Rede von
Eckart
Kuhlwein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das wohlformulierte Selbstlob der Bundesumweltministerin kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Umweltpolitik bei dieser Regierung von Jahr zu Jahr an Bedeutung verliert.
Das hat damit zu tun, daß in dieser Regierung diejenigen den Ton angeben, die Umweltpolitik für Luxus halten, den man sich in wirtschafts- und finanzpolitisch schwierigen Zeiten nicht leisten dürfe.
Die Frau Ministerin weiß es, wenn wir ihre Erklärungen ernst nehmen, besser. Das gestehen wir ihr ausdrücklich zu. Aber ihre Durchsetzungsfähigkeit war von Anfang an gering und nimmt immer stärker ab, und politisches Handeln wird immer häufiger durch symbolische Akte ersetzt.
Was ich nicht verstehe, Frau Merkel, ist, daß Sie Ihre Niederlagen auch noch als Siege verkaufen wollen. Wir bieten Ihnen an, mit uns gemeinsam gegen die Bremser in Ihren Reihen vorzugehen. Da gibt es ja immer noch eine ganze Reihe von Betonköpfen. Wenn sich jetzt der eine mit ein wenig Dachbegrünung auf seinem Betonkopf zum Naturschützer entwickeln will, dann wollen wir noch sehr viel mehr Taten sehen als diesen einen Elbe-Kompromiß, der in den letzten Tagen lauthals verkündet wurde.
Auch Herr Rexrodt wird mit seinem Energiewirtschaftsgesetz noch lange nicht zum Apostel der Sonnenenergie.
Wir erwarten von Ihnen, Frau Merkel, deutliche Worte auch an die eigene Adresse und an die Kollegen im Kabinett und nicht nur Appelle an andere wie in Ihrer Rede, die Sie gerade gehalten haben.
Es ist zweifellos richtig, daß sich die Umweltpolitik wegen der Querschnittsfunktion nicht allein am Einzelplan 16 festmachen läßt. Aber wenn der Stammhaushalt um 3 Prozent auf dürftige 746 - in Worten: siebenhundertsechsundvierzig - Millionen DM sinkt - noch stärker als andere Einzelpläne -, dann ist das für die Umweltpolitik wahrlich kein Grund zum Jubeln. Im Gegenteil, Umweltpolitiker müßten eigentlich Trauer tragen.
Frau Merkel, Sie können nicht einmal behaupten, Sie seien noch einmal davongekommen. Um die Wahrheit zu verschleiern, haben Sie das Gesamtbild geschönt, indem Sie bei den Endlagern für radioaktive Abfälle - das ist der Bereich, der durch Gebühren und Entgelte von den Verursachern radioaktiver Abfälle refinanziert wird - bei Einnahmen und Ausgaben viel zu hohe Beträge eingesetzt haben. Hier ist eine Größenordnung von 200 Millionen DM noch aufklärungsbedürftig. Dies ist übrigens ein Musterbeispiel dafür, wie diese Bundesregierung mit den Grundsätzen der Haushaltswahrheit und -klarheit umgeht. Auch für den Einzelplan 16 gilt unsere Bewertung: unseriös und unsolide Arbeit.
Die Umweltschutzausgaben im gesamten Bundeshaushalt sinken weiter von 9,9 auf 9,5 Milliarden DM. Auch dies muß man dazusagen, wenn man auf Haushaltspositionen in anderen Einzelplänen hinweist. Auch in diesem Jahr ist bei manchen in der Liste des Finanzministers aufgeführten sogenannten Umweltschutzausgaben nicht ganz klar, was diese Bundesregierung eigentlich unter Umweltschutz versteht. Sicher ist die Sanierung von Kasernengrundstücken und die Beseitigung von Kampfmitteln oder die Vernichtung von Dekontaminationsmitteln notwendig, aber mit Umweltpolitik im Sinne politischer Gestaltung haben solche Aufwendungen doch nur sehr wenig zu tun.
Die SPD-Fraktion bleibt dabei: Wir brauchen endlich eine kritische Bewertung aller Ausgabentitel des Bundeshaushalts unter ökologischen Gesichtspunkten. Die Koalition hat unseren Antrag abgelehnt, sämtliche Bundesbehörden an dem für Gewerbebetriebe und Industrieunternehmen empfohlenen Umweltaudit zu beteiligen, das die Bundesumweltministerin in ihrer Rede gerade wieder gelobt hat. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen" hat im Sommer dieses Jahres die Einführung internationaler Umweltaudits für Staaten und Wirtschaftszweige vorgeschlagen. Wenn Sie unserem Vorschlag gefolgt wären, damit zunächst einmal in der Bundesverwaltung anzufangen, wäre die Bundesregierung hier schon einen Schritt weiter.
Es ist an der Zeit, daß Sie im eigenen Laden damit beginnen, weil Sie hier und international eine Vorbildfunktion beim Umweltaudit übernehmen müßten. Wir können damit nicht warten, bis die von der
Eckart Kuhlwein
Bundesregierung angekündigten Untersuchungen für den Aufbau einer umweltökonomischen Gesamtrechnung beendet sind.
Die Bundesumweltministerin ist jetzt auf der Suche nach einem gemeinsamen Verständnis über die konkreten Inhalte und die praktische Umsetzung des Leitbilds einer nachhaltigen Entwicklung, wie es auch 1992 in Rio formuliert worden ist. Sie hat dazu Anfang Juli dieses Jahres eine Tagung im Wissenschaftszentrum veranstaltet. Ich war dabei. Es waren interessante Leute da. Es ist alles sehr schön. Schöner aber wäre es, Frau Merkel, wenn Sie und Ihr Vorgänger schon etwas früher an konkreten Inhalten zur Umsetzung von Rio gearbeitet hätten.
Ganz großartig wäre es, wenn das Bundesumweltministerium wenigstens zum Haushalt 1997 erste Maßnahmen - auch in anderen Ressorts, zum Beispiel beim Verkehrsminister oder dem Landwirtschaftsminister - vorgesehen hätte, wie ein Haushalt aussehen muß, der „Schritte zu einer nachhaltigen, umweltgerechten Entwicklung", wie es in Ihrer Einladung hieß, gehen will. Wir wären schon mit kleinen Schritten zufrieden gewesen. Aber ich fürchte, daß in keinem Land der Widerspruch zwischen Ankündigungen und Taten in der Umweltpolitik so groß ist wie bei dieser Bundesregierung.
Der eben genannte Workshop, mit dem Frau Merkel zu einem einjährigen Diskussionsprozeß eingeladen hat, in dem Ziele und Handlungsoptionen für die nächsten Jahre formuliert werden sollen, ist sicher nicht überflüssig gewesen. Man kann gar nicht oft genug Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster Interessen an einen Tisch setzen. Aber ich werde den Eindruck nicht los, Frau Merkel, daß Sie als Umweltministerin ein Feld als Spielwiese besetzen, um von den konkreten Handlungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten abzulenken. Solche konkreten Vorschläge gibt es in Hülle und Fülle, von den Empfehlungen der Enquete-Kommissionen dieses Hauses über die Studie des Wuppertal-Instituts bis zu den Anregungen des Sachverständigenrats. Auch gibt es konkrete Vorschläge der SPD-Fraktion zur ökologischen Steuerreform, für ein Klimaschutzprogramm, für ein 100 000-Dächer-Programm zur Förderung der Solarzellenproduktion
und eine Reihe andere Vorschläge, Frau Kollegin Homburger, die Sie alle auf der rechten Seite dieses Hauses im Plenum abgelehnt haben.
Es fehlt der Ministerin offenbar der Mut oder vielleicht nur das Durchsetzungsvermögen, aus den vielen richtigen Vorschlägen Initiativen in der Regierungspolitik zu machen. Ich möchte Sie deshalb davor warnen, aus dem Projekt Nachhaltigkeit eine Reihe von endlosen Diskussionszirkeln werden zu lassen. Das könnte der nachhaltigen Entwicklung in Deutschland nachhaltig Schaden zufügen.
In dem Papier, das Sie als Diskussionsgrundlage eingebracht haben, steht viel Richtiges. Aber die Nutzung der Atomenergie als Handlungsansatz für den Klimaschutz und für eine nachhaltige Entwicklung zu bezeichnen, das kann nur jemandem eingefallen sein, der Tschernobyl verdrängt hat und Gorleben für eine Rekultivierungsmaßnahme hält.
Mit nachhaltigem Wirtschaften ist die andauernde Nutzung der Kernenergie nicht vereinbar. Mit der Atomenergie zementieren Sie eine Energieversorgung, die auf Verschwendung ausgerichtet ist und damit auch das Klimaproblem nicht lösen wird. Sie vertreten hier eine absolut strukturkonservative Position, die weder ökologisch noch ökonomisch vertretbar sein kann.
Ich will hier gar nicht aufblättern, wie teuer die Stromkunden bereits der Ausbau von Gorleben und Konrad als potentielle Endlager für radioaktiven Müll kommt. Am Ende werden es nach heutigen Vorausberechnungen wenigstens 7 Milliarden DM sein, eine Summe, mit der man gewaltige Energieeinsparungen anstoßen oder spielend die Markteinführung der Photovoltaik finanzieren könnte. Aber das ist ja leider verschüttete Milch. Irgendwo wird das Zeug am Ende hin müssen, von dem mit der politischen Hilfe dieser Bundesregierung, dieser Koalition Jahr für Jahr immer noch mehr angehäuft wird.
Daß Sie aber, Frau Merkel, aus dem Bundeshaushalt zu Lasten der Steuerzahler auch noch rund 60 Millionen DM für die Deponie in Morsleben abzweigen, ohne von der Atomindustrie Gebühren oder ein Entgelt zu fordern, das ist, gelinde gesagt, nicht nur eine unsinnige, sondern eine geradezu systemwidrige Subvention,
ganz gleich, Herr Kollege Kriedner, ob Sie solche Bewertungen für vulgärmarxistisch halten oder nicht.
- Immerhin ist er Vertreter einer Regierungskoalition, die sich angeblich den Subventionsabbau auf die Fahne geschrieben hat.
Gleichzeitig kürzen Sie die Förderung der Umweltschutzprojekte Inland um insgesamt 60 Prozent gegenüber 1994. Offenbar gibt es in Deutschlands Betrieben nichts mehr zu entwickeln. Es heißt, es lägen beim Umweltbundesamt nicht genügend förderungsfähige Anträge vor. Nachdem Deutschland dabei ist, seine Spitzenstellung bei Technologien zur Sanierung und Begrenzung von Umweltschäden zu verlieren, verzichten wir gleich auf die Förderung von Konzepten für integrierten Umweltschutz, für rohstoff-
Eckart Kuhlwein
und energiesparende Verfahren und Produkte. Ich könnte mir vorstellen, daß das Umweltministerium mit der Fülle seiner Forschungsvorhaben einmal den Versuch macht, sie etwas stärker in die Anwendungsnähe zu bringen und sich in einer Innovationsoffensive für integrierten Umweltschutz Firmen selber zu suchen, in denen man das umsetzen kann, was mit hohen Haushaltsmitteln erforscht und entwickelt worden ist.
Im Diskussionspapier des BMU „Schritte zu einer nachhaltigen, umweltgerechten Entwicklung" heißt es, Ziel sei der Übergang von Raubbau und Wegwerfmentalität zu langfristig tragbaren Wirtschafts- und Lebensweisen. Wenn das Ziel ernst gemeint sein sollte, stellen wir fest: Die Praxis dieses Haushalts wird ihm nicht gerecht. Der Entwurf des Bundeshaushalts für 1997 zeigt, daß diese Regierung nicht nur finanzpolitisch die Zukunft verspielt. Er zeigt, daß sie auch wirtschaftspolitisch, technologiepolitisch und umweltpolitisch nicht zukunftsfähig ist.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.