Rede von
Michael
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Halbzeit der 13. Legislaturperiode müssen wir leider feststellen: Die Umweltpolitik ist von Stagnation und Rückschritt gekennzeichnet. Dies werfen wir nicht alleine der Umweltministerin vor - ihr werfen wir vor allem vor, daß sie Durchsetzungsschwäche hat, was auch das kommende Kreislaufbürokratiegesetz nicht ändert -, sondern dies ist die geistige Haltung der Bundesregierung insgesamt und großer Teile der Wirtschaft. Das ist die eigentliche Wahrheit.
Das Parlament hat Anfang der 90er Jahre eine große Chance für die Umweltpolitik in Deutschland eröffnet, nämlich mit den Arbeiten der EnqueteKommission. Die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" hatte über alle Fraktionen hinweg der Bundesregierung Vorgaben gemacht und das Zeichen gesetzt, daß sie für die große Gemeinschaftsanstrengung bereit waren, Umweltschutz in der Bundesrepublik zu einem zentralen Ziel aller Politikbereiche zu machen und ehrgeizige Ziele durchzusetzen.
Wir stellen fest, diese große Chance ist verspielt worden. Sie haben sie nicht genutzt. Im Gegenteil, die Umweltpolitik steht heute in Bonn auf dem Nebengleis. Wenn Sie beispielsweise das 25-ProzentZiel ansprechen, dann müssen Sie ehrlicherweise sagen: Seit 1990 sind die CO2-Emissionen in den alten Bundesländern gestiegen, und seit 1994 steigen sie leider auch wieder in den neuen Bundesländern. Sie werden das Klimaschutzziel verfehlen, weil Sie sich aus der Politik zurückgezogen haben. Sie sind nicht bereit, dafür Verantwortung zu tragen.
Aus meiner Sicht liegt der entscheidende Punkt darin, daß unter den veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Bedingungen Sie die Umweltpolitik als Belastung, aber nicht als Chance ansehen. Sie sehen nicht in der Ökologisierung von Produktion und Konsum eine Chance, unser Land zu modernisieren, also Fortschritt zu wagen, was wir dringend notwendig haben.
Dabei ist die Umweltpolitik die Chance auf ein besseres Morgen; denn sie verbindet zwei zentrale Elemente miteinander, die unser Volk braucht, nämlich einerseits die Hoffnung auf Fortschritt und andererseits den Willen zur Gerechtigkeit. Beides ist in der Umweltpolitik verbunden.
Deshalb ist es kein Wunder, daß in einer Zeit, wo soziale Gerechtigkeit keine Rolle mehr spielt, auch die Umweltpolitik keine Rolle mehr spielt. Dies sind leider zwei Seiten einer Medaille.
Wir wissen: Jede Zeit hat ihre spezifischen Probleme. Wir stehen heute vor allem vor den Problemen der Globalisierung von Unternehmen und wirtschafts-
politischen Strategien, vor wachsender Ungleichheit, vor ökologischen Grenzen des Wachstums und vor der Aushebelung des Nationalstaates. Das heißt,
Michael Müller
unsere Zeit ist davon gekennzeichnet, daß wir eine Politik finden müssen, diese Probleme zu bündeln und in einer gemeinsamen Strategie zu lösen. Tatsächlich müssen wir in der Bundesrepublik feststellen: Die großen Zukunftsherausforderungen werden gegeneinander ausgespielt, und damit wird keine gelöst. Wir spielen die Massenarbeitslosigkeit gegen die Umweltkrise und den Sozialstaat gegen die Wachstumsschwäche aus. Alles zusammen führt dazu, daß kein Problem gelöst wird, sondern sie alle mittelfristig verschlechtert bzw. nicht mehr lösbar werden.
Wir dürfen nicht vergessen: Die Stabilität der Demokratie in den letzten Jahrzehnten war die Stabilität eines gesellschaftlichen Vertrages auf der Basis des Sozialstaats. In der Gesellschaft gab es den Interessenausgleich zwischen unterschiedlichen Positionen, der damit Fortschritt und Gerechtigkeit ermöglicht hat. Was heute stattfindet, ist ein platter Ökonomismus, der auf die Probleme von morgen die Antworten der 20er Jahre gibt. Das ist ein Rückfall in eine liberalistische, nur noch kurzsichtige ökonomische Interessenpolitik, die nicht in der Lage ist, das durchzusetzen, was Wohlstand des Volkes ist.
Der eigentliche Punkt, der heute deutlich wird, ist, daß Sie nicht mehr das Ganze sehen, das, was gesellschaftlichen Fortschritt ausmacht. Sie geben sich vielmehr der unsozialen Hoffnung hin, daß sich die Vertretung einzelner starker Interessen letztlich positiv auf alles auswirkt. Das ist eine Illusion, und daran werden Sie scheitern. Leider wird dies erhebliche Folgen und Probleme für unser Land hinterlassen.
Wir stellen fest: Wir haben erstens eine wirtschaftliche Entwicklung, die nicht mehr - wie in der Nachkriegszeit - den Wirkungszusammenhang zwischen Sozialstaat, Beschäftigung und wirtschaftlichem Erfolg ermöglicht.
Wir haben zweitens eine Massenarbeitslosigkeit, bei der vieles dafür spricht, daß sie sich in Zukunft weiter verschärfen wird. Ich weise nur darauf hin, daß Beschäftigungseffekte heute erst bei einem Wachstum von rund 2 Prozent ausgelöst werden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich, daß Sie mit Ihrem Verzicht auf Politik das Problem der Arbeitslosigkeit lösen. Das Gegenteil wird der Fall sein.
Wir haben drittens eine Zerstörung des Sozialstaates durch die reduzierten Ausgaben im sozialen und ökologischen Bereich zu verzeichnen.
Viertens wachsen insgesamt ökologische Probleme, die in den letzten Jahren in Teilbereichen entschärft werden konnten, die aber globaler geworden sind.
Meine Damen und Herren, diese vier Probleme müssen als Einheit gesehen werden. Wir, die SPD, sagen deshalb: Wir wollen eine ökologische Steuerreform.
Sie ist ein Ansatz, nicht nur Einzelprobleme zu lösen, sondern Zusammenhänge zu erfassen. Das ist das eigentliche Ziel.
Die ökologische Steuerreform, die durch das Betondenken der Regierungsfraktionen verhindert wird, ist die Chance für die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Diese Chance wird heute leichtfertig verspielt. Gleichzeitig wird denen, die sie wollen, vorgeworfen, sie seien diejenigen, die die Zukunft dieses Landes blockieren.
Was Sie machen, ist nichts anderes als die Indienstnahme der Politik für kurzsichtige Interessen der Wirtschaft. Sie machen keine Politik mehr, die eine neue solidarische Gemeinschaftsanstrengung für ein Bündnis von Sozialem, Arbeit und Umwelt ermöglichen kann und damit den inneren Frieden in diesem Lande sichert. Das ist der Hauptvorwurf an Sie.
Frau Ministerin, wir hören es sehr gerne, wenn Sie von Nachhaltigkeit reden. Trotzdem kann ich es langsam nicht mehr hören, weil es so folgenlos bleibt. Was hat der Bundeskanzler beispielsweise in Rio versprochen? Was hat er in Berlin auf der Klimakonferenz versprochen? Und was ist aus diesen großen Ankündigungen geworden?
Nur noch der Hinweis: Die Wirtschaft wird es richten. Das ist der Rückzug aus der Politik. Dies ist nichts anderes als der Rückzug aus der Verantwortung von denjenigen, die dafür gewählt worden sind, Probleme zu lösen.
Wir sind nicht dafür gewählt worden, die Probleme auf andere zu verlagern. Wir müssen sie angehen mit Kreativität und Phantasie; wir müssen all unsere Möglichkeiten nutzen, sie wenigstens schrittweise einer Lösung nahezubringen.
Das ist der eigentliche Grund, warum heute so viele Menschen von der Politik enttäuscht sind. Sie sind nicht wegen einzelner Entscheidungen enttäuscht, sondern weil sie erkennen, daß die Richtung der Politik nicht mehr stimmt.
Niemand streitet ab, daß Politik heute schwierig ist. Jeder sieht es aber, wenn Politik nicht mehr ernsthaft betrieben wird. Das ist das, was heute stattfindet: der Verlust an Ernsthaftigkeit.
Meine Damen und Herren, wir wollen die ökologische Steuerreform. Sie steht beispielhaft für die Wende in der Wirtschaftspolitik und eröffnet Chancen. Ich will nur zwei Beispiele nennen: Die Unter-
Michael Müller
Buchung von Kienbaum an Hand 40 ausgewählter Industriebetriebe in den alten Bundesländern kommt zu dem Ergebnis, daß allein eine intelligentere Nutzung von Reststoffen und Energie dazu führen würde, daß sich der betriebliche Spielraum für Investitionen und Beschäftigung um bis zu 15 Prozent erhöhen würde.
Wir wissen auch, daß die volkswirtschaftlichen Energiekosten, die sich heute auf etwa 300 Milliarden DM belaufen, durch eine intelligentere Nutzung von Energie um etwa 80 bis 90 Milliarden DM verringert werden könnten - mit erheblichen Beschäftigungseffekten, die über alles das hinausgehen, was heute in der Diskussion ist.
Die Konzepte sind vorhanden. Was fehlt, ist der politische Mut, sie anzugehen.
Deshalb zitiere ich am Ende meines Beitrags frei nach Bert Brecht den Satz von den Menschen, die auf den Ästen saßen und sie absägten und die sich gleichzeitig die Erfahrung zuriefen, wie man noch besser sägen könnte. - Das ist die Situation, in die Ihre Politik unsere Gesellschaft bringt.