Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir danken dem Finanzminister für seine freundlichen Genesungswünsche an Helmut Wieczorek, unseren Kollegen, den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses,
und hoffen, daß er bald wieder gesund und tatkräftig unter uns weilt.
Was wir aber zum Haushalt heute morgen von Ihnen gehört haben, Herr Waigel, das ist die Fortsetzung Ihrer unseriösen Politik aus dem letzten Jahr.
Die Wirtschaftsdaten werden geschönt. Die Risiken werden versteckt. Etatlöcher werden verschwiegen oder durch Luftbuchungen gedeckt. Die Verschuldung wird verniedlicht. Waigel rechnet sich reich.
Wie unglaubwürdig dieser Finanzminister mit seinen Zahlen umgeht, zeigt ein Vergleich von nur drei Sätzen aus seiner letzten Haushaltsrede mit dem, was tatsächlich eingetreten ist:
Originalton Waigel: Trotz hoher Steuerausfälle kann die Nettokreditaufnahme des Bundes in der Größenordnung 60 Milliarden DM gehalten werden. Fehlanzeige! Aus der Koalition und von Ihnen haben wir gerade gehört, es werden wohl mindestens 70 Milliarden DM Neuverschuldung sein.
Originalton Waigel: Deutschland wird auch 1996 die Maastricht-Kriterien zur Neuverschuldung und zum Schuldenstand nicht überschreiten. Fehlanzeige! Deutschland wird 1996 wie schon 1995 die Maastricht-Kriterien nicht einhalten.
Originalton Waigel: Die im Haushalt veranschlagten Privatisierungen sind nicht aus dem Hut gezaubert. Fehlanzeige! Wo sind denn die Milliardeneinnahmen, die Sie im letzten Jahr in dem berüchtigten
Waigel-Wisch über Nacht aus dem Hut gezaubert haben?
Wenn wir dieses unseriöse Spiel kritisieren, dann poltert Herr Waigel regelmäßig los: „Horrorzahlen, Kassandra, Schwarzmalerei", obwohl sich wenige Wochen nach seinen starken Sätzen zeigt: Die Warnungen sind berechtigt gewesen. Die Arbeitslosenzahlen sind höher. 12,5 Milliarden DM mußten Sie allein am Wochenende wegen der Arbeitslosigkeit nachschießen. Die Schulden explodieren. Dies alles zeigt doch: Die wirklichen Zahlen sind immer schlimmer als die angeblich von uns genannten Horrorzahlen.
Nun geht das gleiche Spiel in 1997 wieder los. Sie tun hier heute morgen so, als wäre alles paletti, als hätten Sie alles im Griff.
Graf Lambsdorff sagt doch schon jetzt, es fehlten im Haushalt 1997 mindestens 10 Milliarden DM. Ihre Haushaltspolitiker warnen vor großen Haushaltslöchern. Schauen Sie doch einmal in die Zeitungen von heute morgen.
Mich erinnert das an das bekannte Fernsehspiel „Dinner for one" am Silvesterabend, wo es immer heißt: „The same procedure as every year." Die gleiche Prozedur wie jedes Jahr!
Aber, Herr Waigel, um das hier einmal klarzustellen: Das Fernsehspiel sehen wir gerne. Wenn Sie uns hier aber Jahr für Jahr mit der gleichen unseriösen Haushaltsprozedur kommen, dann hat die Bevölkerung und hat das Parlament das langsam satt.
Ihr Bundeshaushalt 1997 ist durch fünf Merkmale gekennzeichnet:
Erstens. Die Lage ist geschönt, die Zahlen sind nicht seriös, und der Haushalt steckt auf Grund der enormen Staatsverschuldung in einer Zinsfalle.
Zweitens. Die dringend notwendige Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bleibt wieder auf der Strecke. Deswegen mißlingt Ihnen auch die Konsolidierung der Haushalte.
Drittens. Zukunftsaufgaben wie Bildung, Forschung und Technologieförderung werden sträflich vernachlässigt.
Ingrid Matthäus-Maier
Viertens. Das Kürzungspaket der Bundesregierung ist sozial ungerecht und schafft keine neuen Arbeitsplätze.
Fünftens. In der Steuerpolitik der Bundesregierung herrscht das blanke Chaos.
Klar ist bisher nur eines: Diese Bundesregierung will die Mehrwertsteuer erhöhen.
Wer von diesem Haushalt eine Wende hin zu einem seriösen Zahlenwerk, hin zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und hin zur Konsolidierung der Finanzen erhofft hatte, wird wieder einmal schwer enttäuscht.
Am Beginn dieser Debatte müßte doch eigentlich eine ehrliche Bestandsaufnahme stehen, die lautet: Wir haben dauerhaft 4 Millionen Arbeitslose und gleichzeitig einen gigantischen Schuldenberg. Beides hängt unmittelbar zusammen. Denn 100 000 Arbeitslose kosten die öffentliche Hand und die Sozialversicherung 4 Milliarden DM. Allein 160 Milliarden DM pro Jahr kostet uns die Arbeitslosigkeit heute, nicht berücksichtigt die menschlichen Probleme für die Betroffenen und ihre Familien.
Diese Zahlen zeigen doch klar: Nicht der Sozialstaat, nein, die Arbeitslosigkeit ist so teuer. Deswegen müssen wir sie bekämpfen.
Ich erinnere mich noch gut an den Herbst 1982, als Helmut Kohl bei 1,7 Millionen Arbeitslosen Helmut Schmidt entgegenschleuderte, er sei der Kanzler der Arbeitslosen und müsse zurücktreten. Wenn Kanzler Kohl diese seine Worte ernst nähme, hätte er mittlerweile 167mal zurücktreten müssen; denn so oft hat der jeweilige Präsident der Bundesanstalt für Arbeit höhere Arbeitslosenzahlen verkündet.
Das Schlimme ist: Sie lernen nicht aus Ihren Fehlern. So sehen Sie zum Beispiel eine drastische Verringerung der Arbeitsbeschaffungs- und Fortbildungsmaßnahmen in Ostdeutschland vor; Herr Waigel hat dies heute morgen bestätigt. Dies würde bis zum Jahr 2000 in Ostdeutschland bis zu 300 000 zusätzliche Arbeitslose produzieren, und das bei einer Arbeitslosigkeit von heute ohnehin schon über 16 Prozent in Ostdeutschland. Das ist ungerecht, und dies ist auch finanziell verrückt; denn die dann entstehenden Kosten bei der Bundesanstalt, bei Bund, Ländern und Gemeinden wären kaum geringer als das, was Sie angeblich einsparen wollen.
Wir sind bereit, über Neuerungen bei ABM zu sprechen. Aber wir fordern Sie auf: Unterlassen Sie diese wirtschaftspolitisch unvernünftigen und sozial ungerechten Kürzungen bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Ostdeutschland.
Wenn Sie nur einen Teil der fast 3 Milliarden DM Einnahmen aus der Liquidation von 3 700 Treuhandunternehmen wieder in Ostdeutschland investieren, dann haben Sie dazu auch die notwendige Finanzierung.
Zum Stichwort Ostdeutschland außerdem: Daß diese Bundesregierung noch immer nicht das Problem der Altschulden der gesellschaftlichen Einrichtungen der ehemaligen DDR vom Tisch geräumt hat, ist ebenfalls ein schweres Investitionshindernis.
Wir wissen alle: Patentrezepte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gibt es nicht. Aber ich frage Sie, warum Sie alle unsere Vorschläge zur aktiven Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bis heute ablehnen.
Warum gibt es immer noch kein wirksames Entsendegesetz, um sicherzustellen, daß nicht Hunderttausende von deutschen Bauarbeitern arbeitslos sind, weil Portugiesen und Briten hier zu Dumpinglöhnen arbeiten?
Was haben Sie gegen eine große Kampagne zum Abbau von Überstunden, was mindestens 200 000 bis 300 000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen würde? Wo bleibt eine Offensive für Teilzeitarbeit? Wir haben dazu im Bundesrat einen Vorschlag eingebracht.
Was haben Sie eigentlich gegen ein 100 000-Dächer-Solarenergieprogramm? Das ist gut für die Umwelt, das ist gut für die Arbeitsplätze und eröffnet neue Exportchancen.
Wo bleibt Ihre Initiative zur Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital? Das würde doch die aktuellen Lohnverhandlungen entlasten.
Wo bleiben Ihre Aktivitäten gegen die Scheinselbständigkeit? Dieser Tage stand in der Zeitung: Die Gewerbeaufsicht hat bei einer Razzia festgestellt, daß die Toilettenfrau eines Restaurants an einer Bundesautobahn eine Selbständige ist. Wo kommen wir eigentlich hin, wenn Sie die kleinen und kleinsten Verdiener in die Scheinselbständigkeit abdriften lassen, ohne endlich für soziale Absicherung zu sorgen?
Ingrid Matthäus-Maier
Wo bleiben Ihre Vorschläge gegen den Mißbrauch der 590-DM-Regelung? Ihre Arbeitnehmervertretung mahnt diese jeden Tag an.
Wo bleibt Ihre Offensive zur Stärkung der kleinen und mittleren Unternehmen? Ihre Kürzungen bei der Eigenkapitalhilfe sind doch kontraproduktiv.
Warum senken Sie nicht endlich die viel zu hohen Lohnnebenkosten? Die Sozialversicherungsbeiträge sind doch viel zu hoch. Wir haben unseren Vorschlag für eine ökologische Steuerreform auf den Tisch gelegt.
Eines ist klar: Wenn diese Regierung nicht endlich bereit ist, auf unsere Grundidee einzugehen, die da heißt: aus Leistungsempfängern Beitragszahler machen, dann werden Sie weder die Arbeitslosigkeit meistern noch die enorme Staatsverschuldung in den Griff bekommen. Nein, nicht wir Sozialdemokraten blockieren die Konsolidierung der Haushalte. Dies tut eine Bundesregierung, die bis heute nicht energisch genug die Arbeitslosigkeit bekämpft und dadurch die Konsolidierung der Haushalte blockiert.
Die Lage der Staatsfinanzen ist wahrhaftig dramatisch. Der Bundesfinanzminister hat bereits jetzt eingestanden, daß er 1997 fast 57 Milliarden DM neue Schulden aufnehmen will - die sogenannte Nettoneuverschuldung. Diese Zahl verdeckt aber den Blick darauf, welch enormes Schuldenrad von Theo Waigel Jahr für Jahr gedreht wird. Tatsächlich wird der Bund 1997 sehr viel höhere Schulden aufnehmen, nämlich 243 Milliarden DM - die sogenannte Bruttokreditaufnahme. So steht es in seinem Finanzplan. Der Finanzminister muß nämlich 1997 186 Milliarden DM Schulden zurückzahlen. Weil ihm aber dafür das Geld fehlt, nimmt er genau in dieser Höhe Schulden auf; das heißt, das Ganze wird nur umgeschuldet.
Die Folge dieser maßlosen Staatsverschuldung sind enorme Zinsausgaben. 1997 wird der Bund 93 Milliarden DM an Zinsen zahlen. Zum Vergleich: 1,3 Milliarden DM umfaßt der Umweltetat. 93 Milliarden DM stehen für Zinsen im Haushalt. Das sind 26,6 Prozent der gesamten Steuereinnahmen des Bundes. Das heißt: Wenn das Jahr beginnt, muß man erst einmal über ein Viertel der gesamten Steuereinnahmen an die Seite legen, um nur die Zinsen zu zahlen. Solche Zinslasten strangulieren den Bundeshaushalt.
Diese Zinslasten sind auch ein großes Risiko: Wenn die Bundesbank die Zinsen nur um einen Prozentpunkt anhebt, bedeutet das bei der von mir geschilderten enormen Bruttokreditaufnahme von über 240 Milliarden DM im Jahr eine zusätzliche Zinsbelastung von 2,5 Milliarden DM allein im ersten Jahr danach. Auf einen Rutsch wäre der gesamte Umwelthaushalt gleich zweimal nur für zusätzliche Zinsen verfrühstückt. Das zeigt, wie gefährlich die Zinsfalle ist, in die Kohl und Waigel uns hineinmanövriert haben.
Solch enorme Staatsverschuldung führt zwangsläufig auch zu einer Umverteilung von unten nach oben. Denn es sind eben nicht die kleinen Leute, die in der Lage sind, dem Staat ihr Geld zu leihen, sondern es sind die Vermögenden, die davon profitieren, daß sie dem Staat ihr Geld leihen und dieses mit Zins und Zinseszins zurückbekommen. Wer dann noch - wie diese Bundesregierung - die Vermögensteuer abschaffen will, der treibt die Umverteilung von unten nach oben auf die Spitze. Dem werden wir auf gar keinen Fall zustimmen.
Dazu paßt auch, daß es diese Bundesregierung unterläßt, durch Stichproben für eine gerechte und gleichmäßige Besteuerung der Zinsen zu sorgen. Wer in diesem Lande ehrlich seine Zinserträge versteuert, hat doch zunehmend das Gefühl, er sei der Dumme, wenn er sich anschaut, wie diese Bundesregierung die Steuerflucht nach Luxemburg laufen läßt, ohne ernsthaft etwas dagegen zu tun. Stichproben gibt es in der gesamten Wirtschaft. Warum nicht bei den Kreditinstituten? Die Durchsuchungen bei den Kreditinstituten in den letzten Wochen, seien es öffentliche, seien es private, zeigen doch, welches Ausmaß die Steuerflucht, und zwar mit Unterstützung der Kreditinstitute, angenommen hat.
Zu den Wehklagen der Kreditinstitute erlaube ich mir, auf einen Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes vom März 1994 zu verweisen, mit dem die Verfassungsbeschwerde einer großen deutschen Bank gegen die Durchsuchung durch die Steuerfahnder gar nicht erst angenommen wurde. In diesem Beschluß heißt es:
Mit Blick darauf war es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, einen Anfangsverdacht dafür anzunehmen, daß die Organisation der Beschwerdeführerin
- der Bank -
und ihrer luxemburgischen Tochter systematisch in großangelegtem Stil zur Hilfeleistung bei der Hinterziehung von Einkommen- und Vermögensteuer mißbraucht wurde.
Ich weiß, daß es hier nur einen Anfangsverdacht gibt; es gibt noch keine Verurteilung. Aber für Empörung auf seiten der Kreditinstitute ist nun wirklich kein Platz.
Wenn zum Beispiel allein in Rheinland-Pfalz solche Durchsuchungsaktionen der Steuerfahndung bei Großbanken in nur drei Einzelfällen zu mehr Steuern
Ingrid Matthäus-Maier
von insgesamt 24 Millionen DM geführt haben, dann weiß jeder, in welchem Maße hier Steuerhinterziehung betrieben wird. Ich bin wirklich unglücklich darüber, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie sich nicht endlich bereit erklären, Stichproben auch bei den Kreditinstituten einzuführen.
Ihre Absicht, die Vermögensteuer abzuschaffen, zeigt deutlich, daß Ihr sogenanntes Sparpaket gar kein Sparpaket ist. Es ist vielmehr die Kombination eines rücksichtslosen Kürzungspaketes und eines Geschenkpaketes für Vermögende.
Die „Süddeutsche Zeitung" schreibt daher so treffend:
Das Sparpaket ist Produkt eines unfairen Bündnisses von Regierung und Arbeitgebern.
Recht hat die „Süddeutsche Zeitung".
Wir werden die dringend notwendigen Sparmaßnahmen immer daran messen, ob sie a) die Lasten sozial gerecht verteilen und b) geeignet sind, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Beides trifft auf Ihr Kürzungspaket nicht zu.
Nehmen wir doch nur den Teil, um den es am Freitag dieser Woche gehen wird. Erstens wird durch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit für Frauen die Arbeitslosigkeit nicht verringert, sondern offensichtlich erhöht. Zweitens wird durch die Abschaffung des Kündigungsschutzes für Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten nicht die Neueinstellung, sondern die Entlassung von Beschäftigten erleichtert. Das dritte ist die Kürzung der Lohnfortzahlung auf 80 Prozent des letzten Lohnes oder Gehaltes. Richtig ist: Blaumachen muß man bekämpfen, und das haben die Gewerkschaften ja angeboten.
Aber wegen einiger Blaumacher Millionen von Arbeitnehmern die Lohnfortzahlung zu kürzen ist falsch und ungerecht.
Gerade weil Sie Ihr Kürzungspaket so sorgfältig aufgespalten haben, daß Sie unsere Zustimmung nicht brauchten, werden wir um so deutlicher klarmachen, daß Sie für diese unsozialen Kürzungsmaßnahmen ganz alleine die Verantwortung übernehmen müssen.
Schlimm ist dabei, daß die Frauen, die doch ohnehin
meist weniger verdienen, von Ihrem Kürzungspaket
besonders belastet werden. Was hilft es denn, auf Ihrem Bundesparteitag eine Frauenquote zu beschließen, wenn Sie hier im Bundestag die Frauen real belasten.
Ich frage deshalb die Frauen unter Ihnen: Wollen Sie wirklich verantworten - etwa bei der Kürzung der Lohnfortzahlung -, daß Frauen, die während der Schwangerschaft krank werden, auf 80 Prozent ihres Lohnes gesetzt werden? Fünf weibliche Parlamentarier in der Koalition reichen am Freitag, um diese unsoziale Kürzung zu Fall zu bringen. Warum können Sie nicht einfach mal Stehvermögen zeigen?
Ich will aber nicht verhehlen, daß ich in dieser Hinsicht nicht sehr optimistisch bin. Denn in Bonn gibt es das Gerücht: Wenn dieser Bundeskanzler seiner Fraktion sagt, morgen früh Antreten zum Füßewaschen im Rhein, dann ist am nächsten Tag die Rheinaue voll von CDU/CSU-Parlamentariern.
Ihre neue Masche ist, zu behaupten, die SPD blokkiere die Sparmaßnahmen für 1996. Das ist falsch. Für das Jahr 1996, Herr Waigel, gibt es nur noch einen einzigen Gesetzentwurf auf der Tagesordnung. Damit will der Bund die originäre Arbeitslosenhilfe abschaffen und die Ausgaben für die kostenlose Fahrt der Schwerbehinderten im Öffentlichen Personennahverkehr von sich abwälzen. Das ist doch kein Sparvorschlag. Das ist ein Verschiebebahnhof zu Lasten von Ländern und Gemeinden. Einen Verschiebebahnhof werden wir nicht unterstützen.
Wenn die These richtig wäre, daß der Abbau von Schutzrechten der Arbeitnehmerschaft die Beschäftigung gefördert hätte, dann müßte doch im gelobten Land der Deregulierung, nämlich in Großbritannien, wo es beispielsweise in den ersten beiden Jahren überhaupt keinen Kündigungsschutz mehr gibt, ein Beschäftigungswunder stattgefunden haben. Das ist nicht der Fall. Die Arbeitslosigkeit ist in Großbritannien größer als in Deutschland, und zwar mit dramatischen sozialen Begleitfolgen. Das genau wollen wir in Deutschland nicht.
Wirtschaftspolitische Kompetenz heißt nicht, alles nachzuplappern, was die Arbeitgeber und Industrieverbände fordern. Die reden den Standort schlechter, als er ist, und stellen absolut unerfüllbare Forderungen an Arbeitnehmer und Staat - einer besonders, der produziert Kettensägen und benimmt sich auch so.
Ingrid Matthäus-Maier
Dabei hat doch das renommierte Ifo-Institut im Juli dieses Jahres festgestellt:
Die These vom „Hochlohnland Deutschland" konnte nicht bestätigt werden. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene sind die realen Lohnstückkosten weder übermäßig hoch, noch sind sie in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich stark gestiegen. Relativ zu den in D-Mark umgerechneten nominalen Lohnstückkosten anderer Länder haben die nominalen Lohnstückkosten in Deutschland dagegen deutlich zugenommen. Aber das ist kein Arbeitskostenproblem, sondern die unvermeidbare Konsequenz der Aufwertung der D-Mark.
Wenn das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln feststellt:
Rund zwei Drittel des Kostennachteils der westdeutschen Industrie geht auf das Konto der DMark-Aufwertung.
dann zeigt das zwar, daß es hier ein Problem gibt, das wir lösen müssen, aber wer meint, die Lösung des Problems einzig und allein den Arbeitnehmern aufbürden zu müssen, der gefährdet den sozialen Frieden und damit auch den Standort Deutschland.
Der Bundeskanzler sagt, auch andere Länder in Europa kürzten. Dabei nannte er ausdrücklich Schweden. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied zu Schweden. Die Schweden behalten die Vermögensteuer bei und bauen die Bemessungsgrundlage sogar noch aus, während diese Bundesregierung die Vermögensteuer abschaffen will.
In ein und demselben Kürzungspaket schlägt die Bundesregierung die Abschaffung der Vermögensteuer mit Steuerausfällen von 9 Milliarden DM vor - nebenbei gesagt: wieso blockieren wir eigentlich Einsparungen, wenn wir Sie daran hindern wollen, 9 Milliarden DM aus dem Fenster zu werfen, meine Damen und Herren? -,
und gleichzeitig behaupten Sie, Sie hätten nicht die 3,7 Milliarden DM für die bereits beschlossene Erhöhung des Kindergeldes.
Meine Damen und Herren, das paßt nicht zusammen. Wenn wir dies gegeneinander ausspielen, dann sagen Sie, Frau Hasselfeldt - das war dieser Tage in einer Diskussion mit mir -, das sei Sozialneid.
Der Herr Bundeskanzler ist im Jahr 1982 angetreten mit dem Amtsspruch der geistig-moralischen Erneuerung.
Wohin diese Erneuerung geführt hat, sagt recht deutlich Professor Friedhelm Hengsbach von der Katholischen Soziallehre in einem Aufsatz in der „Zeit". Er sagt:
Die politischen Entscheidungsträger haben seit den achtziger Jahren systematisch jene Strukturen ausgehebelt, die den Nährboden für Gemeinsinn und Solidarität bildeten.
Genau das ist es. Ich bin der festen Überzeugung: Wir können und werden die schwierige Lage unseres Gemeinwesens meistern, wenn wir uns als Leistungs- und Solidargemeinschaft verstehen.
Wer wie Sie die soziale Gerechtigkeit als Sozialneid diffamiert, wer unten abkassiert, ohne die deutsche Oberschicht an ihre Solidaritätspflicht gegenüber dem eigenen Volke zu erinnern, der zerstört den Zusammenhalt in dieser Gesellschaft. Und das werden wir nicht zulassen.
Sie sagen, das Urteil zur Vermögensteuer erfordere ihre Abschaffung. Nein, dort heißt es wörtlich:
Das Konzept der geltenden Vermögensteuer entspricht diesen, vom Verfassungsgericht genannten Anforderungen.
Sie sagen, die Erhebung der Vermögensteuer sei so kompliziert. Herrgott noch mal, dann machen Sie doch mit uns ein neues Vermögensteuergesetz - wir haben die Vorschläge eingebracht -, das weniger kompliziert ist.
Sie sagen, die Vermögensteuer sei eine deutsche Besonderheit und in anderen Ländern nicht vorhanden. Das Finanzministerium hat doch gerade, am 30. Juli 1996, eine schöne Übersicht vorgelegt: Die Vermögensteuer gibt es in Dänemark, Finnland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Schweden, der Schweiz und Spanien. Daß Sie angesichts der dramatischen Lage der Staatsfinanzen die 10 Billionen DM Privatvermögen zukünftig steuerfrei lassen wollen, ist wirklich nicht einzusehen.
Dann sagen Sie: Aber die betriebliche Vermögensteuer gibt es in der Welt nur selten. Es gibt sie auch in Luxemburg und in der Schweiz; aber immerhin. Wir sind bereit, mit Ihnen darüber zu reden, aber doch nicht ohne Kompensation, ohne Ausgleich.
Es gibt überhaupt keinen Anlaß, die Unternehmensteuern netto zu senken.
Das gewiß nicht SPD-nahe Institut Finanzen und Steuern hat gerade eine Untersuchung für die letzten zehn Jahre vorgelegt. Danach ist die Lohnsteuer um 91,5 Prozent gewachsen, die Umsatzsteuer um 113,7 Prozent, die Gewerbesteuer dagegen nur um 36,7 Prozent. Die Körperschaftsteuer ist sogar um 43,1 Prozent zurückgegangen; sie liegt bezüglich ih-
Ingrid Matthäus-Maier
res Aufkommens mittlerweile hinter der Tabaksteuer. Was für eine verrückte Situation!
Nein, für eine Nettoentlastung der Unternehmen gibt es keinen Grund.
Außerdem hat sich die Schonung der Unternehmensgewinne in den letzten 14 Jahren, in denen wir die Unternehmenssteuern kräftig gesenkt haben, entgegen Ihren Verheißungen offensichtlich nicht in Form höherer Produktion, nicht in Form höherer Beschäftigung und nicht in Form höherer Staatseinnahmen niedergeschlagen. Deswegen: Für eine Entlastung gibt es keinen Grund.
Entlastungsbedarf gibt es an ganz anderer Stelle: bei den Familien mit Kindern und den Lohnsteuerzahlern. Deswegen werden wir auf der Anhebung des Kindergeldes zum 1. Januar 1997 und der Verbesserung des Grundfreibetrages beharren.
Die Rücknahme dieser bereits im Gesetzblatt stehenden Verbesserungen wäre ein schwerer Vertrauensbruch gegenüber den Familien. Bis in den März dieses Jahres hinein keine Rede von Waigel ohne den Hinweis auf die Kindergelderhöhung in 1997; jede Menge Papier, vor wenigen Tagen noch ein Heft über das Jahressteuergesetz. Ausgerechnet eine Woche nach den Landtagswahlen aber fällt dem Finanzminister ein, daß er die Kindergeldverbesserung in 1997 doch nicht will. Herr Finanzminister Waigel, ich habe Ihre Steuerlüge vom Herbst 1990 gut in Erinnerung. Fügen Sie dem nicht noch eine Kindergeldlüge hinzu!
Das wäre außerdem ein klarer Vertragsbruch gegenüber der SPD.
Sie haben heute morgen so schön gesagt - mir blieb fast die Spucke weg -: Wir haben die Anhebung 1996 und 1997 gewollt. - Das ist die glatte Unwahrheit! Sie haben sie nicht gewollt. Im Frühjahr letzten Jahres haben Sie noch gesagt: vielleicht 20 DM beim Zweitkindergeld; aber keine Verbesserung beim Erstkindergeld. Die haben wir Ihnen abgezwungen. Deshalb werden wir nicht zulassen, daß Sie die streichen.
Außerdem: Das Kindergeld ist keine Gnade des Staates gegenüber den Familien. Es ist die verfassungsrechtlich gebotene Freistellung des Existenzminimums der Kinder von der Steuer.
- Das ist gar nicht mein Thema. Wir wollen ja in 1997 beides verbessern. Ihr Zuruf hilft überhaupt nicht. Wenn Sie hier schon Zurufe machen, dann sagen Sie, daß Sie von der F.D.P. vielleicht mit uns zusammen gegen Herrn Waigel das Kindergeld und den Kinderfreibetrag anheben wollen.
Das Verfassungsgericht hat nämlich in der Entscheidung, in der es Ihnen, Herr Waigel, die Verfassungswidrigkeit Ihres Kindergeldmodells bescheinigt hat, ausdrücklich gesagt:
Der Finanzbedarf des Staates ist nicht geeignet, eine verfassungswidrige Steuer zu rechtfertigen. Auch wenn der Staat auf Einsparungsmaßnahmen angewiesen ist, muß er auf die gerechte Verteilung der Lasten achten.
Genau das klagen wir ein. Wie sagte meine Kollegin Margot von Renesse so treffend: „Vater Staat benimmt sich wie ein unterhaltspflichtiger Vater, der erst zahlt, wenn der Gerichtsvollzieher mit dem vollstreckbaren Urteil vor der Tür steht." Meine Damen und Herren, lassen Sie uns das verhindern! Lassen Sie uns - wie vorgesehen - das Kindergeld gemeinsam in 1997 erhöhen!
Denn unser wirkliches Vermögen sind unsere Kinder und Jugendlichen. Deswegen müssen wir auch mit dem Haushalt die Weichen in Richtung Zukunft stellen. Das tun Sie nicht. Gerade bei knappen Kassen muß ich doch Schwerpunkte setzen, die für die Zukunft wegweisend sind. Sie aber kürzen bei den dringenden Zukunftsaufgaben.
Wer - wie diese Bundesregierung - beim Schienenbau Milliarden kürzt, beim Autobahnbau aber drauflegt, hat keine Ahnung, wo in Zukunft die Schwerpunkte in diesem Lande liegen müssen.
Wie sollen denn die Lkw-Kolonnen von der Straße, wenn nicht über die Schiene?
Wer - wie diese Bundesregierung - für Kernenergie und Atomforschung im Bundeshaushalt immerhin noch über 2,1 Milliarden DM ausgibt, gleichzeitig aber die Ausgaben für erneuerbare Energien und Energieeinsparung um 62 Millionen auf nur noch 258 Millionen DM kürzt, verspielt unsere Zukunft. Denn im Jahre 2000 wird derjenige die Nase beim Export vorne haben, der die besten Umweltschutz- und Energieeinspartechnologien exportieren kann.
Ingrid Matthäus-Maier
Wer - wie diese Bundesregierung - im Umwelthaushalt die Investitionen zur Verminderung von Umweltbelastungen um fast 10 Millionen DM kürzt und gleichzeitig die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit - im Bundeshaushalt insgesamt - um fast die gleiche Summe erhöht, muß sich fragen lassen, ob er wirklich noch weiß, was er tut.
Nur zwei Kostproben: Der Arbeitsminister will sage und schreibe 11 Millionen DM mehr für Öffentlichkeitsarbeit ausgeben, um über die Kürzungspakete aufzuklären. Da rate ich ihm: Lassen Sie die Kürzungspakete, dann brauchen Sie auch keine 11 Millionen DM, um den Menschen diesen Unsinn zu verklickern.
Oder der Jahresbericht der Bundesregierung 1995, erschienen im Sommer 1996: 934 Seiten Lobhudelei und Überholtes von gestern. Zur Rinderseuche BSE steht dort - man höre und staune - wörtlich:
Bisher ergeben sich keine Hinweise auf eine Übertragbarkeit des Erregers auf den Menschen.
Da kann man nur sagen: Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich. Warum haben die Briten denn alle ihre Rinder umgebracht, wenn das so ist?
Nein, meine Damen und Herren, wer - wie diese Bundesregierung - den Anteil des Forschungs- und Technologiehaushaltes am Gesamthaushalt von 4,7 Prozent in 1992 auf nur noch 3,4 Prozent reduziert, der schwächt den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Ihr Forschungs- und Technologiehaushalt wird überdurchschnittlich gekürzt, und das ist der forschungspolitische Offenbarungseid dieser Bundesregierung.
Bei der Projektförderung in den wichtigsten Schlüsseltechnologien kürzt Minister Rüttgers gleich reihenweise: Produktion 2000: minus 11 Prozent, Lasertechnik: minus 11 Prozent, neue Materialien: minus 11 Prozent, Gesundheitsforschung: minus 11 Prozent, Ökologie- und Klimaforschung: minus 11 Prozent; so geht das weiter. Meine Kollegin Edelgard Bulmahn hat daraufhin treffend gesagt: Minister Rüttgers, der einmal als sogenannter Zukunftsminister angetreten ist, sollte sich besser in „Mister minus 11 Prozent" umbenennen lassen, meine Damen und Herren.
Wir werden entsprechende Umschichtungsanträge zu diesen wichtigen Zukunftsaufgaben stellen.
Übrigens: Zur Zukunftsfähigkeit unseres Landes gehört auch, daß jeder Jugendliche, der eine Lehrstelle sucht, auch eine findet. Der Staat kann nicht länger dulden, daß nur oder überwiegend die kleinen und mittleren Betriebe, die Handwerksbetriebe, ausbilden, wofür wir ihnen ausdrücklich danken, und sich die Großbetriebe aus der Ausbildung zurückziehen.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden - nur damit nicht der Eindruck entsteht, wir würden den Betrieben etwas Unzumutbares auferlegen -:
Wenn der Staat in Anerkennung dieser Aufgabenteilung den Arbeitgebern die praxisbezogene Berufsausbildung der Jugendlichen überläßt, so muß er erwarten, daß die gesellschaftliche Gruppe der Arbeitgeber diese Aufgabe nach Maßgabe ihrer objektiven Möglichkeiten und damit so erfüllt, daß grundsätzlich alle ausbildungswilligen Jugendlichen die Chance erhalten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das gilt auch dann, wenn das freie Spiel der Kräfte zur Erfüllung der übernommenen Aufgabe nicht mehr ausreichen sollte.
Wir sagen Ihnen: Wir brauchen ein solidarisches Ausgleichssystem, am besten auf Kammerebene. - Das Bauhandwerk und das Schornsteinfegerhandwerk haben gezeigt, daß das geht. - Wenn es aber auf der Kammerebene freiwillig nicht klappen sollte, dann müssen wir ein solidarisches Ausgleichssystem gesetzlich einführen. Der Skandal, daß September für September Zigtausende von Jugendlichen keine Lehrstelle finden, muß ein Ende haben, meine Damen und Herren!
Zur Zukunftssicherung gehört auch, daß wir endlich den Einstieg in eine ökologische Steuerreform vornehmen. Dieser Tage hat mir eine ledige Arbeitnehmerin ihren Lohnstreifen gezeigt: 5 300 DM brutto im Monat ergeben 2 900 DM netto, und der Arbeitgeber zahlt wegen der Arbeitgeberleistungen zur Sozialversicherung 6 400 DM. Meine Damen und Herren, das ist unerträglich. Das zeigt: Die Lohnnebenkosten sind zu hoch, weil diese Bundesregierung einen großen Teil der Kosten der deutschen Einheit systemwidrig in die Sozialversicherung hineingeschoben hat.
Wer die menschliche Arbeit so massiv besteuert, der ist dafür verantwortlich, daß sie verteuert wird. Das müssen wir ändern. Deswegen fordern wir: kräftige Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge bei gleichzeitiger maßvoller Verteuerung der Energie.
Mittlerweile gibt es viele Unternehmen, die festgestellt haben, daß eine solche Absenkung der Lohnnebenkosten auch für die Wirtschaft sehr viel interes-
Ingrid Matthäus-Maier
santer ist als die von ihren Verbandsoberen eingeforderte Senkung der Unternehmensteuer.
Ich bin ganz sicher, daß es zu einer solchen ökologischen Steuerreform, zu einer solchen Umschichtung - Entlastung des Kostenfaktors menschliche Arbeit bei maßvoller Verteuerung der Energie - kommen wird. Wenn Sie uns Sozialdemokraten das nicht abnehmen, rate ich Ihnen einfach einmal: Lesen Sie das Interview mit dem Astronauten und Physiker Professor Messerschmid im „Publik Forum" vom letzten Jahr, in dem er eindrucksvoll beschreibt, wie er als nicht linker Politiker sich zu einem „radikalen Ökologen" entwickelt hat, weil er im Ablauf der Jahre auch beim Umrunden der Erde festgestellt hat, wie massiv sich die Situation der Umwelt verschlechtert hat und daß daran insbesondere die Energie schuld ist. Schimpfen Sie heute nur! Sie - oder ab 1998 wir, wie wir hoffen - werden eine solche ökologische Steuerreform machen.
Zu diesem Thema gehört dann auch, daß Sie endlich die Subventionen beseitigen, mit denen der Verbrauch von Energie gefördert wird. Wir wissen: Das geht überwiegend nur im internationalen Rahmen. Aber um welche Summen es geht - es geistert immer die Zahl von 400 Millionen herum -, das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Frage meiner Kollegin Monika Ganseforth. Sie hatte gefragt, welche Steuereinnahmen sich durch die Besteuerung des Flugbenzins unter Zugrundelegung des jährlich durch die zivile Luftfahrt verbrauchten Flugkraftstoffs für innerdeutsche und internationale Flüge erzielen ließen. Die für mich verblüffende Antwort der Bundesregierung war: „Bei einer Versteuerung zum Regelsteuersatz ergäben sich Steuereinnahmen von rund 6,7 Milliarden DM" - in Deutschland! Solche Summen fehlen uns, weil Sie nicht an die unökologischen Steuersubventionen herangehen, um so dazu beizutragen, daß diese auch international endlich abgeschafft werden.
Zur Zukunftssicherung gehört auch, daß Bundeshaushalte nach dem Jahr 2000 nicht länger so massiv vorbelastet werden, wie das in der Vergangenheit geschehen ist. Schon jetzt steht für die Zeit nach dem Jahr 2000 fest: Die Bundeshaushalte sind jährlich mit mindestens 103 Milliarden DM an Zinslasten und über 16 Milliarden DM an Versorgungsleistungen für Pensionen vorbelastet. Das ist eine schwere Zukunftshypothek. Um so mehr bedauern wir, daß der Innenminister immer noch nicht den seit Jahren überfälligen Versorgungsbericht für den öffentlichen Dienst vorgelegt hat
und daß diese Bundesregierung bis heute unsere Vorschläge zur Reform des öffentlichen Dienstes ablehnt. Was brauchen wir? Abschaffung der Ministerialzulage, Beförderung nach Leistung statt nach Alter durch Dienstaltersstufen, Beseitigung von Privilegien bei den Beamtenpensionen, Abbau von Sondervorteilen bei der Krankenversicherung, Einführung des Teilzeitbeamtentums usw. Wir fordern diese Bundesregierung auf, diese unsere Vorschläge für eine Reform des öffentlichen Dienstes mit Milliarden Minderausgaben nicht länger zu blockieren.
Zu den Vorbelastungen der Haushalte gehört zum Beispiel auch, daß der Bund rund 24 Milliarden DM dafür aufwenden muß, privat vorfinanzierte Straßen- und Schienenbauprojekte ratenweise zu bezahlen. Dahinter steckt eine ganz unglückselige Entwicklung: Um der aktuellen Haushaltsnot zu entkommen, verschiebt man die Probleme auf die Zeit nach 2000. Ich halte diese Vorbelastung zukünftiger Generationen für verantwortungslos.
In diesen Vorbelastungen durch Verpflichtungen sind bestimmte Dinge noch gar nicht enthalten. Ich nenne hier einmal den Transrapid, der mit einem Betrag von 5,1 Milliarden DM zu Buche schlägt. Gerade an diesem Beispiel läßt sich klarmachen, daß es uns hier nicht um Technikfeindlichkeit geht.
Ich halte den Transrapid für ein technologisches Spitzenprodukt. Darauf zielt unsere Kritik nicht ab. Unsere Kritik zielt auf den Sachverhalt, daß der Staat, nachdem er bereits über 1 Milliarde DM an öffentlichen Geldern in die Erforschung des Transrapid gesteckt hat, jetzt auch noch die Kosten für den Fahrweg tragen soll. Wenn der Transrapid wirklich ein solches technologisches Spitzenprodukt ist, dann müssen doch diejenigen in Politik und Wirtschaft, die Tag und Nacht von Privatisierung reden, endlich bereit sein, den Transrapid privat finanzieren zu lassen.
Eine weitere dramatische Vorbelastung - ich kann es Ihnen nicht ersparen - ergäbe sich, wenn Sie den Jäger 90 beschafften.
Es handelt sich um über 20 Milliarden DM, mit schlimmen Folgen nicht nur für den Bundeshaushalt, sondern auch für die Bundeswehr.
Ingrid Matthäus-Maier
Denn wenn er beschafft wird, ist im Verteidigungshaushalt überhaupt keine Luft mehr für andere Dinge.
Was haben wir eigentlich davon, wenn wir über eine strahlende Luftwaffe verfügen, aber das Heer auf abgefahrenen Reifen herumfahren muß?
Ich habe die Hoffnung noch nicht verloren, daß Sie, Herr Waigel, in dieser Beziehung noch lernen. Denn Sie haben offensichtlich schon einmal in bezug auf den Verteidigungshaushalt gelernt. Als wir Sozialdemokraten im letzten September maßvolle Kürzungsvorschläge für den Verteidigungshaushalt gemacht haben, haben Sie hier wörtlich gesagt: Damit würde der Beitrag zur Verteidigung von Frieden und Freiheit in Deutschland und in Europa in Frage gestellt. Jetzt haben Sie den Verteidigungshaushalt viel stärker gekürzt, als wir vorgeschlagen haben. Ich frage Sie: Was soll das? - Beeinträchtigt Herr Waigel damit den Beitrag zur Verteidigung von Freiheit und Frieden in Deutschland und in Europa?
Nein. Ich fordere Sie auf: Lassen Sie diesen Unsinn! Legen Sie endlich eine Bundeswehr-Strukturreform vor,
damit wir die Anzahl der Soldaten auf unter 340 000 Mann absenken können!
Wir brauchen schließlich eine Steuerreform, die mehr Steuergerechtigkeit und mehr Steuervereinfachung bringt. Wir haben unsere Vorschläge auf den Tisch gelegt: erstens Absenkung des Eingangssteuersatzes auf 19,5 Prozent, zweitens Verbesserung des steuerfreien Grundfreibetrags auf 14 000 DM bei Ledigen und 28 000 DM bei Verheirateten und einen linear-progressiven Tarif ohne leistungshemmende Sprünge.
Das führt zu einer deutlichen Entlastung der Normalverdiener. Da liegt auch unser Schwerpunkt, meine Damen und Herren, im Unterschied zu dem Ihrigen. Denn was Sie vorhaben, konnten wir im Sommer gut beobachten.
Da sagte der Kanzler - noch bevor eine einzige Steuersubvention abgebaut wurde -, die Erhöhung der Mehrwertsteuer sei unumgänglich. Herr Schäuble sagte einige Tage später, mit den Steuersenkungen
bei den unteren Einkommen müsse es nun einmal ein Ende haben.
Er will nur noch den Spitzensteuersatz senken. Das kennen wir: Rentner, Arbeitslose, Arbeitnehmer müssen eine höhere Mehrwertsteuer zahlen, damit Sie den Spitzensteuersatz für Spitzenverdiener absenken können. Das wird es mit uns nicht geben.