Rede von
Detlev
von
Larcher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine ganze Stunde habe ich - wie vielleicht auch mancher von Ihnen - heute mittag dem Bundesfinanzminister zugehört. Mir ist Verschiedenes aufgefallen: Zum einen hat er sich unheimlich viel und intensiv gelobt. Ich habe mir gedacht: Hat er denn sonst keinen, der ihn lobt? Warum muß er sich selber so loben?
Dann fiel mir ein, daß ich in meiner Kindheit ein Sprichwort über das Eigenlob gehört habe. Das war allerdings in Siebenbürgen; ich glaube aber, in Bayern gibt es das auch.
Zum anderen fiel mir die Widersprüchlichkeit seiner Argumentation auf, wenn er von den Bundesländern spricht, insbesondere von denen mit sozialdemokratischen Ministerpräsidenten. Einerseits beklagt er sich, sie würden bei der Konsolidierung nicht mitmachen. Fast im selben Atemzug referiert er dann die Sparmaßnahmen in den Bundesländern. Für eines müssen Sie sich entscheiden, Herr Waigel. Beides geht nicht.
Ich bin jetzt sechs Jahre in diesem Parlament.
- Ich wußte, daß Sie das rufen. Ich habe in meinen Anfangsjahren immer gehört, daß die Erblast, die diese arme Bundesregierung zu übernehmen hatte, schuld an allen Fehlentwicklungen war. Jetzt ist es nicht mehr die Erblast, sondern die Blockadehaltung der Politik - nur nicht die Bundesregierung und ihre Mehrheit, die seit 14 Jahren regiert! Das ist die Arroganz der Mehrheit in diesem Hause.
Übrigens, meine Damen und Herren, wer hier sagt - das habe ich von vielen Koalitionsrednern gehört -: „Zu unserer Politik gibt es keine reale Alternative", der sagt: „Ich bin nicht diskussionsbereit, ich bin nicht bereit zuzuhören, ich bin nicht mehr bereit zu lernen." Nichts anderes heißt dies; sonst müßte man über Wege diskutieren. Wenn Sie hier sagen: „Wer nicht so will wie ich, der blockiert", machen Sie deutlich, daß Sie überhaupt nicht mehr diskutieren wollen.
Jeder, der heute ernsthaft debattiert, muß dieser Bundesregierung zurufen: Hört auf mit eurer Umverteilungspolitik! Hört auf, den Standort Deutschland kaputtzureden, um einen Vorwand für Umverteilung zu haben!
Hört auf, mit der Abbruchbirne unseren Sozialstaat zu traktieren! Hört auf mit der Zerstörung des Fundaments einer wirklich sozialen Marktwirtschaft!
Detlev von Larcher
Hört auf mit der Steigerung der Arbeitslosigkeit! Hört auf mit der Vergrößerung der Armut in unserem reichen Land!
Wer wirklich Wachstum und mehr Beschäftigung will, muß nicht wohlklingende Überschriften erfinden, sondern eine Wachstumspolitik betreiben, eine Politik des qualitativen Wachstums. Nicht ein Abbruch und eine Zerstörung der Nachfrage, sondern Investitionen in die Zukunft sind notwendig, zum Beispiel Investitionen in Forschung und Entwicklung, zum Beispiel Investitionen in die Ausbildung, zum Beispiel eine aktive Arbeitsmarktpolitik, zum Beispiel Investitionen in die Städtebauförderung.
Das sind nur einige Punkte, bei denen Ihr Haushaltsentwurf rachitisch ist. Das sind nur einige Punkte, die die Unfähigkeit dieser Bundesregierung offenbaren, eine gute Zukunft unseres Landes zu gestalten.
- Sie sagen, das ist unser Programm. Aber wie drückt sich das in Zahlen aus? - Die Zahlen drücken das Gegenteil aus. Die Zahlen des Haushaltsentwurfs sind erschreckend. Rund jede sechste Mark, die ausgegeben wird, wird aus neuen Schulden finanziert. Aber das eigentliche Problem ist nicht die hohe Neuverschuldung, die uns diese Bundesregierung beschert. Viel schlimmer ist es, wie diese katastrophale Finanzlage zustande kommt. Sie ist vor allen Dingen das Resultat Ihrer lang anhaltenden Parallelpolitik, einer Finanzpolitik, die sich wider jede wirtschaftliche Vernunft an Kriterien orientiert, die für private Wirtschaftsanlagen richtig, für den Staat aber grundverkehrt sind. Symmetrisch sollen sie angeblich sein, aber die totale soziale Asymmetrie ist die Folge.
Seit dem Abbrechen des Vereinigungsbooms hetzen Bundesregierung und Koalition von einem sogenannten Sparpaket zum nächsten. Da ist es kein Wunder, daß die gebetsmühlenartigen Ankündigungen einer durchgreifenden konjunkturellen Erholung immer nur Ankündigungen geblieben sind. Die Binnennachfrage wird von Ihnen abgewürgt. Die Arbeitslosigkeit steigt weiter. Die Steuereinnahmen bleiben folgerichtig hinter den Erwartungen zurück. Die Einnahmen der Sozialversicherung entwickeln sich schwächer, während gleichzeitig die Ausgaben steigen.
Ihr vorgebliches Ziel der Haushaltskonsolidierung und -sanierung wird deshalb regelmäßig verfehlt, wenn ausgerechnet in Rezessionsphasen Sparpakete, wie Sie es schönfärberisch nennen, geschnürt werden. Ich sage dazu: Abbruchpakete. Ihre Abbruchpolitik ist das größte Haushaltsrisiko.
Sehr eindringlich haben im Frühjahr die großen Wirtschaftsforschungsinstitute davor gewarnt, einen konjunkturbedingten Anstieg der Neuverschuldung mit weiteren Sparmaßnahmen bekämpfen zu wollen. Aber wissenschaftlichen Rat nimmt diese Bundesregierung ohnehin nur dann ernst, wenn er ihr gelegen kommt.
Als zweiter sogenannter Sachzwang zur Rechtfertigung Ihrer immer neuen Attacken auf den Sozialstaat dient Ihnen der Vertrag von Maastricht mit seinen Konvergenzkriterien für den Eintritt in die Europäische Währungsunion. Aber mit Ihrer Finanzpolitik werden Sie die Konvergenzkriterien gerade nicht erfüllen. Im Gegenteil: Weil auf Grund Ihrer völlig verfehlten Finanzpolitik die Bezugsgröße, das Bruttoinlandsprodukt, weit unter den Möglichkeiten bleibt, steigen die Defizite und die Verschuldungsquote sogar noch.
Wie wollen Sie, Herr Minister Waigel - ist er denn überhaupt noch da? -,
eigentlich einen europäischen Stabilitätspakt hinbekommen, wenn Sie nicht einmal erkennen, daß Ihre Finanzpolitik in höchstem Maße destabilisierend wirkt?
- Das nehme ich natürlich nicht zurück, weil es richtig ist.
Immer wieder frage ich mich: Kann es wirklich sein, daß Sie diese grundlegenden ökonomischen Zusammenhänge nicht verstehen? Nein, antworte ich, Sie wollen die Zusammenhänge nicht sehen, weil sie dem Hauptziel Ihrer Politik im Wege stehen, für die Sie die Rekordmassenarbeitslosigkeit in Kauf nehmen, nämlich der beispiellosen Politik der Umverteilung von unten nach oben. Die Teilnehmer an den Massendemonstrationen, die der Herr Bundeskanzler frech verächtlich macht, rufen Ihnen zu: Kehrt endlich um! Wir Sozialdemokraten stehen an der Seite derer, die das rufen.
Stichwort Umverteilung: Sie ist im Steuer- und Finanzchaos dieser Bundesregierung neben der Parallelpolitik die zweite Konstante. Sie hat ebenso verheerende gesamtwirtschaftliche Folgen. Ich will das an Hand einiger Zahlen zur Entwicklung des Steueraufkommens verdeutlichen: 1980 betrug der Anteil der Lohnsteuer am gesamten Steueraufkommen 30,6 Prozent; 1990 betrug er 32,3 Prozent; 1995 waren es - ohne Solidaritätszuschlag - schon 34,7 Prozent. Dagegen sank der Anteil der veranlagten Einkommensteuer von 10,1 Prozent über 6,6 Prozent im Jahre 1990 auf gerade noch 1,7 Prozent im Jahre 1995.
Detlev von Larcher
Nicht wesentlich anders sehen die Zahlen bei der Körperschaftsteuer aus.
Zuni Standort Deutschland. Das Münchener If o-Institut kommt in seinem jüngsten Gutachten zur Standortdebatte zu dem Ergebnis, die Effektivbelastung mit Unternehmensteuern sei in der Bundesrepublik im Vergleich zu den wichtigsten Industrieländern eher niedrig. Die Bundesregierung kommt in ihrem Standortbericht vom Juni 1994 zu dem Ergebnis, die Ertragsteuerbelastung der Unternehmen liege auf dem niedrigsten Niveau in der Geschichte der Bundesrepublik. In der Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion zur Entwicklung des Steueraufkommens und der Steuerstruktur stellt die Bundesregierung fest: Von 1970 bis 1994 stieg der Anteil der Lohnsteuer an den gesamten Steuereinnahmen um 11 Prozentpunkte; gleichzeitig sank der Beitrag der Steuern aus Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 10 Prozentpunkte. Im Bundesbankbericht vom November 1995 wird nach Untersuchungen von 17 000 Jahresabschlüssen des Jahres 1994 konstatiert: Immerhin stiegen die Gewinne vor Steuern um 34 Prozent, nach Steuern auf Grund steuerlicher Entlastungen sogar um 43 Prozent.
Sie behaupten, mehr Arbeitsplätze auf Grund von mehr Investitionen gebe es durch die Entlastung der Unternehmen. Aber hat diese gigantische Entlastung der Unternehmen tatsächlich zu mehr Investitionen und neuen Arbeitsplätzen geführt? Jeder kann sehen, daß das nicht so ist. Nur die Bundesregierung braucht für diese Erkenntnis offenbar etwas länger. Müssen Sie unbedingt noch demonstrieren, daß auch die Abschaffung der Vermögensteuer nicht zu zusätzlichen Investitionen und wirtschaftlicher Dynamik führt, wenn die kaufkräftige Nachfrage fehlt?
Wollen Sie uns weismachen, die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer oder der gesamten Gewerbesteuer verkehre den grundsätzlichen Irrtum Ihres Ansatzes in Wahrheit?
Oder bedarf es dazu einer kompletten Abschaffung
aller Unternehmensteuern?
Ausgerechnet die Gewerbekapitalsteuer mit 3,5 Milliarden DM Ertrag soll nun über das Wohl und Wehe des Standorts entscheiden? Ich hätte von Herrn Waigel gerne gehört, ob denn nun der Plan, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen, der Einstieg in den Ausstieg aus der Gewerbesteuer insgesamt ist oder nicht. Dazu sagt er aber nichts.
Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Die beispiellose Umverteilung von unten nach oben ist eine weitere wichtige Ursache der schlechten wirtschaftlichen Lage. Die Beschneidung der Konsummöglichkeiten gerade derjenigen, die zusätzliches
Einkommen auch tatsächlich ausgeben würden, vernichtet Nachfrage und damit Arbeitsplätze.
Auch die Freistellung des Existenzminimums und die Neuregelung des Familienlastenausgleiches im Jahressteuergesetz 1996 haben dieses entscheidende Problem nur gemildert, aber nicht beseitigt. Zwar hat die SPD in diesen beiden Punkten gegen Ihren Widerstand wichtige Erfolge erzielt
und sich sehr weitgehend gegen die Position Ihrer Koalition durchgesetzt, aber eine konsequente Reform haben Sie verhindert. Und selbst den damals mühsam gefundenen Kompromiß wollen Sie nun mit dem Jahressteuergesetz 1997 wieder kippen. Dazu lassen Sie die Menschen wissen, es mache doch keinen großen Unterschied, ob die Erhöhung des Kindergeldes ein Jahr früher oder später komme. Für mich trifft das sicher zu, für Herrn Waigel auch. Aber für eine Familie mit zwei Kindern und mittlerem Einkommen ist es sehr wohl wichtig, ob sie 480 DM mehr oder weniger zur Verfügung hat.
Das ist viel, viel wichtiger als die rund 8 000 DM, die Sie dem durchschnittlichen Vermögensteuerzahler in Zukunft erlassen wollen, und das ohne jede stichhaltige Begründung. Meine Kollegin Matthäus-Maier hat schon betont, daß das Kindergeld ein Rechtsanspruch auf ein steuerfreies Existenzminimum des Kindes ist. Ich sage Ihnen: Auch die ökonomische Vernunft gebietet die pünktliche Erhöhung des Kindergeldes.
Das wichtigste Argument für den Wegfall der Vermögensteuer war doch der vom Verfassungsgericht aufgestellte Grundsatz der Halbteilung des Ertrags. Ich will mich hier gar nicht weiter darüber auslassen, wie dieser Grundsatz interpretiert werden muß. Ich möchte Sie hierzu nur fragen: Meinen Sie nicht, daß nach der von Ihnen so vollmundig angekündigten drastischen Senkung des Spitzensteuersatzes auch hinsichtlich dieses Halbteilungsgrundsatzes keinerlei Bedenken mehr gegen den Fortbestand der Vermögensteuer bestehen können?
Ich verstehe sehr gut, daß Sie sich in Sachen Steuerreform selbst nicht über den Weg trauen.
Schließlich war es doch diese Bundesregierung, die gleich nach der Bundestagswahl den Zwischenbericht der Bareis-Kommission sofort in den Reißwolf gesteckt hat. Wie sollte es da ausgerechnet Ihnen gelingen, einen tragfähigen Reformvorschlag zu machen, der die dringend notwendige Steuervereinfachung mit der Wiederherstellung des Leistungsfähigkeitsprinzips bei der Besteuerung verbindet? Das Sommertheater, das Ihre selbsternannten Steuer-
Detlev von Larcher
experten aufgeführt haben, bestätigt meine Einschätzung auch voll und ganz. Noch bevor ein einziger konkreter Vorschlag zum Abbau von Steuervergünstigungen das Licht der christlich-liberalen Welt erblickt hat, liegt sich die Koalition erst einmal wegen des Termins in den Haaren, wobei die wahltaktischen Motive der Koalitionspartner allzu offensichtlich waren. Jetzt können Sie von der F.D.P. ja einmal für unseren Termin stimmen. Ich bin neugierig, wie ernst Sie das meinen.
Ich sage Ihnen: Es wird mit dieser Koalition keine wirkliche Steuerreform geben können. Man muß sich ja nur anschauen, wie Sie sich gegenseitig die Brokken um die Ohren werfen. Der F.D.P.-Vorsitzende kritisiert Herrn Schäuble, weil der von einem Nettobetrag der Entlastung in Höhe von nur 20 bis 30 Milliarden DM ausgeht; Herr Gunnar Uldall will über 100 Milliarden DM bewegen; Herr Hintze tröstet uns nun damit: Am 7. Oktober wird etwas beschlossen, aber das ist nur möglicherweise sehr konkret. Also, ich glaube, Sie kriegen das nicht hin.
Alles, was von Ihrem Jahrhundertprojekt noch übrig ist, ist der Stufentarif mit Spitzensteuersätzen, die einen fetten Reibach für Spitzenverdiener versprechen; vom Abbau von Steuervergünstigungen reden Sie kaum noch, wie auch. Sie waren es doch, die mit immer neuen Steuergesetzen jeweils mit großem Tamtam ein paar Steuersubventionen gestrichen haben, während mindestens doppelt so viele neu hinzugekommen sind.
Das neue Zauberwort der Koalition für die Gegenfinanzierung der Tarifsenkung lautet nun: Mehrwertsteuererhöhung. Das ist sicherlich der bequemste Weg. Auf dem Gehaltszettel stehen dann für alle niedrigere Steuern; nur, das Portemonnaie wird für die meisten noch leerer sein als bisher. Als Steuersenkungskoalition wollten Sie in die Sommerpause gehen, als Mehrwertsteuererhöher sind Sie aus ihr herausgekommen. Phantastische Versprechen vor der Sommerpause - Sie sind gestürzt, ehe Sie gestartet sind.
Die wahren Ziele Ihrer Politik versuchen Sie zu verschleiern hinter wohlklingenden Überschriften. Die Ergebnisse Ihrer Politik sind Massenarbeitslosigkeit, mehr Armut in einer reichen Gesellschaft und Rekordschulden. Der Vollzug Ihres heute eingebrachten Haushaltsentwurfs, Herr Waigel, wird diese Spirale noch beschleunigen. Wer es mit unserem Volk gut meint, muß diesen Entwurf ablehnen.