Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr geehrter Herr Wissmann, auch wenn Sie soeben versucht haben, in noch so blumigen Worten Ihren Haushalt schönzureden, ist festzustellen: Dieser Verkehrshaushalt, Herr Wissmann, ist ein politisches Armutszeugnis.
Sie haben die notwendigen Schwerpunkte für eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik nicht gesetzt, entweder weil Sie es nicht wollten oder weil Sie es nicht konnten.
Wie auch immer: Aus der gestaltenden Politik haben Sie sich schon längst verabschiedet. Wir haben heute mehrfach gehört - das geben ja auch die Koalitionsfraktionen zu -, daß dieser Haushalt Milliardenlöcher aufweist und insoweit Makulatur ist. Ihr Verkehrs-
Elke Ferner
haushalt steht dem natürlich in nichts nach. Ich werde nachher noch darauf kommen.
Sie verkünden landauf, landab eine Schienenvorrangpolitik, wie Sie in Ihrer Politik überhaupt sehr viel verkünden, aber nichts mehr tun. Sie tun das Gegenteil von dem, was Sie verkünden: In 1995 - vielleicht können wir die Diskussion von vorhin aufgreifen - standen im Bundeshaushalt 6,2 Milliarden DM für den Schienenbau zur Verfügung, in diesem Jahr 4 Milliarden DM, und für 1997 sind es 3,5 Milliarden DM. In meiner Schule war es so, daß vier mehr ist als 3,5, daß also 3,5 weniger sind als vier. Das ist eine Kürzung von einer halben Milliarde DM, Herr Wissmann.
Wenn man jetzt einmal die Investitionen in 1995 mit denen in 1997 vergleicht, stellt man fest, daß Sie es geschafft haben, die Schienenbaumittel innerhalb von zwei Jahren fast zu halbieren. Das hat vor Ihnen noch niemand geschafft, Herr Wissmann.
Wenn man dann sieht, daß von den 3,5 Milliarden DM gerade einmal eine halbe Milliarde DM als Baukostenzuschüsse vorgesehen sind, aber 3 Milliarden als zinslose Darlehen, die irgendwann in den Bundeshaushalt zurückfließen, dann können wir uns vorstellen, wie das weitergeht: In zwei, drei Jahren haben wir einen Schienenansatz von Null, wenn Sie weiter Verkehrspolitik machen.
Sie rechnen sich das Ganze dann noch schön, indem Sie 3,7 Milliarden DM für die Altlasten der früheren Reichsbahn hinzuaddieren, die so gut wie überhaupt nichts mit dem Schienenneu- und -ausbau zu tun haben. Dann heften Sie sich auch noch die Eigenmittel der Deutschen Bahn AG, um gesetzliche Verpflichtungen zu erfüllen, die wir uns und dem Bundeshaushalt auferlegt haben, an die Brust. Erst dann kommen Sie auf ein Prä der Schiene im Verhältnis zum Straßenbau. Das ist wirklich der Gipfel, welche Rechnerei hier abläuft!
Das geht nur noch unter der Überschrift „Obst", und dann werden Äpfel, Birnen und Zwetschgen zusammenaddiert.
Mit einer solchen Politik plündern Sie die Bahn schamlos aus. Der Kollege Wolf wird wahrscheinlich recht behalten: Wenn es so weitergeht, fahren Sie die Bahnreform wirklich an die Wand.
Beim Transrapid geht aber alles nach dem Motto: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg - zur Not mit dem Kopf durch die Wand. Die Kosten stehen noch nicht fest. Es wird immer noch von der Preisbasis 1993 ausgegangen.
Es gibt keinen Vertrag mit einer künftigen Betreibergesellschaft. Die Risiken für den Steuerzahler sind
nach wie vor unübersehbar; aber in den Bundeshaushalt wird schon einmal munter Geld eingestellt.
Dann gibt es immer wieder neue Gutachten, die irgendwelche Zahlen hervorzaubern sollen, die Sie so dringend brauchen. Die Ergebnisse verschwinden dann aber in Schubladen und werden nicht einmal dem Parlament, geschweige denn der Öffentlichkeit präsentiert.
Ich höre von meinen Kollegen, daß im Forschungshaushalt die Mittel für die Rad-Schiene-Technik zugunsten des Transrapid zurückgefahren werden. Das Ganze kann man nur noch unter die Überschrift stellen: Die Bahn hat bei dieser Regierung keine Zukunft.
Herr Kollege Friedrich, Sie haben eben den Besuch meines Fraktionsvorsitzenden bei der Transrapid-Versuchsstrecke angesprochen. Sie hätten auch hinzufügen können, was er zur Finanzierung des Transrapid gesagt hat: Es bleibt dabei, und es gilt die SPD-Position: Wir haben nichts gegen die Technik; aber wenn die Industrie von der Technik so überzeugt ist, dann soll sie die Strecke zwischen Hamburg und Berlin, die wir im übrigen für falsch halten, privat finanzieren. Das hat auch Herr Scharping bei der Versuchsstrecke im Emsland gesagt.
Sie verschieben wieder einmal die Kosten für den Wuermelingpaß auf die Bahn, und der Bahnvorstand macht das auch noch mit. Wäre nicht der Bund Alleinaktionär bei der Bahn, dann würden aufgebrachte Aktionäre dem Bahnvorstand wahrscheinlich die Staatsanwaltschaft auf den Hals hetzen, bei dem, was er sich von der Bundesregierung an Lasten zusätzlich aufdrücken läßt, die mit dem eigentlichen Betriebszweck überhaupt nichts zu tun haben.
Sie reden immer von Schienenvorrangpolitik, Herr Wissmann. Wie wollen Sie überhaupt die recht bescheidenen Maßnahmen im Verhältnis zur Straße realisieren? Sie treffen dauernd Vereinbarungen, zuletzt mit der Schweiz. Aber es passiert nichts, und zwar deshalb, weil der Verkehrshaushalt mittlerweile das Sparschwein von Herrn Waigel ist.
Das beste Beispiel ist eine Verbindung, die mich als örtliche Abgeordnete seit sechs Jahren verfolgt, nämlich die Verbindung Paris - Ostfrankreich - Südwestdeutschland. Es gibt eine Vereinbarung zwischen Herrn Kohl und dem damaligen Staatspräsidenten Mitterrand. Es ist überhaupt noch nichts passiert. Es gibt feste Terminvorgaben; es sind sogar Fahrtzeiten vereinbart worden. Es ist aber noch keine müde Mark in die Strecke investiert worden. Da frage ich Sie, Herr Wissmann: Wann wollen Sie Ihren Ankündigungen eigentlich einmal Taten folgen lassen? Sie verkünden hier immer nur, aber Sie tun überhaupt nichts.
Sie kürzen die Mittel für den Bundesbau bei dieser Strecke, und die Bahn - das kommt noch hinzu - kocht ein eigenes Süppchen und will eine Schmalspurbahn bauen, was letztendlich bedeutet, daß das
Elke Ferner
Saarland und die Pfalz zwar eine Zubringerfunktion zum europäischen oder zum deutschen Hochgeschwindigkeitsnetz bekommen, aber nicht in dieses eingebunden werden.
Wie wollen Sie eigentlich dafür sorgen, daß das Schienenwegeausbaugesetz umgesetzt wird? Sie haben eben vom Jahre 2010 gesprochen. Wir haben einmal einen Dreijahresplan „Schiene" gehabt, der nächstes Jahr ausläuft.
- Nein, es ist ein Dreijahresplan; danach soll ein Fünfjahresplan folgen. Aber es wird weder ein neuer Fünfjahresplan vorgelegt, noch sind die Maßnahmen, die in dem Dreijahresplan enthalten sind, in erreichbare Nähe gerückt. Vom Spatenstich rede ich überhaupt noch nicht, geschweige denn von einer Fertigstellung.
Sie haben eben gesagt, die Mehreinnahmen aus der Veräußerung von Immobilien dienen der Verstärkung der Schienenbaumittel. Herr Wissmann, Sie wissen genau, daß das falsch ist. Es sind für 1997 im Wirtschaftsplan des Bundeseisenbahnvermögens fast 3 Milliarden DM an Immobilienerlösen eingeplant. Deshalb ist der Zuschußbedarf gesunken. Wenn die 3 Milliarden DM aber nicht erlöst werden, erhöht sich der Zuschußbedarf.
In diesem Jahr sind 800 Millionen DM angesetzt; erlöst worden sind nur 600 Millionen DM. Das heißt: Bevor es überhaupt zu einer Verstärkung der Schienenbaumittel kommt, müssen erst einmal mehr als 3 Milliarden DM erlöst werden. Dies halten selbst Insider für utopisch.
Jetzt soll noch eine Verwertungsgesellschaft unter Beteiligung von Banken und Versicherungen gegründet werden. Diese soll auf dem freien Kapitalmarkt Geld aufnehmen, weil sie so schnell die Grundstücke nicht zu einem vernünftigen Preis veräußern kann, und mit diesem Geld die Löcher im Bundeseisenbahnvermögen stopfen. Das heißt: Hier werden Schulden auf vorhandenes Bundesvermögen aufgenommen, von denen wir nicht wissen können, ob sie nachher mit den Verkaufserlösen abgedeckt werden können.
Herr Wissmann, wer als Privatfrau oder als Privatmann so mit seinem Vermögen umgehen würde, der würde von seiner Verwandtschaft sofort zwangsentmündigt werden.
Sie doktern nur noch an den Symptomen herum. Wie wollen Sie die steigende Abgasbelastung, den zunehmenden Verkehrslärm und die Zahl der Staus reduzieren? Wie wollen Sie überhaupt eine vernünftige Alternative anbieten, wenn Sie nicht in umweltverträglichere Verkehrsträger investieren?
Wir fordern seit Jahren die Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen. Sie von der Koalition eiern bei jeder Haushaltsberatung im Ausschuß herum, weil es Ihnen zunehmend peinlich wird, daß immer noch nichts getan wird. Sie lehnen es jedes Jahr ab, entsprechende Maßnahmen in den Haushalt aufzunehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich muß Sie wirklich fragen: Was ist Ihnen eigentlich der Gesundheitsschutz für die Menschen noch wert?
Das Mißverhältnis ist eklatant. Es stehen 8,1 Milliarden DM für den Straßenbau, aber nur 3,5 Milliarden DM für den Schienenbau zur Verfügung, und Sie, Herr Wissmann, reden von einer Schienenvorrangpolitik.
Sie müßten spätestens jetzt zugeben, daß Ihre Verkehrspolitik gescheitert ist und daß Sie sich hoffnungslos übernommen haben.
Sie laufen nur mit Ankündigungen herum: Erst wollen Sie eine Verdreifachung und jetzt eine Verdoppelung der Gebühr für die Vignette. Sie wissen genau, daß dies nicht gehen wird. Ihre niederländische Kollegin hat das bereits rundweg abgelehnt. Wir fordern Sie noch einmal auf, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß wir eine fahrleistungsabhängige Lkw-Gebühr, die wir eigenständig einführen können, erheben. Dies ist verursachergerechter, weil wir so die externen Kosten schrittweise miteinrechnen können.
Es kommt auch noch Kurzsichtigkeit hinzu. Wir wissen, daß ab 1998 mit der Kabotagefreigabe ein relativ großes Chaos auf unseren Straßen im Lkw-Bereich ausbrechen wird. Jeder will die Kontrollen verstärken, alle reden davon; aber beim Bundesamt für Güterverkehr werden die Stellen gekürzt.
Ich komme auf den schrecklichen Flugzeugabsturz vor der Dominikanischen Republik zurück. Sie, Herr Wissmann, haben im Sommer eine Taskforce angekündigt, um für mehr Sicherheit im Luftverkehr zu sorgen. Aber im Stellenplan des Luftfahrtbundesamtes ist keine zusätzliche Stelle ausgewiesen. Wir werden Erhöhungsanträge stellen. Die Finanzierung der zusätzlichen Stellen kann man durch Umlegung auf die Verursacher regeln.
- Natürlich stimmt es. Im Verhältnis zum letzten Jahr gibt es überhaupt keine Veränderung. Der Hinweis auf das von Ihnen selbst verursachte Chaos in der Haushaltspolitik hilft Ihnen an dieser Stelle überhaupt nicht weiter.
Elke Ferner
Was wir die ganze Zeit gefordert haben - nämlich ein integriertes Gesamtverkehrskonzept, Ausgleich des Nachholbedarfs der Schiene, Konsequenz in der Kostenanlastung und vor allem Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen -, suchen wir in Ihrem Haushalt vergeblich.