Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden, und zwar um die in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung" bezeichneten Vorlagen:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD
Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates der Anstalt des öffentlichen Rechts "Deutsche Welle"
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates der Anstalt des öffentlichen Rechts "Deutschlandfunk"
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung des Rates über die Anwendung des Beschlusses vorn 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften auf die Mehrwertsteuer-Eigenmittel (Drucksachen 8/428, 8/614)
Berichterstatter: Abgeordneter Rapp
Ich frage, ob das Haus damit einverstanden ist. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Erweiterung der Tagesordnung so beschlossen.
Amtliche Mitteilung ohne Verlesung
Der Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 20. Juni 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Klein , Frau Dr. Walz, Schmidhuber, Dr. von Geldern, Dr. Hupka, Klein (München), Dr. Stercken und der Fraktion der CDU/CSU betr. Gutachten der Monopolkommission zur Pressekonzentration (Drucksache 8/529) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/647 verteilt.
Zur Fortsetzung der zweiten Beratung des Entwurfs eines Haushaltsgesetzes 1977 ist interfraktionell die folgende Redezeitvereinbarung getroffen worden: Einzelplan 30, Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie: 11/2 Stunden, Einzelplan 23, Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit: 21/2 Stunden. Ist das Haus damit einverstanden? — Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe erneut Punkt I der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1977
— Drucksachen 8/100, 8/324, 8/270, 8/474 —
Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses
Wir kommen nunmehr zu: Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie
— Drucksache 8/511 — Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Dübber Abgeordneter Blank
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort.
Das Wort zur Aussprache hat Herr Abgeordneter Stavenhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einigen SPD-Abgeordneten aus Schleswig-Holstein ist vor einigen Wochen der Nachweis gelungen, daß der Schnelle Brüter nicht nur eine äußerst schwierige technische Entwicklung ist, sondern auch ein Instrument zur Disziplinierung der Bundesregierung.
Ihre Drohung, den Forschungsetat abzulehnen, zielte weniger auf die noch offenen Fragen auch der Finanzierung der weiteren Reaktorentwicklung, sondern es ging vielmehr darum, daß ihnen, wie anderen Landesverbänden von SPD und FDP, die ganze Richtung bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht paßt.
Meine Damen und Herren, was sich in den Wochen danach abspielte, zeigt, daß viele in SPD und FDP die Politik der Bundesregierung zur friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht mehr mittragen, sondern nur noch zähneknirschend ertragen.Das Ergebnis des Pokers zwischen dem Forschungsminister und den Gegnern seiner Nuklearpolitik war schließlich ein sogenannter Protokollvermerk, wonach sich der Haushaltsausschuß im Herbst mit der Frage der fortschrittlichen Reaktortechniken
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2630 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. Stavenhagennoch einmal ausführlich befassen solle und bis dahin keine bindenden Beschlüsse gefaßt werden dürften. Dieser Protokollvermerk war völlig überflüssig;
denn genau dies hat der Haushaltsausschuß bereits beschlossen. Das war nichts anderes als der Versuch, den Krach innerhalb der SPD über die Fragen, die mit der Kernenergie zusammenhängen, mit viel weißer Salbe zu überschmieren.
Die Diskussion hierüber hätte auch längst stattfinden können, wenn es dem Forschungsminister gelungen wäre, dem Haushaltsausschuß termingerecht einen Bericht vorzulegen, der im vergangenen Jahr für 31. Januar dieses Jahres angefordert war, um genau diese Fragen erörtern zu können. Im Februar wurde es dann notwendig — weil der Forschungsminister nicht liefern konnte —, die Frist auf Ende Februar zu verlängern. Bis Ende Februar konnte der Forschungsminister ebenfalls nicht liefern, so daß dann schließlich der angekündigte und -geforderte Bericht unmittelbar vor der Beratung des Einzelplans 30 im Haushaltsausschuß vorlag. Deshalb — und aus keinem anderen Grund — haben wir beschlossen, daß man hierüber im Herbst noch einmal in Ruhe sprechen müsse.Wir haben im Gegensatz zu anderen bewußt auf eine Sperre verzichtet. Denn bei den Beratungen des Einzelplans 30 wurde uns im Haushaltsausschuß gesagt, daß der zuständige Titel zu 90 % für die begonnenen Projekte gebraucht wird, also den SNR 300 hier in Kalkar und die anderen Projekte, und daß, wenn man hier etwas sperren würde, Verteuerungen eintreten und es außerdem nicht auszuschließen sei, daß Arbeitsplätze in Gefahr gerieten.
Aus diesem Grunde haben wir darauf verzichtet, daß eine Sperre ausgebracht wird.Dennoch wurde dieser Sperrvermerk in der SPD lange Zeit als Disziplinierungsinstrument favorisiert, und der Forschungsminister war durchaus bereit, diesen Sperrvermerk zu akzeptieren, um seinen Etat über die Hürden zu bringen. Es bedurfte erst des Alarms besorgter Betriebsräte, als Kompromißformel zu diesem komischen Protokollvermerk zu kommen, der deutlich macht, daß der Forschungsminister seinen Entscheidungsspielraum inzwischen in Schleswig-Holstein abgeliefert hat.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion würde es sehr begrüßen, wenn diese Kollegen in den nächsten Tagen dem Forschungsminister etwas Zeit geben würden, sich mit seinen eigentlichen Aufgaben zu beschäftigen.
Bis Ende dieses Monats laufen nämlich die Verträge für die Wissenschaftler aus, die an der Vorbereitung des gemeinsamen europäischen Kernfusionsprojekts JET arbeiten. Diese Wissenschaftler haben daraufhingewiesen, daß es völlig sinnlos ist, die Verträge zur Vorbereitung dieses Projekts weiter zu verlängern, wenn nicht endlich eine Entscheidung über den Standort der gemeinsamen Kernfusionsanlage fällt.Wir fordern deshalb, daß sich nicht nur der Forschungsminister, sondern auch der Bundeskanzler mit mehr Nachdruck für den als bestens qualifiziert bezeichneten Standort Garching einsetzt. Nachdem die Forschungsminister bisher nicht in der Lage waren, hier zu einer Einigung zu kommen, meinen wir, daß diese Entscheidung nun auf Regierungschefebene endlich herbeigeführt werden muß. Meine Damen und Herren, es hat kein Mensch Verständnis dafür, wenn man ständig über die Energiekrise lamentiert, man aber in der Europäischen Gemeinschaft nicht in der Lage ist, nach jahrelangem Tauziehen sich endlich auf einen Standort für dieses wichtige Projekt zu einigen.
Wir müssen uns fragen — es geht ja nicht nur um dieses wichtige gemeinsame Projekt —, warum es eigentlich nicht gelungen ist, die deutsche Forschung auch nur an die Nähe ihres früheren Rufs wieder heranzuführen. Wir können nicht länger zusehen, wie die Forschungsmüdigkeit sich besonders im mittelständischen Bereich immer weiter ausbreitet. Während bei uns die gewerbliche Wirtschaft etwa 3 % ihrer Wertschöpfung für Forschung ausgibt, ist dieser Betrag in Amerika über das Doppelte, nämlich 6,5 %.Wir meinen auch — und das sagen wir ja nicht zum erstenmal —, daß Schluß gemacht werden muß mit der Verzettelung der Forschungsförderung auf zu viele kleine Projekte ohne klare Prioritäten. Die Regierung muß wieder den Mut zu forschungspolitischen Entscheidungen aufbringen. Das Stichwort war da Pforzheim, Herr Hauff; dazu werde ich noch etwas sagen. Unser Land hat mit Ausnahme der Kohle keine nennenswerten Rohstoffvorkommen. Wenn wir also unseren Lebensstandard halten und mehren wollen, dann ist Forschung zwingend notwendig. Sie ist auch für die Sicherung der Arbeitsplätze der Zukunft zwingend notwendig.
Was nützt die beste Bildungspolitik, wenn wir für diejenigen, die wir ausbilden, hinterher keine Aufgabe anbieten können, die ihrer Ausbildung gerecht wird!Dem Forschungsminister fällt für die Forschungspolitik dieses Landes eine zentrale Rolle zu. Einmal ist es so, daß über 50 % der gesamten Mittel, die für Forschung aufgewendet werden, vorn Staat gegeben werden. Von den Mitteln, die der Bund ausgibt, werden 80 % aus dem Forschungsministerium gegeben. Der Etat hat ein Volumen von 4,2 Milliarden DM. Die Forschungspolitik wäre also eine ganz wichtige und politisch zentrale Aufgabe. Aber wie unser früherer Kollege Professor Lohmar in seiner vernichtenden Kritik an der Forschungspolitik der Bundes-
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Dr. Stavenhagenregierung im „Bild der Wissenschaft" gesagt hat, ist die Forschungspolitik zum Randgebiet der deutschen Innenpolitik geworden.Nicht nur im politischen, auch im administrativen Bereich ist die Arbeit des Forschungsministers unbefriedigend geblieben.
Es vergeht kein Jahr, in dem nicht der Bundesrechnungshof in seinen „Bemerkungen", auf deutsch: den Beanstandungen an der Haushaltsführung, dem Forschungsminister ein ausführliches Kapitel widmet. Das war auch bei den letzten Bemerkungen zum Etat 1975 wieder so. Dort wird die Förderpraxis bei der Datenverarbeitung kritisiert. Wörtlich heißt es — ich darf zitieren —:Ein langfristig angelegtes sowohl fachlich wie gesamtpolitisch durchschaubares und durch sorgfältige Marktanalysen abgesichertes Konzept fehlt.Wir erwarten deshalb von der Bundesregierung, daß sie, bevor hier für die 80er Jahre bindende Entscheidungen getroffen werden, die gesamte Förderung der Datenverarbeitung einer nüchternen Analyse unterzieht, ohne Schönfärberei, ohne weiße Salbe, und daß dann festgelegt wird, wie die Förderung in Zukunft weitergehen soll. Wir haben nämlich erhebliche Zweifel daran, daß es mit der bisherigen Förderpraxis gelingt, die Stabilisierung der Marktstellung deutscher Unternehmen zu sichern und ihre Unabhängigkeit von staatlichen Zuwendungen in den 80er Jahren herbeizuführen. Eine Alternative kann hier nur sein, daß man sich auf neuartige Anwendungsmöglichkeiten und damit verbundene neue technologische Anforderungen beschränkt.
Es wäre übrigens wünschenswert, wenn der Bundesminister für Forschung und Technologie auch auf die Kritik und die Anfragen des Bundesrechnungshofes reagieren würde und nicht erst wegen des Reagierens vom Rechnungshof angemahnt werden muß.Meine Damen und Herren, es scheint überhaupt ein Stilelement auch des Forschungsministeriums zu sein, mit dem Geld des Steuerzahlers schlampig umzugehen.
So war es am Jahresende 1976 wie in vorangegangenen Jahren wiederum Praxis, daß sich Referenten des Hauses telefonisch bei Zuwendungsempfängern erkundigt haben, ob nicht vor Jahresende noch etwas Geld abgerufen werden könne, damit man nicht im nächsten Jahr in die Haushaltsberatung gehen und sagen muß, man habe zu großzügig geplant.
Die Gewerkschaft Nahrung, Genuß und Gaststätten hat im vergangenen Jahr ihre Vertrauensleute über ihre tarifpolitische Tätigkeit informiert. In dieser Broschüre geht es um bezahlte Pausen und Schichtfreizeit. Der Forschungsminister sah hier einen unmittelbaren Zusammenhang mit seinem Forschungsvorhaben zur Humanisierung der Arbeitswelt und hat das deshalb aus diesem Etat gefördert.Der Bundesverband der Bürgerinitiativen Umweltschutz erhielt 62 000 DM für eine Arbeit über politische, strukturelle und ökonomische Möglichkeiten der Einführung energiesparender Maßnahmen im Haushaltsbereich, obwohl ein Gutachter feststellte, daß der Arbeitsbericht in gleicher Zeit von einem kompetenten Universitätsassistenten mit Hilfskraft hätte erstellt werden können.
Ein Glühlampenhersteller, zu dessen normalem Geschäftsbetrieb es gehört, Glühlampen zu entwickeln, auch neue Glühlampen zu entwickeln, erhielt 1,6 Millionen DM für eben diese Tätigkeit. Ein Küchengerätehersteller erhielt 1 Million zur Förderung der Entwicklung eines neuen Kühlschranks, der energiesparend sei. Ich meine, auch dies gehört zum laufenden Geschäftsbetrieb.Meine Damen und Herren, dies alles paßt nicht in die immer wieder beteuerte Philosophie des Forschungsministeriums, daß man Geld nur dann gebe, wenn die Interessen der Allgemeinheit berührt seien, wenn hohe Entwicklungsrisiken betroffen seien und die technologische Neuheit dies erfordere. Hier wird einfach nach allen möglichen, nur nicht nach sinnvollen und rationalen Gesichtspunkten Geld ausgeschüttet.
Meine Damen und Herren, für diejenigen, die zur geschlossenen Gesellschaft der Zuwendungsempfänger gehören, wird Forschung und Entwicklung ein beinahe risikoloses Geschäft, während andere, die zukunftsorientierte Projekte anzubieten haben, vor der Tür bleiben, weil sie sich in der zunehmenden Verflechtung
zwischen Bürokratie, Gutachtern und Unternehmen nicht zurechtfinden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl? — Bitte schön.
Herr Kollege Stavenhagen, würden Sie dem Hause mitteilen, welches Projekt, das so zukunftweisend ist, wie Sie es soeben dargestellt haben, nicht gefördert wurde?
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2632 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Herr Kollege, ich komme gleich auf ein schönes Beispiel, auf das mich der Forschungsminister in der vergangenen Woche extra hingewiesen hat, nämlich die Uhrenindustrie. Dort werde ich Ihnen das in einigen Beispielen kurz erläutern dürfen. Ich komme sofort dazu, wenn Sie mir das gestatten.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis dieser dargestellten Tatsachen schlägt sich auch in den Zahlen nieder. 80 % der Fördermittel fließen an 15 Firmengruppen, und für kleinere und mittlere Betriebe bleiben ganze 6 % übrig.
Zwar wurde in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 16. Dezember 1976 ein Programm angekündigt, gerade die kleinen und mittleren Betriebe in die Technologieförderung einzubeziehen. Geschehen ist aber bisher noch nichts, was hier einen wirklichen Beitrag leisten würde. Im Gegenteil, die Betriebe, mit denen wir uns unterhalten, sagen, daß die Anträge allzulange über den Tisch hin- und hergeschoben werden und daß sie von den Sachverständigen zu oft unter den Tisch gebügelt werden.
— Ich komme gerade dazu, Herr Stahl.
Der Forschungsminister hat in der vergangenen Woche — er meinte wohl, dies sei ein besonders gutes Beispiel — mich aufgefordert, einmal darzustellen, wie das mit der Uhrenindustrie gegangen sei. Die Uhrenindustrie ist in Probleme gekommen, weil die Entwicklung von der Mechanik zur Elektronik in einem derart rasanten Tempo vonstatten ging, daß die kleineren und mittleren Betriebe die Forschungsaufwendungen, die hier notwendig waren, nicht leisten konnten.
— Ich weiß nicht, ob die gepennt haben. Ich weiß nicht, ob das eine fürchterlich passende Bemerkung hierzu ist, wenn man sieht, wie dort gearbeitet wird.
Der Forschungsminister hat dann Fördermaßnahmen ergriffen, hat aber zunächst denen einmal ein sogenanntes Konzept der Kooperation verkündet. Dieses Konzept der Kooperation ist im wesentlichen von der IG Metall ausformuliert worden, geht aber an den besonderen Marktgegebenheiten dieser Branche vollkommen vorbei.
Um diesem Kooperationskonzept Nachdruck zu verleihen, macht der Forschungsminister das auf folgende Weise. Diejenigen, die kooperationswillig sind, werden von einer Rückzahlung im Erfolgsfalle befreit. Diejenigen, die nicht kooperationswillig sind, müssen die Forschungszuwendungen nach einer gewissen Zeit zurückzahlen. Das ist das Winken mit dem goldenen Zügel, das ist Strukturpolitik à la
Matthöfer. Diejenigen, denen das nicht paßt, gehen leer aus und kommen nicht zum Zuge.
Dieses Beispiel Uhrenindustrie zeigt, wie es eben kleine Branchen und mittelständische Betriebe außerordentlich schwer haben, sich in dem Dickicht der Forschungsbürokratie zurechtzufinden. Deswegen ist unsere Forderung: Abbau der bürokratischen Hemmnisse, und nicht nur davon reden, verbesserte Information über Fördermöglichkeiten und eine schnellere Weitergabe von Forschungserkenntnissen.
Die entscheidende Hilfe für den Mittelstand wird man nur dann erreichen, wenn man die indirekte Forschungsförderung wesentlich verstärkt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Löffler? — Bitte schön.
Herr Kollege Stavenhagen, würden Sie bitte mal dem Hause erklären, wie das Ministerium seiner verstärkten Informationspflicht nachkommen soll — ich unterstreiche das, was Sie gesagt haben —, wenn Ihre Fraktion die Mittel für Informationen kürzen will?
Herr Kollege, Sie wissen genau, was aus diesem Titel gefördert wird: Nicht die Information für mittelständische Unternehmen, wie man an der Forschung partizipiert, sondern schöne Broschüren mit den Bildchen des Ministers, und die Propaganda, die dann auf Ihre Mühle fließen soll.
Wir brauchen, wenn hier wirklich der mittelständischen Wirtschaft geholfen werden soll, eine Verstärkung der indirekten Förderung, d. h. steuerliche Erleichterungen für Forschungsvorhaben, Zulagen zu den Personalkosten, Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten und Zulagen zu Forschungsinvestitionen. In den letzten zehn Jahren hat sich das Verhältnis von direkter Förderung — also durch direkte Zuwendungen — zu indirekter Förderung von 1 : 2 auf 1 : 20 zu Lasten der indirekten Förderung verschlechtert.
— Das halten Sie für sehr gut! Diese Situation ist auch im internationalen Vergleich völlig untragbar. In den USA, in Japan und Frankreich z. B. wird gerade im Bereich der indirekten Förderung mit gutem Erfolg wesentlich mehr gemacht.
In Zahlen sieht das so aus: Für die indirekte Förderung sind bei uns im vergangenen Jahr rund 85 Millionen DM aufgewendet worden, an direkter Projektförderung 1,7 Milliarden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2633
Dr. StavenhagenWenn es aber darum geht, Innovationen voranzutreiben und langfristig Arbeitsplätze zu sichern, ist hier dringend eine Umorientierung der Forschungspolitik notwendig. Denn die Industrie ist gewohnt, rasch zu reagieren, während staatliche Forschungsprogramme, wie wir ja alle immer wieder sehen, wenn sie erst einmal laufen, kaum in der Lage sind, ihre Richtung zu ändern.
Zum andern ist bei einer Verstärkung der indirekten Förderung nicht mehr erforderlich, daß die Betriebe, um einer Rückzahlung zu entgehen, die Bilanzen frisieren und Verluste vorzeigen, damit sie in Bonn nicht zur Kasse gebeten werden.Einen Nachteil hat dies allerdings. Der Bundesminister für Forschung und Technologie verliert sein Lieblingsspielzeug, nämlich mit der direkten Forschungsförderung Investitionslenkung zu betreiben, und er kann nicht mehr wie im vorigen Bundestagswahlkampf in den Firmen als guter Onkel aus Amerika herumspazieren, um dort zu sagen, was er alles getan hat.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Verbesserung der Information über das, was erforscht, und über das, was erfahren ist. Hier ist es notwendig, daß die interessierten Kreise, gerade die Verbände der Industrie, mithelfen, daß Projekte auf privatwirtschaftlicher Basis vorangetrieben werden, und allen Wünschen nach zentralen öffentlichen Einrichtungen eine klare Absage erteilen. Auch hier muß die Privatinitiative obenan stehen.Aus dem Einzelplan 30 werden auch die zwölf Großforschungszentren gefördert — mit 16 000 Mitarbeitern und über 4 000 Wissenschaftlern sowie einem Mittelbedarf von mehr als 1,5 Milliarden DM ein auch gesamtwirtschaftlich ganz wichtiger Brocken.Ein Schwerpunkt ist die Grundlagenforschung, der rund 20 °/o dieser Mittel zufließen. Dieser Bereich verdient besondere Beachtung, wenn wir uns klarmachen, daß wir heute unseren Export im wesentlichen auf Verfahrenstechniken aufbauen, die zum Teil viele Jahre alt sind und teilweise sogar aus Zeiten vor dem Krieg stammen. Wenn man sich vor Augen hält, wie lang die Zeit von einer Erfindung bis zu ihrer Markteinführung ist, dann wird einem deutlich, wie wichtig die Grundlagenforschung ist.Dies zwingt aber dazu, daß man den Zentren eine Phase der Verstetigung gönnt und daß man die Zentren nicht dauernd in neue Unruhe stürzt. Die Mitarbeiter dort beklagen, daß Sand im Getriebe ist, die Inflation der Beratergremien ihre Arbeit erschwert und daß die Globalsteuerung entgegen der Behauptung des Ministeriums nicht funktioniert, sondern daß in die Zentren bis in Kleinigkeiten hineinregiert wird. So können sie nicht arbeiten. Der Forschungsminister sollte darüber nachdenken, wie er den Forschungszentren in Zukunft die Chance gibt, ruhig und vernünftig im Interesse unseres Landes zu arbeiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, im Interesse der planmäßigen Abwicklung der Debatte bitte ich Sie, sich an die vereinbarte Redezeit zu halten.
Ja. — Eine freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verlangt marktkonforme Instrumente, langfristig angelegte Konzepte und die Erkenntnis, daß nicht alles planbar ist. Der Staat sollte den Gang der Forschung begleiten, aber nicht bürokratisch gängeln und administrieren.
Wir lehnen den Einzelplan 30 deshalb ab.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dübber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie alle kennen die öffentlichen Erörterungen über die Fragen der Kernenergie, die in diesen Monaten in unserem Land stattfinden. Was deren Einsatz zur Gewinnung von Elektrizität bedeutet, so ist das hier vor einer Woche bei der Energiedebatte behandelt worden. Deshalb kann ich mich auf die Besprechung einiger haushaltsmäßiger Auswirkungen beschränken.Eines der Argumente, mit denen wir in diesem Zusammenhang stets konfrontiert werden, ist die Frage nach der ausgewoaenen Verteiluna der Mittel auf die Forschungsprojekte für die einzelnen künftigen Energieträger. Ein sicher nicht unwichtiger Einwand lautet, die Regierung konzentriere sich einseitig auf die Kernenergie und vernachlässige andere mögliche Technologien.Dieses Argument ist nicht richtig. Dazu möchte ich ein paar Worte sagen. Gerade dieser uns vorliegende Einzelplan weist eine erhebliche Steigerung im Bereich der nichtnuklearen Forschung auf.
Die Steigerung in diesem Bereich liegt bei 40 %. Sie liegt damit ersichtlich um ein Mehrfaches höher als die Steigerungsrate des Gesamthaushaltes. Man kann es aber auch anders herum ausdrücken: noch im Jahre 1973 betrugen die Ausgaben für den nuklearen Bereich mehr als das 45fache der „nichtnuklearen" Ausgaben. Im diesjährigen Haushalt sind sie nur noch etwa dreimal so groß.Als Schwerpunkte in diesem Bereich lassen sich folgende nennen: 1. die rationelle Energieverwendung, 2. die Kohletechnologie, 3. die neuen Energiequellen.Wenn man davon ausgeht, daß etwa 50 % unseres Energieverbrauchs in die Wärmeenergie geht, dann
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Dr. Dübberkann man leicht erkennen, wie wichtig die Erforschung rationeller Energieverwendung ist. Hierzu lauten die Stichworte: Bau von Kraftwerken für Strom und Heizwärme zugleich, Wärmepumpen und Heizungssysteme, Senkung des Energieverbrauchs in Gebäuden und schließlich die rationelle Energieverwertung auch in der Industrie.Kurzfristig geht es dabei um die Verbesserung der Umweltfreundlichkeit von Steinkohlekraftwerken. Hierbei spielt das Programm „Zukunftsinvestitionen", über das wir im Verlauf dieser Haushaltsberatung zu entscheiden hatten, eine bedeutende Rolle. Denn aus dem 16-Milliarden-Programm gehen gerade in diesen Bereich der Energieforschung erhebliche Mittel.Ferner kommen dazu die Technologien zur Erzeugung gasförmiger und flüssiger Produkte aus Kohle. Die Kohletechnologie ist bekanntlich in besonderem Maße in Deutschland vorangetrieben worden. Fast alle namhaften verwertbaren Verfahren zur Kohlevergasung und Kohleverflüssigung tragen deutsche Namen. Hier ist aus den bekannten Gründen des stärkeren Auftretens des Erdöls vor zwei Jahrzehnten ein Stopp in der Entwicklung eingetreten. Jetzt gilt es, daran wieder anzuschließen und in dieser Entwicklung fortzufahren.Bei den neuen Energiequellen ist besonders die Sonnenenergie zu nennen. In breit angelegten Untersuchungen ist nachgewiesen worden, daß auch in unseren Breiten die Sonnenenergie einen Beitrag zur Deckung des Energiebedarfs leisten kann. Es gibt bereits mehrere Aggregate auf dem Markt. Dies ist in Anbetracht der kurzen Zeit, die zur Verfügung stand, schon ein meßbarer Erfolg. Daneben wird auch untersucht, welchen Beitrag die Windenergie und die Erdwärme für die Deckung des Energiebedarfs leisten können. Die Beiträge dieser Energiequellen wird man aber erst sicher beurteilen können, wenn weitere technische Fortschritte erzielt worden sind.Ich kann zusammenfassen, daß diese Regierung und die sie tragenden Parteien die öffentliche Diskussion, die wir in unserem Lande an vielen Orten zu verzeichnen haben und die sich um Energieprobleme dreht, sehr ernst nehmen. Wir haben auch Verständnis für Unruhe und Sorge, die hier und dort wegen der weithin unbekannten Technologien auftreten. Wir weichen dieser Debatte nicht aus, vor allem aber: wir überlassen die Debatte auch nicht den Demagogen.
In diesem Zusammenhang ein Wort zu dem Antrag der Opposition — Herr Kollege Löffler hat es bereits durch eine Zwischenfrage angedeutet — zur Kürzung der Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit. Ich meine, daß gerade dies ein Augenblick ist, auf die Schizophrenie hinzuweisen, die hinter solchen Anträgen steckt. Denn zu den Häusern, bei denen die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit gekürzt werden sollen, gehört auch das Forschungsministerium. Nun wird wohl niemand hier im Saale sein, der in diesen Wochen den Bundesforschungsminister darum beneidet, sich permanent den Gegnern der Kernenergie stellen zu müssen. Es gehört Mut dazu, sich unter aufgeregte Leute zu begeben, die emotional aufgeheizt, aber manchmal auch aufgehetzt sind. Der Minister Matthöfer hat diesen Mut bewiesen, und dafür, meine ich, gebührt ihm unser Dank.
Darum gerade ist es notwendig, seinen Etat mit den nötigen Mitteln auszustatten, die ihn in die Lage versetzen, die Bevölkerung in Wort und Schrift aufzuklären, mit Bürgerinitiativen zu reden sowie Multiplikatoren und Interessierte nach Bonn einzuladen. Kein Mensch wird bestreiten können, daß ein so unendlich kompliziertes Gebiet wie die Kernenergie allen Beteiligten und Interessierten nur mit viel Geduld und Aufwand an Zeit und auch an Material verständlich gemacht werden kann. Dies ist ein weiterer Grund, warum wir dem Antrag der Opposition nicht zustimmen können.Nun komme ich zu dem, was Herr Kollege Stavenhagen als Schauergeschichte über die Abgeordneten gesagt hat, die angeblich über den Einzelplan 30 die Regierung stürzen wollten. Das ist ein Zeitungsbericht gewesen, genauer gesagt ein Bericht im „Spiegel". Wenn man alles das dementieren würde, was montags darin steht, könnte man dafür ein eigenes Bulletin unterhalten.Ich mache es in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit kurz und komme auch nicht in die Versuchung, hier Ausschußberatungen zu wiederholen, obwohl ich dafür präpariert bin. Ich könnte hier einiges aus dem Forschungsausschuß wie aus dem Haushaltsausschuß allein aus den letzten Wochen vorlesen, woraus sich ergibt, daß auf allen Seiten des Hauses Probleme gesehen werden.Die Technologie der Schnellen Brüter stellt doch eine Energiequelle dar, die, wenn ich mich so umsehe, wirtschaftlich wahrscheinlich erst dann eingesetzt werden kann, wenn die meisten der in diesem Saal Anwesenden schon längst nicht mehr aktiv politisch oder beruflich tätig sind, nämlich nach dem Jahre 2000. Dies ist eine Angelegenheit, die auf weite Sicht hin betrieben wird und die es wirklich verdient, daß sich die Parlamentarier damit eingehend befassen und nicht im Galoppverfahren darüber entscheiden, wie wir das in diesem Jahr notgedrungen während der nur dreimonatigen Haushaltsberatung machen mußten. So hat es von den verschiedensten Kollegen Bedenken, Fragen und Einwände gegeben. Ich erspare mir, sie hier vorzulesen. Herr Stavenhagen hat gesagt, er habe bewußt auf eine Sperre im Haushaltsausschuß verzichtet. Dies ist richtig. Auf die Sperre verzichtet hat er allerdings erst sehr spät. Jetzt lese ich doch die eine Stelle aus dem Protokoll des Haushaltsausschusses vor, in dem es heißt:Der Mitberichterstatter— das war Herr Stavenhagen —will die Diskussion über diesen Problemkreisgründlich führen und beantragt, die Mehrausgaben gegenüber 1976 so lange zu sperren, so-
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Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2635
Dr. Dübberlange in der Diskussion der Eindruck nicht ausgeräumt ist, daß die Verlagerung zum Schnellen Brüter Tatsache ist.
Daraufhin ist ihm bedeutet worden, und zwar in sachlicher Form - ich sehe gar nicht ein, warum wir hieraus eine parteipolitische Hackerei machen müssen —, daß dies mit hoher Sicherheit große Auswirkungen auf Arbeitsplätze haben würde, auf mutmaßlich 8 000 Arbeitsplätze. Daraufhin hat der Haushaltsausschuß einvernehmlich gesagt, dies sei eine Angelegenheit, die er zusammen mit dem Fachausschuß nach Ende der Sommerpause in aller Ausführlichkeit und in aller Ruhe besprechen wolle.Dies ist eine Lösung, die es nicht verdient, daß man ihr billige Polemiken anhängt. Wir sind es nun wirklich unseren Wählern schuldig, derart komplizierte und groß angelegte Projekte sorgfältig zu behandeln. Ich kann für die Fraktion der Sozialdemokraten erklären — damit schließe ich —, daß wir dem Haushalt des Bundesforschungsministers zustimmen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vor genau einem Jahr fand die große Debatte zur Forschungspolitik statt. Es ist gut, zu wissen, daß die damals abgegebene Erklärung meines Kollegen Professor Laermann heute für meine Fraktion unvermindert Gültigkeit hat. Lassen Sie mich daher vor diesem Hintergrund zum Einzelplan 30 Stellung nehmen.Auch der Forschungsetat 1977 ist durch steigende Anforderungen der großen Forschungsprojekte geprägt, denen eine direkte Subventionierung zuteil wird. Hieraus resultiert natürlich eine gewisse Schwierigkeit, neue und für wichtig erkannte Schwerpunkte der Forschungspolitik angemessen auszustatten. In erster Linie ist dabei an die nukleare gegenüber der nichtnuklearen Energieforschung zu denken. In der Energiedebatte der vergangenen Woche ist für meine Fraktion schon sehr deutlich der Wunsch nach stärkerer Betonung der nichtnuklearen Energieforschung ausgesprochen worden. Ich meine, mit dem Bundesminister für Forschung und Technologie einig zu sein, wenn für die nukleare Energieforschung und -entwicklung ein stärkeres Engagement der betroffenen Wirtschaft für die Zukunft gefordert wird. Grundsätzlich müssen lange von der öffentlichen Hand geförderte Spitzentechnologien in die Obhut und Pflege der subventionierten Wirtschaft übergeben werden. Das gilt nun auch für die großen Förderungsbereiche der Nuklearforschung wie die fortgeschrittenen Reaktorlinien, die Uranversorgung und die Urananreicherung sowie die Brennelemententwicklung und Entsorgung. Natürlich kann dies kein abrupter Prozeß sein, aber wir sollten im Haushaltsausschuß zusammen mit der Bundesregierung prüfen, ob die öffentliche Finanzierung der Reaktorentwicklung auf den Iststand festzuschreiben wäre.Zu hier angesprochenen Diskussion um den Schnellen Brutreaktor erlaube ich mir, nur anzumerken, daß von meiner Fraktion bereits 1975 bei der Vorbereitung des Haushaltsstrukturgesetzes Skepsis über die vorgesehenen Förderungsmittel für den Schnellen Brutreaktor geäußert wurde. Mein Kollege Laermann hat das schon damals sehr deutlich gesagt. Ich bin mit ihm der Meinung, daß in der Tat genügend Zeit besteht, um eine ausführliche Diskussion über den Schnellen Brutreaktor und seinen Brennstoffkreislauf zu führen. Wir haben also ausreichend Möglichkeit, nach alternativen Lösungen, wie sie auch der amerikanische Präsident vorgeschlagen hat, zu suchen. Meine Fraktion würde es sehr begrüßen, wenn wir zu einer intensiven und ausführlichen Diskussion im Haushaltsausschuß und in den Fachausschüssen über diese Fragen kommen könnten.
Dazu laden wir auch die Opposition sehr herzlich ein.
Meine Fraktion erkennt ausdrücklich die besondere Leistung der Bundesregierung an, daß neben den — fast möchte ich sagen — klassischen Bereichen der Forschungsförderung wie Energie, insbesondere Kernenergie, Datenverarbeitung, Luft- und Weltraumforschung neue, auf die drängenden gesellschaftspolitischen Probleme zugeschnittene Bereiche in die Forschungspolitik aufgenommen werden konnten. Entsprechend den Aussagen in der Regierungserklärung, die Forschungsprogramme wie Humanisierung der Arbeit, Technologien für die Bewältigung der Probleme der Kommunen und Gesundheitsforschung mit Nachdruck zu verfolgen und solchen Vorhaben Vorrang einzuräumen, die zu allgemeinen nutzbringenden technischen Neuerungen führen und damit die dringend notwendigen Arbeitsplätze der Zukunft ermöglichen, enthält der Forschungshaushalt deutlich wachsende Ausgaben in einigen ausgewählten Projektbereichen, insbesondere auch nach der Einarbeitung des Programms für Zukunftsinvestitionen. Das begrüßen wir.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß es notwendig ist, finanziellen Spielraum für diese auf die drängenden gesellschaftlichen Bedürfnisse zugeschnittenen neuen Bereiche zu gewinnen. Das kann bei einem sich insgesamt kaum ausweitenden Etat nur zu Lasten anderer großer Projekte, die in der direkten Förderung sind, geschehen. Wenn wir aber zusammen mit der Bundesregierung diese Spielräume tatsächlich ausgeschöpft haben, dann müssen wir auch der großen, Bedeutung der Forschungs- und Technologiepolitik für die langfristige Entwicklung einer hochindustrialisierten Gesellschaft haushaltspolitisch Rechnung tragen.
Für meine Fraktion möchte ich ausdrücklich begrüßen, daß die beteiligten Bundesressorts mit den Beratungen über die Ausfüllung der Regierungserklärung begonnen haben, nämlich der darin ange-
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Dr. Haussmannsprochenen Vorlage eines Gesamtkonzeptes für die Forschungs- und Technologiepolitik für kleine und mittlere Unternehmen.
Unserer Ansicht nach muß dabei ein ganzer Katalog möglicher Förderungsinstrumente geprüft werden, die sowohl direkt als auch indirekt greifen können. Das reicht von der Erhöhung der Zulage für Forschungsinvestitionen über Sonderabschreibungen, über steuerliche Erleichterungen bei Forschungsaufträgen an Dritte, über den Abbau bürokratischer Hemmnisse, über verbesserte Beratung bis zur schnelleren Weitergabe von Forschungserkenntnissen.
Wir erwarten, daß dieses Gesamtkonzept möglichst bald vorgelegt wird.Die Finanzplanung für die nächsten Jahre zeigt uns sehr deutlich, daß der institutionelle Bereich der Forschungsplanung, d. h. die Forschungseinrichtungen und Forschungsförderungsorganisationen, keinen steigenden Anteil aus dem Forschungshaushalt, wie in der Vergangenheit, werden bekommen können, was auf Grund des kurzfristigen Übergangs aus einer Phase des schnellen Wachstums in die jetzige Phase mit nur noch geringeren Steigerungsraten eine Reihe sehr schwieriger Probleme für diese Institutionen aufwirft.Die internationalen Beiträge, die aus dem Forschungshaushalt jährlich geleistet werden, betragen annähernd 600 Millionen DM und sind in den letzten Jahren immer noch deutlich gestiegen. Der Hauptposten dabei ist die Weltraumforschung, die mittlerweile überwiegend über die europäische Weltraumorganisation finanziert wird. Hierbei stellt sich das sehr schwierige Problem, daß über die Verwendung der Mittel und über die Aufnahme neuer Projekte natürlich nur übereinstimmend mit den anderen Regierungen der Mitgliedsländer entschieden werden kann. Es kann dabei zu finanziellen Mehrbelastungen kommen, auch in Zeiten, in denen der nationale Haushalt nur geringe Steigerungsraten aufweist.Insgesamt würden wir daher empfehlen, eine bei dieser Gesamtsumme in etwa gleichbleibende Belastung auch für die nächsten Jahre vorzusehen und, wenn immer möglich, keine neuen Mehrkosten zu akzeptieren. Es muß nämlich auch dafür Sorge getragen werden, daß die jeweiligen internationalen Programme durch angemessene nationale Forschungsbemühungen unterstützt werden können.
Namens der FDP-Fraktion erkläre ich daher hier, daß die Bundesregierung die Bedeutung und den Stellenwert der Forschungs- und Technologieförderung für unsere gesellschaftliche Entwicklung erkannt hat. Namens der FDP stimmen wir dem Einzelplan 30 zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hubrig,
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Minister Matthöfer, gestatten Sie mir, bevor ich zum Haushalt Ihres Ministeriums Stellung nehme, noch einmal auf Ihre hier in der vorigen Woche im Rahmen der Energiedebatte gehaltene Rede zurückzukommen und insbesondere auf unseren Beitrag zur Energiepolitik, der unserem Antrag zugrunde lag.
Um es höflich zu sagen, Herr Minister: Ihre Stellungnahme war unter Ihrer Würde oder, besser gesagt, unter Ihrem Niveau.
Ihre Feststellung, das Papier, der Antrag der CDU/ CSU-Fraktion zur Energiepolitik könnte aus Ihrem Hause stammen, möchten wir festgehalten wissen. Herr Minister, ich bin sicher: Die Stunde der Wahrheit kommt, spätestens im Herbst, wenn unser Antrag im Rahmen der Debatte über die Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung zur Abstimmung kommt.
Wir werden dann sehr genau registrieren, Herr Minister, ob Sie sich zu dieser Ihrer Feststellung, d. h. zu den Grundsätzen unserer Energiepolitik, bekennen und ob insbesondere die beiden Koalitionsfraktionen geschlossen hinter diesen Positionen stehen, die ja,
wenn auch in unserem Papier formuliert, nach Ihrer Auffassung aus Ihrem Hause stammen könnten.
Ich bin heute schon sicher, Herr Minister Matthöfer, daß Sie uns eines nicht so fernen Tages für die Mitarbeit dankbar sein werden, die wir durch die Vorlage dieses Papiers auf dem sehr schwierigen Gebiet der Energiepolitik und der Energiesicherung für die Bundesrepublik Deutschland geleistet haben. Herr Minister, Sie sollten an dieser Vorlage erkennen, daß wir als Opposition auf dem Gebiet der Forschung und Technologie zur konstruktiven Mitarbeit bereit sind.
Wir sind aber nicht bereit, uns von Ihnen immer wieder vor vollendete Tatsachen stellen zu lassen, denen wir dann nolens volens — so jedenfalls sicher Ihre Aufassung — zustimmen müssen.Bei unserer Kritik an Ihrer Politik geht es nicht um Ihre Person, sondern um die nach unserer Meinung notwendigen Korrekturen,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2637
Dr. HubrigForschung, Entwicklung und Innovation sind entscheidend für die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft. Die Sicherung der Arbeitsplätze der Zukunft hängt entscheidend davon ab, was wir heute für Forschung und Innovation tun.
Die Versäumnisse der letzten Jahre, die von der Bundesregierung mitbewirkt wurden, lassen keine optimistischen Erwartungen aufkommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl?
Gerne.
Herr Hubrig, wenn Sie hier der Bundesregierung Versäumnisse in den letzten Jahren vorwerfen, dann darf ich Sie fragen, zu welchem Zeitpunkt und speziell zu welchem Bereich der Forschung Sie als Opposition Anträge gestellt haben, die Mittelansätze im Haushalt zu verbessern, und wann Sie als Opposition eigentlich gedenken, das von Ihnen hier laufend erwähnte neue Förderungsprogramm Ihrer Fraktion zur Forschungsförderung der deutschen Offentlichkeit und uns nun wirklich vorzustellen?
Herr Stahl, ich bin in der letzten Legislaturperiode nicht hier gewesen. Ich weiß aber aus dem Studium der Vorlagen, daß die Opposition in Anträgen und auch Vorlagen immer wieder Vorschläge zur Verbesserung der Forschungs- und Energiepolitik eingebracht hat.
— Herr Stahl, Sie selbst sind doch, wenn ich es recht sehe, auch Mitglied des Ausschusses für Forschung und Technologie. Sie müssen doch in dem Ausschuß auch selbst festgestellt haben, daß wir dort unsere Zeichen für eine konstruktive Mitarbeit gegeben haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl?
Wenn es auf meine Zeit nicht angerechnet wird, sonst bitte nicht mehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir verlängern Ihre Redezeit entsprechend, Herr Abgeordneter. — Bitte!
Herr Kollege Hubrig, die konstruktive Mitarbeit im Ausschuß will ich Ihnen nicht absprechen; im Gegenteil, ich glaube, daß das
Klima durchaus vernünftig ist. Aber deshalb frage ich Sie, warum denn Sie und Ihre Kollegen hier im Plenum die Sache so darstellen, als wenn nun alles, was die Regierung tut, verkehrt wäre und Sie alles besser wüßten, obwohl Ihre Alternativen nicht vorhanden sind.
Herr Stahl, so sehr erhaben oder — ich will ein anderes Wort gebrauchen -so arrogant sind wir sicher nicht.
Ich habe eben gesagt: An den Versäumnissen der Vergangenheit hat die Bundesregierung mitgewirkt, ich betone: m i t gewirkt.
— Ich komme darauf.
Seit 1973 haben wir einen realen Rückgang der Forschungsausgaben festzustellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Pfeffermann? — Bitte.
Herr Kollege Hubrig, würden Sie mit mir darin übereinstimmen, daß wir uns natürlich mit Herrn Stahl und der gesamten SPD-Fraktion in der Öffentlichkeit wesentlich leichter auseinandersetzen könnten, wenn ihr Handeln in der Offentlichkeit ihren Einlassungen im Ausschuß auch nur annähernd entsprechen würde?
Jawohl, Herr Kollege Pfeffermann, ich stimme nicht nur zu, sondern möchte das noch unterstreichen.Seit 1973 haben wir einen realen Rückgang der Forschungsausgaben sowohl im staatlichen Bereich wie auch in der Wirtschaft festzustellen. Betrüblich ist vor allem, daß die eigenfinanzierte Forschung in der Wirtschaft rückläufig ist. Mit Recht verweisen die verschiedensten Gutachten, die die Bundesregierung anfertigen ließ, einhellig auf diesen Sachverhalt. So fordert der Sachverständigenrat in seinem letzten Gutachten eine verstärkte Forschungsförderung der Wirtschaft. Diesem Urteil schloß sich auch die Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel an.
Mein Kollege Stavenhagen hat in seiner Rede auf diese Gutachten aufmerksam gemacht. Die Stagnation der Forschungsausgaben in der Bundesrepublik Deutschland führt dazu, daß eine Vielzahl hervorragend ausgebildeter Wissenschaftler keinen Arbeitsplatz finden, weil vor allem für Naturwissen-
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2638 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. Hubrigschaftler die forschungsintensiven Industriezweige für eine erste Anstellung zunehmend nicht mehr in Frage kommen.Im Gegensatz zur Entwicklung bei uns in der Bundesrepublik Deutschland werden in den westlichen Industrieländern, insbesondere in den USA und in Japan — unseren Hauptkonkurrenzländern —, seit dem letzten Jahr die Forschungsausgaben real erhöht. Auch in den nächsten Jahren ist nach Umfragen vor allem in der Wirtschaft mit steigenden Forschungsausgaben in diesen Ländern zu rechnen. Im Gegensatz dazu sind in der Bundesrepublik Deutschland die Aussichten für die Weiterführung von Forschung und Entwicklung betrüblich. Mit zunehmenden Forschungsaufwendungen kann nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge nicht gerechnet werden.In Anbetracht dieser Lage müssen wir auch den Forschungsetat von Herrn Minister Matthöfer kritisch durchleuchten. Mit 4,2 Milliarden DM hat der Minister einen Anteil von 20 % an den Forschungsausgaben in der Bundesrepublik Deutschland. Die Bedeutung des Forschungsministeriums liegt aber vor allem darin, daß es 80 % der Forschungsgelder der Bundesregierung für die Industrieforschung verwaltet.
Herr Minister Matthöfer konzentriert sich auf die Verteilung der Gelder, die ihm der Bundestag zur Verfügung stellt. Die allgemeine Lage der Forschung und Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland scheint ihn nicht zu interessieren.In dieser Position des Ministers als eines Verteilers, eines Zuteilers und sicher manchmal auch eines Gönners liegt meiner Meinung nach das eigentliche politische Problem.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf das Mitwirkungsdefizit des Parlaments aufmerksam machen. Die CDU/CSU-Fraktion wird hier zu gegebener Zeit aktiv werden, um dieses Defizit der Mitwirkung zu verringern.
Durch das Übergewicht der direkten Forschungsförderung werden Wettbewerb und Offenheit gefährdet, bestimmt aber marktwirtschaftliche Grundsätze verletzt. Professor Ulrich Lohmar, der schon einmal zitiert wurde, unser ehemaliger Kollege aus der SPD-Fraktion, Vorsitzender des Ausschusses für Forschung und Technologie in der 7. Legislaturperiode, hat diesen Tatbestand wie folgt dargestellt — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:Die eigentliche Entscheidungsbefugnis über die Verwendung öffentlicher Mittel in der Forschungspolitik hat sich mehr und mehr vom Parlament weg auf das Forschungsministerium und die großen Wissenschaftsorganisationen verlagert.An anderer Stelle heißt es:Die Form der staatlichen Dauersubventionen kommt hinsichtlich der Mentalität der Beteiligten und im Hinblick auf die Machtverteilung einer schleichenden Sozialisierung nahe.
Dazu habe ich nichts weiter zu sagen.Die von mir aufgezeigte Stagnation der Forschungstätigkeit, die Gefährdung der Arbeitsplätze der Zukunft und die augenscheinliche Arbeitslosigkeit von Wissenschaftlern verlangen einen größeren Einsatz, als Minister Matthöfer bisher gezeigt hat.Lassen Sie mich speziell zu den Praktiken des Forschungsministeriums bei der Verteilung von Forschungsgeldern in Ergänzung zu den Anmerkungen meines Kollegen Dr. Stavenhagen einiges sagen. Die Forschungsbürokratie gehört zu den wesentlichsten Merkmalen der gegenwärtigen Verwaltung des Forschungsministeriums. Es ist kein Wunder, daß die Fehlleitung von Forschungsgeldern zu der Hauptbeschäftigung im Forschungsministerium gehört.
Das Forschungsministerium hat sich in den letzten Jahren neben seinen 500 Beschäftigten im Ministerium eine eigene Forschungsverwaltung in Form von Projektträgern und Projektbegleitern zugelegt. Hier sind zirka 640 Personen mit der Verwaltung von Forschungsgeldern beauftragt.
Nach Angaben des Ministeriums werden von den Projektträgern 2 500 Einzelvorhaben mit einem Fördervolumen von 800 Millionen DM betreut, d. h., jeder Forschungsverwalter bei Projektträgern betreut vier Projekte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Löffler?
Gerne.
Herr Kollege Dr. Hubrig, wären Sie bereit, Ihre pauschale Verurteilung von Beamten, die ihre Pflicht erfüllen, zurückzunehmen?
Ich habe keine pauschale Verurteilung von Beamten vorgenommen,
ich habe nur gesagt, daß sich die Aktivitäten des Ministers weitgehend hierin erschöpfen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2639
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wollen Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl zulassen, Herr Abgeordneter?
Gerne, Herr Stahl.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Kollege Hubrig, wollen Sie abstreiten, daß im Ausschuß für Forschung und Technologie alle Fraktionen gemeinsam die Meinung vertreten haben, daß man das Bundesforschungsministerium personell verstärken müsse, weil der Arbeitsanfall in letzter Zeit wesentlich größer geworden ist? Wenn wir Einzelprojekte verstärkt fördern wollen, was Ihrem Wunsch entgegen-, kommt, dann ist mehr Personal notwendig. Sie haben dies doch mitgetragen.
Herr Stahl, ich komme in meinem nächsten Satz darauf zu sprechen. Das ist dem Ministerium selbst in einem Gutachten bescheinigt worden.Ich habe festgestellt, daß 2 500 Einzelvorhaben mit einem Auftragsvolumen von 800 Millionen DM betreut werden und daß auf jeden Forschungsverwalter bei Projektträgern vier Projekte entfallen. Hier zeigt sich deutlich, daß eine Überbesetzung der Forschungsbürokratie vorhanden ist. Nach einem Gutachten, Herr Stahl, das das Ministerium von einer amerikanischen Unternehmensberatungsgesellschaft anfertigen ließ, kann ein Forschungsmanager mindestens 20 bis 30 Einzelvorhaben verwalten im Gegensatz zu vier Einzelvorhaben, wie es bisher der Fall ist.
— Herr Stahl, Sie brauchen mich wirklich nicht zu belehren; ich verstehe etwas vom Management.
Die Bürokratisierung der Forschungsverwaltung wird auch dadurch ersichtlich, daß die Forschungsvorhaben des Ministeriums 1977 zwar 4,2 Milliarden DM betragen, in Preisen zu 1969 höchstens 2,4 Milliarden DM, dieser realen Steigerung der Forschungsaufgaben seit 1969 im Ministerium von 15 % aber eine reale Steigerung der Zahl der Beschäftigten von 250 % gegenübersteht.Neben dieser überbürokratischen Forschungsverwaltung, die ihren Ausdruck auch darin findet, daß Antragsteller Berge von Formularen bearbeiten müssen, um überhaupt eine sachgerechte Prüfung ihrer Anträge zu erreichen, gibt es noch weitere Symptome. Ich möchte hier noch im einzelnen erwähnen:1 100 Gutachter, die das Ministerium beraten, weitere ungezählte Gutachter bei Projektleitern und Projektträgern sowie den Forschungszentren, Berater mit Beraterverträgen bei den Forschungseinrichtungen und eine Flut von Gutachten und Studien im Auftrag des Forschungsministers. Allein im Jahre 1975 wurden Aufträge in Höhe von 94 Millionen DM vergeben.Für mittlere Unternehmen oder Einzelpersonen ist es schwierig, die ihnen zustehenden Forschungsberichte aus staatlich geförderten Projekten zu erhalten. Trotz aller Ankündigungen des Forschungsministers ist es bis heute nicht gelungen, ein Dienstleistungszentrum für die Verbreitung der Forschungsergebnisse aus staatlich geförderten Forschungsprojekten zu errichten. Die CDU/CSU fordert, daß diese Pläne endlich realisiert werden.
Die Forschungsbürokratie, die ich im einzelnen charakterisiert habe, führt zu den Mißständen, die auch von meinem Kollegen Dr. Stavenhagen im einzelnen an Hand von Fallbeispielen aufgezählt worden sind. Die Ambitionen des Forschungsministers, sich als Industrieförderer zu betätigen, führen zu einem immer größeren, wie wir meinen, Forschungschaos, d. h. zu einem immer unübersichtlicheren Programm.
Bei der Förderung der Wirtschaft, die seit 1975 Zuwendungen von 1,47 Milliarden DM kostete, muß man zwischen technologischen Großprojekten und einer Vielzahl anderer Projekte unterscheiden. Kennzeichnend für die Entwicklung auf der Basis von 1975 sind folgende Zahlen. Insgesamt wurden 479 Unternehmen und Einzelpersonen mit 1,47 Milliarden DM Zuwendungen gefördert. Es handelt sich um 2 183 Projekte. Auf 83 Empfänger von Fördergeldern des Forschungsministers entfielen 93,6 % der Förderungsbeträge. Die restlichen 6 % der Förderungsbeträge — so wird mit einem riesigen Propagandaaufwand dann behauptet — seien entscheidend für die Förderung der mittelständischen Wirtschaft. Der Herr Kollege Stavenhagen hat darauf schon hingewiesen, so daß ich nicht noch einmal im einzelnen darauf eingehen möchte. Aber erst nach einem Jahr in der Regel hat man eine Antwort darauf, ob der Antrag genehmigt ist oder nicht. Das normale mittelständische Unternehmen erfährt ganz neue Erlebnisse im Umgang mit der Forschungsbürokratie im Forschungsministerium, bei den Projektträgern und Projektbegleitern. Zumindest entstehen erhebliche Spesen durch die vielen Reisen und Gespräche und den Formularkrieg. Das gegenwärtige Förderungsverfahren führt dazu, daß die Fördergelder nicht nach Leistung, sondern nach der Geschicklichkeit des Antragstellers, die Hürden des Antragsverfahrens zu überwinden, verteilt werden.
Die Gelder werden oft nach dem „Windhund-Verfahren" verteilt, besser gesagt: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst." Diese ganze Praxis verstößt gegen die Prinzipien unserer Sozialen Marktwirtschaft.
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2640 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. HubrigIch will dies an einem ungewöhnlichen Vorgang noch einmal beleuchten. Empfängern von Fördergeldern im Bereich der Datenverarbeitung wurden sogenannte Rahmenverträge angeboten; sie wurden ihnen aufgezwungen. Es wurde ihnen mitgeteilt: Entweder unterschreiben Sie den Vertrag oder Sie erhalten keine Fördergelder mehr.
Daraufhin unterschrieben die Firmen den Vertrag, nur die Gegenzeichnung durch den Forschungsminister blieb aus; vielmehr schrieb .der Minister einen Brief an 'die betroffenen Firmen, in dem er sie aufforderte, detaillierteste Betriebsgeheimnisse mitzuteilen, ansonsten sehe er sich außerstande, die Förderung der beantragten Projekte zu gestatten. Ich halte diesen Vorgang für nicht vertretbar und auch für symptomatisch.
Die Ambitionen von Herrn Minister Matthöfer als Industrieminister sind uns bekannt. Auch Wirtschaftsminister Dr. Friderichs dürften sie nicht verborgen bleiben. Die durchaus guten Beziehungen von Minister Matthöfer zur Großindustrie sind nur ein Symptom für die speziellen Ambitionen von Minister Matthöfer im industriepolitischen Bereich.Nach unserer Auffassung, meine Damen und Herren, ist es hohe Zeit für eine Überprüfung der gesamten Forschungspolitik.
Forschungspolitik ist die Schlüsselpolitik für die Zukunftssicherung nicht nur unserer Energieversorgung,
sondern sie ist auch Schlüsselpolitik für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft auf dem Weltmarkt. Wenn ich es richtig verstanden habe, sind alle Fraktionen dieses Hohen Hauses und die Bundesregierung der Auffassung, daß wir diesen Wettbewerb nur bestehen werden, wenn der Anteil hochwertiger Technologien an unserem Export ständig steigt.
Forschungspolitik dient aber auch der Sicherung derArbeitsplätze von morgen -- für den Wissenschaftler gilt das ebenso wie für unsere Arbeitnehmer —
und hat damit eine gewichtige soziale Dimension.Lange Zeit stand die Forschungspolitik im Windschatten anderer politischer Entscheidungen.
Daran sind die Parlamente in Bund und Ländern und die Parteien nicht ganz schuldlos. Darunter hat auch die Verbindung, das Verhältnis zu den Männern und Frauen in den Forschungsbereichen der Wissenschaft, der Wirtschaft und in den Forschungszentrensowie der Respekt vor ihren Leistungen gelitten, meine Damen und Herren.
Diese Entwicklung ist nicht ohne Auswirkung auf die öffentliche Diskussion über die Stellung von Wissenschaft und Technik in unserer Zeit geblieben. Die negativen Folgen spüren wir alle in diesen Wochen und Tagen.Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind bereit, unseren Beitrag zu leisten, um der Forschungspolitik den ihr gebührenden Rang zu sichern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Steger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Redner von der CDU, Herr Stavenhagen und Herr Hubrig, haben heute morgen alles andere als einen Beitrag zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen geliefert; denn bei dem, was Sie hier so schief geschildert haben, kriegte man Zahnschmerzen.
— Nein, nein, nicht zum Psychotherapeuten!Politisch sensiblere Gemüter werden bei der Vorstellung, daß Sie einmal in der Regierung Verantwortung für die Forschungs- und Technologiepolitik tragen, etwas zur Beruhigung der Magennerven brauchen.
Herr Stavenhagen, es ist doch wohl ein Irrtum, zu glauben, man könnte im Kasernenhofton eines preußischen Leutnants der Wilhelminischen Zeit technologische Entwicklungen kommandieren. Ich will hier auch gar nicht — —
— Der Herr Schmidt ist erheblich mehr als ein Oberfeldwebel. Er versteht nämlich was von Strategie — im Gegensatz zu Ihrem Oppositionsführer. Das wollen wir mal festhalten.
Herr Stavenhagen, ich will auch gar nicht darüber rechten, daß Sie hier die angeblich investitionslenkende Forschungsförderung diffamieren, aber in Ihrem eigenen Wahlkreis so tun, als wenn Sie jedes einzelne Projekt für die Firmen dem Forschungsminister persönlich aus der Nase gezogen hätten.
Hier muß doch einmal klar gefragt werden: Waswollen Sie denn? Wollen Sie, daß wir in Ihrem
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2641
Dr. StegerWahlkreis diese Projekte, mit denen Sie sich in der Presse immer so brüsten, wieder zurücknehmen? Sie müßten das wollen, wenn Sie das, was Sie hier gesagt haben, ernst meinten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stavenhagen?
Ja. Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, daß ich es, obwohl ich Berliner bin und gerne streite, angesichts der Zeit bei einer Zwischenfrage belassen möchte.
Bitte schön.
Herr Kollege, ist es Ihnen entgangen, daß ich mich mit der Praxis auseinandergesetzt habe, die Kooperationswilligen zu belohnen, indem man auf Rückzahlung verzichtet, und die anderen zu bestrafen, indem man Rückzahlung fordert? Das war mein Punkt.
Nein, Herr Stavenhagen, das war Ihr Punkt nicht. Ihr Punkt war, ob Sie wollen, daß Steuergelder, die wir in die Forschungs- und Technologiepolitik stecken, kontrolliert werden oder nicht. Sie wollen das offenbar nicht, aber für uns ist eines klar: Wenn wir Steuergelder geben — ich sage gleich noch etwas dazu —, dann kann das doch nur mit entsprechenden Kontrollen und Auflagen erfolgen. Sonst würden wir der Verantwortung gegenüber dem Bürger, der für dieses Steuergeld hart arbeiten muß, nicht gerecht.
Wenn der Minister das in dieser hervorragenden Weise tut,
dann sollte man ihm dafür dankbar sein und ihm nicht noch ans Bein pinkeln.
— Ja, wissen Sie, der kommt ja auch aus dem Ruhrgebiet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der von Ihnen zuletzt gebrauchte Ausdruck ist erst nach Rückfrage von dem Präsidenten verstanden worden. Er entspricht nicht den diplomatischen und parlamentarischen Gepflogenheiten.
Herr Präsident, als neugewählter Volksvertreter aus dem Ruhrgebiet bitte ich um Entschuldigung, daß ich diese Gepflogenheiten des Hauses noch nicht so kenne.
— Sie sind doch nur neidisch auf unsere Wahlergebnisse. Das ist doch alles.
Aber kommen wir hier einmal zur Sache! Ich möchte an zwei Beispielen aufzeigen, zu welchen Verrenkungen die Opposition fähig ist,
Verrenkungen — Herr Stavenhagen hat es hier wieder vorgeführt; ich will das gleich einmal am Beispiel des Schnellen Brüters zeigen —, wogegen die Laokoon-Gruppe fast als die Darstellung einer einfachen Turnübung erscheinen muß. Sie sagen auf der einen Seite, der Bundesminister verzettele sich, setze keine Prioritäten, und dann kommen Sie auf der anderen Seite an und sagen: Jetzt kommt die indirekte Forschungsförderung. Das ist unsere Wunderwaffe gegen die technologischen Probleme unserer Zeit.Da muß ich Ihnen aber eines sagen: Es gibt doch keine größere Subventionsgießkanne als diese indirekte Investitionsförderung, die Sie sich vorstellen; denn da ergießt sich ein warmer Steuerregen über Gerechte und Ungerechte gleichermaßen. Wenn Sie beklagen, daß die kleinen und mittleren Unternehmen zu kurz kämen — was nicht richtig ist; aber ich gehe davon aus, daß der Minister dazu noch im einzelnen etwas sagen wird —, dann müßten Sie doch für die Initiativen der SPD zur Innovationsförderung bei kleinen und mittleren Unternehmen sein.
— Wir haben wenigstens ein Konzept. Das ist der Unterschied, der die Fraktionen hier im Hause trennt.
Diesen Widerspruch hat die Opposition nicht aufgelöst. Auf der einen Seite beklagt sie Verzettelung, auf der anderen Seite will sie mit der großen Gießkanne über das Land gehen. Was soll denn dieser Vorwurf der Verzettelung? Sie wissen doch genau, Forschungsprojekte sind Projekte, die mit einer großen Ungewißheit und einem hohen Risiko behaftet sind. Daher ist es doch nur richtig, wenn man versucht, zumindest anfangs die Sache breit anzulegen, damit man nicht auf Alternativen setzt, die sich hinterher als falsch erweisen. Weil diese breite Anlage erfolgen muß, entwickelt ja der Bundesforschungsminister auch ein gezieltes Innovationsförderprogramm für kleinere und mittlere Unternehmen, weil wir wissen — das sollten Sie ja nun langsam auch gemerkt haben —, daß es hier gar nicht so sehr eine Sache des Geldes ist, sondern daß es Managementprobleme gerade in den kleinen und mittleren Unternehmen sind, die verhindern, daß gemachte Er-
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2642 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. Stegerfindungen auch als Innovationen tatsächlich am Markt durchgesetzt werden.
— Schauen Sie doch mal im Handbuch nach. Was soll das mit dem Industrieerfahrenen! Ich habe mehr Jahre auf der Rentenversicherungskarte stehen als Ihr Chef in der Fraktion.
— Nein, nein. Ich wollte nur sagen, wir haben Theorie u n d Praxis, das unterscheidet uns von der CDU/CSU.
— Nein, ich bin kein Frührentner.
Wir haben die notwendigen praktischen Erfahrungen, die wir in die Politik einbringen. Wir reden nicht immer nur so daher, wie Ihr Oppositionsführer es tut. Das wollte ich damit sagen.Das ist der eine Punkt, wo sich die Opposition in unlösbare Widersprüche verheddert, daß sie nämlich im Gegensatz zu uns kein Konzept zur Forschungs- und Technologiepolitik insgesamt hat, insbesondere zu der Beschleunigung von Innovation und ihrer Durchsetzung am Markt.Der zweite Punkt. Herr Stavenhagen hat hier etwas von den fortgeschrittenen Reaktorlinien erzählt. Herr Dübber hat ja schon einiges aus dem Haushaltsausschuß dazu berichtet. Ich will hier nicht über Ihr merkwürdiges Demokratieverständnis rechten, das ja offensichtlich darauf hinausläuft, daß Sie jede parlamentarische Initiative, die von uns kommt, gleich in eine Generalattacke auf die Bundesregierung ummünzen.
Ich frage Sie: Was hat denn dieses Parlament für Funktionen, wenn es nicht auch bestimmte Dinge vorantreiben muß? Das ist keine Attacke auf die Regierung, sondern im Gegenteil, aus diesem Zusammenspiel von Regierung und Parlament ergibt sich erst eine sachlich fundierte Politik. Deswegen ist dieses hier doch völlig verkehrt. Sie suchen doch jetzt wieder nur einen Vorwand, wo Sie dieser Koalition in irgendeiner Weise am Zeug flicken können. Damit verlassen Sie Positionen, die Sie jahrelang sachlich mitgetragen haben. Herr Lenzer, Ihnen wird das Lachen gleich noch vergehen.
— Warten Sie ab. Ich zitiere erst einmal, was in dieser Frage im zuständigen Ausschuß gelaufen ist.Da gab es in der vergangenen Legislaturperiode eine übereinstimmende Meinung zwischen allen Fraktionen, daß — entgegen den Vorstellungen vieler Energieversorgungsunternehmen und vielleicht auch den Vorstellungen mancher Herren im Forschungsministerium der Hochtemperaturreaktor und der Schnelle Brüter gleichrangig zu fördern sind und beide Reaktorlinien zur Marktreife gebracht werden müssen.Im Februar 1977 gab es einen von allen Parteien getragenen Antrag an das BMFT, eine Pro- und Kontra-Argumentation zu den fortgeschrittenen Reaktorlinien vorzulegen, um im Spätsommer erneut fundiert über die weitere Entwicklung im Lichte neuer Probleme und Erfahrungen zu entscheiden. So war der Punkt. Uns, den Koalitionsfraktionen, kam es dabei vor allen Dingen darauf an, eine Beteiligung der Parlamente an diesen strategischen Entscheidungen sicherzustellen. Denn wir sind ja diejenigen, die letztlich in der Öffentlichkeit dafür geradezustehen haben.16. März: ein weiterer einstimmiger Beschluß. Dem Haushaltsausschuß wurde empfohlen, 22 Millionen DM bei der Brüterentwicklung zu kürzen und diese für nichtnukleare Forschung und für die Reaktorsicherheitsforschung einzusetzen.
Der Haushaltsausschuß — das wissen Sie, Herr Probst — hat zu unserem allgemeinen Bedauern abgelehnt. Herr Dübber hat vorhin die Gründe im einzelnen dargelegt.Am 25. Mai gab die Bundesregierung im Ausschuß für Forschung und Technologie einen ersten Bericht zur Pro- und Kontra-Argumentation der beiden fortgeschrittenen Reaktorlinien. Nach einer sachlichen Diskussion sind dann zwei Dinge beschlossen worden, das erste noch einstimmig, daß ein zusätzlicher Fragenkatalog an das BMFT gestellt werden solle. Davon hat der Kollege Riesenhuber, der ja sicherlich von Ihnen der qualifizierteste Kollege auf diesem Gebiet ist, Gebrauch gemacht.
Dann kam mit fast zehntägiger Verspätung, sozusagen mit Zeitzündung, die Oppositionsfraktion auf die Idee, daß sich in dieser Frage vielleicht doch etwas an Sprengstoff in den Koalitionsfraktionen entwickeln könnte.
— Ja, aber ich habe doch eben etwas zu diesem merkwürdigen Demokratieverständnis gesagt, wohin wir kommen, wenn jede Parlamentsinitiative zum Generalangriff auf die Regierung umfunktioniert wird.
Ich schließe mich da voll der Auffassung von Herrn Wehner an, daß wir keine Puppenkompanie sind, und das sollte für Sie als Opposition in allererster Linie gelten.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2643
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Probst?
Herr Probst, ich darf gerade den Beschluß zitieren, dann stelle ich mich gerne Ihrer Zwischenfrage, unter der Voraussetzung, Herr Präsident, daß mir das nicht auf die Zeit angerechnet wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bin von den Fraktionen darauf hingewiesen worden, daß wir mit der Debatte nicht zurechtkommen, wenn ich die für Frage und Antwort benötigten Zeiten den Redezeiten zuschlage.
- Ja, ich gebe zu, daß ich das bei dem vorigen Redner getan habe. Ich würde das bei Ihnen auch noch einmal tun, von da an aber nicht mehr.
Herr Probst, ich darf das gerade zu Ende bringen. Wir haben dann einen Antrag eingebracht, daß vom Ministerium bis zur endgültigen Beschlußfassung über die Weiterentwicklung der fortgeschrittenen Reaktorlinien keine neuen Zusagen über weitere Förderungen im Rahmen der noch nicht förmlich gebundenen 122,5 Millionen DM gegeben werden, um die Entscheidung des Ausschusses, worüber wir alle einer Meinung waren, nicht zu präjudizieren. Daß die Mittel nicht haushaltsrechtlich förmlich gesperrt werden konnten, lag nur daran, daß wir in diesem Bereich noch keine haushaltsrechtlichen Verpflichtungen hatten. An dieser Stelle — das werden Sie mir zugeben, Herr Probst — brach die CDU/CSU-Fraktion aus dem bisherigen Konsens aller Fraktionen in dieser Verfahrensfrage aus und sagte, sie wolle kein Alibi dafür liefern, daß dem Haushalt des BMFT über die Hürden geholfen würde.
Da kann ich mich nur wundern: Auf der einen Seite stellen Sie den Matthöfer immer als den bösen Linken hin, der Investitionslenkung macht, und auf der anderen Seite soll es in dieser Fraktion Leute geben, die ihm sozusagen von links noch die Luft abdrehen. Das ist doch irgendwo ein bißchen schizophren. Ich bedaure, daß ich zu Fremdworten greifen muß, aber die volksnäheren Wörter sind leider nicht parlamentskonform.
Ich gestatte jetzt die Zwischenfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön, Herr Abgeordneter Probst.
Herr Kollege, meinen Sie, daß es auch das Teufelswerk der Opposition ist, wenn die SPD in Schleswig-Holstein entgegen den Vorstellungen des Forschungsministers Matthöfer und des Bundeskanzlers sowie des Bundeswirtschaftsministers den Stopp von Kernkraftwerken beschlossen hat, oder meinen sie nicht eher, daß das Ihr internes Problem sei, das Sie dadurch überspielen, daß Sie mit einem haushaltstechnischen Trick, nämlich einer Sperrung, dem Haushalt des Ministers über die Bühne helfen wollen, wobei es selbst Herbert Wehner nicht mehr schafft, seine Schäflein zusammenzuhalten? Es gelingt nur noch in Ausnahmefällen.
Haben Sie eine Ahnung, was der Herbert Wehner noch alles schafft. Da werden Ihnen noch die Tränen in den Augen stehen.
Herr Probst, da Sie zu den Südlichtern der Union gehören, nehme ich Ihnen nicht übel, daß Sie über den Bereich der Nordlichter nicht so informiert sind.
Der Sachverhalt ist doch folgender. Im Moment gibt es in der SPD eine breite Debatte über die Vor-und Nachteile und die Risiken der Kernenergie, eine Debatte übrigens, die in einer Form geführt wird — siehe Kölner Energiekongreß —, an der Sie sich als Opposition mal eine Scheibe abschneiden sollten, statt immer darüber zu lästern.
Im Rahmen dieser Willensbildung werden auch von den Landes- und Bezirksparteitagen der SPD unterschiedliche Beschlüsse gefaßt. Das ist in einer Demokratie so üblich. Aber es kann doch keinen Zweifel geben, daß wir uns auf dem Hamburger Parteitag zu einer sehr fundierten und ausgewogenen Linie verständigen werden, die Sie erst noch finden müssen und über die Sie bitte nicht lästern sollten.
— Jawohl, Herr Stahl, ich greife Ihren Zwischenruf dankbar auf und will deswegen noch einmal kurz skizzieren — damit dieses Gerede endlich mal aus der Welt ist —, wie sich für uns die Entscheidungssituation darstellt.Wir wollen sicherstellen — und damit schließe ich auch meine Ausführungen —, daß diese Linie im Verfahren, die wir aus sachlichen Erwägungen gefunden haben, nämlich unter dem Stichwort „Optionen offenhalten", auch durchgeführt wird. Das werden und wollen wir durchsetzen, auch gegen die Widerstände der Energieversorgungsunternehmen, die aus verschiedenen Gründen bestehen, und, Herr Lenzer, wenn es sein muß, auch gegen den Widerstand der Opposition; denn wir sind überzeugt, wir haben die besseren Argumente dabei auf unserer
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2644 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. StegerSeite, und der Bürger wird uns in dieser Frage auch folgen, weil wir ein Beispiel dafür liefern, wie in einer Demokratie offen und ehrlich auch schwierige Entscheidungen getroffen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, bitte ich um Ihr Verständnis für die Verhandlungsführung durch den Präsidenten. Wir sind an die Einhaltung der vereinbarten Zeiten gebunden. Ich bitte daher die künftigen Redner, wenn sie Zwischenfragen zulassen, an mich nicht das Ansinnen zu stellen, ihre Redezeit entsprechend zu verlängern. Das werden wir leider nicht können.
Das Wort hat nunmehr Herr Abgeordneter Laermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte über den Einzelplan 30 versucht die Opposition wieder einmal — wie ich meine, völlig unberechtigt —, ein abenteuerliches Bild über den, wie sie meint, so desolaten Zustand der Forschungspolitik zu zeichnen, aber, wie auch in anderen Bereichen üblich, ohne eine klare Darstellung der eigenen Position — die vermisse ich, meine Herren Kollegen — und wie üblich wieder einmal auch mit den fast schon zur Gewohnheit gewordenen Widersprüchen.Ich meine aber, daß wir uns in diesem Hause nicht so sehr mit Einzelvorwürfen und Detailfragen auseinandersetzen sollten — die sollten wir vielleicht doch mehr im Ausschuß besprechen —, sondern es scheint mir wichtiger, daß wir uns hier mit den Grundzügen und Grundlinien einer notwendigen und vernünftigen Forschungs- und Technologiepolitik auseinandersetzen sollten. Wir sollten damit der zentralen Rolle der Forschungspolitik für unser Land gerecht werden. Dabei sollten wir auch versuchen, die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, zumindest in den Grundzügen. Ich glaube auch, daß gerade in diesem Bereich parteipolitisch unterschiedliche Positionen weit weniger am Platze sind, als das in anderen Bereichen möglicherweise der Fall ist.
Die zukünftige Entwicklung unserer Wirtschaftskraft, wie auch die der meisten übrigen heutigen Industrienationen, deren Erhalt und Sicherung Grundlage unseres Lebensstandards wie auch Voraussetzung für die Verwirklichung gesellschaftspolitischer Ziele ist, wird sicher ganz entscheidend davon abhängen, ob wir und insbesondere auch die übrigen europäischen Staaten neue Technologien, Produkte, Produktionsverfahren von höherer Intelligenz zu entwickeln in der Lage sein werden. Die Existenz und die Wirtschaftskraft der Industrieländer, ihre Rolle im Wirtschaftsgefüge wird zukünftig wesentlich auch vom Technologietransfer abhängen. Lassen Sie mich aber eins unmißverständlich zum Ausdruck bringen: Der Export von Knowhow, von Blaupausen allein genügt wohl nicht, sondern die Umsetzung theoretisch-technischer Erkenntnisse in Produkte und Produktionsprozesse halte ich für eine der unverzichtbaren Voraussetzungen und für die Grundlage zu weiteren Entwicklungen, für die Sicherung des Eigenbedarfs wie auch für die langfristige Sicherung der Arbeitsplätze.Ich denke hierbei besonders an die Berufschancen junger Akademiker und ihre Aussichten, in Forschung und Wissenschaft entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer Leistungsbereitschaft Aufstiegsmöglichkeiten zu erhalten. Wir werden in Zukunft mehr auf einem höheren Niveau ausgebildete Wissenschaftler und Ingenieure brauchen. Wir werden Arbeitsplätze, die infolge technischen Fortschritts im produktiven Bereich fortfallen, durch ein größeres Angebot im Dienstleistungsbereich im weitesten Sinn, durch ein Mehr also auch im Bereich der Forschung und Entwicklung, ersetzen müssen.
Forschungs- und Technologiepolitik muß also verstärkt zur Lösung der Probleme eingesetzt werden, die sich aus dem notwendigen Strukturwandel der Volkswirtschaften in den Industrieländern ergeben. Sie muß Motivation und Innovation für Anpassung und Modernisierung der Produktionsprozesse sein. Sie muß beitragen, die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer nationalen Wirtschaft zu erhalten und auch gegenüber den übrigen Industrieländern zu verbessern.
— Ich komme gleich darauf zurück, Herr Kollege Dr. Probst.Im Hinblick auf die Begrenztheit der Weltvorräte an Rohstoffen ergibt sich eine weitere Notwendigkeit, langfristig in die Zukunft projizierte Forschungspolitik mit globaler Zielrichtung anzusetzen. Denn nur verstärkte und konzentrierte Forschungs- und Entwicklungsbemühungen werden die Weltbevölkerung befähigen, die schwierigen Zukunftsaufgaben zu bewältigen: die Erschließung bisher aus wirtschaftlichen und technischen Gründen nicht nutzbarer Rohstoffvorkommen, die Rückgewinnung und Wiederverwendung, die Substituierung bisher eingesetzter Rohstoffe, die Bewältigung der Ernährungsprobleme, die Erhaltung einer intakten Biosphäre, die Lösung der Kommunikationsprobleme. Ich meine, daß in den bisherigen Ansätzen für die Forschungspolitik die Bundesregierung in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht hat, daß sie diese Notwendigkeiten erkannt hat und entsprechend diesen Notwendigkeiten handelt.
In den letzten Jahrzehnten hat sich eine grundlegende Wandlung im Verhältnis der Wissenschaft zum Staat vollzogen. Die Anforderungen des Staates an die Wissenschaft, neue Erkenntnisse für politische Entscheidungen und politische Machtansprüche zu leisten, einerseits und die zunehmende Größe und Kostspieligkeit der Forschungsprojekte und der dazu erforderlichen Einrichtungen andererseits machen die Wissenschaft zunehmend vom Staat abhängig und verpflichten sie diesem. Die enormen finanziellen Aufwendungen für Forschung und technologische Entwicklungen, aus Steuergeldern auf-
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Dr.-Ing. Laermanngebracht, machen es zwingend notwendig, daß der Staat und seine Institutionen, die Parlamente vor allem, der Öffentlichkeit gegenüber diese Aufwendungen begründen und verantworten müssen. Damit werden Entscheidungen hinsichtlich der Ziele der Forschungsförderung, der Prioritäten, der Erfolgskontrolle, der Bewertung der Ergebnisse und ihrer Verfügbarkeit und ökonomischen Umsetzung notwendig — unter Beachtung der der Forschung eigenen Gesetzmäßigkeiten und der Sicherung auch der Kontinuität.Herr Stavenhagen hat vorhin behauptet, die deutsche Forschung müsse wieder zumindest in die Nähe des früheren Standes gebracht werden. Ich weiß nicht, Herr Kollege Stavenhagen, ob Sie wirklich einen vollen Überblick über die heutige Leistungsfähigkeit unserer Forschung und Wissenschaft haben
und wie Sie zu dieser Behauptung kommen können.Ich kann auch Ihren Vorwürfen, Herr Kollege Hubrig, nicht zustimmen, es handle sich hier um die Versäumnisse der letzten Jahre, zu denen auch die Bundesregierung einen Teil beigetragen habe. Ich frage Sie: Bedeutet das, daß Sie einen Vorwurf an Wissenschaft, Forschung und Technik richten, sie hätten sich in den letzten Jahren nicht bemüht, hervorragende Leistungen hervorzubringen?
Ich jedenfalls, Herr Kollege Hubrig, nehme mir das Urteil heraus, rückblickend festzustellen, daß die bisherige Forschungs- und Technologiepolitik der Bundesrepublik mit den besonderen Schwerpunkten auf naturwissenschaftlich-technischem Gebiet zweifellos — das kann man mit Befriedigung feststellen — die langfristigen Förderungsprogramme zu hervorragenden Ergebnissen geführt hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Spies von Büllesheim?
Entsprechend Ihren Ausführungen, Herr Präsident, möchte ich bitten, auf Zwischenfragen zu verzichten. Wir können ja im Ausschuß weiter darüber diskutieren. Danke schön für Ihr Verständnis, Herr Kollege!
Ein erheblicher Rückstand in der technologischen Entwicklung, bedingt durch die Kriegs- und Nachkriegszeit, konnte aufgeholt und internationale Standards konnten erreicht, zum Teil sogar deutlich überholt werden, so daß unsere wissenschaftliche und technische Leistungsfähigkeit insbesondere auf dem Gebiet der sogenannten Schlüsseltechnologien, der Energieforschung einschließlich der Kernenergie, der Elektronik, der Datenverarbeitung wie auch der Luft- und Raumfahrt als ausgezeichnet angesehen werden muß.
Ich glaube, wir brauchen uns hier nicht darüber zu streiten, wie notwendig eine breit angelegte Grundlagenforschung ist, auf die wir nicht verzichten können. Auch müssen wir der Pluralität als einem Wesensmerkmal der Forschung entsprechen sowie die Transparenz der Begutachtung und Bewertung sichern. Doktrinäre Lehrmeinungen dürfen Entwicklungen nicht behindern oder verhindern. Ich meine, daß es eine Lösung des Problems gäbe, die in der Grundlagenforschung zu treffenden, auch politisch motivierten Entscheidungen der Wissenschaft in die eigene Verantwortung zu geben.
Ausgeprägter als in der Grundlagenforschung bestehen in der angewandten Forschung im Bereich der technologischen Entwicklung die Notwendigkeit und die Verpflichtung, politische Entscheidungen über Prioritäten bezüglich der Zielvorstellungen der Forschung wie über den Transfer der Ergebnisse zu treffen. Die steigende Komplexität der Forschungsaufgaben, der enorm angewachsene kostspielige apparative und personelle Aufwand machen eine hohe finanzielle Beteiligung durch die öffentliche Hand unerläßlich. Damit wächst aber notwendigerweise auch die Entscheidungskompetenz der Staates, seine Verpflichtung zur Ergebniskontrolle und zur Sicherung des Transfers, zur Verbesserung der Verfügbarkeit der Ergebnisse.
Diese Verfügbarkeit der Ergebnisse spielt in der politischen Diskussion eine besondere Rolle. Auch für diejenigen müssen diese Ergebnisse verfügbar sein — ich denke speziell an die kleineren und mittleren Unternehmen —, die nicht über eigene Entwicklungskapazität verfügen, damit gerade deren Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt. In enger Zusammenarbeit mit den Selbstverwaltungsorganisationen der Industrie und des Handwerks könnten ebenfallls die Forschungsinstitutionen der öffentlichen Hand eine entscheidende Rolle beim Technologietransfer spielen.
Die Ansätze hierfür zeichnen sich ab. Es sollte in unser aller Interesse liegen, für deren Fortentwicklung einzutreten. Ich meine, dies für die Fraktion auch erklären zu müssen, daß die Bundesregierung durch ihre Bemühungen zeigt, daß sie hier auf dem richtigen Wege ist. Wir sollten abwarten, wie das Konzept zur Erfüllung der Ziffer 19 der Regierungserklärung aussieht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich Sie bitten, zum Abschluß zu kommen, Herr Abgeordneter.
Ja, Herr Präsident.
Ich erkläre für die FDP-Fraktion abschließend, daß sich die Grundkonzeption einer vernünftigen Forschungs- und Entwicklungspolitik der Bundesregierung im Einzelplan 30 niederschlägt, daß sie hier ihren exekutiven Ausdruck findet, unter Wahrung der Kontinuität einer behutsamen Umsetzung entsprechend dieser Grundkonzeption. Wir stimmen daher dem Einzelplan 30 zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie.
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2646 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin den Kollegen Dr. Stavenhagen und Dr. Hubrig dankbar, daß sie hier im Plenum des Deutschen Bundestages aufgedeckt haben, wo die Opposition in der Forschungspolitik nun wirklich steht. Die CDU/CSU stellt sich nämlich voll hinter die Wünsche der Wirtschaft nach möglichst pauschalen, an möglichst wenig Voraussetzungen geknüpften steuerlichen Erleichterungen. Jeder, der rechnen kann, weiß doch ganz genau, daß bei solchen Erleichterungen bei der allgemeinen steuerlichen Förderung so wenig herauskommt, daß sie gar nicht spürbar sein wird, daß sie gar nicht nachweisbar sein wird und vor allem, daß sie auch nicht finanzierbar ist.Selbst wenn wir den gesamten Haushalt des BMFT strichen, hätten Sie immer noch nicht genug Geld, um Ihre steuerlichen Erleichterungen, die Sie wünschen, zu finanzieren. Selbst wenn man die Erhöhung der Umsatzsteuer im alten Umfang bekäme, um sie dann einzusetzen, die Unternehmer wieder steuerlich zu entlasten, z. B. über ,die Forschungsförderung, wäre weder einsehbar noch plausibel — die Untersuchungen, die wir haben machen lassen, zeigen es —, daß davon in besonderem Maße kleine und mittlere Unternehmen profitieren.
Vielmehr sind es die großen Unternehmen, die es sich erlauben können, einen großen Forschungsaufwand zu treiben, die permanente Forschungsstäbe haben, die die Ergebnisse auch einsetzen und umsetzen können, die von einer solchen indirekten steuerlichen Förderung besonderen Gewinn haben würden, weil sie einen großen Daueraufwand haben. Kleinere Unternehmen können sich meist, wenn sie nicht auf forschungs- und entwicklungsintensive Produkte spezialisiert sind, keine aufwendigen Forschungseinrichtungen und keinen ständigen Entwicklungsstab leisten. Das Problem der mittelständischen Industrie ist doch, rechtzeitig zu erkennen, wo sich Entwicklungen vollziehen, wie man Innovationen am Markt durchsetzen kann. Sie haben doch nicht das Problem des Aufbaus eigener Forschungskapazitäten. Ein solcher Aufbau wäre ja zum großen Teil auch falsch. Man müßte davon abraten, wenn sie ihn vornähmen. Wenn man sich ansieht, wer sich im BDI zum Sprecher der steuerlichen Forschungsförderung macht, dann fällt es einem wirklich schwer zu glauben, daß hier nun ausgerechnet eine Lobby der Kleinen am Werke sei. Den Eindruck habe ich nicht.Nun komme ich zur Weltgeltung der Forschung. Die deutsche Forschung ist schon in Ordnung. Ich würde mir wünschen, die Opposition wäre auch so in Ordnung wie die deutsche Forschung.
Ich weise die pauschale Unterstellung zurück, die deutsche Forschung habe keine Weltgeltung mehr, Herr Dr. Stavenhagen. Es gibt viele Bereiche, wo wir mit an der Spitze oder an der Spitze stehen.
Es gibt zugegebenermaßen auch schwächere Bereiche. Aber es ist doch unseriös, so zu tun, als sei ein besonders großer Niveauverlust seit 1969 wegen des Abbaus der indirekten Forschungsförderung in der Wirtschaft eingetreten.Obwohl für die Grundlagenforschung in erster Linie die Länder zuständig sind, geht immer noch einmal ein Drittel der Ausgaben meines Ministeriums in ,die Grundlagenforschung. Nun würde ich gerne mit Ihnen darüber diskutieren, was man tun könnte, um sie zu verbessern, z. B. bei der Krebsforschung. Aber das wollen Sie ja gar nicht. Wir könnten z. B. gemeinsam der Frage nachgehen, ob die Grundlagenforschung in unseren Großforschungseinrichtungen nicht doch besser organisiert werden könnte. Ich bin der Überzeugung, daß sie auf vielen Gebieten besser organisiert sein könnte. Ich bin der Überzeugung, daß die großen Forschungsbürokratien unter Druck gehalten werden müssen, weil jede Bürokratie gelegentlich unter Druck gesetzt werden muß, wenn sie leistungsfähig bleiben soll. Sie versuchen nun, daraus Kapital zu schlagen, indem Sie sagen, wir verunsicherten die Zentren; was diese brauchten, wäre, daß wir sie ganz allein lassen. Oh nein! Wir werden uns sehr intensiv darum kümmern. Darauf können Sie sich verlassen.Im übrigen schlagen Sie vor, Forschung solle im wesentlichen nur indirekt gefördert werden. Nun ist selbst in der Wirtschaft die indirekte Forschungsförderung, meine ich, kein taugliches Instrument, um Spitzenqualität zu garantieren. In der Wirtschaft ist im Gegenteil mit Hilfe der direkten Forschungsförderung eine Menge erreicht worden. Wir haben so Hochleistungsforschung ermöglicht und Weltgeltung erworben, z. B. in der Kerntechnik. Auf Gebieten, wie der Optik, der Lasertechnik, der Meßtechniken, der Isotopentechnik, der Verkehrstechnik und der nichtnuklearen Energietechnik spielt die direkte Forschungsförderung die entscheidende Rolle für die Spitzenqualität. Ob die Bundesrepublik in der Elektronik, der Datenverarbeitung und der Nachrichtentechnik endgültig von den USA und vielleicht auch von Japan und Frankreich — Japan und Frankreich sind ja nun wirklich Beispiele für direkt gesteuerte Forschungsförderung — abgehängt wird oder ob wir uns auf einigen Schlüsselgebieten behaupten können, ist eine Frage der direkten Forschungsförderung. Die CDU/CSU ist nicht nur für steuerliche Forschungsförderung, sie ist auch gegen direkte Forschungsförderung.
— Lesen Sie sorgfältig durch, was Herr Dr. Stavenhagen gesagt hat.
Wie wollen Sie das denn finanzieren, wenn Sie nicht die direkte Forschungsförderung einstellen? Sie argumentieren so, weil Sie gegen Fachprogramme in ihrer Substanz gar nicht anargumentieren können. Darum versuchen Sie doch meist marginale Projekte
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Bundesminister Matthöferoder Details aus irgendwelchen Vorgängen herauszupicken.
Wenn auf diesem Wege etwas korrigiert werden kann, dann wäre ich Ihnen für Hinweise dankbar. Das würde ich gerne mitmachen. Aber damit können Sie doch keinen erfolgreichen Angriff auf den Grundsatz der Förderprogramme führen. Nennen Sie mir doch das Programm, das nach Ihrer Ansicht überflüssig ist und das Sie streichen wollen, sollten Sie jemals, was das Glück der Deutschen hoffentlich noch lange verhindert, in die Lage kommen, Regierungsverantwortung zu tragen. Das Energieforschungsprogramm wollen Sie im Ernst doch wohl nicht abschaffen. Wenn man Ihren Verlautbarungen glauben will, wollen Sie da ja noch kräftig darauflegen.Sind Sie gegen ein Programm Rohstofforschung oder sind Sie dafür? Sind Sie gegen das dritte Datenverarbeitungsprogramm mit seiner Hinwendung zu kleinen und mittleren Unternehmen? Das können Sie auch nicht kritisieren. Sind Sie gegen das Programm „Elektronische Bauelemente" ? Sind Sie gegen das Programm „Humanisierung der Arbeit"? Sind Sie gegen die Konzentrierung der Gesundheitsforschung in einem neuen Programm? Kommen Sie doch einmal heraus, sagen Sie doch einmal etwas, damit man darüber diskutieren kann!
Wenn Sie von mir die Abschaffung des Weltraum-und Luftfahrtforschungsprogramms verlangten, würde ich mir Ihre Argumente aufmerksam anhören. Sie haben ja schon einmal Ihre Erfahrungen gesammelt, wenn ich richtig unterrichtet bin. Ich bin ziemlich sicher, daß Sie die Abschaffung nicht verlangen werden. Darum ist es scheinheilig, wenn Sie abstrakt und allgemein gegen direkte Forschungsförderung zu Felde ziehen, sich aber davor drücken, die Programme einzeln und konkret zu diskutieren.
Wenn ich es richtig behalten habe, haben Sie drei Projekte genannt, die Sie für besonders überflüssig halten: die energiesparende Glühbirne, den energiesparenden Kühlschrank und die augenschützende Schweißerbrille. Was kritisieren Sie denn daran nun genau? Sie werden doch nicht im Ernst behaupten wollen, daß es falsch war, im Rahmen unseres Energieforschungsprogramms energiesparende Techniken zu fördern. Sie wollen doch auch nicht im Ernst behaupten, daß es sich nicht lohnte, die für Lichterzeugung oder Kühlzwecke im Haushalt verbrauchte Energie rationeller einzusetzen. Sie bestreiten nicht einmal, daß beide Projekte zu einem sparsameren Energieverbrauch im Haushalt führen können.Ihre Kritik geht in die Richtung — wenn ich Sie richtig verstanden habe —, daß das alles auch ohne öffentliche Förderung gemacht worden wäre.
Das kann man nie mit Sicherheit behaupten. Hier gibt es doch eine Grauzone. Sie wissen genau — vielleicht besser als andere —, daß ich versuche, die öffentliche Förderung einzuschränken, wann immer wir feststellen, daß etwas wirklich ohne unsere Hilfe gemacht wird. Wir bemühen uns, mit öffentlichen Mitteln so haushälterisch wie möglich umzugehen. Deshalb würde ich sehr gerne nur solche Projekte fördern, die ohne unsere Förderung nicht begonnen würden. Das ist auch der entscheidende Unterschied zwischen unserem Konzept direkter Forschungsförderung und Ihrem Konzept der ziel- und wahllosen pauschalen steuerlichen Förderung. Der Abgeordnete Dr. Steger hat doch völlig recht, daß dies die größte Zersplitterung verursache, die man sich vorstellen könne, und ohne jede Wirkung sei. Selbstverständlich bleibt bei jeder Projektentscheidung die Ungewißheit, ob tatsächlich erst die Förderung die entscheidende Voraussetzung für eine Entwicklung ist. Aber ich finde, das ist gar nicht so schlimm, wenn sich letzten Endes herausstellt, daß es sich um ein sinnvolles und erfolgreiches Projekt handelt.Sie kamen dann auf die Uhrenindustrie zu sprechen. Sie sagten, so erfolgreich, wie es immer beschrieben werde, sei das gar nicht. Im übrigen wollten Sie mit dieser Art von Investitionslenkung Schluß machen. Das ist ja hochinteressant, nicht zuletzt auch das Argument gegen die Kooperation. Es ist ja das Bedauernswerte, daß jemand die Forschungspolitik der Bundesregierung kritisiert, der im Fachausschuß nicht immer dabei sein kann — ich kenne Ihre Arbeitsbelastung —; sonst wüßten Sie nämlich, daß der Fachausschuß, der Ausschuß für Forschung und Technologie, uns immer wieder aufgefordert hat, diese Kooperation herbeizuführen.
Sie werden verstehen, daß mich der Vorwurf, Investitionslenkung zu betreiben, nicht sonderlich trifft. Natürlich betreibe ich Investitionslenkung — wer wollte das bestreiten? —, wie alle meine Vorgänger Investitionslenkung betrieben haben. Ich will mich aber ungern mit fremden Federn schmükken.
— Gleich, ich will mich erst noch ein bißchen mit Ihnen beschäftigen. — Mit einem Betrag von 2 Millionen DM haben Sie selbst Investitionslenkung betrieben — Dr. Steger hat darauf aufmerksam gemacht —, denn auf Ihren Vorschlag hin haben wir die Mittel für die Uhrenindustrie aufgestockt.
Da lenken Sie also kräftig Investitionen.
Wie kam es denn in der Uhrenindustrie überhaupt dazu, daß Probleme enstanden? Hätte eine indirekte Forschungsförderung in der Uhrenindustrie, Herr Dr. Stavenhagen, mit einem Mal zu einer weitsichtigen Unternehmenspolitik geführt, die die Entwicklungen auf dem Halbleitergebiet in den USA sorg-
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Bundesminister Matthöferfältiger beobachtet hätte? Sie werden wohl nicht im Ernst behaupten wollen, daß sich die Uhrenindustrie auf Grund solcher steuerlichen Anreize anders verhalten hätte und nicht in die Krise geschlittert wäre.Wenn Sie jetzt Ihre Frage stellen wollen.
Herr Minister, ist Ihr Verhältnis zum Wirtschaftsminister seit der Zeit beeinträchtigt, seitdem er zur Frage der direkten und indirekten Forschungsförderung genau das Gegenteil von dem sagt, was Sie vertreten?
Ich weiß nicht, wo er dies gesagt haben soll.
Ich arbeite in diesem Ministerium jetzt seit über drei Jahren. Die Beziehungen zum Wirtschaftsministerium sind ausgezeichnet. Es ist nie irgend etwas auf meinen Tisch gekommen, was ein Ministergespräch wegen Reibungen oder irgendwelcher Widersprüche zwischen den beiden Ministern erforderlich gemacht hätte.
Dann sagte Herr Dr. Hubrig: So erfolgreich war aber die Investitionslenkung nicht, weil alles so bürokratisch verläuft. Wir haben das alles im BMFT ja nicht erfunden. Das sind Verfahren, die auch wir vorgeschrieben bekommen. Wenn Sie irgendeinen Vorschlag haben, wie man das unbürokratischer machen kann, sagen Sie es uns! Sie werden bei uns offene Türen einrennen.
Übrigens, Herr Hubrig, bitte ich Sie doch sehr, mit Ihrer Kritik an den vielen Beratern des BMFT aufzuhören. Das sind freie Bürger, die in der Regel woanders hoch bezahlt werden und hier uns im Interesse des Gemeinwohls ihre Arbeitszeit kostenlos zur Verfügung stellen, und zwar tun dies viele Hunderte.
— Jawohl. Sehen Sie sich die Listen durch! — Ich bedanke mich, daß der Abgeordnete Benz nickt.
Was Sie hier behaupten, ist falsch. Wir sollten uns bedanken — und das tue ich hiermit ausdrücklich — bei den Beratern des BMFT, die auf diese Art und Weise die Qualität der Forschungspolitik noch weiter zu verbessern helfen.
Was bleibt, ist, daß Sie nicht wirklich differenziert und objektiv Tatsachen darstellen und bewerten wollen, sondern immer wieder Klischees aufbauen und pflegen wollen, so etwa das Ihnen von der CSU aufdiktierte Wahlkampfthema von „Freiheit oder/ statt Sozialismus". In diese Schablone paßt halt nur, daß die SPD die Forschung bürokratisch gängelt, die freie Initiative lähmt, den Markt und den unternehmerischen Wettbewerb einengt, überall staatliche Bürokratien wuchern läßt.
Niemand kann Sie daran hindern, diese Zerrbilder stereotyp zu wiederholen. Keiner, der wirklich die Realität unserer Forschungspolitik kennt, wird Ihnen glauben.
Die Sozialdemokraten und diese Bundesregierung werden immer wieder in ihren konkreten Entscheidungen den Nachweis führen, daß dies ein Zerrbild ist.
Wir sind für eine starke, leistungsfähige und freie Grundlagenforschung an den Hochschulen, in der Max-Planck-Gesellschaft und in den Großforschungseinrichtungen. Wenn die Qualität der Grundlagenforschung unbefriedigend ist, werden wir nach den Ursachen suchen. Wenn sich dadurch jemand verunsichert fühlt, muß das halt in Kauf genommen werden. Wir werden uns auch nicht scheuen, auf Mängel hinzuweisen. Wenn bürokratische Mängel bestehen sollten, werden wir sie beseitigen. Wir sind für Hinweise dankbar.
Wir halten die unternehmerische Initiative, insbesondere die der kleinen und mittleren Unternehmen, — —
— Sehen Sie sich doch wirklich einmal an, was da in den letzten drei Jahren zur Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen auf die Beine gestellt worden ist!
Sehen Sie sich nicht nur die Zahlen an, reden Sie einmal selbst mit den Leuten! Gehen Sie in die Industrie- und Handelskammern, verehrter Herr, und sprechen Sie mit den Betroffenen! Dann werden Sie aufhören, hier Ihre Zerrklischees zu verbreiten.
Die Forschungsförderung in der Wirtschaft ist nicht darauf angelegt, Initiativen zu lähmen, sondern im Gegenteil darauf, sie zu fördern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für den Redner.
Herr Präsident, ich habe da eine andere Theorie: Wenn ein Redner nicht in der Lage ist, die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu fesseln, ist er selber daran schuld.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2649
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich versuche, Sie zu unterstützen, Herr Minister.
Das ist doch eine normale Geschichte. Jetzt kommen diejenigen in den Saal, die sich für die wirtschaftliche Zusammenarbeit interessieren; sie interessieren sich nicht für die Forschungsförderung. Immer wenn bei Haushaltsberatungen das Thema wechselt, entsteht Unruhe.
Wir sind gegen eine gleichmacherische indirekte Forschungsförderung, die letztlich nur eine allgemeine steuerliche Entlastung aller Unternehmen bedeutet. Wir sind für eine gezielte Förderung von Schlüsseltechnologien, wir sind für die gezielte Förderung qualitativer Wachstumsveränderungen und für den Aufbau eines Instrumentariums, durch das die Unternehmer unbürokratische Hilfen für technologische Entwicklungen erhalten können, auf Zukunftschancen durch Innovationen setzen können und durch das das unternehmerische Risiko honoriert wird.
Wir sehen unsere Forschungspolitik durch unsere Erfolge bestätigt, und wir werden sie mit Unterstützung der uns tragenden Bundestagsfraktionen
kontinuierlich weiterführen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 30. Wer dem Einzelplan 30 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Stimmenthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Einzelplan 30 ist damit angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 23
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit
— Drucksache 8/508 — Berichterstatter:
Abgeordneter Esters Abgeordneter Gärtner
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Esters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu allen Zeiten haben sich gute Nachrichten leichter und angenehmer überbringen lassen als schlechte. Das gilt natürlich auch für die Berichterstatter des Haushaltsausschusses, die hier einen bestimmten Einzelplan zu vertreten haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie wirklich sehr eindringlich um mehr Ruhe.
Ich bitte die stehenden Abgeordneten, Platz zu nehmen und ihre Aufmerksamkeit dem Redner zuzuwenden.
Wenn die Entwicklungspolitik so viele Lobbyisten hätte, wie wir das aus anderen Bereichen der Politik gewohnt sind, würde dieser Einzelplan 23 in diesem Jahr mit Beifall bedacht werden können. Dies ist jedoch nicht so. Deswegen sollten wir allen Gruppen und den vielen Bürgern danken, die uns, die Kollegen des Fachausschusses und des Haushaltsausschusses, in den letzten Monaten dazu aufgefordert haben, der Entwicklungspolitik trotz all der Sorgen, die uns im eigenen Lande drücken, den notwendigen finanziellen Handlungsspielraum zu sichern.Ich bin deshalb froh darüber, Ihnen in diesem Jahr einen Etat des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit erläutern zu können, der sich sehen lassen kann. In meiner langjährigen Tätigkeit als Berichterstatter für diesen Einzelplan ist es das erste Mal, daß dieser Haushalt in seinem Finanzvolumen deutlich über dem ursprünglichen Regierungsentwurf liegt.
Wer unsere schwierige Haushaltslage insgesamt kennt, kann ermessen, welche Bedeutung wir der Nord-Süd-Politik hierdurch beimessen. Das Ergebnis des Jahres 1977 zeigt besser als alle guten Worte, daß unsere Solidarität mit den Menschen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, nicht an den Grenzen des eigenen Landes haltmacht.
Das wichtigste Ergebnis der Haushaltsberatungen ist der einstimmige Beschluß des Haushaltsausschusses, der Bundesregierung zusätzlich 300 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen zur Verfügung zu stellen, die für die Sonderaktion der westlichen Industrieländer für besonders bedürftige Entwicklungsländer bestimmt sind. Diese Entscheidung, die wenige Tage vor Abschluß des Nord-Süd-Dialogs in Paris getroffen wurde, ist ein Beispiel für die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Bundesregierung und Parlament. Wir wissen, daß dieser Beschluß nicht unerheblich zu einem erfolgreichen Abschluß der Pariser Konferenz beigetragen hat.Weitgehend einmütig sind weitere 100 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen für die Erhöhung des Stammkapitals der Deutschen Entwicklungsgesellschaft bereitgestellt worden. Diese Entwicklungsgesellschaft ist das entscheidende entwickIungspolitische Instrument zur Verstärkung des privaten Kapitaltransfers in Entwicklungsländer; darüber besteht zwischen allen Fraktionen dieses Hauses kein Streit.Unsere privaten Leistungen an Entwicklungsländer sind von 3,8 Milliarden DM im Jahre 1974 über
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2650 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Esters7,5 Milliarden DM im Jahre 1975 auf 9,3 Milliarden DM im Jahre 1976 gestiegen. Wir haben das Unsere dazu beigetragen, entwicklungspolitisch sinnvolle Investitionen, vor allem kleiner und mittlerer Betriebe in der Dritten Welt durch die Arbeit der Deutschen Entwicklungsgesellschaft zu fördern. Wir haben deshalb das Stammkapital der DEG, das im Jahre 1973 noch 175 Millionen DM betrug, auf 700 Millionen DM im Jahre 1977 erhöht, was meistens durch einmütige Beschlußfassungen im Haushaltsausschuß geschah.Wer die Kooperationsprogramme der DEG kennt — als Beispiel könnte man hier die aufgenommenen Verhandlungen mit den Regierungen von Sambia und Botswana anführen —, weiß, daß wir damit einen wichtigen Beitrag zur Sicherung unserer Rohstoffversorgung und zur Förderung unserer exportorientierten Wirtschaft leisten.Aus den gleichen Gründen hat der Haushaltsausschuß den Baransatz der bilateralen Kapitalhilfe um 35 Millionen DM erhöht. Dem entspricht eine zusätzliche Erhöhung um 35 Millionen DM bei den Verpflichtungsermächtigungen. Gleichzeitig wurde die Soforthilfe von 400 Millionen DM auf 435 Millionen DM erhöht. Wir wissen, daß Entwicklungspolitik auch einen nicht unbedeutsamen Beitrag zur Stabilisierung unserer Arbeitsplätze leistet. Ohne die Aufträge aus Entwicklungsländern, ohne den ungeheuren Bedarf an Ausrüstungsgütern hätte es in den vergangenen Jahren sicherlich mehr Arbeitslose bei uns gegeben. Unsere zusätzlichen finanziellen Leistungen für Aufgaben der Entwicklungshilfe sind deshalb auch ein Beitrag zur Beschäftigungspolitik in unserem eigenen Lande. Ich bin sicher, daß wir hier noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Wir werden deshalb dafür sorgen, daß die vom Haushaltsausschuß zusätzlich bereitgestellten Mittel die ihnen zugedachte Wirkung in vollem Umfang entfalten. Dies kann man auch mit der Blickrichtung auf den Haushalt des Jahres 1978 sagen.Was für die Möglichkeiten der Kapitalhilfe gilt, gilt auch für unsere technische Zusammenarbeit. Wir haben das Instrumentarium der deutschen technischen Zusammenarbeit in den letzten Jahren wesentlich verbessert. Der Aufbau der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit erweist sich immer mehr als einzig richtige Entscheidung. Über die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit hat die Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit, mit vergleichsweise geringem Einsatz wichtige Kooperationserfolge und entwicklungspolitische Erfolge zu erzielen. Je besser wir in der Lage sind, den Entwicklungsländern technisches Wissen zur Durchführung ihrer eigenen Entwicklungspläne zur Verfügung zu stellen, desto nachhaltiger wird unsere eigene Wirtschaft von der Ausweitung des Finanzierungsvolumens durch Weltbank, internationale Entwicklungsbanken, EG- und Ölländer in Form von Aufträgen profitieren. In der Haushaltsdebatte des letzten Jahres haben sich alle drei Fraktionen für eine Erhöhung des Stammkapitals der GTZ eingesetzt. Der Haushaltsausschuß hat die Bundesregierung beauftragt, für den Haushalt 1978 entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Ich gehe davon aus, daß dies auch in diesem Jahr die volle Billigung aller Fraktionen findet. Wir werden dadurch die Möglichkeiten der GTZ als flexibles Instrument der Entwicklungspolitik und der Kooperationspolitik weiter verbessern können.In diesem Zusammenhang gehört auch die Aufstockung des Ansatzes für handelspolitische Förderungsmaßnahmen. Der Haushaltsausschuß hat die dafür vorgesehenen Mittel um 15 % erhöht. Wir wollen damit unsere Bereitschaft unterstreichen, den Entwicklungsländern unsere Märkte zu öffnen und ihnen dabei die notwendige Hilfestellung zu geben. Dieser Akzent unserer Zusammenarbeit wird ebenfalls von allen Fraktionen dieses Hauses getragen. Das gilt auch für die Arbeit der politischen Stiftungen, deren Mittel sowohl beim Baransatz als auch bei den Verpflichtungsermächtigungen in dem notwendigen Umfang erhöht worden sind. Der Deutsche Entwicklungsdienst soll nach dem Willen des Haushaltsausschusses zusätzliche Mittel für projektgebundene Sachaufwendungen erhalten. Die Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung wird ebenfalls zusätzliche Programmittel für ihre von uns allen gewürdigten Bildungsaufgaben bekommen.
Erlauben Sie mir noch ein Wort zur Arbeit der privaten Trägerorganisationen, in deren entwicklungspolitischem Engagement in besonders hohem Maße die Mitverantwortung zum Ausdruck kommt, die immer mehr Bürger unseres Landes für die Aufgaben der Entwicklungshilfe zu tragen bereit sind. Der Haushaltsausschuß hat die staatliche Förderung dieser Träger um 1 Million DM erhöht. Ich spreche sicher im Namen aller, wenn ich sage, daß dadurch eine Arbeit ermutigt und gewürdigt werden kann, die zum größten Teil aus privaten Spenden finanziert wird.
Das Gesamtergebnis des Einzelplans 23 stellt sich in nüchternen Zahlen wie folgt dar. Der Baransatz beträgt rund 3,2 Milliarden DM. Gegenüber dem Vorjahr ist dieser Ansatz um 7,1 % gestiegen. Er liegt damit deutlich über der allgemeinen Steigerung des Bundeshaushalts. Die Verpflichtungsermächtigungen betragen insgesamt rund 6,2 Milliarden DM. Sie haben in diesem Jahr den höchsten Stand seit Beginn der deutschen Entwicklungshilfe erreicht.Wir alle wissen, daß ein Teil der überzogenen Forderungen der Entwicklungsländer, mit denen wir auf internationalen Konferenzen konfrontiert werden, nur deshalb auf dem Tisch liegen, weil in der Vergangenheit der Eindruck entstanden ist, daß die Industrieländer ihre finanziellen Verpflichtungen auf die leichte Schulter nähmen. Ein deutliches Bekenntnis zu unserer gemeinsamen Leistungsbereitschaft liegt deshalb im nationalen Interesse aller. Wir haben uns in den internationalen Konferenzen der jüngsten Zeit Aktionsmöglichkeiten und Bewegungsfreiheit verschafft, die unsere Position als rohstoff- und exportabhängiges Industrieland wesentlich erleichtert haben. Ziel der HaushaltspolitikDeutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22, Juni 1977 2651Estersder kommenden Jahre muß es sein, diesen Spielraum nicht zu gefährden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, wir treten in die allgemeine Aussprache ein.
Das Wort hat der Abgeordnete Picard.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin meinem Kollegen Esters als Berichterstatter dankbar, daß er sehr eingehend dargelegt hat, in welch hohem Maße, was die Finanzansätze für entwicklungspolitische Maßnahmen angeht, Übereinstimmung im Haushaltsausschuß geherrscht hat.
Ich brauche darauf nicht von neuem einzugehen. Ich möchte lediglich noch einmal betonen, daß wir die positive Leistung von der DEG bis zum letzten privaten Träger würdigen und der Hoffnung sind, daß sich die gute Zusammenarbeit zwischen den Trägern, dem Ministerium und dem Parlament auch in Zukunft weiter vollzieht.
Ich habe nicht die Absicht, in aller Breite, Tiefe und Höhe noch einmal auf die Afrikaexpedition — eine Vergnügungsreise war das nicht; vielleicht war es eine Bildungsreise — der Frau Minister einzugehen. Von Tiefen und Höhen kann bei dieser Reise auch weniger die Rede sein, denn sie war, kurz gesagt, nicht viel mehr als ein Ärgernis.
Sie hat den deutschen Blätterwald genügend zum Rascheln gebracht. Ich will mich auf wenige Erinnerungsposten beschränken. Das früher einmal als Leib- und Magenblatt der Regierung zu bezeichnende Magazin „Der Spiegel" kommentierte: „Die Frau überschätzt ihre Möglichkeiten." Die „Süddeutsche Zeitung", sicher kein CDU-Blatt, sprach — vielleicht frei nach Böll — vom peinlichen Ende einer Dienstreise. Wer „Ende einer Dienstfahrt" von Heinrich Böll gelesen hat, hat sicher viel Vergnügen empfunden. Das Lesen der Presseberichte über das peinliche Ende dieser Dienstreise war kein reines Vergnügen. Die „Frankfurter Rundschau", sicher kein Blatt der CDU oder der CSU, schrieb unter der Überschrift „Äxte in Afrikas Wäldern" — ich bitte den Herrn Präsidenten, mir zu gestatten, das einmal zu zitieren —:
Sie hat alles erklärt, nur ihren Rücktritt nicht. Der aber wäre trotz allem fällig; denn dies darf man mindestens von einem regierenden Politiker erwarten, daß er — im Wortsinn — mit Anstand und Würde eine Mission hinter sich bringen kann, auch wenn sie ihm eine Nummer zu groß ist.
Wäre Frau Schlei eine Axt: der nächste Wald
müßte sich fürchten, aber nicht einschlagen
soll der Entwicklungsminister, sondern aufforsten.
Meine Damen und Herren, wir halten es eher mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Das ist ja bekannt. Überschrift:
Marie Schlei denkt nicht an Rücktritt. Unterüberschrift:
Wie lächerlich ist Bonn gemacht worden?
Das ist die eigentliche Frage, nicht die, ob sich eine Dame mit viel Verständnis und mit einem großen guten weiten Herzen in Afrika sehen läßt. Es ist die Frage, ob dieses Land, das sie vertritt, lächerlich gemacht worden ist oder nicht.
Wir halten es aber weiter mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Da steht als weitere Unterüberschrift:
Der Lernprozeß der Entwicklungsministerin geht weiter.
Lernprozesse, sind Ihnen, Frau Minister, glaube ich,
sehr wohl vertraut. Wir hoffen sehr, daß Sie diesen
Lernprozeß, den Sie vor sich haben, mit Erfolg — —
— Moment, Herr Kollege Löffler, wenn ich die Debatten von gestern und von heute morgen verfolge, dann muß ich fragen, wer hier mehr zur Sache gesprochen hat, Kollegen der Koalition oder der Opposition. Die der Opposition, mit Sicherheit.
Herr Kollege Picard, einen Augenblick. Ein Kollege hat sich zu einer Zwischenfrage gemeldet. Ich kann Ihnen die Zeit für die Beantwortung der Zwischenfragen nicht zusätzlich gewähren. Sie müßten innerhalb Ihrer Redezeit abgewickelt werden.
Es tut mir leid, Herr Präsident; dann kann ich die Zwischenfrage nicht gestatten.Herr Löffler, da Sie gemeint haben, ich solle zur Sache reden, spreche ich jetzt von diesem Lernprozeß. Wir haben deshalb einen Antrag eingebracht, die Reisekosten dieses Hauses um 300 000 DM zu reduzieren, um der Frau Minister die Überlegung zu ersparen, sie müßte diese Reisekosten vielleicht auch noch selber voll ausschöpfen. Ein Lernprozeß dahin gehend, daß Sie im Hause Boden unter die Füße bekommen und dann im nächsten Jahr erfolgreiche Reisen machen, das, Frau Minister, ist unser Wunsch.
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2652 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Picard— Das mag Ihre Meinung sein, daß auf Reisen keine Politik gemacht werde. Meine Meinung ist das nicht. Nur: wenn man Reisen macht, sollte man die Voraussetzungen mitbringen, um sie erfolgreich durchführen zu können.Meine Damen und Herren, ich gestatte mir, gleich einen zweiten Antrag zu begründen, einen Antrag zu den Mitteln für Öffentlichkeitsarbeit. Wir hatten diesen Antrag deshalb vorgelegt, weil er in unserem allgemeinen Antrag zur Kürzung der Mittel für Öffentlichkeitsarbeit nicht untergebracht werden konnte. Damals war der Ansatz der Mittel für Öfentlichkeitsarbeit in Einzelplan 23 außerordentlich hoch. Wir sind der Auffassung, wenn es uns bisher noch nicht gelungen sein sollte, die Notwendigkeit und Leistungsfähigkeit der Entwicklungspolitik in unserem Lande darzulegen, dann hätten wir eine schlechte Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Vielleicht ist eine kleine Reduktion ein heilsamer Zwang, manches, was auf diesem Gebiete geschieht, etwas besser zu machen.Lassen Sie mich noch wenige Bemerkungen zu einigen anderen Punkten dieses Haushaltsplans machen. Ich sprach eben von einem Ärgernis. Es gibt noch ein zweites Ärgernis in diesem Hause. Das ist die Abwicklungsstelle der Bundesstelle für Entwicklungshilfe. Es ist unverständlich, wie außerordentlich schwierig es ist, diese Stelle endlich zur Abwicklung zu bringen. Ich stehe nicht an zu sagen, daß ich auch kein Verständnis für die Haltung des einen oder anderen Beamten oder Mitarbeiters dieser früheren Bundesstelle für Entwicklungshilfe habe, der sich mit viel Geschick und Raffinesse davor bewahrt, irgendwo wieder eine vernünftige Arbeitsstelle annehmen zu dürfen.Zur Gesellschaft für technische Zusammenarbeit hat der Berichterstatter einige lobende Worte gesagt. Es ist nicht meine Aufgabe, diese lobenden Worte zu wiederholen. Wir halten die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit für eine gute Lösung. Wir haben sie damals mit einiger Skepsis, aber doch mit Wohlwollen begleitet. Wir meinen — und ich persönliche meine das aus eigener Erfahrung —, daß die GTZ in ihren Entscheidungen nicht genügend frei ist. Es darf unter keinen Umständen so sein, meine Damen und Herren, daß sich aus der GTZ so etwas entwickelt wie die BfE, also ein Ausführungsorgan des Ministeriums. Wir bitten dringend, darüber nachzudenken, ob es eine sinnvolle und glückliche Lösung ist, daß es eine außerordentlich enge persönliche Verzahnung zwischen Ministerium und der GTZ gibt.Eine zweite Bemerkung. Die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit ist kein Konkurrenzunternehmen zur Deutschen Entwicklungsgesellschaft. Ich sage das deshalb so deutlich, weil ich den Eindruck habe, als ob gerade die GTZ — ich meine nicht die Geschäftsführung, sondern ich meine die Spitze des Aufsichtsrats — dieser Auffassung sei. Die Aufgabenbereiche beider Gesellschaften sind klar abgegrenzt. Es ist ganz verständlich, daß die GTZ nicht Aufgaben wahrnehmen kann, die die DEG macht. Die DEG ist völlig frei davon, sich in den Aufgabenbereich der GTZ selber hineinschleusen zu wollen, weil sie sich mit Recht als Instrument der Entwicklungshilfe, aber auch, zu einer sehr großen Bedeutung gelangend, als Instrument zur Verbesserung der Rohstoffversorgung der Bundesrepublik versteht. Ich leugne nicht, daß meine Fraktion mit einem besonderen Wohlwollen sowohl die GTZ als auch die DEG betrachtet, weil beide Gesellschaften geeignet sind, dazu beizutragen, daß freie marktwirtschaftliche Ideen in den Entwicklungsländern und in den weniger entwickelten Ländern Platz greifen. Von daher wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir auch in Zukunft bereit sind, notwendige Kapitalerhöhungen mitzutragen.Lassen Sie mich hier folgende Bemerkung machen. Wir scheuen uns manchmal, eigene Anträge zu bringen, weil wir nicht erleben möchten, daß das, was richtig ist, nur deshalb nicht gemacht wird, Herr Kollege Löffler, weil es von der Opposition kommt. Deshalb machen wir das vorher meistens gemeinsam, Herr Kollege Esters.Ein Wort zur Stiftung für internationale Entwicklung in Berlin. Die Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung in Berlin ist eine hervorragende Möglichkeit, darzutun, daß Berlin eine Stätte internationaler Begegnung ist. Ich meine, wir täten gut daran — die Regierung und das gesamte Haus —, die Anstrengungen der Stiftung für internationale Entwicklung zu unterstützen, diese Chance von Berlin als Drehpunkt internationaler Begegnung auszunutzen.
Wir hoffen sehr — darin sind wir uns wohl einig —, daß Bundesregierung und Koalition diese Chance wahrnehmen — wir sind dazu bereit —, die der Sitz Berlin bietet, und daß nicht aus irgendwelchen falschen Rücksichtnahmen — vielleicht nur vermutlichen Rücksichtnahmen — auf eine sogenannte Entspannungsatmosphäre auf diese Chance verzichtet wird. Auch im eigenen Interesse ist das gut. Denn alle Besucher Berlins, die in der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung Seminare, Kongresse und Tagungen mitmachen, sind von der Leistung dieser Stiftung beeindruckt. Sie sind aber auch beeindruckt von der sehr deutlich vor Augen stehenden bitteren Situation unseres eigenen Vaterlandes.
Lassen Sie mich eine Bemerkung zum Deutschen Entwicklungsdienst machen. Auch ich wie alle meine Freunde erkennen sehr hoch an, daß der Deutsche Entwicklungsdienst mit seinen Mitarbeitern für einen sehr bescheidenen finanziellen Ausgleich eine hervorragende Arbeit leistet. Wir sehen ein Problem — ich glaube, Herr Kollege Esters, wir sollten das für die nächsten Haushaltsberatungen nicht vergessen — in der Leitung des DED, die wir vor Jahren aus bestimmten Überlegungen, so scheint es mir, durch eine Personalverknappung erschwert haben. Wir müssen das, glaube ich, wieder reparieren.Lassen Sie mich etwas zu einem immer noch anstehenden und schwer lösbaren Problem sagen, nämlich dem der Effizienzkontrolle, das nach wie
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Picardvor nicht gelöst ist. Es wird wahrscheinlich auch nie endgültig gelöst werden können, weil natürlich in der Entwicklungshilfe neue Maßnahmen wegen neuer Entwicklungen immer wieder notwendig sind. Ich möchte aber das Ministerium auffordern, dieser Frage der Effizienzkontrolle eine vielleicht noch stärkere Bedeutung beizumessen. Das ist deshalb außerordentlich wichtig — nicht, weil der Haushaltsausschuß kritisch ist —, weil wir die Beträge, die der Berichterstatter vorhin genannt hat, vor der deutschen Bevölkerung, vor dem deutschen Steuerzahler nur dann rechtfertigen können, wenn wir ihm auch den Erfolg unserer entwicklungspolitischen Anstrengungen deutlich vor Augen führen können.Meine Damen und Herren, abschließend darf ich sagen, meine Fraktion — und das ist nicht neu —bejaht Entwicklungshilfe. Wir haben die Erhöhungen gemeinsam beschlossen. Wir wären glücklich, wenn wir in der Lage wären, auch im nächsten Jahre eine überdurchschnittliche Erhöhung des Etats für Entwicklungshilfe gemeinsam durchzusetzen.
Entwicklungshilfe dient und soll auch nicht nur den Interessen der Entwicklungsländer dienen. Sie soll und muß auch den Interessen unseres eigenen Landes dienen, und das nicht nur dadurch, daß wir Partner im wirtschaftlichen Bereich schaffen, sondern auch dadurch, daß wir die freie Welt nicht schwächen, sondern möglichst stärken.Ich spreche damit ein heißes Problem an, für das es keine Patentlösung gibt. Es kann aber nicht sein, meine Damen und Herren, daß wir deutlich erkennbar kommunistische Länder oder kommunistische Bewegungen unterstützen. Ich glaube, das kann von uns niemand verlangen. Ich hoffe sehr, daß das Haus dafür sorgt, daß der Eindruck, der auch im Zusammenhang mit der Afrikareise der Frau Minister entstanden ist, als ob wir hier etwas leichtfertig über unsere eigenen Interessen hinwegsähen oder sie gar mißachteten, sich in der Zukunft nicht weiter verstärkt.
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Gärtner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Picard, wir hatten relativ lange einvernehmliche Berichterstattergespräche, und von daher hatte ich mich ein bißchen gewundert über den Einstieg, den Sie heute morgen hier genommen haben. Ich muß Ihnen sagen: so eine relativ abgestandene Presseschau, wie Sie sie hier vorgetragen haben, nützt den Interessen dieses Landes meines Erachtens überhaupt nicht.
Wenn Sie schon bei Reisekosten so „brutal" sind,könnten Sie gelegentlich Ihrem Kollegen Todenhöfer einmal sagen, daß auch bei ihm Reisekostenzum Teil nicht nur im Interesse dieses Landes ausgegeben werden.
— Herr Kollege Haase, ich darf hier im Plenum des Deutschen Bundestages nicht all das erzählen, was Sie über Ihren Kollegen Todenhöfer im Haushaltsausschuß gesagt haben.
— Herr Kollege Schmitz, ich bin immer gerne bereit, auf Ihre Hinweise zu reagieren. Sie bestätigen jedenfalls, daß Sie heute morgen sehr eifrig bei der Sache sind.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch folgendes zu dem sagen, was der Kollege Esters vorgetragen hat und was zum Teil auch Herr Kollege Picard an positiver Darstellung zu diesem Einzeletat gegeben hat. Sicherlich ist es so, daß wir alle im Rahmen dieses Etats etwas mehr Geld ausgeben möchten. Herr Kollege Picard, wenn Sie am Schluß sagen, Sie würden diesen Einzeletat gerne erhöhen, dann möchte ich Sie natürlich bitten, irgendwann einmal bereit zu sein, mit der Koalition dafür zu sorgen, daß die Einnahmeseite entsprechend aussieht, damit wir auch mehr Geld ausgeben können. Vielleicht können Sie sich doch noch dazu durchringen, unserer Mehrwertsteuererhöhung zuzustimmen. Wir würden ja alle gerne mehr Geld ausgeben. Man muß nur ehrlich bleiben und sagen, wie man dieses Geld beschaffen will. Nur über den Kreditmarkt geht das nicht. Das wissen Sie genauso-gut wie ich.Der zur Beratung und Beschlußfassung vorliegende Einzelplan 23 verdient trotz aller immer noch möglichen kritischen Anmerkungen, was seine Höhe angeht, unsere Zustimmung. Die Freien Demokraten werden diesem Haushalt auch zustimmen. Das wird Sie nicht wundern.Die innerhalb des Gesamthaushalts zu setzenden Prioritäten haben es dem Haushaltsausschuß auch nicht leichtgemacht, in diesem Bereich möglichst zu erhöhen. Wir sind in einigen Bereichen gemeinsam dazu gekommen; wir sind in vielen Bereichen, auch bei kleinen Beträgen, auch im Bereich der technischen Hilfe, wo es nur um zweistellige Millionenbeträge ging, mit Zustimmung der Kollegen von der Opposition dazu gekommen, den Einzelplan etwas stärker zu gestalten.Über den Bericht des Abgeordneten Esters hinaus wollte ich noch darauf hinweisen, daß natürlich öffentliche Entwicklungshilfe nur e i n Faktor in der internationalen Zusammenarbeit ist. Es wird zum Teil völlig übersehen, daß auch der private Bereich einen Beitrag dazu leistet. Von daher sollten wir bei den zukünftigen Beratungen dem Gedanken noch einmal nähertreten, inwieweit bei den Privaten möglicherweise eine etwas stärkere finanzielle Hilfe ins Auge gefaßt werden kann.Eine konsequente Anwendung der Prinzipien, die wir in den Beratungen und auch schon bei der Regierungserklärung dargestellt haben, wird es uns leichter machen, im Rahmen der internationalen
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GärtnerZusammenarbeit all das zu tun, was für unser Land notwendig ist, nicht nur in dem Sinne, daß wir die Arbeitsplätze in unserem Land sichern, sondern daß wir auch dazu beitragen, für diejenigen Länder, die unsere Hilfe notwendig haben, den erforderlichen Geldbetrag zur Verfügung stellen.Sie haben zwei Kürzungsanträge gestellt. Der eine ist der verschlüsselte Hinweis auf das Amtsgehalt. Ich habe mich eben beim Kollegen Haase erkundigt. Einen Antrag auf Streichung des Amtsgehaltes stellen sie nicht. Sie wollen stattdessen die Dienstreisekosten heruntersetzen. Dazu haben Sie noch einen pfiffigen Kürzungsantrag im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit gestellt. Herr Kollege Picard, vielleicht sehen Sie doch noch einmal in den Erläuterungen nach. Es könnte Ihnen nämlich passieren, daß Sie bei diesem Kürzungsantrag z. B. Informationsprogramme mit Institutionen der Erwachsenenbildung wie Volkshochschulen und Kirchen auch streichen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das besonders lieb ist. Dieser Betrag umfaßt rund 1 Million, und da Sie nicht spezifizieren, was gestrichen wird, könnte es durchaus sein, daß in diesem wichtigen Bereich eine Streichung erfolgt.Lassen Sie mich zum Schluß auf folgendes hinweisen. Es gibt viele in unserem Lande, die für Entwicklungspolitik — —
— Der Kollege Zimmermann hat in diesem Augenblick wichtigeres zu tun; ich gebe Ihnen recht.
Es gibt in diesem Lande nur sehr wenig Bereitschaft, für die Entwicklungspolitik mehr Geld auszugeben. Das heißt: eine handfeste Lobby hierfür gibt es nicht. Es ist schwierig, wenn wir versuchen, gegenüber unseren Bürgern Entwicklungspolitik zu begründen. Wir haben zum Teil das Problem, daß die Vorurteile in unserem Lande gegenüber diesem Einzelplan sehr groß sind. Ich bitte, in der noch stattfindenden Debatte in diesem Bereich möglichst nicht mehr Vorurteile zu produzieren, als sowieso schon vorhanden sind. Ich bitte weiter herzlich, in der Debatte nicht all das stehen zu lassen, was in der Ostpolitik lange Zeit gestanden hat und was Ihr Kollege Biedenkopf seit einigen Tagen aufräumen will. Hier sollte er vielmehr aufräumen, weil dort noch eine ganze Menge an außenpolitischen Ladenhütern vorhanden ist. Ich weiß nicht, ob man mit diesen politischen Grundkonzeptionen relativ weit kommt, wenn es darum geht, in der internationalen Zusammenarbeit voranzukommen.
Ich erteile das Wort der Frau Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein großer Teil unserer Offentlichkeit nimmt die Bedeutung unserer Beziehungen zur Dritten Welt deutlicher wahr als noch vor wenigen Jahren. Es ist ein sehr ermutigendes Zeichen, daß das Parlament der Debatte um den Einzelplan 23 einen so breiten Raum gibt.
Ich bedanke mich für die Arbeit der Berichterstatter, die ich als sehr fair bezeichnen muß.
Herr Kollege Picard, Ihre Auffassung, daß Reisekosten nur für erfolgreiche Reisen gewährt werden sollen, ist auch meine Auffassung. Sie könnten sich über den Erfolg meiner Reise unter anderem bei der deutschen Wirtschaft erkundigen, der Sie ja in gewisser Weise nahestehen. Sie hätten auch selbst in den Ländern nachfragen können. Sie hätten gestern und vorgestern afrikanische Staatsmänner fragen können. Sie können morgen den Vizepräsidenten des Botsuanischen Parlaments fragen, und Sie können Herrn Bradford Morse, der zu unserer großen Freude unter uns weilt
und den zu begrüßen ich schon die Ehre hatte, fragen, ob meine Reisen erfolgreich waren. Bradford Morse ist Vertreter der technischen Zusammenarbeit in den Vereinten Nationen. Er weiß zu würdigen, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Mitteleinsatz wir unsere Arbeit in diesem Jahr dort betrieben haben. Sie brauchten sich also nicht aus zweiter Hand zu bedienen.
Aber im übrigen ist festzustellen, daß die Berichterstatter aller drei Fraktionen versuchen, Entwicklungspolitik nicht als ein Feld parteipolitischer Auseinandersetzungen zu sehen, sondern sie vielmehr als eine Aufgabe zu verstehen, die wir gemeinsam mit allen anderen Staaten im Westen, im Süden, aber auch im Osten meistern müssen.
Frau Minister, gestatten Sie eine Bemerkung. Der Herr Kollege Dr. Friedmann hat sich zu einer Zwischenfrage gemeldet. Ich wollte nur nochmals darauf aufmerksam machen, daß wir Zwischenfragen und ihre Beantwortung in die Gesamtverteilung der Redezeiten einrechnen müssen.
Ich bitte den Kollegen, mir zu erlauben, in meiner ersten Haushaltsrede meine Gedanken im Zusammenhang zu Ende zu führen.Entwicklungspolitik hat heute zwei wesentliche Ziele: Das erste Ziel ist die Weiterentwicklung der Weltwirtschaft zu einer Ordnung, in der alle Völker Platz haben und zu ihrem Recht kommen. Zweitens muß sie dazu beitragen, daß Freiheit von Not und von absoluter Armut zu einer realistischen Beschreibung der Lebenslage möglichst vieler Menschen auf dieser einen Welt wird. Entwicklungspolitik muß aber auch — und dies ist eine Aufgabe, der wir uns nicht verweigern dürfen — zur Erleichterung der wirtschaftlichen Lage und zur Milderung der Not der Menschen in politischen Spannungsgebieten beitragen. Der heutige Zustand der Weltwirtschaft bedroht den Frieden, weil diese Weltwirtschaft die Chancen zugunsten der reichen Länder und zuungunsten der armen Länder verteilt.Bundesminister Frau SchleiUnser Bundespräsident hat dazu vor einigen Tagen folgendes gesagt — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten —:Wir treten nach wie vor für den freien Welthandel ein. Aber wir müssen uns bewußt sein, daß wir dieses Prinzip selbst gefährden, wenn wir es nicht verstärkt mit dem sozialen Gedanken — und das heißt hier Entwicklungshilfe —verbinden. Der freie Welthandel setzt ein Gleichgewicht voraus, das gegenwärtig nicht vorhanden ist. Dieses Gleichgewicht schrittweise zu erreichen, ist die Aufgabe, die vor allem den Industrieländern und den rohstoffreichen Ländern gestellt ist. Alle Menschen müssen wirklich die Chance erhalten, wettbewerbsfähig zu werden, um am Welthandel auch zu ihrem Nutzen teilnehmen zu können. Dazu brauchen sie unser Kapital, unser technisches Anwendungswissen und unsere Märkte. Nur wenn wir ihnen dies alles verstärkt zugänglich machen, können wir den freien Welthandel, von dem unsere Existenz abhängt, erhalten.
Wir profitieren von den heutigen Weltwirtschaftsstrukturen. Denn wir sind ein ebenso exportabhängiges wie rohstoffabhängiges Land. Wir können uns als solches eine Konfrontation mit den Entwicklungsländern auf internationaler Ebene nicht erlauben. Dies hat Herr Kohl in seiner entwicklungspolitischen Rede vor Ihrem Kongreß festgestellt. Damit soll er einmal recht haben.Wir sind in die Weltwirtschaft in einem Maß integriert, das noch von zu wenigen Bürgern bei uns gewußt wird.
Wir sind unter den westlichen Industrieländern der drittgrößte Verbraucher von Rohstoffen. Aber so arm an Rohstoffen, wie wir sind, ist nur noch Japan. Wir können also kein Interesse daran haben, mit rohstoffliefernden Entwicklungsländern in Auseinandersetzungen zu geraten, die eine Verweigerung, eine Verknappung, eine Kartellbildung oder sprunghafte Preissteigerungen zur Folge haben könnten. Wir können uns dies um unserer Arbeitsplätze willen nicht leisten.Wir sind auch deshalb an der wirtschaftlichen Stärke und Leistungsfähigkeit der Dritten Welt interessiert, weil wir dorthin exportieren wollen. Selbstverständlich sind hier unsere eigenen Interessen identisch mit den Interessen der Entwicklungsländer. Dies muß gelernt werden.Deshalb fördern wir die Voraussetzungen für deren wirtschaftliche Stärke. Wir unterstützen Produktionen zur bedeutsameren Versorgung der Bevölkerung in den Ländern der Dritten Welt. Denn Produktion ist dort Voraussetzung für mehr Kaufkraft. Wir fördern die Weiterverarbeitung von Rohstoffen und die Herstellung von Waren für den Handel der Entwicklungsländer mit uns. Aber wir wollen auch von Jahr zu Jahr mehr Projekte fördern, die den Handel der Entwicklungsländer untereinander stärken. Denn schließlich sind ja die Entwicklungsländer selber der größte Markt der Welt.Wir unterstützen den Wunsch der Entwicklungsländer nach stabilen volkswirtschaftlichen Einkommen durch Regelungen im Bereich der Rohstoffe und durch Stabilisierung der Exporterlöse. Wir erleichtern ihre Schuldenlast. Wir überdenken Möglichkeiten, wie wir den sogenannten Schwellenländern — die schon fast in der Lage sind, mit den eigenen Problemen fertig zu werden — bei der Lösung Ihrer Probleme in spezifischer Weise helfen können, den Schwellenländern in Lateinamerika, im Mittelmeerraum, in Asien und selbstverständlich auch in Afrika.Wir übertragen unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit in Form von technischem Wissen und Kapital. Weil der Bedarf an technischem Wissen und an Kapital in der Dritten Welt groß ist, wollen wir, daß sich viele andere bei dieser Leistungsübertragung beteiligen, z. B. unsere deutsche Wirtschaft. Denn sie verfügt über größere Kapazitäten als der Staat. Die Dritte Welt hat längst begriffen, daß mehr Teilhabe an der Weltwirtschaft mehr Wohlstand bedeutet. Es wird selten genug ausgesprochen, daß das Ziel der Entwicklungsländer bei der Neuordnung der Weltwirtschaft praktisch nichts anderes als ihre stärkere Integration in die Weltwirtschaft ist.
— Das ist richtig. Auch wenn es für einige Vertreter der Opposition schwer zu begreifen ist, Herr Todenhöfer, ist es doch so, daß unser Wohlstand eng mit unserer Integration in die Weltwirtschaft verbunden ist.
Wenn das für uns gilt, muß es doch auch für die Entwicklungsländer gelten. Wir können nicht mehr zurück; es gibt kein Zurück. Der Preis für mehr Autarkie wäre Armut. Also gehen wir vorwärts, Herr Kollege Köhler. Aber das ist ja weniger unser Problem als Ihres, wie ich meine.Für uns bedeutet dies, daß wir den Entwicklungsländern stärker unsere Märkte öffnen müssen. Wir sehen, daß unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft hier schneller an Grenzen stoßen, als uns lieb ist. Wir bemühen uns in der Europäischen Gemeinschaft nachweisbar um verstärkte Koordinierung und Harmonisierung der einzelnen Politiken, und wir sind, wie ich meine, auf einem Weg nach vorn.Ich wiederhole: Bei der Lösung wirtschaftlicher Fragen sind die Interessen der Industrieländer und der Entwicklungsländer unauflöslich miteinander verbunden. Es ist unabdingbar geworden, für gemeinsame Fragen, für gemeinsame Probleme gemeinsame Lösungen und Antworten zu finden.
Die berechtigten Forderungen der Dritten Welt,nämlich der Mehrheit der Menschen und der Mehr-
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Bundesminister Frau Schleiheit der Völker, nach größerer Teilhabe an der Weltwirtschaft lassen sich aus diesem Zusammenhang nicht mehr herauslösen.Die Konferenz für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, die vor drei Wochen in Paris zu Ende ging, ist dabei einen Schritt in einem sehr, sehr langen Abstimmungsprozeß, in dem beide Seiten noch viel mehr über Abhängigkeit voneinander zu lernen haben, vorwärts gekommen. Es kommt nicht von ungefähr, daß die Entwicklungskommission, die neben den Kommissionen für Energie, Finanzen und Rohstoffe tagte, den verhältnismäßig größten Erfolg zu verzeichnen hatte, und zwar im Bereich der industriellen Zusammenarbeit, bei der Landwirtschaft und Ernährung, beim Aufbau der Infrastruktur, bei der Förderung von Wissenschaft und Technologie und nicht zuletzt beim Volumen und bei den Bedingungen der Entwicklungszusammenarbeit. Ich meine, Entwicklungspolitikern ist die Kenntnis der Interessengleichheit, des Interessenausgleichs, der Tatsache, daß bei solchen Konferenzen niemand am längeren Hebel sitzt, nichts Neues. Ich meine deshalb auch, es wäre möglich, daß die Entwicklungspolitiker in Zukunft Schrittmacher für das Bewältigen von Dialogformen sind.Die finanzielle Sonderaktion der Industrieländer mit dem Volumen von 1 Milliarde Dollar für die ärmsten Länder hat wesentlich zum feststellbaren Ergebnis dieser Konferenz beigetragen. Der Beitrag der Bundesrepublik dazu in Höhe von 300 Millionen DM ist vom Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages einstimmig, rechtzeitig und als zusätzliche Leistung beschlossen worden. Dafür ist dem Parlament Dank zu sagen. Sie, meine Damen und Herren, haben ihre Mitverantwortung auch in diesem Teilbereich der Entwicklungspolitik bewiesen. Es ist wesentlich, daß diese Sonderaktionsleistung als eine einvernehmliche Leistung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft vereinbart werden konnte.Der Jahrestag des Marshall-Plans am 5. Juni dieses Jahres hat uns daran erinnert, daß wir gut daran täten, unsere Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern auch auf jene internationale Solidarität zu gründen, ohne die nach 1945 der Aufbau unserer Wirtschaft nicht in dieser Weise, wie es gelang, ermöglicht worden wäre. Wir sind in dieser Meinung von vielen internationalen Politikern bestätigt worden. Ich denke, wir alle haben durch den Marshall-Plan gelernt, daß sich Eigeninteresse und Solidarität durchaus verbinden lassen. Wenn das so ist, dann muß das heute auch für die Entwicklungsländer gelten.Unser entwicklungspolitisches Konzept stellt den Schutz des schwächeren Partners an die erste Stelle. Das schlägt sich in der Rahmenplanung praktisch nieder, die die Bundesregierung jedes Jahr dem Parlament, dem entsprechenden Ausschuß, vorlegt. Wir zeigen in dieser Rahmenplanung sehr frühzeitig die Schwerpunkte unserer Bemühungen auf. Wenn wir etwas gegen die Armut, wenn wir etwas gegen die Entwürdigung des Menschen durch die absolute Armut tun wollen, müssen wir einen großen, einen größeren Teil unserer Hilfe den ärmsten Entwicklungsländern und den am meisten benachteiligten Gruppen in den Entwicklungsländern zukommen lassen.
Das ist nicht immer einfach, weil die Souveränität der einzelnen Staaten von uns voll respektiert wird und weil manches Industrieprojekt lieber genommen wird als ein landwirtschaftliches Projekt. Wir aber müssen auf diesen Grundzielen bestehen. Sie müssen für unsere Arbeit mit den Partnern in Asien, in Lateinamerika und gleichermaßen in Afrika gelten. Ländliche Entwicklung muß an erster Stelle stehen; denn sie allein verbessert die Lebensbedingungen der weitaus größten Bevölkerungsgruppen am nachdrücklichsten. Sie erleichtert auch ganz besonders das Los der Frau. Nur die Einbeziehung der Frauen in den Entwicklungsprozeß, die Förderung ihrer Bildung und Ausbildung, die Entwicklung eines tragfähigen Sozialsystems bilden die Chance, der sogenannten Bevölkerungsexplosion, und zwar auf eine humane Weise, zu begegnen.Darauf hat jüngst der Weltbankpräsident McNamara verwiesen. Er hat erklärt, es sei keineswegs ersichtlich, daß der Hunger die Folge der angeblichen Uberbevölkerung sei. Er meint, angesichts der biologischen und ökonomischen Fakten springe ins Auge, daß vielmehr das Gegenteil wahr sei, daß die Uberbevölkerung eine Folge des Hungers sei. Der Hunger, so wird gesagt, erhöhe nicht nur die Sterblichkeit, sondern in viel größerem Maße die Fruchtbarkeit.Wenn wir dazu beitragen, die konkreten Bedürfnisse einzelner Menschen konkret zu erfüllen, lindern wir nicht nur Not, beseitigen wir nicht nur die absolute Armut, sondern dann geben wir ganzen Gruppen und natürlich dem einzelnen mehr Möglichkeiten für Lebensplanung, für Selbstverwirklichung und damit selbstverständlich auch Sicherheit für die Zukunft ihrer Länder.
Das ist ein sehr hoher Anspruch. Er fordert Solidarität. Ich bin deshalb besonders den Gruppen und Institutionen in unserem Land dankbar, daß sie sich dieser Aufgabe angenommen haben.
Sie tragen in oft selbstloser Weise dazu bei, diese Aufgabe — zum Teil für uns mit — zu verwirklichen. Ihr Einsatz muß als eine ganz unentbehrliche Ergänzung der staatlichen Aufgabe angesehen werden.Ich möchte an erster Stelle den Kirchen danken sie nennen, weil sie in vorbildlicher Weise etwas leisten, wozu sich auch Stiftungen und freie Träges entschlossen haben. Ihre Einstellung wurde in die. sen Tagen durch einen Vertreter der Evangelischer Kirche so formuliert: Hilfe ist nicht an politische gesellschaftliche oder religiöse Bindungen geknüpft, sondern nur daran, daß Menschen, die Not
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Bundesminister Frau Schleileiden, darauf warten, daß wir ihnen zum Nächsten werden.
Am Gesamtergebnis des Einzelplans 23 können auch Kritiker erkennen, daß diese Regierung zu ihren Ankündigungen aus der Regierungserklärung steht. Es ist ein Baransatz von 3,25 Milliarden DM vorgesehen. Unsere Verpflichtungsermächtigungen, d. h. unsere Möglichkeiten, zukünftige Ausgaben zu planen, sind im Laufe eines Jahres auf 6,2 Milliarden DM erhöht worden. Das Parlament hat dann aber darüber hinaus 440 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen zur Verfügung gestellt. Ich finde, dies ist eine Leistung. Sie muß unseren Bürgern deutlich gemacht werden. Wir müssen diese Leistung gemeinsam vor der Öffentlichkeit vertreten. Das können wir, weil Sie mit die Garantie dafür übernehmen, daß diese Mittel vernünftig ausgegeben werden.Ein großer Teil dieser Verpflichtungsermächtigungen ist für die der Weltbank angeschlossene Internationale Entwicklungsorganisation bestimmt. Wir nennen sie abgekürzt in unserem Sprachgebrauch IDA. Diese internationale Organisation, bekannt für ihre präzise und solide Arbeit, wird dafür sorgen, daß dieser hohe Betrag, eingebracht in eine Gemeinschaftsleistung der Industrienationen, den ärmeren Entwicklungsländern zugute kommt. Mit der Aufstockung des in der Weltbank zur Verfügung stehenden Finanzvolumens haben wir einen bedeutsamen Beitrag geleistet, weil wir unsere Leistung rechtzeitig und pünktlich erbracht haben. Wir haben damit — so sagt es McNamara — anderen Nationen einen Impuls gegeben, zur rechten Zeit das Ihre zu tun.Wir haben unsere Leistungen für UNDP um 25 % steigern können. Ich weiß, daß Bradford Morse sie getreu und präzise für technische Projekte in der gesamten Welt verwenden wird.
Bei uns wächst die Bereitschaft, die Entwicklungsländer bei der Erschließung ihrer Rohstoffquellen und beim Absatz ihrer Produkte auf unseren Märkten zu unterstützen. Dies kann ich mit Dank auch für unsere Gewerkschaften feststellen, die sich verpflichtet haben, mit mir in Seminaren die schwierige Problematik der Entwicklungspolitik ihren Mitgliedern zu vermitteln.
Die Dritte Welt bestellt bei uns industrielle Produkte, die sie für den eigenen Aufbau braucht, aber nicht selber herstellen kann. Die Arbeitsplätze, die so bei uns gesichert werden, und der Spielraum, den wir dadurch für den notwendigen Strukturwandel in unserer Arbeitswelt gewinnen, sind innenpolitische Erfolge, die zusätzliche Hilfe für Entwicklungsländer rechtfertigen und die Sie mit Stolz den Bürgern gegenüber vertreten sollten. Ich sehe hier noch nicht alle Möglichkeiten voll ausgeschöpft, die dem Staat und der deutschen Wirtschaft zur Verfügung stehen.Die Parteien haben sich dankenswerterweise inzwischen zum Ziel der Übertragung von öffentlicher Hilfe in Höhe von 0,7 °/o des Bruttosozialprodukts bekannt. Wir werden gemeinsam überlegen müssen — und wir werden dies vielleicht als eine nationale, gemeinsame Aufgabe begreifen —, wie wir diesem Ziel zügig näherkommen können. Regierung und Parlament haben in diesem Jahr gezeigt, welche Mittel sich bei Anspannung aller Kräfte zusätzlich mobilisieren lassen.Nun, weil es Sie, hoffe ich, sehr interessiert, noch ein Wort zu unserem Beitrag zur Afrikapolitik dieser Bundesregierung. Am Montag habe ich mit dem Präsidenten der Befreiungsbewegung ZAPU — Zimbabwe African People's Union —, Joshua Nkomo, gesprochen. Wir hatten bereits im April dieses Jahres in Sambia ein dreistündiges Gespräch. Nkomo ist der Vertreter des Volkes von Zimbabwe, das auf seine Freiheit wartet
und das dann, wenn es seine Freiheit hat, seine Blockfreiheit behalten will.
Wir wollen ihn dabei unterstützen und dazu beitragen, daß dieses Volk, wenn es unabhängig ist, in der Lage sein wird, seinen eigenen Weg ohne Einflußnahme von irgendeiner Seite zu gehen.
Wer sich so entschieden für seine Unabhängigkeit einsetzt, will sich dann nicht ohne Not in neue Abhängigkeit drängen lassen. Und Sie müssen sich fragen lassen, ob Sie bittend hingehaltene Hände leer lassen wollen, ob das eine Auffassung von Menschenrechten, Menschenwürde und Mitbestimmung ist, die in einem Volk gültig bleiben darf, das selber die Welt in eine große Unruhe, in einen weltweiten Krieg gestürzt hat, weil es auch bereit war, rassistisch zu handeln. Dieses Thema ist, wie es scheint, noch heute ein kompliziertes Thema, obwohl jeder seit 1945 die Ergebnisse von Rassismus im Leiden des eigenen Volkes wiederfinden kann.Die Bundesregierung hat als Mitglied des Sicherheitsrates der UNO bei der Maputo-Konferenz mit Vertretern der wichtigsten Befreiungsbewegungen an einem Tisch gesessen. Wir können ohne eine Zusammenarbeit mit den Befreiungsbewegungen nicht über unsere zukünftige Zusammenarbeit mit den Staaten im südlichen Afrika entscheiden; dies muß klar sein.
Unsere Entwicklungspolitik steht auch hier im Einklang mit unseren außenpolitischen Grundsätzen, wie sie in verschiedenen bedeutsamen Konferenzen durch unseren Außenminister Hans-Dietrich Genscher formuliert worden sind. Ich erinnere nur an seine Rede vor den UN im September 1976, wo er das Thema „Menschenrechte" in einer Grundsatz-
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Bundesminister Frau Schleiform erörtert hat, die wir noch öfter zur Kenntnis nehmen sollten.Wir haben mit die Verantwortung, das Leid zu mildern, soweit es sich überhaupt mildern läßt, solange den Menschen dort im südlichen Afrika das Recht auf Selbstbestimmung vorenthalten bleibt. Diese Politik, die eine Politik des Verzichts auf Gewaltanwendung, eine Politik des Verzichts auf Waffenlieferungen ist, wird in Afrika verstanden. Die Kirchen in unserem Lande verstehen sie auch. Ich hoffe, die Christen in der Politik sind auch in der Lage, sie zu verstehen.
Uns allen sollte daran gelegen sein, daß die Glaubwürdigkeit der westlichen Länder im südlichen Afrika, die seit dieser Maputo-Konferenz zugenommen hat, erhalten bleibt. Dann, wenn der Westen sein Engagement für die Dekolonialisierung und gegen den Rassismus im südlichen Afrika ernst nimmt — so ernst, daß er dazu mit allen Konsequenzen steht —, wird auch die Hilfe, die der Ostblock dorthin liefert, nämlich Waffen, an Wert einbüßen, wird sich auch dort der Beitrag der kommunistischen Länder daran messen lassen müssen, was er zu einer friedlichen Entwicklung der Region beiträgt.Aber das westliche System ist, wie Präsident Kaunda hier in Bonn kürzlich zum Ausdruck brachte, wenig wert, wenn es die legitimen Rechte anderer nicht auch auf die eigenen Fahnen schreibt. Dies gilt für die politischen Rechte der schwarzen Mehrheiten ebenso wie für die Erfüllung der Grundbedürfnisse der Menschen in der Dritten Welt und die Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft. An dem, was wir gegenüber der Dritten Welt leisten werden, wird gemessen, was wir unter Demokratie, Freiheit, Menschenwürde und Menschenrecht verstehen. Die Menschen der Dritten Welt, zwei Drittel der gesamten Menschheit, setzen ihre Hoffnung auf uns, und nun müssen wir uns dazu ansehen.
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Todenhöfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich nach dem allgemeinen Querschnitt durch die gesamte Entwicklungspolitik, den Entwicklungsminister Schlei dem Hohen Hause vorgelegt hat, aus dem großen Feld der Nord-Süd-Politik zwei Bereiche herausgreifen, die von Minister Schlei angesprochen wurden: die deutsche Afrika-Politik und den sogenannten Nord-Süd-Dialog.Durch die sowjetische Offensive sowohl in Afrika wie im Indischen Ozean und durch die vorhandenen Konfliktherde im südlichen Afrika, am Kap Horn, in Nahost, am Persischen Golf und in Südostasien sind für unsere militärische Sicherheit und für die Versorgungssicherheit unseres Landes mit Rohstoffen neue Belastungen und Gefährdungen geschaffen worden. Eine besondere Komponente hat diese kommunistische Offensive in der Dritten Welt für uns dadurch erhalten, daß die DDR im Rahmen der sowjetischen Gesamtstrategie eine wachsende Bedeutung gewonnen hat. Das gilt für die Tätigkeit politischer Berater, militärischer Berater und Ausbilder in Algerien, Libyen, Somalia sowie insbesondere in Mozambique und Angola, hier in Zusammenarbeit mit den Sowjetrussen und den Kubanern.Die Bundesregierung hat auf diese neue Entwicklung, vor allem in Afrika, völlig hilflos und meines Erachtens unzureichend reagiert. Sie leistet insbesondere weiterhin in völlig undifferenzierter Weise - ich unterstreiche: in undifferenzierter Weise —Entwicklungshilfe an kommunistische Regierungen, ferner an Länder, die mit sowjetischer oder kubanischer Hilfe Guerillakämpfer für dritte Länder ausbilden, und neuerdings auch humanitäre Hilfe an sogenannte Befreiungsbewegungen. Die Bundesregierung behauptet — auch bei Frau Minister Schlei ist das heute angeklungen —, sie wolle mit Entwicklungshilfe und humanitärer Hilfe die Unabhängigkeit dieser Staaten und der betreffenden Befreiungsbewegungen fördern. Dies ist angesichts der massiven Waffenhilfe der Sowjetunion und anderer kommunistischer Staaten für diese Länder und Befreiungsbewegungen sehr wenig überzeugend. Das politische Ergebnis ist de facto, daß wir durch unsere Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe diesen Ländern und Befreiungsbewegungen die Möglichkeit geben, sich zusätzlich Waffen bei der Sowjetunion und anderen kommunistischen Staaten zu verschaffen.
Völlig unzulänglich ist bisher die Position der Bundesregierung gegenüber Südafrika. Auch die CDU/CSU lehnt die Politik der Apartheid ab.
Auf Grund der traditionellen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen unseres Landes zu Südafrika hätte die Bundesregierung jedoch die Chance gehabt, auf eine Änderung der südafrikanischen Politik so einzuwirken, daß eine Entschärfung des Konflikts möglich gewesen wäre. Dies hätte allerdings vorausgesetzt, daß die Bundesregierung nicht einfach die zum Teil politisch völlig unbrauchbaren Vorstellungen der Mehrheit der Vereinten Nationen übernommen hätte. Es muß hier klar gesagt werden: insbesondere die undifferenzierte Realisierung des reinen Mehrheitsprinzips für Südafrika kann die Probleme dieses Landes nicht lösen, da hierfür die politischen, die wirtschaftlichen, die sozialen und die kulturellen Voraussetzungen fehlen. Die Bundesregierung hätte vielmehr gegenüber den USA und der Europäischen Gemeinschaft initiativ werden müssen mit dem Ziel, der weißen Bevölkerung in Südafrika die politische, militärische und wirtschaftliche Absicherung dafür zu geben, daß auch bei einer großen politischen Lösung des Südafrika-Problems die weiße Bevölkerung nicht nur kulturell, sondern auch politisch weiter bestehen kann. Ein solches Angebot an die weiße Bevölke-
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Dr. Todenhöferrung hätte durch ein Angebot einer umfassenden wirtschaftlichen Aufbauhilfe an die schwarze Bevölkerung ergänzt werden können. Die bloße Achtung der südafrikanischen Rassenpolitik, wie sie die SPD/ FDP betreiben, ohne zugleich eine für alle Gruppen der südafrikanischen Bevölkerung annehmbare Alternative aufzuzeigen, trägt nicht zu einem inner-südafrikanischen Ausgleich bei. Sie führt im Gegenteil zu einer Verschärfung der Situation, da die undifferenzierte Unterstützung des Prinzips „one man, one vote" auf eine an die weiße Bevölkerungsgruppe Südafrikas gerichtete Aufforderung zur politischen Selbstaufgabe hinausläuft. Das aber kann niemand ernsthaft von der weißen Bevölkerung Südafrikas verlangen.
Meine Damen und Herren, die Politik der Bundesregierung war in allen diesen Fragen sehr wenig konstruktiv: Die Forderung nach kollektivem Selbstbestimmungsrecht, die von den schwarzen Mehrheiten im südlichen Afrika erhoben wird, wird von der Bundesregierung und von den meisten westlichen Industrieländern übernommen, ohne daß gleichzeitig die Notwendigkeit der Sicherung des individuellen Selbstbestimmungsrechts betont wird. Dieses individuelle Selbstbestimmungsrecht sowie das Recht der Minderheiten werden zur Zeit sowohl in Angola wie auch Mozambique mit Füßen getreten, ohne daß die westlichen Industrieländer oder die Bundesregierung dagegen im Rahmen der Diskussion über das südliche Afrika jemals ihre Stimme erhoben hätten.
Ich frage Sie: Wann ist die Bundesregierung jemals mit derselben Entschlossenheit für die Verwirklichung der individuellen Menschenrechte im südlichen Afrika eingetreten wie für die Abschaffung der Apartheid?
Die Bundesregierung hat bisher auch nichts getan, um die gemäßigten Führer und Gruppen der schwarzen Bevölkerung oder der Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika zu unterstützen und international aufzuwerten. Das wäre ein konstruktiver Beitrag zum Abbau der Probleme im südlichen Afrika gewesen.
Die Bundesregierung hat im Gegenteil mit ihrer Politik in erster Linie die radikalen, marxistisch orientierten Befreiungsbewegungen unterstützt und aufgewertet. Die Bundesregierung hat beispielsweise vor kurzem über die sambische Regierung humanitäre Hilfe für die rhodesischen Befreiungsbewegungen in Aussicht gestellt, obwohl sie sich bewußt war, daß die sambische Regierung nur die radikale marxistische patriotische Front anerkennt und nur dieser Hilfe von außen zukommen lassen würde, und daß dabei z. B. der gemäßigte Führer Bischof Muzorewa leer ausgehen würde.
Herr Kollege Todenhöfer, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Nein, wir wollen die Redezeit hier einigermaßen einhalten. Ich möchte deswegen ebenso, wie es die Frau Minister getan hat, keine Frage zulassen.Die Bundesregierung weiß auch, daß die Leistung humanitärer Hilfe über die sambische Regierung gleichzeitig eine Unterstützung der Politik der Staaten bedeutet, die eine kriegerische Lösung in Rhodesien befürworten. Das ist ein seltsamer Beitrag im Bereich der sogenannten Friedenspolitik der Bundesregierung.Die Bundesregierung hat bisher auch keinerlei Kritik an den vielfach unmenschlichen Aktivitäten der Swapo geübt, wie z. B. an der Entführung von Schulkindern oder der Inhaftierung gemäßigter Swapo-Führer in Konzentrationslagern in Sambia. Ich frage wieder: Wo ist hier das Eintreten der Bundesregierung für die individuellen Menschenrechte in Afrika?
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung geht mit ihrer Politik in Afrika einen gefährlichen Weg. Selbst wenn diese Politik Erfolg haben sollte, wird ihr Ergebnis wahrscheinlich nicht darin bestehen, daß weiße Minderheitsregierungen durch schwarze Mehrheitsregierungen abgelöst werden, sondern darin, daß eine Ablösung durch radikale Minderheitsregierungen stattfindet, d. h. durch eine neue Diktatur, eine Diktatur der schwarzen Minderheit.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, diesen Weg wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht mit Ihnen gehen.
Die Bundesregierung kann auch nicht länger einfach darüber hinweggehen, daß es einem großen Teil der Länder, die Frau Schlei vorhin genannt hat, und der Befreiungsbewegungen, die diese Bundesregierung unterstützt, nicht nur um die Beseitigung der Rassendiskriminierung geht. Als Beispiel können hier die Äußerungen des tansanischen Außenministers Kaduma, den Frau Schlei vorhin erwähnte, anläßlich seines DDR-Besuches am 16. September 1976 gelten. Kaduma sagte dort:Der Kampf um die Beseitigung der Rassendiskriminierung wird zusammen mit dem Kampf gegen den Imperialismus geführt, der die Rassendiskriminierung erst hervorbringt.Er fuhr fort:Zum Erkennen dieser Zusammenhänge braucht man einen tieferen Einblick in die Lehre vom Klassenkampf. Dieser Kampf muß weitergeführt werden gegen den Imperialismus,
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2660 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. Todenhöfer— und damit ist auch die Bundesrepublik Deutschland gemeint —der auf neokolonialistische Weise sichern möchte, daß die Monopole die Einwohner dieser Länder weiter ausbeuten können.Dies sind Zitate der Gesprächspartner, auf die sich die Bundesregierung offensichtlich stützt.
Noch deutlicher wurde der jüngste Gast von Außenminister Genscher und von Entwicklungsminister Schlei, der eben zitierte Präsident der rhodesischen Befreiungsbewegung Zapu, Nkomo. Nkomo, Empfänger deutscher humanitärer Hilfe, erklärte am 9. März 1977 im DDR-Fernsehen — man sollte sich diese Worte ganz genau anhören, wenn man seine Gesprächspartner hier so lobt, wie das die Ministerin getan hat —:Wir betrachten die SED als eine revolutionäre Bewegung ... Der Vorsitzende des Staatsrates— also Herr Honecker —war eingekerkert wie auch wir in Zimbabwe eingekerkert waren . ..; aber ungebrochen ist er für seine Prinzipien eingestanden, für die Menschenrechte und für den Kampf gegen Rassismus und Imperialismus. Wir arbeiten also zusammen mit Menschen, die ähnliche Vorstellungen und Ideen wie wir haben ... Wir arbeiten zusammen gegen die gemeinsamen Feinde. Wir— so Nkomo, Gesprächspartner und Freund von Minister Schlei —schöpfen aus dem Schatz der Erfahrungen der SED im Kampf gegen Faschismus, Rassismus und Imperialismus ... Wir kämpfen für die gleichen Rechte und für die ... gleichen Ziele.Meine Damen und Herren, die Organisation dieses Mannes ist — ich wiederhole es — nicht nur Gesprächspartner von Frau Schlei, sondern auch Empfänger deutscher humanitärer Hilfe. Das ist ein Skandal.
Hier überschneidet sich der Nord-Süd-Konflikt in gefährlicher Weise mit dem Ost-West-Konflikt. Diese Problematik verlangt von der Außenpolitik der westlichen Industrieländer und von der Bundesregierung — dazu fordern wir sie hier auf — eine viel aktivere und viel offensivere geistige Auseinandersetzung mit der gesamten Dritten Welt, und sie fordert ein viel stärkeres Engagement für die individuellen Menschenrechte gegenüber einem sozialistischen Menschenrechtsbegriff, in dem der einzelne und sein Recht nichts mehr gilt.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum zweiten Thema, zu der Frage der entwicklungspolitischen Diskussion über den Nord-Süd-Dialog kommen. Zentrales Thema dieser wirtschaftlichen Diskussion ist die Forderung der Entwicklungsländer nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung. Die neue Weltwirtschaftsordnung und vor allem das Integrierte Rohstoffprogramm sollen einen Einkommenstransfer erzwingen, den der Markt nicht hergibt und zu dem die Industrieländer bisher in Form von Entwicklungshilfe nicht bereit waren.Die Union hat als Alternative zu einer planwirtschaftlichen neuen Weltwirtschaftsordnung mehrfach Vorschläge zur schrittweisen Verwirklichung einer Internationalen Sozialen Marktwirtschaft vorgelegt.
— Das brauchen Sie nur nachzulesen.Die Bundesregierung hingegen hat, nicht zuletzt auf Grund ihrer inneren Zerstrittenheit, eine rein defensive und hinhaltende Taktik angewandt. Sie hat nicht agiert, sondern hat immer nur reagiert. Das Ergebnis war und ist eine Art Echternacher Springprozession in den internationalen Dirigismus, die ihren vorläufigen Höhepunkt bei der Abschlußkonferenz des Nord-Süd-Dialogs in Paris gefunden hat.
Meine Damen und Herren von der Regierung, das einzige Kompliment, das ich Ihnen hier machen kann, bezieht sich auf die Eleganz, mit der es Ihnen gelungen ist, davon abzulenken, daß diese Konferenz für Sie ein einziges Fiasko war. „Die Zeit", eine Zeitung, die Ihnen etwas näher stehen dürfte als uns, hat dies in einem Artikel vom 10. Juni dieses Jahres mit den treffenden Worten charakterisiert: „Die Bundesregierung hat Positionen geräumt ... , die sie anderthalb Jahre lang als essentials, als lebenswichtig verteidigt hat."Das gilt insbesondere für den wichtigsten Punkt dieser Konferenz, den sogenannten Gemeinsamen Fonds, das zentrale Instrument des von den Entwicklungsländern geforderten internationalen Rohstoffdirigismus. Die Bundesregierung hat entgegen allen Beteuerungen vor dieser Konferenz zusammen mit den übrigen Industrieländern nunmehr eindeutig die Zustimmung zur Errichtung des Gemeinsamen Fonds als „Schlüsselinstrument" zur Erreichung der Ziele des Integrierten Rohstoffprogramms gegeben. Von der Idee des Bundeskanzlers, eine bloße Verrechnungsstelle, eine Clearingstelle ohne eigene Mittel und ohne eigenes Management zu errichten, ist heute keine Rede mehr. Um wiederum mit der „Zeit" zu sprechen:Interpretationskünste nützen jetzt nichts mehr, der Text des Schlußdokuments von Paris ist zu eindeutig formuliert. Formulierungshelfer war Hans-Dietrich Genscher.Damit hat die Bundesregierung in diesem Punkt eindeutig den antiliberalen Kurs des Vorsitzenden der Freien Demokratischen Partei, des Außenministers Genscher, übernommen.Die Pariser Konferenz hat nach Auffassung aller Beobachter endgültig bewiesen, daß für Außenminister Genscher eine freiheitliche, liberale Weltwirtschaftsordnung einen geringeren Stellenwert hat als das einheitliche Auftreten der EG nach außen. Der sogenannte EG-Verbund ist für den deutschen
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Dr. TodenhöferAußenminister offensichtlich wichtiger als die Inhalte der EG-Politik, auch dort, wo diese Inhalte eindeutig antiliberalen Charakter haben. Das muß man der FDP einmal deutlich ins Stammbuch schreiben.Daß Wirtschaftsminister Friderichs keinen Widerstand leisten würde, war vorauszusehen. Der Autor des Buches „Mut zum Markt" hat sich längst aus der ordnungspolitischen Diskussion um die neue Weltwirtschaftsordnung abgemeldet, um Schwierigkeiten mit seinem Parteivorsitzenden aus dem Weg zu gehen.Eindeutiger Verlierer der Pariser Nord-Süd-Konferenz aber war Bundeskanzler Schmidt, der sich noch auf dem Londoner Gipfel wegen seiner marktwirtschaftlichen Haltung feiern ließ. Er mußte, wiederum laut „Zeit", „tatenlos zusehen, wie die Flagge der Marktwirtschaft ... samt ihrem Träger im Sumpf dirigistischer Vorstellungen untergegangen ist".Auch von den Gegenleistungen der Entwicklungsländer wie der Sicherung von Privatinvestitionen in Entwicklungsländern, der Verbesserung der Versorgungssicherheit der Industrieländer im Rohstoffbereich oder einem ständigen energiepolitischen Konsultationsmechanismus zwischen Verbraucher- und Erzeugerländern, die Bundeskanzler Schmidt noch in London auf dem Gipfel als „essentials" in die westliche Position eingebracht hatte, war in Paris keine Rede mehr.
Auch dies ist letztlich ein Ergebnis der rein defensiven Verhandlungsstrategie des Bundeskanzlers, der immer erst dann aktiv wurde, wenn es längst zu spät war.
Die Bundesregierung ist in der Nord-Süd-Politik den Ereignissen immer nur hinterhergelaufen und läuft heute noch hinterher.
Meine Damen und Herren, ich hätte in diesem Zusammenhang natürlich gerne etwas zur Entwicklungspolitik der Entwicklungshilfeministerin Frau Schlei gesagt. Leider läßt sich hierzu nichts Erwähnenswertes sagen außer der Tatsache, daß Entwicklungspolitik heute weitgehend am Entwicklungsminister vorbei gemacht wird. Aber auch dafür ist in erster Linie der Bundeskanzler dieses Landes verantwortlich. Kein Kanzler dieses Landes ist mit dem Entwicklungsministerium so umgesprungen, wie Bundeskanzler Schmidt dies getan hat.
Das Traurige hieran, meine Damen und Herren von der Regierung, ist,
[SPD] : Sie sagen wieder
einmal nichts Neues! — Zurufe von derSPD)daß nicht nur die Regierung die Folgen, sondern daß wir alle die Folgen tragen müssen.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Holtz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Entwicklungspolitik geht es um die Verbesserung der konkreten Lebensbedingungen für die Menschen in der Dritten Welt. Dazu haben wir von Ihnen nichts gehört. Das läßt Sie anscheinend kalt. Schade!
Die beiden Koalitionsfraktionen haben bei den Beratungen des diesjährigen Entwicklungshilfeetats zum Teil beträchtliche Erhöhungen durchgesetzt. Damit haben wir auch deutlich unsere Unterstützung für Bundesminister Marie Schlei und ihrer Politik unterstrichen.
Die Opposition hat weitgehend auf eigene Vorschläge verzichtet, wenn man von einigen seltsamen Kürzungsvorschlägen absieht, deren politische Begründung noch aus der La-Tène-Zeit — Hallstein-Zeit müssen wir heute sagen — stammt. Sie ist wieder einmal auch in der Entwicklungspolitik hinter der Koalition hergelaufen, ohne konkrete Alternativen auf den Tisch zu legen.
Herr Kollege Holtz, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wir hatten vereinbart, daß wir auf Zwischenfragen verzichten.Das gilt auch für die deutsche Afrika-Politik. Gemeinsam mit der Bundesregierung haben SPD und FDP beharrlich darauf hingearbeitet, die Voraussetzungen für eine konstruktive Lösung des Konflikts im südlichen Afrika zu schaffen. Wir begrüßen deshalb auch ausdrücklich die Bereitschaft der von Helmut Schmidt geführten Bundesregierung, die Entwicklungshilfe für die Konfliktrandstaaten im südlichen Afrika zu erhöhen. Dies trägt zur Erfüllung sozialer und politischer Menschenrechte bei.
Beide Koalitionsfraktionen stehen voll hinter den Gesprächen, die die Bundesregierung mit verschiedenen Führern der afrikanischen Befreiungsbewegungen eingeleitet hat. Was sollen denn eigentlich Zitate von Leuten, mit denen Regierungsmitglieder oder Koalitionsabgeordnete sprechen? Sollen wir jetzt hier anfangen Mao zu zitieren, um die Haltung von Strauß zu verdeutlichen?
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2662 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. HoltzDie Bundesregierung findet sich bei dieser Politik im Einklang mit der amerikanischen Regierung und den Regierungen anderer westlicher Staaten. Gestern haben Sie, Herr Kollege Kohl, schön von den Menschenrechten gesprochen, Arm in Arm mit Carter. Aber der Kampf für die Menschenrechte ist unteilbar. Bitte, folgen Sie doch auch hier der Carter-Administration.
Die Bundesregierung befindet sich auch im Einklang mit dem, was die Kirchen und das Internationale Rote Kreuz in diesem Raum betreiben. Wir befinden uns allerdings im Mißklang mit Ihnen; das nehmen wir in Kauf.
Wer den Frieden will, muß das Gespräch suchen. Meine Fraktion dankt deshalb Bundesminister Frau Schlei dafür, daß es ihr gelungen ist, unsere Kontakte zu den Vertretern der unabhängigen Regierungen von morgen auf die Ebene zu bringen, auf der allein eine erfolgreiche Politik möglich ist.
Das ist das Entscheidende.
Hybride Gebilde zu unterstützen, etwa in der Republik Südafrika die Homelands, wie die Transkei, diese Politik können wir nicht unterstützen, weil wir der Auffassung sind, daß das nur zu einer Konfliktverschärfung in der Republik Südafrika führen würde.
Außerdem ist die Opposition ein schlechter Ratgeber, was diese Problematik angeht. Wir erinnern uns an Portugal. Portugal wurde vorschnell als ein Vorposten Moskaus abgestempelt. Erst mit der entschiedenen Hilfe der Bundesregierung, der EG, der verschiedenen, auch der sozialdemokratischen Parteien ist dort die Entfaltung zu einer pluralistischen Demokratie möglich geworden.
Den von Teilen der Opposition geforderten entwicklungspolitischen Radikalenerlaß lehnen wir ab.
Wir denken nicht daran, der Auseinandersetzung mit Kommunisten auszuweichen oder davonzulaufen. Das, was einige von Ihnen von sich geben, ist Defätismus reinster Art: Die Kommunisten bestimmen, wo wir unsere Fahne abziehen. Dieser Politik können wir nicht folgen.
Wer heute immer noch die zum Teil diffamierende Berichterstattung über die Afrika-Reise der Ministerin zum Anlaß nimmt, gegen ihre zukunftsweisende Afrika-Politik zu polemisieren,
der zeigt, daß er die Inhalte dieser Politik ablehnt. Dagegen wird sich die Koalition entschieden zur Wehr setzen und die Anträge ablehnen.
Auf dem Weg zu einer leistungsfähigen, solidarischen Weltwirtschaftsordnung wurden besonders in diesem Jahr dank der Initiative der Bundesregierung auf dem Londoner Gipfel und dem Pariser Nord-Süd-Dialog in Abstimmung mit den anderen Industriestaaten Fortschritte erzielt. Fortschritte in Richtung auf einen fairen Interessenausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern waren auch deshalb möglich, weil man auf den ideologischen Grabenkrieg verzichtet hat, der zu nichts führt. Ihr Rezept, einen ordnungspolitischen Kreuzzug gegen die Welt zu führen, gleicht dem Versuch, dem Patienten Weltwirtschaft anstatt der richtigen Medizin Mikroben einzuflößen; er wird auf der Strecke bleiben.
Die Industriestaaten haben erkannt, daß rohstoffpolitische Instrumente wie Rohstoffabkommen mit Ausgleichslagern, einem gemeinsamen Fonds oder der Exporterlösstabilisierung nicht isoliert voneinander zu sehen sind, sondern daß sie sich gegenseitig ergänzen. Dies sind wichtige Elemente einer leistungsfähigen solidarischen Weltwirtschaftsordnung. Die Entwicklungsländer haben ihrerseits weithin darauf verzichtet, Maximalforderungen vorzutragen.Die Entschlossenheit des Parlaments, seiner entwicklungspolitischen Verantwortung gerecht zu werden, kommt in besonders hohem Maß in der Resonanz zum Ausdruck, die das Hearing zur Rohstoffpolitik gefunden hat, das der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit gemeinsam mit dem Auswärtigen Ausschuß und dem Wirtschaftsausschuß durchgeführt hat.Ein wichtiges Ergebnis dieser Anhörung ist, daß über die Bedeutung der Rohstoffpolitik als Bestandteil einer umfassenden Nord-Süd-Politik kein Zweifel besteht. Die Anhörung hat auch jener Kritik den Boden entzogen, die glaubte, die Bundesregierung mit pauschalen Vorurteilen vor einer aktiven Rohstoffpolitik warnen zu müssen. Insgesamt hat das Hearing die Rohstoffpolitik der Bundesregierung als realistisch und verantwortungsbewußt bestätigt.Den Versuch, eine leistungsfähige solidarische Weltwirtschaftsordnung aufzubauen, nennen wir wirtschaftliche und soziale Entspannung. Sie ist genauso nötig wie die militärische und die politische Entspannung.
Trotz der erfreulichen Haushaltsbeschlüsse halten sich die Leistungen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Dritten Welt, gemessen an ihrer Leistungsfähigkeit, in einem mittelmäßigen Rahmen. Dabei bin ich mir der vielfältigen internationalen Leistungen der Bundesrepublik Deutschland und der wirtschaftlich schwierigen Lage unseres Landes vollauf bewußt. Dennoch ist die Bundes-
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Dr. Holtzrepublik Deutschland im internationalen Vergleich eine der stabilsten und wohlhabendsten Nationen, die alle Krisensituationen der letzten Jahre vergleichsweise gut gemeistert hat.Wir dürfen deshalb nicht zulassen, daß sich für unsere entwicklungspolitischen Anstrengungen eine Tradition falscher Bescheidenheit herausbildet. Die Verhinderung einer solchen Tradition sehe ich als eine Pflicht des Parlaments an. Wir müssen uns der Verantwortung stellen, an die uns das Urteil des Bundesverfassungsgerichts so nachdrücklich erinnert hat:
Das Budgetrecht ist die vornehmste Aufgabe des Parlaments.Niemand von der Opposition sollte an dieser Stelle Anlaß zur Selbstgerechtigkeit haben. Auf praktikable Erhöhungsvorschläge von Ihnen haben wir vergeblich gewartet.
Es ist eben eine Sache, als Privatmann für die Erhöhung der Entwicklungshilfe einzutreten, und eine andere Sache, sie in der Fraktion durchzusetzen.Lassen Sie mich hinzufügen: Die Opposition hält die Bundesregierung ständig zu verstärkten Leistungen im internationalen Bereich und auch im EG-Bereich an. Sie verweigert aber dem Bund die notwendigen Finanzmittel. Mit dieser Politik setzen Sie Ihre Glaubwürdigkeit national wie international aufs Spiel.
Lassen Sie mich ein Wort anschließen, weil eben der Finanzminister von Niedersachsen hier anwesend war. Der Ausschuß hat sich im April mit den Leistungen der Bundesländer für die Entwicklungszusammenarbeit befaßt und dabei festgestellt, daß die freiwilligen Leistungen stark zurückgegangen sind. Wir haben dies bedauert. Allerdings gibt es rühmliche Ausnahmen, die ich hier erwähnen will, z. B. das Land Bremen, das in vorbildlicher Weise wachsende Beträge zur Verfügung stellt.Das Parlament muß stärker als bisher zur Übernahme von Verantwortung für die Ausgabe und Kontrolle unserer Entwicklungshilfe bereit sein. Wir dürfen nicht zulassen, daß das Vorurteil vom goldenen Bett durch den Vorwurf der goldenen Worte verstärkt wird, denen keine Taten folgen.Deshalb werden bei uns folgende Vorschläge und Anregungen diskutiert:Erstens. Ein Gesetz zur Entwicklungszusammenarbeit, in dem die Grundlagen unserer Entwicklungspolitik geregelt werden sollen.Zweitens. Wiederverwendung der aus den Kapitalhilfekrediten herrührenden Zinsen für Projekte in der Dritten Welt.Drittens. Eröffnung neuer Wege zur Bereitstellung der notwendigen Mittel, z. B. durch eine verstärkte Mobilisierung von ERP-Mitteln zugunsten der Entwicklungsländer.Viertens. Stärkere parlamentarische Mitgestaltung bei der Durchführung der Entwicklungspolitik. Dies ist unerläßlich. Wenn wir den Deutschen Steuerzahler von der Notwendigkeit größerer Entwicklungsanstrengungen überzeugen wollen, müssen wir sicher sein, daß jede Mark so gut wie möglich ausgegeben wird.Fünftens. Ein umfassender Marshall-Plan aller Industriestaaten für die Dritte Welt.
Es geht nicht nur darum, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, sondern auch darum, die vielfältigen, zum Teil disparaten Anstrengungen aller einzelnen Industrienationen in Ost und West zu kombinieren, um zu erreichen, daß wir die Probleme und Nöte der Länder der Dritten Welt wirklich lösen können.
Die Südpolitik — ich meine nicht nur die enge Entwicklungshilfe — ist der Versuch, die dauernde soziale und wirtschaftliche Krise in vielen Teilen der Dritten Welt zu bekämpfen, um den explosiven Ausbruch zum eigenen Schaden zu verhindern. Sie muß sich daher einer Friedenspolitik im doppelten Sinne verpflichtet wissen: einmal direkt und indirekt alles zu unterlassen, was dazu führen könnte, daß die Militarisierung in der Dritten Welt weiter zunimmt — gestern wurde darüber gesprochen —, zum andern strukturelle Gewalt abzubauen und soziale Gerechtigkeit im Weltmaßstab mit schaffen zu helfen.
Es bleibt die schwierige Aufgabe, aus den vielfältigen Krisenerscheinungen heraus ein Konzept durchzusetzen, das allen Menschen zugute kommt und nicht die Länder begünstigt, die bisher schon die Macht hatten, die Geschicke der Welt weitgehend nach eigenem Gutdünken zu steuern.Die sozialliberale Koalition packt diese Aufgabe entschlossen an.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Für mich war der Beitrag von Herrn Todenhöfer der Versuch, die gegenüber seinem Fraktionsführer geäußerte Kritik an seiner Haltung gegenüber der FDP am Beispiel seiner entwicklungspolitischen Vorstellungen hier vorzuführen. Ich halte es für die Aufgabe der Opposition, über die beiden Strategien — Strategie Todenhöfer oder Strategie Biedenkopf — zu urteilen. Ich persönlich bevorzuge die sachliche Art von Herrn Biedenkopf gegenüber der Polemik von Herrn Todenhöfer.
Lassen Sie mich kurz auf den uns vorliegenden Haushalt eingehen. Ich kann Ihnen ganz offen sagen: vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung akzeptierten internationalen Verpflichtung,
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2664 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. Vohrer0,7 % des Bruttosozialprodukts für die öffentliche Entwicklungshilfe bereitzustellen, kann das Haushaltsvolumen 1977 mit 3,25 Milliarden DM oder 0,3 % des Bruttosozialprodukts keinen Entwicklungspolitiker erfreuen. Auch die Finanzplanung läßt keinen grundsätzlichen Wandel in diesem Bereich erkennen. Die Zahlen, die nur zwischen 0,3 und 0,32 % für die kommenden Jahre schwanken, sind für uns unzureichende Ansätze.Dennoch gibt es auch einige erfreuliche Aspekte des Einzelplans 23. So soll hier erwähnt werden, daß die Steigerungsrate mit 7,12 % deutlicher über der durchschnittlichen Steigerungsrate des Bundeshaushalts liegt. Insbesondere können die Verpflichtungsermächtigungen, die sich in den vergangenen Jahren — von 1976 mit 3,1 Milliarden jetzt auf den Betrag von 6,2 Milliarden — verdoppelt haben, als ein erfreulicher Aspekt gewertet werden.Ich möchte auch meinen Dank dem Haushaltsausschuß ganz deutlich zum Ausdruck bringen, der in der Entwicklungspolitik kein Streichkonzert veranstaltete, sondern die Baransätze ebenso wie die Verpflichtungsermächtigungen im Verlaufe der Beratungen aufgestockt hat.
Ich komme zu dem Ergebnis, daß die Bedeutung der Entwicklungspolitik deutlicher als bisher herausgestellt werden muß, und zwar nicht als Residualgröße und nicht als abhängige Variable der jeweiligen inländischen Konjunktur oder der jeweiligen Finanzlage des Bundes. Der Haushalt muß Beweis für den politischen Stellenwert sein, den wir der Entwicklungspolitik einräumen.Daneben eröffnen die Anstrengungen bei den Verpflichtungsermächtigungen, die sich, wie gesagt, verdoppelt haben, die Möglichkeit, Projekte langfristig und umfassend zu planen. Wir können auf dem Weg entwicklungspolitische Pannen zukünftig vermeiden, wenn wir die rechtzeitige und umfassende Planung und Kontrolle gewährleisten.
Die Verpflichtungsermächtigungen lassen auch einen Schritt in Richtung auf das 0,7 %-Ziel erkennen. Ich kann Ihnen nur versichern, daß unsere Haltung und die Glaubwürdigkeit dieser Regierung an den Anstrengungen gemessen werden, diesem Ziel näher zu kommen. Ich halte es für dringend erforderlich, daß den Verpflichtungsermächtigungen als nächster Schritt die Anhebung der Finanzplanung folgt.
Meine Damen und Herren, die traditionelle Entwicklungspolitik ist e i n Instrument in einem ganzen Instrumentenkasten geworden, wobei der Modetrend derzeit auf eine Unterbewertung der klassischen Entwicklungspolitik hinausläuft. Dies ist sicherlich nicht gerechtfertigt, aber die Diskussion geht in stärkerem Maße auf Komplexe wie Weltwirtschaftsordnung und auf all die weiteren Maßnahmen hin, die damit verbunden sind. Deshalb halte ich es für wichtig, daß hier der gesamte Maßnahmenkatalog einmal dargestellt wird. Für uns Liberale sind private Investitionen in Entwicklungsländern eine wichtige Maßnahme. Es gilt hier, die Voraussetzungen zu schaffen, daß solche private Investitionen auch erfolgreich sein können, daß das Investitionsklima und die Investitionssicherheit verbessert werden. Wir halten die Offnung der Märkte für einen Punkt, der nicht vernachlässigt werden darf, der aber auch auf die inländische konjunkturelle und beschäftigungspolitische Situation Rücksicht nehmen muß. Daneben sehen wir den ganzen Komplex der Stabilisierung der Rohstoffpreise, den Gemeinsamen Fonds und die Exporterlösstabilisierung als Elemente einer umfassenden Dritte-Welt-Politik, als Elemente einer entwicklungspolitischen Konzeption.Wenn hier immer wieder von der Opposition der Vorwurf vorgetragen wird, diese Koalition sei ohne entwicklungspolitische Konzeption, dann kann man nur zu dem Ergebnis kommen, daß Leute wie Herr Todenhöfer, die fordern, daß eine umfassende Konzeption vorgelegt werde, nicht darüber informiert sind, daß es gar nicht mehr eine nationale Frage ist, hier eine Konzeption zu erarbeiten. Eine entwicklungspolitische Konzeption wird im Verlauf internationaler Konferenzen festgeschrieben. Es ist nicht die Aufgabe einer Fraktion oder einer Partei oder der Koalition, hier in Klausur zu gehen, um am Ende an die Offentlichkeit zu treten und zu sagen: Hier haben wir unsere gemeinsame Konzeption erarbeitet, die wir durchsetzen wollen. Es ist ein langer Weg schwieriger Verhandlungen, der uns über New York, Nairobi, Rom, London, Paris, um hier nur die Tagungsorte der verschiedenen Konferenzen kurz zu nennen, zu dem jetzigen Stand der Diskussion geführt hat. Es werden laufend weitere Gespräche geführt: jetzt in Genf über einzelne Rohstoffabkommen, im Herbst in der UN-Sondergeneralversammlung und bei den GATT-Verhandlungen. An allen internationalen Fronten wird an der Konkretisierung der Elemente gearbeitet. Es wäre dringend erforderlich, daß sich die Opposition auch einmal vergegenwärtigt, daß wir darauf angewiesen sind, uns auf europäischer Ebene abzustimmen. Es mutet geradezu grotesk an, wenn einerseits von der Opposition uns der Vorwurf gemacht wird, wir stützten uns zu stark auf unsere europäischen Nachbarn, wir führten hier zuviel europäischen Konsens herbei und legten zu wenige eigenständige Positionen vor. Sie sind doch die Partei, die draußen den Eindruck erwecken möchte, als hätten Sie den Europa-Gedanken erfunden. Wenn wir ihn in der Koordination im Bereich der Entwicklungspolitik praktizieren, dann sollten Sie dies nicht kritisieren.
Herr Biedenkopf sagte — übrigens nicht in dem oft zitierten Interview im Deutschlandfunk, sondern in den „Bonner Perspektiven" des ZDF bei seiner Antwort auf die Frage nach seiner Beurteilung des Verhandlungsergebnisses der Pariser Gespräche, des Nord-Süd-Dialogs —: Es ist ganz selbstverständlich; wir gehen mit unserer Vorstellung in Verhandlungen hinein, die andere Seite hat andere Vorstellungen; man kommt mit einem Kompromiß heraus. Das hat Herrn Biedenkopf dazu veranlaßt,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2665
Dr. Vohrerganz deutlich zu machen, daß er genau wie die Bundesregierung in Paris verhandelt hätte.
Dann kommt Herr Todenhöfer hierher und sagt uns, es sei fatal, daß die Bundesregierung eine Position nach der anderen aufgebe — Herr Werner, Sie bestätigen es —, daß man in der Salami-Taktik Positionen verkaufe oder daß man umfalle. Ich habe immer den Eindruck, daß Sie völlig verkennen, was auf den internationalen Konferenzen vor sich geht, obwohl Sie sich ja permanent am Rande der Konferenzen aufhalten.
Sie wissen, daß es für die 77 Länder leichter ist, sich einer Maximalforderung anzuschließen, als für die Entwicklungsländer, eine abgewogene, gemeinsame Linie, die unsere Glaubwürdigkeit gewährleistet, in die Verhandlungen einzubringen.Um zu Ihrem 2. Vorwurf zu kommen: Wir sehen die Gefahren, die in einer dirigistischen Weltwirtschaftsordnung liegen. Aber die jetzigen Elemente schreiben diesen Dirigismus nicht fest. Ich hielte es für viel sinnvoller, wenn sich die Opposition jetzt mit uns über die Ausgestaltung der Elemente, die ja nur einen Rahmen darstellen, unterhalten würde, damit die Weltwirtschaftsordnung gerade nicht dirigistisch wird, damit sie mit unserer sozialen Marktwirtschaft in Einklang gebracht werden kann. Wir lehnen doch die Indexierung ab. Wir sind doch ganz eindeutig gegen Verbote von Substitutionsprodukten, wir versuchen alles, um zu verhindern, daß wir über Rohstoffabkommen das Brüsseler Modell des Agrardirigismus kopieren. Aber warum kommen Sie nicht mit einem konstruktiven Ansatz, damit wir im Rahmen der jetzigen gemeinsamen Linie der westlichen Industrienationen zu einem Ergebnis kommen, das es uns erlaubt, den Ressourcentransfer mit den Entwicklungsländern in einer fairen Weise zu bewerkstelligen und mit den Entwicklungsländern gemeinsam eine Position zu erarbeiten, die den Weltrohstoffdirigismus verhindert?Ich bin der Ansicht, daß Sie mit Ihrem Erlösstabilisierungsmodell ordnungspolitisch mehr Schwierigkeiten schaffen, als dies bei vernünftig ausgehandelten Rohstoffabkommen der Fall wäre. Deshalb bitte ich Sie sehr, meine Damen und Herren von der Opposition, zu der Linie, die heute vorgetragen wurde, einen konstruktiven Beitrag zu leisten und nicht im Bremserhäuschen zu verharren.
Das Wort hat der Abgeordnete Köhler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eingangs ein Wort zum Verlauf der heutigen Debatte sagen, weil ich glaube, daß sie der nachdrücklichste Beweis dafür ist, wieviel wir miteinander aufzuarbeiten haben. Ich bin froh, daß uns die Große Anfrage meiner Fraktion sehr bald dazu Gelegenheit geben wird, das zu tun.
Es kann eben einfach nicht genügen, daß hier, nachdem es in diesem Lande seit Konrad Adenauers und Ludwig Erhards Zeiten 15 Jahre Entwicklungspolitik gibt, noch einmal die hehren Zielsetzungen jeder denkbaren Entwicklungspolitik in großer Breite dargelegt werden, wo wir doch alle wissen, daß das eigentliche Problem in dem Widerstreit zwischen diesen Zielsetzungen und der unerhört schwierigen Realität liegt, auf dem Feld, auf dem sich Entwicklungspolitik täglich zu entscheiden hat. Ich hätte dazu sehr gerne von der Regierung etwas gehört.
Ich habe von der Regierung nur das gehört — Herr Holtz, auf Sie komme ich gleich noch zu sprechen —, was wir alle schon lange wissen.
Ich bedaure sehr, verehrter Kollege Holtz, daß Sie es heute offenbar als Ihr Ziel angesehen haben — wie auch schon ein anderes Mal —, uns das, was Sie im Ausschuß als dessen Vorsitzender an polemischer Kraft nicht entfalten können, im Plenum zu servieren.
Ich glaube, das kann ich dem Kollegen Holtz in aller Gemütsruhe sagen. Er hat damit nämlich sehr geschickt das überspielt, was er hier ruhig klar hätte sagen dürfen, wenn wir tatsächlich gemeinsam um diese Sache ringen wollen: daß ihm wie mir der gegenwärtige Zustand der Entwicklungspolitik nicht ausreichend erscheint, daß wir voran wollen, daß es Probleme gibt. Sie haben das übertüncht, indem Sie, ohne sich zu Zeit- und Finanzfragen zu äußern, ein Programm der Zukunft entwickelt haben, von dem Sie seit geraumer Zeit träumen.
— Herr Kollege, beruhigen Sie sich; es kommt noch mehr.Wir haben noch manches Erstaunliche mehr gehört; damit möchte ich dem Kollegen Vohrer ein Wort sagen. Herr Vohrer, ich finde es bemerkenswert, wenn Sie uns sagen, daß Programme, Konzeptionen auf Parteiebene, auf nationaler Ebene eigentlich nicht mehr zur Sprache ständen, daß das auf europäischer Ebene geschehen müsse. Ich hoffe, daß die SPD daraufhin ihren geplanten entwicklungspolitischen Kongreß absagt. Wir haben das ja noch rechtzeitig gemacht, wenn ich dem folgen darf: zu dem Zeitpunkt, als Ihre Partei durch den Mund Ihres Sprechers Schleifenbaum hier erklärte, daß Sie sich um dasselbe bemühten, übrigens ohne damit fertig zu werden.
Aber wenn dem so ist, wie Sie sagen, Herr Vohrer,wäre es doch eine ganze Menge wert gewesen, wennSie uns hier auch erzählt hätten, wie es denn wohl
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2666 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. Köhler
kommt, daß die Freske der Europäischen Gemeinschaft zum Thema der weltweiten Öffnung der europäischen Entwicklungspolitik zwar in großem Einvernehmen akzeptiert worden ist, daß aber, wie wir im Ausschuß zehn- und zwanzigmal besprochen haben, diese Regierung dafür die nötigen Geldmittel nicht bereitgestellt hat, weil sie Bedenken hat, weitere Fonds zu schaffen. Damit aber ist das Ganze im Ansatz stecken geblieben.
Herr Vohrer, über dieses Schlachtfeld sind wir manches Mal gegangen, und ich habe dort nie Ihre blaugelbe Fahne wehen sehen.Meine Damen und Herren, ich halte es für sehr wichtig, trotz der Kürze der Zeit noch ein Wort darüber zu sagen, daß bei aller Bedeutung des Themas Afrikapolitik, bei aller Bedeutung des Themas Weltwirtschaftsordnung, bei aller Bedeutung des Themas Rohstoffpolitik damit automatisch — und das müssen wir bei diesem Haushaltsplan einfach ansprechen — das Thema Entwicklung noch nicht erschöpft ist. Alle diese Dinge heißen nicht automatisch Entwicklung. Deswegen ist es nicht so gut, wenn wir hier die Außenwirtschaft zu sehr 'in den Vordergrund rücken.Ich bin übrigens erstaunt über einige Wendungen — das darf ich Ihnen, lieber Herr Holtz, in aller Freundschaft auch einmal sagen —: Ihr Bekenntnis zur Rohstoffpolitik hier hätte, als wir es vor zwei, zweieinhalb Jahren ansprachen, im Kreise Ihrer Freunde noch helles Entsetzen hervorgerufen. Und es ist ein Minister Ihrer Fraktion gewesen, der den Dialog über die weltwirtschaftlichen Probleme, die auf uns zukamen, bis zu seinem Rücktritt im Sommer 1974 strikt verweigert hat.Aber lassen Sie uns über Entwicklung sprechen! Denn in dem Maße, wie die Rohstoffmärkte politisiert worden sind, wie Konfrontation und Härte ins Gespräch gekommen sind, ist es meine — und nicht nur meine — Furcht, daß die 'Diskussion über das, was Entwicklung bedeutet und was Kern der Entwicklungspolitik ist, zurückgetreten, ins Abseits geraten ist. Zusammenarbeit zum Zwecke der Entwicklung kann da, wo Entwicklung nicht — wie im Falle China — eine rein innere Angelegenheit sein soll, doch nur bedeuten, daß man den Zustand gegenseitiger Abhängigkeit anerkennt, daß man bereit ist, diese Abhängigkeit miteinander zu gestalten und zu optimieren, aufeinander zuzuarbeiten und miteinander in ehrlicher Weise und in Partnerschaft die Probleme auszutragen. Dieses Gespräch der Entwicklungspolitik scheint mir weltweit darunter zu leiden, daß es immer mehr zu Fraktionierungen kommt, immer mehr zu Machtblockbildungen, immer mehr zu dem Versuch, nur Umverteilung durchzusetzen, nicht aber Entwicklung zu betreiben.
In diesem Prozeß ist der entwicklungspolitische Spielraum in Wahrheit eingeengt worden. Deswegen müssen wir über seine Definition hier und heute von neuem reden. Der entwicklungspolitische Spielraum wurde kleiner, die Möglichkeit vielerEntwicklungsländer, in den weltpolitischen Spannungsfeldern zu ihrem vermeintlichen Nutzen zu manövrieren — mit der großen Gefahr, dabei von den großen Wölfen gefressen zu werden —, freilich ist größer geworden. Auf diese Weise hat — mein Kollege Todenhöfer hat darauf hingewiesen — das Ost-West-Spannungsfeld das Nord-Süd-Thema in weiten Bereichen in einer beklagenswerten Art überlagert. Die Definition dieses Nord-Süd-Spannungsfeldes ist letzten Endes nicht sauber. Wäre sie sauber, dann wäre auch der Ostblock in diesem Spannungsfeld eindeutig untergebracht. Aber er verweigert diese eindeutige Position. Er ist nur damit beschäftigt, zu schüren und die Situation für sich auszunutzen, wo immer er kann, eine Situation, die gerade entwicklungspolitischer Zielsetzung im höchsten Maße entgegenwirkt, die nachteilig ist.
— Ich habe das soeben durchaus gesagt; hier besteht kein Gegensatz.Vor diesem Hintergrund muß die Frage lauten: Wie ist die deutsche Antwort hier und heute konzeptionell im Sinne von Entwicklungspolitik beschaffen? Meine Damen und Herren, hier genügt uns nicht der Hinweis auf die in vieler Hinsicht gemeinplatzartigen und nicht operationalisierten Gymnicher Thesen, die uns hier nicht weitergebracht haben.
Egon Bahr hat das wahrscheinlich gespürt, als er in das Gespräch den Gedanken der Koexistenz hineinbrachte, den ich hier an dieser Stelle immer wieder als artfremd abgelehnt habe. Meine Auffassung hat sich in dieser Hinsicht nur noch gefestigt. Denn Koexistenz zwischen unseren Ländern und den Entwicklungsländern schafft eben nicht gemeinsame Grundlagen, schafft eben nicht gemeinsame Werte, sondern schafft ein Feld der Indifferenz, nicht der Partnerschaft, in der man zusammenarbeiten kann.
— Mag sein; dieses Vorrecht teile ich mit Ihnen, lieber Herr Holtz.
Die Zusammenarbeit zum Zwecke der Entwicklung setzt gewisse Minimalkonsense voraus. Ein solcher Minimalkonsens hätte vielleicht die UNO-Charta sein können, aber, meine Damen und Herren, wir wissen doch nur zu gut, daß sich unter ihr inzwischen fast alles und jedes verbirgt. Es sind verbale Zugeständnisse nicht tauglich, diesen Konsens zu schaffen. Die Vermeidung der Konfrontation, die seit der 6. Sondergeneralversammlung der UNO die deutsche Entwicklungspolitik und darüber hinaus auch die Außenpolitik immer wieder prägt, allein ist ebenfalls nicht konstruktiv-positiv in diesem Sinne, wie ich es hier fordere. Wenn ich die Eckdaten, über die wir hier reden müssen, nenne, ist nach den Beiträgen der Koalitionsredner heute morgen für mich freilich ein sehr banger Zweifel daran entstanden, ob wir mit „Friedenssicherung",Dr. Köhler
„Menschenwürde", „Menschenrecht" „sozialemFortschritt", „sozialer Gerechtigkeit" und „freiheitlicher Weltordnung" eigentlich noch dasselbe meinen. Ich habe mit Bestürzung gehört, daß wir hier in unserem Denken offenbar einigermaßen weit voneinander entfernt sind.
— Im Ausschuß ist es besser; aber wo auch immer, wir müssen dies miteinander austragen.Meine Damen und Herren, ich darf gerade im Hinblick auf die Freiheitbewegungen eines sagen: Als Bürger eines Landes, das in einer grauenvollen Weise gelernt hat, daß Krieg und kriegerische Auseinandersetzung zur Lösung von Problemen völlig untauglich sind, daß damit nur neue Probleme geschaffen werden, kann ich in keiner Weise — sei es direkt, sei es indirekt — denjenigen Vorschub leisten, die Waffengewalt zum Aufbau künftiger Weltordnungen für denkbar halten.
Herr Präsident, ich glaube, ich bin genötigt, allmählich zum Schluß zu kommen. — Ich bin überzeugt, daß wir auf diesem Feld von der Regierung eben nicht die klare konzeptionelle Antwort bekommen haben. Auch ihr Handeln — sei es die Anbiederung in Afrika, seien es völlig ungeschützte außenpolitische Äußerungen im entwicklungspolitischen Raum an anderer Stelle, wie es dem Bundesaußenminister in Liberia gelungen ist, sei es das verbale Bekenntnis zur Marktwirtschaft oder anderes — ist in vieler Hinsicht widersprüchlich und hilft uns hier nicht weiter. Wir müssen darüber reden, ob die Duldung einer europäischen Handels- und Handelsförderungspolitik, die mit immer mehr nichttarifären Hemmnissen die Entwicklungsländer allmählich zur Erregung treibt, mit unserer entwicklungspolitischen Grundlinie vereinbar ist. Darüber wird also zu reden sein.Ich habe schon auf die weltweite Öffnung der europäischen Entwicklungspolitik hingewiesen. Wir sehen immer wieder mit Sorge, daß diese Politik im Deklaratorischen steckengeblieben ist und daß sie die wahre Verantwortung der zweitgrößten Welthandelsnation für diese Welt nicht in der nötigen offensiven Weise geistiger Auseinandersetzung aufgenommen hat.
Dies hat in Wahrheit der Glaubwürdigkeit deutscher Entwicklungspolitik geschadet, eine Empfindung, die doch in der entwicklungspolitischen Fachwelt inzwischen allgemein verbreitet ist. Ob das daran liegt, daß es der gegenwärtigen Entwicklungspolitik in ihrer inneren Konsistenz an Überzeugungskraft mangelt, oder daran, daß der Kanzler in seiner Richtlinienkompetenz ihr nicht den nötigen Stellenwert zugewiesen hat, darüber kann man lange streiten; wahrscheinlich ist beides richtig.So verbleibt — leider Gottes muß ich es sagen — eine Politik des Weitermachens, eine Politik, die in sich in vieler Hinsicht verkrustet ist. Und das tut mir leid, weil ich weiß, wie viele Helfer, Experten, Institutionen und auch Beamte vesuchen, hier ihr Bestes zu tun. Diese Politik, die uns hier noch einmal kritisch beschäftigen müßte, ist leider Gottes in mancher Hinsicht auch beim Status der immerwährenden Friktionen des Ministeriums mit den Durchführungsorganisationen wie GTZ und DEG, über die hier heute gesprochen wurde, stehengeblieben.Mir fehlt — und meine Freunde denken genauso — in dieser Politik die Innovationskraft sowohl an Haupt wie auch an Gliedern.
Je weniger dieses Grundübel behoben wird, je weniger Prioritäten geklärt und die entscheidenden Fragen beantwortet werden, mit wem wir schwerpunktmäßig auf der Grundlage unserer Überzeugungen wie zusammenarbeiten wollen und mit wem nicht, um so mehr greifen in der Entwicklungspolitik außenpolitische, wirtschaftliche und andere Opportunitäten um sich. Da ist manches nebeneinander, was auch Sie, Kollege Holtz, wie ich weiß, schwer ertragen. Da werden ideologische Ansätze in Peru gefördert, da gibt es witzige Experimente, die über Ghana herumfliegen, da werden Freiheitssender unterstützt. Aber da wird auch eine Ihnen so verdrießliche kapitalistische Ordnung wie in Liberia unterstützt. Als Entwicklungspolitiker müssen Sie inzwischen sogar Waffenlieferungen an Länder wie z. B. Indonesien ertragen; dieses Land wollte Egon Bahr vor zwei Jahren übrigens noch von der deutschen Entwicklungshilfe abkoppeln.Ich gebe zu: In vielen Einzelfragen sind wir einig, und wir waren auch in der Verstärkung einzelner Ansätze einig; aber wir wollen nicht vergessen, daß diese Verstärkung leider nur an der zweiten Stelle hinter dem Komma etwas bewegt. Gemessen werden wir aber international an der ersten Stelle hinter dem Komma.Entscheidend ist für uns aber bei unserer Haltung zu diesem Haushaltsplan, daß das Gesamtbild deutscher Entwicklungspolitik nicht mehr stimmt und — ich bitte um Verzeihung — daß uns als CDU/CSU-Fraktion inzwischen auch das Vertrauen fehlt, daß die amtsinhabende Ministerin die Statur hat, um die Ressourcen des gesamten Landes für dieses große Ziel zu aktivieren.
Unter diesen Umständen lehnt meine Fraktion den Einzelplan 23 ab.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ganz zu Anfang sicherlich in weiblicher Solidarität einige Worte zu
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2668 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Frau Schuchardtden Angriffen auf Frau Minister Schlei sagen. Es ist, glaube ich, bisher kein Vergleich zu ziehen; es gibt keine anderen Mitglieder der Bundesregierung, denen von Anfang an, noch bevor sie ein Amt angetreten hatten, keine Chance gegeben wurde. Wenn man sich darauf bezieht, was im „Spiegel" stand und sich daran erinnert, was sich dessen Herausgeber mit dem Absprechen jeglicher Chance von Anfang an geleistet hat, so braucht man sich wohl nicht zu wundern, wenn die Redakteure seines Blattes der Stimme des Herrn folgen.
Wenn hier vorgeworfen wird, daß eine Frau es wagt, ein Ministeramt abzulehnen, dem gerade Kompetenzen weggenommen sind, weil diese in ein Ministerium übergingen, dem ein Mann vorsteht, dann mag dieses Selbstbewußtsein so manchen Mann irritieren.
Insofern hoffe ich, daß das, was Uwe Holtz das Immer-wieder-Aufbereiten eigentlich längst abgehakter Berichterstattung genannt hat, endlich einmal ein Ende hat.Lassen Sie mich nur einige wenige Worte zur Weltwirtschaftsordnung und zur Marktwirtschaft sagen.
Herr Todenhöfer und ich hatten schon häufiger die Gelegenheit, gemeinsam darüber zu diskutieren. Wir waren uns darüber einig, daß auch wir als marktwirtschaftliches Land so manchen Sündenfall begehen. Wir sind uns darüber einig, daß die Märkte geöffnet werden sollten. Aber dann, wenn die Entwicklungsländer unseren eigenen Markt und unsere eigene Produktion empfindlich stören, sprechen wir sofort von Abkommen, um die Auswirkungen der Öffnung dieses Marktes nicht allzu deutlich zutage treten zu lassen.
Man muß es wohl anerkennen, daß man die Entwicklungsländer mit solchem Verhalten sehr stark irritieren kann. Vieles muß so weit wie möglich marktwirtschaftlich beantwortet werden, aber dort, wo Härten entstehen, kann es auch einmal eine Ausnahme von der Regel geben. Wir haben in Europa mit dem EG-Agrarmarkt den größten Sündenfall aller Zeiten begangen. Dies erleichtert die Diskussion mit den Entwicklungsländern nicht. Ich finde, wir sollten hier nicht empfindlich reagieren, wenn die Entwicklungsländer unsere Argumente mit unserem eigenen Verhalten kritisch abwägen.
Nun, Herr Ertl wird ja aus den Reihen der Opposition intensiv darin unterstützt, daß sich dieser Agrarmarkt bewährt habe. Auch hier ist die Opposition sehr starkt geneigt, sich von der Marktwirtschaft zu trennen. Ich möchte einmal wissen, was ein CDU- Agrarminister getan hätte. Mit Sicherheit hätte er in diesen Bereich nicht Markt hergestellt.
Ich fürchte, daß es eher möglich ist, daß die Bauern zu Beamten werden, als daß wir den Markt wieder zurückgewinnen; ich bedaure dies sehr.
Frau Minister, Ihnen ist während dieser Debatte vielleicht aufgefallen, daß der Haushaltsausschuß zu erkennen gegeben hat, daß auch er das, was im Haushaltsplanentwurf der Bundesregierung vorgesehen war, eigentlich nicht als ganz ausreichend empfindet. Dies sollte Sie moralisch doch sehr aufrüsten, für den Haushalt 1978 dem Finanzminister gegenüber stärker aufzutreten, zumal Sie wissen können, daß Sie in dieser Frage das ganze Haus hinter sich haben.
Die Bundesregierung hat sich international verpflichtet, 0,7 % des Bruttosozialproduktes zu erreichen. Im Augenblick haben wir alle nicht den Eindruck, daß das noch in dieser Dekade passieren wird. Wir würden es aber alle Isehr wünschen, und der Entwicklungshilfeausschuß möchte hier dem guten Beispiel des Haushaltsausschusses folgen und die Bundesregierung ermutigen, hier bereits in den nächsten Jahren mehr zu tun.Zur Afrika-Politik ein Wort. Mein Kollege Vohrer hat bereits angekündigt, daß ich dazu einiges sagen möchte. Ich glaube, daß heute bei dem, was Herr Todenhöfer gesagt hat, deutlich geworden ist, wie sehr die Opposition auch bei der Beurteilung Afrikas — wie in der Innenpolitik — nur in der Lage ist, in Schubladen zu denken: Hier kommunistisch und da nicht, und was da nicht hineinpaßt, fällt eben zwischendurch.
Dieses Schubladendenken, Herr Todenhöfer, wie Sie es hier deutlich gemacht haben, wird bestimmt nicht nützen, den vielen afrikanischen Ländern auf ihrem Weg zur Demokratie weiterzuhelfen. Über eines sollten Sie sich klar sein. Die Bundesregierung befindet sich — und nur so kann sie wirkungsvoll sein — in Einklang mit ihren Verbündeten. Dies ist eine notwendige Voraussetzung, um überhaupt eine vernünftige Afrika-Politik zu machen. Sie haben bei der Weltwirtschaftsordnung im Nord-Süd-Dialog bereits wiederholt die Aufforderung an die Bundesregierung gerichtet, sich international zu isolieren.
Sie machen nun auch in der Afrika-Politik den Vorschlag, daß sich die Bundesregierung international isoliert.
Wenn Sie meinen, daß das unserem Einfluß förderlich sei, sind unsere Auffassungen einander diametral entgegengesetzt.Sie haben vor der Reise von Frau Schlei, der Formulierung der Afrika-Politik und der besonderen Betonung ,der Frontstaaten es bereits außerordent-
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Frau Schuchardtlieh bedauert, daß die Bundesregierung in die Frontstaaten einen Minister zur gleichen Zeit schickt, wo dies auch die Russen und die Kubaner taten. Sie meinten, dies sei geradezu unmöglich, denn diese hätten ja vor, in den Frontstaaten den kommunistischen Einfluß stärker werden zu lassen. Ihr wirklich abenteuerlicher Vorschlag dazu ist, wir sollten uns dort zurückziehen. Das wäre ja geradezu die Grundvoraussetzung dafür, daß das Ziel des kommunistischen Einflusses in den Frontstaaten besonders wirkungsvoll durchgesetzt wird.
Wir wollen das nicht. Wir werden unseren politischen Gegnern nicht durch Nichtstun Schützenhilfe geben. Man kann auch durch Nichtstun die falsche Seite unterstützen, Herr Todenhöfer, wie Sie es vorgeschlagen haben.
Sie sind für die gleichberechtigte Behandlung der weißen und der schwarzen Bevölkerung. Für die FDP und, ich glaube, auch für die Sozialdemokraten und die Bundesregierung gelten die Anforderungen, die wir in bezug auf Chancengleichheit und Gleichberechtigung von Rasse, Religion und Geschlecht stellen, nicht nur für die Anwendung hier im Innern, sondern wir legen diese Kriterien auch für die Länder Afrikas an. Das ist der Grund, weshalb die Bundesregierung Partei für die Schwächeren dort ergreift. Ich meine: Wir sollten sie dabei unterstützen.
Sie schlagen weiter eine Politik vor, die in ausreichendem Maße die lebenswichtigen sicherheits- und rohstoffpolitischen Interessen des Westens berücksichtige. In der Tat ist das die Aufgabe, von der wir erwarten können, daß sie von der Bundesregierung angemessen erfüllt wird. Dies geht aber nur in der Kooperation und nicht, indem man sich aus diesen Bereichen zurückzieht.Sie sagen schließlich, die Gegenstrategie gegen die sowjetisch-kommunistische Expansionspolitik in Afrika sollte entwickelt werden. Nun kann ich nur sagen: Die ist entwickelt worden.
Das stört Sie. Sie sagen, diese Strategie müßte in einem Rückzug unseres politischen, diplomatischen und finanziellen Engagements aus diesen Gebieten bestehen.Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion ermutigt die Bundesregierung zu ihrer Afrikapolitik.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir treten in die Beratung der Änderungsanträge ein.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 8/622 auf, der eine Herabsetzung des Ansatzes für Reisekostenvergütungen für Auslandsreisen zum Inhalt hat. Das Wort dazu wird nicht begehrt. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/623 auf, der eine Herabsetzung des Ansatzes für die Unterrichtung der Öffentlichkeit über Entwicklungspolitik zum Inhalt hat. Ich frage, ob das Wort begehrt wird. — Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23. Wer dem Einzelplan 23 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Einzelplan 23 gegen die Stimmen der CDU/CSU gebilligt.
Ich unterbreche die Beratungen bis 14 Uhr.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt IV auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Durchführung von Statistiken der Bautätigkeit und die Fortschreibung des Gebäudebestandes
— Drucksache 8/598 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
InnenausschußAusschuß für WirtschaftHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOWird das Wort zur Begründung begehrt? — Das ist nicht der Fall.Was Wort zur Aussprache wird auch nicht begehrt.Sie finden den Überweisungsvorschlag des Ältestenrats auf der Tagesordnung. Wer den Gesetzentwurf entsprechend dem Vorschlag überweisen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt V der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 7 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/599 —
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Vizepräsident Frau FunckeDas Wort dazu wird nicht gewünscht. Ich gehe davon aus, daß das Haus der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt. — Das ist der Fall.Ich rufe nunmehr Punkt VI der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates zur Einführung der Europäischen Rechnungseinheit (ERE) in das Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften sowie in sonstige Verordnungen des Rates für die Beamten, ehemaligen Beamten und die sonstigen Bediensteten der GemeinschaftenVorschlag einer Verordnung des Rates zur Einführung der Europäischen Rechnungseinheit (ERE) in die Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 260/68 zur Festlegung der Bestimmungen und des Verfahrens für die Erhebung der Steuer zugunsten der Europäischen GemeinschaftenVorschlag einer Verordnung des Rates zur entsprechenden Anpassung der Berichtigungskoeffizienten, die auf die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften angewandt werden, im Anschluß an die Einführung der Europäischen Rechnungseinheit in das Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften— Drucksachen 8/316, 8/613 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. WernitzZusätzlich rufe ich hier Punkt 3 der Zusatzliste auf:Beratung der' Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates über die Anwendung des Beschlusses vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften auf die Mehrwertsteuer-Eigenmittel— Drucksachen 8/428, 8/614 — Berichterstatter:Abgeordneter Rapp
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Wird das Wort zur Aussprache verlangt? — Auch das ist nicht der Fall.Sind Sie damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam darüber abstimmen? —Ich höre keinen Widerspruch. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 8/613 und 8/614. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig so beschlossen.Nunmehr rufe ich den Zusatzpunkt 1 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPDWahl der Mitglieder des Rundfunkrates der Anstalt des öffentlichen Rechts „Deutsche Welle"— Drucksache 8/645 —Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —Es ist einstimmig so beschlossen. Wir kommen zu dem Zusatzpunkt 2:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDPWahl der Mitglieder des Rundfunkrates der Anstalt des öffentlichen Rechts „Deutschlandfunk"— Drucksache 8/646 —Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Nunmehr kehren wir zur zweiten Beratung des Haushaltsgesetzes 1977 zurück. Ich rufe auf:Einzelplan 06Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern— Drucksache 8/496 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Riedl
Abgeordneter LöfflerAbgeordneter HoppeDieser Einzelplan wird verbunden mit Einzelplan 36Zivile Verteidigung— Drucksache 8/516 —Berichterstatter: Abgeordneter Carstens
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? Das ist nicht der Fall.Das Wort zur Aussprache hat Herr Abgeordneter Riedl.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2671
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stelle zu Beginn der Beratungen über diesen bedeutsamen Haushalt fest, daß der Herr Bundesinnenminister nicht im Saal ist, obwohl ich naturgemäß einen Großteil meiner Ausführungen Herrn Professor Maihofer zu widmen habe.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Engelhard?
Frau Präsidentin, wenn die Übung heute nachmittag die gleiche ist wie heute vormittag, daß dies auf die Redezeit angerechnet wird, tut es mir trotz der Liebenswürdigkeit des Kollegen Engelhard außerordentlich leid, daß ich diesem Petitum nicht nachgeben kann.
— Der Herr Bundesinnenminister ist offensichtlich sehr häufig unterwegs.
— Das haben die großen Stars so an sich, die kommen immer, kurz nachdem es begonnen hat.Durch den im Haushalt des Bundesinnenministeriums erfaßten Aufgabenbereich werden eine Reihe wichtiger Spektren der deutschen Innenpolitik abgedeckt, beginnend bei der inneren Sicherheit über die zivile Verteidigung, die Umweltpolitik, die Sportpolitik, die Vertriebenenpolitik, das öffentliche Dienstrecht, die Kulturpolitik bis hin zur politischen Bildung. Alle diese Aufgaben sollten sich im grundsätzlichen nur sehr bedingt harter politischer Auseinandersetzung ausgesetzt sehen und vom Grundkonsens aller Demokraten getragen werden. Macht man dies zur Prämisse, muß man andererseits vom jeweiligen Ressortchef, vom Bundesminister des Innern, ein hohes Maß an Sachkompetenz, Verantwortungsbewußtsein, Integrationskraft, Bereitschaft zur Kooperation mit allen demokratischen Kräften und daraus resultierend letztlich Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit verlangen. Wenn, Herr Minister, diese Voraussetzungen nicht oder nur teilweise gegeben sind, ist es ganz unausbleiblich, daß die Opposition im Bereich der Innenpolitik Kritik anmelden muß.Positiv — und das will ich zu Beginn meiner Rede gleich sagen — rechnen wir Ihnen an, daß Sie sich in der sogenannten Traube-Affäre vor Ihre Beamten gestellt haben, obwohl dies gar nicht selbstverständlich war; denn von einer umfassenden Unterrichtung des Ressortministers vor jener fraglichen Entscheidung kann auch beim besten Willen nicht die Rede sein, ein Faktum, das bei dem für diese wichtigen Sicherheitsfragen zuständigen Minister fast unvorstellbar ist. Es ist dennoch geschehen, und Sie haben sich vor Ihre Beamten gestellt. Wir erkennen dies an.
Die politischen Kriterien Ihrer Amtsführung sehen jedoch anders aus, Herr Minister. Ich möchte dazu drei Punkte nennen. Ihr erstes Problem, sozusagen Ihr persönliches Trauma, ist Ihre rechtspolitische Vergangenheit.
Sie haben Ihr Amt als sogenannter Garant liberaler Rechtspolitik angetreten, eng verwandt mit denen — ich habe Ihnen das vor einem Jahr schon einmal gesagt —, die sich als sogenannte Alternativprofessoren ein sehr eigenartiges Verhältnis zur Rechts- und Sicherheitspolitik in unserem Lande geschaffen haben. Der Opposition haben Sie, Herr Professor Dr. Maihofer, bei jeder sich bietenden Gelegenheit in zum Teil außerordentlich demagogischer Verkürzung vorgeworfen, im Widerstreit zwischen Freiheit und Sicherheit der Sicherheit den Vorrang vor der Freiheit geben zu wollen. Sie haben die aus Ihrem Munde jetzt verständlicherweise, vor allen Dingen nach dem Fall Traube, so gut wie völlig verstummte Devise plakatiert: „Im Zweifel für die Freiheit". Sie haben damit versucht — damals waren Sie noch sehr weit von den Erfahrungen weg, die Sie inzwischen gesammelt haben —, einen geistigen Keil in unser Volk zu treiben, indem Sie dem konservativen Lager mit der vermeintlich nur für liberale gültigen Devise „Im Zweifel für die Freiheit" unterschwellig ein gespaltenes Verhältnis zu den Freiheitsrechten unterschoben haben.
Herr Minister, Sie haben, um es ganz einfach zu sagen, zu hoch gegriffen, Sie haben Illusionen geweckt und die Alltäglichkeit einer wehrhaften Demokratie dabei außer acht gelassen. Wenn man auf einem hohen Professorenstuhl sitzt, dann gelingt einem das meistens eher als auf dem Stuhl eines Bundesinnenmnisters.
Sie haben den damals für Sie außerordentlich interessanten Kreisen etwas vorgegaukelt und mußten zwangsläufig einen jähen Sturz erleben. So wie ein Sturzbomber ist Maihofer aus den Sphären des Rechtsprofessors in die Praxis des Bundesministers hinuntergedonnert.
— Die SPD kommt schon noch dran, Herr Kollege Löffler.
Lassen Sie mich zunächst noch dem Minister einige Ausführungen widmen.Sie haben damit, Herr Minister, nicht nur bei uns — Sie konnten uns gar nicht so sehr überraschen —, sondern vor allem bei den Liberalen sehr viel an Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit verloren. Im Einstehen für die Freiheitsrechte des einzelnen müssen sich alle hier vertretenen politischen Kräfte einig
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2672 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. Riedl
sein. Jetzt schaue ich auch zu Ihnen, Herr Kollege Löffler, auf seiten der SPD-Fraktion. Hier hat keiner Sonderrabatte für sich zu beanspruchen.
Wird die Gemeinschaft von einzelnen unter mißbräuchlicher Inanspruchnahme von Freiheitsrechten im Kern angegriffen, so gilt es, die ganze Kraft des Rechtsstaates um seiner selbst willen gegen solche Erscheinungen einzusetzen.Mit Genugtuung kann die CDU/CSU-Bundestagsfraktion feststellen, daß jedensfalls die Sicherheitskräfte des Bundeskriminalamtes, des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesgrenzschutzes nach diesen Erfordernissen gehandelt haben und nach wie vor handeln. Deshalb gehört diesen Beamten unser besonderer Dank und unsere Anerkennung.
Das zweite Problem nach dem Gesichtspunkt Ihrer rechtspolitischen Vergangenheit, Herr Professor Maihofer, mit dem Sie draußen in der Öffentlichkeit und heute bei der Verabschiedung Ihres Haushalts fertig werden müssen, ist Ihr — ich sage es unumwunden — Versagen als Beamtenminister. Ich will jetzt nur einen Punkt herausgreifen. Sie reden seit vielen Jahren so — ich komme darauf noch zu sprechen , als ob die große Dienstrechtsreform im öffentlichen Dienst unmittelbar vor der Tür steht. Dabei sind wir meilenweit davon entfernt. Ihre Dienstrechtsreform — die Dienstrechtsreform à la Maihofer — hat sich bisher nur in einer außerordentlichen Ämterpatronage niedergeschlagen. Dabei hätten gerade Sie als Beamtenminister in erster Linie und für alle Häuser vorbildlich dafür sorgen müssen, daß die Personalpolitik in Ihrem Hause parteipolitisch absolut neutral erfolgt.
Nehmen Sie mal das Gliederungsschaublatt des Bundesinnenministeriums zur Hand, nehmen Sie einen gelben Stift und kreuzen Sie überall, wo ein Beamter des höheren Dienstes sitzt, mit gelb an — das ist ja die Farbe der FDP —; dann werden Sie sehen, daß aus dem weißen Gliederungsschaublatt ein nahezu völlig gelbes Gliederungsschaublatt geworden ist, Herr Minister. Wenn das der Arbeitsminister macht, der Gewerkschaftsgenossen unterbringen muß, habe ich dafür noch Verständnis. Wenn das aber ausgerechnet der für das Hüten des Beamtenrechts zuständige Minister tut, dann muß er sich gefallen lassen, daß wir ihm dies heute vorhalten.Ich frage mich nur, was die Kollegen von der SPD machen. Ich sehe Herrn Wehner schon mit der Aktentasche unter dem Arm auf dem Weg ins Innenministerium, um endlich mal auch personalpolitische Proporzansprüche für die SPD geltend zu machen. Aber, Herr Minister, da helfen wir Ihnen mit neuen Planstellen mit Sicherheit nicht; da müssen Sie Ihre FDP-Genossen wieder herausnehmen.
Die SPD ist in Ihrem Hause bisher außerordentlich schlecht weggekommen.
— Ach, Herr Schäfer, Sie kenne ich doch! Obwohl ich viel jünger bin als Sie, kenne ich Sie inzwischen sehr gut, Herr Schäfer.
Sie sind ein ganz unwahrscheinlich parteineutraler Beamtenpolitiker, Herr Schäfer. Sie können mich überhaupt nicht überzeugen.Ein drittes Problem, mit dem der Minister Maihofer lebt und leben muß, ist der Zweifel an seiner Sachkompetenz und an seiner Eignung als Organisationsminister.
Das nunmehr seit 1973 vollzogene Trauerspiel um die Errichtung einer Deutschen Nationalstiftung, die Hoffnung erweckenden und letzlich in Ratlosigkeit zerrinnenden Ankündigungen im Bereich der Dienstrechtsreform seit 1969 — wie ich schon gesagt habe — und das völlige Desaster in der zivilen Verteidigung, auf das mein Kollege Alfred Dregger noch im einzelnen zu sprechen kommen wird, lassen auch bei gutwilligen Beobachtern Zweifel an der Sachkompetenz aufkommen.Herr Minister, ein Blick in Ihr Haus. Ihre Bereitschaft zur Kooperation mit den mitbestimmenden Kräften in Ihrem Haus ist im Gegensatz zu früheren Bundesinnenministern nahezu verkümmert. Das gebotene Gespräch zur Lösung von Sachfragen findet so gut wie nicht mehr statt. Die Folge ist, daß Sie sich immer noch selber in Sackgassen manövrieren.Ich hätte von Ihnen auch erwartet, daß Sie als Organisationsminister die Sportabteilung anders organisieren. Wir haben Ihnen vor einem Jahr gesagt: Wir wollen eine eigene Sportabteilung. Aber daß Sie in dieser Abteilung aus fünf Referaten gleich acht gemacht und Zuständigkeiten erfunden haben, die in Wirklichkeit in den Bereich des Deutschen Sportbundes gehören, kapiert überhaupt keiner mehr.
Der Organisationsminister muß ein Vorbild bei der straffen Organisation sein. Sie sind genau das Gegenteil davon.Noch eines. Herr Minister, außer dem Bundesfinanzminister ist der Bundesinnenminister der absolute Spitzenreiter in der Zahl der Staatssekretäre. Vier Staatssekretäre — zwei beamtete und zwei parlamentarische — im Bundesinnenministerium: Bei einer so geballten sachlichen Kraft müßte Ihr Ministerium ein Klasseministerium sein, Herr Minister!
— Herr Löffler, ich zitiere jetzt nicht den „Bayernkurier", sondern den „Stern". Schauen Sie da maldie Qualifikationsnote für den Minister MaihoferDr. Riedl
nach. Die ist außerordentlich mäßig. Dafür würden Sie in Bayern nicht einmal die mittlere Reife bekommen.
Dies sind drei Gesichtspunkte, die wir in der allgemeinen politischen Auseinandersetzung Herrn Professor Dr. Maihofer vorzuhalten haben. Den vierten werde ich am Schluß meiner Rede anzufügen haben.Lassen Sie mich zuvor zu einigen Sachpunkten des Einzelplans 06 für den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern Stellung nehmen.Erstens. Im Bereich der Inneren Sicherheit dassind das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Bundesgrenzschutz und die Bereitschaftspolizeien der Länder stehen im Jahr 1977 — ich möchte diese Zahl als Oppositionspolitiker nennen — 1163 Millionen DM zur Verfügung. Das ist gegenüber 1976 ein Plus von 5,8 %.Die CDU/CSU-Fraktion hat diesem Etatteil immer ihre volle und uneingeschränkte Zustimmung gegeben. Wir werden das auch in Zukunft tun, wenn der Bundesinnenminister damit die richtigen Maßnahmen finanziert.Wir erwarten, daß alle Möglichkeiten unverzüglich und voll genutzt werden, um den Terrorismus in unserem Land noch nachhaltiger zu bekämpfen. Es genügt nicht, den deutschen Terrorismus — wie es der Bundeskanzler gestern getan hat — in erster Linie zu einem Problem des internationalen Terrorismus zu machen. Machen Sie erst einmal im eigenen Land Ordnung und blicken Sie dann über die Grenzen, Herr Bundesinnenminister! Der Terrorismus ist in erster Linie ein Problem der Bundesrepublik Deutschland. Und da muß Schluß gemacht werden. Wir wollen endlich wieder geordnete Verhältnisse haben. Mit mehr als 1,1 Milliarde DM haben Sie, Herr Bundesinnenminister, alle Möglichkeiten, hier wirksam tätig zu werden.
Wir erwarten von Ihnen klare und eindeutige Worte zur Frontstellung gegenüber den Verfassungsfeinden im öffentlichen Dienst. Jetzt muß ich mich etwas mehr nach links wenden. Das ist ja ein Lieblingsthema bei Ihren Parteitagen, vor allem der Jungsozialisten, wo Sie, meine Herren, eine allerdings völlig andere Auffassung, als sie meine Fraktion hat, mit Mehrheit beschließen.Wie auch immer diskutiert wird, es ist und bleibt unerträglich, daß — auch dies will ich Ihnen auch heute wieder vorhalten, Herr Minister — die bloße Mitgliedschaft in einer eindeutig kommunistisch orientierten Organisation nicht voll genügen soll, jemanden vom öffentlichen Dienst fernzuhalten. Es ist eine Schande für jeden Beamten, Ihren Standpunkt zum Problem „Radikale im öffentlichen Dienst" nach wie vor offiziös hören zu müssen. Jede Verharmlosung und jedes nebelhafte Verhalten gerade auf diesem Gebiet ist für die langfristige Entwicklung unseres Staates von höchster Gefährlichkeit.Die freimütigen Bekenntnisse der Allgemeinen Studentenausschüsse von Göttingen, Braunschweig und Darmstadt zur Gewalt und zur Glorifizierung des Mordes an Generalbundesanwalt Buback verlangen eine harte und deutliche Reaktion unseres Staates. Herr Minister, schauen Sie mal in Ihren Haushaltsplan, wieviel Geld Ihnen für Öfentlichkeitsarbeit zur Verfügung steht! Ich habe noch nicht ein einziges Flugblatt des Bundesinnenministers an den genannten drei Universitäten gesehen, auf dem diese unverschämten Aussagen und unglaublichen Diffamierungen vom Bundesinnenminister zurückgewiesen worden sind. Statt dessen produziert der Innenminister solche Stöße von UMPLIS- und Umwelt-Informationen, die kein Mensch liest.
Aber an den Universitäten, die ich genannt habe, vermisse ich auch nur ein einziges Flugblatt, unter dem steht: Ich, Bundesminister Maihofer, verurteile diese Schweinereien und diese Studentenausschüsse. Kein Wort lesen Sie davon.
— Ach, die CDU-Kultusminister sind an vorderster Front, wo sie hingehören.
Ein zweites zur Umweltpolitik! Dazu ist in diesem Hause schon sehr viel gesagt worden. Ich will mich auf einige Bemerkungen zum Umweltbundesamt beschränken. Meine Freunde in der Fraktion und ich haben im letzten Jahr nachhaltig kritisiert, daß sich das Umweltbundesamt in seiner langfristigen Entwicklung auf einem schlechten Weg befindet. Ich muß dies im Interesse der Aufgabe und auch im Interesse dieses Amtes heute in aller Deutlichkeit wiederholen. Das Umweltbundesamt entwickelt sich zum Schaden der Aufgabe und zum Nachteil seiner Bediensteten immer mehr zu einer Verwaltungsbehörde, obwohl es nach dem Gesetzesauftrag eine zentrale Planungs- und Forschungseinrichtung des Umweltschutzes sein soll. Ich fordere Sie, Herr Bundesminister, erneut auf, sich mit Ihrer ganzen Autorität für den weiteren sachlichen und personellen Aufbau
— soweit vorhanden; Herr Kollege Waigel, ich danke für diese akustische Unterstützung — einzusetzen und hierbei vor allem dem Umweltbundesamt auch einige weitere Forschungszuständigkeiten einzuräumen. Zur Zeit wird von administrativer Seite jeglicher Ausbau in dieser Richtung verhindert.Ein drittes! Das ist ein sehr bedauerliches Kapitel, ich hoffe, für das ganze Haus. Das ist das totale Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Kulturbereich beim Thema „Deutsche Nationalstiftung". Meine Fraktion stellt zu diesem Thema folgendes fest. Erstens. Uns, der CDU/CSU, ist es mit der Gründung der Deutschen Nationalstiftung außerordentlich ernst.
Zweitens. Wir wollen, daß die Deutsche Nationalstiftung — ich sage dies vor allen Dingen
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Dr. Riedl
auch im Namen meines Fraktionsvorsitzenden Dr. Helmut Kohl — in Berlin errichtet wird.
Drittens. Die Deutsche Nationalstiftung hat der Natur ihrer Aufgaben nach ausschließlich den Zweck, im kulturellen Bereich tätig zu werden — das weiß ein jeder —, ohne dabei hoheitliche Tätigkeiten auszuüben; das ist der springende Punkt. Bei dieser ausschließlich humanitären und friedfertigen Konstellation wäre es auch für Kritiker völlig unverständlich, wenn dagegen seitens des Ostens begründete Einwände erhoben würden. Man kann uns nicht daran hindern, in geradezu klassisch friedfertiger Weise für Berlin zu votieren. Würde man uns von irgendeiner Seite daran hindern, so widerspräche dies entschieden dem Geist, dem Sinn und den Zukunftsperspektiven der Berlin-Verträge.
Viertens. Herr Bundesinnenminister, Entscheiden gehört zum Regieren! Die sozialliberale Regierung hat noch unter dem damaligen Bundeskanzler Brandt — in der Regierungserklärung und in anderen Erklärungen Willy Brandts ist das nachzulesen — in der Bevölkerung große Erwartungen in eine solche Nationalstiftung geweckt. Die deutsche Öffentlichkeit, aber auch die Öffentlichkeit im deutschen Sprachraum in Europa würde es nicht verstehen, wenn jetzt aus vermeintlicher oder vordergründiger politischer Rücksichtnahme eine Entscheidung zugunsten Berlins nicht getroffen würde.Fünftens. Meine Fraktion wird nach der Sommerpause dieses Problem hier erneut zur Sprache bringen und deutlich machen, daß die unter den Ziffern 1 bis 4 genannten Ziele raschestmöglich verwirklicht werden müssen.Mein vierter Hauptpunkt! Herr Minister — dazu kann ich mich kurzfassen, weil ich schon einige Bemerkungen dazu gemacht habe —, in Sachen Dienstrechtsreform des öffentlichen Dienstes haben Sie völlig versagt. Hier können Sie für sich den Titel „Ankündigungsminister der ersten Klasse" in Anspruch nehmen.
Das einzige, was Sie fertiggebracht haben, ist, daß Sie eine irrsinnige Menge Geld ausgegeben haben. Allein die Studienkommission zur Reform des öffentlichen Dienstes hat in den zwei Jahren ihres Bestehens 2 Millionen DM gekostet und die Projektgruppe für die Reform der Bundesregierung und Bundesverwaltung rund 9 Millionen DM in den Jahren 1970 bis 1975. Das sind 11 Millionen DM zum Fenster hinausgeworfenes Geld. Herr Minister, gehen Sie endlich dazu über, ein für allemal für die Bundesregierung zu erklären: Das beste Beamtentum, das es in der freien Welt gibt, ist das deutsche Berufsbeamtentum. Daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Sie sollten sich als Bundesinnenminister eindeutig davorstellen. Das Reformgerede von Ihnen zu diesem Bereich ist genauso falsch und vordergründig wie das Reformgerede seit Gründung der sozialliberalen Koalition.
Ich komme zusammenfassend zum Schluß. Ich hatte Ihnen drei wesentliche politische Gesichtspunkte zu Beginn meiner Rede vorgehalten, die deutlich machen, warum wir, die CDU/CSU-Fraktion, dem Haushalt des Bundesinnenministers nicht zustimmen können. Ich möchte jetzt noch einen vierten Gesichtspunkt nennen. Sie haben nicht nur als Beamtenminister und als Organisationsminister versagt, Sie haben auch als Verfassungsminister versagt. Herr Minister, ich habe Sie gestern genau beobachtet, als hier die Aussprache über das Verfassungsgerichtsurteil in Sachen Verfassungsbruch des seinerzeitigen Bundesfinanzministers stattfand. Da haben Sie zum Teil völlig scheu auf den neben ihnen sitzenden Bundesjustizminister geschaut, was der wohl macht. Er ist dann ans Rednerpult gegangen und
— es tut mir leid, daß ich das meinem früheren Oberbürgermeister, den ich als Oberbürgermeister außerordentlich schätzte, sagen muß — ist hier total auf den Bauch gefallen, und zwar als Bundesjustizminister. Das wäre ihm früher in München als Oberbürgermeister nicht passiert. Da kenne ich ihn zu gut. Sie haben also den Bundesjustizminister angeschaut und nicht gewußt, was der sagt. Dann haben Sie zum Bundeskanzler hinübergeschaut und waren sich auch nicht ganz sicher, was der machen werde. Er hat dann einige wenige Minuten auf das für ihn außerordentlich peinliche Thema verschwendet. Sie, der Bundesminister, der für den Schutz unserer Verfassung zuständig ist, saßen schweigend da, obwohl der heutige Bundeskanzler von unserem obersten Verfassungsgericht verurteilt wurde, weil er Verfassungsbruch begangen hat. Jetzt möchte ich einmal von Ihnen als Verfassungsminister wissen, was Sie zu diesem Thema zu sagen haben. Er sitzt hier und schweigt.
Herr Minister, wenn Sie sich dazu nicht äußern, werden wir Sie in Zukunft nicht mehr als Minister der deutschen Verfassung ansprechen können. Das drohe ich Ihnen heute schon an.
— Wie Sie es mit der Verfassung halten, habe ich gestern an Ihrem Verhalten gesehen, als Sie bei der Feststellung unseres Fraktionsvorsitzenden, daß der heutige Bundeskanzler ,die Verfassung eindeutig gebrochen habe, sogar noch in frenetischen Beifall ausgebrochen sind. Meine Herren von der SPD, Sie haben doch jeden Anspruch verloren, sich hier zu diesem Punkt noch auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu berufen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gäbe — leider ist meine Redezeit abgelaufen — noch eine Vielzahl von Gesichtspunkten zu sagen, warum die CDU/CSU-Fraktion den Haushalt des Bundesinnen-
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Dr. Riedl
ministers ablehnt. Wir werden in der weiteren Aussprache noch zu anderen gewichtigen Gesichtspunkten Stellung nehmen. Eines jedenfalls können wir Ihnen auch schon für das nächste Jahr ankündigen: Herr Bundesinnenminister, wenn Sie Ihren Ankündigungen nicht endlich Taten folgen lassen und wenn Sie von den Möglichkeiten Ihres Amtes nicht endlich Gebrauch machen, wird die CDU/CSU-Fraktion auch im nächsten Jahr Ihrem Haushalt ein klares Nein entgegensetzen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Walther.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Riedl hat hier eine seiner berühmten bayrischen Einlagen gebracht. Wir alle kennen ihn ja so.
— Das ist ein liebenswertes Völkchen, Herr Kollege Röhner. Wenn Herr Kollege Dr. Riedl nicht morgen Geburtstag hätte, dann würde ich ihm im gleichen Stil antworten wollen. Aber so, am Vortage seines Geburtstags, werde ich ihn natürlich anständig behandeln.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen eines. Je mehr Sie diesen Minister angreifen, um so mehr wird er den Rückhalt der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion bekommen.
Ich bin ganz sicher, daß Herr Minister Maihofer im Laufe der Debatte Gelegenheit nehmen wird, zu einer Reihe der gegen ihn erhobenen Vorwürfe Stellung zu nehmen.Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen machen, die nach Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu diesem Haushalt gemacht werden müssen. Es bleibt gar nicht aus, daß im Rahmen einer solchen Debatte zum Einzelplan 06 über die Fragen der inneren Sicherheit geredet wird, auch wenn wir uns demnächst in einem anderen Zusammenhang darüber wieder im Plenum werden unterhalten müssen. Wer die Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland nur und ausschließlich unter dem Eindruck der terroristischen Aktionen, insbesondere des verabscheuungswürdigen Mordanschlags auf den Generalbundesanwalt und seine Begleitung, beurteilen wollte, würde den Blickwinkel zwangsläufig ein wenig verkürzen. Dieser spektakuläre und verabscheuungswürdige Fall politischer Gewaltkriminalität allein kennzeichnet die derzeitige Sicherheitssituation nicht. Die Situation wird vielmehr auch durch die Tatsache gekennzeichnet, daß wir auf vielen Gebieten der Verbrechensbekämpfung vorangekommen sind und bemerkenswerte Erfolge erzielt haben.Der Herr Bundesinnenminister hat kürzlich die Kriminalstatistik für das letzte Jahr vorgelegt. Aus der Statistik ersehen wir, daß beispielsweise die prozentuale Steigerungsrate der Gesamtzahl der erfaßten Straftaten in den letzten drei Jahren stetig abgenommen und 1976 nur noch 4,9 % betragen hat. Vor allem ist festzustellen, daß bei der Gewaltkriminalität ein Rückgang um nahezu 2 % gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen ist. Währenddessen ist die Gesamtaufklärungsquote um 7,5 % gestiegen. Im Bereich der Gewaltkriminalität — wie Totschlag, Mord oder gefährliche Körperverletzung — ist die Aufklärungsquote bei 97 % angelangt.Ich sagte schon, wir werden uns demnächst wieder mit dem Phänomen des Terrorismus zu beschäftigen haben, der, Herr Kollege Dr. Riedl, eben nicht nur ein nationales Problem ist. Wer in den letzten Tagen und Wochen aufmerksam die Berichte in den Massenmedien verfolgt hat, der weiß doch — es sei denn, Herr Kollege Riedl, Sie hätten im Fernsehen immer nur die Fußballspiele angeguckt —, daß Terrorismus ein internationales Phänomen ist,
— Ja, da gibt es auch Terror. Aber über den wollen wir heute ja nicht reden.
— Wissen Sie, Herr Kollege Dr. Kohl, ich würde mir an Ihrer Stelle einmal ein anderes Grinsen zulegen. Dieses Grinsen, das Sie an sich haben, kennen wir mittlerweile alle.Ich will der Debatte, die demnächst kommen wird, nicht vorgreifen. Aber es ist meine feste Überzeugung, daß wir mit neuen strafverschärfenden Gesetzen, die möglicherweise an die Substanz des Rechtsstaates gehen, nicht weiterkommen.
— Wenn Sie „ach" sagen, Herr Kollege Spranger: Was mancher von Ihnen vom Rechtsstaat hält, wissen wir spätestens, seitdem der Kollege Dr. Dregger im Iran war und sich dort lobend über das Terrorregime geäußert hat, und zwar in einem Ausmaß, daß sogar einige Karriereknaben von der Jungen Union empört gewesen sind.
Es ist meine feste Überzeugung, daß sich kein Terrorist beeindrucken läßt von höherer Strafandrohung oder von Verteidigerüberwachung oder von dem, was Sie sonst noch alles an Vorschlägen gebracht haben. Aber ich bin ganz sicher, daß sich Terroristen beeindrucken lassen, wenn wir sie möglichst schnell aburteilen und hinter Schloß und Riegel
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Waltherbringen. Ich meine, das ist der entscheidende Schritt, den wir bei der Bekämpfung des Terrorismus tun müssen.
Wir sollten doch bitte nicht vergessen, daß in diesem Bereich wesentliche Zuständigkeiten eben nicht beim Bund, sondern bei den Länderinnenministern liegen.
— Herr Kollege Miltner, meinen Sie, es sei für die Ihrer Partei angehörenden Innenminister ein Ruhmesblatt gewesen, daß sie sich so lange darum herumgedrückt haben, die Innenministerkonferenz einzuberufen, die in diesen Tagen endlich stattgefunden hat?
— Verehrter Herr Schwarz, über Sie wollen wir uns doch gar nicht unterhalten. Wir wissen doch, warum Sie hier und nicht mehr im Innenministerium von Rheinland-Pfalz sitzen.
— Ja, so gut, daß er jetzt hier sitzt.
Wir streben keine zusätzlichen Verantwortungen für das Bundeskriminalamt an. Wir wollen kein FBI, wie manche Leute sagen. Aber es gibt im Bereich der Koordination zwischen Bund und Ländern weite Felder, die noch lange nicht ausgeschöpft sind. Lassen Sie mich beispielsweise daran erinnern, daß das Bundeskriminalamt noch sehr viel effektiver arbeiten könnte, wenn es die lückenlose Sachbeweissammelstelle der Bundesrepublik Deutschland wäre. Wer sich dort erkundigt, merkt doch, daß es da an vielen Ecken und Kanten hakt und daß das Bundeskriminalamt seine Aufgaben auf diesem Gebiet unter anderem deshalb nicht erfüllen kann, weil manche der Länder nicht so kooperativ sind, wie sie es eigentlich sein sollten.Ich halte es auch für einen unmöglichen Zustand, daß beispielsweise die Datenverarbeitungsanlagen zwischen Bund und Ländern derart inkompatibel sind, daß ihr effektiver Einsatz zum Teil überhaupt nicht gewährleistet ist. Wenn es anders wäre und wenn wir dazu noch, Herr Minister Maihofer, auch auf Bundesebene einen Verbund der dem Bund unterstehenden Dateninformationsbanken auf diesem Gebiet hätten, würden wir bei Verbrechen noch eine sehr viel höhere Aufklärungsrate bekommen, als wir sie jetzt haben.Wenn beispielsweise durch das INPOL-System beim Bundeskriminalamt die Zahl der durch Strafbefehl gesuchten Täter von 80 000 auf 38 000 zurückgegangen ist, dann ist dies doch ein Beweis dafür, daß der Ausbau dieses Bereichs erheblich dazu beitragen kann, noch stärker als bisher gegen die Kriminalität vorzugehen. Ich hoffe sehr, daß wir uns darüber einig sind.
— Herr Kollege Miltner, falls Sie diesen Zwischenruf mit Überzeugung gemacht haben: Ich fürchte sehr, daß dies nicht die ganze Wahrheit ist.
Sie sagen: was der Minister sagt. Der Minister ist ja viel höflicher, als der Kollege Dr. Riedl ihn dargestellt hat.
Ich füge den vielen Vorschlägen, die in Frage kommen könnten, einen weiteren hinzu: Die Ausweitung dieses INPOL-Systems nicht nur zu einem Straßenfahndungssystem, sondern auch zu einem Bürofahndungssystem — die Fachleute wissen, was damit gemeint ist —, also die Erweiterung der Terminal-Anlagen in Richtung auf die Büros der Polizeien und der Strafverfolgungsbehörden könnte dazu führen, daß die Aufklärungsraten höher werden.Das Kraftfahrzeug ist Träger des Kapitalverbrechens und des Terrorismus. Dies bedeutet, daß gegen den Kraftfahrzeugdiebstahl energischer vorgegangen werden muß als bisher. Ich begrüße es sehr, daß nun nach langjährigen Bemühungen endlich ein Übereinkommen erzielt worden ist, ein fälschungssicheres Kraftfahrzeugkennzeichen herzustellen. Ich bin auch sicher, daß die Bürger in diesem Lande Verständnis für höhere Kosten haben, wenn sie wissen, daß sie damit ihren Beitrag dazu leisten, daß die Sicherheit in unserem Lande größer wird.
— Verehrter Herr Kollege, Sie wissen, daß das ohne die Länder nicht geht. Wie verdammt schwierig es ist, mit den elf Ländern unter einen Hut zu kommen, brauche ich Ihnen, der Sie doch Föderalist sind, nun wirklich nicht zu sagen.Ich sage als letztes und nur ganz vorsichtig andeutend — Herr Minister Maihofer, Sie wissen, was ich meine —: Die Umfeldbeobachtung des Terrorismus ist Aufgabe Nr. 1, wenn wir diesem Phänomen überhaupt beikommen wollen. Ich habe mich gefreut, zu hören, daß es jetzt auch darüber erste Beschlüsse gegeben haben soll. Ich kann diejenigen, die hierfür in Frage kommen, nur dazu ermuntern, gerade diesen Teil der Bekämpfung des Terrorismus stärker als bisher ins Auge zu fassen.Dies, meine Damen und Herren, wollte ich hier nur angedeutet haben. Einiges mehr werden wir demnächst hier vortragen, wenn die entsprechenden Gesetze zur Beratung anstehen.Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang ist auch ein Unikum wie dieses zu nennen: Kriminalbeamte — so habe ich mir sagen lassen —
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Walthermüssen, wenn sie bei der Strafverfolgung einen Zug besteigen wollen, vorher eine Fahrkarte lösen. Ich halte es in der Tat für einen Witz, daß dem so sein soll; ich könnte mir durchaus vorstellen, Herr Minister, daß dies möglichst schnell aus der Welt zu schaffen ist.
Das erinnert mich an Tucholsky, der einmal die Geschichte erzählt hat, daß die Deutschen erst eine Bahnsteigkarte kaufen, wenn sie bei einer Revolution den Bahnhof besetzen wollen. — Meine Damen und Herren, dies und anderes scheint uns wirkungsvoller zu sein als die plakative Verschärfung von Strafgesetzen, die möglicherweise nichts anderes als politische Selbstbefriedigung darstellt.Nun hat der Herr Kollege Dr. Riedl hier zu Recht das Thema „Umweltschutz" angesprochen. Ich will auch dazu einige Bemerkungen machen. Die Tatsache, daß die Bundesregierung den Umweltschutz zu einem wesentlichen Bestandteil ihres Zukunftsinvestitionenprogramms gemacht hat, macht deutlich, welchen Stellenwert diese Bundesregierung und die sie tragende Koalition auch in Zukunft den Fragen des Umweltschutzes beimessen. Ich muß Ihnen ehrlich sagen, ich war ein bißchen traurig darüber, daß einige Bundesländer so lange gezögert haben, die Verträge über dieses Zukunftsinvestitionenprogramm zu unterschreiben.
Wir haben ja in der Vergangenheit gerade im Bereich des Einzelplans 06 schon eine Reihe von Mitteln zur Unterstützung der Bundesländer, insbesondere Baden-Württembergs, eingesetzt, um die Sanierung von Bodensee und Rhein in Gang zu bringen, und wir haben dabei schon eine Menge Erfolge erzielt. Ich bin ganz sicher, mit dem, was wir mit den 2 Milliarden im Zukunftsinvestitionenprogramm machen wollen, werden wir auf dem Wege der Sauberhaltung von Bodensee, Rhein und deren Nebenflüssen einen großen Schritt weiterkommen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, dort, wo dem Bund in der Umweltpolitik die Kompetenz zufällt, wird er handeln und auch handeln müssen, und zwar noch ein bißchen mehr als durch das, was ich eben angedeutet habe.Zum Umweltbundesamt hat der Kollege Dr. Riedl einige kritische Anmerkungen gemacht. Ich will von mir aus nur folgendes sagen. Forschungsinstrumente auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Herr Kollege Riedl, haben wir im Bereich des Bundes genug; ich erinnere beispielsweise an Wabolu. Es kommt nicht darauf an, neue Forschungskapazitäten in Berlin zu errichten, sondern darauf, die vorhandenen Forschungskapazitäten zu koordinieren und sie so effektiv wie nur irgend möglich in die Umweltgesetzgebung einzubinden.
— Ich bedanke mich für diesen Zwischenruf und dafür, daß Sie „einverstanden" sagen.
— Ich freue mich ja sehr darüber, daß es auf diesem Gebiet Übereinstimmung gibt, denn, Herr Kollege Dr. Riedl, wir sind uns ja im Ausschuß auch sehr viel einiger gewesen, als Sie hier öffentlich darzustellen beliebt haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will dazu noch ein paar Bemerkungen machen. Zum Umweltschutz gehört zweifellos auch der Lärmschutz; Lärm am Arbeitsplatz und im Verkehr ist einer der Hauptverursacher beispielsweise von Streßkrankheiten. Die Straßenschallschutzverordnung sollte, dem Bundes-Immissionsschutzgesetz folgend, bald erlassen werden. Herr Minister, ich weiß zwar, daß dies nicht die alleinige Kompetenz Ihres Hauses ist, aber ich denke, Sie werden dem damit auch befaßten Verkehrsminister ein bißchen auf die Sprünge helfen können.Es ist sicherlich so, daß der Chemieunfall im italienischen Seveso noch einigen von uns im Gedächtnis geblieben ist. Ich möchte ausdrücklich daran erinnern, daß wir in unserem Lande noch Vorkehrungen dafür treffen müssen, daß sich solches bei uns nicht wiederholen kann. Herr Minister, ich wäre dankbar, wenn Sie die Umweltschutzabteilung Ihres Hauses gerade auf diesen Punkt ansetzen würden, damit wir uns nicht möglicherweise eines Tages auch in diesem Lande Vorwürfe machen müssen.Nun hat der Kollege Dr. Riedl hier jenes Farbenbild über die Personalbesetzung im Innenministerium gemalt. Herr Kollege Dr. Riedl, Sie hätten es im bayerischen Innenministerium viel einfacher; Sie bräuchten nur vom Minister bis zur Putzfrau die Farbe schwarz zu nehmen, dann wären Sie durch.
— Es waren ein bißchen weniger! Und ich bin nicht sicher, ob 70 % der Wählerstimmen schon etwas über die Qualität der Beamten, Angestellten und Putzfrauen aussagen, die Sie da beschäftigen, und ob sie alle das CSU-Parteibuch haben müssen. — Aber hier sitzt auch der Kollege Dr. Dregger; er sollte uns einmal erzählen, wie es denn eigentlich bei der Stadt- und Kreisverwaltung Fulda aussieht.
— Aber, Herr Kollege Dr. Dregger, das ist möglicherweise ein anderes Schwarz, obwohl ich gar nicht sicher bin, daß das Schwarz, das Sie vertreten, ein anderes als das ist, das Herr Strauß vertritt. Aber bei den Verwaltungen in Fulda müssen Sie lange suchen und bis zum Friedhofsgärtner gehen, um einen zu finden, der das SPD-Parteibuch hat. Ich will gar nicht so tun, als sei dies eine Sünde, die Sie allein begingen. Nur, Herr Kollege Dr. Riedl, halte ich es einfach für unehrlich, so zu tun, als seien die einen die Bösen, und die anderen wüßten von solchen bösen Taten nichts und begingen sie nicht. Ich denke, da sind wir allzumal Sünder. Ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie dem Minister den Hinweis gegeben haben, daß die SPD in seinem Ministerium unterrepräsentiert ist; ich brauche dies nicht zu wiederholen.
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Walther— Ja, aber der bayerische Innenminister ist dies doch auch und hat auch nur schwarze Parteibücher in seinem Haus.
Nun will ich ein paar Bemerkungen zu der angesprochenen Deutschen Nationalstiftung machen. Auch wir begrüßen es sehr, daß dieses von Willy Brandt angeregte Projekt der Deutschen Nationalstiftung vorangetrieben werden soll; nur, Herr Kollege Riedl, liegt die Verzögerung nicht an dieser Regierung, nicht an diesem Innenminister, sondern sie liegt auch hier wieder an den Länderinnenministern und den Länderministerpräsidenten, die sich zu keiner endgültigen Entscheidung aufraffen können,
die so tun, als müsse der Bund bezahlen und den Ländern in den Beschlußgremien die Dreiviertelmehrheit eingeräumt werden. Dies geht nicht.
Weil am 1. Juli, wie ich glaube, der Bundeskanzler mit den Länderministerpräsidenten zusammenkommt, um unter anderem auch über diese Frage zu reden, richte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Appell an die Länder, nun endlich mit der Finassiererei aufzuhören und zu Beschlüssen zu kommen, die dem entsprechen, was Sie ganz offenbar in Übereinstimmung mit der von uns initiierten Idee als wünschenswert und richtig ansehen.
— Herr Dr. Miltner, wenn Sie so tun, als sei die Frage des Sitzes das alleinige Problem der Deutschen Nationalstiftung, dann kommen wir in der Tat nicht weiter.
— Ich sage Ihnen hier ganz klipp und klar, was ich Ihnen seit drei Jahren auch im Innenausschuß gesagt habe, Herr Kollege Miltner.
— Wir haben nichts gegen den Standort Berlin, wenn sich dies aus der Konzeption ergibt. Aber Sie können nicht so tun, als wenn wir erst den Standort festlegen und dann über Konzeption reden müßten; umgekehrt wird ein Schuh daraus.
Ich will noch eine Bemerkung zum medienpolitischen Teil dieses Haushaltsplanes machen. Wir finden in diesem Einzelplan 06 auch erneut Ansätze für medienpolitische Forschungen und Untersuchungen. Ich möchte hier den Herrn Bundeskanzler aus seiner Regierungserklärung — mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin — zitieren:Ohne eine freie und offene Presse müßten auch Liberalität und Geistesfreiheit Schaden nehmen. Jeder muß sein Grundrecht, sich frei auch über unterschiedliche Meinungen zu informieren, in Anspruch nehmen können. Die Bundesregierung wird deshalb auf die Verleger- und Journalistenverbände einwirken, sich über eine einvernehmliche Regelung der inneren Pressefreiheit und über Redaktionsstatute zu verständigen. Wenn das etwa bis zur Mitte der Periode nicht zustande kommen sollte, werden wir ein auf den Bereich der sogenannten inneren Pressefreiheit beschränktes Presserechtsrahmengesetz hier im Bundestage unterbreiten.Ich fürchte, daß die Regierung sich schon jetzt darauf einstellen sollte, daß sie aktiv werden muß. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage unter Verlegern hat ergeben, daß etwa 90 % von ihnen meinen, daß Pressefreiheit ihnen allein zustünde. Dazu kann ich nur in aller Deutlichkeit sagen: Presse- und Meinungsfreiheit stehen allen Deutschen und nicht nur den wenigen Verlegern in diesem Lande zu.
Ich halte es für schlimm, ja, für gefährlich, daß auf dem Pressesektor die Konzentration erschrekkend fortschreitet und nur in den wenigsten Fällen größere Konzentrationsmacht mit steigendem Verantwortungsbewußtsein einhergeht. Ein schlimmes Beispiel dafür ist der Springer-Konzern. Man muß schon reich wie Herr Gunter Sachs oder Franz Bekkenbauer sein, um sich gegen Geschmacklosigkeiten des Massenblattes aus diesem Hause wehren zu können.
Ich sehe, daß die Redezeit abgelaufen ist. Ich komme deshalb zum Schluß und sage Ihnen: Dieser Einzelplan 06 mit vielen wichtigen innenpolitischen Schwerpunkten ist ein Kennzeichen sozialliberaler Innenpolitik und findet unsere volle Zustimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Wendig.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte auch für meine Fraktion, für die Freien Demokraten, über einige Schwerpunkte der deutschen Innenpolitik sprechen. Der Herr Kollege Riedl hat im Ansatz sehr richtig von der Notwendigkeit des Konsenses aller Demokraten in bestimmten Bereichen gesprochen. Ich wäre allerdings sehr dafür, wenn sich dieser Konsens nicht nur im Verbalen erschöpfen würde. Hier herrscht in der Diskussion leider oft eine Atmosphäre, die einer sachkundigen Erörterung nicht immer förderlich ist; das gilt vor allem in den Bereichen der inneren Sicherheit. So, wie der sicherheitspolitische Dialog von der Opposition zum Teil — auch heute wieder — geführt wird, schafft er hier
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Dr. Wendigund im Lande Stimmungen, Emotionen, die den einzig brauchbaren Weg verstellen, der zur Lösung dieser dringenden Probleme führt, nämlich den Weg einer nüchternen Sachlichkeit.
Was wir ebenso notwendig wie wirksame Einzelmaßnahmen brauchen, ist das Vertrauen des Bürgers in diese freiheitliche Grundordnung, ein Vertrauen, das man überstrapaziert, wenn man die Situation falsch und emotional aufgeladen verzeichnet. Man darf hier nicht Härte vortäuschen, wo und weil man meint, daß der Bürger Härte erwartet. Man sollte und müßte wissen, daß man gerade in diesen Bereichen der Innenpolitik besonders sorgfältig differenzieren, abwägen und dann entscheiden muß. Das klingt nicht immer sehr populär, ist aber allein das von Sache her Gebotene.
Gerade dort, wo bei vielen berechtigte Empörung und berechtigter Zorn den Blick auf die Ursachen und die Wirksamkeit möglicher Maßnahmen verstellen, ist es die Verpflichtung der Politiker, der Parlamentarier, den kühlen Kopf für richtiges Urteil und dann richtige Entscheidung zu bewahren.
Zu der Erhaltung und Wiedergewinnung der inneren Sicherheit sind, zunächst einmal rein theoretisch betrachtet, drei Ebenen zu bedenken — ich will kurz auf sie eingehen —, auf denen man sich zu bewegen hat: der Bereich des Strafrechts und des Strafverfahrens, der Bereich der polizeilichen Ermittlung und der Bereich des sogenannten Sympathisantenfeldes, das wohl am schwierigsten zu beurteilen ist.Wenn ich jetzt auf Strafrecht und Strafverfahren nicht näher eingehe, so einmal, um die Sicherheitsdebatte, die hier vor einigen Wochen stattgefunden hat, nicht zu wiederholen, zum anderen aber auch, weil wir Freien Demokraten meinen, daß hier in der Tat nicht der Kernpunkt der Gesamtproblematik liegt, was natürlich nicht bedeutet, daß wir nach der Sommerpause nicht über die von der Opposition vorgelegten Entwürfe beraten und dabei unseren Beitrag leisten werden.Der zweite Bereich, meine Damen und Herren, ist politisch, sachlich wichtiger. Ich begrüße es daher mit allem Nachdruck, daß auf Vorschlag der Bundesregierung die personellen und sächlichen Mittel für Verfassungsschutz, für das Bundeskriminalamt und den Bundesgrenzschutz über die Verbesserungen der ursprünglichen Regierungsvorlage hinaus beträchtlich verstärkt worden sind.
— Noch längst nicht; ich fange ja gerade erst an, Herr Miltner. — Dies wird die zuständigen Behörden in den Stand setzen, auch die technischen Möglichkeiten der Fahndung besser als bisher auszuschöpfen. Darüber hinaus — ich sage: darüber hinaus — werden Legislative und Regierung weitere Schritte zu erwägen haben. Ich nenne hier nur die Frage der gefälschten Personalausweise und der Autokennzeichen. Die Konferenz der Innenminister — wir haben es schon gehört — der Länder hat zu diesem Thema in dieser Woche Empfehlungen erarbeitet, denen wir nur zustimmen können. Darüber hinaus — ebenfalls wieder: darüber hinaus — halte ich es, obwohl es keine neue Frage ist, für notwendig, über eine Ausweitung und Konkretisierung der Kompetenzen des Bundeskriminalamtes neu nachzudenken. Man muß dies gemeinsam mit den Ländern tun und muß dabei wissen, daß bei einem international operierenden Terrorismus der Bürger kein Verständnis dafür hat, wenn letztlich nur noch Prinzipien der föderativen Struktur unseres Staates einer solchen Überlegung entgegenstehen sollten. Wir Freien Demokraten jedenfalls sind bereit, auch über diese, wie ich meine, sehr notwendige Frage, die noch nicht ausdiskutiert ist, auch mit den anderen Fraktionen zu sprechen. Das sind sachlich nüchtern zu betrachtende Wege, die man an den Anfang einer solchen Erörterung stellen sollte und nicht irgendwelche emotionellen Fragen.Ich komme zum dritten Feld. Ihm ist am schwierigsten — wenn überhaupt — mit Mitteln der Gesetzgebung beizukommen. Ich meine die sogenannte Sympathisantenszene. Auch wir betrachten mit Sorge, daß nach den letzten Akten des Terrorismus bestimmte Gruppen, u. a. an Hochschulen, mehr oder weniger verklausulierte Sympathie bezeugen. Wir verurteilen diese Stimmen mit allem Nachdruck. Ohne den Ernst solcher Erscheinungen übersehen zu wollen, müssen wir auch hier Möglichkeiten und Grenzen der Politik erkennen und richtig bewerten.Um es ganz deutlich zu sagen: Auch nach unserer Auffassung ist dieser Staat ein Rechtsstaat, der rechtsfreie Räume nicht kennt und nicht kennen darf. Daran braucht uns niemand zu erinnern. Das gilt auch für Hochschulen.Man hört allerdings aus bestimmten Kreisen der Opposition in letzter Zeit sehr viel über neue hochschulpolitische Konzeptionen. Ich setze einige Zurückhaltung dagegen. Der Herr Kollege Dregger hat in seiner Eigenschaft als Landesvorsitzender der CDU in Hessen auf seinem Hochschulkongreß in Marburg am 14. Mai dieses Jahres ein Referat über Hochschulreform — wenn das richtig ist, was ich im Pressedienst gelesen habe — mit einer Berner-kung über Mordtendenzen der letzten Jahre eingeleitet. Hier meine ich allerdings — bei aller notwendigen Kritik —: Dies ist ein untauglicher, aber auch ein unzumutbarer Ausgangspunkt. Im Zusammenhang mit der Sicherheitspolitik jedenfalls halte ich es in hohem Maße für schädlich, wenn so undifferenziert Tabula rasa gemacht wird. Wenn man die Kerntruppen der Sympathisantenszene politisch wie gesellschaftlich isolieren will, erscheint ein solches Verfahren absolut untauglich.Vor etwa zehn Tagen erschien in der Wochenendausgabe der sicher auch für die Opposition unverdächtigen „Welt" ein Aufsatz, dessen Autor sich kritisch mit der Lage an den deutschen Hochschulen befaßte. Wichtig für diese Diskussion ist u. a. der Satz, daß nicht eine falsche Gesetzgebung, sondern die Nichtanwendung geltenden Rechts die Ursache gewisser Erscheinungen sei. Hier muß man anset-
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Dr. Wendigzen, wenn man diesen Bereich in die Debatte einführt.Im übrigen sollte bei allen Demokraten in diesem Staat Einigkeit darüber bestehen, daß es jeder Verharmlosung und Verdrehung in der öffentlichen Darstellung zu begegnen gilt.Was heißt das schon: politische Gefangene? Gefangene gibt es in unserem Staat — ohne Rücksicht auf die Motivation — nur in der Folge begangener Straftaten. Der Strafvollzug gestaltet sich für jede Art von Kriminalität nach den gleichen gesetzlichen Regelungen. Wir alle müssen dazu beitragen, daß jede andere Darstellung in der Offentlichkeit als das bezeichnet wird, was sie im Grunde ist: eine im Ergebnis gefährliche und daher verwerfliche Verdrehung. Ein starker freiheitlicher Staat, stabile gesellschaftliche und politische Verhältnisse, klares, aber auch abgewogenes politisches Urteil aller sind im übrigen auf die Dauer die einzige Garantie dafür, daß alle Maßnahmen letztlich auch zum Ziele führen.
Zum Haushalt des Bundesministers des Innern muß auch einiges hinsichtlich der Personalpolitikund des öffentlichen Dienstes gesagt werden. Herr Kollege Riedl ist darauf aus einer anderen Perspektive schon eingegangen. In der vergangenen Woche wurde bei der Beratung des Sechsten Besoldungserhöhungsgesetzes seitens der Opposition wieder einmal gesagt, hier sei ein Angriff auf das Berufsbeamtentum zu bemerken.
— Herr Berger, ich komme darauf zu sprechen.
Die CDU/CSU ist hier, wie wir wissen, mit voreiligen Beurteilungen sehr schnell bei der Hand. Nur stimmen sie nicht, und die Argumente werden nicht besser, wenn man sie ständig wiederholt.Da hat z. B. der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Herr Filbinger, vor einigen Tagen etwas ganz anderes gesagt. Wie ich der Presse entnehmen konnte, meinte er, daß die Eingangsgruppen in den einzelnen Laufbahnen zu hoch seien und daß Beamte zu schnell befördert würden. Darüber wird man nachzudenken haben. Ich weiß allerdings nicht, ob die Opposition im Hause auch bei solchen Vorschlägen noch von Angriffen gegen das Berufsbeamtentum sprechen wird. Die Frage darf man stellen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Berger?
Auf diese Frage habe ich gewartet. Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr. Wendig, erinnern Sie sich denn nicht daran, daß es in der vorigen Woche um einen ganz anderen Vorwurf ging, und würden Sie mir zustimmen, daß die von der Koalition beschlossene einheitliche Herabsetzung, verbunden mit einer Nivellierung — Eingangsgruppe A 12 —, etwas ganz anderes ist als
das, was Herr Filbinger zu überlegen gegeben hat?
Herr Kollege Berger, Herr Filbinger geht sogar noch weiter. Wir haben jetzt die Anwärterbezüge abgesenkt und haben gesagt, das habe keine Konsequenz für die endgültige Besoldung. Herr Filbinger sagt aber, schon die Eingangsstufen für die endgültige Besoldung sollen niedriger liegen. Ich glaube, er geht da weiter.
Wir bejahen mit Nachdruck die Notwendigkeit eines hochqualifizierten Berufsbeamtentums. Wir wehren uns aber zugleich dagegen, daß man in jeder Maßnahme, die am öffentlichen Dienstrecht etwas ändert, schon die Axt zu erblicken glaubt, die an die Wurzeln des Berufsbeamtentums gelegt wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein?
Wenn sie mir nicht von der Zeit abgezogen wird, muß ich gestehen.
Darf ich im Anschluß an die Frage von Herrn Berger noch einmal fragen: Sehen Sie nicht, daß die Erwägungen, die Herr Ministerpräsident Filbinger angestellt hat, mit Nivellierung nichts, aber auch gar nichts zu tun haben?
Ich habe auch nicht von der Frage der Nivellierung gesprochen,
sondern von der Frage, daß hier die Eingangsstufen niedriger gesetzt werden sollen, etwas, was im letzten Besoldungsänderungsgesetz — ich sage es noch einmal — nur für die Anwärterbezüge gedacht war. Wir haben ausdrücklich gesagt: das hat noch keine Konsequenzen für die endgültige Besoldung. Das meine ich dabei.Wir erwarten, daß der Bundesinnenminister die Reform des öffentlichen Dienstrechts nach den Ausführungen, die er im Innenausschuß hierzu gemacht hat, zügig fortentwickelt. Und, Herr Kollege Riedl, es ist schlicht nicht richtig, wenn Sie sagen, hier sei nichts geschehen. Ich denke an das BSVNG, ich denke an das Personalvertretungsgesetz, ich denke an die Neuregelung des Versorgungsrechts allein in der letzten Legislaturperiode. Wir Freien Demokraten verstehen unter Dienstrechtsreform ein Dienstrecht, das u. a. die Laufbahnen offener macht, die Besoldung stärker an ausgewiesene Funktionen bindet und die Fragen der Zugänge zu den einzelnen Laufbahnen nach neuen Kriterien regelt.Wir alle — ein weiterer Punkt — werden dafür zu sorgen haben, daß die Gesetzgebung nicht unnötigen Verwaltungsaufwand mit personellen Konsequenzen notwendig macht. Soweit dieser Haushalt Personalvermehrungen enthält, beschränken sie sich auf sachlich zwingende Maßnahmen, vor allem im Bereich der inneren Sicherheit. Es ist schlicht falsch,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2681
Dr. Wendigvon einer Aufblähung der Personalhaushalte zu sprechen. Dies gilt nicht nur für den Einzelplan 06. Was die Opposition für die politische Leitung in den Ressorts und für Öffentlichkeitsaufgaben an Kürzungen vorgeschlagen hat, ist in der Tendenz nicht neu. Aber auch diese Aufgaben sind notwendig und für die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben unerläßlich. Lassen Sie also solche Tendenzanträge, weil darin erkennbar wird, daß es Ihnen um eine Realisierung ernstlich gar nicht geht.Ein Wort zu Herren Kollegen Riedl, der in diesem Zusammenhang die Bewertung des Bundesinnenministers angehängt hat. Ich finde es ein wenig unter dem Niveau, wenn man hier unbedingt Klassifizierungen verwendet, die der „Stern" über Politiker in diesem Lande vorgenommen hat, abgesehen davon, daß sich die Frage aufdrängt, was er wohl dazu sagen würde, wenn ich jetzt Qualifizierungen von CDU-Politikern nachprüfen würde. Ich tue es bewußt nicht, ich halte dies für falsch.
— Ich wollte keine Namen nennen, Herr Kollege.Ich möchte an dieser Stelle einige Bemerkungen zum Einzelplan 36 — Zivile Verteidigung — einfügen. Ich bekenne hier offen — bisher wurde darüber nicht gesprochen; ich bin der erste, der heute dazu Stellung nimmt —, daß die Entwicklung dieses Einzelplans uns ganz und gar nicht behagt. Der Schutzraumbau ist zuletzt durch das Haushaltsstrukturgesetz so weit reduziert worden, daß er praktisch zum Erliegen kommen wird. Bei allem Verständnis für die haushalts- und finanzpolitischen Schwierigkeiten darf es nach unseren Auffassungen hiermit auf die Dauer nicht sein Bewenden haben. Dabei wird man allerdings nicht in solchen Dimensionen denken können, wie der Herr Kollege Dregger es getan hat, als er bei der Debatte zur Regierungserklärung am 21. Januar dieses Jahres von den riesigen Tunnelsystemen unter den Städten Chinas gesprochen hat. Man muß bei der Planung realistisch sein und auch dem Bürger sagen: eine unbegrenzte Belastung der öffentlichen Haushalte, der privaten Haushalte und damit auch der Wirtschaft ist nicht möglich. Ich darf hier etwas einfügen: es gab einmal die Zeit, in der die Opposition, damals noch Regierung, solchen Erkenntnissen gegenüber durchaus offen war. Das Schutzraumgesetz von 1965, das eine weitgehende Baupflicht vorsah, wurde nämlich im Zuge der Rezession 1966/67 durch das Finanzänderungsgesetz, nebenbei gegen die Stimmen der FDP, zum großen Teil revidiert, d. h. rückgängig gemacht. Es wäre also zu begrüßen, wenn wir uns in dieser Frage gegenseitige Vorwürfe ersparen würden. Um so mehr begrüßen wir es, daß der Bundesinnenminister, wie wir gehört haben, eine Konzeption für den Bereich der zivilen Verteidigung angekündigt hat. Dem Vernehmen nach wird es sich unter anderem um notwendige organisatorische Maßnahmen handeln, die unter Einbeziehung des Katastrophenschutzes durch Straffung und Rationalisierung im personellen und sachlichen Bereich zu einer gesteigerten Effizienz führen sollen.Haushaltsmittel, die hier eingespart werden, sollten dann vor allem im Wege einer Umschichtung im Einzelplan 36 für andere notwendige Maßnahmen, so im Schutzraumbau, verwendet werden. Die Freien Demokraten werden ein solches Konzept, das nach den Erfordernissen der allgemeinen Sicherheitspolitik der Bundesrepublik ausgerichtet wird, nachdrücklich zustimmen. Wir erwarten deshalb Konsequenzen für den Haushalt Zivile Verteidigung bereits im kommenden Jahr.Ein letzter Sprung zurück zum Einzelplan 06. Hier sind im Kapitel 06 07 erstmalig Mittel für den Datenschutzbeauftragen des Bundes aufgeworfen worden. Wir begrüßen dies als einen ersten notwendigen Schritt, das außerordentlich wichtige Datenschutzgesetz nunmehr in den gesetzlich vorgesehenen Fristen in die Praxis umzusetzen. Wir hoffen und erwarten, daß der Herr Bundesinnenminister für die personelle Besetzung eine gute Wahl treffen wird. Das Datenschutzgesetz ist eines der wesentlichsten Gesetze der letzten Jahre im innenpolitischen Bereich. Ich darf hierzu ein paar Sätze sagen. Wir haben noch im Dezember vergangenen Jahres sehr leidenschaftlich darüber gestritten. Wir hoffen, daß sehr bald Erfahrungen vorliegen, die dem Parlament die Einsicht gestatten, ob das Gesetz alle Fragen schon in allen Punkten richtig beantwortet. Ich erinnere an die Überlegungen, die wir im 7. Deutschen Bundestag bei der Verabschiedung dieses Gesetzes alle angestellt haben, Überlegungen, die auch heute noch fortwirken. Der Bericht des Datenschutzbeauftragten an das Parlament wird uns zur gegebenen Zeit in den Stand versetzen, diese Überlegungen zu konkretisieren. Schon jetzt möchte ich aber die Aufmerksamkeit des Hauses und des Bundesministeriums des Innern auf eine Frage richten, die bei Verabschiedung des Gesetzes noch keine große Rolle gespielt hat. Es geht um die Überlegung, ob der zentrale Datenschutz in der jetzigen Fassung oder durch eine mögliche Novellierung bestimmte Spezialbereiche und deren Gegebenheiten genügend berücksichtigen kann. Ich denke dabei z. B. in der öffentlichen Verwaltung an den Verfassungsschutz, an das Bundeskriminalamt und an die Geheimdienste. Ähnliche Probleme werden sich im Bereich der Sozialversicherung und der Sozialverwaltung ergeben. Man sollte im Bundesministerium des Innern schon heute überlegen, ob nicht neben diesem zentralen Datenschutzgesetz bereichsspezifische Sonderregelungen vorgesehen werden sollten.Der Datenschutz greift im übrigen noch in eine andere Dimension ein. Hier wird nämlich ein wichtiger Beitrag zur Lösung des Problems geleistet, bedrohliche Entwicklungen, die sich auf sehr vielen Gebieten aus modernen Technologien ergeben, in unser rechtsstaatliches System einzubinden. Wenn vor wenigen Wochen in anderen Zusammenhängen von dem Gegensatz von Rechtsstaat und Atomstaat die Rede war, so ist damit genau dieses Problem angesprochen. Ich erblicke in der rechtsstaatlichen Aufarbeitung technologischer Entwicklungen in vielen Bereichen eine der wesentlichsten Aufgaben der Rechts- und Innenpolitik, die wir in den nächsten Jahren zu bewältigen haben werden.
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2682 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. WendigMeine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Der Haushalt des Bundesministers des Innern ist sachlich ausgewogen, er stellt eine verläßliche Grundlage dar, die innenpolitischen Probleme des Jahres 1977 zu lösen. Wir werden diesem Haushalt wie auch dem Einzelplan 36 mit ,den von mir angedeuteten Bedenken zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dregger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Ergänzung der Ausführungen meines Kollegen Riedl möchte ich mich in dieser Debatte zu drei Themen äußern: zur Zivilverteidigung, zur Terrorismusbekämpfung und zur Bekämpfung von Bürgerkriegsgruppen, wie sie kürzlich in Grohnde aufgetreten sind. Politiker beschäftigen sich im allgemeinen nicht gern mit solchen Themen, weil sich mit ihnen nicht angenehme Gefühle und sympathische Zukunftserwartungen verbinden lassen. Wenn ich sie trotzdem aufgreife, dann geschieht das, weil es sich um wichtige, zum Teil nachlässig behandelte und auf jeden Fall unerledigte Aufgaben aus dem Bereich des Bundesministers des Innern handelt, zu dessen Aufgabenbereich zu sprechen meine Fraktion mich beauftragt hat.Erstes Thema also: Zivilverteidigung. Am 21. Januar 1977, in der Debatte zur Regierungserklärung der zweiten Regierung Schmidt/ Genscher, die dieses Thema verschwiegen hatte, habe ich die Regierung aufgefordert, Zielvorstellungen zu entwickeln und sie im Rahmen des Möglichen zu verwirklichen, wobei ich darauf hingewiesen habe, es sei notwendig, die Zivilverteidigung eng mit der militärischen Verteidigung zu verzahnen. Auf diesen Vorstoß habe ich, wenn ich von den Ausführungen des Kollegen Wendig soeben absehe, bis heute keine öffentliche Antwort erhalten. Der Bundesinnenminister hat allerdings nach dieser Debatte in der folgenden Sitzung des Innenausschusses die Vorlage eines neuen Zivilschutzkonzepts für Anfang April angekündigt. Aber inzwischen haben wir Ende Juni, und dieses Konzept liegt nicht vor.
Das ist um so kritikwürdiger, als die Auswertung von Wintex 77 im Verteidigungsausschuß das ganze Dilemma des Zivilschutzes in unserem Lande deutlich gemacht hat.Warum kommt die Regierung in dieser Frage nicht voran? Die Zivilverteidigung gehört offenbar zu den Themen, bei denen in Regierung und Koalition Sacherwägungen auf ideologische Barrieren stoßen.
Dies wird offenkundig in den Meinungsverschiedenheiten zwischen SPD und FDP und auch innerhalb der FDP. Streiten sich bei der FDP noch der zuständige Fraktionssprecher und der zuständige Parlamentarische Staatssekretär über Ziele und Schwer-punkte des Zivilschutzes, so bestimmen in der SPD diejenigen das Meinungsbild, die die Bemühungen um die zivile Verteidigung überhaupt ablehnen.
Ich denke hier vor allem an die Äußerungen unseres Kollegen Pawelczyk, die deshalb Beachtung verdienen, weil er auf diesem Felde nicht selten die Auffassungen seines Parteivorsitzenden und seines Fraktionsvorsitzenden wiedergibt, die sich zwar untereinander zerstritten haben und gegenseitig anschweigen, wenn sie nebeneinander sitzen, die aber im Negativen offenbar einige Gemeinsamkeiten bewahrt haben.
Inhaltlich kann ich die Äußerungen des Kollegen Pawelczyk nur als abenteuerlich bezeichnen. Die „Süddeutsche Zeitung" vom 5. Mai 1977 berichtet darüber wie folgt — mit Genehmigung der Frau Präsidentin darf ich zitieren —:Der SPD-Abgeordnete Pawelczyk warnte davor, den Zivilschutz auf die gleiche Stufe mit der militärischen Verteidigung zu stellen. Angesichts der geographischen Lage bleibe der Bundesrepublik nichts anderes übrig, als eine Politik der Kriegsverhinderung zu betreiben. Dieser Politik entspreche die Strategie der flexiblen Verteidigung, auf die die Bundeswehr ausgerichtet sei und bleiben müsse. Alle anderen Bemühungen wären — nach Ansicht von Pawelczyk — eher ein Schritt auf dem Wege zu einer Kriegsführungsstrategie.Die Richtigkeit dieses Zitats aus der „Süddeutschen Zeitung" gibt ein Interview des SPD-Organs „Vorwärts" vom 9. Juni 1977 mit Herrn Pawelczyk wieder, wo er sich noch einmal ausdrücklich zu dieser Auffassung bekennt.Meine Damen und Herren, hier wird eine Parallele sichtbar. Dieselbe Fraktion, die dabei ist, die Wehrpflicht auszuhöhlen, lehnt auch die zivile Verteidigung ab.
Beide sind unentbehrliche Elemente der Gesamtverteidigung unseres Landes, und wenn auch nur eines dieser Elemente fehlt, sind wirksame Abschreckung und wirksame Verteidigung nicht möglich.Ich möchte zu den Aussagen des Herrn Pawelczyk im einzelnen folgendes bemerken.Erstens. Unsere Politik der Kriegsverhinderung ist nicht nur eine Folge unserer geographischen Lage, auf die Pawelczyk abhebt. Sie ist vor allem — und ich glaube, das für alle Kollegen in diesem Hause sagen zu können -- eine Folge unseres unbedingten Friedenswillens.
Abschreckung eines Angriffs und Verteidigung gegen einen Angriff, wenn Abschreckung versagt, sind die einzigen Ziele unserer Verteidigungsanstrengungen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2683
Dr. DreggerZweitens. Herrn Pawelczyk ist zuzustimmen, wenn er sagt, die Strategie der flexiblen Abschreckung entspreche der Politik der Kriegsverhinderung. Das gilt aber auch für die zuvor maßgebende Strategie der massiven Abschreckung und muß für jede andere Strategie gelten, da Strategie sich zwar auf wechselnde Lagen einzustellen hat, an dem politisch gesetzten Ziel der Kriegsverhinderung aber nichts ändern kann und nichts ändern darf.Drittens. Die Meinungsverschiedenheit mit Herrn Pawelczyk beginnt, wenn er davor warnt, den Zivilschutz auf die gleiche Stufe wie die militärischen Verteidigungsanstrengungen zu stellen. Eine solche Auffassung kann vielleicht ein Amerikaner oder ein Franzose vertreten.
Für uns Deutsche ist bei der geographischen Lage unseres Landes, beim Rüstungsstand eines möglichen Angreifers und bei der Verteidigungskonzeption der NATO eine solche Auffassung schlechthin unzumutbar.
Absurd und diskriminierend ist die Behauptung des Herrn Pawelczyk vor allem dann, wenn er den Ausbau der Zivilverteidigung als einen Übergang von der Kriegsverhinderungsstrategie zur Kriegführungsstrategie bezeichnet.
Das ist nicht nur falsch, sondern eine schlimme Diskriminierung aller, die sich um den Schutz des Lebens der Zivilbevölkerung bemühen.
Warum ist die Ansicht des Herrn Pawelczyk falsch, die zivile Komponente der Gesamtverteidigung könne vernachlässigt werden? Nicht nur nach der Stoßrichtung eines möglichen Angreifers, sondern auch nach der Verteidigungskonzeption der NATO wäre unser Land, wenn die Abschreckung versagte, Hauptkriegsschauplatz. Anders als die Strategie der massiven Abschreckung sieht die Strategie der flexiblen Abschreckung, auf die sich Pawelczyk beruft, nicht in jedem Fall und nicht von vornherein den Einsatz von Nuklearwaffen vor. Das zwingt die NATO mehr als bisher, Gewicht auf den Ausbau der konventionellen Streitkräfte zu legen, um auch ihnen eine von Nuklearwaffen unabhängige Abschreckungswirkung zu geben. Die Abschreckungswirkung, die von konventionellen Divisionen ausgeht, hängt aber nicht nur von ihrer Führung, Ausrüstung und Ausbildung, sondern auch von ihrer Kampfmoral ab.
— Hören Sie mal zu! Es ist sehr wichtig, daß Sie darüber nachdenken.Wie kann man glauben, daß die Bundeswehr — eine Wehrpflichtarmee — bereit wäre, im eigenen Land energisch zu kämpfen, wenn die Angehörigen der kämpfenden Soldaten schutzlos der Vernichtung preisgegeben sind?
Wie kann man glauben, die Zivilbevölkerung werde sich in einem Ernstfall diszipliniert verhalten und den fast ausnahmslos falsch dislozierten NATO-Verbänden den Verkehrsraum freimachen, damit sie ihre Bereitstellungsräume erreichen, wenn die Zivilbevölkerung auf eine solche Situation in gar keiner Weise vorbereitet ist? Was soll eigentlich das Warnsystem des Zivilschutzes, wenn Warnung nur Hilflosigkeit und Verzweiflung zur Folge haben könnte?
Das Problem ist auf eine einfache Formel zu bringen: Wenn es keinerlei Schutz für die Zivilbevölkerung gibt, dann kann die Bundeswehr nicht wirksam kämpfen, und wenn die Bundeswehr nicht wirksam kämpfen kann, dann kann sie auch nicht wirksam abschrecken.
Ausbau des Zivilschutzes ist also nicht, wie Herr Pawelczyk in absurder und diskriminierender Weise behauptet, der Weg von der Kriegsverhinderungs- zur Kriegsführungsstrategie, sondern ganz im Gegenteil unentbehrlicher Bestandteil einer Kriegsverhinderungsstrategie, weil ohne Zivilschutz militärischer Abschreckung durch deutsche Truppen in Deutschland nicht glaubhaft zu machen ist.
Unbeschadet dessen ist Zivilschutz allerdings auch ein Stück Substanzschutz für unser Volk für den Fall, daß die Abschreckung versagt und unser Land — was mit Gottes Hilfe durch eine wirksame Abschreckung und durch eine kluge Politik verhindert werden möge — Kriegsschauplatz werden sollte. Natürlich wäre dieser Zivilschutz kein Vollschutz, den es im Kriege nie gegeben hat und den es in Zukunft erst recht nicht geben wird. Auch der Stahlhelm des Soldaten und die Panzerung eines Kettenfahrzeuges bedeuten keinen Vollschutz. Aber das ist für keine Armee in der Welt Veranlassung, auf Stahlhelm und Panzerung zu verzichten.
Warum für den Schutz der Zivilbevölkerung etwas anders gelten soll, ist das Geheimnis des Herrn Pawelczyk.Nun gibt es allerdings in der amerikanischen Diskussion eine Theorie, die der Zivilbevölkerung durch Verzicht auf Zivilschutz eine Geiselrolle zuweisen will, die zur gegenseitigen Abschreckung beitragen soll. Das kann aber nur funktionieren, wenn beide Seiten sich daran halten, was, soweit es die Sowjetunion angeht, nicht zutrifft. Es kann auch nur für die beiden Großmächte in ihrem Verhältnis zueinander gelten, da deren Land von einem konventionellen Angriff nicht unmittelbar bedroht ist und da sie sich durch ihre strategischen Nuklearwaffen gegenseitig in Schach halten. Die Lage unseres Landes an der Grenze und ohne eigene Nuklearwaffen ist völlig anders als die Lage der USA und der Sowjetunion. Gerade die Strategie der flexiblen Vergeltung schließt es nicht aus, daß unser Land Opfer eines begrenzten Krieges wird. Also muß es darauf vorbereitet sein, um dadurch dazu
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2684 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. Dreggerbeizutragen, daß die Wahrscheinlichkeit einer solchen Katastrophe vermindert wird.Meine Damen und Herren, ich bedaure, daß der Herr Bundeskanzler nicht anwesend ist, daß er den Fragen der inneren Sicherheit offenbar keine besondere Bedeutung beimißt.
Ich wollte ihn fragen, wie denn eigentlich er zu dieser wichtigen Frage steht. Ist auch der Herr Bundeskanzler der Auffassung, daß Zivilschutz den Übergang von einer Kriegsverhinderungs- zu einer Kriegführungsstrategie bedeutet? Oder ist er noch der Meinung, die er am 11. Juli 1962, damals als Innensenator der Stadt Hamburg, geäußert hat? Ich möchte einmal den Innensenator Helmut Schmidt zitieren — mit Genehmigung der Frau Präsidentin —, er sagte damals:Ich will aber ... nicht den Hinweis unterdrükken, daß natürlich die enormen Verteidigungsvorbereitungen des Westens auch in ihrer rein defensiven Zwecksetzung letzten Endes ihren Eindruck beim möglichen Gegner verfehlen können, wenn sie als halbe, nicht ernstlich gewollte Verteidigung erscheinen müssen, weil man ja zum Schutz der eigenen Bevölkerung nichts tut. Jemand, der sich nur mit der militärischen Seite auf den Verteidigungsfall vorbereitet, nämlich mit den 500 000 Soldaten, die er hat, aber für die übrigen 50 Millionen Deutschen in der Bundesrepublik keine Vorsorge trifft, wird nicht annehmen können, daß die Gesamtheit seiner Verteidigungsvorbereitungen auf die Dauer vom Gegner ernst genommen wird.Wenn das damals richtig war — im Jahr 1962 —, ist es dann nicht heute noch viel richtiger im Hinblick darauf, daß sich das Rüstungsgleichgewicht inzwischen zum Nachteil des Westens grundlegend verändert hat und der Westen von der Strategie der massiven Abschreckung zur Strategie der flexiblen Abschreckung übergegangen ist? Ich meine, der Bundeskanzler sollte endlich die Konsequenzen aus seiner alten Einsicht ziehen, die er damals wie folgt formuliert hat. Ich zitiere wörtlich — mit Genehmigung der Frau Präsidentin —:Ich meine, man sollte ... sich mit großem sittlichem Ernst statt dessen zur Maxime machen, daß wir die Verpflichtung haben, jede Chance, die es geben sollte, zum Schutz menschlichen Lebens zu nutzen.
Anders als Herr Schmidt damals und anders als ich heute kann Herr Schmidt heute in der Autorität seines Amtes nicht nur eine solche Auffassung äußern, er kann ihr als Bundeskanzler auch Geltung verschaffen, vorausgesetzt, daß er handlungsfähig ist, was ich beim Zustand seiner Partei allerdings bezweifle. Es ist doch offenbar das Dilemma des Kollegen Helmut Schmidt, daß er seine Partei nicht führen kann, weil er nicht ihr Vorsitzender ist, und daß er nicht kraftvoll regieren kann, weil er sich nicht auf eine Partei stützen kann, die er führt.
Die Folge davon ist, daß Helmut Schmidt immer mehr in die Rolle eines Staatsschauspielers gerät, der mit blendender Rhetorik — ich habe ihn gestern in dieser Hinsicht bewundert — seine Rolle spielen, aber sie eben nur noch spielen und nicht mehr wirklich wahrnehmen kann.
Lassen Sie mich als Abschluß zum Thema Zivilverteidigung folgendes sagen. Ich habe der Regierung in der Debatte vom Januar, wie ich glaube, die richtigen Fragen gestellt, in der Hoffnung, das werde es ihr erleichtern, die richtigen Antworten zu geben. Nachdem Sie wegen allgemeiner Handlungsunfähigkeit nicht zu diesen Antworten gefunden hat, möchte ich heute darüber hinaus die Schwerpunkte nennen, die meines Erachtens Gegenstand eines Konzepts für die Gesamtverteidigung sein müssen. Es sind folgende:1. institutionalisierte Zusammenarbeit von ziviler und militärischer Verteidigung,2. Straffung der Organisation und Verbesserung der Ausrüstung und Ausbildung der Zivilschutzorganisationen,3. Bau von Schutzräumen nach dem Beispiel so friedliebender Nachbarländer wie die Schweiz und Schweden,4. Sicherung der Versorgung der Bevölkerung auch für den Krisen- und Spannungsfall.Meine Damen und Herren der Koalition, bitte beachten Sie: Eine Politik, die die Realitäten verdrängt, weil sie unangenehm sind, und die auf den möglichen, wenn auch noch so begrenzten Schutz der Zivilbevölkerung verzichtet, ist, wie es Innensenator Schmidt 1962 mit Recht feststellte, „mit sittlichem Ernst" nicht zu vereinbaren. Ich möchte weitergehen: bei der heutigen Lage der Verteidigung in Europa ist sie schlechthin unverantwortlich.
Zweites Thema: Terrorismusbekämpfung. Der Mord an Generalbundesanwalt Buback hat eine neue Phase des verbrecherischen Kampfes gegen unsere Republik eingeleitet. Ging es zuvor um sogenannte Geiselnahmen, um den Staat zu erpressen, so ist jetzt nackter Mord an ihre Stelle getreten. Das Leben staatlicher Repräsentanten soll vernichtet werden, um auf diese Weise den Staat in seiner Abwehrbereitschaft zu lähmen. Eine weitere Steigerung des Angriffs auf den demokratischen Staat liegt in der Tatsache, daß es heute — 30 Jahre nach Hitler — wieder deutsche Studenten gibt, die bereit sind, den politischen Mord als Mittel des politischen Kampfes zu verherrlichen.
Meine Damen und Herren, daß das noch in Presseorganen geschieht, die mit Steuergeldern und denDeutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch den 22. Juni 1977 2685Dr. DreggerZwangsbeiträgen aller Studierenden finanziert und von Organen der sogenannten „Studentenschaften", Körperschaften des öffentlichen Rechts also, herausgegeben werden, gibt diesem Skandal seine über den Einzelfall weit hinausreichende Bedeutung.
Wie konnte es dazu kommen? Als Generalantwort kann gesagt werden: Der eigentliche Grund dieser schrecklichen Entwicklung ist die innere Schwäche vieler, die an hervorgehobener Stelle in unserem Staat Verantwortung tragen. Das ist der tiefere Grund.
Lassen Sie mich dafür einige Beispiele nennen.
Die Antwort der Bundesregierung auf die ungeheuerliche Herausforderung unseres Staates durch die Ermordung des Generalbundesanwalts war — ich muß es leider sagen — nicht frei von peinlichem Opportunismus. Zunächst erklärte Herr Maihofer — so in seinem dpa-Interview vom 8. April 1977 —, zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus seien schlechthin überflüssig. Dann reagierte das Kabinett unter dem Druck der öffentlichen Meinung, die für solch achselzuckende Untätigkeit kein Verständnis hat, mit der Bereitstellung einiger Millionen Mark im Rahmen eines sogenannten Sofortprogramms. Die Koalitionsfraktionen verharrten gleichzeitig in eigensinnigem Trotz auf der pauschalen Ablehnung aller konkreten Vorschläge der Union zur Terrorismusbekämpfung, obwohl diese Vorschläge von nahezu allen Fachleuten — auch soweit sie heute in hohen Regierungsämtern sitzen — als notwendig bezeichnet werden.
Ein zweites Beispiel innerer Schwäche: Besonders mißlich sind die Mängel im strafprozessualen Bereich. In etlichen Großverfahren sind prozessuale Rechte so gründlich zur Verschleppung des Verfahrens und zur Verhöhnung der Gerichte mißbraucht worden, daß die Autorität der Rechtsprechung darunter leiden mußte und, wie wir alle in unseren Wahlkreisen erfahren können, tatsächlich auch gelitten hat. Wie kann man von einem kleinen Ganoven erwarten, daß er seine Verurteilung respektiert, wenn wir es hinnehmen, daß kriminelle Gewalttäter unter Berufung auf angeblich politische Motive ihren Prozeß beinahe nach Belieben hinziehen, ihn zum Tribunal gegen diesen Staat umfunktionieren oder ihn zur Farce werden lassen?
— Nein. Sie kennen nur die Alternative, nichts zu tun oder kurzen Prozeß zu machen. Das ist das Unglück: daß Sie in Deutschland nicht eine maßvolle und zugleich energische Politik machen können.
Maßvoll und schlapp sind allerdings nicht dasselbe; das wird von Ihnen häufig verwechselt.
Der Bundesrat und meine Fraktion haben Gesetzesvorschläge gemacht, um solchem Autoritätsverfall entgegenzuwirken. Ich hoffe sehr, daß alle Fraktionen dieses Hauses, vor allem auch die Bundesregierung bereit sind, an der Verabschiedung dieser Gesetze mitzuwirken, und sich nicht auch hier wieder in kindlichem Trotz zur Immobilität verpflichtet fühlen, meine lieben Freunde von der SPD und der FDP.
Der entscheidende Grund für den zunehmenden Verfall der Autorität des Rechtsstaats liegt aber auf einem dritten Feld. Ich greife das Beispiel Hamburg heraus. Der dortige Hochschulpräsident, ein zur Treue zum Staat verpflichteter und zur sorgfältigen Beachtung seiner Gesetze verpflichteter Beamter also, tritt unbekümmert um das geltende Hochschulrecht sogenannten streikenden Studenten mit der Erklärung zur Seite — ich zitiere: „Das Ordnungsrecht wird abgelehnt. Das politische Mandat wird befürwortet."
Herr Kollege Dregger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lattmann?
Bitte, gern.
Herr Kollege Dregger, da Sie im Zusammenhang mit diesen Problemen, die uns alle sehr bewegen,
und im Zusammenhang mit der Szene an einigen Universitäten von der inneren Schwäche mancher sprechen, die in unserem Staat Verantwortung tragen, frage ich Sie, ob Sie denn der Meinung sind, daß in der deutschen Geschichte der autoritäre Staat und der Ruf nach dem starken Mann der Demokratie gedient haben?
Die Schwäche der Demokraten führt dazu, daß irgendwann einmal das Vertrauen in die Demokratie verlorengeht und man dann wieder nach dem starken Mann ruft. Das wollen und können wir verhindern.
Aber nicht nur der Hochschulpräsident ist zu rügen. Ein der FDP angehörender Bürgermeister der gleichen Stadt ruft diesen Hochschulpräsidenten nicht etwa zur Ordnung, vielmehr trägt er mit Erklärungen über die wünschenswerte Entwicklung des politischen Mandats und — wie er es nennt —„Vorkehrungen gegen eine leichtfertige Anwen-
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2686 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. Dreggerdung des Ordnungsrechts an Hochschulen" seinerseits zur Demontage des Rechtsstaats bei. Da der Herr Bundeskanzler, der sonst durchaus bereit ist, sich zu politischen Fragen zu äußern, die nicht unmittelbar in seine Verantwortung gehören — wir haben es gestern erst wieder erlebt —, zu diesem ungeheuerlichen Vorfall ebenso geschwiegen hat wie seine Minister für Inneres und Justiz, möchte ich im Namen meiner Fraktion feststellen: Dieser Hochschulpräsident und dieser Bürgermeister haben ihre politische Pflicht zur Verteidigung der Republik gröblich verletzt.
Ein Staat, dessen Repräsentanten mit den Rechtsbrechern paktieren oder sie gewähren lassen, ein Staat, der seine Gesetze nicht gegenüber jedermann zur Geltung bringt, verschwindet im Nebel. Ein solcher Staat verliert Vertrauen — nicht nur bei seinen Bürgern, sondern auch bei seinen Beamten und Richtern, die sich immer mehr im Stich gelassen fühlen.
Wir sind nicht bereit, uns dieser traurigen Haltung weiter Teile von SPD und FDP anzuschließen. Wir sind entschlossen, die Universität nicht den Rechtsbrechern und den Antidemokraten zu überlassen. Wir halten nichts von der feigen Formel, der Staat dürfe nichts tun, um die Solidarisierung von vernünftigen Studenten mit Radikalen zu verhindern. Meine Damen und Herren, die Universität ist kein rechtsfreier Raum. Für Studenten kann es keine Privilegien geben, die über die Tatsache hinausgehen, daß sie auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung studieren.
Wer den Rechtsbruch von Studenten zu einer höheren Form des kritischen Bewußtseins hinaufstilisiert, erzieht diese Studenten nicht zur Demokratie, sondern bestärkt sie in ihrer Verachtung des demokratischen Staates,
einer Verachtung — das muß zur Entschuldigung und zur Entlastung dieser Studenten gesagt werden —, die ihnen in manchen Ländern mit Hilfe darauf gerichteter Rahmenrichtlinien, mit Hilfe darauf gerichteter Lehrbücher und mit Hilfe daraufhin ausgebildeter Lehrer anerzogen worden ist.Meine Damen und Herren, gegen die Verhetzung weiter Teile unserer jungen Generation, gegen die feige Anpassung vieler, die das geschehen lassen, obwohl sie zum Widerstand verpflichtet wären, machen wir Front: in den Parlamenten, draußen im Lande und an den Universitäten selbst, in denen wir erscheinen, um Flagge zu zeigen und uns der Auseinandersetzung zu stellen.
Die Repräsentanten unseres demokratischen Staates — und dazu gehören auch wir — müssen auch in anderer Weise zeigen, daß sie gewillt sind, den rechtlichen und moralischen Grundlagen unserer Ordnung entschieden Geltung zu verschaffen. DerZüricher Philosoph Lübbe — ich zitiere aus der „Deutschen Zeitung" vom 27. Mai 1977 — hat sicherlich recht, wenn er sagt, daß der eigentliche Grund des Terrorismus Systemverachtung sei. Es ist die Verachtung für ein System, dem man nicht mehr zutraut, daß es sich selbst ernst nimmt. Was hier versäumt wird, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesinnenminister, kann nicht durch Bereitstellung von Geld und durch sogenannte Sofortprogramme wiedergutgemacht werden. Entscheidend ist die politische und die geistige Position in dieser Auseinandersetzung.
Bundeskanzler, Bundesinnenminister und Bundesjustizminister haben hinsichtlich notwendiger Gesetzesänderungen in diesem Bereich nicht selten Ansichten vertreten, die mit den unseren übereinstimmen. Es ist also nicht mangelnde Einsicht, meine Herren, die ich Ihnen vorwerfe. Was ich Ihnen aber vorwerfe, ist, daß Sie nicht die Kraft haben, sich in Ihren Fraktionen durchzusetzen, und daß Sie, wenn Sie das nicht können, nicht die Kraft haben, von Ihren Ämtern zurückzutreten.
Um der Machterhaltung willen sind Sie statt dessen vor den Kräften in Ihren Parteien und Fraktionen zurückgewichen, die lieber den demokratischen Rechtsstaat in Frage stellen — wobei sie sicherlich ein besonders gutes moralisches Bewußtsein haben —, als diesen demokratischen Rechtsstaat in angemessener Weise zu verteidigen.Meine Damen und Herren, um den Willen der Unionsparteien, der stärksten politischen Kraft in Deutschland, zur Verteidigung der Republik nicht nur in Worten, sondern auch in Taten deutlich zu machen, wiederhole ich daher folgendes:Erstens. Wir sind nicht bereit, Gewalttätern weiterhin den Mißbrauch des Demonstrationsrechts zu ermöglichen. Wir fordern die Wiederherstellung des 1969 abgeschafften Demonstrationsstrafrechts, damit sich Gewalttäter nicht Deckung hinter anderen Demonstranten verschaffen können. Nach den Erfahrungen von Grohnde kann niemand mehr an der Notwendigkeit dieser Forderung zweifeln, meine Damen und Herren!
Zweitens. Wir wollen unbelehrbaren Terroristen nicht die Gelegenheit geben, alsbald nach Verbüßung einer Strafe zur Vorbereitung neuer Straftaten in den Untergrund zu gehen. Deshalb verlangen wir die Einführung der Sicherungsverwahrung für terroristische Gewaltverbrecher.
Drittens. Wir wollen die Konspiration sogenannter Rechtsanwälte mit Inhaftierten nicht länger hinnehmen. Deshalb fordern wir die Möglichkeit richterlicher Gesprächsüberwachung.
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Dr. DreggerDas dritte Thema: Aufbau einer schlagkräftigen Polizeitruppe, die mit Bürgerkriegsverbänden fertig werden kann. Meine Damen und Herren, nicht nur der Buback-Mord und seine Verherrlichung durch deutsche Studenten, sondern auch das Auftreten von Bürgerkriegsverbänden in Brokdorf und Grohnde haben eine neue Phase des Angriffs auf unseren Staat eingeleitet. Die Verbände, die vor allem in Grohnde auftraten, waren militärisch gegliedert, mit modernsten Nachrichtenmitteln straff geführt, für die verschiedenen Kampfaufgaben speziell gerüstet und vor allem zu brutalem Vorgehen entschlossen. Sie wurden angeleitet von Kadern der sogenannten Neuen Linken, die ihren Ursprung an den Universitäten hat, voran aus dem Kommunistischen Bund , aber auch dem Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) und der KPD/ML. Sie hatten feste Einsatzpläne mit präziser Aufgabenverteilung für bestimmte Gruppen. Durch Ausrüstung und Ausbildung waren sie in der Lage, selbst sehr stabile Umzäunungen niederzulegen. Sie griffen die Polizei mit brutaler Gewalt an und verwendeten dabei u. a. Schlagstöcke, Stahlkugeln und Molotow-Cocktails, mit denen sie mehr als 200 Polizeibeamte zum Teil erheblich verletzten. Die Attacken waren zunächst so erfolgreich, daß für die Polizei in Grohnde eine sehr ernste, ja bedrohliche Lage entstand, die erst im letzten Augenblick noch einmal gewendet werden konnte. Es war ein glücklicher Umstand, daß während des Einsatzes in Grohnde nicht gleichzeitig große Polizeianforderungen an anderen Orten vorlagen.Angesichts dieser Situation dürfen wir keinen Tag länger der Frage ausweichen, mit welchen Sicherheitskräften wir operieren wollen, wenn diese Gruppen ihre Drohung „Schafft ein, zwei, drei, schafft viele Grohndes!" wahrmachen.Für den Einsatz der Bundeswehr im Innern hat unsere Verfassung mit Recht enge Schranken aufgerichtet. Wir wollen daran nichts ändern. Die Bereitschaftspolizei der Länder ist fast völlig zur Ausbildungseinheit geworden. Grohnde hat gezeigt, daß junge, noch in der Ausbildung stehende Bereitschaftspolizisten der Auseinandersetzung mit Bürgerkriegsgruppen vom Schlage des KB und des KBW kaum gewachsen sind. Diese jungen Polizisten haben teilweise schockartig reagiert.Damit erhält der Bundesgrenzschutz als Polizeitruppe eine Bedeutung, die er in seiner bisherigen Geschichte noch nie hatte. In der Debatte zur Regierungserklärung im Januar habe ich — das war noch vor Grohnde — nachdrücklich davor gewarnt, den absurden Vorschlägen derer nachzugeben, die dem Bundesgrenzschutz seinen Truppencharakter zu nehmen beabsichtigen. Wir haben das zur Vorbedingung unserer Zustimmung zum Strukturgesetz gemacht, das eine solche Entwicklung nicht notwendig, aber möglich macht.Der Bundesinnenminister versichert regelmäßig, es sei insoweit alles zum besten bestellt. Leider haben wir immer mehr Anlaß, Herr Maihofer, an der Zuverlässigkeit dieser Beteuerungen zu zweifeln. [ch frage Sie daher, Herr Minister: Ist es richtig, laß keine einzige Abteilung des Bundesgrenzschutzes in der Lage ist, die in der Polizeidienstvorschrift 100 aufgezählten Einsatzmaßnahmen in Verbandsform auszuführen? Ist es richtig, daß das gegenwärtige Ausbildungskonzept die Schwächung weiterer Einsatzabteilungen zur Folge hat? Ist es richtig, daß die entstandenen Ausbildungsabteilungen von ihrer Struktur her nicht mehr als Einsatzabteilungen im Notfall verwendbar sind? Ist es richtig, daß den verbleibenden Einsatzabteilungen die ganze Aufgabenlast im Bundesgrenzschutz verbleibt, daß ihre Hundertschaften jedoch im Mittel nur mit wenig mehr als 50 Mann antreten können? Ist es richtig, daß Planstellen der Verbände für den Einzeldienst abgezogen werden? Ist es richtig, daß geländegängige durch nicht geländegängige Kraftfahrzeuge ersetzt werden? Ist es richtig, daß eine Pionierabteilung zur Wachabteilung gemacht wurde? Ist es richtig, daß ein Ausbildungskonzept für das zweite Dienstjahr entworfen wurde, ohne daß die dazugehörenden Vorschriften für die Verbandsausbildung vorhanden sind?Herr Maihofer, wenn Sie auch nur einen Teil der gestellten Fragen bejahen müssen, worauf ein Aufsatz im Verbandsorgan des Bundesgrenzschutzverbandes vom Juni 1977 — Sie werden ihn kennen — hinweist, dann sind Ihre bisherigen Beteuerungen unrichtig. Dann bestehen unsere Besorgnisse zu Recht. Dann müssen wir Ihnen auch auf diesem Felde den Vorwurf grober Vernachlässigung der Vorsorge für die innere Sicherheit unseres Landes machen. Hier gilt das gleiche wie im Bereich der Zivilverteidigung und im Bereich der Terrorismusbekämpfung.Eine Politik, die Realitäten verdrängt, weil sie unangenehm sind, und dadurch versäumt, sich auf gefährliche Entwicklungen rechtzeitig vorzubereiten, ist unverantwortlich. Sie, meine Damen und Herren, haben 1969 unsere Republik in intaktem Zustand übernommen.
Inzwischen ist nicht nur die Vollbeschäftigung verlorengegangen, inzwischen ist nicht nur die soziale Sicherheit in Frage gestellt worden, sondern das gleiche gilt auch für die innere und äußere Sicherheit unseres Landes.
Unser Volk, das nach dem Kriege eine einzigartige Aufbauleistung erbracht hat und das in Frieden und in Freiheit leben will, hat es nicht verdient, von einer so schwachen Regierung regiert zu werden.
Deshalb ist es Zeit, meine Damen und Herren, daß Sie abtreten. Ihren Etat werden wir ablehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Liedtke.
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2688 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dregger, ich verstehe Ihren Wunsch, den Sie zum Schluß geäußert haben;
aber Sie werden verstehen, daß ich der Sicherheit Ausdruck gebe, daß er noch viele Jahre ein solcher bleibt.
-- Herr Haase, ich kenne Sie als ständigen Begleiter meiner Reden hier. Melden Sie sich mal selbst zu Wort und üben Sie sich jetzt ein bißchen in Höflichkeit.
Dieser Wunsch, am Schluß geäußert, macht zumindest viele Passagen Herrn Dreggers verständlich. Ich werde versuchen, wenigstens auf die wichtigsten kurz einzugehen, weil ich hier in der Zeit gebunden bin.Punkt eins. Lassen Sie mich die ständigen Wiederholungen gestern und die heute von Herrn Dregger, geschickt in Nebensätzen zu Hauptargumenten verkleidet, einmal herausgreifen. Sie sind immer klüger als wir selbst. Wenn Herr Wehner und Herr Brandt einmal konzentriert nebeneinander sitzen und schweigen, ist in der Partei angeblich etwas nicht in Ordnung. Wenn Sie miteinander reden, ist es noch schlimmer.
Sie sezieren ein Inneres der SPD, das Ihnen bekannt zu sein scheint, das uns völlig fremd ist.
Ich will Ihnen sagen, Herr Dregger: Sie sind so weit von dieser SPD entfernt, Sie werden sie niemals im Leben begreifen.
Aber Unwissenheit und Nichtbegreifenkönnen erzeugen einen galligen Geschmack auf der Zunge, und den wollen Sie jetzt bei uns loswerden. Nehmen Sie bitte die Lehre von gestern zur Kenntnis: Diese Fraktion und diese Koalition standen gestern, stehen morgen und stehen bis 1980
so sauber, daß alle Versuche von Erbschleicherei, wie Sie gestern sahen, von uns einmütig zurückgewiesen werden,
eine neue Erfahrung für Sie auf einem Konto, das Sie allerdings nicht neu eingerichtet haben. Ich erspare mir einen Kommentar zu den theoretischen Turnübungen Herrn Dreggers, um einen Konflikt mit der Frau Präsidentin zu vermeiden.Nun, meine Damen und Herren, zum Bereich der inneren Sicherheit. Lassen Sie mich einmal kurz einen Gedankendurchgang ausformulieren, der Ihnen nicht schmecken wird. Die Grundthese lautet: Innere Sicherheit in diesem Staate beginnt in diesem Hause und ist in großem Maße geprägt von dem Verhalten der Parteien und Fraktionen in diesem Hause. Das Nein zu allen bedeutenden Gesetzgebungswerken im Bundesrat und hier auch der Opposition im Bundestag soll offensichtlich eine Betonwand gegen jede notwendige Veränderung in diesem Staate werden. Regierung und Koalition ringen hier nicht mit alternativen Vorschlägen der Opposition; sie messen ihre Ideen auch nicht mit einen konservativen Gegner.
Nein, sie haben bei Ihnen, meine Damen und Herren, nahezu täglich eine strategisch angelegte Destruktivität zu überwinden. Das geht so weit, daß Sie wie in der vorigen Woche Ihre eigenen Lieblingskinder schlachten
und gegen eine Senkung der Vermögensteuer stimmen, um sie wenige Tage später hier als Ihre eigenen Zöglinge wiedereinzubringen.
Hier wird Politik zur Taktik degradiert,
und hier ist ein erster Beitrag zur Instabilität in diesem Land. Das kann sich nur eine Fraktion erlauben, die über viele Gesichter verfügt.
— Das gehört auch zur inneren Sicherheit; oh ja, ich komme schon noch sehr auf den Kern, Herr Schwarz.Zweite Bemerkung. Der ständige Versuch, jegliches berechtigte Wohlbefinden der Bürger in diesem Lande auszuräumen, indem Sie in Bereichen äußerer, sozialer, finanzieller, innerer Sicherheit bei dem Bürger Unsicherheit und Angst erzeugen wollen, um dadurch — Sie wissen es — Staatsverdrossenheit zu erzielen, ist ebenfalls kein Beitrag zur Stabilisierung der inneren Sicherheit. Sie wollen uns treffen und treffen im Prinzip die Demokratie. Dem politischen Ideenwettstreit hier weichen Sie weitgehend aus und setzen Feindbilder, wodurch das Klima voraussehbar vergiftet wird.
Die Grundzüge dieser Strategie sind nicht neu, damit aber nicht weniger gefährlich.Meine Damen und Herren, wir brauchen über innere Sicherheit, wir brauchen über Zivilverteidigung gar nicht zu reden, wenn die Grundvoraussetzung der äußeren Sicherheit nicht gegeben ist. Las-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2689
Liedtkesen Sie mich hier feststellen, daß die Entspannungspolitik den Frieden in Europa und in der Welt in qualifizierter Weise sicherer gemacht hat. Der Schlußakte von Helsinki haben 35 Staaten zugestimmt, nur nicht die Opposition in diesem Hause.
— Ja, und Albanien hat nicht zugestimmt. Wir verfolgen das.In diesem Hause erleben wir, daß Sie sich wie ein hungriger Wolf auf jede neue Schwierigkeit in diesem beschwerlichen Geschäft stürzen, um der eigenen Regierung einen kräftigen Biß zu geben. Sie respektieren die Verträge, aber in Ihren Reden legen Sie darüber den Rauhreif des Kalten Krieges. Wenn ein Mitglied Ihrer Fraktion den Mut hat, seine eigenen Gedanken hierzu auszuführen — wie Herr Biedenkopf —, gerät er bei Ihnen ins Schleudern.Lassen Sie mich zur inneren Sicherheit den Standpunkt meiner Fraktion folgendermaßen klarlegen: Nach dem jetzigen Stand unserer Erkenntnis erstreben die Terroristen, daß sich die Demokratie in eine autoritäre Phase treiben läßt. In der Sprache der Terroristen hört sich das etwa so an: Der Staat soll sein brutales Gesicht ohne rechtsstaatliche Maske zeigen. Nur dadurch, so heißt es, daß alles schlimmer werde, könne alles besser werden.Meine Damen und Herren, ich werde Ihnen gleich in wenigen Sätzen aufzeigen, wie wir auf diese neuen Formen des Terrorismus mit neuen Möglichkeiten der Abwehr in unserem Lande schnell reagiert haben. Eine Grenze will ich hier aufzeigen. Wenn wir überall dort, wo Überreaktionen des Staates dazu führen können, daß in die Substanz demokratischer Freiheiten eingegriffen wird, in die uns von den Terroristen zugedachte Rolle gehen, dann besteht die Gefahr, daß die Bürger dieses Staates die Identifizierung mit ihm weitgehend aufgeben und eine distanzierte Gleichgültigkeit ihm gegenüber einnehmen. Das wäre eine sehr gefährliche Entwicklung. Überall dort also, wo wir glauben, daß auch Vorschläge aus Ihren Reihen zu weit in den Polizeistaat hineinführen und Freiheitssubstanzverluste für alle Mitbürger erzeugen, setzen wir unser Nein entgegen.Wir haben in langen Gesprächen mit den Praktikern an dieser Front der inneren Sicherheit nach neuen, moderneren Methoden gesucht. Wir haben Gespräche mit Vertretern der Bundesanwaltschaft, des Bundeskriminalamtes, der Verfassungsschutzorgane, auch mit dem Polizeipräsidenten, der den Einsatz in Grohnde geleitet hat, geführt.
Die Summe der Ergebnisse der Gespräche mit diesen Experten war: Neue Gesetze sind nicht notwendig. Die alten müssen voll ausgeschöpft werden.
— Das ist nicht falsch. Es war nicht so in meiner Fraktion. Herr Miltner, es war nicht einmal beim Hearing im Innenausschuß so.
Meine Damen und Herren, dort, wo es gilt, Verbrechen zu verhüten oder zu erschweren, an dieser Front haben wir mit Ihrer Hilfe, mit Ihrer Zustimmung eine ganze Menge getan. Ich will Ihnen ein einziges Beispiel geben.Als wir 1969 diese Regierung übernahmen, war das Bundeskriminalamt in keinem beneidenswerten Zustand. Wenn Sie es heute nur optisch sehen würden, würden Sie sagen, die alten Bauteile, die wir übernommen haben, sehen im Verhältnis etwa so aus, als seien es die Garagen der heute dort Tätigen.In Summen sieht das so aus, daß wir von 22 Millionen DM auf 172 Millionen DM in diesem Jahre gekommen sind. Wir haben das Personal nahezu verdreifacht. Wir haben die Technik, soweit das nach dem heutigen Erkenntnisstand möglich ist, angepaßt. Wir haben darüber hinaus Spezialeinheiten, wie die GSG 9, wie die Terroristeneinheiten gebildet, und ich glaube, nicht ohne Erfolg. Dort, wo es gilt, im Ansatz Verbrechen zu erschweren und zu verhüten, finden Sie diese Koalition ständig tätig. Denn dort wird der Übergriff gegen Bürger dieses Staates schwerer oder unmöglich.
Lassen Sie mich in dieser begrenzten Zeit noch ein Wort sagen. Wenn Sie hier aufstehen, übersehen Sie geflissentlich, daß die Hauptsicherheitskräfte nicht beim Bund, sondern bei den Ländern angesiedelt sind, daß der Großteil der Verantwortung nicht aus diesem Raum heraus allein getragen werden kann, sondern nur in möglichst reibungsloser Zusammenarbeit mit den Ländern. Wir haben diesen föderativen Aufbau angenommen und haben ein Sicherheitskonzept entwickelt, das auf der Zusammenarbeit von Bund und Ländern beruht. Alles, aber auch alles stört diese Zusammenarbeit, was in diesem empfindlichen Bereich konträr und gegnerisch in diesem Raum ausgetragen wird.
Es stimmt nicht tröstlich, wenn der Vorsitzende der Innenministerkonferenz beispielsweise zum 6. Juni zu einer Sitzung einlädt, um Möglichkeiten einer weiter modernisierten Terroristenbekämpfung zu besprechen, und alle CDU-geführten Länder nicht erscheinen. Es stimmt auch nicht tröstlich, wenn der Bundeskanzler die Fraktionsvorsitzenden zum gleichen Thema zu sich bittet und die Vorsitzenden der CDU und der CSU nicht erscheinen. Da hilft auch keine Zungenakrobatik Ihres Sprechers hier.
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2690 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
LiedtkeLassen Sie mich diesen Bereich mit dem eindringlichen Appell
zur uneingeschränkten Solidarität aller Demokraten gegen Verbrechen und Gewalt abschließen. — Herr Miltner, Sie sagen: Wenn die Experten eingeladen worden wären. Ich nehme doch an, daß in diesem Bereich Ihre Fraktionsvorsitzenden nicht zu den Anwärtern gerechnet werden.
Etwas zum Hochschulbereich; das andere will ich aussparen. Herr Dregger, hier muß ich Ihnen freilich einiges sagen, was uns wie so vieles in den Grundauffassungen trennt.
Wir teilen die Sorge, wenn uns Streik- oder Boykottaktionen oder gar diese schlimme Geschichte nach den Karlsruher Morden bekannt werden. Da sind wir völlig einer Meinung. Darüber brauchen wir hier nicht zu diskutieren oder in einen edlen Wettstreit einzutreten, wer hier näher am Rechsstaat angesiedelt ist. Wir teilen nicht die Meinungen zur Überwindung dieser Krisenerscheinung, Herr Dregger.Es gibt sicher viele Gründe, die zu dieser Unruhe geführt haben. Einmal ist es die Umsetzung des Hochschulrahmengesetzes in die Landesgesetze. Regelstudienzeit, Ordnungsrecht spielen hier eine besondere Rolle. Hinzu werden die unsicherer gewordenen Berufsaussichten für Akademiker kommen, schließlich die schwierigen Arbeitsbedingungen an den Hochschulen, die durch die Überlastquote, die wir demnächst einführen müssen, sicher nicht leichter werden. Nun aber zu sagen, wir drehen die ganze Entwicklung im Bildungsbereich herum, wird diese Schwierigkeiten nicht verkleinern, sondern vergrößern.Für die Sozialdemokraten darf ich folgendes sagen. Wir wehren uns dagegen, wenn die Forderung nach Einstellung der sogenannten Bildungsexpansion oder gar nach Bildungsstopp von Ihnen, Herr Dregger, oder von Ihren Freunden immer wieder einmal in der Landschaft aufblitzt. Das ist keine Lösung.
Nicht das Bildungssystem darf dem Beschäftigungssystem angepaßt werden, sondern umgekehrt muß es sein.
Das sich verändernde Bildungssystem wird neue Arbeitsstrukturen und Arbeitsbeziehungen herausfordern. Wir wissen, daß diese zweite Stufe einer Bildungsreform in diesem Hause und in den Ländern noch zu leisten ist. Wir wissen auch, daß das nicht ohne Schwierigkeiten gehen wird.
— Herr Dregger, Ihr Rezept der Abschaffung der Gruppenuniversität, der Abschaffung der Mitbestimmungsgremien —
ich zitiere nur Stichworte aus Ihrer Rede —, Auflösung der Gesamthochschulen, Einstellung der BAföG-Zahlungen und Ihr Wunschziel, das Sie in Ihrer Hochschulrede formuliert haben, den Akademikerüberschuß — so nannten Sie es — zu verhindern, weil er ohnehin nur eine entscheidende Rolle bei der Systemüberwindung spielen werde, das alles hilft nicht weiter; das heißt: ab mit dem Fahrstuhl in die Vergangenheit,
das heißt Unruhe in die Jugend von heute tragen.Meine Damen und Herren, da heißt es ganz schlicht, an der Universität wird geforscht, gelehrt, gelernt, sonst nichts. Die Ordinarienuniversität alten Stils feiert hier ihre Auferstehung.
Da ist nicht die Rede von Gleichheit der Bildungschancen, von demokratischen Ausbildungsinhalten, Eigenverantwortung auch der Studenten und der Assistenten. Verantwortung gibt es bei Ihnen, Herr Dregger, erst, wenn jemand ein Amt hat. Bis dahin ist man unmündig.
Da darf nur gelernt werden.
Kritische Fragen sind nicht erlaubt. In dieser Rede findet sich sogar folgender Satz:Auch die sogenannte Hochschuldemokratisierung beruht auf einem Denkfehler.
Herr Dregger, mit dieser Ihrer Einstellung werden Sie die Sozialdemokraten stets als Ihre Gegner finden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu dem ersten sagen. Wir sind einverstanden,
daß wir eine Diskussion über den Zivilschutz in diesem Lande neu beginnen. Ich hoffe, daß wir uns über eines klar sind, daß es nicht möglich ist, der Bevölkerung darzutun, daß im Falle eines Konfliktes auch nur ein annähernder Schutz gewährleistet werden kann.
Unsere Chancen liegen hier erstens in der Entspannungspolitik, zweitens in der sicheren Einbettung
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2691
Liedtkein die Strategie der NATO, drittens in einer gut funktionierenden Bundeswehr als Verteidigungsstreitmacht als Beitrag in dieser NATO. — Herr Miltner, regen Sie sich nur nicht so auf. Wenn Sie durch deutsche Lande reisen und nach Schutzbauten suchen, die nach 1949 in diesem Lande gebaut worden sind, so werden Sie kaum welche oder keine finden. Wenn das eine Unterlassungssünde war, sind alle Fraktionen dieses Hauses in dieser Unterlassungssünde vereint.Ich begrüße es — wenn wir diese Diskussion ehrlich führen —, daß wir damit beginnen. Ich bekenne auch, daß wir im Innenausschuß festgestellt haben, der Einzelplan 36 ist ein bißchen mager.
— Wir haben ihn von Ihnen schwindsüchtig übernommen, Herr Miltner; sehen Sie Ihre alten Pläne nach. Aber er ist heute anerkanntermaßen immer noch mager. Ehe daß wir also hier mit mittelschweren Degen aufeinander losgehen, laßt uns die Gemeinsamkeit, die wir hier formuliert haben, nutzen. Dann — dessen bin ich sicher — kommt auch dabei etwas heraus.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich langsam dem Ende zustreben; meine Zeit ist begrenzt. Wir werden unbeirrbar eine Politik fortsetzen, die folgende drei Grundsäulen hat, und die es den Menschen in diesem Staate weiterhin ermöglicht, sich mit ihm zu identifizieren, weil er — erstens — sicher sein kann, daß die Solidarität des Staates und der Gesellschaft ihm zur Seite stehen, weil ihm — zweitens — die Möglichkeit gegeben wird, eigenverantwortlich und mitverantwortlich entscheidend im Staat, aber auch in der Gesellschaft daran teilzuhaben und — drittens — weil in Staat und Gesellschaft ein Höchstmaß an Liberalität immer noch meßbar und lesbar bleiben wird, solange wir hier regieren. Ein Staat, der den Bürger vor materieller Not schützt, ihm soziale Sicherheit gibt, der die Eigenverantwortung des Bürgers stärkt und ihm Selbstbestimmung und Mitbestimmung ermöglicht, der die Freiheitsrechte des einzelnen achtet und ein Höchstmaß an Liberalität gewährleistet, ein solcher Staat braucht keinen Feind zu fürchten. Mit einem solchen Staat können sich seine Bürger identifizieren. Er wird von ihnen getragen und verteidigt.
Das ist das Angebot unserer Politik an die Menschen in diesem Lande.Ich darf, meine Damen und Herren, schließen mit einem der Kernsätze des Godesberger Programms:Wir streiten für die Demokratie. Sie muß die allgemeine Lebens- und Staatsordnung werden, weil sie allein Ausdruck der Achtung vor der Würde des Menschen und seiner Eigenverantwortung ist.Diese Politik werden wir konsequent fortsetzen. Alle sind als Mitstreiter willkommen, die diese Ansicht teilen.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist die verfassungsmäßige Pflicht der Opposition, die Regierung zu kritisieren, tatsächliche oder auch nur vermeintliche Fehler in ihrem Handeln oder auch Nichthandeln aufzuzeigen und dem Alternativen einer anderen Politik entgegenzustellen, die unserem Gemeinwesen förderlicher wären.Mißt man an diesem selbstverständlichen Anspruch, verehrter Herr Dregger, Ihre Rede zu den Haushalten des Innenministers im Einzelplan 6 und 36, dann ist darin von der hier geforderten und förderlichen konstruktiven Kritik nichts, aber auch gar nichts zu entdecken.
Vielmehr beschränken Sie sich auch in diesem Jahre wiederum darauf, die Lage schwarz in schwarz oder besser rot in rot zu malen, zudem mit so grobem Pinsel, daß hinter diesem Schauergemälde die Wirklichkeit überhaupt verschwindet. Was dabei herauskommt, ist leider nicht eine Kritik des Handelns der Regierung, mit der man sich Punkt für Punkt förderlich auseinandersetzen könnte, sondern mehr eine Karikatur des Handelns der Regierung, mit der ihr — ich sage es einmal so — der Schwarze oder — richtiger — rote Peter für alle Übel dieser Welt zugeschoben und völlige Unfähigkeit bescheinigt werden soll.
Dazu möchte ich etwas Grundsätzliches sagen. Dieses Peterspiel, das ja auch von anderen in diesen Tagen betrieben worden ist, ist meiner Meinung nach eine ganz verhängnisvolle Sache,
über deren grundsätzliche Auswirkungen Sie sich überhaupt noch nicht klargeworden sind.
Seit den terriblen Simplifikationen oder schrecklichen Vereinfachungen im Vorfeld des vorigen Wahlkampfs, die nun fast jede politische Auseinandersetzung zu überwuchern beginnen,
scheint hier einer der Hauptgründe für die heutige vielberufene Staatsverdrossenheit zu liegen, die in Wahrheit eine Parteienverdrossenheit ist. Denn immer weniger verstehen unsere Bürger — das mag in alten Demokratien anders sein —, daß sich Demokraten untereinander so, wie Sie dies jedesmal tun,
jede Glaubwürdigkeit absprechen oder gar jede Vertrauenswürdigkeit abstreiten. Alles, was von bestimmter Seite gesagt oder getan wird, ist schon allein deshalb falsch — auch wenn jeder weiß und Sie
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2692 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferganz genau wissen, daß es angesichts der Realität überhaupt keine Alternative hierzu gibt.
So mag man es auf Nebenkriegsschauplätzen der Politik vielleicht treiben können, Herr Dregger, aber nicht in zentralen Bereichen unserer Politik wie dem der inneren Sicherheit, in denen Regierung und Opposition in Bund und Ländern ohne Unterschied ihrer politischen Couleur vor denselben schwierigen Fragen stehen, bei denen die üblichen Gemeinplätze nicht weiterhelfen und wir gar keine andere Wahl haben, als in gemeinsamer Anstrengung um die besten Lösungen zu ringen.
— Sie kommen auf Ihre Kosten! Sie sind bei den Deklamationen stehengeblieben. Sie hören schon noch alles Erforderliche zur Sache im einzelnen.
— Sie werden mich hier mit Ihren Zwischenrufen nicht stören. Es gilt — ich wiederhole —, in gemeinsamer Anstrengung um die besten Lösungen zu ringen, in dem von Bund und Ländern vereint geführten Kampf gegen Kriminalität, gegen Terrorismus, gegen Extremismus.Da sind wir bei Ihren Themen. Hier jedoch ist, wenn man wirklich ehrlich Erfolge in der Sache will, für Parteipolitik überhaupt kein Spielraum. Jede Politik der Konfrontation statt der Kooperation aller Demokraten ist ein geschichtsblindes Verhängnis, dem zuallererst Sie verfallen.
Ich muß Sie fragen, Herr Dregger: Warum und wann passierte denn jene Revolte der Jugend, aus der all jene Entwicklungen des Extremismus, ja selbst einige des Terrorismus in unserem Lande seit 1968 hervorgegangen sind, die uns heute als Fragen der inneren Sicherheit beschäftigen? Doch nicht in den Legislaturperioden dieser oder der ihr vorausgegangenen sozialliberalen Regierungen!Wir müssen doch sehen und einsehen, daß wir in all diesen Bereichen der Innenpolitik wirklich im selben Boot sitzen und daß sich keiner auf Kosten des anderen entlasten kann, ohne die gemeinsame Sache zum Kippen zu bringen — wenn Sie mir einmal diese saloppe Formulierung gestatten.Anders gesagt, um es Ihnen ganz anschaulich vorzuführen: Wir erleben erschreckende Äußerungen der politischen Sympathie für blanken Mord auf offener Straße, die ich wie Sie beklage, an Hochschulen in Niedersachsen wie in Hessen. Wir kennen militante Kader von Linksextremisten mit Schwerpunkten in Hamburg wie in Heidelberg. Sie können sich jeweils fragen, wer hier und wer dort regiert. Das führt Sie überhaupt nicht weiter.
Wir stellen Terroristenorganisationen mit überwiegender Herkunft aus Berlin, aber jetzt auch aus Baden-Württemberg fest. Die letzte Haag-Bande ist ausschließlich aus Landsleuten dieses mir heimatlich verbundenen Landes zusammengesetzt. Da können Sie Ihre parteipolitischen Rechnungen überhaupt nicht mehr aufmachen.
Ja, wir können noch nicht einmal — um dies noch etwas grundsätzlicher zu sagen — bei der Erforschung der Ursachen des Extremismus, ja selbst des Terrorismus sagen — wie uns das Zwischenergebnis unserer Extremismus-Enquete lehrt —, daß dabei, wie manche meinen, ein Zuviel an Liberalität, etwa antiautoritäre Erziehung, oder ein Zuwenig an Liberalität, wie andere meinen, also autoritäre Erziehung, den größeren Anteil hat. Denn offenbar können — das zeigen die Beispiele, auf die wir gestoßen sind — ein Zuviel und ein Zuwenig zu gleichen extremistischen Entwicklungen und Verhaltensweisen führen. Was nicht wundert, wenn man weiß, daß Liberalität selbst — die Sie ja auch gern im Munde führen — die schmale Mitte bezeichnet, deren Zuviel ebenso ins Anarchische auf der einen Seite führt wie ein Zuwenig ins Autoritäre auf der anderen Seite.Hier — das habe ich bei Ihnen ganz vermißt, Herr Dregger — in solchen schwierigen Abwägungen, wo die jeweils richtige Mitte ist — ich sage es noch einmal mit Worten, die für mich unverändert gelten , zwischen einem Mehr an Freiheit um den Preis eines Weniger an Sicherheit oder einem Mehr an Sicherheit um den Preis eines Weniger an Freiheit, liegen die realen Probleme bei der inneren Verteidigung unseres freiheitlichen Rechtsstaats. Das sehen Sie schon bei der Schaffung eines Fahndungssystem — ob Sie es so oder so gestalten oder ausweiten oder nicht —, da stehen Sie überall vor derselben Grundsatzfrage.Das gilt im Kampf gegen die Kriminalität wie gegen den Terrorismus, ja auch gegen den Extremismus, der diese freiheitliche demokratische Grundordnung selbst in Frage stellt. Von diesen tatsächlichen Problemen, Herr Dregger, die wir hier zu lösen haben, von den wirklichen Alternativen, die wir dabei zu bedenken und abzuwägen haben, war in Ihrer Rede nichts zu hören.Nun, ich kann dies in der mir zugemessenen Zeit auch nur beispielhaft nachholen.
Aber ich meine, wir schulden unseren Bürgern eben darüber sachliche Auskunft, auch und gerade in einer solchen Haushaltsdebatte.Ich will dies zu vier Schwerpunkten der Debattenbeiträge sowohl von Ihnen, als auch vom Herrn Kollegen Riedl tun, nämlich 1. zur inneren Sicherheit, 2. zur zivilen Verteidigung, 3. zum öffentlichen Dienst und 4. zum Thema Kultur.
— Ich habe Sie schon im Visier.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2693
Bundesminister Dr. Dr. h. c. MaihoferErstens zur inneren Sicherheit! Die realen Probleme, vor denen wir gegenwärtig bei der Bekämpfung der Kriminalität stehen — einiges ist ja vorhin schon von Herrn Walther angedeutet worden --, sind die typischen Probleme einer sogenannten Wohlstandsgesellschaft mit entsprechender Wohlstandskriminalität massenhafter Diebstahls-, Betrugs- und Fälschungsdelikte, die 75 % der Gesamtkriminalität überhaupt ausmachen. So macht etwa allein das Anwachsen der Zweiraddiebstähle ein Drittel des Anstiegs der Gesamtstrafenzahl überhaupt aus; mit dem Anwachsen der Diebstähle aus Warenhäusern und aus Selbstbedienungsläden im vergangenen Jahr ergibt dies zusammen die Hälfte des Anstiegs der Gesamtstrafen.Hieraus ergeben sich quantitative Probleme der Kriminalitätsbekämpfung, die nur mit modernster Computertechnik gelöst werden können. Das Bundeskriminalamt, das die Servicezentrale für dieses Computersystem der Polizeien des Bundes und der Länder darstellt, unternimmt hier, wie Sie aus den Haushaltsberatungen wissen, äußerste Anstrengungen, diese Quantität noch effektiver zu bewältigen. Wir verfolgen durch zügige Ausweitung der Datenkapazität und der Abfragestationen — aber hier müssen wir jeweils mit den Ländern zu Vereinbarungen kommen — weiter das ehrgeizige Ziel, die derzeitige Zahl gesuchter Personen noch innerhalb dieser Legislaturperiode um ein Vielfaches herabzudrücken. Schon jetzt ist es uns gelungen, die bisher jeweils etwa 80 000 unerledigten Ausschreibungen zur Festnahme auf inzwischen 38 000 herabzudrükken. Das bedeutet für den polizeilichen Alltag Entscheidendes.Daran hat der steigende Erfolg unserer Grenzfahndung nicht geringen Anteil, und die ist eben nicht ohne Verlagerung von Kräften in den Grenzschutzeinzeldienst möglich, durch den heute 60 % der Fahndungsaufgriffe in unserem Lande überhaupt erfolgen, und der seine Erfolgszahlen in den letzten zwei Jahren meiner Amtszeit von 1974 bis 1976 um 141 % und allein vom ersten Quartal 1976 zum ersten Quartal 1977 um 22 % gesteigert hat.
— Eben deshalb meine ich, daß Sie an der Wirklichkeit völlig vorbeireden.Dies steigert die Aufklärungsquoten, die sich auch im vergangenen Jahr, wie Sie ja wissen, weiter erhöht haben, und damit den Abschreckungseffekt unseres Strafrechts viel wirksamer als alles, was wir mit Verschärfung der Straftatbestände und Erhöhung der Strafen überhaupt ausrichten können.
Das alles bedeutet realen Zuwachs an Sicherheit, mit der wir entgegen allem öffentlichen Gerede auf gutem Wege sind.Ich kann es mir hier ersparen, noch weitere Belege hierfür anzuführen. Herr Kollege Walther hat dazu schon Triftiges gesagt. Ich meine, hier gilt es überall, unbeirrt mit dem zügigen Ausbau von Personal und Technik in unserem Inpolsystem fortzufahren, das so ersichtliche Erfolge zeigt.Wir stehen hier allerdings — auch ich möchte es nicht verschweigen — bei der aus Anfangszeiten stammenden uneinheitlichen Ausstattung der Computersysteme innerhalb der Länder noch vor großen Anstrengungen, um zu einem optimalen Systemverbund zu gelangen. Sie wissen, Herr Kollege Walther, so gut wie ich, wovon ich rede. Hier sind noch Millioneninvestitionen nötig, um wirklich zu einem modernen System der Informationsverarbeitung in Bund und Ländern zu kommen.Nicht nur die Kriminalpolizei des Bundes im BKA, sondern auch die Vollzugspolizei des Bundes im BGS, und zwar im Grenzschutzeinzeldienst wie im Grenzschutzverbandsdienst, hat allen auch heute wieder zu hörenden Unkenrufen zum Trotz heute einen besseren Leistungsstand erreicht als jemals in ihrer 25jährigen Geschichte,
wie auch die ebenso besonnenen wie entschlossenen Einsätze des Bundesgrenzschutzes bei Gewaltdemonstrationen in Brokdorf oder Grohnde überzeugend gezeigt haben. Diese Wirklichkeit, Herr Kollege Dregger, widerlegt alle Ihre Zweifelsfragen, auf die ich Ihnen Punkt für Punkt gründlich schriftlich antworten werde. Wir müßten sonst allein darüber eine halbstündige Debatte führen, um alle diese kritischen Punkte aufzugreifen. Aber ich kann Ihnen schon heute sagen, daß Sie in Ihrer Gesamteinschätzung, so sehr sie Ihnen durch den einen oder anderen Ewiggestrigen eingeblasen sein sollte, vollständig schiefliegen.
Ihre Leistungsbeurteilung des Bundesgrenzschutzes schlägt der Wirklichkeit vollkommen ins Gesicht.Auch in diesem Bereich der Vollzugspolizei hat sich die Zusammenarbeit von Bund und Ländern nach dem Modell eines kooperativen Föderalismus gerade in schwierigen Lagen, wie den eben genannten, voll bewährt. Noch nie haben wir einen solchen wohlabgestimmten, wohlvorbereiteten Polizeigroßeinsatz durchgeführt, in engem Zusammenwirken auch des jeweiligen Landes- und des Bundesinnenministers, wie etwa in Brokdorf.
Dann müssen Sie sich schon einmal mit den im Einsatz Befindlichen unterhalten, um zu erkennen, was gerade durch die entscheidenden Anstrengungen auch des Bundes über unseren im Innenministerium angesiedelten Inspekteur der Bereitschaftspolizei erreicht wurde, hier zu einer einheitlichen Ausbildung und Ausstattung sämtlicher Bereitschaftspolizeien des Bundes einschließlich des Bundesgrenzschutzes zu kommen.Der Geist der Zusammenarbeit, allerdings einer solchen jenseits aller Parteipolitik, die hier heute zwischen Bund und Ländern im Bereich der inneren Sicherheit herrscht — ich sage das mit Stolz — unterscheidet sich grundsätzlich und vorteilhaft von den künstlichen Gegensätzen, wie sie auch in dieser Debatte wieder zwischen Regierung und Opposition konstruiert werden. Ich beklage es — unverhohlen
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2694 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofergesagt — zutiefst, daß wir es hier im Parlament, als dem höchsten Souverän, nicht vermögen, auch einmal so miteinander zu reden, wie Innenminister untereinander reden und wie in Sicherheitsfragen Zusammenarbeitende in Bund und Ländern ohne Rücksicht auf ihre politische Couleur miteinander reden.
Dieser Geist kommt vor allem auch in der — im übrigen auf mein Betreiben — vereinbarten Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Bekämpfung des Terrorismus zum Ausdruck, über die ich vor dem Innenausschuß mehrfach berichten konnte. In diesem Geiste hat die Innenministerkonferenz im Hinblick auf die nach den Morden in Karlsruhe eingetretene Lage in dieser Woche zusätzliche Maßnahmen eingeleitet, insbesondere auf dem schon von Herrn Walther genannten Gebiet der Umfeldbeobachtung des Terrorismus durch den Verfassungsschutz. Hier besteht noch eine schwerwiegende Lücke — nicht so sehr im Bund, sondern vornehmlich in den Ländern —, vor allem auch in Hinsicht auf die Personalausstattung dieses Bereiches.So bleibt auch hier noch einiges zu tun — wer wüßte das nicht? —, um das Modell eines kooperativen Föderalismus auf diesem schwierigen Feld ohne Reibungsverluste in volle Wirklichkeit umzusetzen. Nur, wir werden uns von niemandem — das sage ich Herrn Kollegen Riedl — an zäher Geduld und tatkräftigen Beiträgen übertreffen lassen. Herr Kollege Riedl, Sie meinen, ich sollte „den Terrorismus nachhaltiger bekämpfen" so wörtlich in Ihrer Rede. Das höre ich gerne, wo Sie doch genau wissen — oder wissen müßten —, daß es nicht zuletzt der Bund war und ist, der seit Jahren auf nationaler und internationaler Ebene — auch das letztere ist nicht ohne Belang — auf verstärkte Zusammenarbeit und verbesserte Maßnahmen gedrängt hat und drängt. Wenn Sie wirklich guten Willens sind, können Sie am allerwenigsten uns bei einer Debatte über Terrorismus auf die Anklagebank setzen.
Wenn Sie, Herr Kollege Riedl, mir etwa empfehlen, ich möge an den Universitäten Flugblätter gegen Extremisten verteilen lassen,
dann fragen Sie einmal den Landesinnenminister oder gar den Landeskultusminister des betreffenden Landes, was er gegen eine solche Überschreitung der verfassungsmäßigen Kompetenzen durch den Bundesinnenminister sagen würde.
Wenn Sie, Herr Dregger, die Bundesregierung bei der Terrorismusbekämpfung — so etwa haben Sie das ja mit dürren Worten gesagt — gar der Schlappheit bezichtigen, dann kann ich nur vermuten, daß Sie nicht wissen, wovon Sie reden.
Sie hätten sich über die erheblichen und verstärkten Anstrengungen der Bundesregierung bei der Terrorismusbekämpfung in den mehrfachen Sitzungen des Innenausschusses des Bundestages gründlich unterrichten können. Wenn Sie bei all diesen Beratungen dabei gewesen wären, hätten Sie einfach nicht so reden können.
— Aber ich bitte Sie, das wissen Sie doch am allerbesten, Herr Miltner.
— Ich rede über den Bereich der inneren Sicherheit, für den ich haushaltsmäßig Verantwortung trage. Diese Debatte können Sie nachher im Zusammenhang mit dem Justizetat führen, aber nicht im Rahmen der inneren Sicherheit.
— Entschuldigen Sie bitte, wer hat denn das Bundesmeldegesetz einschließlich der Hotelmeldepflicht vorgelegt, und wer hat uns dann im Stich gelassen? Sämtliche Länder haben uns im Stich gelassen.
Es grenzt wirklich — ich muß dieses harte Wort verwenden — fast an Volksverdummung, wenn der Anschein erweckt wird, als ob der Terrorismus in unserem Lande letztlich auf Versäumnisse dieser Bundesregierung zurückgehe.
Wieso — so frage ich nochmals — gibt es denn Terroristen und Sympathisanten auch — ich möchte nicht sagen: gerade — in Ländern, die seit vielen Jahren von Ihren politischen Parteien regiert werden? Es ist doch wirklich ein schäbiges Spiel — das ich von meiner Seite nicht fortsetzen möchte —, diese Fragen nicht in staatspolitischer Verantwortung anzugehen, sondern sie zu parteipolitischen Zwecken zu mißbrauchen.Zweitens zur zivilen Verteidigung. Auch hier muß ich zu Ihren Ausführungen, Herr Dregger, sagen, daß Sie zwar beim Schutzraumbau in der Tat ein aktuelles Problem treffen — das ist gar nicht zu bestreiten —, das auch die Bundesregierung gegenwärtig beschäftigt. Aber Sie geben doch ein völlig schiefes Bild der Lage.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2695
Bundesminister Dr. Dr. h. c. MaihoferDie Bundesregierung ist sich sehr wohl bewußt, daß die Glaubwürdigkeit der Gesamtverteidigung der Bundesrepublik, auf die ja auch Sie abheben, entscheidend mit vom Stande der zivilen Verteidigung abhängt. Wer hat denn neulich im Verteidigungsausschuß des Bundestages eine Zivilverteidigungskonzeption genau unter diesen politischen Prämissen vorgetragen? Doch ein Vertreter unseres Hauses!
Die sozialliberale Koalition — nur um hier keine Geschichtsklitterung stehenzulassen — hat seit 1969 erhebliche Bemühungen unternommen, um der von mir soeben genannten Tatsache Rechnung zu tragen.
— Offenbar kennen Sie die Zahlen nicht, Herr Miltner.
In den Jahren von 1969 bis 1977 wurden für die Zivilverteidigung insgesamt 4 716 Millionen DM — einschließlich 46 Millionen DM aus Konjunktur- und Zukunftsinvestitionsprogrammen — in den Haushalten veranschlagt. Die Mittel für den Katastrophenschutz wurden dabei kontinuierlich aufgestockt; von rund 93 Millionen DM im Jahre 1969 — so haben wir die Dinge in der Zivilverteidigung vorgefunden — auf jetzt 168 Millionen DM, also um fast 80 °/o bis zum Jahre 1977.
— Ich gebe sie ja an: 80 %ige Steigerung allein beim Katastrophenschutzetat in diesen wenigen Jahren der Regierungszeit der sozialliberalen Koalition.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerlach?
Warum nicht?
Herr Bundesminister, würden Sie mir zugeben, daß die von Ihnen genannten absoluten Zahlen ein schiefes Bild geben, daß man die Zahlen vielmehr in Relation zu der Steigerung des Haushalts sehen muß und daß die zivile Verteidigung dann katastrophal abschneidet, wie Sie selber in einem Bericht an den Innenausschuß zugeben mußten?
Auf den Sparhaushalt im letzten Jahr komme ich gleich.
Dennoch stimmt insgesamt Ihre Behauptung so einfach nicht. Uns allen ist klar, daß auch der Katastrophenschutz — wie alle Staatsausgaben — in die Schere zwischen sachlichen Notwendigkeiten und haushaltsmäßigen Möglichkeiten geraten ist. Deshalb hat ja die Bundesregierung bereits während der letzten Legislaturperiode — daran darf ich auch Sie, Herr Kollege Dregger, erinnern — in zwei Berichten an den Innenausschuß des Deutschen Bundestages alle diese akuten Probleme offengelegt und Vorschläge zu ihrer Lösung gemacht.
— Da nützt doch keine Vorlage ans Parlament.Wir haben genauso — das wissen Sie —, entsprechend unserer Ankündigung, seit April in der Tat eine vollständige Neukonzeption der Zivilverteidigung und des Katastrophenschutzes in die mühselige Abstimmung mit den Ressorts und Organisationen in Bund und Ländern gebracht, die hier zu beteiligen sind, und wir werden diese Konzeption dem Kabinett schon in seiner nächsten Sitzung vorlegen.
Deshalb rennen Sie, Herr Dregger, bei uns offene Türen ein mit Ihren Forderungen, die sich ja weithin mit dem decken, was wir dem Innenausschuß vorgetragen haben.Wie kommt man überhaupt aus dieser Schere heraus? Dazu haben auch Sie hier keinen Vorschlag vorgetragen. Wir meinen, daß wir zu einer ganz anderen Konzentration der Bundesleistungen im personellen wie im materiellen Bereich und zugleich zu einer besseren Abgrenzung, aber auch Verzahnung zwischen Bund und Ländern kommen müssen: des friedensmäßigen Katastrophenschutzes, der von den Ländern zu gewährleisten ist, auf der einen Seite und des Katastrophenschutzes im Verteidigungsfall, der Sache des Bundes ist, auf der anderen Seite, um alle hier gegenwärtig bestehenden Doppelanschaffungen und auch Doppelarbeiten abzubauen. Hier liegen, wie die eben erwähnten Vorschläge zeigen werden, ganz erhebliche Rationalisierungschancen im Katastrophenschutz, die wir schon in wenigen Monaten in die Tat umsetzen werden.Aber — auch vor dieser Frage möchte ich mich nicht drücken — das zentrale Problem des gegenwärtigen Standes der Zivilverteidigung liegt im Schutzraumbau. Wenn die Opposition heute versucht, dieses Schutzraumbaudefizit der Regierung anzulasten, verschweigt sie dabei nicht nur, daß die Regierung seit 1969 immerhin insgesamt 363 Millionen allein für Schutzraumbau ausgegeben hat, sondern auch, daß die entscheidenden Versäumnisse — und das wissen Sie offenbar nicht, Herr Miltner —
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2696 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferschon sehr viel früher zu suchen sind. Schon die Schutzbauvorschriften des ersten Gesetzes über Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung vom 9. Oktober 1957 wurden durch dessen § 39 gleichzeitig ausgesetzt. Das Schutzbaugesetz vom 9. September 1965 trat mit seinen wichtigsten Teilen, u. a. der Schutzbaupflicht, ebenfalls gar nicht erst in Kraft.
— Aber schauen Sie, ein solches über viele Jahre, ja Jahrzehnte entstandenes Schutzraumdefizit können Sie doch nicht in wenigen Jahren aufholen.
— Das stimmt ja überhaupt nicht!
Wir haben, wie Sie genau wissen, heute für etwa 10 % unserer Bevölkerung Schutzplätze und Schutzmöglichkeiten, und Sie wissen ganz genau, daß auch wir diesen Anteil ganz und gar nicht für genügend halten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Riedl?
Bitte, aber ich würde dann wegen der Zeit gerne — —
Herr Bundesminister, jeder Redner hat das Recht, eine Frage abzulehnen.
Die Frage von Herrn Dr. Riedl will ich gern beantworten, aber dann möchte ich vorankommen, um die Zeit nicht noch länger in Anspruch zu nehmen.
Ich bitte das Haus, das zur Kenntnis zu nehmen. — Bitte!
Herr Bundesminister, sind Sie sich darüber im klaren, daß das, was Sie in dieser Stunde zu diesem Bereich erklären, nahezu total im Gegensatz zu dem steht, was seit Jahren in den interministeriellen Arbeitsgruppen zu diesem Thema beklagt wird?
Schauen Sie, das ist doch schon in der Frage eine vollkommen schiefe Sicht. Wir selbst beklagen doch mit Ihnen, daß dieser Schutzraumbauanteil — das habe ich doch auch mehrfach im Innenausschuß gesagt — nicht unseren Vorstellungen entspricht.
Aber Sie wissen doch ganz genau, daß dies Millionen, ja, wenn Sie es genau nehmen wollen, auf längere Frist Milliarden an Investitionen voraussetzt, für die wir gemeinsam überhaupt erst die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen schaffen müssen, und das gilt für Sie genauso wie für uns.Das ist es ja, was ich zurückgeben muß: Sie haben in dieser Sache überhaupt kein Recht, uns hier heute Vorwürfe zu machen.
Sie haben in der Zeit, in der es wirklich Haushaltsmöglichkeiten in jedem Umfange gegeben hätte, diese Investitionen zu tätigen,
wirklich auch das Minimum für solche Schutzraumbau-Investitionen versäumt.
Mir ist diese Sache der Zivilverteidigung zu ernst, um sie hier zum Gegenstand parteipolitischer Profilierungsversuche zu machen.
Ich meine, Sie sollten, wenn Sie das genauso drängend sehen wie wir — und das tun Sie ja offenbar —, alles tun, um uns in Bund und Ländern — denn ohne die geht es auch hier nicht — dabei zu unterstützen, unsere Zivilverteidigung und unseren Katastrophenschutz effektiver zu organisieren und finanziell besser zu dotieren, als es heute der Fall ist.Drittens: öffentlicher Dienst. Nun komme ich zu Ihnen, Herr Riedl. Sie haben behauptet, bei der Reform des öffentlichen Dienstes ,sei ich bei bloßem Reformgerede stehengeblieben.
So habe ich Sie verstanden. Sie haben es dabei sogar unternommen — ich habe darüber gestaunt —, mir in diesem Zusammenhang auch noch die Kosten der Studienkommission aus dem Jahre 1972 anzulasten. So kann man wirklich nicht miteinander reden. Sie wissen ganz genau, daß nach der Vorlage des Aktionsprogramms seit dem vergangenen Jahr außerordentliche Anstrengungen in unserem Hause im Gange sind, um in dieser Legislaturperiode Schritt für Schritt zu einer umfassenden Reform des öffentlichen Dienstes zu gelangen.Dazu will ich nur einige Stichworte anführen; Sie können mich zu jedem beim Wort nehmen.
— Aber nein, sagen Sie doch nichts so Falsches! Wir haben Ihnen in den letzten Jahren gesagt, daß wir in I der kommenden Legislaturperiode auf der Grund-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2697
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferlage des Aktionsprogramms zur Reform des öffentlichen Dienstes — kein Wort mehr haben wir gesagt — schrittweise all die hier vorgesehenen Maßnahmen verwirklichen werden. Das bedeutet, daß wir auf den gesicherten Grundlagen unserer Verfassung vorrangig zu einer Fortentwicklung des Laufbahnrechts und der Bezahlungsstruktur sowie zur Entwicklung der Instrumente für eine funktions- und leistungsgerechte Bezahlung und Beförderung kommen wollen.Das bedeutet im einzelnen, um nur wenige Schwerpunkte herauszugreifen, um Ihre Neugier zu befriedigen, Herr Riedl, daß zur Erfüllung dieser Ziele in einem ersten Schritt die inzwischen in Angriff genommene Fortentwicklung und Neufassung der Bundeslaufbahnverordnung vorgelegt wird, die noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll. Sie liegt beschlußreif auf dem Tisch und wird soeben in die Ressortabstimmungen eingebracht. Diese enthält eine grundlegende Änderung der Laufbahnvorschriften, Neuordnung der Bildungsabschlüsse, Einführung der Fachhochschulausbildung für den gehobenen Dienst, Verbesserung der Ausbildung für den mittleren Dienst. Das meint noch grundsätzlicher: weiterentwickelte Aufstiegsverfahren, Verbesserung der Durchlässigkeit im Laufbahnsystem, womit auch der Wettbewerb offener, die Eignungsauswahl mehr an den Anforderungen der Verwendungsbereiche orientiert wird. Das gleiche Ziel wird mit verbesserten Auswahlkriterien und Eignungsnachweisen für die Übertragung von Dienstposten und Beförderungen angestrebt.Das bedeutet in einem zweiten Schritt die Einführung eines leistungsfähigeren Laufbahnsystems, wie sie mit einem dritten Beamtenrechtsänderungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode erfolgen soll. Mit der Erarbeitung einer Problemstudie ist bereits begonnen. Sie wird, unter Einbeziehung der überschaubaren Entwicklung und Berücksichtigung der Abhängigkeiten zwischen Bildungsbereich und Beschäftigungsbereich, einschließlich Arbeitsmarktpolitik die Grundlage für Vorschläge zur Weiterentwicklung des Laufbahnsystems abgeben. Dabei sind vorgesehen — um dies abschließend hervorzuheben — Neuordnung der Berufszugänge und Berufswege, künftige Laufbahngliederung entsprechend der Neugestaltung der Ausbildung und Neuregelung der Beförderungen usw.Ich begnüge mich mit diesen schon im Innenausschuß — das wissen Sie sehr wohl, Herr Riedl — des Bundestages erläuterten, nach gründlichen Vorarbeiten der vergangenen Jahre bereits eingeleiteten Vorhaben der Dienstrechtsreform. Ihre Durchführung Schritt für Schritt wird auch hier wie früher schon auf anderen Gebieten, wie etwa dem Gebiet der inneren Sicherheit, die vorschnellen Voraussagen der Opposition widerlegen.Ich komme zum letzten Punkt, zum Thema Kultur. Ich kann mir diese Ausführungen nicht ersparen; Sie haben mich so direkt attackiert, Herr Kollege Riedl, daß ich noch um einige Minuten Geduld bitten muß.
Zur Neuorganisation der Sportpolitik erübrigt sich meiner Meinung nach jedes weitere Wort. Sehen Sie sich doch einmal die Förderungszahlen und auch die Wettkampfleistungen unserer Spitzensportler an, die ersichtlich auch auf die Verwirklichung des Leistungssportprogramms der Bundesregierung zurückgehen.
Einzelheiten kann ich mir hier wirklich ersparen. Sprechen Sie doch einmal mit den Fachverbänden, und Sie werden zu einer ganz anderen Beurteilung der Sportförderung der Bundesregierung kommen. So viel ist — ich scheue mich fast, Ihnen das zu sagen, aber was bleibt mir anderes übrig — für den Sport und für die Sportler von seiten des Bundes noch niemals getan worden wie in diesen Jahren.
Damit werden wir nach den kräftigen Haushaltssteigerungen dieses Jahres im künftigen noch kräftiger fortfahren.Noch ein letztes Wort zur Nationalstiftung. Über sie ist nun wirklich noch nicht das letzte Wort gesprochen. Wenn es mit ihr trotz unablässiger Bemühungen von seiten des Bundes nicht vorangekommen ist, dann deshalb, weil entgegen einem früheren Gesprächsstand, nachdem wir vor über einem Jahr nahezu einig über die gleichgewichtige Besetzung der Stiftungsorgane durch Bund und Länder waren, seit dem vergangenen Jahr die Länder plötzlich auf einer Mehrheit im Stiftungsrat bestehen, was für uns vollständig unannehmbar ist, weil es dem gesamtstaatlichen Auftrag einer solchen Nationalstiftung schlechterdings widersprechen würde.
Sie können doch mit uns nicht wollen, daß der Bund bei einer nationalen Kulturstiftung dieses Ranges in die Rolle eines Juniorpartners gedrängt wird, wie dies gegenwärtig von den Ländern angestrebt wird.
Wir haben dennoch die Hoffnung nicht aufgegeben, uns am Ende mit den Ländern doch zu einer gemeinsamen Lösung zusammenzufinden, auch in der Sitzfrage, bei der wir gemeinsam eine Lösung finden müssen, die am Ende auch Berlin wirklich nützt und nicht eher schadet und die dem Bundespräsidenten die Übernahme einer echten Organstellung in dieser nationalen Stiftung ermöglicht.
Ich komme zum Schluß. Ich möchte mit einem ausdrücklichen Dank an Sie, Herr Kollege Riedl, für die Zusage schließen, im nächsten Jahr den Haushalt des Bundesinnenministers gegebenenfalls wieder abzulehnen. Ich werte dies als deutliches Zeichen dafür, daß Sie die CDU/CSU auch im nächsten Jahr in der Opposition sehen, wo sie auch bleiben wird.
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2698 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich schließe die Aussprache und komme zur Abstimmung über den Einzelplan 06. Wer dem Einzelplan 06 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über den Einzelplan 36 — Zivile Verteidigung —. Wer dem Einzelplan 36 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Stimmenthaltungen? — Auch dieser Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 07
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz
- Drucksache 8/497 —
Berichterstatter: Abgeordneter Westphal
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Er verzichtet. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Dr. Friedmann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 07 — das ist der Haushalt des Bundesjustizministers — umfaßt einen Betrag von knapp 280 Millionen DM. Gemessen am Volumen des gesamten Etats ist das relativ wenig. Allerdings müssen wir von der Opposition sagen: Von den Mitteln für die Öffentlichkeitsarbeit abgesehen, die nach unserer Überzeugung von 750 000 auf 600 000 DM gekürzt werden müssen — darüber wollen wir später noch reden —, haben wir von den rein zahlenmäßigen Ansätzen her nichts gegen diesen Haushalt einzuwenden.
Aber, Herr Kollege Löffler, wie in jedem Haushalt steht hinter den Zahlen die Politik. Mit dieser Politik, Herr Justizminister, haben wir uns hier zu befassen. Während der Debatte zum Haushalt, insbesondere während der Debatte des gestrigen Tages, sind wiederholt die Verfassungsverstöße dieser Bundesregierung angesprochen worden, auch die Verfassungsverstöße der vorausgegangenen Bundesregierung, die auch von einer SPD/ FDP-Koalition getragen wurde. Ich brauche diese Verstöße im einzelnen nicht mehr auszuführen; denn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1972 zum Wiedervereinigungsgebot bei der Ostpolitik ist ebenso in aller Munde wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Fristenlösung bei der Abtreibung. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Anfang diesen Jahres, als es um die zweckentfremdete Verwendung von Steuermitteln für Propagandazwecke ging, ist ebenso in aller Munde wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den überplanmäßigen Ausgaben, die der damalige Bundesfinanzminister ohne Billigung des Parlaments tätigte.Meine Damen und Herren, heute finden wir auf der Titelseite der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen Artikel, in dem gesagt wird, daß die Liste der Verfassungsverstöße dieser Regierung allmählich beängstigend lang werde.
Der letzte Satz in diesem Artikel lautet:
Etwas ist schief im Verhältnis der Koalition zur Verfassung.
Genau darum geht es.
Wer nun gemeint hat, es wäre endlich Schluß mit diesen Verfassungsverstößen, der täuscht sich; denn, wenn nicht alles täuscht, so müssen wir erneut eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeiführen, und zwar bei der Wehrpflichtnovelle und auch beim Ausbildungsplatzförderungsgesetz.Nun könnte man sagen: Na ja, das sind alles Einzelfälle. Aber auch dem ist nicht so. Vielmehr sind diese Einzelfälle der Ausfluß einer einheitlichen Grundhaltung.
Im „Vorwärts", einem den Sozialdemokraten bekannten Organ vom 2. Juni dieses Jahres steht sinngemäß zu lesen, mit jeder Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes werde der Spielraum des Gerichtes und auch der Spielraum der Politik eingeengt.
— Auf diesen Einwurf habe ich gewartet. Ich werde noch fortfahren, Herr Löffler. Vielleicht sind Sie so nett, anschließend meinen weiteren Gedankengängen zu folgen.Zunächst versuche ich noch, den „Vorwärts" sinngemäß zu zitieren. Da steht dann weiter, jede Opposition würde der Versuchung unterliegen, ihre Ohnmacht mit Richterurteilen zu bemänteln. An die Stelle der politischen Alternative würde der Prozeß treten. So der „Vorwärts".Am 27. Mai finden wir im Pressedienst der SPD einen Aufsatz des Kollegen Dr. Weber von der SPD, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß er früher dem Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen angehörte. In diesem Artikel beklagt Herr Kollege Weber, daß durch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die auf Grund der Anrufungen der Opposition zustande kämen, dieses Gericht immer mehr Entscheidungen an Stelle des Gesetzgebers und an Stelle der Regierung treffen müsse. Er beklagt diesen Zustand verständlicherweise und kommt dann zu dem Resümee, daß sich eine Opposition damit ja selbst entmachte. So weit, so gut.Nun aber muß ich Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, einmal fragen: Um was geht es
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2699
Dr. Friedmanndenn hier eigentlich? Es geht doch einfach darum, daß das oberste Gericht auf die Verfassung verweist. Wenn Sie immer wieder sagen, wir hätten keine Alternativen, dann muß ich Ihnen hier entgegenhalten: ganz im Gegenteil. Ihrer Politik der Verfassungsverstöße setzen wir eine Politik des verfassungsgemäßen Handelns entgegen.
Unsere Alternative ist dieses verfassungsgemäße Handeln.Auf der Suche nach dem Schuldigen, der diese Politik zu vertreten hat, kommen wir nicht am Bundesjustizminister vorbei. Nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung sind sämtliche Vorlagen von bestimmter Bedeutung, darunter auch solche mit finanziellen Auswirkungen, dem Kabinett zuzuleiten, damit dieses beraten und beschließen kann. In den Vorbemerkungen zum Einzelplan 07 — das ist der erklärte Wille des Gesetzgebers — steht ausdrücklich geschrieben, Herr Bundesjustizminister, daß Sie gemeinsam mit dem Bundesminister des Innern die Verantwortung für die Verfassungsmäßigkeit tragen.
Sie haben bei allen Gesetzes- und Verordnungsvorlagen die Rechtsförmlichkeit zu prüfen. Das heißt doch schlicht und einfach, Herr Bundesjustizminister, Sie haben Ihre Pflicht als Justitiar der Bundesregierung nicht erfüllt.
Es war Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, in Ausübung dieser gesetzlichen Bestimmungen zu handeln. Sie können sich nicht damit herausreden, daß ein Teil der Verstöße ja gar nicht gesetzlich begründet gewesen sei. Denn auch die Vorlage mit finanziellen Auswirkungen bekamen Sie als Kabinettsvorlage. Da hatten Sie rechtzeitig Ihr Veto innerhalb des Kabinetts einzulegen. Genau das aber ist nicht geschehen. Sie können sich auch nicht darauf berufen, daß ein Teil der Gesetzesverstöße von Anfang an noch bei Ihrem Vorgänger lag.Sie haben für die Kontinuität des Handelns in Ihrem Hause zu sorgen, ganz zu schweigen davon, daß weitere Verfassungsverstöße, die sich gerade abzeichnen, ja in Ihre Amtszeit, Herr Minister, fallen. Damit sind Sie, Herr Justizminister, mitverantwortlich für die Verstöße gegen die Verfassung in den letzten Jahren.
Aber nicht nur diese konkreten Verstöße, sondern die gesamte Rechtsreformpolitik der letzten Jahre hat Grundwerte unseres menschlichen Zusammenlebens erschüttert und ausgehöhlt. Ich erinnere nur an die sogenannte Fristenlösung bei § 218. Damals waren die Regierung und die sie tragende Koalition drauf und dran, dem werdenden Leben den Schutz zu entziehen, obwohl ein solches Schutzrecht in der Verfassung postuliert wird.
Sie waren drauf und dran, das Recht der Schwangeren auf Selbstbestimmung dem Recht auf Leben gegenüber dem ungeborenen Leben vorzuziehen. Sie waren damals drauf und dran, die Entscheidung über werdendes Leben der Politik anheimzustellen, obwohl es doch gerade Aufgabe der Politik ist, ein Zusammenleben zwischen dem Gemeinschaftsbezogensein des einzelnen und der Schutzbedürftigkeit anderer zu ermöglichen.
Auch das neue Ehe- und Familienrecht, das jetzt zum 1. Juli in Kraft tritt, war ein Angriff auf unsere Familien.
Wenn die Fassung so in Kraft getreten wäre, wie es damals beabsichtigt war, wäre es noch schlimmer gekommen, als es jetzt ohnehin kommt, nachdem die größten Schärfen im Vermittlungsausschuß durch Politiker der CDU/CSU genommen worden sind.
Gerade jetzt bekommen wir in unseren Wahlkreisen zu spüren, was es heißt, wenn der wirtschaftlich Schwächere genau diese Nachteile zu spüren bekommt,
die daraus entstehen, Herr Kollege, daß das Recht des Scheidungswilligen das Recht des Scheidungsunwilligen überlagert und daß damit dem Scheidungsunwilligen Nachteile zugefügt werden.
Einen dritten Punkt möchte ich hinzufügen. Auch das neue elterliche Sorgerecht, das zur Zeit in den Ausschüssen beraten wird, wird in die Intimität und Integrität unserer Familien eingreifen.
Lassen Sie mich noch einen vierten Punkt heranziehen. Der Herr Bundesinnenminister sprach vorhin über die innere Sicherheit. Herr Justizminister! Zur inneren Sicherheit gehört ja auch die Diskussion zum Beispiel über die Verteidigerüberwachung. Ich erinnere daran: Ursprünglich waren Sie dafür, dann waren Sie dagegen, dann waren Sie wieder dafür, und dann blieben Sie dagegen.
Sie haben Ihre Meinung geändert, mehr, als Ihrer Reputation dienlich war.
All dies sind Erscheinungen, die wir in Verbindung mit Ihrer Rechtspolitik nicht billigen können.Herr Justizminister! Wir von der Opposition haben Ihnen zusammenfassend vorzuwerfen: Sie haben Ihre Pflicht als Justitiar der Regierung nicht erfüllt und haben nicht verhindert, daß es zu den Verfassungsverstößen kam. Ihre Rechtspolitik hat an2700 Deutscher Bundestag — 8, Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977Dr. FriedmannGrundfesten unseres menschlichen Zusammenlebens gerüttelt. Wir haben nicht den Eindruck, daß es zu einer Wendung zum Besseren kommt. Deshalb, Herr Justizminister und meine Damen und Herren von der Koalition, lehnen wir den Einzelplan 07 ab.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dürr. — Kollege Haase, dies festzustellen ist hier nicht mehr üblich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haushaltsdebatten sind keine gedrängte parlamentarische Jahresübersicht, in der sich Wiederholungen notwendig ergeben. Deshalb möchte ich, weil ich das Wort in einer Zeit erhalte, wo der Etat des Justizministers eigentlich schon seit acht Minuten fertig debattiert sein sollte, mich möglichst kurz fassen und nur auf wenige Punkte eingehen.
Herr Kollege Friedmann
gehört zu jenen jungen Abgeordneten, die, wie es uns allen gegangen ist, am Anfang ihrer parlamentarischen Tätigkeit mehr Erfahrung in Wahlreden als in Parlamentsreden haben. Das hat man noch gemerkt, aber er wird es noch lernen.
Eine Parlamentsrede ist nun einmal keine Fortsetzung einer Wahlrede vor anderem Publikum.
Zur Parlamentsrede gehört, daß man sich möglichst bald — dazu hatte Herr Friedmann, das gebe ich ihm zu, bis jetzt wenig Zeit — in die Materie einarbeitet.
Wenn er das getan hätte, dann hätte er nicht so tun können, als könne man jedes Bundesverfassungsgerichtsurteil ganz wunderbar parteipolitisch ausschlachten, als wäre das Bundesverfassungsgericht so eine Art Strafgericht für Amtsdelikte, wo man dann mit „schuldig gesprochen wird", wie es gestern gesagt wurde, und anderen Vokabeln aus dem Strafrecht argumentieren kann. Wenn man schon Beispiele bringt, so muß man sich darüber im klaren sein, daß man einer Bundesregierung kein Grundvertragsurteil vorwerfen kann, wenn der Grundvertrag mit diesem Urteil eindeutig für verfassungsgemäß erklärt wurde.
Bei dem Urteil etwa über den § 218 sollte man vielleicht einmal mit der Tatsache bekanntmachen, daß dieses Urteil mit 5 :3 Stimmen ergangen ist. Man sollte sich überlegen, ob die drei Richter, die dafür gestimmt haben, das gleiche Unwerturteil verdienen, das Herr Friedmann den Anhängern der Fristenregelung, zu denen ich übrigens gar nicht gehöre, angedeihen ließ. Wenn er pauschal sagt, wir hätten mit der Fristenregelung beinahe den Schutz des werdenden Lebens aufgegeben, dann sage ich zu Herrn Friedmann: Unterhalten Sie sich bitte mit Ihrer verehrten Frau Fraktionskollegin Lieselotte Berger darüber, wie man als Anhänger der Fristenregelung gleichzeitig ein angesehenes Mitglied der CDU/CSU-Fraktion sein kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erhard?
Bitte, Herr Kollege Erhard.
Herr Kollege Dürr, wollen Sie mit Ihrer Erwähnung des Verhältnisses von 3 : 5 zum Ausdruck bringen, daß das, was der noch im Amt befindliche Bundesinnenminister gesagt hat, nämlich die Selbstbestimmung der Frau sei in bestimmten Fällen vor den Schutz des werdenden Lebens zu stellen — das hat das Verfassungsgericht ausdrücklich verworfen —, wegen der Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts sehr zweifelhaft sei?
Nein, ich respektiere ein Urteil, gleichgültig, ob es mit 5 : 3 oder 8 : 0 Stimmen ergangen ist. Ich bitte nur herzlich darum, eine so komplizierte Problematik, mit der wir uns in allen Fraktionen monatelang beschäftigt haben, nicht mit leichter Hand und heißer Nadel zu behandeln, wie es vorhin gemacht wurde.
Wenn der Herr Kollege Friedmann die Meinung vertrat, beim Ehe- und Familienrecht habe die sozialliberale Koalition einen Angriff auf unsere Familie beabsichtigt, dann möge er bitte sich von denen, die dabei waren, erklären lassen, daß die Änderungen im Vermittlungsausschuß nur ein wenig über Schönheitsreparaturen hinausgegangen sind und die Grundkonzeption des Regierungsentwurfs in wenigen Tagen in Kraft tritt.Was seine Besorgnis um den Gesetzentwurf über die elterliche Sorge angeht, so sei ihm der Besuch des Rechtsausschusses sehr empfohlen. Hier wird nicht in die Intimität unserer Familien eingegriffen, sondern hier wird nur dafür gesorgt, daß Schaden von Kindern nach Möglichkeit abgewendet wird, die — ich bringe Ihnen ein Beispiel — nichts davon haben, wenn sie krank und noch mehr geprügelt werden, wenn man ihnen sagen kann: Nein, der, der dich geprügelt hat, war nicht voll verantwortlich, sondern er war ein Trunksüchtiger oder ein Psychopath. Das ist doch — vereinfacht ausgedrückt — der Unterschied, um den es sich bei § 1666 dreht. Weitere Ausführungen dazu kosteten mehr Zeit. Ich erspare mir weitere Ausführungen, weil wir über die elterliche Sorge im Ausschuß ausführlich und in zweiter und dritter Lesung im Plenum noch ausführlicher reden werden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2701
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte mit meiner Zeit auskommen.Ein paar Worte zu dem Teil, in dem der Herr Kollege Dregger — oder ich muß besser sagen: der Partisan Dregger — zur Rechtspolitik Stellung genommen hat.
— Augenblick! Nein, Herr Kollege Jenninger, ich liefere Ihnen gleich die Erklärung. Ich bin der Meinung, daß dies zu Pfui-Rufen keinen Anlaß gibt. Ich habe „Partisan" in dem Sinn gemeint: Kommt— genauer gesagt: wird eingeflogen —, gibt ein paar Schüsse ab und verschwindet gleich wieder.
Dieser Vergleich ist bei dem Herrn Kollegen Dregger durchaus zulässig.Sehen Sie: Er hat sich hier parteipolitisch ausmünzend zu den Problemen geäußert, die wir mit der Reform der strafrechtlichen Großverfahren haben. Diese Probleme bestehen nicht erst seit dem Stammheimer Prozeß. Sie bestehen seit dem Auschwitz-Prozeß und seit soundso vielen Verfahren gegen Wirtschaftskriminelle. Wir Rechtspolitiker aller Fraktionen sind bemüht, hier in aller Sachlichkeit Abhilfe zu schaffen.
Wir werden es in der zweiten Hälfte dieses Jahres tun. Dazu empfehle ich Herrn Dregger den Besuch des Rechtsausschusses. Diesen Besuch kann er sicher nicht mit der Behauptung ablehnen, er müsse im Innenausschuß sein. Denn auch dort hat man ihn nur einmal gesehen.Herr Kollege Dregger hat die Behauptung aufgestellt, die Vorfälle in Grohnde wären nicht passiert, wenn der Landfriedensbruch-Paragraph aus der Zeit vor 1969 gegolten hätte. Diese Behauptung ist grundfalsch. Die Vorführung des Grohnde-Films im Innenausschuß und im Rechtsausschuß hat das deutlich gezeigt.
— Nein. Aber erstens habe ich eine rechte Hand zum Mitschreiben, und zweitens können Sie und ich das Protokoll nachlesen. Im übrigen sehen Sie meine Ohren, Herr Pfeffermann, auf zehn Meter Entfernung.
— Lesen Sie es im Protokoll nach. Da werden Sie merken, daß ich nicht danebengetappt habe. Hat er nun die Behauptung aufgestellt, die Vorfälle von Grohnde zeigten, daß die alte Fassung des Landfriedensbruch-Paragraphen erforderlich sei, oder hat er sie nicht aufgestellt? Er hat!
— Melden Sie sich doch zu Wort, wenn Sie Ihre lichtvollen Ausführungen machen wollen!Hier zeigt sich: Hätten wir den bis 1969 geltenden Landfriedensbruch-Paragraphen gehabt, dann hätte die Polizei dort ein paar am Rand Stehende sozusagen als Trostpreis festnehmen können. Es wäre aber ein minimaler Trostpreis gewesen.Das Problem liegt doch darin: Eine Menge von Demonstranten, die nicht angemeldet hatte, daß sie kommt, wo sie hingeht und was sie macht, und die trotzdem gut organisiert war, hat sich hier gewalttätig verhalten und eine Riesenmenge von Polizei dagegen erforderlich gemacht.Und wenn Sie auch daran denken, daß es mehr als einen einzigen Polizisten erfordert, aus einer gewalttätigen Menge heraus einen zu greifen, zu verhaften und den Strampelnden und sich Wehrenden wegzuschaffen und in Gewahrsam zu bringen, dann sehen Sie, daß die Schwierigkeit im Kräfteverhältnis zwischen Gewalttätern und Polizei liegt und daß bei dem Stärkeverhältnis bei den Vorfällen von Grohnde die Verbesserung nicht von der Entscheidung der Frage, ob die alte oder die neue Fassung des Landfriedensbruch-Paragraphen vorzuziehen sei, kommen dann, sondern daß wir gegen solche Gewalttätigkeiten, die keine Demonstrationen mehr sind, gemeinsam nach Lösungen suchen müssen, die eben nicht in der Richtung liegen, ob der § 125 a, wie Sie ihn vorgeschlagen haben, den Vorzug verdient.
In einem Punkt bin ich mit Herrn Dregger einig. Er sagte, es sei ein glücklicher Umstand gewesen, daß im Zeitpunkt der Vorfälle von Grohnde nicht auch andere Anforderungen an die Polizei vorgelegen hätten. Das ist die Situation, in der wir uns befinden. Ich gebe Ihnen zu überlegen: Wieviel Polizei und Bundesgrenzschutz aus allen Bundesländern hätten wird in die Gegend von Grohnde schicken müssen, um auf der Autobahn von Hamburg her bei der Raststätte Alstertal die Omnibusse und Lastwagen abzufangen und dafür zu sorgen, daß sie die Krähenfüße, Brechanker usw. nicht nach Grohnde bringen konnten!Hier auf dem Gebiet, also im Bereich der Strafverfolgung und der Polizei, liegt das Problem weniger in der Frage der Strafgesetzbuchparagraphen, insbesondere über den Landfriedensbruch.
— Haben Sie nicht mehrmals das Wort „Rechtspolitik" aus dem Munde Ihres Fraktionskollegen Dregger gehört, und meinen Sie, auf seine Ausführungen zur Rechtspolitik dürfte nur im Rahmen des Einzelplans 06 erwidert werden?
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2702 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
DürrNoch eines zu Herrn Dregger! Sein Stil muß einen, der es mit unserer Demokratie und mit unserer Jugend ernst meint, mit Sorge erfüllen.
Ich hatte Anlaß, im Jahr 1974 Herrn Dregger einmal zu sagen, daß sein Stil, seine Redeweise, seine Art, mit Andersdenkenden umzugehen, nur mit dem Satz „Schlag nach bei Alfred Hugenberg" bezeichnet werden könne.
Ich habe nach seiner heutigen Rede Anlaß, dies zu wiederholen.Herr Kollege Eyrich, Sie erinnern sich, daß wir in diesem Frühjahr schon einmal über Terrorismus debattiert haben. Sie erinnern sich, daß ich damals die Frage erörtert habe: Wie kann sich unsere Bevölkerung, wie können sich insbesondere die jungen Menschen mit diesem Staat identifizieren? Aus dieser Sorge heraus sage ich Ihnen: in der Art, wie Herr Dregger hart und auch selbstgerecht mit anderen umgeht, macht er jungen Menschen diese Identifikation so schwer möglich, daß ich hoffe, er möge nie amtlich da drüben auf der Regierungsbank sitzen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Eyrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es mag mitunter passieren, daß Kollegen, die wir sonst geschätzt haben, weil sie in der Lage waren, sachliche Beiträge zu liefern, durch die Rede eines jungen Kollegen offenbar so durcheinandergebracht und ins Mark getroffen worden sind, daß sie hier — —
— Ja, lieber Herr Schwabe, auch Ihnen bleibt diese Feststellung nicht erspart. Das, was der Kollege Friedmann hier gesagt hat, waren die Grundprobleme über Jahre in diesem Haus. Es ist doch ganz einfach die Wahrheit, daß das Bundesverfassungsgericht ein von Ihnen durchgepeitschtes Gesetz hat korregieren und zurückweisen müssen.
Das ist doch nun schlicht und einfach die Wahrheit.
Es wird doch auch niemand, auch nicht diejenigen — ich komme Ihnen entgegen, Frau Kollegin —, die im Vermittlungsausschuß für dieses Eherechtsgesetz gestimmt haben, bestreiten wollen, daß wir nach dem 1. Juli 1977 einige Fälle in unserem Lande haben werden, die ungleich ungerechter entschieden werden müssen als die, die auf Grund des alten Gesetzes bisher entschieden werden mußten.
— Lieber Herr Kleinert, Sie haben nachher die Möglichkeit, das alles zurechtzurücken. Wenn ich Sie in
Kampfbereitschaft sehe, kann ich mir ungefähr vorstellen, was uns noch bevorsteht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin?
Herr Kollege Eyrich, sind Sie nicht der Meinung, wir sollten mit einer Bewertung noch ein paar Monate warten, bevor wir so schnell urteilen, wie Sie es jetzt wollen? Und sind Sie nicht weiterhin der Meinung, daß es uns sehr leichtfallen würde, hier abzuwägen, daß die Fälle, die in Zukunft noch ungerecht behandelt werden müssen, viel seltener sind als das, was wir bisher an Unrecht erlitten haben?
Liebe Frau Kollegin, indem Sie diese Feststellung treffen, räumen Sie ein, daß der Gesetzgeber ein Gesetz erlassen hat, bei dem er von vornherein ungerechte Fälle mit in Kauf nimmt. Nun weiß ich auch, daß es kein einziges Gesetz gibt, das nicht auf dem einen oder anderen Sektor für den einen oder anderen auch Folgen hat, die von ihm nicht gerne getragen werden. Aber eines lassen Sie mich sagen. Wenn Sie draußen herumhören und wenn der einfache Bürger, von dem Sie ja immer gesprochen haben, einem sagt, daß er es nicht für richtig hält, daß Verschulden oder das, was man dem anderen angetan hat, nun überhaupt nichts mehr, gar nichts mehr bedeuten soll, dann machen Sie dem das schwer begreiflich. Noch nicht einmal das wäre das Schlimmste, weil es die Frage des Zerrüttungsprinzips und des Verschuldensprinzips betrifft. Aber wenn Sie daran Rechtsfolgen für denjenigen, der Unrecht erleidet, anschließen, dann wird die Sache ein bißchen schwierig, wenn Sie nicht eine Klausel haben, die dieses Unrecht verhindert.
— Frau Kollegin, ich glaube, Sie haben nachher noch genügend Gelegenheit — —
Herr Abgeordneter Eyrich, ich mache darauf aufmerksam, daß vereinbart ist, die Fragen nicht zusätzlich als Bonus über die Redezeit hinaus zu gewähren.
Das ist ein Grund mehr, Herr Präsident, keine Fragen mehr zuzulassen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, nach diesem leichten Geplänkel — man muß sich auch ein bißchen hereinreden, Frau Kollegin — sollten wir eines feststellen. Wir haben in der Rechtspolitik in der vergangenen Legislaturperiode nun tatsächlich eine stürmische Periode mitgemacht. Wer geglaubt hat, er könne diese Rechtspolitik an der Quantität der Gesetze beurteilen und messen, der müßte sagen: Es war eine gute Periode. Aber die Quantität steht oftmals gerade im umgekehrten Verhältnis zur Qualität.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2703
Dr. EyrichDas läßt mich nun zu folgender Feststellung kommen. Es ist ein Grundanliegen, Herr Minister, daß wir das einmal miteinander besprechen. Es geht um die Frage der Inkonsequenz dieser Bundesregierung bei der Vorlage von Gesetzentwürfen, bei der Behandlung von Tatbeständen, um die wir uns gemeinsam mühen. Ich meine, die Rechtspolitik der vergangenen Legilaturperiode wird durch etwas gekennzeichnet. Die breite Basis, von der aus nur — das ist meine Überzeugung — eine gute Rechtspolitik getrieben werden kann, wurde oftmals und leider zu oft einer einseitig betrachtenden ideologischen Richtschnur wegen aufgegeben. Ideologie, meine Damen und Herren, ist nirgends gefährlicher als auf dem Gebiet des Rechts; denn das Recht liefert das Muster, nachdem sich unsere menschliche Gemeinschaft vollzieht. Nicht ohne Grund haben wir unseren ersten rechtspolitischen Kongreß unter das Motto gestellt: Das Recht sichert die Freiheit. Auch heute ist diese Frage wieder aufgetaucht. Lassen Sie mich einmal sagen: Die Funktion des Rechts ist die Gewährleistung des Rechtsfriedens, der ohne Freiheit nicht möglich ist.
Herr Bundesinnenminister, bei allen Diskussionen bleibt mir die Frage nicht erspart: Gehen Sie und manche Ihrer Freunde nicht von einer falschen Voraussetzung aus, wenn Sie „Freiheit oder Sicherheit" sagen? Gehen Sie nicht von einer völlig falschen Voraussetzung aus, wenn Sie sagen: „In dubio pro libertate" ? Die Sicherheit ist ein Bestandteil der Freiheit. Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit des anderen.
Wir wissen doch in der Zwischenzeit, daß der Freiheitsraum des einen dort endet, wo der Freiheitsraum des anderen beginnt. Das ist etwas so Selbstverständliches, daß wir uns doch nicht die Frage stellen müssen, ob diese Freiheit im Gegensatz zur Sicherheit steht. Das eine bedingt das andere.Ich weiß nicht, ob ich nun sagen soll, daß wir gehofft haben, daß sich diese Tendenz in ihrer Rechtspolitik in der 8. Wahlperiode ändern würde. Wir haben es jedenfalls gewünscht. Der rechtspolitische Auftakt allerdings ist nicht verheißungsvoll.Sie sind auch nach wie vor offensichtlich nicht bereit, das zentrale Problem der inneren Sicherheit auch — ich betone: auch — mit dem rechtlichen Instrumentarium zu lösen zu versuchen. Ich will hier keine neue Debatte zu den Gesetzentwürfen heraufbeschwören, die wir in dieses Haus eingebracht haben. Aber einen Aspekt, glaube ich, muß man herausstellen. Ihre ganze Rechtspolitik — Herr Minister, sie werden mir Recht geben müssen — scheint dadurch gekennzeichnet zu sein, daß das Recht und insbesondere auch das Strafrecht — ich habe das schon einmal in einer Debatte hier gesagt — von Ihnen vorzugsweise dort eingesetzt werden, wo es um materielle Dinge geht. Insbesondere wird dem Gebiet des Strafrechts hier die Wirksamkeit zugeschrieben, die man dem Strafrecht anderswo nicht zugestehen will.Sie reden so gerne vom Schutz des Schwächeren. Meine Damen und Herren von der Koalition, der Schutz des Schwächeren darf aber nicht nur beim Verbraucherschutz, beim Mietwucher oder bei der Wirtschaftskriminalität eine Rolle spielen. Niemand in diesem Haus will die Auswüchse auf diesen Gebieten, die ich eben genannt habe, verharmlosen, niemand den Schutz des Betroffenen mindern und schon gar nicht bestreiten, daß rechtliche Sanktionen ein Mittel zum Schutze der angesprochenen Personenkreise sind. Der Schutz des Schwächeren auf diesen Gebieten ist in der Tat eine wichtige Aufgabe des Gesetzgebers. Wir haben Sie auf diesen Gebieten nicht nur tatkräftig unterstützt, sondern sind Ihnen auch in der Opposition, z. B. auf dem Gebiete des Verbraucherschutzes, mit gutem Beispiel vorangegangen.
— Sicher, das werden Sie nicht bestreiten können. Sie sind Mitglied des Rechtsausschusses, haben unsere Initiativen miterlebt. Sie werden nicht bestreiten können, daß wir das getan haben. Liebe Frau Kollegin, es ist aber gut, daß Sie diesen Zwischenruf machen.Wir dürfen darüber jedoch nicht vergessen — jetzt kommen wir zu einem anderen Problem, das Sie vielleicht mit weniger Aufmerksamkeit verfolgen —, daß der Bürger nicht nur den Schutz für sein Portemonnaie sucht, sondern daß ihm ein Leben in Sicherheit, Schutz vor Terrorismus, Gewaltkriminalität und Gewalttätigkeit mindestens ebenso wichtig ist.
Diesen Schutz — den Vorwurf müssen sich die Bundesregierung und auch Sie von der Koalition gefallen lassen — haben Sie dem Bürger bis heute nicht in ausreichendem Maße zu geben vermocht. Sie haben nicht den Willen gezeigt — das ist mein Vorwurf —, mit uns einen Weg zu gehen, von dem wir überzeugt sind, daß er die Sicherheit des Bürgers besser gewährleistet, als das die Vorschläge zu tun vermögen, die Sie gemacht haben. Sie haben Recht und Gesetz — das wird mir niemand in diesem Hause bestreiten können — nur zögernd eingesetzt.
Alle Gesetze, die wir in diesem Hause verabschiedet haben, haben wir Ihnen, Herr Kollege, förmlich aufzwingen müssen.
Ich gehöre diesem Hause zwar erst seit 1969 an, damit aber eben seit der Zeit, in der diese Frage auf dem Sektor der Rechtspolitik immer eine große Rolle gespielt hat. Ich kann mich erinnern, wie Sie Vorschläge — denen Sie dann später zugestimmt haben — als Panikmache, als übertriebene Law and order-Politik abgetan haben und wie Sie später gezwungen wurden, wenigstens einige Gesetze zu verabschieden, um die größten Auswüchse, die mit der Liberalisierung des Strafrechts einhergingen, urn das, was Sie vorher verniedlicht haben, wieder
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2704 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. Eyricheinigermaßen zu korrigieren und in Ordnung zu bringen.
— Lieber Herr Kleinert, Sie wissen das ja noch genauso gut wie ich. Wir haben ja nicht wenig darüber gesprochen. Sie haben zwar, Herr Dürr, gesagt, wir sollten hier jetzt nicht noch einmal die Ereignisse und Diskussionen des letzten Jahres abspulen, aber ich möchte doch einmal fragen: Wann gab es einen Debattenbeitrag von Ihnen, der wenigstens den Willen gezeigt hätte, in eine ernsthafte Diskussion über die Frage der Strafverschärfung mit uns einzutreten? Bestenfalls im Zusammenhang mit der Sicherungsverwahrung.
: Immer noch kein Beispiel!)
Aber auch — lieber Herr Kleinert, das an Ihre Adresse und die der Regierung — bei der Dikussion über die Überwachung des mündlichen Gesprächs des Verteidigers mit seinem Mandanten haben Sie trotz aller verbalen Bekenntnisse, die Sie hier abgegeben haben — natürlich, hier spricht man ja für draußen —, Presseerklärungen abgegeben, die auf nichts anderes hinausliefen als darauf, daß eine solche Regelung in diesem Bundestag nicht verabschiedet wird. Können Sie mir sagen, ob unter solchen Voraussetzungen mit uns eigentlich noch ein vernünftiges Gespräch auf dem Gebiet der Rechtspolitik möglich ist?
Man kann doch nicht auf der einen Seite im Plenum so tun, als prüfe man alle Vorschläge, und kaum ist das Plenum zu Ende, fangen auf der anderen Seite die Verlautbarungen der einzelnen Fraktionen an, in denen es heißt: Damit haben wir uns nicht zu beschäftigen. Das ist das, was ich gemeint habe: daß Ideologie und auch Parteipolitik auf diesem Gebiete nichts zu suchen haben, wenn wir der Bevölkerung klarmachen wollen, daß wir hier ein Recht zu schaffen beabsichtigen, das nicht die Freiheitssphäre des anderen tangiert, nicht die Freiheit des anderen unterdrückt, sondern glasklar die Grenze zwischen der Freiheit des einen und der Freiheit des anderen zieht.Man hat uns sehr oft verschrien, wir wollten das besondere Vertrauensverhältnis zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten unterdrücken. Das hat kein einziger Redner von uns gesagt.
— Herr Kollege Emmerlich, wir haben immer darauf hingewiesen: Bei der Verteidigerüberwachung geht es um nicht mehr und nicht weniger als die Frage, ob die Freiheit des Verteidigers, mit seinem Mandanten ungestört zu sprechen, auch dann erhalten bleiben kann, wenn er diese Freiheit mißbraucht. Hier und nirgends anders scheiden sich die Geister. Sie werden der Bevölkerung und auch vielen Fachkollegen nicht klarmachen können, daß der Mißbrauch dieses dem Verteidiger eingeräumten Rechts
— ich nehme das sehr gern auf, Herr Kollege Stark: um Verbrechen zu begehen — durch eine noch be-stehende, von Ihnen geduldete Rechtsordnung gedeckt werden soll.
Ich glaube nicht, daß Sie das jemandem begreiflich machen können.In dem Zusammenhang, Herr Minister, ein Wort zu Ihnen persönlich: Sie haben das Kunststück fertiggebracht, dem Ausschuß eine Vorlage zu geben, in der Sie die Überwachung des mündlichen Verkehrs des Verteidigers mit seinem Mandanten
— wenn es Sie beruhigt, lieber Herr Kollege: des Gesprächs — unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehen hatten, um die Möglichkeit zu nehmen, in solchen Fällen weiterhin derartige Gespräche durchzuführen. Als es dann aber zur Abstimmung in diesem Haus kam, hat der Justizminister Dr. Vogel nicht mit uns für die Beibehaltung seines eigenen, ursprünglichen Vorschlags gestimmt.
Das könnte man noch hinnehmen, Herr Kollege Dr. Vogel. Aber hinterher zu sagen, das Parlament habe ja anders gestimmt, geht dann doch ein bißchen zu weit.
Wenn Sie eine Vorlage bringen, dann gegen diese eigene Vorlage stimmen und sich hinterher noch darauf berufen, das böse Parlament habe ja anders entschieden, als Sie es sich ursprünglich gedacht haben, dann befinden Sie sich in bester Gesellschaft, in der Gesellschaft Ihres Bundeskanzlers, der das auch so praktiziert hat.
'Ich höre und sehe nichts mehr in der Beziehung von dieser Bundesregierung, die nach der Ermordung des Generalbundesanwalts hier erklärt hat, sie wolle nun doch dem Gedanken nähertreten, das mündliche Gespräch des Anwalts mit seinem Mandanten überwachen zu lassen.Die Weigerung und das Zögern, staatlich gesetztes Recht und staatliche Machtmittel gegen Terrorismus, terroristische Gewaltakte und auch Gewaltakte im terroristischen Um- und Vorfeld einzusetzen, führen zu Rechtsunsicherheit und am Ende zu einem Abbau des Rechtsbewußtseins. Wir, meine Damen und Herren, dürfen nicht den Eindruck erwecken, als sehe dieser Rechtsstaat Rechtsbrüchen untätig zu. Wir dürfen auch nicht den Eindruck erwecken, terroristische Gewaltakte seien Erscheinungen, die von selbst wieder aufhörten, wenn man sie nur als Jugendsünden einiger verirrter Sozialromantiker behandelte. Dieses Verfahren hat nicht den gewünschten Erfolg, sondern ermutigt einerseits die Rechtsbrecher fortzufahren, und andererseits wird der Schutz des Bürgers immer geringer.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2705
Dr. Eyrich— Ich habe Sie nicht verstehen können und kann Ihnen deswegen nicht antworten; vielleicht könnten Sie es wiederholen. Lieber Herr Kollege, waren Sie eigentlich in den Jahren dabei, in denen hier ein inzwischen zum Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen beförderter damaliger Kollege davon gesprochen hat, wir hätten nichts anderes im Sinn, als einen Terrorismusfetischismus aufzubauen, wir holten das alles irgendwo her, wir hätten nichts anderes im Sinn, als die Bevölkerung zu beunruhigen? Haben Sie nicht oftmals die Erklärung Ihres damaligen Kanzlers in diesem Hause — hier von dieser Stelle aus — gehört,
in der man uns gesagt hat: Das ist eine irregeführte Jugend? Der Herr Innenminister wird sich erinnern: Noch zu dem Zeitpunkt, zu dem diese angeblich irregeführte Jugend schon an allen Plakatwänden gesucht wurde, hat man hier davon gesprochen, wir hätten nichts anderes im Sinn, als draußen Panik zu machen. Nein, nein, Sie müssen uns dann schon verzeihen, wenn wir einmal darauf hinweisen, daß eine frühere und wirksamere Bekämpfung möglicherweise zu mehr geführt und uns manches erspart hätte, was wir heute leider ertragen müssen.
— Ich glaube, jeder, der mir nur ein bißchen aufmerksam zugehört hat, wird mir nicht unterstellen, daß ich jemandem das Rechtsbewußsein abspreche, wenn er anderer Meinung ist als ich. Sie müssen sich einmal daran erinnern, daß Sie zu Zeiten, als der Deutsche Richterbund und der Deutsche Anwalt-verein Äußerungen getan haben, die Ihnen nicht gerade zustatten kamen, mit den Leuten ganz anders umgegangen sind als wir.
Wir achten die Meinung dieser Leute, beziehen sie in unsere Überlegungen mit ein, versuchen, sie zu überzeugen, ihnen unsere Argumente nahezubringen, und dann wird in diesem Hause und im Ausschuß unter fachkundigen Personen darüber gestritten und gerechtet, welchen Weg wir gehen können. Das halte ich für den richtigen Weg.Herr Kollege, wenn Sie schon den Anwaltverein heranziehen: Ich glaube, über eines dürfen wir ja nicht im unklaren sein, nämlich darüber, daß Sie dann auch die Stellungnahme des Anwaltvereins lesen müssen, die er erst vor drei Tagen zum Recht der elterlichen Sorge abgegeben hat. Ich verlange von Ihnen ja auch nicht, daß Sie deswegen dieses Gesetz — —
— Herr Kollege Emmerlich, so wenig notwendig dieses Gesetz auch ist: Ich verlange von Ihnen ja nicht, daß Sie es nur deswegen, weil der Anwalt-verein es nicht bejaht, nun gleich zurückziehen.Nun vielleicht noch etwas, was Sie auch nicht gern hören; aber ich kann es Ihnen in dieser Debatte nicht ersparen. Der Herr Kollege Dürr hat vom Demonstrationsrecht gesprochen. Herr Kollege Dürr, Sie haben dabei fast ausschließlich von den §§ 125 und 126 gesprochen. Sie wissen genau, daß wir im Dezember 1969 und im Jahre 1970 lange darüber gerechtet haben, ob wir § 110 StGB — Aufforderung zu einer strafbaren, zu einer verbotenen Demonstration — ändern sollten oder nicht. Wenn wir schon von Grohnde sprechen — und Sie haben ja den Film mit mir zusammen angesehen —, wenn wir schon sehen, wie es sich dort langsam zum Ort hin kanalisiert, wie die Aufmarschbewegungen verlaufen, wäre es vielleicht gut, wir würden gemeinsam überlegen, wie wir diese Aufmarschbewegung dort stoppen, damit gewährleistet ist, daß es gar nicht erst zu den Gewalttätigkeiten kommt.
Herr Kollege Dürr, Sie werden mir nicht einen Augenblick lang vormachen können, das sei rechtlich nicht möglich. Es ist sogar unter dem Gesichtspunkt der Freiheit der Demonstration rechtlich möglich. Kein Mensch von uns hat etwas gegen friedliche Demonstrationen.
— Ja, ja, vielleicht finden Sie irgendwo jemanden, den Sie falsch deuten können; das gibt es ja immer, das wissen wir. Aber niemand wird uns unterstellen können, wir hätten etwas gegen friedliche Demonstrationen. Nennen Sie mir aber einmal ein paar Demonstrationen der letzten Zeit, die nicht von einer Gruppe ausgenutzt worden sind, die allzugern bereit war, diese friedlichen Demonstrationen umzufunktionieren. Herr Kollege Emmerlich, dann sollten wir uns wirklich miteinander darum bemühen, eine Möglichkeit zu finden, das im Ansatz — ohne Beeinträchtigung der freien Meinungsäußerung — in den Griff zu bekommen. Sie können dabei mitwirken, wenn Sie unsere Gesetze aufmerksam lesen und die dort enthaltenen Vorschläge beherzigen.
Herr Abgeordneter Eyrich, ich bitte Sie, die Zeit einzuhalten.
Lieber Herr Kollege Penner, Sie können mit mir ruhig noch — ich bitte um die Möglichkeit, das hier noch zu sagen — ein Problem diskutieren, das uns durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erneut beschäftigen wird. Das Bundesverfassungsgericht hat gestern ein Urteil gefällt, das für die Rechtspolitik von großer Bedeutung ist. Ich spreche von dem Urteil zur lebenslangen Freiheitsstrafe. Ich möchte nur ein paar
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2706 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Dr. EyrichBemerkungen dazu machen, da wir es bisher im wesentlichen nur aus der Presse kennen.
— Ich hätte von Ihnen auch nicht gedacht, daß Sie so bösartig wären. Das könnten Sie auch fast nicht zusammenkonstruieren, lieber Herr Kollege Emmerlich.Die lebenslange Freiheitsstrafe — das hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt — verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Gebot einer — das ist entscheidend — sinn- und maßvollen Strafe. Damit wird genau das bestätigt, was wir in den letzten Monaten auch angesichts einer Diskussion, die der Herr Bundesjustizminister heraufbeschworen hat, immer wieder gesagt haben: Auch eine lebenslange Freiheitsstrafe ist eine sinn- und maßvolle Strafe für ein Verbrechen, das diese Art der Strafe verdient.
Herr Abgeordneter Eyrich, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Jawohl. Herr Emmerlich, ganz zum Schluß möchte ich noch etwas zu dem gemeinsamen Bemühen sagen, über das ich sprechen wollte. Da das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, daß wir eine Verrechtlichung der Gnadenpraxis anstreben sollten, möchte ich allerdings noch ein Wort an den Herrn Justizminister und an Sie richten — Sie beide haben Erklärungen dazu abgegeben —: Lassen Sie uns uns davor hüten, eine Gnadenpraxis in der Weise zu verrechtlichen, daß sie einer Automatik gleichkommt; sonst könnte es sein, daß die tragenden Grundsätze dieses Urteils nicht mehr gelten können. Das müssen wir auch im Interesse derer verhindern, die durch die Leute geschädigt worden sind, denen diese Strafe zudiktiert wurde. In diesem Sinne sollten wir, wie ich glaube, alle gemeinsam den Versuch unternehmen, die Probleme, die uns allen am Herzen liegen oder liegen sollten, miteinander zu lösen, weil ich davon überzeugt bin, daß eine gemeinsame Lösung dieser Probleme dem Verlangen der Bevölkerung entspricht und das Rechtsbewußtsein der Bevölkerung stärken wird.
Herr Abgeordneter Dürr, für die Bezeichnung „Partisan", bezogen auf ein Mitglied dieses Hauses, rufe ich Sie zur Ordnung.
— Herr Abgeordneter Wehner, es ist nicht üblich, daß Ordnungsmaßnahmen des Präsidenten kritisiert werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Anläßlich der Haushaltsdebatten ist man auch gern mit Dank an den zuständigen Ressortminister und seine Mitarbeiter zur Hand. Das wird dann so gesagt: Ich bin der Meinung, daß wir Freien Demokraten heute alle Veranlassung haben, uns bei dem Justizminister Jochen Vogel — wie im übrigen auch bei seinem Vorgänger, Herrn Jahn —, sehr herzlich für die Art zu bedanken, in der er wichtige Dinge, die, um es ganz klar zu sagen, niemals in einer anderen Koalition als dieser sozialliberalen Koalition hätten geregelt werden können, regeln zu helfen, ich wollte sagen: geholfen hat; aber das ist natürlich etwas schwach, das gebe ich zu.
— Ich habe diesen Text nicht auswendig gelernt, wenn ich mir diesen Einwand erlauben darf. Wir hatten heute schon einen Fall, in dem die Benutzung des Manuskripts durch Auswendiglernen ersetzt worden ist. Das hat meiner Ansicht nach überhaupt keinen Sinn.
— Sie müssen mich nur annehmen, dann kriegen Sie es sofort voll zurück, und zwar immer beweisbar, mit Sachkunde.
Ich möchte mich also sehr herzlich für das bedanken, was insbesondere der Bundesminister, Herr Vogel, an Rechtspolitik in und mit dieser Koalition möglich gemacht hat. All das, was an Angriffen kommt, ist doch von Jahr zu Jahr dünner geworden.
Ich erinnere mich noch daran, mit welcher Begeisterung die Herren von der CDU/CSU-Opposition hierhergegangen sind und uns geweissagt haben, jede einzelne unserer Reformen werde den sofortigen Untergang der Republik zur Folge haben. Ich denke insbesondere an 1970, beispielsweise an das Demonstrationsstrafrecht. Ich sehe, wieviel Luft da jetzt bei Ihnen heraus ist, weil sich gezeigt hat, daß unsere Methode richtig war, nämlich die rechtspolitische Methode desjenigen, der den kleineren „Herumsprechapparat" hat, der den weniger wirksamen Resonanzboden an Stammtischen und in dergleichen Kreisen hat, die Methode, das Gesetz ungeachtet all der Dinge, die Sie hier im Plenum jeweils zum besten gegeben haben, durchzusetzen und dann abzuwarten, wie es sich in der Praxis bewährt; wobei sich dann jeweils gezeigt hat, daß Ihre sämtlichen Befürchtungen null und nichtig waren. Ich bin völlig überzeugt, daß dies z. B. bei dem Eherecht, das Sie vorhin hier angesprochen haben, auch so sein wird. Ich wundere mich nur darüber, warum selbst ein so ausgeglichener und, wie ich gern zugebe, das Gespräch suchender Kollege wir Herr Eyrich jetzt hergeht und in die Fußstapfen seines Partei- und Fraktionsvorsitzenden tritt, allerdings nur ganz beiseite. Herr Eyrich, Sie schmollen mit Recht. Das, was Herr Kollege Kohl
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Kleinertgestern hier geboten hat, das haben Sie auch nicht im Traume versucht einzustellen; das ist ganz klar.
Ich spreche von der ersten Rede; was weiß ich, wer sie aufgeschrieben hat. Sie sprechen offenbar von der zweiten,
von der man in Fachkreisen sagt: Würde er öfter frei sprechen, käme er besser raus. Das gebe ich ja zu.
Ich spreche aber von der ersten Rede Ihres Fraktionsvorsitzenden, in der er es als ein Mann, der unmittelbar davorsteht, hier die Regierung zu übernehmen und alles erst einmal richtig zu machen und uns zu zeigen, wie das geht, für richtig gehalten hat, uns zu sagen, diese Regierung verstoße ununterbrochen gegen die Verfassung, für richtig gehalten hat, dem amtierenden Bundeskanzler Verstöße gegen das Recht, angebliche Verstöße gegen das Recht vorzuhalten, die bei sämtlichen Vorgängern dieses Finanzministers in der Vergangenheit in einem zugegebenermaßen schwierigen, jetzt durch das Bundesverfassungsgericht glücklicherweise klargestellten Bereich immer vorgekommen sind. Er hat das dem Bundeskanzler jetzt einfach vorgehalten, ohne einmal den Versuch zu machen, wie man bei uns zu Hause sagt, vor der eigenen Tür zu kehren. Dafür wäre gerade in dieser speziellen Frage reichlich Raum und Stoff vorhanden.
Dieses haben wir uns gestern zum Thema „Rechtspolitik" von Herrn Kohl hier anhören müssen. Ich bin der Meinung, daß es Ihnen bei der Debatte über die Rechtspolitik hier im Hause gut anstehen würde, mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden einmal über sein Verfassungsverständnis im Hinblick darauf zu sprechen, wie er Verfassungsorgane aus parteipolitischer, momentaner, vorübergehender, opportunistischer Räson heraus angreift. Das gehört nicht zu der Art von Rechtspolitik, von der Sie uns hier vorschwärmen. Wir haben seit 1969 eine Rechtspolitik gemacht, bei der wir eine Fülle von Verfehlungen — die wir deshalb noch längst nicht als verfassungswidrig eingestuft haben — früherer CDU/ CSU-Regierungen mühsam abgebaut haben.
Das gilt insbesondere für das vorhin erwähnte Eherecht.Zum Schluß haben wir das Schauspiel erlebt, daß sich die Opposition, die sich gar nicht genug tun konnte, durch ihre Sprecher von diesem Platz aus zu erklären, wie furchtbar dieses Eherecht wäre, mit uns im Vermittlungsausschuß zusammengesetzt hat und in einem zum Teil etwas unerfreulichen Handel über kleine und kleinste Einzelheiten erst dafür gesorgt hat, daß das Gesetz in seinem rechtlichen Teil so kompliziert geworden ist, wie es jetzt ist. Es wurden Kompromisse gemacht, von denen heute noch einige der Verhandlungspartner glauben, jeder hätte dabei recht behalten und man könne sich im übrigen auf die Gerichte verlassen. Das ist natürlich eine Sache, die dem Gesetzgeber nicht sehr gut ansteht. Aber Sie wollten den Kompromiß. Das haben wir auch anerkannt, weil wir der Meinung waren, die Regelung eines so wichtigen Gebietes sollte lieber einvernehmlich geschehen.Was soll es dann aber, wenn Sie zum Schluß, entgegen allen Ihren vorherigen Ankündigungen — Sie haben doch das Gesetz mit getragen —, heute noch hergehen und die Bürger hinsichtlich des durch Sie selbst, wie ich eben darzulegen versucht habe, besonders kompliziert gewordenen Ergebnisses verängstigen? Das kann doch nicht der Sinn der verantwortungsvollen Rechtspolitik auch einer Oppositionspartei sein.
Zum Thema Versorgungsausgleich möchte ich etwas sagen, was vielleicht zum Teil noch in den vorher behandelten Geschäftsbereich hineinragt. Mit den Behörden ist es schon etwas schwierig. Wir haben gehört, frühestens in zwei Jahren wäre es möglich — mit einer Frist von jeweils drei bis vier Monaten — den streitenden Parteien zu sagen, wie der Versorgungsausgleich nach ihren beiderseitigen Leistungen aussieht.
Ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen mitteilen zu können, daß sich einige Kollegen in Hannover nach mehreren Seminaren über das neue Eherecht mit einem Steuerberater, der sich in erster Linie als Rentenberater betätigt, und einer namhaften Firma aus dem Bereich der Datenverarbeitung zusammengetan haben und sämtlichen Kollegen in dieser Republik anbieten, binnen einer Woche vollkommene Auskunft über die zu erwartenden Folgen eines Versorgungsausgleichs zu erteilen. Das machen sie in Form einer GmbH. Sie haben dort eine Marktlükke gesehen, wo eigentlich die Behörden zuständig gewesen wären. Diese wollten ihnen die Angelegenheit vermiesen, indem sie sagten, sie dürften gar keine Auskunft geben. Sie sagten: Nun wollen wir doch einmal sehen, ob die vier Kollegen oder das Amt mit mehreren tausend Mitarbeitern besser in der Lage sind, zu zeigen, wie der Versorgungsausgleich im Einzelfall aussieht.
— Ich bin in gar keiner Weise beteiligt, sonst hätte ich mir — wie Sie mich kennen — diesen Hinweis natürlich erspart. Das ist ganz selbstverständlich. Ich bin an manchem anderen beteiligt, was ich hier nicht erwähne.
Ich erwähne dies, weil man von Ihrer Seite versucht hat, das neue Eherecht besonders schwarzdarzustellen. Dabei nahmen Sie auf eine Behörde
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KleinertBezug, die offensichtlich mit ihrem Riesenstab und ihren Riesencomputern nicht in der Lage ist, das zu leisten, was einige wenige Freiberufler jetzt jedenfalls anzubieten in der Lage sind. Dann gehen Sie doch bitte nicht über Land und machen Sie nicht den von Ihnen selbst geschlossenen Kompromiß madig, sondern dann gehen Sie doch zu den Bürgern und sagen Sie ihnen: Wir sind froh, daß wir als CDU daran mitwirken durften, daß die von uns 1961 beschlossene Verschlechterung des Eherechts endlich mit unserer Hilfe, wenn wir uns auch in letzter Minute erst dazugesellt haben, um nicht ganz einsam zu stehen, wieder in Ordnung gebracht worden ist. Das wäre doch eine Aktion von Ihnen.
Dergleichen tun Sie nicht, sondern Sie gehen her, machen alles, was hier geschieht, zunächst einmal nieder und geraten dabei in Gefahr, neuerdings häufiger als früher, aus Routine auch gleich das mit niederzumachen, was Sie selbst mitbeschlossen haben.
Das ist eine Geschichte, auf die ich Sie nachdrücklich hinweisen muß. Vielleicht gibt Ihre Fraktion den einzelnen Abgeordneten gelegentlich einmal Blätter, auf denen steht, wo Sie zugestimmt haben und wo nicht. Sonst kommen Sie auf diesem Sektor des ständigen Neinsagens in immer größere Komplikationen und in erhebliche Gefahren, sobald Sie an sachverständige Zuhörer geraten.
— Das ist den meisten im Hause schon mal passiert. Bloß bei einigen ist es aufgefallen, bei anderen weniger. Wo in dieser Äußerung der Sachbeitrag liegt, habe ich nicht erkennen können.
Im übrigen ist es entscheidend, daß man dann da ist, wenn es um die Sache geht. Das ist eigentlich ein ganz guter Hinweis gewesen, Prinz zu SaynWittgenstein.
— Ja, ich mache ihn jetzt langsam zu einem sachlichen, indem ich nämlich darüber nachdenke, was Ihr Verhältnis zu graden, aufrechten, in sich logischen und ständig von den gleichen Idealen bestimmten politischen Zwecken mit der Art zu tun hat, wie Sie sich neuerdings hier zur Frage der Vermögensteuer eingelassen haben, nachdem die Sozialdemokraten zähneknirschend aus höherer wirtschaftspolitischer Weisheit zugestimmt haben.
Und Sie haben wie ein Mann gegen das gestimmt,was Sie schon immer wollten. Das ist ein besonderesBeispiel der Gradlinigkeit, die Sie in Ihren politischen und somit natürlich auch rechtspolitischen Ansichten verfolgen.
Es war absolut sagenhaft.
Bei dieser Abstimmung, Prinz zu Sayn-Wittgenstein, war ich dann da — das Vorherige war nicht so wichtig —; denn ich mußte ja da sein, damit wir Ihre Angelegenheiten vernünftig in Ordnung bringen.
Sie sind doch dazu ganz offensichtlich nicht in der Lage.
— Wir geben uns Mühe.Ich habe vorhin notiert, daß Herr Friedmann in seiner Jungfernrede, zu der ich ihm trotz der schon erwähnten formalen Besonderheit gratulieren möchte, das Wort „Freiheit oder Sicherheit" aufgebracht hat. Diese Bundesregierung hat es wahrlich nicht nötig, sich diese Alternative von Ihnen unterstellen zu lassen.
Wir haben niemals einen Zweifel daran gelassen, daß wir Freiheit u n d Sicherheit meinen. Wir haben es uns nur mit dem Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Begriffen sehr viel schwerer gemacht als Sie und wir werden es uns weiter mit diesem Spannungsverhältnis sehr schwermachen. Das ist der Unterschied zwischen den beiden Seiten dieses Hauses in diesem Punkt.
Dann brauchen Sie nicht daherzukommen und hier so mit linker Hand Verdächtigungen auszustreuen, sondern dann mögen Sie sich einmal daran orientieren, was Herr Maihofer und was Herr Genscher in der Praxis da getan haben, wo Ihre Innenminister ein Bundeskriminalamt haben weiter existieren lassen, das diesen Namen nicht verdiente und das überhaupt überflüssig war, so wie da die Akten in den Gängen herumstanden.
— Die haben da so herumgestanden; das haben Augenzeugen hier aus dem Hause, die dort eingeflogen wurden, immer wieder gesehen.
Inzwischen stehen da keine Akten mehr auf den Gängen herum, das ist vielmehr ein schlagfertiger Apparat, zu dem die Leute aus aller Welt Wallfahrten unternehmen,
soweit sie sicherheitstechnisch interessiert sind, umsich einmal anzuschauen, wie die Sozialliberalen indieser Republik ein solches Institut aufziehen, um
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Kleinertfür die Sicherheit ihrer Bürger zu sorgen und um so sicherer sein zu können, daß sie gleichzeitig im rechtspolitischen Bereich weiter für die Freiheit ihrer Bürger einstehen können.
Sicherheit und Freiheit bedingen sich in der Form, daß man für die Sicherheit hier nicht Reden halten kann, sondern etwas dafür tun muß. Präzise das hat diese Regierung getan, und deshalb können wir um so mehr unserem Geschäft nachgehen, gesetzgeberisch etwas für die Freiheit des Bürgers zu tun. Das haben Sie bei dieser Fragestellung leider ein wenig außer acht gelassen.
Ich habe bei Herrn Eyrich mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß er die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfolgt. Wir haben von Ihnen, Herr Eyrich, gehört, daß die lebenslange Freiheitsstrafe nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in dieser Form verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Es wäre aber sehr freundlich von Ihnen gewesen, dies nicht als einen besonderen Sieg der rechtspolitischen Tätigkeit der Opposition in diesem Hause darzustellen, sondern vielmehr darzustellen, daß das Bundesverfassungsgericht in dem gleichen Spruch diesem Hause mitgeteilt hat, es wünsche eine Regelung, bei der den Umständen des Einzelfalles Rechnung getragen werde, insbesondere daß niemand, der zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt werde, ohne Hoffnung in bezug auf eine mögliche spätere Freilassung sein dürfe. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn das entspricht präzise dem rechtspolitischen Programm dieser Bundesregierung und dieses Justizministers, den Sie dieserhalb angegriffen haben.
Das stand auch in dem Urteil. Nun sage ich deshalb nicht, das sei ein rechtspolitischer Erfolg der Koalition, ich stelle nur fest, daß das Bundesverfassungsgericht das, was in Ihren Kreisen als völlig unmöglich dargestellt wird, inzwischen ausdrücklich von uns gefordert hat. Das muß man bei dieser Gelegenheit sagen, nachdem Sie vorhin nur die erste Hälfte zitiert haben.Zu dem Problem der Verteidiger wollte ich eigentlich nichts mehr sagen.
Es ist nun wieder aufgerührt worden von Ihren Freunden, Herr Jaeger. Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen, hier gilt das gleiche wie für „Freiheit oder Sicherheit". Für uns gibt es keine SchwarzWeiß-Alternativen der Art, entweder die freie Advokatur abzuschaffen und dadurch angeblich — angeblich! — besonders viel Sicherheit zu schaffen oder aber hemmungslos jede Art von Konspiration zuzulassen. Wir haben doch in den Diskussionen hier in diesem Hause, insbesondere aber in den Gesprächen in den Ausschüssen und unter den einzelnen Mitgliedern dieser Ausschüsse deutlich gemacht, daß wir versucht haben, das Institut derVerteidigung — nicht etwa die Rechte des Verteidigers — einerseits unangetastet zu lassen und andererseits konspirativen Umtrieben zu begegnen, so gut das eben geht.
Deshalb müssen wir uns dagegen verwahren, daß Sie uns immer wieder verdächtigen, wenn wir uns Mühe machen, unsere Aufgabe für diesen Rechtsstaat so zu erfüllen, wie wir das glücklicherweise in all diesen Jahren getan haben und weiter tun werden. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, in Zukunft in der Bevölkerung auf rechtspolitischem Gebiet für kompetent gehalten zu werden wünschen, dann würden Sie gut daran tun, erstens das, woran Sie mitgewirkt haben, nicht zu verleugnen, und zweitens bei keiner Gelegenheit diejenigen zu verleumden, die genauso sorgfältig und rechtsstaatlich zu Werke gehen, wie Sie das von sich selbst behaupten. Das nehmen wir für uns auch weiterhin in Anspruch.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz, Dr. Vogel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte meine Ausführungen mit einem doppelten Dank beginnen. Erstens der Dank an die beiden Berichterstatter im Haushaltsausschuß, Herrn Westphal und Herrn Dr. Friedmann, für die faire Behandlung des Haushalts meines Ministeriums. Zweitens bei dieser Gelegenheit — warum eigentlich nicht? — auch ein sehr herzlicher Dank an den Rechtsausschuß für die faire und sachliche Zusammenarbeit in der zurückliegenden Zeit.Heute allerdings steht ja offensichtlich die Kritik im Vordergrund. Hauptsächlich in drei Richtungen sind kritische Gedankengänge geäußert worden. Erstens die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung., zweitens die Frage der Terrorbekämpfung, und drittens die allgemeine Rechtspolitik.Meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir uns nicht auch in dieser Stunde daran erinnern, daß die Verfassungsgerichtsbarkeit der Bundesrepublik eine Besonderheit ist, die aus gemeinsamer Arbeit erwachsen ist? Hier sind Gedanken zusammengeflossen, für die ein Mann wie Thomas Dehler steht, für die Georg August Zinn steht, für die Adolf Arndt steht, für die aber auch ein Herr von Mangoldt oder ein Professor Wahl steht. Es sind die Erkenntnisse aus der Zeit der Diktatur. Es ist die Sorge vor der Übermacht des Staates, der man eine Balance und eine Kontrolle an die Seite setzen wollte. Warum wollen wir eigentlich diese gemeinsame Wurzel nicht auch in einer Stunde kritischer Auseinandersetzung hervorheben und deutlich machen?
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Bundesminister Dr. VogelAuf dieser Grundlage, meine Damen und Herren, zwei Selbstverständlichkeiten. Es ist doch ganz selbstverständlich, daß vor dem Bundesverfassungsgericht in aller Regel die jeweilige Opposition als Klägerin auftritt und nicht die Regierung. Das gilt für die Zeit bis 1966 von unserer Seite aus, und das gilt seit 1969 von Ihrer Seite aus. Es ist einfach schon eine rechtslogische Frage, daß die Regierung nicht ihre eigenen Gesetze oder ihre eigenen Maßnahmen vor das Gericht bringt. Infolgedessen ist es eine bare Selbstverständlichkeit, daß die Liste der objektiven Erfolge — wenn Sie das so nennen wollen — für die jeweilige Opposition vorher und nachher größer ist.Und eine zweite Selbstverständlichkeit: Jedermann in diesem Staat und vor allem jeder im öffentlichen Bereich ist verpflichtet, die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts für verbindlich zu halten und zu respektieren. Aber niemand ist verpflichtet, jeden einzelnen rechtlichen Gedankengang für richtig zu halten und dem zuzustimmen.
Das sind doch zwei Selbstverständlichkeiten.
Nun wäre es reizvoll, Herr Kollege Friedmann, noch einmal die ganze Liste der von Ihnen zitierten Urteile durchzugehen. Es kann doch nicht bestritten werden, daß der Grundlagenvertrag entgegen dem Antrag für verfassungsgemäß erklärt worden ist.
Sie selber waren zunächst zögernd. Erst die CSU hat die Sache in Gang gebracht. Das Ziel war primär, den Vertrag für verfassungswidrig erklären zu lassen.§ 218: Ich gebe Ihnen gern zu, daß man sich über diese Dinge sehr lange auseinandersetzen kann. Aber Sie werden doch nicht bestreiten, daß in den Sondervoten Gedankengänge entwickelt werden, die durchaus ernst zu nehmen sind. Über Öffentlichkeitsarbeit und Haushalt haben wir gestern verhandelt.Aber ich möchte jetzt noch ein bißchen ausführlicher auf die Frage mit der lebenslangen Freiheitsstrafe eingehen. Dies ist ein Fall, wo, wenn wir schon in der Kategorie von Rechthaben miteinander reden, die Bundesregierung voll bestätigt worden ist. Herr Kollege Eyrich, habe ich jemals für die Regierung die lebenslange Freiheitsstrafe in Frage gestellt? War es nicht so, daß wir sogar im Rechtsausschuß in höflicher Form einen Disput darüber hatten, ob die von mir vorgeschlagene Maßnahme nicht verfassungsrechtlich bedenklich sei? Aber es gibt ja noch viel bittere Worte: was ich vorhätte, sei Hohn usw. Dieser Vorschlag sah die Einführung eines rechtsförmlichen Verfahrens für die Aussetzung der Strafe vor. Jetzt stelle ich fest, daß das, was ich als richtig bezeichnet habe, sogar vom Bundesverfassungsgericht als geboten bezeichnet wird.
Nun ist ein guter Spielraum entstanden. Lassen Sieuns diesen Spielraum vernünftig miteinander aus-füllen. Ich biete dazu meine Hand. Im übrigen kann man auch als Opposition beim Bundesverfassungsgericht verlieren. Ich erinnere an das 4. Rentenversicherungs-Änderungsgesetz. Rheinland-Pfalz hatte damals die Klage angeführt. Meine Damen und Herren, was soll denn das, wenn wir uns gegenseitig diese Urteile um die Ohren schlagen, als wenn es Schwurgerichtsurteile wären, als wenn es jeweils mit der Einsperrung des Unterlegenen enden müßte?
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lenz?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gern.
Herr Bundesminister der Justiz, würden Sie mir zustimmen, daß einige Formulierungen in dem Urteil zum Haushaltsstreit, über das wir gestern gesprochen haben, gerade diesen besonderen Fall im Hinblick auf offensichtlich nicht vorliegende Voraussetzungen etwas anders erscheinen lassen als das, was Sie hier mit Großzügigkeit und Selbstverständlichkeit und auch mit einem gewissen Teil von Berechtigung vortragen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lieber Herr Kollege Lenz, ich bestreite heute so wenig wie gestern, daß es Auseinandersetzungen über die Frage gab, was unvorhersehbar und was unabweisbar sei. Die Auffassung, die den Entscheidungen zugrunde lag, ist nicht die Auffassung, zu der sich das Bundesverfassungsgericht bekannt hat. Das akzeptiere ich. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, daß die Argumente des Bundesverfassungsgerichts eine ganze Menge für sich haben, daß ich es also nicht nur respektiere, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Richtigkeit für durchaus erwägenswert halte.Zweite Bemerkung: Terror! Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Dregger hat vorhin gesagt, es sei die Schwäche der Demokraten, daß sie das Recht nicht entschiedener als Waffe im Kampf gegen den Terrorismus einsetzten. Der Streit unter Demokraten geht doch nicht um die Frage, ob die Terroristen Sympathie, Zustimmung oder Unterstützung verdienen oder ob man sie bekämpfen muß. Der Streit geht über die Rangstelle, die die politische Auseinandersetzung, die moralische Isolierung, die moralische Solidarisierung mit Gerichten und Polizei, der Vollzug der Gesetze und die Änderung der Gesetze haben. Darum geht doch der eigentliche Streit. Ich meine, meine Damen und Herren von der Opposition, dieser Staat wäre dann wirklich schwach, wenn er solche Auseinandersetzungen nicht mehr führen könnte. Die wirkliche Schwäche des Staates würde offenbar, wenn wir diese Auseinandersetzung wie Feinde führten, die im jeweils anderen politischen Lager den gefährlicheren Gegner als den Terrorismus sehen. Das
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Bundesminister Dr. Vogelglaube ich, will niemand. Das sage ich „to whom itmay concern". Das ist mein Recht als Justizminister.
Meine Damen und Herren, darf ich einmal fragen, was eigentlich bei einer solch ernsten Debatte eine derartige sich selbst bestätigende Rechthaberei soll? Sind wir denn in diesem Parlament nicht mehr in der Lage, ohne einen Schuß Häme ernsthaft über unsere gemeinsamen Sorgen zu reden?
Ich bekenne mich gern zur Minderheit, wenn es wirklich eine Minderheit sein sollte, die auch dem politischen Gegner hier zuhört, ob nicht Argumente in seinen Ausführungen enthalten sind, mit denen man arbeiten kann. Wenn etwas die Arbeit im Rechtsausschuß kennzeichnet, dann ist es die Bereitschaft, einander noch gegenseitig zuzuhören und einander im Zweifel auch etwas Positives zu unterstellen und nicht nur das Negative. Das ist meine Überzeugung.
Lassen Sie mich noch eine persönliche Bemerkung machen. Diese Art, die ich gerade kritisiert habe, trifft eigentlich noch härter, wenn es sich um Menschen handelt, die der gleichen Kriegs- und Aufbaugeneration angehören, die wissen, was hier gemeinsam geschaffen, erbaut und errichtet worden ist, wenn hier diese Zeichen der Polarisierung festzustellen sind. Im übrigen: Sie wissen doch, daß wir gemeinsam auch vernünftig die Waffe des Strafrechts eingesetzt haben, wo es notwendig war. Es ist doch nicht wahr, Herr Kollege Eyrich — das ist eigentlich gerade bei ihnen ein bißchen enttäuschend —, daß nichts geändert worden ist. Sie wissen doch, was alles geändert worden ist: § 129 a; Zuständigkeit des Generalbundesanwalts. Jetzt streiten wir — wie das im Parlament sein soll — über zwei konkrete Dinge. Das heißt: Über die eine Sache — die Novelle der Strafprozeßordnung zur Straffung der Großverfahren — streiten wir gar nicht. Sie wissen doch, daß auf unsere gemeinsame Anregung von Bund und Ländern eine Arbeitsgruppe tätig ist. Sie wissen, daß wir jetzt einen Entwurf eingebracht haben, der wortgleich ist mit dem, was einige Länder sehr zum Ärger der anderen, als die Arbeit halbfertig war, dort abgezapft haben. Herr Kollege Lenz hat meine Zusage, daß wir nach der Sommerpause im Kabinett die Regierungsvorlage dazu verabschieden. Dann kann selbstverständlich beraten werden. Warum wird hier so getan, als wenn wir nicht wollten oder dies nicht täten?Jetzt das Lieblingsthema: Verteidigerüberwachung! Ich bekenne mich dazu, meine Damen und Herren, daß ich hier nicht mit dem Kopf durch die Wand marschiert bin. Was die „Schlangenförmigkeit der Bewegungen" angeht, so darf ich doch etwas polemisch anmerken: ich bin noch immer eine klare Linie gefahren im Vergleich zum Verhalten der Opposition in der Frage der Vermögensteuer. Das darf ich einmal ganz ehrlich sagen.
Aber in der Sache: Ich will, daß wir mit einer möglichst breiten Mehrheit zu einer Lösung kommen, die den Mißbrauch, den es auf diesem Gebiet gibt, abstellt. Das ist mein Ziel, aber nicht, etwas auf Hauen und Stechen durchzusetzen mit vier oder fünf Stimmen Mehrheit in der einen oder anderen Richtung, mit der Folge, daß die Schäden, die aus einer solchen Kraftprobe entstehen, viel schwerwiegender sind als die Erfolge, die wir mit der Maßnahme erzielen. Ich gebe Ihnen recht: Man kann nicht immer auf die Verbände hören. Aber mir jedenfalls — ich will es ja nicht Ihnen aufoktroyieren — gibt zu denken, wenn nicht nur die Anwaltschaft — übrigens ziemlich geschlossen —, sondern jetzt auch der Deutsche Richterbund, also die, die das dann durchführen sollen, auf ihrem Richtertag sagen: Nach erneuter Prüfung geben wir die frühere Meinung, es sei gut, auf und sprechen uns dagegen aus. Ich suche nach einer Lösung und appelliere an alle Seiten des Hauses um Unterstützung, daß wir auf dem Wege über eine Ausschußlösung — ich habe Ihnen das ja auch schon vorgetragen — mit Zustimmung der Richterschaft Und Anwaltschaft dieses Loch verstopfen; denn das ist das Ziel.
Letzter Punkt: Allgemeine Rechtspolitik! Herr Kollege Eyrich, da gibt es zwischen uns keinen Streit. Das Recht hat eine friedenssichernde Funktion. Dazu gehört vor allen Dingen die Frage der Rechtssicherheit. Es hat aber auch die Aufgabe, die materielle Gerechtigkeit zu mehren, und zwar auch die soziale Gerechtigkeit.
Nie absolut! Wer hundertprozentige Gerechtigkeitwill, wird die Menschen ins tiefste Unglück stürzen.
Dafür gibt es Beispiele genug. Aber man darf diesen Satz auch nicht als Entschuldigung dafür nehmen, daß man untätig bleibt. Immer ein neuer Anlauf, und auch der Herausforderung angepaßt!Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren: Warum wird eigentlich unser gemeinsames Werk hier heute mit solchen Noten bedacht? Es ist ja gar nicht mein Verdienst. Die Diskussion hat schon in den sechziger Jahren begonnen. Die Vorgänger haben es eingeleitet; wir konnten die Ernte in die Scheune bringen. Können wir uns denn nicht sehen lassen damit, daß wir nach 100 Jahren endlich ein Strafvollzugsgesetz zusammengebracht haben, das 'das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil übrigens mit sehr lobenden Wendungen bedenkt. Adoptionsrecht, Revisionsrecht, Wirtschaftskriminalität, Allgemeine Geschäftsbedingungen, ZPO — die tiefstgreifende Reform seit 100 Jahren — und auch das Eherecht! Wo sind denn die großen Kontrover-
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Bundesminister Dr. Vogelsen, die jetzt hier vorgeführt werden? Es gibt eine, das ist der § 218. Da steckt die Kontroverse auch nicht im materiellen Recht, sondern im Verfahren, wie es zu der Zustimmung oder Einwilligung kommt. Im materiellen Recht ist die Kritik der Kirche an Ihren Vorstellungen genauso scharf und genauso ätzend wie die Kritik an den Vorstellungen, die Gesetz geworden sind!
— Aber, Herr Kollege Jäger, jetzt begeben Sie sich auf fremdes Gebiet! Ich schicke Ihnen einmal ein paar Bistumsblätter neueren Datums. Da kriegen Sie genauso einen übergebraten!
Da kann nur noch die CSU bestehen — in Teilen, die Alt-CSU; die wacklige auch nicht.Ich komme zum Eherecht. Das ist ein Kompromiß, zu dem wir uns gefunden haben. Ich verteile keine Noten, ob hierzu der eine oder andere mehr beigetragen hat. Das gehört für mich in das Kapitel Rechthaberei. Aber, was ich nicht verstehe: Wir machen miteinander Gesetze, Sie stimmen zu 90 % zu, und dann wird hier ausgeführt, dies alles sei eine Gefährdung der Rechtsgüter, angefangen beim Leben bis hin zur Freiheit.
Wenn das Eherecht — das sage ich auch hier vor dem Plenum des Bundestages — am 1. Juli in Kraft tritt, wird es ein, zwei Jahre lang Schwierigkeiten geben. Wir werden den Stau der Ehen haben, die nach § 48 des Ehegesetzes nicht geschieden werden konnten und jetzt zur Scheidung kommen. Wir haben diejenigen, die sich jetzt nicht scheiden lassen, weil die Frauen auf die bessere Regelung warten; ich verstehe das. Es gibt Zweifels- und Streitfragen. Keiner soll sagen, dies sei nicht deutlich erkannt worden.Aber so schlecht, meine Damen und Herren, kann das doch nicht sein. Ich möchte Ihnen eine Bewertung der „Badischen Neueste Nachrichten" vorlesen:Das neue Scheidungsrecht wertete der Justizminister überwiegend positiv. Er meinte, das frühere Verschuldensprinzip habe die Richter bei streitigen Scheidungen häufig überfordert. Unbefriedigend sei auch die soziale Sicherung der nicht berufstätigen Frau gewesen. Ihre Stellung sei durch den Versorgungsausgleich erheblich verbessert worden.Das ist nicht der böse Vogel, das ist Herr Bender, mein Kollege aus Baden-Württemberg. Gut, ein bißchen muß er auch davon verstehen; sonst wäre er dort nicht Justizminister.Was haben wir in dieser Legislaturperiode an Gesetzesvorhaben miteinander vor: Staatshaftungsrecht, elterliche Sorge. Was soll daher diese Polemik? Sie wissen genausogut wie ich, daß die Caritas, die Innere Mission und die Freien Wohlfahrtsverbände eine gesetzliche Neuregelung fordern. Sie wissen, daß sich der Bundesrat — von drei Ausnahmen abgesehen — positiv geäußert hat. Es handelt sich hier noch um den alten Bundesrat, in dem ganz eindeutige Mehrheitsverhältnisse herrschten.
— Ja, „eindeutig" im Sinne von „einer".Wir wollen miteinander die GmbH-Novelle erarbeiten, wir wollen das Richteramtsrecht anpassen, wir wollen die Bestimmungen gegen unlauteren Wettbewerb im Sinne des Verbraucherschutzes voranbringen. Zwei positive Vorhaben haben wir sogar in dieser Periode schon erledigt. Einmal die Löschungsbewilligung. Das ist nicht nur technisch, sondern es macht den Leuten das Bauen leichter. Sie bedeutet sogar eine kleine Investitionsermunterung. Außerdem haben wir Schadensersatzhöchstbeträge bei Gefährdungshaftung erarbeitet. Hier haben wir als gute Demokraten sogar einen Abstimmungserfolg der Opposition im Rechtsausschuß hingenommen, und wir haben es nicht in der zweiten oder dritten Lesung kleinlich korrigiert. Die landwirtschaftlichen Fahrzeuge mit weniger als 20 Stundenkilometern bleiben dank dieser Entscheidung auch künftig außerhalb der Gefährdungshaftung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zeit ist weit fortgeschritten. Es ist angekündigt worden, daß Sie gegen meinen Haushalt stimmen, weil ich ein miserabler Justitiar sei — der ich gar nicht bin; die Kollegen meutern hier schon —, weil ich Terroristen nicht bekämpfe und weil ich überhaupt eine miserable Rechtspolitik mache, der Sie immer nur zustimmen. Das ist nicht mein Prüfstein, wenn Sie dagegen stimmen. Es ist eigentlich Ihr Prüfstein, ob Sie die Chance wahrnehmen, das, was gemeinsam geleistet worden ist, durch eine Abstimmung als solches deutlich zu machen, oder ob sie wenigstens an einer Stelle die Chance nutzen — dazu gehört das Recht —, das beiderseitige Bestreben nach einem Mindestmaß an Konsens durch den Akt der Abstimmung in der zweiten Lesung zu bekunden. Aus diesem Grunde ist es Ihr Prüfstein, nicht mein Prüfstein.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. — Ich schließe die allgemeine Debatte.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 07. Wer dem Einzelplan 07 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit angenommen.Meine Damen und Herren, erlauben sie mir einige Bemerkungen zur Geschäftslage. Für die heutige Debatte sind noch etwa sechs Stunden vorgesehen. Für die Debatte über den Haushaltsplan 11 waren eineinhalb Stunden vereinbart worden. Die vorliegenden Wortmeldungen ergeben jedoch bereits 100 Minuten, ohne den Bundesminister. Ich glaube, wir müssen uns bei der Debatte mehr konzentrieren; denn andernfalls würde das bedeuten, daß die heutige Sitzung erst gegen 0.30 Uhr zu Ende ist.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2713
Vizepräsident Frau RengerIch bitte diejenigen, die eine längere Redezeit als 15 Minuten angemeldet haben — was ihnen nach unserer Geschäftsordnung in der ersten Runde zusteht —, sehr herzlich, sich so kurz wie möglich zu fassen.Ich rufe nunmehr auf:Einzelplan 11Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung— Drucksache 8/501 — Berichterstatter:AbgeordneterPrinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinIch eröffne die Debatte. Das Wort hat Herr Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird den Einzelplan 11 ablehnen. Mit diesem Nein zum Einzelplan 11 lehnen wir natürlich nicht die vielen Einzelansätze ab, die ihre gesetzlichen Grundlagen z. B. in den Initiativen und Beschlüssen früherer CDU/CSU- Regierungen haben, sondern mit unserem Nein wollen und werden wir eine politische Bewertung der sozialpolitischen Arbeit des Bundeskanzlers wie der Sozialpolitik des neuen Ministers vornehmen.Der Bundeskanzler hat gestern in der Aussprache versucht, seinen sozialpolitischen Zickzackkurs vor und nach der Wahl zu rechtfertigen. Er hat den Versuch unternommen, sowohl die vielen widersprüchlichen Aussagen, die er vor und nach der Wahl gemacht hat, als auch die vielen widersprüchlichen Entscheidungen nach der Wahl einigermaßen zu korrigieren. Das ist ihm nicht gelungen.
Vielmehr muß er sich sagen lassen, daß der Versuch, gestern dem früheren Arbeitsminister Arendt gewissermaßen zu einer sehr späten Stunde noch ein schützendes Dach anzubieten, eher peinlich als gelungen war;
denn wenn der Bundeskanzler gestern die gesundheitspolitischen Sparmaßnahmen dieser Regierung in ihrem Ursprung auf Herrn Arendt zurückführte, dann muß er daran erinnert werden, daß der neue Bundesarbeitsminister Ehrenberg noch vor wenigen Tagen vor dem Krankenhaustag gesagt hat, daß die Verlagerung von Teilen der Gesundheitspolitik auf sein Haus überhaupt erst die Möglichkeit geschaffen habe, wirksame Anstrengungen zur Kostendämpfung zu unternehmen und damit Reibungsverluste zu vermeiden. Wenn der jetzt verantwortliche Bundesminister erklärt, daß nach der Verlagerung der Kompetenzen mit der Arbeit begonnen worden ist, mutet es merkwürdig an, wenn der Bundeskanzler nun noch nachträglich an dem Denkmal für Herrn Arendt zu basteln versucht.
Unser Nein zum Einzelplan 11 ist aber auch eine deutlich Kritik an dem nunmehr verantwortlichen Arbeitsminister. Er hat die Chance eines Neuanfanges, er hat die Chance einer vertrauensvollen Zusammenarbeit auch mit der Opposition nach Auffassung meiner Fraktion nicht genutzt. Er hat nicht den Mut zur Offenheit und zu einem Mehr an Kooperationsbereitschaft gefunden. Er hat vielmehr den Kurs der Schönfärberei und der Unsolidität fortgesetzt.Da nützt es auch nichts, wenn ein Redner der SPD- Fraktion in der Sozialdebatte davon sprach, daß das Rechenwerk des Arbeitsministers nicht aus dem Kaffeesatz, sondern aus der sorgfältigen Beobachtung aller verfügbaren wirtschaftlichen Daten stammt. Das erinnert mich an ein Rechenkabinettstück, das vorhin der Herr Bundesinnenminister — den ich bitte, eben einmal von seiner Korrektur aufzusehen — vorgeführt hat, als er uns beim Einzelplan 36 vorhielt, diese sozialliberale Regierung habe in den letzten sieben Jahren mehr für die zivile Verteidigung getan als die früheren Regierungen, und als er erklärte, immerhin habe man dafür 4 Milliarden DM ausgegeben. Erstens, Herr Bundesinnenminister, waren es von 1970 bis 1977 3 688 Millionen DM — das sind 300 Millionen DM weniger, ein wesentlicher Betrag —, zweitens — und das ist das Entscheidende — hat die CDU in den Jahren von 1962 bis 1969 für den gleichen Zweck mehr als 4 Milliarden DM ausgegeben. Tatsache ist also genau das Gegenteil dessen, was Sie hier behauptet haben.
Es nützt dem Bundesarbeitsminister auch nichts, wenn er unter Hinweis auf die volkswirtschaftlichen Grundannahmen hier den Versuch unternimmt, die mittelfristige Finanzplanung von Bund und Ländern zum ausschließlichen Maßstab für die Berechnung der Risiken der Ausgabenwirtschaft in der Rentenversicherung und der Krankenversicherung zu machen. Er hätte eigentlich nur die Aussage des SPD-Pressedienstes vom 8. Dezember 1976 zu beachten brauchen, in der es hieß:Die Ehrlichkeit von Politikern erweist sich jedoch gerade darin, veränderte Fakten zur Kenntnis zu nehmen und nötigenfalls auch ihre Richtlinien zu revidieren.Diese Erkenntnis, am 8. Dezember ausgesprochen — das war der Tag, an dem man das Wahlversprechen gegenüber den Rentnern brechen wollte —, sollte sich der Bundesarbeitsminister zu eigen machen und eben veränderte Fakten auch zur Kenntnis nehmen und in das Gesetz einarbeiten.
Sie aber haben zahlreiche Risiken für das Sozialpaket abgestritten oder verniedlicht.Sie haben nicht einmal berücksichtigt, was Ihnen der Bundesrechungshof bei der Beurteilung der Haushaltswirtschaft des Bundesarbeitsministeriums für das Jahr 1975 ins Stammbuch geschrieben hat. Ich darf mit Erlaubnis der Frau Präsidentin aus der Drucksache 8/373 zitieren:
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2714 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinDie Angabe nur des Saldos der Einsparungen war eine unzureichende Grundlage für die Entscheidung des Parlaments. Der Bundesminister hätte dafür sorgen müssen, daß bei der Vorlage des Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung das Parlament über die Mehrausgaben unterrichtet worden wäre.Sehen Sie, das, was der Bundesrechnungshof dort verlangt hat, daß nämlich bei der Vorlage eines neuen Gesetzes alle Risiken bekanntgegeben werden müssen, haben Sie auch bei der Vorlage des Sozialpaketes nicht berücksichtigt. Vielmehr haben Sie meinem Kollegen Franke, als er Ihnen hier in seiner Rede am 12. Mai 1977 die zahlreichen Risiken im Sozialpaket vorhielt, entgegengehalten, daß die Zahlen ausschließlich auf den gesamtwirtschaftlichen Annahmen beruhten und daß das eine ausreichende Grundlage sei.Sie, Herr Bundesminister, haben nicht berücksichtigt, daß sich die gesamtwirtschaftlichen Annahmen, die Sie zugrunde gelegt haben, schon jetzt deutlich verändert haben. Sie gehen davon aus, daß die Bruttoentgeltsteigerung für die nächsten vier Jahre bei 7,5 % liegen wird. Sie gehen von einer Arbeitslosenquote von 3,7 % für dieses Jahr, 3,4 % für das Jahr 1978, 3,1 % für das Jahr 1979 und 2,8 % für das Jahr 1980 aus. Jeder weiß doch — das ist hier in diesem Hause wiederholt gesagt worden —, daß jeder Punkt weniger Lohn- und Gehaltszunahme die Einnahmen der Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten schon um jährlich 800 Millionen DM verringert, und jeder Rückgang der Beschäftigung um 100 000 Personen einen Einnahmenausfall der Rentenversicherungen von 500 Millionen DM pro Jahr zur Folge haben wird, ab 1979 dann verringert auf 200 Millionen DM. All diese Dinge haben Sie bei der Auseinandersetzung mit dem, was Ihnen in der ersten Lesung der frühere Bundesarbeitsminister Katzer und bei der zweiten und der dritten Lesung andere Redner der CDU/CSU-Fraktion, vor allem der Kollege Franke, vorgehalten haben, nicht nur nicht beantwortet oder berichtigt; Sie haben sich mit der Ausflucht beholfen, daß Sie hier nach wie vor die Annahmen zugrunde legen, die im Vorjahr einmal errechnet worden waren.Den gleichen Versuch haben Sie unternommen, als Ihnen die neuesten Zahlen von der Versammlung des Verbandes der Rentenversicherungsträger aus Hamburg vorgehalten wurden. Ich habe noch mit einem Zwischenruf darauf hingewiesen, daß Ihre Beamten schon im Haushaltsausschuß den Versuch unternommen hatten, dieses Zahlenwerk, das Herr Muhr dort bekanntgegeben hatte, herunterzuspielen. Sie haben in der Antwort auf den Kollegen Franke gesagt, diese ersten drei Monate seien nicht typisch, und man hätte wegen der Umstellung von den Beitragsmarken auf die freiwillige Einzahlung mit solchen Rückgängen in der Rentenversicherung rechnen müssen.Inzwischen haben wir die Ergebnisse auch des Monats Mai, und wir bitten Sie, hier heute einmal zu erklären, wie Sie nunmehr zu dem Problem Stellung nehmen,
daß auch im Monat Mai die Einnahmen drastisch hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind, die Sie für Ihre Berechnungen zugrunde gelegt hatten. Wenn man das auf der Basis fast eines halben Jahres hochrechnet, meine Damen und Herren, sind das schon drei Milliarden DM, die insgesamt in der Berechnung der Einnahmen der Rentenversicherung — unter Berücksichtigung der geplanten Gesetzesänderungen — für ein einziges Jahr fehlen. Herr Bundesminister, wir erwarten nun heute hier Ihre Stellungnahme zu diesen Dingen!
Sie können doch auch nicht leugnen, daß 1976 die 50 %ige Erhöhung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung hier mit der freundlichen Bemerkung des Bundeskanzlers begleitet wurde, daß man diese Erhöhung so schnell wie möglich rückgängig machen wolle. Sagen Sie uns doch bitte hier heute einmal, ob Sie damit noch rechnen oder ob es nicht vielmehr so ist, daß die Einnahmen unter Umständen schon für das, was in den nächsten Jahren zu bezahlen ist, nicht ausreichen.
All diese Dinge würde ich Sie zu beantworten bitten, und insbesondere auch auf das einzugehen, was der Kollege Schedl Ihnen in der letzten Lesung des Sozialpakets zum Schluß ebenfalls noch gesagt hat.Aber selbst wenn — und wir alle wünschen uns ja, daß möglichst viele Ihrer Annahmen zutreffen, Herr Bundesminister — die Lohnzuwachsrate stärker als 7,5 % ist, wird ebenfalls ein Risiko für den Bundeshaushalt sichtbar; durch die ab 1979 vorgesehene Aktualisierung bei der allgemeinen Bemessungsgrundlage werden hier nämlich Auswirkungen auch auf den Bundeshaushalt zu erwarten sein. Denn durch die Änderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage und ihre Entwicklung wird sich auch der Bundeszuschuß ändern. Diese Aktualisierung, die für die Finanzen der Rentenversicherung durch den Ausschluß des Jahres 1975 mit den hohen Lohnsteigerungen zu einer Entlastung führen soll, bedeutet für den Bundeshaushalt eine Mehrbelastung, wenn in den Jahren ab 1978 die Arbeitsentgelte jährlich um mehr als 7,5 % steigen.Das ist gewissermaßen eine Zwickmühle. Sind es beim Lohnzuwachs weniger als 7,5 %, haben wir Einnahmeausfälle bei der Rentenversicherung und bei der Bundesanstalt für Arbeit. Sind es mehr als 7,5 %, wird der Bundeshaushalt durch einen erhöhten Zuschuß für die Rentenversicherung zusätzlich in Anspruch genommen. Sie können sich drehen und wenden, wie Sie wollen: in jedem Falle wird der Steuerzahler oder der Beitragszahler zur Kasse gebeten.
Sie beabsichtigen in Ihrem Vorschlag, die Rücklagen der Rentenversicherungsträger abzuschmelzen. Bei der Anhörung hat der Geschäftsführer des Verbandes der deutschen Rentenversicherungsträger u. a. gesagt, eine Reduzierung der Mindestrücklage führe zwangsläufig dahin, daß die Bundesgarantie sehr frühzeitig einsetzen müsse. Herr Bundesarbeits-
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinminister, dieses zusätzliche Risiko für den Bundeshaushalt hätte auch stärker Erwähnung finden müssen, als es in der ganzen Debatte der Fall gewesen ist. Wo waren denn Ihre Aussagen zu dem Risiko, daß ein schnelleres Abschmelzen der Rücklagen der Rentenversicherungsträger zu Zinsverlusten führen könnte und unter Umständen den Kapitalmarkt beeinflussen wird? Kein Wort war dazu zu hören, daß für das Jahr 1976 die gesetzlich vorgeschriebene Liquiditätsreserve nicht erreicht wurde.Wenn es zur Nettoanpassung kommt, wie es in Ihrer Berechnung für das Sozialpaket zugrunde gelegt worden ist — es steht nicht im Gesetz; ich habe Ihnen in der zweiten Lesung dazu zugerufen: das ist eben der Trick, aber in Ihren Rechenwerken gehen Sie davon aus, daß Sie bei einer Senkung des Anpassungssatzes im Jahre 1979 auf 6,1 % und im Jahre 1980 auf 6,2 % im einen Jahr 2,3 Milliarden DM und im anderen 3,8 Milliarden DM einsparen wollen —, dann hat das doch auch Konsequenzen für die Gemeinden, die über die Sozialhilfe dann ebenfalls zur Kasse gebeten werden. Deshalb kann man nicht in die Vorlage schreiben, daß keine Kosten entstehen, und dabei diese Risiken für die Gemeinden so verschweigen.Für die Bewertung des Einzelplanes 11 ist es auch notwendig, die finanziellen Risiken zu kennen, die sich für die Bundesanstalt für Arbeit ergeben; denn auf Grund § 184 des Arbeitsförderungsgesetzes besteht hier — wie in § 1384 der Reichversicherungsordnung für die Rentenversicherung — ebenfalls für den Fall eine Zuschußpflicht, daß die Bundesanstalt für Arbeit bzw. die Rentenversicherungen nicht mehr liquide sind. Ich habe bereits davon gesprochen, daß die Beitragserhöhung nicht rückgängig gemacht werden kann, weil die Arbeitslosenzahlen zu Beitragsmindereinnahmen führen, so daß auf die Bundesanstalt zusätzliche Lasten dadurch zukommen, daß durch die Beitragszahlungen an die Rentenversicherung bei Ausfallzeiten weitere Ausgaben entstehen. Heute schlagen Sie uns noch vor, 1 600 neue Arbeitskräfte bei der Bundesanstalt für Arbeit einzustellen. Wir brauchen darüber nicht zu entscheiden, aber es steht in Ihrem arbeitsmarktpolitischen Programm. Sie glauben, daß sich die Problematik durch die Schaffung einer neuen Institution oder deren Erweiterung schon von selbst löst. Das ist Ihr großer Fehler.Auch beim Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz bestehen finanzielle Risiken für den Bürger wie für den Staat. Der Bürger wird — auch das ist angesprochen worden — in jedem Fall zur Kasse gebeten, was am kommenden Freitag auch immer herauskommen wird. Aber es war keine Rede davon, daß auch Bund, Länder und Gemeinden als Arbeitgeber dann ebenfalls zusätzliche Lasten zu tragen haben. Ich habe fast den Eindruck, daß das bisher nicht einmal der Finanzminister bemerkt hat. Die Beschlüsse, die gestern und vorgestern im Vermittlungsausschuß gefaßt worden sind, müssen analysiert werden; aber ich glaube, daß es vernünftig war, die Fragen des Krankenhausfinanzierungsgesetzes abzukoppeln, weil die Probleme mit kosmetischen Korrekturen oder Änderungen einzelner Paragraphen nicht zu lösen sind. Ein Gesetz, das davon spricht, wirtschaftliche Sicherung vorzusehen, Bedarfsgerechtigkeit und Leistungsfähigkeit des Krankenhauses bei sozial tragbaren Pflegesätzen zu garantieren, und das dafür nicht einmal die entsprechenden Parameter schafft, ist meines Erachtens Flickarbeit.Es ist auch unverständlich, daß der Bundesarbeitsminister einerseits zahlreiche Modelluntersuchungen einleitet, dafür Gelder ausgibt, mit Hilfe der Länderminister diese Modelluntersuchungen durchführt, aber bevor überhaupt Ergebnisse vorliegen, hier schon so tut, als ob er die nötige Weisheit praktisch ohne äußere Hilfe erworben habe.Alle diese Risiken, meine Damen und Herren, werden uns noch in den nächsten Jahren beschäftigen. Ich meine, daß es notwendig gewesen wäre und noch ist, im Rahmen der Haushaltsdebatte davon zu sprechen.Dem steht ein klares Konzept der CDU/CSU gegenüber,
die festhält an der jährlichen Anpassung der Renten nach der Entwicklung der Bruttoeinkommen der Arbeitnehmer und die eine einkommensgerechte und beitragsgerechte Bemessung der Rente fordert und nach wie vor daran festhält, daß die Rente Lohnersatzfunktion hat.
Dem Bundesarbeitsminister sind Zuständigkeitsbereiche aus dem Gesundheitsministerium zugeordnet worden.
— Gesundheitsökonomik z. B., Krankenhauswesen, ärztliche Gebühren. Sie sollten das eigentlich wissen, Herr Glombig. — Damit ist die Zuständigkeit für den Bereich Gesundheit weiter zersplittert worden. Es sind inzwischen das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, das Bundesministerium für Forschung und Technologie, das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und sogar der Bundesinnenminister — wenn wir an den Umweltschutz denken — für Gesundheitsfragen zuständig. Da entstehen Reibungsverluste; das merkt man doch an allen Ecken und Kanten.
— Gut, Programme, die im Vorjahr, noch vor der Wahl, vorgelegt wurden; die sind inzwischen Makulatur, obwohl durchaus sachkundige Leute Vorschläge gemacht haben, die zu beherzigen der Bundesarbeitsminister sehr gut beraten wäre.
Im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ist eine Transparenzkommission, die die Preisvergleiche und Wirksamkeitsvergleiche für Arzneimittel vornehmen muß. Dem Bundesarbeitsminister genügt es nicht; er macht auch eine Kornmission. Der Steuerzahler zahlt ja! Nun haben wir zwei Transparenzkommissionen.
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2716 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinMeine Damen und Herren, die Forschungsschwerpunkte, die in diesem Rahmenprogramm enthalten sind, sollten gerade von Ihnen stärker beherzigt werden, weil durch die Forschung unter Umständen stärkere Kosteneinsparungen möglich sind als durch so manchen Paragraphen Ihres Sozialpakets. Wenn der frühere Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit davon spricht, daß durch falsche Ernährung volkswirtschaftliche Verluste von 17 Milliarden DM entstehen und, wie wir wissen, Rheuma als eine Volkskrankheit ganz erhebliche Kosten für unsere Rentenversicherung verursacht, dann sollte der Bundsarbeitsminister diese Dinge ebenso in seine Überlegungen einbeziehen wie etwa Fragen der Gefahren von Krankenhausinfektionen, die die Kostensituation im Gesundheitswesen ganz erheblich zusätzlich belasten.
Wenn Sie, Herr Arbeitsminister, die Zuständigkeit für alle Bereiche des Gesundheitswesens hätten, würden Sie z. B. auch feststellen können, daß sorgfältig durchgeführte Vorsorge-. und Schuluntersuchungen bei Kindern das Ergebnis haben, daß zwischen 20 % und 30 % der Kinder Hör- und Sehstörungen haben, die dazu führen, daß sie ihren Hauptschulabschluß nicht mehr schaffen,
weil ihre Schulausbildung schon in den ersten Schuljahren Not gelitten hat.
— Entschuldigen Sie, das ist für die Zuständigkeit dieses Ministers — —
— Entschuldigen Sie mal,
Sie stellen seit 1969 den Bundesgesundheitsminister, und mit diesem Bundesarbeitsminister, der jetzt einige Zuständigkeiten im Bereich der Gesundheitspolitik erhalten hat, müßte es doch möglich sein, hier über ein Thema zu sprechen, das unser aller Aufmerksamkeit fordert.
Es genügt nämlich nicht, nur Programme zu machen und immer mehr Geld bereitzustellen, um behinderten Jugendlichen eine spätere Berufschance zu geben. Einmal die Ursachen zu untersuchen, darauf sollten Sie, meine Damen und Herren, etwas mehr Gedanken verwenden und das nicht als lächerlich abtun, wie das im Moment geschieht.
Meine Damen und Herren, Ihre arbeitsmarktpolitischen Programme
widersprechen in vielem dem, was Sie draußen bei Ihren Kongressen und in Ihren anderen Gremien beschließen.
Man kann feststellen, daß bei Ihnen oft die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut. Sie wollen zusätzliche Ausbildungsplätze bereitstellen, und der Kultusminister von Nordrhein-Westfalen schreibt, daß in diesem Jahr in der Forstwirtschaft keine Ausbildungsplätze bereitgestellt werden sollen, da er mit der Rechtsverordnung zur Regelung dieser Dinge noch nicht so weit sei. Das alles, meine Damen und Herren, steht doch im Widerspruch zu Ihren hochtrabenden Äußerungen.
— Wenn ich das noch zu Ende führen darf!Herr Löffler, als wir uns vor wenigen Monaten über das arbeitsmarktpolitische Programm Ihrer Regierung im Haushaltsausschuß unterhielten, wurde uns gesagt, daß die dafür bereitgestellten Mittel in Höhe von 430 Millionen DM bis zum Mai in etwa abfließen würden. Inzwischen zeigte sich — das wird man heute noch erfahren —, daß dieses Programm eben nicht gegriffen hat. Sie werden 100 Millionen DM aus diesem Programm umschichten und ein neues Programm machen. Daß das nichts nützen wird, werden Sie wahrscheinlich — leider — in wenigen Monaten feststellen müssen.
Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich etwas strenger sein muß, aber sonst kommen wir überhaupt nicht durch.Herr Abgeordneter, machen Sie bitte Ihre Schlußbemerkung.Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: : Der Herr Bundesarbeitsminister hatte eine gute Chance für einen Neubeginn. Er ist inzwischen bereits dabei, sich über weitere Beschlüsse dieses Hohen Hauses hinwegzusetzen, etwa im Zusammenhang mit der Nutzung der Versicherungskennzeichen. In diesem Fall geht es um die Einführung und Anwendung der Versicherungsnummern. Der Rechtsausschuß dieses Deutschen Bundestages hat in der 7. Legislaturperiode einstimmig beschlossen, von der Einführung von Personenkennzeichen Abstand zu nehmen. Das geschah auch im Hinblick auf Verfassungsgerichtsurteile im Zusammenhang mit dem Mikrozensus und der Bewahrung persönlicher Daten des Bürgers. Von Ihnen werden neue Versuche gemacht, den Menschen zu katalogisieren, zu reglementieren, Versuche, sich an der Verfassung vorbeizumogeln.
Das ist ein typisches Beispiel für Ihre Politik, die Sie in vielen Fällen immer wieder — leider — betrieben haben.Deswegen werden wir Ihren Einzelplan ablehnen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2717
Das Wort hat der Abgeordnete Grobecker.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Wittgenstein, ich will nicht sagen, daß ich schon das bin, was man so einen alten Fuhrmann nennt. Aber ganz sicher kann auch wohl keiner sagen, daß ich noch ein Frischling in diesem Parlament sei. Dennoch wundere ich mich immer, daß wir diesen Unterschied in den klimatischen Bedingungen im Plenarsaal hier und da oben in der 25. Etage haben. Da oben in der 25. Etage sind wir immer ganz friedlich miteinander — auch Sie — und arbeiten zusammen, beschließen gemeinsam, manchmal auch kontrovers. Aber hier im Plenum des Deutschen Bundestages hört sich das alles ganz anders an. Hier wird gepustet und geprustet. Hier verzerren sich sogar die Gesichter beim Sprechen. Ich verstehe das alles nicht.
Ich verstehe das deshalb nicht, weil doch gerade der Einzelplan 11, der Einzelplan des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, am ehesten geeignet wäre, ohne viel Drumherum sachlich beraten zu werden, damit auch die, die uns zuhören, wissen, wo es bei Ihnen nun eigentlich längsgeht und wo es bei uns in der Koalition längsgeht. Im Haushaltsausschuß haben wir die Beratungen sachlich geführt. Ich weiß nicht, wieso Sie die Beratung hier zum Anlaß nehmen, so einen Donner aufzuführen, wie Sie das eben hier gemacht haben.
Meine Damen und Herren, der Ausbau der sozialen Sicherung bleibt nach wie vor unser vorrangiges Ziel. Der Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ist dafür ein beredtes Zeugnis.Wegen der Zeitökonomie in diesem Hause werde ich mich kurz fassen.Wir lassen uns nicht von denen beirren, die dauernd von Anspruchsinflation reden und die uns sagen wollen, daß die Grenzen des Sozialstaates erreicht seien. Wir werden weiterarbeiten. Wir werden vor allen Dingen an der Beseitigung der schweren Folgen der schlimmsten Rezession weiterarbeiten, die wir seit 1945 erleben mußten. Sie hat ganz sicher ihre Spuren auch im Bereich dieses Haushalts des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung hinterlassen. Gerade deshalb hat diese Koalition das Konsolidierungsprogramm und das Kostendämpfungsprogramm beschlossen, das sozial ausgewogen ist. Deshalb haben wir weitere Hilfen für den Arbeitsmarkt beschlossen, insbesondere für diejenigen, die unsere Hilfe besonders brauchen, die älteren Arbeitnehmer, aber auch die Jugendlichen und die Teilzeitarbeit suchenden Frauen.Das Ergebnis der Beratungen im Vermittlungsausschuß wird uns ja morgen im Verlaufe des Tages hier noch beschäftigen. So viel kann jetzt schon gesagt werden, das Ergebnis ist ein vernünftiger, ein tragfähiger Kompromiß, der von allen akzeptiert werden könnte. Das Gesetz ist in seinemKern unangetastet, es bleibt sozial ausgewogen, wenngleich uns Sozialdemokraten die Betonierung der Beitragsbemessungsgrenze besondere Sorgen bereitet; das sei hier zugegeben.Dennoch bleibt festzuhalten: Wir können die Renten pünktlich auszahlen. Am 1. Juli wird für alle Rentner gelöhnt. Alle Rentner bekommen ihre ihnen zustehende Erhöhung. Dasselbe gilt für die Kriegsopfer, auch hier wird pünktlich gezahlt. Es ist schon mal etwas, daß Sie mit Ihren Möglichkeiten dieses Gesetz nicht haben aufhalten können. Die Konsolidierung der Rentenversicherung ist damit nicht mehr gefährdet, sondern auf den Weg gebracht. Wir werden das Ergebnis in aller Ruhe abwarten. Ich denke, Herr Wittgenstein, wir werden uns dann darüber unterhalten, ob es etwas gebracht hat. Ihre Prognosen teile ich nicht. Weiter wird die Kostendämpfung dazu beitragen, daß Beitragszahler nicht unverantwortlich zur Kasse gebeten werden. Darüber hinaus ist für mich — das darf ich auch persönlich sagen — der wichtigste Punkt gerettet worden, nämlich die Mitbestimmung der Selbstverwaltungsorgane im Bereich der Krankenkosten. Das ist für uns der wichtigste Punkt.Zum Haushalt selber. Dieser Haushalt erreicht in diesem Jahr ein Volumen von 38 Milliarden DM. Der Sozialhaushalt ist nur im engeren Sinne hier etatisiert. Es müssen weitere Leistungen hinzugerechnet werden. Wenn alle Transferleistungen des Staates hinzugefügt werden, kommt man auf eine Summe von 65 Milliardn DM. Ich will das nicht aufzählen.Entsprechend den Beschlüssen des Deutschen Bundestages hat bei der Beratung des Einzelplans 11 im Haushaltsausschuß das Kapitel für den Zivildienst eine ganz große Rolle gespielt. Wir stehen -- das darf ich hier verbindlich sagen — zu dem verabschiedeten Gesetz. Wir lassen uns nicht dadurch irritieren, daß Sie hier Anträge stellen, wie Sie das gemacht haben, die zur Streichung der entsprechenden Mittel führen, oder daß Sie androhen, sogar nach Karlsruhe zu gehen. Wir wünschen Ihnen gute Reise nach Karlsruhe.
Dennoch war es nötig — und ich denke, daß es richtig ist, dies mitzuteilen —, im Haushalt das Kapitel umzustellen. Wir hoffen, daß das Gesetz am 1. August in Kraft treten kann. Wir haben die finanziellen Mittel in diesen Haushalt eingestellt. Wir werden noch in diesem Jahr im Durchschnitt 25 000 Zivildienstleistende in Stellen vermitteln können.
Dieses Geld muß selbstverständlich im nächsten Jahr wieder draufgelegt werden, weil wir, insgesamt gesehen, im Jahr auf 40 000 Zivildienstleistende kommen wollen. Wir glauben, daß damit trotz aller düsteren Prophezeiungen, meine Damen und Herren von der Opposition, dieses Gesetz die Wehrpflicht und die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr nicht beeinträchtigen wird, weil nämlich
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2718 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Grobeckergenügend Zivildienstplätze vorhanden sein werden,so daß jeder, der sich für den Zivildienst entscheidet, auch damit rechnen muß, einberufen zu werden.Neu eingestellt in diesen Haushalt wurden auch die Kosten für die Transfer-Enquete-Kommission, die den Einfluß staatlicher Transferleistungen auf das verfügbare Einkommen der Bürger unseres Landes ermitteln soll, und für die Kommission für die soziale Sicherung der Frau, die Vorarbeiten für das zentrale sozialpolitische Vorhaben der nächsten Jahre leisten soll, nämlich die Neuordnung der sozialen Sicherung der Frauen und der Hinterbliebenen. Diese beiden Kommissionen sind in der Regierungserklärung angekündigt worden. Wir haben sie eingerichtet und die Mittel dafür zur Verfügung gestellt. Wir werden sehen, welche Ergebnisse dabei herauskommen. Ich bin ganz sicher, daß wir, was die unmittelbare Beeinflussung der privaten Haushalte durch staatliche Mittel ausmacht, zu erstaunlichen Ergebnissen kommen werden.Die Schwerpunkte dieses Haushalts haben sich nicht verändert. Sie bestehen im wesentlichen durch die Zuschüsse zur Rentenversicherung, zur Kriegsopferversorgung und zur Bundesanstalt für Arbeit. Hier mußte im Gegensatz zum letzten Jahr keine große Summe eingestellt werden, lediglich ein auf 350 Millionen DM veranschlagtes Betriebsmitteldarlehen. Ich denke, wir werden über Ihre Prognose, Herr Wittgenstein, am Ende des Jahres reden können, ob wir dafür zusätzliche Mittel brauchen.Herr Präsident, meine Damen und Herren, wegen der Zeitökonomie möchte ich an dieser Stelle kurz den Antrag begründen, den wir eingebracht haben. Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, ein zusätzliches Beschäftigungsprogramm verabschiedet, das Mehrkosten von 400 Millionen DM verursachen wird. Wir alle wissen, daß die Arbeitsmarktsituation nach wie vor nicht befriedigt. Die Beschäftigungsentwicklung reagiert außerordentlich spät auf die Wiederbelebung der Wirtschaft.Um so mehr begrüßt meine Fraktion, daß die Bundesregierung die Initiative ergriffen hat, diesem Hause weitere wohnungswirtschaftliche, insbesondere aber auch — und darum geht es hier — arbeitsmarktpolitische Maßnahmen vorzuschlagen.
Die arbeitsmarktpolitischen Hilfen werden sicher in wirkungsvoller Weise die beschäftigungsrelevanten wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen, die ebenfalls noch in dieser Woche erörtert werden, ergänzen. Sie sind mit dem Programm für Zukunftsinvestitionen eingeleitet worden.Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen zusätzlichen Maßnahmen erscheinen meiner Fraktion aus mehreren Gründen besonders begrüßenswert. Sie bedauern das offensichtlich, Herr Wittgenstein. Da die Mittel aus dem November-Programm nicht abgeflossen und nicht voll verbraucht sind, sind wir der Auffassung, daß es gut ist, die Restmittel aus diesem Programm erneut für arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen einzusetzen, und zwar etwas anders einzusetzen, als das noch im November für notwendig und für richtig gehalten worden ist. Die Dekkung für die zusätzlichen Mittel kann also zu einem Teil durch die Rechtsmittel erfolgen. Der Ausgleich für die verbleibenden 300 Millionen DM wird über die Kreditaufnahme herbeigeführt.Die vorgeschlagenen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zielen genau auf akute Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Gerade die Problemgruppen sollen mit einem Teil der Mittel des Programms in Fortsetzung bestehender Bemühungen auch der Bundesanstalt erfaßt werden.Mit den zusätzlichen Mitteln soll in einer Größenordnung von 270 Millionen DM ein neuer Schwerpunkt bei den sozialen Diensten gesetzt werden. Jeder von uns weiß, daß gerade in diesem Bereich ein erheblicher Nachholbedarf herrscht. Die Bereitstellung der Mittel wird den freien Wohlfahrtsverbänden, die sich im übrigen sehr positiv zu diesem Programm geäußert haben, ermöglichen, in erheblichem Umfang zusätzliche Hilfen einzustellen. Gedacht ist hier insbesondere an die Verstärkung der Altenpflege, z. B. auch durch vermehrte ambulante Dienste.Ich halte es für eine gute Idee, konjunkturell bedingte Programme auch einmal dazu zu benutzen, weiterführende Gedanken zu entwickeln und Initialzündungen wie in diesem Bereich auszulösen. Das wird sicherlich bei diesem Programmteil der Fall sein. Ich halte es auch für eine gute Sache, daß der überwiegende Teil dieser Mittel gerade auch Frauen zugute kommen wird, denn die Arbeitslosenquote ist hier — das weiß jeder — besonders hoch. Das gilt speziell für Frauen die eine Teilzeitbeschäftigung suchen.Meine Fraktion begrüßt auch die weiteren Maßnahmen, die im Bereich des Arbeitsmarktes vom Kabinett beschlossen bzw. angekündigt wurden. Mit besonderem Interesse sehen wir hier, Herr Arbeitsminister, der Vorlage eines Entwurfs zur Änderung der Arbeitszeitverordnung entgegen. Wir meinen, das muß schnell passieren und ist ein wirksames Mittel.
— Ja, eine Arbeitszeitordnung für Abgeordnete können wir gleich mit einführen.Mit den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen werden wir sicher nicht alle Probleme der Beschäftigungssituation lösen können. Die Arbeitsmarktpolitik wäre damit auch ganz fraglos — wer weiß das eigentlich nicht in diesem Hause? — überfordert. Die Arbeitsmarktpolitik hat aber in den vergangenen Jahren mit ihrem umfangreichen Maßnahmenkatalog vom Kurzarbeitergeld bis zur Bildungsförderung einen erheblichen Beitrag zur Entlastung des Arbeitsmarktes geleistet. So wäre nach den Berechnungen der Bundesanstalt für Arbeit im Jahre 1976 die Arbeitslosenzahl ohne diese Maßnahmen um etwa 150 000 höher gewesen. Wir begrüßen die positiven Auswirkungen der Arbeitsmarktpolitik und sind überzeugt, daß die neuen Maßnahmen die Entlastungswirkungen noch verstärken werden.Abschließend, meine Damen und Herren, bleibt mir zu sagen, daß der Einzelplan 11 insgesamt einen
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Grobeckerwesentlichen Beitrag zum Aufbau unseres Systems der sozialen Sicherung leistet und wir ihm aus diesem Grunde selbstverständlich zustimmen.
Ihren Antrag allerdings, Herr Wittgenstein, zur Torpedierung des Zivildienstgesetzes, wie er dem Hause vorliegt, werden wir ablehnen.Ich denke, daß ich auf diese Weise auch zur Humanisierung dieses Hauses beigetragen habe, indem ich mich erheblich eingeschränkt habe, obschon das eine oder andere von Ihnen noch einer Entgegnung bedurft hätte.
Danke schön. Die angemeldete Redezeit ist um acht Minuten unterschritten worden; das ist bemerkenswert.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Cronenberg.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich befürchte, daß mir die Unterschreitung nicht so perfekt gelingen wird, wie dies bei meinem Herrn Vorredner der Fall war
Das Konzept zur Sanierung der Rentenversicherung und der Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen, das von Prinz zu Sayn-Wittgenstein vorgetragen worden ist, entspricht nahtlos und konsequent denselben Meinungen, die von der CDU/CSU-Fraktion in dieser Haushaltsdebatte vorgetragen worden sind: Ausgaben garantieren, möglichst steigern, Einnahmen und Sparmaßnahmen ablehnen, im Grunde genommen zur Debatte nichts Neues. Bitte ersparen Sie mir, daß wir die Debatte vom letztenmal in diesem Punkt wiederholen.
Im Mittelpunkt der Diskussion stehen heute unter anderem Probleme der Beschäftigungspolitik. So sehr es richtig ist, daß im Zusammenhang mit dem Etat die grundsätzlichen Probleme des jeweiligen Fachbereichs angesprochen und diskutiert werden, so scheint es mir trotzdem notwendig, einige Bemerkungen zum Etat zu machen, z. B. festzustellen, daß die Betriebsmitteldariehen für die Bundesanstalt Mr Arbeit von 4,5 Milliarden DM im vergangenen Haushaltsplan auf 350 Millionen DM zurückgeführt werden konnten; wie ich meine, ein Beweis dafür, daß die Dinge sich nicht verschlechtert, sondern verbessert haben. Wenn die Zuschüsse für die Arbeiterrentenversicherung, Angestelltenversicherung und knappschaftliche Rentenversicherung um zirka 10 % gestiegen sind, so ist dies eine Folge der von Ihnen und uns beschlossenen Dynamisierung. Wir wollen aber darauf hinweisen, daß der Abbau der Bundeszuschüsse für diese Zwecke für die Versicherung — Versicherung dreimal unterstrichen — langfristig meines Erachtens notwendig und richtig ist.
Ihre besondere Aufmerksamkeit möchte ich auf den Tit. 526 08 mit 650 000 DM lenken; denn hier werden die Kosten für die Transfer-Enquete-Kommission zur Ermittlung der staatlichen Transferleistungen finanziert; eine, wie ich meine, außerordentlich notwendige Untersuchung. Denn Brüche in den einzelnen Unterstützungsmaßnahmen sind unverkennbar und führen zum Teil zu außerordentlich kuriosen Einzelergebnissen. Nur gesicherte Erkenntnisse ermöglichen es uns, notwendige Einschränkungen und Koordinierungen vorzunehmen
Ob man es begrüßt oder nicht, Motivation für mehr Leistung ist halt mehr Einkommen. Arbeit muß sich lohnen. Wenn sich also das Nettoeinkommen eines arbeitslosen Wohngeldempfängers nicht gebührend von dem Einkommen des durchschnittlichen Arbeitnehmers unterscheidet, dann ist dies ein Alarmzeichen, eine objektive Analyse zu erstellen. Deswegen sind wir froh, daß dem Wunsch des Herrn Bundesministers Friderichs gefolgt worden ist und die staatlichen Transferleistungen auf ihre möglichen-Ungerechtigkeiten abgeklopft werden.
Diese Transferleistungen sind Folgen unkoordinierter Einzelprogramme, jede Maßnahme in sich verständlich, alle zusammen oft widersprüchlich und ungerecht. Aber genau um solche Fehler zu vermeiden, möchten wir eine sachliche und objektive Prüfung der Vorschläge zur Verbesserung der Beschäftigungslage durchführen. Wir folgen nicht der hektischen Programmitis, die offenbar bei der Opposition ausgebrochen ist, zunächst mit dem Erfolg, offensichtlich unterbeschäftigte Abgeordnete zu beschäftigen und nicht beschäftigungslose Arbeitnehmer an die Arbeit zu bekommen.
Grundlage unserer Überlegung muß die Effektivität unserer Sozialen Marktwirtschaft sein. Systemgerechte Methoden haben in der Vergangenheit weiß Gott schwierigere Probleme, insbesondere Strukturprobleme, gelöst. Die Wirtschaft hat in voller Eigenverantwortlichkeit gewaltige Strukturveränderangsprobleme gelöst. Auch die Probleme sicher nicht gerade marktwirtschaftlich orientierter Bereiche wie Landwirtschaft und Bergbau wurden insgesamt in der Vergangenheit befriedigend gelöst.
Werfen wir daher einen Blick auf die Hauptursache unserer Arbeitslosigkeit und beschäftigen wir uns mit der Struktur dieser Arbeitslosigkeit. Nur wer objektiv analysiert, hat die Chance, vernünftige und hoffentlich liberale Lösungen zu finden.
Erste Ursache: Realistische Bewertung der D-Mark durch Freigabe des Wechselkurses. Es ist einfach lehrreich und systemgerecht, wenn die Politiker das Ergebnis ihrer Bemühungen und Fehlleistungen am Kurszettel ablesen können. Ich meine, daß die Bewertung der D-Mark an den internationalen Börsen jedenfalls mehr für die Effektivität dieser Regierungspolitik spricht, als dies die Äußerungen der Opposition vermuten lassen.
Zweite Ursache: Rohstoffe und Energiekrise. Natürlich ist wahrscheinlich nach Meinung der Opposition getreu Rudi Carrell nur die SPD an dieser Geschichte schuld. In diesem Fall tragen wir die Verantwortung gern mit.
Cronenberg
Dritte Ursache — eine ernste Ursache —: Die Reallöhne und die preisbereinigten Sozialkosten sind höher gestiegen als die Produktivität. Dies kostet Wettbewerbsfähigkeit, mindert unseren Export und ist daher als Ursache für die Arbeitslosigkeit besonders zu vermerken.
Das hat dazu geführt, daß wir im wesentlichen drei Gruppen von Arbeitslosen haben. Erstens: Ältere Angestellte als Folge eines grandiosen Rationalisierungsprogramms in unseren Büros. Zweitens: Frauen mit geringer beruflicher Qualifikation, insbesondere Teilzeitarbeit suchende Frauen. Drittens: Jugendliche ohne Schulabschluß und ungelernte Arbeiter.
Primär kann dieses Problem nicht durch allgemei- ne Beschäftigungsprogramme und Konjunkturpro- gramme gelöst werden. Die wichtigste Voraussetzun für die Minderung der Unterbeschäftigung ist ein allgemeines Wachstum von meines Erachtens. real 4,5 bis 5 %. Alle, die mit der Idee des Nullwachstums spielen, müssen sich darüber im klaren sein, daß sie Arbeitslosigkeit per excellence produzieren.
Nur ein solches Wachstum enthält die Chance, notwendige Arbeitsplätze für die geburtenstarken Jahrgänge und auch für die durch Rationalisierungsmaßnahmen frei gewordenen Arbeitnehmer zu schaffen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit ein klares Ja zu Rationalisierungsmaßnahmen sagen. Wer mögliche Rationalisierungsmaßnahmen 'einschränkt oder verhindert, der gefährdet leichtsinnig und unverantwortlich unsere Wettbewerbsfähigkeit. Mit Recht hat der Kanzler von dieser Stelle aus darauf hingewiesen, daß fast 30 0/o unserer Produkte. auf Exportmärkten verkauft werden. Deswegen ist es wichtig daß diese Arbeitsplätze nicht durch mangelnde Rationalisierung gefährdet werden.
Damit die Arbeitslosigkeit richtig eingeschätzt wird, müssen wir feststellen, daß erstens die Arbeitslosigkeit von 4,2 % in unserem Land die geringste Arbeitslosigkeit ist, die in technologisch vergleichbar entwickelten Ländern vorhanden ist — und zwar bei hoher Ausländerbeschäftigung.
Darüber hinaus muß zweitens festgestellt werden, daß wir in vielen Berufen und Branchen nicht in der Lage sind, den Bedarf zu decken. Es fehlen tüchtige Schlosser, Werkzeugmacher, Dreher. Aus eigener Erfahrung als mittelständischer Unternehmer weiß ich, daß dieser Bedarf häufig beim Arbeitsamt überhaupt nicht gemeldet wird, weil man unterstellt, daß der Bedarf nicht befriedigt wird. In dieser Beziehung bin ich fest der Überzeugung, daß die Statistiken zum Teil falsch sind..
Was die Statistik anlangt, ein kritisches Wort zu meinen Berufskollegen, insbesondere den mittelständischen Unternehmern: Sie sollten alle offenen Stellen auch dann melden, wenn das Arbeitsamt auf Grund früherer Erfahrungen nicht in der Lage ist, den Bedarf zu decken.
Weiter: Mit Recht kritisieren die Beitrag zahlenden Arbeitnehmer und Arbeitgeber, daß Arbeitsunwillige — die es in diesem Land natürlich gibt — von den Unternehmen nicht, auch nicht in krassen Fällen, gemeldet werden, so daß die notwendigen Maßnahmen nicht ergriffen werden können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Aber selbstverständlich!
Na! Nicht so gern, würde ich sagen.
Aber nur wegen der Zeit! Vizepräsident Frau Renger: Ja, wegen der Zeit.
Cronenberg Natürlich! In Ihrem Interesse muß ich also sagen: Ganz knapp!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hier gibt es im Augenblick also drei unterschiedliche Interessenlagen. Herr Kollege Cronenberg, darf ich Sie zu Ihrer vorherigen Bemerkung fragen: Ist Ihnen bekannt, daß sich die "Arbeitslosen- und die Arbeitsmarktveränderungszahlen von 1973 bis 1976 nicht um 4,2 % verändert haben -- damit haben Sie den augenblicklichen Arbeitslosenstand bezeichnet —, sondern uni 6,1 %, so daß 1,613 Millionen Arbeitsplätze 1976 weniger vorhanden waren als 1973?Cronenberg Aber, Herr Kollege Franke, selbstverständlich ist mir dies bekannt. Und genau- so bekannt ist mir wie Ihnen, daß dies zwei Ur- sachen hat: einmal unsere konjunkturelle Lage, für die sicher auch die gesamte wirtschaftliche Entwicklung in dieser Welt verantwortlich ist, und das Ergebnis positiver Rationalisierungsmaßnahmen; das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Mit dem Problem werden wir fertig werden müssen, alle gemeinsam.
— Entschuldigen Sie, wer ja sagt zur Marktwirtschaft, muß gelegentlich auch einmal zu Pleiten ja sagen. Da müssen Sie konsequent sein.
Lassen Sie mich auf einzelne Vorschläge und Ideen aus Ihrem Programm einmal eingehen. Erstens zur Frage der Arbeitszeit! Zunächst ein offenes Wort zur Überstunden-Frage. Ein Verbot oder eine finanzielle Bestrafung von Überstunden hat meines Erachtens genau den gegenteiligen Effekt, den die Verfasser sich davon versprechen. Wenn in den Betrieben Reparaturschlosser, Werkzeugmacher Überstunden machen, dann schaffen sie Arbeit, dann geben sie Arbeit und nehmen niemandem die Arbeit. Terminaufträge sind oft nicht anders zu erledigen.
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CronenbergNeueinstellungen für kurze Zeit lösen im allgemeinen überhaupt keine Probleme. Sie schaffen Probleme.Die Verkürzung der Tagesarbeitszeit und Wochenarbeitszeit erscheint mir nicht sinnvoll und praktikabel. Es handelt sich nicht um die Verteilung des Mangels — das hat noch nirgendwo geholfen —, sondern wir müssen den Mangel beseitigen.
— Ich komme gleich zu Ihnen. — Aus dem Ergebnis mit Hilfe von technologischen Entwicklungen einer prosperierenden Marktwirtschaft sind wir in der Lage, als Folge des Wachstums auch die Verkürzung der Lebensarbeitszeit vorzunehmen. Sie ist wünschenswert und diskutabel.Von entscheidender Bedeutung ist hierbei allerdings die unvermeidliche Belastungssteigerung für die Arbeitenden. Denn die Verlängerung der Rentenzeit, meine Herren von der CDU, die von Ihnen vorgeschlagen wird, kostet halt eben mehr Beiträge für die Rentenversicherung. Verlängerung von Ausbildungszeit kostet natürlich mehr Steuern.Die CDU verlangt Belastungsstopp für zusätzliche Steuern und Abgaben. Bravo, könnte man da rufen.
Nur wenn es darum geht, die Vermögensteuer zu senken, die Gewerbesteuer zu senken, dann erscheint der finanzpolitische Sprecher Ihrer Fraktion nicht eine halbe Minute hier im Plenum. Er kommt, stimmt ab und geht wieder weg. Man könnte versucht sein, mit Wilhelm Busch zu sagen: „Tugend will ermuntert sein, Bosheit kann er schon allein."Sie, Herr Prinz zu Sayn-Wittgenstein, haben hier einige Ausführungen gemacht zu der Sanierung der Renten und zur Minderung der Kostensteigerung im Gesundheitswesen. Die CDU verlangt immer wieder die Bremsung der Sozialabgaben. Nur, Sie tragen mit Ihren Vorschlägen dazu bei, daß eine Verwässerung der Kostendämpfungsmaßnahmen vorgenommen wird, daß eine verbindliche Bremsung der Arzthonorarsteigerung verhindert wird, daß eine verbindliche Bremsung der Medikamenteninflation verhindert wird.Sie versuchen darzustellen, daß die Rechnung bei der Rentenversicherung nicht aufgeht. Dann erklären Sie mir doch einmal, warum denn die angeblich nicht ausreichenden Maßnahmen der Koalition von Ihnen abgelehnt werden! Die Folgen müssen doch sein, daß die Dinge noch sehr viel schlimmer werden, als Sie sie schildern.Vorschlag von Ihnen: Ausweitung öffentlicher Investitionen. Man fragt sich doch allen Ernstes: was soll denn das alles? Da schreit der eine: „Die Defizite der öffentlichen Kassen sind zu hoch, Staatsbankrott!" Der andere schreit: „Ihr müßt mehr ausgeben, Programme machen für die öffentliche Hand, möglichst ohne Folgekosten natürlich." Damit das Ganze auch richtig funktioniert, wird es mit Steuermindereinnahmen finanziert.Dieses Garantierezept zum Pleitemachen soll sicher das Klima schaffen, um dann dem Retter der Nation aus dem freundlichen Süden die Möglichkeit zu geben, mit den gleichen vernünftigen Methoden, die die Koalition anwendet, die heile Welt wieder herzustellen. Daß Ihnen nicht das Wohl der Regierung am Herzen liegt, kann ich Ihnen ganz gut nachfühlen. Aber daß Sie durch Ihr Abstimmungsverhalten das Wohl unserer Wirtschaft zur Disposition stellen und uns damit in echte Gefahr bringen können, das geht meines Erachtens doch ein ganz klein wenig zu weit. Sie sollten in diesem Zusammenhang auch einmal über die Glaubwürdigkeit unserer Parteien nachdenken.
Lassen Sie mich noch einige Sätze zum Erziehungsgeld sagen, ein gesellschaftspolitisch vielleicht wünschenswerter Vorschlag. Er ist aber als Lösung von Arbeitsmarktproblemen meines Erachtens ungeeignet. Wie kann man denn annehmen, daß Frauen bereit sein würden, ausgerechnet in einer Zeit hoher Frauenarbeitslosigkeit ihren Arbeitsplatz für ein Jahr aufzugeben? Eine praktikable, wirksame Arbeitsplatzgarantie ist meines Erachtens in dieser Situation eine Illusion.Die CDU will als Beitrag zur Beschäftigungspolitik die flexible Altersgrenze von 63 auf 60 Jahre vorübergehend, wie man sagt, senken. Hier wird mit zweifelhaftem Nutzen eine langfristige Einrichtung wie die Rentenversicherung als Instrument für kurzfristige Effekte mißbraucht. Bei den Problemen, die auf uns zukommen, ist eine Verlängerung dieser Methodik sozusagen schon einkalkuliert.Die rote Lampe hier leuchtet auf.
— ... , was es dem Wandersmann verspricht. Im Klartext heißt die Berücksichtigung versicherungsmathematischer Abschläge aber, daß die Rente für einen 60jährigen um 25 O/o gekürzt wird.Ich möchte nun zum Schluß kommen. Wenn Sie immer wieder sagen, daß das Vertrauen in die Wirtschaft mit Grundlage für die Gesunderhaltung unseres marktwirtschaftlichen Systems sei, dann sägen Sie durch Miesmachen und durch Zerstören von Vertrauen außerordentlich an diesem System.
Es wäre uns sehr dienlich, wenn Sie mit dazu beitragen würden, daß dieses berechtigte Vertrauen, das wir haben, auf die ganze Wirtschaft übertragen würde. Denn wir sind überzeugt, daß der Nachfolger eines Ludwig Erhard, der Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs, ein guter Wirtschaftsminister ist. Wir sind überzeugt, daß in Hans Apel Julius Schäffer einen sparsamen und würdigen Nachfolger gefunden hat.
Wir sind überzeugt, daß Herbert Ehrenberg, dersich der Gesamtwirtschaft verpflichtet fühlt, fürdieses Land einen guten Beitrag, der auch Ihrer
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2722 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
CronenbergUnterstützung würdig wäre, leistet. Aus diesem Grunde stimmen wir sehr gerne seinem Etat zu.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller . Acht Minuten sind angemeldet, Herr Kollege.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, mir weder Ihren Zorn noch den der Parlamentarischen Geschäftsführer zuzuziehen.Für uns wird es sicherlich interessant sein, beim Nachlesen des Protokolls einmal zu versuchen, das, was Herr Kollege Grobecker und Herr Kollege Cronenberg gesagt haben, irgendwie deckungsgleich zu bringen.
Das wird außerordentlich schwer sein.
— Ich will gerade etwas dazu sagen. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß es außerordentlich schwer ist, etwas Deckungsgleiches in der Koalition zu finden. Es wird mir doch wohl noch gestattet sein, daß ich feststelle, daß offensichtlich zwischen den Aussagen, die Sie als Sprecher der SPD hier gemacht haben, und denen des Sprechers der FDP keine Deckungsgleichheit besteht.
Nun lassen Sie mich aber im Zusammenhang mit dem Antrag auf Drucksache 8/615 etwas sagen. Ich muß etwas zitieren, was heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" steht. Herr Kollege Grobecker, auch das müßte mit Ihren Ausführungen etwas in Übereinklang gebracht werden. Herr Staatssekretär Rohwedder hat nach einem Bericht „Frankfurter Allgemeine Zeitung" in Saarbrücken gesagt, daß die Ursachen der Arbeitslosigkeit die hohen Arbeits- und Soziallasten seien. Er sei sicher, daß in einigen Branchen in der Bundesrepublik die hohen Lohnkosten die Ursache der Arbeitslosigkeit seien. Weitere Gründe sieht er in den Bestimmungen des Arbeits- und Steuerrechts sowie in der Person der Arbeitslosen selbst. In der Bundesrepublik sei bisher zuviel Gewicht auf die Besserstellung der Arbeitslosen und zu wenig auf eine bei ihm zu entwickelnde Motivation gelegt worden, diese Arbeitslosigkeit wieder zu beenden.
Das sagt also Herr Rohwedder. Auch dieser Widerspruch, Herr Grobecker — ich muß das noch einmal sagen —, muß aufgeklärt werden. Der Arbeitsmarkt bietet ja nun wirklich ein erdrückendes Bild. Da wird ja oft fälschlicherweise von einem Sockel an Arbeitslosigkeit gesprochen. Es gibt sogar verantwortliche Politiker, die von einer Restarbeitslosigkeit sprechen. Bei der Zahl von rund einer Million Arbeitslosen scheint es mir müßig zu sein, darüber zu streiten, welcher Prozentsatz der konjunkturellen und welcher der strukturellen Arbeitslosigkeit zuzuordnen ist. Für den von der Arbeitslosigkeit betroffenen Arbeitnehmer sind die Auswirkungen gleich verheerend.Viel wichtiger als die strukturelle Arbeitslosigkeit scheint mir die Struktur der Arbeitslosen zu sein. Nach wie vor bilden die Ungelernten den großen Block unter den Arbeitslosen, und nach wie vor — Herr Kollege Grobecker, ich bin sehr froh, daß ich hier die Übereinstimmung mit den Gewerkschaften feststellen kann — gilt unsere Forderung nach einer besseren Qualifizierung der Arbeitskräfte, und nach wie vor erheben wir gemeinsam mit den Gewerkschaften den Vorwurf, daß durch das Haushaltsstrukturgesetz aus dem Jahre 1975 zum unrechten Zeitpunkt die so dringend notwendigen Bildungsmaßnahmen gedrosselt wurden.
Die Zahlen, die uns über den Rückgang beruflicher Bildungsmaßnahmen bekannt sind, zeigen, wie verheerend sich diese falsche Weichenstellung auf die von der Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen ausgewirkt hat und wie wichtig und wie notwendig es ist, das Arbeitsförderungsgesetz wieder zu einem Instrument zu machen, mit dem die beruflich weniger Privilegierten besser gegen die Arbeitslosigkeit geschützt werden.Es gibt Leute in unserem Land, die beklagen Lauthalts die hohen Unterstützungsleistungen, wie jetzt der Herr Staatssekretär Rohwedder, und behaupten, die Arbeitslosen wollten nicht arbeiten. Das scheint mir eben eine Verhöhnung der Arbeitslosen zu sein.Dazu zwei Tatsachen. Obwohl die Zahl der Arbeitslosen im Jahre 1977 durchschnittlich um fast 100 000 Arbeitslose höher liegen wird, als ursprünglich im Haushaltsplan der Bundesanstalt für Arbeit geschätzt, wird Nürnberg trotzdem mit dem dafür vorgesehenen Geld auskommen. Das ist darauf zurückzuführen, daß die Höhe der Unterstützung die Schätzung bei weitem nicht erreicht. Die Kosten sind wesentlich niedriger als angenommen, weil die Einkommen niedriger waren. Das ist ein Beweis dafür, daß ein Teil höherer Arbeitsverdienste durch Überstunden erreicht wurde, die heute weitgehend abgebaut sind.Es bestreitet niemand, daß es unter den Arbeitslosen schwarze Schafe gibt.
Aber deren Zahl wird einfach überschätzt. Heute steht noch nicht einmal für jeden vierten Arbeitslosen ein freier Platz zur Verfügung. Das sind doch die Tatsachen.Wir haben in unserem Programm, das wir in diesem Hause vorlegen werden, eine ganze Menge von Maßnahmen vorgeschlagen. Ich habe nicht die Zeit dazu, das hier im einzelnen auszuführen. Wir werden das zu einem späteren Zeitpunkt tun.Ich will Ihnen jetzt nur folgendes sagen: Aus dieser unserer Haltung sind wir, obwohl wir den Haushalt des Bundesarbeitsministers ablehnen, der Meinung, daß wir dem Antrag auf Drucksache 8/615
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2723
Müller
unter Ziff. II zustimmen können, weil hier ein positiver Beitrag zu den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geleistet wird.
— Ich sage Ihnen ja, daß wir zustimmen, weil wir selbst es ja auch gefordert haben. Eines sollte man feststellen: Von den 400 Millionen DM, die hier angesetzt sind, sind 100 Millionen nicht verbrauchte Mittel aus früheren Beschaffungsmaßnahmen,
so daß jetzt also 300 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden. Sie wollen 200 Millionen in den Haushalt 1978 der Bundesanstalt für Arbeit einsetzen. Darüber wird der Haushaltsausschuß der Bundesanstalt sicherlich beraten.Ich möchte zu einigen Ihrer Pläne, die bekanntgeworden sind, nur ganz kurz Stellung nehmen. Sie sprechen von einer notwendigen Stellenvermehrung um 1000 Stellen in der Arbeitsvermittlung und von 600 Stellen in der allgemeinen Arbeitsberatung. Sie haben also 1600 Stellen zugesagt. Sie wissen — zumindest die Fachleute unter Ihnen —, daß im Leistungsbereich der Bundesanstalt auch 700 Stellen fehlen. Sie wissen auch, daß die Personalmisere der Bundesanstalt für Arbeit in den vergangenen Jahren über finanzielle Mittel für Zusatzkräfte nur unzureichend ausgeglichen wurde. Sie wissen, daß 1 600 langfristig tätige Zusatzkräfte vorhanden sind, deren Beschäftigungszeit immer wieder in arbeitsrechtlich äußerst bedenklichen Kettenarbeitsverträgen verlängert wurde. Die Bundesanstalt für Arbeit muß diese Zahl dringend herunterfahren. Wenn jetzt 1 600 Planstellen bewilligt werden sollen, ist das sicherlich zu begrüßen, wird aber vermutlich nicht ausreichen, um die Fehler der Bundesregierung bei den Haushaltsbewilligungen der Bundesanstalt vergangener Jahre auszugleichen.Wenn der neue Bundesarbeitminister die Probleme noch nicht kennt, dann habe ich die Hoffnung, daß die neue Staatssekretärin aus einschlägiger leidvoller Erfahrung als Vorstandsmitglied der Bundesanstalt für Arbeit die notwendige sachliche Beratung dazu geben kann.Meine Damen und Herren, wir stimmen diesem Änderungsantrag ausdrücklich zu bei Ablehnung des Gesamthaushaltes aus politischen Gründen. Wir hoffen, daß wir uns sehr bald über die gesamten Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung in diesem Hause unterhalten können, damit wir dann etwas länger und breiter alles das behandeln können, wovon der Kollege Cronenberg glaubte geringschätzig reden zu müssen. Wenn wir die Arbeitslosigkeit beseitigen wollen, müssen wir mehr Phantasie haben als mit dem Instrument, das wir zur Zeit noch haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten dem Kollegen Müller Dank sagen. Das war einmal ein Sachbeitrag, Herr Kollege Müller (Remscheid), wenn es Ihnen gelänge, in die Manuskripte Ihres Vorsitzenden demnächst Ihre Gedanken einfließen zu lassen, dann würde das zweifelsohne hilfreich sein,
denn Sie sehen wie wir auch konjunkturelle und strukturelle Probleme der Arbeitslosigkeit.
Die sieht Ihr Vorsitzender offensichtlich nicht. Bei ihm reduziert sich das auf ganz einfache und damit nicht mehr stimmende Vokabeln. Ich fürchte, daß wir da nicht weiterkommen. Aber ich glaube, auch Ihr Vorsitzender ist ein lernfähiges System. Seien Sie uns behilflich, daß wir in der Arbeitsmarktpolitik ein Stück weiterkommen!Mit Ihnen brauche ich ja nicht zu streiten; Sie haben in einer ganzen Reihe von Fragen genau unsere Position mit umschrieben. Es ist aber gestern gesagt worden, daß das Problem der Arbeitslosigkeit, wie wir es sehen, ein Problem sei, das von dieser Regierung verschuldet worden sei. Man hat die weltwirtschaftlichen, die nationalökonomischen, die technologischen Facetten dieses Problems geleugnet, es im Grunde darauf reduziert, daß diese Regierung Schmidt schuld sei an Arbeitslosenzahlen von einer Million und Gott sei Dank darunter.
— Herr Kohl hat das gesagt; Sie haben es wohlweislich nicht gesagt.Dann hat man gesagt: Erst als die Union ein Programm zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung vorgelegt habe, sei die SPD-Fraktion aus ihrem Schlaf aufgewacht
und habe nun ihrerseits auch ein Programm vorgelegt.
— Nun, Sie haben ein Papier fabriziert — Sie selbst sicherlich nicht, aber Sie haben mitgeholfen —, das in sich, fürchte ich, widersprüchlich in seinen finanziellen Konsequenzen unhaltbar, in seinen beschäftigungspolitischen Wirkungen fragwürdig, in seiner Praktikabilität unbrauchbar ist. Und Sie haben große Teile Ihres Papiers bei uns abgeschrieben,
denn wir beschäftigen uns seit vielen Monaten damit. Nur, Sie haben schlecht abgeschrieben. Sie haben das, was wir überlegt haben, aufgegriffen — —
— Ach, Herr Haase! Man kennt Sie! Sie erlauben?
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2724 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
LutzWissen Sie, was Sie gemacht haben? Wir haben seit vierzehn Monaten dieses und jenes bedacht.Manches war praktikabel, manches haben wir weggeworfen. Sie haben alles einmal aufgesammelt. Dann haben Sie daraus ein Papier gemacht, und das nennen Sie ein „Programm zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung". Sie müssen sich merken: Abschreiben will gelernt sein! Sie sind miserable Plagiateure!
Meine Damen und Herren, Ihr Programm ist nicht einmal ein Programm. Kein Mensch weiß, was es ist. Ich nehme an, ein Denkansatz. Es wird irgendwann einmal von irgend jemandem, vermutlich von den Herren der CSU, redigiert. Dann wird einiges hinein und einiges herausgeschrieben. Irgendwann bleibt irgend etwas übrig. Aber ich frage mich: Wann bleibt was übrig, und was wird gültig bleiben?Ich sage Ihnen ganz offen: Papier ist geduldig, aber Geduld können wir uns auf die Dauer nicht leisten, schon im Interesse der Arbeitslosen in diesem Lande nicht, denen es zu helfen gilt.
— Sehen Sie, Sie versuchen immer, eindimensional zu argumentieren. Ebenso wie die Arbeitslosigkeit konjunkturelle und strukturelle Ursachen hat, so gibt es keinen Königsweg zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sondern nur eine Fülle von Politiken auf den verschiedensten Feldern,
das heißt: international durch Stabilisierung der Konjunktur, national durch Kräftigung des Aufschwungs, durch Ermutigung der Investitionstätigkeit,
durch die Förderung neuer Technologien, durch eine gezielte Strukturpolitik in den ballungsfernen Räumen, die eben nicht nur auf die Schaffung von Wegwerfarbeitsplätzen angelegt ist, sondern in diesen Räumen Dauerarbeitsplätze einer ausgewogenen Struktur schaffen will.
— Ja, Herr Müller, Strukturpolitik ist nur ganz entfernt Bundessache. Ich komme aus dem Lande Bayern. Ich weiß, wie Hunderte von Millionen Mark durch die Schaffung von Wegwerfarbeitsplätzen weggeworfen worden sind. Das ist nicht die Strukturpolitik, die wir wollen. Aber ich klage meine Landesregierung nicht an, da der Landesvater, wie er sich nennt, ohnehin auf Abruf oder zur Disposition steht.Finanzpolitisch muß die Beschäftigungspolitik durch einen gezielteren Einsatz staatlicher Mittel und durch eine antizyklisch wirkende Haushaltspolitik von Bund, Ländern und Gemeinden flankiert werden. Das heißt konkret in diesem Augenblick — oder wie Ihr Vorsitzender, der nicht unter uns weilt,
sagen würde: an diesem Tag und zu dieser Stunde —: durch ein offensives Fahren der öffentlichen Haushalte, durch eine Personalpolitik, die sich nicht darin erschöpft, Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst wegzurationalisieren, sondern die für die durch den technologischen Wandel überflüssig gewordenen öffentlichen Arbeitsplätze an anderer Stelle, wo ein Bedarf besteht, etwa in den sozialen Diensten, gegensteuert.
Ich glaube, es ist schwer, Ihnen das verständlich zu machen. Ihnen, Herr Müller, ist es sicher verständlich zu machen, aber nicht allen Ihrer Fraktion. Da gibt es viele — ich meine den Vorsitzenden der einen und den Vorsitzenden der anderen Partei —, die nach Art drittklassiger Krimiautoren Alleinschuldige suchen; das ist dann natürlich die Bundesregierung.
— Da sehen Sie es wieder! Ich sage Ihnen ganz offen: Das hohle Schwadronieren ist kein Ersatz für eine aktive Beschäftigungspolitik.
Was haben Sie gemacht? Diese Bundesregierung hat in den letzten Jahren Milliarden eingesetzt und Hunderttausende von Arbeitsplätzen zusätzlich geschaffen und gesichert. Wäre das nicht erfolgt, dann wäre der Arbeitslosensockel wesentlich höher. Wir haben das 16-Milliarden-Programm für Zukunftsinvestitionen aufgelegt. Wir stoßen an die Grenzen des Programms, weil wir immer noch nicht ganz sicher sind, daß der Impuls, der vom Bundeshaushalt ausgeht, offensiv von Ihren Ländern und in den von Ihnen beherrschten Gemeinden aufgenommen wird.
— Sie sollten nicht soviel dazwischenrufen. Ich habe nur noch eineinhalb Minuten Zeit, und deswegen kann ich nicht darauf eingehen. Ich bitte Sie um folgendes. Das Problem der Arbeitslosigkeit in diesem Land ist viel zu ernst, als daß wir uns den Luxus solcher Gespräche leisten könnten.
Wir müssen zusammenarbeiten. Die Arbeitslosigkeit ist auf allen Politikfeldern zu bekämpfen, und sie kann nicht durch die Politik allein bekämpft werden. Wir brauchen hier den Beitrag der Tarif-
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Lutzvertragsparteien. Mein Kollege Müller stimmt wieder zu; hoffentlich wird sich das auch bei Ihnen herumsprechen.
Diese Gesellschaft sitzt auf einem Pulverfaß.
Wenn es uns nicht gelingt, bei der Arbeitslosigkeit vom heutigen hohen Sockel herunterzukommen, dann wird diese Gesellschaft zuverlässiger in die Luft gesprengt, als das je ein Anarchist in diesem Lande zu schaffen vermöchte.
Deswegen bitten wir Sie, das Thema der Arbeitslosigkeit als Gesamtaufgabe dieses Parlaments, als Gesamtaufgabe des Bundes, der Länder und der Gemeinden, als Gesamtaufgabe aller gesellschaftlichen Kräfte in diesem Lande zu begreifen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich den versöhnlichen Tönen des Kollegen Lutz anschließen. Ich glaube nicht, daß diese Debatte noch wesentliche neue Erkenntnisse bringt. Ich finde es andererseits gut, daß sich alle Parteien, von der SPD über die CDU bis hin zur FDP, konkret an die Arbeit der Untersuchung von Instrumenten und Maßnahmen insbesondere zur Bewältigung der strukturellen Arbeitslosigkeit gemacht haben. Niemand sollte zu Beginn der Diskussion — wir stehen leider am Beginn der Diskussion — glauben, daß er das Patentrezept gefunden hat. Wir sollten arbeiten, und wir sollten die Ergebnisse unserer Arbeit über die Parteigrenzen hinaus sachlich miteinander vergleichen. Da ich nicht annehme, daß die Vertreter der Opposition, die noch nach mir sprechen, diese Debatte mit wesentlichen Argumenten anreichern können, und da liberale Arbeitsmarktpolitik auch nicht so zu verstehen ist, daß wir die Kollegen, die zu anderen Haushalten nach uns reden wollen, von ihrer sinnvollen Beschäftigung abhalten, möchte ich hiermit meine Ausführungen schließen und die Frau Präsidentin bitten, vielleicht der Gesundheitsministerin die nicht verbrauchte Redezeit zu übertragen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Höpfinger.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Zuständigkeit für Bereiche der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit umfaßt das Bundesarbeitsministerium 17 Sachbereiche, die in 6 Fachabteilungen gegliedert sind. Ich möchte an den Anfang meiner Ausführungen ein Wort des Dankes an die im Bundesministerium und in den angegliederten Abteilungen beschäftigten Frauen und Männer richten. Die Ablehnung des Haushalts, die wir praktizieren werden, trifft nicht sie. Sie sind für die Ausrichtung der Politik in diesem Haus nicht verantwortlich, sondern erfüllen dort ihre Pflicht, und für diese Pflichterfüllung gebührt den Damen und Herren ein Wort des Dankes.Von der Arbeitsmarktsituation und den Problemen der sozialen Sicherung her sind in der 8. Legislaturperiode bisher die Fachbereiche Arbeitsmarktpolitik, Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung in der Diskussion besonders in den Vordergrund getreten. Die Arbeitsmarktpolitik wurde schon mehrere Male angesprochen. Wir müssen sagen: Das erste Halbjahr 1977 geht zu Ende, und die Arbeitslosigkeit bewegt sich nach wie vor um die Millionengrenze. Hier gilt es, einmal den volkswirtschaftlichen Schaden und zum anderen die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten im Bereich unserer sozialen Sicherung zu sehen.Es gilt aber auch, den von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen zu sehen; denn zur Freiheit der Person gehören die Lebensbereiche Familie, Arbeit, Mitmenschlichkeit und Rechtssicherheit. Die Arbeit dient dem Menschen zum Broterwerb;
doch wer in menschlicher Arbeit nur den Broterwerb sieht, verkennt den Menschen. In der Arbeit, in der Anwendung seiner Talente will der Mensch Bestätigung finden. So gesehen, gehört die Arbeit, das Tätigsein, zum Leben.
Von dieser Überlegung her hat die Arbeit ein Schutzrecht, und sie hat ein Erfüllungsrecht. Ein Schutzrecht: Wer arbeiten will, darf daran nicht gehindert werden, gleichviel, ob er als Unternehmer, als Arbeitnehmer, als Freischaffender tätig ist. Verunglimpfungen jeglicher Art verletzen die Freiheit. Ein Erfüllungsrecht: Der, der keine Arbeit hat, muß vom Staat, der Wirtschaft und sonstigen Entscheidungsträgern Hilfe erhalten,
um wieder in Arbeit zu kommen. Dies gilt für den Arbeitslosen, dies gilt für den Behinderten. Damit wollte ich sagen: Mit dem Arbeitslosengeld und der Arbeitslosenhilfe, so angebracht und so wichtig die materielle Absicherung ist, ist das Problem des betroffenen Arbeitslosen, der arbeitswillig ist, noch nicht gelöst.
So ernst nehmen wir dieses Problem.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben uns den Vorwurf gemacht, wir würden die Unternehmen verunsichern, deshalb komme die Wirtschaft nicht in Schwung. Ich würde Sie bitten, nachdem Sie heute anwesend sind, solche Vorwürfe genauer zu untersuchen. Sie würden dann wohl sehr bald feststellen, woher die Verunsicherung wirklich kommt. Wenn Sie fröhliche und fröhlich konsumierende Arbeitnehmer wollen — das haben Sie so formuliert —, dann darf ich Ihnen sagen, die Fröhlichkeit setzt zunächst die Sicherheit des Arbeitsplatzes voraus. Erst die Sicherheit des Arbeits-
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Höpfingerplatzes ergibt den fröhlichen und auch den zum Konsum bereiten Arbeitnehmer.Wenn wir die Gruppen sehen, die von der Arbeitslosigkeit betroffen sind, die Frauen, die älteren Arbeitnehmer, die ausländischen Arbeitnehmer und die Jugend,
dann müssen wir sagen, das schwierigste Problem, das uns mit am meisten bedrückt, ist die Situation der jungen Generation.
— Meine Damen und Herren, ich weiß ja auch um die Zeit. Glauben Sie ja nicht, daß ich hier unbedingt lange Ausführungen machen will;
aber so sehen wir doch das Problem. Wenn die Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung nicht mehr die Geduld haben, diese Dinge in einer Haushaltsdebatte anzusprechen,
dann ist das doch schlimm. Da sagt einem zum Beispiel eine Mutter mit acht Kindern in der Diskussion: „Daß ich acht Kinder geboren habe, war mir keine Last; aber daß ich jetzt Jahr für Jahr die Sorge habe, eines meiner Kinder beruflich unterzubringen, das bringt mich ins Grab." Meine Damen und Herren, das ist die Situation. Wenn wir mit Jugendlichen sprechen, dann spüren wir die Schwierigkeit und spüren die Probleme, die die jungen Menschen haben. Deshalb meine ich, Jugendarbeitslosigkeit und Sorge wegen der Berufschancen, das ist ein menschliches Problem, ist ein gesellschaftspolitisches Problem und ist ein höchst politisches Problem.
Tausende von jungen Menschen gehen Woche für Woche hier durch unser Parlament und durch Länderparlamente, um eine Liebe zu unserer Demokratie zu gewinnen, um selber gute Demokraten zu werden und das zu übernehmen, was andere aufgebaut haben. Wenn aber diese jungen Menschen spüren sollten, daß sie von dieser Gesellschaft gar nicht angenommen werden, woher sollen sie dann die Liebe zur Demokratie erhalten?
— Das gilt ja nicht nur Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, sondern das gilt uns allen, weil wir Verantwortung im Volk tragen; um unserer Jugend und um unseres Staates willen müssen wir alles tun, um hier Abhilfe zu schaffen und damit jungen Menschen geholfen wird.
Ein kurzes Wort zur Sozialgesetzgebung: Zwanzigstes Rentenanpassungsgesetz, Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz. Die Gesetzgebung ist noch im Gange. Ich möchte mir ersparen, im einzelnen darauf einzugehen. Bloß zwei Bemerkungen: Herr Bundesarbeitsminister, ich darf ganz offen sagen: Was mir aufgefallen ist, war, daß Sie im Ausschuß bei den Beratungen sehr, sehr selten, wenn überhaupt einmal, anwesend waren. Ich weiß nicht, wie das kommt.
Nicht, daß wir deshalb nicht zu Rande gekommen wären, ich muß dem Kollegen Rappe sogar sagen, daß im Ausschuß eine zügige Beratung möglich war, auch dank der CDU/CSU, der Opposition, durch die es weder zu einer Zeitverzögerung noch zu sonst irgendeiner Erschwernis gekommen ist. Sie war vielmehr bemüht, die Beratungen über die Bühne zu bekommen. Aber mir fiel auf, daß der Bundesminister kaum einmal bei den Beratungen zugegen war.Das zweite, was ich hier ansprechen möchte, ist die Ablehnung aller Anträge der Opposition durch die Koalition. Vor wenigen Tagen wurde beim Ortskrankenkassentag in Hamburg Klage darüber geführt, daß man alles dem Vermittlungsausschuß zugeschoben habe. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn man nicht bereit ist, auf die Anträge der Opposition auch nur näher einzugehen und da und dort nachzugeben und auch einmal ja zu sagen, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn alle Schwierigkeiten in das nächstfolgende Gremium geschoben werden, das sie wahrscheinlich auch nicht lösen kann. Es wäre besser gewesen, wenn Sie die Anträge der Opposition etwas genauer geprüft hätten und da und dort ja gesagt hätten. Dann hätten wir uns manche Schwierigkeiten ersparen können.
Vorhin war von einem Einanderzuhören und einem Aufeinanderzugehen die Rede. Von einem Aufeinanderzugehen war in diesem Ausschuß — wir waren zwar sachlich, wir waren nett zueinander — im Zusammenhang mit den Anträgen in keinem Fall etwas zu spüren. Der Bundeskanzler hat gestern von der Kompromißbereitschaft gesprochen. Die schönen Worte über den Kompromiß allein tun es nicht. Der muß praktiziert werden.Ich möchte mir die Ausführungen über meine Sorgen, die ich für den Fall habe, daß die Gesetze beschlossen werden, über deren weitere Entwicklung, über den Kostenauftrieb, den sie bringen werden und die daraus resultierenden Beitragserhöhungen ersparen.Ein kurzes Schlußwort zu den Grundvoraussetzungen der Demokratie. Ich sage das auf Grund der Debatte des gestrigen Nachmittags. Ich bin neu in diesem Hohen Hause, aber nicht neu in der Parteipolitik. Angesichts der Untersuchungen und Meinungsumfragen, die aufzeigen, wie sehr die Parteien abgelehnt werden, müssen wir der Bevölkerung sagen: Eine Demokratie lebt nur von unterschiedlichen Parteien. Ohne unterschiedliche Parteien gibt es keine Demokratie.
Das Zweite: Die Auseinandersetzung unter den Parteien muß in der Sache sehr wohl hart sein. Es ist für das Wohl des Volkes immer noch das Beste, wenn die Parteien in der Sache hart ringen. Aber, meine
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Höpfingersehr verehrten Damen und Herren, es gibt eine verbindende Klammer in der Demokratie.
Das ist einmal das Ja zur Demokratie, zum anderen die Achtung vor der Person und zum dritten die praktizierte Personenwürde. Was der Herr Bundeskanzler gestern praktiziert hat, war nicht praktizierte Personenwürde, sondern er wollte den politischen Gegner fertigmachen. Das hat mit der Würde der Person nichts zu tun.
Wenn wir die Demokratie wollen, dann heißt es aufeinander hören. Das Wohl der Bevölkerung verlangt auch, daß wir dann und wann aufeinander zugehen. Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, das Aufeinanderhören und Aufeinanderzugehen ist der erste Schritt, der von den Regierungsparteien ausgehen muß, nicht unbedingt von der Opposition. Die muß Sie prüfen. Die muß Sie kontrollieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, da ich die Sorge und den Eindruck habe, daß diese Bundesregierung jetzt noch nicht zum Aufeinanderzugehen und zum Einanderzuhören bereit ist, lehnen wir den Einzelplan 11 ab.
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Ehrenberg.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Berichterstatter, Prinz zu Sayn-Wittgenstein, hat einleitend das dem Sozialetat und der Sozialgesetzgebung zugrunde liegende Rechenwerk bezweifelt. Zu diesem Zweifel besteht heute kein Grund. Es bestand auch bei der Einbringung der Gesetze kein Grund dazu.
Wenn aber Grund bestünde, verehrter Herr Berichterstatter, dann würde ich gern einmal von Ihnen gehört haben, wie Sie die hier angemeldeten Zweifel damit in Übereinstimmung bringen wollen, daß Ihre eigenen Vorschläge zur Einsparung um rund 6 Milliarden DM hinter unserem Konzept zurückgeblieben sind. Wir haben keine Zweifel an unserem Rechenwerk, weil wir wissen, daß es solide erarbeitet ist. Sie haben Zweifel, aber Sie bleiben in Ihren eigenen Vorschlägen mit guten 6 Milliarden DM zurück. Das ist einer der vielen, leider allzu vielen Widersprüche zwischen dem, was Sie fordern, und dem, was Sie tun.
— Herr Franke, ich will Ihnen gern noch mehr Widersprüche aufzählen als nur diesen.Vorweg aber zu der konkreten Frage des Berichterstatters, zu den Mai-Beitragseingängen bei der sozialen Rentenversicherung. Im Mai hat sich das gleiche wiederholt, was ich hier schon für die April-Eingänge gesagt habe, daß nämlich die Pflichtbeiträge, die ja den überwiegenden Teil ausmachen, in ihrem Anstieg bis auf wenige Kommastellen den Erwartungen entsprechen, die freiwilligen Beiträge nicht. Bei der Angestelltenversicherung betrug der Anstieg der Pflichtbeiträge 7,3 %. Bei der Arbeiterrentenversicherung haben wir wegen der Vielzahl der LVAs die Auseinanderrechnung von Pflichtbeiträgen und freiwilligen Beiträgen nicht so schnell vornehmen können. Da aber nach dem Ergebnis Januar bis April eine Abweichung der Arbeiterrentenversicherung von der Angestelltenversicherung lediglich ein knappes Prozent ausmacht, kann davon ausgegangen werden, daß die Pflichtbeiträge auch bei der Arbeiterrentenversicherung mindestens einen Anstieg zwischen 6 und 7 % ausmachen. Die freiwilligen Beiträge sind sehr viel langsamer gestiegen. Dafür habe ich die Erklärung schon in der zweiten und dritten Lesung unseres Gesetzeswerkes gegeben.
— Die Gesamtbeiträge sind bei der Angestelltenversicherung um 3,59 % und bei der Arbeiterrentenversicherung um 2,71 % gestiegen. Ich nehme an, die Zahlen stimmen, Herr Franke.Weiterhin ist von Ihnen beklagt worden, daß die Vorsorgeuntersuchungen nicht gründlich genug ausgewertet und durchgeführt werden. Ich würde doch denken, daß der Berichterstatter für den Haushalt des Arbeitsministeriums die neu gefundene Abgrenzung der Sachbereiche kennt. Alles, was Sie hier beklagt haben, ist an die Adresse meiner Kollegin Antje Huber zu richten. Das ist nämlich dort geblieben und nicht übertragen worden.
Ich bitte Sie, das nachzulesen, da ich mich auf 15 Minuten beschränken wollte. Um des nachfolgenden Etats willen können in diese 15 Minuten nicht noch Zwischenfragen hinein.Eine letzte Bemerkung zum Herrn Berichterstatter. Sie haben verfassungsmäßige Bedenken gegen unsere Modellversuche mit Versicherungsnummern angemeldet. Ich wollte Sie nur gern darauf aufmerksam machen, diese beiden Versuche, die wir mit zwei Allgemeinen Ortskrankenkassen durchführen, werden mit Billigung des Landes Schleswig-Holstein durchgeführt. Ich hoffe sehr, daß Sie Ihrem Parteifreund Stoltenberg nicht unterstellen, daß er mit uns gemeinsam etwas Verfassungswidriges tut.
— Die trage ich auch gern, weil dort nichts Verfassungswidriges geschieht.Ich würde dann gern einige Bemerkungen zur Arbeitsmarktpolitik im Anschluß an das machen, was der Kollege Müller hier gesagt hat. Ich habe dankend zur Kenntnis genommen, daß Sie bereit sind, dem Antrag betreffend die zusätzlichen 300 Millionen und 100 Millionen DM Umschich-
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Bundesminister Dr. Ehrenbergtungsmittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zuzustimmen. Hier sollte man ja wohl eine Antwort darauf erwarten können, welch eine merkwürdige Art von Doppelstrategie dahintersteckt, Einzelanträge, die sich gut verkaufen lassen, anzunehmen und den Gesamthaushalt abzulehnen. Was ist das bloß für ein merkwürdiges politisches Verhalten,
daß man sich dicke tut, dem einen Antrag zuzustimmen, aber den Gesamthaushalt ablehnt! Ich kann da nur sagen, mit der Ablehnung des Gesamthaushalts lehnt die CDU/CSU-Fraktion auch die notwendigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ab.
— So ist es in der Tat. Nur haben Sie glücklicherweise keine Mehrheit und werden keine bekommen, so daß Ihr Verhalten ohne Wirkungen bleibt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?
Nein, in der kurzen Zeit möchte ich, da ich bereits Zwischenfragen von Abgeordneten der Opposition abgelehnt habe, das auch meinem verehrten Kollegen Glombig nicht gestatten.
Ich möchte mich von diesem Pult aus gegenüber Kollegen aus den verschiedenen Fraktionen nicht unterschiedlich verhalten.Herr Strauß hat gesagt:CDU und CSU müssen sich hüten, Programme auszuarbeiten, die keine echten Alternativen sind, Programme, die genauso gut aus dem politischen Gedankengut der SPD stammen könnten.Daß die aus dem Gedankengut der SPD stammen,damit hat Herr Strauß recht. Es heißt dann weiter:Der Vorschlag, die Altersgrenze für ein Jahr auf 60 Jahre zu senken und dann von Jahr zu Jahr jeweils wieder um ein Jahr zu erhöhen, ist in keiner Weise durchdacht, weder finanzpolitisch noch sozialpolitisch.Schließlich ist es auch ein Rückgriff auf sozialdemokratische Vorschläge, wenn man glaubt, durch Verlängerung der Schulzeit das Problem der Jugendarbeitslosigkeit lösen zu können. Für alle diese Vorschläge sind nur sehr verschwommene Finanzierungsmöglichkeiten genannt worden. Wir laufen Gefahr, damit unsere Glaubwürdigkeit zu verlieren.Verehrter Herr Kollege Müller , bevor Sie weiter über arbeitsmarktpolitische Maßnahmen der CDU sprechen, würde ich Ihnen doch sehr empfehlen, da Sie ja hier eine gemeinsame Fraktion bilden, mit dem Parteivorsitzenden der CSU in Übereinstimmung zu kommen. Schaffen Sie das, dürfte Ihre Unterstützung für unsere Vorschläge, die Sie abgeschrieben haben, eine sehr vernünftige und bemerkenswerte sein.
Die Arbeitslosigkeit ist ein viel zu ernstes Problem, als daß man sie mit solch hochgespielten Programmen, denen dann nichts, aber auch gar nichts folgt — außer der Ablehnung des Etats des Arbeitsministeriums —, so behandeln dürfte.Meine Damen und Herren, sozialpolitisch noch viel weniger vertretbar ist die Tatsache, wie die CDU/CSU-Fraktion und die CDU/CSU in den Bundesländern, in denen sie die Mehrheit hat, mit dem Rentenkonsolidierungsprogramm und mit dem Kostendämpfungsgesetz für die Krankenversicherung umgeht. Sie haben diesen Gesetzen in diesem Hause die Zustimmung versagt, obgleich Sie natürlich auch für die Rentenerhöhung am 1. Juli sind — selbstverständlich, aber den dazu notwendigen Gesetzen versagen Sie Ihre Zustimmung.
Sie haben im Vermittlungsausschuß und mit der Behandlung des Beratungsergebnisses dieses Ausschusses durch Ihren Generalsekretär, Herrn Geißler, einen Anschauungsunterricht dafür geboten, Herr Berichterstatter für meinen Haushalt, daß eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, deren Fehlen Sie beklagt haben, nicht zustande kommen kann, weil Sie zu keinerlei Zusammenarbeit bereit sind.
Was soll es für eine Zusammenarbeit sein, und welch verantwortungsvolles Handeln steht dahinter,
wenn der Sozialminister von Rheinland-Pfalz, kaum ist die Sitzung des Vermittlungsausschusses zu Ende, zur Presse läuft, und dort erklärt, dieses Ergebnis des Vermittlungsausschusses habe keine Chance, im Bundesrat angenommen zu werden?
Als ob der CDU-Generalsekretär über die Stimmender Landesregierungen verfügen kann! Denn wenn
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2729
Bundesminister Dr. Ehrenberger das nicht könnte, könnte er ja wohl solche Aussprüche nicht wenige Stunden nach Abschluß der Beratungen im Vermittlungsausschuß tun.
Glücklicherweise kann ich feststellen, daß nicht alle CDU-Ministerpräsidenten bereit sind, sich von Herrn Geißler beeinflussen zu lassen. Dieser vernünftige und tragfähige Kompromiß, den wir erarbeitet haben, der die vorstationäre Diagnostik und die nachstationäre Behandlung, der die Bundesempfehlungen an die Selbstverwaltung in der Krankenversicherung und den Arzneimittelhöchstbetrag zur Eindämmung der Kostenflut bei den Arzneimitteln tragfähig und kostenwirksam erhalten hat, dieses tragfähige Konzept ist heute vormittag in der Kabinettssitzung der saarländischen Regierung voll angenommen worden. Die saarländische Regierung hat gleichzeitig beschlossen, gegen das 20. Rentenanpassungsgesetz keinen Einspruch zu erheben.
Ich würde gern von dieser Stelle aus dem Ministerpräsidenten Röder meinen Respekt dafür bekunden, daß er seine staatspolitische und gesamtwirtschaftliche Verantwortung über die kurzsichtigen parteiegoistischen Beeinflussungsversuche des Herrn Geißler gestellt hat.
Es wäre sehr gut — und mein Respekt vor den Ministerpräsidenten, ganz gleich, welcher Zugehörigkeit, ist auch groß genug, um diese Hoffnung hier auszusprechen —, wenn auch noch andere dem guten verantwortungsvollen Beispiel des saarländischen Ministerpräsidenten folgen werden.
Gut 90 % der deutschen Bevölkerung sind in der Krankenversicherung direkt oder indirekt von dem Kostendämpfungsgesetz und seinen positiven Maßnahmen betroffen.
Die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände erwarten von den Ministerpräsidenten der deutschen Bundesländer, daß sie ihre Pflicht tun und die Kostenflut in der Krankenversicherung nicht ungehemmt steigen lassen.
Ich bin sehr sicher, wenn Regierungsverantwortung in diesem Lande noch ernst genommen wird, dann werden diesem guten saarländischen Beispiel genügend folgen, daß es am Freitag wie auch morgen hier in diesem Hause zu einer Annahme des Vermittlungsvorschlags kommen wird. Ihrem schlechten Beispiel werden die anderen nicht folgen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, in der allgemeinen Aussprache wird das Wort nicht mehr gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Zu Einzelplan 11 liegen zwei Änderungsanträge vor. Ich rufe zuerst den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu Kap. 11 08 aus der Drucksache 8/619 auf. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Abgeordneter Prinz Sayn-Wittgenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Begründung des Antrags Drucksache 8/619 möchte ich mich mit dem Hinweis begnügen, daß für die Finanzierung des Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes auch der geringere, nach unserer Streichung verbleibende Betrag ausreicht, weil das Gesetz bisher nicht in Kraft getreten ist, der Bundesrat es nicht beschlossen und der Herr Bundespräsident es bisher nicht unterzeichnet hat. Die politische Begründung hat der Herr Fraktionsvorsitzende Dr. Kohl bereits gestern zu diesem Thema geliefert. Ich kann daher darauf verzichten und sie lediglich bitten, unserem Antrag zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort weiter gewünscht? — Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen: Wir bleiben bei diesem Gesetz. Wir wollen, daß dieses Gesetz in Kraft tritt. Wir haben es hier ordnungsgemäß verabschiedet. Deshalb brauchen wir den Etatansatz dafür.
Ich bitte, den Antrag auf Drucksache 8/619 abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 8/619 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die Nein-Stimmen waren in der Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe nun den Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP zu Kap. 11 11 auf Drucksache 8/615 auf.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort sonst gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 8/615, soweit er Kap. 11 11 betrifft, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei wenigen Enthaltungen einstimmig so beschlossen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 11. Wer dem Einzelplan 11 in der Ausschußfassung mit den soeben beschlossenen Ände-
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2730 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Präsident Carstensrungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan 11 ist damit angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 15Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit— Drucksache 8/505 —Berichterstatter:AbgeordneterPrinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Abgeordneter GlosWünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Glos.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine große Hamburger Illustrierte, unter anderem dafür bekannt, daß sie der CDU/CSU nicht sonderlich nahesteht, erteilte in ihrer Ausgabe vom 26. Mai 1977 Zwischenzeugnisse für diese Bundesregierung, die seit dem 16. Dezember 1976 im Amt ist. Diese Illustrierte schreibt: Mit den Noten für die bisherigen Leistungen würde kaum einer der Bonner Minister einen Studienplatz bekommen.
Frau Minister Huber, deren Etat heute zur Debatte steht, kommt dabei — auch wenn es zum Studienplatz nicht mehr reichen würde, gnädige Frau — sehr gut weg: Sie kommt mit der Note 3 — befriedigend — davon.
Dieser Beurteilung kann ich mich von seiten der Union und als zuständiger Berichterstatter im Haushaltsausschuß leider nicht anschließen.
Unserer Auffassung nach hätte Frau Minister Huber vielleicht die Note „mangelhaft" verdient.
Denn die Leistungen und Programme der Frau Bundesminister Huber entsprechen nicht einmal der Note „befriedigend".
Der Haushalt der Bundesregierung und damit der Haushalt jedes Ministeriums sind das in Zahlen ausgedrückte Regierungsprogramm. So lautet die treffende Umschreibung durch den Finanzwissenschaftler Professor Fritz Neumark. Die Mängel des politischen Programms spiegeln sich also logischerweise im jeweiligen Haushalt wider.
Ein ausgezeichnetes Beispiel liefert der Haushalt des Jugend- und Familienministers. Ihn heute im einzelnen aufzuschlüsseln würde — da sind Sie sicher mit mir einverstanden — aus Zeitgründen zu weit gehen.
— Das kommt noch, Herr Kollege, warten Sie bitte ab! Die Redezeiten sind sehr beschränkt. Wenn ich nach dieser meiner ersten Rede vor diesem Hause noch Zeit habe, Zwischenfragen zuzulassen, tue ich es recht gern.
Dieser Haushalt läßt kaum neue Modelle oder Maßnahmen erkennen. — Sie werden sich wundern, diese Bewertung stammt nicht von mir, sie stammt von dem leitenden Ministerialdirektor dieses Ministeriums, Herrn Kosmale, der das in einer Zeitung der Arbeiterwohlfahrt geschrieben hat.
Dieser Haushalt schleppt nur sattsam bekannte Untersuchungen und Programme weiter. Er läßt die dringend notwendigen Lösungsvorschläge für die brennenden jugend- und familienpolitischen Probleme unserer Zeit vermissen.
Frau Minister Huber erklärte vor dem Bundesrat: „Der für Jugend zuständige Minister muß ein Anwalt sein für Kinder und Jugendliche. Er muß also ein Augenmerk haben auf alle Felder der Politik, wo Bedürfnisse, Interessen, Chancen, Rechte und Pflichten junger Menschen berührt sind." Ich frage Sie, sehr geehrte Frau Bundesminister: Wo bleiben Ihre ausgewogenen Lösungsvorschläge, die kurzfristig helfen müßten, das größte Problem der Jugend in unserer Zeit, nämlich die verheerende Jugendarbeitslosigkeit, abzustellen?
„Ich möchte sagen, daß das Problem der Jugendarbeitslosigkeit kein außergewöhnliches Problem ist."
Ich hoffe sehr, Frau Minister, Sie denken nicht ebenso.
Wir vermissen hier die Taten. Wir vermissen die besondere Fürsorgepflicht, die Sie selbst angesprochen haben. Es müßte einem Minister den Schlaf rauben, wenn er für den Umstand mitverantwortlich ist, daß Zigtausende von Entlaßschülern ohne Hoffnung auf einen Ausbildungsplatz jetzt nach Beendigung ihrer Schulzeit auf der Straße stehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sperling?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2731
Ich habe vorhin schon erklärt, daß ich in meiner Redezeit beschränkt bin. Ich bin gerne bereit, das hinterher zu tun. Ich bitte, das in Zukunft doch zur Kenntnis zu nehmen.
Sowenig dieser Haushalt Maßnahmen zur Dämpfung dieses dringenden Problems, das ich soeben angesprochen habe, nämlich der Jugendarbeitslosigkeit, bietet, so wenig zeigt er eine Kurskorrektur in der verfehlten Familienpolitik. Im Gegenteil, die falschen Denkansätze, die sich gegen die Familie als der ersten und wichtigsten, d. h. der ursprünglichen Lebensgemeinschaft in unserer Gesellschaft wenden, werden weiter fortgeführt. Sie werden in zahlreichen Projekten — in diesem Haushaltsplan auch „Modelle" genannt — untersucht und erprobt. Diese Bundesregierung weiß Steuergelder zur Verfügung zu stellen, wenn es darum geht, Maßnahmen familienzersetzender Natur zu finanzieren.
Wenn es aber darum geht, die Kindererziehung durch die Mutter selbst zu ermöglichen und zu erleichtern, dann ist das offensichtlich zu teuer, dann findet sich kein Geld dafür.
— Herr Kollege Löffler, die diesbezüglichen Vorstellungen der Koalition sind ja hinlänglich bekannt. Lesen Sie sie doch in den letzten Familienberichten der Bundesregierung nach! Unter dem Stichwort „Familienersetzende Institutionen" heißt es hier wörtlich: „Erziehung der Kinder ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe besonderer Art und Bedeutung."
„Die Wahrnehmung dieser Aufgabe überträgt unsere Gesellschaft Familien und außerfamilialen pädagogischen Einrichtungen." — Das Staats- und Grundrechtsverständnis der Verfasser dieses Berichts ist erschreckend.
Hier scheinen die gleichen Schwierigkeiten mit dem Grundgesetz zu herrschen wie in anderen Teilen dieser Bundesregierung.
Dazu hat gestern an dieser Stelle eine Debatte stattgefunden; ich muß sie nicht wiederholen.
Wir haben es gestern erlebt. Die Familie ist nach unserem Verständnis als vorstaatliche Institution mit vorgegebenen natürlichen Rechten unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt. Ich verweise hier auf Art. 6 Absätze 1 und 2 des Grundgesetzes.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist zu befürchten, daß diese mit System betriebene Entfunktionalisierung der Familie weitergeht. Ein neues Beispiel dafür, daß solche Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind, wie Sie durch Ihre Zwischenrufe teilweise vermuten lassen, ist der von Ihren Fraktionen eingebrachte Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge.
Das natürliche Autoritätsverhältnis zwischen Eltern und Kind soll abgebaut und durch einen sogenannten Kompromiß zwischen Eltern und Kindern ersetzt werden — offensichtlich eine neue Spielart der „Demokratie als Lebensform". „Das Elternrecht soll ferner durch einen, wenn auch nur durch Soll-Vorschrift begründeten Zwang, Außenstehende in Meinungsverschiedenheiten zwischen Eltern und Kind einzuschalten, unzulässig beschränkt werden." Das sagt diesmal der Deutsche Anwaltsverein in seiner Stellungnahme.
Die notwendige Politik für die Familie wird in diesem Hause durch pausenloses Drucken von Broschüren und Faltblättchen ersetzt. Diese sind meist mit dem Bild der zuständigen Frau Bundesminister vorne versehen, womit ich nicht sagen will, daß dadurch diese Broschüren nicht mehr so ansehnlich wären wie ohne dieses Bild — im Gegenteil —; das war ganz bestimmt nicht meine Absicht, gnädige Frau. Aber man kann Programme nicht durch Druckschriften auf Hochglanzpapier ersetzen.
Ein Beispiel dafür, wie man Steuergeld verschleudert, ist das Frauenmagazin „Treffpunkt", das bisher auf Normalpapier erschienen ist und das jetzt, weil seine Papierqualität angeblich so schlecht war, auf Hochglanzpapier gedruckt werden soll; denn man will glauben machen, der Erfolg der ohnehin unentgeltlichen Verteilung dieses Magazins sei davon abhängig, daß es zukünftig eine bessere Papierqualität aufweise, statt daß man auf den Inhalt abstellt und nach den Gründen sucht. Dafür entstehen dem deutschen Steuerzahler Mehrkosten in Höhe von 150 000 DM.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Problem ansprechen, mit dem es mir sehr ernst ist, ein Problem, das mir eigentlich geholfen hat, zu verstehen — nachdem ich hier neu in dieses Hohe Haus gekommen bin —, warum es in den letzten Jahren mit unserer Wirtschaft so abwärtsging, und bei dem mir eigentlich die ganze Arroganz sozialistischer Weltverbesserungspolitik bewußt geworden ist.
— Lachen Sie nicht. Herr Kollege Löffler, Sie haben es doch mit angehört. Stimmen Sie mir bitte zu und bestätigen Sie mir, daß das so gesagt worden ist, wie ich es jetzt zitiere. Der beamtete Staatssekretär des Jugend- und Familienministeriums sprach bei der Diskussion im Haushaltsausschuß über die Titelgruppe „Maßnahmen auf dem Gebiet der rechtlichen und sozialen Stellung der Frau" von den Millionen
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2732 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
GlosFrauen in unserem Land, die ein „Dasein als Hausfrauen fristen müssen". War es so, Herr Staatssekretär?
Sie haben richtig gehört, meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen: „ein Dasein als Hausfrauen fristen müssen". Damit werden Millionen Frauen und Mütter in diesem Land diskriminiert und lächerlich gemacht, die in dieser Stellung als Hausfrau und Mutter ihre Lebensaufgabe sehen,
die ihre Lebensaufgabe darin sehen, für ihre Familie zu sorgen, und die die Erziehung ihrer Kinder als eine wirklich befriedigende Beschäftigung für eine Frau empfinden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann von mir sagen — ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist, Herr Kollege Zwischenrufer —, ich wäre nicht hier in diesem Hohen Hause und könnte auch jetzt nicht zu Ihnen sprechen, wenn meine Frau nicht bereit wäre, diese Aufgabe zu übernehmen und sich ihr voll zu widmen.
Ich verwahre mich dagegen, daß dies dann alles mit „Hausfrauendasein" abqualifiziert wird. Diese unqualifizierte Äußerung des Herrn Staatssekretärs Wolters entspricht sicher der gleichen Geisteshaltung — dieses Erlebnis stand für mich ganz am Anfang, als ich die Debatte zur Regierungserklärung mit anhörte — wie die Äußerung des ehemaligen Bundeskanzlers Brandt, der hier in der Debatte zur Regierungserklärung im Zusammenhang mit der Bildungspolitik davon gesprochen hatte, daß manche in diesem Lande „nur Schlosser" werden könnten. Er hat mit dieser Äußerung viele Millionen fleißiger Arbeitnehmer und Handwerker, die ihr Geld mit ihrer Hände Arbeit verdienen, diskriminiert, lächerlich gemacht und als etwas Minderwertiges hingestellt.
Herr Brandt hat damit — wahrscheinlich ungewollt; das will ich ihm gerne zugestehen — doch die ganze Ursache der Misere angesprochen.
— Herr Kollege, bitten Sie ihn, das einmal zu interpretieren. Ich kann es nur so vortragen, wie meine Kollegen und ich das verstanden haben. Wenn man von „nur Schlossern" spricht, darf man sich nicht wundern, daß die berufliche Bildung im Bewußtsein der Offentlichkeit jahrelang einen geringen Stellenwert einnimmt.
Wenn man dann jetzt vom „Hausfrauendasein fristen" spricht — womit der Zusammenhang mit derFamilienpolitik wiederhergestellt ist —, darf mansich nicht wundern, wenn die Kinderzahlen in unserem Lande rapide zurückgehen.
Die Hausfrauen und die Mütter sehen sich eben auf den unteren Platz der gesellschaftlichen Skala gedrängt.
— Es kommt noch viel dicker.Demselben Bundesminister, der diese Zielsetzung in seinem Hause fördert, untersteht die Verteilung der Mittel aus dem sogenannten Bundesjugendplan, der in seiner Zielsetzung an sich zu begrüßen ist, weil er Hilfe zur Selbsthilfe der Jugendverbände gewährt. Nur muß diese Vielzahl von Verbänden, die aus diesem großen Topf finanziert wird, auch immer wieder auf ihre Förderungswürdigkeit überprüft werden, damit wir nicht Gefahr laufen, die Gegner unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates mit dem Geld der Steuerzahler zu subventionieren.
Lenin hat einmal gesagt: Die Kapitalisten sind so dumm, die finanzieren selbst noch den Strick, mit dem man sie aufhängt.
Wir meinen konkret, daß dem Verband „Naturfreundejugend Deutschlands" die Subventionen des Bundes entzogen werden müssen; denn dieser Verband ist — leider — kommunistisch unterwandert. Ich bedaure sehr, daß ich diese Debatte vor dieses Haus bringen muß; ich habe dieses Thema im Berichterstattergespräch und auch im Haushaltsausschuß angesprochen, aber es war uns nicht möglich, mit unseren Vorstellungen durchzudringen, denn der von uns gestellte Antrag wurde mit der Mehrhei von SPD und FDP abgeschmettert
— von SPD und FDP —, obwohl sich die Bundesregierung genötigt sieht, die engen Verbindungen zwischen der Naturfreundejugend und der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend, also der Jugendorganisation der DKP, in ihrem eigenen Verfassungsschutzbericht zur Sprache zu bringen, ..
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
.. . obwohl die Bundesregierung diese Tatsache also selbst festgestellt hat, obwohl Herr Bahr beschwörende Appelle verbreitet und seine Genossen auffordert, sich von den Linken abzugrenzen, obwohl gestern Bundeskanzler Schmidt an dieser Stelle gesagt hat, es müsse endlich einmal aufhören — er findet es zum . . . ich will den Aus-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2733
Glosdruck nicht wiederholen, den er gestern gebraucht hat; er hat ihn selber zurücknehmen müssen —, daß Sozialdemokraten immer in einen Topf mit Kommunisten geworfen werden. Ich möchte Sie bitten: Helfen Sie Ihrem Bundeskanzler, der vom Streit innerhalb Ihrer Partei genug gebeutelt wird.
Folgen Sie ihm und stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu, der Ihnen am Freitag vorgelegt wird und der eine Umschichtung der Mittel innerhalb des Bundesjugendplanes vorsieht. Sie tun ihm damit sicher einen Gefallen.Ich bin gehalten, zum Schluß zu kommen. Die Konsequenzen aus dem, was ich kritisiert habe, bestehen für uns darin, diesen Einzelplan abzulehnen. Wir bitten Sie, unserem Antrag zu folgen.Ich möchte am Schluß noch einen Satz anfügen.
— Ich habe meine Rede inzwischen so umgestellt, daß ich zum Ende komme.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Glos, kommen Sie bitte zum Ende.
Dieser schon am Anfang zitierte Herr aus dem Ministerium hat deutlich angesprochen, was wir nicht wollen. Er sagte: Der Kurs liegt weiter links. Das wollen wir verhindern, das wollen wir stoppen. Wir bitten Sie deshalb, diesen Finanzplan abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der soziale Fortschritt ist eine Schnecke. Meinem Vorredner ist es gelungen, ein besonders possierliches Tierchen vorzuführen, das zu einer langsamen Gangart auch noch Bremsklötze und einen Bremsfallschirm hat. Nach draußen verkaufen Sie jedoch immer relativ heiße Renner, je nachdem, welche Sprecher von Ihnen auftreten. Dort wird allen möglichen Gruppen alles Mögliche mehr versprochen. Es wird z. B. mehr an Erziehungsgeld, es wird mehr für die Frauen versprochen. Es tut mir eigentlich leid, Herr Glos, daß Sie mich jetzt zwingen, mich auf dieses geschlechtsspezifische Wahl- oder Schlachtfeld zu begeben.
— Ich habe ja nur 10 Minuten Zeit; deswegen muß ich schneller reden.
Natürlich wäre es schön, wenn man für Frauen mehr tun könnte. Es wäre auch sehr schön, wenn wir es allen Frauen ermöglichen könnten, zu Hause zu bleiben, wenn wir allen Frauen die volle berufliche und soziale Integration ermöglichen könnten. Nur, Herr Glos, dann darf man diesen kleinen Ansatz von 3 Millionen DM, der in diesem Etat steht, nicht zum „Alice-Schwarzer-Kampffonds" umtitulieren und fordern, daß hier gekürzt wird.
Ich gebe gern zu, daß Herrn Staatssekretär Wolters hier eine etwas unglückliche Formulierung unterlaufen ist,
die er übrigens wieder zurückgenommen hat, wenn ich mich recht erinnere.
Die beste Möglichkeit, Herr Glos, uns zu beweisen, daß Hausfrauen kein trostloses Dasein fristen, wäre es, wenn beispielsweise Sie sich entschließen könnten, Ihren Sitz hier aufzugeben und gegen Kochlöffel und Kochtopf zu vertauschen, um einmal zu zeigen, wie interessant ein solcher Beruf zu Hause sein kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glos?
Es tut mir schrecklich leid, Herr Glos. Die Zeit ist zu kurz. Aber wir können uns nachher gerne draußen zusammensetzen; dann können Sie mir das noch einmal erklären.
Herr Glos, ich fände es auch sehr schön, wenn wir für kinderreiche Familien mehr tun könnten. Ich weiß nicht, was Sie unter „familienersetzender Erziehung" verstehen. Ich weiß nur, daß eine familiengerechte Erziehung möglich ist, wenn man z. B. das Kindergeld erhöht. Aber da hat ja wohl Ihre Partei Schwierigkeiten gehabt, nicht meine. Ich erinnere nur an die namentliche Abstimmung.
Ich persönlich bedaure es, wenn zum Jahr des Baumes, zum Jahr des Denkmalschutzes, zum Jahr der Frau nun auch erst noch ein Jahr des Kindes kommen muß, um klarzumachen, wie kinderlieb, wie frauenlieb, wie baumlieb oder wie denkmalschutzlieb die Deutschen sind. Leider ist zur Zeit nicht mehr drin. Sie haben ja den ersten Schritt gemacht, indem Sie es den Familien verweigert haben, mehr finanzielle Mittel für eine kinderfreundliche Familie zur Verfügung zu haben.
Ich gebe auch gern zu, daß im Bereich des Einzelplans 15 noch sehr viele andere Sachen gemacht werden könnten. Wir könnten z. B. im Bereich der gesundheitlichen Aufklärung mehr tun. Aber solange die Deutschen es vorziehen, sich mit Messer und Gabel sozusagen dem Kalorien-Freitod entgegenzufuttern, wird man leider mehr als eine Mil-
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2734 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Frau Simonislion DM Zuschuß ausgerechnet der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zur Verfügung stellen, statt das Geld an anderer Stelle vielleicht sinnvoller einzusetzen. Auch ich bedaure dies, nur ist es leider nicht zu ändern. Die Deutschen futtern nun mal zuviel.
Im Hauruck-Verfahren ist leider keine eingefahrene Verhaltensweise zu ändern. Im Hauruck-Verfahren ist niemand zu bewegen, etwas anderes als das zu machen, was er bisher gemacht hat. Das beweisen beispielsweise alle Männer, die hier sind und die sich genauso verhalten, wie sich bis jetzt alle Männer verhalten haben. Was man hier braucht, ist eine vernünftige und sehr behutsame Aufklärung. Die Schriften, die Sie gerade wieder so moniert haben, sind meiner Meinung nach alle so gut, daß ich mir Ihre Kritik nur so erklären kann, daß Sie sich noch keine angesehen haben.
Ich bin davon überzeugt, daß Ihnen das Ministerium diese Schriften sehr gern zur Verfügung stellt.
— Ich glaube, der Hinweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zieht hier nicht, denn ausgerechnet die Schriften dieses Ministeriums sind dort sehr lobend erwähnt worden. Vielleicht lesen Sie auch das noch einmal nach, ehe Sie hier behaupten, daß das nicht stimmt.
— Ach, wissen Sie, ich finde, die Fotos tun den Broschüren ganz gut. Die Frau Ministerin putzt die Broschüren sozusagen. Sie sieht sehr gut aus.
Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie ja eine 15%ige Kürzung all dieser Maßnahmen im Bereich der Aufklärung für die Integration älterer Mitmenschen, für die Integration von Randgruppen, für die Integration von allen möglichen Gruppen in dieser Gesellschaft gefordert. Es sind ungefähr 15 %. Ich habe es vorhin nachgerechnet; Sie können es auch noch einmal nachrechnen.Wenn das alles so traurig ist, wie Sie es hier dargestellt haben, hätten Sie im Grunde genommen eine Erhöhung all dieser Ansätze fordern müssen, mit denen versucht wird, in der Gesellschaft Aufklärung für eine Integration all jener Gruppen zu betreiben.
Zum Schluß möchte ich ganz kurz auf Ihren Antrag eingehen.
Es geht um die Streichung der Mittel für die Naturfreundejugend. Sie haben den zweiten Teil IhresAntrages sozusagen verschwiegen. Sie wollen nämlich dieses Geld, insgesamt 150 000 DM, der Sportjugend zur Verfügung stellen.
Das haben Sie schon heute herausgegeben, obgleich Sie es erst morgen beantragen wollen; Sie sind verdammt fix, stelle ich fest.
— Ich ziehe das Wort „verdammt" mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück.Ich finde, daß Ihr Antrag drei Mängel hat. Erstens kommt er ein bißchen plötzlich. Während der Haushaltsberatungen habe ich von Ihrer Liebe zur Deutschen Sportjugend nichts gemerkt.
Diese Liebe ist Ihnen nun plötzlich 150 000 DM wert. Zweitens sind auch die Mitglieder der Facharbeitsgruppe Ihrer Partei mit einem solchen Antrag nicht einverstanden. Drittens ist der größte Mangel dieses Antrages, daß Sie versuchen, einen Verband gegen den anderen Verband auszuspielen.
Die Deutsche Sportjugend hat sich heute auch dagegen gewandt, daß sie auf Kosten eines anderen Verbandes gefördert werden soll.
— Nein, die Hühner lachen nicht. Was der Jugendring dazu gesagt hat, geht ungefähr in dieselbe Richtung.Wir werden also Ihren Entschließungsantrag morgen ablehnen. Wir nehmen zur Kenntnis, daß die Bundesregierung darauf Rücksicht nimmt, ob die Förderungsvoraussetzung des § 9 für den Verband der Naturfreundejugend noch gegeben ist. Die beiden kritischen Punkte — nämlich das Erscheinen der Zeitung „Schnittpunkte" sowie die Zusammenarbeit mit der FDJ — sind in diesem Jahre beseitigt worden; nach den Wahlen vom 17. bis 19. hat sich der Vorstand in seiner personellen Zusammensetzung entscheidend verändert.Ich persönlich bin nicht der Meinung, daß die Kopfzahl eines Verbandes ein gutes Kriterium für seine Bezuschussung ist. Ich glaube aber, daß es erst recht nicht richtig ist, über den Kopf aller Verbände hinweg zu entscheiden — ohne das Kuratorium zu fragen —, wie man in Zukunft die Bezuschussung von Jugendverbänden gestalten will.Meine Partei wird dem Einzelplan 15 in der Fassung der Ausschußvorlage zustimmen, damit dem sozialen Fortschritt — bei kriechender Geschwindigkeit — noch ein bißchen mehr angehängt werden kann.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2735
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst eine kurze Antwort an Frau Simonis: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat keineswegs gegen die Erhöhung des Kindergeldes gestimmt.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich einstimmig gegen das kinderfeindliche Junktim zwischen Mehrwertsteuererhöhung und Kindergelderhöhung gewandt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sperling?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage; wir wollen bald zum Schluß kommen.Die Situation ist eindeutig und klar. Wir haben unseren Antrag vorgelegt. Wir wollen eine Kindergelderhöhung ohne eine gleichzeitige Mehrwertsteuererhöhung. Ich möchte noch einmal feststellen: Dies ist seit Bestehen der Bundesrepublik der einzige Fall, der mir bekannt ist, daß eine Bundesregierung die Erhöhung des Kindergeldes von der gleichzeitigen Erhöhung ausgerechnet noch einer Umsatzsteuer abhängig macht.
Dies ist eine einmalige Leistung.
Aber nun kurz noch einige Sätze zur Familienpolitik: Für uns ist die Familienpolitik eine der zentralen Aufgaben deutscher Politik. Die Familie ist in der Bundesrepublik Deutschland in eine schwere Krise geraten. Dies empfinden die Familien selbst; dies erkennt aber auch zunehmend die Öffentlichkeit. Die CDU/CSU betrachtet es als eine ihrer zentralen Aufgaben, Lösungsvorschläge zu erarbeiten und auch zu verwirklichen. Meine Damen und Herren, wir haben uns in den letzten Wochen und Monaten insbesondere beim Wohngeldgesetz darum bemüht, Erleichterungen für Mehrkinderfamilien durchzusetzen. Wir haben leider keine Mehrheit gefunden. Wir haben uns gemüht, im Rahmen des § 7 b eine familienfreundliche Komponente durchzusetzen. Leider haben wir auch vom Familienministerium keinerlei Unterstützung erfahren, obwohl allgemein anerkannt wurde, daß dies notwendig gewesen wäre. Wir haben uns beim Rentensanierungspaket und beim Kostendämpfungsgesetz gemüht, Härten für die Familie zu beseitigen. Auch hier, meine Damen und Herren, haben Sie uns nicht unterstützt.In der immer schärfer werdenden Auseinandersetzung über die künftigen Grundlagen unserer Gesellschaftspolitik stehen wir auf der Seite aller Kräfte, die die ethisch begründete Freiheit des einzelnen Bürgers und die Institution „Familie" erhalten wollen. Wir wollen die Familien vor einer kollektiven Bevormundung durch den Staat und durch gesellschaftliche Gruppen schützen. Es gibt imBereich der Wissenschaft und im Bereich der Politik Kräfte, die die Familie selbst in Frage stellen. In die gleiche Richtung geht auch die Forderung im „Orientierungsrahmen '85" der SPD, wonach die Familie von Aufgaben zu entlasten ist, die kooperativ oder öffentlich besser erfüllt werden können. Diese Forderung, meine Damen und Herren, beinhaltet den Vorrang der Gesellschaft vor der Familie und stellt das Verhältnis zwischen Staat und Familie auf den Kopf,
weil hier, Herr Kollege, im Grunde ja verlangt wird, daß alles, was staatliche Einrichtungen leisten können, von der Familie weg auf diese staatlichen Einrichtungen zu übertragen sei. Wir sind dagegen!
— Die Priorität liegt bei der Familie.
Kindergärten, Schule, berufliche Bildung — das sind ergänzende Hilfen für die Erziehung in der Familie. In dieser Rangordnung wollen wir das haben.Die CDU/CSU will also vor allem die Erziehungskraft der Familien stärken. Sie begrüßt die familienpolitischen Aussagen der Familienverbände. Diese Forderungen sind Vorschläge, die sich am Gemeinwohl orientieren und sich in den Dienst der Gemeinschaft aller Bürger stellen. Die CDU/CSU lehnt gemeinsam mit dem Deutschen Familienverband — ich möchte das noch einmal betonen — ein Junktim zwischen Mehrwertsteuererhöhung und Kindergeldverbesserung mit Entschiedenheit ab. Verbesserungen der Leistungen nach dem Bundeskindergeldgesetz sind auch ohne Mehrwertsteuererhöhungen möglich.Familien mit Kindern sehen sich vor allem einer starken wirtschaftlichen und finanziellen Benachteiligung ausgesetzt. Ständig steigende Belastungen der Erwerbseinkommen durch direkte Steuern und durch Sozialabgaben haben zu einer Schmälerung der Fähigkeit geführt, einen angemessenen Unterhalt für größere Familien aus dem Verbleib der Nettoeinkünfte zu finanzieren. Die wirtschaftliche Entlastung der Mehrkinderfamilien hat trotz der Neuordnung des Familienlastenausgleichs ab 1. Januar 1975 eben nicht mit der wirtschaftlichen Entwicklung Schritt gehalten. Die Zahl der Familienhaushalte, die Sozialhilfe beantragen müssen, nimmt ständig zu. Es kann deshalb nicht überraschen, daß wirtschaftliche Gründe die maßgebliche Ursache für eine unvertretbar hohe Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen sind. 13 000 Schwangerschaftsabbrüche in sechs Monaten, beinah die Hälfte aus sozialen Gründen — das ist nach meiner Auffassung eine Blamage des sozialen Rechtsstaates.
Anhaltende Geburtenrückgänge konfrontieren auch Staat und Gesellschaft mit der Problematik, daß die
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2736 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
BurgerFamilien in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit offensichtlich nicht in der Lage sind, die generative Funktion so wahrzunehmen, daß der zahlenmäßige Bestand der deutschen Bevölkerung auf eine ausgewogene Alters- und Erwerbsstruktur wenigstens annähernd gesichert ist.
Die Bundesregierung aber unternimmt nichts, um dieUrsachen des Bevölkerungsrückgangs zu beseitigen.
Herr Kosmale hat in seinem Artikel geschrieben: „Bevölkerungspolitisch besteht kein Anlaß zur Sorge." Ich meine, hier irrt Herr Kosmale. Hier irrt er, weil Aussagen kompetenter Politiker und Wissenschaftler das Gegenteil besagen. Die Zahl der Geburten hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre halbiert. Die deutsche Bevölkerung wird bis zum Jahre 1990 um über drei Millionen Einwohner abnehmen. Hält der gegenwärtige Trend an, ist damit zu rechnen, daß der Anteil der Kinder an der Gesamtbevölkerung bis 1990 auf 15 °/o sinken wird; heute liegt er noch bei 21 °/o.Nicht die Zahl der Bevölkerung ist maßgebend, sondern die Altersstruktur, die in wenigen Jahrzehnten auf uns zukommt. Sie gibt uns Probleme auf, die nur sehr schwer zu lösen sind. Die Wissenschaftler mahnen hier unüberhörbar, wenn sie sagen, daß die Fragen nach einer angemessenen Bevölkerungspolitik heute zu stellen und zu lösen seien, nicht aber erst in zwei oder drei Jahrzehnten.
Den Geburtenrückgang stellen wir seit einigen Jahren fest, seit etwa zehn Jahren.
Die Zahl der Geburten hat sich in den letzten Jahren glatt halbiert, und wir haben zur Zeit ein Minus von rund 250 000. Wir haben zur Zeit jährlich 250 000 Geburten weniger, als die Sterberate ausmacht.
— Herr Wehner, dies wird wirtschaftliche, soziale und strukturelle Folgen haben,
die man nur sehr schwer wird beseitigen können, wenn man nicht rechtzeitig gegensteuert.
Die Bundesregierung und die Frau Familienminister haben diese Entwicklung bisher bagatellisiert, beschönigt oder totgeschwiegen. „Wer Kinder hat, wird bestraft." So schreibt die „Deutsche Zeitung" am 17. Juni. Der Verfasser führt aus: „In Bonn will sich ein Beamter scheiden lassen, weil er so die Familie besser ernähren kann. Grimmiger kann selbst die böseste Polemik das traurige Ergebnis der Bonner Familienpolitik nicht kennzeichnen."
Es heißt dort weiter: „Seit der letzten Steuerreform, spätestens seit dem Beschluß, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, ist klar, daß die Sozialliberalen entschlossen sind, Kinderreichtum zu bestrafen und Kinderlosigkeit zu belohnen."
— So steht das in dieser Zeitung! Ich zitiere weiter:
„Es ist auch kein Zufall, daß sich das sogenannte Familienministerium, das man besser das Ministerium für Liebe und Partnerschaft nennen sollte, hauptsächlich Problemen der Frauenemanzipation widmet." Das sind bittere Worte! Aber es ist nicht die einzige kritische Stimme.Die kritische Distanz der Ministerin gegenüber dem Erziehungsgeld ist bekannt. Frau Huber meint, man dürfe den Frauen nicht durch Geldleistungen ihre emanzipatorischen Errungenschaften abkaufen. „Abkaufen?", so fragt Dr. Winkelvoss in der Zeitschrift „Die Familie" vom Mai 1977. „Für einen Kauf", so meint er richtig, „entscheidet man sich freiwillig. Zwangskäufe gibt es nicht."Sie schreiben ja selbst im Familienpolitischen Programm der SPD:Die Familienpolitik der SPD will Bedingungenschaffen, die es Familien ermöglichen, ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.Meine Damen und Herren, warum haben Sie nicht den Mut, hier ein Angebot zu machen? Zwei Drittel der befragten Frauen haben sich bereit erklärt, bei einem Erziehungsgeld die ein, zwei oder drei Jahre zu Hause zu bleiben und sich den Familien und der Kindererziehung zu widmen.
— Dies hat Ihr Ministerium selbst festgestellt. Warum handeln Sie nicht getreu Ihrem Programm und machen Angebote? Auf das Anbieten kommt es an, nicht auf den Zwang. Wir wünschen dieses Angebot, vor allem natürlich aus familienpolitischen Gründen.
— Herr Strauß ist ein vernünftiger Mann. Er hat sich guten Argumenten immer gebeugt.
Das Erziehungsgeld soll vor allem die Familie stärken und den Frauen eine Wahlfreiheit zwischen Beruf und Familie ermöglichen. Die Frauen sind selbständig genug, um eine eigene Entscheidung zu treffen. Machen wir ihnen das Angebot! Wir werden sehen, was sie daraus machen, wenn sie eine echte Wahlfreiheit haben. Gleichberechtigung heißt ja nicht, daß man alles über einen Kamm scheren kann. Selbst Karl Marx
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2737
Burgerhat in einer These verkündet, daß gleiches Recht im Grunde für verschiedene soziale Gruppen der Gesellschaft ungleiches Recht bedeutet.
— Die Analysen von Karl Marx sind nicht zu unterschätzen! Wir lesen ihn auch, um Ihre Argumente zu kennen und ihnen auch begegnen zu können.
— Ich empfehle Ihnen auch unsere Enzykliken, Herr Egert. Das wäre auch eine gute Lektüre für Sie.Ich muß langsam zum Schluß kommen. Auch im anderen Teil Deutschlands ist ein Erziehungsgeld eingeführt worden. Das sollte das Familienministerium ein wenig nachdenklich stimmen. Was nützen Anstrengungen um Wirtschaftswachstum? Dort hat man in einer ganz anderen Richtung experimentiert. Man hat Konsequenzen ziehen müssen, weil die Realität anders aussah.Ich möchte es noch einmal sagen: Was nützen Anstrengungen um Wirtschaftswachstum, Zukunftsinvestitionen und Konzeptionen in der Rentenversicherung, wenn die Familie, der wichtigste Garant für die Zukunft, auf der Strecke bleibt?Meine Damen und Herren, ganz kurz noch einige Sätze zur Sozialhilfe.
— Herr Schäfer, ich bin gleich fertig. — Konzeptionslos bleibt der zuständige Familienminister auch, wenn es um Lösungen geht. Die Sozialhilfe ist ein ganz wichtiger Bereich. Wir gehen hier einer ähnlichen Entwicklung wie in der Rentenversicherung entgegen: Es wird alles geleugnet, beschönigt, und dann stehen wir plötzlich vor der Misere. Sie kennen die Lage in den Gemeinden, Sie kennen die Entwicklung bei der Sozialhilfe. Ich möchte die einschlägigen Zahlen nicht nennen. Zwei Zahlen erscheinen mir aber doch erwähnenswert: im Jahre 1970 3,34 Milliarden DM, im Jahre 1976 wahrscheinlich etwa 10 Milliarden DM Ausgaben. Die Zahl der Bedürftigen steigt. Sie wird noch weiter steigen, weil durch die Rentensanierung und durch das Kostendämpfungsgesetz Probleme entstehen, die wahrscheinlich nur zu Lasten der Sozialhilfe gelöst werden können.Es geht hier darum, bald, in Ruhe und sorgfältig zu Lösungen zu kommen, die nicht in die Rechtssubstanz eingreifen, die aber doch gewisse Korrekturen, die vorgenommen werden können, ermöglichen. Es gibt Anregungen, es gibt Vorschläge. Es gibt auch Vorschläge, die im Auftrag des Ministeriums erarbeitet worden sind. Wir sollten den Mut haben, in den nächsten Wochen und Monaten in aller Ruhe Konzeptionen zu erarbeiten. Ich bedaure, daß Herr Staatssekretär Zander im Ausschuß erklären mußte, daß zur Zeit noch keine Konzeption des Ministeriums vorliegt.Wir können dem Etat des Familienministeriums nicht zustimmen.
Wir sind der Auffassung, daß die Frau Familienminister in großen Konzeptionen versagt hat, daß sie die Lage der Familien nicht so sieht, wie sie wirklich gesehen werden muß, nämlich als in einer Krisensituation befindlich, der man abhelfen muß. Wenn wir Zukunftsinvestitionen in Milliardenhöhe für Wirtschaft und Wachstum aufwenden, dann müssen wir auch das Geld zur Verfügung stellen, das wir für die Zukunft der Familien unbedingt benötigen.
Wir lehnen deshalb den Etat ab.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist erfreulich, daß nach langer Zeit wieder einmal eine familien- und jugendpolitische Debatte in diesem Hause stattfindet. Der Haushalt gibt dies her. Aber ich muß sagen: Der Zeitdruck, unter dem wir stehen, gibt uns heute nicht die Chance, den Stellenwert von Jugend- und Familienpolitik insgesamt zu verbessern. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir länger diskutieren könnten, weil Herr Glos als Neuling so viele neue Varianten in die Debatte gebracht hat und es sich lohnt, darüber zu diskutieren und zu streiten. Wenn ich — wie vor 25 Jahren — noch in Schweinfurt wohnen würde, könnten wir dort diskutieren, weil wir dann aus demselben Wahlkreis wären.Wenn man Zensuren verteilt, sollte man wirklich berücksichtigen, daß z. B. Frau Wex im „Stern" eine Fünf bekommen hat. Das sollten Sie dann auch sagen. Frau Huber hat eine Drei bekommen. Eine Drei ist immer noch besser als eine Fünf.Auch ich möchte ganz ernsthaft fragen, ob bei dem Ausdruck „ein Hausfrauendasein fristen" das Wort „fristen" richtig gewählt ist. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß es bei Frauen zwischen 40 und 50 Jahren, deren Männer z. B. Schichtarbeiter sind, die allein leben, deren Kinder das Haus verlassen haben, Situationen gibt, in der ihnen diese Gesellschaft helfen muß. Wir müssen hier mehr tun als bisher. Das darf man nicht einfach mit einer Handbewegung abtun, als sei das eine Diffamierung insgesamt gewesen. Hier gibt es wirklich etwas zu tun.
Ebenso verhält es sich mit der elterlichen Sorge. Der Bundesrat hat drei Änderungen eingebracht. Die Verbände haben im Grundsatz zugestimmt. Man kann sich über einzelne Passagen unterhalten. Dafür gibt es ja die Ausschußberatungen. Aber: Wenn wir darangehen, die elterliche Gewalt durch elterliche Sorge zu ersetzen und zu reformieren, so sollte man meiner Meinung nach darüber reden und die Bemühungen nicht einfach abqualifizieren. Das dazu.Nun möchte ich Sie noch darauf aufmerksam machen: in der Jugend-, Familien- und Gesundheitspolitik sind wir alle engagiert. Wir haben ein gro-
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2738 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Hauckßes Aufgabenfeld. Wir müssen aber feststellen, daß diese Bereiche ressortüberschreitend sind. Herr Glos, was Sie zur Jugendarbeitslosigkeit sagten, geht genauso stark in Arbeits- und Sozialordnung, in Bildung und Wissenschaft hinein. Bei der elterlichen Sorge geht es um Rechtsbezüge. Wohngeld für kinderreiche Familien geht in die Wohnungspolitik hinein. Ich bin der Meinung — und habe das immer vertreten —, daß die sogenannten Fachexperten für Jugend und Familie Sachwalter für die Belange der Jugend, der Familie und der Gesundheit sein sollten und dafür sorgen müssen, daß in allen Gesetzen jugend-, kinder- und familienfreundliche Akzente gesetzt werden. Das haben Sie ja nun auch bei § 7 b, beim Wohngeld usw. gesagt. Herr Burger hat beklagt, daß Sie da nicht die Mehrheit bekommen haben. Dazu möchte ich Ihnen sagen: wenn Sie das schon beklagen, müssen Sie nicht als Bäckerdutzend hier sitzen, wenn Änderungsanträge gestellt werden, sondern müssen selbst den Willen haben, diese Anträge durchzusetzen, bevor Sie dem Gesamtparlament Vorwürfe machen.
Denn Sie haben ja diese Anträge gestellt.
Im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit fand in diesem Jahr eine sachlich sehr harte, aber fair geführte Diskussion über den Inhalt der Politik und über die finanzielle Ausstattung statt. Obwohl es unterschiedliche Meinungen über die einzelnen Haushaltsansätze, auch im Bundesjugendplan, gegeben hat, hat der Ausschuß einvernehmlich beschlossen, keine Änderung gegenüber dem Regierungsentwurf vorzuschlagen. Dabei wurde aber klar, daß in vielen Bereichen Veränderungen, und zwar finanziell und substantiell, auf uns zukommen werden. Das gilt z. B. für das Kindergeld. Wir haben es beschlossen. Bei der Abstimmung haben Sie nicht zugestimmt.Nun will ich Ihnen sagen: bei Ihrem neuen Vorschlag, den Sie eingebracht haben, machen Sie genau dasselbe: 80 DM und 150 DM, und draußen gehen Sie rum und sagen, wir tun zuwenig für die Mehrkinderfamilie, während Sie genau denselben Vorschlag bringen. Auch das ist doch in der Diskussion unredlich. Erziehungsgeld, Babyjahr neuer Prägung, Karenzurlaub, wie die Österreicher sagen, ist zweifellos eine Entwicklung, die immer aktueller wird, die auf uns zukommt und der wir nicht ausweichen können. Das ganze Haus wird in der Gesamtentwicklung dieser Forderung nicht ausweichen können.Ich will nicht darüber streiten, wer Erziehungsgeld zuerst erfunden hat und in welchem Programm es zuerst stand. Aber wenn wir dieses in den Griff bekommen wollen, brauchen wir solide Finanzierungsgrundlagen. Darüber müssen wir uns unterhalten, bevor wir es draußen den Leuten groß als Erwartungshorizont darstellen. Ich bin auch der Meinung, daß, wenn die Ergebnisse der Transferkommission vorliegen, Konsequenzen in vielen Bereichen zu ziehen sind, in der Ausbildungsförderung, im Wohngeld, in der Sozialhilfe und all dem, was hier angesprochen worden ist. Hier werden wir bei den Haushaltsdebatten um neue Positionen ringen müssen. Das ist auch die Aufgabe dieses Parlaments. Hinsichtlich des Bundesjugendplans werden zweifellos neue Verteilungskriterien auf uns zukommen, wenn die Perspektiven für den Bundesjugendplan vorliegen und wenn wir uns über die jeweiligen Inhalte sachkundig gemacht haben, die dort zu vertreten sind.Ich möchte aus aktuellem Anlaß — Sportjugend, Naturfreunde und was dazugehört — ganz klar feststellen, daß für uns Sozialdemokraten dabei folgender Grundsatz gilt: Wer die freie Jugendarbeit bejaht, muß für eine gleichmäßige und umfassende Förderung der Verbände, ohne inhaltliche Vorgabe zur Gewährleistung von Pluralität eintreten.
Die Förderung der freien Träger der Jugendarbeit kann und darf nicht aus Opportunitätsgründen gewährt werden. Sie darf sich nicht danach richten, ob die Jugendverbandsarbeit den Vorstellungen von Regierung, von Parlament, einer Koalition oder einer Opposition entspricht. Das Gebot der Partnerschaft verlangt, daß man bei Meinungsstreit miteinander spricht, den anderen hört und per Beschluß im Bundestag keine finanziellen Einzelentscheidungen trifft, sondern nur die Kriterien der Förderungswürdigkeit nach den Bestimmungen des Jugendwohlfahrtsgesetzes zur Entscheidungsgrundlage macht. Bei Ihrem Antrag ist es für mich etwas unheimlich, zu sagen: Wir stellen fest, daß der § 9 Abs. 1 nicht erfüllt wird und die Förderungswürdigkeit nicht gegeben ist. Das muß später Stuttgart machen; das muß gegebenenfalls in einem Gerichtsverfahren entschieden werden, aber doch nicht durch eine Einzelentscheidung unter Voraussetzungen, wie Sie sie zugrunde legen.
Ich sage dies, weil wir Sozialdemokraten in der Jugendförderung, die durch diesen Streit um Naturfreunde, Bundesjugendplan, Sportjugend usw. wieder ins Zwielicht gelangen kann, echte Partnerschaft wollen und weil wir die Arbeit der freien Träger der Jugendarbeit anerkennen und wissen, daß die Aufgaben auf diesem Gebiete nur partnerschaftlich erfüllt werden können. Im übrigen habe ich allen Beteiligten geschrieben, daß die Jugendförderung Schaden leidet, wenn man solche Diskussionen auf dem offenen Markt austrägt.Gestatten Sie mir abschließend noch eine Bemerkung zu den wichtigsten Vorhaben dieser Legislaturperiode im Jugendbereich. Obwohl es dabei die größten finanziellen Schwierigkeiten geben wird, wollen wir die Reform des Jugendhilferechts in Angriff nehmen und nach Möglichkeit in dieser Wahlperiode verabschieden.
Für uns Sozialdemokraten gibt es dabei folgende Schwerpunkte: Verlagerung von der Jugendfürsorge in den Erziehungs- und Bildungsbereich, allgemeine Verbesserung der Rechtsstellung von Kindern und Jugendlichen, Begründung und Konkretisierung von Rechtsansprüchen auf angemessene individuelle Erziehungshilfen, Ausgestaltung der Jugendhilfe zu
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2739
Hauckeinem selbständigen Erziehungsfaktor neben Elternhaus, Schule und Beruf, gleichberechtigte Stellung der freien Jugendarbeit und ihre Absicherung und Qualifizierung und partnerschaftliches Zusammenwirken zwischen öffentlichen und freien Trägern.In dem Zusammenhang werden wir auch der Familie familienergänzende Leistungen anbieten können. Es gibt ja den großen Streit, wo die einen sagen, der Referentenentwurf in der 7. Wahlperiode war ein Familienförderungsgesetz, und die anderen sagen, es war die Öffnung der kommunalen Jugendarbeit. Andere wieder haben gesagt, das sei noch schlechter als das Jugendwohlfahrtsgesetz. Wir wollen bei diesem Gesetz auch den Stellenwert der Familienpolitik ausloten. Das tun wir, wenn wir darangehen und anfangen, das Beiwerk, das Sie aus dem Familienbericht zitieren, wegzuräumen. Wir kommen dann zu einem breiten Konsens. Wir haben gerade ein Gespräch mit der katholischen Kirche geführt. Ich erkenne an, daß man die Zielvorstellungen unserer Familienpolitik als solche anerkennt, aber die Befürchtung hat, daß es bei dieser Ausgangsposition umkippen kann. Daß wir das absichern, daß wir die grundgesetzgemäße Voraussetzung schaffen, ist eine Aufgabe, die wir in der Ausschußberatung gemeinsam zu lösen haben. Da sollte man sich dann auch im Parlament und draußen bei Versammlungen und Fachkonferenzen der gleichen Sprache bedienen. Das hilft unserem Kreis, unserer Jugendarbeit, denen, die auf uns warten, viel mehr, als wenn wir hier Schlachten schlagen, deren Ergebnis am Schluß schon wieder überholt sind.
Ich hoffe also, daß wir dieses Reformvorhaben verwirklichen können und damit den Stellenwert der Jugendpolitik insgesamt verbessern. Ich füge hinzu: Ich hoffe, daß wir als Gesetzgeber, als Deutscher Bundestag damit einen nationalen Beitrag zum internationalen Jahr des Kindes leisten können, das 1979 von den Vereinten Nationen durchgeführt wird. Ich hoffe, wir können das einvernehmlich zum Wohle der Familie und der jungen Generation in diesem Lande durchsetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Glos tut mir hier heute abend leid, denn Sie, Herr Kollege Glos, sind von Ihrer Fraktion in eine verlorene Schlacht geschickt worden.
Zu diesem Ergebnis muß man jedenfalls kommen, wenn man heute abend an einem Gespräch beim Bundesjugendring teilgenommen hat. Dieses Gespräch war vor vier Stunden zu Ende. Dabei ging es vor allem um den Antrag, den Sie hier auch angekündigt haben, nämlich die Mittel für die Naturfreundejugend zu streichen und sie dafür der Deutschen Sportjugend zuzuschreiben. Die Meinung der bei diesem Gespräch anwesenden Unionspolitiker war nicht einheitlich, und ich bin neugierig, wie die Kollegen morgen abstimmen werden, wenn dieser Antrag zur Debatte steht. Wie die Betroffenen selbst über diesen Antrag denken, kann man in einem offenen Brief an Sie, Herr Kohl, lesen. Ich darf Sie daran erinnern, wer den Brief unterschrieben hat: Werner Lichtwark, der Vorsitzende der evangelischen Jugend, und Heinrich Sudmann, Bundesvorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend. Das zeigt deutlich, daß Sie sich hier in der Isolation befinden.
— Ich habe nur die Meinung des Bundesjugendringes kundgetan.
Die Bundesregierung hatte aber in der Vergangenheit immer wieder betont, daß sie die Entwicklung innerhalb der Naturfreundejugend mit Aufmerksamkeit beobachtet, um festzustellen, ob die Förderungsvoraussetzungen noch gegeben sind. Wir können heute feststellen, daß dieser Weg richtig war. Die Beanstandungen, die im vergangenen Jahr zu einer zeitweiligen Sperre der Mittel geführt hatten, sind inzwischen abgestellt. Diese Beanstandungen waren z. B. der Vertrag über die Zusammenarbeit mit der FDJ, der in diesem Jahr nicht mehr verlängert wurde, zum zweiten die Zeitschrift „Schnittpunkt", die in diesem Jahr nicht mehr erschienen ist. Darüber hinaus können wir feststellen, daß sich die personelle Zusammensetzung des Vorstandes anläßlich der Bundesjugendkonferenz vom 17. bis 19. Juni dieses Jahres wesentlich verändert hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?
Ich bin selber in der Zeit sehr knapp. Gestatten Sie mir deshalb, daß ich möglichst schnell zum Schluß komme.Wir werden zwar die Naturfreundejugend Deutschlands weiter im Auge behalten müssen, aber ein unmittelbarer Grund zur Streichung der Förderungsmittel ist nach unserer Meinung zur Zeit jedenfalls nicht gegeben. Darüber hinaus müssen wir auch bedenken, daß im Einzelplan 15 nur der Bundesjugendring als Empfänger aufgeführt ist und eine Kürzung deswegen auch nur den Bundesjugendring treffen kann. Über die Entscheidung der Gelder entscheidet aber der Verband selbst. Genau den Punkt, Herr Kohl, hat der Verband in dem offenen Brief an Sie deutlich aufgeführt.Es ist aber selbst dann, wenn Ihr Antrag durchgehen sollte, nicht völlig sicher, ob die Zuschüsse für die Naturfreunde völlig gestrichen werden oder ob nicht etwa aus Solidarität die Streichung gleichmäßig von allen Verbänden getragen wird.
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2740 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Eimer
Lassen Sie mich noch zu einem Thema kommen, das auch von Herrn Burger angesprochen wurde: das Kindergeld. Die Opposition hatte in der vergangenen Woche Gelegenheit, ihre verbale Familien- und Kinderfreundlichkeit im Plenum unter Beweis zu stellen. Sie hat aber in namentlicher Abstimmung der Erhöhung des Kindergeldes nicht zugestimmt. Kritisiert wurde unter anderem der zu geringe Betrag der Erhöhung. Diese Woche legt nun die Union einen neuen Antrag über Kindergeld auf den Tisch des Hauses, der ebenfalls eine Erhöhung des Kindergeldes vorsieht. Wir müssen feststellen, daß sogar die Beträge die gleichen sind wie die, die bei uns vorgesehen waren. Nun frage ich mich, warum man dann nicht bei dem entsprechenden Punkt unserer Vorlage zugestimmt hat. Herr Burger, ich meine nur diesen einen Punkt. Heute können Sie beweisen, wie ernst es Ihnen um die Erhöhung des Kindergeldes ist. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, brauchten nur dem Einzelplan 15 des Haushalts 1977 zuzustimmen.
Aber auch hier wollen Sie sich, wie mein Vorredner gesagt hat, in Ablehnung üben. Wie reimt sich das alles zusammen? Es ist die klare Linie des Oppositionskurses, und diese klare Linie ist eine Zickzacklinie.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf die Methoden der Opposition näher eingehen. Diese Zickzackstrategie wird verständlich, wenn man sieht, daß die Opposition ihre eigenen Überzeugungen und Programme dann bedenkenlos über Bord wirft, wenn es ihr im Sinne einer Machterlangung opportun erscheint. Dieser Opportunismus ist aber eine gefährliche Sache, weil durch diese Politik jede Sachentscheidung in eine Entscheidung für oder gegen den Kanzler umfunktioniert wird, weil, wie sich bei der Vermögensteuersenkung gezeigt hat, Abgeordnete gezwungen werden, aus übergeordneten Gründen teilweise gegen ihr eigenes Gewissen abzustimmen. Besonders augenfällig war das in Ihrer Fraktion, Herr Kohl.
Damit, meine Damen und Herren von der Opposition, wird ein ganz wichtiges Prinzip unserer Demokratie verwässert. Das fällt mir als Neuling in diesem Haus besonders auf. Ich meine das Prinzip der Gewaltenteilung. Der Gegensatz zwischen Regierung und Parlament wird in diesem Haus immer mehr durch den Gegensatz zwischen Regierungskoalition und Opposition ersetzt.
Das führt nach meiner Überzeugung letztlich zu einer Entmachtung dieses Parlaments. Wir sollten durch unser Verhalten hier im Parlament wieder zu der ursprünglichen Gewaltenteilung zurückkommen.
Ich appelliere deshalb an Sie, diesen Zickzackkurs nicht mehr fortzusetzen.
Verlassen Sie diesen Kurs! Stimmen Sie wie wir dem Einzelplan 15 zu!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kroll-Schlüter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich zu den Äußerungen bezüglich unseres Antrags auf Streichung der Mittel für die „Naturfreunde" Stellung nehmen.Schon im vorigen Jahr haben alle drei Fraktionen einstimmig im zuständigen Ausschuß beschlossen, die Mittel für eine Weile zu sperren. Durch diesen gemeinsamen Beschluß ist deutlich geworden, daß wir allen Anlaß haben, zu überlegen, ob die „Naturfreunde" entsprechend dem Jugendwohlfahrtsgesetz weiter förderungsfähig sind. Berechtigte Zweifel wurden mehrmals angemeldet. Der jüngste Bundeskongreß der „Naturfreunde" hat unsere Bedenken bestätigt.Nach wie vor bestimmen in der Spitze linksradikale, kommunistisch bestimmte Kräfte diesen Verband führend mit. Aber uns kann nicht gleichgültig sein, wohin das Geld der Steuerzahler fließt, auch nicht, wenn es um die populäre Jugendförderung geht. Wir haben uns diesem Auftrag zu stellen.
Wir haben der Bundesregierung angeboten, im zuständigen Ausschuß gemeinsam zu prüfen, inwieweit die „Naturfreunde" förderungswürdig sind. Dieses von mir vorgetragene Angebot ist vom Parlamentarischen Staatssekretär Zander brüsk zurückgewiesen worden. Er hat nicht mit einem Fingerzeig angedeutet, diesen Weg gemeinsam mit uns beschreiten zu wollen.Daraus mußten wir folgern, daß die Bundesregierung unkritisch und undifferenziert die „Naturfreunde" nachhaltig fördern will.Vor diesem Hintergrund verstehen Sie bitte unseren Antrag, der in veränderter Form morgen oder übermorgen von uns nochmals vorgelegt wird. Wir wollen einfach den Eindruck verhindern, als wollten wir über finanzielle Mittel Pressionen ausüben. Das hat diese Fraktion nie getan, und das wird sie nie tun. Sie wird vielmehr immer nur dann, wenn ein Verband nicht mehr förderungswürdig ist, beantragen, die Mittel für ihn zu streichen.
— Herr Westphal, ich habe jahrelang hier gegen Ihren Widerstand dafür gekämpft, die Mittel für den SHB zu streichen. Es hat bei Ihnen Jahre gedauert, bis Sie zur richtigen Einsicht kamen. Schließ-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2741
Kroll-Schlüterlieh haben Sie mit uns gemeinsam den richtigen Beschluß gefaßt.
Was die Deutsche Sportjugend angeht, fallen zwei Sachverhalte zeitlich zusammen. Die Verquikkung ist nicht die glücklichste. Aber, Herr Hauck und Herr Eimer, wir haben in der vergangenen Legislaturperiode in mehreren Gesprächen auch mit der Deutschen Sportjugend zu erkennen gegeben, daß wir bereit sind, die Förderung der Deutschen Sportjugend aus Bundeshaushaltsmitteln mit dem Ziel der Steigerung zu überprüfen. Das ist mehrmals von allen Fraktionen des Hauses gesagt worden. Wenn man das sagt, wenn man ernstgenommen werden will, muß man auch mal zu Potte kommen.Hier sahen wir eine Gelegenheit, unseren guten Willen zu beweisen. Diesen guten Willen werden wir auch künftig nachhaltig beweisen — ich hoffe: mit Ihnen gemeinsam.
Deswegen: lösen Sie sich von der bisherigen Argumentation! Sie ist schon längst überholt. Wir sind einsichtig. Wir möchten, daß unsere Inhalte gerettet werden. Deswegen wird unser Antrag, etwas geändert, in der Substanz aber nicht geschmälert, am Freitag neu vorgelegt.Was die Jugendpolitik dieser Bundesregierung angeht, so ist das jugendpolitische Feld genauso kahl geblieben wie in der vergangenen Legislaturperiode. Seit fünf Jahren versprechen Sie ein neues Jugendschutzgesetz. Ergebnis: Bisher keine Initiative.Es gibt einen beängstigenden Anstieg im Drogenkonsum und den steigenden Jugendalkoholismus. Es gibt einen beängstigenden Anstieg im Bereich junger Menschen, was Resignation, Verdrossenheit angeht. Es gibt viele bedenkliche Entwicklungen im Bereich junger Menschen, die zu tatkräftigen Initiativen des Parlaments und der Bundesregierung führen sollten. Eines möchte ich hier klipp und klar zum Ausdruck bringen. Die jungen Menschen in diesem Lande, so hat es einmal Professor Lempp dargelegt, leiden unter folgendem Tatbestand: auf der einen Seite eine immer schnellere Entwicklung, mehr Mobilität, mehr Reform, auf der anderen Seite immer weniger Orientierung, immer weniger Perspektive. Genau in dieser Kluft der mangelnden Identifikation werden viele Menschen zerrieben. Nehmen Sie das nicht leicht! Genau in dieser Kluft finden viele Menschen zur Resignation, zur Droge, zum Alkoholismus, zur steigenden Kriminalität.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Ende.
Es ist bedrückend, in dieser Situation eine durch und durch phantasielose Bundesregierung zu haben. Damit das aufhört, werden wir weiter Initiativen zur Förderung der jungen Menschen in diesem Lande ergreifen, damit sie eine hoffnungsvolle, freiheitliche Perspektive weiterhin haben können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Opposition heute abend hört, möchte man meinen, sie hätte ein ganzes Bündel von Anträgen mitgebracht zur Erhöhung vieler Maßnahmen, von denen sie hier so wunderschön redet. Nicht ein einziger Antrag ist vorgelegt worden, mit Ausnahme eines angekündigten, der die „Naturfreunde" betreffen soll; und der soll noch geändert werden. Er soll zudem eine Streichung zum Inhalt haben, von der nur ein Tausendstel unseres Haushaltes betroffen ist.Ich muß Ihnen sagen: Ihnen mangelt es an Rechtskenntnis. Sonst hätten Sie gewußt, daß es in der Zeit, in der Sie Regierungsverantwortung trugen, eingerichtet wurde, daß der Bundesjugendring darüber verfügt. Ohne Anhörung, ohne rechtliches Gehör und ohne eine Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums können die Mittel gar nicht gestrichen werden.Trifft es eigentlich zu, Herr Kohl, daß Sie dem Bundesjugendring — bei einem Besuch — versprochen haben, daß er sich jederzeit an Sie wenden könne? Aber nun, da er eine Sorge hatte und sich an Sie wenden wollte, waren Sie nicht zu sprechen. Trifft das zu? Wir haben den Abdruck eines Briefes bekommen, in dem Sie gebeten worden sind — —
— Ja, das wäre vielleicht nicht schlecht.
— Ich rede über das, was Sie hier zu meinem Haushalt vorgebracht haben.
— Dann bringen Sie derartige Überlegungen hier nicht ein. Wenn Sie das tun, rede ich darüber.
Ich finde die Art, wie Sie die Sache betreiben und die Dinge ohne jede genaue Kenntnis hier vorbringen, ausgesprochen unparlamentarisch.
— Darauf können Sie sich verlassen.
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2742 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Bundesminister Frau Huber— Herr Franke, wir haben uns ja öfter schon in diesem Hause unterhalten; daran brauchen Sie mich nicht zu erinnern.
— Mich läßt das völlig kalt, welche Zensuren mir hier jemand erteilt, der heute zum erstenmal redet.
— Nein, durchaus nicht. Das haben Sie völlig mißverstanden. Da kann man sehen, wie Sie zuhören! Ich finde es aber außerordentlich arrogant, wenn Sie nicht nur Zensuren erteilen, sondern mit Ihrem ganzen Unwissen Ihren Stil verbrämen und dann noch Dinge hier zum Ausdruck bringen, die überhaupt nicht zutreffen.
— Ihr Lächeln bewirkt bei mir gar nichts, Herr Kohl.
Sehen Sie mal, Herr Glos, daß Sie unser Godesberger Programm nicht richtig kennen —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?
Nein, jetzt im Moment bitte nicht.Daß Sie unser Godesberger Programm nicht richtig kennen und auch falsch zitiert haben, das nehme ich Ihnen nicht übel.Aber daß hier ein anderer Abgeordneter, der schon länger in diesem Hause ist, davon spricht, daß wir uns Ihre Enzykliken anhören sollten, so etwas habe ich noch nicht gehört.
Haben Sie die gepachtet? Das ist wirklich sagenhaft.
(Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Sie habeneine Stimme wie Giesela Schlüter!)Was unsere Broschüren betrifft, Herr Glos, so ist dazu folgendes zu sagen. Diese Broschüren sind vom Bundesverfassungsgericht als ein Beispiel dafür gelobt worden, wie eine Information aussehen kann, die nicht in dem Ruche steht, einer Regierung zu Wahlpropaganda zu verhelfen. Sie sind ausdrücklich als Musterbeispiel deklariert worden. Es gibt — ich habe mich gerade erkundigt — bis jetzt eine einzige Broschüre, die mein Bild tragen soll. Ich habe sie noch nicht gesehen. Ich habe diese Aufmachung auch nicht erbeten. Daran können Sie aber wieder einmal sehen, was Sie hier verbreiten. Sie sprachen von zahllosen Broschüren und Magazinenauf Hochglanzpapier, wir haben sie nie beabsichtigt und beschlossen.
— Sie sprechen hier längst abgehandelte Haushalte an, wie z. B. den Haushalt vom Arbeitsminister, bei dem bereits breit über die Jugendarbeitslosigkeit gesprochen worden ist und bei dem Sie Ihre Antwort zu Ihren Darlegungen erhalten haben, und wo Ihnen gesagt wurde, wie das von uns bewertet wird. Dann reden Sie über den Haushalt des Bundesministers der Justiz,
der auch schon abgehandelt ist. Dann reden Sie über die elterliche Sorge.
— Wenn Sie nur das wollen; das kann ich gerne tun.Uns geht es um Sorge; Ihnen geht es um Autorität.
Sie haben unseren Frauentitel angegriffen. Ich verstehe das nicht. Das ist zwar nur ein kleiner Titel; aber wir bemühen uns, mit diesen Mitteln durch Modelle und mit Öffentlichkeitsarbeit und ähnlichem die Emanzipation der Frauen zu verbessern. Davon haben Sie wohl noch nichts gehört? Ich kann Ihnen wiederholen — ganz gleich, wie Sie es beurteilen —, was Herr Staatssekretär Wolters gesagt hat: es gibt Frauen, die zu Hause ihr Dasein fristen und es auch so empfinden, weil Sie ihnen viele Jahre überhaupt keine Emanzipationsmöglichkeiten eingeräumt haben.
Was soll Ihre kollektive Bevormundung?
— Ach, Ihr „gnädige Frau"! Haben Sie einmal die berufstätigen Frauen mit Kindern gefragt? Ein Drittel unserer Beschäftigten sind Frauen. Davon haben zwei Drittel Kinder unter 16 Jahren. Haben Sie diese Frauen einmal gefragt, wieviel sie von Entlastungsmaßnahmen halten, die für den Alltag wichtig sind? Haben Sie sich mit ihnen schon einmal unterhalten?
— Das können Sie nicht aus unserem Haus haben; das haben wir nicht beschlossen, wie ich vorhin schon sagte. Jetzt möchte ich auf Herrn Burger eingehen. Er sprach über die Bevölkerungsstruktur. Welche Rezepte haben Sie hierfür eigentlich? Sie werfen uns immer wieder vor, daß wir nichts für
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2743
Bundesminister Frau Huberdie Bevölkerungsstruktur täten. Ich muß Ihnen sagen: wir glauben nicht, daß wir ein Recht haben, Ehepaare darin zu bevormunden, wie viele Kinder sie wollen und wann sie Kinder wollen.
Glauben Sie nur nicht, daß man mit 10 DM mehr Kindergeld schon mehr Kinder bekäme.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für die Rednerin.
Dafür gibt es Beispiele in Kanada und Frankreich. Gerade in Kanada — in der Provinz Quebec — gibt es bei den höchsten Zuwendungen an Kindergeld die geringsten Geburtenraten.
Nun zu Ihrer Aufforderung an uns, wir sollten Überlegungen zum Erziehungsgeld anstellen. Ich meine, das entwickelt sich nun langsam zu einer Farce. Ich erinnere mich: 1974 sind Sie vier Wochen vor der Abstimmung gerade noch auf unser neues Kindergeldsystem aufgesprungen. Das Land Bayern wollte noch einmal nach dem alten System Kinderfreibeträge beantragen. Sie taten sich außerordentlich schwer, dieses Kindergeldsystem — Kindergeld für alle Kinder — überhaupt mitzumachen. Dann haben wir erlebt, wie Sie diese Kindergeldregelung abgelehnt haben. Sie haben sie nicht im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer abgelehnt, sondern in einer Einzelabstimmung, zusammen mit der Gewerbesteuer.
Sie haben nun auch keinerlei Antrag eingebracht, der vorsieht, mehr Kindergeld zu gewähren. Was Sie gestern eingebracht haben, ist hinsichtlich der Höhe von uns abgeschrieben. In diesem Antrag ist nicht eine müde Mark mehr aufgeführt.
Da bin ich mir nicht sicher.
Nun zum Erziehungsgeld selbst. Im Wahlkampf haben Sie verkündet, Erziehungsgeld werde gewährt werden, in Ihrem Wahlprogramm war davon jedoch nichts zu lesen. Nachdem sich dieser Bundestag konstituiert hatte, sprachen Sie wieder vom Erziehungsgeld. Wir hören, daß die CDU es will, die CSU aber nicht. Sie brachten seinerzeit eine Vorlage ein und ziehen sie später wieder zurück. Dann hören wir, daß die Finanzexperten der CDU die Vorlag auch nicht gut finden, weil das zu teuer würde. Das verbreiten sie lautstark. Und heute fordern Sie uns nun auf, wir sollten das Erziehungsgeld einführen. Einer versteigt sich sogar dazu, zu sagen, Herr Strauß würde einsehen, was Herr Burger meint. Glauben Sie das wirklich?
Dann bringen Sie wieder die Armutskampagne. Dazu will ich nur kurz sagen: Bei Ihnen gilt offensichtlich der Maßstab: je höher die Sozialhilfe, desto größer die Armut. Aber es sind doch gerade die Ihnen nahestehenden Verbände, die jetzt verlangen, daß die Sozialhilfe gekappt werden soll, weil sie zu üppig sei. Wenn die Höhe nun heruntergesetzt wird, dann haben wir wohl weniger Arme, aber nur nach Ihrem Maßstab, der die Sozialhilfe hierzu macht. Ich finde, die Sozialhilfe ist nicht dazu geeignet, dauernd als Maßstab bei der Armutsdiskussion mißbraucht zu werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen und ihre Aufmerksamkeit der Rednerin zu schenken.
— Ich bitte Sie nochmals um Aufmerksamkeit für die Rednerin.
Sie sollten Ihre Karten endlich klar auf den Tisch legen. Bislang tragen Sie durch Ihre Beiträge und Verhaltensweisen sowohl speziell im Zusammenhang mit dem Kindergeld, als auch generell im Zusammenhang mit diesem Haushalt nur dazu bei, die Familien in unserem Lande zu verunsichern.
Die Armut betrifft doch überhaupt nur eine ganz winzige Gruppe unserer Bevölkerung, und die Diskussion darüber führen Sie mit Hilfe eines falschen Maßstabes.Und wenn Sie von Resignation sprechen: Wer resigniert denn eigentlich in diesem Lande? Doch nur die Leute, denen Sie das einreden möchten.
Sie sprechen von großen Konzeptionen und haben nicht einmal Anträge zu kleinen Teilbereichen eingebracht.
Dann haben Sie im Zusammenhang mit der Finanzierung der Naturfreundejugend Deutschlands aus dem Bundesjugendplan Herrn Staatssekretär Zander beschuldigt, sich bei der Diskussion über dieses Thema brüsk verhalten zu haben. Herr KrollSchlüter, da muß ich Sie fragen: Haben Sie nicht gesagt, auch extreme Jusos seien Mitglieder der Naturfreundejugend und deswegen müsse das Geld gestrichen werden?
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2744 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Bundesminister Frau Huber— Wir sprechen über die Jusos so, wie wir das für richtig halten, Herr Kohl.
— Es gibt sicherlich manche Jusos, die in ihrer Jugend irren, aber durch ihre Irrtümer vielleicht mehr bewegen als manche, die heute gesprochen haben, Herr Kohl.
Sie sprechen immer von Liebe und Partnerschaft, Sie verwenden immer schöne Worte; aber wenn man sie einmal untersucht, kommt man zu dem Ergebnis: alles hohle Hand.
— Mich können Sie mit Ihren Zwischenrufen nicht erschüttern, ich bin nicht so gebaut.
Ich sage es deutlich: Wir finden, daß sich Familienpolitik nicht nur auf Geldleistungen und materielle Dinge bezieht. Sie aber haben nur davon gesprochen.
Wir möchten insbesondere eine familienfreundliche Umwelt schaffen und dazu beitragen, daß die Familien und alle Menschen kinderfreundlicher werden. Wir werden uns darum in einem Programm bemühen. Ich befürchte, daß nach den heutigen Auftritten keine Schützenhilfe von der Opposition zu erhoffen ist. Ich habe nur Deklamationen gehört.
— Das ist doch wohl kein unparlamentarisches Wort, oder?
Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich verhalten werden.Herr Kollege Hauck hat darauf hingewiesen, daß wir als einen Schwerpunkt die Jugendhilfe haben.
— Ja, das weiß ich. Trotzdem ist es nicht unaktuell. Der Erfolg hängt aber entscheidend davon ab, ob die von der CDU/CSU geführten Länder mitmachen werden.
Ich halte es für außerordentlich bedauerlich, daß Sie gerade diesen Haushalt ablehnen, obwohl Sie keine Anträge eingebracht haben. Denn dies ist der Haushalt der menschlichen Hilfen.
Er bringt das Kindergeld und größere Beträge für die Jugendarbeit. Er hilft uns, wenigstens in Modellversuchen — die Sie ja so sehr kritisiert haben —, die mißhandelten Frauen, die arbeitslosen Frauen, diejenigen Frauen, die Beratungsstellen für Familienplanung usw. nötig haben, ein bißchen zu unterstützen. Und wieviel Hilfe erhalten wir da von Ihnen?Nichts haben Sie gesagt über Vorsorgeuntersuchungen und vorbeugende Medizin.
— Sie hätten gern, aber Sie haben nicht. Vielleichtgelingt es Ihnen das nächste Mal, Herr Oberlehrer.
Dieser Haushalt ist diesmal nur ein wenig angewachsen. Sein Volumen wird aber das nächste Mal bedeutend größer sein, wenn wir das Kindergeld noch einmal um 1,8 Milliarden DM aufstocken werden. Wir denken, wir haben ein deutliches Zeichen gesetzt für das, was wir wirklich wollen. Wir befinden uns in einer Zeit, in der es schwerfällt, einen Haushalt auszubauen. Aber dieser Haushalt hat Erhöhungen erfahren. Wir zeigen damit unsere Prioritäten, auch wenn wir größere Ziele nur in kleinen Schritten erreichen können. Was Sie dagegensetzen; trägt eigentlich nur zur Verunsicherung bei, eine Hoffnungslosigkeit zu schüren, die gar nicht am Platze ist. Wenn Sie die Umfrageergebnisse verfolgen, finden Sie nicht bestätigt, daß es den Leuten so schlecht geht. Sie haben mit Ihrer Schwarzmalerei keine Unterstützung in der öffentlichen Meinung in diesem Lande.
Ich kann mir für die Zukunft nur wünschen, daß Sie mehr Einsicht in die Bedeutung dieses Haushalts und seine Prioritäten haben mögen.Ich darf mich bei sämtlichen Berichterstattern sowie bei allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses und des Fachausschusses herzlich für die geleistete Arbeit bedanken. Ich darf hoffen, daß wir um der Sache willen — trotz allem und trotz dieser nicht sehr erfreulichen Debatte — weiterhin eine gute Zusammenarbeit haben werden. Ich bedanke mich nicht gerade für die Beiträge der Opposition, ich nehme sie dennoch als ein Zeichen dafür, daß wir trotzdem auf diesem Felde kräftig weiterarbeiten und vieles erreichen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 15. Wer dem Einzelplan 15 in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit;
der Einzelplan 15 ist angenommen.
Präsident Carstens
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 31
Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
— Drucksache 8/512 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Stavenhagen
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort?
Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht?
— Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Zu Einzelplan 31 liegt auf Drucksache 8/625 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Bitte schön, Frau Abgeordnete Dr. Wilms.
— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie wirklich sehr nachdrücklich um etwas mehr Ruhe.
Es ist für einen geordneten Ablauf der Debatte wirklich unerläßlich, daß die Kollegen, die hier im Saal sind, der Rednerin oder dem Redner zuhören.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Hinblick auf die künftige Bildungspolitik der Bundesregierung und damit auch auf die Gestaltung des Haushalts haben wir Ihnen in der Drucksache 8/625 einen Änderungsantrag zum Problemkreis „Förderung der beruflichen Bildung" vorgelegt. Ich möchte diesen Antrag kurz begründen und noch einiges zu zwei Aspekten der Bildungspolitik ausführen.Die Regierungen der SPD /FDP-Koalition sind einmal mit dem Versprechen und der Vision angetreten, der jungen Generation ein Mehr an allgemeiner und beruflicher Bildung, an vollem Zugang zu den Hochschulen, an beruflichem und sozialem Aufstieg, frei von Leistungsdruck und materiellen Sorgen, bieten zu wollen.
Die heutige Wirklichkeit sieht, wie wir alle wissen, sehr ernüchternd aus. Die Zahlen der jugendlichen Arbeitslosen, der Ausbildungsplatzsuchenden, der vor den Hochschulen Wartenden, der Berufssuchenden sprechen für sich. Nie seit Beendigung der Wiederaufbauphase in der Bundesrepublik sah sich die junge Generation vor schlechtere Zukunftsperspektiven gestellt als heute.Meine Damen und Herren, diese und andere Probleme sind keineswegs ausschließlich auf die geburtenstarken Jahrgänge zurückzuführen, die uns jetzt und in den kommenden Jahren besonders gravierende Sorgen bereiten. Hier machen sich auch die negativen Folgen der SPD /FDP-Bildungspolitik bemerkbar,
die seinerzeit auf einer Woge von Reformutopie und -euphorie daherkam. Die Bundesregierung hat es zwar verstanden, bei den jungen Menschen viele Hoffnungen zu wecken — angefangen beim Bildungsbericht '70 bis zu den Wahlversprechungen des Bundeskanzlers an die junge Generation —, hat es aber an einer realistischen Politik, die sich an den Bedürfnissen der jungen Menschen und nicht an Ideologien orientiert, lange Zeit fehlen lassen.Seit Jahren werden Vorstellungen propagiert, die davon ausgehen, nur Abitur und Studium seien letztlich bildungspolitisch erstrebenswert. Heute sieht man auch in der Koalition besorgt auf die Auseinanderentwicklung von Bildungswesen und Beschäftigungssystem. Wenn bis zum Jahre 1980 ca. 100 000 ausgebildete Lehrer eine Anstellung beim Staat nicht finden, ist das auch eine Folge dieser Auseinanderentwicklung, und wenn an den Universitäten — etwa in Köln — heute schon Jurastudenten sind, die keine Anstellung mehr finden, zeigt sich, daß auch auf diesem Gebiet — wie auf vielen anderen — ein Auseinanderklaffen von Bildungs- und Beschäftigungssystem zu verzeichnen ist. Dies wird sich verschärfen, wenn — laut Wissenschaftsrat — in Zukunft nicht mehr 60 %, sondern nur noch 15 °/o der Hochschulabsolventen in den Staatsdienst kommen, die Wirtschaft aber nach eigenen Angaben die anderen 85 % nicht aufnehmen kann.Es ist für die heutige studierende junge Generation auch wenig tröstlich, von Sprechern der Bundesregierung zu hören, in ein bis zwei Jahrzehnten hätte sich dies alles wieder auf einem Niveau eingependelt, bei dem, wie es in anderen Ländern schon üblich ist, der Akademiker eben nicht mehr sei als ein Facharbeiter. Diese These mag sich — wir wissen es alle nicht — unter Umständen langfristig sogar als richtig erweisen. Wenn man dies aber heute den Jugendlichen als Trost sagt, so muß dies von ihnen geradezu als eine Verhöhnung empfunden werden.
Die Bundesregierung hat die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen Bildungswesen und Beschäftigungssystem und wiederum die Abhängigkeiten beider von den wirtschafts- und finanzpolitischen Entwicklungen nicht rechtzeitig gesehen oder aus ideologischen Gründen nicht sehen wollen. An dieser Stelle fehlt bis heute eine entscheidende Kurskorrektur, die zu einer in sich ausgewogenen Politik führt, die weder einer vollen Autonomie der Bildungspolitik noch einer Vorherrschaft der Beschäftigungspolitik das Wort redet.Die Bundesregierung konzentriert ihre Bemühungen auch heute noch mehr oder weniger einseitig auf das, was sie die Öffnung der Hochschulen nennt, statt zu einer Politik einer in sich differenzierten Öffnung des gesamten Bildungswesens zu kommen.
Zur Lösung der beruflichen Probleme der besonders benachteiligten Jugendlichen, beispielsweise
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2746 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Frau Dr. Wilmsder Sonderschüler oder der Hauptschüler ohne Schulabschluß, hat die Bundesregierung bislang nicht viel beigetragen. Aber auch bei der Verbesserung der Bildungschancen für unsere Abiturienten müßte die Bundesregierung eigentlich erkennen, daß den jungen Menschen nicht damit geholfen ist, ihnen immer noch mehr Studiengänge anzubieten, an deren Ende für viele keine adäquate Berufschance steht.
Es wäre besser gewesen, wenn die Bundesregierung mit der gleichen Intensität, mit der sie die Ausweitung der Abiturientenquote propagiert hat, rechtzeitig auch die berufliche Bildung auf allen Qualifikationsebenen vorangetrieben hätte.
Wir brauchen eine in sich differenzierte Bildungspolitik, damit auch die Durchlässigkeit, der berufliche und soziale Aufstieg von unten nach oben für den einzelnen noch gewährleistet ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Scheu?
Nein, ich möchte weitermachen. — Leider war aber die berufliche Bildung, insbesondere das duale System, jahrelang das Stiefkind der SPD /FDP-Bildungspolitik und zum Teil, wie Sie alle wissen, auch ideologischen Anfeindungen ausgesetzt. An den Folgen dieser Politik leiden wir alle heute noch. Zwar hören wir in letzter Zeit sehr viel Positives über das duale System der beruflichen Bildung, aber verbale Beteuerungen helfen allein nicht weiter, sondern umfassende konkrete Maßnahmen sind erforderlich.
Eine Fassadenkosmetik ist nicht das, was gerade heute in der Berufsbildungspolitik gefragt ist. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat deshalb am 12. Mai 1977 ein Programm zur Sicherung und Weiterentwicklung des Ausbildungsplatzangebotes und zur Verbreiterung der Arbeitsmöglichkeiten für Jugendliche im Bundestag eingebracht.
Sie dokumentiert damit, daß sie zusammen mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die wichtigste Zukunftsaufgabe darin sieht, allen jungen Menschen in unserem Lande in den nächsten Jahren die Möglichkeit einer Berufsausbildung zu geben. Alle Energien in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft müssen sich auf die Sicherung und Erweiterung des Ausbildungsplatzangebotes in der ganzen Breite konzentrieren. Dies ist einerseits eine Frage gezielter Maßnahmen, andererseits aber auch die eines Vertrauensklimas zwischen allen Beteiligten. Wir brauchen Maßnahmen und Gesetze, die die Beteiligten zu verstärkten Anstrengungen motivieren und nichtverunsichern, wie es etwa durch das Arbeitsplatzförderungsgesetz geschehen ist.Die Union begrüßt, daß die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverhältnisse im Jahre 1976 gegenüber dem Vorjahr um über 30 000 gestiegen ist, und zwar ausschließlich im Bereich der Wirtschaft. Diese erfreuliche Entwicklung bestätigt die Effizienz und die Flexibilität des dualen Systems der Ausbildung und macht unseres Erachtens deutlich, daß über Gesetze und Verordnungen hinaus Kooperationen und Verantwortungsbewußtsein aller Beteiligten die wichtigste Voraussetzung dafür sind, der stark steigenden Zahl von Jugendlichen in den kommenden Jahren qualifizierte Ausbildungsplätze anzubieten. Wir setzen auch hier auf die Freiheitlichkeit unseres Systems.
Die Union kritisiert entschieden, daß die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge im öffentlichen Dienst gesunken ist. Wir halten es für alarmierend und unverständlich, wenn jetzt die Stilllegung von weiteren — wie es heißt tausend — Arbeitsplätzen bei der Bundesbahn zum 1. September 1977 überlegt wird. Ein schlechteres Beispiel kann die Bundesregierung der ausbildenden Wirtschaft kaum geben.Das vorhandene Engagement zur Ausbildung muß durch eine gezielte Förderungspolitik von Bund und Ländern unterstützt und ausgebaut werden. Diesem Ziel dient das Programm der Union, das einen ausgewogenen Förderungskatalog enthält, um das Angebot an qualifizierten Ausbildungsplätzen für alle Jugendlichen zu erhöhen.
Diesem Programm, das wir vorgelegt haben und das wir ja wohl in der ersten Septemberwoche gemeinsam diskutieren werden, hat die Bundesregierung bislang nichts Vergleichbares entgegenzusetzen gewußt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden aus den genannten Gründen, die sich noch um viele andere, etwa der Modellpolitik oder der Ausbildungsförderungspolitik, anreichern ließen, den Einzelplan 31 ablehnen.
Die Bildungspolitik der Bundesregierung ist in ihren generellen Zielen und Inhalten noch längst nicht von der Kurskorrektur geprägt, die notwendig ist, um der Bildungsprobleme der nächsten Jahre Herr zu werden. Wir wünschen aber, daß der Bundestag auch in diesem Haushalt die Voraussetzungen für eine wirkungsvollere Berufsbildungspolitik zugunsten der jungen Menschen in unserem Lande schafft. Wir haben deshalb in konsequenter Fortführung unseres Ausbildungsprogramms in der Drucksache 8/625 einen Änderungsantrag vorgelegt. Er sieht vor, in einem nach Kap. 3103 einzufügenden Kap. 3104 Haushaltsmittel durch Umschichtung bereitzustellen, die es dem Bund erlauben, Jugendliche über den eigenen Bedarf hinaus auszubilden, eine freiwillige
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2747
Frau Dr. WilmsBeschäftigung von arbeitslosen Jugendlichen im Dienstleistungsbereich zu ermöglichen, ferner der Bundesanstalt für Arbeit die Durchführung der ihr übertragenen Maßnahmen zu sichern.Meine Damen und Herren, wir werden zur dritten Lesung zwei Entschließungsanträge einbringen, die die Bundesregierung auffordern, im Rahmen der verfügbaren Mittel verstärkt Modellversuche zu fördern, die erstens die Modelle zur Schaffung berufsqualifizierender Bildungsgänge im tertiären Bereich außerhalb der Hochschule verbessern und die zweitens neue Modelle der Kooperation zwischen Betrieben und überbetrieblichen Bildungseinrichtungen verstärkt fördern sollen, also Verbundsysteme schaffen sollen, durch welche bisher nicht oder nur in geringerem Umfang ausbildende Betriebe an die Ausbildung herangeführt werden sollen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren gerade von der Koalition, wir bitten Sie, diesem Änderungsantrag in der zweiten Lesung und den beiden Entschließungsanträgen in der dritten Lesung zuzustimmen.
Sie können damit durch Fakten Signale in der Bildungspolitik setzen, die sicherlich auch in der Offentlichkeit verstanden werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Westphal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Wilms, eine Antragsbegründung war das nicht.
Das, was wir vereinbart hatten, war, uns heute abend in Anbetracht des Fortschreitens der Zeit wohl oder übel die Bildungsdebatte zu ersparen und uns auf die Antragsdebatte zu beschränken. Aber gut, Sie haben Rabatt, das war Ihre erste Rede; insofern honorieren wir das.
Wir gehen sogar noch weiter, Frau Wilms, indem wir — ich will die Gründe dafür gleich vortragen — den Antrag, den Sie hier vorgelegt und in den letzten Minuten Ihrer Redezeit noch mit ein paar Sätzen bedacht haben, nicht sofort abweisen wollen, sondern ihn beraten wollen und deshalb um Überweisung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und an den Haushaltsausschuß, Herr Präsident, bitten.
Lassen Sie mich zu diesem Antrag der CDU/CSU ein paar Gedanken sagen. Wenn Sie in den Bildungsetat dieses Hauses einen Titel aufnehmen wollen, der etwas mit Lehre zu tun hat, dann hätte jemand wie ich nichts dagegen. Das, was Sie uns vorschlagen, ist aber eine Sammlung von L e e rtiteln, also Titeln ohne Geldansatz.
Wer so etwas hier vorschlägt, um zu kaschieren,
daß er selber im Hinblick auf das, worum es geht,
nämlich für junge Menschen Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze zu schaffen, nicht mehr als Leertitel zu bieten hat, der demaskiert sich selbst.
Das Geld dafür, so habe ich dem zweiten Absatz Ihres Antrags entnehmen müssen, wollen Sie sich dadurch beschaffen, daß Sie durch Deckungsfähigkeit die Mittel da abziehen, wo wir sie im Rahmen sinnvoller Bildungspolitik für den Bau von überbetrieblichen Ausbildungsplätzen und den Ausbau von Kapazitäten in der beruflichen Bildung verwenden. Sie ziehen also Investitionsmittel in der Absicht ab, sie zur Deckung von Personalkosten zu verwenden. Diese Umlenkung von Mitteln für Investitionen in den Personalbereich ist ein abenteuerlicher Vorschlag.
Daneben steht — das muß man noch hinzufügen — die Zuweisung von nicht vorhandenen Mitteln — wie das bei Leertiteln nun einmal der Fall ist — an die Bundesanstalt für Arbeit, um dort Programme fördern zu können, die die Bundesanstalt für Arbeit längst durchführt. Es soll also etwas eingeführt werden, was es schon gibt. Auch freie Verbände sollen nicht vorhandene Mittel bekommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie nochmals um Ruhe und um Ihre Aufmerksamkeit für den Redner. Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die stehen, Platz zu nehmen. Ich bitte auch die im Hintergrund des Saales Stehenden, Platz zu nehmen. Es ist für den jeweiligen Redner eine wirklich unzumutbare Situation, wenn er hier gegen eine Geräuschkulisse ansprechen muß.
Herr Abgeordneter, bitte schön.
Staunend steht derjenige, der sich mit Haushaltsfragen befaßt, diesem haushaltsrechtlichen Unikum gegenüber, das uns mit soviel Unverfrorenheit als Antrag vorgelegt worden ist. So geht es nicht.Eigentlich müßte man also schon aus formalen Gründen vorschlagen, den Antrag gleich abzulehnen, auch um zu vermeiden, daß etwas, was schon getan wird, hier nur noch einmal aufgeschrieben wird. Aber, wie gesagt, wir empfehlen die Überweisung, um Ihnen dann in den Beratungen der Ausschüsse Punkt für Punkt nachweisen zu können, was schon geschieht, was Sie durch Ihren Antrag behindern, und um auch darüber sprechen zu können, was die Bundesregierung auf Anregung der Koalitionsfraktionen, in diesem Fall, insbesondere der sozialdemokratischen, tut, um in dem vom Bund direkt beeinflußten Bereich für neue Ausbildungskapazitäten zu sorgen.Sie sprachen davon, daß die Deutsche Bundesbahn tausend Stellen weniger anbieten würde. Das müssen Sie falsch gelesen haben. Das Bundeskabinett hat die Absicht, in der nächsten Woche, am 29. Juni dieses Jahres, Beschluß über das zu fassen, was ein Staatssekretärsausschuß bereits vorbereitet hat, nämlich bei der Deutschen Bundesbahn tausend
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WestphalPlätze, die dort zur Verfügung stehen, als Ausbildungsplätze zu besetzen, so daß dort mehr junge Leute ausgebildet werden können.
Ähnliches wird auch schon seit längerer Zeit bei der Post vorbereitet. Das heißt, wir tun das, was Sie uns mit sinnlosen Leertiteln empfehlen.Ich will noch zwei, drei Gedanken hinzufügen. Herr Kohl, Sie gucken mich so freundlich an. Gestern ist Ihnen empfohlen worden, Auslandsreisen zu machen, um Ihre Bildung auf dem Gebiet der Außenpolitik zu vergrößern. — Sie machen das sicher gern. Jemand anders hat Ihnen vorgeschlagen, ein bißchen mehr zur Bundeswehr zu gehen, um einen Eindruck der inneren Verhältnisse dort zu gewinnen. Ich wollte noch einen Vorschlag zu Ihrem Erwachsenenbildungsprogramm machen — wenn auch einen nicht so teuren.
Herr Kohl, was ich Ihnen für die Anreicherung Ihres Erwachsenenbildungsprogramms für Sie persönlich vorschlagen wollte, ist, einfach mal eine ruhige Stunde zu benutzen und im Haushalt zu lesen. Dann würden Sie all das finden, was diese Bundesregierung — unterstützt von den Fraktionen der Liberalen und der Sozialdemokraten — tut, um in diesem Land mehr Ausbildungsplätze zu schaffen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die schwierige Lage, in der wir uns tatsächlich befinden, im Hinblick auf die junge Generation meistern zu können. Sehen Sie einmal hinein.Der Bund hat sich mit den Ländern geeinigt, im Rahmen des Programms „Zukunftsinvestitionen" in den nächsten Jahren 600 Millionen DM — davon 350 Millionen DM der Bund und 250 Millionen DM die Länder — Zuschüsse für Investitionen zur Förderung überbetrieblicher beruflicher Ausbildungsstätten zu gewähren und für die Zuweisung an Einrichtungen im Rahmen der Titelgruppe „Investitionen zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungskapazitäten" bereitzustellen. Das sind 600 Millionen DM mehr allein aus diesem Programm, das jetzt anläuft. Dies ist zum Teil eine Aufstockung des schon im vergangenen Jahr begonnen Programms, wobei wir die Länder dazu bewegen mußten, mitzumachen, indem der Bund im Rahmen eines 400-Millionen-Programms anbietet, den Ländern die Hälfte der Mittel dazuzugeben, damit sie im Bereich der beruflichen Schulen zusätzliche Ausbildungskapazitäten schaffen.Nimmt man alles zusammen unter Einschluß der 350 Millionen DM für überbetriebliche Ausbildungsstätten, die der Bund mit einem Anteil von 80 °/o allein fördert und bereits bewilligt hat, dann stehen für die berufliche Bildung — ich beziehe mich nur auf diesen Sektor, weil ich mich auf die Begründung des Antrages beschränken will — mittelfristig durch Bund und Länder 2,3 Milliarden DM zur Verfügung. Sie müssen nicht erst in Programme geschrieben werden; sie stehen bereits im Haushalt.Herr Kohl, lesen sie es nach, und vielleicht auch Sie, Frau Wilms!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Schuchardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Wilms hat hier einen Antrag begründet, allerdings die gleiche Rede gehalten, die sie vermutlich auch gehalten hätte, wenn wir das, was vorher abgesprochen war, eingehalten hätten, wenn wir also alle geredet hätten. Ich bitte Sie sehr um Entschuldigung, daß ich Ihre Zeit zu dieser späten Stunde noch mit Fragen der Bildungspolitik in Anspruch nehme. Ich möchte aber noch einige wenige Gedanken zum Ausdruck bringen.Das Hauptproblem, das völlig unberücksichtigt blieb, ist der demographische Unterschied zwischen den Jahrgängen, der durch die Folge zweier Weltkriege hervorgerufen worden ist. Das ist das Problem der Zukunft. Hier geht es darum — das ist schwer zu bewältigen, aber es muß bewältigt werden —, daß man den geburtenstarken Jahrgängen seitens der Politik nun nicht sagen kann: Es tut uns außerordentlich leid, daß ihr in einem geburtenstarken Jahrgang geboren worden seid und eure Bildungschancen folglich geringer sind. Unser Ziel ist, daß die Chancengleichheit auch für unterschiedlich starke Jahrgänge gilt. Das bedeutet, daß man in Zeiten, in denen geburtenstarke Jahrgänge die Schulen verlassen, über Bedarf ausbilden muß. Das ist das eigentliche Problem.
Das kann man nicht mit Ideologie vertuschen. Dies ist das Problem, das besondere Ansprüche und Anforderungen an die heutige Politik stellt.
Nun haben Sie wiederum die ideologische Platte aufgelegt. Wenn Sie Chancengleichheit als Ideologie bezeichnen, wenn Sie es als Ideologie bezeichnen, wenn man Einbahnstraßen, die wir heute in unserem Bildungssystem haben, überwinden will, dann lasse ich mich ruhig Ideologe nennen, Frau Wilms.Das Entscheidende ist, daß wir heute ein Bildungssystem haben, das sich herleitet aus dem letzten Jahrhundert, in dem wir ganz eindeutig ein Klassensystem hatten. Wenn Sie der Auffassung sind, daß es überwunden werden sollte, daß Zehnjährige bereits in eine bestimmte Richtung in ihrer Entwicklung gedrängt werden, die den Lebensweg bestimmt, wenn Sie der Auffassung sind, daß dies nicht mit Chancengleichheit zu vereinbaren ist, dann sollten Sie unserem Weg folgen.
Ob Sie ihn dann „ideologisch" nennen, ist uns egal.
Nun haben Sie gesagt, wir sollten nicht nur von der Öffnung der Hochschulen reden, sondern wir sollten auch von der Öffnung des dualen Systems
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2749
Fxau Schuchardtreden. Nur, Sie haben dabei vergessen, daß der Einfluß auf diese beiden Bildungssysteme von völlig unterschiedlichen Richtungen kommt. Das eine ist der Einfluß der Politik, und das andere ist der Einfluß der Wirtschaft. Die Politik kann mithelfen, die Chancengleichheit für starke Jahrgänge zu bringen, indem sie die Hochschulen und das öffentliche Bildungssystem öffnet. Sie muß alles tun, damit auch die Wirtschaft sich der Verantwortung bewußt ist, das Bildungssystem zu öffnen.Hier haben wir, was diesen Teil des dualen Systems betrifft, das Ausbildungsplatzförderungsgesetz entwickelt,
das erst dann greift, wenn die Wirtschaft von sich aus den Kapazitätsanforderungen der Ausbildung nicht gerecht wird. In dem Moment, wo die Wirtschaft diesen Anforderungen nicht gerecht wird, verpflichtet dieses Gesetz zur Zahlung, damit die Anzahl der Ausbildungsplätze ausreicht, um die Ausbildung sicherzustellen. Ich meine, hier haben wir es wirklich mit Ungleichem zu tun, das man nicht miteinander vergleichen kann. Man sollte auch nicht verschweigen, welche Mechanismen bereits von diesem Bundestag beschlossen worden sind, um das sicherzustellen, was Sie hier gefordert haben.
Wir haben bereits bevor diese Debatte begann ganz eindeutig zu erkennen gegeben, daß wir der Auffassung sind, daß der Antrag, den Sie gestellt haben, im Ausschuß beraten werden sollte. Insofern haben wir noch viel Zeit, Argumente auszutauschen.
Darf ich nur noch eines hinzufügen. Es ist mir nicht ganz verborgen geblieben, Frau Wilms, daß es im Augenblick um die Nachfolge des Obmanns im Bildungsausschuß geht. Darf ich Ihnen Mut machen? Ich hoffe, daß sich Ihre Partei an der FDP orientiert. Wir sind in dieser Fraktion vier Frauen. Das macht 10 °/o. Das erreichen Sie nicht, aber das kann ja noch kommen. Von diesen vier Frauen sind eine Staatsminister, eine Vizepräsident und Vorsitzende des Finanzausschusses und zwei Obfrauen. Ich glaube, dies ist ein gutes Vorbild.
Das Wort hat der Bundesminister Rohde.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon in der gestrigen Debatte ist deutlich geworden, daß es offensichtlich zur Oppositionsroutine gehört, den Eindruck zu erwecken, als ob die Bildungspolitik in der Bundesrepublik autonom durch dieses Parlament und durch die Bundesregierung bestimmt werden könnte. Die Bundesregierung wird für alles herangezogen. Ich habe in den letzten zwei Stunden erlebt, daß die Bundesregierung in der familienpolitischen Debatte für den Geburtenrückgang und jetzt in der bildungspolitischen Debatte für die geburtenstarken Jahrgänge in gleicher Weise verantwortlich gemacht wird.
Soweit es die Bildungspolitik angeht, weiß die Opposition ganz genau, daß ihre Anklagen weder der Verfassungslage noch den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen. Die CDU/CSU kann nicht bei jeder Gelegenheit auf die umfassenden Zuständigkeiten der Länder pochen und für die Zustände selbst den Bund verantwortlich machen.Das ist in besonderer Weise deutlich geworden durch den Hinweis der Sprecherin der CDU auf die Lage der Hauptschulen. Es ist in der Tat beklagenswert, daß in manchen Bereichen der Bundesrepublik bis zu 20 % der Hauptschulabgänger diesen Schulzweig ohne Abschluß verlassen. Aber dies muß in den Landtagen diskutiert werden, wo die Entscheidungen über den Ausbau und die Entwicklungen der Hauptschule fallen. Soweit es uns angeht, haben wir gerade in den letzten Jahren die uns gegebenen Möglichkeiten der Modellförderung und der Modellmittel für die Entwicklung der Hauptschulen eingesetzt.Nun ist hier, wie mir scheint, zu Unrecht der Ausbau des Bildungswesens pauschal kritisiert worden. Meine Damen und Herren, wir müssen uns doch die Frage vorlegen, in welcher Situation wir uns heute in der Bundesrepublik angesichts der geburtenstarken Jahrgänge befänden, wenn die Bildungskapazitäten nicht durch eine große Gemeinschaftsanstrengung von Bund, Ländern und Gemeinden in den letzten Jahren enorm erweitert und die Bildungseinrichtungen erheblich ausgebaut worden wären.
In dieser Zeit kommt \\es auf die Mobilisierung aller Bildungskapazitäten und Bildungsmöglichkeiten für die geburtenstarken Jahrgänge der nächsten Jahre an. Dies muß durch ein Zusammenwirken von Bund und Ländern erreicht werden. Das ist die Logik unseres föderalistischen Bildungssystems. Darum hat die Bundesregierung die Initiative ergriffen, um in den Verhandlungen der Regierungschefs von Bund und Ländern zu einer Absprache über jene bildungspolitischen Eckwerte zu kommen, die für die Entwicklung des Bildungsangebots und für die Zukunftssicherung der jungen Generation von Bedeutung sind.Dabei geht es darum, einen Abbau des Numerus clausus zu erreichen. Heute wurden im Planungsausschuß für den Hochschulbau von Bund und Ländern zusammen rund 10 Milliarden DM für den Ausbau unserer Hochschulen bis Anfang der 80er Jahre beschlossen. Dies ist ein sichtbarer Beitrag, um Voraussetzungen für den Abbau des Numerus clausus zu schaffen. Jetzt müssen für den Hochschulzugang die notwendigen Beschlüsse gefaßt werden.Seit der Erklärung des Bundeskanzlers über den Abbau des Numerus clausus liegen viele Gutachten — vom Wissenschaftsrat, von der Westdeutschen Rektorenkonferenz, von der Kultusministerkonferenz und der Bund-Länder-Kommission — auf dem Tisch.
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2750 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Bundesminister RohdeIn dieser Situation kommt es darauf an, Entscheidungen zu fällen und nicht die Ausarbeitungen all dieser Institutionen wieder in neue Expertengremien zu delegieren. Das kann nur erreicht werden, wenn die Einsicht dafür wächst, daß es eine politische Führungsaufgabe von Bund und Ländern ist, die geschaffenen Kapazitäten für die geburtenstarken Jahrgänge nutzbar zu machen. Es wird in dem Gespräch zwischen Bund und Ländern ferner um Eckwerte für die Studienreform, um Leistungen für den Ausbau des beruflichen Bildungswesens und auch um die Beziehungen zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem, insbesondere im Hinblick auf den öffentlichen Dienst, gehen.Bei all diesen Punkten — sie sind durch andere wichtige Bereiche wie die Förderung der Forschung und des wissenschaftlichen Nachwuchses zu erweitern — müssen wir uns klarmachen — im Grunde genommen besteht in diesem Hause auch die Einsicht —, daß dies durch die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bewirkt werden muß.Soweit es die berufliche Bildung angeht, ist die Bundesregierung willens — das zeigt dieser Haushalt —, im Sinne einer tatsächlichen Kurskorrektur sehr viel mehr Leistungen für den Ausbau beruflicher Ausbildungseinrichtungen zu erbringen, als jemals zuvor in einem Bundesetat gestanden haben.
Die Sprecherin der CDU hat darauf hingewiesen, daß von ihrer Fraktion ein Antrag zur Ausbildungssituation und zu den Zukunftsaussichten der jungen Generation vorgelegt worden sei. Das trifft zu. Wir werden diesen Antrag im Herbst dieses Jahres behandeln. Ich möchte Ihnen aber schon heute sagen, daß wir dann minuziös nachweisen werden, daß das, was Sie in Ihren Antrag aufgenommen haben, im Grunde genommen ein Nachschreiben jener Politik bedeutet, die wir betreiben und die in diesem Etat bereits ihren Ausdruck findet.
Sie fordern von uns in dem Antrag Mittel für den Ausbau überbetrieblicher Ausbildungsstätten. Meine Damen und Herren! Wir verwirklichen bereits ein mehrjähriges Programm, das vorsieht, 850 Millionen DM für den Ausbau überbetrieblicher Ausbildungsstätten bereitzustellen. Fahren Sie durch die Bundesrepublik; da werden Sie von Schleswig-Holstein bei Bayern heute bereits neue überbetriebliche Ausbildungsstätten finden, die bis zu 80 % aus Bundesmitteln gefördert worden sind.
Sie erklären in Ihrem Antrag, Sie appellierten an die Länder, ihre Bemühungen im Bereich der beruflichen Schulen verstärkt fortzusetzen. Dies ist eine mühsame und umständliche Sprache.Wir appellieren nicht mehr. Über dieses Stadium sind wir hinaus. Wir stellen im Haushalt und im Infrastruktur-Programm insgesamt 650 Millionen DM für den Ausbau von Berufsschulen der Länder zur Verfügung und leisten damit konkrete Hilfe.
Es ist wahr, und da stimme ich mit Ihnen überein, meine Herren von der Opposition, daß in der ersten Phase der Bildungsexpansion vielfach die Berufsschulen der Länder im Schatten der allgemeinen Entwicklung und der Bildungsausgaben gestanden haben. Aber gerade deshalb hat der Bund seine zusätzliche Anstrengung trotz knapper Haushaltsmittel unternommen. 650 Millionen DM des Bundes, verstärkt um den Länderanteil, bedeuten, daß insgesamt 1,3 Milliarden DM für die Berufsschulen zur Verfügung gestellt werden.Rechnet man die Mittel des Bundes zusammen und die Anteile der Länder dazu, dann heißt das unter dem Strich, daß für den Ausbau von Bildungseinrichtungen im beruflichen Bereich bis einschließlich 1979 insgesamt rund 2,3 Milliarden DM zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Am Ende der 60er Jahre haben Sie in den Bundesetats kaum etwas für die berufliche Bildung gefunden. Jetzt kommen wir zum erstenmal in die Lage — und dies ist eine Kurskorrektur —, daß die im Etat ausgewiesenen Mittel jedenfalls in die Nähe der Höhe jener Mittel geraten, die für die Hochschulen in den vergangenen Jahren investiert worden sind.
Ich will auf die weiteren Einzelheiten in dieser Stunde
und mit Blick auf die anderen Etats nicht eingehen, zumal wir in den nächsten Wochen Gelegenheit haben werden, die bildungspolitische Landschaft im Ganzen auszuleuchten und dabei auch deutlich zu machen, was Bildungswerbung und Bildungsnachfrage in ihrer Auswirkung für die konkrete Situation der jungen Menschen bedeuten. Es wäre der Sache nicht angemessen, das heute mit nur wenigen Sätzen abzuhandeln.Nur eines will ich noch hinzufügen: Ich teile, Frau Kollegin, Ihre Auffassung, daß auch im Bereich der öffentlichen Hand insgesamt — in den Gebietskörperschaften und in anderen Bereichen — die Ausbildungskapazitäten noch nicht ausgeschöpft sind. Wir sollten hier keine selbstzufriedenen Feststellungen treffen. Wir sollten uns überall da, wo wir Einfluß haben, dafür engagieren — von der Gemeinde bis, ich füge es hinzu, zum Bund —, mehr Ausbildungsplätze für die nächsten Jahre zu mobilisieren.
Aber ich will in diesem Zusammenhang auch deutlich machen, daß die Bundesregierung die Ausbildungsplätze z. B. bei der Post und jetzt durch Beschluß auch bei der Bundesbahn erhöht hat und daß Ihre Sorge, tausend Ausbildungsplätze bei der Bahn blieben unbesetzt, nicht gerechtfertigt ist. Die Bundesregierung wird rund 50 Millionen DM allein für den Bereich Bundesbahn zusätzlich zur Verfügung stellen.Frau Kollegin, ich will es nicht überscharf sagen; aber eines muß doch zum Abschluß angemerkt werden: wenn die Opposition heute mit einem Antrag aufwartet, der nur Leertitel enthält, dann ist es nicht
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2751
Bundesminister Rohdegerechtfertigt, ja dann ist es im Grunde genommen ein Stück Ignoranz, die Hunderte von Millionen, die im Bildungsetat für die berufliche Bildung eingesetzt sind, mit einer solchen Handbewegung beiseite zu schieben, wie Sie es heute abend getan haben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Erlauben Sie mir, daß ich eine Bemerkung zu einer etwas schwierigen Materie mache. In Übereinstimmung mit dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, der bisher die Verhandlungen geleitet hat, und nach der bisherigen Praxis des Deutschen Bundestages muß ich feststellen, daß es nicht möglich ist, den von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegten Antrag zu überweisen. Es ist nur möglich, ihn anzunehmen oder abzulehnen. Das letzte ist vom Sprecher der SPD angekündigt worden.
Ich stelle den Antrag, wenn er nicht zurückgezogen wird, jetzt zur Abstimmung. Wer dem im Zusammenhang mit dem Einzelplan 31 gestellten Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 8/625 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 31. Wer diesem Einzelplan in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 8/500 —
Berichterstatter: Abgeordneter Schmitz
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmitz .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat nicht an der CDU/CSU gelegen, daß diese Debatte noch zusätzlich verlängert worden ist. Es ist natürlich das gute Recht von Herrn Bundesminister Rohde, sich hier noch groß auszulassen. Aber ich glaube, es wäre besser gewesen, zumal er ja angekündigt hat, in der kommenden Woche noch dazu Stellung zu nehmen, er hätte diese Gelegenheit hier ausgelassen.
— Herr Löffler, es ist mir genauso unangenehm wie Ihnen.
— Ihre Stimme ist leider mittlerweile so lädiert, daß ich sie hier vorn nicht verstehe.
Einen Augenblick, Herr Kollege! — Meine Damen und Herren, wir kommen sehr viel schneller voran, wenn wir jetzt den Redner reden lassen und möglichst schnell die Diskussion abschließen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe Zeit genug. Ich bin gewohnt, lange aufzubleiben. Deshalb kann ich mich durchaus auch darauf einstellen.Die Diskussion um den Haushalt des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wird in einer Zeit geführt, in der wir noch alle die optimistischen Vorstellungen des Agrarberichtes 1977 im Ohr haben, nach dem die landwirtschaftlichen Einkommen um 20 0/o steigen sollten. Schon damals erklärte die CDU/CSU, daß dieser Einkommenszuwachs nur im Lichte der vergangenen Jahre seinen Stellenwert haben könne. Die Ergebnisse des Wirtschaftsjahres 1976/77 deuten in sehr eindrucksvoller Weise bereits an, daß der im Grünen Bericht 1976/77 auszuweisende Einkommensverlust 6 bis 8 % betragen wird. Deshalb halte ich es für sehr wichtig, darauf hinzuweisen, daß die landwirtschaftlichen Einkommen sehr starken Schwankungen unterworfen sind und man aus kurzfristigen Ergebnissen keine voreiligen Schlüsse ziehen kann. Euphorie ist also hier fehl am Platze.Wenn man die Vergleichsrechnung einmal überprüft, zeigt sich, daß nur 50 000 Haupterwerbsbetriebe mit mehr als 50 000 DM Standardeinkommen keine Disparität aufweisen. Bei allen anderen sieht es schlecht aus. Während der Reinerlös je Familienarbeitskraft in allen Vollerwerbsbetrieben des Testbetriebsnetzes 1976/77 gegenüber 1968/69 real um 32 % gestiegen ist, hat sich der gewerbliche Vergleichslohn im gleichen Zeitraum um mehr als 42 % erhöht. Wenn wir das Wirtschaftsjahr 1976/77 und die erwarteten Einkommensrückgänge zugrunde legen, so wird sich das Reineinkommen je Familienarbeitskraft real um mindestens 5 bis 6 % unter dem Niveau von 1972/73 bewegen. Demgegenüber steigt der Vergleichslohn auf der gewerblichen Seite auf 8 bis 10 O/o. Faßt man dies zusammen, so ist festzuhalten, daß der einmalige Aussagewert des Agrarberichtes recht vorsichtig einzuschätzen ist.In diesem Zusammenhang halte ich es für wichtig, einmal festzuhalten, daß der diesjährige Agrarbericht eine ganze Reihe von Übertragungsfehlern aufweist.
An dem Aussagewert dieses Berichtes werden zu Recht Zweifel erhoben.
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2752 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Schmitz
Für mich als Haushaltspolitiker — ich sage das mit großem Nachdruck ist festzuhalten, daß wir, wenn wir einen solchen Bericht für 8 Millionen DM erstellen und dem Hause vorlegen lassen, auch erwarten können, daß er stimmt. Die CDU/CSU erwartet, daß in Zukunft die Erstellung des Grünen Berichts mit entsprechender Sorgfalt geschieht. Der Steuerzahler hat ein Recht darauf, daß mit seinem Geld vernüftig umgegangen wird.
Der Agrarhaushalt hat in diesem Jahr eine Steigerungsrate von 0,8 %. Dies ist im Vergleich zum Gesamthaushalt eine recht niedrige Steigerung. Man muß daher fragen, ob dieser Haushalt im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung auf die Dauer seinem Auftrag gerecht werden kann. Es ist keine befriedigende Lösung, wenn wir feststellen müssen, daß der Anteil der sozialen Leistungen, die wir begrüßen und zu denen wir auch beigetragen haben, hier dauernd größer wird und daß die investiven Leistungen sinken. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, daß der Herr Bundesminister Ertl jede Gelegenheit nutzt, die Ausgaben für die Marktordnungen innerhalb der EG als ein zusätzliches Mittel zu bezeichnen, um damit zu dokumentieren, es würde mehr für die Bauern getan.
Dies wäre nur logisch, wenn man die Ausgaben, die ausschließlich der Landwirtschaft zugute kommen, die naturgemäß erheblichen Schwankungen unterliegen, von den Mitteln des Fonds trennte, die bei zu hohen Weltmarktpreisen die Einfuhr auf das EG-Niveau herunterdrücken, wie es z. B. 1974 und 1975 bei Zucker und Getreide der Fall gewesen ist. Die Diskussion hat nur Sinn, wenn wir dies sauber voneinander trennen.Ich habe Verständnis dafür, daß in der Öffentlichkeit der Anteil des Agrarsektors, was die Haushaltsfinanzierung innerhalb der EG angeht, kritisiert wird. Er beträgt immerhin 75 N. Dies ist sicherlich auch ein Grund dafür, daß hier in dieser Diskussion dieser Bestandteil herausgenommen wird. Aber das ist doch nur darauf zurückzuführen, daß der Agrarmarkt heute isoliert von allen anderen Märkten dasteht. Nur in diesem Lichte kann man diese Diskussion führen.
— Herr Löffler, daß Ihnen das nicht paßt, weiß ich. Hier ist in der Tat die SPD /FDP-Fraktion in der Mitverantwortung. Seitdem sie hier in der Bundesrepublik regiert, sind eben keine Initiativen in Richtung auf Europa unternommen worden, um die Wirtschafts- und Währungsunion zu gestalten.
Dies ist doch der Punkt. Es fehlt doch an politischen Initiativen. Uns allen sind doch noch die großen Worte von Herrn Schmidt und Herrn Apel im Ohr, wenn es um die Finanzierung Europas ging. Wir denken noch daran, daß Herr Apel gesagt hat, das Wunder an der Marne würde für die anderen nicht stattfinden. Wer hat denn hier in der Tat in dieser Richtung politisch überhaupt weitergedacht? Einer,der so etwas sagt, kann sich selbst nur mit anklagen, weil er im Grunde genommen den europäischen Gedanken gar nicht für sich beanspruchen kann.Man sollte sich keiner Illusion hingeben. Die zukünftigen Agrarpreisrunden werden immer schwieriger werden, weil jede Möglichkeit aufgezehrt worden ist, daß man noch Korrekturen ansetzen kann. Die inflationierenden Länder sind mittlerweile so weit von den relativ stabilen Ländern entfernt, daß dies auf Dauer gesehen eigentlich nicht gutgehen kann.Lassen Sie mich auch sehr deutlich darauf hinweisen, daß die Agrarpolitik dieser Regierung, die in sehr starkem Maße die ländlichen Räume mit beeinflußt hat, mit im Lichte der gesamten Wirtschaftspolitik zu sehen ist. Gerade die ländlichen Räume sind sehr stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Die sich abzeichnenden Schwierigkeiten lassen sich am besten dadurch verdeutlichen, daß selbst der Agrarbericht ausweist, daß voraussichtlich in den unteren Größenklassen weniger Betriebe aufgelöst werden, so daß für die wachstumsintensiven Betriebe damit weniger Fläche zum Aufstocken zur Verfügung steht. Ein organischer Strukturwandel, von dem die Landwirtschaft in den letzten Jahren auch gelebt hat, findet überhaupt nicht mehr statt.Die höchsten Arbeitslosenquoten sind wiederum in ganz bestimmten ländlichen Räumen zu verzeichnen. In diesem Zusammenhang halte ich es für eine falsche Einschätzung der Situation, wenn Herr Ertl bei der Debatte zum Grünen Bericht erklärt, daß die steigende Zahl der Anmeldungen in landwirtschaftlichen Berufs- und Fachschulen das Ergebnis einer größeren Anziehungskraft der Landwirtschaft auf junge Menschen und auf die verbesserten Zukunftschancen zurückzuführen sei.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Oostergetelo?
Bitte schön.
Herr Kollege, könnten Sie mir einen Zeitraum nennen, in dem Sie Verantwortung trugen und in dem so viel für die Landwirtschaft getan worden ist, und meinen Sie wirklich, daß unsere Landwirte unzufrieden sind?
Herr Kollege, wenn sie mit Ihrer Regierung zufrieden gewesen wären, hätten sie nicht zu 95 % CDU/CSU gewählt.
Ich habe darauf hingewiesen, daß das nicht darauf zurückzuführen ist, wie Herr Ertl meint, weil die Landwirtschaft jetzt eine größere Anziehungskraft ausübt. Der entscheidende Grund dafür, daß viele junge Leute in der Landwirtschaft bleiben, ist meiner Meinung nach darin zu suchen, daß sie eben keine
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2753
Schmitz
Alternative mehr haben. Jugendarbeitslosigkeit, mangelnde Lehrstellen, das sind die eigentlichen Ursachen dafür.
Lassen Sie mich auch hinzufügen: Das gilt selbstverständlich auch für die Landwirte, die ausscheidungswillig sind. Sie haben auf Grund der Rezession doch auch keine Chance mehr, einen anderen Beruf zu ergreifen. Wenn Sie sich aus der Veranttung dafür herausmogeln wollen und unter Umständen den Versuch unternehmen, andere dafür verantwortlich zu machen — das geht natürlich nicht.Ich habe schon im Vorjahr darauf hingewiesen, daß der Abbau der Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes um 135 Millionen DM wirtschaftspolitisch, regionalpolitisch und strukturpolitisch unverantwortlich ist. Dadurch, daß die Koalition im letzten Jahr 135 Millionen DM aus der Gemeinschaftsaufgabe herausgenommen hat, sind mehr als 300 Millionen DM für das Jahr 1976 an Investitionsmasse ausgefallen.
— Rechnen Sie doch den Länderanteil einmal hinzu, Herr Löffler.
- Strapazieren Sie doch Ihre Stimme nicht so sehr, Herr Löffler.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schuchardt?
Nein. Ich werde mich an die Praxis der anderen Redner halten.
Darüber täuscht auch nicht hinweg, daß Bundesminister Ertl 1977 — was wir begrüßen — 170 Millionen DM aus dem Programm für Zukunftsinvestitionen erhält. Aber das Groteske an der ganzen Geschichte kommt ja noch: Die Streichung im letzten Jahr wäre gar nicht notwendig gewesen, wenn er den Vorschlägen der CDU/CSU gefolgt wäre; denn am Ende des Jahres hatte er genau 120 Millionen DM übrig, d. h., eigentlich hätte er nur 15 Millionen DM gebraucht, um das zu dotieren, was er dotieren wollte.
Was das mit vernünftiger Haushaltspolitik zu tun hat, muß man uns erst noch erklären.
Wir haben in diesem Jahr rechtzeitig vorgeschlagen, die Mittel, die im Sozialbereich übrigbleiben würden, zur Aufstockung der Mittel für die Berufsgenossenschaften zu verwenden. Wir halten das für richtig und begrüßen das. Auf Dauer gesehen ist es allerdings notwendig, die Zuschüsse für die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften so in die mittelfristige Finanzplanung einzusetzen, daß sie realistisch sind. Auf Dauer geht es nicht, daß wir in der mittelfristigen Finanzplanung 320 Millionen
DM festschreiben und jedes Jahr von neuem versuchen müssen, aus den verschiedenen Töpfen einen entsprechenden Millionenbetrag herauszuschinden. Das ist keine vernünftige Praxis. Ich bin für einen realistischen Ansatz.
Was den strukturpolitischen Teil anbetrifft, habe ich eben schon gesagt, daß wir der Meinung sind, daß das verstärkt werden muß. Deshalb fordern wir auch die Bundesregierung auf, in dieser Richtung tätig zu werden und ihr starres einzelbetriebliches Förderungsprogramm etwas flexibler zu gestalten. Wir begrüßen auch die Gedanken zur Neugestaltung von Agrarkrediten.
Ich glaube, hier ist aus Bayern ein vernünftiger Vorschlag gemacht worden. Dabei muß die Eigenverantwortlichkeit des einzelnen Landwirts eine entsprechende Funktion erhalten. Die unternehmerische Leistung muß berücksichtigt werden, ebenso eine regionale und betriebliche Differenzierung.
Insgesamt können wir festhalten, daß im Rahmen der Beratungen des Haushalts von seiten der Koalition eine Reihe von vernünftigen Anträgen abgelehnt worden ist.
So ist der Antrag abgelehnt worden, die Restmittel zur Verstärkung der Gemeinschaftsaufgaben entsprechend zuzuweisen. Es handelte sich immerhin um einen Betrag von mehr als 20 Millionen DM. Obwohl man bereit ist, der Naturfreundejugend alle Mittel zuzuschießen, ist der Antrag abgelehnt worden, den Naturparks 2 Millionen DM zu geben. Das war eine interessante Variante dieser Politik. Meine Damen und Herren, wir müssen festhalten, daß hier die Politik von Bundesminister Ertl, der ja eigentlich etwas anderes wollte, von der SPD und offenbar auch von der FDP unterlaufen worden ist. Ich hätte mir gewünscht, Minister Ertl hätte sein politisches Gewicht auch da einmal in die Waagschale geworfen. Das hat er nicht getan. Ich kann mir nicht erklären, warum nicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir lehnen den Einzelplan 10 deshalb ab, weil Bundesminister Ertl mitverantwortlich ist für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung im Rahmen der Politik dieser Koalition.
Wir lehnen diesen Einzelplan auch deshalb ab, weil Herr Ertl im Grunde genommen draußen anders redet als hier im Parlament. Wenn man ihn draußen reden hört, glaubt man, er sei ein Liberaler. Hört man ihn hier im Parlament reden und sieht man, wie er die Politik dieser Regierung mitträgt, kann man als CDU/CSU zu keiner anderen Konsequenz kommen, als den Einzelplan und damit diesen Minister abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Simpfendörfer.
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2754 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Schmitz hat mühsam genug begründet, wieso die Union schließlich und endlich zur Ablehnung des Agraretats gekommen ist.
Denn es gibt gar keinen Zweifel, daß die Union in der Sache den Inhalt des Agraretats und die Politik, die dahintersteht, weitgehend mitträgt und nur aus Gründen der Taktik und der Polemik die Tatsache zu ummänteln versucht,
daß sie zum Inhalt der Politik der sozialliberalen Koalition gar keine Alternative hat, Herr Kollege Picard.
Im Unterschied zum Kollegen Schmitz will ich mit dem Dank beginnen. Sie haben sicher großes Verständnis dafür, daß ich dabei den Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten an die Spitze meiner Dankesworte stelle,
der unserer Auffassung nach ganz entschieden die Interessen der deutschen Landwirtschaft und der deutschen Verbraucher vertritt.
An zweiter Stelle möchte ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium, im Haushaltsausschuß und in der Fraktion nennen und ihnen für ihren großen Einsatz bei der Arbeit am Agraretat danken.
Schließlich und endlich möchte ich den hier noch versammelten Kollegen danken für die Geduld, die sie zu dieser späten Stunde aufzubringen bereit sind, um sich auch noch etwas über die Landwirtschaftspolitik anzuhören.
— Herr Kollege Kohl, auf Ihren Dank warte ich im Anschluß.
Nur einige Feststellungen.Erstens. Der Umfang des Agraretats ist ausreichend. Prozentuale Steigerungsraten und Prozentanteile am Gesamthaushalt sind meiner Auffassung nach schlechte Maßstäbe.
Bei Parlamentariern wären sie in jedem Fall verhängnisvoll. Der Maßstab muß der Grad der Aufgabenerfüllung, müssen Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sein.
Unter diesen Gesichtspunkten sollten wir beurteilen, ob der Agraretat ausreichend ausgestattet ist. Ich sage: er ist es.Punkt 2: Die Struktur des Agraretats ist ausgewogen. Die Hauptblöcke sind die Sozialpolitik mit inzwischen mehr als 50 %, die Strukturpolitik mit annähernd 30 %, die einkommensverbessernden Maßnahmen mit ungefähr 10 % und ein Forschungsanteil von immerhin fast 4 %.
— Ich rede jetzt von der Struktur und nicht mehr vom Gesamtumfang.Dritte Bemerkung: Die Agrarstrukturpolitik muß den ländlichen Raum insgesamt attraktiver machen.
Um die Besiedlungsdichte ebenso wie die Kulturlandschaft zu erhalten, müssen wir die Wohn- und Lebensverhältnisse im ländlichen Raum verbessern und unsere Dörfer funktionsfähig erhalten.
— Der ländliche Raum ist, Herr Kollege Kiechle, am 16-Milliarden-Programm ausreichend beteiligt.
Von 16 Milliarden entfallen 2,17 Milliarden auf den Agrarbereich als solchen, ohne die Maßnahmen, die in anderen Etats auftauchen, aber auch im ländlichen Raum wirksam werden. Von den 8,2 Milliarden Bundesanteil sind es 940 Millionen. Damit wird eine zusätzliche Gesamtinvestitionsmasse von 2,8 Milliarden DM in Bewegung gebracht. Ein besonders wichtiger Punkt ist, daß im Bereich der Dorferneuerung ein großer Anfang gesetzt wird.
Der letzte Punkt in diesem Zusammenhang: Der Haushaltsausschuß hat die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe um 7 Millionen DM aufgestockt mit der Zweckbestimmung, sie im Bereich der Nebenerwerbslandwirtschaft, insbesondere bei der Verstärkung der Wohnhausförderung einzusetzen. Das wiederum paßt genau dazu, daß im Rahmen der Infrastrukturverbesserungen die Dorferneuerung begonnen werden soll.Schließlich hat der Haushaltsausschuß den Ansatz der Zuschüsse an die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften ebenfalls erhöht.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2755
SimpfendörferDamit können die Leistungen verbessert, kann aber auch die Beitragserhöhung, Herr Kollege Kiechle, in Grenzen gehalten werden.
— Entschuldigung, ich bitte, genau zuzuhören. Ich habe gesagt, der Haushaltsausschuß hat den Ansatz erhöht,
und mit dieser Ansatzerhöhung sei es möglich, erstens die Leistungen zu verbessern und zweitens den Beitragsanstieg in Grenzen zu halten.
Und dieser Sachverhalt trifft so zu.
Gleichzeitig haben wir Ihnen auf Drucksache 8/655 einen Entschließungsantrag vorgelegt, der zum Ziel hat, künftig die Transparenz — zu deutsch: die Durchsichtigkeit — der Beitragserhebung und der Beitragsbelastung zu verstärken. Ich hoffe, daß Sie sich in der Lage sehen, diesem Entschließungsantrag zuzustimmen, nachdem Sie im Haushaltsausschuß zumindest dem zweiten Punkt zugestimmt haben, beim ersten Punkt allerdings Bedenken hatten.Schließlich muß ich bemerken, daß trotz der unterdurchschnittlichen Preisentwicklung bei den Lebensmitteln die Preispolitik insgesamt ausgereicht hat, um einen wesentlichen Beitrag dazu zu leisten, daß die Einkommen in der Landwirtschaft in angemessener Weise gestiegen sind. Sie sind nicht überdurchschnittlich gestiegen, aber sie sind in angemessener Weise mitgestiegen; ich sage das, ohne dabei im einzelnen auf die unterschiedlichen Entwicklungen eingehen zu wollen.Auch die Frage der Naturparke verdient eine kurze Erwähnung. Wir mußten mit großem Bedauern dem Antrag der Opposition widersprechen, für die Naturparke erneut eine Förderung in den Bundeshaushalt aufzunehmen, obwohl sich die Bundesregierung aus guten rechtlichen und finanzverfassungspolitischen Gründen nicht in der Lage sah, einen Ansatz vorzunehmen.
Warum? Das war aus finanzverfassungspolitischen Gründen nicht möglich,
weil das Gesetzgebungsverfahren über das Bundesnaturschutzgesetz, an dem Sie, Herr Kollege Dr. Susset, maßgeblich beteiligt waren — —
— Richtig. Da ich auch mit Ihrem Bruder, dem Herrn Landrat, ständig zu tun habe, ist vielleicht ein solch kleiner Lapsus verständlich.
Nachdem Sie, Herr Kollege Susset, bei diesem Gesetzgebungsvorhaben des Bundesnaturschutzgesetzes maßgeblich beteiligt waren, wissen Sie wohl, wie sehr man darum gerungen hat, dem Bund eine Gesetzgebungs- und vor allem eine Finanzierungskompetenz in diesem Bereich zu sichern.
— Sie wissen auch, daß diese Finanzierungskompetenz im Vermittlungsausschuß schließlich gescheitert ist
und daß es deswegen als endgültige Aufgabe der Länder zu betrachten ist, auf diesem Aufgabengebiet tätig zu werden.
Ich muß alle Länderfinanzminister bei dieser Gelegenheit herzlich bitten, nun auch tatsächlich diese Aufgabe wahrzunehmen, wie sie sie immer wahrnehmen wollten.
— Ich habe Sie als Oppositionsabgeordneten angesprochen, Herr Kollege Susset, weil in der Frage alle Fraktionen derselben Meinung waren. Im Unterschied dazu waren die Länder anderer Meinung, und die Länder haben schließlich ihre Meinung durchgesetzt. Deswegen müssen sie jetzt auch die Aufgabe finanzieren, die sie als ausschließlich ihre Aufgabe erklärt haben.
— Vielen Dank, Herr Kollege, für die ganz sicher gut charakterisierende Bemerkung.
— Der Kollege Röhner hat es gerade richtig formuliert: Sie kindischer Trotzreaktionär! Sie haben das wirklich hübsch umformuliert.
— Ich bin noch in meiner Zeit. Wenn ich es richtig sehe, sind noch sechs Minuten übrig; aber ich beschränke mich ganz sicher auf 15 Minuten.
Wenn es richtig ist, daß wir nur geringe Hoffnung auf eine erfolgreiche Kostendämpfung bei den EG- Marktordnungsausgaben haben dürfen,
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2756 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Simpfendörferdann ist mittel- und langfristig eine Verstärkung der regionalen Strukturpolitik auf der europäischen Ebene unverzichtbar. Wir müssen nämlich auf der europäischen Ebene mindestens für so viele Erwerbsalternativen wie in der nationalen Strukturpolitik sorgen.Damit leite ich zu den Wünschen über; ich habe nämlich auch einige Wünsche an die Bundesregierung aufgeschrieben.
Erster Wunsch: Die Bundesregierung möge prüfen,
ob nicht durch eine verstärkte Unterstützung der Buchführung die Zahl der buchführenden Betriebe wesentlich erhöht werden kann.
73 000 buchführende Betriebe mit Jahresabschluß von insgesamt 1 Million sind zweifellos zu wenig.
Zweiter Wunsch: Die Bundesregierung möge Engpässe im Sach- und Personalbereich bei den Bundesforschungsanstalten im Haushalt 1978 nach Möglichkeit beseitigen.
— Herr Kollege Dr. Kohl, im Unterschied zu Ihnen will ich auch nicht den Eindruck erwecken, als ob ich hier Durchbrüche erziele.
Dritter Wunsch: Die Bundesregierung möge ihre Vorarbeiten zur Verbesserung der sozialen Lage jüngerer Witwen verstärkt fortsetzen.
Vierter und letzter Wunsch: Die Bundesregierung — das ist für Sie sicher interessant — möge alle Vorschläge zur Schaffung eines Agrarkredits
sehr sorgfältig prüfen und die Erfahrungen von Bundesländern einbeziehen. In diesem Zusammenhang will ich nicht verschweigen, daß ich zwei wesentliche Bedenken habe: das erste Bedenken, man könne wieder eine Gießkannenförderung einführen wollen, mein zweites Bedenken, man könne im Verhältnis zur gewerblichen Wirtschaft einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil in der Finanzierung herbeiführen mit der Folge, daß dann entsprechende Forderungen ebenfalls aus diesem Bereich gestellt würden und dann das gesamte Finanzierungsvolumen für die öffentliche Hand nicht mehr tragbar wäre.
— Ich habe hier Wünsche geäußert. Die Bundesregierung wird sich zur gegebenen Zeit zu meinen Wünschen äußern.
Zum Schluß: Der Kollege Hans-Peter Schmitz hat die sozialliberale Koalition beschuldigt, sie habe keine Initiativen in Richtung Europa entfaltet. Ich muß diesen Vorwurf hier zurückweisen.
Wenn ich mich recht erinnere, ist die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft von sechs auf neun auf eine wesentliche und entscheidende Initiative des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt zurückzuführen.
Ich habe auch den Eindruck, die Tatsache, daß wir zu einer Volkswahl in Europa für das Europäische Parlament kommen wollen, sei auch nicht ganz ohne Mitwirkung der sozialliberalen Koalition zustande gekommen.
Wenn die Union als einzigen Beitrag und Initiative im Augenblick nichts anderes zu bieten hat als den Antrag auf Kürzung der Abführungen nach Europa um 500 Millionen DM, dann ist das im Vergleich dazu wirklich beschämend.
Die SPD-Fraktion hält den Agraretat für ausreichend, in seiner Struktur ausgewogen und wird ihm infolgedessen zustimmen.
Das Wort hat der Abordnete Peters .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schmitz, Sie haben bei dieser Gelegenheit wieder einmal
auf die Einkommenslage in der Landwirtschaft abgehoben. Ich gebe Ihnen ja recht, daß es in der Landwirtschaft von Jahr zu Jahr auf Grund der Witterungsverhältnisse
recht unterschiedlich ist.Nehmen Sie aber die Sache einmal mittelfristig, vielleicht einen Zeitraum von fünf bis sechs Jahren, dann sehen Sie, daß wir eine Verdoppelung bis Verdreifachung der landwirtschaftlichen Grundstücks- und Pachtpreise haben.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2757
Peters
Der Grund dafür liegt natürlich in der mittelfristigen Ertragslage der Landwirtschaft; das ist der Tatbestand.
Nun, Sie haben wie immer behauptet, daß der Agraretat die geringste Steigerungsrate habe. Wir haben Ihnen bei jeder Gelegenheit an dieser Stelle hier vorgerechnet, daß man zum eigentlichen nationalen Etat die EG-Rückflüsse nehmen müsse, weil sie infolge der Marktstützung für die Produkte der landwirtschaftlichen Marktordnung überhaupt das Entscheidende für die Landwirtschaft sind. Wenn Sie diese Beträge zusammenrechnen — ab 1972 haben wir die Teilung im nationalen und im EG-Haushalt — und die 200 Millionen für das Investitionsprogramm pro Jahr hinzunehmen, kommen Sie auf eine Steigerungsrate von 6,2 % im Vergleich zu 1976. Wenn Sie den Anteil des Agrarhaushalts am Bundeshaushalt nehmen, dann liegen wir heute bei 5 %, also günstiger als seit Jahren.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich halte es auch für falsch, wenn bei Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Agrarmarkt unsere Regierung angegriffen wird. Heute ist für jeden Denkenden, glaube ich, völlig klar, daß weder der Agrarmarkt noch die Zollunion alleine denkbar sind. Beides hängt miteinander zusammen. Fällt die landwirtschaftliche Marktordnung, fällt auch die Zollunion. Durch die Zollunion — das dürfte unbestritten sein — hat die Bundesrepublik als stärkster Industriestaat innerhalb der EG die größten Vorteile. Das mildert auch unsere Haltung zu den Finanzzuweisungen an den EG-Agrarfonds. Wenn Sie berechnen, was durch dieses stärkere Wirtschaftsvolumen an zusätzlicher Steuerkraft entsteht, dann ist das ein Vielfaches dessen, was wir zusätzlich netto an die EG zahlen müssen. Das ist, glaube ich, ein Tatbestand, der unbestreitbar ist.
Wir alle wollten sicher gerne möglichst schnell die Wirtschafts- und Währungsunion. Das hängt aber nicht vom Willen einer Regierung ab. Das kann niemand erzwingen. Die Lage ist heute eben so, daß die Preissteigerungsraten in den Volkswirtschaften der beteiligten Länder so weit auseinanderklaffen, daß die Wirtschafts- und Währungsunion im Moment nicht zu erzwingen ist. Positiv ist jedenfalls, daß die Inflationsrate in den Ländern mit der stärksten Inflation am Sinken, nicht mehr am Steigen ist. Wir wollen hoffen, daß diese Entwicklung weitergeht. Aber wir werden das nicht erzwingen können. Denn wir können die Verhältnisse in den anderen Staaten nicht direkt beeinflussen. Deshalb ist jede Kritik an der Bundesregierung in diesem Zusammenhang völlig unsinnig oder, vorsichtiger ausgedrückt, völlig ohne jeden sachlichen Grund.
Herr Schmitz, Sie haben auch noch bemängelt, daß der Titel Agrarstruktur und Küstenschutz um 135 Millionen auf 1,2 Milliarden DM gesenkt worden sei. Das ist der Fall. Das ist unbestritten. Sie müssen aber die 200 Millionen DM hinzurechnen, die in das Investitionsprogramm eingebaut worden sind. Damitwird der frühere Ansatz also erheblich überschritten.Noch ein letztes Wort zu den Umschichtungen im Agrarsozialetat, also den 80 Millionen DM für die Berufsgenossenschaften. Wir von der Koalition — und zum Teil auch Mitglieder Ihrer Fraktion, hatte ich den Eindruck — waren im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Meinung, daß das Zahlungen seien, die nicht durch ein Gesetz vorgesehen sind, sondern die eine freiwillige Leistung des Bundes darstellen, die wir an gewisse Bedingungen knüpfen können.Wenn man verlangt, daß die Unfallrenten schon ab 1. Januar steigen sollen — 1977 werden die erhöhten Gelder schon gegeben —, ist das kein unbilliges Verlangen. Es ist auch nicht unbillig, zu fordern, daß von der Eigentümerveranlagung auf die Unternehmerveranlagung übergegangen wird und die Beiträge in den 19 Berufsgenossenschaften nach einheitlichen Maßstäben festgesetzt werden; denn dadurch hat der Bund natürlich — das wird ganz offen zugegeben — ein genaueres Bild der Lage und kann bei der Verwendung dessen, was er zur Verfügung stellt, stärker mitsprechen.
Meine Damen und Herren, die FDP stimmt dem Einzelplan 10 zu.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei Ihnen bedanken, die Sie aushalten, ganz besonders bei den Berichterstattern.Ich habe gesehen, welche Schmerzen der verehrte Kollege Schmitz hat, eine Begründung für die Ablehnung meines Etats zu finden.
Ich leide mit ihm. Er hat gesagt, daß ich an der gesamtwirtschaftlichen Lage mitschuldig bin. Das wird wiederum meinen Kollege Friderichs schmerzen, den der Kollege Kohl so gern in der Lage sieht, daß er die Unternehmer zu Tränen rührt, was für uns sehr angenehm ist, vor allem wenn sie dann auch mehr für uns und nicht nur für die CDU spenden würden.Aber ich will Ihnen dazu sagen, verehrter Kollege Schmitz , solange dieses Land, das politisch, sozial und wirtschaftlich — —
— Ich spreche ja nicht vom Liechtenstein der Union, lieber Freund Haase. Darüber spreche ich nicht, das ist nicht mein Bier.
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2758 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Bundesminister Ertl— Dazu bin ich Präsidiumsmitglied, Herr Kohl. Aber ich habe mit Genuß den „Spiegel" gelesen. Ich kann mich nur daran informieren und ich wünsche viel Vergnügen, wenn auch alle nicht Liechtensteiner sind. Zur Abendstunde muß man ja nur freundlich sein, da kann man nur viel Vergnügen wünschen.Aber verehrte Freunde, solange dieses Land das politisch, wirtschaftlich und sozial stabilste Land der Welt ist — und das ist es im Augenblick —, trage ich gern die Mitverantwortung für dieses Land.
Und, meine Freunde, auch angesichts dessen, daß meine verehrte Kollegin Schuchardt heute so tiefschürfende Feststellungen über die Agrarpolitik getroffen hat, sage ich Ihnen, zu dieser Stabilität hat die Agrarpolitik beigetragen. Frau Schuchardt gehört übrigens zu den wenigen Bildungspolitikern, und die brauchen ja bekanntlich viel Zeit, das wissen wir.
— Herr Kollege Löffler, ich habe nicht von den Oberschulräten gesprochen.
Aber wenn der Agrarminister einmal viel Zeit hat, wird er über die Zusammenhänge zwischen Bildungsreform und Besoldungsreform sprechen, und da werde ich tiefschürfende Ausführungen machen.
Aber lassen Sie mich das wirklich einmal sagen, dieses Land kann sich in seiner politischen, sozialen und wirtschaftlichen Stabilität voll mit der Welt messen.
Das ist unsere Politik, eine Politik, die die Liberalen seit über 7 1/2 Jahren gern mitverantworten.
— Ich habe ja gesagt, daß sie Bildungspolitikerin ist, und die brauchen viel Zeit.Verehrter Herr Kollege Schmitz , noch einige Bemerkungen zu Ihrer sehr freundlichen Kritik an meinem Etat. Ich muß gleich vorweg sagen, das zwingt mich, ebenso freundlich zu antworten, was ich übrigens sehr gern tue.Erstens: In der Agrarpolitik wurde nicht manipuliert, sondern in der Agrarpolitik werden auf Grund unserer föderalistischen Struktur einfach Ländermeldungen zusammengestellt. Das ist ein Schema, das nun einmal so ist.
— Den Minister brauchen Sie, damit er Politik macht. Für Statistik brauchen Sie natürlich keinen Minister. Aber weil dieser Minister Politik macht, ist es mit der Landwirtschaft besser bestellt. Früher haben Sie nur Statistik gemacht.
Das ist der Unterschied. Sie müssen halt hier mit anderen Maßstäben rechnen.
— Nein, nicht für alle. Jetzt kommt mein Schwiegervater. Ich kenne Ihre historische Bildung, Herr Kohl; die beginnt offensichtlich erst nach 1945. Aber es macht nichts, Herr Kohl.Ich möchte erstens nur sagen, es gibt keine eklatanten Fehler, sondern es ist in einem Teilbereich in einem von uns beiden geliebten Land eine falsche Auswertung erfolgt. Ich habe das früher schon einmal gesagt und ich entschuldige mich dafür. Dies läßt sich nicht ausschließen, seit es so phantastische Einrichtungen wie die EDV-Anlagen gibt. Solange die Menschen mit ihrem Kopf gerechnet haben, haben sie richtig gerechnet. Seitdem die Menschen die EDV-Anlagen haben, kommen offensichtlich falsche Rechnungen heraus.
Dies kann ich auch nicht vermeiden. Ich will das auch nicht auf die Bildungspolitiker schieben.
Eine zweite Bemerkung, meine verehrten Kollegen, Damen und Herren.
— Liebe Freunde, natürlich.
Sie wissen, ich habe es mit Beethovens „Seid umschlungen, Millionen" —
aber nicht nur in Liechtenstein.Ein Zweites muß ich hier noch ein klein wenig korrigieren. Herr Kollege Schmitz , Sie sprachen von Standardbetriebseinkommen. Ich möchte die Kollegen jetzt weiß Gott nicht mit agrartechnischen Details aufhalten. Nur, eines ist sicher, Herr Kollege Schmitz (Baesweiler), bei der Betrachtung der Einkommenslage müssen Sie streng differenzieren zwischen Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetrieben. Beim Nebenerwerb zählt eben das außerlandwirtschaftliche Einkommen als Haupteinkommen und spielt deshalb für die Disparität praktisch kaum eine Rolle. Das muß man objektiverweise feststellen, damit hier nicht ein falsches Bild entsteht. Man tut der Landwirtschaft keinen Gefallen, wenn man sie immer nur ins Armenhaus stellt. Das glaubt nämlich dann niemand.
Sie haben dann nochmals auf die Steigerung des Agrarhaushalts Bezug genommen. Das muß ich leider ein wenig in das richtige Licht rücken. Sie stellen zum Einzelplan 10 für 1977 fest: nationaler Teil 3,9 %, EG-Marktordnung 13,4 %; das ergibt eine Steigerung von rund 7 %.
— Das sage ich ganz nüchtern, und wenn Sie sagen,das ist falsch, dann kommen Sie bitte noch einmalhier herauf. Die Marktordnungsausgaben tragen wesentlich zur Einkommenssicherung für die deut-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2759
Bundesminister Ertlsche Landwirtschaft bei. Das sind 3 Milliarden DM. Da können Sie nicht hergehen und sagen: „Das interessiert uns nicht", wenn Sie gleichzeitig die EG-Ausgaben in toto kritisieren.
— Nicht im „Toto". Beim Fußball gibt es Toto.
Ich bin hier aber bei der totalen Summe, und da kann man auch toto sagen; das müßte ein Bayer ja eigentlich wissen. Aber ich sehe, sprachliche Schwierigkeiten kann es selbst bei Fußballpräsidenten geben.
Sie müssen fairerweise zugeben, daß die Einkommenssicherung heute im wesentlichen aus den Ausgaben für die EG-Marktordnungen resultiert.
— Bitte? Ich habe Sie nicht verstanden.
— Sagen Sie es doch. Wenn meine Rechnung nicht stimmt, dann können Sie das sagen.
Der Kanzler hat dasselbe Recht der freien Rede wie die Opposition.
Das ist selbstverständlich. Auf jeden Fall hat der Kanzler bisher alle Marktordnungsausgaben mitbeschlossen.
Er hat übrigens mehr Ausgaben für die Landwirtschaft mitbeschlossen als der Finanzminister Strauß. Das muß man auch einmal objektiv sagen, damit man sich hier keinen Irrtümern hingibt.
Ich wollte das nur noch einmal richtigstellen.In dem Zusammenhang muß ich auch zum Einkommensvergleich noch ein Wort sagen. Wenn Sie, die Prozentsätze aus jenen Jahren vergleichen, in denen diese Regierung die Verantwortung getragen hat, so kann ich mit ruhigem Gewissen sagen: Die Landwirtschaft hat voll an der Einkommensentwicklung teilgenommen. Voll!
— Das können Sie nicht abstreiten, Freunde.
Das war allerdings in den Jahren, als Sie die Verantwortung mittrugen, nicht so.
Weil ein Ausflug nach Europa gemacht wurde. — Es tut mir furchtbar leid, ich schaue auch immer auf die Uhr, aber wenn Sie mich nicht dauernd unterbrechen würden, wäre ich längst fertig.
Aber bitte, ich freue mich, daß ich Ihnen vor dem Zubettgehen noch eine kleine Lektion mitgeben kann. Das tut auch mir gut. Das will ich in aller Nüchternheit und Offenheit sagen. Die Wirtschafts- und Währungsunion — mich wundert, daß das bei dem großen Sachverstand in Ihrer Fraktion nicht bekannt ist — können Sie haben, wenn Sie die Inflationsgemeinschaft haben wollen. Die wollen Sie nicht, die wollen wir nicht und deshalb gibt es die Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft im Moment nicht. Aber diese Bundesregierung — und das können Sie im Londoner Protokoll nachlesen — hat sich mit ihrer Stabilitätspolitik durchgesetzt; denn heute machen alle Länder mit uns Stabilitätspolitik.
Ich sage Ihnen: auch zum Vorteil der deutschen Agrarwirtschaft. Wenn wir nämlich heute bereits in den ersten drei Monaten 4,4 Milliarden DM Agrarexport zu verzeichnen haben, so ist das nicht zuletzt auf die Agrarpolitik, aber auch auf die wirtschaftliche Stabilitätspolitik der Bundesregierung zurückzuführen, die der deutschen Landwirtschaft eine unendliche Wettbewerbsgleichstellung verschafft hat.
Herr Simpfendörfer, solange dieser Minister die Verantwortung trägt, wird es keine „Gießkanne" in der Agrarförderung geben. Aber bezüglich des Agrarkredits will ich ein Wort sagen.
— Herr Kollege Ritz, wenn Ihre eigenen Kollegen nicht ruhig sind, bin ich daran nicht schuld.
— Das ist gut so, weil das zeigt, daß ich auch schnell denken kann.
Solange ich die Verantwortung trage, wird es keine „Gießkanne" in der Agrarförderung geben.
— Wenn Sie das nicht verstehen, kann ich Ihnen nachher Nachhilfeunterricht geben. Dazu bin ich gern bereit. Ich war Landwirtschaftslehrer und habe Übung in der Pädagogik, und ich nutze das auch gerne in aller Freundschaft und pädagogischen Liebe.
Aber ich komme nicht zu Ende; tut mir furchtbar leid!
Das ist wie mit einem Fußballpräsidenten, der erst beweisen muß, daß er weiter aufsteigen kann.
Es gibt keine Gießkanne. Aber, Herr Simpfendörfer, das will ich nur mit einem Satz sagen. Ich wäre sehr glücklich, wenn ich in Form des Agrarkredits
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2760 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977
Bundesminister Ertlein ähnliches Instrument hätte, wie der ERP-Kredit eines für die übrige mittelständische Wirtschaft ist. Nicht mehr oder weniger will ich. Ich bedaure sehr, daß ich, als dieses Vermögen aufgeteilt wurde, nicht in der Verantwortung war. Sie können sich darauf verlassen, ein Teil davon wäre für die Landwirtschaft abgezweigt worden. Weil das nicht der Fall ist, habe ich hier etwas nachzuholen. Das ist das Grundprinzip der Idee, so daß ich die einzelbetriebliche Förderung auf die echt Förderungsfähigen konzentrieren kann. Das halte ich für sinnvoll.Damit will ich auf alle weiteren Bemerkungen verzichten. Ich bedanke mich. Ich sehe, die Opposition hat Schwierigkeiten, meinem Haushalt zuzustimmen. Aber Herr Kohl war so freundlich. Vielleicht kann er noch grünes Licht geben, nachdem er mein Pairing für morgen aufgehoben hat. Das tut mir leid; denn ich wäre gern anläßlich des Bauerntages bei den Landfrauen in Hannover gewesen. Aber das werde ich auch noch ertragen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit zu dieser späten Stunde.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10. Wer dem Einzelplan in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung ein für Donnerstag, den 23. Juni 1977, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.