Rede von
Dr.
Barbara
Höll
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum wiederholten Male legt der Finanzminister heute einen Entwurf eines Bundeshaushaltsplanes vor, dies voller Selbstüberzeugung, denn immerhin verkündete er laut „Focus", daß er sich inzwischen jeden Job zutraut. Ich weiß nicht, ob uns das Hoffnung machen sollte. Aber ich würde sagen, jeder Betrieb, der das in Erwägung zieht, sollte sich an den Spruch halten: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Wie gut ist die Waigelsche Haushaltspolitik? Mehr als alle bisherigen Haushalte zeichnet sich der Entwurf für 1997 dadurch aus, daß mangelnder Realitätssinn voll durchschlägt, die Anwendung unsolider Zahlen zum obersten Prinzip erhoben wird, die Zementierung des Ost-West-Gefälles fortgesetzt wird und eine exorbitante Neuverschuldung und Staatsverschuldung erfolgt, die die Zinsfalle endgültig zuschnappen lassen wird. Ich denke, Herr Waigel hat tatsächlich zu seinem obersten Gebot der Haushaltspolitik erhoben: Gehe nie von verläßlichen und seriösen Zahlen aus; je größer die Haushaltsnöte, desto geschönter müssen die Ausgangsdaten, wie Konjunkturparameter und Steuerschätzung, sein. Im vergangenen Jahr hatten wir kurz vor dem Abschluß der Haushaltsberatungen Deckungslücken in zweistelliger Milliardenhöhe sowohl für den Haushaltsvollzug 1995 als auch für den Entwurf für 1996. Dies führte dann zu einem Eklat in diesem Hause. Im März bekamen wir die Quittung, als bereits dann eine Haushaltssperre ausgebracht wurde, die nach, ich glaube, wieder schöngeredeten Zahlen 5 Milliarden DM Einsparungen gebracht haben soll.
Ich weiß nicht, ob nicht auch die geringe Anwesenheit heute nach dreieinhalb Stunden Debatte ein Beleg dafür ist, daß selbst die Koalitionäre nicht mehr daran glauben, daß das, was wir jetzt diskutieren, überhaupt Bestand hat.
Herr Schäuble hat am Wochenende bereits kundgetan, daß man das alles nicht so verbissen sehen sollte, denn der Entwurf des Planes stamme bereits vom Juli, und verabschiedet werde er erst im November. Ich frage mich: Was ist das für ein Verhältnis zur parlamentarischen Arbeit, zur Beratung des Haushalts?
Anstatt sich zu bemühen, im Sommerloch tatsächlich die Hausaufgaben zu machen, haben Sie eine Einkommensteuerdiskussion vom Zaun gebrochen, mit der Sie wahrscheinlich hauptsächlich bezweckten, das Sparpaket durch Versprechungen für die Zukunft vergessen zu machen und die Mehrwertsteuererhöhung festzuklopfen.
Seit Jahren liegen Sie mit Ihren Prognosen des Wirtschaftswachstums sicher nicht ganz zufällig über der realen Entwicklung. Ich frage mich: Warum wundert sich die Koalition noch über den Vorwurf, Politiker seien abgehoben, wenn man bar jedes Realitätssinns seinen eigenen Haushalt plant? So würde wohl niemand privat arbeiten.
Im Oktober 1995 ging die Regierung noch von einem Wachstum von 4,4 Prozent aus. Im Mai 1996 waren es 2,1 Prozent. Für den Haushaltsvollzug fehlen auf Grund dieser Fehleinschätzungen bereits 8,5 Milliarden DM. Die Daten für 1997 stehen ebenfalls auf tönernen Füßen. Die Bundesregierung geht
Dr. Barbara Höll
laut Entwurf von 3,9 Prozent aus, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung von 2,5 Prozent. Dies ist auch in der mittelfristigen Finanzplanung so, bei der man bei optimistischsten Angaben von 2,5 Prozent ausgehen kann, aber nicht von 4,5 Prozent wie die Regierung. Allein dies wird im nächsten Jahr einen Steuerausfall in Höhe von mindestens 9 Milliarden DM verursachen.
Selbst wenn Sie es am Freitag schaffen sollten, die Kanzlermehrheit für Ihr Sparpaket, für Ihr Horrorpaket zusammenzubekommen, so wird das nur die Spaltung in dieser Gesellschaft vorantreiben. Sie werden immer mehr Menschen direkt in Armut, in soziale Not treiben; aber Sie lösen damit kein Haushaltsdefizit.
Das spiegelt sich in dem wider, wie man die Bundesanstalt für Arbeit behandelt, und in Ihrem blinden Glauben, daß durch Einsparungen und Entlastungen von Unternehmen Kaufkraft gestärkt werden könnte. Das Gegenteil wird eintreten: Die Kaufkraft sinkt, und Arbeitsplätze im Lande werden abgebaut. Was wollen Sie mit den Menschen machen, wenn Sie immer weiter sparen und wenn Herr Waigel wie heute fast beklagt, daß der Sozialhaushalt so groß ist. Nicht nur, daß Sie versuchen, viele Menschen aus der Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe abzuschieben. Soll demnächst, wenn im nächsten Jahr die Bundesanstalt null Zuschüsse bekommen soll, die Sozialhilfe nach amerikanischem Vorbild ganz abgeschafft werden? Diese Frage steht hier tatsächlich im Raume.
Herr Repnik hat gesagt: Immer mehr Menschen denken, es müßten Änderungen eintreten. Ich habe das am Sonnabend in Leipzig erlebt. Es haben Tausende von Menschen dafür demonstriert, daß eine Veränderung dieser Politik eintritt. Ich frage mich, meine Damen und Herren - auch wenn Damen von der Koalition zur Zeit nicht mehr anwesend sind; es sind ja auch nicht so viele in diesen Fraktionen -
- entschuldigen Sie, Frau Albowitz, Sie saßen so weit vorne -: Woher nehmen Sie eigentlich die Überzeugung, daß die gesamte Opposition und alle ihre Mitglieder hier weiter freiwillig auf Einnahmen im Haushalt verzichten werden? Es ist eine Unverschämtheit, wie Sie mit dem Parlament und auch mit dem Bundesrat umgehen.
Die Belastungsquote von Unternehmen sank von 1980 bis 1993 um 15,3 Prozent. Wir haben hier also Einsparungen, ja Einnahmeverluste, die aber nicht dazu führten, daß Arbeitsplätze geschaffen wurden. Der Haushalt ist Ausdruck staatlich verordneter Reichtumspflege. Diese Reichtumspflege geschieht auf Kosten der sozial Schwachen. Ich nenne hier noch einmal die Stichpunkte: die vollkommen unzureichende Höhe des steuerfreien Existenzminimums - die 12 000 DM, die für dieses Jahr beschlossen waren, sind weit unter dem notwendigen Ansatz -, die jetzt von Ihnen anvisierte Verschiebung der bereits beschlossenen Anhebung des Kindergeldes. Ihnen mögen 20 DM nicht viel ausmachen. Aber vielen Menschen bedeuteten 20 DM pro Kind pro Monat eine ganze Menge.
Diese Haushaltssanierung auf Kosten der sozial Schwachen muß gestoppt werden.
Stichwort Vermögensteuer. Nachdem Sie - das ist interessant - im Föderalen Konsolidierungsprogramm 1993 als erstes die Freibeträge hochgesetzt hatten, wollen Sie nun die Vermögensteuer gänzlich abschaffen. Ich frage mich: Wo wurde mit dem Einnahmeverlust von rund 700 Millionen DM, der 1994 daraufhin eintrat, auch nur ein Arbeitsplatz geschaffen? Nun wollen Sie gleich in Milliardenhöhe auf Einnahmen verzichten.
Wie ist es mit der Erbschaftsteuer? Dort haben Sie ebenfalls die Freibeträge erhöht. Jetzt haben wir ein Einnahmevolumen von etwas über 3 Milliarden DM. Das ist im Vergleich zum Bundeshaushalt nichts bei einer enormen Einkommenskonzentration und einer enormen Konzentration des Vermögens in der Hand sehr, sehr weniger Haushalte.
Es geht darum, hier tatsächlich Alternativen aufzuzeigen. Sie haben einen Entwurf von der PDS auf dem Tisch. Mit unserem Entwurf wäre sichergestellt, daß ein Einfamilienhaus im Erbfall für jeden und jede, die darin wohnt, tatsächlich gesichert ist.
Aber wir könnten Einahmen in Höhe von etwa 15 Milliarden DM erzielen. Wir sind nicht bereit, darauf einfach zu verzichten.
Die Verstärkung des Ost-West-Gefälles: Sie wollen die Kürzung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den neuen Ländern durchpeitschen; dadurch sollen 1,7 Milliarden DM eingespart werden. Herr Weng nannte dies eben eine Störung des ersten Arbeitsmarktes.
Kommen Sie doch bitte einmal nach Leipzig. Wir haben dort einen großen ABM-Betrieb, der mit der örtlichen Industrie- und Handelskammer wirklich toll zusammenarbeitet. Dadurch werden sogar Aufträge an die Handwerker vergeben.
Sie wollen das jetzt einfach streichen, anstatt wirklich offensiv nachzudenken und innovativ zu sein in Richtung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors. Es ist ein Armutszeugnis, daß Sie nichts weiter können als sparen, sparen, sparen.
Es tut not, auch die sozialen Sicherungssysteme umzugestalten. Auch dazu liegt ein Antrag von uns auf dem Tisch. Ein wirklich modernes soziales Sicherungssystem muß eine soziale Grundsicherung beinhalten
Dr. Barbara Höll
- dazu, wer das zahlt, liegen die Vorschläge vor -: Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und Einbeziehung aller in diese Sicherungssysteme, damit sie dann wirklich solidarisch funktionieren können.
Wie steht es mit den anderen Einnahmen bezüglich des Ost-West-Gefälles? Herr Waigel sagte wiederum, die Einheit sei so teuer gewesen. Er hat geflissentlich seine Verdrehung von Brutto- und Nettozahlen weggelassen; die sind herausgerechnet.
Aber was machen Sie denn mit den Einnahmen Ost? Die 2,7 Milliarden DM aus der Liquidierung von Treuhandunternehmen sollten eigentlich für die neuen Bundesländer verwandt werden. Stillschweigend werden sie für den allgemeinen Haushalt kassiert.
Und ich frage Sie jetzt: Was ist mit dem ehemaligen SED-Vermögen? Die unabhängige Parteienkommission kann das Geld nicht vollständig ausreichen, weil Herr Waigel noch immer darauf sitzt und damit einen Kuhhandel betreibt. Das muß man hier einmal sagen.
Sie wollen zu Beginn des nächsten Jahres den Sozialzuschlag bei den Rentenzahlungen auslaufen lassen. Das wird vor allem viele, viele tausend ältere Frauen treffen. Sie wollen das einfach auslaufen lassen, um im Bundeshaushalt eine minimale Einsparung in Höhe von 100 Millionen DM zu bekommen, ohne daß für die neuen Bundesländer eine Ergänzung, nämlich ein Mehrbedarfszuschlag für Ältere, in das Sozialhilfegesetz eingefügt wird . Das ist eine Politik, die nur auf Kosten der Armen, der sozial Schwachen geht.
In der bisherigen Zeit Ihrer Regierung haben wir nur eine lange Liste kennengelernt, wie Unternehmen und wie Reiche, wirklich sehr gut Situierte in diesem Lande entlastet wurden.
Schaffen Sie doch eine Vermögensabgabe! Das Grundgesetz verpflichtet doch alle in dieser Gesellschaft lebenden Menschen, und danach verpflichtet auch Eigentum als Sozialstaatsprinzip.
Wir werden uns der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung nicht entziehen und werden darum kämpfen, daß das Grundgesetz eingehalten wird, insbesondere im Zusammenhang mit der Sozialstaatsverpflichtung.
Ich danke Ihnen.