Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Theo Waigel hat heute in seiner Rede das Wort „Haushalt der Verantwortung" meines Erachtens zu Recht gemieden, das Sie, Herr Repnik, gerade ebendiesem Bundeshaushalt attestiert haben. Denn wie sollte er auch von einem Haushalt der Verantwortung reden, wenn selbst die Haushälter der Koalition, die Kollegen Weng und Roth, gestern der Presse gegenüber erklärt haben, wo die Risiken des Jahres 1997 liegen und daß praktisch Nachbesserungen im Sparkonzept erforderlich sind, wenn die Nullstellung der Überweisungen an die Bundesanstalt für Arbeit überhaupt durchgesetzt werden kann? Welch ein Armutszeugnis zu Beginn einer Haushaltsdebatte, wenn die eigene Koalition ihrem Finanzminister schon signalisiert, daß seine finanzpolitischen Rahmenbedingungen im Prinzip unseriös sind.
Schauen wir uns einmal an, vor welchem Problem diese Regierung steht: Sie hat 1996 - heute von dem Finanzminister auch im Parlament erstmalig eingeräumt - ein zusätzliches Defizit von 10 Milliarden DM eingefahren. Sie wird dieses Jahr, genauso wie letztes Jahr, das Defizitkriterium von Maastricht um einen halben Prozentpunkt verfehlen, und sie wird im Referenzjahr 1997 alles tun, um ihre Politik dieser Zielsetzung unterzuordnen. Vor dem Hintergrund ist jegliche Argumentation des Finanzministers, die darauf hinausläuft zu sagen, die Opposition blockiert im Bundesrat nötige Konsolidierungserfolge, ein Stück Lug und Trug.
Er hat das Wort von der originären Arbeitslosenhilfe verwandt und gesagt, ihre Einführung sei im Bundesrat gescheitert. Was, bitte schön, korrigiert die originäre Arbeitslosenhilfe, gesamtstaatlich gesehen, am Defizit? Wenn sie wegfällt - das sind 600 Millionen DM im Jahr -, dann zahlen doch die kommunalen Sozialhilfeträger diese Aufwendungen. Die höheren Ausgaben für Sozialhilfe vergrößern die kommunalen Defizite, was wieder in die gesamtstaatliche Defizitbilanz einfließt. Das ist doch die Wahrheit; das muß man seriöserweise auch so formulieren.
Der Finanzminister erträgt anscheinend die Aufzählung dieser Fakten nicht.
- Ich korrigiere mich; ich habe das Signal nicht gesehen. Auch ein Finanzminister muß einmal.
Wenn wir die fiskalpolitische Verantwortung anmahnen und sehen, daß diese Regierung auch für das nächste Jahr ein Wirtschaftswachstum unterstellt, das nach menschlichem Ermessen nicht eintreten wird, und wenn ich daran erinnere, daß im September des letzten Jahres während der ersten Lesung des Haushalts 1996 dieser Finanzminister noch von Wachstum geredet hat - was dann bereits zwei Monate später vor der dritten Lesung mit dem Waigel-Wisch korrigiert werden mußte -, so kann ich im gesamtstaatlichen Interesse, zu dem sich auch eine Opposition bekennen muß, nur hoffen, daß hier das Prinzip Hoffnung nicht wieder wie im letzten Jahr auf Sand gebaut ist.
Dieser Haushalt hat keine Knautschzone mehr. Dies war eine Leitaussage der Grünen in der Haushaltsdebatte im Jahr 1995. Es ist in der Tat so: Jede konjunkturelle Delle, jede sogenannte Wachstumspause führt dazu, daß wir gesamtstaatlich gesehen unter einen Konsolidierungsdruck geraten, der jetzt wiederum dazu führt, daß die Regierung und die rechte Seite des Hauses versuchen, ihr Sparkonzept diese Woche durchzuziehen. Ein Sparkonzept, von dem man sagen muß: Ausgabenkonsolidierung gehört vom Grundprinzip her auch in die Zeit der knappen Kassen, aus denen allein in diesem Jahr jede vierte Steuermark zur Begleichung der Schuldenlast dieser Regierung aufgewendet wird.
Oswald Metzger
Wenn man aber an die gesamtstaatliche Solidarität appelliert und ein solches finanzpolitisches Programm zur Debatte stellt, dann kann es doch nicht angehen, daß man die eigenen Sparziele diskreditiert, indem man die gesellschaftliche Lastenverteilung einseitig orientiert. Ich richte hier deutlich an die Adresse der Regierung folgenden Vorwurf: Es ist ein strategischer Fehlgriff sondergleichen, daß Sie den kleinen Leuten und den Familien dieser Republik die Lasten aufbürden, aber die Vermögensteuer abschaffen wollen. Er wird Ihnen die Unterstützung der Bevölkerung vermasseln, die dieses Programm mittragen muß, wenn es tatsächlich greifen soll.
Gesamtgesellschaftliche Konsolidierung heißt natürlich auch, daß alle staatlichen Ebenen ihre Aufgaben erfüllen müssen. Aber wie können Sie erwarten, daß angesichts des Ritus „Regierung macht einen Vorschlag; Opposition reagiert wie Pawlows Hund" eine seriöse Diskussion möglich wird, wenn alle Vorschläge darauf abzielen, den Bundesländern in ihrer strategischen Finanzplanung weh zu tun? Wie können Sie von einem Partner Verhandlungsbereitschaft erwarten, den Sie mit Ihren Konzepten buchstäblich an die Wand zu drücken versuchen? Dann können Sie doch nicht von Blockade reden. Sie könnten von Blockade nur dann reden, wenn Ihre Konzepte tatsächlich auch einen gesamtstaatlichen Ansatz hätten und Sie die Kostenbelastungen der Kommunen und der Bundesländer einbeziehen würden.
Ich nenne nur ein Stichwort: Versorgungsbericht.
Minister Kanther ist seit gut zwei Jahren im Verzug, dem Parlamentsauftrag zu folgen und diesen Versorgungsbericht vorzulegen. Er hat noch im Juni per Telefonat persönlich allen Berichterstattern seines Ressorts, des Innenministeriums - ich gehöre dazu -, gesagt: Vor der ersten Lesung des Bundeshaushalts 1997 wird dieser Bericht öffentlich vorliegen.
Der Bericht liegt nicht vor.
Wenn er vorläge, würde man aus diesem Bericht den lawinenartigen Anstieg der Kostenbelastung im Versorgungsbereich ersehen. Dieser Versorgungsbericht wäre aber auch ein Beispiel dafür, daß sich bei den Bundesländern - entgegen des Finanzministers Argumentation - die Schere zwischen Einnahmenentwicklung und zusätzlichen Kostenbelastungen im Bereich der Versorgung, beispielsweise bei den Beamtenpensionen für Polizeidienst, Lehrer und Justizapparat, immer weiter öffnet, und zwar in einem Ausmaß, das weit über dem des Bundes liegt.
Auch das ist eine Wahrheit. Diese Wahrheit könnte man hier im Parlament durchaus ansprechen, weil alle Parlamentsfraktionen in Landesregierungen in Regierungsverantwortung stehen. Diesen Zusammenhang erwähnt hier niemand. Vor diesem Zusammenhang muß dieses Parlament, muß die Politik in dieser Republik aber durchaus bestehen und dafür Konzepte entwickeln.
Da sagen wir als grüne Fraktion zum Beispiel, die auch im Bereich der Beamten durchaus nicht unerhebliche Wählerschichten hat: Wir müssen in der Beamtenversorgung konsolidieren. Hinsichtlich der Ministerialzulage besteht wohl Konsens. Aber was ist mit der 13. Monatspension? Ist es gerechtfertigt, daß die Gruppe der Versorgungsempfänger 13 Monatspensionen bekommt, während die Arbeiter und Angestellten, die ihre Rentenansprüche mit eigenen Beiträgen erarbeitet haben, nur 12 Monatsrenten bekommen?
Diese Konsolidierungsmaßnahme würde - nur, um einmal ein gesamtstaatliches Volumen zu beziffern - auf allen staatlichen Ebenen 4,5 Milliarden DM ausmachen und allein dem Bund 1997 1,3 Milliarden DM Entlastung bringen. Das ist ein konkretes Wort. Ich sage das so deutlich, damit von der Regierungsseite nicht reflektorisch die Aussage kommt: Ihr Grünen gebt nur ständig mehr Geld aus, von euch kommen keine Konsolidierungsvorschläge.
Oder wer thematisiert denn das Thema Lohnnebenkosten? Eigentlich alle. Aber von der Regierung sehe ich nur folgendes: Der Finanzminister hat eine meines Erachtens richtige Philosophie entwickelt, nämlich symmetrische Finanzpolitik, das heißt Ausgabenreduktion und gleichzeitig Senkung der Steuer- und Abgabenquote. Dieses Ziel wird zwar ständig betont, aber in der Praxis doch jedesmal weitgehend verfehlt. Der Anstieg der Lohnnebenkosten ist in keinster Weise gebremst. Wir hatten dieses Jahr einen Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge, und wir haben jetzt die Pflegeversicherung. Wir werden auch nächstes Jahr einen Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge haben. Damit steigen die Lohnnebenkosten, die den Faktor Arbeit belasten und Arbeitsplätze kosten. Aber wir haben gleichzeitig nicht Schuldenabbau betrieben, sondern häufen dieses Jahr mindestens 70 Milliarden DM, vielleicht auch 75 Milliarden DM und nach Plan des Finanzministers im nächsten Jahr wiederum 57 Milliarden DM zusätzliche Schulden an, wobei man annehmen kann, daß auch diese Zahl nicht eingehalten werden kann.
Was nützt mir also eine richtig erkannte Philosophie, wenn sie in der praktischen Politik nicht umgesetzt wird? Gar nichts. Mich regt ein Stück weit auf, daß diese Redlichkeit, die angesichts der Problemstellung in dieser Gesellschaft nötig wäre, hier kaputtgeredet wird.
Oswald Metzger
Kollege Repnik - ich sehe ihn gerade nicht - hat vorhin davon gesprochen, daß es ein feines Sensorium in der Bevölkerung, und zwar quer durch die sozialen Schichten, dafür gibt, daß es in dieser Gesellschaft so nicht weitergeht und daß ein Stück weit eine Veränderung angesagt ist. Aber dieses Sensorium der Bevölkerung, tatsächlich an den Veränderungen des Systems mitzuwirken, auch im Bereich der Alterssicherung oder bei der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme insgesamt - was nicht nur Umbau heißt, sondern in Teilbereichen manchmal auch Abbau -, geht doch verloren, wenn es eine soziale Schieflage gibt, wenn nicht von solidarischem Sparen die Rede ist, sondern eine Lastenverteilung zuungunsten der Klientelen stattfindet, von denen die Regierung annimmt, daß sie als Wähler eher auf der Oppositionsseite als auf der Regierungsseite angesiedelt sind.
Wenn Sie das anders sähen, müßten Sie eine viel offensivere Rentendebatte führen. Die CDU/CSU kann sich aber ganz stark auf die Wählerklientel der Rentnerinnen und Rentner stützen. Darum werden die jetzigen Rentenbezieher ein Stück weit geschont. Aber die Generation, die beispielsweise in unserer Wählerschaft sehr stark vertreten ist und heute mit ihren Beiträgen die Lasten der jetzigen Rentenversorgung trägt, weiß genau, daß ihr Versorgungssystem im Alter mit Sicherheit nicht mehr auf diesem Level liegt. Diese Generation, die eine hohe Steuerbelastung hat, wird dabei schlichtweg vergessen. Das ist Klientelpolitik eines Parlaments im schlechtesten Sinn.
An die Adresse der F.D.P. möchte ich in dem Zusammenhang sagen: Nicht jeder Stein, den Ihr Generalsekretär nach dem von Waigel gestern im „Focus" -Interview aufgestellten Motto „Westerwelle macht Wind" ins Wasser wirft, löst Ringe aus, die tatsächlich reele Auswirkungen zeigen. Wenn die F.D.P. sich als Steuersenkungspartei verkaufen und den Solidaritätszuschlag abschaffen will - und die Koalition folgt ja dem Druck des kleineren Koalitionspartners -, dann möchte ich wissen, wie man einem vernünftigen Menschen in dieser Republik klarmachen kann, daß man auf die im Rahmen des noch geltenden mittelfristigen Finanzplans bis 1999 eingestellten rund 40 Milliarden DM Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag verzichten will und gleichzeitig für die Gutsituierten eine durch Mehrwertsteuererhöhung gegenfinanzierte Einkommensteuersenkung finanzieren will. Das geht doch nicht auf. Da werden Löcher in den Haushalt gerissen, die die angebotsorientierteste Politik, die dann auf Wachstum und Beschäftigung setzt - Sie unterstellen ja, daß dieser Zusammenhang besteht -, nie und nimmer durch Steuermehreinnahmen wettmachen kann. Das ist Unglaubwürdigkeit in Potenz; das ist unseriös; das sind Sprechblasen. Ich glaube, daß Ihnen das mittelfristig auch niemand abnehmen wird.
- Dieses Prinzip, Kollege Haussmann, können Sie nur durchhalten, wenn Sie darauf bestehen, als Steuersenkungspartei in den Wahlkampf 1998 zu gehen.
Die Wähler, die ein kurzes Gedächtnis haben, werden dann erst im Nachgang bemerken, daß Ihre Rechnung nicht aufgeht, aber Sie haben vielleicht 1 oder 2 Prozent der Wähler für dumm verkauft oder diese als bewußte Wähler, die wissen, daß Sie an die Klientel der Gutsituierten denken, in die Scheune gefahren. Gesamtstaatliche Verantwortung ist so etwas aber nicht. Gesamtstaatliche Verantwortung heißt, den Leuten auch zu sagen, daß die Richtung nicht stimmt.
Ich habe vorhin die Lohnnebenkosten angesprochen. Es diskutiert in diesem Parlament niemand mehr, außer den Grünen und heute der Kollegin Matthäus-Maier, über eine ökologische Steuerreform, weil jeder Mensch zur Zeit bei Steuern automatisch auf Grund der Erfahrungen mit dem Gemeinwesen an Erhöhungen denkt. Ich sage Ihnen aber: Wenn Sie das Verhältnis von indirekten zu direkten Steuern auch strategisch ausbalancieren wollen, denken Sie dabei immer automatisch an die Mehrwertsteuer, die als Konsumsteuer unterdurchschnittliche Einkommen auf jeden Fall stärker belastet. Wenn Sie die Mehrwertsteuererhöhung zur Refinanzierung - der Kanzler hat es ja selber im Sommer in einem Anfall von politischer Dummheit gesagt - einsetzen, führt das dazu, daß Sie den kleinen Einkommen Steuerentlastungen zugunsten Gutsituierter als Gegenfinanzierung wegnehmen und keine Lenkungswirkung für die Wirtschaftspolitik haben. Mit einer Ökosteuer, die Ressourcenverbrauch besteuert und vom steuertechnischen Prinzip her ebenfalls eine Verbrauchsteuer ist, hätten Sie die Möglichkeit, das Aufkommen für die Senkung der Lohnnebenkosten einzusetzen.
Es wäre doch ein Wort, wenn man, wie die Kollegin Matthäus-Maier mit ihrem Beispiel einer Frau, die 5 300 DM brutto verdient, sagen könnte: Du bekommst angesichts 19,2 Prozent Rentenversicherungsbeitrag - nächstes Jahr schätzungsweise 19,9 Prozent, wenn nicht über 20 Prozent - und 6,5 Prozent Arbeitslosenversicherungsbeitrag 2 bis 3 Prozent von deinem Bruttoeinkommen weniger abgezogen. - Das wäre ein Wort. Gleichzeitig hätten wir damit eine Lenkungswirkung, indem tatsächlich die Kosten, die durch unökologisches Verhalten in dieser Gesellschaft entstehen, in Vorsorgemaßnahmen investiert werden könnten. Das würde Produktivkräfte freisetzen, die nötig wären. Das würde den Faktor Arbeit mehr entlasten als eine schmalbrüstige Senkung der Vermögensteuer um 8 Milliarden DM.
Noch ein anderes Stichwort zum Thema Verantwortung dieser Regierung: Verteidigung. Ich möchte jetzt nicht Beschaffungsvorhaben wie den Eurofighter ansprechen - Sie lachen ja im Reflex auch, wenn Kollegin Matthäus-Maier ihren Running Gag der
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letzten Jahre, den Jäger 90, immer wieder verwendet. Aber in der Sache verhält es sich eindeutig so, daß diese Regierung, auch der Verteidigungsminister, sich weigert, eine Debatte über die Personalstruktur zu führen. Sie, selbst die Verteidigungspolitiker unter Ihnen, werden angesichts der Defizite der öffentlichen Haushalte bei einem 340 000 Mann starken Heer und den entsprechenden Zivilbeschäftigten nie Ihre Beschaffungsvorhaben finanzieren können. Sie müssen eine Debatte über die Wehrpflicht in dieser Gesellschaft führen. Wenn Sie dies nicht wollen, müssen Sie zumindest über eine Absenkung der Personalstärke - 40 000 oder 50 000 Mann weniger - reden. Denn sonst kommen Sie mit dem abgesenkten Plafonds des Verteidigungshaushalts nicht hin. Diese Debatte aber führt in der Regierung niemand.
Ich habe jetzt bewußt ein Beispiel gewählt, das für die Grünen nicht typisch ist, um auf dieser Ebene einen Zugang zu erreichen. Verantwortung heißt, die Risiken der Zukunft zu benennen und darauf zu reagieren.
Insofern, Herr Minister Rüttgers, der Sie als Zukunftsminister einst mit Vorschußlorbeeren gestartet sind, ist die Absenkung des Volumens Ihres Ressorts - wenn man sich bemüht, die Einsparungen nach Titeln zu untersuchen, machen Sie daraus eine Erhöhung der Zukunftstitel; andere machen das nicht - ein Beispiel für die Verantwortungslosigkeit dieser Regierung an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend. Sie kürzen die Vorsorgeaufwendungen des Bundeshaushalts für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie oder stellen die Weichen für Technologien, die keine Beschäftigungs- und Zukunftsperspektiven eröffnen.
Noch eine Aussage zum Thema Steuerreform. Ein Stück weit habe ich als Haushaltspolitiker die Sorge, daß vor lauter Diskussion um die notwendige Steuerreform mit Tarifabsenkung und Verbreiterung der Bemessungsgrundlage - für mich ist es übrigens ein Treppenwitz, daß ausgerechnet der Finanzminister, der das Bareis-Gutachten vor zwei Jahren in den Papierkorb geworfen hat, jetzt Vorsitzender einer Kommission der Regierung ist, die genau diese Vorschläge aufgreifen muß, weil sonst das Modell der Absenkung der Tarife nicht finanzierbar ist - vergessen wird, daß wir dadurch nicht alle Haushaltsprobleme lösen können. Im Gegenteil, diese Steuerreform wird, vor allem durch die Intention, die beispielsweise die F.D.P. hat, aber auch Herr Uldall in der Union, natürlich weitere Haushaltslöcher verursachen, die man dann entweder, wie es der Kanzler angedeutet hat, durch eine Mehrwertsteuererhöhung schließt oder die zu weiteren Defiziten im Haushalt führen.
Wer mir weismachen will, daß Wirtschaftswachstum im klassischen Sinne - durch mehr Steuereinnahmen - diese Defizite beseitigt, der täuscht sich gewaltig. Das Problem der gegenwärtigen wirtschafts- und finanzpolitischen Diskussion ist, daß wir alle uns nicht dessen bewußt sind, daß wir alle Karten spielen müssen. Wir dürfen nicht nur für ein gerechtes und unbürokratisches Steuerrecht plädieren, sondern müssen der Bevölkerung gleichzeitig sagen: Mit großen nominalen Steuersenkungen wird es nichts.
Theo Waigel selber hat, beispielsweise heute, zu Recht gesagt, die deutsche Vereinigung belaste zu einem Drittel die Zinsausgaben des Bundes. Wie will man aber in einer solchen Situation den Leuten sagen: Wir schaffen den Solidaritätszuschlag ab, lieber gestern als heute? Das ist doch nicht schlüssig.
Oder: Angesichts des globalen Wettbewerbsdrucks, den wir nicht wegdiskutieren können, ist die Produktivität in Deutschland relativ hoch, weswegen zu Recht behauptet wird - das Ifo-Institut hat dies klargelegt -, daß die Lohnstückkosten in Deutschland relativ niedrig sind. Aber: Die Lohnstückkosten orientieren sich immer nur an den Leuten, die beschäftigt sind. Die Arbeitslosen, die Ausgemusterten werden nicht mitgerechnet. Die Produktivität steigt natürlich in dem Ausmaße, wie Leute in die Beschäftigungslosigkeit abgedrängt werden. Vor diesem Hintergrund braucht die öffentliche Hand Geld.
Wie können wir vor dem Hintergrund dieser Herkulesaufgabe auf ein kleinkariertes Parteiengezänk ausweichen, angesichts dessen die Leute sich angewidert abwenden? Dies haben übrigens heute auch viele Kommentatoren getan. Sie haben gesagt: Der Bundestag beginnt am heutigen Dienstag seine rituelle Handlung; die Opposition sagt dies, die Regierung jenes.
Dieses Spiel wollen wir Grünen nicht mitmachen. Wir tun uns aber nicht leicht damit, weil wir über den Weg, durch eine Umverteilung im Steuerrecht soziale Gerechtigkeit zu erreichen, genauso streiten wie Sie in anderen Fraktionen. Wir wollen diesen Diskurs aber öffentlich organisieren. Ich muß allen, die die Hoffnung haben, daß durch eine höhere Belastung der oberen Einkommen gigantische Volumina bewegt werden, sagen: Diese Rechnung wird nicht aufgehen. Es ist einfach ein Faktum, daß bei 31 Millionen Steuerpflichtigen in Deutschland 1 Million Steuerpflichtige 38 Prozent des gesamten Steueraufkommens, 6 Millionen Steuerpflichtige ungefähr 34 Prozent und fast 50 Prozent der Steuerpflichtigen weniger als 8 Prozent des gesamten Steueraufkommens zahlen. Das muß man deutlich sagen, damit diese Diskussion reeller wird und wir hier nicht künstliche Feindbilder aufbauen.
Wenn die Zahlen auf dem Tisch liegen und auch gesagt wird, wo in der Gegenfinanzierung Subventionen im Steuerrecht abgeschafft werden, dann werden Sie merken: Diese Reform wird viele Gewinner und Verlierer haben, und zwar quer durch alle Einkommensgruppen. Es ist nun einmal so, daß zum Beispiel jemand, der sich in einer niedrigen Einkommensgruppe befindet und eine weite Entfernung zum Arbeitsplatz hat, von der Steuerermäßigung in Höhe von 70 Pfennig pro Entfernungskilometer für die Nutzung des Pkw überdurchschnittlich profitiert. Wenn Sie diese abschaffen und in eine ver-
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kehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale von 20 Pfennig pro Kilometer umwandeln, dann hätte der Staat zwar 3,2 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen, die Verteilungswirkung aber wäre außerordentlich undurchschaubar, weil man Gewinner und Verlierer nicht genau zuordnen kann. Deshalb müssen wir bei dieser steuerpolitischen Debatte aufpassen, daß wir der Bevölkerung nicht etwas vorgaukeln.
Ich wünsche der Debatte in dieser Woche, daß man bei der ersten Lesung des Haushalts - das betrifft auch die Fachpolitiker - ein Stück über die klassische Verteilung von rechts und links hinausgeht und versucht, angesichts der Probleme dieser Gesellschaft einen konstruktiven Dialog zu erreichen.
Vielen Dank.