Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Etat, den uns der Bauminister heute vorlegt, ist ein Etat des Wortbruchs, des Vertrauensbruchs und des fehlenden Reformwillens. Seit seiner Ernennung hat er keinen Monat vergehen lassen, ohne zum Wohngeld blumige Presseerklärungen abzugeben. Er hat den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land mit den schönsten Zahlen vorgegaukelt, wie er eine Wohngeldreform durchsetzen will. Er hat - damit nicht genug - beim Mietenüberleitungsgesetz für die Regierung dem Parlament eine feste Zusage gegeben, eine Wohngeldnovelle noch in diesem Jahr vorzulegen.
Ich zitiere aus dem entsprechenden Bericht des Ausschusses zum Mietenüberleitungsgesetz. Dort heißt es wörtlich:
Bereits in der Begründung zum Gesetzentwurf ist zum Ausdruck gebracht worden, daß die Bundesregierung für das Jahr 1996 im Zusammenhang mit der anstehenden Novellierung des Wohngeldgesetzes eine Vereinheitlichung des Wohngeldrechts in West und Ost beabsichtigt und daß die Geltungsdauer des Wohngeldsondergesetzes bis zum Inkrafttreten dieser in Vorbereitung befindlichen Novelle verlängert werden soll.
Es kommt noch dicker:
Es wird angestrebt, daß die Wohngeldrechtsnovelle bereits im Jahre 1996 wirkt. Dabei kann ein Teil der Novelle zur Vermeidung von Härtefällen in westlichen Ländern vorgezogen werden.
Pustekuchen! Das Versprochene kommt nicht. Herr Töpfer hat bei der Haushaltsberatung im letzten Jahr selbst noch einen draufgelegt. Auf den Zwischenruf unseres Kollegen Diller hat er am 9. November 1995 hier im Plenum erklärt:
Ich kann zum Wohngeld genau das wiederholen, was wir gesagt haben. Wir werden das Gesetz so novellieren, daß es noch im Jahr 1996 wirksam wird. Das haben wir an dieser Stelle fünfmal gesagt. Wenn Sie es zum sechstenmal hören wollen, habe ich das damit jetzt gesagt.
Originalton Bauminister Töpfer. Deshalb kann man es ohne Emotionen sagen: Es ist ein klassischer Wort-
Achim Großmann
bruch. Die Regierung hat dieses Gesetz bis heute nicht vorgelegt.
Das Nein zu einer substantiellen - nicht strukturellen - Wohngeldreform bedeutet gleichzeitig das Aus für die Reform des sozialen Wohnungsbaus. Alle, die sich nur ein wenig mit der Wohnungsbauförderung und der Wohnungspolitik beschäftigen, wissen, daß wir eine gesunde Mischung aus Objekt- und Subjektförderung brauchen. Bei der Objektförderung sind wir uns darüber einig, daß wir einen neuen Weg einschlagen wollen. Wir wollen die Objektförderung stärker auch für den Bestand nutzen. Beim Wohngeld macht es nur Sinn, daß wir eine quasi Dynamisierung zur individuellen Feinsteuerung einführen. Wenn wir das nicht schaffen, bricht das ganze Gebäude der Reform des sozialen Wohnungsbaus zusammen.
Sie, Herr Minister Töpfer, kürzen beides: Wohngeld und die Mittel für den sozialen Wohnungsbau werden im nächsten Jahr gekürzt. Sie haben - um es auf eine schnittige Formel zu bringen - Ihren Gestaltungswillen an der Garderobe des Finanzministeriums abgegeben.
Geld wäre da,
wenn Sie zusammen mit der SPD weitere Reformschritte gehen würden. Wir haben einen Antrag zur Umgestaltung des frei finanzierten Mietwohnungsbaus vorgelegt. Aber selbst wenn Sie diesem Antrag nicht folgen wollen, nämlich Grenzen bei den Abschreibungsmöglichkeiten im frei finanzierten Mietwohnungsbau vorzusehen, sprich: Luxussubventionierungen abzubauen, schauen Sie doch einmal in die Gazetten der letzten Wochen. Die „Wirtschaftswoche" schrieb: „Nicht zu schlagen. Optimale Verschuldung." Dies ist ein schönes neues Wort. Es wird aufgelistet, daß ein Ehepaar, das eine zu vermietende Wohnung, frei finanzierter Mietwohnungsbau, kauft, die 298 000 DM kostet, wenn es nur die normalen Abschreibungen in Anspruch nimmt, eine Steuerersparnis von 20 000 DM hat. Wenn in die Finanzierung eine Lebensversicherung eingeschlossen wird, hat es eine Ersparnis von 88 000 DM. Wenn es das Darlehen nicht tilgt, sondern eine Lebensversicherung anspart, das Eigenkapital allerdings vorher einem Anlagekonto zuführt, hat es eine Steuerersparnis von 161 000 DM. Das bezieht sich alles auf dieselbe Wohnung. Das lassen wir zu.
Hier werden Steuersparmodelle offen angekündigt. Es wird Geld verschleudert. Das ist der eine Teil, aus dem man sicherlich ohne weiteres 100, 200 oder 400 Millionen DM schöpfen könnte, um das Wohngeld zu reformieren.
Es gibt noch einen weiteren schönen Artikel, und zwar über den früheren Vorsitzenden der F.D.P. in Hamburg - er war immerhin sechs Jahre Landesvorsitzender -, Herrn Vogel. Sein Immobilienvermögen wird - so heißt es in der „Zeit" - auf 300 000 Quadratmeter Wohn- und Bürofläche im
Wert von 1,4 Milliarden DM geschätzt. Er legte in einem Interview dar, warum ein Millionär keine Steuern zahlt. Er erklärte, daß er im Grunde genommen trotz seines Besitzes von Immobilien im Werte von 1,4 Milliarden DM die Möglichkeit hat, eine Sozialwohnung zu beziehen. Er sagt auf die entsprechende Frage in der „Zeit":
Mein Steuerbescheid schloß wegen der nichtalterungsbedingten Abschreibungen auf Gebäude, die wir ja vornehmen können, mit einem Einkommen von null Mark ab.
Es heißt weiter:
In den Mietzahlungen der Sozialmieter ist eine Abschreibung in der Regel von etwas über einem Prozent jährlich für die Abnutzung des Gebäudes und der installierten Elektrogeräte wie Speicher oder Herde enthalten. Steuerrechtlich muß aber eine Abschreibung von zwei Prozent geltend gemacht werden. Dadurch stellen sich automatisch steuerliche Verluste ein - das ist eine Zwangsvorschrift.
Weiter heißt es auf die Frage, ob das denn so bleiben müsse:
Ich gebe Ihnen recht. Es geht mir selbst allmählich gegen den Strich, daß es viele Menschen gibt, die durch die vielfach möglichen Abschreibungen ihre Steuerzahlungen minimieren oder gar keine Steuern mehr bezahlen ...
Das heißt - noch einmal zurück zum Wohngeld -: Die Finanzmasse ist da. Wir brauchen nur mutige Reformer in diesem Haus, um das auf die Beine zu stellen und um dann das Geld für andere Maßnahmen einzusetzen.
Es ist übrigens überhaupt nicht nachvollziehbar und überhaupt nicht zu verstehen, daß im sozialen Wohnungsbau Kostenobergrenzen eingestellt werden und beim freifinanzierten Mietwohnungsbau jeder investieren kann, was er will, ohne jegliche Grenze; der Steuerzahler ist immer dabei. Das ist überhaupt nicht nachzuvollziehen.
Das Argument, wenn man das beschränken würde, würde man die Bauwirtschaft gefährden, ist ausgesprochen dämlich, denn die Abschreibungsgrenzen für den normalen Mietwohnungsbau wollen wir schließlich nicht antasten. Wenn wir Abschreibungsgrenzen für Luxussubventionen haben, ist das nichts anderes als ein weiterer Vorschlag zum kosten- und flächensparenden Bauen, das der Bundesbauminister so stark fördert - leider nur in Sonntagsreden, nicht mit den Instrumenten, die er sich vom Parlament geben läßt.
Wortbruch, fehlender Reformwille, mangelnder Reformwille - das finden wir auch beim Altschulden-
Achim Großmann
hilfe-Gesetz. Ich will Ihnen jetzt ersparen, meine Damen und Herren von der Koalition, aus vielfältigen SPD-Anträgen und Gesetzesnovellen zum Altschuldenhilfe-Gesetz zu zitieren. Fakt ist, daß Sie unsere Vorschläge - sei es zur Anerkennung der Ausgründung von Genossenschaften, sei es zur Korrektur der progressiven Erlösabführungsquote und zu vielem anderen mehr - in diesem Hause in schöner Eintracht abgelehnt haben.
Sie wollten die Privatisierung fördern und haben sie in Wirklichkeit blockiert. Bei der Lösung der Altschuldenfrage des ostdeutschen Wohnungsbestandes sitzt die Bundesregierung seit fünf Jahren im Bremserhäuschen. Jetzt kommen Sie kleinlaut und bringen die Änderungen des Altschuldenhilfe-Gesetzes ein, die wir seit mehreren Jahren fordern. Man soll es nicht für möglich halten: Drei Jahre sind vertan!
Wortbruch, Vertrauensbruch, fehlender Reformwille - das Urteil zum Etat: Ich glaube, man kann es kaum noch deutlicher mit Beispielen belegen. Aber ich will noch einen draufsetzen - das allerdings nur mit wenigen Worten, weil der Kollege Maaß das vertiefen wird. Im Bergarbeiterwohnungsbau gibt es einen klassischen Vertrauensbruch. Die Bundesländer haben sich darauf eingerichtet, Wohnungen in Zechensiedlungen, die teilweise über hundert Jahre alt sind, zu modernisieren. In einer Nacht-und-NebelAktion wird dieses Vertrauen mißbraucht; es wird gesagt, ab 1. Januar 1997 gebe es überhaupt nichts mehr. Ein sichtlich schlicht überforderter Mitarbeiter des Bundesbauministeriums erklärte den Ländervertretern, daß dieses Gesetz noch nicht einmal zustimmungspflichtig sei. Die Länder werden fast genötigt und erpreßt. Das war bisher nicht Ihr Stil, Herr Töpfer.
Ich fordere Sie auf, mit den Ländern in einen ernsten Dialog zu treten.
Es geht nicht an, sich auf internationalen Konferenzen mit warmem Applaus umspülen zu lassen, wenn dort gesagt wird, in der Bundesrepublik würden wir die Arbeitersiedlungen retten und nachhaltige Entwicklungen beim Wohnungsbau machen, während in einer Nacht-und-Nebel-Aktion diese Mittel einfach gestrichen werden. Das geht nicht, und das werden wir auch nicht zulassen.
Wenige Stichworte zum Schluß, zuerst zum Mietrecht. Es gibt beim Mietrecht unglaublich dumme Vorschläge,
die landauf, landab herumgeistern und die die Menschen verunsichern. Der Bauminister hat es bis heute nicht für nötig gehalten, sich zu diesen Vorschlägen zu äußern. Er spricht zwar davon, das sei eben nicht unmittelbar sein Gebiet, er sei dafür nicht zuständig, er wolle, daß eine Mietrechtsänderung komme, und
er könne sich auch vorstellen, wie man die gestalte. Aber er sagt nichts zu diesen wirklich schlimmen Vorschlägen, die bis zur Abschaffung der Kappungsgrenzen, bis zum Recht zur Kündigung ohne besondere Begründung gegenüber Leuten, die seit 30 Jahren in ihren Wohnungen leben, gehen. Es gibt wirklich unglaubliche Vorschläge. Dazu ist der Bundesbauminister bis jetzt und auch heute stumm geblieben.
Mit Wortbruch, Vertrauensbruch und fehlendem Reformwillen, Herr Töpfer, mit mangelnder Gestaltungskraft und ohne Durchsetzungskraft kann man keine zukunftsfähige Wohnungspolitik gestalten.