diesem Sparhaushalt die öffentlichen Investitionen. Die Quote von 13,8 Prozent liegt auf dem Niveau der Leistungen der 90er Jahre. Sie ist höher als vor der Wiedervereinigung. Unser Problem ist, daß wir bei den konsumtiven Ausgaben, wie schon geschildert, Engpässe haben, die durch die Konjunkturentwicklung auf den Haushalt zugekommen sind. Allein der Anteil der Sozialausgaben am Bundeshaushalt mit 148 Milliarden DM macht dies deutlich.
Wir werden auf allen Feldern der Politik, dort, wo die Gestaltungsmöglichkeiten des Staates in besonderer Weise herausgefordert sind - im Verkehrshaushalt mit seinen Investitionen und im Blick auf unsere Soldaten, für die wir eine große Verantwortung empfinden, bei den großen Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr -, die notwendigen Akzente setzen, damit der investive Teil des Bundeshaushaltes verstärkt wird.
Wir stehen wegen der angespannten Finanzlage vor schwierigen Ausschußberatungen. Das Jahr 1997 ist das schwierigste Haushaltsjahr dieser Legislaturperiode. Deshalb brauchen wir Verantwortungsbereitschaft, aber auch politisches Stehvermögen.
Die im Haushaltsvollzug 1996 eingetretene Basisverschlechterung wird nicht ohne Wirkung auf das nächste Jahr sein können. Wir müssen gerade dann, wenn die Eckwerte korrigiert werden - jetzt im Herbst -, Nachkorrekturen vornehmen.
Wir brauchen und fordern aber auch die Zustimmung des Bundesrates für die bis dato blockierten Gesetzgebungsvorhaben des Bundes. Wenn Sie dies verweigern, werden Sie weder Ihrer Haushaltsverantwortung als Bundespolitiker gerecht, noch erfüllen Sie damit vermeintliche Länderinteressen. Wenn Sie sich zu Europa bekennen, wie Sie es kürzlich auf Ihrem Bonner Kongreß getan haben, wenn Sie die Wirtschafts- und Währungsunion als einen entscheidenden Schritt für die Entwicklung Deutschlands betrachten, dann müssen Ihren Lippenbekenntnissen auch Taten folgen. Dann müssen Sie bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, mit uns die Konsolidierungspolitik fortzusetzen, bei der Begrenzung der Staatsausgaben mitzuwirken und verantwortungsbewußt an der Zukunft Deutschlands mitzuarbeiten.
Die Fraktion von CDU und CSU wird sich dieser Pflicht stellen. Ich bin sicher: Wir werden auch diese schwierige Phase unserer Finanzentwicklung meistern können.
Herzlichen Dank.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Detlev von Larcher das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine ganze Stunde habe ich - wie vielleicht auch mancher von Ihnen - heute mittag dem Bundesfinanzminister zugehört. Mir ist Verschiedenes aufgefallen: Zum einen hat er sich unheimlich viel und intensiv gelobt. Ich habe mir gedacht: Hat er denn sonst keinen, der ihn lobt? Warum muß er sich selber so loben?
Dann fiel mir ein, daß ich in meiner Kindheit ein Sprichwort über das Eigenlob gehört habe. Das war allerdings in Siebenbürgen; ich glaube aber, in Bayern gibt es das auch.
Zum anderen fiel mir die Widersprüchlichkeit seiner Argumentation auf, wenn er von den Bundesländern spricht, insbesondere von denen mit sozialdemokratischen Ministerpräsidenten. Einerseits beklagt er sich, sie würden bei der Konsolidierung nicht mitmachen. Fast im selben Atemzug referiert er dann die Sparmaßnahmen in den Bundesländern. Für eines müssen Sie sich entscheiden, Herr Waigel. Beides geht nicht.
Ich bin jetzt sechs Jahre in diesem Parlament.
- Ich wußte, daß Sie das rufen. Ich habe in meinen Anfangsjahren immer gehört, daß die Erblast, die diese arme Bundesregierung zu übernehmen hatte, schuld an allen Fehlentwicklungen war. Jetzt ist es nicht mehr die Erblast, sondern die Blockadehaltung der Politik - nur nicht die Bundesregierung und ihre Mehrheit, die seit 14 Jahren regiert! Das ist die Arroganz der Mehrheit in diesem Hause.
Übrigens, meine Damen und Herren, wer hier sagt - das habe ich von vielen Koalitionsrednern gehört -: „Zu unserer Politik gibt es keine reale Alternative", der sagt: „Ich bin nicht diskussionsbereit, ich bin nicht bereit zuzuhören, ich bin nicht mehr bereit zu lernen." Nichts anderes heißt dies; sonst müßte man über Wege diskutieren. Wenn Sie hier sagen: „Wer nicht so will wie ich, der blockiert", machen Sie deutlich, daß Sie überhaupt nicht mehr diskutieren wollen.
Jeder, der heute ernsthaft debattiert, muß dieser Bundesregierung zurufen: Hört auf mit eurer Umverteilungspolitik! Hört auf, den Standort Deutschland kaputtzureden, um einen Vorwand für Umverteilung zu haben!
Hört auf, mit der Abbruchbirne unseren Sozialstaat zu traktieren! Hört auf mit der Zerstörung des Fundaments einer wirklich sozialen Marktwirtschaft!
Detlev von Larcher
Hört auf mit der Steigerung der Arbeitslosigkeit! Hört auf mit der Vergrößerung der Armut in unserem reichen Land!
Wer wirklich Wachstum und mehr Beschäftigung will, muß nicht wohlklingende Überschriften erfinden, sondern eine Wachstumspolitik betreiben, eine Politik des qualitativen Wachstums. Nicht ein Abbruch und eine Zerstörung der Nachfrage, sondern Investitionen in die Zukunft sind notwendig, zum Beispiel Investitionen in Forschung und Entwicklung, zum Beispiel Investitionen in die Ausbildung, zum Beispiel eine aktive Arbeitsmarktpolitik, zum Beispiel Investitionen in die Städtebauförderung.
Das sind nur einige Punkte, bei denen Ihr Haushaltsentwurf rachitisch ist. Das sind nur einige Punkte, die die Unfähigkeit dieser Bundesregierung offenbaren, eine gute Zukunft unseres Landes zu gestalten.
- Sie sagen, das ist unser Programm. Aber wie drückt sich das in Zahlen aus? - Die Zahlen drücken das Gegenteil aus. Die Zahlen des Haushaltsentwurfs sind erschreckend. Rund jede sechste Mark, die ausgegeben wird, wird aus neuen Schulden finanziert. Aber das eigentliche Problem ist nicht die hohe Neuverschuldung, die uns diese Bundesregierung beschert. Viel schlimmer ist es, wie diese katastrophale Finanzlage zustande kommt. Sie ist vor allen Dingen das Resultat Ihrer lang anhaltenden Parallelpolitik, einer Finanzpolitik, die sich wider jede wirtschaftliche Vernunft an Kriterien orientiert, die für private Wirtschaftsanlagen richtig, für den Staat aber grundverkehrt sind. Symmetrisch sollen sie angeblich sein, aber die totale soziale Asymmetrie ist die Folge.
Seit dem Abbrechen des Vereinigungsbooms hetzen Bundesregierung und Koalition von einem sogenannten Sparpaket zum nächsten. Da ist es kein Wunder, daß die gebetsmühlenartigen Ankündigungen einer durchgreifenden konjunkturellen Erholung immer nur Ankündigungen geblieben sind. Die Binnennachfrage wird von Ihnen abgewürgt. Die Arbeitslosigkeit steigt weiter. Die Steuereinnahmen bleiben folgerichtig hinter den Erwartungen zurück. Die Einnahmen der Sozialversicherung entwickeln sich schwächer, während gleichzeitig die Ausgaben steigen.
Ihr vorgebliches Ziel der Haushaltskonsolidierung und -sanierung wird deshalb regelmäßig verfehlt, wenn ausgerechnet in Rezessionsphasen Sparpakete, wie Sie es schönfärberisch nennen, geschnürt werden. Ich sage dazu: Abbruchpakete. Ihre Abbruchpolitik ist das größte Haushaltsrisiko.
Sehr eindringlich haben im Frühjahr die großen Wirtschaftsforschungsinstitute davor gewarnt, einen konjunkturbedingten Anstieg der Neuverschuldung mit weiteren Sparmaßnahmen bekämpfen zu wollen. Aber wissenschaftlichen Rat nimmt diese Bundesregierung ohnehin nur dann ernst, wenn er ihr gelegen kommt.
Als zweiter sogenannter Sachzwang zur Rechtfertigung Ihrer immer neuen Attacken auf den Sozialstaat dient Ihnen der Vertrag von Maastricht mit seinen Konvergenzkriterien für den Eintritt in die Europäische Währungsunion. Aber mit Ihrer Finanzpolitik werden Sie die Konvergenzkriterien gerade nicht erfüllen. Im Gegenteil: Weil auf Grund Ihrer völlig verfehlten Finanzpolitik die Bezugsgröße, das Bruttoinlandsprodukt, weit unter den Möglichkeiten bleibt, steigen die Defizite und die Verschuldungsquote sogar noch.
Wie wollen Sie, Herr Minister Waigel - ist er denn überhaupt noch da? -,
eigentlich einen europäischen Stabilitätspakt hinbekommen, wenn Sie nicht einmal erkennen, daß Ihre Finanzpolitik in höchstem Maße destabilisierend wirkt?
- Das nehme ich natürlich nicht zurück, weil es richtig ist.
Immer wieder frage ich mich: Kann es wirklich sein, daß Sie diese grundlegenden ökonomischen Zusammenhänge nicht verstehen? Nein, antworte ich, Sie wollen die Zusammenhänge nicht sehen, weil sie dem Hauptziel Ihrer Politik im Wege stehen, für die Sie die Rekordmassenarbeitslosigkeit in Kauf nehmen, nämlich der beispiellosen Politik der Umverteilung von unten nach oben. Die Teilnehmer an den Massendemonstrationen, die der Herr Bundeskanzler frech verächtlich macht, rufen Ihnen zu: Kehrt endlich um! Wir Sozialdemokraten stehen an der Seite derer, die das rufen.
Stichwort Umverteilung: Sie ist im Steuer- und Finanzchaos dieser Bundesregierung neben der Parallelpolitik die zweite Konstante. Sie hat ebenso verheerende gesamtwirtschaftliche Folgen. Ich will das an Hand einiger Zahlen zur Entwicklung des Steueraufkommens verdeutlichen: 1980 betrug der Anteil der Lohnsteuer am gesamten Steueraufkommen 30,6 Prozent; 1990 betrug er 32,3 Prozent; 1995 waren es - ohne Solidaritätszuschlag - schon 34,7 Prozent. Dagegen sank der Anteil der veranlagten Einkommensteuer von 10,1 Prozent über 6,6 Prozent im Jahre 1990 auf gerade noch 1,7 Prozent im Jahre 1995.
Detlev von Larcher
Nicht wesentlich anders sehen die Zahlen bei der Körperschaftsteuer aus.
Zuni Standort Deutschland. Das Münchener If o-Institut kommt in seinem jüngsten Gutachten zur Standortdebatte zu dem Ergebnis, die Effektivbelastung mit Unternehmensteuern sei in der Bundesrepublik im Vergleich zu den wichtigsten Industrieländern eher niedrig. Die Bundesregierung kommt in ihrem Standortbericht vom Juni 1994 zu dem Ergebnis, die Ertragsteuerbelastung der Unternehmen liege auf dem niedrigsten Niveau in der Geschichte der Bundesrepublik. In der Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion zur Entwicklung des Steueraufkommens und der Steuerstruktur stellt die Bundesregierung fest: Von 1970 bis 1994 stieg der Anteil der Lohnsteuer an den gesamten Steuereinnahmen um 11 Prozentpunkte; gleichzeitig sank der Beitrag der Steuern aus Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 10 Prozentpunkte. Im Bundesbankbericht vom November 1995 wird nach Untersuchungen von 17 000 Jahresabschlüssen des Jahres 1994 konstatiert: Immerhin stiegen die Gewinne vor Steuern um 34 Prozent, nach Steuern auf Grund steuerlicher Entlastungen sogar um 43 Prozent.
Sie behaupten, mehr Arbeitsplätze auf Grund von mehr Investitionen gebe es durch die Entlastung der Unternehmen. Aber hat diese gigantische Entlastung der Unternehmen tatsächlich zu mehr Investitionen und neuen Arbeitsplätzen geführt? Jeder kann sehen, daß das nicht so ist. Nur die Bundesregierung braucht für diese Erkenntnis offenbar etwas länger. Müssen Sie unbedingt noch demonstrieren, daß auch die Abschaffung der Vermögensteuer nicht zu zusätzlichen Investitionen und wirtschaftlicher Dynamik führt, wenn die kaufkräftige Nachfrage fehlt?
Wollen Sie uns weismachen, die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer oder der gesamten Gewerbesteuer verkehre den grundsätzlichen Irrtum Ihres Ansatzes in Wahrheit?
Oder bedarf es dazu einer kompletten Abschaffung
aller Unternehmensteuern?
Ausgerechnet die Gewerbekapitalsteuer mit 3,5 Milliarden DM Ertrag soll nun über das Wohl und Wehe des Standorts entscheiden? Ich hätte von Herrn Waigel gerne gehört, ob denn nun der Plan, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen, der Einstieg in den Ausstieg aus der Gewerbesteuer insgesamt ist oder nicht. Dazu sagt er aber nichts.
Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Die beispiellose Umverteilung von unten nach oben ist eine weitere wichtige Ursache der schlechten wirtschaftlichen Lage. Die Beschneidung der Konsummöglichkeiten gerade derjenigen, die zusätzliches
Einkommen auch tatsächlich ausgeben würden, vernichtet Nachfrage und damit Arbeitsplätze.
Auch die Freistellung des Existenzminimums und die Neuregelung des Familienlastenausgleiches im Jahressteuergesetz 1996 haben dieses entscheidende Problem nur gemildert, aber nicht beseitigt. Zwar hat die SPD in diesen beiden Punkten gegen Ihren Widerstand wichtige Erfolge erzielt
und sich sehr weitgehend gegen die Position Ihrer Koalition durchgesetzt, aber eine konsequente Reform haben Sie verhindert. Und selbst den damals mühsam gefundenen Kompromiß wollen Sie nun mit dem Jahressteuergesetz 1997 wieder kippen. Dazu lassen Sie die Menschen wissen, es mache doch keinen großen Unterschied, ob die Erhöhung des Kindergeldes ein Jahr früher oder später komme. Für mich trifft das sicher zu, für Herrn Waigel auch. Aber für eine Familie mit zwei Kindern und mittlerem Einkommen ist es sehr wohl wichtig, ob sie 480 DM mehr oder weniger zur Verfügung hat.
Das ist viel, viel wichtiger als die rund 8 000 DM, die Sie dem durchschnittlichen Vermögensteuerzahler in Zukunft erlassen wollen, und das ohne jede stichhaltige Begründung. Meine Kollegin Matthäus-Maier hat schon betont, daß das Kindergeld ein Rechtsanspruch auf ein steuerfreies Existenzminimum des Kindes ist. Ich sage Ihnen: Auch die ökonomische Vernunft gebietet die pünktliche Erhöhung des Kindergeldes.
Das wichtigste Argument für den Wegfall der Vermögensteuer war doch der vom Verfassungsgericht aufgestellte Grundsatz der Halbteilung des Ertrags. Ich will mich hier gar nicht weiter darüber auslassen, wie dieser Grundsatz interpretiert werden muß. Ich möchte Sie hierzu nur fragen: Meinen Sie nicht, daß nach der von Ihnen so vollmundig angekündigten drastischen Senkung des Spitzensteuersatzes auch hinsichtlich dieses Halbteilungsgrundsatzes keinerlei Bedenken mehr gegen den Fortbestand der Vermögensteuer bestehen können?
Ich verstehe sehr gut, daß Sie sich in Sachen Steuerreform selbst nicht über den Weg trauen.
Schließlich war es doch diese Bundesregierung, die gleich nach der Bundestagswahl den Zwischenbericht der Bareis-Kommission sofort in den Reißwolf gesteckt hat. Wie sollte es da ausgerechnet Ihnen gelingen, einen tragfähigen Reformvorschlag zu machen, der die dringend notwendige Steuervereinfachung mit der Wiederherstellung des Leistungsfähigkeitsprinzips bei der Besteuerung verbindet? Das Sommertheater, das Ihre selbsternannten Steuer-
Detlev von Larcher
experten aufgeführt haben, bestätigt meine Einschätzung auch voll und ganz. Noch bevor ein einziger konkreter Vorschlag zum Abbau von Steuervergünstigungen das Licht der christlich-liberalen Welt erblickt hat, liegt sich die Koalition erst einmal wegen des Termins in den Haaren, wobei die wahltaktischen Motive der Koalitionspartner allzu offensichtlich waren. Jetzt können Sie von der F.D.P. ja einmal für unseren Termin stimmen. Ich bin neugierig, wie ernst Sie das meinen.
Ich sage Ihnen: Es wird mit dieser Koalition keine wirkliche Steuerreform geben können. Man muß sich ja nur anschauen, wie Sie sich gegenseitig die Brokken um die Ohren werfen. Der F.D.P.-Vorsitzende kritisiert Herrn Schäuble, weil der von einem Nettobetrag der Entlastung in Höhe von nur 20 bis 30 Milliarden DM ausgeht; Herr Gunnar Uldall will über 100 Milliarden DM bewegen; Herr Hintze tröstet uns nun damit: Am 7. Oktober wird etwas beschlossen, aber das ist nur möglicherweise sehr konkret. Also, ich glaube, Sie kriegen das nicht hin.
Alles, was von Ihrem Jahrhundertprojekt noch übrig ist, ist der Stufentarif mit Spitzensteuersätzen, die einen fetten Reibach für Spitzenverdiener versprechen; vom Abbau von Steuervergünstigungen reden Sie kaum noch, wie auch. Sie waren es doch, die mit immer neuen Steuergesetzen jeweils mit großem Tamtam ein paar Steuersubventionen gestrichen haben, während mindestens doppelt so viele neu hinzugekommen sind.
Das neue Zauberwort der Koalition für die Gegenfinanzierung der Tarifsenkung lautet nun: Mehrwertsteuererhöhung. Das ist sicherlich der bequemste Weg. Auf dem Gehaltszettel stehen dann für alle niedrigere Steuern; nur, das Portemonnaie wird für die meisten noch leerer sein als bisher. Als Steuersenkungskoalition wollten Sie in die Sommerpause gehen, als Mehrwertsteuererhöher sind Sie aus ihr herausgekommen. Phantastische Versprechen vor der Sommerpause - Sie sind gestürzt, ehe Sie gestartet sind.
Die wahren Ziele Ihrer Politik versuchen Sie zu verschleiern hinter wohlklingenden Überschriften. Die Ergebnisse Ihrer Politik sind Massenarbeitslosigkeit, mehr Armut in einer reichen Gesellschaft und Rekordschulden. Der Vollzug Ihres heute eingebrachten Haushaltsentwurfs, Herr Waigel, wird diese Spirale noch beschleunigen. Wer es mit unserem Volk gut meint, muß diesen Entwurf ablehnen.
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Dankward Buwitt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr von Larcher, Sie sagten: Umkehren. Da fragt man sich ja: Wohin? Zu Ihrer Politik? - Das zeigt doch nur, welch schlechtes Gedächtnis Sie haben. In den Jahren 1981 und 1982 hatten Sie eine Nettoneuverschuldung von 37 Milliarden DM bei einem Steueraufkommen von 180 Milliarden DM. Wir hatten 1989 noch 19 Milliarden DM Nettoneuverschuldung bei niedrigerer Steuerbelastung der Bürger und Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Sie haben in sieben Jahren, von 1975 bis 1982, die Verschuldung des Bundes ohne Wiedervereinigung und ohne irgendwelche besonderen Tatbestände verdreifacht. Sollen wir dahin zurückkehren? Sie diskutieren hier so, als ob es die Wiedervereinigung nicht gegeben hätte. Das ist auch kein Wunder - Sie haben sie ja auch nicht gewollt.
Wenn Sie dann gar nicht mehr weiterwissen - auch Sie, Frau Matthäus-Maier -, dann holen Sie die Frage der Umverteilung wieder aus dem Keller. Ich glaube, daß moderne Politik auf diese Weise nicht mehr zu machen ist.
Während die SPD-Spitze am 27. August auf Bundesebene aufruft, gegen die Sparbeschlüsse der Bundesregierung zu demonstrieren, verhängt am selben Tag die Berliner SPD-Finanzsenatorin eine totale Haushaltssperre, so daß selbst vernünftige Ausgaben nicht mehr getätigt werden können.
Während viele Länder über die Kosten von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern stöhnen, lehnt die SPD auf Bundesebene Veränderungen, die zu erheblichen Einsparungen bei den Ländern führen würden, ab - so zum Beispiel das Asylbewerberleistungsgesetz und die Einbeziehung der Bürgerkriegsflüchtlinge. Während Herr Lafontaine das Paket für mehr Wachstum und Beschäftigung einen Affront gegen die Arbeitnehmer nennt, ist die Ablehnung der SPD eher ein Affront gegen die Menschen ohne Beschäftigung, die gerne arbeiten würden.
Das bestätigt indirekt auch Herr Struck, der das Scheitern im Vermittlungsausschuß eine gute Nachricht nannte. Wer das Scheitern von Maßnahmen für mehr Wachstum und Beschäftigung eine gute Nachricht nennt, hat die Arbeitslosen in Deutschland schon längst abgeschrieben. In der gesamten Rede von Frau Matthäus-Maier ist Arbeitslosigkeit genau in einem einzigen Satz vorgekommen. Die SPD hat sich mit dieser zynischen Haltung bereits von jeglicher Verantwortung getrennt.
Bei der Großdemonstration der Gewerkschaften in Bonn war von den Arbeitslosen und von aufmerksamen Beobachtern festgestellt worden, daß sich die Menschen ohne Beschäftigung von den Gewerkschaften nicht vertreten fühlen. Dies wird auch durch das Handeln der Gewerkschaft im Falle Viessmann untermauert. Während Geschäftsleitung und Mitarbeiter nach Wegen suchen, die Arbeitsplätze in
Dankward Buwitt
Deutschland zu erhalten, klagt die Gewerkschaft gegen Vereinbarung und Betriebsrat. Durch dieses Verhalten leisten die Gewerkschaften einen Beitrag nicht zu mehr Arbeitsplätzen in Deutschland, sondern zu weiterem Abbau. Sie machen sich letztlich selbst überflüssig.
Meine Damen und Herren, deutsche Unternehmer und deutsche Unternehmen schaffen genug Arbeitsplätze - leider jedoch nicht in Deutschland. Ausländische Investoren sehen zur Zeit keine Veranlassung, Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen. Wir können gewiß sein, daß unsere Bemühungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern nicht nur in Deutschland verfolgt werden. Sie finden auch große Aufmerksamkeit im Ausland, weil es die Unternehmer interessiert, ob wir uns als reformfähig erweisen und sie selbst Deutschland wieder in ihre Überlegungen einbeziehen müssen.
Natürlich verlangen strukturelle Veränderungen den Abschied von liebgewonnenen Dingen, manchmal auch Opfer. Aber lohnt es sich nicht, wenn wir damit den Weg in die Zukunft gestalten können, die Volkswirtschaft stärken und neue Ressourcen für soziale Hilfen in unserem Land schaffen, aber auch Möglichkeiten der Hilfe für andere in dieser Welt, die sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht selber helfen können? Lohnt sich dies nicht?
Eine Frau, die sich mit mir über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit unterhielt, empfand dies als Unverschämtheit, als Eingriff in ihre Lebensplanung.
- Natürlich, das ist es ja auch. Sie haben völlig recht. Aber fragen wir doch mal einen Arbeitslosen, welchen Eingriff in seine Lebensplanung es bedeutet, wenn er keine Beschäftigung und kein selbst erwirtschaftetes Einkommen mehr hat.
Wir haben Sparnotwendigkeiten und -zwänge. Wer wollte diese denn ernsthaft bestreiten? Durch ihre Bewältigung schaffen wir zwar die Basis für die Zukunft; leben werden wir aber nicht vom ersparten Geld, leben werden wir von den erwirtschafteten Einnahmen. Daher ist die wichtigste Aufgabe und die größte Herausforderung für uns, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Da muß es nach meiner Meinung Gemeinsamkeiten geben, und da muß es uns über Parteigrenzen hinaus gelingen, Gemeinsames zu schaffen.
Wir können mit Sicherheit nicht alles gleichzeitig haben. Wir müssen Prioritäten setzen. Meine Damen und Herren, höchste Priorität muß für uns nach meiner Meinung der Erhalt der Arbeitsplätze in Deutschland und die Schaffung neuer haben. Diese Priorität wird den Menschen am meisten gerecht, weil sie dann ein selbstverantwortetes, selbstbestimmtes und selbstgestaltetes Leben führen können, weil sie nicht auf gesellschaftliche und staatliche Unterstützung angewiesen sind, sondern aus eigener Leistung ihre Ressourcen schöpfen, was nicht nur wirtschaftlich unabhängig, sondern auch menschlich zufrieden macht.
Mehr Arbeitsplätze geben uns die Möglichkeit, gerade den Menschen besser zu helfen, die dies aus eigener Kraft nicht leisten können. Wir sind nicht das Volk mit den kränksten Arbeitnehmern, wie uns manche Statistik aufzeichnet. Wir dürfen das auch nicht sein, wenn wir den wirklich Kranken, den Behinderten und den Benachteiligten das geben wollen, was sie benötigen und worauf sie in einer humanen Gesellschaft auch Anspruch haben.
Unsere Leistungsfähigkeit zu steigern, dieses Ziel verfolgen das Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung, ein sparsam angelegter Haushalt und das Jahressteuergesetz 1997. Vieles ist dazu heute bereits genannt worden. Zum Beispiel entspricht der vorgelegte Haushaltsplan der Bundesregierung für 1997 im Volumen dem des Jahres 1993. Die Finanzplanung, aufbauend auf dem Ist von 1995, weist praktisch eine Steigerung bis zum Jahre 2000 von einem Prozent auf - nicht jedes Jahr, sondern insgesamt.
Ich möchte einige Beispiele von Maßnahmen nennen, die Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen, die den Weg für mehr Investitionen frei machen und die den Menschen Mut machen sollen, neue Existenzen zu gründen.
Die Abschaffung der betrieblichen Vermögensteuer entspricht - das ist hier heute mehrmals erwähnt worden - nicht nur den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts; sie ist gleichzeitig ein wichtiges Signal für die Wirtschaft. Die meisten unterschätzen die Bedeutung der Psychologie in der Wirtschaft. Eine Steuer, die sich an Substanz und Verlust orientiert, ist arbeitsplatzhemmend. Das gilt auch für die Gewerbekapitalsteuer. Die Abschaffung beider Steuern ist wesentliche Voraussetzung für Impulse zur Schaffung von mehr Wettbewerbsfähigkeit und damit zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen bei uns.
Die vorgesehene Rückführung des Solidaritätszuschlags wird in den beiden nächsten Jahren bei den einzelnen keine große Entlastung bringen, macht aber deutlich, daß wir es auch in schwerer Zeit ernst meinen, daß wir alles daran setzen, die Leistungsbereitschaft zu fördern und den Bürger von übermäßiger Steuerbelastung zu befreien.
Es war überfällig, daß Steuervergünstigungen, die einst unter völlig anderen Voraussetzungen eingeführt wurden, gekürzt oder gestrichen wurden und werden. Dabei ist es falsch, über die Menschen herzuziehen, die diese Möglichkeiten, vom Gesetzgeber - also von uns - geschaffen, wahrnehmen. Vielmehr müssen wir durch Veränderung reagieren und haben dies auch getan. Ich denke zum Beispiel an die Novellierung der Sonderabschreibung für die neuen Bundesländer zum 1. Januar 1994, aber auch an die aktuelle Frage der Sonderabschreibung für Schiffe und Flugzeuge.
Ein weiteres Beispiel ist die Veränderung des Kündigungsschutzes, die Anhebung des Schwellenwertes von fünf auf zehn Arbeitnehmer für die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes. Vielen von uns
Dankward Buwitt
geht diese Regelung nicht weit genug, weil Chancen für neue Arbeitsplätze ungenutzt bleiben. Wer sagt, daß auf diese Weise Arbeitnehmer zu Freiwild erklärt werden, hat nichts, aber auch gar nichts verstanden. Im Gegensatz zu vielen Großbetrieben haben die kleinen und mittleren Unternehmen in der Vergangenheit in der Regel gerade für ihre Mitarbeiter verantwortlich gehandelt. Sie haben manchem Mitarbeiter auch in schwerer Zeit seinen Arbeitsplatz gesichert. Nun müssen wir diesen kleinen und mittleren Unternehmen auch die Möglichkeit geben, den Fortbestand ihrer Betriebe zu sichern, und dies möglichst auf einer gesunden Basis.
Diese und andere Maßnahmen weisen den Weg in die richtige Richtung. Der große Wurf soll dann die große Steuerreform werden. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn alles vorliegt, werden wir aufpassen müssen, daß sich die Erwartungen an diese große Steuerreform nicht zu hoch schrauben, nämlich so hoch, daß sie keiner erfüllen kann. Wir werden nicht an einem Wettlauf der Termine, sondern an einem soliden Ergebnis gemessen.
Meine Damen und Herren, für andere wichtige Themen wie die Schattenwirtschaft, die Schwarzarbeit, Dienstleistungen im privaten Bereich, die 590-DM-Arbeitskräfte - alle diese Themen sind wichtig - verbleibt mir nicht genug Zeit.
Zum Schluß möchte ich sagen: Wir brauchen mehr Vertrauen in den Standort Deutschland, das schafft bei uns mehr Arbeitsplätze. Wir brauchen das Vertrauen der Menschen, das schafft mehr Leistungsbereitschaft. Wir brauchen mehr Überschaubarkeit und Überprüfbarkeit, das schafft Gerechtigkeit. Wir brauchen mehr Eigenverantwortung, das schafft Unabhängigkeit für die Menschen.
Warum brauchen wir das alles? Wir brauchen das nicht nur in Anbetracht der Globalisierung der Weltmärkte, nicht nur damit wir in Europa konkurrenzfähig bleiben, nicht nur um allen Menschen in Deutschland ein Leben in Würde zu ermöglichen. Wir müssen dies und vieles andere tun, um unseren Beitrag zum Zusammenwachsen Europas zu leisten; denn ohne Deutschland wird es kein vereintes Europa geben, und ohne das geeinte Europa werden wir unseren Kindern kein Deutschland hinterlassen können, in dem sie einer friedlichen Zukunft in Freiheit entgegengehen.
Recht herzlichen Dank.
Es spricht jetzt der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 1997 ist konjunkturpolitisch kontraproduktiv; denn er begrenzt die Binnennachfrage. Dieser Bundeshaushaltsentwurf ignoriert arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Notwendigkeiten; Stichwort: ABM-Kahlschlag im Osten. Schließlich würde diesem Haushalt bei seinem möglichen Inkrafttreten sogar der dornenreiche Weg zum
Bundesverfassungsgericht drohen; denn die Investitionen des Bundes liegen mit rund 60,5 Milliarden DM nur noch knapp über der veranschlagten Neuverschuldung. Diese wiederum darf aber nach Art. 115 des Grundgesetzes nicht höher als die investiven Ausgaben ausfallen.
Nutznießer dieser Bundesschuldenwirtschaft sind vor allem die Banken, Versicherungen und weitere große in- und ausländische Vermögen, die auf diese Weise, in Verbindung mit der starken D-Mark, üppige Kurs- und Zinsgewinne kassieren. Das alles paßt in die Umverteilungspolitik von unten nach oben, die die Bundesregierung praktiziert.
Mit ihrer Haushalts-, Steuer- und Finanzpolitik gefährdet die Bundesregierung aber auch die kommunale Finanzautonomie und damit letzten Endes den Fortbestand kommunaler Selbstverwaltung. Durch laufende Steuerrechtsänderungen zu Lasten der Städte, Gemeinden und Landkreise sowie die zunehmende Verlagerung der Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit vom Bund in die Flure der Sozialämter - die Sozialhilfekosten waren 1995 auf ein Rekordniveau von 52,1 Milliarden DM gestiegen - hat die Bundesregierung neben den Ländern maßgeblich zur größten kommunalen Finanzkrise in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beigetragen. Das ist ein unhaltbarer Zustand.
Zudem hält die Bundesregierung daran fest, die Gewerbekapitalsteuer vollständig abzuschaffen und die Gewerbeertragsteuer weiter einzuschränken. Das liegt wohl eindeutig im Interesse der großen Unternehmen und wohl kaum - hier möchte ich Herrn Waigel ausdrücklich widersprechen - im Interesse der Kommunen, zumindest so lange nicht, wie die Gemeinden von der Bundesregierung keine verbindliche Zusage über die Aufnahme der Gewerbesteuer als Realsteuer in das Grundgesetz bekommen.
Bei den Kommunen gehen Angst und Sorge über den möglichen generellen Wegfall der Gewerbesteuer um. Die Worte, die jüngst aus der F.D.P. gekommen sind - ich erinnere an die Aussage von Frau Frick in diesem Hause -, sprechen eine deutliche Sprache in diese Richtung.
Die Bundestagsgruppe der PDS verlangt statt dessen eine längst überfällige umfassende Reform der Kommunalfinanzierung in Deutschland, die die erheblichen Strukturdefizite beseitigt und die kein Anhängsel, wie sie es bei der Unternehmenssteuerreform der Bundesregierung ist, sein kann.
- Ja, gerade wir, Herr Lühr.
Wir haben einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht, und wir verfügen zumindest in Ostdeutschland über eine kommunalpolitische Kompetenz, von der Ihre Partei, Herr Lühr, nur träumen kann.
Dr. Uwe-Jens Rössel
Bestandteil unseres Reformkonzeptes ist auch die Verankerung einer Investitionspauschale des Bundes für die arg gebeutelten ostdeutschen Gemeinden. Wir haben dafür auch eine konkrete Finanzierungsgrundlage.
In der Steuerpolitik nehmen die sozialen Verwerfungen dramatisch zu. Tatsache ist, daß das Aufkommen von direkten Steuern in der Bundesrepublik in steigendem Maße von den Lohnsteuerpflichtigen und zu einem immer geringer werdenden Anteil durch Unternehmen- und Vermögensteuern erbracht wird. Es gehört daher in das Reich der Märchen, daß die Bundesrepublik ein Unternehmenshochsteuerland sei. Genauso gehört es in das Reich der Märchen, daß der Spitzensteuersatz in Deutschland außergewöhnlich hoch sei. Dänemark, Belgien und die Niederlande, Nachbarländer, haben beispielsweise einen höheren Spitzensteuersatz als wir. Dies nur am Rande.
Jetzt will die Bundesregierung ihre Politik der Umverteilung mit der hochangekündigten umfassenden Steuerreform 1998/99 fortsetzen. Wir lehnen solche Vorschläge, soweit sie bisher bekanntgeworden sind, ab, denn die von CDU und F.D.P. ins Spiel gebrachten sogenannten dreistufigen Einkommensteuertarife, die in erster Linie die Einkommensmillionäre begünstigen, würden zu Steuerausfällen in Höhe von 100 Milliarden DM jährlich führen, und das bei der u. a. von Herrn Roth ausgewiesenen dramatischen Verschuldung der öffentlichen Haushalte. Diese Steuerausfälle sollen dadurch finanziert werden, daß viele der derzeit bedeutenden Steuervergünstigungen, die eben in erster Linie den Einkommensmillionären und nicht den einkommensschwachen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zugute kommen, gestrichen werden. Das aber wird wohl wieder am Widerstand der „großen" Lobbyisten, von der Autoindustrie bis hin zu den Investmentgesellschaften, scheitern. Das hat bereits im Vorjahr das Schicksal der Vorschläge der Bareis-Kommission zur Einkommensteuerreform gezeigt. Damit liefe die Finanzierung der sogenannten großen Steuerreform letztlich doch auf eine Mehrwertsteuererhöhung hinaus, wie sie im Sommer auch vom Kanzler ins Spiel gebracht worden ist. Wir lehnen dies ab und widersetzen uns derartigen Vorschlägen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Wilfried Seibel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bund nimmt 400 Milliarden DM aus Steuern und Abgaben ein. Im Jahr 1995 wurden ziemlich genau 10 Prozent, unserer Staatseinnahmen, nämlich 41 Milliarden DM, an die Europäische Union nach Brüssel abgeführt. Die aktuelle Lage der Staatsfinanzen auf allen Ebenen ist durch massive Konsolidierungsanstrengungen geprägt, anders ausgedrückt: Bund, Länder und Gemeinden sind gezwungen, jede Mark zweimal umzudrehen, bevor sie ausgegeben wird. Vor diesem Hintergrund sind 10 Prozent der Staatseinnahmen eine Größenordnung, über die intensiver nachzudenken sich lohnt.
Die Länder der Europäischen Union bereiten sich auf den Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion vor. Am Jahresende 1997 soll festgelegt werden, wer die Aufnahmekriterien dafür erfüllt und Mitglied des neuen Währungsklubs werden kann. Die aktuelle Phase der staatlichen Politiken in den Mitgliedsländern der EU ist von den Anstrengungen gekennzeichnet, das hochgesteckte Stabilitätsziel zu erreichen.
Die Länder sehen sich auf diesem Wege jedoch drei Gefahren ausgesetzt. Es ist dies erstens die Gefahr der konjunkturellen Versuchung. Das stark gedrosselte Wachstumstempo und die hohe Arbeitslosigkeit treiben die Staatsdefizite nach oben, und es nimmt der Druck auf die Regierungen zu, Beschäftigungsprogramme einzuleiten. Das zu tun, wozu sich viele Regierungen in der Europäischen Union und auch die Bundesregierung entschlossen haben, nämlich einen rigorosen Konsolidierungskurs einzuschlagen und einzuhalten, erscheint deshalb äußerst schwer.
Die zweite Gefahr liegt in der kleinen Zahl. Sicherlich wird es nicht einfach sein, mit einer eventuell nur kleinen Zahl von Teilnehmern an der Währungsunion 1999 zu starten und damit die gesamteuropäischen Beziehungen zu belasten. Die notwendige Festlegung der Währungsparitäten zwischen den „Ins" und den „Outs" bedarf sicherlich eines erheblichen europapolitischen Kraftaktes.
Die dritte Gefahr ist die der späten Stunde. Die rigiden Bedingungen für den Beitritt in die Europäische Währungsunion sind nur Aufnahmekriterien und keine Dauerverpflichtungen. Das birgt die Gefahr in sich, daß man zur Aufnahmeprüfung die Anforderungen erfüllt und nach der Prüfung den Gürtel bis ins letzte Loch weiterstellt. Eine Zusatzvereinbarung für eine dauerhafte Stabilitätspolitik der Teilnehmer ist deshalb unerläßlich.
In den einzelnen Mitgliedsländern der Europäischen Union werden erhebliche Anstrengungen zur Erreichung dieser Ziele unternommen. Ich denke, wir sind verpflichtet, auch mit dem anstehenden Haushalt 1997 ein deutliches Zeichen nach Europa zu geben, daß wir in Deutschland nicht nachlassen werden und daß wir darauf setzen, daß auch andere Länder in Europa diesen Kurs halten.
Bei uns setzt sich die Erkenntnis nur schwer durch, daß die Politik der öffentlichen Haushalte den Wechselkurs der D-Mark direkt beeinflußt und daß der Kurs der D-Mark die Wirtschaft in der EU und mehr noch in den benachbarten Volkswirtschaften stark beeinflußt. Vor dem Hintergrund der erheblichen Anstrengungen der einzelnen Länder ist es natürlich erstaunlich, daß sich die Europäische Kommission für ihr Haushaltsgebaren diesen Anstrengungen überhaupt nicht unterwerfen wollte. Die geplanten Zuwachsraten für den europäischen Haushalt lagen eher in der Größenordnung von 5 Prozent als bei null.
Wilfried Seibel
Dieses Verhalten der Europäischen Kommission ist nicht hinzunehmen. Finanzminister Waigel ist dafür zu danken, daß er sich in Brüssel in der Weise durchgesetzt hat, daß die Steigerungsraten des europäischen Haushalts deutlich geringer als geplant ausgefallen sind. Wir hoffen nun, daß sich das Europäische Parlament in seinen Beratungen diesen Einsichten beugen wird.
Bis 1999 sind wir an das derzeitige Regime der Eigenmittel gebunden. Ich denke, daß sich alle Parteien dieses Hauses einig darüber sind oder recht bald werden können, daß das Eigenmittelregime der EU geändert werden muß und daß sich unsere Position nicht mit der gleichen Dynamik weiterentwikkeln kann, wie es dies in den letzten Jahren getan hat und bis 1999 noch tun wird.
Sie alle wissen, daß wir 1995 26 Milliarden DM netto geleistet haben, und daß die Schätzungen nicht unrealistisch sind, daß sich dieser Betrag bis 1999 verdoppeln wird und damit erheblich mehr als die eingangs von mir erwähnten 10 Prozent des eigenen Steueraufkommens ausmachen werden.
Die realen Kürzungen im Bundeshaushalt für das Jahr 1997 treffen auch die Länder. Die Kürzungen treffen dort auf knappe oder leere Kassen. Über den Bundesrat formiert sich deshalb ein breiter Widerstand der Länder gegen die Ziele des Bundeshaushalts für das Jahr 1997 und die zur Konsolidierung notwendige Gesetzgebung.
Trotz allen Schlachtenlärms dieser Woche wissen wir, daß die Diskussion mit einem Kompromiß beendet wird, der die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu strukturieren wird. Dieses Verhältnis ist durch einen Länderfinanzausgleich zu korrigieren. Das geschieht; es gibt dabei Geber- und Nehmerländer.
Ich denke nun, es ist ein Gebot der Ehrlichkeit im Umgang miteinander, daß wir die Rückflüsse aus der EU, die nahezu vollständig direkt an die Bundesländer gehen, in die Berechnungen des Länderfinanzausgleichs einbeziehen. Dies rechtfertigt sich auch aus der europapolitischen Praxis der deutschen Bundesländer.
Das Finanzvolumen, das im Länderfinanzausgleich verteilt wird, beträgt 11 Milliarden DM; die Rückflüsse aus der EU im Jahr 1995 betrugen 15 Milliarden DM. Diese Zahlungen aus Brüssel, auf die Ausgleichszahlungen angerechnet, ergeben erhebliche und beachtenswerte Größenordnungen. Ich denke, das sollte in der Diskussion um die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern nicht länger totgeschwiegen werden, wie es jetzt Praxis ist.
Ich hoffe, Ihnen die Wirkung an einigen Zahlen plastisch deutlich machen zu können, wobei ich nur die Rückflüsse für die drei Fonds in einer Größenordnung von knapp 5 Milliarden DM in diese Berechnungen einbeziehe. Den Löwenanteil von rund 10 Milliarden DM für die Landwirtschaft lasse ich zunächst außerhalb dieser Betrachtung.
So erhalten alle neuen Bundesländer im Rahmen des Finanzausgleichs rund 5,5 Milliarden DM an Zuweisungen, hinzu kommen knapp 2 Milliarden DM von der EU, oder, anders ausgedrückt, die Zuflüsse von der EU an die neuen Bundesländer erhöhen die Zahlungen aus dem Finanzausgleich um rund 34 Prozent.
In den alten Bundesländern macht dies nur knapp 10 Prozent aus. Das Bild bei den alten Bundesländern ist logischerweise sehr unterschiedlich. Für fünf Länder macht der Zufluß aus der EU eine Erhöhung des Finanzausgleichs bzw. eine Minderung der Zahlpflicht im Finanzausgleich in der Größenordnung zwischen 2 und 10 Prozent aus. Aber für immerhin sechs Länder sind es zweistellige Prozentzahlen. Durch die Rückflüsse der EU erhöht sich die Zuweisung aus dem Finanzausgleich bei Schleswig-Holstein um 43 Prozent, beim Saarland um 38 Prozent, bei Rheinland-Pfalz um 30 Prozent und bei Niedersachsen um 28 Prozent.
Ich will die unglückselige Debatte aus dem Vorjahr nicht wiederbeleben, als für Aufschiebung und Veränderung der Kriterien für die Währungsunion in Europa plädiert wurde. Vor dem Hintergrund dieser jetzt hier genannten Zahlen ist es natürlich kein Zufall, daß die Ministerpräsidenten Lafontaine und Schröder am lautesten die Stimme erhoben haben. Zu Hause schimpfen und in Brüssel kassieren ist zwar eine trickreiche Variante in der Politik, aber sie dient nicht der politischen Kultur in einem vereinten Europa.
Da die Rückflüsse aus Europa den Länderfinanzausgleich in so deutlichen Prozentzahlen beeinflussen, wie ich es hier auszugsweise aufgeführt habe, halte ich es für geboten, die Bundesregierung nötigenfalls mit einem Entschließungsantrag des Deutschen Bundestages aufzufordern, in den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern dieses Herbstes Rückflüsse aus der EU für die Zahlungen im Länderfinanzausgleich in Anrechnung zu bringen.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich liegen nicht vor.
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Das Wort hat zunächst die Bundesministerin Angela Merkel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rahmenbedingungen für die Politik insgesamt und so auch für die Umweltpolitik haben sich in den letzten Jahren entscheidend geändert. Die Globalisierung der Märkte und auch der schärfer werdende Wettbewerb stellen uns vor besondere Aufgaben. Wir müssen uns die Frage stellen: Was bedeutet dies auch für die Umweltpolitik?
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Erstens ist Deutschland auf Grund seiner wirtschaftlichen und technologischen Möglichkeiten durch eine besondere Verantwortung für die weltweite nachhaltige Entwicklung gekennzeichnet.
Zweitens wendet sich das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung nicht nur an den Staat, sondern es wendet sich genauso an die nichtstaatlichen Akteure in den jeweiligen Verantwortungsbereichen. Es ist ein Leitbild, das Herausforderungen für alle gesellschaftlichen Gruppen mit sich bringt. Gerade in diesem Bereich müssen die Verantwortlichkeiten in den nächsten Jahren sehr viel deutlicher erkennbar werden.
Drittens. Umweltpolitik muß auch den enger werdenden Verteilungsspielraum beachten. Nach einer Phase scheinbar unbegrenzter Ressourcen können wir heute nicht die Augen davor verschließen, daß unter Berücksichtigung anderer politischer und gesellschaftlicher Bereiche Prioritäten und Ziele genauer definiert werden müssen, als dies bislang geschehen ist.
Das Leitbild der Nachhaltigkeit hat neben einer ökologischen Komponente genauso eine soziale und ökonomische Komponente. Ich glaube, wir tun deshalb gut daran, den Ordnungsrahmen der ökologischen und sozialen Marktwirtschaft als Motor für eine zukunftsfähige Entwicklung in unserem Lande zu nutzen und schrittweise besser auszufüllen.
Eine neue Studie von verschiedenen Wirtschaftsinstituten kommt zu dem Ergebnis, daß 1994 in Deutschland rund 956 000 Beschäftigte für den und in dem Bereich des Umweltschutzes tätig waren. Dies sind immerhin 2,7 Prozent aller Erwerbstätigen. Das entspricht in etwa der Beschäftigtenzahl im Straßenfahrzeugbau.
Die Studie weist sehr konkret nach, daß 35 000 neue Arbeitsplätze zwischen 1990 und 1994 im Umweltschutz entstanden sind. Das heißt, Umweltschutz schafft und sichert auch zukunftsfähige Arbeitsplätze,
Nun ist der Weltmarkt für Umwelttechnologien längst von führenden Industriestaaten als ein Wachstumsmarkt erkannt worden. Amerikanische Berechnungen sagen, es gebe hier eine Wachstumsrate von jährlich rund 7,5 Prozent. Das japanische MITI rechnet bis zum Jahre 2010 sogar mit 8 Prozent.
Ich muß sagen: Die Chancen für den Umweltschutz werden von deutschen Unternehmen noch nicht immer ausreichend erkannt. Unser Welthandelsanteil ist leider auf den zweiten Platz zurückgefallen. Allerdings sind wir als Bundesrepublik Deutschland mit 18,4 Prozent am Weltmarkt immer noch recht gut hinter den USA mit Umweltschutzgütern beteiligt.
Genau aus diesem Grunde haben wir im vergangenen Jahr das sogenannte ITUT, das Internationale Transferzentrum für Umwelttechnik, gegründet, um gerade mittelständischen Unternehmen Hilfen bei der Erkundung und Eroberung dieser Märkte zu geben. Die Gründung des ITUT ist ein beispielhaftes Unterfangen, weil hier Mittel sowohl aus der deutschen Bundesstiftung Umwelt, aus dem Bundesumweltministerium als auch aus dem Wirtschaftsministerium gemeinsam eingesetzt werden, um dem Begriff der Nachhaltigkeit ein Stück weiter entgegenzukommen.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns jetzt in der Halbzeit dieser Legislaturperiode. Ich glaube, wir können sagen, daß eine ganze Reihe von Aufgaben ein gutes Stück weiter gediehen ist. Wir haben die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz als einen wichtigen Baustein unserer Konzeption zum Schutz der biologischen Vielfalt vor kurzem im Kabinett behandelt. Das Plenum wird darüber bald debattieren können. Ich glaube, mit diesem Gesetzentwurf ist es uns gelungen, einen wesentlichen Schritt bei der Sicherung der biologischen Vielfalt und vor allem bei der Schaffung eines modernen Verständnisses des Naturschutzes vorwärtszukommen. Dieses moderne Naturschutzverständnis sagt uns heute, daß es nicht nur darum geht, einzelne bestimmte Arten von Tieren und Pflanzen zu schützen, sondern auch darum, die vernetzten Lebensräume in der Bundesrepublik Deutschland wie auch auf internationalem Gebiet zu erhalten.
Es ist für die Akzeptanz des Naturschutzes von außerordentlicher Bedeutung, daß wir vernünftige Kompromisse finden und für die, die die Natur nutzen und Flächen im Rahmen der Land- und Forstwirtschaft bearbeiten - betroffen sind immerhin 80 Prozent unserer Landesfläche -, einen Naturschutz schaffen, der nicht gegen sie geht. Das heißt natürlich nicht, daß es ohne Streit abgeht.
Deshalb glaube ich, daß die im Bundesnaturschutzgesetz vorgeschlagene Regelung, eine Ausgleichszahlung dann vorzusehen, wenn Land- und Forstwirte über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums hinaus Auflagen im Sinne des Naturschutzes erhalten, für die Akzeptanz des Naturschutzes in Zukunft von außerordentlicher Bedeutung sein wird. Ansonsten erleben wir einen Rückschlag im Bereich des Naturschutzes.
Wir werden uns als Bund - das wird auch in den Haushaltsberatungen und aus dem Bundeshaushalt schon jetzt deutlich - im Bereich der Naturschutzgroßprojekte weiter engagieren. Hier wird der Bund - genau dies und nur dies ist seine Aufgabe - seiner Verantwortung gerecht, wenn es um die gesamtstaatlich repräsentativen Schutzgebiete geht. Wir werden hier mit 40 Millionen DM trotz insgesamt sinkender Ausgabenspielräume einen sehr wesentlichen Schwerpunkt setzen, Wenn man sich vor Ort die verschiedenen Naturschutzgroßprojekte anschaut, so sieht man auch, wie es gelingt, die unterschiedlichen Nutzer- und Schutzinteressen zusammenzubringen. Hier gibt es gute und weniger gute Beispiele. Ich denke, gerade an diesen Beispielen
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
können wir lernen, wie man Naturschutz mit den Interessen der Nutzer vernünftig verbinden kann.
Wir werden in Kürze im Kabinett das Bodenschutzgesetz, ein ebenso wichtiges Vorhaben, beraten; denn eine internationale Konferenz, die ISCO-Konferenz, hat in den vergangenen Wochen gezeigt, daß der Schutz des Bodens international gesehen noch weit dem Schutz der Luft und des Wassers hinterherhinkt. Die Regenerierbarkeit der Ressource Boden ist in vielen Fällen sehr viel schwieriger als die von Luft und Wasser. Deshalb besteht hier dringender Handlungsbedarf.
Ich sage deutlich: Wenn die Bundesrepublik Deutschland ein Bodenschutzgesetz hat, dann ist sie international führend. Dies ist mitnichten der Standard - nicht einmal in anderen europäischen Ländern.
Der Stammhaushalt des Bundesumweltministeriums, also der Haushalt ohne den refinanzierten Endlagerbereich, beträgt 1997 746,2 Millionen DM. Das ist eine gewisse Absenkung. Aber angesichts der Gesamtlage des Haushalts sind dies Mittel, die sinnvoll für den Umweltschutz eingesetzt werden können. Ich betone, daß die Umweltschutzausgaben des Bundes insgesamt weit höher sind. Der Bundeshaushalt weist für 1997 Umweltschutzausgaben in Höhe von mehr als 9,5 Milliarden DM aus. Dies reicht von der Grundlagenforschung auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien bis hin zur Sanierung des Altlastenbereichs der Wismut AG und des Braunkohlebergbaus.
Was die Braunkohlesanierung anbelangt, handelt es sich hier um das größte zusammenhängende Umweltprojekt, das wir in Deutschland haben. Es ist außerordentlich wichtig, daß wir diese Arbeiten kontinuierlich fortsetzen, auch über die Jahrtausendwende hinweg. Wer sich einmal vor Ort umschaut und erkennt, was hier schon erreicht wurde, der muß sagen: Hier handelt es sich um ein beispielhaftes Projekt. Gerade im Hinblick auf die Expo 2000 werden wir dies international vorzeigen können.
Der Bund vergibt darüber hinaus in erheblichem Umfang zinsgünstige Umweltschutzkredite, die im Bundeshaushalt naturgemäß nicht erfaßt sind, die man aber keineswegs weglassen kann. Allein die Umweltschutzkredite aus dem ERP-Sondervermögen betragen 1997 rund 2,9 Milliarden DM. Auch die Banken des Bundes, die Deutsche Ausgleichsbank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau, vergeben Umweltschutzkredite; sie werden sich 1997 auf rund 12 Milliarden DM belaufen. Gerade diese Mittel werden schwerpunktmäßig in den neuen Bundesländern eingesetzt, was der Angleichung der Lebensverhältnisse natürlich erheblich zugute kommt.
Last not least möchte ich - richtig, Herr Abgeordneter - die Deutsche Bundesstiftung Umwelt hier loben.
- Herr Weng ist ein interessierter Abgeordneter, der sich mit den Belangen der Umwelt befaßt, wie ich das von jedem Abgeordneten erwarte. Schade, daß Sie nicht die Rede darauf gebracht haben. Dieses Zwischenrufs hätte es nicht bedurft.
Diese Bundesstiftung ist in der Tat lobenswert, denn sie hat in diesem Sommer ihr fünfjähriges Bestehen unter dem Motto „Unternehmer für die Umwelt - Innovative Umwelttechnik aus dem Mittelstand" gefeiert. Seit der Errichtung der Stiftung im Jahre 1990 stehen Jahr für Jahr 140 Millionen DM als zusätzliche Fördermittel für den Umweltschutz bereit. Davon sind seit 1990 62 Prozent in die neuen Bundesländer geflossen. Aber ich möchte betonen: Gerade was technische Innovationen anbelangt, ist die Deutsche Bundesstiftung Umwelt heute ein ganz unverzichtbares Instrument der Förderung von Umweltschutzinvestitionen geworden.
Staatlicher Umweltschutz ist nur eine Sache. Der staatliche Umweltschutz setzt die Rahmenbedingungen für das Handeln von Unternehmen und privaten Haushalten. Aber es hat sich immer wieder auch gezeigt, daß es vor allen Dingen auf das Handeln der Unternehmen ankommt. Ebenso hat sich gezeigt, daß staatliche Auflagen in einer Vielzahl von Fällen zu spürbaren Kostenentlastungen im Bereich der Wirtschaft geführt haben. Ich habe neulich etwas scherzhaft gesagt: Hierfür kommen keine Dankesschreiben bei mir an. Aber bei näherer Nachfrage zeigt es sich in vielen Fällen, daß sowohl die Luftreinhaltepolitik als auch die Gewässerpolitik in den Unternehmen eine ganz neue Form des kreativen Nachdenkens mit sich gebracht haben.
Beispielhaft hierfür wird das neue Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz sein, das am 7. Oktober in Kraft tritt. Ich bin sehr froh, daß es uns am 15. August gelungen ist, das untergesetzliche Regelwerk zeitgerecht fertigzustellen, so daß in der Wirtschaft Sicherheit hinsichtlich dessen, was auf sie zukommt, besteht.
Ebenso werden wir die Verpackungsordnung novellieren und Regelungen im Bereich der Altautos und des Elektronikschrotts in Kürze fertig haben, so daß dann auch die Produktverantwortung, die als
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
wesentliches Element in dem Kreislaufwirtschaftsgesetz verankert ist, in den bestimmten Produktbereichen zum Tragen kommt.
Internationale Umweltpolitik ist von herausragender Bedeutung. Die Bundesregierung hat mit anspruchsvollen Zielsetzungen gerade auch die internationalen Verhandlungen immer wieder vorangebracht. Wir werden im Jahre 1997 eine entscheidende Konferenz im Bereich des Klimaschutzes haben: die 3. Vertragsstaatenkonferenz in Japan, in Kyoto, wo ein zusätzliches Protokoll für die Zeit nach 2000 und die internationalen Verpflichtungen verabschiedet werden.
Ich rufe uns alle auf - national natürlich -, alle Anstrengungen umzusetzen und auch zu erweitern, die notwendig sind, damit wir unser Ziel erreichen werden. Ich füge gleich vorsorglich hinzu: Die 25 Prozent CO2-Reduktion bis zum Jahre 2005, gemessen am Niveau von 1990 - man muß das immer ganz genau sagen -, sind weiterhin das Ziel der Bundesregierung. Pessimismus wird uns hier überhaupt nicht voranhelfen. Es geht darum, Szenarien für die Umsetzung zu erarbeiten. Wir werden im Mai nächsten Jahres einen Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe der Bundesregierung vorlegen und dann die weiteren Schritte besprechen.
Meine Damen und Herren, wir haben wesentliche Ergebnisse im Zusammenhang mit dem Umweltauditgesetz erzielt. Lassen Sie mich dieses als letzten Punkt einer Umweltschutzpolitik erwähnen, die nicht nur auf staatliches Handeln aus ist, sondern die vor allen Dingen auch an das Engagement und die Kreativität der Unternehmer appelliert. Wir haben eine Verordnung in Vorbereitung, die auch im Dienstleistungsbereich dieses Umweltaudit einführen will, und eine Tagung mit den Finanzdienstleistungsunternehmen im Sommer dieses Jahres hat mich durchaus ermutigt, in dieser Richtung weiterzuarbeiten.
Ich habe Ihnen an verschiedenen Beispielen zu zeigen versucht - was natürlich nicht umfassend sein kann -, daß der Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung nicht nur eine Aufgabe der Umweltpolitik ist; ich denke aber, daß die Umweltpolitik der Motor dieser Entwicklung sein muß und daß dieser Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung inzwischen weit über den staatlichen Handlungsrahmen hinausgeht. Die Aufgabe von uns Politikern ist aus meiner Sicht vor allen Dingen, sämtliche gesellschaftlichen Kräfte, Unternehmen, Verbände, aber auch Privathaushalte, zu motivieren, diesen Weg gemeinsam mit uns zu gehen, allerdings gesteuert, begleitet und vor allen Dingen auch vorangetrieben durch staatliches Handeln. Dafür bietet dieser Bundeshaushalt eine gute Voraussetzung.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Jetzt hat das Wort der Kollege Michael Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Halbzeit der 13. Legislaturperiode müssen wir leider feststellen: Die Umweltpolitik ist von Stagnation und Rückschritt gekennzeichnet. Dies werfen wir nicht alleine der Umweltministerin vor - ihr werfen wir vor allem vor, daß sie Durchsetzungsschwäche hat, was auch das kommende Kreislaufbürokratiegesetz nicht ändert -, sondern dies ist die geistige Haltung der Bundesregierung insgesamt und großer Teile der Wirtschaft. Das ist die eigentliche Wahrheit.
Das Parlament hat Anfang der 90er Jahre eine große Chance für die Umweltpolitik in Deutschland eröffnet, nämlich mit den Arbeiten der EnqueteKommission. Die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" hatte über alle Fraktionen hinweg der Bundesregierung Vorgaben gemacht und das Zeichen gesetzt, daß sie für die große Gemeinschaftsanstrengung bereit waren, Umweltschutz in der Bundesrepublik zu einem zentralen Ziel aller Politikbereiche zu machen und ehrgeizige Ziele durchzusetzen.
Wir stellen fest, diese große Chance ist verspielt worden. Sie haben sie nicht genutzt. Im Gegenteil, die Umweltpolitik steht heute in Bonn auf dem Nebengleis. Wenn Sie beispielsweise das 25-ProzentZiel ansprechen, dann müssen Sie ehrlicherweise sagen: Seit 1990 sind die CO2-Emissionen in den alten Bundesländern gestiegen, und seit 1994 steigen sie leider auch wieder in den neuen Bundesländern. Sie werden das Klimaschutzziel verfehlen, weil Sie sich aus der Politik zurückgezogen haben. Sie sind nicht bereit, dafür Verantwortung zu tragen.
Aus meiner Sicht liegt der entscheidende Punkt darin, daß unter den veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Bedingungen Sie die Umweltpolitik als Belastung, aber nicht als Chance ansehen. Sie sehen nicht in der Ökologisierung von Produktion und Konsum eine Chance, unser Land zu modernisieren, also Fortschritt zu wagen, was wir dringend notwendig haben.
Dabei ist die Umweltpolitik die Chance auf ein besseres Morgen; denn sie verbindet zwei zentrale Elemente miteinander, die unser Volk braucht, nämlich einerseits die Hoffnung auf Fortschritt und andererseits den Willen zur Gerechtigkeit. Beides ist in der Umweltpolitik verbunden.
Deshalb ist es kein Wunder, daß in einer Zeit, wo soziale Gerechtigkeit keine Rolle mehr spielt, auch die Umweltpolitik keine Rolle mehr spielt. Dies sind leider zwei Seiten einer Medaille.
Wir wissen: Jede Zeit hat ihre spezifischen Probleme. Wir stehen heute vor allem vor den Problemen der Globalisierung von Unternehmen und wirtschafts-
politischen Strategien, vor wachsender Ungleichheit, vor ökologischen Grenzen des Wachstums und vor der Aushebelung des Nationalstaates. Das heißt,
Michael Müller
unsere Zeit ist davon gekennzeichnet, daß wir eine Politik finden müssen, diese Probleme zu bündeln und in einer gemeinsamen Strategie zu lösen. Tatsächlich müssen wir in der Bundesrepublik feststellen: Die großen Zukunftsherausforderungen werden gegeneinander ausgespielt, und damit wird keine gelöst. Wir spielen die Massenarbeitslosigkeit gegen die Umweltkrise und den Sozialstaat gegen die Wachstumsschwäche aus. Alles zusammen führt dazu, daß kein Problem gelöst wird, sondern sie alle mittelfristig verschlechtert bzw. nicht mehr lösbar werden.
Wir dürfen nicht vergessen: Die Stabilität der Demokratie in den letzten Jahrzehnten war die Stabilität eines gesellschaftlichen Vertrages auf der Basis des Sozialstaats. In der Gesellschaft gab es den Interessenausgleich zwischen unterschiedlichen Positionen, der damit Fortschritt und Gerechtigkeit ermöglicht hat. Was heute stattfindet, ist ein platter Ökonomismus, der auf die Probleme von morgen die Antworten der 20er Jahre gibt. Das ist ein Rückfall in eine liberalistische, nur noch kurzsichtige ökonomische Interessenpolitik, die nicht in der Lage ist, das durchzusetzen, was Wohlstand des Volkes ist.
Der eigentliche Punkt, der heute deutlich wird, ist, daß Sie nicht mehr das Ganze sehen, das, was gesellschaftlichen Fortschritt ausmacht. Sie geben sich vielmehr der unsozialen Hoffnung hin, daß sich die Vertretung einzelner starker Interessen letztlich positiv auf alles auswirkt. Das ist eine Illusion, und daran werden Sie scheitern. Leider wird dies erhebliche Folgen und Probleme für unser Land hinterlassen.
Wir stellen fest: Wir haben erstens eine wirtschaftliche Entwicklung, die nicht mehr - wie in der Nachkriegszeit - den Wirkungszusammenhang zwischen Sozialstaat, Beschäftigung und wirtschaftlichem Erfolg ermöglicht.
Wir haben zweitens eine Massenarbeitslosigkeit, bei der vieles dafür spricht, daß sie sich in Zukunft weiter verschärfen wird. Ich weise nur darauf hin, daß Beschäftigungseffekte heute erst bei einem Wachstum von rund 2 Prozent ausgelöst werden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich, daß Sie mit Ihrem Verzicht auf Politik das Problem der Arbeitslosigkeit lösen. Das Gegenteil wird der Fall sein.
Wir haben drittens eine Zerstörung des Sozialstaates durch die reduzierten Ausgaben im sozialen und ökologischen Bereich zu verzeichnen.
Viertens wachsen insgesamt ökologische Probleme, die in den letzten Jahren in Teilbereichen entschärft werden konnten, die aber globaler geworden sind.
Meine Damen und Herren, diese vier Probleme müssen als Einheit gesehen werden. Wir, die SPD, sagen deshalb: Wir wollen eine ökologische Steuerreform.
Sie ist ein Ansatz, nicht nur Einzelprobleme zu lösen, sondern Zusammenhänge zu erfassen. Das ist das eigentliche Ziel.
Die ökologische Steuerreform, die durch das Betondenken der Regierungsfraktionen verhindert wird, ist die Chance für die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Diese Chance wird heute leichtfertig verspielt. Gleichzeitig wird denen, die sie wollen, vorgeworfen, sie seien diejenigen, die die Zukunft dieses Landes blockieren.
Was Sie machen, ist nichts anderes als die Indienstnahme der Politik für kurzsichtige Interessen der Wirtschaft. Sie machen keine Politik mehr, die eine neue solidarische Gemeinschaftsanstrengung für ein Bündnis von Sozialem, Arbeit und Umwelt ermöglichen kann und damit den inneren Frieden in diesem Lande sichert. Das ist der Hauptvorwurf an Sie.
Frau Ministerin, wir hören es sehr gerne, wenn Sie von Nachhaltigkeit reden. Trotzdem kann ich es langsam nicht mehr hören, weil es so folgenlos bleibt. Was hat der Bundeskanzler beispielsweise in Rio versprochen? Was hat er in Berlin auf der Klimakonferenz versprochen? Und was ist aus diesen großen Ankündigungen geworden?
Nur noch der Hinweis: Die Wirtschaft wird es richten. Das ist der Rückzug aus der Politik. Dies ist nichts anderes als der Rückzug aus der Verantwortung von denjenigen, die dafür gewählt worden sind, Probleme zu lösen.
Wir sind nicht dafür gewählt worden, die Probleme auf andere zu verlagern. Wir müssen sie angehen mit Kreativität und Phantasie; wir müssen all unsere Möglichkeiten nutzen, sie wenigstens schrittweise einer Lösung nahezubringen.
Das ist der eigentliche Grund, warum heute so viele Menschen von der Politik enttäuscht sind. Sie sind nicht wegen einzelner Entscheidungen enttäuscht, sondern weil sie erkennen, daß die Richtung der Politik nicht mehr stimmt.
Niemand streitet ab, daß Politik heute schwierig ist. Jeder sieht es aber, wenn Politik nicht mehr ernsthaft betrieben wird. Das ist das, was heute stattfindet: der Verlust an Ernsthaftigkeit.
Meine Damen und Herren, wir wollen die ökologische Steuerreform. Sie steht beispielhaft für die Wende in der Wirtschaftspolitik und eröffnet Chancen. Ich will nur zwei Beispiele nennen: Die Unter-
Michael Müller
Buchung von Kienbaum an Hand 40 ausgewählter Industriebetriebe in den alten Bundesländern kommt zu dem Ergebnis, daß allein eine intelligentere Nutzung von Reststoffen und Energie dazu führen würde, daß sich der betriebliche Spielraum für Investitionen und Beschäftigung um bis zu 15 Prozent erhöhen würde.
Wir wissen auch, daß die volkswirtschaftlichen Energiekosten, die sich heute auf etwa 300 Milliarden DM belaufen, durch eine intelligentere Nutzung von Energie um etwa 80 bis 90 Milliarden DM verringert werden könnten - mit erheblichen Beschäftigungseffekten, die über alles das hinausgehen, was heute in der Diskussion ist.
Die Konzepte sind vorhanden. Was fehlt, ist der politische Mut, sie anzugehen.
Deshalb zitiere ich am Ende meines Beitrags frei nach Bert Brecht den Satz von den Menschen, die auf den Ästen saßen und sie absägten und die sich gleichzeitig die Erfahrung zuriefen, wie man noch besser sägen könnte. - Das ist die Situation, in die Ihre Politik unsere Gesellschaft bringt.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Arnulf Kriedner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war schon interessant, soeben zu sehen, wie, als Herr Müller hier sprach und seine vulgär-marxistischen Thesen verkündete,
vernünftige Leute in der SPD, zu denen ich Sie, Frau Matthäus-Maier, und auch Ihren Nachbarn, Herrn Scharping, zähle,
bei den Punkten, die besonders marxistisch waren, Beifall klatschten. Herr Müller, ich will Ihnen sagen: Bei Ihnen hat sich in den letzten 20 Jahren außer Ihrem Aussehen überhaupt nichts verändert. Sie stehen noch immer auf demselben Boden, auf dem Sie schon vor 20 Jahren standen. Den werden Sie auch nie verlassen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?
Frau Matthäus-Maier, lassen Sie mich meine Eingangsbemerkung zu Ende führen. Ich möchte das im Zusammenhang darstellen. Dann können Sie fragen.
Lieber Herr Kollege Müller - -
- Ja, sicher. Mir ist der Name auch schon mal vorgekommen. - Während Herr Müller hier so spricht, gibt es in unserer Presse zwei Meldungen. Die eine lautet: Das Bundesverkehrsministerium hat sich mit den Umweltverbänden geeinigt, daß die mittlere Elbe nicht ausgebaut wird, daß das größte zusammenhängende Auenwaldgebiet mit einem bemerkenswerten biologischen Vorkommen an Tieren und Pflanzen erhalten bleibt.
- Frau Merkel war zugegen. Vielleicht ist es nicht bis zu Ihnen gedrungen: Die Arbeitsgruppe der Koalition hat sich dieser Sache im vergangenen Sommer angenommen und hat das befördert, was jetzt reale Politik zu werden verspricht.
Zur gleichen Zeit, in der Herr Müller hier seine durch die rote Brille gefärbte Rede hält, gibt es Meldungen in der Zeitung - wie hier durch die Umweltministerin vorgetragen -, daß inzwischen im Bereich der Umwelttechnologie mehr Leute beschäftigt sind als in der Automobilindustrie. - Herr Müller ist aber nicht zu bewegen, sein Weltbild zu verändern. Ich will durchaus einräumen, daß auch wir noch einiges zu lernen haben. Aber von dem Herrn, der soeben gesprochen hat, lernen wir nichts. Wir wollen von ihm auch nichts lernen, weil er auf Abwege und nicht in die Zukunft führt.
Frau Matthäus-Maier, ich bin jetzt gern bereit.
Herr Kollege Kriedner, ich darf Sie fragen, was denn nun genau an der Rede von Herrn Müller angeblich ,,vulgär-marxistisch" war. Ich frage das deswegen, weil die ökologische Steuerreform, die er vorgetragen hat, geradezu das klassische Beispiel für die Einführung von marktwirtschaftlichen Elementen in die Ökologie ist. Denn wenn ich Energie verteuere, dann - so die Hoffnung - schafft das für Menschen und Wirtschaft den Anreiz, sie weniger zu verbrauchen. Könnten Sie mir also sagen, was daran oder sonst in dieser Rede „vulgär-marxistisch" sein soll?
Sehr geehrte Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich möchte meine Redezeit nicht dazu gebrauchen, um noch einmal das vorzutragen, was Sie von Herrn Müller soeben gehört haben.
Arnulf Kriedner
- Nein. Aber warum soll ich das doppelt vortragen? Er hat sich ja selbst mit seiner Rede diskreditiert.
Das wäre nun wirklich zuviel verlangt. Ich will Ihnen nur sagen, daß die von Ihnen angepeilte ökologische Steuerreform vielleicht das einzige Stichwort in der ganzen Rede war, über das man sprechen könnte; bloß, darauf lag nur der Nebenakzent und nicht der Hauptakzent.
Jetzt will ich aber etwas zum Haushalt selbst sagen: Meine Damen und Herren, natürlich sind alle Haushaltsteile dem Zwang zum Sparen unterlegen. Ich stelle mich nicht hierhin und sage: Bloß weil unter dem Strich bei diesem Haushalt ein Plus von etwa 0,3 Prozent herausgekommen ist, hat die Regierung nicht gespart. Das ist nicht der Fall. Hier ist kein echtes Plus vorhanden. Das stelle ich fest. Ich sage, um einigem zu begegnen, was gleich vorgetragen werden wird: Einige Haushaltsansätze in diesem Haushalt passen mir noch nicht; aber wir stehen ja erst am Beginn der Beratung.
Ich sage Ihnen nun, wo mir etwas nicht paßt. Das ist der Fall bei den von der Frau Ministerin hervorgehobenen Ansätzen im Bereich des Naturschutzes, auch bei den Naturschutzgroßprojekten, wo wir einen gemeinsamen Kampf gekämpft haben, um wenigstens die Ansätze zu halten. Das ist auch bei den Möglichkeiten der Wirtschaft zur Investition in Umweltprojekte so. Dort, meine ich, ist die Absenkung um gut 7 Millionen DM nicht verträglich.
Es gibt aber natürlich schon ein Signal in diesem Haushalt, nämlich das Signal, daß genau in den Haushaltsteilen, die wir mit Blick auf umweltpolitische Ansätze für wichtig halten, keine Sparmaßnahmen vorgenommen werden. Es gibt ein weiteres Signal bei dem Kreditförderungsprogramm des Bundes, das eben von der Frau Ministerin vorgetragen wurde. Da wird mit zinsgünstigen Krediten ein Riesenvolumen von rund 15 Milliarden DM in Gang gesetzt. Meine Damen und Herren, auch da sage ich: Angesichts solcher Tatsachen muß ich Herrn Müller vorwerfen, daß er nicht Zeitung liest, denn sonst wüßte er es besser.
- Herr Kollege, das Volumen der Banken ist in diesem Bereich um 35 Prozent erhöht worden. Die Zahl der Beschäftigten in Umweltindustrien, die ich Ihnen eben genannt habe, zeigt ja, daß dieses Programm zieht. Warum sind denn diese Programme ausgebucht? Das wären sie nicht, wenn all das stimmen würde, was Sie hier erzählen. Mit anderen Worten: Natürlich ist das der richtige Weg.
Dann, so finde ich, ist es geradezu unglaublich, daß Sie immer mit spitzen Fingern auf den jeweiligen Umweltminister - das haben Sie früher bei Herrn Minister Töpfer genauso gemacht, wie Sie es jetzt bei der Frau Ministerin Merkel tun - zeigen und immer so tun, als ob der Bund bei der Umweltpolitik alleine in der Pflicht sei. Da sehe ich auch die Mitte dieses
Hauses, nämlich die Grünen, an. Inzwischen gibt es mehr Umweltminister der SPD und der Grünen als solche von CDU und CSU in diesem Land. Machen Sie also dort die Politik, die Sie hier lauthals fordern; denn der große Teil der Ausführungspolitik - das wissen Sie genauso gut wie ich - wird in den Ländern und nicht vom Bund gemacht. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie sich das einmal überlegen würden und dort Dampf machen würden, wo es angebracht ist. Aber statt dessen ist es so, daß in den rotgrünen Koalitionen in der Umweltpolitik mehr Streit und Gezerre herrscht als hier in diesem Hause. Das ist bemerkenswert. Sehen Sie sich einmal NordrheinWestfalen an! Ich prophezeie Ihnen dieselben Auseinandersetzungen auch in Schleswig-Holstein. Darüber werden wir alle miteinander noch zu diskutieren haben.
Meine Damen und Herren, ich will noch einige Punkte ansprechen, und - daran liegt mir -, einen besonderen Schwerpunkt herausarbeiten.
- Das war sehr qualifiziert, Herr Kollege. Dafür sollten Sie sich einen Orden bei Ihrer Fraktionsführung abholen.
In dieser Wahlperiode haben wir ein wichtiges Vorhaben, und zwar soll das Umweltbundesamt von Berlin nach Dessau verlagert werden. Wir alle wissen, daß ein Behördenumzug für die Beschäftigten nicht mit besonderer Freude verbunden ist. Das merken wir auch beim Umzug von Bonn nach Berlin. Aber, meine Damen und Herren, ich möchte als Abgeordneter aus einem der neuen Bundesländer sagen: Dies ist ein Vorgang, der Signalwirkung hat. Ich möchte, Frau Ministerin - sie sitzt unter den Abgeordneten -, begrüßen, daß es gelungen ist, 3 Millionen DM für den Grunderwerb in den Haushalt einzustellen. Aber das genügt mir nicht. Mir genügt auch nicht die Tatsache, daß wir in Zukunft zwei Stellen im Umweltbundesamt haben werden, die den Umzug befördern. Ich meine, es muß ein bißchen mehr getan werden.
Wir müssen in dieser Wahlperiode dem Versprechen Rechnung tragen, daß der Umzug mit sichtbaren Zeichen begonnen wird. Ich glaube, daß wir diesen Umzug auch durch richtige Schwerpunktsetzung
- auch in der Nähe von Dessau; ich habe eben über ein anderes Projekt in dieser Gegend gesprochen - beschleunigen müssen. Ich muß Ihnen sagen: Was dort gelegentlich in der Verwaltung gelaufen ist, befriedigt mich nicht. Ich möchte Sie motivieren, da weiter dranzubleiben, damit wir den Umzug möglichst bald vollziehen können - wenigstens noch in diesem Jahrhundert.
- In diesem Jahrhundert. Das Jahrhundert hat noch knapp vier Jahre. In denen wird, so hoffe ich, der Umzug vollzogen sein.
- „Im nächsten" habe ich nicht gesagt.
Arnulf Kriedner
Das Thema Umweltschutz im Bund
habe ich hier so charakterisiert, daß die Ausführung nicht Sache des Bundes, sondern Sache der Länder ist. Umweltschutz beim Bund heißt: Es müssen die richtigen Signale gesetzt werden. Es ist ein Signalhaushalt, der verabschiedet werden soll. Denn wenn es kein solcher wäre, müßte er viele Milliarden - -
- Sie können reden, soviel Sie wollen, ich antworte Ihnen nicht, wenn Sie sich nicht melden. - Es müssen also die richtigen Signale gesetzt werden. Ich glaube, daß diese Signale mit diesem Haushalt mit Blick auf die besondere Situation des Jahres 1997 gesetzt werden.
Dieser Haushalt ist insgesamt knapp bemessen; wir wissen, daß er insgesamt gekürzt wird. In den wichtigen Bereichen des Natur- und Umweltschutzes sind solche Kürzungen mit Augenmaß vorgenommen worden. Ich gehe davon aus, daß wir im Rahmen des Haushaltsvollzugs noch einiges ändern können. Mit dieser Prämisse gehen wir jetzt an die Arbeit. Ich möchte für mich sagen, daß wir die Politik, Frau Merkel, die Sie hier vorgetragen haben, voll unterstützen.
- Das überrascht Sie. Aber wir tun es trotz allem. - Ich hoffe, daß wir guten Mutes in die künftigen Jahre gehen.
Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt.
Dieser „Signalhaushalt" Umwelt macht ungefähr 2,9 Prozent des Haushaltes für Verkehr, ungefähr 2,8 Prozent des Einzelplanes Verteidigung und ungefähr 1,5 Prozent des Schuldendienstes insgesamt aus. Damit zeigt sich ganz deutlich, daß dieser Haushalt, der Einzelplan Umwelt, tatsächlich nur eine Portokasse und nichts weiter ist.
Das ist ein Grund, bei der Diskussion nicht nur bei diesem Haushalt zu bleiben. Vielmehr muß man deutlich machen, daß sich Umweltpolitik insgesamt eben nicht auf dieses Ressort reduzieren lassen darf. Das gilt auch und gerade für den Umweltschutz. Denn wenn man über eine zukunftsfähige Gesellschaft spricht, die nicht permanent ihre Lebensgrundlagen zerstört, auf die wir angewiesen sind, dann muß man als Umweltpolitiker über Finanzpolitik, über Steuerpolitik, über Wirtschaftspolitik, über
Energie- und Verkehrspolitik und über Landwirtschaftspolitik reden.
Von Frau Merkel kamen am Anfang - später dann nicht mehr - sehr vorsichtige Worte in diese Richtung. Aber wenn es dann konkret wird,
wenn sie tatsächlich die einzelnen anstehenden Projekte in diesem Bereich ansprechen müßte, dann kommt erst einmal nichts. Dann läßt sie sich wieder mit den Brosamen, die vom immer noch reich gedeckten Tisch abfallen, abspeisen und hockt wie ein Aschenputtel am Herd.
- Ich werde gleich Beispiele dazu bringen.
Hilfsweise versucht sie es dann - quasi mit „Bitte, bitte!" - bei der Industrie mit sogenannten Selbstverpflichtungen, aber ohne ihren Aufforderungen Gewicht verleihen zu können, weil sie eben in diesem Kabinett auf das Abstellgleis geschoben ist.
Die Umweltpolitiker von heute müssen endlich heraus aus dieser Aschenputtelrolle; sie müssen hinein in die „harte" Politik. Wir müssen uns in unserem Lande dort einmischen, wo tatsächlich etwas passiert und wo auch jetzt schon etwas entschieden wird. Ich möchte dazu einige Beispiele nennen, Beispiele, zu denen Frau Merkel kein einziges Wort gesagt hat.
Erstes Beispiel: Am 25. September soll im Kabinett die Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz beschlossen werden. Wie die Wirtschaft und eine Gesellschaft mit Energie umgehen, ist außerordentlich wichtig. Das zeigt, welches Verhältnis die Gesellschaft zur Umwelt und zum Umweltschutz hat. Rexrodts einziges Ziel ist die Senkung der Energiepreise für die Industrie. Bei der längst überfälligen Neuordnung der Energieversorgungsstruktur, so wie sie jetzt geplant ist, fällt der Umweltschutz völlig hinten herunter. Die Grünen haben ein Gegenmodell vorgeschlagen. In ihm wird dargelegt, wie man Umweltschutz und Wettbewerb zusammen zum Erfolg führen kann. Ich weiß, daß im Umweltministerium in eine ähnliche Richtung gedacht wird und daß dort verschiedene Gutachten auf dem Tisch liegen. Ich frage: Habe ich heute dazu ein einziges Wort von der Umweltministerin gehört? Hat sie gesagt, daß dann, wenn wir uns an die Neustrukturierung der Energiewirtschaft machen, die Umweltpolitiker und das Umweltministerium ein Wort mitreden? Nein, sie schweigt, wieder einmal.
Ähnlich verhält es sich - das ist heute mehrmals erwähnt worden - mit der Ökosteuer. Wenn sich Waigel hinstellt und heute, aber auch in seinem „Heute"-Interview sagt, daß die entscheidende Frage eben nicht die Senkung der Einkommensteuer ist, sondern die, ob wir die Finanzierung des Sozialsystems von den direkten auf die indirekten Steuern verlagern, dann müssen doch die Umweltpolitiker aufstehen und sagen: Wir lassen uns von der F.D.P.
Michaele Hustedt
nicht mehr diese populistische Debatte über eine Senkung der Steuersätze aufzwingen.
Genau das ist die Frage. Es gibt zwei Varianten, nämlich die Erhöhung der Mehrwertsteuer, wie die CDU es will, oder die ökologische Steuerreform. Auch da werden indirekte Steuern tangiert. Dies muß eine Umweltpolitikerin - das sagen wir; das hat Frau Matthäus-Maier gesagt; das hat Oswald Metzger gesagt; das betone auch ich hier noch einmal ganz deutlich - in dieser Zeit klarstellen. Wenn man das nicht tut, ist der oftmals erhobene Anspruch, daß Nachhaltigkeit eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft sei, nicht mehr das Papier wert, auf dem er geschrieben steht.
Wenn man über Verkehr redet, muß man als Umweltpolitiker doch einmal Bilanz ziehen.
- Das kommt eben nicht anschließend. Das Prinzip unserer Umweltpolitik ist nämlich ein anderes: Wir lassen uns nicht auf das Ressort des Umweltministeriums, auf die Aschenputtelrolle reduzieren; wir geben uns nicht mit den Brosamen zufrieden.
Bei einer solchen Bilanz muß man feststellen: 1995 wurden für die Bahn noch 9,9 Milliarden DM eingeplant, für den Straßenbau auch 9,9 Milliarden. 1996 waren es 7,7 Milliarden für die Bahn, für den Straßenbau 10,1 Milliarden. 1997 werden es 7,2 Milliarden für die Bahn und für den Straßenbau immer noch 10,1 Milliarden sein. Da muß man als Umweltpolitiker deutlich sagen: Diese Verschiebung - wieder einmal - zugunsten der Straße und zu Lasten der Bahn machen wir nicht mit. Wir brauchen die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene.
Das alles sind nur einige Beispiele für das, was man hier ansprechen muß und wozu man nicht schweigen darf. Aschenputtel wartet, wie gesagt, auf die Fee und auf den Prinzen. Vielleicht wird für Frau Merkel ja ein solcher Prinz kommen und sie in ein anderes Ressort versetzen. Für die Umweltpolitik aber wird es keine Fee geben, die güldene Gewänder, glänzende Schuhe und prächtige Kutschen anbietet. Ebenfalls wird kein Prinz kommen, der sie holt und in das Schloß entführt. Wenn sich Umweltpolitik auf die Aschenputtelrolle reduzieren läßt und sich mit Brosamen begnügt, wird sie nichts bewegen. Denn in der Realität geht es nicht so aus wie im Märchen, wo gilt: Ende gut, alles gut. Aschenputtel Umweltschutz muß endlich die Kraft finden, sich in die „harten" Ressorts einzumischen und dort die nachhaltige Wirtschaftsweise durchsetzen.
Danke.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Jahr 1997 wird entgegen dem, was die Opposition hier vorausgesagt hat, für die Umweltpolitik wichtige Fortschritte bringen. Einerseits wird endlich die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz kommen, ein überfälliges umweltpolitisches Vorhaben, das jetzt von der Koalition angegangen wird. Ich freue mich sehr darüber, daß Frau Umweltministerin Merkel hierüber eine Kabinettsentscheidung hat herbeiführen können. Das zeigt die „Durchsetzungsunfähigkeit" im Sinne von Herrn Müller. Wir diskutieren seit Jahren darüber. Ich freue mich sehr, daß die Ministerin es jetzt geschafft hat. Das zeigt, daß in der Umweltpolitik einiges passiert und daß von Rückschritt und Durchsetzungsunfähigkeit auch bei der Ministerin überhaupt keine Rede sein kann.
Es ist wichtig, daß wir die rechtlichen Voraussetzungen für den europäischen Biotopverbund „Natura 2000" schaffen. Jetzt können sich auch die Bundesländer nicht mehr hinter der Bundesregierung verstecken. Jetzt müssen aktiver Naturschutz betrieben und entsprechende Biotope ausgewiesen werden. Daran mangelt es in den meisten Bundesländern immer noch. Naturschutz wird sich entwickeln: weg von Insellösungen, hin zu vernetzten Systemen. Das ist das, was wir schaffen wollen.
Es ist vollkommen richtig - das ist hier in den letzten Tagen angegriffen worden -, die Bedeutung der Landwirtschaft im Rahmen der deutschen Kultur- und Erholungslandschaft zu berücksichtigen. Ohne eine überlebensfähige Landwirtschaft wird der ländliche Raum nicht überleben. Deshalb steht die F.D.P. zur Entschädigung für die Landwirtschaft, wenn Naturschutzauflagen zu Ertragseinbußen führen.
Es wäre überhaupt nicht akzeptabel, wenn die Bundesländer diese Regelung ablehnten. Ich will das vorneweg sagen und fordere die Länder auf, dieses Gesetz im Bundesrat nicht zu blockieren. In diesem Zusammenhang sind schlicht und ergreifend die Länder zuständig. Denn wer die Zuständigkeit für sich reklamiert, was die Länder immer tun, der muß anschließend auch für die Folgen aufkommen. Das ist nur richtig und zielführend. Deswegen bleiben wir auch dabei.
Birgit Homburger
Auch das Bundesbodenschutzgesetz steht für 1997 an. Ich hoffe sehr, daß das Kabinett jetzt endgültig entscheidet. Wir wollen als F.D.P. Rechtssicherheit und auch Planungssicherheit für Investoren und Kommunen schaffen und ungeregelte Altlastenfragen beseitigen. Sie sind ein Investitionshemmnis und damit auch ein Hemmnis für Arbeitsplätze.
Herr Müller hat vorhin gesagt, es gebe in der Umweltpolitik nur Rückschritte. Dann frage ich Sie: Was hat sich bei der Gewässerpolitik getan? Die Gewässerqualität hat sich verbessert. Die Abfallmengen sind drastisch zurückgegangen, nicht zuletzt wegen der Regelungen, die wir getroffen haben. Das heißt doch, daß wir in diesen Bereichen erfolgreich waren. Lieber Herr Müller, wenn Sie sagen: „Kreislaufbürokratiegesetz", dann sagt das gerade der Richtige.
Ich erinnere mich daran, was die SPD in diesem Parlament gefordert hat. Unter dem Deckmantel „Abfallvermeidung" hat sie direkte Eingriffe in Produktionsdesign und in die Produktion vornehmen wollen. Ich erinnere daran, daß Sie unbedingt eine Andienungspflicht haben wollten, die zu Kostenerhöhung führt. Ich erinnere mich daran, was wir alles an Vorschlägen von Ihnen hatten, und ich bin froh, daß wir sie abgewehrt haben.
Sprechen Sie hier bitte nicht von einem „Kreislaufbürokratiegesetz"! Das, was Sie wollen, ist noch viel schlimmer: Das ist nämlich staatlicher Dirigismus.
Die Koalition will auch mit dem Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und auch mit der Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz weiterhin bessere Rahmenbedingungen für Investitionen und mehr Arbeitsplätze erreichen. Wir haben die Regelungen unterstützt und mit geprägt. Ich finde es sehr bedauerlich, daß der Bundesrat diese Regelungen angehalten hat.
Insbesondere die Grünen - das hat sich in der gestrigen Sitzung wieder gezeigt - wollen weiterhin Genehmigungen, wo sie überflüssig sind. Sie wollen Statistikbürokratie, um Behördenakten und Datenbanken weiter zu füllen. Beim Wasserhaushaltsgesetz beantragen die Grünen noch immer Regelungen, die die Gebühren hochtreiben, anstatt nach Wegen zu suchen, die Gebührenlast in den Griff zu bekommen. Das zeigt, daß die Grünen auch beim Thema Umweltschutz nicht reformfähig sind. Sie setzen weiter auf den Staat anstatt auf Eigenverantwortung. Sie sind die Partei des „Weiter so". Sie sind zukunftsunfähig.
Wir haben in diesem Parlament schon mehrfach zum Thema CO2-Minderung gesprochen. Es ist eine Reihe von Maßnahmen ergriffen worden. Wir sind uns einig, daß da noch Weiteres passieren muß. Ich denke nur mal an den Bereich der Wirtschaft; auch da muß es zu Veränderungen kommen. Die Verbände haben zugesagt, die CO2-Emissionen bis zum Jahre 2005 gegenüber 1990 um 20 Prozent zu senken. Die Wirtschaft hat ihre Branchen verpflichtet.
Wer Eigenverantwortung einfordert, der muß sie auch wahrnehmen. Ich stelle fest: Viele Potentiale zur Energieeinsparung und CO2-Minderung bleiben in den Betrieben nach wie vor ungenutzt - und das, obwohl sie wirtschaftlich vorteilhaft sind. Das Potential der Blockheizkraftwerke wird nicht ausgeschöpft. Anstatt Wärme zurückzugewinnen, wird sie mit Abluft und Kühlwasser freigesetzt. Es geht im Prinzip Geld zum Schornstein raus.
Wer sich vor Ort umsieht, findet schon in vielen Betrieben viele gute Ideen verwirklicht. Aber es fehlt an einer umfassenden Strategie, die alle Potentiale erschließt und die verschiedenen Betriebe auf Lösungsansätze hin abklopft. Dazu gehört die Beratung über technische Lösungen, über Investitionsförderungsprogramme und auch über mögliche Anbieter. Hier müssen die Wirtschaftsverbände und auch die Industrie- und Handelskammern jetzt aktiv werden, damit die Zusage, die von seiten der Wirtschaft für den Bereich der Industrie gegeben wurde, auch eingehalten wird.
Ein letztes Wort zum Thema ökologische Steuerreform an die Kollegin Hustedt, aber auch an den Kollegen Müller. Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, darüber denke keiner nach, dann gucken Sie sich einmal an, was die F.D.P.-Bundestagsfraktion dazu beschlossen hat. Wir haben hier ein Modell vorgelegt,
in dem wir verschiedene Ziele integrieren wollen: Einerseits wollen wir die überzogene Steuerlast reduzieren, andererseits wollen wir ökologische Elemente ins Steuersystem einführen. Wir wollen damit auch versuchen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist das zentrale Thema. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn wir von seiten der Umweltpolitik es nicht schaffen, diese Themen sinnvoll zu verknüpfen und zu verbinden, dann werden wir keinen Erfolg haben.
Birgit Homburger
Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. - Ich kann Ihnen nur sagen: Lesen Sie sich unser Konzept durch!
Sie werden sehen, daß es das einzig schlüssige Konzept in diesem Bereich ist. Deswegen werden wir weiter dafür kämpfen, daß es umgesetzt wird.
Frau Kollegin, Ihre Zeit ist wirklich weit überschritten.
Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. - Ich kann nur sagen: Meine Damen und Herren, die F.D.P. wird sich weiter dafür einsetzen, das Verursacherprinzip im Umweltschutz zur tragenden Säule zu machen und das Engagement aller Beteiligten zu fördern. Wir werden weiter an unserer erfolgreichen Umweltpolitik festhalten.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei einem Einzelplan mit einem Volumen von ganzen 1,32 Milliarden DM, also nur 0,3 Prozent des Bundeshaushalts, ist es für mich schwer, überhaupt von einem Umwelthaushalt zu sprechen. Wenn man in Betracht zieht, daß dieser Minihaushalt zu 51 Prozent ein Strahlenschutzhaushalt ist, dann stellt sich die Frage nach der Rolle der Umweltpolitik jenseits von Sonntagsreden, die hier immer gehalten werden.
Selbstverständlich werden die meisten Umweltgesetze auf Landes- und Kommunalebene realisiert. Hier liegen in der Regel die Kompetenzen und, mit Abstrichen, auch entsprechende Haushaltsmittel. Wenn hier immer auf die Länder verwiesen wird, dann muß ich einmal sagen: Geben wir den Ländern auch das Geld dazu, damit sie das ausführen können! Es ist ja nicht so, daß sie das nicht wollten. Solche Dinge mahnt auch die CSU in Bayern an
und im übrigen nicht nur die SPD. Daß Umweltpolitik eine globale und erst recht eine Bundesaufgabe ist, müßte sich wohl auch irgendwo im Bundesetat widerspiegeln.
Der Haushalt des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit soll 1997 um 1,5 Prozent, also um 2 Millionen DM, erhöht werden. Die Planungen vom letzten Jahr sahen allerdings für 1997 ein Plus von 3,5 Prozent, also von 46 Millionen
DM, vor. Schließlich ist der Einzelplan 16 für das laufende Jahr gerade um satte 40 Millionen DM zusammengestrichen worden. Damit kann sich der BMU- Haushalt von dem Genickschlag, der ihm im letzten Jahr verpaßt wurde, kaum erholen.
Bei angespannter Haushaltslage und Reduzierung der Mittel für den eigentlichen Umweltschutz werden nur bei einem Kapitel die Ausgaben angehoben: dem Haushalt des Bundesamtes für Strahlenschutz. Hier fließen zusätzlich 36,2 Millionen DM, 3,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit fließt jede zweite Mark des Umwelthaushalts in den Bereich der Atomwirtschaft, zum Nutzen der Atomlobby.
Das Bundesamt für Naturschutz muß sich dagegen mit lediglich 1,5 Prozent des Umweltetats abfinden, Das Verhältnis der Etats der Bundesämter für Naturschutz und für Strahlenschutz beträgt damit 1:30.
Gewöhnlich wird an dieser Stelle immer auf die in anderen Einzelplänen versteckten Ausgaben mit umweltverbessernder Wirkung verwiesen, ohne allerdings auf den dem gegenüberstehenden Koloß an Ausgaben mit umweltzerstörender Wirkung einzugehen. Zum Vergleich: Allein für die Erhaltung sowie den Um-, Aus- und Neubau von Bundesautobahnen und Bundesstraßen wird im Verkehrshaushalt das Fünffache des gesamten Umwelthaushalts ausgege ben. 126 Millionen DM werden im Forschungshaushalt für den mit waffenfähigem Plutonium zu betreibenden Forschungsreaktor Garching II allein im nächsten Jahr verpulvert. Dagegen werden im selben Haushalt die Ausgaben zur Förderung der Ökologie, der Umwelttechnologie und der Klimaforschung um 11 Prozent - 42,7 Millionen DM - gekürzt. Ähnlich die Titel „Erneuerbare Energien", „Rationelle Energieanwendung", „Umwandlungs-
und Verbrennungstechnik" : Während die Klimakatastrophe immer näher rückt, streicht die Bundesregierung hier 17,6 Millionen DM. Das sind 11 Prozent weniger für die Zukunft.
Zurück zum Umwelthaushalt: Die Investitionen zur Verminderung der Umweltbelastung sind seit Jahren der große Verlierer im Einzelplan 16. Im Verhältnis zu 1994 reduzieren sie sich um 61 Prozent, im Verhältnis zum Vorjahr um 17 Prozent. Dort, wo tatsächlich Umweltschutz vorangetrieben werden kann, wird also stramm gekürzt.
Für die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes - wohl eindeutig eine Bundesaufgabe - stehen im Umwelthaushalt neben den Beiträgen für internationale Organisationen lediglich 4,7 Millionen DM bereit. Dagegen kann die Bundesregierung im Verkehrsetat trotz aller globalen Umweltprobleme locker 300 Millionen DM allein für den Grunderwerb zum Bau neuer umweltzerstörender Autobahnen ausgeben.
Im übernächsten Jahr soll der Umwelthaushalt wiederum um knapp 4 Prozent sinken. Der Widerspruch zwischen den salbungsvollen Worten, mit denen Frau Merkel regelmäßig die Umweltpolitik der Bundesregierung anpreist, und den realen finanziellen Grundlagen, auf denen die Bundesumweltpolitik steht, wird immer größer. Natürlich, Um-
Eva Bulling-Schröter
weltpolitik findet nicht nur über den BMU-Haushalt statt. Trotzdem: Das Volumen und die Struktur dieses Einzelplans sind deshalb nicht im geringsten in der Lage, Impulse zum Umsteuern in eine ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Gesellschaft zu leisten.
Aber wie könnte er auch? In einem System, in dem Wettbewerb und immer höhere Gewinne - jetzt wird es wirklich vulgärmarxistisch, wie Sie es nennen würden - natürlich über allem stehen, gibt es viele Gründe für Wachstum und Naturverschwendung, für mehr Verkehr und immer schnellere Produktzyklen. Das sind allesamt Dinge, die für eine tatsächlich nachhaltige Wirtschaftsweise Gift und Galle sind, wie Elmar Altvater, aber auch Weizsäcker immer wieder betonen. Deshalb taugt dieser BMU-Haushalt nur als Feigenblatt.
Es spricht jetzt der Kollege Eckart Kuhlwein.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das wohlformulierte Selbstlob der Bundesumweltministerin kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Umweltpolitik bei dieser Regierung von Jahr zu Jahr an Bedeutung verliert.
Das hat damit zu tun, daß in dieser Regierung diejenigen den Ton angeben, die Umweltpolitik für Luxus halten, den man sich in wirtschafts- und finanzpolitisch schwierigen Zeiten nicht leisten dürfe.
Die Frau Ministerin weiß es, wenn wir ihre Erklärungen ernst nehmen, besser. Das gestehen wir ihr ausdrücklich zu. Aber ihre Durchsetzungsfähigkeit war von Anfang an gering und nimmt immer stärker ab, und politisches Handeln wird immer häufiger durch symbolische Akte ersetzt.
Was ich nicht verstehe, Frau Merkel, ist, daß Sie Ihre Niederlagen auch noch als Siege verkaufen wollen. Wir bieten Ihnen an, mit uns gemeinsam gegen die Bremser in Ihren Reihen vorzugehen. Da gibt es ja immer noch eine ganze Reihe von Betonköpfen. Wenn sich jetzt der eine mit ein wenig Dachbegrünung auf seinem Betonkopf zum Naturschützer entwickeln will, dann wollen wir noch sehr viel mehr Taten sehen als diesen einen Elbe-Kompromiß, der in den letzten Tagen lauthals verkündet wurde.
Auch Herr Rexrodt wird mit seinem Energiewirtschaftsgesetz noch lange nicht zum Apostel der Sonnenenergie.
Wir erwarten von Ihnen, Frau Merkel, deutliche Worte auch an die eigene Adresse und an die Kollegen im Kabinett und nicht nur Appelle an andere wie in Ihrer Rede, die Sie gerade gehalten haben.
Es ist zweifellos richtig, daß sich die Umweltpolitik wegen der Querschnittsfunktion nicht allein am Einzelplan 16 festmachen läßt. Aber wenn der Stammhaushalt um 3 Prozent auf dürftige 746 - in Worten: siebenhundertsechsundvierzig - Millionen DM sinkt - noch stärker als andere Einzelpläne -, dann ist das für die Umweltpolitik wahrlich kein Grund zum Jubeln. Im Gegenteil, Umweltpolitiker müßten eigentlich Trauer tragen.
Frau Merkel, Sie können nicht einmal behaupten, Sie seien noch einmal davongekommen. Um die Wahrheit zu verschleiern, haben Sie das Gesamtbild geschönt, indem Sie bei den Endlagern für radioaktive Abfälle - das ist der Bereich, der durch Gebühren und Entgelte von den Verursachern radioaktiver Abfälle refinanziert wird - bei Einnahmen und Ausgaben viel zu hohe Beträge eingesetzt haben. Hier ist eine Größenordnung von 200 Millionen DM noch aufklärungsbedürftig. Dies ist übrigens ein Musterbeispiel dafür, wie diese Bundesregierung mit den Grundsätzen der Haushaltswahrheit und -klarheit umgeht. Auch für den Einzelplan 16 gilt unsere Bewertung: unseriös und unsolide Arbeit.
Die Umweltschutzausgaben im gesamten Bundeshaushalt sinken weiter von 9,9 auf 9,5 Milliarden DM. Auch dies muß man dazusagen, wenn man auf Haushaltspositionen in anderen Einzelplänen hinweist. Auch in diesem Jahr ist bei manchen in der Liste des Finanzministers aufgeführten sogenannten Umweltschutzausgaben nicht ganz klar, was diese Bundesregierung eigentlich unter Umweltschutz versteht. Sicher ist die Sanierung von Kasernengrundstücken und die Beseitigung von Kampfmitteln oder die Vernichtung von Dekontaminationsmitteln notwendig, aber mit Umweltpolitik im Sinne politischer Gestaltung haben solche Aufwendungen doch nur sehr wenig zu tun.
Die SPD-Fraktion bleibt dabei: Wir brauchen endlich eine kritische Bewertung aller Ausgabentitel des Bundeshaushalts unter ökologischen Gesichtspunkten. Die Koalition hat unseren Antrag abgelehnt, sämtliche Bundesbehörden an dem für Gewerbebetriebe und Industrieunternehmen empfohlenen Umweltaudit zu beteiligen, das die Bundesumweltministerin in ihrer Rede gerade wieder gelobt hat. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen" hat im Sommer dieses Jahres die Einführung internationaler Umweltaudits für Staaten und Wirtschaftszweige vorgeschlagen. Wenn Sie unserem Vorschlag gefolgt wären, damit zunächst einmal in der Bundesverwaltung anzufangen, wäre die Bundesregierung hier schon einen Schritt weiter.
Es ist an der Zeit, daß Sie im eigenen Laden damit beginnen, weil Sie hier und international eine Vorbildfunktion beim Umweltaudit übernehmen müßten. Wir können damit nicht warten, bis die von der
Eckart Kuhlwein
Bundesregierung angekündigten Untersuchungen für den Aufbau einer umweltökonomischen Gesamtrechnung beendet sind.
Die Bundesumweltministerin ist jetzt auf der Suche nach einem gemeinsamen Verständnis über die konkreten Inhalte und die praktische Umsetzung des Leitbilds einer nachhaltigen Entwicklung, wie es auch 1992 in Rio formuliert worden ist. Sie hat dazu Anfang Juli dieses Jahres eine Tagung im Wissenschaftszentrum veranstaltet. Ich war dabei. Es waren interessante Leute da. Es ist alles sehr schön. Schöner aber wäre es, Frau Merkel, wenn Sie und Ihr Vorgänger schon etwas früher an konkreten Inhalten zur Umsetzung von Rio gearbeitet hätten.
Ganz großartig wäre es, wenn das Bundesumweltministerium wenigstens zum Haushalt 1997 erste Maßnahmen - auch in anderen Ressorts, zum Beispiel beim Verkehrsminister oder dem Landwirtschaftsminister - vorgesehen hätte, wie ein Haushalt aussehen muß, der „Schritte zu einer nachhaltigen, umweltgerechten Entwicklung", wie es in Ihrer Einladung hieß, gehen will. Wir wären schon mit kleinen Schritten zufrieden gewesen. Aber ich fürchte, daß in keinem Land der Widerspruch zwischen Ankündigungen und Taten in der Umweltpolitik so groß ist wie bei dieser Bundesregierung.
Der eben genannte Workshop, mit dem Frau Merkel zu einem einjährigen Diskussionsprozeß eingeladen hat, in dem Ziele und Handlungsoptionen für die nächsten Jahre formuliert werden sollen, ist sicher nicht überflüssig gewesen. Man kann gar nicht oft genug Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster Interessen an einen Tisch setzen. Aber ich werde den Eindruck nicht los, Frau Merkel, daß Sie als Umweltministerin ein Feld als Spielwiese besetzen, um von den konkreten Handlungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten abzulenken. Solche konkreten Vorschläge gibt es in Hülle und Fülle, von den Empfehlungen der Enquete-Kommissionen dieses Hauses über die Studie des Wuppertal-Instituts bis zu den Anregungen des Sachverständigenrats. Auch gibt es konkrete Vorschläge der SPD-Fraktion zur ökologischen Steuerreform, für ein Klimaschutzprogramm, für ein 100 000-Dächer-Programm zur Förderung der Solarzellenproduktion
und eine Reihe andere Vorschläge, Frau Kollegin Homburger, die Sie alle auf der rechten Seite dieses Hauses im Plenum abgelehnt haben.
Es fehlt der Ministerin offenbar der Mut oder vielleicht nur das Durchsetzungsvermögen, aus den vielen richtigen Vorschlägen Initiativen in der Regierungspolitik zu machen. Ich möchte Sie deshalb davor warnen, aus dem Projekt Nachhaltigkeit eine Reihe von endlosen Diskussionszirkeln werden zu lassen. Das könnte der nachhaltigen Entwicklung in Deutschland nachhaltig Schaden zufügen.
In dem Papier, das Sie als Diskussionsgrundlage eingebracht haben, steht viel Richtiges. Aber die Nutzung der Atomenergie als Handlungsansatz für den Klimaschutz und für eine nachhaltige Entwicklung zu bezeichnen, das kann nur jemandem eingefallen sein, der Tschernobyl verdrängt hat und Gorleben für eine Rekultivierungsmaßnahme hält.
Mit nachhaltigem Wirtschaften ist die andauernde Nutzung der Kernenergie nicht vereinbar. Mit der Atomenergie zementieren Sie eine Energieversorgung, die auf Verschwendung ausgerichtet ist und damit auch das Klimaproblem nicht lösen wird. Sie vertreten hier eine absolut strukturkonservative Position, die weder ökologisch noch ökonomisch vertretbar sein kann.
Ich will hier gar nicht aufblättern, wie teuer die Stromkunden bereits der Ausbau von Gorleben und Konrad als potentielle Endlager für radioaktiven Müll kommt. Am Ende werden es nach heutigen Vorausberechnungen wenigstens 7 Milliarden DM sein, eine Summe, mit der man gewaltige Energieeinsparungen anstoßen oder spielend die Markteinführung der Photovoltaik finanzieren könnte. Aber das ist ja leider verschüttete Milch. Irgendwo wird das Zeug am Ende hin müssen, von dem mit der politischen Hilfe dieser Bundesregierung, dieser Koalition Jahr für Jahr immer noch mehr angehäuft wird.
Daß Sie aber, Frau Merkel, aus dem Bundeshaushalt zu Lasten der Steuerzahler auch noch rund 60 Millionen DM für die Deponie in Morsleben abzweigen, ohne von der Atomindustrie Gebühren oder ein Entgelt zu fordern, das ist, gelinde gesagt, nicht nur eine unsinnige, sondern eine geradezu systemwidrige Subvention,
ganz gleich, Herr Kollege Kriedner, ob Sie solche Bewertungen für vulgärmarxistisch halten oder nicht.
- Immerhin ist er Vertreter einer Regierungskoalition, die sich angeblich den Subventionsabbau auf die Fahne geschrieben hat.
Gleichzeitig kürzen Sie die Förderung der Umweltschutzprojekte Inland um insgesamt 60 Prozent gegenüber 1994. Offenbar gibt es in Deutschlands Betrieben nichts mehr zu entwickeln. Es heißt, es lägen beim Umweltbundesamt nicht genügend förderungsfähige Anträge vor. Nachdem Deutschland dabei ist, seine Spitzenstellung bei Technologien zur Sanierung und Begrenzung von Umweltschäden zu verlieren, verzichten wir gleich auf die Förderung von Konzepten für integrierten Umweltschutz, für rohstoff-
Eckart Kuhlwein
und energiesparende Verfahren und Produkte. Ich könnte mir vorstellen, daß das Umweltministerium mit der Fülle seiner Forschungsvorhaben einmal den Versuch macht, sie etwas stärker in die Anwendungsnähe zu bringen und sich in einer Innovationsoffensive für integrierten Umweltschutz Firmen selber zu suchen, in denen man das umsetzen kann, was mit hohen Haushaltsmitteln erforscht und entwickelt worden ist.
Im Diskussionspapier des BMU „Schritte zu einer nachhaltigen, umweltgerechten Entwicklung" heißt es, Ziel sei der Übergang von Raubbau und Wegwerfmentalität zu langfristig tragbaren Wirtschafts- und Lebensweisen. Wenn das Ziel ernst gemeint sein sollte, stellen wir fest: Die Praxis dieses Haushalts wird ihm nicht gerecht. Der Entwurf des Bundeshaushalts für 1997 zeigt, daß diese Regierung nicht nur finanzpolitisch die Zukunft verspielt. Er zeigt, daß sie auch wirtschaftspolitisch, technologiepolitisch und umweltpolitisch nicht zukunftsfähig ist.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan 16 liegen nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr. Das ist der Einzelplan 12.
Das Wort hat zunächst Herr Minister Matthias Wissmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute in erster Linie über den vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf zum Verkehrshaushalt 1997 debattieren, so ist vor allen Dingen eine Zahl hervorzuheben. 19,95 Milliarden DM werden im Haushalt 1997 für Investitionen ausgegeben. Die Investitionen machen damit über 44 Prozent des gesamten Verkehrshaushalts aus.
Angesichts der großen Sparzwänge, in denen wir gemeinsam stehen, ist es natürlich von großer Bedeutung, daß wir an Hand der Vorlage dieses Haushaltsplans sagen können: Für die Bundesschienenwege und die Bundesfernstraßen konnte das Investitionsniveau des vergangenen Jahres gehalten und - was noch wichtiger ist - in der Finanzplanung fortgeschrieben werden.
Hier gibt es trotz der Haushaltszwänge keine Kürzungen. Ebenso ist es gelungen, die Investitionen in die Bundeswasserstraßen nach wie vor auf hohem Niveau festzuschreiben.
Wir alle wissen angesichts der enormen Verkehrsbelastungen, angesichts der dringend notwendigen
Modernisierung unserer Infrastruktur in ganz Deutschland, vor allem in den neuen Bundesländern, welche nicht nur verkehrs- und umweltpolitische, sondern auch wirtschaftspolitische Bedeutung diese Investitionen haben. 1 Milliarde DM Investitionsvolumen in die Verkehrsinfrastruktur sichert unmittelbar 12 500 Arbeitsplätze im Baugewerbe
und in den damit verbundenen Bereichen, im Baustoff- und Dienstleistungsbereich, bei den Eisen- und Metallwaren oder im Stahl- und Maschinenbau.
Ich will allerdings hinzufügen: Die Bundesregierung wäre froh, wenn auf Länder-, Kreis- und Gemeindeebene ebenfalls beim Sparen stärker in den Konsum und weniger in die Verkehrsinvestitionen gegangen würde, weil wir auch dort die Verkehrsinfrastruktur modernisieren und weil wir auch dort Beschäftigungsimpulse auslösen müssen.
Eine gute werkehrliche Erschließung der Regionen - das wissen wir alle - beeinflußt die Attraktivität für Gewerbeansiedlungen auf Dauer entscheidend. Nicht zuletzt in den neuen Bundesländern spielt dieser Aspekt eine herausragende Rolle. Ich freue mich deshalb sehr, daß wir nach nur fünf Jahren bei der Verwirklichung der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit Erfolge vorweisen können, auf die wir gemeinsam über Parteigrenzen und über Ländergrenzen hinweg stolz sein können. Die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit sind nun alle im Bau, einige bereits fertiggestellt.
Bisher wurden rund 18 Milliarden DM für die Erneuerung der Verkehrsinfrastruktur allein bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit ausgegeben und bei allen Schienenwegen, Straßen und Wasserstraßen in den neuen Bundesländern bis jetzt 65 Milliarden DM. Das ist eine Aufbauleistung für die Infrastruktur, die sich langfristig bezahlt machen wird und die in Europa und in der Welt ihresgleichen nicht findet. Ich meine, wir können darauf stolz sein.
Wir schreiben in der Ihnen heute vorgelegten mittelfristigen Finanzplanung und im Bundeshaushalt 1997 diese Linie bewußt fort. Ich nenne nur eine Zahl für das kommende Jahr: Auch 1997 werden wir beispielsweise bei den Straßenbauprojekten in den neuen Bundesländern rund 2,4 Milliarden DM ausgeben. Wir müssen uns damit nicht verstecken; denn von dem gesamten Geld, das bisher in die neuen Bundesländer gegangen ist, sind 60 Prozent in die umweltverträglichsten Verkehrsträger, nämlich Bahn und Wasserstraße, gegangen. Die Straße hat ihren fairen Anteil gehabt, aber sie ist nicht überproportioniert gewesen. Das Ganze läßt sich also nicht nur verkehrspolitisch, sondern auch umweltpolitisch weiß Gott sehen.
Lassen Sie mich einige Beispiele nennen, weil ich sehr wohl weiß, daß Entscheidungen auf der Ebene der Makroökonomie genauso wie der Makroverkehrsinfrastruktur weniger nachvollziehbar sind als
Bundesminister Matthias Wissmann
Entscheidungen auf der Mikroebene, also dort, wo es bei den Menschen unmittelbar spürbar wird.
Als ich im April den ersten Spatenstich für den Bau der neuen Eisenbahntrasse Erfurt-Nürnberg und der Autobahn von Erfurt nach Lichtenfels und Schweinfurt gemacht habe, haben wir nach Berechnungen des Thüringer Wirtschaftsministeriums die Grundlage für jährliche Investitionen von bis zu 300 Millionen DM in Thüringen geschaffen.
In Mecklenburg-Vorpommern wird mit dem Bau der A 20 für mehr als die Hälfte der Gewerbegebiete des Landes der dringend notwendige Anschluß an das Autobahnnetz verwirklicht. Zudem bringt die bessere Erreichbarkeit der Feriengebiete einen wichtigen Impuls für den Tourismus und die Fremdenverkehrswirtschaft.
In Nordhausen, Halle, Suhl, Rostock und Neubrandenburg bringen allein die VDE-Straßenprojekte über 25 000 Dauerarbeitsplätze in den Industrie- und Gewerbeansiedlungen. Nehmen Sie den Raum Schwedt: Ohne die B 2 und die B 166 könnten 4 000 Arbeitsplätze in den Branchen Papier und Öl nicht langfristig gesichert bzw. geschaffen werden.
Ein letztes Beispiel aus den neuen Bundesländern: Mit dem Ausbau der A 12/B 112 im Raum Frankfurt! Oder wird die Grundlage für ein Logistikcenter mit bis zu 2 500 Arbeitsplätzen verwirklicht.
Was in den neuen Ländern gilt, gilt auch in den alten Ländern. Hier setzen wir auf die Modernisierung der Straßeninfrastruktur. Denken Sie daran, was die A 48 Koblenz-Trier allein im Raum Wittlich zur Entwicklung von Handel und Gewerbe beigetragen hat.
Wir setzen natürlich ganz besonders auf die Erneuerung unserer Bahn.
Ich will unser langfristiges Ziel ganz deutlich nennen: Bis etwa zum Jahr 2010
wollen wir praktisch alle großen Metropolen in Deutschland mit einem leistungsfähigen Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn verknüpft wissen. Klar ist, daß die Investitionen, die in den letzten Monaten etwa an der Strecke Köln-Frankfurt/Main getätigt worden sind - die Aufträge für die ersten drei Baulose sind vergeben worden - oder die zwischen München und Nürnberg, zwischen Hannover und Berlin oder beim Transrapid zwischen Hamburg und Berlin anstehen - sowohl für die klassische als auch für die neue Technik der Bahn -,
alle ein klares Ziel haben: durch einen attraktiveren Schienenverkehr mehr Verkehr von der Straße auf die Bahn zu bringen und den regionalen Luftverkehr unter 500 km Reichweite, der sich weder betriebswirtschaftlich noch ökologisch rechnet, überflüssig zu machen. Das ist für die Verkehrssituation und für
den Umweltschutz gut. Es ist eine langfristige Investition in die Infrastruktur unseres Landes.
Wichtig ist auch, daß die DB AG bis zum Jahr 2000 allein im Schienenpersonennahverkehr für die Modernisierung und Aufarbeitung vorhandener Züge etwa 1 Milliarde DM und für die Beschaffung neuer Fahrzeuge rund 7 Milliarden DM aufwenden wird. Auch wenn es sich nicht unmittelbar in den Zahlen des Verkehrshaushaltes widerspiegelt, sondern sich indirekt aus dem Mineralölsteueraufkommen ergibt, ist es doch eine bemerkenswerte Leistung der Finanz- und Verkehrspolitik dieser Bundesregierung, daß wir im Jahr 1997 für den Schienenpersonennahverkehr Summen wie nie zuvor in Form von Transferleistungen an die Länder und Regionen ausgeben können.
Was uns im Jahr 1995, als wir eine zentrale Verwaltung hatten, noch 7,7 Milliarden DM gekostet hat, was uns im Jahr 1996 8,7 Milliarden DM für Transferleistungen an die Länder gekostet hat, wird im Jahr 1997 auf über 12 Milliarden DM für die Modernisierung des Nahverkehrs und des Regionalverkehrs der Bahn anwachsen. Ich sage - Sie von der Opposition können in diesem Punkt nicht widersprechen; wir haben dies zum Teil gemeinsam mit den Ländern ausgearbeitet -: Es ist das größte Modernisierungsprogramm für den Nahverkehr, das es je in Deutschland gegeben hat. Es ist ein gutes Programm für die Zukunft. Es trägt an einzelnen Stellen auch die Unterschriften Ihrer Ministerpräsidenten, meine Damen und Herren von der Opposition.
Klar ist: Wir investieren nicht nur in Bahn und Straße, sondern auch in die weitere Entwicklung einer modernen Binnenschiffahrt. Das ist der Verkehrsträger, der die größten Kapazitätsreserven hat, der mit den Übergangsproblemen im liberalisierten europäischen Binnenmarkt am meisten zu kämpfen hat und dem wir deshalb in dieser schwierigen Übergangszeit, wo es irgend geht, zur Seite stehen müssen.
Wie wichtig die Binnenschiffahrt ist, sehen wir in Berlin und in Brandenburg. Dort wird logistisch gesehen eine weltweit einmalige Leistung erbracht. Gegenwärtig gibt es in der Stadt Berlin über 250 Großbaustellen. Es ist eine Meisterleistung derer, die das logistisch geplant haben, daß mehr als 80 Prozent der Baustofftransporte nach Berlin über die umweltfreundliche Binnenschiffahrt kommen.
Das zeigt, was wir damit strategisch entwickeln können, nämlich wie wir den Güterverkehr auf der Straße entlasten können und welche Zukunft die Binnenschiffahrt langfristig hat.
Deswegen bin ich besonders froh, daß ich Ihnen heute in den Haushaltsberatungen wenige Tage nach dem Abschluß monatelanger Verhandlungen und Gespräche von einer beispielhaften Vereinba-
Bundesminister Matthias Wissmann
rung in Sachen Umwelt- und Verkehrspolitik berichten kann, die das Bundesverkehrsministerium mit den großen Umweltverbänden beim behutsamen, ökologisch sensiblen Ausbau der Elbe und des ElbeSeitenkanals getroffen hat. Indem wir nur flußbaulich und äußerst sensibel die Schiffbarkeit der Elbe langfristig sichern und gleichzeitig in die Modernisierung des Elbe-Seitenkanals investieren, haben wir klargemacht, daß wir beide Ziele miteinander verbinden können: auf der einen Seite Schiffbarkeit der Elbe und auf der anderen Seite Schutz der Auenwälder, Schutz wertvollster Natur und Landschaft.
Ich bin froh, daß der Naturschutzbund Deutschland, die Umweltstiftung World Wildlife Fund for Nature, der Bund für Umwelt und Naturschutz und Euronatur mit uns gemeinsam diese Vereinbarung getroffen haben. Ich gebe zu: Ich freue mich auch ein bißchen darüber, wenn der Vorsitzende von World Wildlife Fund sagt: Was jetzt an der Elbe möglich ist, hat historische Dimensionen und zeugt von der Dialogfähigkeit des Bundesverkehrsministeriums.
Wir freuen uns über diese Vereinbarung.
Wir werden diesen Weg weitergehen
und die Verkehrsinfrastruktur mit Augenmaß und mit ökologischer Sensibilität ausbauen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kubatschka?
Gerne.
Herr Minister, nachdem Sie die Elbe-Vereinbarung so gelobt haben - auch mir erscheint das als gangbarer Weg -, frage ich Sie: Sind Sie bereit, bei der Donau, deren Ausbau nach den Plänen der Rhein-Main-Donau AG für 1,3 Milliarden DM vorgesehen ist - mit den entsprechenden Zerstörungen der Natur -, denselben Weg zu gehen wie hier, den ich für sehr vernünftig halte? Auch die Berechnungen von Wasserbauern haben ergeben, daß dieser Weg gangbar wäre.
Herr Kollege, wir gehen natürlich auch bei den Planungen zum Ausbau der Donau, die wir in enger Absprache mit der Bayerischen Staatsregierung in den Grundzügen im Oktober abschließen wollen, mit höchster ökologischer Sensibilität vor. Wir werden im Oktober genau sagen können, wie wir die verkehrlichen und die umweltpolitischen Ziele miteinander verbinden können. Sie müssen nur wissen - ich nehme an, Sie wissen das auch -: An der Donau haben wir nicht die Lösung über den Seitenkanal. Dort müssen wir, wenn wir verkehrliche Potentiale erschließen wollen, an der Donau selbst Eingriffe vornehmen. Aber auch dort geht es mir um einen Konsens zwischen Verkehrs- und Umweltanliegen. Auch dort werden wir nicht mit Betonköpfen auffahren, sondern mit Behutsamkeit.
Aber auf eines lege ich Wert: Ohne die Beseitigung des Engpasses an der Donau werden wir unser Ziel, international noch mehr Verkehr von der Straße weg auf die Binnenschiffahrt zu verlegen, auf Dauer nicht erreichen.
Haben Sie, lieber Kollege, immer im Kopf: Ein 2 000-
Tonnen-Motorgüterschiff befördert die Fracht von 50 40-Tonnen-Lkw.
Deswegen müssen wir natürlich den Mut haben, auch den werkehrlichen Belangen Rechnung zu tragen, wenn es um die Entwicklung dort geht.
Ich glaube, wir alle spüren: Verkehrspolitik ist, richtig angelegt, vernetzt gedacht und gehandelt, immer auch Wirtschafts- und Umweltpolitik. Sie kommt heute weniger denn je ohne Mittel der modernen Technik aus. Deswegen setzen wir auch in diesem Haushalt auf die Entwicklung der Verkehrstelematik. Deswegen gehen wir auch in diesem Haushalt einen Schritt weiter zum Baubeginn des Transrapids. Ich wäre ganz froh, wenn uns die Opposition nicht nur folgen würde, wenn es um Umweltsensibilität geht, sondern wenn sie auch den Mut hätte, uns zu folgen,
wenn es um den Einsatz moderner Technik zur Lösung unserer Verkehrsprobleme geht.
Denn ohne diese können wir ein Gesamtkonzept nicht glaubwürdig entwickeln.
Dieser Bundeshaushalt enthält in Zahlen gegossen eine konzipierte, zukunftsgerichtete Verkehrspolitik. Ich wäre für Ihre Zustimmung außerordentlich dankbar.
Das Wort hat der Kollege Hans Georg Wagner, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir die Debatte zur ersten Lesung seit heute morgen um 11 Uhr angehört und bin eigentlich verwundert, wie die Koalition und auch die Regierungsvertreter hier den Bundeshaushalt 1997 angesichts der Fakten und Daten im Umfeld dieses Haushaltes vorstellen.
Hans Georg Wagner
Die drei Begriffe „Schulden, Pleiten, Arbeitslosigkeit" werden die Markenzeichen dieses Haushaltes sein: die höchsten Schulden mit 1,4 Billionen DM, die höchste Arbeitslosigkeit mit weit über 4 Millionen Arbeitslosen, und die Pleiten gehen auf die 30 000 zu. Hier aber wird ein Erfolg gefeiert und sich eingebildet, dies sei tatsächlich auch der Fall. Schulden, Pleiten, Arbeitslosigkeit sind also Markenzeichen dieser Koalition.
- Ich kann Ihnen, Frau Kollegin, das gerne einmal sagen: Die Zinsquote des Bundeshaushaltes im Jahre 1997 liegt bei 26,1 Prozent der Einnahmen. Im Saarland liegt die entsprechende Quote bei 23 Prozent; es waren einmal 26 Prozent.
- Nach der vom Bundesverfassungsgericht durchgesetzten Entschuldung meines Heimatlandes. Das ist richtig.
Ich wollte aber nur sagen, daß die Grenze, die seinerzeit bei der Klage beim Bundesverfassungsgericht durch das Saarland und Bremen erreicht war, jetzt beim Bund erreicht ist. Das sage ich nur, weil Sie hier immer das Saarland und Bremen ansprechen.
Trotz der optimistischen Aussagen auch jetzt des Verkehrsministers bleibt gültig, daß das Sinken der Investitionen im Bereich des Einzelplanes 12 schokkierend ist. Im Bahnbereich sind sie seit 1995 um 44 Prozent gesenkt worden. Herr Minister, Sie haben eben hier und heute morgen in Frankfurt gesagt, daß pro 1 Milliarde DM Verkehrsinvestitionen 12 500 Arbeitsplätze entweder gesichert würden oder davon abhingen. Dann sind jetzt im Bereich der Eisenbahn und des Schienenweges rund 35 000 Arbeitsplätze in Ihrem Verantwortungsbereich seit 1995 vernichtet und nicht neu geschaffen worden.
Es müßte ja eigentlich umgekehrt sein, wenn Ihre Aussage stimmt, daß die Schiene Priorität vor der Straße habe. Dabei ist gerade der Bundeshaushalt im Einzelplan 12 der umgekehrte Beweis, und deshalb sind Arbeitsplätze nicht geschaffen oder gesichert, sondern, wie ich fürchte, vernichtet worden. Die 2,5 Milliarden DM Einsparungen im Bereich des Schienenverkehrs sind arbeitsmarktpolitisch also kontraproduktiv gegenüber dem, was alle wollen. Umweltpolitisch sind sie ein Skandal. Es ist eine ökologische Unmöglichkeit, die hier geschieht.
Obwohl das Bundesverfassungsgericht Lärmschutz am vorhandenen Schienennetz vorschreibt und der Kollege Carstens im Petitionsausschuß vor zwei Jahren lebhaft und eindeutig darauf hinwies, daß dort etwas gemacht werden müßte, findet man im Bundeshaushalt 1997 erneut keine einzige müde Mark für den Lärmschutz am vorhandenen Schienennetz.
Statt dessen wird öffentlich sehr stark - darüber möchten wir hier auch einmal diskutieren - über die Streckenführung des ICE von Erfurt über Nürnberg nach München diskutiert. Insbesondere die letztgenannte Strecke steht im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung. Wenn das Geld in der Tat so knapp ist, muß man eine wirtschaftliche Lösung suchen und - möglicherweise auch die Sozialdemokraten in Bayern, füge ich hinzu - von Lösungen Abstand nehmen, die einfach nicht finanzierbar sind. Denn wenn das ganze Projekt steht, sind es 15,6 Milliarden DM, die diese Strecke kostet. Das können wir uns allesamt nicht leisten. Deshalb appelliere ich an die Kolleginnen und Kollegen aus Bayern, sich dies doch bitte zu Gemüte zu führen: Wir können uns solch teure Strecken nicht leisten.
Nun zum Transrapid; dazu ist schon einiges gesagt worden. Ich sage nur: Trans - und rapid geht der Verkehrshaushalt nach unten. Das Projekt Transrapid, von dem wir nicht wissen, wie es finanziert werden soll, hat dazu geführt, daß sich wiederum ein Gutachter freuen darf. Er stellt, mittlerweile im dritten Gutachten, fest, wie hoch die Einsatzstärke wäre, wie die Benutzung des Transrapid auf der Strecke HamburgBerlin aussehen könnte etc. Ein Gutachten jagt das andere. Kein Mensch weiß, wo dies endet. Was passiert denn, wenn das Ganze ein Flop wird? Dann bezahlt es der Bund, nicht die Wirtschaft. Wir mahnen deshalb, hier aufzupassen.
Herr Minister, Sie waren heute morgen in Frankfurt und nicht im Bundestag. Die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier hat hier gesagt, daß wir die Technologie des Transrapid unterstützen, daß wir allerdings fragen: Wo führt das hin? Wer finanziert dies mit? Wer hat ein Interesse daran?
Es ist ja nicht so, als seien wir technikfeindlich. Sie von der Koalition sind dies in einem anderen Punkt; das ist schon vom Kollegen Weng angesprochen worden. Er hat bei der Steinkohle die Subventionen gebrandmarkt. Das ist in hohem Maße technologiefeindlich. Wir haben in der Steinkohlekraftwerkindustrie die modernsten Techniken in der ganzen Welt und könnten das weltweit verkaufen, wenn Sie die Gruben nicht dichtmachten. Das ist Technologiefeindlichkeit ersten Ranges.
Die Einsatzmöglichkeiten des Transrapid sind von der deutschen Industrie aufgelistet worden. Dies liest sich wie ein Dienstreiseroman. Überall steht drunter: auf Gleise umgezogen. Es geht also nicht mehr um
Hans Georg Wagner
den Transrapid; es ist eine andere Entscheidung getroffen worden.
Zu den Wasserstraßen. Der Beitrag für die Seeschiffahrt wird von der Bundesregierung erneut gesenkt, und zwar von 100 Millionen DM auf 40 Millionen DM. Ich frage: Warum verunsichert man die Betroffenen derart? Sie wollen unter deutscher Flagge weiterhin die Handelsflotte betreiben. Sie können es aber nicht, weil jedes Jahr eine Senkung des Beitrags vorgenommen wird. Ich kündige schon jetzt an, daß die SPD den Antrag stellen wird, die alte Summe von 100 Millionen DM wiederherzustellen.
Herr Kollege Wissmann, Sie haben neulich etwas Bedeutendes zur Binnenschiffahrt gesagt - Sie sagen viel Bedeutendes, auch zur Binnenschiffahrt -, das in der Zeitung „Der Selbständige" im Juli/August 1996 veröffentlicht worden ist. Ich zitiere:
Die Stärkung der Binnenschiffahrt ist und bleibt für mich eine verkehrspolitische Aufgabe von hoher Priorität. Die Binnenschiffahrt ist ein Verkehrsträger mit Zukunft im europäischen Wettbewerbsmarkt. Gerade auch im Hinblick auf die Interessen der mittelständischen deutschen Partikulierschiffahrt setze ich mich weiter für die Schaffung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen im europäischen Binnenschiffahrtsmarkt ein, um den Binnenschiffern bei der Bewältigung des Strukturwandels im Wettbewerbsumfeld zu helfen.
Ich frage Sie, Herr Minister: Warum werden dann die Zinsen für Darlehen im Rahmen der Strukturbereinigung in der Binnenschiffahrt um 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr gekürzt? Das paßt doch nicht zusammen: Auf der einen Seite wollen Sie helfen, auf der anderen Seite soll eine Kürzung um 60 Prozent erfolgen.
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, Herr Minister, daß die Straßenbaumittel im Vergleich mit denen des Jahres 1996 in etwa gleichgeblieben sind. Es ist aber eine Umschichtung von den Bundesfernstraßen zu den Bundesautobahnen vorgenommen worden, was im Klartext weniger Ortsumgehungen bedeutet.
Sie sollten Ihren Kolleginnen und Kollegen einmal in einer aktualisierten Auflage des Bundesverkehrswegeplanes auflisten, was noch möglich ist. Man kann nicht draußen versprechen: „Das kommt jetzt; das steht im Bundesverkehrswegeplan", wenn jedermann - Sie und wir - ganz genau weiß, daß aus finanziellen Gründen nur die Hälfte oder ein Drittel der Maßnahmen, die darin enthalten sind, realisiert werden kann.
Ich möchte nicht das Wort Täuschung in den Mund nehmen. Ich sage aber, daß man den Kolleginnen und Kollegen der Koalition die Chance geben sollte, draußen die Wahrheit zu verbreiten. Sie sollten nicht gezwungen sein, zu erzählen, was nicht stimmt.
Dieser Hoffnungskatalog greift nicht.
Zur Luftfahrt. Die Lufthansa wird immer wieder als Finanzierungsmöglichkeit genannt. Der Bund ist noch mit 35,7 Prozent beteiligt. Es ist die Gefahr nicht gebannt, daß ein außereuropäischer Investor einsteigt. Dann wäre die Lufthansa kein nationales Luftfahrtunternehmen mehr. Es ist nicht garantiert, daß dies verhindert werden kann. Ich hätte gern gewußt, warum nichts dazu gesagt wird, wie Klarheit geschaffen werden kann, damit die Bundesrepublik Deutschland weiterhin über einen eigenen Carrier verfügt.
Herr Minister, von Ihnen ist gerade wieder die Finanzplanung angesprochen worden. Jetzt muß ich Ihnen als jemand, der schon lange Jahre, Jahrzehnte in der Kommunalpolitik tätig ist, einmal sagen, was ich von einer mittelfristigen Finanzplanung halte: überhaupt nichts. Sehen Sie sich einmal die Daten der Vergangenheit daraufhin an, ob irgendeine Zahl gestimmt hat. Man kann natürlich sagen: Wir geben im Bereich des Verkehrshaushalts im Jahre 1998 100 Milliarden DM aus. Jeder weiß: Das hängt davon ab, wie die Haushaltsberatungen ausgehen. 100 Milliarden DM kommen nie zustande. Frau Kollegin Karwatzki, Sie sind ja als Finanzstaatssekretärin maßgeblich am Streichen beteiligt. Sie sagen: 1999 stellen wir Mittel in Höhe von 150 Milliarden DM bereit. Die ganze Koalition strömt ins Land hinaus und sagt: Wir werden 150 Milliarden DM in den Verkehr investieren.
- Ja, natürlich mindestens.
Dann kommt die Realität des jährlichen Haushaltes, und der Verkehrsminister steht nackt da und muß sagen: Es sind nicht 150 Milliarden, sondern gerade einmal, wenn alles zusammenkommt, 20 Milliarden DM. Ich habe dies einmal etwas überzeichnet dargestellt. Der Einzelplan 12 hat nach meiner Einschätzung als Investitionshaushalt sehr stark verloren, was sehr bedauerlich ist.
Herr Minister, Sie haben zuletzt die Telematik angesprochen. Ich möchte dazu noch sagen: Im Haushalt 1997 sind dafür Mittel in Höhe von 43 Millionen DM vorgesehen, im Haushalt 1996 auch. Ausgegeben wurden nur 23,8 Millionen DM. Das funktioniert also auch nicht so, wie es funktionieren sollte.
Noch ein Wort zu den Arbeitsplätzen. Bezüglich der Ablaufzahlen des Haushaltes 1996 im Bereich der Schiene ist festzustellen: Von insgesamt 7,5 Milliarden DM in Ost und West sind bis zum 9. September 1996 vielleicht 1,5 Milliarden DM, wenn es hoch kommt, abgeflossen. Das bedeutet im Klartext eine indirekte Vernichtung von Arbeitsplätzen. Wir haben im vorigen Jahr die Bahn beschimpft.
Hans Georg Wagner
Ich muß heute sagen: Es kann wohl nicht wahr sein, daß es immer die Bahn ist.
Herr Kollege Wagner, achten Sie bitte auf die Zeit.
Sofort.
Sie müssen einmal in Ihrem Verantwortungsbereich prüfen, ob die Genehmigungsbehörden hier nicht Sand ins Getriebe schmeißen, anstatt die Sache zu forcieren.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Kollege Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die erste Lesung des Bundeshaushalts läßt naturgemäß zumindest für einen Koalitionsberichterstatter nur eine vorläufige Bewertung des Regierungsentwurfes zu. Die eigentliche parlamentarische Beratung, Herr Kollege Wagner, kommt auf uns in den Arbeitsgruppen und Ausschüssen erst noch zu. Ich glaube, wir alle brauchen keine Propheten zu sein, um vorauszusagen, daß diese Arbeit für uns alle keine vergnügungsteuerpflichtige Veranstaltung werden wird.
Dennoch lassen Sie mich gleich vorweg sagen, gerade weil Kollege Wagner auf diesen Punkt so intensiv eingegangen ist: Ich begrüße es außerordentlich, daß sich in einer so schwierigen Situation Bundesfinanzminister Waigel und Verkehrsminister Wissmann darauf verständigen konnten, bei den wichtigsten Investitionsbereichen - Straße, Schiene und Wasserstraße - die Höhe der Mittel in etwa beizubehalten und fortzuschreiben, wie wir sie im Vorjahresansatz hatten. Herr Kollege Wagner, ich freue mich sehr, daß auch Sie dies so sehr thematisiert haben. Ich kann Ihnen aber nicht ersparen, Sie daran zu erinnern, welche Anträge die Verkehrspolitiker der SPD und der Fraktion der Grünen in den zurückliegenden Jahren gerade auch zum Straßenbau gestellt haben, nämlich Anträge auf massive Kürzungen und nicht auf Erhöhungen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der jetzigen Mittelausstattung stellt der Bund unter Beweis, daß er auch in schwierigen Zeiten bereit ist, die Infrastruktur weiter zu verbessern und die Investitionsausgaben zu verstetigen.
Uns allen sind die Forderungen nach vermehrtem und beschleunigtem Ausbau von wichtigen Verkehrswegen sowie die Sorgen hinsichtlich deren Finanzierbarkeit bekannt. Kollege Wagner hat gerade darüber gesprochen. Das reicht von der A 94 im Süden über die A 6 und die Rheinbrücke bis hinauf zur
A 2, um nur einige Beispiele zu nennen. Natürlich würden mehr Mittel für den Bundesfernstraßenbau manche Entspannung bringen.
Unter den gegebenen Umständen, bei der derzeit äußerst günstigen Inflationsrate, der Baupreisentwicklung und den Finanzierungs- bzw. Zwischenfinanzierungskosten scheint mir das erzielte Ergebnis ein sehr gutes zu sein.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, Sie haben heute vormittag wiederum die sogenannten privat finanzierten Modelle, die wir durchführen, kritisiert. Sie wissen sehr wohl, daß es im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages eine Zustimmung gab, die weit über die Kreise der Koalition hinausreichte. Wir sollten das jetzt nicht wieder in Frage stellen, weil wir damit natürlich insgesamt mehr Verkehrsinvestitionen in diesen haushaltspolitisch schwierigen Jahren ermöglichen, als wir ausweisen können.
- Sehr richtig.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten MatthäusMaier?
Ja.
Herr Kollege, ich frage Sie erstens: Wissen Sie, daß meine Fraktion in ihrer Mehrheit dieses nicht teilt?
Die zweite Frage möchte ich Ihnen einfach noch einmal vorlegen. Sie haben im Haushaltsgesetz 1996, und zwar nicht mit, sondern gegen unsere Stimmen, für die Strecke zum Schienenprojekt Nürnberg-Ingolstadt-München 15,6 Milliarden DM für die Zeit nach der Jahrtausendwende beschlossen. Wenn man dies nachliest, so stellt man fest - da bleibt mir wirklich die Spucke weg -, daß 7 Milliarden DM für den Ankauf der Strecke und 8,6 Milliarden DM für die Zinsen aufgewendet werden sollen. Meinen Sie nicht, daß diese private Vorfinanzierung erstens dazu führt, daß enorme Belastungen auf die Generation nach 2000 verlagert werden, und daß wir, die wir hier sitzen, uns zweitens diese enormen Vorbelastungen nicht klarmachen, weil sie aktuell gar nicht zu sehen sind? Sehen Sie hier nicht eine schlimme Gefahr?
Frau Kollegin Matthäus-Maier, natürlich kann man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Ich will Ihnen antworten, indem ich Karl Valentin heranziehe: Mögen hätten wir schon wollen, bloß dürfen haben wir uns nicht getraut.
Dies ist die Politik der SPD in diesen Fragen. Ich kenne sehr viele Projektwünsche, bei denen der eine oder andere Kollege oder die eine oder andere Kollegin auch aus den Kreisen der SPD sehr froh wäre,
Bartholomäus Kalb
wenn man sie in diese Privatfinanzierungsmodelle hineinbringen könnte.
Ich will hier keine Indiskretionen begehen, damit wir nicht die Freundschaft verderben. Aber so sind die Dinge. Wenn es darauf ankommt, dann liegt jedem seine Region, sein Bundesland, sein Heimatwahlkreis vielleicht ein kleines Stückchen näher als die Linie von Frau Matthäus-Maier.
Herr Kollege Kalb, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?
Mir macht es nichts aus, wenn die anderen nicht zum Bayernfest gehen wollen.
Wir gehen dann schon noch, Herr Kollege. Keine Angst. Das läuft uns nicht davon.
Herr Kollege Kalb, nachdem ich dieser Schelte unverdächtig bin, daß wir in Fragen der Privatfinanzierung mit gespaltener Zunge sprechen, stelle ich die Frage noch einmal mit Ihrem Einverständnis, Frau Kollegin Matthäus-Maier: Halten Sie es wirklich für verantwortlich, Herr Kollege Kalb, daß für einen Fahrzeitvorteil von wenigen Minuten, wenn nicht sogar nur von wenigen Sekunden, an dieser Stelle, die die Frau Kollegin Matthäus-Maier angesprochen hat, 15,6 Milliarden DM Schulden zu Lasten künftiger Generationen aufgenommen werden sollen? Dies ist eine Schuldenlast, an der auch der kleine Konstantin von Theo Waigel noch mit bezahlen wird, wenn er das erste Mal wählen darf. Halten Sie das wirklich für eine verantwortungsvolle Politik? Sehen Sie nicht auch eine massive Einschränkung für notwendige Verkehrsprojekte in künftigen Haushalten, wenn die Investitionsmittel an einer Stelle wirklich sinnlos im Mittelgebirge vergraben worden sind?
Herr Kollege, lassen wir einmal diese Dinge beiseite, die Sie zur Illustration anfügen. Wir wollen nicht mit Sekunden hin und her rechnen. Das ist nicht das Thema. Generell geht es darum, daß wir mit diesen Privatfinanzierungsmodellen mehr Investitionsspielraum geschaffen haben. Wir sind uns sehr wohl dessen bewußt, daß wir es letztlich alle miteinander in einer bestimmten Zeit wieder bezahlen müssen. Das ist überhaupt keine Frage. Es ist die Frage: Welche Haushalte und welche Haushaltsjahre werden damit belastet, und was ist auf der anderen Seite als vordringliche Infrastrukturbereitstellung zu leisten? Darum geht es, um nicht mehr und nicht weniger.
Zu Ihrer Sekundenrechnerei darf ich sagen: Ich hatte in der vergangenen Woche die Gelegenheit, mit dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, Herrn Dürr, über diese Fragen zu sprechen. Er hat mir ausdrücklich von sich aus versichert, daß er mit seinen zuständigen Leuten den Dingen sehr genau nachgehen wird, daß er prüfen wird, ob die Dinge volkswirtschaftlich Sinn machen oder nicht, wieviel Geld man einsetzen muß oder nicht, weil nur minimale Fahrzeitgewinne natürlich nicht in seinem Sinne und unser aller Sinne sein können. Also unterhalten Sie sich öfter mit den zuständigen Leuten, dann erfahren Sie auch das Richtige.
- Ich gehe jetzt nicht mehr auf die Zwischenrufe ein, denn sonst sind wir noch um Mitternacht hier.
Auch bei den Bahninvestitionen ist mit den vorgesehenen Ansätzen die Durchführung notwendiger und realisierbarer Maßnahmen sichergestellt. Durch unternehmerisches Handeln und mehr Flexibilität bei Planung und Durchführung von Maßnahmen hat die Deutsche Bahn AG erreicht, mit den verfügbaren Mitteln mehr Streckenkilometer und einen größeren Teil des Schienennetzes volkswirtschaftlich sinnvoll und dennoch den Anforderungen der Zukunft entsprechend bauen bzw. ausbauen zu können, als das bisher angenommen werden konnte.
Ein so dichtbesiedeltes Land mit einem gleichzeitig so hohen Wohlstandsniveau wie die Bundesrepublik Deutschland braucht dringend eine gute Infrastruktur. Leistungsfähige Verkehrswege sind geradezu Voraussetzung und Rückgrat für das wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Zusammenleben. Sie dienen den Menschen - ganz im Gegensatz zu den Parolen der Ablehnung und Verteufelung, wie sie mancherorts zu hören sind.
Auch wenn wir gelegentlich noch weitergehende Wünsche haben, was die Realisierung von Ausbauoder Neubauvorhaben betrifft, so dürfen wir doch feststellen, daß das Verkehrswegenetz der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich hervorragend abschneidet. In einer Zeit, in der ständig über die Standortfaktoren der Bundesrepublik Deutschland - wie ich meine, zu oft nur über die negativen Standortfaktoren - gesprochen wird,
will ich feststellen, daß die Verkehrsinfrastruktur neben einer Vielzahl anderer einen hervorragenden, sehr positiven Standortfaktor darstellt. Das sage ich durchaus in Richtung derer, die es angeht, die nicht müde werden, nur negativ über den Standort Deutschland zu reden.
Bartholomäus Kalb
- Ich schaue den Kollegen Wagner nur an, weil er weiß, wen ich meine.
Er meint genauso wie ich Leute in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft.
Daß Wirtschaft und Bevölkerung aus peripheren Gebieten nicht abwandern, daß sich strukturschwache Gebiete und Randregionen entwickeln konnten und daß damit einhergehend ein hohes Maß an sozialer Stabilität und innerer Sicherheit gewährleistet werden kann, ist nicht zuletzt auf die erfolgte Anbindung und Erschließung der Fläche zurückzuführen.
Um das zu illustrieren, kann ich Ihnen - und da wir über den Haushalt sprechen, auch in Zahlen - die Frachtleistungen der Verkehrswege in unserem Land darstellen und sagen, welche Mittel wir dafür aus dem Bundeshaushalt für Investitionen zur Verfügung stellen. Die Personenbeförderung lasse ich einmal außer acht. Auf unseren Fernstraßen und Autobahnen werden 802 Millionen Tonnen an Gütern befördert; im Bundeshaushalt sind jetzt 8,1 Milliarden DM veranschlagt. Auf dem Schienennetz werden 302 Millionen Tonnen transportiert; der Haushalt weist 7,2 Milliarden DM für Investitionen aus. Für die Wasserstraßen sind es bei 243 Millionen Tonnen an Gütern 1,1 Milliarden DM. Hierin spiegelt sich auch die Geschäftstätigkeit unserer Gesellschaft wider. Die besondere Flexibilität des Straßenverkehrs wird dabei offenbar gegenüber der Bahn von den Nutzern bevorzugt.
Die Politik muß Rahmenbedingungen für die Verkehrsströme setzen. Das tun wir. Durch die Privatisierung der Bahn und durch Investitionen in das Wasserstraßennetz wollen wir eine Verlagerung der Verkehrsströme von der Straße weg und damit ein doppeltes Ziel erreichen: eine größere Umweltfreundlichkeit des Verkehrs und die Vermeidung des Verkehrsinfarktes auf der Straße, der uns bei den prognostizierten Zuwachsraten insbesondere des Transitverkehrs sonst unweigerlich drohen würde.
Es ist mir ein großes Anliegen, die Verkehrsprojekte in den neuen Ländern zügig durchführen zu können. Ich habe mich deshalb in der Sommerpause bemüht, mir vor Ort ein Bild vom Stand der Maßnahmen zu verschaffen. Nach meiner festen Überzeugung ist die Verkehrsinfrastruktur - weit mehr als jeder Zuschuß und jede Abschreibungsmöglichkeit - wichtigste Voraussetzung für das Erreichen einer selbsttragenden Wirtschaftsleistung in den neuen Ländern.
Um so schneller dies gelingt, desto mehr ist es zum Nutzen von uns allen. Gott sei Dank gibt es in diesem Zusammenhang bisher keine Ost-West-Diskussion; wir sollten sie auch in Zukunft nicht entstehen lassen.
Die Förderung des Personennahverkehrs erlebt derzeit einen sehr deutlichen Schub. Minister Wissmann hat vorhin sehr deutlich darauf hingewiesen. Mit den nach dem Regionalisierungsgesetz den Ländern pauschal zugewiesenen Mitteln wird zum Teil mit großem Erfolg versucht, das Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs auf Schiene und Straße deutlich zu verbessern. Solche erfolgreichen Bemühungen werden von uns ausdrücklich begrüßt. Allerdings hat man auch da und dort das Gefühl - das verschweige ich ebenfalls nicht -, daß es sich nicht immer um vom Bürger nachgefragte und akzeptierte Angebote handelt, sondern daß es auch eine gewisse Neigung zu Steckenpferden von Lokal- und Regionalpolitikern gibt. Sie glaubt man sich angesichts des Umstandes leisten zu können, daß andere, letztlich der Bund, bezahlen. Bei aller Bejahung der Notwendigkeit der Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs scheint es mir wichtig und geboten zu sein, die Aspekte der wirtschaftlichen Vertretbarkeit und der Effizienz des Mitteleinsatzes nicht völlig außer acht zu lassen. Nachdem die Zuweisungen an die Länder gemäß § 5 des Regionalisierungsgesetzes 1997, wie vorhin schon erwähnt, auf 12 Milliarden DM steigen, liegt die Gefahr des etwas großzügigeren Umganges mit dem Geld durchaus auf der Hand.
- Wir sind Haushälter des Bundes.
Meines Erachtens muß auf den effizienten und sinnvollen Mitteleinsatz besonders geachtet werden, und das muß bei der Überprüfung der Haushaltsansätze entsprechend der Revisionsklausel eine entscheidende Rolle spielen.
Die erhöhten Regionalisierungsmittel müssen meines Erachtens die Länder auch in die Lage versetzen, in ihren Haushalten intern Umschichtungen vorzunehmen, damit sie den Mittelbedarf für notwendige kommunale Straßenbaumaßnahmen befriedigen können und sie nicht die Kommunalpolitiker auf die Bundespolitiker loshetzen müssen.
Diese Möglichkeiten gibt es. Ich habe mich erst in der letzten Woche mit dem dafür zuständigen bayerischen Staatsminister unterhalten. Dort ist man dazu bereit. Ich wünsche, daß auch in anderen Ländern die Mittel dann so eingesetzt werden, daß nicht die Kommunen zum Schluß die Leidtragenden sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf noch auf einen Punkt eingehen, der ebenfalls heute morgen bei der Rede von Frau Kollegin MatthäusMaier eine Rolle gespielt hat. Vielleicht schenkt sie mir ja auch die Ehre ihrer Aufmerksamkeit.
- Sie war ja heute früh vergleichsweise milde. Deswegen ist hier eine übertriebene Schärfe auch nicht angebracht.
Sie haben heute morgen davon gesprochen, daß wir, wenn man das Flugbenzin besteuern würde, 6,5 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen hätten.
Bartholomäus Kalb
- Oder 6,7; lassen wir die Stellen hinter dem Komma einmal weg.
Das ist natürlich höchst raffiniert, wenn man so etwas vor laufenden Fernsehkameras behauptet. Ich habe mich in meiner Haushaltsrede im letzten Jahr selber mit der Frage der Flugbenzinbesteuerung befaßt. Ich teile insoweit Ihre Auffassung, daß es richtig wäre, Flugbenzin zu besteuern. Aber Sie wissen genauso wie ich, daß es nicht genügt, das national umzusetzen,
daß es eine gesamteuropäische Lösung geben müßte und daß wahrscheinlich auch diese nicht ausreichen würde. Ich habe in meiner letztjährigen Haushaltsrede darauf hingewiesen, daß seinerzeit das GATT - das ist die jetzige WTO - sehr gut daran getan hätte, sich einmal mit dieser Frage auseinanderzusetzen.
Aber wenn wir das nur auf nationaler Ebene regeln wollten - den Eindruck haben Sie ja erweckt -, dann muß ich einwenden: Es ist doch überhaupt kein Problem, den Umlauf der Flugzeuge so zu organisieren, daß man eben in Paris, in Amsterdam oder sonstwo auftankt.
Auch wenn wir das auf europäischer Ebene regeln wollten, sehe ich noch die Gefahr, daß internationale Drehscheiben in Deutschland und auch in Europa teilweise ihre Bedeutung verlieren würden. Dann müssen wir die Folgen für die Standorte Frankfurt, München und Düsseldorf auch den Betroffenen und der Wirtschaft dieser Regionen deutlich vor Augen führen. So einfach, wie Sie es sich gemacht haben, geht es nicht. Ich bin sehr für eine Flugbenzinbesteuerung. Wenn Sie im Kreise Ihrer sozialistischen Brüder auf europäischer oder internationaler Ebene zu entsprechenden Vereinbarungen kommen, würde ich mich sehr freuen. Aber, wie gesagt, es geht nur auf die erwähnte Art und Weise.
Es sollte nicht so sein, daß man dem Zuschauer am Fernsehgerät Sand in die Augen streut und sagt: Waigel versteht es nicht, weitere 6,5 Milliarden DM in die Kassen zu bringen.
Ich darf mich herzlich bedanken.
Das Wort hat die Kollegin Gila Altmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen! Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. Leider hat sich das noch nicht bis zum Verkehrsminister herumgesprochen; denn der Verkehrshaushalt 1997 setzt weiter auf die verhängnisvolle Betonpolitik der Vorjahre - und das, obwohl klar ist, daß dieser Weg ökonomisch und ökologisch in die Sackgasse führt:
steigende Umweltbelastung, zerschnittene Landschaften, Hunderttausende von Verkehrsopfern. Der Stau auf den Straßen nimmt in dem Maße zu, wie neue Betonbänder durch die Landschaft asphaltiert werden. Obwohl Sie das wissen, wird weiter betoniert.
Das ist übrigens unter dem Strich auch das, was ich zum Elbausbau sagen kann. Herr Wissmann, ich möchte Ihnen eigentlich nur eine Frage stellen: Wie wollen Sie mit der jetzigen Erklärung und Vereinbarung die Elbe südlich von Magdeburg schützen?
Der Ausbau des Elbe-Seitenkanals auf 2 000 Tonnen verschärft die Konflikte für diesen Teil der Elbe ganz besonders. Schon jetzt werden dort umweltzerstörende Ausbauten vorgenommen. Ähnliche Sachzwänge, die Sie selbst bei dem Donauausbau aufgezeigt haben, werden sich auch in diesem Zusammenhang ergeben.
Ein weiteres Beispiel. Die A 20 durch Mecklenburg-Vorpommern soll Wirtschaftsförderung im Wert von bislang 4,2 Milliarden DM für den Osten sein. Obwohl mit der Sanierung des bestehenden Straßen- und Schienennetzes eine ökologisch verträgliche und preiswerte Alternative zum Bau der OstseeAutobahn vorhanden ist, die auch für diese Region etwas bringen würde, setzen Sie unverdrossen weiter auf Prestigeprojekte. So werden nicht nur Naturkapital für einen sanften Tourismus und wertvolle landwirtschaftliche Flächen zerstört, sondern es sinken auch die Chancen für eine regionale Wirtschaftsentwicklung.
Gleichzeitig werden die Mittel für den Schienenausbau drastisch zusammengestrichen.
Da stellen sich die Herren Wissmann und Waigel heute hin und behaupten allen Ernstes, die Investitionen für die Bahn blieben im Vergleich zum Vorjahr konstant.
Als Mittel gegen diesen politischen Alzheimer ein Rückblick auf das letzte Jahr: Vorgesehen waren in der mittelfristigen Finanzplanung für die Schiene ursprünglich 10 Milliarden DM pro Jahr. Im Haushalt 1996 wurden die Ansätze auf 7,7 Milliarden DM gekürzt - mit Ihrer ausdrücklichen Zusage, Herr Wissmann, daß die zusätzlichen Erlöse aus dem Verkauf der Grundstücke und Wohnungen des Bundeseisenbahnvermögens der Bahn für Investitionen zufließen sollten. In diesem Jahr ist davon überhaupt nicht
Gila Altmann
mehr die Rede. Stillschweigend werden die Erlöse von 1,85 Milliarden DM von Herrn Waigel zur Haushaltskonsolidierung eingesetzt. Herr Wissmann sagt nichts dazu. Auf deutsch: Die Investitionen der Bahn werden um diesen Betrag gekürzt.
Aber damit nicht genug. Die im Haushalt ausgewiesenen Investitionen sind auch noch mal um 500 Millionen DM auf 7,2 Milliarden DM gekürzt worden. So was nennt sich dann umweltfreundliche Verkehrspolitik à la Wissmann.
Frau Kollegin Altmann, gestatten Sie dem Kollegen Wissmann eine Zwischenfrage?
Frau Kollegin - -
Ich hatte zwar noch nicht ja gesagt, aber machen Sie mal.
Ich bedanke mich für Ihre Toleranz und Geduld. Vielleicht hilft es, wenn ich Sie frage, ob Sie sich darüber im klaren sind, daß wir die 7 Milliarden DM, die in den Jahren 1996 bis 1999 durch die Veräußerung unter anderem von Immobilien bei der Bahn erlöst werden, auch weiterhin für Bahninvestitionen einsetzen. Dann können Sie möglicherweise zugeben, daß wir mit diesen Mitteln pro Jahr zwischen 1,5 und 2 Milliarden DM zusätzlich für die Infrastrukturinvestitionen der Bahn einsetzen.
Darf ich Sie zum Schluß fragen, ob Sie sich darüber im klaren sind, daß die Addition von 7,2 Milliarden DM und 1,5 bis 1,7 Milliarden DM etwa 9 Milliarden DM Gesamtinvestitionen für die Bahn auch im Jahr 1997 ergeben und damit keine Kürzung erfolgen wird?
Da kann ich nur zurückfragen: Stimmt es, daß Sie im letzten Jahr diese Aussage, die ich eben zitiert habe, gemacht haben? Stimmt es, daß die Zuwendungen an das Bundeseisenbahnvermögen um 1,8 Milliarden DM gekürzt worden sind und zur Haushaltskonsolidierung benutzt werden? Stimmt es oder stimmt es nicht? Und dann reden wir über die vielen anderen Milliarden, die Sie auch noch sinnlos verprassen, indem Sie zum Beispiel Hochgeschwindigkeitsstrecken wie die ICE-Strecke Nürnberg-Ingolstadt-München bauen.
Nein, nein, so geht das nicht.
Dürfen wir nicht?
Das geht so nicht. Er kann eine weitere Zwischenfrage stellen oder sich als Mitglied der Bundesregierung zu Wort melden. Aber einfach ein Dialog zwischen Ihnen und dem Abgeordneten Wissmann, das geht nicht.
Herr Präsident, ich weiß, -
Also eine Zwischenfrage?
- daß ich den parlamentarischen Gewohnheiten entsprechen muß, indem ich eine Zwischenfrage stelle.
Erlauben Sie, Frau Kollegin, mir, noch einmal darauf hinzuweisen, daß sich die Mittel in der Kontinuität des letzten Jahres auch im Jahre 1997 aus einer Addition der Investitionen, die im Bundeshaushalt ausgewiesen sind - 7,2 Milliarden DM -, und der Investitionen, die die Bahn aus Eigenmitteln erbringt, zusammen also 9 Milliarden DM, ergeben? Ich bitte Sie, fragen zu dürfen, ob Sie jetzt nach dieser Darlegung bereit sind, das zur Kenntnis zu nehmen.
Ich bin bereit, das zur Kenntnis zu nehmen.
Nichtsdestotrotz: Nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, was ich Ihnen gerade gesagt habe und was Sie nicht entkräften konnten.
Ich habe bereits die vielen Milliarden angesprochen, die zum Beispiel in die ICE-Trasse NürnbergIngolstadt-München fließen, und das, obwohl 90 Prozent der Fahrgäste im Nahverkehr unterwegs sind und hier entsprechend investiert werden müßte. Aber an diesem Projekt läßt sich noch etwas anderes belegen, nämlich daß Sie die Zeiten seriöser Finanzplanung längst hinter sich gelassen haben.
Private Vorfinanzierung heißt jetzt die Zauberformel. Mit dieser „magischen Wunderwaffe" wollen Sie vernebeln, daß Sie Geld ausgeben, das Sie gar nicht haben. Aber wenn der Nebel verflogen ist, sieht man, daß Sie noch größere Löcher gerissen haben. Die 7 Milliarden DM für die Trasse Nürnberg-Ingolstadt-München vervielfachen sich auf 15,6 Milliarden DM in 25 Jahresraten.
In diesem Stil wollen Sie insgesamt 12 Großprojekte finanzieren. Und da reden Sie noch von der
Gila Altmann
„Möglichkeit, weiteren finanziellen Spielraum zu schaffen". Nach dem Motto „Wir bauen, die anderen bezahlen" ist diese Finanzierung in Wahrheit nichts anderes als eine Milchmännchenrechnung, die kommenden Generationen die Schulden überläßt.
- Milchmännchen! -
So kann man natürlich auch den Haushalt gegen die Wand fahren.
Aber es gibt noch eine Steigerung für das unseriöse Finanzgebaren. Den Transrapid, die Spitzentechnik aus den 30er Jahren: halbseidene Berechnungen zu Fahrgastprognosen, Arbeitsplätzen und Exportchancen - und die letzte Kostenberechnung stammt aus dem Jahr 1993 und ist viel zu niedrig angesetzt.
Ohne Rücksicht auf Verluste haben Sie dieses Milliardenmonster durchgepeitscht, ohne die Wirtschaftlichkeitsberechnung des Verkehrsministeriums abzuwarten. Herr Wissmann braucht ein Denkmal und die Wirtschaft eine Beruhigungspille. Das Geld spielt dabei keine Rolle.
Was wir brauchen, ist eine Verkehrswende. Wir haben Ihnen bereits einen Vorschlag vorgelegt: Wir wollen eine ökologische Steuerreform, die auch dazu dient, die öffentlichen Verkehrsträger auszubauen, die Schiene und ihre Infrastruktur zu stärken.
Herr Wissmann, rücken Sie doch endlich die IfoStudie heraus, die sie immer noch unter Verschluß halten. In der wird deutlich, daß die einzige Möglichkeit zur CO2-Minderung eine schrittweise Erhöhung der Mineralölsteuer ist. Das zweite Ergebnis sollten Sie dann gleich mitliefern: Das von Ihnen verbreitete Horrorszenario, daß eine Verkehrswende Tausende von Arbeitsplätzen kosten würde, wird nämlich in dieser Studie eindeutig widerlegt.
In diesem Sinne, Herr Wissmann: Nehmen Sie den Fuß vom Gaspedal! Kaufen Sie sich ein Jobticket, solange Sie Ihren Job noch haben!
Danke.
Das Wort hat der Kollege Horst Friedrich, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es reizt einen schon, auf so etwas zu antworten, aber ich verkneife es mir heute im Hinblick auf bestimmte sachliche Inhalte. Eines kann ich mir allerdings nicht ganz verkneifen, Herr Kollege Wagner: Vielleicht sollten Sie sich einmal bei Ihrem Fraktionsvorsitzenden erkundigen. Sie haben schließlich den Transrapid ins Gespräch gebracht. Wenn meine Informationen richtig sind, war ein
Fraktionsvorsitzender namens Scharping - ich lasse die Partei einmal offen; Sie können selbst eruieren, wo er ist - letzthin am Versuchsgelände und hat sich lobend a) über die Technik und b) über die Art und Weise des Einsatzes ausgesprochen. Vielleicht ist er sogar der erste, der einen Brief, den er schon einmal geschrieben hat, jetzt auch in andere Fragen umsetzt.
Die Ausgestaltung des Verkehrshaushaltes war in diesem Jahr stärker noch als in vielen vergangenen Jahren von zwei Faktoren bestimmt: Zum einen konnte der Etat des Bundesministers für Verkehr nicht aus den allgemeinen Sparmaßnahmen ausgenommen werden, andererseits - das ist mindestens genauso wichtig - ist der Ausbau des Standortfaktors Verkehrsinfrastruktur auch in Deutschland zu gewährleisten. Wie notwendig das ist, zeigen die Erfolge in den neuen Bundesländern.
Der vorliegende Entwurf für den Einzelplan 12 muß auch deshalb vor diesem Hintergrund betrachtet werden. Insofern ist es wichtig, daß einem Rückgang des Ausgabenvolumens in Höhe von fast 12 Prozent ein nur um 3 Prozent sinkender Investitionsanteil gegenübersteht. Das ist hauptsächlich dadurch eingetreten, daß, durch lange gesetzliche Regelungen vorherbestimmt, 3 Milliarden DM aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz nicht mehr im Verkehrshaushalt, sondern an anderer Stelle etatisiert werden. Sie werden deshalb nicht eingespart, sondern an anderer Stelle über andere Finanzierungshaushalte an die Länder weitergegeben.
Ich hoffe allerdings, daß sie in den Länderhaushalten nicht verschwinden, sondern dem Zweck zugeführt werden, für den sie gezahlt werden, und daß sich nicht die Tendenz fortsetzt, daß die Länder ihre Finanzierungsanteile zur Kofinanzierung einsparen, weil ihnen der Bund mehr Geld zur Verfügung stellt. Das wäre tatsächlich eine Nullnummer. Insofern sind auch die Länder gefordert.
Mit knapp 20 Milliarden DM Investitionen bleibt der Verkehrshaushalt der größte und wichtigste Investitionsetat. Zu den Auswirkungen auf die Konjunktur und die Auftragsbücher in der Bauwirtschaft durch Investitionen in Höhe von 1 Milliarde DM ist schon etwas gesagt worden.
Ich will allerdings nicht verhehlen, daß wir da auf einem sehr schmalen Grat wandeln. Aus der Sicht meiner Fraktion haben wir mit dem jetzigen Niveau der Verkehrsinfrastrukturausgaben das unterste Limit erreicht. Wir haben in den letzten Jahren die Haushaltsregel gehabt, daß 50 Prozent der Ansätze investiv sind. Wir sind mittlerweile von 46 Prozent über 44 Prozent bei 42 Prozent Investitionsanteil angelangt.
Angesichts der prognostizierten Entwicklungen - EU, Öffnung nach Osten, Erweiterung des Wirtschaftsraums, GUS usw. - ist aus unserer Sicht damit die untere Grenze erreicht. Einsparpotentiale, die jetzt noch vermutet werden und die im nichtinvesti-
Horst Friedrich
ven Bereich liegen, sind vielleicht noch vorhanden, aber sie reichen bei weitem nicht aus, um Milliardengrößen zu erreichen. Eine weitere Einsparung zu Lasten von Investitionen ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar.
Was für den Einzelplan 12 insgesamt gilt, gilt natürlich auch für die verschiedenen Einzelansätze der Verkehrsträger. Fangen wir mit dem Straßenbau an. Wir haben seit vielen Jahren unverändert einen Ansatz in Höhe von 10,1 Milliarden DM. Bei Anrechnung bestimmter Preisindizes und Abzug günstiger Ausschreibungsbedingungen ist das real eine Rücknahme und keine Verstetigung der Mittel.
Wir haben das Problem, daß das Bundesfernstraßennetz zu fast zwei Dritteln in den 60er und 70er Jahren, auch noch unter SPD-Verkehrsministern, gebaut worden ist und jetzt langsam in die Jahre kommt. Das heißt: Wir müßten eigentlich den im Haushaltsansatz für die Erhaltung dieser Infrastruktur nötigen und angesetzten Betrag um rund 2 Milliarden DM erhöhen, wenn wir all das machen würden, was gewünscht wird. Wenn wir das tun, können wir uns auf der anderen Seite vom Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern verabschieden. Das kann auch nicht sein. Insofern hat der Vorrang. Aber das sind Bedingungen, über die nachgedacht und seriös und sachlich geredet werden muß.
Dies gilt auch für die Schiene. Dauernd wird hier beklagt, daß die Ansätze für die Schiene gekürzt worden sind. Wir haben jetzt ein Volumen, das tatsächlich verbaut werden kann. Es nützt kein Ansatz von 10 Milliarden DM, wenn nur 7 Milliarden DM umgesetzt werden können. Das ist ein Nullum, weil es der Finanzminister dann wieder kassiert.
- Das ist kein Blödsinn, das ist mehrfach besprochen worden. Jetzt sind wir bei einem Volumen angelangt, das verbaut werden kann.
Ich begrüße ausdrücklich, daß die Bahn bereit ist, aus ihrer Sicht zusätzlich 6,9 Milliarden DM zum Ausbau zur Verfügung zu stellen. Allerdings muß ich sagen, daß die Veräußerung der Liegenschaften etwas schleppend in Gang zu kommen scheint. Um die notwendigen Investitionen nicht zu gefährden, spricht man davon, im nächsten Jahr mit einer Kreditaufnahme bei der Bahn von einigen 100 Millionen DM Geld hereinzubekommen. Sosehr wir das begrüßen, so sehr muß aus Sicht der F.D.P., wenn es um Versäumnisse in der Abwicklung von bestimmten Privatisierungsaufträgen geht, darauf hingewiesen werden, daß das nicht so einfach ohne jede Kritik hingenommen werden kann und darüber mit Sicherheit noch geredet werden muß und Beratungsbedarf besteht. Auch das sollte man einmal in aller Bescheidenheit anmerken.
Zu den sogenannten Privatfinanzierungsmodellen - das Konzessionsmodell ist keine echte Privatfinanzierung, sondern eine private Vorfinanzierung - ist schon einiges gesagt worden. Ich will nur deutlich darauf hinweisen, daß die Koalition und selbstverständlich auch die F.D.P. weiß, daß jede weitere Finanzierung dieser Art die Haushaltsspielräume der Zukunft reduziert. Deshalb haben wir schlauerweise schon gesagt, mehr als 10 Prozent des Gesamtvolumens dürfen sowieso nicht erreicht werden. Das ist mittlerweile erreicht. Damit ist, glaube ich, dieses Thema zu den Akten gelegt. Da sind Sie mir, Herr Wagner, eine Alternative schuldig geblieben. Was wäre denn, wenn wir jetzt aus der Privatfinanzierung, aus dem Konzessionsmodell für die Strecke Nürnberg-Ingolstadt aussteigen würden? Dann hätten wir zunächst einmal Stillstand, weil dann für die Strecke München-Augsburg-Nürnberg erst einmal die Planungsarbeiten beginnen müßten.
Das dauert mindestens fünf Jahre. Auch diesen Zusammenhang müssen Sie sehen, wenn Sie vorhin aus Ihrer und auch aus meiner Sicht richtigerweise auf die Konsequenz von Ausgaben für die Arbeitsplätze hingewiesen haben.
Sie müssen darüber hinaus ehrlicherweise natürlich folgendes beachten. Wenn Sie ein Konzessionsmodell, in dem die Zinsen pro Projekt ausgewiesen sind, mit der Finanzierung über den Bundeshaushalt vergleichen, dann müßten Sie natürlich auch darauf reflektieren, daß auch diese Mittel nicht automatisch vorhanden sind, sondern in aller Regel auf dem Geldmarkt aufgenommen werden, die Zinslast dafür allerdings in einem anderen Haushaltstitel verschwindet. Deswegen muß man, wenn man vergleicht, schon Äpfel mit Äpfeln und nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Vorhin ist schon einmal gesagt worden: Man kann Politik gegen vieles machen, aber nicht gegen Adam Riese. Als Oberfranke weiß ich das.
Deswegen werden wir den Einzelplan 12 sehr kritisch, aber unter diesen Prämissen weiterhin wohlwollend begleiten.
Danke sehr.
Das Wort hat Kollege Dr. Winfried Wolf, PDS.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Verkehrsetat 1997 weist vier Merkmale auf, wenn wir die Rechentricks, die Herr Wissmann vorgetragen hat und auf die Gila Altmann geantwortet hat, einmal weglassen.
Erstens. Es fließen an Bundesmitteln weit mehr Investitionen in den Straßenbau als in Schienenwege. Im direkten Vergleich sind es zunächst 8,1 zu 7,2 Milliarden DM. Bei den Verpflichtungsermächtigungen liegt die Diskrepanz bereits bei 10 zu 7 Mil-
Dr. Winfried Wolf
liarden DM. Dabei ist zu berücksichtigen, daß bei den Bahninvestitionen 3 Milliarden DM nur als rückzahlbare Darlehen gegeben werden. Die Folgen sind absehbar. Bereits Ende 1995 hatte die zwei Jahre junge DB AG neue Schulden in Höhe von gut 10 Milliarden DM. Um die Jahrhundertwende wird die Bahn AG erneut ein Sanierungsfall sein. Paradox auch das folgende. Während der schlanke Staat 1997 für 561 Millionen DM Grundstücke zum Straßenbau kauft und damit gegenüber 1994 fette 22 Prozent mehr ausgibt, soll Bahngelände im Wert von 3 Milliarden DM verkauft werden, darunter der beginnende Ausverkauf von 140 000 bahneigenen Wohnungen.
Zweitens. Im Einzelplan 12 gibt es Hunderte Projekte mit neuen Fernstraßen. Dabei fällt mir auf, daß viele Einzelprojekte im Jahr 1997 oft nur mit kleinen Beträgen angespart werden, aber gleichzeitig festgelegt ist, daß in den Folgejahren die Kosten explodieren. Beispiel B 6 bei Bad Harzburg: im Jahr 1997 gerade einmal 100 000 DM, Gesamtkosten das 530fache für 7 km. Herr Wissmann streunt 1997 gewissermaßen durch deutsche Auen, um mit Spatenstichen die Duftmarken in dem Terrain zu setzen, wo demnächst Beton auf Natur gegossen wird.
Drittens. Bei den übrigen Verkehrsbereichen lugt eine vergleichbar zerstörerische Energie aus dem Zahlenwerk. Der Transrapid ist fester Bestandteil - Verpflichtungsermächtigung 5,3 Milliarden DM. Bei der Binnenschiffahrt wird dem Prinzip gefrönt, die Wasserwege den größtmöglichen Schiffen anstatt die Schiffe bestehenden Gewässern anzupassen. Dort, wo es sinnvolle Verbesserungen gab, erfolgte das gegen den Widerstand von Herrn Wissmann und durch die Politik von unten. Blick ins Detail: In Kapitel 12 01 ist die Anschaffung von zwei Pkw mit je 170 und 180 Kilowatt Leistung für das Wissmannsche Ministerium vorgesehen. Der Trend zu PS-Potenz-Prothesen hält demnach an.
Viertens. Die Investitionen des Bundes im Schienenverkehr fließen fast ausschließlich in Hochgeschwindigkeitsstrecken. In der Fläche wird die Bahn weiter ausgedünnt. Nach meinen Informationen soll der Interregio demnächst als Angebot schlicht abgeschafft werden. Bei den Hochgeschwindigkeitsstrekken selbst kommt teure, zerstörerische DinosaurierTechnik zur Anwendung, Beispiel Aus- und Neubaustrecke München-Berlin. In diese sollen mindestens 21 Milliarden DM, inklusive Zinsen für Private, eher 35 Milliarden DM fließen.
Dabei werden Städte abgehängt und zerschnitten. Ingolstadt zum Beispiel erhält nur für drei Jahre das Versprechen eines ICE-Halts. Frühestens im Jahr 2007 soll die Reisezeit rund vier Stunden betragen. Heute benötigt der Intercity auf der direkten Verbindung über Leipzig noch siebeneinhalb Stunden. Dabei verkehrten bereits in den 30er Jahren Reichsbahnzüge mit sechs Stunden 44 Minuten. Leistbar wäre, die bestehende Strecke zu optimieren und Berlin-München mit Neigungstechnik-Zügen in fünfeinhalb Stunden, mit Sprinterzügen sogar in fünf Stunden zurückzulegen. Die Kosten würden im Vergleich zur jetzigen Planung mehr als halbiert, benötigt würden dafür nur zwei Jahre.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mir vor drei Wochen das perverse Schauspiel im Leipziger Hauptbahnhof angesehen. Dort wird Europas bisher größter Kopfbahnhof buchstäblich ausgeweidet. Zwei Gleise werden herausgerissen und auf denselben inmitten des Bahnhofs Pkw-Abstellplätze gebaut. Ein großer Teil der ehemaligen Bahnhofshalle wird in eine Geschäftsstraße umgewandelt.
Hier erleben wir erneut die neuen Bundesländer in der Rolle des Versuchskaninchens. Denn in die gleiche Richtung weisen mindestens 25 Projekte, bei denen in anderen deutschen Stadtzentren Kellerbahnhöfe gebaut und in ehemalige Bahnhofshallen das Implantat Schickimicki-Konsumtempel kommen soll.
Für den kommenden Montag sind einige von uns für einen Drei-Stunden-Termin nach Venedig eingeladen. Matthias Wissmann und Heinz Dürr geben sich und uns die Ehre. Dabei ist es symptomatisch für den Autofilz, daß Herr Dürr Bahnchef und als Privatmann Eigner eines Unternehmens sein kann, das sich rühmt, weltweit führender Systemlieferant von Autolackierautomaten zu sein. Dürrs Thema in Venedig ist die „Renaissance der Bahnhöfe".
Vor dem Hintergrund der aktuellen Verkehrspolitik wird deutlich, welches Stück tatsächlich auf dem Spielplan steht: „Tod in Venedig" - Tod für bestehende repräsentative Bahnhöfe als Empfangshallen und Visitenkarten großer Städte, Tod für eine Flächenbahn, die den Mobilitätsbedürfnissen der Mehrheit der Bevölkerung dient und damit Absage an die sozial und ökologisch einzig vertretbare Alternative zu Autobahn und Betonorgie. Der Etat 12 ist Ausdruck dieser Politik und deswegen abzulehnen.
Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr geehrter Herr Wissmann, auch wenn Sie soeben versucht haben, in noch so blumigen Worten Ihren Haushalt schönzureden, ist festzustellen: Dieser Verkehrshaushalt, Herr Wissmann, ist ein politisches Armutszeugnis.
Sie haben die notwendigen Schwerpunkte für eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik nicht gesetzt, entweder weil Sie es nicht wollten oder weil Sie es nicht konnten.
Wie auch immer: Aus der gestaltenden Politik haben Sie sich schon längst verabschiedet. Wir haben heute mehrfach gehört - das geben ja auch die Koalitionsfraktionen zu -, daß dieser Haushalt Milliardenlöcher aufweist und insoweit Makulatur ist. Ihr Verkehrs-
Elke Ferner
haushalt steht dem natürlich in nichts nach. Ich werde nachher noch darauf kommen.
Sie verkünden landauf, landab eine Schienenvorrangpolitik, wie Sie in Ihrer Politik überhaupt sehr viel verkünden, aber nichts mehr tun. Sie tun das Gegenteil von dem, was Sie verkünden: In 1995 - vielleicht können wir die Diskussion von vorhin aufgreifen - standen im Bundeshaushalt 6,2 Milliarden DM für den Schienenbau zur Verfügung, in diesem Jahr 4 Milliarden DM, und für 1997 sind es 3,5 Milliarden DM. In meiner Schule war es so, daß vier mehr ist als 3,5, daß also 3,5 weniger sind als vier. Das ist eine Kürzung von einer halben Milliarde DM, Herr Wissmann.
Wenn man jetzt einmal die Investitionen in 1995 mit denen in 1997 vergleicht, stellt man fest, daß Sie es geschafft haben, die Schienenbaumittel innerhalb von zwei Jahren fast zu halbieren. Das hat vor Ihnen noch niemand geschafft, Herr Wissmann.
Wenn man dann sieht, daß von den 3,5 Milliarden DM gerade einmal eine halbe Milliarde DM als Baukostenzuschüsse vorgesehen sind, aber 3 Milliarden als zinslose Darlehen, die irgendwann in den Bundeshaushalt zurückfließen, dann können wir uns vorstellen, wie das weitergeht: In zwei, drei Jahren haben wir einen Schienenansatz von Null, wenn Sie weiter Verkehrspolitik machen.
Sie rechnen sich das Ganze dann noch schön, indem Sie 3,7 Milliarden DM für die Altlasten der früheren Reichsbahn hinzuaddieren, die so gut wie überhaupt nichts mit dem Schienenneu- und -ausbau zu tun haben. Dann heften Sie sich auch noch die Eigenmittel der Deutschen Bahn AG, um gesetzliche Verpflichtungen zu erfüllen, die wir uns und dem Bundeshaushalt auferlegt haben, an die Brust. Erst dann kommen Sie auf ein Prä der Schiene im Verhältnis zum Straßenbau. Das ist wirklich der Gipfel, welche Rechnerei hier abläuft!
Das geht nur noch unter der Überschrift „Obst", und dann werden Äpfel, Birnen und Zwetschgen zusammenaddiert.
Mit einer solchen Politik plündern Sie die Bahn schamlos aus. Der Kollege Wolf wird wahrscheinlich recht behalten: Wenn es so weitergeht, fahren Sie die Bahnreform wirklich an die Wand.
Beim Transrapid geht aber alles nach dem Motto: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg - zur Not mit dem Kopf durch die Wand. Die Kosten stehen noch nicht fest. Es wird immer noch von der Preisbasis 1993 ausgegangen.
Es gibt keinen Vertrag mit einer künftigen Betreibergesellschaft. Die Risiken für den Steuerzahler sind
nach wie vor unübersehbar; aber in den Bundeshaushalt wird schon einmal munter Geld eingestellt.
Dann gibt es immer wieder neue Gutachten, die irgendwelche Zahlen hervorzaubern sollen, die Sie so dringend brauchen. Die Ergebnisse verschwinden dann aber in Schubladen und werden nicht einmal dem Parlament, geschweige denn der Öffentlichkeit präsentiert.
Ich höre von meinen Kollegen, daß im Forschungshaushalt die Mittel für die Rad-Schiene-Technik zugunsten des Transrapid zurückgefahren werden. Das Ganze kann man nur noch unter die Überschrift stellen: Die Bahn hat bei dieser Regierung keine Zukunft.
Herr Kollege Friedrich, Sie haben eben den Besuch meines Fraktionsvorsitzenden bei der Transrapid-Versuchsstrecke angesprochen. Sie hätten auch hinzufügen können, was er zur Finanzierung des Transrapid gesagt hat: Es bleibt dabei, und es gilt die SPD-Position: Wir haben nichts gegen die Technik; aber wenn die Industrie von der Technik so überzeugt ist, dann soll sie die Strecke zwischen Hamburg und Berlin, die wir im übrigen für falsch halten, privat finanzieren. Das hat auch Herr Scharping bei der Versuchsstrecke im Emsland gesagt.
Sie verschieben wieder einmal die Kosten für den Wuermelingpaß auf die Bahn, und der Bahnvorstand macht das auch noch mit. Wäre nicht der Bund Alleinaktionär bei der Bahn, dann würden aufgebrachte Aktionäre dem Bahnvorstand wahrscheinlich die Staatsanwaltschaft auf den Hals hetzen, bei dem, was er sich von der Bundesregierung an Lasten zusätzlich aufdrücken läßt, die mit dem eigentlichen Betriebszweck überhaupt nichts zu tun haben.
Sie reden immer von Schienenvorrangpolitik, Herr Wissmann. Wie wollen Sie überhaupt die recht bescheidenen Maßnahmen im Verhältnis zur Straße realisieren? Sie treffen dauernd Vereinbarungen, zuletzt mit der Schweiz. Aber es passiert nichts, und zwar deshalb, weil der Verkehrshaushalt mittlerweile das Sparschwein von Herrn Waigel ist.
Das beste Beispiel ist eine Verbindung, die mich als örtliche Abgeordnete seit sechs Jahren verfolgt, nämlich die Verbindung Paris - Ostfrankreich - Südwestdeutschland. Es gibt eine Vereinbarung zwischen Herrn Kohl und dem damaligen Staatspräsidenten Mitterrand. Es ist überhaupt noch nichts passiert. Es gibt feste Terminvorgaben; es sind sogar Fahrtzeiten vereinbart worden. Es ist aber noch keine müde Mark in die Strecke investiert worden. Da frage ich Sie, Herr Wissmann: Wann wollen Sie Ihren Ankündigungen eigentlich einmal Taten folgen lassen? Sie verkünden hier immer nur, aber Sie tun überhaupt nichts.
Sie kürzen die Mittel für den Bundesbau bei dieser Strecke, und die Bahn - das kommt noch hinzu - kocht ein eigenes Süppchen und will eine Schmalspurbahn bauen, was letztendlich bedeutet, daß das
Elke Ferner
Saarland und die Pfalz zwar eine Zubringerfunktion zum europäischen oder zum deutschen Hochgeschwindigkeitsnetz bekommen, aber nicht in dieses eingebunden werden.
Wie wollen Sie eigentlich dafür sorgen, daß das Schienenwegeausbaugesetz umgesetzt wird? Sie haben eben vom Jahre 2010 gesprochen. Wir haben einmal einen Dreijahresplan „Schiene" gehabt, der nächstes Jahr ausläuft.
- Nein, es ist ein Dreijahresplan; danach soll ein Fünfjahresplan folgen. Aber es wird weder ein neuer Fünfjahresplan vorgelegt, noch sind die Maßnahmen, die in dem Dreijahresplan enthalten sind, in erreichbare Nähe gerückt. Vom Spatenstich rede ich überhaupt noch nicht, geschweige denn von einer Fertigstellung.
Sie haben eben gesagt, die Mehreinnahmen aus der Veräußerung von Immobilien dienen der Verstärkung der Schienenbaumittel. Herr Wissmann, Sie wissen genau, daß das falsch ist. Es sind für 1997 im Wirtschaftsplan des Bundeseisenbahnvermögens fast 3 Milliarden DM an Immobilienerlösen eingeplant. Deshalb ist der Zuschußbedarf gesunken. Wenn die 3 Milliarden DM aber nicht erlöst werden, erhöht sich der Zuschußbedarf.
In diesem Jahr sind 800 Millionen DM angesetzt; erlöst worden sind nur 600 Millionen DM. Das heißt: Bevor es überhaupt zu einer Verstärkung der Schienenbaumittel kommt, müssen erst einmal mehr als 3 Milliarden DM erlöst werden. Dies halten selbst Insider für utopisch.
Jetzt soll noch eine Verwertungsgesellschaft unter Beteiligung von Banken und Versicherungen gegründet werden. Diese soll auf dem freien Kapitalmarkt Geld aufnehmen, weil sie so schnell die Grundstücke nicht zu einem vernünftigen Preis veräußern kann, und mit diesem Geld die Löcher im Bundeseisenbahnvermögen stopfen. Das heißt: Hier werden Schulden auf vorhandenes Bundesvermögen aufgenommen, von denen wir nicht wissen können, ob sie nachher mit den Verkaufserlösen abgedeckt werden können.
Herr Wissmann, wer als Privatfrau oder als Privatmann so mit seinem Vermögen umgehen würde, der würde von seiner Verwandtschaft sofort zwangsentmündigt werden.
Sie doktern nur noch an den Symptomen herum. Wie wollen Sie die steigende Abgasbelastung, den zunehmenden Verkehrslärm und die Zahl der Staus reduzieren? Wie wollen Sie überhaupt eine vernünftige Alternative anbieten, wenn Sie nicht in umweltverträglichere Verkehrsträger investieren?
Wir fordern seit Jahren die Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen. Sie von der Koalition eiern bei jeder Haushaltsberatung im Ausschuß herum, weil es Ihnen zunehmend peinlich wird, daß immer noch nichts getan wird. Sie lehnen es jedes Jahr ab, entsprechende Maßnahmen in den Haushalt aufzunehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich muß Sie wirklich fragen: Was ist Ihnen eigentlich der Gesundheitsschutz für die Menschen noch wert?
Das Mißverhältnis ist eklatant. Es stehen 8,1 Milliarden DM für den Straßenbau, aber nur 3,5 Milliarden DM für den Schienenbau zur Verfügung, und Sie, Herr Wissmann, reden von einer Schienenvorrangpolitik.
Sie müßten spätestens jetzt zugeben, daß Ihre Verkehrspolitik gescheitert ist und daß Sie sich hoffnungslos übernommen haben.
Sie laufen nur mit Ankündigungen herum: Erst wollen Sie eine Verdreifachung und jetzt eine Verdoppelung der Gebühr für die Vignette. Sie wissen genau, daß dies nicht gehen wird. Ihre niederländische Kollegin hat das bereits rundweg abgelehnt. Wir fordern Sie noch einmal auf, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß wir eine fahrleistungsabhängige Lkw-Gebühr, die wir eigenständig einführen können, erheben. Dies ist verursachergerechter, weil wir so die externen Kosten schrittweise miteinrechnen können.
Es kommt auch noch Kurzsichtigkeit hinzu. Wir wissen, daß ab 1998 mit der Kabotagefreigabe ein relativ großes Chaos auf unseren Straßen im Lkw-Bereich ausbrechen wird. Jeder will die Kontrollen verstärken, alle reden davon; aber beim Bundesamt für Güterverkehr werden die Stellen gekürzt.
Ich komme auf den schrecklichen Flugzeugabsturz vor der Dominikanischen Republik zurück. Sie, Herr Wissmann, haben im Sommer eine Taskforce angekündigt, um für mehr Sicherheit im Luftverkehr zu sorgen. Aber im Stellenplan des Luftfahrtbundesamtes ist keine zusätzliche Stelle ausgewiesen. Wir werden Erhöhungsanträge stellen. Die Finanzierung der zusätzlichen Stellen kann man durch Umlegung auf die Verursacher regeln.
- Natürlich stimmt es. Im Verhältnis zum letzten Jahr gibt es überhaupt keine Veränderung. Der Hinweis auf das von Ihnen selbst verursachte Chaos in der Haushaltspolitik hilft Ihnen an dieser Stelle überhaupt nicht weiter.
Elke Ferner
Was wir die ganze Zeit gefordert haben - nämlich ein integriertes Gesamtverkehrskonzept, Ausgleich des Nachholbedarfs der Schiene, Konsequenz in der Kostenanlastung und vor allem Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen -, suchen wir in Ihrem Haushalt vergeblich.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wissmann?
Ja.
Frau Kollegin, gestatten Sie mir, daß ich Sie durch eine Zwischenfrage wie vorhin schon bei der Richtigstellung der Zahlen zu den Bahninvestitionen - die bei 9 Milliarden DM liegen und nicht bei irgendeiner anderen Zahl, wie Sie dem Haushaltsplan und den Anstrengungen der Bahn entnehmen können - jetzt darauf hinweise, daß die Entscheidung über 18 zusätzliche Stellen beim Luftfahrtbundesamt für die Einrichtung der von Ihnen angesprochenen Task force für die Kontrolle an den Rampen inzwischen erfolgt ist und daß kein Zweifel daran bestehen kann - da die ersten Leute bereits eingestellt sind -, daß bis zum Ende des Jahres alle diese Mitarbeiter so, wie auch von „Cockpit", der Pilotenvereinigung, gefordert, zur Verfügung stehen?
Lieber Kollege, es mag stimmen, daß für den geltenden Haushalt 1996 überplanmäßig neue Stellen bereitgestellt worden sind. Ich mache aber auch hier ein Fragezeichen dahinter, Herr Wissmann, weil die 9 Milliarden DM im Haushalt schlicht und ergreifend nicht zu finden sind. Ich habe davon gesprochen, daß im Stellenplan 1997 im Verhältnis zum Stellenplan 1996 keine Aufstockung erfolgt ist. Wenn das 1996 überplanmäßig schon erfolgt ist, ist es klar, daß das von 1996 auf 1997 keine Erhöhung ist.
Frau Kollegin Ferner, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Wissmann?
Ja.
Bitte.
Frau Kollegin, können Sie verstehen, daß ich durch Zwischenfragen Scheinkonflikte zu lösen versuche, und können Sie verstehen, daß wir die 18 zusätzlichen Stellen, die wir beim Luftfahrtbundesamt ausweisen, durch Einsparungen in anderen Bereichen des Stellenhaushaltes gewinnen, wie es auch einer sinnvollen Personalwirtschaft entspricht?
Es mag sein, daß Sie Personal abgestellt haben, um die Task force zu bilden. Die Frage ist nur, ob das Luftfahrtbundesamt dann in der Lage ist, seine übrigen Aufgaben zu erfüllen. Wenn Sie sagen, die 18 Stellen waren die ganze Zeit überflüssig, dann muß ich Sie natürlich fragen: Warum haben Sie denn dann diese 18 Stellen die ganze Zeit dort belassen?
Meine Redezeit ist abgelaufen. Herr Präsident, bitte gestatten Sie mir noch einen Schlußsatz.
Herr Wissmann, ich hätte wirklich etwas mehr Widerstand gegenüber Ihrem Kollegen Waigel erwartet, insbesondere was den Bereich Schiene anbelangt. Leider ist nichts erfolgt.
Der Haushalt wird so, wie er vorgelegt wurde, von uns abgelehnt.
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr liegen nicht vor.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau; das ist der Einzelplan 25.
Das Wort hat Herr Minister Dr. Töpfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehr als in den vergangenen Jahren gilt für diesen Haushalt: Vorrang haben Wachstum und Beschäftigung, Vorrang hat die Zukunftssicherung unserer sozialen Systeme, Vorrang haben damit auch die Senkung der Staatsquote, die Stärkung der Eigenverantwortung, der Privatinitiative und die Verbesserung der Investitionsbedingungen. Wir müssen uns auf investive Maßnahmen und auf Hilfen für die sozial wirklich Bedürftigen konzentrieren.
Dies sind die Anforderungen an den Haushalt insgesamt. Es sind auch die Anforderungen an den Haushalt des Bauministeriums. Denn gerade das Bauministerium hat eine große Verantwortung in den Bereichen der wirtschaftlichen, der sozialen und der ökologischen Wirkungen. Wenn man sich nur immer wieder klarmacht, daß über zwei Drittel aller Bruttoinvestitionen in Deutschland Bauinvestitionen sind, daß wir im letzten Jahr ein Bauvolumen von über 500 Millionen DM gehabt haben, dann wird deutlich, welche konjunktur- und strukturpolitischen Wirkungen damit verbunden sind.
Das hat große Auswirkungen auf die sozialen Bezüge. Die Wohnung ist ein Sozialgut und nicht nur
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
ein Wirtschaftsgut. Das hat weiter Auswirkungen auf die Ökologie. Das sieht man, wenn man nur den Energiebedarf in den privaten Haushalten betrachtet: Etwa ein Drittel aller CO2-Emissionen stammen aus diesem Bereich.
Deswegen ist dieser Haushalt in besonderer Weise im Rahmen der strukturellen Maßnahmen, die eingeleitet worden sind, zu sehen. Diese strukturellen Maßnahmen haben wir zu einem guten Teil gemeinsam, fast einstimmig, in diesem Hohen Hause und ebenso im Bundesrat verabschiedet; ich nenne das Eigenheimzulagengesetz und die Verbesserung des Bausparens. Wir haben in der Zwischenzeit den Entwurf der Novellierung des Baugesetzbuches, der Baunutzungsverordnung und des Rechts der Raumordnung vorgelegt; der Entwurf einer Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes ist in den parlamentarischen Beratungen; der Entwurf des Wohngeldüberleitungsgesetzes und der Entwurf eines Bergarbeiterwohnungsbauänderungsgesetzes sind vom Kabinett verabschiedet worden. Ich glaube, daß wir jetzt wiederum mit dem Ziel, möglichst viel gemeinsam zu verabschieden, an diese Gesetzesvorhaben gehen sollten.
Wenn man gerade auch die gegenwärtig schwierige konjunkturelle Lage am Bau sieht, dann kann mit um so größerem Nachdruck darauf aufmerksam gemacht werden, wie richtig es gewesen ist, daß wir die Wohneigentumsförderung umgestellt haben.
Diese Umstellung ist gesellschaftspolitisch wichtig, und es zeigt sich sehr deutlich, daß sie auch unmittelbare konjunkturelle Wirkungen gehabt hat. Das selbstgenutzte Wohneigentum ist für uns - ich möchte es noch einmal unterstreichen - die sozialste Wohnform. Wir wollen alles daransetzen, daß viele Menschen diese Möglichkeit realisieren können,
auch unter Einbindung der Selbsthilfe und weiterführender genossenschaftlicher Überlegungen. Dies ist ja im Eigenheimzulagengesetz ebenfalls angesprochen und geregelt worden.
Wenn ich heute sehe, daß bei sonst deutlich rückläufigen Bauantragszahlen die Zahlen beim selbstgenutzten Wohneigentum in den letzten sechs Monaten um insgesamt 5,3 Prozent nach oben gegangen sind und in den neuen Bundesländern sogar um über 10 Prozent, dann zeigt mir das, daß wir eine vernünftige Regelung getroffen haben. Auch die Bausparkassen bestätigen uns das sehr deutlich. Die zusätzlichen Abschlüsse machen bei einzelnen Instituten über 45 Prozent aus. Ich hatte die Gelegenheit, am Samstag in Hamburg zu sein. Die LBS in Hamburg hat mir einen Zuwachs bei den Bausparpolicen von über 80 Prozent mitgeteilt. Es zeigt sich, daß wir hier einen richtigen Ansatz, der auch gesamtwirtschaftlich richtig ist, verfolgen.
Wir müssen auch die Situation im Haushalt des Bauministeriums sehen. Die Fakten sind bekannt. 1997 wird das Volumen dieses Haushaltes auf 10,4 Milliarden DM wachsen, also um rund 6,2 Prozent. Wenn auf die Frage, woher das komme, gesagt wird, das sei nur eine Reaktion auf die kommenden Bauinvestitionen in Berlin, dann kann ich zunächst einmal festhalten: Selbst wenn Sie die Baumaßnahmen in Berlin herausrechnen, bleibt der Haushalt mit 9,1 Milliarden DM konstant. Wir haben also denselben Ansatz wie 1996. Ich bin sehr erfreut darüber, daß wir mit den Maßnahmen in Berlin so gut vorankommen. Es ist der erklärte Wille, daß wir in der Zeit zwischen 1998 und 2000 in Berlin arbeitsfähig sind. Ich freue mich, lieber Dietmar Kansy, daß wir in guter Zusammenarbeit mit der Baukommission des Deutschen Bundestages dieses Ziel, wie ich glaube, erreichen können. Es ist sinnvoll eingesetztes Geld, das wir für den Ausbau der Hauptstadt mit klarer Vorgabe von Zeit- und Kostenrahmen veranschlagt haben.
Wenn man sich die Hauptposten dieses Etats ansieht, dann stellt man fest, daß sie sich auf die Wohnungsbauförderung, auf die Städtebauförderung, auf das Wohngeld und nicht zuletzt, was viele vergessen, auf die Zinshilfen beziehen, die wir im Zusammenhang mit dem 60-Milliarden-Programm der KfW für die Modernisierung der Wohnungssubstanz in den neuen Bundesländern ausgeben, immerhin im kommenden Jahr 1,3 Milliarden DM mit zunehmender Tendenz. Es ist der Systematik dieser Haushaltsposition zuzurechnen, daß frühere Verpflichtungsermächtigungen erst hinterher in die Baransätze hineinwachsen, so daß wir zur Zeit steigende Baransätze selbst in Bereichen haben, wo wir gegenwärtig die Verpflichtigungsermächtigungen zurücknehmen mußten. Dies ist die gesamte Systematik. Man sollte sie immer wieder herausarbeiten.
Blicken wir auf den Posten der Städtebauförderung. Wieviel Kritisches ist darüber auch an dieser Stelle schon gesagt worden! Es wurde beispielsweise behauptet, wir würden diesen Posten wahrscheinlich gar nicht mehr halten können. Ich kann heute feststellen, er ist ohne jede Einschränkung auch für 1997 mit 600 Millionen DM im Haushalt enthalten.
Ich glaube - bei aller Einsicht auch in die notwendigen Veränderungen, die wir in den alten Bundesländern haben -, daß es nach wie vor richtig ist, den Schwerpunkt bei den neuen Bundesländern mit den angesetzten 520 Millionen DM zu belassen.
Ich darf nur daran erinnern, daß wir damit städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen zur Behebung städtebaulicher Mißstände finanzieren und diese mit Maßnahmen des städtebaulichen Denkmalschutzes zur Erhaltung bedrohter historischer Stadtkerne verbinden können.
Ich möchte an dieser Stelle der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, in besonderer Weise ihrem Präsidenten, Professor Kiesow, sehr herzlich danken. Was sie pro Jahr an privatem Geld für den Denkmalschutz beisteuert, ist wirklich beispielhaft.
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Dadurch wird vieles mit unterstützt, was wir sonst gar nicht realisieren könnten. Da Herr Kiesow hauptamtlich pensioniert worden ist, denke ich, ich sollte ihn hier einmal erwähnen. Ehrenamtlich wird er natürlich in gleicher Weise weiterarbeiten. Wir können uns an dieser Stelle überhaupt keinen Besseren vorstellen. 12 Millionen DM Spendengelder auch in diesem Jahr - meine Damen und Herren, ich finde, das ist eine großartige Sache.
Natürlich, Frau Eichstädt-Bohlig - lassen Sie mich diesen Punkt aufgreifen -, würde der Bauminister für die neuen und die alten Bundesländer gerne noch mehr tun. Ihr Vorschlag, man solle dies mit Hilfe eines Fonds machen, ist schön und gut. Es ist aber für mich überraschend, daß gerade Sie jetzt fordern, wir sollten dies über Steuererleichterungen ermöglichen. Als hätten fehlende Einnahmen nicht genau dieselben Haushaltskonsequenzen wie veränderte Ausgaben! Außerdem sind wir uns alle eigentlich darüber einig, daß wir den Steuersatz senken und die Bemessungsgrundlage verbreitern möchten. Ihr Vorschlag geht genau in die entgegengesetzte Richtung. Von daher glaube ich, daß wir diesen Weg wohl kaum gehen können.
Meine Damen und Herren, ich bin gern bereit, die Verwaltungsvereinbarung für die Nutzung der Städtebauförderungsmittel weiter zu überarbeiten; wir werden dies mit den Bundesländern machen. Ich möchte dabei in besonderer Weise die Erkenntnisse mit einbringen, die wir von Habitat II mitgebracht haben, also die Verbindung von wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bedingungen für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Es wäre sicherlich sehr sinnvoll, wenn wir das gemeinsam mit den Ländern machen könnten.
Diese Entwicklung erfordert nicht nur Geld, sondern auch den richtigen rechtlichen Rahmen. Deswegen ist es auch sinnvoll, daß wir ein Planungsrecht aus einem Guß schaffen wollen, daß wir in einem Artikelgesetz Baugesetzbuch, Baunutzungsverordnung und Raumordnungsgesetz novellieren wollen. Dies liegt jetzt im Bereich der parlamentarischen Beratungen. Ich hoffe, daß wir die entscheidenden Ziele gemeinsam verfolgen können, nämlich die Bestimmungen übersichtlicher und einfacher zu gestalten.
- Das war ein schöner Zwischenruf, Herr Kollege. Ich habe ihn mit großer Freude erwartet - allerdings nicht in erster Linie von Ihnen, Herr Kollege Fischer; das möchte ich hinzugefügt haben. Aber manchmal werden die eigenen Erwartungen nicht erfüllt. Sie, Herr Fischer, kommen wahrscheinlich wegen Ihrer veränderten Ernährungsform auf solche Dinge.
Aber wieder zurück, meine Damen und Herren: Wir möchten das Planungsrecht insgesamt einfacher, transparenter und für die Gemeinden gestaltungsfreudiger machen. Wir möchten erreichen, daß es wirklich bessere Voraussetzungen für eine Stadt der kurzen Wege gibt. Wir können nicht auf der HabitatKonferenz in Istanbul und anderswo reden und dann hierhinkommen und nichts weiter an unserem eigenen Planungsrecht machen. Ich weiß, wir werden hierüber noch intensive Diskussionen führen. Das ist bei einem solch umfassenden Werk auch mehr als verständlich.
Das Verfahren ist in Gang gesetzt. Ich hoffe, daß wir das neue Recht auf jeden Fall bis zum 1. Januar 1998 werden umsetzen können. Anderenfalls laufen die Übergangsbestimmungen aus dem Prozeß der deutschen Einheit aus, und das wäre sicherlich die schlechteste Regelung. Wir brauchen eine Anschlußregelung für diese Bereiche wie zum Beispiel städtebauliche Verträge.
Lassen Sie mich der Vollständigkeit halber hinzufügen: Ob es wirklich die beste Idee ist, in diesen Prozeß Überlegungen für einen Planungswertausgleich einzubringen, wie es jetzt durch die nordrhein-westfälische Landesregierung geschehen ist, möchte ich mit einem ganz dicken Fragezeichen. versehen. Sehen Sie sich das Gutachten der Experten an! Wir haben mit den städtebaulichen Verträgen und den anderen Regelungen leistungsfähige Instrumente, um auch die Folgekosten zu tragen. Diese sollten wir nutzen; wir sollten nicht nach neuen Instrumenten Ausschau halten. Ich glaube, es wäre sinnvoller, so vorzugehen.
Meine Damen und Herren, im sozialen Wohnungsbau werden wir - das sagte ich bereits - bei den Ausgaben mit 2,93 Milliarden DM sogar noch einen Anstieg haben.
Wir können aber - auch mit Blick auf die mittelfristigen Sparnotwendigkeiten - den Verpflichtungsrahmen nicht mehr in gleicher Weise erhalten, so daß wir ihn um 200 Millionen DM auf nunmehr 2,01 Milliarden DM kürzen, davon 1,2 Milliarden DM für die alten und 810 Millionen DM für die neuen Länder.
Wenn wir das tun, dann müssen wir auch daran arbeiten, diese Mittel möglichst effizienter und besser einzusetzen. Deswegen noch einmal an dieser Stelle der Hinweis darauf, daß wir uns mit der einkommensorientierten Förderung im sozialen Wohnungsbau auf jeden Fall eine gezieltere Verwendung dieser Mittel vorstellen und daß wir deswegen nicht weniger bauen, sondern diese Mittel sozial gezielter und mit einer Kostenobergrenze an den Markt bringen können.
Ich glaube, daß es sinnvoll ist, darüber nachzudenken, ob im Bereich des Bergarbeiterwohnungsbestandes wirklich weiterhin aufgestockt werden muß oder ob die Rückflüsse aus diesem Darlehensvermögen, die in der Größenordnung von etwa 60 bis 70 Millionen DM pro Jahr liegen, nicht in die allgemeine Förderung des sozialen Wohnungsbaus mit hineingenommen werden sollen. Wir schlagen Ihnen das vor. Ich hoffe, daß jedem klar ist: Hier geht es nicht um die Bestände. Wir haben rund 230 000 Wohnungen im Bergarbeiterwohnungsbestand. Damit können die Anforderungen, die vom Bergbau an die Wohnungsfürsorge gestellt werden, wirklich befriedigt werden, und der Zuwachs kann dem allgemeinen sozialen Wohnungsbau hinzugefügt werden.
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Wir werden deswegen das Zweite Wohnungsbaugesetz zu- einem Wohnungsbaugesetzbuch weiterentwickeln. Wir legen den Referentenentwurf in Kürze vor. Ich hoffe, daß wir uns hier in den Zielen klar und einig sind. Wir wollen die stärkere Einkommensorientierung. Wir wollen in diesem Wohnungsbaugesetz die Vermeidung einseitiger Bewohnerstrukturen, die Stärkung der Bereitschaft zur Selbsthilfe und zur Schaffung von Wohneigentum, das kosten- und flächensparende Bauen und nicht zuletzt das umweltgerechte Bauen zusammenfassend besser konzentrieren und damit eine gute Rechtsgrundlage schaffen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum letzten Punkt - sicherlich einem sehr wichtigen und ganz bedeutsamen -, nämlich zum Problem des Wohngeldes. Es ist ganz unstrittig, daß wir beim Wohngeld angesichts der aktuellen Haushaltssituation eine generelle Veränderung und Erhöhung nicht erreichen konnten. Ich bin gespannt, wie sich das demnächst bei den Bundesländern darstellen wird. Denn wir haben beschlossen, daß Kollege Waigel mit den Finanzministern der Bundesländer über das Volumen verhandeln wird, das insgesamt für das Wohngeld verfügbar ist. Gegenwärtig kann ich nur festhalten: Das Wohngeld steigt gegenüber dem Finanzplan. Es sinkt nicht, sondern es steigt. Wer also glaubt, hier werde ein sozialer Kahlschlag vorgenommen, muß sich einfach einmal die Zahlen ansehen, damit er weiß, über was er spricht.
Wir sind der Überzeugung, daß wir den Übergangsprozeß in den neuen Bundesländern nach wie vor flankieren müssen - deswegen der Entwurf eines Wohngeldüberleitungsgesetzes, ausgestattet mit Mitteln jeweils in Höhe von 80 Millionen DM bei Bund und Ländern. Wir haben - entgegen der Meinung vieler anderer, die in ganz besonderer Weise laut dagegen protestiert haben - eines zur Kenntnis genommen: Die Kollegen aus den neuen Bundesländern haben mit uns darüber sehr sachlich und, wie ich meine, auch sehr kompetent gesprochen. Sie haben den Weg, den wir gehen, nicht abgelehnt. Sie haben einige Ergänzungen gefordert. Es ist eigentlich das Selbstverständlichste, daß man, wenn man ein Gesetz vorlegt, nicht von vornherein Einmütigkeit hat. Wir werden uns darüber unterhalten müssen, ob die von den neuen Bundesländern vorgeschlagenen drei Punkte aufgearbeitet werden können. Dies ist ein Angebot, das wir von vornherein gemacht haben.
Ich sage noch einmal: Von einem Kahlschlag oder einer 80prozentigen Minderung kann beim besten Willen nicht die Rede sein. Als ich gestern in Berlin war, habe ich die „Berliner Zeitung" gelesen, weil ich glaubte, selbst gemeint zu sein. Ich las dort die große Überschrift „Schröder für weniger Sozialstaat". Dem Mann sollte man sagen, er müßte seine eigene Fraktion einmal darüber unterrichten, daß das, was wir vorlegen, auf keinen Fall ein Kahlschlag ist.
Es wäre gut, wenn er in Niedersachsen entsprechend handeln würde.
Wir werden den Sozialstaat nicht abbauen, sondern ihn auch im Bereich der Wohnungspolitik gezielt weiterentwickeln. Das ist unsere Aufgabe.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Das Wort hat der Kollege Achim Großmann, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Etat, den uns der Bauminister heute vorlegt, ist ein Etat des Wortbruchs, des Vertrauensbruchs und des fehlenden Reformwillens. Seit seiner Ernennung hat er keinen Monat vergehen lassen, ohne zum Wohngeld blumige Presseerklärungen abzugeben. Er hat den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land mit den schönsten Zahlen vorgegaukelt, wie er eine Wohngeldreform durchsetzen will. Er hat - damit nicht genug - beim Mietenüberleitungsgesetz für die Regierung dem Parlament eine feste Zusage gegeben, eine Wohngeldnovelle noch in diesem Jahr vorzulegen.
Ich zitiere aus dem entsprechenden Bericht des Ausschusses zum Mietenüberleitungsgesetz. Dort heißt es wörtlich:
Bereits in der Begründung zum Gesetzentwurf ist zum Ausdruck gebracht worden, daß die Bundesregierung für das Jahr 1996 im Zusammenhang mit der anstehenden Novellierung des Wohngeldgesetzes eine Vereinheitlichung des Wohngeldrechts in West und Ost beabsichtigt und daß die Geltungsdauer des Wohngeldsondergesetzes bis zum Inkrafttreten dieser in Vorbereitung befindlichen Novelle verlängert werden soll.
Es kommt noch dicker:
Es wird angestrebt, daß die Wohngeldrechtsnovelle bereits im Jahre 1996 wirkt. Dabei kann ein Teil der Novelle zur Vermeidung von Härtefällen in westlichen Ländern vorgezogen werden.
Pustekuchen! Das Versprochene kommt nicht. Herr Töpfer hat bei der Haushaltsberatung im letzten Jahr selbst noch einen draufgelegt. Auf den Zwischenruf unseres Kollegen Diller hat er am 9. November 1995 hier im Plenum erklärt:
Ich kann zum Wohngeld genau das wiederholen, was wir gesagt haben. Wir werden das Gesetz so novellieren, daß es noch im Jahr 1996 wirksam wird. Das haben wir an dieser Stelle fünfmal gesagt. Wenn Sie es zum sechstenmal hören wollen, habe ich das damit jetzt gesagt.
Originalton Bauminister Töpfer. Deshalb kann man es ohne Emotionen sagen: Es ist ein klassischer Wort-
Achim Großmann
bruch. Die Regierung hat dieses Gesetz bis heute nicht vorgelegt.
Das Nein zu einer substantiellen - nicht strukturellen - Wohngeldreform bedeutet gleichzeitig das Aus für die Reform des sozialen Wohnungsbaus. Alle, die sich nur ein wenig mit der Wohnungsbauförderung und der Wohnungspolitik beschäftigen, wissen, daß wir eine gesunde Mischung aus Objekt- und Subjektförderung brauchen. Bei der Objektförderung sind wir uns darüber einig, daß wir einen neuen Weg einschlagen wollen. Wir wollen die Objektförderung stärker auch für den Bestand nutzen. Beim Wohngeld macht es nur Sinn, daß wir eine quasi Dynamisierung zur individuellen Feinsteuerung einführen. Wenn wir das nicht schaffen, bricht das ganze Gebäude der Reform des sozialen Wohnungsbaus zusammen.
Sie, Herr Minister Töpfer, kürzen beides: Wohngeld und die Mittel für den sozialen Wohnungsbau werden im nächsten Jahr gekürzt. Sie haben - um es auf eine schnittige Formel zu bringen - Ihren Gestaltungswillen an der Garderobe des Finanzministeriums abgegeben.
Geld wäre da,
wenn Sie zusammen mit der SPD weitere Reformschritte gehen würden. Wir haben einen Antrag zur Umgestaltung des frei finanzierten Mietwohnungsbaus vorgelegt. Aber selbst wenn Sie diesem Antrag nicht folgen wollen, nämlich Grenzen bei den Abschreibungsmöglichkeiten im frei finanzierten Mietwohnungsbau vorzusehen, sprich: Luxussubventionierungen abzubauen, schauen Sie doch einmal in die Gazetten der letzten Wochen. Die „Wirtschaftswoche" schrieb: „Nicht zu schlagen. Optimale Verschuldung." Dies ist ein schönes neues Wort. Es wird aufgelistet, daß ein Ehepaar, das eine zu vermietende Wohnung, frei finanzierter Mietwohnungsbau, kauft, die 298 000 DM kostet, wenn es nur die normalen Abschreibungen in Anspruch nimmt, eine Steuerersparnis von 20 000 DM hat. Wenn in die Finanzierung eine Lebensversicherung eingeschlossen wird, hat es eine Ersparnis von 88 000 DM. Wenn es das Darlehen nicht tilgt, sondern eine Lebensversicherung anspart, das Eigenkapital allerdings vorher einem Anlagekonto zuführt, hat es eine Steuerersparnis von 161 000 DM. Das bezieht sich alles auf dieselbe Wohnung. Das lassen wir zu.
Hier werden Steuersparmodelle offen angekündigt. Es wird Geld verschleudert. Das ist der eine Teil, aus dem man sicherlich ohne weiteres 100, 200 oder 400 Millionen DM schöpfen könnte, um das Wohngeld zu reformieren.
Es gibt noch einen weiteren schönen Artikel, und zwar über den früheren Vorsitzenden der F.D.P. in Hamburg - er war immerhin sechs Jahre Landesvorsitzender -, Herrn Vogel. Sein Immobilienvermögen wird - so heißt es in der „Zeit" - auf 300 000 Quadratmeter Wohn- und Bürofläche im
Wert von 1,4 Milliarden DM geschätzt. Er legte in einem Interview dar, warum ein Millionär keine Steuern zahlt. Er erklärte, daß er im Grunde genommen trotz seines Besitzes von Immobilien im Werte von 1,4 Milliarden DM die Möglichkeit hat, eine Sozialwohnung zu beziehen. Er sagt auf die entsprechende Frage in der „Zeit":
Mein Steuerbescheid schloß wegen der nichtalterungsbedingten Abschreibungen auf Gebäude, die wir ja vornehmen können, mit einem Einkommen von null Mark ab.
Es heißt weiter:
In den Mietzahlungen der Sozialmieter ist eine Abschreibung in der Regel von etwas über einem Prozent jährlich für die Abnutzung des Gebäudes und der installierten Elektrogeräte wie Speicher oder Herde enthalten. Steuerrechtlich muß aber eine Abschreibung von zwei Prozent geltend gemacht werden. Dadurch stellen sich automatisch steuerliche Verluste ein - das ist eine Zwangsvorschrift.
Weiter heißt es auf die Frage, ob das denn so bleiben müsse:
Ich gebe Ihnen recht. Es geht mir selbst allmählich gegen den Strich, daß es viele Menschen gibt, die durch die vielfach möglichen Abschreibungen ihre Steuerzahlungen minimieren oder gar keine Steuern mehr bezahlen ...
Das heißt - noch einmal zurück zum Wohngeld -: Die Finanzmasse ist da. Wir brauchen nur mutige Reformer in diesem Haus, um das auf die Beine zu stellen und um dann das Geld für andere Maßnahmen einzusetzen.
Es ist übrigens überhaupt nicht nachvollziehbar und überhaupt nicht zu verstehen, daß im sozialen Wohnungsbau Kostenobergrenzen eingestellt werden und beim freifinanzierten Mietwohnungsbau jeder investieren kann, was er will, ohne jegliche Grenze; der Steuerzahler ist immer dabei. Das ist überhaupt nicht nachzuvollziehen.
Das Argument, wenn man das beschränken würde, würde man die Bauwirtschaft gefährden, ist ausgesprochen dämlich, denn die Abschreibungsgrenzen für den normalen Mietwohnungsbau wollen wir schließlich nicht antasten. Wenn wir Abschreibungsgrenzen für Luxussubventionen haben, ist das nichts anderes als ein weiterer Vorschlag zum kosten- und flächensparenden Bauen, das der Bundesbauminister so stark fördert - leider nur in Sonntagsreden, nicht mit den Instrumenten, die er sich vom Parlament geben läßt.
Wortbruch, fehlender Reformwille, mangelnder Reformwille - das finden wir auch beim Altschulden-
Achim Großmann
hilfe-Gesetz. Ich will Ihnen jetzt ersparen, meine Damen und Herren von der Koalition, aus vielfältigen SPD-Anträgen und Gesetzesnovellen zum Altschuldenhilfe-Gesetz zu zitieren. Fakt ist, daß Sie unsere Vorschläge - sei es zur Anerkennung der Ausgründung von Genossenschaften, sei es zur Korrektur der progressiven Erlösabführungsquote und zu vielem anderen mehr - in diesem Hause in schöner Eintracht abgelehnt haben.
Sie wollten die Privatisierung fördern und haben sie in Wirklichkeit blockiert. Bei der Lösung der Altschuldenfrage des ostdeutschen Wohnungsbestandes sitzt die Bundesregierung seit fünf Jahren im Bremserhäuschen. Jetzt kommen Sie kleinlaut und bringen die Änderungen des Altschuldenhilfe-Gesetzes ein, die wir seit mehreren Jahren fordern. Man soll es nicht für möglich halten: Drei Jahre sind vertan!
Wortbruch, Vertrauensbruch, fehlender Reformwille - das Urteil zum Etat: Ich glaube, man kann es kaum noch deutlicher mit Beispielen belegen. Aber ich will noch einen draufsetzen - das allerdings nur mit wenigen Worten, weil der Kollege Maaß das vertiefen wird. Im Bergarbeiterwohnungsbau gibt es einen klassischen Vertrauensbruch. Die Bundesländer haben sich darauf eingerichtet, Wohnungen in Zechensiedlungen, die teilweise über hundert Jahre alt sind, zu modernisieren. In einer Nacht-und-NebelAktion wird dieses Vertrauen mißbraucht; es wird gesagt, ab 1. Januar 1997 gebe es überhaupt nichts mehr. Ein sichtlich schlicht überforderter Mitarbeiter des Bundesbauministeriums erklärte den Ländervertretern, daß dieses Gesetz noch nicht einmal zustimmungspflichtig sei. Die Länder werden fast genötigt und erpreßt. Das war bisher nicht Ihr Stil, Herr Töpfer.
Ich fordere Sie auf, mit den Ländern in einen ernsten Dialog zu treten.
Es geht nicht an, sich auf internationalen Konferenzen mit warmem Applaus umspülen zu lassen, wenn dort gesagt wird, in der Bundesrepublik würden wir die Arbeitersiedlungen retten und nachhaltige Entwicklungen beim Wohnungsbau machen, während in einer Nacht-und-Nebel-Aktion diese Mittel einfach gestrichen werden. Das geht nicht, und das werden wir auch nicht zulassen.
Wenige Stichworte zum Schluß, zuerst zum Mietrecht. Es gibt beim Mietrecht unglaublich dumme Vorschläge,
die landauf, landab herumgeistern und die die Menschen verunsichern. Der Bauminister hat es bis heute nicht für nötig gehalten, sich zu diesen Vorschlägen zu äußern. Er spricht zwar davon, das sei eben nicht unmittelbar sein Gebiet, er sei dafür nicht zuständig, er wolle, daß eine Mietrechtsänderung komme, und
er könne sich auch vorstellen, wie man die gestalte. Aber er sagt nichts zu diesen wirklich schlimmen Vorschlägen, die bis zur Abschaffung der Kappungsgrenzen, bis zum Recht zur Kündigung ohne besondere Begründung gegenüber Leuten, die seit 30 Jahren in ihren Wohnungen leben, gehen. Es gibt wirklich unglaubliche Vorschläge. Dazu ist der Bundesbauminister bis jetzt und auch heute stumm geblieben.
Mit Wortbruch, Vertrauensbruch und fehlendem Reformwillen, Herr Töpfer, mit mangelnder Gestaltungskraft und ohne Durchsetzungskraft kann man keine zukunftsfähige Wohnungspolitik gestalten.
Das Wort hat der Kollege Gert Willner, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst die Fakten. Der Regierungsentwurf des Etats des Bauministers weist für 1997 mit 10,45 Milliarden DM ein Volumen auf, das um 6,2 Prozent größer ist als im Vorjahr. Für diesen Anstieg sind im wesentlichen die Maßnahmen in Berlin ausschlaggebend, aber nicht allein.
Aber dies ist ein deutliches Signal: Die Bundesregierung macht Ernst mit der Umsetzung der BerlinEntscheidung des Bundestages und den Ausgleichsmaßnahmen für Bonn. Was auch gesagt werden muß: Minister Töpfer hat den Daumen drauf, damit der Kostenrahmen eingehalten wird. Das ist wichtig.
Zu den Fakten gehört auch: Im Zusammenhang mit einer begrenzten Verlängerung einzelner Regelungen im Wohngeldrecht für die neuen Länder werden die Gesamtansätze für das Wohngeld für 1997 und 1998 jeweils um 80 Millionen DM erhöht. Die Bundesregierung strebt eine Strukturnovelle zum 1. Juli 1997 an. Der Weg ist richtig, daß der Bundesminister der Finanzen den Finanzrahmen mit den Ländern vereinbart und daß der Bundesbauminister auf dieser Grundlage das Gesetzgebungsverfahren einleiten wird. Denn maßgeblich sind nicht allein die Wohngeldwünsche der Länderbauminister, sondern ist auch das, was die Länderfinanzminister bereit sind zu leisten. Darauf kommt es mit entscheidend an.
Lieber Kollege Großmann, ich finde es ja richtig, daß wir uns alle für das Wohngeld einsetzen. Aber wissen muß man auch, daß 1990 Herr Müntefering in bezug auf das Wohngeld, das Sie ja nun alle kräftig fordern, abschätzig von Gratifikationen, die man unter das Volk streut, und von Transformationsriemen für Mieterhöhungen sprach. Ich denke, das ist der Sache nicht gerecht.
Die Finanzierung der Wohngeldausgaben ist eine echte Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern;
Gert Willner
die Kosten teilen sich beide in etwa. Die Tatsache, daß in den letzten beiden Jahren die Länder nicht mehr das sonst übliche Wohngelderhöhungsvotum in ihren Stellungnahmen zum Bundeshaushalt unterbrachten und die Länderfinanzminister neuerdings sogar eine Wohngeldkürzung in ihren Sparlisten kursieren lassen, muß, denke ich, jeden nachdenklich stimmen.
Lassen Sie mich einmal deutlich machen, welche Wohngeldleistungen erbracht werden. Insgesamt 5,7 Milliarden DM kostete diese Sozialleistung den Staat, also Bund und Länder, im Jahre 1994. Weit über 6 Milliarden DM werden es 1997 sein.
Zu den Fakten dieses Haushalts gehört auch: Wir können einen Anstieg der Zahl der fertiggestellten Wohnungen feststellen. Ich erinnere an folgende Zahlen: 1988 gab es 209 000 Wohnungen, 1993 256 000 Wohnungen, 1994 573 000 und 1995 603 000 Wohnungen. Für 1996 gehen unsere Schätzungen ebenfalls von 600 000 Wohnungen aus. Das sind, wohnungsbaupolitisch betrachtet, Spitzenwerte. Es muß unser aller Ziel sein, den Wohnungsbau zu verstetigen.
Der Wohngeld- und Mietenbericht macht klar: Erstens. Der Mietanstieg in Deutschland ist seit 1993 deutlich zurückgegangen. Zweitens. Ein hohes Wohnungsangebot begrenzt den Mietanstieg und stellt den besten Mieterschutz dar.
Es ist schon zu fragen, ob es im Interesse des sozialen Wohnungsbaus ist, wenn etwas geschieht wie in Nordrhein-Westfalen: Das Land Nordrhein-Westfalen erhöht die Verzinsung der Kredite im sozialen Wohnungsbau und damit auch die Sozialmieten. Dies bringt Nordrhein-Westfalen im Jahr rund 400 Millionen DM in die Landeskasse. Gleichzeitig führt das dazu, daß Vermieter die Darlehen vorzeitig zurückzahlen, so daß mehr Wohnungen aus der Sozialbindung herausfallen. Man kann auch sagen: Nordrhein-Westfalen baut Sozialwohnungen ab.
Wenn das Thema der Bergarbeiterwohnungen hier angesprochen wird, dann, denke ich, muß man folgendes entgegnen, damit niemand verunsichert wird: Die Zweckbestimmung der bisher geförderten Wohnungen bleibt erhalten. Die Wohnungen bleiben entsprechend den bisherigen Regelungen Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus, und sie stehen weiterhin den Berechtigten im Bergarbeiterwohnungsbau, nämlich den Bergleuten, den Hinterbliebenen und den Bergleuten, die ihren Arbeitsplatz auf Grund von Zechenstillegungen verloren haben, zur Verfügung.
Die Mittel werden nicht gestrichen, sondern dem sozialen Wohnungsbau wieder zugeführt.
Herr Kollege Willner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Formanski?
Gerne.
Herr Kollege, wenn Sie den Bergarbeiterwohnungsbau ansprechen, würden Sie uns dann auch bitte mitteilen, mit welchen Mitteln die notwendigen Modernisierungs-, Um- und Ausbaumaßnahmen bezahlt werden sollen? Mir liegen Zahlen vor, daß zum Beispiel allein die Ruhrkohle AG bis zum Jahre 2002 450 Millionen DM für diesen Zweck benötigt.
Bitte, Herr Kollege Willner.
Ich warte, bis sich die Unruhe gelegt hat.
Darf ich um ein bißchen Aufmerksamkeit für den Redner bitten, der eine Frage zu beantworten hat? - Bitte.
Herr Kollege, es geht mir bei der Beantwortung Ihrer Frage um drei Punkte.
Investitionen sind im Grundsatz nicht Sache öffentlicher Haushalte, sondern aus der Miete zu bezahlen.
Im Grundsatz müssen die Leistungen, die Sie angesprochen haben, aus der Miete erwirtschaftet werden.
Wir kennen eine ganze Reihe von Fällen von Leistungen im Rahmen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus, bei denen dies nicht geschieht. Hierbei gibt es die unterschiedlichsten Sonderregelungen. Wir kennen auch die Sonderregelungen dieses Gesetzes.
Wir werden zwei Dinge tun: erstens im Ausschuß über das Gesetz, das das Kabinett gerade verabschiedet hat, beraten; zweitens werden wir eines nicht zulassen: daß die Leute verunsichert werden,
wie eben der Versuch unternommen wurde. Ich habe
versucht, klarzustellen, daß diejenigen, die zur Zeit
in diesen Bergarbeiterwohnungen wohnen, dort
Gert Willner
auch weiterhin wohnen können müssen, so daß die Zweckbestimmung erhalten bleibt.
Herr Kollege Willner, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Formanski?
Nein, ich möchte jetzt fortfahren.
Im Bereich der Städtebauförderung, meine Damen und Herren, bleibt es bei dem bisher im Finanzplan vorgesehenen Verpflichtungsrahmen von jährlich 600 Millionen DM. Ich habe bereits am 21. Juni 1996 im Bundestag festgestellt, daß die Städtebauförderung nicht, wie von den kommunalen Spitzenverbänden befürchtet, gestrichen wird.
Die Städtebauförderung ist für die CDU/CSU- Fraktion ein wichtiges Anliegen. Mit der Städtebauförderung existiert seit 25 Jahren ein Förderprogramm für die städtebauliche Erneuerung von Innenstädten und Gemeinden. Insgesamt sind es 12 Milliarden DM, die der Bund bisher dafür ausgegeben hat.
Wir wollen, wenn wir über die Frage der künftigen Ausrichtung der Städtebauförderung reden, daß die mit der Städtebauförderung bisher unbestrittenen und allgemein anerkannten positiven Folgewirkungen in unseren Städten und Gemeinden erhalten bleiben. Wir wollen auch eine Kopplung mit den Instrumenten des Wohnungsbaus.
Es muß uneingeschränkt das Ziel der Städtebauförderung sein, weiterhin private Investitionen zu aktivieren - in der klaren Überlegung, daß es eben nicht, Herr Kollege Großmann, reicht, einfach mehr Geld zu fordern, sondern daß ein flexibler Mitteleinsatz im Haushalt des Bauministers und der Länder geboten ist.
Deswegen haben wir 1996 beantragt, Mittel des sozialen Wohnungsbaus in städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsgebieten einzusetzen. Dies ist geschehen. Der Haushalt 1997 sieht es ebenfalls so vor, wie wir es 1996 haben. Wir begrüßen diesen erneuten Akzent in Richtung Städtebauförderung für die alten Länder.
Eines unserer Anliegen im Ausschuß war das Thema Obdachlosigkeit. Von, den Finanzhilfen des
Bundes sollen 1997 wiederum 50 Millionen DM zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit eingesetzt werden. Ich richte an die Länder die Bitte, den Weg zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit mitzugehen, die Vereinbarungen zügig umzusetzen, auch Mut zu unkonventionellen Wegen zu beweisen.
1996 wurden erstmals die Voraussetzungen für ein CO2-Minderungsprogramm im Wohnungsbestand der alten Länder geschaffen. Das Kreditvolumen von 1 Milliarde DM wurde schnell ausgeschöpft. Nach dem Stand von Juni 1996 wurden 38 000 Wohnungen gefördert. Insgesamt sind auf Grund des CO2-Minderungsprogramms bisher 800 Millionen DM investiert worden.
Dieses erfolgreiche Programm wird durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau mit einem Kreditvolumen von 2 Milliarden DM fortgeführt werden. Wir setzen uns dafür ein, daß ein Kreditvolumen von 4, möglichst 5 Milliarden DM einschließlich der 1996 bereitgestellten Mittel erreicht wird; denn dieses CO2-Minderungsprogramm ist gut für Klimaschutz und Baukonjunktur.
Dabei ist es für das Ziel des Klimaschutzes völlig gleichgültig, ob die Mittel aus dem Haushalt des Bauministers kommen oder von der Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Meine Damen und Herren, zur Jahreswende 1995/ 96 haben wir günstigere Voraussetzungen für eine breite Bildung von Wohneigentum geschaffen. Vor einiger Zeit prognostizierten Bauminister Töpfer und Kollege Dr. Kansy: Die neue Eigenheimförderung wird zum Hoffnungsträger. - Es gab viele Unkenrufe. Ich sage: Der Minister und Kollege Kansy haben recht behalten. Nach einer langen Periode von Minusraten verzeichnet der Eigenheimbau wieder Zuwächse in der Baugenehmigungsstatistik.
Dieser Anstieg ist kein einmaliges Strohfeuer. Die Zulagenregelung hat eine neue Aufbruchstimmung in der Eigenheimförderung erzeugt
und dem Eigenheimbau positive Impulse verschafft. Ich denke, wir sollten uns gemeinsam darüber freuen, daß dies gelungen ist.
Häufig geht unter: Mit der massiven Anhebung des Baukindergeldes wurde ein richtiger Schritt für eine bessere Wohneigentumsversorgung von jungen Familien getan. Seitdem ab 1. Januar 1996 allen Bau-
Gert Willner
Sparern ab 16 Jahren ein eigener Anspruch auf Wohnungsbauprämie zusteht, sind nachweislich die besten Voraussetzungen geschaffen, daß der Schritt in die eigenen vier Wände schon in möglichst jungen Jahren getan werden kann. Das waren die richtigen Entscheidungen für mehr Eigentum.
Unterstützt wird unser Anliegen - mehr Eigentum in jungen Jahren - durch den niedrigen Stand der Hypothekenzinsen. Wenn wir schon bei diesem Thema sind: Die Inflationsrate in Deutschland lag im Juni bei 1,4 Prozent und hatte damit den niedrigsten Wert seit Januar 1991. Bei einer sogenannten Inflationsrate von 1,5 Prozent und weniger herrscht faktisch Preisstabilität. Preisstabilität schafft Vertrauen in die Währung und schafft Vertrauen in die Regierung.
Aus der Neuregelung der Wohneigentumsförderung und den niedrigen Zinsen beim Baugeld kann nur eine Folgerung gezogen werden: Häuslebauer sollten zugreifen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir bereitet die Höhe der Wohnnebenkosten, auch zweite Miete genannt, zunehmend Sorgen. Das Institut für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen hat festgestellt, daß die Gemeinden, Städte und Kreise in der Bundesrepublik ihre Gebühren für Müllabfuhr und Abwasserbeseitigung erheblich angehoben haben. Zu diesen „kalten" Nebenkosten kommen dann noch die „warmen" Nebenkosten für Heizung und Warmwasser. Für viele Familien ist das eine erhebliche Gesamtbelastung.
Das Ziel bezahlbarer Wohnraum kann sich nicht auf die Miete beschränken. Die „kalten" und die „warmen" Nebenkosten müssen einbezogen werden. Steigerungen sind hier deutliche Grenzen gesetzt. Die Kommunen können da einen Beitrag leisten. Gebührenfestsetzung mit Augenmaß, das ist meine Bitte an die Gemeinden und Städte und Kreise für 1997.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Bemerkung zum Thema Wohnbauland machen. Die Nachfrage nach Wohnbauland wird auch in Zukunft unverändert hoch bleiben, wenn die Eigenheimförderung weiterhin so angenommen wird wie jetzt. Deshalb sind auch in Zukunft erhebliche Anstrengungen der Gemeinden und Städte zur Baulandausweisung notwendig.
Ich erwähne ausdrücklich: Für Bund, Länder und Gemeinden besteht nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz eine Rechtspflicht zur Beschaffung von Bauland. Das Gesetz sagt klar: Bund, Länder und Gemeinden haben die Aufgabe, geeignetes Bauland für den Wohnungsbau, nicht nur für den sozialen Wohnungsbau, bereitzustellen. Die Gemeinden sind verpflichtet, für eine Bebauung mit Familienheimen geeignete Grundstücke zu beschaffen, baureif zu machen und als Bauland Bauwilligen als Eigentum oder mit Erbbaurecht zur Verfügung zu stellen.
Lassen Sie mich nun abschließend feststellen: Das Hauptziel für 1997 für den Haushalt von Minister Töpfer ist es, trotz aller Einsparnotwendigkeiten eine positive Entwicklung vor allem in den Bereichen zu sichern, die eine hohe investive Wirkung haben. Dies sind insbesondere die Städtebauförderung mit ihrem hohen bauwirtschaftlichen Anschlußeffekt, die Finanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau mit einem Verpflichtungsrahmen von 2,01 Milliarden DM und einem Kassenansatz von 2,93 Milliarden DM, die Maßnahmen der Wohnungsfürsorge und die Baumaßnahmen in Berlin sowie die Ausgleichsmaßnahmen für Bonn. Im Rahmen der knappen finanziellen Vorgaben des Bundeshaushalts 1997 ist dieses Ziel, Herr Minister Töpfer, erreicht. Der Kahlschlag findet nicht statt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich auf zwei Themen, auf das Wohngelddebakel und auf die Hauptstadtplanung, konzentrieren, obwohl wir eigentlich sehr viele haben.
Zum Wohngeld: Herr Töpfer, ich muß leider in dieselbe Kerbe hauen wie Herr Großmann.
- Ja, natürlich, Herr Reschke. Ich denke, da sind wir uns einig.
Ich habe zufällig einen noch nicht abgehefteten Artikel vom 27. März - wie kurz ist das her -, in dem Sie anläßlich der Verabschiedung des Wohngeld- und Mietenberichts im Kabinett der Presse gegenüber deutlich erklärt haben, und zwar zum wiederholten Mal - wir haben schon die anderen Beispiele bekommen -, daß die Wohngeldansätze den seit 1990 gestiegenen Mieten angepaßt werden müssen.
- Ja, ja. Wir wissen das, ich wollte nur noch einmal deutlich darauf hinweisen.
30 Prozent Mietenanstieg seit 1990, das heißt: Wohngeldsteigerung um 30 Prozent. Sie haben selbst ausrechnen lassen, daß das auf Bundesebene allein eigentlich 1,8 Milliarden DM kosten würde. Doch jetzt haben Sie ein Wohngeldüberleitungsgesetz Ost vorgelegt, das Wohngeldsenkungen für den Osten verspricht, und Sie haben den Etatansatz 1997 mit 3,08 Milliarden DM vorgelegt, bei dem noch nicht einmal der Wohngeldbedarf von 1996 - 3,3 Milliarden DM - abgedeckt ist, geschweige denn irgendeine Form von Wohngeldnovelle.
Franziska Eichstädt-Bohlig
Herr Großmann hat gesagt - auch mir fällt dafür kein anderes Wort ein -: Das ist ein ungeheuerlicher Wortbruch gegenüber den betroffenen Mietern.
Wie können Sie das 3 Millionen Menschen, die sich auf dieses Versprechen Monat für Monat verlassen und darauf warten, daß endlich etwas passiert, antun?
Ich möchte noch eines sagen, weil ich denke, daß es für diese Debatte sehr wichtig ist: Gleichzeitig ist das der Offenbarungseid der bisherigen Wohnungspolitik. Seit Jahren haben Sie darauf gesetzt, die Verlagerung von der Objektförderung auf die Subjektförderung vorzunehmen. Sie haben gesagt: Wenn die Mieten steigen, werden wir das wegsubventionieren. Die sozialen Folgen sollten über das Wohngeld kompensiert werden.
Alle gesellschaftlichen Kräfte haben sich darauf verlassen: der Mieterbund, die Mietervereinigungen und die freie wie die ehemals gemeinwirtschaftliche Wohnungswirtschaft. Alle haben sich darauf verlassen, daß das so funktionieren wird. Es ist ja auch relativ einfach; denn wenn Vater Staat alles wegsubventioniert, können sich die gesellschaftlichen Kräfte relativ einfach zurücklehnen.
Wir haben schon immer gesagt, daß wir das Wohngeld als zweites Standbein brauchen, daß wir aber auf keinen Fall die Abhängigkeit vom Wohngeld erhöhen dürfen und daß alle anderen wohnungspolitischen Instrumente so organisiert werden müssen, daß sie nicht mietensteigernd und damit indirekt wohngeldsteigernd, sondern dämpfend wirken.
Was Sie gemacht haben, sage ich in Stichworten. Sie haben die Gemeinwirtschaft abgeschafft und ein Mietrecht mit 20 bis 30 Prozent Mietsteigerungen in drei Jahren eingeführt. Dazu kommen die permanenten Privatisierungen. Das alles sind Instrumente, die den Bestand an preiswerten Wohnungen systematisch abbauen und die Abhängigkeit vom Wohngeld erhöhen.
Wir brauchen dringend einen entschiedenen wohnungspolitischen Kurswechsel. Ich fordere alle Fraktionen auf, daran zu arbeiten; denn das Wohngeld, das wir jetzt verloren haben, werden wir nicht wiederfinden. Wir sind insofern darauf angewiesen, dabei zusammenzuarbeiten.
Ich möchte einen anderen Finanzierungsvorschlag als Herr Großmann machen. Sie wissen, daß ich Schwierigkeiten mit der Eigenheimzulage habe. Ich nenne das ganz konkret. Ich halte das für eine wohnungspolitische Schieflage.
Ich habe folgendes ausgerechnet: Der berühmte Häuslebauer mit einem Jahresbruttoeinkommen in Höhe von 240 000 DM - das sind netto monatlich 11 000 DM - bekommt in acht Jahren 64 000 DM - das sind monatlich 666 DM - an Subventionen. Ein Wohngeldempfänger, ebenfalls in einem Vierpersonenhaushalt, mit einem Monatseinkommen in Höhe von 2 650 DM bekommt bei einer 900-DM-Monatsmiete 100 DM Wohngeld pro Monat und braucht 54 Jahre, um die gleiche Subvention wie der Häuslebauer zu bekommen. Das ist wohnungspolitisch nicht zu verantworten. Wir müssen das Geld auf die bedürftigen Gruppen konzentrieren.
Ich will die Eigenheimzulage jetzt nicht wegnehmen, aber doch deutlich sagen: Wir brauchen eine Senkung der Einkommensgrenzen bei der Eigenheimzulage. Unserer Meinung nach sollten es maximal 160 000 DM sein. Bei allen, die darüber liegen, muß gekappt werden. Wir müssen den Vorkostenabzug kappen. Ich fordere, daß wie bei Fehlbelegern auch bei den Eigenheimzulageempfängern alle zwei Jahre überprüft wird, ob sie noch berechtigt sind, und dann gekappt wird, wenn sie nicht mehr berechtigt sind. Ich denke, das ist das Mindeste an Fairneß, was Sie den Wohngeldempfängern schuldig sind.
Wir haben es ausgerechnet. Auf diese Art würden Sie allein im Jahr 1997 auf Bundesebene 800 Millionen DM - bei den Ländern noch einmal dasselbe - und mittelfristig 1,5 Milliarden DM bekommen. Ich denke, das ist ein vernünftiger Handlungsspielraum.
Meine Zeit ist kurz. Lassen Sie mich wenigstens einen Satz noch zur Hauptstadtplanung sagen. Herr Kansy, ich sage es ganz deutlich auch in Ihre Richtung, und zwar erst einmal als Bitte. Ich habe im Sommer viel darüber nachgedacht. Zudem habe ich das Problem, daß in meiner Fraktion und in der SPD intensive Kräfte versuchen wollen, den Hauptstadtumzug zu verschieben. Diesen Kollegen, die jetzt leider nicht anwesend sind, und auch den anderen von der SPD kann ich nur deutlich sagen: Die Verschiebung kostet mehr Geld. Da sind wir sicher im selben Boot.
- Danke für Ihren Applaus.
Gleich werden Sie nicht mehr applaudieren.
Ich möchte einen sehr konkreten Vorschlag machen. Ich bitte Sie, ihn sehr ernsthaft zu prüfen. Ich schlage vor, daß der Luisenblock gestrichen wird und daß wir statt dessen die Altbauten instandsetzen und die Flächen, die wir im Altbau und den sonstigen Bauprojekten haben, wirklich optimieren. Damit kann der Tunnel entfallen, der inzwischen wirklich zum Millionengrab wird. Ich wage die Prognose: Das
Franziska Eichstädt-Bohlig
nächste Millionengrab nach dem Schürmannbau wird der Berliner Parlamentstunnel werden.
An diesen Satz werden Sie noch denken, wenn Sie nicht heute die Weichen anders stellen. Mit dieser Maßnahme - wir werden es morgen in der Baukommission besprechen - können wir 300 Millionen DM
- ich sage: 300 Millionen DM! - allein bei der Parlamentsplanung sparen.
Ich bitte Sie, diesen Satz sehr ernst zu nehmen, auch wenn Sie jetzt sagen, das sei „totaler Quatsch".
- Ich weiß, daß da eine Bibliothek drin ist. Auch Bibliotheken kann man in Altbauten unterbringen.
Insofern bitte ich Sie, nicht sofort zu sagen, daß das Quatsch ist. Wenn wir der Bevölkerung so viel Sparmaßnahmen abringen, dann bitte ich Sie, wirklich auch im eigenen Bereich sehr ernsthaft zu prüfen, ob wir nicht auch da sparen sollten. Das, denke ich, wäre ein fairer Deal zwischen dem, was wir den Menschen in Stadt und Land antun, und dem, was wir bei uns selbst machen.
Danke schön.
Das Wort hat Kollege Jürgen Koppelin, F.D.P.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt 1997 wird unter Rahmenbedingungen beraten werden, die sich von der wohnungspolitischen Situation der vergangenen Jahre deutlich unterscheiden. Die Wohnungsversorgung in ganz Deutschland ist inzwischen besser geworden. In weiten Teilen liegt sogar eine Überversorgung vor. Die Preise fallen.
- Ich sage es nur ganz kurz zu den Sozialdemokraten. Ich habe Ihnen bei Ihrer Rede ruhig zugehört. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das bei mir auch tun würden. - Die Gesetze des Marktes greifen erkennbar. Ich denke, das ist positiv und vor allem im Sinne der Freien Demokraten.
Viele Jahre war der Bau die Konjunkturlokomotive. Das war so in Ordnung und hat bei den Arbeitsplätzen auch etwas gebracht. Doch heute müssen wir feststellen, die Bauziffern fallen. Es gibt Signale für einen Einbruch im Baugeschehen.
Ziel der Baupolitik muß daher eine Verstetigung des Bauvolumens sein. Deshalb unterstützen wir unter anderem jede Initiative für preiswertes Bauen. Denn zirka 50 000 Arbeitsplätze könnten geschaffen und erhalten werden, wenn die Nachfrage nach preiswerten Häusern endlich befriedigt würde. Es muß uns gelingen, mindestens 40 000 preiswerte Eigenheime pro Jahr zu bauen. Sie, Herr Minister, haben sich kürzlich in Hamburg in diesem Sinne geäußert, und wir unterstützen Sie dabei.
- Sie kennen doch die Initiativen und die Programme. Sie brauchen nur in den Haushalt zu schauen.
Wir wollen es aber nicht, Herr Minister, bei Ankündigungen belassen. Die F.D.P. ist der Auffassung, daß jetzt endlich auch Taten folgen müssen.
Noch immer beinhaltet der Haushaltsentwurf einen beträchtlichen Betrag, der für den sozialen Wohnungsbau im ersten Förderweg vorgesehen ist.
Mittlerweile haben wohl alle, Frau Kollegin Fuchs, auch die letzten Mohikaner in Nordrhein-Westfalen, erkannt, daß der erste Förderweg nicht mehr finanzierbar ist. Es wird sich die Frage stellen, ob wir durch eine Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes die Verpflichtung zur Leistung von 150 Millionen DM pro Jahr streichen sollten.
Meine Damen und Herren, wir haben im Haushalt erhebliche Beträge für den Bau von Bundesbedienstetenwohnungen in Berlin. Die Verpflichtung hierzu wurde eingegangen, als uns die Berliner sagten, wir müßten Wohnungen mitbringen, wenn viele Bundesbedienstete von Bonn an die Spree zögen. Diese Grundsatzentscheidung müssen wir angesichts der völlig veränderten Daten, so meinen wir, überprüfen. Zum einen ist von einer deutlich geringeren Zahl von umziehenden Bundesbediensteten auszugehen, zum anderen stehen im Raum Berlin zigtausend Wohnungen leer, die sehr preiswert, oft unter dem Herstellungspreis, angeboten werden.
Ich will bei dieser Gelegenheit sagen: Ich bedaure sehr, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin oder eines seiner Kabinettsmitglieder heute nicht anwesend ist. Denn gerade bei diesem Thema wäre es interessant, vor den Haushaltsberatungen aus seiner Sicht dazu etwas zu hören, wie übrigens auch das eine oder andere zum Umzug. Er sollte sich nicht nur
Jürgen Koppelin
in Berlin und in den Zeitungen äußern sowie die Kollegin Schwaetzer als Vorgängerin von Herrn Töpfer in den Medien angreifen, sondern sollte hier präsent sein.
Wir müssen den Mut haben, zu überprüfen, ob es wirklich sinnvoll ist, zu den leerstehenden Wohnungen neue, teuer errichtete hinzuzugeben, oder ob es nicht viel preiswerter wäre, Häuser oder Wohnungen zu erwerben bzw. den umziehenden Bediensteten Zuschüsse zum Erwerb oder zur Miete zu zahlen. Darüber sollten wir in den Haushaltsberatungen noch einmal nachdenken.
Wir meinen, es könnte ein beträchtlicher Betrag eingespart werden. Wir brauchen dringend Geld; der Haushalt ist zu knapp. Wir brauchen Geld zum Beispiel - auch das ist hier angesprochen worden - für das Thema Wohngeld. Kollege Röhl, der jetzt hier sitzt, drängt uns sehr, dort als Haushaltspolitiker irgend etwas zu machen. Uns scheint der Haushaltsansatz schon deshalb zweifelhaft, weil die bereits vorliegenden Daten über den Wohngeldabfluß im ersten Halbjahr 1996 auf die Notwendigkeit hinweisen, deutlich mehr aufzuwenden, als im Haushalt für 1996 beschlossen war. Wir brauchen aber auch mehr, weil Mitte 1997 eine Wohngeldstrukturnovelle kommen soll, die wegen verschiedener Ungleichgewichte im bisherigen Wohngeldrecht dringend erforderlich erscheint.
Aber auch im Mietrecht, so meinen wir als F.D.P., müssen wir etwas machen. Wir müssen es dringend modernisieren. Ich will unsere Auffassung allerdings nur in einem Satz deutlich machen: Ein ausreichendes Angebot an guten und erschwinglichen Wohnungen ist immer noch der beste Mieterschutz.
Herr Minister Töpfer, Sie haben sicher Verständnis dafür, daß ich das leidige Thema Schürmann-Bau anspreche. Es ist bisher noch nicht angesprochen worden, außer durch Zurufe. Auch die Sozialdemokraten und die Grünen haben nicht gewagt, das Thema anzusprechen. Deswegen will ich es tun.
- Frau Kollegin Fuchs, wenn Sie etwas ruhiger wären, dann würden Sie mehr mitbekommen. Sie reden ja so viel dazwischen.
Überschriften in den Zeitungen wie „Töpfers gewagte Schürmann-Bau-Pläne" sind nur Zeichen dafür, daß in der Öffentlichkeit immer mehr danach gefragt wird, wie es mit dem Schürmann-Bau weitergehen soll. Ich denke, auch die Bürgerinnen und Bürger in der Region Bonn haben es verdient, daß endlich Klarheit geschaffen wird.
Sie haben in der letzten Zeit, Herr Minister, verkündet, die Bundesregierung halte an ihrem Beschluß vom 11. Oktober 1995 weiter fest. Wer jedoch, Herr Minister Töpfer, den Beschluß der Bundesregierung von 1995 durchliest, wird nur in einem einzigen Punkt Übereinstimmung mit dem feststellen, was jetzt verkündet wird. Der einzige Punkt nämlich ist: Die Deutsche Welle soll von Köln nach Bonn. Ob das aus finanzpolitischer Sicht in Ordnung ist, da habe ich meine Zweifel.
Aber wir wollen darüber reden.
Alles, was im letzten Jahr der Öffentlichkeit bekanntgegeben wurde, ist, Herr Minister - das muß man leider sagen -, nicht mehr aktuell.
Ich darf daher aus einer Erklärung zitieren, die Sie selber am 7. September 1995 abgegeben haben. Sie haben dort damals gesagt - ich zitiere wörtlich -:
Außerdem ist es in den Verhandlungen zum Weiterbau gelungen, eine außergerichtliche Lösung ohne Belastung des Bundes zu erreichen, die die Sanierung des Schürmann-Baus ermöglicht und den Bund von sonstigen Forderungen von baubeteiligten Firmen freistellt. Der Weiterbau wird auf Basis einer privaten Finanzierung, die den Haushalt in den nächsten Jahren nicht belastet, erfolgen. Dabei liegt die Kostenobergrenze bei 580 Millionen.
Lieber Herr Kollege Koppelin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reschke?
Ja, bitte. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön.
Herr Kollege Koppelin, wie erklären Sie sich, daß im Titel 714 01 Ziffer 7, Neubauten an der Kurt-Schumacher-Straße, für 1995 übertragene Ausgabenreste von 27,034 Millionen DM enthalten sind, im Haushalt 1996 keine Angaben gemacht werden, also keine Ausgabenreste vorhanden sind, um eventuelle Aktivitäten an der KurtSchumacher-Straße zu entwickeln, und im Haushalt 1997 ebenfalls kein Pfennig und keine müde Mark stehen. Das steht doch ein bißchen im Widerspruch zu den Äußerungen von Töpfer in den letzten Tagen, er wolle noch in diesem Jahr anfangen zu bauen.
Nun können Sie, Herr Kollege, natürlich von mir keine Erklärung erwarten.
Jürgen Koppelin
Ich hätte von Ihnen erwartet, daß Sie dem Minister vorhin diese Zwischenfrage gestellt hätten.
Ich sage auch einmal, wenn Sie als Sozialdemokraten mir weiter in Ruhe zuhören, erkennen Sie vielleicht das eine oder andere. Aber wir haben ja die Haushaltsberatungen noch vor uns.
Soweit vorhin, Herr Minister, das Zitat aus Ihrer Erklärung aus dem Jahre 1995.
Wer jetzt Ihre Presseinformation vom September liest, muß feststellen - ich sagte das schon -, daß gegenüber dem letzten Jahr alles verändert worden ist, nur nicht der Umzug der Deutschen Welle.
Zu viele Fragen bleiben offen; ich nenne einige Beispiele: Jetzt soll die Bauleistung EU-weit ausgeschrieben werden. Die Schadenersatzforderungen des Bundes sollen - immer ,,sollen" - gerichtlich geltend gemacht werden. Mit der Erarbeitung der Klageschrift soll begonnen werden. Mit der Deutschen Post AG sollen Verhandlungen aufgenommen werden. Gespräche mit dem Land Nordrhein-Westfalen sollen geführt werden. Und so weiter, und so weiter.
Herr Minister Töpfer, ich sage einmal aus Sicht der Freien Demokraten: Das ist kein Konzept, das ist nur Ankündigung.
Wir müssen Sie auch fragen: Welche finanziellen Risiken beinhaltet dieses Konzept? Sie wollen jetzt Prozesse führen. Wir müssen von Ihnen doch hören, welches Prozeßrisiko auf den Bund eventuell zukommt. Davon hat man bisher nichts gehört.
Wir haben Zweifel, daß Sie die 580-Millionen-DM-
Grenze tatsächlich einhalten werden.
Um es deutlich zu machen: Wenn uns der Schürmann-Bau monatlich tatsächlich 140 000 DM kostet, dann ist eine weitere Verzögerung nicht mehr angebracht. Dann brauchen wir klare Konzepte, klare Ergebnisse.
Herr Minister, wir sind als F.D.P. mit Ihnen zur Zusammenarbeit in der Frage des Schürmann-Baus bereit. Wir sind jedoch nicht bereit, finanzielle Risiken einzugehen, wobei wir eines Tages vielleicht feststellen, daß wir eine Kostenlawine ausgelöst haben.
Zum Schluß, Herr Minister: Ich habe hier so ein schönes Büchlein in der Hand, worin Sie mit Antworten auf Fragen vertreten sind. Wir werden bei den Berichterstattergesprächen einmal feststellen, wer das bezahlt hat; das wäre ganz interessant. - In diesem Buch wird die Frage gestellt - ich möchte zitieren -:
Betrachten Sie Ihre politischen Freunde: War deren Zahl vor der Übernahme des neuen Amtes
- dem des Ministers - größer als heute?
Ihre Antwort:
Mit den politischen Freunden ist das so eine Sache. Ich brauche für meine Arbeit Unterstützung und Mitwirkung.
Das sagen wir Freien Demokraten Ihnen gerne zu. Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe von allen hier zwar am wenigsten Redezeit, aber so viel Zeit muß sein, unserer Kollegin Eichstädt-Bohlig aus unserem Ausschuß zum heutigen Geburtstag zu gratulieren.
Nun zum Etat: Daß auch der Einzelplan des Bauministeriums für 1997 völlig unzureichend ist, haben meine Vorrednerinnen und Vorredner schon deutlich gemacht.
Kollege Großmann hat natürlich völlig recht, wenn er das Wohngelddebakel von Minister Töpfer aufs schärfste kritisiert. Aber ich muß Ihnen auch sagen: Wer mit dieser Seite des Hauses kungelt - wie es beim Mietenüberleitungsgesetz passiert ist -, in der utopischen Hoffnung, die Regierungskoalition würde sich wie ein Gentleman auch nur im geringsten an Absprachen halten, der darf sich über Wortbruch und Vertrauensbruch im nachhinein nicht beschweren.
Ich verstehe auch den Ärger der SPD, wenn die Bundesregierung heute hier so tut, als ob die Frage der Eigenheimzulage ihre Idee gewesen wäre, nachdem die SPD über zehn Jahre dafür gekämpft hat und sich in den letzten Jahren auch das Bündnis 90/ Die Grünen und die PDS dem angeschlossen haben.
- Wir sind schon sechs Jahre hier - wenn Sie das noch nicht bemerkt haben sollten. Wir werden auch noch länger hier sein - zu Ihrem Ärgernis.
Mit diesem Haushaltsplan und seinen Prioritätensetzungen zeigt die Bundesregierung, daß sie nicht gewillt ist, ernsthaft gegen den zunehmenden Mangel an bezahlbaren Wohnungen und gegen die wachsende Zahl der von Obdachlosigkeit bedrohten und betroffenen Menschen vorzugehen.
Im Finanzplan des Bundes 1996 bis 2000 heißt es - ich zitiere -:
Für den sozialen Wohnungsbau stellen Bund und Länder jährlich erhebliche Finanzmittel bereit, um das Wohnungsangebot im preisgünstigen Marktsegment für Haushalte im unteren bis mittleren Einkommensbereich zu erhöhen.
Zu schön, um wahr zu sein!
Klaus-Jürgen Warnick
Wie ist die Wirklichkeit? In den westlichen Bundesländern verlieren von 1993 bis zum Jahr 2000 mehr als ein Drittel der 2,7 Millionen Sozialwohnungen ihre Bindungen. Dieser Prozeß wird auch durch die wenigen neuen Sozialwohnungen nicht abgefangen. In den östlichen Bundesländern gibt es überhaupt keinen nennenswerten Sozialwohnungsbestand. Statt dessen bekommt die Mehrheit der ostdeutschen Mieterinnen und Mieter im Oktober die nächste Mieterhöhungserklärung ins Haus.
Einerseits sind nicht wohnungspolitische, sondern fiskalische Gesichtspunkte für diesen Haushaltsplan ausschlaggebend. Andererseits werden den Reichen in dieser Gesellschaft weiterhin großzügige Steuergeschenke für Kauf und Spekulation mit Immobilien zur Mehrung ihres Vermögens gewährt. Auch der Boom bei den Bausparkassen seit Verabschiedung des Eigenheimzulagengesetzes ist kein Grund, sich als Bau- und Wohnungsminister satt und zufrieden zurückzulehnen.
Herr Töpfer, ich fordere Sie auf, um eine spürbare Erhöhung der Mittel für die Schaffung und den Erhalt bezahlbarer Wohnungen sowie für Wohngeld, was den Namen auch wirklich verdient, zu kämpfen, statt weiterhin einer gescheiterten sozial und ökologisch verantwortungslosen Eigentumsideologie hinterherzulaufen. Statt mit weiteren Millionen die Zwangsprivatisierung von kommunalen genossenschaftlichen Wohnungen in Ostdeutschland voranzutreiben, sollten Sie dieses Geld für ein zusätzliches Programm zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit einsetzen. Die zur Zeit eingeplanten 10 Millionen DM sind wohl eher eine Schande. Sie reichen jedenfalls nicht aus, um wirkliche Fortschritte beim Abbau der vorhandenen Obdachlosigkeit zu erreichen.
Auch eine Reihe von Haushaltspositionen im Bereich der Baumaßnahmen, der Wohnungsfürsorge für Bundesbedienstete und der Umzugskosten BonnBerlin sind kritisch zu hinterfragen.
Aus der Sicht der Partei des Demokratischen Sozialismus sind folgende Dinge notwendig:
Erstens. Eine deutliche Anhebung und Verstetigung der Mittel für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus in Ost und West auf mindestens 5 Milliarden DM.
- Für das erste würde es reichen. - Notwendig ist die verstärkte Förderung des genossenschaftlichen sowie des dem Prinzip der Gemeinnützigkeit verpflichteten Wohnungsbaus und der Programme zur Leerstandsbeseitigung, zur Städtebauförderung, sowie zur Sanierung und Modernisierung des Wohnungsbestandes. Die erforderlichen Mittel können durch radikalen Abbau ungerechtfertigter Eigentumsförderung kompensiert werden.
Zweitens. Eine Korrektur des Altschuldenhilfegesetzes im Interesse der Mieter.
Drittens. Die Erhöhung des Wohngeldes in Ost und West zum 1. Januar 1997, vor allem für die Haushalte mit niedrigem Einkommen. Ein entsprechender
Vorschlag liegt Ihnen seit heute mit dem PDS-Entwurf für ein Wohngeldüberleitungsgesetz vor.
Viertens. Eine spürbare Reduzierung der Kosten für Gutachten, Wettbewerbe und Hochbaumaßnahmen in Berlin.
Überfällig ist auch, durch eine veränderte Aufgabenstellung die Mittel für den ehemaligen Palast der Republik in Berlin nicht für den Abriß, sondern für die Asbestsanierung mit dem Ziel der zügigen Inbetriebnahme als Kultur- und Bildungszentrum einzuplanen.
Auch dieser Einzelplan ist nicht alternativlos und unveränderbar. Den vorliegenden Vorschlägen der Koalition können und werden wir nicht zustimmen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dieter Maaß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diesem Haushaltsentwurf 1997 liegt eine Politik zugrunde, die dazu führt, unsere Sozialstaatlichkeit zu beschädigen. Ich will Ihnen dafür, bezogen auf den Einzelplan 25, einige Beispiele nennen.
Sieht man sich die Titelgruppen im Kapitel 25 02 genauer an, so ist festzustellen: Auch 1997 erfolgt eine Mittelrücknahme im sozialen Wohnungsbau. Alle Darstellungen der Bundesregierung über die Fertigungszahlen neuer Wohnungen täuschen nicht darüber hinweg, daß es an bezahlbarem Wohnraum für untere Einkommensbezieher mangelt.
Allein die Baugenehmigungen für Mehrfamilienhäuser gingen im ersten Halbjahr 1996 um ein Viertel gegenüber dem Vergleichszeitraum 1995 zurück. Die Zahl der Menschen, die unzureichend mit Wohnraum versorgt sind, nimmt zu. Sie, meine Damen und Herren aus den Koalitionsfraktionen, tragen dafür die Verantwortung. Sie machen durch Ihre unsoziale Kürzungspolitik den sozialen Wohnungsbau zu einem Abbruchunternehmen.
Da nützen Ihnen auch keine Ablenkungsmanöver wie die Einführung einer einkommensorientierten Förderung im sozialen Wohnungsbau. Sie wollen den Bürgerinnen und Bürgern nämlich weismachen, mit weniger Bundesförderung könne gleichviel preiswerter Wohnraum geschaffen werden. Den Beweis dafür sind Sie allerdings schuldig geblieben, denn diese Förderungsart ist in keiner Weise hinreichend erprobt.
Der Haushalt 1997 weist Kürzungen für den sozialen Wohnungsbau von 200 Millionen DM aus. Gegenüber dem laufenden Jahr bedeutet dies einen weiteren Rückgang um 10 Prozent.
Aber es kommt noch schlimmer: Dem Bergarbeiterwohnungsbau graben Sie das Wasser ab. Denn
Dieter Maaß
die Rückflußmittel aus dem Bundestreuhandvermögen sollen in Zukunft angeblich dem allgemeinen sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden.
Ein Blick in den Haushalt 1997 beweist jedoch, daß dies keineswegs zutrifft. Tatsache ist vielmehr, daß die 250 Millionen DM aus dem Treuhandvermögen über die bereits dargestellten Kürzungen hinaus dem Wohnungsbau entzogen werden. Der Termin 1. Januar 1997 für das Inkrafttreten der notwendigen Gesetzesänderung wird ganz und gar nicht zu halten sein. Es ist ein übler Taschenspielertrick, wenn der Bauminister und seine Staatssekretäre glauben machen wollen, die Mittel des Bergarbeiterwohnungsbaus sollten zusätzlich dem allgemeinen Wohnungsmarkt zur Verfügung gestellt werden. Mit dieser Taktik wollen sie davon ablenken, wie drastisch sie die Investitionen in den sozialen Wohnungsbau tatsächlich zusammenstreichen. In Wahrheit kürzen sie die Mittel für den sozialen Wohnungsbau 1997 um 450 Millionen DM.
Wenn die Bundesregierung ihre Pläne verwirklichen sollte, auf diese Weise bis zum Jahre 2000 dem sozialen Wohnungsbau 850 Millionen DM zuzuführen, dann wird dies mit einem Komplettverlust des Treuhandvermögens in Höhe von 3,5 Milliarden DM erkauft. So, Herr Minister, vernichten Sie eine gute, lange Tradition des Arbeiterwohnungsbaus.
Das Bergarbeiter-Treuhandvermögen ist in vielen Städten der Kohlereviere zu einem zentralen Instrument erhaltender städtebaulicher Erneuerung geworden. Herr Minister Töpfer hat anläßlich der Habitat-II-Konferenz die Bundesrepublik als Musterland für die erhaltende Stadterneuerung herausgestellt. Mit der Umlenkung des Vermögens macht Herr Töpfer genau das Gegenteil und straft damit seine eigenen schönen Reden Lügen.
Wie rücksichtslos die Bundesregierung dabei mit den betroffenen Ländern umgeht - Achim Großmann hat darauf hingewiesen -, zeigt deutlich, wie wenig es Ihnen um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in dieser Frage geht.
Die Bundesregierung begeht mit der Zweckentfremdung bzw. Auflösung des Bundestreuhandvermögens einen glatten Vertrauensbruch gegenüber den Bergleuten und ihren Familien.
Wir Sozialdemokraten werden alles tun, um die Interessen dieser Betroffenen zu schützen.
Ein weiterer Schwerpunkt unserer kritischen Bemerkungen zum vorliegenden Einzelplan ist die Städtebauförderung. Das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat im Mai dieses Jahres ein Forschungsergebnis vorgelegt, daß die Effektivität der Städtebauförderungsmittel nachdrücklich belegt. Darin heißt es:
Die Städtebaufördermittel des Bundes und der Länder haben öffentliche, staatliche, kommunale und private Bauinvestitionen in 7,9facher Höhe ausgelöst, das heißt, 1 DM staatliche und kommunale Städtebauförderungsmittel haben rund 8 DM private Investitionen bewirkt.
Welche Art von Subventionen, frage ich, hat je eine solche Wirksamkeit erzielt?
Wir Sozialdemokraten haben im Sommer dieses Jahres unmittelbar auf dieses Gutachten reagiert und einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der eine kontinuierliche Erhöhung der Städtebaumittel auf 1 Milliarde DM vorsieht. Es ist erfreulich festzustellen, daß dieser Antrag offensichtlich dazu geführt hat, daß die Städtebauförderungsmittel nicht noch weiter abgeschmolzen werden, wie dies von einigen Finanzpolitikern der Union gerne gesehen worden wäre. Weit weniger erfreulich ist es, daß Sie keinerlei Anstrengungen unternehmen, dieses erstklassige Mittel zur Auslösung privater Investitionen, zur Ankurbelung des Arbeitsmarktes und zur Sicherung preiswerter Wohnungsbestände finanziell besser auszustatten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Braun?
Ja, Herr Braun ist schon ganz unruhig. Bitte.
Bitte schön.
Ich kann gar nicht feststellen, daß ich ganz unruhig sei. Ich habe mich schlicht erhoben.
Herr Kollege Maaß, Sie wollen 400 Millionen DM mehr für die Städtebauförderung. Die hätten wir alle gerne. Würden Sie uns freundlicherweise mitteilen, welchen Gegenfinanzierungsvorschlag Sie hierfür haben? Wir haben vorhin von Herrn Großmann einen besonders lichtvollen Vorschlag bekommen, nämlich bei der Wohneigentumsförderung kräftig zu sparen. Wohlgemerkt, das Wohneigentumsförderungsgesetz wurde unter ganz erheblicher Mitwirkung von Herrn Großmann und mit Zustimmung der SPD-Fraktion verabschiedet. Haben Sie einen ähnlichen Vorschlag, wie Sie vielleicht zu Lasten der Posten, die die SPD ausdrücklich gefordert oder mitbeschlossen hat, hier die Gegenfinanzierung zustande bringen wollen?
Ich habe es ja gesagt, Herr Braun: Wären Sie doch ruhiger geblieben! Denn
Dieter Maaß
in meinen weiteren Ausführungen - ich war mit der Städtebauförderung ja noch nicht fertig - hätte ich Ihnen das genau erklärt.
Ich sage Ihnen jetzt ein Wort zur Finanzierung: In der steuerlichen Förderung des Mietwohnungsbaus steckt eine ganze Menge an Finanzmitteln. Die jetzt angewandte steuerliche Förderung nach dem Prinzip „hohe Kosten, hohe Steuervorteile" subventioniert den Bau von unbezahlbarem Wohnraum. Damit fördern Sie Leerstände. Glauben Sie uns: Wenn Sie in diesem Bereich zielgenauer fördern, haben Sie mehr Mittel für den Städtebau zur Verfügung.
Hätten Sie unsere Vorschläge dazu frühzeitig aufgenommen, wären einige Wohngebiete in unseren Städten in einem besseren baulichen Zustand mit weniger sozialen Problemen.
Eine Städtebauförderung in Höhe von zukünftig 1 Milliarde DM - nicht 1997, sondern langsam anwachsend - sichert ein Bauvolumen von 8 Milliarden DM. Dies sichert Arbeitsplätze für 100 000 Beschäftigte im Baugewerbe und in den sekundären Funktionsbereichen, wie das DIW in einer seiner eben erwähnten Studien feststellt. Allein dieser arbeitsmarktpolitische Effekt in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit macht eine Erhöhung der Städtebauförderung dringend erforderlich. Wir werden dazu in den Ausschußberatungen den entsprechenden Antrag stellen und fordern Sie schon heute auf: Stimmen Sie zu!
Eine letzte Anmerkung: Rechtzeitig zu diesen Haushaltsberatungen erreichte uns zum wiederholten Male die Meldung: Der Schürmann-Bau wird fertiggestellt. Offen gestanden, ich glaube nicht so recht daran. Das Projekt soll neu ausgeschrieben werden, und zwar europaweit. Die Kosten für die Fertigstellung, die sich einmal auf 580 Millionen DM belaufen sollten, sollen jetzt in einer Höhe von nur 480 Millionen DM anfallen, obwohl das Finanzministerium ein Gutachten vorlegte, das zirka 800 Millionen DM an Kosten veranschlagte.
Wir fragen uns: Wie geht solches? Vielleicht kann uns das einmal einer erklären. Wir fragen weiter: Nach welchen Planungen wird der Weiterbau des Schürmann-Baus betrieben? Wann wird der Baubeginn sein? Wie und zu welchen Kosten wird die Baustelle winterfest gemacht? Sind die Finanzmittel überhaupt in den Haushalt eingestellt? Wird die Deutsche Welle tatsächlich Mieter des Gebäudes? Und so weiter. Wir sind gespannt auf die Antworten.
Nach allem, was sich die Bundesregierung an Planungschaos und Verschwendung von Steuergeldern im Zusammenhang mit dem Gebäude an der KurtSchumacher-Straße geleistet hat, wäre es zu wünschen, daß der Schürmann-Bau fertiggestellt und einer wirtschaftlichen Nutzung zugeführt wird.
Danke schön.
Das ist natürlich ein frommer Wunsch, dem wirklich das ganze Haus zustimmen kann.
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau liegen nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation. Das ist der Einzelplan 13.
Ich erteile dem Bundesminister Dr. Bötsch das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wohl ein einmaliger Vorgang, daß ein Bundesminister bei der Haushaltsrede für seinen Einzelplan feststellen kann, muß oder darf, es werde der letzte Haushalt für sein Ressort sein. Sicher hat es auch in der Vergangenheit Auflösungen und Zusammenlegungen von Bundesministerien gegeben, aber nie wurde dies so lange vorher geplant. Und wenn Sie die heutigen Tageszeitungen lesen, dann werden Sie feststellen, daß wohl noch nie ein Erblasser so viele Nachlaßverwalter hatte, wie dies jedenfalls im Augenblick den Anschein hat.
- Das ist mir völlig klar. Ich bedanke mich für das Mitgefühl, aber Sie sehen mich guter Laune.
Die Auflösung des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation als eines eigenständigen Ressorts ergibt sich für mich aus sachlicher Notwendigkeit. Es ist die logische Konsequenz unserer Privatisierungs- und Liberalisierungspolitik im Post- und Telekommunikationsbereich. Einzelinteressen, mögen sie subjektiv noch so begründbar sein, müssen in diesem Falle den Interessen der Gesamtheit untergeordnet werden. Dafür habe ich Verständnis.
Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen an dieser Stelle meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken, die nicht gezögert haben, an der Gesetzgebung zur Liberalisierung der Post- und Telekommunikationsmärkte aktiv und engagiert mitzuwirken - dies, obwohl sie wußten, daß die Privatisierung und Liberalisierung im Post- und Telekommunikationsbereich ihre eigene berufliche Zukunft mit manchen Fragezeichen versehen werden. Ich glaube, die Leistungen, die die Mitarbeiter in meinem Hause in den letzten Jahren erbracht haben und jetzt und im nächsten Jahr noch zu erbringen haben, gebieten es, sie in einem geordneten Verfahren in
Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch
die künftig zuständigen Bundesministerien und in die neu zu errichtende Regulierungsbehörde überzuleiten.
Meine Damen und Herren, ich möchte mit meinem heutigen Beitrag auch einer gelegentlich in der Öffentlichkeit zu hörenden oder auch zu lesenden Annahme widersprechen, nach der das Bundesministerium für Post und Telekommunikation nach der Postreform II eigentlich keine Aufgaben mehr habe. Dies habe ich schon zu Beginn des Jahres in dem Zusammenhang „Wunderbarer Job - der Postminister ist hochbezahlt und hat nichts zu tun" gelesen. Den Kameraden hätte ich gerne einmal eingeladen, das Programm mit mir 14 Tage lang, von morgens früh bis in die Nacht, durchzumachen. Er wäre wahrscheinlich schnell außer Atem geraten; denn das Gegenteil ist der Fall: Die Fülle der Aufgaben ist so groß, daß auch unser Kollege aus Bayern im ersten halben Jahr aus dem Postausschuß überhaupt nicht mehr herausgekommen ist; jetzt lacht er fröhlich. Wir haben jedenfalls bis zur Auflösung noch alle Hände voll zu tun.
Auf einige der vor uns liegenden Aufgaben möchte ich besonders eingehen. Am 18. November 1996 wird die Deutsche Telekom AG an die Börse gehen. Dabei handelt es sich um die größte Privatisierung, die Deutschland, ja, ganz Europa bisher gesehen hat. Die Vorbereitungen dafür laufen auf Hochtouren.
Der Börsengang der Deutschen Telekom ist nicht nur für den Finanzplatz Deutschland von höchster Bedeutung. Von ihr geht ein Signal aus, das auf den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland ausstrahlt.
Das wichtigste gesetzgeberische Vorhaben, das wir noch bewältigen müssen, stellt das neue Postgesetz dar. Das jetzt gültige Postgesetz ist bis fast zum Ende der Legislaturperiode, zum 31. Dezember 1997, befristet worden; es ist also ein Zeitgesetz. Wir müssen nun die gesetzlichen Rahmenbedingungen festlegen, die nach diesem Termin im Postsektor gelten sollen.
Einen Entwurf des Postgesetzes habe ich bereits der Öffentlichkeit vorgestellt. In der letzten Woche fand im Postministerium eine Anhörung zu diesem Gesetzentwurf statt. Mir hat diese Anhörung gezeigt, daß unsere Vorstellungen im großen und ganzen sehr positiv aufgenommen werden. Daß es hier wie beim Telekommunikationsgesetz wiederum unterschiedliche Auffassungen zwischen dem bisherigen Monopolisten und den potentiellen zukünftigen Wettbewerbern gibt, halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Das muß man werten und gewichten.
Der Entwurf sieht bereits zum 1. Januar 1998 Marktöffnungen im Postsektor vor. Eine endgültige Liberalisierung des Bereichs soll aber erst zum 1. Januar 2003 erfolgen. Bis zu diesem Datum soll die Deutsche Post AG eine Exklusivlizenz für einen Kernbereich des Briefdienstes erhalten. Darüber wird es noch Diskussionen geben. Darüber müssen wir uns unterhalten. Ich halte dies aber zur Sicherung der Existenz der Post AG für unumgänglich.
Die Verabschiedung des Postgesetzes durch Bundestag und Bundesrat - das Gesetz ist, ebenso wie das Telekommunikationsgesetz es war, zustimmungsbedürftig - sollte nach meinen Vorstellungen spätestens bis zur Sommerpause 1997 erfolgen.
Unsere Liberalisierungspolitik in Deutschland muß aber auch von einer Liberalisierungspolitik in Europa begleitet werden. Ich möchte daher gegenüber der Europäischen Kommission und dem Ministerrat darauf dringen, daß auch die anderen EU-Länder ihre Postmärkte zeitgerecht liberalisieren. Ich bin für Wettbewerb - aber der Wettbewerb muß fair sein. Dazu gehört auch, daß die Deutsche Post AG in anderen europäischen Ländern die gleichen Chancen eingeräumt bekommt wie umgekehrt ausländische Postunternehmen in Deutschland.
Meine Damen und Herren, auch im Telekommunikationsbereich stehen noch einige Aufgaben an, die noch vor der Marktöffnung am 1. Januar 1998 bewältigt werden müssen. Erst am letzten Montag hat das Bundeskabinett drei von mir eingebrachte Rechtsverordnungen, nämlich die Universaldienstleistungs-, die Netzzugangs- und die Entgeltregulierungsverordnung, verabschiedet. Zwei der Verordnungen, die Universaldienstleistungsverordnung und die Netzzugangsverordnung, bedürfen vor ihrem Inkrafttreten noch der Zustimmung durch den Bundesrat. Insofern bin ich etwas erstaunt, wenn ich höre, daß das Land Nordrhein-Westfalen morgen in dem zuständigen Bundesratsausschuß die Absetzung dieser Verordnungen beantragen will. Es soll mir nur niemand mehr kommen und sagen: Es wird nicht zügig genug gearbeitet. - Ich ziehe mir diesen Schuh jedenfalls nicht an,
egal von wem der Vorwurf kommt: ob von der Telekom oder von Mitbewerbern, die vor der Verabschiedung im Bundesrat jahre- und monatelang gedrängt haben. Warum man das tut, müssen diejenigen beantworten, die solche Anträge stellen.
Alle Verordnungen sind darauf ausgerichtet, auf dem deutschen Telekommunikationsmarkt zugunsten der Verbraucher einen funktionsfähigen und chancengleichen Wettbewerb entstehen zu lassen, und zwar in dem Rahmen, den das Telekommunikationsgesetz vorsieht. Ich sage das auch im Hinblick auf die Diskussion, die während der Sommerpause - mehr am Telefon als in der Öffentlichkeit - geführt wurde. Eine Verordnung kann nur so gestaltet werden, wie es der nach Zweck, Ausmaß und Inhalt bestimmten Ermächtigungsnorm im Gesetz entspricht. Das lernt man spätestens im dritten Semester des juristischen Studiums. Manche Äußerungen, die ich gelesen habe, nämlich die Verordnung müsse das ändern, die Verordnung müsse das ergänzen, die Verordnung müsse das Gesetz anders gestalten, sind Blödsinn. Dies wurde von Leuten vorgebracht, die irgendwo tätig sind und während der Sommerpause Pressemitteilungen veröffentlicht haben. Ich meine jetzt nicht die Politik, sondern eher Interessenten.
Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch
- Frau Kollegin Fuchs, Sie, die Kollegen Bury und Rübenkönig und ausnahmsweise auch die anderen sind im Moment nicht gemeint. - Nein, das ist so; da kann man die Verordnung daran messen. Wir haben sie natürlich am Gesetz ausgerichtet.
Anschließend gilt es dann, Lizenzen für den Bereich der Telekommunikationsinfrastruktur -30 Anträge liegen bereits vor - und ab Frühjahr nächsten Jahres auch bereits Lizenzen für den Telefondienst, die ab 1. Januar 1998 in Kraft treten, zu vergeben. Wenn dann im Herbst nach der Verabschiedung des Postgesetzes auch noch einige Lizenzen für den Postbereich vergeben werden können - mit Wirkung ab 1. Januar 1998 -, dann ist der Zeitpunkt gekommen, daß man die Aufgaben in andere Ministerien bzw. in die Regulierungsbehörde überführen kann.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Nun spricht der Abgeordnete Hans Martin Bury.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während Regierungskoalition und SPD gemeinsam ein ganz ordentliches Telekommunikationsgesetz erarbeitet und verabschiedet haben, sieht die Bilanz der Postpolitik dieser Bundesregierung nicht gut aus: weniger Beschäftigte, schlechterer Service, aber höhere Preise. So stellt sich für viele Kunden die Post dar. Postchef Klaus Zumwinkel setzt offenbar nicht nur auf „lean production", sondern auch auf „lean service". Es ist gleichermaßen symptomatisch und alarmierend, wenn sein Vorstandskollege Dieter Seegers-Krückeberg in der Bilanzpressekonferenz der Post AG vor zwei Wochen erklärt: „Wir haben uns für Technik und gegen Mitarbeiter entschieden."
Diese Aussage ist symptomatisch angesichts hoher Lohnnebenkosten; ein Problem, das die Regierungskoalition mit ihrer falschen und unehrlichen Finanzierung des deutschen Einigungsprozesses massiv verschärft hat; ein Problem, für das die SPD konkrete Lösungsvorschläge präsentiert, die von Ihnen noch immer ignoriert oder bekämpft werden. Sie tragen damit erhebliche Mitverantwortung für den Personalabbau in Deutschland, bei der Post und anderswo.
Doch die Strategie des Postvorstandes ist auch alarmierend, weil die Post Gefahr läuft, ihre traditionellen Stärken zu verspielen. Warum setzt sie nicht auf das hohe Ansehen der Briefträgerinnen und Briefträger? Warum verkennt die Post die Chancen ihres flächendeckenden Filialnetzes, der einzigartigen Nähe zum Kunden? Es ist doch bezeichnend, wie Bürgerinnen und Bürger allerorten um den Erhalt ihrer Postfiliale kämpfen. Doch die Chancen werden leichtfertig verspielt. Die Post baut nicht auf ihre Stärken auf, sie baut ab.
Das entspricht der Politik dieser Bundesregierung, steht aber nicht im Einklang mit dem grundgesetzlichen Infrastrukturauftrag. Den hat allerdings der Bund, der nach dem Grundgesetz verpflichtet ist, dafür zu sorgen, daß flächendeckend angemessene und ausreichende Postdienstleistungen zur Verfügung stehen.
Nun räume ich ein, Herr Bötsch, daß es als Bundesminister k.w. nicht leicht ist, die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Aber es wäre nicht nur den Versuch wert, sondern Ihre Aufgabe. Statt dessen haben Sie Ihr Versprechen gebrochen, eine fünfstellige Zahl posteigener Filialen in Deutschland dauerhaft zu sichern. Sie haben gestern im Regulierungsrat erstmals offiziell eingeräumt, Ihre Zusage, die Sie seit 1993 immer wieder gegeben haben, nicht mehr einzuhalten; eine Zusage, auf die sich Arbeitnehmer und Kommunalpolitiker verlassen haben. Aber wer sich auf diese Bundesregierung verläßt, ist halt verlassen.
Der Bruch Ihres Versprechens wirft kein gutes Licht auf die Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit Ihrer Politik. Man könnte meinen, daß Bundespostminister und Post AG nicht nur im selben Gebäude untergebracht sind, sondern daß sich das Bundespostministerium zunehmend als Filiale der Post AG versteht. Ihr Schicksal ist entsprechend. Auch das Ministerium wird wie viele Postfilialen demnächst aufgelöst und als Postagentur im Bundeswirtschaftsministerium weitergeführt -
wahrscheinlich wegen der von Rexrodt propagierten längeren Öffnungszeiten.
Auch der Kooperationsvertrag zwischen Post und Postbank - eine entscheidende Voraussetzung für die Sicherung des Filialnetzes, auf die mein Kollege Eike Hovermann noch ausführlich zu sprechen kommen wird - ist noch immer nicht neu abgeschlossen. Seit eineinhalb Jahren behaupten Sie, sich das nicht mehr länger anzusehen und jetzt kräftig auf den Tisch zu hauen. Der Postminister haut auf den Tisch, und der Postchef haut sich vor Lachen auf die Schenkel. So sieht es aus.
Der Regulierungsrat hat den Bundespostminister am Montag einstimmig aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, daß eine neue Schaltervereinbarung abgeschlossen und umgehend ein Postfilialkonzept vorgelegt wird. Im Beschluß des Regulierungsrates wird weiter gefordert, daß bis zur Entscheidung über das zugesagte Filialkonzept keine ersatzlosen Schließungen von Postfilialen stattfinden dürfen. Ich erwarte, daß sich der Postminister an diesen Beschluß des Regulierungsrates hält.
Die F.D.P., die mit dem Thema Post und Postbank nur die Farben Gelb und Blau verbindet, hat in der Koalition wieder einmal ein unsinniges Kompromiß-
Hans Martin Bury
modell durchgesetzt: eine Beteiligung der Post an der Postbank in Höhe von exakt 25 Prozent. Also typisch F.D.P.: nichts Halbes und nichts Ganzes.
- Das ist glücklicherweise richtig, Herr Kollege Stadler. Es sollte auch nie typisch werden.
Die Bankenlobby jedenfalls freut sich. Doch der Infrastrukturauftrag bleibt außen vor. Die Koalition, die von einem Haushaltsloch zum anderen stolpert - wobei man auf großem Fuße leben muß, wenn man bei diesen Haushaltslöchern nur stolpert und nicht hineinfällt -, hat nur den Veräußerungserlös der Postbank im Blick, aber nicht die Sicherung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung.
Entlarvend ist der Satz in Ihren Eckpunkten für die Privatisierung der Postbank: „Zur Kostenreduzierung werden unwirtschaftliche Filialen der Deutschen Post AG abgebaut und/oder in Postagenturen umgewandelt.
Der Verfassungsauftrag lautet nicht: Der Bund sichert die Versorgung der Bevölkerung mit Postdienstleistungen, wo das wirtschaftlich ist. Demnächst werden Sie findigerweise feststellen, daß die Zustellung eines Briefes in ländlichen Gebieten mit Kosten von rund 2 DM belastet ist - angesichts eines Portos von einer Mark glatt „unwirtschaftlich". Wollen Sie die Briefzustellung dann auf Ballungsräume konzentrieren
oder auf dem Land massiv die Portopreise erhöhen? Sie bleiben die Antworten schuldig.
Einer aus Ihren Reihen, der Sprecher der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion für Post und Telekommunikation, verfolgt diese Debatte nicht einmal hier im Plenum, sondern von der Zuschauertribüne des Hauses - offensichtlich aus Protest gegen diese verfehlte Politik der Bundesregierung und seiner Koalition.
Ich darf den Kollegen Müller, der heute offenbar selber nicht zu Wort kommt, deshalb zitieren. Er sagte wörtlich:
Ein Beteiligungskonzept, das der Deutschen Post AG eine Beteiligung an der Deutschen Postbank AG erst 1999 ermöglichen soll, erscheint kaum geeignet, einen Beitrag zur Lösung der aktuellen Probleme der flächendeckenden Infrastruktursicherung mit einer ausreichenden Anzahl von Postfilialen zu leisten.
Schade, daß die vernünftigen Leute bei Ihnen heute nicht zu Wort kommen!
Auf europäischer Ebene versuchen Sie, Herr Bötsch, recht trickreich, die Anforderungen an den sogenannten Universaldienst aufzuweichen und runterzuzonen. Denn bisher ist Ihr Postgesetzentwurf, dessen Einbringung sich seit Monaten immer weiter verzögert, nicht einmal EU-konform - geschweige denn eine verläßliche Grundlage für ein hochwertiges, preisgünstiges Angebot von Postdienstleistungen in ganz Deutschland. Ihre Pläne bergen zudem die Gefahr einer weiten Ausbreitung ungeschützter Arbeitsverhältnisse mit allen Nachteilen für die betroffenen Menschen und mit weiteren massiven Belastungen für die öffentlichen Haushalte. Ihre Liberalisierungspolitik läuft nach dem Motto „Kosten und Risiken werden sozialisiert, Gewinne privatisiert". Das entspricht nicht dem Leitbild einer Sozialen Marktwirtschaft.
Die SPD hat ihre Konzepte für ein neues Postgesetz vorgelegt und im Bundestag eingebracht, Herr Kollege. Da Sie Ihre Vorschläge bisher nicht eingebracht haben, sollten Sie die Zeit nutzen, sie gründlich zu überarbeiten.
Danach lassen Sie uns hier darüber streiten.
Unser gemeinsames Telekommunikationsgesetz, das der Vorsitzende des Postausschusses, unser Kollege Arne Börnsen, kürzlich in den USA vorstellte, wurde dort mit der Bemerkung aufgenommen, der U.S. Congress hätte sich ein Beispiel am Deutschen Bundestag nehmen sollen, was - und deshalb erwähne ich diese Geschichte überhaupt - interessanterweise unseren grünen Kollegen dazu veranlaßte, in den USA fortan zu erklären, er sei mit den Grundzügen des Gesetzes schon immer einig gewesen und habe es nur wegen einiger unbedeutender Punkte abgelehnt.
Um so interessanter war es dann, lieber Manuel Kiper, parallel dazu in einem deutschen Nachrichtenmagazin zu lesen, daß gleichzeitig in Deutschland erklärt wurde, das TKG sei grundsätzlich abzulehnen. Soviel zum Politikstil der Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem ich Sie jetzt alle kritisiert habe, freue ich mich auf die weitere Debatte heute und natürlich später zum Postgesetz. Denn unser Ausschuß hat die von mir in vielen anderen Politikbereichen oft schmerzlich vermißte Eigenschaft, sehr konstruktiv zu streiten und die Argumente der Kontrahenten aufzunehmen.
In diesem Sinne, vielen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Freiherr von Hammerstein das Wort.
Von verschiedenen Seiten bestehen die unterschiedlichsten Erwartungen, in welcher Form und mit welchen Zielen Einfluß auf die weitere Entwicklung zu nehmen ist. Einigkeit dürfte weitgehend darin bestehen, daß es mit einem schlichten Sich-Zurückziehen des Staates aus diesem Wirtschaftssektor nicht getan ist. Angesichts der sehr vielen Aufgaben stellt sich die Frage nach der künftigen Regulierungsbehörde. Ich meine, bevor wir uns auf die Anzahl der dort zu beschäftigenden Kräfte verständigen, sollten wir uns über die Sachaufgaben klar werden, die in dieser Regulierungsbehörde zu lösen sein werden.
Die Regierungskoalition hat nie Zweifel daran gelassen, daß sie eine Regulierung der Märkte in den Sektoren Post und Telekommunikation für notwendig hält. Im derzeitigen Ministerium sind Fachleute beschäftigt, die für die unterschiedlichen Detailaufgaben der künftigen Regulierungsbehörde die notwendigen Fähigkeiten und Vorkenntnisse mitbringen. Wir sind gut beraten, wenn wir uns die Kompetenz dieser Leute, die bereits vorhanden ist, zunutze machen. Das Ministerium muß arbeitsfähig bleiben, so lange zumindest, bis alle Verordnungen und Gesetze ordnungsgemäß verabschiedet sind.
Ich weiß, daß der Minister mit seinen Fachleuten und auch eine Reihe von Bundestagsabgeordneten einige Länder besuchten, die schon seit längerem eine Regulierungsbehörde haben. Es ist gut so, daß man diese Länder besucht, um Erfahrungen zu sammeln und um zu sehen, wie dort, wo Post und Telekom schon lange privatisiert sind, diese vom jeweiligen Land reguliert werden. Dabei haben wir immer wieder festgestellt, daß die Regulierungsbehörden in diesen Ländern auch internationale Aufgaben und Kontakte wahrzunehmen haben. So ist zum Beispiel in den USA, wo es mehrere konkurrierende Institute dieser Art gibt, die Federal Communications Commission mit einem internationalen Büro zu einer eigenen Abteilung herangewachsen. In diesen Büros in der ganzen Welt wird internationale Politik gemacht. Deshalb sollte auch bei der deutschen Regulierungsbehörde eine größere Gruppierung mit diesen Aufgaben betraut werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, daß wir in diesem Wirtschaftssektor nicht nur auf Grund technischer Entwicklungen ständig
Neuland betreten. Auch das, was sich an ökonomischen und ordnungspolitischen Fragen um die Privatisierung und Liberalisierung bei Post und Telekommunikation rankt, ist jedenfalls von der Größenordnung her in Deutschland bisher beispiellos. Unter diesen Umständen kann ich nur davor warnen, die vielfältigen Aspekte. unter denen Regulierungsaufgaben wahrzunehmen sein werden, in zu viele, voneinander unabhängige Zuständigkeiten zu zersplittern.
Auch andere Dienstleistungszweige werden bei uns nicht einfach sich selbst überlassen. Ich nenne hier als Beispiele das Kreditwesen, den Gesundheitssektor oder auch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen. In diesen Fällen steht die Notwendigkeit von Regulierungsmaßnahmen außerhalb jeder Diskussion. Im Bereich von Post und Telekommunikation ist die Mißbrauchsaufsicht eine wichtige Stoßrichtung regulierender Vorgaben und Nachsteuerung. Auch langfristig werden der Anspruch von Marktteilnehmern und die Zusammenschaltungen zu sichern sein. Deswegen ist es sehr wichtig, daß wir diese Regulierungsbehörde bekommen, wenn am 31. Dezember 1997 die Tore des Postministeriums geschlossen werden.
Ich halte es auch ordnungspolitisch für wichtig, daß diese Behörde in Zukunft dem Wirtschaftsministerium angegliedert wird. All diese Aufgaben werden heute noch im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation wahrgenommen. Um ein praktisches Beispiel dafür zu nennen: Die Verlegung von Kabeln für Telekommunikationszwecke war bislang nur mit den Belangen der für die öffentlichen Verkehrswege zuständigen Behörden und der Versorgungsunternehmen in den Bereichen Energie und Wasser abzustimmen. Künftig sind auch Fälle denkbar, in denen sich verschiedene deutsche und auch internationale Telekommunikationsunternehmen nebeneinander „eingraben" wollen. Da wird es viel Abstimmungsbedarf geben, und wo kein Kabel verlegt wird, wird es zu einer verstärkten Nachfrage nach Frequenzen kommen. Auch hier kann kein ungeregelter Zustand hingenommen werden. Denn Frequenzen sind kein nachwachsender Rohstoff.
Trotz aller unterschiedlichen Zielrichtungen der aufgezeichneten Einzelaufgaben stehen diese in einem über Jahrzehnte gewachsenen inneren Zusammenhang. Es wäre deshalb ratsam, das Potential an Wissen, an Problembewußtsein für die Schwierigkeiten der Postreform, das sich bei den Beschäftigten im Bundesministerium für Post und Telekommunikation angesammelt hat, zusammenzuhalten. Auch wenn weiterhin Einigkeit besteht, daß der größte Teil dieser Tätigkeit künftig nicht mehr mit der Organisationsform eines Ministeriums ausgeübt werden muß, so kann das keineswegs heißen, daß diese Aufgaben jetzt einfach entfallen können.
Nun muß der Blick darauf gerichtet werden, daß die dort Beschäftigten ihre Sachaufgaben effektiv wahrnehmen können. Auf lange Sicht wäre es fatal, wenn dort eine Abwanderungsbewegung qualifizierter Kräfte einsetzte. Diese Gefahr beschwört derje-
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
nige herauf, der das jetzige Ministerium und die künftige Regulierungsbehörde kleinreden will.
Wie lange wir eine Regulierungsbehörde in der derzeit geplanten Gestalt benötigen, sollten wir zukünftigen Erkenntnissen überlassen. Selbst Skeptiker gestehen zu, daß man sie auf absehbare Zeit braucht. Darum lassen Sie uns jetzt politisch so handeln, wie es aus heutiger Sicht richtig und notwendig ist. Wir sollten nicht meinen, schon heute entscheiden zu müssen, was für die nächste Generation in dieser Frage gut ist. Diese Frage sollte dann beantwortet werden, wenn stabile Erfahrungen mit der neuen Welt der liberalisierten Post- und Telekommunikationsmärkte vorliegen.
Investitionen und Arbeitsplätze sind dringend erforderlich. Die SPD im Bundesrat lehnt zur Zeit das meiste ab. Daß kein Land in Europa auf SPD-Kurs liegt, hat wichtige Gründe. Die SPD übersieht, daß nur dann der stetige Export von Arbeitsplätzen aufgehalten und der Trend umgekehrt werden kann, wenn sich Investitionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze wieder lohnen.
Zu ungünstig schneidet Deutschland einstweilen beim internationalen Vergleich der Steuer- und Soziallasten, der Arbeitskosten und auch der Lohnstückkosten ab, als daß es sich lohnte, Arbeitsplätze für die Masse der Arbeitslosen mit geringer und mittlerer Qualifikation zu schaffen. Nur wenn die Steuerlasten für Investoren, nur wenn die weltweit höchsten Lohnzusatzkosten gesenkt werden, wird sich der negative Trend aufhalten lassen.
Wichtig sind bei den Investitionen bei zwei so wichtigen Bereichen wie Post und Telekom, daß wir in Zukunft auch die Unterstützung der SPD bekommen. Deswegen wunderten mich die Ausführungen von Herrn Bury zum Teil.
Wissen Sie, Herr Bury, hier Sozialisierung anzusprechen ist, glaube ich, fehl am Platze; denn es entstehen mit der Bank zusammen drei große, private Konzerne, die in Zukunft enorme Aufgaben haben werden.
Lassen Sie mich noch zu einzelnen Zahlen und Aufgaben in Einzelplan 13 kommen. Im Entwurf des Einzelplans 13 sind unter anderem auch die Aufgaben und Ausgaben des Bundesamtes für Zulassung in der Telekommunikation dargestellt. Dieses Amt hat in den vergangenen Jahren nicht voll kostendekkend gearbeitet. Es wäre wahrscheinlich auch bei einer Fortführung als eigenständiger Behörde nicht in der Lage, kostendeckend zu arbeiten. Außerdem unterliegen Aufgabenstruktur und -umfang einem ordnungspolitischen Wandel. Deshalb wurde das Bundesamt für Zulassung in der Telekommunikation zum 1. September 1996 an das Bundesamt für Post und Telekommunikation angegliedert. Die Eingliederung findet volles Verständnis bei den Berichterstattern des Einzelplans 13.
Diese Maßnahme ist auch in den Bericht des BMF zur Verringerung und Straffung von Bundesbehörden aufgenommen worden. Hierdurch entsteht nach der bisherigen Planung ein Personalminderbedarf von 33 Personen. 15 Personalposten sind inzwischen frei. Die restlichen werden mit kw-Vermerken ausgebracht. Die Zusammenlegung bringt Einsparungen von 2,9 Millionen DM.
Lassen Sie mich noch etwas zum Wissenschaftlichen Institut für Kommunikationsdienste sagen, einem Institut, das zur Zeit immerhin mit 1,9 Millionen DM unterstützt wird. Aus meiner Sicht ist es das Institut in der Welt mit dem höchsten Wissensstand auf dem Gebiet der Regulierung der Telekommunikation und des Postwesens. Wir haben kein vergleichbares Institut. Es ist auch im Ausland anerkannt und erhält zur Zeit sogar von der Europäischen Kommission Aufträge. Wir wissen, daß wir es zum 31. Dezember 1997 schließen müssen. Es ist dann nur noch eine Projektförderung für einzelne Forschungsvorhaben möglich, die dann im Haushaltsplan 1998 zu veranschlagen wären.
Die Gesamteinnahmen liegen in diesem Haushalt dreimal so hoch wie die Gesamtausgaben in diesem Haushalt. Wir rechnen wieder mit einer Dividende von 800 Millionen DM. Auf Grund der schwierigen Haushaltslage werden die Ausgaben im Ministerium erneut um zirka 1,8 Prozent herabgesetzt. Das sind seit 1993 36 Prozent weniger.
Die Deutsche Telekom, die Deutsche Post und auch die Deutsche Postbank haben im Wirtschaftsjahr 1995 ausgesprochen erfolgreich gewirtschaftet. Die Deutsche Post AG konnte 1995 in ihrem ersten Jahr als Aktiengesellschaft den Umsatz steigern und gleichzeitig ihr Geschäftsergebnis deutlich verbessern. In Anbetracht des schwierigen konjunkturellen Umfeldes ist das Ergebnis als ein hervorragender Erfolg zu bewerten. Ich wünsche mir, daß es dem Vorstand und allen Mitarbeitern gelingt, die Strukturbrüche im Markt zu bewältigen und bis Ende der 90er Jahre die Börsenreife zu schaffen.
Entscheidend für mich ist allerdings auch, daß man sich in Kürze, Herr Minister, auf einen Kooperationsvertrag zwischen Postbank und Deutscher Post AG einigt. Für beide Häuser ist dieser Vertrag sehr wichtig. Ich hoffe, daß es dem Minister und den Verantwortlichen gelingt, zügig, noch in diesem Jahr, den Vertrag abzuschließen.
Auch die Entscheidung, die Deutsche Post AG ab 1998 zum Einzelhändler zu machen, halte ich für richtig. Die seit April laufenden Tests mit fünf Postläden in Berlin, Rostock und Cottbus sind bei den Kunden sehr gut angekommen. Deshalb wird die Post in Zukunft ähnliche Läden in vielen anderen Städten eröffnen. Die Umfrage zeigt, daß 75 Prozent der Kunden in den Testläden die Verbindung von Post und Lebensmitteln als gelungene Idee bezeichnen.
Gute Noten gibt es laut EMNID auch für die mittlerweile rund 3 200 Postagenturen, mit denen die Post mehr und mehr unrentable Filialen auf dem Land und in Vorstädten ersetzt. Während die Post in
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
ihren neuen Testfilialen selbst zum Händler wird, bietet sie über Agenturen ein Grundangebot an Postdienstleistungen, z. B. in Schreibwarenläden, Tankstellen oder auch Verwaltungen, an.
Ich erinnere mich noch an die vielen bitterbösen Briefe aus meinem Wahlkreis, in denen man sich beklagte, daß die Postämter in den Dörfern geschlossen wurden.
- Nein. - Inzwischen bewerten die gleichen Briefschreiber das neue Konzept der Agenturen sehr positiv. Die Betroffenen meinen sogar, die Postagentur verbessere die Lebensqualität der Bürger und die Chancen der beteiligten Händler. Es gehört immer wieder Mut dazu, Entscheidungen, die man intern getroffen hat, anschließend wirklich durchzusetzen.
Einer der bedeutendsten wirtschaftlichen und politischen Schritte - darauf ist auch der Minister schon eingegangen - nach dem Krieg wird der Börsengang der Deutschen Telekom. Es wird die größte Aktieneinführung in Europa sein. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, daß bei der Einführung am 18. November die Aktie nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt gut plaziert wird. Dabei kann man das gute Gefühl haben, daß alle Vorbereitungen hervorragend getroffen worden sind.
Ich wünsche mir jedenfalls, daß bis zum 31. Dezember 1997, wenn das Postministerium aufgelöst wird, alle privaten Initiativen, die von den drei Gesellschaften angefaßt worden sind, positiv verlaufen. Ich hoffe auch, daß es dem Minister gelingt, bis zum 31. Dezember 1997 alle Dinge zum Positiven entschieden zu haben.
Herzlichen Dank.
Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Manuel Kiper das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Post und Telekommunikation sind einer der zentralen Bereiche unserer Wirtschaft. Das spiegelt sich nicht unbedingt in der Beteiligung an dieser Debatte wider.
Ich möchte auf das Telekommunikationsgesetz als eine zentrale Zäsur in unserer Telekommunikationspolitik eingehen. Ich muß hier offensichtlich für den Kollegen Bury, der nach Manier eines bösen Buben hier über amerikanische Erfahrungen berichtet hat, einmal klarstellen, weil er offensichtlich die letzte Postdebatte hier nicht mitgemacht hat, was die Position unserer Fraktion zum Telekommunikationsgesetz ist.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe in der letzten Debatte sehr deutlich gemacht, daß die Zielsetzung des Telekommunikationsgesetzes, eine Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes, von unserer Fraktion geteilt wird und daß meine Fraktion und ich das Bemühen der anderen Fraktionen anerkennen, hier eine Ordnung zu schaffen, die einen weitgehend fairen Wettbewerb ermöglicht.
Wenn der Kollege Bury das nicht mitbekommen hat, dann tut es mir leid. Wahrscheinlich lag das an den sprachlichen Schwierigkeiten in den USA.
Um den Kollegen Bury auf das richtige Gleis zu führen, möchte ich nicht verhehlen, daß aus unserer Sicht erhebliche Schattenseiten und Schönheitsfehler des Telekommunikationsgesetzes angesprochen werden müssen. Davor drückt sich das Hohe Haus normalerweise, und es bleibt uns vorbehalten.
Ich möchte davon reden, daß das Wegerecht der Kommunen ausgehöhlt worden ist. Viele Kommunen haben sich jetzt zu Recht auf den Klageweg begeben.
Mannesmann Mobilfunk klagt inzwischen gegen die Fernmeldeüberwachungsverordnung. Es geht hier um Kosten in dreistelliger Millionenhöhe. Sie, meine Damen und Herren, haben im Telekommunikationsgesetz - das war eine unserer zentralen Kritiken - exzessive Abhör- und Überwachungsmaßnahmen verankert. Wir sind natürlich dagegen. Das war auch einer der Gründe dafür, warum wir das TKG abgelehnt haben.
Die Konkurrenten der Telekom formierten sich in den letzten Monaten. Die Gefahr ist nicht gebannt, daß auf dem Sektor Telekommunikation ein Oligopol statt Wettbewerb entsteht. Mobilfunk läßt grüßen.
Der Arbeitsplatzabbau bei der Telekom muß noch angesprochen werden. Im letzten Jahr sind 17 000 Menschen entlassen worden. Dieses Jahr werden es wieder genauso viele sein. Der Abbau der nächsten 30 000 Arbeitsplätze bis zum Jahre 2000 ist vorprogrammiert.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung machen. Der Kollege Hammerstein hat das WIK angesprochen. Es ist bedauerlich, daß das WIK im Haushaltsplan „künftig wegfallend" ist. Ich bin der Auffassung, daß die Fähigkeiten dieses Instituts für die Regulierungsbehörde unbedingt fruchtbar gemacht werden müssen; denn eine Regulierungsbehörde ohne wissenschaftliche Zuarbeit wird nicht den nötigen Biß haben, um regulierend in den Markt eingreifen zu können.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung streut uns Sand in die Augen. Wir brauchen zukunftsweisende Konzepte für den Bereich Telekommunikation, für die Umverteilung der Arbeit und der Einkommen und für die Sicherung des Sozialstaats. Auch unter diesem Gesichtspunkt muß das Telekommunikationsgesetz gewürdigt werden. Leider sind Chancen vertan worden.
Dr. Manuel Kiper
Zur Postbank: Die Eckpunkte der Bundesregierung liegen vor. Die Verhandlungen sind vorläufig gescheitert. Ein Kooperationsvertrag ist ausstehend. Herr Minister Bötsch ist mit seinem Latein ganz offensichtlich am Ende.
Das Postfilialnetz wird ausgedünnt. Der Kollege Bury hat es schon angesprochen; gestern hat uns der Minister im Postregulierungsrat reinen Wein eingeschenkt. An der Zahl von 10 000 Postfilialen wird nicht mehr festgehalten; der Postminister ist wortbrüchig geworden.
Herr Minister, ich spreche die Postfilialen nicht aus Nostalgie an oder weil es um die Kirche im Dorfe ging. Nein, darum geht es nicht. Es geht darum, Dienstleistungszentren in der Fläche, in den vielen Dörfern und kleinen Orten dieses Landes, zu erhalten. Das ist die Aufgabe.
Sorgen Sie, Herr Minister, endlich für die Vorlage des Postfilialkonzeptes! Sorgen Sie für die Verabschiedung der Schaltervereinbarung zwischen Post AG und Postbank AG! Sorgen Sie endlich dafür, daß die bisherigen Bundesunternehmen langfristig in die Pflicht genommen werden, um den Infrastrukturauftrag des Art. 87 f Abs. 1 des Grundgesetzes zu erfüllen!
Noch eine Bemerkung zum Postgesetz, Herr Minister. Sie haben den Referentenentwurf vorgelegt. Lassen Sie mich dazu sagen: Dieser Entwurf weist erhebliche Schwachstellen auf. Statt eines Universaldienstes schreibt dieser Gesetzentwurf eine Basisversorgung vor, die unter das Niveau des europäischen Richtlinienentwurfs abtaucht. Die Altlasten der Post AG bleiben unberücksichtigt. Statt eines reservierten Bereichs bis 350 g wollen Sie lediglich auf fünf Jahre eine Monopollizenz an die Post AG für diesen Bereich vergeben.
Meine Damen und Herren, eine Liberalisierung auch des Postbereichs ist aus meiner Sicht richtig. Es kann aber nicht darum gehen, in unserer Volkswirtschaft sozialversicherungspflichtige Dauerarbeitsplätze durch Turnschuhbrigaden und Scheinselbständigkeit zu ersetzen. Es kann nicht darum gehen, die grundgesetzlich verankerte Grundversorgung scheibchenweise auszuhöhlen. Deshalb sind wesentliche Korrekturen am vorgesehenen Postgesetz nötig, um die volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Aufgaben zu erfüllen.
Eine abschließende Bemerkung zur Frachtpost. Die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Mitbürgerinnen und Mitbürger sind die Leidtragenden, wenn in Fragen von Post und Telekommunikation die Weichen falsch gestellt werden. Die Post AG will wieder an der Gebührenschraube drehen. Durch Erhöhung der monopolistischen Briefporti soll jetzt der Frachtpostbereich quersubventioniert werden. Die
Monopolkommission hat bereits festgestellt, daß nicht bei Briefen, hingegen im Frachtpostbereich eine spürbare Kostenunterdeckung gegeben ist. Die Post AG muß sich dem Wettbewerb stellen. Die 33 Frachtpostzentren auf der grünen Wiese - das war unsere Kritik - waren ökologisch ein Flop. Offensichtlich sind sie wirtschaftlich gleichermaßen ein Flop und nicht der verheißene Dukatenesel. Die Frage nach der Verantwortung für solche Fehlentscheidungen stellt sich.
Herr Minister, ich komme zum Schluß. Bundespostminister und Bundesfinanzminister sind für die Bundesunternehmen zuständig. Ich fordere Sie auf, Herr Minister: Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr! Ich fordere Sie auf, Herr Bötsch, endlich auf den Weg zurückzukehren, den Infrastrukturauftrag des Grundgesetzes zu achten und umzusetzen.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Max Stadler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundesminister für Post und Telekommunikation befindet sich in einer eigentümlichen Situation. Jedesmal, wenn er eine wichtige Aufgabe aus seinem Geschäftsbereich erfolgreich bewältigt, trägt er selbst dazu bei, daß die Auflösung seines Ministeriums näher rückt.
Da gerade im ersten Halbjahr 1996 mit der Durchsetzung des Telekommunikationsgesetzes ein entscheidendes Reformvorhaben unter Dach und Fach gebracht worden ist, ist es logisch, daß wir heute letztmals in erster Lesung über den Etat des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation debattieren.
Ein vorläufiges Resümee am Beginn der letzten Etappe der traditionsreichen Geschichte Ihres Hauses, Herr Minister Bötsch, zeigt freilich: Viel ist in den letzten Jahren geleistet worden, aber einige ebenfalls nicht unwichtige Aufgaben harren noch ihrer Lösung. Ich möchte kurz auf fünf Punkte eingehen.
Erstens. Die Verabschiedung des TKG war ein Meilenstein nicht nur für die Postpolitik, sondern schlechthin für die Bestrebungen der Koalition, die Bedingungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit für Wachstum und Arbeitsplätze zu verbessern. Die mit diesem Gesetz eingeleitete Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes kommt zwar spät, aber hoffentlich gerade noch rechtzeitig, um Deutschland in einem maßgeblichen Wirtschaftssektor der Zukunft wettbewerbsfähig zu erhalten. Hervorzuheben ist im Rückblick vor allem noch einmal, daß es gemeinsam gelungen ist, Änderungswünsche des Bundesrates, die zu einer Verteuerung der Telekommunikationsleistungen geführt hätten,
Dr. Max Stadler
abzuwehren. Damit ist der Weg frei für massive Preissenkungen, die wir als sichere Folge des einsetzenden Wettbewerbs erwarten.
Zweitens. Die Beratungen des TKG waren gründlich und zeitaufwendig. Jede weitere Verzögerung hätte negative Folgen für den bevorstehenden Börsengang der Telekom AG gehabt, wäre aber auch für die Wettbewerber der Telekom nicht zumutbar gewesen. Dasselbe gilt nun aber auch für die Verordnungen, mit denen das TKG ausgefüllt werden muß. Die F.D.P.-Fraktion begrüßt, daß die Verordnungen über den Universaldienst, die Entgeltregulierung sowie den Netzzugang von der Bundesregierung bereits beschlossen worden sind.
Wir appellieren an den Bundesrat, insbesondere die Netzzugangsverordnung in der Sitzung am 27. September 1996 zu behandeln. Eine schnelle Entscheidung über diese wichtige Verordnung ist vor allem auch wegen der Planungssicherheit für die Wettbewerber der Telekom notwendig. Ebenso erwarten wir eine rasche Behandlung der Universaldienstverordnung im Bundestag, der dieser Verordnung noch zustimmen muß.
Drittens, Damit werden vorläufig die wesentlichen Aufgaben des Gesetz- und Verordnungsgebers im Bereich der Telekommunikation erledigt sein. Nicht ohne Sorgen ist aber die weitere Entwicklung bei der Gelben Post zu betrachten. Zwar ist die Lösung, die hinsichtlich der Kapitalbeteiligung der Post AG an der Postbank gefunden worden ist, aus Sicht der F.D.P. richtig, jedoch muß nun dringend ein neuer Kooperationsvertrag zwischen diesen beiden Unternehmen abgeschlossen werden. Mir fehlt das Verständnis dafür, daß die bisherigen Verhandlungen über die Schaltervereinbarung gescheitert sind. Vor allem wird die Öffentlichkeit den Vorgang unter dem Blickwinkel bewerten, daß immerhin der Bund noch Eigentümer beider Unternehmen ist. Daher ist jetzt der Postminister gefordert, politische Führung zu zeigen.
Die F.D.P. hat seit jeher die Auffassung vertreten, daß weniger der Umfang der Kapitalbeteiligung als vielmehr die Neuauflage des Kooperationsvertrags von Post AG und Postbank die entscheidende Voraussetzung dafür ist, daß es auch künftig ein umfassendes Angebot an Postdienstleistungen in der Fläche geben wird.
Herr Kollege Bury, ich bevorzuge hier übrigens den Begriff Angebot und nicht Postversorgung, wie Sie ihn gebraucht haben. Das ist mehr als nur eine Frage der Terminologie.
Eine Einigung über die finanziellen Fragen und damit eine Einigung über die künftige Kooperation von Post AG und Postbank ist jedenfalls überfällig.
Viertens. Damit berühren wir den für die Tätigkeit der Post AG kritischen Bereich. Ohne Zweifel gibt es Friktionen zwischen der Orientierung dieses Unternehmens an betriebswirtschaftlichen Erfordernissen und der Erfüllung des Infrastrukturauftrags. Darüber werden wir im Rahmen der Debatte um das Postgesetz noch ausführlich reden.
Durch die Untersuchung des Bundeskartellamts - übrigens, Herr Kieper, vom 28. August 1996 - ist deutlich geworden, daß im Frachtbereich eine Kostenunterdeckung zu verzeichnen ist, die als Störung im Markt zum Nachteil der Wettbewerber angesehen wird.
Problematisch ist ferner, daß das ansonsten verbesserte Ergebnis der Post AG mit der politisch gewollten Erhaltung des defizitären Filialnetzes belastet wird. Daher wird nach meiner Meinung für die Zukunft die richtige Fragestellung nicht lauten, wie viele posteigene Filialen erhalten bleiben, sondern wie gut das postalische Angebot in Zukunft sein wird. Die bisherigen Versuche mit den Postagenturen haben doch bewiesen, daß für die Zufriedenheit der Kunden nicht entscheidend ist, ob am Ort eine posteigene Filiale besteht, sondern ob ein kundenorientiertes Angebot gegeben ist, wie es offenkundig mit den Postagenturen gefunden worden ist.
Das richtige Stichwort heißt somit für die Zukunft Umwandlung statt Schließung.
Herr Kollege Bury, Sie haben zu Recht erwähnt, daß vielerorts die Bürgerinnen und Bürger um ihre Postfilialen kämpfen. Nur, mich erinnert dieser Kampf, wenn man ganz ehrlich ist, an das Eintreten in früheren Jahren für den Erhalt von Nebenstrecken der Bundesbahn.
Gekämpft worden ist schon, aber benutzt worden sind die Einrichtungen nicht. Das ist das Entscheidende.
Meine Damen und Herren, Postpolitik ist Wirtschaftspolitik, Standortpolitik, Strukturpolitik. Postpolitik reicht aber auch in schwierige Fragen der Innenpolitik hinein. Die Privatisierung der früheren Bundespost hat neue Probleme im Bereich der Überwachung des Fernmeldeverkehrs aufgeworfen, so daß eine Novelle des G-10-Gesetzes ansteht. Ein so sensibler Bereich wie der Schutz des Fernmeldegeheimnisses bedarf aber nicht nur sorgfältiger gesetzlicher Regelungen, sondern auch einer ständigen Beobachtung der Praxis.
Hier ist dem Datenschutzbeauftragten des Bundes, Herrn Dr. Jacob, für seine Aufmerksamkeit besonders zu danken.
Er hat zu Recht auf datenschutzrechtliche Bedenken bei der Ausgestaltung der Werbung der Telekom für die Komfortauskunft hingewiesen - wie übrigens auch Kollege Bury - und in Zusammenarbeit mit der Telekom Verbesserungen eingeleitet. Vor allem aber hat der Datenschutzbeauftragte kürzlich die nicht
Dr. Max Stadler
akzeptable Praxis, bei R-Gesprächen mitzuhören, um die Länge der Gesprächsdauer zu kontrollieren,
aufgedeckt und zu Recht kritisiert.
Durch diesen Vorgang ist jedenfalls wieder einmal der enge Zusammenhang von Postpolitik und Datenschutz offenkundig geworden. Das ist das einzig Gute daran.
Meine Damen und Herren, insgesamt ist festzuhalten, daß die Koalition die Weichen für eine liberale, marktwirtschaftlich orientierte Telekommunikations- und Postpolitik richtig gestellt hat. Mit derselben Grundorientierung werden wir die restlichen Aufgaben im Postbereich erfolgreich lösen.
Vielen Dank.
Nun erteile ich das Wort dem Abgeordneten Gerhard Jüttemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt eine Reihe von Hotels, in denen Sie die Zimmernummer 13 vergeblich suchen - eine Reverenz an den Aberglauben der Kundschaft. Ab nächstem Jahr werden wir bei den Haushaltsberatungen den bisherigen Einzelplan 13 ebenfalls vergeblich suchen - eine Reverenz an den Götzen Geld.
Nach allem, was Sie mit Ihrer krisenverschärfenden Privatisierungspolitik auf dem Gebiet von Post und Telekommunikation bisher auf den Weg gebracht haben, ist das für die Haushaltsberatungen sicherlich kein Verlust. Es handelt sich ohnehin nur noch um einen reinen Personalhaushalt auf der Ausgabenseite und um die Dividenden der Telekom auf der Einnahmenseite.
Das bedeutet nichts anderes als Ihren freiwilligen, vollständigen und immerwährenden Verzicht auf jeglichen Einfluß auf die Höhe der Einnahmen. Und das führt ganz folgerichtig zur Abschaffung des ganzen Planes.
Die Frage ist nur: Wem ist eigentlich damit gedient? Sie haben seit Jahren weder Kosten noch Mühe gescheut, Post und Telekom zu privatisieren und den Markt zu liberalisieren, also Wettbewerb zu schaffen, was ja nichts anders heißt als Konkurrenz - angeblich, weil es dazu im Interesse der Verbraucher keine Alternativen gegeben hat. Also ist dem Verbraucher gedient.
Wer ist denn der Verbraucher? Der unterteilt sich in Geschäftskunden und Privatkunden. Für den ersteren ist tatsächlich vieles lukrativer geworden, jedenfalls wenn er groß genug ist: Er streicht satte Rabatte ein, und wenn ihm Anbieter Hinz trotzdem noch zu teuer ist, dann geht er halt zu Kunz.
Nicht so der Privatkunde. Für den gibt es keine Rabatte, und die, die es geben soll, heißen nur so. Denn spätestens seit die Telekom „City-Plus" und ,,City-Weekend" angekündigt hat, ist klar: Wo Rabatt draufsteht, muß noch lange nicht Rabatt drin sein.
Unter dem Strich ist für den Privatkunden das Telefonieren teurer geworden. Daß er sich im Bereich Mobilfunk und ab 1998 vielleicht auch im Festnetztelefon den Anbieter aussuchen kann, nutzt ihm ja nur dann etwas, wenn er billiger telefonieren kann, und zwar nicht billiger als mit der Telekom 1997, sondern billiger als mit der Telekom vor der Privatisierung und Liberalisierung. Und daß das eintreten wird, glauben Sie ja wohl selber nicht.
Wer ist noch im Spiel, dem Ihre Privatisierungs- und Ausverkaufspolitik nutzen oder schaden könnte? Natürlich die Anbieter - die Telekom und ihre Konkurrenten. Die sehen sich alle auf der Gewinnerseite, hoffen auf die Superprofite. Daß die meisten von ihnen auf der Strecke bleiben werden, ist dabei belanglos. Es vergrößert nur die Macht der Übriggebliebenen.
Bei denen sieht sich die Telekom, die mit ihrem Global-One-Gemeinschaftsunternehmen mit France Telecom und US-Sprint die Nummer eins weltweit werden will. Und Sie wollen das auch, aus StandortDeutschland-Gründen. Das sind die Motive für Ihre Politik.
Übrigens entsprechen die 800 Millionen DM Dividende, die die Telekom 1996 an den Bund als Alleineigentümer ausschüttet und die den Löwenanteil an den Einnahmen des Einzelplanes 13 ausmachen, laut Presseberichten exakt der Höhe des Werbeetats des Unternehmens. Der Telekom-Gesamtgewinn beträgt dagegen 5,3 Milliarden DM nach Steuern und soll bis zum Jahr 2000 noch verdoppelt werden.
Diese Zahlen verdeutlichen drastisch, wie mittels politischer Entscheidungen immense Summen aus Staatsverfügung in die private Verfügung von Konzernen wechseln. Auf der Verliererseite müssen dabei neben der bundesdeutschen Gesellschaft im allgemeinen und den privaten Verbrauchern auch die Beschäftigten der Telekom genannt werden: Mehr als jeder vierte wird bis zum Jahre 2000 wegrationalisiert sein.
Ähnliches gilt für die Post. Dort werden bis zum Jahr 2000 sogar 90 000 Arbeitsplätze abgeschafft worden sein. Postfilialen schließen zu Tausenden. Der Umfang der Leistung verringert sich im gleichen Maße wie die Qualität.
Damit diese verheerende Entwicklung auf keinen Fall aufgehalten werden kann, will Postminister Bötsch dies alles per Postgesetz festschreiben; Überschrift wie gehabt: Förderung des Wettbewerbs. Also, Profitinteressen gehen vor gesellschaftlichen Interessen. Das ist Ihr einziges Maß in der Post- und Telekommunikationspolitik wie in Ihrer gesamten Politik. Die unvermeidlichen Folgen dessen - Arbeitsplatzkahlschlag und Sozialabbau in völlig
Gerhard Jüttemann
neuer Qualität und Dimension - vergiften dieses Land.
Danke schön.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Eike Hovermann. Es ist die letzte Wortmeldung.
Danke für die letzte Wortmeldung.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Jüttemann nahm die Zahl 13 für ein schlechtes Omen. Er selbst begann mit seiner Rede um 20.13 Uhr.
Die Bundesregierung und insbesondere Ihr Postminister - nunmehr in seinem verdienstvollen letzten Jahr - wollten seinerzeit Klarheit schaffen, als sie im Oktober 1995 die renommierte Investmentbank Schroder u. Co. Limited mit einem Gutachten zum Thema „Privatisierung der Deutschen Postbank AG und der Deutschen Post AG" beauftragten. Die Vorgabe, die die Bundesregierung selbst gab, war - ich zitiere -:
eine langfristig angelegte, effektive Vertriebskooperation zwischen der Post AG und der Deutschen Postbank sicherzustellen,
die Wettbewerbsfähigkeit der Post und der Postbank zu fördern und deren Zukunft zu sichern,
- und daraus resultieren -
die Privatisierungserlöse des Bundes zu optimieren.
Das dann erstellte Gutachten bestätigte in vielfältiger Weise, daß - ich zitiere nun eine Pressemeldung des Bundespostministeriums vom 15. Januar 1996 -„der rasche Abschluß eines neuen Kooperationsabkommens zwischen den Unternehmen zur optimalen Nutzung des Filialnetzes grundlegend für jede weitere Entwicklung ist ... und das Herzstück der Leistungskraft und einer gemeinsamen Zukunft der beiden jungen Aktiengesellschaften". Soweit die Ziele der Bundesregierung und die grundlegende Erkenntnis des Schroder-Gutachtens zum Vertriebsverbund zwischen Postbank und Post AG.
Es gab im folgenden kaum eine Sitzung, in der der Postminister nicht erklärte, es gehöre fortan zu seinen beiden wichtigsten Zielen, einen sinnvollen Kooperationsvertrag zu erwirken. Notfalls wolle er auf den Tisch hauen, wenn die beiden leitenden Herren von Post und Postbank mit ihrer bekannten gegenseitigen Zuneigung die Kooperation behindern würden. Man habe ja schließlich genügend Möglichkeiten einzuwirken.
Natürlich sei auch ein Filialkonzept, so der Postminister zu seinem zweiten Ziel, unabdingbare Voraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung der postalischen Versorgung der Bürger vor Ort. Deshalb werde er alsbald ein schlüssiges Filialkonzept vorlegen, und bei einer fünfstelligen Anzahl von Filialen werde es selbstverständlich bleiben.
Der Minister wurde nicht müde, auf den Artikel 87f im Grundgesetz hinzuweisen, der ja extra im Zuge der Privatisierung der Bundespost entstanden sei und den Universaldienstauftrag der Post AG formuliere, nämich: flächendeckend und zu angemessenen Preisen die Bürger unseres Landes mit Postdienstleistungen zu versorgen. Dieser grundgesetzlich verankerte Infrastrukturauftrag war sozusagen die Beruhigungspille auf dem schweren Weg zur Liberalisierung.
Die Realität, Herr Minister, hat im September 1996 trotz und entgegen aller Wünsche und Versuche der Bundesregierung, Einfluß zu nehmen, ein völlig anderes Gesicht.
Der Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation, Hans Gottfried Bernrath, hat Presseberichten zufolge in einem Brief an Postminister Bötsch erklärt, daß alle Kooperationsbemühungen wohl gescheitert seien. Zur Begründung führt er aus, daß die Postbank nicht die von der Post AG geforderten 1,5 Milliarden DM Nutzungsentgelt für eine gemeinsame und rentable Schalternutzung zahlen wolle.
- Herr Rexrodt? Na ja.
Die Postbank habe lediglich 900 Millionen DM angeboten und plane bis zum Jahre 2000 eine Reduzierung auf 750 Millionen DM, also nur die Hälfte der geforderten Summe. Nach Postchef Zumwinkel bedeutet dies unumgänglich die Schließung weiterer Tausender von Filialen und die Entlassung von mindestens 20 000 Mitarbeitern.
Der sowohl von Schroder als auch vom Postminister immer wieder als Herzstück aller Entwicklungen geforderte Kooperationsvertrag scheint damit geplatzt zu sein. Dadurch entfällt gemäß aller Erfahrung auch die Aussicht auf Optimierung der Erlöse aus der Privatisierung, weil - und das betrifft alle - die zukünftigen Partner und Investoren bei Post und Postbank nur dann Geld geben und an langfristigen Strategien mitarbeiten werden, wenn Planungssicherheit herrscht. Dies ist nicht der Fall.
Realität ist also derzeit, daß trotz vielfältigster Einwirkungsmöglichkeiten der Bundesregierung die Kooperation nicht vorankommt. Jeder ergebnislose Tag bringt weitere Verluste.
Eike Hovermann
Realität ist, daß das vom Minister versprochene Filialkonzept nicht vorliegt; eine unverzichtbare Vorlage, ohne die langfristige Finanzierungsfragen nicht lösbar sind. Von einer fünfstelligen Zahl sprach er noch bis vor ein paar Tagen, nun nicht mehr; auch dies schafft keine Sicherheit.
Realität ist, daß weiter fast Tag für Tag posteigene Filialen geschlossen werden und damit Zug um Zug bewährte lebensnahe Strukturen unwiederbringlich verlorengehen. Realität ist weiterhin, daß Mitarbeiter entlassen werden und damit Arbeits- und Ausbildungsplätze verlorengehen, auf Dauer auf Kosten der Steuerzahler.
Realität ist fernerhin, daß die Umsetzung neuer Produkte und Verkaufsstrategien verzögert wird, weil in den Leitungsgremien von Post AG und Postbank bisher kein gemeinsames Zukunftskonzept vorgelegt werden kann. Und der Postminister haut nicht auf den Tisch. Wir verlieren Zeit. Vielleicht ist das so gewollt, um eine rücksichtslose Verschlankung durchzusetzen.
Realität ist fernerhin, daß im Rahmen des Wettbewerbs und der postalischen Versorgung die Scheinselbständigkeit wächst. Am Ende läuft das darauf hinaus, daß die in Art. 87f des Grundgesetzes gegebenen festen Zusagen des Staates an seine Bürger unterlaufen werden. Politikverdrossenheit läßt grüßen.
Diese stetige Demontage von gewachsenen Strukturen, die durchaus nutzbar wären, kommt nicht aus heiterem Himmel. Sie ist das Ergebnis einer unklaren Politik, die Versprechen gibt, sie aber offensichtlich nicht in die Tat umsetzen will. Diese Art von Postpolitik orientiert sich nicht an langfristigen Entwicklungsperspektiven und nicht an volkswirtschaftlichen, auf Dauer sinnvollen Entscheidungen, sondern sie orientiert sich offenbar vielmehr am jährlich wachsenden Haushaltsloch, das, egal wie, mit aller Gewalt gestopft werden muß. Dabei wissen wir eigentlich, daß mit dieser Politik kurzatmiger Schritte die Schulden des Staates eher wachsen als sinken.
So gestaltet man Zukunft nicht.
Die Zukunft der Deutschen Post AG beschreibt Hans Gottfried Bernrath in einem Interview im „Postforum" vom Juli 1996 so:
Die Deutsche Post AG steht in verschiedenen Bereichen seit langem im Wettbewerb. Und dort überlebt nur, wer nicht nur Dienstleistungen pur, sondern auch guten Service bietet. ... Was spricht beispielsweise dagegen, in allen eigenbetriebenen Postfilialen neben dem normalen Angebot auch andere Waren zu verkaufen?
Dieser Weg, in posteigenen Filialen und in enger Zusammenarbeit mit der Postbank AG auch neue Waren zu vertreiben, ist eigentlich der richtige Weg, um ein flächendeckendes Versorgungsnetz für die
Bürger zu erhalten, den Universaldienstauftrag erfüllen zu können und qualifizierte Mitarbeiter zu bewahren. Dies war auch so gewollt und so von der Regierung versprochen. Die Realität aber sieht anders aus: Die Filialen brechen Zug um Zug weg. Und was jetzt wegbricht, ist auf Dauer verloren. Welchen Sinn hat es dann noch, neue Produkte und Verkaufsstrategien zu entwickeln, wenn die dazu notwendigen Filialen massenweise geschlossen werden? Es beschleicht einen das Gefühl, dies sei auch so gewollt.
Richtig ist, daß von den 20 400 posteigenen Filialen im Jahr 1993 heute nur noch 13 345 übriggeblieben sind. Selbstverständlich stieg in dieser Zeit die Zahl der Agenturen, die so gepriesen worden sind, von 490 auf 3 380. Jedermann weiß aber, daß genau hier die Einbrüche im Postbankgeschäft kommen, was die Postbank natürlich immer mehr als Begründung für die Reduzierung ihrer Zahlungen zur gemeinsamen Schalternutzung nehmen wird. Daraus folgen unausweichlich weitere Schließungen.
Wenn in drei Jahren so schon zirka 7 000 Filialen weggebrochen sind, werden bei weiter andauernder Kooperationsunwilligkeit und Kooperationsunfähigkeit weitere 8 000 bis 10 000 Filialen wegfallen. Der Kunde wird das auf Dauer teurer bezahlen müssen. Insbesondere der ländliche Bereich wird gegenüber den Ballungszentren ausbluten.
Hier kann nur ein neues Gesamtkonzept helfen. Basis dieses Gesamtkonzeptes muß sein, daß ein qualitativ hochwertiger Universaldienst nur dann gewährleistet ist, wenn eine dauerhafte Finanzierung gesichert wird. Das ist nur durch dauerhaft klar reservierte Bereiche möglich.
Wer die postalische Versorgung einschließlich des Infrastrukturauftrages rein am Wettbewerb orientiert, schadet letztendlich allen.
Kapitalismus pur war schon immer der falsche Weg, auf jeden Fall das Ende unserer sozialen Marktwirtschaft. Das wollen wir nicht mitmachen, zumal Frustration und Unruhe vor Ort größer werden.
Die sogenannten neuen Maßnahmen, die mit den Begriffen Liberalisierung und Privatisierung umschrieben werden, dienen so weniger langfristigen politisch und volkswirtschaftlich sinnvollen Perspektiven als vielmehr der kurzfristigen Deckung von Haushaltslöchern. Dies ist und kann nur Stückwerk sein, typisch für viele Politikbereiche der jetzigen Bundesregierung. Sie macht keine perspektivische Postpolitik, sondern verliert sich vielmehr in unklaren Handlungen unter dem einseitigen Diktat des Finanzministers, die uns auf Dauer teuer zu stehen kommen.
Ziel des künftigen ordnungspolitischen Rahmens des Postgesetzes muß in jedem Fall die Aufrechterhaltung einer modernen und flächendeckenden Infrastruktur sein, also eines quantitativ und qualitativ hochwertigen Universaldienstes, wie er in Art. 87f GG vorgeschrieben ist. Die Versorgung mit hochwertigen
Eike Hovermann
Dienstleistungen der Post AG darf nicht nur in Ballungszentren, sondern muß auch in ländlichen Gebieten gewährleistet sein.
Die Agenturen und Briefträger mit sogenannter erweiterter Annahmebefugnis werden in keiner Weise eine gut geführte Postfiliale ersetzen können. Wenn diese Entwicklung so fortschreitet, wird auch das Prinzip der Erreichbarkeit innerhalb eines Radius von zwei Kilometern fallen.
Herr Minister, ein Filialkonzept - wie versprochen - ist eine erste Pflichtaufgabe. Dies setzt einen sinnvollen Kooperationsvertrag voraus. Beides fehlt. Die Regierung ist in der Pflicht. Wir werden uns widersetzen, wenn sie Ihre Pflicht nicht wie versprochen ausfüllt. Ein Jahr ist noch genügend Zeit, Herr Minister, die Dellen in Ihrer postalischen Vergangenheit auszubeulen.
Schönen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, 11. September 1996, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.