Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bund nimmt 400 Milliarden DM aus Steuern und Abgaben ein. Im Jahr 1995 wurden ziemlich genau 10 Prozent, unserer Staatseinnahmen, nämlich 41 Milliarden DM, an die Europäische Union nach Brüssel abgeführt. Die aktuelle Lage der Staatsfinanzen auf allen Ebenen ist durch massive Konsolidierungsanstrengungen geprägt, anders ausgedrückt: Bund, Länder und Gemeinden sind gezwungen, jede Mark zweimal umzudrehen, bevor sie ausgegeben wird. Vor diesem Hintergrund sind 10 Prozent der Staatseinnahmen eine Größenordnung, über die intensiver nachzudenken sich lohnt.
Die Länder der Europäischen Union bereiten sich auf den Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion vor. Am Jahresende 1997 soll festgelegt werden, wer die Aufnahmekriterien dafür erfüllt und Mitglied des neuen Währungsklubs werden kann. Die aktuelle Phase der staatlichen Politiken in den Mitgliedsländern der EU ist von den Anstrengungen gekennzeichnet, das hochgesteckte Stabilitätsziel zu erreichen.
Die Länder sehen sich auf diesem Wege jedoch drei Gefahren ausgesetzt. Es ist dies erstens die Gefahr der konjunkturellen Versuchung. Das stark gedrosselte Wachstumstempo und die hohe Arbeitslosigkeit treiben die Staatsdefizite nach oben, und es nimmt der Druck auf die Regierungen zu, Beschäftigungsprogramme einzuleiten. Das zu tun, wozu sich viele Regierungen in der Europäischen Union und auch die Bundesregierung entschlossen haben, nämlich einen rigorosen Konsolidierungskurs einzuschlagen und einzuhalten, erscheint deshalb äußerst schwer.
Die zweite Gefahr liegt in der kleinen Zahl. Sicherlich wird es nicht einfach sein, mit einer eventuell nur kleinen Zahl von Teilnehmern an der Währungsunion 1999 zu starten und damit die gesamteuropäischen Beziehungen zu belasten. Die notwendige Festlegung der Währungsparitäten zwischen den „Ins" und den „Outs" bedarf sicherlich eines erheblichen europapolitischen Kraftaktes.
Die dritte Gefahr ist die der späten Stunde. Die rigiden Bedingungen für den Beitritt in die Europäische Währungsunion sind nur Aufnahmekriterien und keine Dauerverpflichtungen. Das birgt die Gefahr in sich, daß man zur Aufnahmeprüfung die Anforderungen erfüllt und nach der Prüfung den Gürtel bis ins letzte Loch weiterstellt. Eine Zusatzvereinbarung für eine dauerhafte Stabilitätspolitik der Teilnehmer ist deshalb unerläßlich.
In den einzelnen Mitgliedsländern der Europäischen Union werden erhebliche Anstrengungen zur Erreichung dieser Ziele unternommen. Ich denke, wir sind verpflichtet, auch mit dem anstehenden Haushalt 1997 ein deutliches Zeichen nach Europa zu geben, daß wir in Deutschland nicht nachlassen werden und daß wir darauf setzen, daß auch andere Länder in Europa diesen Kurs halten.
Bei uns setzt sich die Erkenntnis nur schwer durch, daß die Politik der öffentlichen Haushalte den Wechselkurs der D-Mark direkt beeinflußt und daß der Kurs der D-Mark die Wirtschaft in der EU und mehr noch in den benachbarten Volkswirtschaften stark beeinflußt. Vor dem Hintergrund der erheblichen Anstrengungen der einzelnen Länder ist es natürlich erstaunlich, daß sich die Europäische Kommission für ihr Haushaltsgebaren diesen Anstrengungen überhaupt nicht unterwerfen wollte. Die geplanten Zuwachsraten für den europäischen Haushalt lagen eher in der Größenordnung von 5 Prozent als bei null.
Wilfried Seibel
Dieses Verhalten der Europäischen Kommission ist nicht hinzunehmen. Finanzminister Waigel ist dafür zu danken, daß er sich in Brüssel in der Weise durchgesetzt hat, daß die Steigerungsraten des europäischen Haushalts deutlich geringer als geplant ausgefallen sind. Wir hoffen nun, daß sich das Europäische Parlament in seinen Beratungen diesen Einsichten beugen wird.
Bis 1999 sind wir an das derzeitige Regime der Eigenmittel gebunden. Ich denke, daß sich alle Parteien dieses Hauses einig darüber sind oder recht bald werden können, daß das Eigenmittelregime der EU geändert werden muß und daß sich unsere Position nicht mit der gleichen Dynamik weiterentwikkeln kann, wie es dies in den letzten Jahren getan hat und bis 1999 noch tun wird.
Sie alle wissen, daß wir 1995 26 Milliarden DM netto geleistet haben, und daß die Schätzungen nicht unrealistisch sind, daß sich dieser Betrag bis 1999 verdoppeln wird und damit erheblich mehr als die eingangs von mir erwähnten 10 Prozent des eigenen Steueraufkommens ausmachen werden.
Die realen Kürzungen im Bundeshaushalt für das Jahr 1997 treffen auch die Länder. Die Kürzungen treffen dort auf knappe oder leere Kassen. Über den Bundesrat formiert sich deshalb ein breiter Widerstand der Länder gegen die Ziele des Bundeshaushalts für das Jahr 1997 und die zur Konsolidierung notwendige Gesetzgebung.
Trotz allen Schlachtenlärms dieser Woche wissen wir, daß die Diskussion mit einem Kompromiß beendet wird, der die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu strukturieren wird. Dieses Verhältnis ist durch einen Länderfinanzausgleich zu korrigieren. Das geschieht; es gibt dabei Geber- und Nehmerländer.
Ich denke nun, es ist ein Gebot der Ehrlichkeit im Umgang miteinander, daß wir die Rückflüsse aus der EU, die nahezu vollständig direkt an die Bundesländer gehen, in die Berechnungen des Länderfinanzausgleichs einbeziehen. Dies rechtfertigt sich auch aus der europapolitischen Praxis der deutschen Bundesländer.
Das Finanzvolumen, das im Länderfinanzausgleich verteilt wird, beträgt 11 Milliarden DM; die Rückflüsse aus der EU im Jahr 1995 betrugen 15 Milliarden DM. Diese Zahlungen aus Brüssel, auf die Ausgleichszahlungen angerechnet, ergeben erhebliche und beachtenswerte Größenordnungen. Ich denke, das sollte in der Diskussion um die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern nicht länger totgeschwiegen werden, wie es jetzt Praxis ist.
Ich hoffe, Ihnen die Wirkung an einigen Zahlen plastisch deutlich machen zu können, wobei ich nur die Rückflüsse für die drei Fonds in einer Größenordnung von knapp 5 Milliarden DM in diese Berechnungen einbeziehe. Den Löwenanteil von rund 10 Milliarden DM für die Landwirtschaft lasse ich zunächst außerhalb dieser Betrachtung.
So erhalten alle neuen Bundesländer im Rahmen des Finanzausgleichs rund 5,5 Milliarden DM an Zuweisungen, hinzu kommen knapp 2 Milliarden DM von der EU, oder, anders ausgedrückt, die Zuflüsse von der EU an die neuen Bundesländer erhöhen die Zahlungen aus dem Finanzausgleich um rund 34 Prozent.
In den alten Bundesländern macht dies nur knapp 10 Prozent aus. Das Bild bei den alten Bundesländern ist logischerweise sehr unterschiedlich. Für fünf Länder macht der Zufluß aus der EU eine Erhöhung des Finanzausgleichs bzw. eine Minderung der Zahlpflicht im Finanzausgleich in der Größenordnung zwischen 2 und 10 Prozent aus. Aber für immerhin sechs Länder sind es zweistellige Prozentzahlen. Durch die Rückflüsse der EU erhöht sich die Zuweisung aus dem Finanzausgleich bei Schleswig-Holstein um 43 Prozent, beim Saarland um 38 Prozent, bei Rheinland-Pfalz um 30 Prozent und bei Niedersachsen um 28 Prozent.
Ich will die unglückselige Debatte aus dem Vorjahr nicht wiederbeleben, als für Aufschiebung und Veränderung der Kriterien für die Währungsunion in Europa plädiert wurde. Vor dem Hintergrund dieser jetzt hier genannten Zahlen ist es natürlich kein Zufall, daß die Ministerpräsidenten Lafontaine und Schröder am lautesten die Stimme erhoben haben. Zu Hause schimpfen und in Brüssel kassieren ist zwar eine trickreiche Variante in der Politik, aber sie dient nicht der politischen Kultur in einem vereinten Europa.
Da die Rückflüsse aus Europa den Länderfinanzausgleich in so deutlichen Prozentzahlen beeinflussen, wie ich es hier auszugsweise aufgeführt habe, halte ich es für geboten, die Bundesregierung nötigenfalls mit einem Entschließungsantrag des Deutschen Bundestages aufzufordern, in den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern dieses Herbstes Rückflüsse aus der EU für die Zahlungen im Länderfinanzausgleich in Anrechnung zu bringen.