Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir die Debatte zur ersten Lesung seit heute morgen um 11 Uhr angehört und bin eigentlich verwundert, wie die Koalition und auch die Regierungsvertreter hier den Bundeshaushalt 1997 angesichts der Fakten und Daten im Umfeld dieses Haushaltes vorstellen.
Hans Georg Wagner
Die drei Begriffe „Schulden, Pleiten, Arbeitslosigkeit" werden die Markenzeichen dieses Haushaltes sein: die höchsten Schulden mit 1,4 Billionen DM, die höchste Arbeitslosigkeit mit weit über 4 Millionen Arbeitslosen, und die Pleiten gehen auf die 30 000 zu. Hier aber wird ein Erfolg gefeiert und sich eingebildet, dies sei tatsächlich auch der Fall. Schulden, Pleiten, Arbeitslosigkeit sind also Markenzeichen dieser Koalition.
- Ich kann Ihnen, Frau Kollegin, das gerne einmal sagen: Die Zinsquote des Bundeshaushaltes im Jahre 1997 liegt bei 26,1 Prozent der Einnahmen. Im Saarland liegt die entsprechende Quote bei 23 Prozent; es waren einmal 26 Prozent.
- Nach der vom Bundesverfassungsgericht durchgesetzten Entschuldung meines Heimatlandes. Das ist richtig.
Ich wollte aber nur sagen, daß die Grenze, die seinerzeit bei der Klage beim Bundesverfassungsgericht durch das Saarland und Bremen erreicht war, jetzt beim Bund erreicht ist. Das sage ich nur, weil Sie hier immer das Saarland und Bremen ansprechen.
Trotz der optimistischen Aussagen auch jetzt des Verkehrsministers bleibt gültig, daß das Sinken der Investitionen im Bereich des Einzelplanes 12 schokkierend ist. Im Bahnbereich sind sie seit 1995 um 44 Prozent gesenkt worden. Herr Minister, Sie haben eben hier und heute morgen in Frankfurt gesagt, daß pro 1 Milliarde DM Verkehrsinvestitionen 12 500 Arbeitsplätze entweder gesichert würden oder davon abhingen. Dann sind jetzt im Bereich der Eisenbahn und des Schienenweges rund 35 000 Arbeitsplätze in Ihrem Verantwortungsbereich seit 1995 vernichtet und nicht neu geschaffen worden.
Es müßte ja eigentlich umgekehrt sein, wenn Ihre Aussage stimmt, daß die Schiene Priorität vor der Straße habe. Dabei ist gerade der Bundeshaushalt im Einzelplan 12 der umgekehrte Beweis, und deshalb sind Arbeitsplätze nicht geschaffen oder gesichert, sondern, wie ich fürchte, vernichtet worden. Die 2,5 Milliarden DM Einsparungen im Bereich des Schienenverkehrs sind arbeitsmarktpolitisch also kontraproduktiv gegenüber dem, was alle wollen. Umweltpolitisch sind sie ein Skandal. Es ist eine ökologische Unmöglichkeit, die hier geschieht.
Obwohl das Bundesverfassungsgericht Lärmschutz am vorhandenen Schienennetz vorschreibt und der Kollege Carstens im Petitionsausschuß vor zwei Jahren lebhaft und eindeutig darauf hinwies, daß dort etwas gemacht werden müßte, findet man im Bundeshaushalt 1997 erneut keine einzige müde Mark für den Lärmschutz am vorhandenen Schienennetz.
Statt dessen wird öffentlich sehr stark - darüber möchten wir hier auch einmal diskutieren - über die Streckenführung des ICE von Erfurt über Nürnberg nach München diskutiert. Insbesondere die letztgenannte Strecke steht im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung. Wenn das Geld in der Tat so knapp ist, muß man eine wirtschaftliche Lösung suchen und - möglicherweise auch die Sozialdemokraten in Bayern, füge ich hinzu - von Lösungen Abstand nehmen, die einfach nicht finanzierbar sind. Denn wenn das ganze Projekt steht, sind es 15,6 Milliarden DM, die diese Strecke kostet. Das können wir uns allesamt nicht leisten. Deshalb appelliere ich an die Kolleginnen und Kollegen aus Bayern, sich dies doch bitte zu Gemüte zu führen: Wir können uns solch teure Strecken nicht leisten.
Nun zum Transrapid; dazu ist schon einiges gesagt worden. Ich sage nur: Trans - und rapid geht der Verkehrshaushalt nach unten. Das Projekt Transrapid, von dem wir nicht wissen, wie es finanziert werden soll, hat dazu geführt, daß sich wiederum ein Gutachter freuen darf. Er stellt, mittlerweile im dritten Gutachten, fest, wie hoch die Einsatzstärke wäre, wie die Benutzung des Transrapid auf der Strecke HamburgBerlin aussehen könnte etc. Ein Gutachten jagt das andere. Kein Mensch weiß, wo dies endet. Was passiert denn, wenn das Ganze ein Flop wird? Dann bezahlt es der Bund, nicht die Wirtschaft. Wir mahnen deshalb, hier aufzupassen.
Herr Minister, Sie waren heute morgen in Frankfurt und nicht im Bundestag. Die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier hat hier gesagt, daß wir die Technologie des Transrapid unterstützen, daß wir allerdings fragen: Wo führt das hin? Wer finanziert dies mit? Wer hat ein Interesse daran?
Es ist ja nicht so, als seien wir technikfeindlich. Sie von der Koalition sind dies in einem anderen Punkt; das ist schon vom Kollegen Weng angesprochen worden. Er hat bei der Steinkohle die Subventionen gebrandmarkt. Das ist in hohem Maße technologiefeindlich. Wir haben in der Steinkohlekraftwerkindustrie die modernsten Techniken in der ganzen Welt und könnten das weltweit verkaufen, wenn Sie die Gruben nicht dichtmachten. Das ist Technologiefeindlichkeit ersten Ranges.
Die Einsatzmöglichkeiten des Transrapid sind von der deutschen Industrie aufgelistet worden. Dies liest sich wie ein Dienstreiseroman. Überall steht drunter: auf Gleise umgezogen. Es geht also nicht mehr um
Hans Georg Wagner
den Transrapid; es ist eine andere Entscheidung getroffen worden.
Zu den Wasserstraßen. Der Beitrag für die Seeschiffahrt wird von der Bundesregierung erneut gesenkt, und zwar von 100 Millionen DM auf 40 Millionen DM. Ich frage: Warum verunsichert man die Betroffenen derart? Sie wollen unter deutscher Flagge weiterhin die Handelsflotte betreiben. Sie können es aber nicht, weil jedes Jahr eine Senkung des Beitrags vorgenommen wird. Ich kündige schon jetzt an, daß die SPD den Antrag stellen wird, die alte Summe von 100 Millionen DM wiederherzustellen.
Herr Kollege Wissmann, Sie haben neulich etwas Bedeutendes zur Binnenschiffahrt gesagt - Sie sagen viel Bedeutendes, auch zur Binnenschiffahrt -, das in der Zeitung „Der Selbständige" im Juli/August 1996 veröffentlicht worden ist. Ich zitiere:
Die Stärkung der Binnenschiffahrt ist und bleibt für mich eine verkehrspolitische Aufgabe von hoher Priorität. Die Binnenschiffahrt ist ein Verkehrsträger mit Zukunft im europäischen Wettbewerbsmarkt. Gerade auch im Hinblick auf die Interessen der mittelständischen deutschen Partikulierschiffahrt setze ich mich weiter für die Schaffung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen im europäischen Binnenschiffahrtsmarkt ein, um den Binnenschiffern bei der Bewältigung des Strukturwandels im Wettbewerbsumfeld zu helfen.
Ich frage Sie, Herr Minister: Warum werden dann die Zinsen für Darlehen im Rahmen der Strukturbereinigung in der Binnenschiffahrt um 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr gekürzt? Das paßt doch nicht zusammen: Auf der einen Seite wollen Sie helfen, auf der anderen Seite soll eine Kürzung um 60 Prozent erfolgen.
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, Herr Minister, daß die Straßenbaumittel im Vergleich mit denen des Jahres 1996 in etwa gleichgeblieben sind. Es ist aber eine Umschichtung von den Bundesfernstraßen zu den Bundesautobahnen vorgenommen worden, was im Klartext weniger Ortsumgehungen bedeutet.
Sie sollten Ihren Kolleginnen und Kollegen einmal in einer aktualisierten Auflage des Bundesverkehrswegeplanes auflisten, was noch möglich ist. Man kann nicht draußen versprechen: „Das kommt jetzt; das steht im Bundesverkehrswegeplan", wenn jedermann - Sie und wir - ganz genau weiß, daß aus finanziellen Gründen nur die Hälfte oder ein Drittel der Maßnahmen, die darin enthalten sind, realisiert werden kann.
Ich möchte nicht das Wort Täuschung in den Mund nehmen. Ich sage aber, daß man den Kolleginnen und Kollegen der Koalition die Chance geben sollte, draußen die Wahrheit zu verbreiten. Sie sollten nicht gezwungen sein, zu erzählen, was nicht stimmt.
Dieser Hoffnungskatalog greift nicht.
Zur Luftfahrt. Die Lufthansa wird immer wieder als Finanzierungsmöglichkeit genannt. Der Bund ist noch mit 35,7 Prozent beteiligt. Es ist die Gefahr nicht gebannt, daß ein außereuropäischer Investor einsteigt. Dann wäre die Lufthansa kein nationales Luftfahrtunternehmen mehr. Es ist nicht garantiert, daß dies verhindert werden kann. Ich hätte gern gewußt, warum nichts dazu gesagt wird, wie Klarheit geschaffen werden kann, damit die Bundesrepublik Deutschland weiterhin über einen eigenen Carrier verfügt.
Herr Minister, von Ihnen ist gerade wieder die Finanzplanung angesprochen worden. Jetzt muß ich Ihnen als jemand, der schon lange Jahre, Jahrzehnte in der Kommunalpolitik tätig ist, einmal sagen, was ich von einer mittelfristigen Finanzplanung halte: überhaupt nichts. Sehen Sie sich einmal die Daten der Vergangenheit daraufhin an, ob irgendeine Zahl gestimmt hat. Man kann natürlich sagen: Wir geben im Bereich des Verkehrshaushalts im Jahre 1998 100 Milliarden DM aus. Jeder weiß: Das hängt davon ab, wie die Haushaltsberatungen ausgehen. 100 Milliarden DM kommen nie zustande. Frau Kollegin Karwatzki, Sie sind ja als Finanzstaatssekretärin maßgeblich am Streichen beteiligt. Sie sagen: 1999 stellen wir Mittel in Höhe von 150 Milliarden DM bereit. Die ganze Koalition strömt ins Land hinaus und sagt: Wir werden 150 Milliarden DM in den Verkehr investieren.
- Ja, natürlich mindestens.
Dann kommt die Realität des jährlichen Haushaltes, und der Verkehrsminister steht nackt da und muß sagen: Es sind nicht 150 Milliarden, sondern gerade einmal, wenn alles zusammenkommt, 20 Milliarden DM. Ich habe dies einmal etwas überzeichnet dargestellt. Der Einzelplan 12 hat nach meiner Einschätzung als Investitionshaushalt sehr stark verloren, was sehr bedauerlich ist.
Herr Minister, Sie haben zuletzt die Telematik angesprochen. Ich möchte dazu noch sagen: Im Haushalt 1997 sind dafür Mittel in Höhe von 43 Millionen DM vorgesehen, im Haushalt 1996 auch. Ausgegeben wurden nur 23,8 Millionen DM. Das funktioniert also auch nicht so, wie es funktionieren sollte.
Noch ein Wort zu den Arbeitsplätzen. Bezüglich der Ablaufzahlen des Haushaltes 1996 im Bereich der Schiene ist festzustellen: Von insgesamt 7,5 Milliarden DM in Ost und West sind bis zum 9. September 1996 vielleicht 1,5 Milliarden DM, wenn es hoch kommt, abgeflossen. Das bedeutet im Klartext eine indirekte Vernichtung von Arbeitsplätzen. Wir haben im vorigen Jahr die Bahn beschimpft.
Hans Georg Wagner
Ich muß heute sagen: Es kann wohl nicht wahr sein, daß es immer die Bahn ist.