Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während Regierungskoalition und SPD gemeinsam ein ganz ordentliches Telekommunikationsgesetz erarbeitet und verabschiedet haben, sieht die Bilanz der Postpolitik dieser Bundesregierung nicht gut aus: weniger Beschäftigte, schlechterer Service, aber höhere Preise. So stellt sich für viele Kunden die Post dar. Postchef Klaus Zumwinkel setzt offenbar nicht nur auf „lean production", sondern auch auf „lean service". Es ist gleichermaßen symptomatisch und alarmierend, wenn sein Vorstandskollege Dieter Seegers-Krückeberg in der Bilanzpressekonferenz der Post AG vor zwei Wochen erklärt: „Wir haben uns für Technik und gegen Mitarbeiter entschieden."
Diese Aussage ist symptomatisch angesichts hoher Lohnnebenkosten; ein Problem, das die Regierungskoalition mit ihrer falschen und unehrlichen Finanzierung des deutschen Einigungsprozesses massiv verschärft hat; ein Problem, für das die SPD konkrete Lösungsvorschläge präsentiert, die von Ihnen noch immer ignoriert oder bekämpft werden. Sie tragen damit erhebliche Mitverantwortung für den Personalabbau in Deutschland, bei der Post und anderswo.
Doch die Strategie des Postvorstandes ist auch alarmierend, weil die Post Gefahr läuft, ihre traditionellen Stärken zu verspielen. Warum setzt sie nicht auf das hohe Ansehen der Briefträgerinnen und Briefträger? Warum verkennt die Post die Chancen ihres flächendeckenden Filialnetzes, der einzigartigen Nähe zum Kunden? Es ist doch bezeichnend, wie Bürgerinnen und Bürger allerorten um den Erhalt ihrer Postfiliale kämpfen. Doch die Chancen werden leichtfertig verspielt. Die Post baut nicht auf ihre Stärken auf, sie baut ab.
Das entspricht der Politik dieser Bundesregierung, steht aber nicht im Einklang mit dem grundgesetzlichen Infrastrukturauftrag. Den hat allerdings der Bund, der nach dem Grundgesetz verpflichtet ist, dafür zu sorgen, daß flächendeckend angemessene und ausreichende Postdienstleistungen zur Verfügung stehen.
Nun räume ich ein, Herr Bötsch, daß es als Bundesminister k.w. nicht leicht ist, die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Aber es wäre nicht nur den Versuch wert, sondern Ihre Aufgabe. Statt dessen haben Sie Ihr Versprechen gebrochen, eine fünfstellige Zahl posteigener Filialen in Deutschland dauerhaft zu sichern. Sie haben gestern im Regulierungsrat erstmals offiziell eingeräumt, Ihre Zusage, die Sie seit 1993 immer wieder gegeben haben, nicht mehr einzuhalten; eine Zusage, auf die sich Arbeitnehmer und Kommunalpolitiker verlassen haben. Aber wer sich auf diese Bundesregierung verläßt, ist halt verlassen.
Der Bruch Ihres Versprechens wirft kein gutes Licht auf die Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit Ihrer Politik. Man könnte meinen, daß Bundespostminister und Post AG nicht nur im selben Gebäude untergebracht sind, sondern daß sich das Bundespostministerium zunehmend als Filiale der Post AG versteht. Ihr Schicksal ist entsprechend. Auch das Ministerium wird wie viele Postfilialen demnächst aufgelöst und als Postagentur im Bundeswirtschaftsministerium weitergeführt -
wahrscheinlich wegen der von Rexrodt propagierten längeren Öffnungszeiten.
Auch der Kooperationsvertrag zwischen Post und Postbank - eine entscheidende Voraussetzung für die Sicherung des Filialnetzes, auf die mein Kollege Eike Hovermann noch ausführlich zu sprechen kommen wird - ist noch immer nicht neu abgeschlossen. Seit eineinhalb Jahren behaupten Sie, sich das nicht mehr länger anzusehen und jetzt kräftig auf den Tisch zu hauen. Der Postminister haut auf den Tisch, und der Postchef haut sich vor Lachen auf die Schenkel. So sieht es aus.
Der Regulierungsrat hat den Bundespostminister am Montag einstimmig aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, daß eine neue Schaltervereinbarung abgeschlossen und umgehend ein Postfilialkonzept vorgelegt wird. Im Beschluß des Regulierungsrates wird weiter gefordert, daß bis zur Entscheidung über das zugesagte Filialkonzept keine ersatzlosen Schließungen von Postfilialen stattfinden dürfen. Ich erwarte, daß sich der Postminister an diesen Beschluß des Regulierungsrates hält.
Die F.D.P., die mit dem Thema Post und Postbank nur die Farben Gelb und Blau verbindet, hat in der Koalition wieder einmal ein unsinniges Kompromiß-
Hans Martin Bury
modell durchgesetzt: eine Beteiligung der Post an der Postbank in Höhe von exakt 25 Prozent. Also typisch F.D.P.: nichts Halbes und nichts Ganzes.
- Das ist glücklicherweise richtig, Herr Kollege Stadler. Es sollte auch nie typisch werden.
Die Bankenlobby jedenfalls freut sich. Doch der Infrastrukturauftrag bleibt außen vor. Die Koalition, die von einem Haushaltsloch zum anderen stolpert - wobei man auf großem Fuße leben muß, wenn man bei diesen Haushaltslöchern nur stolpert und nicht hineinfällt -, hat nur den Veräußerungserlös der Postbank im Blick, aber nicht die Sicherung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung.
Entlarvend ist der Satz in Ihren Eckpunkten für die Privatisierung der Postbank: „Zur Kostenreduzierung werden unwirtschaftliche Filialen der Deutschen Post AG abgebaut und/oder in Postagenturen umgewandelt.
Der Verfassungsauftrag lautet nicht: Der Bund sichert die Versorgung der Bevölkerung mit Postdienstleistungen, wo das wirtschaftlich ist. Demnächst werden Sie findigerweise feststellen, daß die Zustellung eines Briefes in ländlichen Gebieten mit Kosten von rund 2 DM belastet ist - angesichts eines Portos von einer Mark glatt „unwirtschaftlich". Wollen Sie die Briefzustellung dann auf Ballungsräume konzentrieren
oder auf dem Land massiv die Portopreise erhöhen? Sie bleiben die Antworten schuldig.
Einer aus Ihren Reihen, der Sprecher der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion für Post und Telekommunikation, verfolgt diese Debatte nicht einmal hier im Plenum, sondern von der Zuschauertribüne des Hauses - offensichtlich aus Protest gegen diese verfehlte Politik der Bundesregierung und seiner Koalition.
Ich darf den Kollegen Müller, der heute offenbar selber nicht zu Wort kommt, deshalb zitieren. Er sagte wörtlich:
Ein Beteiligungskonzept, das der Deutschen Post AG eine Beteiligung an der Deutschen Postbank AG erst 1999 ermöglichen soll, erscheint kaum geeignet, einen Beitrag zur Lösung der aktuellen Probleme der flächendeckenden Infrastruktursicherung mit einer ausreichenden Anzahl von Postfilialen zu leisten.
Schade, daß die vernünftigen Leute bei Ihnen heute nicht zu Wort kommen!
Auf europäischer Ebene versuchen Sie, Herr Bötsch, recht trickreich, die Anforderungen an den sogenannten Universaldienst aufzuweichen und runterzuzonen. Denn bisher ist Ihr Postgesetzentwurf, dessen Einbringung sich seit Monaten immer weiter verzögert, nicht einmal EU-konform - geschweige denn eine verläßliche Grundlage für ein hochwertiges, preisgünstiges Angebot von Postdienstleistungen in ganz Deutschland. Ihre Pläne bergen zudem die Gefahr einer weiten Ausbreitung ungeschützter Arbeitsverhältnisse mit allen Nachteilen für die betroffenen Menschen und mit weiteren massiven Belastungen für die öffentlichen Haushalte. Ihre Liberalisierungspolitik läuft nach dem Motto „Kosten und Risiken werden sozialisiert, Gewinne privatisiert". Das entspricht nicht dem Leitbild einer Sozialen Marktwirtschaft.
Die SPD hat ihre Konzepte für ein neues Postgesetz vorgelegt und im Bundestag eingebracht, Herr Kollege. Da Sie Ihre Vorschläge bisher nicht eingebracht haben, sollten Sie die Zeit nutzen, sie gründlich zu überarbeiten.
Danach lassen Sie uns hier darüber streiten.
Unser gemeinsames Telekommunikationsgesetz, das der Vorsitzende des Postausschusses, unser Kollege Arne Börnsen, kürzlich in den USA vorstellte, wurde dort mit der Bemerkung aufgenommen, der U.S. Congress hätte sich ein Beispiel am Deutschen Bundestag nehmen sollen, was - und deshalb erwähne ich diese Geschichte überhaupt - interessanterweise unseren grünen Kollegen dazu veranlaßte, in den USA fortan zu erklären, er sei mit den Grundzügen des Gesetzes schon immer einig gewesen und habe es nur wegen einiger unbedeutender Punkte abgelehnt.
Um so interessanter war es dann, lieber Manuel Kiper, parallel dazu in einem deutschen Nachrichtenmagazin zu lesen, daß gleichzeitig in Deutschland erklärt wurde, das TKG sei grundsätzlich abzulehnen. Soviel zum Politikstil der Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem ich Sie jetzt alle kritisiert habe, freue ich mich auf die weitere Debatte heute und natürlich später zum Postgesetz. Denn unser Ausschuß hat die von mir in vielen anderen Politikbereichen oft schmerzlich vermißte Eigenschaft, sehr konstruktiv zu streiten und die Argumente der Kontrahenten aufzunehmen.
In diesem Sinne, vielen Dank.