Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie herzlich zu unserer Haushaltswoche undhoffe, dass wir sie mit der geübten Verbindung vonErnsthaftigkeit und Gelassenheit bis Freitagmittag hinteruns bringen. Es gibt keine amtlichen Mitteilungen, so-dass wir gleich in unsere Tagesordnung eintreten kön-nen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte I mit den Buchsta-ben a und b auf:a) Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für
Drucksachen 18/2000, 18/2002b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unter-richtung durch die BundesregierungFinanzplan des Bundes 2014 bis 2018Drucksachen 18/2001, 18/2002, 18/2826Wir kommen nun zur Beratung der Einzelpläne, undzwar zunächst der drei Einzelpläne, zu denen keine Aus-sprache vorgesehen ist.Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt I.1 auf:Einzelplan 01 Bundespräsident und BundespräsidialamtDrucksachen 18/2823, 18/2824Berichterstatter sind die Abgeordneten KerstinRadomski, Steffen-Claudio Lemme, Dietmar Bartschund Ekin Deligöz.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 01 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dem zu? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die-ser Einzelplan einstimmig angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.2 auf:Einzelplan 02 Deutscher BundestagDrucksachen 18/2802, 18/2823Berichterstatter sind die Kolleginnen und KollegenJohannes Kahrs, Bernhard Schulte-Drüggelte, RolandClaus und Anja Hajduk.Wir kommen zur Abstimmung über diesen Einzelplanin der Ausschussfassung. Wer stimmt der Beschlussemp-fehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Auch dieser Einzelplan ist damit einstimmig angenom-men.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.3 auf:Einzelplan 03 BundesratDrucksachen 18/2823, 18/2824Berichterstatter sind die Abgeordneten Ulrich Freese,Kerstin Radomski, Dietmar Bartsch und Tobias Lindner.Ich lasse über diesen Einzelplan in der Ausschussfas-sung abstimmen. Wer stimmt dafür? – Möchte jemanddagegen stimmen? – Oder sich der Stimme enthalten? –Das ist nicht der Fall. Dann ist auch der Einzelplan 03einstimmig angenommen.Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten I.4 aund I.4 b:a) Einzelplan 08Bundesministerium der FinanzenDrucksachen 18/2808, 18/2823b) Einzelplan 20BundesrechnungshofDrucksachen 18/2818, 18/2823Berichterstatter für den Einzelplan 08 sind die Abge-ordneten Norbert Brackmann, Hans-Ulrich Krüger,Gesine Lötzsch und Tobias Lindner. Berichterstatter fürden Einzelplan 20 sind die Abgeordneten Michael
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6412 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Leutert, Carsten Körber, Bettina Hagedorn und TobiasLindner.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ichkeinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Dietmar Bartsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich dererste Redner in der Haushaltswoche bin, will ich die Ge-legenheit nutzen, um mich bei den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern des Haushaltsausschusses sowie bei denvielen fleißigen Mitarbeitern in den Ministerien, insbe-sondere bei jenen, die für Haushaltsfragen zuständigsind, zu bedanken. Das war eine wertvolle Unterstützungfür die Regierung und auch für die Opposition. Herzli-chen Dank! Es war wieder toll mit Ihnen.
Meine Damen und Herren, wir hatten sehr interes-sante Haushaltsberatungen. Da wurde ein erster Haus-haltsentwurf vorgelegt, der im Ergebnis genau eineschwarze Null vorsah. Dann hatten wir intensive Bera-tungen. Es gab gewaltige Veränderungen. Es gab auchgewaltige Veränderungen bei den Rahmenbedingungen;zum Beispiel ist die Prognose zum Wachstum desBruttoinlandsprodukts im nächsten Jahr von HerrnGabriel nach unten korrigiert worden – von 2,0 Prozentauf 1,5 Prozent. Die EU-Kommission sieht das allesnoch problematischer: Sie geht von einem Wachstumvon 1,1 Prozent aus. Die Steuereinnahmen sind rückläu-fig. Ich könnte jetzt viele Beispiele für dunkle Wolken,die am Himmel sind, aufzählen. Dazu kommen die Kri-senherde im Nahen Osten, in der Ukraine usw. Doch wievon Zauberhand haben wir nach Monaten wieder einenEntwurf, der genau eine schwarze Null vorsieht. Das istaber ein Zufall! – Das ist keine seriöse Haushaltspolitik;das kann keine seriöse Haushaltspolitik sein. Das ist derVersuch, sich ein Denkmal zu setzen. Herr Schäuble, sa-gen Sie bitte laut und deutlich, dass Sie sich kein Denk-mal zulasten künftiger Generationen setzen wollen.Denn das ist in diesem Haushalt angelegt.Ich will einige Punkte nennen.Zunächst: Wir haben eine blamable Investitionsquote.Wir als Opposition – die Grünen genauso – haben bereitsbei den letzten Haushaltsberatungen darauf hingewiesen.Sie versuchen jetzt, dies zu überdecken, indem Sie sa-gen: In den Jahren 2016 bis 2018 legen wir 10 Milliar-den Euro drauf. – Beim Gipfel der G-20-Staaten wurdebeschlossen, dass in den nächsten Jahren zusätzlich1,6 Billionen Euro investiert werden sollen. Die 10 Mil-liarden Euro, die Deutschland investieren will, würdendabei 0,5 Prozent ausmachen. Na, das ist ja mal eine In-vestitionsquote! – Das ist blamabel, meine Damen undHerren! Angesichts der Situation unserer Straßen, unse-rer Brücken und der digitalen Infrastruktur muss im In-vestitionsbereich deutlich mehr getan werden. Expertenschätzen den jährlichen Bedarf allein im Bereich derVerkehrsinfrastruktur auf 7 Milliarden Euro. Das DIW– wahrhaftig nicht links – schätzt die inzwischen inDeutschland aufgelaufene Investitionslücke auf jährlich75 Milliarden Euro in den Jahren 1999 bis 2012. UndSie halten an diesem Progrämmchen mit einem Volumenvon 10 Milliarden Euro fest – obwohl wir nicht einmalwissen, wer 2018 die Regierung stellt. Nötig wäre eingrundlegender Kurswechsel, nicht nur in der Haushalts-politik.Wir haben die Große Koalition, aber wo sind denn diegroßen Reformvorhaben? – Fehlanzeige, meine Damenund Herren! Stattdessen bewegen Sie sich in politischerGeschäftigkeit auf dem Niveau der Dobrindt-Maut;diese sollten Sie nicht ernsthaft versuchen umzusetzen.
Diese Regierung hat weder Lösungen für die entschei-denden tagespolitischen Herausforderungen noch für dieZukunftsfragen.Sie reden darüber, die Märkte zu beruhigen, das Ver-trauen der Märkte zurückzugewinnen. Notwendig wäreaber, an der Gestaltung einer besseren Gesellschaft zuarbeiten. Es darf in diesem Lande niemand mit Existenz-angst leben.
1 Million Langzeitarbeitslose: Was geschieht denn mitdenen? – Da gibt es nur ein Miniprogramm von FrauNahles. Jedes Kind in Armut ist eines zu viel, jederRentner in Armut ist einer zu viel in diesem reichenLand.
Eine Gesellschaft, in der es zwischen den Generationen,zwischen Ost und West und auch bei den Vermögen undEinkommen gerechter zugeht, wäre notwendig.Frau Merkel, gestatten Sie mir eine Bemerkung: Wirhaben jetzt zu Recht gemeinsam 25 Jahre Mauerfall ge-feiert. Aber wir haben immer noch die Situation, dasswir bei den Renten ein geteiltes Land sind. Jemand, derdas Glück hatte, im Osten 25 Jahre zu arbeiten, hat25 Jahre lang einen niedrigeren Rentenwert erworben.Das ist 25 Jahre nach dem Mauerfall ein Riesenskandal,und im Haushalt wird nichts getan, daran etwas zu än-dern.
Bei der Mütterrente vertiefen Sie diese Spaltung sogar.Das ist inakzeptabel, meine Damen und Herren.
Ich will den Kolleginnen und Kollegen der SPD zuru-fen: Haben Sie Mut! Stehen Sie zu Ihren Wahlkampfver-
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Dr. Dietmar Bartsch
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sprechen des Jahres 2013. Da war auch manch Klugesdabei, zum Beispiel der Satz:Die finanziellen Mittel für die Rückkehr zu einerwachstumsorientierten Wirtschaftspolitik dürfen …nicht durch neue Schulden aufgebracht werden,sondern durch … gerechte Besteuerung …Das ist doch völlig richtig.Dieses Land braucht eine Umkehr der jahrzehntelan-gen Umverteilung von unten nach oben. Das ist notwen-dig, meine Damen und Herren.
Wir haben als Linke konkrete Vorschläge dazu vorge-legt, wie wir die Einnahmen erhöhen wollen. Wir wollen45 Milliarden Euro mehr einnehmen, und das ausdrück-lich nicht durch allgemeine Steuererhöhung. Vielmehrwollen wir diejenigen stärker beteiligen, die leistungs-fähig sind und die über große Vermögen verfügen. Die500 reichsten Familien in Deutschland besitzen ein Ver-mögen von 615 Milliarden Euro. Das sind zwei Bundes-haushalte. Das ist doch nicht normal! Da muss man dochetwas tun!Warum ziehen Sie nicht die Einführung einer Millio-närsteuer in Erwägung? Warum reformieren Sie nichtdie Erbschaftsteuer, wie das noch im Wahlprogramm derSozialdemokraten stand? In Großbritannien ist die Erb-schaftsteuer fünfmal so hoch wie in Deutschland, inFrankreich ist sie viermal so hoch,
Und in den Vereinigten Staaten ist sie zehnmal so hochwie in Deutschland. Warum haben Sie nicht den Mut,hier zu reformieren? Niemand will enteignen, aber damuss mehr für das Gemeinwohl abgeschöpft werden,meine Damen und Herren.
An dieser Stelle will ich Ihnen noch eines sagen: Dasvor kurzem aufgedeckte Steuervermeidungsmodell inLuxemburg ist einer der größten Skandale, die man sichüberhaupt vorstellen kann.
Wer hat Herrn Juncker mit seinen Erfahrungen auf die-sem Gebiet eigentlich zum Chef der EU-Kommissiongemacht? Wer war in dieser Zeit an der Regierung in un-serem Land? Wer hat denn ausgerechnet Herrn Junckerunterstützt?Wie war denn das? Allein die deutschen Großkon-zerne haben von 2002 bis 2010 durch diese Modelle90 Milliarden Euro eingespart – ob sie legal sind, daswerden wir erst noch feststellen. Und wir? Wir machengar nichts. Doch da müsste einmal Druck gemacht wer-den. Ich will auch ein bisschen an die Moral der Unter-nehmer appellieren, dass so etwas doch nicht sein kann:Die fleißigen Menschen in unserem Land zahlen Steuernund die Unternehmer suchen sich Modelle wie inLuxemburg, um das zu umgehen. Das, meine Damenund Herren, ist wirklich ein Riesenskandal.
Es ist der falsche Weg, Haushaltskonsolidierung undHaushaltssanierung zulasten von Zukunftsgestaltung zubetreiben. Auch das Zu-Tode-Sparen der Zukunft istfalsch und geht auf Kosten der jüngeren Generation. Di-verse Einzeletats – wir werden darauf zu sprechen kom-men – sind chronisch unterfinanziert.Der vorliegende Haushalt zeigt einmal mehr: DieCDU und die unionsgeführte Regierung sind eben nichtder haushaltspolitische Stabilitätsanker. Im Gegenteil:Ihr Kurs ist untauglich für die Gegenwart und stellt eineFortschrittsbremse dar. Längst ist Handeln angesagt!Ich will mit Molière schließen, der gesagt hat:Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wirtun, sondern auch für das, was wir nicht tun.Herzlichen Dank.
Norbert Barthle ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Sehr verehrterHerr Kollege Bartsch, die Linke hat in den Haushaltsbe-ratungen Mehrausgaben von sage und schreibe 54 Mil-liarden Euro gefordert. Sie haben nur zum Teil darübergesprochen, wem Sie dieses Geld wegnehmen wollen.Ich finde, Sie sollten einmal genau sagen, wem Sie die54 Milliarden Euro wegnehmen wollen;
denn auch für die Linke fällt das Geld nicht vom Him-mel.
Seriös wirtschaften sieht anders aus. Deshalb spreche ichjetzt über unseren Haushalt.
Wir, die Große Koalition, schreiben mit dem Bundes-haushalt 2015 Geschichte.
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Norbert Barthle
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Der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist dererste Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland,der einen Haushaltsentwurf ohne neue Schulden vorlegt.
Wir, der Deutsche Bundestag, werden am Freitag erst-mals einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden be-schließen. Das ist ein Novum in der Geschichte der Bun-desrepublik Deutschland.Für uns ist die schwarze Null kein Fetisch. Für uns istdie schwarze Null keine Monstranz oder heilige Kuh,oder, um es mit Wowereit zu sagen, das ist für uns nichtbesonders sexy. Vielmehr machen wir das schlicht undeinfach, meine Damen und Herren, weil wir der Auffas-sung sind: Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wirmit dem Geld auszukommen haben, das uns die Bürge-rinnen und Bürger über ihre Steuern, über Gebühren zurVerfügung stellen.
Deshalb finanzieren wir die Ausgaben in Höhe von299,1 Milliarden Euro in diesem Haushalt ohne zusätzli-che, ohne neue Schulden. Wir steigen aus aus dem ewi-gen Kreislauf ständig neuer Verschuldung.
Etwas Weiteres beweisen wir damit: Die schwarzeNull gefährdet nicht das Wachstum. Im Gegenteil: Dasschrittweise Zurückfahren der Verschuldung über dievergangenen Jahre hinweg endet im vorliegenden Haus-halt, aber wir haben dennoch Wachstum, wir könnendennoch in Zukunft investieren. Beides gehört für unszusammen.Der zentrale Satz im Haushaltsgesetz 2015 lautet:Im Haushaltsjahr 2015 nimmt der Bund keine Kre-dite zur Deckung von Ausgaben auf.Das war übrigens, wie ich bereits gesagt habe, lange Zeitnicht so. Selbst 1969 unter Franz Josef Strauß waren imEntwurf noch Schulden in Höhe von 3,6 MilliardenD-Mark vorgesehen. Im Ist war dann sogar ein Über-schuss da.
Kompliment also auch an die CSU. Aber dennoch istdies etwas Neues, was es bisher nicht gab. 1969 gab esalso zuletzt einen ausgeglichenen Haushalt. Das war dasJahr, in dem Neil Armstrong den Mond betreten hat undin dem der Berliner Fernsehturm eröffnet wurde – daszur Erinnerung daran, was damals alles passiert ist.Wir haben im Rahmen der parlamentarischen Bera-tungen den Haushalt nochmals verbessert. Der guteEntwurf des Finanzministers ist noch besser gewor-den, indem wir die Ausgaben um weitere 400 MillionenEuro abgesenkt und gleichzeitig die Investitionen um360 Millionen Euro gesteigert haben. Ich möchte nur ei-nige Beispiele für die politischen Schwerpunkte, die wirwährend der Haushaltsberatungen gesetzt haben, nen-nen:Wir haben sehr viel für die innere Sicherheit getan.Die Bundespolizei wird mit gut 400 neuen Stellen ausge-stattet und bekommt auch mehr Mittel zur Verbesserungder Personalstruktur. Wir geben zusätzliches Geld fürmoderne Schutz- und Einsatzbekleidung und für Fahr-zeuge aus. Wir stellen das THW und auch die Feuerweh-ren besser. Wir stärken das Bundesamt für Verfassungs-schutz;
denn das hat derzeit mit der Observation von Salafistenschwierige Aufgaben zu erfüllen. Der Etat wird um10 Prozent aufgestockt. Das ist für die innere Sicherheitin diesen Tagen dringend notwendig.
Wir kommen aber auch unserer humanitären Verant-wortung nach und erhöhen die entsprechenden Mittel imEtat des Auswärtigen Amts und im Etat des Bundes-ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung, im BMZ, um insgesamt fast 280 MillionenEuro, um damit den aktuellen Entwicklungen in den Kri-sengebieten Rechnung tragen zu können.Wir erhöhen den Etat für die Kultur wie schon in denVorjahren deutlich und können damit auch das Denkmal-schutzprogramm für national bedeutsame Kulturgüterwiederauflegen. Wir haben das Bauhaus-Jubiläum be-rücksichtigt. Wir schaffen Vorsorge für die Errichtungeines Museums für die Kunst des 20. Jahrhunderts inBerlin. An dieser Stelle gratuliere ich unserer Staatsmi-nisterin Monika Grütters ganz besonders zu diesem weg-weisenden Schritt. Das wird für die Zukunft bedeutsamsein.
Außerdem statten wir die Deutsche Welle besser aus.Gerade die Deutsche Welle hat angesichts der Tatsache,dass andere Sender, die weltweit informieren, mehr Geldausgeben – dazu gehören zum Beispiel Russia Todayund al-Dschasira –, zunehmend Aufgaben zu erfüllen. Esist nicht einfach, dagegenzuhalten.Wir stocken auch den Verkehrsetat auf. EntsprechendeMittel für Lärmschutzmaßnahmen stehen zur Verfügung,und zwar mehr als bisher. Insbesondere tun wir etwas fürdie Deutsche Flugsicherung, indem wir ein 500-Millio-nen-Euro-Programm bis 2019 aufgelegt haben. Das ver-hindert unverhältnismäßig hohe Gebührenerhöhungenfür die Fluggäste und stärkt somit den LuftfahrtstandortDeutschland. Auch das ist, glaube ich, ein wichtiges Si-gnal.Außerdem hat die Koalition ein Herz für den Sport.Wir erhöhen den Sportetat um 15 Millionen Euro,
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Norbert Barthle
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allerdings mit der klaren Aussage an die Organisationenund an den DOSB, dass wir im kommenden Jahr Vor-schläge für Strukturreformen erwarten, die es ermögli-chen, die Mittel effektiver einzusetzen und somit dieSpitzensportförderung in den Zustand zu versetzen, dasswir international wieder wettbewerbsfähiger werden.Sportverbände, Trainer und der Kampf gegen Dopingsollen insbesondere profitieren.Wir haben den Personalbestand des Bundes trotz teil-weise erheblicher Personalverstärkungen – zum Beispiel350 zusätzliche Stellen beim Bundesamt für Migrationund Flüchtlinge für die Asylbewerberverfahren – insge-samt reduziert. Im Vergleich zum Jahr 2014 gibt es ins-gesamt 1 100 Stellen weniger. Der Personalbestand desBundes umfasst insgesamt 248 400 Stellen. Das sinddeutlich weniger als noch im Jahr der Wiedervereini-gung. Damals hatten wir 301 500 Stellen allein in denwestlichen Bundesländern.Lassen Sie mich zwei Worte zur Kritik der Oppositionsagen, die bereits im Vorfeld vorgetragen wurde. Da warimmer von Tricksereien und von Schattenhaushalten dieRede usw. usf.
Meine Damen und Herren, davon kann keine Rede sein.Im Gegenteil: Da wird nirgendwo getrickst. Wir habennicht nur eine sehr gute Fassade, sondern auch die Sub-stanz dieses Haushalts stimmt.
Wir sparen auch nicht an der Zukunft dieses Landes.Das Gegenteil haben wir in den vergangenen Jahren be-wiesen. Wir haben nicht nur die strukturelle Verschul-dung sukzessive zurückgeführt, sondern wir haben auchdie Neuverschuldung Jahr für Jahr sukzessive zurückge-führt. Bei der Neuverschuldung kommen wir von 80 Mil-liarden Euro, die für das Jahr 2010 vorgesehen waren– am Ende waren es 44 Milliarden Euro –, und habendann die Neuverschuldung Jahr für Jahr sukzessive ingleichmäßigen Schritten zurückgeführt.Ich bin zuversichtlich, dass wir ebenso wie in den ver-gangenen Jahren, als wir jeweils besser abgeschnittenhaben, als im Soll vorgesehen war, auch in diesem Jahrbesser abschneiden werden und am Jahresende hoffent-lich unter der vorgesehenen Nettokreditaufnahme von6,5 Milliarden Euro bleiben können.Wir halten die Schuldenbremse nicht nur ein; wirbleiben sogar deutlich unter der Grenze der Schulden-bremse. Wir haben die Kriterien bereits 2012 erfüllt, undauch dieses Mal bleiben wir deutlich unter den Vorgabender Schuldenbremse.Der Abbau der Neuverschuldung hat uns nicht ge-schadet, meine Damen und Herren. Trotz des Abbausder Neuverschuldung haben wir ein ordentliches Wirt-schaftswachstum. Eine solide und verlässliche Haus-haltspolitik schafft Vertrauen, und Vertrauen ist die Vo-raussetzung für wirtschaftliches Wachstum. Genau dieseFormel geht bei uns auf.
Die derzeitige Situation ist also nicht irgendeinemglücklichen Umstand zu verdanken und uns einfach inden Schoß gefallen. Natürlich sind die Umstände güns-tig, natürlich haben wir das Glück niedriger Zinsen;keine Frage. Aber dieses Glück trifft nicht nur uns inDeutschland; die niedrigen Zinssätze der EZB gelten füralle. Man muss sein Glück also auch nutzen,
und wir nutzen unser Glück, indem wir richtig haushal-ten, indem wir richtig wirtschaften. Demzufolge könnenwir konsolidierte Haushalte vorlegen. Wir haben in die-sem Land glücklicherweise eine Beschäftigungsquote,die so hoch ist wie noch nie, und eine Arbeitslosenquote,die so niedrig ist wie nirgendwo sonst in der Europäi-schen Union. Aber auch das ist uns nicht in den Schoßgefallen, sondern das muss man sich erarbeiten.
Somit hat das nur wenig mit Glück zu tun, aber viel mitsolider Politik.
Jetzt komme ich zu einem weiteren Vorwurf der Op-position. Die Opposition behauptet immer wieder, wirwürden in die sozialen Sicherungssysteme eingreifen.
Meine Damen und Herren, die Deutsche Rentenversi-cherung verfügt derzeit über Rücklagen in Höhe vongut 33 Milliarden Euro, und wir leisten einen Steuerzu-schuss an die Rentenversicherung von jährlich gut80 Milliarden Euro. Es ist also doch nur vernünftig, da-mit neue Belastungen zu finanzieren, anstatt die Rück-lage noch stärker wachsen zu lassen.Zum Gesundheitsfonds: Wir haben im vergangenenJahr versprochen, dass wir den Zuschuss an den Gesund-heitsfonds, der abgesenkt wurde, sukzessive wieder er-höhen. Das tun wir. In diesem Jahr wird der Steuerzu-schuss an den Gesundheitsfonds um 1 Milliarde Euroerhöht. Auch an dieser Stelle lösen wir also unser Ver-sprechen ein. Auch der Gesundheitsfonds verfügt überordentliche Rücklagen. Das werden am Ende dieses Jah-res rund 13 Milliarden Euro sein – zusätzlich zu denRücklagen, über die die Krankenkassen verfügen. Dahermuss kein Versicherter Sorge haben, dass seine Leistun-gen gekürzt werden.
– Wenn irgendwo Zusatzbeiträge erhoben werden soll-ten, Herr Kollege Kindler, dann liegt das an der jeweili-
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gen Kasse, nicht am Gesundheitsfonds. Der Gesund-heitsfonds ist gut gefüllt.Deshalb lautet mein Appell an die Opposition auch andieser Stelle: Bleiben Sie bei der Wahrheit, und bauenSie keinen Popanz auf!
Nebenbei bemerkt: Die exorbitant niedrigen Zinsen,die, wie gesagt, auf die Zinspolitik der EZB zurückge-hen, schlagen sich selbstverständlich auch in den exorbi-tant niedrigen Zinssätzen für unsere Staatsanleihen nie-der. Aber auch diese sehr niedrigen Risikoaufschläge– zehnjährige Staatsanleihen rentieren derzeit mit 0,8 Pro-zent – muss man sich erarbeiten. Wir haben uns das Ver-trauen der internationalen Finanzmärkte erarbeitet. Auchdas ist nichts, was einem in den Schoß fällt. Das ist viel-mehr zurückzuführen auf die solide Politik der vergan-genen Jahre.Deshalb erlaube ich mir folgenden Hinweis, meineDamen und Herren: Wer sich im europäischen Raumumschaut, stellt sehr schnell fest, dass die gute Situation,in der wir uns befinden, nicht nur mit Zufall und Glückzu tun hat, sondern mit der Politik der vergangenen Jahrezu tun hat.Die Situation in Frankreich ist so, dass Frankreichseine Staatsausgaben in den vergangenen Jahren, zwi-schen 2010 und 2014, ordentlich erhöht hat: Im Haus-haltsentwurf für 2014 waren Ausgabenzuwächse von2,3 Prozent vorgesehen, für das kommende Jahr sind1,8 Prozent vorgesehen, obwohl Frankreich unter demKonsolidierungsdruck seitens der Europäischen Unionsteht. Wir haben einen Ausgabenzuwachs von 0,9 Pro-zent.Wenn Sie sich die Entwicklung der Lohnstückkostenanschauen, werden Sie sehr schnell feststellen, dass siebei uns stabil sind, dass sie in Spanien, in Portugal, inGriechenland deutlich zurückgegangen sind, dass sieaber in Frankreich und Italien gestiegen sind.Das Glück der guten Begleitumstände dieser Zeittrifft also nicht nur Deutschland; es trifft alle. Deshalb istes bemerkenswert, dass die Staatsquote in anderen Län-dern steigt – in Frankreich in dieser Zeit von 56,4 auf57,9 Prozent –, während wir bei uns in Deutschland einerückläufige Staatsquote haben. Das ist Ausweis klarer,solider Politik und einer Haushaltspolitik, die Wachs-tumskräfte möglich macht, anstatt sie zu behindern.
Lassen Sie mich abschließend sagen, meine Damenund Herren: Der Haushalt 2015 und die mittelfristige Fi-nanzplanung markieren den Beginn einer neuen und bes-seren Ära in der Haushaltspolitik des Bundes. Wir wer-den diesen Weg erfolgreich weiter beschreiten.Danke.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun derKollege Kindler das Wort.
Ja, keine Panik. – Sehr geehrter Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Schäuble, ich will am Anfang zugestehen:Mit Ihrem Haushalt verfolgen Sie eine gute Marke-tingstrategie. Doch leider ist er die Fortsetzung der altenSchuldenpolitik. Sie verkaufen ihn nur besser als andere.Sie leihen sich zwar das Geld nicht mehr bei der Bank,aber Sie greifen in den Gesundheitsfonds, Sie nehmenbei der Rentenkasse Schulden auf, und Sie fahren die In-frastruktur auf Verschleiß. Die Investitionsquote in die-sem Haushalt sinkt rapide. Herr Schäuble, Sie verste-cken Ihre Schulden nur in Schattenhaushalten. Das istunehrlich. Wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Beidiesem Haushalt steht in der Bilanz ein dickes, fettes Mi-nus.
Zur Wahrheit gehören die versteckten Schulden beiden Sozialkassen. Rund 10 Milliarden Euro versteckenSie in Schattenhaushalten bei den Sozialkassen, 7 Mil-liarden Euro bei der Mütterrente, und Sie greifen2,5 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds. Undwarum? Alles nur, weil die Union zu feige war, eine ge-rechte Finanzpolitik zu machen, und weil die Union zufeige war, auch hohe Einkommen, hohe Vermögen he-ranzuziehen. Dabei ist jedem hier im Bundestag klar– das sagt auch die Deutsche Rentenversicherung –: Fürdie Mütterrente darf nicht die Rentenkasse geleert wer-den. Sie muss aus Steuermitteln bezahlt werden.
Auch das Projekt der SPD, die Rente mit 63, wird klarteurer; das wird jetzt deutlich. Das ist aber sowieso diefalsche Antwort. Die Rentenkasse ist 2018 leer. Insge-samt machen Sie im Rahmen des Rentenpaketes nichtsgegen Altersarmut. Das ist nicht nur unverantwortlicheFinanzpolitik, sondern auch ein krasses Versagen beidiesem zentralen Gerechtigkeitsthema.
Die Plünderung des Gesundheitsfonds führt übrigensdazu, dass fast alle gesetzlichen Krankenkassen jetztschon angekündigt haben, 2015 Zusatzbeiträge zu erhe-ben. Wozu führt Ihr Griff in die Sozialkassen? GroßeEinkommen werden geschont, und kleine und mittlereEinkommen, die Beitragszahler, werden die Zeche für
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Sven-Christian Kindler
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Ihren Haushalt zahlen. Ich sage Ihnen: Das ist extremungerecht.
Ich finde einfach, Herr Schäuble, Sie handeln fahrläs-sig, ignorant und zukunftsvergessen. Sie setzen weiter-hin auf das Prinzip Hoffnung. Machen wir uns docheinmal ehrlich: Bei der Steuerschätzung gab es vieleglückliche Einmaleffekte. Ohne diese Einmaleffektewäre sie doch eine Katastrophe für Sie geworden. Zuden Einmaleffekten gehören: 1,3 Milliarden Euro weni-ger bei den Zinsen, Sie bekommen 2015 2,2 Milliar-den Euro von der Europäischen Union zurück, und 2015gibt es einen Sondereffekt bei der Postbeamtenversor-gungskasse in Höhe von 560 Millionen Euro. Das machtEinmaleffekte in Höhe von 4 Milliarden Euro. Das istviel Glück!
Sie machen am Haushalt aber nichts Strukturelles. DieseArbeitsverweigerung, dass Sie nichts Strukturelles ma-chen, wird uns später noch teuer zu stehen kommen.
Ich finde, angesichts der historisch niedrigen Zinsen,der extrem großen Einmaleffekte 2015, Ihres Glückesund der gleichzeitig in den Sozialkassen verstecktenSchulden ist dieser Haushalt kein Grund, um sich auf dieSchulter zu klopfen. Diesen Haushalt mit seinen ver-steckten Schulden hätte jeder Bundesfinanzminister ir-gendwie hingebogen;
diesen Haushalt hätten auch Theo Waigel und HansEichel hingebogen. Aber mit Ehrlichkeit und Leistunghat dieser Haushalt nichts zu tun.
Sie trauen sich nicht, strukturell etwas an diesemHaushalt zu ändern. Sie schichten nicht um, Sie entrüm-peln nicht, es gibt keinen Subventionsabbau und keineVerbesserung bei den Einnahmen.Dabei gibt es in Bezug auf den Haushalt genug zu tun.Es gibt kaum Investitionen; die Investitionsquote im Fi-nanzplan sinkt. Investitionen in den Klimaschutz und dieEnergiewende muss man mit der Lupe suchen, Investi-tionen in das Breitband sind 2015 Fehlanzeige. Sie ver-schlafen Investitionen in gute Bildung und gute Kitasund bauen lieber neue Autobahnen, statt jetzt bestehendeStraßen und Brücken zu erhalten. Das heißt, Sie fahrendiese Gesellschaft auf Verschleiß. Dieser Haushalt lebtvon der Substanz, und das ist einfach total zukunftsver-gessen.
Auch Sie, Herr Schäuble, haben jetzt gemerkt, dassdie Kritik an den Investitionen gesessen hat. Statt abersubstanziell zu arbeiten, machen Sie weiter mit IhrerMarketingstrategie. Zu dem 10-Milliarden-Euro-Paket,das Sie bei der Steuerschätzung verkündet haben, habenSie im Haushaltsausschuss selbst gesagt, es gehe Ihnenhier vor allen Dingen um eine gute Kommunikations-strategie. Das sieht man leider auch an diesem Paket. Eshat nur wenig Substanz, und das Ergebnis ist ziemlichernüchternd: In 2015 gibt es nichts, diese 10 MilliardenEuro werden über drei Jahre verteilt, sodass es pro Jahrnur etwas über 3 Milliarden Euro sind, und im Finanz-plan sowie im Haushalt ist bisher nichts gegenfinanziert.Insgesamt ist das leider nur ein Tropfen auf den heißenStein.
Sie haben daneben noch eine zweite Marketingstrate-gie. Seit Monaten höre ich von Herrn Schäuble undHerrn Gabriel, dass sie mehr privates Kapital für Investi-tionen aktivieren wollen. Das hört sich erst einmal gutan. Mir wird aber angst und bange, wenn ich höre, wie.Sie wollen nämlich einen neuen Vorstoß für öffentlich-private Partnerschaften. Dabei zeigt der Bundesrech-nungshof am Beispiel Straßenbau schon jetzt, dass dieszu Mehrkosten in Milliardenhöhe führt. Durch die höhe-ren Zinskosten und die hohen Renditeerwartungen derUnternehmen führt dies dazu, dass die Schuldenbremseumgangen wird, dass es teuer wird und dass Schatten-haushalte aufgebaut werden. Insgesamt ist das ein Aus-verkauf von öffentlicher Infrastruktur mit gravierendenFolgen. Ich sage Ihnen: Diese ÖPP-Strategie ist ein ge-fährlicher und teurer Irrweg.
Stattdessen sollten Sie im Haushalt lieber klare Priori-täten bei den Investitionen setzen, und das muss manauch solide gegenfinanzieren. Da muss man am Haus-halt auch einmal arbeiten, indem man zum Beispiel um-schichtet und entrümpelt. Da muss man das Betreuungs-geld streichen
und Milliarden bei Rüstungsdesastern einsparen.
Da muss man bei den Ausgaben für neue Autobahnenkürzen und dafür den Erhalt von Straßen finanzieren,und da muss man auch einmal an die Subventionen he-rangehen.
Der Staat verbrennt durch umweltschädliche Subven-tionen jedes Jahr 50 Milliarden Euro.
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6418 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Sven-Christian Kindler
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Davon könnte man 2015 schnell rund 9 Milliarden Euroabbauen: bei den Subventionen für die Flugindustrie, dasErdöl, den Agrardiesel und die schweren Dienstwagen.Deswegen fordere ich Sie auf: Hören Sie mit dieser kli-maschädlichen Subventionspolitik auf!
Der Staat ist strukturell unterfinanziert. Deswegenmuss man auch die Einnahmeseite verbessern, weswe-gen wir zum Beispiel dafür sorgen wollen, dass Kapital-einkommen genauso wie Arbeitseinkommen wiederprogressiv besteuert werden und die ungerechte Abgel-tungsteuer abgeschafft wird; denn wir brauchen inDeutschland endlich mehr Steuergerechtigkeit.
Durch Entrümpeln, Umschichten, Subventionsabbauund Einnahmeverbesserungen können wir in diesemHaushalt pro Jahr einen Spielraum von mehr als 10 Mil-liarden Euro schaffen: für Innovationen, für Investitio-nen und für Gerechtigkeit.Wir Grüne haben hier viele Änderungsanträge einge-bracht. Ich will nur einmal drei Schwerpunkte nennen:Erstens wollen wir, dass die Energiewende wieder anFahrt gewinnt. Wir wollen mit einem Energiesparfondsim Umfang von 3 Milliarden Euro dafür sorgen, dassWohnungen und Gebäude saniert werden, und so dasKlima schützen.
Wir wollen zweitens dafür sorgen, dass es überallschnelles Internet gibt: von Stralsund bis Konstanz. Des-halb wollen wir 1 Milliarde Euro für den Breitbandaus-bau einsetzen.
Drittens wollen wir noch mehr für Flüchtlinge tun: imNordirak und in Syrien, aber auch hier vor Ort inDeutschland, in den Kommunen. Der Winter steht jetztvor der Tür. Wer nach Deutschland flieht, darf hier nichtin Zelten oder Turnhallen schlafen müssen.
Deswegen wollen wir die humanitäre Hilfe in Ländernwie Syrien und dem Irak und deren Nachbarländerndeutlich erhöhen, und wir wollen 1 Milliarde Euro inDeutschland zur Unterstützung von Flüchtlingen undKommunen einsetzen.
Diese 1 Milliarde Euro haben jetzt ja auch SigmarGabriel und die SPD angekündigt. Ich finde es schön,dass Sie jetzt Verantwortung übernehmen wollen.Schauen Sie deswegen nicht mehr weg, und stimmen Sieunserem Antrag am Freitag bitte zu, liebe SPD!
Ich bin sehr gespannt.Man muss sagen: Dieser Haushalt hat eine schillerndeFassade, aber dahinter bröckelt es gewaltig. Es gibt indiesem Haushalt viele Verlierer: das Klima und die Ener-giewende; die Flüchtlinge; Kinder und Jugendliche, de-nen es an Bildung fehlt; Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer, denen Sie in die Tasche greifen und die dieZeche für Ihren Haushalt zahlen.Herr Schäuble, Ihr Haushalt enthält viele versteckteSchulden, und es wird kaum investiert. Sie finanzierendiesen Haushalt auf dem Rücken von vielen Menschen:hier in Deutschland und im Rest der Welt. Deswegenwerden wir diesen Haushalt ablehnen.Vielen Dank.
Johannes Kahrs ist der nächste Redner für die SPD-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Uns liegt heute ein Haushalt vor, der bemer-kenswert ist. Er ist deswegen bemerkenswert, weil wirseit ewigen Zeiten das erste Mal keine neuen Schuldenmachen. Das ist ein Grund, sich parteiübergreifend zufreuen.
Wenn man aus den Erfahrungen der letzten Jahre ge-lernt hat, dass es immer gute Gründe gibt, mehr Geldauszugeben, dann weiß man, dass es nicht leicht ist,keine neuen Schulden zu machen. Das klingt wie eineSelbstverständlichkeit, aber das ist leider keine. Der Kol-lege Norbert Barthle hat gesagt, dass es eigentlich selbst-verständlich sein müsste, keine neuen Schulden zu ma-chen. Da hat er eigentlich recht.
Auf der anderen Seite haben wir das noch nie so gehal-ten.
Weil wir das noch nie so gemacht haben, ist diese De-batte an diesem Tag so bedeutsam. Wir müssen einfacheinmal verinnerlichen, dass wir heute etwas Selbstver-ständliches machen, was wir in den letzten Jahren abernicht getan haben.
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Johannes Kahrs
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Das wirklich Gute an diesem Haushalt ist nicht, dasswir es einmal geschafft haben, keine neuen Schulden zumachen, sondern es ist die Bereitschaft bei, wie ichglaube, allen Parteien in diesem Hause, das nicht nur indiesem Haushalt zu schaffen, sondern auch in den Haus-halten der nächsten Jahre. Sinn macht diese Veranstal-tung nämlich nur, wenn wir dauerhaft keine neuenSchulden machen. Das ist der Punkt.
Wir als Sozialdemokraten haben zusammen mit derUnion in der letzten Großen Koalition dafür gesorgt,dass die Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommenwird. Wir haben auch auf unseren Parteitagen immer be-schlossen: Wir wollen keine neuen Schulden machen.Ich bin mir sicher, auch die Union hat immer Ähnlichesgemacht. Jetzt aber wird es getan.Wichtig ist, dass wir über diese Linie die Schulden-bremse erreichen. Es ist gut, dass uns das so gelungenist. Herr Minister Schäuble, ich bin dankbar, dass dies inguter Zusammenarbeit mit Ihrem Hause gelaufen ist. ImGegensatz zu dem Kollegen Bartsch glaube ich auchnicht, dass es ein Zufall war, dass wir als Ergebnis langerHaushaltsberatungen – dabei waren wir durchaus unter-schiedlicher Ansicht – keine neuen Schulden gemachthaben, sondern das war harte Arbeit, lange, harte Arbeit.
– Herr Kollege, das ist schlicht und einfach so. Seien Siedoch einfach einmal glücklich darüber, dass uns das ge-lungen ist.
Es gibt immer viele Möglichkeiten und gute Gründe,mehr Geld auszugeben. Hier ist es uns einfach gelungen,das nicht zu tun.Wichtig ist für uns alle das Vorhaben, dass das nichtnur für 2015 gilt, sondern auch für 2016, 2017, 2018,2019, 2020. Das ist nachhaltige Politik. Das ist genera-tionengerechte Politik. Das heißt, dass man nachfolgen-den Generationen keine Schuldenberge hinterlässt. Esheißt aber auch, dass man mit dem vorhandenen Geldauskommen muss, dass man also, wenn es Wünsche undBedarfe gibt, auch einmal innerhalb eines Etats und zwi-schen Etats umschichten muss.Das haben wir in der Vergangenheit alle nicht ge-schafft, weil wir immer lieber mit frischem Geld neueSchulden gemacht haben, statt uns an bestehenden Be-sitzständen abzuarbeiten und damit die eine oder andereInteressengruppe, die eine oder andere Lobby in diesemLand gegen uns aufzubringen. Davor haben wir immerAngst gehabt. Deswegen haben wir immer mehr Geldausgegeben.Eigentlich aber wissen wir alle, dass es natürlich Be-reiche gibt, wo gespart werden kann. Ehrlich gesagt: InZeiten, in denen es uns gut geht, in Zeiten, in denen wirhohe Steuereinnahmen haben, in denen wir eine geringeArbeitslosigkeit haben, ist das, was wir hier machen,keine Atomphysik; das gebe ich zu. Aber sollte sich daseinmal wieder ändern, sollten die Zeiten wieder schwie-riger werden, ist das eine große Herausforderung. Wirhaben das, was die Risiken angeht, schon angesprochen.Wenn die Zinsen wieder auf ein halbwegs normalesNiveau steigen, wie es sich jeder deutsche Sparer oderjeder, der eine Lebensversicherung abgeschlossen hat,wünscht, und bei 3 oder 4 Prozent liegen, dann zahlenwir nicht mehr wie jetzt 25 Milliarden Euro jährlich anZinsen. Dann sind es 45 Milliarden, 50 Milliarden oder,wenn wir Pech haben, 60 Milliarden Euro. Dann in die-sem Haushalt keine neuen Schulden zu machen, das istdie eigentliche Herausforderung. Das wird man bei je-dem Etat beachten müssen. Damit wiederum werdensich Haushaltspolitiker relativ unbeliebt machen. Dannwerden Fraktionssitzungen nicht so charmant sein wiejetzt, wo man als Haushälter – Kollege Barthle hat es an-gesprochen – noch die eine oder andere vernünftige Sa-che umsetzen kann, sondern dann muss man erklären,warum man die eine oder andere eigentlich gute Sachenicht mehr macht. Das wird die Herausforderung wer-den.Deswegen sind diese Haushaltsberatungen meines Er-achtens nicht das, was die Opposition zum Besten gibt,wenn sie von einer Nullnummer oder versteckten Schul-den spricht. Wenn wir alle gemeinsam sagen: „Das istein Anfang, der auch Konsequenzen haben muss, unddas muss über die Jahre durchgezogen werden“, dann istdas ein wichtiger Haushalt. Dann ist es auch ein histori-scher Haushalt, und dann haben wir alle wirklich etwasgeleistet.Deswegen ist das nicht nur Glück – deswegen ist esauch nicht nur ein Zufall, Herr Bartsch –, sondern es istharte Arbeit, die man durchzieht.
Das kann man dann auch in der mittelfristigen Finanz-planung sehen.Ich glaube, Herr Kindler, dass es keine Geschenkesind, wenn man einen Mindestlohn oder die Rente mit63 durchsetzt,
die das Pendant zur Rente mit 67 ist. Denn all diejeni-gen, die wie ich erst sehr spät ins Arbeitsleben eingetre-ten sind, weil sie studiert haben, können gerne bis 67 ar-beiten, während diejenigen, die mit 15, 16, 17 oder18 Jahren angefangen haben, zu arbeiten, und das kör-perlich nicht länger können, gerne mit 63 in Rente gehenkönnen. Das ist vernünftig, richtig und vor allen Dingengerecht. Deswegen ist das kein Geschenk.
Das Gleiche gilt übrigens auch für die Mütterrente,die wir auch mitgetragen haben. Sie ist richtig und ver-nünftig.
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6420 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Johannes Kahrs
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Das sind keine Geschenke. Man muss nur darauf ach-ten, dass sie entsprechend finanziert werden.
Wenn man sie jetzt beschließt, dann muss man sie auchdauerhaft finanzieren.
Denn das ist der Sinn dieser Veranstaltung.Deswegen ist es richtig, dass man sich darüber Ge-danken macht, was man steuerpolitisch tut. KollegeBarthle hat es schon gesagt: Wir haben etwas im Bereichder Flugsicherung getan. Wir haben es leider nicht ge-schafft, uns die Luftverkehrsteuer zu schenken, die vonSchwarz-Gelb in der letzten Legislaturperiode als Steu-ererhöhungsmaßnahme eingeführt worden war. Gut, dashat nicht geklappt. Aber im Ergebnis hat dieser Haus-halt, glaube ich, gezeigt, dass man beides machen kann:keine neuen Schulden und gleichzeitig auch noch einpaar vernünftige Sachen.Ob beim THW, der Bundespolizei oder der Bundes-zentrale für politische Bildung – du hast es schon er-wähnt, Norbert Barthle –: Ich glaube, das sind Maßnah-men, die man durchführen muss, damit man in demeinen oder anderen Punkt vernünftige und gerechte Zu-stände hinbekommt.
Aber das, was diesen Haushalt wirklich auszeichnet,ist, dass die beiden großen Volksparteien in diesem Landsich geschworen haben, dass wir keine neuen Schuldenmachen wollen. Wenn die Zeiten schlechter werden,dann muss hart gespart werden. Wenn wir das durchzie-hen, dann haben wir etwas geleistet.Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Bundesfinanzminister,Dr. Wolfgang Schäuble.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Diese Bundesregierung hat nach der Wahl be-schlossen, dass wir ab 2015 den Bundeshaushalt ohneNeuverschuldung fahren wollen. Dieses Versprechenhalten wir ein und setzen wir heute um.
– Das hat mit einem Denkmal wenig zu tun; machen Siesich keine Sorgen, Herr Kindler.
– Das ist offenbar sogar Ihnen peinlich. Aber von dem,was Sie gesagt haben, ist Ihnen manches auch peinlich.Das war auch nicht Ihr bester Beitrag heute, mit allemRespekt.
Ich kann ja verstehen, dass es für Sie, nachdem Sie inMeinungsumfragen gesehen haben, dass es sogar dieAnhänger der Oppositionsparteien in großer Mehrheitfür richtig halten, dass wir keine neuen Schulden ma-chen,
ein bisschen schwierig ist, hier dagegen zu polemisieren.
Aber entscheidend ist etwas anderes. Eine nachhaltige,verlässliche und berechenbare Finanzpolitik, die Worthält, ist ein Anker für Vertrauen. Vertrauen ist in einerZeit, wo die wirtschaftliche Lage hochfragil und nervösist, ein ganz wichtiges Kapital für eine nachhaltige, sta-bile wirtschaftliche Entwicklung.Es ist übrigens nicht ganz von alleine gekommen,dass die breite Mehrheit des wirtschaftswissenschaftli-chen Sachverstands in Deutschland diese Finanzpolitikfür richtig hält. Die Wirtschaftsforschungsinstitute derProjektgruppe Gemeinschaftsdiagnose haben sich in ih-rem aktuellen Herbstgutachten klar für diese Finanzpoli-tik ausgesprochen. Der Sachverständigenrat zur Begut-achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hatsich ebenfalls klar für diese Finanzpolitik ausgespro-chen. Sie reden gegen die breite Überzeugung der Be-völkerung wie des wirtschaftswissenschaftlichen Sach-verstands in Deutschland, wenn Sie diese Finanzpolitikkritisieren.
Natürlich ist das wirtschaftliche Umfeld seit der Ein-bringung des Bundeshaushalts ein Stück weit schwieri-ger geworden. Im ersten Halbjahr konnten wir uns vorPrognosen kaum retten, die jede Woche die wirtschaftli-che Entwicklung für die nächsten Jahre noch positivereingeschätzt haben. Die Bundesregierung war eher aufder zurückhaltenden Seite. Im dritten Quartal dieses Jah-res ist es dann plötzlich gekippt. Nun sind jeden Tag
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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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Meldungen zu lesen, dass es ein bisschen schlechterwird als im Frühjahr vorhergesehen. Das wird gleich alsschlechte Nachrichten verstanden. Aber wir sind nicht ineiner Rezession und auch nicht in einer Wirtschaftskrise.Die Wachstumsentwicklungen sind nicht ganz so gut wieim Frühjahr vorhergesehen. Aber wir sind nahe an derNormalauslastung unserer wirtschaftlichen Kapazitäten.Wir haben ein höheres Wachstum als in den zurücklie-genden Jahren. Deswegen wäre es ein schwerer Fehler,wenn wir die Krise jetzt durch unbedachtes Gerede gera-dezu herbeireden würden. Davor kann ich nur warnen.
Herr Kollege Kindler, wenn ich den Versuch einerernsthaften Auseinandersetzung mit dem, was Sie alsMarketingstrategie bezeichnet haben, unternehmen darf:Ich bin gar nicht so anspruchsvoll. Ich wollte bewusstvermeiden – das habe ich so im Haushaltsausschuss undbei vielen anderen Gelegenheiten öffentlich bekannt –,dass eine Meldung, dass die Steuereinnahmen ein biss-chen langsamer wachsen als noch vor fünf oder sechsMonaten geschätzt, erneut als eine negative Nachrichtverstanden wird; denn wenn wir noch ein paar Missver-ständnisse dieser Art haben, dann entsteht die Krise ein-fach nach dem Prinzip der Selffulfilling Prophecy. Wirreden sie dann herbei. Genau das dürfen wir nicht ma-chen. Deswegen habe ich gesagt: Nein, wir haben eineordentliche wirtschaftliche Auslastung in einem schwie-riger gewordenen wirtschaftlichen Umfeld. Aber damitwird sich die Bundestagsdebatte vermutlich morgen inder Generalaussprache stärker beschäftigen. Darum mussich mich heute nicht kümmern. Aber es ist völlig klar,dass sich das wirtschaftliche bzw. geopolitische Umfeldauf die wirtschaftliche Entwicklung, die Einschätzungenund die Erwartungen auswirkt. Dass das etwas schwä-cher gewordene wirtschaftliche Umfeld in Europa auchfür Deutschland als das Land, das am meisten von derwirtschaftlichen und politischen Integration Europasprofitiert, Auswirkungen hat, ist auch nicht zu bestreiten.Deswegen ist es für uns entscheidend und wichtig, dasswir in Europa Stabilitätsanker und Wachstumslokomo-tive und zugleich Anker von Verlässlichkeit und Ver-trauen bleiben. Wenn wir uns nicht an die Regeln inEuropa halten, können wir es auch nicht von anderen er-warten. Schließlich haben wir es leichter als andere.
Damit es da gar keinen Zweifel gibt: Wir haben nachwie vor eine gesamtstaatliche Schuldenstandsquote imVerhältnis zum Bruttoinlandsprodukt von annähernd75 Prozent. Wir werden sie in den nächsten Jahren aufunter 70 Prozent zurückführen.
Wir erfüllen damit – und nur damit – die Verpflichtungdes europäischen Regelwerks, dass wir bis in die2020er-Jahre unsere Schuldenstandsquote auf 60 Pro-zent unserer gesamtwirtschaftlichen Leistungskraft zu-rückführen. Deswegen sage ich noch einmal: Wenn wiruns nicht an die europäischen Regeln halten, wie sollenwir es dann von anderen, die es aktuell schwerer haben,verlangen? Deswegen ist es wichtig, dass wir diese Fi-nanzpolitik machen, auch als Beitrag zur Überwindungder Schwierigkeiten in Europa.Weil Sie den G-20-Gipfel in Brisbane und anderes an-gesprochen haben, will ich folgende Bemerkung ma-chen: Auf dem G-20-Gipfel haben wir wieder und wie-der erklärt – am Ende ist das von den Staats- undRegierungschefs in Brisbane genau so in der Gipfeler-klärung beschlossen worden –: Für ein nachhaltigesWachstum sind Strukturreformen, mehr Investitionenund eine nachhaltige Finanzpolitik entscheidend. Einenachhaltige Finanzpolitik wird immer vergessen.Wie man sagen kann, wir könnten mehr für die Infra-struktur tun, indem wir die Ausgaben für den Autobahn-bau kürzen – auch das haben Sie in Ihrer Rede gesagt –,hat sich mir nicht ganz erschlossen. Wenn wir Problemebei der Verkehrsinfrastruktur haben, sollten wir viel-leicht mehr dafür tun, dass wir dort, wo Bedarf ist, zumBeispiel bei den Bundesfernstraßen, investieren. Mankann doch nicht sagen, wir müssten dort kürzen. Damussten Sie Ihren Kotau vor der umweltpolitischenKomponente Ihres Parteitages, der gerade stattgefundenhat, machen. Das sei Ihnen verziehen, aber Sie verlierenein bisschen Seriosität mit dieser Argumentation.
Es gilt auch in Europa: nachhaltige Finanzpolitik. Na-türlich muss das in jedem Land nach den jeweiligenMöglichkeiten erfolgen. Diesen Zusammenhang wirddie Europäische Kommission, die sich neu gebildet hat,berücksichtigen, wenn sie die Haushalte der Mitglied-staaten jetzt beurteilt. Sie wird zu allen ihre Kommentareabgeben, und wir werden darüber in den europäischenRäten zu beraten und zu befinden haben. Das geschiehtauf der Grundlage der Entscheidungen der EuropäischenKommission.Aber kein Zweifel kann daran bestehen, dass wir alle,wo notwendig, Strukturreformen fortsetzen müssen.Wenn Europa nicht insgesamt daran arbeitet, wettbe-werbsfähig zu bleiben oder wieder zu werden, dann wirdEuropa insgesamt irrelevant werden. Wir wollen, dassEuropa insgesamt stark wird. Dazu leistet die deutscheFinanzpolitik einen Beitrag, nicht mehr, aber auch nichtweniger.
Deswegen werden wir auch im Rahmen dieser Fi-nanzpolitik, aber eben nicht anstelle einer soliden undnachhaltigen Finanzpolitik, alle Spielräume für zusätzli-che Investitionen nutzen. Vielleicht ist es doch manch-mal ganz nützlich, das Jahresgutachten des Sachverstän-digenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichenEntwicklung zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Da-rin ist wieder einmal – das tun andere Stellen auch; dieBundesbank schreibt es in jedem Monatsbericht – dieses
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6422 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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Gerede von der angeblichen Investitionslücke in Deutsch-land ein ganzes Stück weit relativiert worden.Sie sollten nicht irgendjemandem nachplappern. Wirhaben, Bezug nehmend auf die Vereinten Nationen– deswegen erfolgte übrigens die Berichtigung in deneuropäischen Haushalten, die in anderen Mitgliedslän-dern zu großer Erregung geführt haben –, endlich imRahmen der Revision der volkswirtschaftlichen Gesamt-rechnung die Ausgaben für Forschung und Entwicklungin die Investitionsausgaben einbezogen. Mit dieser Neu-berechnung stehen wir im internationalen Vergleich aus-gesprochen gut da.Ich will auch auf die Investitionen der privaten Wirt-schaft hinweisen. Deutschlands 45 größte Unternehmenhaben ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung al-lein zwischen Juli 2013 und Juli 2014 um 11,3 Prozenterhöht. Weltweit ist der Trend rückläufig. Es ist auch inder privaten Wirtschaft nicht so, dass es dort eine Inves-titionslücke gäbe. Einer plappert die falsche Nachrichtdes anderen nach. Das stimmt überhaupt nicht.Man muss im Übrigen in Europa an Folgendes erin-nern: Wenn man zu den Investitionen nur Bauinvestitio-nen rechnet, dann dürften wir eigentlich in einigenLändern keine Probleme haben. Wenn ich mir mancheInvestitionsruinen, die auch durch europäische Pro-gramme finanziert wurden, anschaue, dann muss ich sa-gen: Die Reduzierung von Infrastruktur und Investitio-nen nur auf Beton macht nicht unbedingt Sinn.
Das kann man in manchen Teilen Europas besichtigen.Entscheidend ist, dass wir vor allen Dingen mehr fürForschung und Entwicklung tun. Indem diese Ausgabenin die Investitionsquote einbezogen werden, liegen wirin Deutschland über dem europäischen Durchschnitt undnicht darunter. Das muss wenigstens einmal zur Kennt-nis genommen werden.Im Übrigen sind wir uns darüber einig – Sie werdenes spätestens bei den Verhandlungen zur Neuordnungder Bund-Länder-Finanzbeziehungen sehen –, dass dieHauptträger öffentlicher Investitionen die Länder undvor allem die Kommunen sind. Die haben den größtenBedarf. Gesamtstaatlich sind die Investitionen in Deutsch-land stark gestiegen; die Investitionen von Bund, Län-dern und Kommunen sind insgesamt massiv gestiegen.Die Kommunen haben im ersten Halbjahr ihre Investi-tionen um insgesamt 17 Prozent erhöht. Die darin ent-haltenen Bauinvestitionen sind um 15 Prozent gestiegen.Auch der Bund wird in dieser Legislaturperiode überdie zusätzlichen 5 Milliarden Euro für öffentliche Ver-kehrsinfrastruktur hinaus, die wir im Koalitionsvertragvereinbart haben, investieren. Wir haben immer gesagt:Soweit wir Spielräume haben, werden wir zusätzlich in-vestieren. Gemeint sind nicht die großen Programme;das habe ich auch nicht behauptet. Wir werden an dieserFinanzpolitik festhalten und die zusätzlichen Spielräumefür die Verstärkung der Investitionen nutzen, wie es auchder Haushaltsausschuss in den letzten Jahren immer wie-der beschlossen hat.Aber entscheidend ist, dass wir in Forschung und Ent-wicklung investieren. Keine Regierung hat jemals mehrAusgaben für Forschung, Bildung und Entwicklung ge-tätigt als die von der Bundeskanzlerin Angela Merkelgeführten Regierungen. Das ist der Schlüssel für den Er-folg unseres Landes.
Wir, der Bund, haben die Kommunen durch die voll-ständige Übernahme der Grundsicherung im Alter ent-lastet. Vieles ist ja schon vergessen. In den Jahren 2012bis 2017 findet eine Entlastung der Kommunen um über25 Milliarden Euro statt. Das ist die Grundlage für mehrInvestitionen. Wir haben dafür gesorgt, dass sämtlicheAusgaben für das BAföG vom Bundeshaushalt über-nommen werden. Die Länder haben zugesagt – ichhoffe, dass sie diese Zusage nicht vergessen haben –,dass sie die Mittel, die sie dadurch sparen, zusätzlich inSchule und Hochschule investieren. So fördert der Bundnicht nur seine eigene Investitionstätigkeit, sondern auchdie von Ländern und Gemeinden. Diesen Weg werdenwir fortsetzen.
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen – KollegeKahrs hat es eben gesagt –: Einmal die Null zu präsen-tieren – der Moment ist für manche sicherlich schön; ichhabe schöne Momente wie diesen fast hinter mir –, istüberhaupt nicht relevant. Entscheidend ist, dass wir da-ran festhalten: Wir werden die Finanzpolitik als einenSchlüssel für eine Politik nachhaltigen Wirtschafts-wachstums nur fortsetzen können, wenn wir das tun,Herr Kollege Kahrs, was Sie gerade gesagt haben – ob esein bisschen schwieriger wird oder ob es einfacherwird –: daran festhalten, eine berechenbare, verlässlicheFinanzpolitik zu betreiben. Sie ist ein Anker für die wirt-schaftliche Entwicklung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns dochin dieser Debatte nicht unterschlagen, dass diese Politikeinen maßgeblichen Beitrag dazu geleistet hat, dass diewirtschaftliche Lage in Deutschland besser ist als in al-len europäischen Ländern,
dass wir eine Lage am Arbeitsmarkt haben, wie wir sieniemals in den letzten 25 Jahren, seit dem Fall derMauer, hatten, dass die Realeinkommen der Beschäftig-ten in diesem Jahr stärker gestiegen sind – es kommtalso etwas bei den Menschen an – als in den letzten Jah-ren. Das heißt, die Menschen haben etwas von einer soli-den Finanzpolitik. Deswegen bitte ich Sie, dass wir ge-nau daran festhalten.Herzlichen Dank.
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Für die Fraktion Die Linke erhält nun der Kollege
Troost das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Bundesfinanzminister ist nicht nur für den Bundeshaus-
halt zuständig, sondern bundesseitig auch für den Pro-
zess des Länderfinanzausgleichs. Dazu möchte ich meine
Rede heute halten.
Bis 2019 laufen zentrale Elemente des Länderfinanz-
ausgleichs aus und müssen neu verhandelt werden – eine
große Aufgabe, weil Länderfinanzausgleich heißt, einen
Ausgleich zwischen finanzstarken und finanzschwachen
Ländern und ihren Gemeinden zu schaffen. Die Gemein-
den sind in diesem Zusammenhang immer ganz wichtig;
die kommunalen Finanzen hängen vom Länderfinanz-
ausgleich zentral ab.
Das Ganze ist eine große Aufgabe. Alle hatten eigent-
lich erwartet, dass man zu ihrer Erfüllung wieder eine
Föderalismuskommission, die Föderalismuskommis-
sion III, einsetzt. Die Große Koalition ist einen anderen
Weg gegangen. Sie hat gesagt: Wir brauchen keine neue
Föderalismuskommission; wir regeln das irgendwie so. –
Dann haben auf einmal die Bundeskanzlerin und der
Finanzminister gemeinsam mit den Ministerpräsidenten
im Sommer gesagt: Wir machen das jetzt ganz schnell;
wir versuchen bis zum 11. Dezember dieses Jahres, das
in Geheimverhandlungen schnell zustande zu bringen.
Dies ist im völligen Chaos geendet und muss jetzt erst
einmal neu angegangen werden.
Wir haben bereits bei der Föderalismuskommission II
kritisiert, dass die Länderparlamente und Kommunen
nicht mit am Tisch waren, obwohl sie zentrale Elemente
sind. Diesmal ist es so: Der Bundestag ist außen vor, die
Länderparlamente sind außen vor, die Kommunen wer-
den überhaupt nicht gefragt, und dies ist ein Skandal.
Das Ergebnis, das jetzt vorliegt, ist, dass wir eine völ-
lige Zerstrittenheit zwischen dem Bund und den 16 Bun-
desländern haben und das Ganze erst einmal, wie eine
Zeitung geschrieben hat, im Abklingbecken hängt. Das
ist aber natürlich auch eine Chance, weil nach wie vor
der Artikel 72 des Grundgesetzes die Herstellung gleich-
wertiger Lebensverhältnisse vorschreibt, und das heißt
eben nicht „Ellenbogenprinzip“ – jedes Bundesland
kämpft für sich selbst –, sondern das heißt, gemeinsam
ein Konzept zu entwickeln: Wie könnte ein solidarischer
Finanzausgleich aussehen?
Dazu sind faire und transparente Verhandlungen notwen-
dig.
Die Linke hat sich sehr intensiv mit dieser Frage be-
schäftigt, hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe gebildet
und dort ein sehr gutes, so glaube ich, Konzept ausgear-
beitet. Alle, die das interessiert, können das auf meiner
Internetseite einsehen. Es gibt eine Langfassung. Es gibt
eine Kurzfassung. Es gibt eine relativ populär gehaltene
Broschüre, in der dargestellt ist, nach welchen Prinzipien
man eigentlich vorgehen müsste. Da ich lediglich fünf
Minuten Redezeit habe, will ich hier an dieser Stelle nur
vier Punkte einbringen:
Erstens. Die reichen Bundesländer mit reichen Kom-
munen können sich insofern nach wie vor armrechnen,
als ein Teil der kommunalen Steuereinnahmen nicht in
den Länderfinanzausgleich einfließt. Es gibt sogar Posi-
tionen, die sagen: Das soll noch stärker der Fall sein. Wir
sind der Ansicht: Die kommunalen Einnahmen müssen
zu 100 Prozent mit berücksichtigt werden. Das führt
dazu, dass die strukturschwachen Länder in Ost und
West deutlich besser dastehen, als es jetzt der Fall ist.
Zweitens. Auf der Kostenseite – das ist auch ganz
zentral – muss die Strukturblindheit aufhören. Wir haben
arme Kommunen, die durch die Sozialausgaben immer
mehr in Bedrängnis geraten sind. Deswegen sagen wir:
Alle bundeseinheitlich geregelten Sozialleistungen müs-
sen im Länderfinanzausgleich Berücksichtigung finden,
dazu zählen die Ausgaben nach dem Sozialgesetz-
buch II, für Arbeitslose, Asylsuchende, sozial benachtei-
ligte Kinder und vieles andere mehr. Das entspricht nur
dem Konnexitätsprinzip. Das ist vom Bund so beschlos-
sen worden, und der Bund soll die Ausgaben dann auch
entsprechend übernehmen. Man kann über Ausgleichs-
zahlungen nachdenken, aber die Situation, dass struktur-
schwache Regionen immer weiter abstürzen, wird damit
geheilt.
Drittens. Wir glauben, dass auch die Zinszahlungen in
Zeiten der Schuldenbremse vergemeinschaftet werden
müssen, und fordern deswegen einen bundeseinheit-
lichen Länderaltschuldenfonds, in den auch die Schul-
den der Kommunen mit einfließen, um die entsprechen-
den Zinszahlungen gemeinsam zu tragen.
Viertens. Wir brauchen weiterhin einen Solidarpakt III
als Ergänzung, als Erweiterung des Solidarpakts II, nicht
mehr bezogen auf Ost und West, sondern auf alle struk-
turschwachen Regionen. Wer den Soli abschaffen will,
schafft Solidarität ab. Das, was die Ministerpräsidenten
von SPD und Grünen jetzt beschlossen haben, nämlich
„Wir legen das einfach auf die Länder und Kommunen
um“, heißt: Da, wo viel Geld ist, kommt noch viel mehr
dazu, und da, wo wenig ist, kommt auch nur wenig dazu.
– Deswegen: Der Solidarpakt muss sozusagen verlängert
werden. Der Soli muss für gemeinschaftliche Ausgaben
weiter genutzt werden.
Danke schön.
Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege CarstenSchneider das Wort.
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6424 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alswir 2009 hier im Bundestag die Schuldenbremse be-schlossen haben, waren wir in einer schwierigen wirt-schaftlichen Lage. Wir hatten bei der WirtschaftsleistungDeutschlands einen Rückgang um knapp 5 Prozent, dasheißt den stärksten Konjunktureinbruch, den es jemalsgab. Wir haben 2010 einen Haushalt aufgestellt, der aufdiese schlechte wirtschaftliche Lage mit einem Konjunk-turprogramm und einer Neuverschuldung von über80 Milliarden Euro reagiert hat.Heute geht es um den Haushalt 2015, und wir befin-den uns in der Situation, dass wir das erste Mal seit vierJahrzehnten einen Haushalt ohne Neuverschuldung auf-gestellt haben. Das ist ein gewaltiger Akt. Ich hätte mir2009, als wir das Vorgenannte hier im Bundestag be-schlossen haben, nicht vorstellen können, dass wir diesesZiel in der Kürze der Zeit erreichen. Das verdient Aner-kennung.
Das ist vor allen Dingen darauf zurückzuführen, dasswir – im Gegensatz zu allen anderen europäischen Län-dern – mittlerweile wieder ein Niveau der Wirtschafts-leistung erreicht haben, das deutlich über dem vor derKrise liegt. Damit gehen natürlich die gute Steuerbasis,höhere Abschlüsse bei den Löhnen und geringere Sozial-ausgaben einher. Ganz entscheidend ist – darauf ist hierschon hingewiesen worden –, dass aufgrund der schlech-ten wirtschaftlichen Situation in vielen anderen europäi-schen Ländern, der Anpassungsprozesse, die dort statt-finden, das Zinsniveau extrem niedrig, ja, unnatürlichniedrig ist. Davon profitieren auch wir. Man kann nichtauf der einen Seite die EZB dafür kritisieren, dass sie dieZinsen auf ein Niveau senkt, das auf die – ich will nichtsagen – Deflationstendenzen, aber doch die Gefahr re-agiert und somit versucht, die Wirtschaft in der EU ins-gesamt wieder in Gang zu setzen, während wir auf deranderen Seite dadurch Gewinne verzeichnen, dass wirgeringere Zinsausgaben haben. Das geht nicht. Ich finde,man muss dort kohärent sein. Das heißt, wir brauchenauf europäischer Ebene nicht nur die EZB als einzig han-delnden Akteur, sondern wir müssen auch als nationaleRegierung, als nationale Parlamente unserer Verantwor-tung gerecht werden.Dazu gehört dann auch ein Blick in die geänderteneuropäischen Rechtsvorschriften. Hier wird zu Recht aufdie Einhaltung der Maastricht-Kriterien in ihrer Formdurch die sogenannten Twopacks und Sixpacks hinge-wiesen. Wir haben die Konsequenzen daraus gezogen,dass es nicht nur um die starre Einhaltung dieser Krite-rien, maximal 3 Prozent Neuverschuldung und maxi-maler Schuldenstand von 60 Prozent des BIP – da sindwir deutlich darüber – geht, sondern wir haben auch ma-kroökonomische Fragen mit in den Blick genommen, soetwa die Frage von Ungleichgewichten in den Leistungs-bilanzen. Wenn wir wegen der Haushaltsdefizite mitdem Finger auf Frankreich zeigen, mahne ich auch an:Ja, Frankreich muss sich strukturell reformieren und zu-sehen, dass alle Steuereinnahmen, die möglich sind,auch generiert werden. Ich sage das auch mit voller Un-terstützung dafür, dass das französische Parlament be-rechtigterweise unserer Forderung jetzt entgegengekom-men ist, die Bankenabgabe nicht steuerlich abzugsfähigzu machen. Es ist ein großer Schritt, wenn zwei europäi-sche Länder das nicht tun und die Kosten der Finanz-krise quasi nicht den Steuerzahlern angelastet werden.Aber ein weiterer Blick auf Deutschland gehört dazu.Dieser weitere Blick zielt auf den Leistungsbilanzüber-schuss. Wir haben uns im Rahmen der Veränderung desStabilitätspaktes durch das Sixpack verpflichtet, dass derLeistungsbilanzüberschuss maximal 6 Prozent betragensoll. Selbst das geht auf Dauer nicht, sondern wir brau-chen eigentlich einen Ausgleich. Nun sind wir inDeutschland im vergangenen Jahr bei 7,5 Prozent gewe-sen. In diesem Jahr wird der Überschuss wahrscheinlichnoch höher sein. Das alles muss uns in Alarmstimmungversetzen; denn die Schuldscheine, die wir für das be-kommen, was wir heute exportieren – ich sage einmal:den Porsche oder den BMW –, werden wir nur zurück-gezahlt bekommen, wenn die anderen Länder tatsächlichwieder auf die Beine kommen. Das werden sie nur, wennwir unsere Binnennachfrage und unsere Investitionen inDeutschland stärken.
Ich als Sozialdemokrat sage – Minister Schäuble, dahaben wir einen Dissens –, die Investitionen in Deutsch-land sind zu niedrig, sowohl im öffentlichen Bereich alsauch im privatwirtschaftlichen Bereich. Ich habe mir dassehr genau angesehen. Ich beziehe mich auf den Präsi-denten des ZEW – er ist Vorsitzender des Wissenschaft-lichen Beirates des Bundesfinanzministeriums –, HerrnFuest. Er hat gesagt, wir müssten jetzt theoretisch sogareine höhere Verschuldung in Kauf nehmen, um mehr zuinvestieren. Wir folgen an dieser Stelle seinem Rat nicht.Aber ich finde das bemerkenswert. Schauen wir uns dieZahlen des DIW an. Sie zeigen, dass die Infrastrukturlü-cke bei fast 80 Milliarden Euro liegt. Wir müssen alsodeutlich mehr in den Erhalt unserer Infrastruktur inves-tieren. Es ist richtig, dass wir mehr in Forschung inves-tiert haben. Ich bin auch froh, dass die Unternehmen diestun. Das ist ein großer Unterschied zu Italien zum Bei-spiel, wo die Unternehmen fast nicht in den Forschungs-bereich investieren.Gerade als Transitland müssen wir eine exzellente In-frastruktur zur Verfügung stellen. Da nagt der Zahn derZeit. Das ist nicht so sehr in meinem HeimatbundeslandThüringen der Fall; da ist in den vergangenen zwei Jahr-zehnten sehr viel investiert worden. Aber wenn ich denBlick auf Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder an-dere Bundesländer werfe, dann sehe ich den Nachholbe-darf. Wir werden zusätzliche Mittel in die Hand nehmenmüssen, um die Infrastruktur in Deutschland auf dem ex-zellenten Niveau zu halten, das wir als entwickelteVolkswirtschaft letztendlich brauchen.
Der erste Schritt dazu ist, dass wir zusätzlich 10 Mil-liarden Euro für Investitionen zur Verfügung stellen. Ichhalte das für absolut richtig. Wir werden in den nächsten
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6425
Carsten Schneider
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ein bis zwei Monaten entscheiden, wie wir diese Mitteleinsetzen werden.Der zweite Schritt ist, dafür Sorge zu tragen, dass dieUnternehmen mehr investieren. Wir haben derzeit dieSituation, dass die kleinen und mittelständischen Unter-nehmen Beschäftigung aufbauen und dass sie zusätzli-che Investitionen in Deutschland voranbringen, dass esaber gerade im Bereich der Großunternehmen keinenAnstieg bei den Nettoinvestitionen gibt. Das hat viel da-mit zu tun, dass diese Unternehmen im Ausland neue Fa-briken aufbauen. Beispielsweise investiert BASF fast1 Milliarde Euro in den USA. Unternehmen wie VW ge-hen verstärkt auf die ausländischen Märkte. Wir müssenaufpassen, dass der Markt in Deutschland für die großenUnternehmen wichtig bleibt.Deswegen sind Themen wie das Freihandelsabkom-men und die Energieversorgung ganz zentral für dieLeistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Wir müs-sen dafür Sorge tragen, dass sie auch leistungsfähigbleibt, damit sich die positive Lohnentwicklung, die wirjetzt haben und die sich in den nächsten Jahren aufgrunddes gesetzlichen Mindestlohns noch verstärken wird,fortsetzt. Es ist ja nicht nur so, dass der gesetzliche Min-destlohn für über 4 Millionen Menschen – da zitiere ichThomas Oppermann – die größte Lohnerhöhung seinwird, die sie je bekommen haben, sondern auch die an-deren Löhne werden nachziehen und zu einer höherenBinnennachfrage führen. Das unterstützen wir; denn dasist richtig. Ich hoffe, dass die Gewerkschaften auch hö-here Löhne durchsetzen werden.
Der Kollege Troost – das ist meine letzte Bemerkung –hat die Bund-Länder-Finanzbeziehungen angesprochen.Darüber verhandeln wir gerade in der Koalition. Ichglaube, dass die Union klären muss, was sie tatsächlichwill. Man kann nicht sagen, dass es sich bei unseren Vor-schlägen um eine Steuererhöhung handelt – eine entspre-chende Äußerung des bayrischen Finanzministers habeich heute in der Zeitung gelesen –, wenn die Summe derSteuereinnahmen gleich bleibt. Das erschließt sich mirnicht. Das ist bayrische Mathematik; vielleicht wird Ma-thematik in Bayern anders gelehrt. Ich kann das jeden-falls nicht erkennen.Wir sind der Auffassung: Wir brauchen einen leis-tungsfähigen Staat. Wir brauchen die Mittel, die durchden Soli eingenommen werden. Das sind 19 MilliardenEuro.
Die frei verfügbare Finanzmasse des Bundeshaushaltssind jährlich etwa 30 Milliarden Euro. Die 20 MilliardenEuro, die wir im Jahr 2020 zur Verfügung haben – 2019sind es 19 Milliarden Euro –, können also gar nicht weg-fallen; es sei denn, man würde die Mütterrente, die in2019 6 Milliarden Euro pro anno kostet und die wir imMoment noch nicht aus dem Haushalt finanzieren, wie-der rückgängig machen –
Herr Kollege Schneider.
– oder man würde die Ausgaben für die sozialen Si-
cherungssysteme kürzen. Aber das wollen wir Sozialde-
mokraten nicht. Herr Präsident, Sie wollen das sicherlich
auch nicht.
Ich komme zum Schluss und sage: Ich hoffe auf einen
zügigen Klärungsprozess und darauf, dass wir diese
wichtige Frage der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zü-
gig und schnell in dieser Legislaturperiode klären kön-
nen.
Danke.
Ich verstehe ja, dass alle Haushaltspolitiker die Posi-tionen im Bundeshaushalt möglichst alle der Reihe nacheinzeln erläutern wollen. Das wird aber im Rahmen derverfügbaren Beratungszeit technisch nicht machbar sein.Deswegen werden wir uns immer wieder ein bisschenzwischen dem Erläuterungsbedürfnis und dem verfügba-ren Zeitrahmen disziplinieren müssen.Nun hat der Kollege Lindner das Wort für Bünd-nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hört ja indieser Debatte alle möglichen Begriffe: Es ist die Redevom Beginn einer neuen Ära oder von einer historischenLeistung. Da muss man sich doch mal im Detail an-schauen – ich bin dem Kollegen Kahrs für seine entlar-vende Ehrlichkeit fast schon dankbar –, was denn tat-sächlich passiert: Sie haben, liebe Kolleginnen undKollegen, die Ausgaben und damit im Wesentlichen dieStruktur dieses Haushalts konstant gehalten – mankönnte auch sagen: Sie haben nichts gemacht –; gleich-zeitig haben Sie auf steigende Steuereinnahmen gewet-tet. Deswegen kommen Sie bei ökonomischem Schön-wetter, in Zeiten, wo es diesem Land gut geht, am Endebei null neuen Schulden heraus. Eine Großtat, meine Da-men und Herren, ist das nicht.
Wenn wir über ökonomisch gute Zeiten reden, dannsollten vor allem Sie, liebe Kolleginnen und Kollegenaus der Unionsfraktion, bedenken, warum es Deutsch-land heute ökonomisch so gut geht. Das liegt nämlich imWesentlichen an den mutigen Entscheidungen vieler mu-tiger Frauen und Männer vor zehn Jahren hier in diesemPlenarsaal, die mit wichtigen Reformen in diesem Land
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6426 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Dr. Tobias Lindner
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einige Strukturen verändert haben, das liegt nicht an derArbeitsverweigerung der CDU/CSU, die seit 2005 indiesem Land Verantwortung trägt.
Lieber Herr Schäuble, Sie haben hier heute Morgenversucht, einen Disput aufzumachen, der so gar nicht be-steht. Es geht nicht darum, dass Sie keine neuen Schul-den wollen und die Opposition, wir Grüne, etwa neueSchulden machen würden. Ganz im Gegenteil, wir habenIhnen in diesen Haushaltsberatungen dezidiert dargelegt,wie wir unsere Schwerpunkte finanzieren würden: wowir Ausgaben streichen würden, wo wir priorisierenwürden, wo wir umweltschädliche Subventionen kürzenwürden. Es geht darum, wie Sie zu null neuen Schuldenkommen. In der Tat befindet sich in Ihrem Haushalt eineganze Menge an Nullen: Es gibt null Fortschritt dabei,dass wir bei den Bildungs- und Forschungsausgaben ir-gendwie einmal aus dem Bereich unterhalb des OECD-Durchschnitts herauskommen. Das ist eine Null, die Siein Ihrem Haushalt haben. Es gibt null Fortschritt, wennes darum geht, den Verfall unserer öffentlichen Infra-struktur zu verhindern. Das ist eine Null, die Sie in Ih-rem Haushalt haben. Und es gibt null Anstrengungendafür, sicherzustellen, dass es den Menschen in Deutsch-land auch noch in 10, 15 oder 20 Jahren ökonomisch gutgeht. Das sind die Nullen in Ihrem Haushalt, meine Da-men und Herren.
Heute Morgen wurde an Franz Josef Strauß erinnert,an die Zeit vor über 40 Jahren. So sieht, muss man ehr-lich sagen, leider auch die Energiepolitik aus, die sich inIhrem Haushalt manifestiert: Sie halten mit Ihren Ent-scheidungen an Kraftwerken fest, die zu einem Zeit-punkt in Betrieb genommen wurden, als Sepp Herbergernoch Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaftwar. Das ist es, was Ihren Haushalt unter anderem auchzukunftsvergessen macht.
– Nichts gegen Sepp Herberger, da haben Sie voll undganz recht, Herr Kollege Oppermann; aber ich habe et-was gegen eine Energiepolitik aus der Zeit von SeppHerberger,
und leider haben Sie mit diesem Haushalt, was eine an-dere Energiepolitik betrifft, nicht geliefert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko-alition, wenn ich mir Ihren Haushaltsplan so anschaue,dann fühle ich mich fatal an ein Projekt der letzten Gro-ßen Koalition erinnert, an den Versuch, die DeutscheBahn an die Börse zu bringen. Da hat man nicht nachlinks und nicht nach rechts geschaut und dieses Unter-nehmen auf Rendite optimiert und dabei das Schienen-netz fast verrotten lassen. Was machen Sie mit dem Bun-deshaushalt 2015? Sie schauen in Ihrem Haushalt aufden Fetisch Nettokreditaufnahme und fahren dabei die-ses Land auf Verschleiß.
Lieber Wolfgang Schäuble, in gewisser Art und Weisesind Sie der Hartmut Mehdorn der deutschen Finanzpoli-tik.
Ich glaube, das lässt sich auch an Ihren eigenen Ansprü-chen nicht messen.
Wir Grüne haben in diesen Haushaltsberatungen ge-zeigt, dass eine Haushaltspolitik ohne neue Schuldenmöglich ist, mit den richtigen Schwerpunkten.
Wo wir diese setzen würden, das werden wir mit Ihnenin den kommenden Tagen noch Ressort für Ressortdurchgehen. Vielleicht verbessert sich dann bis Freitagauch noch etwas an Ihrem Haushalt; wir geben Ihnen zu-mindest die Möglichkeit dazu.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Norbert
Brackmann für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lieber Kollege Lindner, es bleibt dabei: Dieschwarze Null ist eine historische Leistung. Sie ist es,weil wir das erste Mal seit 46 Jahren so haushalten, dasssich Einnahmen und Ausgaben decken. Wir machenendlich Schluss damit, Schuldenmachen für normal zuhalten. Jahrzehntelang wurde geglaubt, dass Demokratieund Schulden zusammengehören.
Noch immer meinen einige Experten aus Wirtschaft undWissenschaft, Schuldenmachen sei nötig, um das politi-sche Leben und die Wirtschaft am Laufen zu halten.Heute, meine sehr verehrten Damen und Herren, bewei-sen wir das genaue Gegenteil.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6427
Norbert Brackmann
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Wir demonstrieren, dass eine Demokratie ohne neueSchulden auskommen und gleichzeitig eine leistungsfä-hige Wirtschaft organisieren kann, und das, ohne in dieTaschen der Bürger zu greifen oder auf Kredite angewie-sen zu sein.Wir haben tatsächlich gespart. Der Haushalt 2015sieht Ausgaben von 299,1 Milliarden Euro vor. LieberHerr Kollege Lindner, ich weise darauf hin: Das ist unsnicht zugefallen. Wir haben 2012 noch 306,8 MilliardenEuro ausgegeben, 2013 noch 307,8 Milliarden Euro, undtrotz aller Preissteigerungen, Tarifsteigerungen usw. ge-ben wir 2015 nur 299,1 Milliarden Euro aus. Das ist derBeleg für eine aktive Sparpolitik, die von dieser Regie-rung betrieben wird.
Die Situation ist günstig. Die Beschäftigung – daraufwird, wie ich meine, viel zu wenig eingegangen – ist diehöchste, die wir in der Bundesrepublik je hatten. Wer,wenn nicht wir in dieser Großen Koalition, wann, wennnicht jetzt, soll ohne neue Schulden auskommen?Wir sind mit dieser Politik glaubwürdig. Wir haltenWort. Seit der Wirtschafts- und Finanzkrise führen wirdie Neuverschuldung des Bundeshaushalts Jahr für Jahrzurück. 2009 lag sie noch bei 44 Milliarden Euro, 2011bei 17,3 Milliarden Euro, 2012 bei 22,5 Milliarden Euro,2013 bei 22,1 Milliarden Euro. In diesem Jahr erreichenwir hoffentlich eine Neuverschuldung von 6,5 Milliar-den Euro, und 2015 schreiben wir die Null. Keine Neu-verschuldung mehr – das ist der klare Kurs des Bundes-finanzministers Schäuble und der Großen Koalition.
Damit sind wir Vorbild für ganz Europa. Im Koalitions-vertrag haben wir 2013 das Ziel vereinbart, die Staatsver-schuldung in den nächsten Jahren auf 60 Prozent desBruttoinlandsprodukts zurückzuführen und damit dieeuropäischen Verpflichtungen aus dem Fiskalvertrag zuerfüllen. Bis 2017 wollen wir die Staatsverschuldung aufunter 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bringen. Miteiner Staatsverschuldung von 82 Prozent des Brutto-inlandsprodukts sind wir 2010 gestartet, 2011 waren es80 Prozent, 2012 81 Prozent, 2013 78,4 Prozent; in die-sem Jahr werden es 75,1 Prozent sein, und im nächstenJahr wird die Zahl noch weiter sinken. Wir sind also aufdem richtigen Weg. Die schwarze Null ist der nächsteSchritt, um diesen Weg erfolgreich weiterzugehen,meine sehr verehrten Damen und Herren.
Mit diesem Haushalt schaffen wir Vertrauen in Inves-titionen. Bei der Einführung der Schuldenbremse imJahr 2009 wurde ihre konjunkturelle Unverträglichkeitkritisiert; angeblich würde sie das Wirtschaftswachstumbegrenzen. Deutschland hat sich seitdem zur Wachs-tumslokomotive in Europa entwickelt. Die Wirtschaftzeigt sich nach wie vor stabil. Bis 2016 sollte das struk-turelle Defizit auf 0,35 Prozent des BIP zurückgeführtwerden. Schon 2015 soll das strukturelle Defizit minus0,01 Prozent betragen. Damit wäre der Haushalt struktu-rell schon mehr als ausgeglichen. Wir befinden uns aufeinem vernünftigen Zukunftsweg.Die Finanzplanung sieht bis 2018 jedes Jahr einenausgeglichenen Haushalt vor. Das bringt der Wirtschaft,den Bürgern, den Ländern und Kommunen gleicherma-ßen Stabilität und Planungssicherheit. Es gilt noch im-mer: Ohne Vertrauen gibt es keine Investitionen.Die schwarze Null bedeutet aber nicht nur keineSchulden und Solidität. Sie ist vielmehr Voraussetzungfür die Finanzierung wichtiger Zukunftsausgaben, unddas gleich zweifach. Zum einen müssen Zinsen natürlichnur für Schulden bezahlt werden. Keine neuen Schuldenbedeuten also: keine neuen Zinsen. Zum anderen hat dieallgemeine Zinsentwicklung, aber mehr noch das Ver-trauen in den Standort Deutschland dazu geführt, dassuns Investoren zu sehr günstigen Konditionen – dasweltweit geringste Zinsniveau, deutlich besser als in denanderen Ländern Europas – Geld gegeben haben.Insgesamt muss der Bund 2015 rund 25,6 MilliardenEuro für Zinsen ausgeben, 2009 waren es noch 38,1 Mil-liarden Euro. Die gesunkenen Zinsausgaben verdankenwir unserer soliden Haushaltspolitik.
Allein gegenüber 2009 sparen wir jährlich über12,5 Milliarden Euro an Zinsausgaben.
Das ist das Ende der Schuldenpolitik. Das ist der Neu-anfang einer soliden Zukunftspolitik. Das ist der Erfolgdieser Großen Koalition.
Wir stärken Deutschland als Wissenschaftsstandortdurch Investitionen in Bildung und Forschung; denn wirmüssen an die Zukunft denken. 13,3 Milliarden Euro ha-ben wir in den Jahren 2010 bis 2013 zusätzlich in Bildungund Forschung investiert. In dieser Legislaturperiodewerden wir noch einmal 3 Milliarden Euro zusätzlich in-vestieren. Allein im Haushalt 2015 steigern wir die Aus-gaben dazu um zusätzlich 1 Milliarde Euro auf knapp15,3 Milliarden Euro. Damit steht Deutschland derzeitmit an der Spitze der internationalen Forschungsinvesti-tionen. Wenn Sie hier etwas anderes behaupten, KollegeLindner, dann haben Sie eine selektive Wahrnehmung.
Wir werden auch die berufliche Bildung in den Vor-dergrund stellen; denn Innovationen alleine reichen nichtaus, sie müssen in der Wirtschaft auch kompetent umge-setzt werden. Das macht den WirtschaftsstandortDeutschland aus. Deshalb ist es vernünftig, unsere Stär-ken weiter zu stärken.Neben Bildung und Forschung werden wir in die digi-tale Infrastruktur investieren. Mit der schnellen Breit-
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6428 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Norbert Brackmann
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bandtechnologie werden wir zukünftig unsere Infra-struktur weiter stärken und unsere Wirtschaft besservernetzen. Wir investieren heute klug in die Bereiche,die unsere wirtschaftliche Zukunft und damit Steuerein-nahmen garantieren.Im Haushalt 2014 lagen die Investitionen noch bei25,5 Milliarden Euro. Im Jahr 2015 werden die Investi-tionen auf 26,453 Milliarden Euro angehoben. Das10 Milliarden Euro schwere Investitionspaket wird ab2016 weiterhin finanziellen Spielraum für Investitionengeben: für Investitionen in Infrastruktur und in die wich-tigen Bereiche Energieeffizienz in Gebäuden und ener-gieoptimiertes Bauen. Wir haben damit den Haushaltnachhaltig konsolidiert, ohne die notwendigen Investi-tionen zu vernachlässigen.Die schwarze Null ist Realität und wird in den kom-menden Jahren zur Normalität. Das ist Ausdruck unsererVerantwortung gegenüber den künftigen Generationenund unserer Verantwortung gegenüber den Steuerzah-lern.Vielen Dank.
Hans-Ulrich Krüger erhält nun das Wort für die SPD-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! „Gestalten und verantwortungsbewusst spa-ren“, dieses Motto haben wir uns zu Beginn der Haus-haltsberatungen gegeben. Wir haben es bis zum heutigenTage eingehalten. 299,1 Milliarden Euro, das ist dieSumme, die wir im nächsten Jahr ausgeben wollen;400 Millionen Euro weniger als noch im Regierungsent-wurf enthalten. Das Investitionsvolumen beträgt26,45 Milliarden Euro.Darüber hinaus hat die Bundesregierung ein Investi-tionsprogramm von weiteren 10 Milliarden Euro ange-kündigt, welches die Haushälter in ihrer Bereinigungs-sitzung auf den Weg gebracht haben. Wir gehen davonaus, dass Energieeffizienz, Gebäudesanierung und An-reize für zusätzliche private Investoren hier die Kern-punkte sein werden.Der Haushalt 2015 stellt die Weichen in die richtigeRichtung. Allerdings muss – Carsten Schneider spraches schon an – in den nächsten Jahren darauf geachtetwerden, dass diese Haushaltsentwicklung bei den Men-schen ankommt, und zwar auch in Form steigender Real-löhne, damit auch diese an der gesamtwirtschaftlichenEntwicklung teilhaben können und sehen: Es lohnt sich,verantwortungsbewusst mit Finanzen umzugehen.
Wir werden mit der Bereitstellung von zusätzlichen5 Milliarden Euro die Verkehrsinfrastruktur weiter stär-ken. Insgesamt steigen die Investitionen in diesem Be-reich bis 2017 auf 12 Milliarden Euro. Wir werden dieFörderung von Forschung und Entwicklung mit weiteren3 Milliarden Euro unterstützen, was beispielsweise derExzellenzinitiative und den Hightech-Strategien zugute-kommt.Auch das sollte an dieser Stelle nicht vergessen wer-den: Wir haben durch die BAföG-Reform den Ländernund Kommunen 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung ge-stellt, die diese frei werdenden Mittel nunmehr in Schuleund Hochschule investieren können;
daneben haben wir auch die BAföG-Sätze erhöht – bei-des richtige Maßnahmen, die, denke ich, ihren Segenwerden entfalten können.
Wir haben das Bundesteilhabegesetz im Koalitions-vertrag verankert und dort 5 Milliarden Euro zugunstender Kommunen festgeschrieben. 2015 und 2016 wird je1 Milliarde Euro kommen. Ich gehe davon aus, dass wir2017, wenn wir dieses Gesetz verabschiedet haben wer-den, nicht bei 1 Milliarde Euro, sondern bei mindestens3 Milliarden Euro stehen werden. Wünschenswert wärees natürlich auch, wenn wir im Jahre 2017 bereits die5 Milliarden Euro erreicht hätten. Schau’n wir mal. Wirwerden dafür arbeiten und kämpfen.
Auch der Ausbau der Kinderbetreuung liegt uns amHerzen. Wir haben 5,4 Milliarden Euro für die Kommu-nen für die Betreuung der unter Dreijährigen zur Verfü-gung gestellt.Das alles sind Summen, die sich sehen lassen können,Summen, die man sich nicht kleinreden lassen sollte,Summen, deren man sich nicht zu schämen braucht.Es gibt natürlich noch andere Punkte, gerade auch imBereich der Sicherheit. Bei der Bundespolizei werdenneue Stellen geschaffen. Besseres Equipment und Fahr-zeuge werden zur Verfügung gestellt. Das alles sindPunkte, von denen wir sagen müssen: Sie kosten Geld,aber es ist gut angelegtes Geld im Interesse unserer Bür-gerinnen und Bürger, in unser aller Interesse: für unsereSicherheit.
Im Haushalt 2014 haben wir gemeinsam schon einigeAkzente zugunsten der Hilfsorganisationen – ich sprechehier insbesondere vom THW – gesetzt. Diese Akzentehaben wir verstärkt. Ich sehe es als eine große Leistungvon uns SPD-Haushältern an, dass wir noch einiges obendraufgelegt haben. Das war zwar im Jahre 2014 schonbeabsichtigt, ist aber bei den Organisationen – ich sagedas einmal ein wenig euphemistisch – nicht in dem ge-wünschten Umfang angekommen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6429
Dr. Hans-Ulrich Krüger
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Wir werden dafür sorgen, dass künftig keine Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter des THW mehr in Unter-künften ihren Dienst tun müssen, in denen das Wasservon der Decke tropft. Anders ausgedrückt: Das Wassersoll auch bei THW-Unterkünften aus dem Wasserhahnund nicht durchs Dach kommen. – 27 Millionen Eurosind vorgesehen, um marode Bausubstanz in einem kon-tinuierlichen Prozess in einen vernünftigen Zustand zuversetzen.
Wir alle haben in unseren Wahlkreisen Denkmäler,die den unterschiedlichsten Eigentümern und Institutio-nen gehören, die erhaltenswert sind und ein Kulturerbedarstellen. Diese können allerdings nicht immer in demgebotenen Umfang mit dem entsprechenden Geld finan-ziert werden. Dass wir hierfür 100 Millionen Euro zurVerfügung gestellt haben, zeigt, dass wir uns unsererTradition und unseres Erbes bewusst sind und diesesauch für die Zukunft erhalten wollen.
Noch einige Sätze zum Haushalt des Bundesfinanz-ministers. Er ist, wie Sie alle wissen, ein verwaltungs-orientierter Haushalt. 56 Prozent des Etats betreffen Per-sonalausgaben. Hier haben wir gegenüber dem Haushalt2014 einen Stellenzuwachs von 916 Stellen zu verzeich-nen. Da dies eine hohe Zahl ist, lassen Sie mich etwasdazu sagen: Diese 916 Stellen mehr sind die Folge derÜbernahme der Verwaltung der Kfz-Steuer zum 1. Juli2014 durch den Zoll. Durch diese Übernahme werden170 Millionen Euro nicht mehr zu zahlen sein, die wirbislang im Wege der sogenannten Organleihe an dieLänder zu leisten hatten. Hier ist es also gelungen, einPlus von 30 bis 40 Millionen Euro für den Bundeshaus-halt zu generieren – getreu dem Motto: verantwortungs-bewusst sparen.Wir haben noch eine große Aufgabe: die Kontrolleder Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns. DieseAufgabe werden wir auch weiterhin beim Zoll etatisie-ren. Wir werden dafür sorgen, dass das entsprechendePersonal zur Verfügung gestellt wird, um den Mindest-lohn nicht zu einem zahnlosen Tiger werden zu lassen.Wir brauchen ein effizientes Instrument zur Kontrolleder gesetzlichen Vorgaben. Das wird passieren. DiesesVorhaben wird vom Finanzministerium durch ein eigensdafür zuständiges Referat flankiert, das dafür sorgensoll, dass durch Rechtsverordnungen und effiziente Be-gleitung der Mindestlohn das wird, was wir wollen,nämlich ein großer Erfolg – getreu dem Motto: verant-wortungsbewusst sparen und gestalten.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Barthl Kalb für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Auskommen mit dem, was man einnimmt – eigentlichsollte das selbstverständlich sein,
war es aber nicht. Die Große Koalition hat es sich zumZiel gesetzt, die heute als historisches Ereignis gefeierteschwarze Null wieder zu einer Selbstverständlichkeit zumachen.Die schwarze Null wurde oft ins Auge gefasst. 1999sagte Hans Eichel: Die Bundesregierung will so schnellwie möglich einen Haushalt ohne neue Schulden vorle-gen. – 2008 Peer Steinbrück: Ab dem Haushaltsjahr 2011wird der Bund keine neuen Schulden aufnehmen. – Esist immer anders gekommen. Wir kennen die Gründe da-für; das ist keine Schuldzuweisung. Ich weiß auch, dassTheo Waigel 1989/90 knapp davor war, einen ausgegli-chenen Haushalt vorlegen zu können. Dann kam aber– ich sage: Gott sei Dank – die Wiedervereinigung. Siehat uns vor neue, große Herausforderungen gestellt. Ichsage hier 25 Jahre später freimütig: Ich empfinde es nochimmer als Glück und als Segen, dass die Teilung unseresLandes mit Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl fried-lich überwunden werden konnte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ab 2015wollen wir auf Dauer mit dem auskommen, was wir ein-nehmen, und das ohne Steuererhöhungen.
Sicher hat die Opposition recht, wenn sie sagt, dass wirGlück haben, weil wir weniger Zinsen zahlen müssenusw.; aber – das ist vorhin schon dargestellt worden –auch das drückt aus, dass die internationale FinanzweltVertrauen hat in die deutsche Wirtschaft und die deut-sche Politik. Insofern ist auch das ein Ertrag unserer gu-ten Arbeit, die in Deutschland geleistet wird – neben derguten wirtschaftlichen Entwicklung, die wir vorzuwei-sen haben, neben dem Höchststand an versicherungs-pflichtig Beschäftigten und Erwerbstätigen.Dies alles macht aber noch keinen ausgeglichenenHaushalt. Dazu gehört auch die Ausgabendisziplin.Dazu wiederum gehört, dass man der Versuchung wider-steht, dass man dem Druck widersteht, der aufgebautwird mit dem Ziel, dass man an anderer Stelle großzügigist. Die unionsgeführten Bundesregierungen haben inden vergangenen Jahren bei steigenden Einnahmen kon-sequent strikte Ausgabendisziplin gewahrt. Diese Aus-dauer wird nun belohnt.
Wir können am Freitag dieser Woche einen ausgegli-chenen Haushalt verabschieden, ohne dass Investitionenin die Zukunft unseres Landes auf der Strecke bleiben.In der mittelfristigen Finanzplanung bereits haben wiralle zentralen Vorhaben des Koalitionsvertrags berück-sichtigt: Wir stärken Bildung und Forschung, wir inves-
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6430 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Bartholomäus Kalb
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tieren mehr in Infrastruktur, und wir entlasten unsereKommunen und schaffen auch dort Investitionsspiel-räume.
Darüber hinaus treffen wir bereits im Bundeshaus-haltsplan 2015 die Vorkehrungen für zusätzliche Investi-tionsmaßnahmen in den Jahren 2016, 2017 und 2018;dafür ist Vorsorge getroffen. Das ist auch ein Ausdruckvon Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Zentrale Zu-kunftsvorhaben wie die Steigerung der Energieeffizienz,die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und derBreitbandausbau werden dadurch beschleunigt vorange-bracht. Der Bundeshaushalt 2015 schafft Vertrauen: Ver-trauen der Bevölkerung und der Wirtschaft in die Politikder Bundesregierung, aber auch Vertrauen unserer euro-päischen Partner in die Bundesrepublik Deutschland.
Wir sollten die Wirkung dieses Vertrauens auf diegesellschaftliche Stabilität und das wirtschaftliche Wachs-tum nicht unterschätzen. Vertrauen und öffentliche In-vestitionen sind wichtige Grundlagen für wirtschaftli-ches Wachstum, aber nicht die einzigen. Wir müssen eininnovationsfreundliches Klima erhalten und es weiterstabilisieren. Dazu wollen wir verstärkt Mut zur Grün-dung und zum Unternehmertum vermitteln und die dafürnötigen Rahmenbedingungen weiter verbessern. Einezentrale Aufgabe ist dabei die Stärkung der Versorgungmit Wagniskapital. Ich weiß, wir haben hier etwas an-dere Verhältnisse als in den Vereinigten Staaten vonAmerika; auch das gilt es zu berücksichtigen. In Kürzewerden wir den öffentlichen Investitionszuschuss – demdient ein Gesetzgebungsvorhaben – von der Steuer be-freien. Weitere Maßnahmen zur Unterstützung vonWachstumsunternehmen werden folgen.Eine weitere Herausforderung für unsere Wirtschaftist der demografische Wandel. Auch hier müssen wir dieentsprechenden politischen Antworten geben: Erhöhungder Flexibilität des Arbeitsmarktes und Steigerung derBeschäftigungsquote; keine Frage. Ab sofort müssen wirwieder verstärkt Anreize setzen, damit das Arbeitskräf-tepotenzial erhöht werden kann. Um für Fachkräfteattraktiv zu bleiben, muss Deutschland bei der Steuer-belastung der Leistungsträger – ich nenne hier insbeson-dere die Mittelschicht – eine Neujustierung des Systemsvornehmen; das Stichwort lautet: Abmilderung der Wir-kung der kalten Progression. Ich persönlich würde mirwünschen, dass wir unsere Kräfte bündeln und uns inden nächsten Jahren einen Spielraum erarbeiten, damitwir eine strukturell angelegte Steuerreform – Stichwort:Mittelstandsbauch – angehen können. Ich weiß, das isteine gewaltige Herausforderung, weil es hier um enormgroße Summen geht.
Wir haben, meine sehr verehrten Damen und Herren,auch international erhebliche Fortschritte und Erfolgedank des enormen Einsatzes unseres Bundesfinanz-ministers erzielen können – auf europäischer Ebene,aber auch im Rahmen der G 20 –, insbesondere wenn esum Gewinnvermeidung und Gewinnverlagerung geht;ich meine die sogenannte BEPS-Initiative. Herr Bundes-finanzminister, ganz herzlichen Dank für Ihren uner-messlichen Einsatz auf diesem Gebiet! Ich weiß, wieschwierig und hart das alles ist. Wir müssen es schaffen,dass Steuern dort gezahlt werden, wo ein Unternehmentatsächlich wirtschaftlich tätig ist.Ich hätte gerne noch zur Neuordnung der Bund-Län-der-Finanzbeziehungen gesprochen. Das geht leider nichtmehr, weil meine Redezeit nicht reicht; sonst würde mirder Herr Präsident den Saft abdrehen.
Nein, er würde freundlich an die abgelaufene Rede-
zeit erinnern.
Ja, Herr Präsident. Wir in Bayern reden da immer et-
was deutlicher und kommen auch mit etwas kräftigeren
Ausdrücken gut voran.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will
zum Abschluss sagen: Der Bundeshaushalt ist sehr so-
lide; das ist von meinen Vorrednern schon dargestellt
worden. Er ist nicht künstlich schöngeredet. Die Politik
der unionsgeführten Bundesregierung steht für Ver-
trauen, Gerechtigkeit und Verantwortung. Das spiegelt
sich im Haushalt 2015 wider. Wir werden ihm gerne und
aus Überzeugung zustimmen.
Letzte Rednerin zum diesem Einzelplan ist die Kolle-
gin Kiziltepe für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Herr Minister Schäuble! Die heutige finanzpolitischeDebatte ist unter zwei Gesichtspunkten zu betrachten:Einerseits sieht man, wenn man in die Geschichte desBundeshaushalts schaut, die erste schwarze Null seit1969. Dabei ist, wie Bundesfinanzminister Schäuble inder ersten Haushaltslesung sagte, die schwarze Null kei-neswegs Selbstzweck. Deshalb wollen wir auch in dieZukunft blicken: auf die künftigen Herausforderungen.Mit einem ausgeglichenen Haushalt sind nicht alleProbleme verschwunden. Nein, es stellen sich auch wei-terhin die Fragen: Wie fördern wir das Wirtschafts-wachstum? Wie verteilen wir unseren Wohlstand gerech-ter?Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat auchAuswirkungen auf Deutschland. Wir sind nun einmalkeine Insel der Glückseligen. Deshalb haben wir immerwieder mit schwachen Konjunkturdaten und auch mit ei-nem sich eintrübenden Wirtschaftswachstum zu kämp-fen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6431
Cansel Kiziltepe
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Will man in solch einer Situation die Finanzkraft desStaates und den Sozialstaat sichern sowie die Wirtschaftam Laufen halten, dann muss der Staat seine Investi-tionstätigkeit ausweiten. Das sagt die SPD schon seitlangem, und endlich haben wir dafür gesorgt, dass genaudas in diesem Haushalt und auch in den kommendenHaushalten berücksichtigt wird.
Die 10 Milliarden Euro, die innerhalb des Investi-tionspakets für die Jahre 2016 bis 2018 kommen, werdeneinen wichtigen Beitrag dazu leisten, den anhaltendenSubstanzverzehr, den wir in Deutschland schon seit Jah-ren erleben, aufzufangen. Das Geld wird auch fürWachstumsimpulse sorgen, und in den nächsten Jahrenwird es vor allen Dingen darauf ankommen, diese Inves-titionsleistung zu verstetigen und auszubauen.
Verschiedene Studien rechnen uns immer wieder vor,welchen Investitionsrückstand wir haben. Die Kreditan-stalt für Wiederaufbau geht allein im kommunalen Be-reich von einem Investitionsstau von 118 MilliardenEuro aus. Andere Institute sagen, dass die Investitionslü-cke beim Bestand jährlich um 10 Milliarden Euro steigt.Was zeigt uns das? Das zeigt uns, was zu tun ist.Die Finanzpolitik auf Bundesebene ermöglicht unsMehrausgaben für Investitionen – das ist auch gut so –bei gleichzeitig ausgeglichenem Haushalt. Von dieser Si-tuation können viele Kommunen nur träumen; sie schaf-fen das nicht. Deshalb ist es richtig, die Städte und Ge-meinden zu entlasten, wie es dieser Haushaltsentwurfauch tut. Im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes wer-den die Kommunen jährlich um rund 1 Milliarde Euroentlastet. Weitere Entlastungen – auch für die Länder –sind ebenfalls vereinbart worden, zum Beispiel – daswurde hier auch genannt – durch die Übernahme desBAföG durch den Bund,
durch ein stärkeres Engagement beim Kitaausbau und,und, und.
Die gesamte Haushaltswoche steht unter dem Ober-begriff „schwarze Null“. Auch wenn ich keine schwäbi-sche Hausfrau bin, finde ich es schon beachtlich,
die Neuverschuldung von 44 Milliarden Euro im Jahr2010 auf nun 0 Euro zu senken. Damit das aber so bleibt,dürfen wir nicht nachlassen; denn der Staat ist strukturellunterfinanziert.Wir müssen die Einnahmen stabil halten. Wenn wirdie richtigen Lehren aus dem hohen Investitionsbedarfziehen, dann werden wir nicht einfach darauf hoffen,dass die Steuereinnahmen weiterhin wachsen. Die ak-tuelle Steuerschätzung hat auch schon gezeigt, dassdiese leicht rückläufig sind.In der steuerpolitischen Debatte hören wir immerwieder den Begriff der kalten Progression. Natürlich gibtes sie bei Inflation, und wir müssen uns überlegen, wiedas an anderer Stelle kompensiert werden kann.Keiner in diesem Haus wird mir widersprechen, wennich sage, dass wir untere und mittlere Einkommen ent-lasten müssen. Wenn wir dies tun wollen, dann dürfenwir aber auch über die Besteuerung großer Einkommenund Vermögen nicht schweigen.
Wer Wohlstand gerechter verteilen will, der darf über dieVermögensbesteuerung nicht schweigen,
sonst wird die schwarze Null ganz schnell wieder ver-schwinden.
Wenn wir uns die Besteuerung großer Einkommen undVermögen anschauen, also den Spitzensteuersatz, dieErbschaftsteuer und auch die Vermögensteuer, dannmüssen wir auch da hinschauen, wo es diesen enormenReichtum gibt.
Eine aktuelle Studie der UBS, Union de BanquesSuisses, zeigt, dass in Deutschland fast 20 000 Multimil-lionäre, also Menschen mit einem Vermögen von24 Millionen Euro und mehr, leben. Die Zahl an sich istnoch nicht aussagekräftig. Aber wenn man sie ins Ver-hältnis setzt, erkennt man: Es sind 0,02 Promille der Be-völkerung, die 22,6 Prozent des Vermögens in Deutsch-land besitzen. Das ist schon bemerkenswert. Interessantist in diesem Zusammenhang auch, wie diese Vermögenzustande kommen, nämlich 28 Prozent ausschließlichdurch Erbschaften und 31 Prozent zum Teil aus Erb-schaften. Diese superreichen Deutschen geben jährlichmehr als 3 Milliarden Euro alleine für Schmuck undJachten aus. Die Ausgaben für Kaviar und Champagnersind da noch nicht eingerechnet.
Alleine der Konsum dieser beiden Luxusgüter beträgtein Drittel der Höhe des jährlichen Investitionsstaus inDeutschland.
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6432 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Cansel Kiziltepe
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Dieser Vergleich soll zeigen, dass mehr Investitionen– da sind wir uns ja mit Bundesminister Schäuble einig –und das gleichzeitige Festhalten an der schwarzen Nullnur mit einer gerechteren Besteuerung gelingen können.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen, und zwar
zunächst über den Einzelplan 08 – Bundesministerium
der Finanzen – in der Ausschussfassung. Wer stimmt
dieser Beschlussempfehlung des Ausschusses zu? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ein-
zelplan mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Opposition angenommen.
Ich rufe auf die Abstimmung über den Einzelplan 20
– Bundesrechnungshof –, ebenfalls in der Ausschussfas-
sung. Wer stimmt dem zu? – Wer stimmt dagegen? –
Niemand. Enthaltungen? – Auch niemand. Dann ist das
einvernehmlich so beschlossen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt I.5:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
Drucksachen 18/2814, 18/2823
Berichterstatter sind die Abgeordneten Petra Hinz,
Helmut Heiderich, Gesine Lötzsch und Ekin Deligöz.
Hierzu liegen vier Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über den Entschließungs-
antrag werden wir am Freitag nach der Schlussabstim-
mung abstimmen.
Auch für diese Aussprache sind interfraktionell
96 Minuten vorgesehen. – Das ist offensichtlich unstrei-
tig. Dann können wir so verfahren.
Inzwischen haben offenkundig alle, die an dieser De-
batte teilnehmen wollen, einen der wenigen freien Plätze
gefunden. Dann erteile ich der Kollegin Gesine Lötzsch
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Minister Gröhe, Ihr Einzelplan ist mit 12 Mil-liarden Euro nun wirklich nicht der größte im Bundes-haushalt. Aber auch hier greift der Finanzminister zu,nur damit er mit der schwarzen Null in die Geschichteeingehen kann. Wie macht er das? Er greift dazu ganztief in die Trickkiste.
Der Gesundheitsfonds wird über zwei Jahre hinweg um6 Milliarden gekürzt, allerdings in diesem Jahr etwasweniger als im vergangenen Jahr, sodass das fast wieeine Erhöhung aussieht. Das ist keine seriöse Politik.
Was passiert? Die Krankenkassen holen sich das feh-lende Geld bei den Versicherten.
Ab 1. Januar 2015 – das ist schon angekündigt und auchin dieser Debatte angesprochen worden – verlangen diemeisten gesetzlichen Krankenkassen von ihren Mitglie-dern Zusatzbeiträge. Zwar sinkt der allgemeine Beitrags-satz von 15,5 auf 14,6 Prozent, aber das wird nicht aus-reichen, um die Kosten zu decken. Was passiert? DieVersicherten müssen zahlen; die Arbeitgeber werdenentlastet. Das können wir nicht akzeptieren. Das ist un-gerecht, meine Damen und Herren.
Es ist doch kein Geheimnis, dass immer mehr Be-schäftigte durch die Art und Weise, wie wir heute arbei-ten und arbeiten müssen, krank werden. Die Zusatz-beiträge sind dabei ein weiterer Schritt zurEntsolidarisierung der Gesellschaft. Was wir jetzt brau-chen, was wir wirklich brauchen, ist endlich eine solida-rische Bürgerversicherung: eine Versicherung, in die alleeinzahlen und in der die Gesundheitskosten gerechterverteilt werden.
Neulich kam in meine Bürgersprechstunde ein ehe-maliger Selbstständiger – ich denke, ein Kleinselbststän-diger; über 55 –, der nach langer Zeit endlich wiedereine Anstellung gefunden hatte. Als sein Arbeitgeber ihnnach der Krankenversicherung fragte, marschierte erfrohgemut zur AOK und wollte aufgenommen werden.Dort wurde ihm die Rechtslage erklärt, und er wurde na-türlich nicht aufgenommen. Wir wissen das, aber für ihnwar das alles völlig unverständlich. Denn eine privateKrankenversicherung kann er sich mit einem Halbtags-job nicht leisten.Herr Gröhe, Sie haben sich doch so viele Gesetze vor-genommen. Sie haben ausführlich dargestellt, was Siealles anstoßen wollen. Ich finde, wir sollten endlich füralle Menschen in unserem Land die Möglichkeit schaf-fen, sich zu versichern.Das Statistische Bundesamt spricht von 137 000Nichtversicherten. Ich schätze allerdings, die Dunkelzif-fer ist weitaus höher. Ich kann es nur noch einmal beto-nen: Der beste Weg, diesen Zustand zu beenden, ist dieEinführung einer solidarischen Bürgerversicherung. Dasist das Gebot der Stunde, meine Damen und Herren.
Ich möchte noch drei unserer Änderungsvorschlägehervorheben. Die Linke will den Investitionsstau in denKrankenhäusern auflösen. Dafür schlagen wir einen An-satz von 2,5 Milliarden Euro für das kommende Jahr vor.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6433
Dr. Gesine Lötzsch
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Wer in letzter Zeit einmal ein Krankenhaus besucht hat,weiß, wie nötig das ist.
Nun hat auch der Finanzminister erkannt, dass wir inDeutschland mehr investieren müssen. Allerdings will erdas erst ab 2016 tun, um die berühmte schwarze Null,über die es inzwischen schon unendlich viele Kalauergibt, zu retten. Ich finde, in Anbetracht einer drohendenRezession ist eine solche Verschiebung nicht weitsichtig,sondern fahrlässig.
Wir wollen auch die nichtkommerzielle Pharmafor-schung fördern und einen Krisenfonds Ebola einrichten.Der Chef der Weltbank hat auf einen wichtigen Fakt auf-merksam gemacht: In Nigeria haben die Behörden sehrschnell auf den Ausbruch des Ebolavirus reagiert. Mit13 Millionen Dollar konnten sie die Epidemie eindäm-men. In Liberia, Sierra Leone und Guinea gelang dasnicht. Dort gibt es bereits über 5 000 Tote, und die Kos-ten für den Kampf gegen diese Krankheit schnellen indie Höhe. Hinzu kommt, dass die ökonomische Situationfür viele Länder in Afrika dramatisch ist. Felder werdennicht bestellt, und Experten gehen von einer Hungersnotim nächsten Jahr aus. Der Weltbankchef sagte: JedesLand kann mehr tun – und sollte mehr tun. Diese Auffor-derung hat die Linke aufgenommen, indem sie einenEbolakrisenfonds mit einem Volumen von 50 MillionenEuro fordert.Ich glaube, das reiche Deutschland kann und mussmehr tun, um den Menschen in Westafrika zu helfen.Ohne die bisherigen Bemühungen der Menschen in un-serem Lande geringschätzen zu wollen: Wir müssen aberalle gemeinsam etwas tun. Wir wissen, dass es inDeutschland viele Menschen gibt, die das wollen. Wirsollten diesen Willen aufgreifen.
Wir wissen, dass Ebola seit 1976 regelmäßig in afri-kanischen Ländern ausbricht. Trotzdem gibt es kein Me-dikament gegen diese Krankheit. Das hat einen ganz ein-fachen Grund: Es gibt keine kaufkräftige Nachfrage. DieLinke ist der Überzeugung: Es darf nicht dem Marktüberlassen werden, ob und welche Krankheiten be-kämpft werden. Deshalb fordern wir in einem Antrag dieFörderung der nichtkommerziellen Pharmaforschung.
Wir können dem Gesundheitshaushalt nicht zustim-men. Ich will es noch einmal betonen: Wir können nichtakzeptieren, dass für eine Obsession, die schwarze Null,die Versicherten ihre Gesundheitskosten zunehmend sel-ber tragen müssen. Das ist der falsche Weg.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Helmut Heiderich,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Schön, dass Sie pünktlich zur Ge-sundheitsdebatte präsidieren. Meine lieben Kolleginnenund Kollegen! Der Bundeshaushalt umfasst rund 300 Mil-liarden Euro. Davon entfallen auf den Gesundheitsetatgut 12 Milliarden Euro. Darüber entscheiden neben demMinister im Wesentlichen die Haushälter und die Fach-politiker. Aber Sie dürfen nicht übersehen, verehrte FrauKollegin Lötzsch, dass die Gesamtausgaben des Ge-sundheitsbereichs weit über 300 Milliarden Euro betra-gen, also weit höher sind als der gesamte Bundeshaus-halt. Wenn Sie das alles zusammen betrachten, dannstellen Sie fest: Das Gesundheitswesen ist ein wesentli-cher Baustein unserer Gesellschaft. Darüber entscheidenwir hier in diesem Hause.Wir haben in den letzten Jahren erfolgreiche Arbeitgeleistet. Nach einer Allensbach-Studie von April – da-rauf hat der Minister schon bei der Einbringung desHaushalts hingewiesen – sind mehr als 80 Prozent derBevölkerung mit der Gesundheitsversorgung in Deutsch-land zufrieden. In einer Umfrage der Techniker Kran-kenkasse von Oktober wurde ermittelt, dass sich seit2006 das Vertrauen der Bevölkerung in das deutsche Ge-sundheitssystem verdoppelt hat. Vertrauen ist einer derwesentlichen Bausteine. Deswegen können wir zu Rechtsagen, dass wir in den letzten Jahren – unter Beteiligungvieler anderer – erfolgreiche Arbeit geleistet haben.
Wir wollen uns aber auf dem Erreichten nicht ausru-hen; denn 90 Prozent der Bürger erwarten, dass wir unserGesundheitssystem weiter verbessern. Deswegen habenwir in den Berichterstattergesprächen nicht nur mit demMinisterium und den nachgeordneten Behörden gespro-chen, sondern auch mit dem Beauftragten der Bundes-regierung für die Belange der Patientinnen und Patientensowie dem Bevollmächtigten für Pflege und der Drogen-beauftragten der Bundesregierung. An dieser Stellemöchte ich der Hauptberichterstatterin ein Dankeschönfür die Vorbereitung und Durchführung dieser Gesprächesagen. Wir haben dabei viele Erfahrungen gemacht.Wir haben den Schwerpunkt auf die Prävention gesetzt.Wir haben den schon im Regierungsentwurf verbessertenAnsatz in Höhe von rund 45 Millionen Euro noch einmaldeutlich erhöht. Die erste Initiative gilt dem Aufbau einerPräventionsstrategie gegen die Droge Crystal Meth. Wirhaben darüber bereits bei der Haushaltseinbringung debat-tiert. Inzwischen hat uns die Schlagzeile aufgeschreckt,dass diese Droge auf den Schulhöfen angekommen ist.Oder um einen der führenden Suchtmediziner Deutsch-lands, Roland Härtel-Petri, zu zitieren:Der Konsum von Crystal Meth ist extrem gestie-gen. … Es ist definitiv eine der gefährlichsten Dro-gen der Welt … Prävention ist deshalb ein ganzwichtiges Thema.
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6434 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Helmut Heiderich
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Wir wollen durch Prävention die Nachfrage reduzie-ren und gleichzeitig Delikte stärker verfolgen. Wir habendeshalb gemeinsam mit der Fraktion Die Grünen einenneuen Haushaltsansatz bei der Drogenbeauftragten ge-schaffen. Wenn es eine Bestätigung dafür gebrauchthätte, dann war es die vor etwa zwei Wochen durch diePresse gehende Meldung, dass in Leipzig rund drei Ton-nen Rohstoff zur Herstellung dieser Droge sichergestelltwurden. Das zeigt, wie nötig unsere Initiative ist.
Die zweite Verstärkung bei der Drogenbeauftragtendient der Prävention bei unseren Jüngsten in der Grund-schule. Hier gibt es seit Jahren das erfolgreiche Pro-gramm „Klasse 2000“. Es sticht dadurch hervor, dass esdas in Deutschland am weitesten verbreitete Programmzur Sensibilisierung von Kindern gegenüber Gewalt undeinem gesunden Leben ist. Dieses Programm setzt frühein, es ist nachhaltig, breit aufgestellt, wissenschaftlichpositiv evaluiert worden und wird von den Schülern undden Schulen gerne angenommen. Deswegen wollen wirdieses Programm weiter verstärken.Um einmal den Mediziner Dietrich Grönemeyer zuzitieren:Leider steckt die Prävention bei Kindern zu oftnoch in den Kinderschuhen. Nur wenn sie erken-nen, wie wichtig gute Ernährung und Bewegungsind, können sie auch danach handeln.Seine aktuelle Feststellung lautet:Insgesamt sind 15 Prozent der Kinder und Jugendli-chen zwischen drei und 17 Jahren übergewichtig,6 Prozent aller Kinder sogar krankhaft.Deshalb wird, nachdem wir bereits bei der Haushalts-einbringung die Mittel für die Förderung der Kinderge-sundheit erhöht haben, für den Kampf gegen das Über-gewicht bei Kindern noch einmal deutlich mehr Geldbereitgestellt. Das passt auch sehr gut mit der Forderungder Fachpolitiker zusammen, den Kampf gegen Diabe-tes II deutlich zu verstärken und eine gemeinsame Prä-ventionsstrategie zu entwickeln.
Sie sehen also: Einiges von dem, was noch bei derHaushaltseinbringung unter uns als wünschenswert dis-kutiert wurde, ist nach den Beratungen der Haushälterjetzt finanziell fixiert worden.Bei der Pflege – die Pflegeversicherung wird im kom-menden Jahr die größte Verbesserung seit ihrer Einfüh-rung erfahren – haben wir eine personelle Verstärkungermöglicht. Es geht um die besondere Aufgabe der Aus-bildung und Gewinnung neuer Pflegekräfte. Karl-JosefLaumann hat sehr häufig darauf hingewiesen, dass wireinem Fachkräftemangel vorbeugen müssen. Wir schaf-fen im Hause zusätzliche Stellen, um die Reform derPflegeausbildung und ein neues Pflegeberufsgesetz zuentwickeln. Ebenso gibt es eine personelle Verstärkungim Rahmen der Entwicklung eines Gesetzes zur Hospiz-und Palliativversorgung. Wir schaffen zudem die Mög-lichkeit, die Überwachung der Arzneimittelsicherheit zuverbessern, indem wir auch in diesem Bereich eine per-sonelle Verstärkung vornehmen. Ich glaube, dies alleszeigt, dass wir dem Thema Prävention sehr viel Auf-merksamkeit widmen.
Ich will das Thema Prävention noch ein wenig aus-dehnen. Der Kollege Henke hatte bei der Haushaltsein-bringung so schön gesagt: Vielleicht ist Prävention dieeinzige Chance, künftige Kostenbelastungen zu vermei-den. Das Problem ist allerdings, die Menschen für Prä-vention zu gewinnen und das Ganze so zu organisieren,dass sie sie auch tatsächlich nutzen. – Dazu passt die ge-rade zitierte Umfrage der Techniker Krankenkasse. Da-nach sind rund 60 Prozent der Deutschen der Ansicht, je-der sei für seine Gesundheit selbst verantwortlich. Aberrund 70 Prozent von denen, die zu dieser Erkenntnis ge-kommen sind, sagen selbst, dass sie aus ihrer eigenen Er-kenntnis nicht genügend Konsequenzen ziehen. Dasheißt, hier ist ein breites Feld, um die Bürger dazu zu be-wegen, sich selbst gesund zu halten und präventive An-gebote wahrzunehmen.
Dabei sind wir in diesem Bereich bisher nicht inaktiv.Ich will einige kurze Beispiele darstellen, solange esmeine Zeit erlaubt: Wir haben zum Beispiel im eigenenHaus bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklä-rung das Programm „Älter werden in Balance“, das mit3 Millionen Euro von den privaten Krankenversicherun-gen finanziert wird. Wir haben seit über zehn Jahren dasin Deutschland wohl bekannteste Projekt von BarmerGEK, ZDF und Bild mit dem Titel „Deutschland bewegtsich“. Inzwischen sind viele andere Unternehmen indiese Initiative eingestiegen, sodass es inzwischen einerelativ breite Unterstützung dieser Bewegung gibt. Wirmachen gemeinsam mit dem Agrarministerium das Pro-jekt „IN FORM – Deutschlands Initiative für gesundeErnährung und mehr Bewegung“ und sind damit jetzt inder zweiten Projektphase. Ich denke, dass wir das weiterausbauen sollten. Verschiedene Unternehmen beteiligensich an der Plattform Ernährung und Bewegung mitdemselben Ziel: Übergewicht zu vermeiden. Es gibt au-ßerdem die Initiative „Zeit für Bewegung! Partnerschaf-ten für Familien in der Kommune“, die vom Familienmi-nisterium und vom Deutschen Olympischen Sportbunddurchgeführt wird. Darüber hinaus gibt es das DeutscheNetzwerk für Schulverpflegung, in dem inzwischen– das habe ich überraschend festgestellt – 20 Sternekö-che versammelt sind, um diesem Projekt weitere Bedeu-tung zu geben. – Ich glaube, wir haben genügendPunkte, um mit dem neuen Präventionsgesetz Kräfte zukoordinieren, Begeisterung zu wecken und bei der Be-völkerung insgesamt ein Bewusstsein für Prävention zuentwickeln.Zum Schluss will ich noch kurz die ganz neuen tech-nischen Anwendungen ansprechen, die gerade durch diePresse gehen. Das beginnt beim Fitnessarmband und
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6435
Helmut Heiderich
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geht über den Training Tracker, die I-Watch bis hin zuHealthKit und ähnliche Produkte. Ich glaube, auf unswird eine neue Diskussion über Prävention, gesundheit-liche Solidarität und Nutzung moderner Anwendungenzukommen.
Prävention wird auch in den nächsten Jahren ein span-nendes Thema sein. Wir können gemeinsam daran arbei-ten, es positiv weiterzuentwickeln. Wir werden uns wei-terhin für die Gesundheit der Bevölkerung einsetzen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen sprichtjetzt die Kollegin Klein-Schmeink.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Anders als meine Vorredner möchte ich alsErstes sagen: In einer Haushaltsdebatte reden wir imKern über Finanzen. Im Bereich des Gesundheitsminis-teriums, Einzelplan 15, geht es im Wesentlichen überden Zuschuss zum Gesundheitsfonds. Dieser Zuschussmacht 95 Prozent aller Mittel aus. Es ist doch bezeich-nend, dass das bei den bisherigen Rednern der Koalitionnoch keine Rolle gespielt hat.
Das verwundert uns auch nicht; denn diese Zwangsan-leihe, diese Zwangsspende, die Sie kurz vor Weihnach-ten wieder einmal bei den Beitragszahlern erheben, isteine, die sich deutlich bemerkbar macht: im nächstenJahr mit 2,5 Milliarden Euro.Betrachtet man die gesamte Regierungszeit der Gro-ßen Koalition, wird es sich um 8,5 Milliarden Eurohandeln. Das entspricht etwa 0,1 Prozentpunkten derBeitragssätze. Das ist viel Geld für jeden einzelnen Bei-tragszahler. Man muss sich klarmachen: Die Mehrheitder Beitragszahler hat einen Verdienst von nicht mehr als1 500 Euro brutto. Bei ihnen statt bei den Steuerzahlernmit breiten Schultern holen Sie sich das Geld, um IhrenHaushalt zu sanieren. Das kritisieren wir aufs Schärfste,und das machen wir nicht mit.
Das sind im Übrigen Gelder, die als Rücklage im Ge-sundheitsfonds fehlen werden, um den Anstieg bei denZusatzbeitragssätzen, die Sie eingeführt haben, abzufe-dern, was dazu führen wird, dass allein die Beitragszah-ler den Kostenanstieg im Gesundheitswesen bezahlenmüssen. Wir reden mit Blick auf das nächste Jahr vonüber 9 Milliarden Euro Mehrbelastung, die auf den Bei-tragszahler zukommen. Diese Summe könnte durch ei-nen Zuschuss zum Gesundheitsfonds natürlich erheblichabgefedert werden; denn dann könnte sie geringer aus-fallen. Insofern sprechen wir von einer echten Zwangs-spende, die Sie hier kurz vor Weihnachten bei den Bei-tragszahlern erheben.
Es ist ganz klar: Das ist ein Verschiebebahnhof. Die-ser Verschiebebahnhof hat Methode. Das Verschiebenvon staatlichen Aufgaben hin zum Beitragszahler voll-zieht sich auch bei der Rentenversicherung. Das erlebenwir aber auch bei den kommenden Gesetzen, die schonals Referentenentwürfe vorliegen. Auch damit sind Kos-ten von etwa 350 Millionen Euro verbunden, die erneutdem Beitragszahler zugeschoben werden. Das machenwir nicht mit; das halten wir für eine unsoziale Politik.
Diese Politik ist aber nicht nur unsozial, sondern auchunseriös. Den Weg einer unseriösen und unzuverlässigenPolitik – immerhin hat der Zuschuss zum Gesundheits-fonds im Gesetz immer als Zuschuss für versicherungs-fremde Leistungen gestanden – setzen Sie fort, und dasfinden wir falsch. Wir meinen, dass man Verlässlichkeitdarstellen muss und zu den Aussagen, mit denen man indie Öffentlichkeit gegangen ist, auch stehen muss. Daspreche ich Sie ganz direkt an, Herr Minister. Sie habenversprochen, dass es zu einer breiten Entlastung der Bei-tragszahler zum 1. Januar 2015 kommen wird. Sie habenversprochen, dass 20 Millionen Versicherte weniger zah-len werden als heute. Das ist ersichtlich nicht der Fall;davon kann man nicht reden. Das war ein leeres Verspre-chen, und es zeigt sich: An der Stelle sind Sie extrem un-seriös.
Zudem wird es in sehr schnellen Schritten dazu kom-men, dass der Zusatzbeitragssatz bis 2017 auf mindes-tens 1,5 Prozent ansteigen wird. Das sind Kosten, die nurdie Beitragszahler tragen. Außerdem haben Sie mit IhrerGesetzgebung dazu beigetragen, dass es zu einem massi-ven Beitragswettbewerb kommen wird. Die Kassen wer-den sich überbieten bzw. beim Zusatzbeitragssatz unter-bieten, was dazu führen wird, dass die Solidarität imGesundheitswesen unterhöhlt wird. Sie legen die Axt anunser System der Solidarität an.
Das ist kurzsichtig, das ist zukunftsvergessen; das istletztendlich aber auch unverantwortlich. Sie machen dieVersorgerkasse zum Auslaufmodell, das Callcenter zumStandard – und das ausgerechnet für eine Zeit, in der wirmehr hochbetagte Versicherte haben werden, in der wirKassen brauchen, die vor Ort präsent sind, die ansprech-bar sind, die gute Versorgung anbieten und darin inves-tieren. Das werden wir brauchen. Das wollen wir alsKassenmodell. Da gehen Sie den völlig falschen Weg.
Kommen wir zu einer weiteren großen Herausforde-rung. Wir wissen alle, dass wir derzeit einen massivenZuzug von Flüchtlingen haben. Es sind Menschen inhöchster Not, Menschen, die zum Teil wirklich schwer-
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6436 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Maria Klein-Schmeink
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wiegende Erfahrungen gemacht haben, oft auch Kinderund Jugendliche. Wir wissen, dass es da um die gesund-heitliche Versorgung ausgesprochen schlecht bestellt ist.Es ist ein humanitäres Armutszeugnis, dass wir inDeutschland diesen Schutzsuchenden nur eine minimaleGesundheitsversorgung bieten, dass nur die Behandlungim Notfall und bei Schmerzzuständen vorgesehen ist,dass wir für diese Menschen keine reguläre Grundver-sorgung im medizinischen Bereich haben. Das müssenwir dringend ändern. Das ist eine humanitäre Aufgabe,die vor uns steht und die wir angehen müssen.
Genau für diesen Zweck stellen wir in unserem Haus-haltsmodell 490 Millionen Euro bereit. Wir wollen, dasswir eine gute gesundheitliche Versorgung für die Flücht-linge haben. Wir wollen die Einbeziehung in unser Sys-tem der gesetzlichen Krankenversicherung möglich ma-chen. Zusätzlich wollen wir für die Behandlungtraumatisierter Flüchtlinge 3,15 Millionen Euro bereit-stellen.So sieht unsere Art von Gesundheitspolitik aus: soli-darisch und nach vorn gerichtet, menschlich. Das, denkeich, wäre die Aufgabe, der wir uns alle zusammen stellenmüssten. Wir müssten schauen: Was müssen wir tun, umden Kitt zu erhalten, der unsere Gesellschaft zusammen-hält, nämlich Solidarität und Menschlichkeit? Darinkönnen wir investieren. Wir zeigen mit unserem Haus-halt, der gut gerechnet ist,
dass das auch möglich ist und zu stemmen ist.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Petra Hinz,
SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Präsi-dentin! Man setzt sich hin, bereitet sich auf die zweiteund dritte Lesung vor, schreibt einige Eckpunkte oderSchwerpunkte zum Haushalt auf, zu dem, was wir in derZeit von der ersten Lesung über die gemeinsame Bera-tung in den Fachausschüssen und in der Bereinigungssit-zung des Haushaltsausschusses bis zur zweiten und drit-ten Lesung beschlossen haben, um es heute hier imPlenum vorzutragen, um deutlich zu machen, dass wirals Große Koalition in diesem Jahr in der Tat eine ganzeMenge auf den Weg gebracht haben.Was dann kommt, wiederholt sich gebetsmühlenartig;das ist nachzulesen. Wir haben in diesem Jahr viermalüber den Haushalt gesprochen, und viermal begann ichmeine Rede mit der Richtigstellung zum Thema Gesund-heitsfonds. Ich werde es nicht leid, und ich werde auchnicht müde, dies auch jetzt wieder zu tun: Diejenigen,die uns die Argumente im Rahmen der Anhörung gelie-fert haben, haben sehr deutlich gemacht, dass die Redu-zierung auf ein Zeitfenster bis 2016 nie dazu führenwird, dass die Beitragssätze ansteigen werden. Mir istklar: Ob ich Ihnen das noch einmal sage oder nicht, Siehören meine Worte nicht, und Sie hören meine Argu-mente nicht. Ich möchte den Punkt jedoch nicht einfachübergehen, sondern schon mit Bedauern feststellen, dassSie selbst das Urteil von Sachverständigen nicht zurKenntnis nehmen wollen. Wie heißt es so schön? DieWiederholung von unwahren Tatsachen ergibt nochlange nicht die Wahrheit.
Richtig ist, dass wir bei den Beratungen zum Haushalt2014 angekündigt haben, dass wir den Gesundheitsfondsdauerhaft bis 2016 auf 14,5 Milliarden Euro aufstocken.Dadurch – ich sage es noch einmal – wird kein Beitrags-satz gekürzt. Alles andere, was Sie angesprochen haben,was Zwangsspenden und Beitragsbetrug – welche WorteSie da auch gewählt haben – angeht, ist nicht richtig. Ichverstehe ja, dass man Dinge, die man politisch nichtmag, auf den Punkt bringen muss. Aber ich verstehenicht, warum Sie das in dieser Form vortragen, weil eseindeutig nicht richtig ist.
Bei den Gesamtausgaben – das ist schon angespro-chen worden – reden wir über 12 Milliarden Euro. Einensehr großen Teil macht die steuerfinanzierte Umlage imBereich der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Wirwerden in der Tat sehr genau hinsehen, welche Maßnah-men, welche Projekte und Aufgaben wir aus dem Parla-ment, aus dem Fachbereich dorthin überführen. Die wer-den dann nämlich dauerhaft unserer Kontrolle entzogen.Ich bitte die Fachkolleginnen und -kollegen, wirklich einAuge darauf zu haben. Es mag zwar im ersten Augen-blick richtig erscheinen. Aber manchmal ist es wichtig,dass Dinge bei uns im Parlament bleiben.Einen Hinweis, den ich bereits in der Bereinigungssit-zung gegeben habe, möchte ich heute noch einmal vor-tragen, und zwar zum Pflege-Bahr. Ich verstehe IhrMinisterium, Herr Gröhe, dass bei der staatlichen Zu-lage, beim sogenannten Pflege-Bahr, im Rahmen desSchätztitels ein Aufwuchs bzw. eine Anmeldung von52 Millionen Euro vorgesehen ist. Ich verstehe aller-dings nicht das Finanzministerium, das nach den Erfah-rungen in 2014 in dem Bereich nicht die errechnete tat-sächliche Summe etatisiert hat, sondern einen höherenBetrag. Wir haben gemeinsam in der Bereinigungssit-zung darum gebeten, dass diese Schätzzahl im nächstenHaushalt dem Bedarf entsprechend dargestellt wird. Ichmöchte da meine Kollegin Ekin zitieren. Wir wollen denPflege-Bahr nicht streichen oder ihn aufgeben – inhalt-lich diskutieren wir das jetzt gar nicht –, sondern wirwollen, dass die Versicherungsnehmer sich auf unserWort verlassen können. Deshalb muss in diesem Bereichder tatsächliche Wert dargestellt werden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6437
Petra Hinz
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Wie mein Kollege möchte ich meine Ausführungenunter drei Überschriften setzen: Pflege, Prävention undAufklärung, Kindergesundheit. Für diesen Bereich ha-ben wir rund 78 Millionen Euro zur Verfügung. Da giltes in der Tat, sehr genau hinzusehen.Der Pflegebereich ist eine Querschnittsaufgabe. Nichtnur im Bereich Gesundheit diskutieren wir darüber.Auch die Kollegin Manuela Schwesig und die KolleginAndrea Nahles haben im Pflegebereich mit der Ausbil-dung von Pflegekräften und dem Thema „Familie undPflege“ zu tun; wir tun das im gesundheitlichen Bereich.Ich denke, das, was wir mit der ersten Pflegestufe imRahmen der Umsetzung auf den Weg gebracht haben, istgenau der richtige Schritt. Die Kolleginnen und Kolle-gen arbeiten jetzt im Bereich der zweiten Stufe an derweiteren Umsetzung.Zur Pflegeinformation. In der ersten Lesung ist vonunseren Fachkollegen sehr deutlich dargelegt worden,wie wichtig gerade die Pflegeinformationen für die Bür-gerinnen und Bürger sind. In dem Bereich stellen wir3 Millionen Euro zur Verfügung, die wir dann auch ver-stetigen. Das heißt: Da wird nicht gekürzt; es wird beidem Betrag bleiben. Wenn Mehrbedarf besteht, sollendie Mittel aufgestockt werden. Die Versorgung Pflegebe-dürftiger haben wir mit 2,9 Millionen auf den Weg ge-bracht.Kommen wir zur internationalen Zusammenarbeit.Hier ist schon mehrfach das Thema Ebola angesprochenworden. Der Haushaltsausschuss hat einen entsprechen-den Bericht vorgelegt bekommen. Herr Minister Gröhehat für alle Fachbereiche sehr ausführlich die Koopera-tion und Zusammenarbeit dargelegt. Ich bin dem Außen-minister Frank-Walter Steinmeier dankbar, dass ergemeinsam mit den Fachkollegen einen Sonderbeauf-tragten, Walter Lindner, eingesetzt hat. Jetzt können dieMaßnahmen gebündelt und konzentriert werden. Wir ha-ben für diesen Bereich weitere 3,1 Millionen Euro zurVerfügung gestellt. Man könnte natürlich einwenden,dass man mit dieser Summe nicht viel bezwecken kann.Das Geld muss in einem Haushaltsjahr aber auch ausge-geben werden können. Schauen wir uns einmal im Ein-zelplan 15 an, wofür diese 3,1 Millionen Euro eingesetztwerden: für klinische Studien, für Ausbildungspro-gramme, für medizinisches Personal usw. Genau da istdas Geld richtig eingesetzt. In anderen Bereichen wiedem der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gibt es einenwesentlich höheren Ansatz. Das gilt genauso für den Be-reich des Auswärtigen.Auch die Flüchtlingsgesundheit ist hier mehrfach an-gesprochen worden. Wir haben in der Tat 500 000 Eurozusätzlich eingestellt; denn wir sehen, dass den Kommu-nen dringend geholfen werden muss, wenn es um die ge-sundheitliche Aufklärung der Flüchtlinge geht. Hier istdie Frage zu klären, wer wofür zuständig ist. Uns istdeutlich gemacht worden, dass in unserem föderalenSystem eigentlich die Länder dafür zuständig sind. Wirhaben gemeinsam mit unseren Fachkollegen eine Mög-lichkeit gefunden, die Gelder bei der Bundeszentrale fürgesundheitliche Aufklärung zu etatisieren, sodass für diegesundheitliche Aufklärung der Flüchtlinge, wie gesagt,500 000 Euro zur Verfügung stehen.Die Haushaltsmittel für den Bereich „Förderung derKindergesundheit“ – machen wir uns da nichts vor – wä-ren eigentlich 2014 ausgelaufen. Wir haben die Gelderfür diesen Bereich neu etatisiert. Mein KollegeHeiderich hat für die Koalition schon sehr deutlich ge-macht, dass Kindergesundheit und Prävention einSchwerpunkt für uns sind. Schon der Volksmund sagt:Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Wirhoffen, dass wir in den Bereichen Gesundheitsvorsorgeund gesundheitliche Aufklärung von der Kita bis zurSchule Fortschritte erzielen. Die entsprechenden Mittelhaben wir nicht nur verstetigt, sondern auf 1,5 MillionenEuro aufgestockt. Es geht auch um die Aufklärung beiAdipositas, also Fettleibigkeit, von Kindern. Hier müs-sen wir genau schauen, wie die Kommunen ihre Finanz-mittel einsetzen. Denn wer Schwimmbäder schließt, darfsich nicht wundern, dass unsere Kinder nicht schwim-men können und dementsprechend auch keinen Sporttreiben. Das eine bedingt das andere.Ein weiterer Aufgabenschwerpunkt in unserem Haus-halt ist der Bereich Forschung. Hier werden für Ressort-forschung 25,5 Millionen Euro angesetzt: für die Beglei-tung von Gesetzesvorhaben, für Strategien zurBekämpfung von Aids und für die Optimierung der Pa-tientensicherheit, um nur einige Beispiele zu nennen.Ein spezieller Punkt der Forschung ist die Aidsfor-schung. Seit 1981 ist Aids als Krankheit anerkannt. Seit-dem investieren wir in die Forschung, aber auch in dieAufklärung. Ich erinnere daran, dass wir 2014 10 Millio-nen Euro in die Aids-Stiftung eingezahlt haben, sodasssie bis 2017 in der Lage ist, den Menschen, die sichdurch Blutübertragung infiziert haben, zu helfen. Jetztgeht es darum, zu klären, wie es nach 2017 mit der Stif-tung weitergeht. Für diesen Bereich haben wir 11,9 Mil-lionen Euro angesetzt, 1,6 Millionen Euro für die For-schung.
Ein kleiner Betrag, der trotzdem erwähnt werdenmuss, ist der für die World Transplant Games. Hier wer-den wir die Reisekosten für die deutschen Teilnehmerübernehmen, schon zum zweiten Mal. Es ist zwar nur einkleiner Betrag; aber daran wird deutlich, mit welch kom-plexen Themen wir uns im Zuge der Haushaltsberatungbeschäftigen müssen.Aus dem Fachbereich wurde auf die Kaiserschnittge-burten hingewiesen. Es ist richtig, dass die Zahl dererzunimmt. Wir wissen, dass es auf diesem Gebiet zahlrei-che Evaluierungen gibt. Trotzdem haben wir 250 000Euro für eine Studie eingesetzt, mit der untersucht wer-den soll, in welcher Weise sich dieser Bereich veränderthat.Beim Drogen- und Suchtmittelmissbrauch – meinKollege Heiderich hat gerade noch einmal darauf auf-merksam gemacht – haben wir die Mittel weiter aufge-stockt, auf 1,5 Millionen Euro. Sehr wichtig war uns dieFrage von weiteren Programmen gegen Glücksspiel-sucht, losgelöst aus den übrigen Programmen, damit die
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6438 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Petra Hinz
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einzelnen Punkte, die in diesem Bereich zur Umsetzungkommen und etatisiert sind, für die Fachkolleginnen undFachkollegen entsprechend nachvollziehbar sind, damitman sehen kann, welche Maßnahmen auf den Weg ge-bracht werden, welche Evaluierung und welche For-schungsmittel eingesetzt werden.Es wird weitere Veränderungen geben: Es wird neueMitarbeiter bzw. Geschäftsführer für das Robert-Koch-Institut und die Bundeszentrale für gesundheitliche Auf-klärung geben, die im nächsten Jahr ihre neue Aufgabeantreten werden. Auch in diesem Bereich haben wir – sosage ich einmal – nicht nur national, sondern auch inter-national einen sehr guten Namen. Immer wieder werdenKnow-how und Kapazitäten des Robert-Koch-Institutsabgefragt, gerade im Zusammenhang mit Ebola.Ich möchte mich bei all denen, die dazu beigetragenhaben, dass der Haushalt für 2015 aufgestellt werdenkann, und die noch eine deutliche Aufstockung in denBereichen Pflege, Prävention und Aufklärung sowieKindergesundheit möglich gemacht haben, herzlich be-danken. Dies ist eigentlich der erste Haushalt der GroßenKoalition. Wir haben noch eine ganze Menge an Arbeitauf den Weg zu bringen. Ich möchte mich bei allen ganzherzlich bedanken: beim Minister, beim Bundesrech-nungshof, beim Finanzministerium, vor allem aber beiden Fachkolleginnen und Fachkollegen, die uns in dieserFrage sehr deutlich unterstützen.Vielen Dank.
Herzlichen Dank. – Für die Bundesregierung erhält
jetzt das Wort Bundesminister Hermann Gröhe.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Gernegreife ich zu Beginn den Dank auf und erwidere ihnherzlich. Nach intensiven Beratungen in diesem Jahr– der Haushalte 2014 und 2015 – ist es in der Tat ange-messen, der Hauptberichterstatterin, den Berichterstat-tern und dem Haushaltsausschuss als Ganzes Dank zusagen. Ich denke, wir haben in umfänglichen, in enga-gierten Beratungen ein Ergebnis vorgelegt, das uns aufdem wichtigen Feld der Gesundheitspolitik nach vornebringt; dafür bin ich dankbar.Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun ist esvöllig normal, dass die Haushaltsdebatte der OppositionGelegenheit zur Kritik bietet. Was uns allen nicht weiter-hilft, ist allerdings, wenn mit bewussten Verzerrungenund Verdrehungen die Verunsicherung der Versichertengleichsam im Rahmen einer versuchten Märchenstundezum Ziel der Politik gemacht wird. So dienen Sie kei-nem Menschen, meine Damen und Herren von der Op-position.
Darüber hinaus zeigt Ihre Polemik gegen einen ausge-glichenen Haushalt,
Ihre Polemik dagegen, dass wir die Liquiditätsreserve ei-nen Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts leistenlassen, Ihre Polemik gegen das Festschreiben des Arbeit-geberbeitrags, dass Sie ein entscheidendes Grundprinzipeines solidarischen Gesundheitswesens überhaupt nichtverstanden haben: Es ist eine gute Wirtschaftslage, essind sichere, gut bezahlte Arbeitsplätze, die dazu beitra-gen, dass sich die Menschen in unserem Land auf einsolidarisches Gesundheitswesen verlassen können, unddies muss so bleiben.
Insofern ist es richtig, dass wir die Liquiditätsreserve ei-nen Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts leistenlassen. Ein Haushalt ohne Neuverschuldung, das ist einSignal der Generationengerechtigkeit, er stärkt aber ebenauch die wirtschaftliche Entwicklung und pflegt damitgleichsam die Grundlagen, auf denen dann auch prall ge-füllte Sozialkassen für die Sicherheit der Menschen indiesem Land einstehen. Sie wissen sehr genau – Kolle-gin Hinz hat es noch einmal unterstrichen –, dass keiner-lei Abstriche an gesundheitlichen Leistungen, keinerleiAbstriche bei den Zuweisungen an die Krankenkassenerfolgen. Es ist gewissermaßen so: Wie in den Jahren derFinanz- und Wirtschaftskrise durch Unterstützung desSteuerzahlers, ja unter Inkaufnahme von Staatsverschul-dung, die Beiträge stabil gehalten wurden, damit Ar-beitsplätze nicht vernichtet werden, leistet jetzt eine prallgefüllte Liquiditätsreserve ihren Beitrag zu einer wachs-tumsfördernden Konsolidierungspolitik.Gleiches gilt für das Einfrieren des Arbeitgeberbei-trags in der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch dassoll und wird dazu beitragen, die Rahmenbedingungenfür Wachstum und Beschäftigung in unserem Land stabilzu halten und damit die solidarische Gesundheitspolitikdauerhaft abzusichern.Die damit verbundene Verpflichtung, mit dem Geldder Versicherten besonders sparsam umzugehen, neh-men wir ernst. Das haben wir unter Beweis gestellt, in-dem wir im Rahmen einer der ersten Gesetzgebungendieser Großen Koalition die Arzneimittelpreise ange-packt haben. Hiermit stellen wir Sparsamkeit in der ge-setzlichen Krankenversicherung sicher. Das ist entschei-dend und wird uns weiterhin leiten.Wir sind auch der Überzeugung, dass ein guter Wett-bewerb um Qualität und Effizienz in der Leistungser-bringung im Interesse der Versicherten ist. Die Versi-cherten sind schlau genug, zu wissen, ob sie allein aufden Preis schauen oder auch die Frage stellen: Ist da eineAnsprechpartnerin, ein Ansprechpartner vor Ort? – Sievergleichen Leistungspakete und Preise, und das ist rich-tig so. Es führt zu einem Bemühen um Effizienz in derLeistungserbringung. Das liegt im Interesse der Versi-cherten.
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Bundesminister Hermann Gröhe
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir habeneine Reihe von Dingen unmittelbar im ersten Jahr dieserKoalition angepackt. Vieles ist derzeit in Arbeit; vieleshaben wir uns noch vorgenommen. Wir haben die ge-setzliche Krankenversicherung insgesamt zukunftsfestgemacht: Einerseits ermöglichen wir einen vernünftiggestalteten Wettbewerb, andererseits stärken wir dasQualitätsbewusstsein, indem wir die Grundlagen für einQualitätsinstitut geschaffen haben, das schon im nächs-ten Jahr seine Arbeit aufnehmen wird. Wir habenschließlich – das wurde bereits in diesem Jahr gesetzlichabgeschlossen – die Rolle der Hausärzte gestärkt.Erst unlängst haben wir an dieser Stelle das erste Pfle-gestärkungsgesetz beschlossen. Damit werden wir am1. Januar des nächsten Jahres – gleichsam zum 20. Ge-burtstag der Pflegeversicherung – zu einer deutlichenAusweitung der Leistungen für Pflegebedürftige, fürihre Angehörigen und damit auch im Interesse der Pfle-genden in den verschiedenen Einrichtungen gelangen:wirksamere Unterstützung zu Hause, passgenauere, bes-ser an die individuellen Bedürfnisse angepasste Unter-stützung in der Pflege und mehr Betreuungskräfte in un-seren stationären Altenpflegeeinrichtungen.Zugleich – auch das ist ein Stück Generationenge-rechtigkeit – legen wir einen Vorsorgefonds an, den wirin Zukunft mit gut 1 Milliarde Euro pro Jahr anfüllen.Damit leisten wir einen Beitrag dazu, dass Pflegeversi-cherungsleistungen ohne dramatischen Beitragsanstiegerbracht werden können, wenn die geburtenstarken Jahr-gänge in höherem Umfang darauf angewiesen sind.
Aber es geht weiter: Mit einem zweiten Pflegestär-kungsgesetz werden wir den neuen Pflegebedürftigkeits-begriff einführen und ein individuelleres Begutachtungs-system umsetzen. In diesem Sommer und Herbst wurdein umfangreichen Studien die Anwendung dieses Sys-tems getestet. Dies wird nun ausgewertet. Das Jahr 2015wird das Jahr der gesetzlichen Umsetzung sein, sodasswir alsbald zu einer umfassenden Implementierung einesneuen, individuelleren Begutachtungsverfahrens kom-men.Wir wollen die Verbesserungen in der Pflege mit Ver-besserungen in der hospizlichen und palliativmedizini-schen Versorgung in unserem Land verbinden, mit Ver-besserungen dieser notwendigen Aktivitäten unsererPflegeeinrichtungen; sie haben hier schon eine intensiveDebatte geprägt. Ich bin sicher: Wenn es darum geht,Schwerstkranken und Sterbenden einen Anspruch aufmenschliche Zuwendung und bestmögliche medizini-sche und hospizliche Betreuung einzuräumen, dann sindwir uns in diesem Hause sehr einig.
2015 wird uns insgesamt das Thema Versorgung be-schäftigen: Wie sichern wir gute Versorgung stationärund ambulant? Das geschieht auch vor dem Hintergrundveränderter Herausforderungen durch den demografi-schen Wandel: eine älter werdende Gesellschaft, mehrchronisch und mehrfach erkrankte Menschen. Da liegtmir, da liegt vielen von uns die gute medizinische Ver-sorgung im ländlichen Raum besonders am Herzen. Wirwerden voraussichtlich noch im Dezember mit dem Ent-wurf eines Versorgungsstärkungsgesetzes wichtige Wei-chen stellen. Dazu gehört beispielsweise, dass man mit-hilfe von Strukturfonds in Gebieten mit drohender odervorhandener Unterversorgung tätig werden kann, dassAnreize für eine Niederlassung geschaffen werden.Zukünftig haben die kassenärztlichen Vereinigungendamit die Möglichkeit, mit vielfältigen Maßnahmen,vom Stipendium bis hin zur Niederlassungshilfe, einenBeitrag dazu zu leisten, dass Unterversorgung erst garnicht entsteht und auch im ländlichen Raum angemes-sene, gute Verhältnisse im Hinblick auf die Niederlas-sung geschaffen und gestärkt werden.
Dabei tragen wir auch den Wünschen junger Studieren-der oder junger Ärztinnen und Ärzte Rechnung, etwawenn wir die Formen gemeinschaftlicher Berufsaus-übung – von der Gemeinschaftspraxis über das in Zu-kunft pflichtweise zu fördernde Netzwerk bis hin zu er-weiterten Möglichkeiten von Zentren zur medizinischenVersorgung – stärken. Wie gesagt: Dies trägt gerade denWünschen junger Medizinerinnen und Mediziner Rech-nung.Ich sage auch: Wir brauchen eine bessere Verteilungvon Vertragsärztinnen und Vertragsärzten. Das ist alle-mal kein Grund zur Panikmache. Selbstverständlichkann dazu auch der Abbau von Überversorgung beitra-gen. Dafür sollen die Verantwortlichen vor Ort zuständigsein, die die jeweilige Versorgungslage im Blick haben.Das kann einen Beitrag dazu leisten, die Versorgung inunserem Land insgesamt zu verbessern. Es wird auchdarum gehen, dass dort, wo niedergelassene Ärzte denBedarf an ambulanter Versorgung nicht gewährleistenkönnen, die Krankenhäuser für die ambulante ärztlicheVersorgung geöffnet werden.Nun komme ich zur Krankenhausplanung, zur Kran-kenhausversorgung in unserem Land. Sie wissen: Dazutagt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die aller Voraus-sicht nach ebenfalls im Dezember ihre Arbeit abschlie-ßen und Eckpunkte vorlegen wird, die dann Grundlageeiner Gesetzgebung im nächsten Jahr sein werden.Ohne den einzelnen Ergebnissen vorgreifen zu wollen– die Beratungen dauern ja noch an –: Es wird darum ge-hen, die Länder bei der Krankenhausplanung darin zuunterstützen, Qualität zu einem weiteren entscheidendenKriterium in der Krankenhausplanung zu machen.
Das ist entscheidend, um dann zu einem angemessenen,wenn Sie so wollen, auch neuen, guten Miteinander vongut erreichbaren Krankenhäusern der Grund- und Regel-versorgung einerseits und der Spezialisierung in beson-deren Zentren, in Häusern der Maximalversorgung inden Universitätskliniken andererseits zu kommen.
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Bundesminister Hermann Gröhe
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Ein verbesserter Sicherstellungszuschlag wird dazubeitragen, das notwendige Angebot in der Fläche zu er-halten. Dazu wird aber auch beitragen, dass wir die be-sonderen Leistungen, die in einzelnen Zentren, aber auchin den Universitätskliniken erbracht werden, etwa beiseltenen oder besonders schweren Erkrankungen, ange-messen vergüten. Schon im Versorgungsstärkungsgesetzwerden wir uns des Themas Hochschulambulanzen an-nehmen, weil auch hier angesichts des Beitrages, den un-sere Hochschulambulanzen gerade bei der BetreuungSchwerstkranker bzw. besonders schwerer Fälle leisten,eine Verbesserung notwendig ist.
Bei der Verknüpfung von Krankenhäusern der Grund-und Regelversorgung, von Spezialeinrichtungen und nichtzuletzt von Universitätskliniken, kommt dem Einsatzneuer Informations- und Kommunikationstechnologienin der Krankenhausversorgung große Bedeutung zu.Ich habe neulich in der Universitätsklinik Dresden er-lebt, wie dort die Zusammenarbeit mit kleinen Kranken-häusern in Ostsachsen organisiert ist: über die Nutzungdes Teletumorboards, über die Nutzung der Expertise beider Behandlung von Schlaganfallpatientinnen und -pa-tienten. Dies sind eindrucksvolle Beispiele. Wir werdendurch die Nutzung solcher Technologien die Selbststän-digkeit von Menschen gerade im hohen Alter, die unterHerzinsuffizienz, Diabetes oder anderen Krankheitenleiden, verbessern. Es geht um ein selbstbestimmtes,aber eben mithilfe von Informations- und Kommunika-tionstechniken ärztlich begleitetes Leben. Wir werdenmit einem E-Health-Gesetz die Anwendung dieser mo-dernen Informations- und Kommunikationstechniken inunserem Land vorantreiben.Schließlich freue ich mich, dass wir alsbald in diesemHause den Entwurf eines Präventionsgesetzes werdenberaten können. Das Thema ist heute verschiedentlichangesprochen worden. Der Haushalt trägt im Einzel-plan 15 durch den Titel für das „Nationale Kompetenz-zentrum für Prävention“ bei der Bundeszentrale fürgesundheitliche Aufklärung diesem Gedanken bereitsRechnung. Wir wollen eine nationale Präventionsstrate-gie, an der alle Akteure mitwirken und ihren Beitrag füreine lebens- und gesundheitsfördernde Lebensweise– von der Kita über die Schule und den Arbeitsplatz bisin die Altenpflege hinein – leisten. Was die gesetzlicheKrankenversicherung angeht, werden wir über die ent-sprechende Gesetzgebung die erforderlichen Mittel be-reitstellen. Wir werden aber auch die Einbeziehung derübrigen Sozialversicherungsträger, der privaten Kran-ken- und Pflegeversicherungen, in eine gemeinsameKraftanstrengung einbinden.Zum Stichwort Prävention. Ich bin dem Haushalts-ausschuss ausgesprochen dankbar für seine Arbeit imBereich der Sucht- und Drogenprävention. Denn ver-schiedene Nachrichten aus dem Görlitzer Park in Berlin,die Entdeckung von knapp 3 Tonnen Grundstoff für dieHerstellung von Crystal Meth und andere Meldungenbeunruhigen uns. Dieser Fund zeigt die Wichtigkeit derArbeit von Marlene Mortler, für die ich ausgesprochendankbar bin.
Das Thema Ebola ist bereits angesprochen worden.Wir haben im Haushaltsausschuss intensiv darüber ge-sprochen. Deutschland stellt sich ohne Wenn und Aberseiner Herausforderung in diesem Bereich. Wir habenbereits erhebliche Mittel außerplanmäßig zur Verfügunggestellt und werden das weiter vorantreiben. Das giltzum Beispiel für den Bereich der Impfstoffe, konkreteForschungsprojekte, Training in der Region und in derNachbarschaft, in der auswärtigen humanitären Hilfeund auch in der Entwicklungshilfe.Mir ist es wichtig, heute allen Mitarbeiterinnen undMitarbeitern sowie Freiwilligen der Nichtregierungsor-ganisationen, des Roten Kreuzes, des THW und derBundeswehr für ihren dringend benötigten und nicht risi-kolosen Einsatz herzlich zu danken. Sie bekommenselbstverständlich materiellen Rückenwind und die not-wendigen Ressourcen aus dem Bundeshaushalt. Ihnengilt unser aller Dank. Sie haben das verdient. Wir wer-den dieses Engagement weiter ausbauen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt Kathrin Vogler, Fraktion Die
Linke.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Herr Minister!Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Das mit der Märchenstunde würde ich nun gernezurückgeben, Herr Minister. Denn an manches, was Sieda erzählt haben, muss man ein Fragezeichen anhängen.Es ist nicht so, auch wenn es unsere Aufgabe als Opposi-tion ist, dass wir nur Kritik üben.
Allerdings ist der von Ihnen vorgelegte Haushalt durch-aus kritikwürdig, und zwar gerade an dem Punkt derEinschnitte beim Steuerzuschuss für den Gesundheits-fonds.Wir haben konkrete Vorschläge gemacht.
Ihnen würde sicherlich kein Zacken aus der Krone bre-chen, wenn Sie nur einen unserer guten Vorschläge, diewir in den Änderungsanträgen vorgelegt haben, aufneh-men und umsetzen würden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6441
Kathrin Vogler
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Ich möchte einmal beispielhaft den Ebolakrisenfondsnennen. Es kann nicht sein, dass wir im Vagen gelassenwerden, wenn es darum geht, was da nächstes Jahr aufuns zukommt.Weiterhin wollen wir den Kampf gegen den Drogen-und Suchtmittelmissbrauch mit Forschungsvorhaben un-terlegen. Wir haben einen konkreten Vorschlag dahin ge-hend gemacht. Auch darauf haben wir keine positive Re-sonanz Ihrerseits erhalten.
Wir wollen die nichtkommerzielle Pharmaforschungausbauen. Das ist dringend nötig. Wir sehen zum Bei-spiel an der Ebolasituation, dass es da große Defizitegibt. Wir laden Sie dazu ein. Unterstützen Sie das, undmachen Sie das mit!Mit dem umfangsreichsten unserer Änderungsan-träge, was die Höhe der Mittel angeht, wollen wir auchdieses Jahr wieder den Finger in eine große Wunde unse-res Gesundheitswesens legen: Wir wollen den Investi-tionsstau bei den Krankenhäusern abbauen. Jährlich feh-len den Kliniken 2 bis 3 Milliarden Euro für notwendigeBauten und technische Erneuerungen. Insgesamt sinddas etwa 50 Milliarden Euro. Ja, wir wissen auch, dasseigentlich die Länder dafür verantwortlich sind. Dochdiese wälzen angesichts von Schuldenbremsen dieseLast auf die Kranken ab. Das können wir nicht hinneh-men. Darum fordert die Linke, dass sich der Bund zurHälfte an den notwendigen Investitionen im Kranken-hausbereich beteiligt
und damit den Krankenhäusern Unterstützung in Höhevon circa 2,5 Milliarden Euro im Jahr leistet.
– Unsere Gegenfinanzierung haben wir doch längst dar-gelegt. Die legen wir Ihnen jedes Mal wieder dar, aberSie ignorieren das einfach.
Alle Koalitionen der letzten Jahre haben sich gewei-gert, diese überaus notwendige Debatte zu führen undden Krankenhäusern an dieser Stelle zur Seite zu stehen.Die Folge ist, dass so manches Krankenhaus inzwischenals ökonomisch untragbar gilt und geschlossen werdensoll. Das droht zum Beispiel auch dem Marienhospital inmeiner Heimatstadt Emsdetten, einem Krankenhaus, dasim AOK-Krankenhausnavigator von den Patientinnenund Patienten regelmäßig hervorragende Noten erhält.Die Qualität, über die wir oft sprechen, scheint hier nichtder Grund zu sein. Tausende Bürgerinnen und Bürgerhaben bereits Petitionen unterschrieben und sind auf dieStraße gegangen, um ihr Krankenhaus zu erhalten. Ichfinde es unerträglich, dass Krankenhäuser allein ausökonomischen Erwägungen geschlossen werden, ohnedass die Kommune, der Kreis oder die betroffenen Bür-gerinnen und Bürger mitreden können.
Wir müssen dringend die politische Verantwortungübernehmen. Dazu rufe ich Sie auf. Markt und Wettbe-werb sind keine geeigneten Mechanismen, um die Kran-kenhausversorgung in diesem Land zu steuern. Deswe-gen bitte ich Sie: Stimmen Sie dem Änderungsantrag derLinken zu. Lassen Sie die kleinen Krankenhäuser leben.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Burkhard Blienert,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem in dieser Wo-che zu beschließenden Haushalt 2015 zeigt die GroßeKoalition, dass sie verantwortungsbewusste und solideHaushaltspolitik mit effektiver, verlässlicher und erfolg-reicher Gesundheitspolitik in Einklang bringt.
Wir setzen das um, was wir vorher gesagt haben. Wieangekündigt erhöhen wir die Mittel für den Gesundheits-fonds wieder auf 11,5 Milliarden Euro und somit die Ge-samtausgaben für das Gesundheitssystem insgesamt umknapp 10 Prozent auf über 12 Milliarden Euro.Für uns gilt: Das eingesetzte Geld muss den Men-schen zugutekommen und darf nicht im System versi-ckern.
Daher ist es nicht per se richtig, immer mehr Geld in dasSystem zu pumpen, sondern es ist vielmehr auf die Effi-zienz der eingesetzten Gelder zu achten. Nach wie vorsind die finanziellen Spielräume begrenzt. Unter diesenVoraussetzungen stellen wir die gesundheitliche Versor-gung sicher, geben die richtigen Signale für die Zukunftund reagieren auf neue Herausforderungen.Ich möchte zwei Beispiele geben, die zeigen, dasswir auf dem richtigen Weg sind – sie wurden bereits er-wähnt –: Ebola in Westafrika und die gesundheitlicheSituation der Flüchtlinge aus den Krisengebieten. Wirmüssen Antworten geben und handlungsfähig sein; unddas sind wir, ohne an anderer Stelle zu kürzen.
Mit diesem Haushalt zeigen SPD und Union genau dieseHandlungsfähigkeit.Aktuell erarbeiten wir mit vielen verschiedenen Ak-teuren eine Krankenhausreform: das Präventionsgesetz
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Burkhard Blienert
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und das Versorgungsstärkungsgesetz. Punkt für Punktgehen wir die unterschiedlichen Bereiche an und sorgenfür Lösungen, die den Menschen helfen. Es hilft nicht,Anträge vorzulegen, die nicht gegenfinanziert sind unddie nicht mit einem Konzept hinterlegt sind, währendgleichzeitig zusammen mit den Ländern an Konzeptengearbeitet wird. Anstatt mit Blick auf die Krankenhaus-finanzierung Panik zu machen, muss man sich über Kon-zepte und Inhalte verständigen; denn das ist der richtigeWeg. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.
Wir setzen im Koalitionsvertrag Beschlossenes wiedie Pflegereform um und verbessern damit die Situationvieler Pflegebedürftiger. Es ist uns gelungen, die Haus-haltsmittel für die Pflegekampagne zu verstetigen undgleichzeitig die Gelder für Pflegebedürftige auf knapp3 Millionen Euro zu steigern. Das sind gute Beschlüsse.Sie gehören nicht in die Schublade eines parteipoliti-schen Klein-Klein.Nicht zuletzt im mir sehr wichtigen Bereich der Dro-gen- und Suchtbekämpfung haben wir es geschafft, diezur Verfügung gestellten Finanzmittel weiter zu erhöhen.Für das, was wir machen, nun einige Beispiele:Endlich ist es gelungen, Geld zur Bekämpfung derGlücksspielsucht im Haushalt einzustellen.
Eine halbe Million Euro ist realisiert worden.Der Aufwuchs im Bereich der Modell- und For-schungsvorhaben hilft, eine Vielzahl von Unterstüt-zungsangeboten fortzuführen und somit Hilfesuchendeneine Anlaufstelle zu geben.Mit der Ausweitung des Schulbusprojekts kann derCrystal-Ausdehnung ein erfolgversprechendes Projektfür Jugendliche entgegengestellt werden.Auch die Mittel für das Klasse-2000-Projekt werdenhelfen, Kindern Wege in ein selbstbestimmtes und ge-sundes Leben zu zeigen. Es ist ein großer Schritt, wennwir die Finanzierung dieses Projekts an zusätzlich bis zu2 000 Schulen ermöglichen.An dieser Stelle muss festgestellt werden, dass wirSozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an vielenStellen und in vielen Programmen die gesundheitlichePrävention bei Kindern in den Haushaltsberatungen gutdurchsetzen konnten.
Die Mittel für die Kindergesundheit steigen von500 000 Euro auf insgesamt 2 Millionen Euro; das istein gutes Zeichen. Ein Teil davon sind Gelder für diewichtige Adipositasforschung. Übergewicht ist in unse-rer Gesellschaft leider ein weit verbreitetes Problem.Umso wichtiger ist es, die Forschung auf diesem Gebietzu unterstützen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Prävention setzt im-mer am Beginn an, Prävention umfasst alle Bereiche undsozialen Lebenslagen, Prävention vermeidet Folgekos-ten. Das ist in den kommenden Jahren unsere Hauptauf-gabe. Mit den Beschlüssen zum Haushalt des Einzelpla-nes 15 dürfen wir daher ganz zufrieden sein. DieHaushälter haben, glaube ich, gut verhandelt und so da-für gesorgt, dass das, was eingebracht wurde, bessergeworden ist und wir somit heute einen guten Einzel-plan 15 verabschieden können. Danke insbesondere andie zuständigen Berichterstatter für ihre Arbeit!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eingangs habe ichbereits darauf hingewiesen: Es gibt Situationen, die un-erwartet Handeln unsererseits erforderlich machen.Ebola ist ein Beispiel; über 3 Millionen Euro stellen wirhier für klinische Studien zur Verfügung. Die große He-rausforderung der gesundheitlichen Versorgung vonFlüchtlingen ist ein weiteres Beispiel. Dort greifen wirden Kommunen unter die Arme. Sie sind an der Grenzeihrer finanziellen Belastbarkeit. Ich bin froh darüber,dass wir dafür auch im Haushalt des BMG 500 000 Eurozur Verfügung stellen.
Wir können somit eindeutig feststellen: Die Schwer-punktsetzungen dieser Koalition stimmen. Wir redennicht nur, wir zerreden nicht, wir handeln.
Vor gut einem Jahr wurde Schwarz-Gelb abgewählt.
Dies ist nun der erste ureigene Haushalt, den dieseGroße Koalition in dieser Legislatur vorlegt und ab-schließend berät. Wir haben einiges erreicht: Schritt fürSchritt, durchdacht und fachlich untermauert, abgewo-gen und sozial, verlässlich und solide.
Das macht erfolgreiches politisches Handeln aus. Inso-fern: Marktschreierische Forderungen und illusorischeGedankenspiele sind nicht unsere Sache. Wir sind– Punkt für Punkt – an der Sache orientiert.
Wir fordern nichts Unerreichbares. Es muss das Mach-bare angegangen werden. Auf diesem Weg befinden wiruns.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6443
Burkhard Blienert
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Wir haben unsere Arbeit für diesen Haushalt getan:gründlich, solide, erfolgreich.
Die Bürgerinnen und Bürger können sich sicher sein,dass unser Haushaltsentwurf die richtige Medizin für dieHerausforderungen in der kommenden Zeit sein wird.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Das Wort hat Kordula Schulz-Asche,Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrMinister Gröhe, ich möchte Ihnen für die Rede, die Siehier gerade gehalten haben, ausdrücklich danken. Denneinen besseren Beweis für das Motto dieser Großen Ko-alition, was den Gesundheitshaushalt angeht, konnte esgar nicht geben. Ihr Motto lautet „Verwalten statt gestal-ten“.
Wie soll die Gesundheitsversorgung in Zeiten des de-mografischen Wandels in Zukunft aussehen? Wie kanndiese solidarisch finanziert werden? Den Ehrgeiz zu gro-ßen, längst überfälligen Reformen bleiben Sie leiderschuldig. Diese Koalition verschleppt nahezu alles, wasden Patienten und ihren Angehörigen, den Versichertenund den Bürgerinnen und Bürgern zugutekommenwürde. Ich möchte nur ein paar Beispiele nennen:Die Koalition packt das Pflegestärkungsgesetz, dieProbleme des wachsenden Bedarfs an guter Pflege – ichbetone: an guter Pflege –, nicht an der Wurzel. So ist dieEinführung des neuen Pflegebegriffs wieder einmal ver-schoben worden. Das Problem einer langfristigen undgerechten Finanzierung bleibt ungelöst.
Stattdessen verschwendet Schwarz-Rot das Geld derVersicherten an einen völlig unsinnigen Pflegevorsorge-fonds,
und der schwarz-gelbe Pflege-Bahr, der erwiesenerma-ßen schon ein totaler Reinfall ist, wird nicht etwa abge-schafft, sondern fortgeführt.
Meine Damen und Herren, mit dem sogenannten Ver-sorgungsstärkungsgesetz – das ist im Moment offen-sichtlich Ihr Lieblingswort – verliert sich Minister Gröhehingegen im Klein-Klein. Altbekannte Akteure im Ge-sundheitswesen werden mit Geschenken und Detailver-besserungen bei Laune gehalten, notwendige Strukturre-formen aber werden auf die lange Bank geschoben.Konkrete Regelungen zur Reform der Krankenversor-gung, also zur Bedarfsplanung, zur besseren Koopera-tion der Gesundheitsberufe, zur Stärkung der Verantwor-tung in den Bundesländern und Kommunen zurSicherstellung der Versorgung in Stadt und Land, fehlenvöllig.Bei dem geplanten Präventionsgesetz bedient sich dieGroße Koalition bei den Vorschlägen aus den dunklenZeiten der Gesundheitspolitik von Schwarz-Gelb. Hierhilft ein bisschen SPD-Prosa überhaupt nicht.
Im Gegenteil: Schwarz-Rot verpasst die Möglichkeit,Prävention und Gesundheitsförderung als Gemein-schaftsaufgabe zu verstehen, zu finanzieren, zu organi-sieren und umzusetzen.Wir brauchen eine echte Investition in die Erhaltungund die Förderung der Gesundheit, und zwar mit denBürgerinnen und Bürgern gemeinsam. Das gelingt abernur, wenn insbesondere Kinder und Jugendliche sowiedie wachsende Zahl älterer Menschen nicht nur kompe-tent im gesunden Verhalten werden, sondern im Alltagtatsächlich auch die Möglichkeit haben, diese Lebens-weise umzusetzen. Das scheitert nicht an fehlendenKenntnissen, sondern es fehlt an den notwendigen Mög-lichkeiten Einzelner – übrigens auch den finanziellenMöglichkeiten – und an den Gelegenheiten im Alltag: imKindergarten, in der Schule, im Betrieb, im Stadtteil.
Deshalb setzen wir Grüne auf eine Gesundheitsförde-rung, die auch die Verbesserung dieser Alltagsweltenzum Gegenstand hat und alle – vor allem die Menschenvor Ort – an der Gestaltung dieser Alltagswelten betei-ligt. Wenn wir es schaffen, beispielsweise Kindertages-stätten unter Mitwirkung der Kinder, der Eltern, der Er-zieherinnen und Erzieher und der Träger zu gesundenSpiel-, Lern- und Arbeitsorten weiterzuentwickeln, dannsteigt die Zufriedenheit, und das wäre eine echte Investi-tion in die Zukunft.
Sie bleiben aber nicht nur bei der Ausrichtung hinterIhrem eigenen Koalitionsvertrag zurück, sondern auchbei der Finanzierung. Wo bleibt die angekündigte breiteFinanzierungsbasis, die Einbeziehung der Arbeitslosen-versicherung und der privaten Kranken- und Pflegever-sicherung? Prävention kann nicht die alleinige Aufgabeder gesetzlichen Krankenversicherung sein. Auch hierversagen Sie leider völlig.
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6444 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Kordula Schulz-Asche
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Die Einbeziehung der Kommunen in die Gestaltungder Alltagswelten kommt bei Ihnen gar nicht vor. Das istein besonders wichtiger Punkt. Deshalb erneuern wirheute unseren Appell: Die Zukunft der Prävention undGesundheitsförderung kann nur gemeinsam mit den Bür-gerinnen und Bürgern und den Kommunen gestaltet wer-den.
Dazu braucht man aber den Mut für einen Paradigmen-wechsel.Sehr geehrter Herr Minister Gröhe, wenn Sie die Ge-sundheitsförderung wirklich ernst nehmen, dann müssenSie diese momentane Irrfahrt beenden. Legen Sie einPräventionsgesetz vor, das diesen Namen auch verdientund eine echte Investition in die Zukunft ist!In der Gesundheitspolitik wurde lange genug herum-gedoktert. In Zeiten des demografischen Wandels und imInteresse der Gerechtigkeit für alle Generationen brau-chen wir endlich eine auf Dauer angelegte bürgerorien-tierte und soziale Gesundheitspolitik – von der Finanzie-rung über die Prävention bis hin zu einer gutenKrankenversorgung.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Hubert Hüppe,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauKollegin Schulz-Asche, eigentlich wollte ich nichts dazusagen, aber ich habe manchmal das Gefühl, Sie warennicht immer dabei, wenn wir die entsprechenden Dingeim Gesundheitsausschuss diskutiert haben;
denn was wir für die Menschen geleistet und auf denWeg gebracht haben, sind Vorteile. Das alles kann mankritisieren. Sie haben gerade aber den Pflege-Bahr unddie Vorsorge kritisiert und gleichzeitig gesagt, wir wür-den dieses System nicht sichern. Hier stimmt irgendet-was nicht, und ich finde es schade, dass wir hier nichtsachlicher über diese Dinge sprechen können.
Ich möchte jetzt allerdings noch zu einigen anderenThemen kommen. Wir hatten in der letzten Sitzungswo-che eine fünfstündige und viel beachtete Debatte überdie Frage organisierter Suizid, Beihilfe zur Selbsttötung.Dabei haben wir sehr viele Dinge diskutiert. Es gab ganzunterschiedliche Meinungen quer durch die Fraktionen.Aber alle waren sich einig – zumindest ich habe keineandere Stimme gehört –: Wir wollen eine ausreichendemedizinische, auch schmerzmedizinische Versorgung fürein würdiges Leben. Wir brauchen gute Pflege. Wir wol-len ebenso – auch das ist sehr wichtig – die menschlicheBetreuung sicherstellen.Ich glaube, dass diese Punkte, wenn wir sie weiterent-wickeln und die Versorgung verbessern und sichern, diebeste Prävention sind, um dem Wunsch nach vorzeiti-gem Sterben entgegenzutreten. Deswegen ist es gut, dassvor zwei Wochen eine Initiative des Bundesgesundheits-ministers Gröhe und der Gesundheitspolitiker der Koali-tion – sie sind hinsichtlich der Sterbehilfe durchaus un-terschiedlicher Meinung – vorgestellt worden ist, in derdargelegt wird, wie die Hospiz- und Palliativversorgungin Deutschland verbessert werden soll. Es sollen Lückenin der Versorgung geschlossen werden. Auch soll dieHospizarbeit finanziell stärker gefördert werden.Es soll vor allen Dingen auch finanzielle Anreize fürdie ambulante Palliativversorgung geben. Es ist wichtig,dass Menschen gerade in ihrer letzten Phase am gesell-schaftlichen Leben teilhaben können, dass sie mitten inunserer Gesellschaft sind und da leben und auch sterbenkönnen, wo sie es wollen. Vielleicht ist das mit einGrund, warum wir eine solche Debatte führen: Wir ha-ben den Tod mehr und mehr in Einrichtungen verbanntund damit die Angst vor dem Tod gesteigert. Deswegenist es notwendig, diese Ideen gerade für die ländlichenund strukturschwachen Gebiete tatsächlich aufzuneh-men. Ich lade die Opposition ein, hier mitzumachen. Ichbin sicher, dass wir uns guten Vorschlägen nicht ver-schließen werden.
Wichtig ist dabei – das darf ich auch einmal sagen –,dass die Hospiz- und Palliativversorgung in den Pflege-heimen verbessert wird.
Immerhin sterben jedes Jahr 340 000 Menschen in sta-tionären Pflegeeinrichtungen. Es ist notwendig, dassdiese Menschen nicht vergessen werden und sie Zugangzu Hospiz- und Palliativleistungen haben; denn es istwichtig, dass die Menschen keine Angst haben, in diesenHeimen ohne die Möglichkeit, solche Leistungen undauch menschliche Zuwendung in Anspruch zu nehmen,zu sterben. Auch muss gewährleistet sein, dass die Hos-pizdienste und die Ärzte zusammenarbeiten und denMenschen in ihrer letzten Phase helfen.
Gerade weil sich alle einig waren, dass die Verbesse-rung der Hospiz- und Palliativversorgung Vorrang hat,sollten wir darüber als Erstes sprechen. Das sollten wirschnell tun, bevor wir die anderen rechtlichen Fragen re-geln, damit diese Hilfe zügig ankommt. Es darf nichtsein, dass wir zwar eine rechtliche Frage klären, aber dieHilfe, die die Menschen brauchen, noch nicht geregelthaben. Deswegen sollten wir hier zügig handeln unddiese Maßnahmen umsetzen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6445
Hubert Hüppe
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Wenn wir über Teilhabe von kranken, behindertenund alten Menschen sprechen, dann müssen wir auchüber Pflege reden. Wenn wir über Inklusion in die Ge-sellschaft sprechen und über die Umsetzung der UN-Be-hindertenrechtskonvention, dann denken wir meistens angemeinsame Kindergärten, Schulen, vielleicht auch anWerkstätten und andere Möglichkeiten für Menschenmit Behinderung. Aber ganz wichtig ist, dabei nicht zuvergessen, dass auch alte und pflegebedürftige Men-schen ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe haben.Deswegen ist das Pflegestärkungsgesetz ein wichtigerBeitrag zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon-vention und zu mehr gesellschaftlicher Teilhabe für pfle-gebedürftige Menschen.Auch in diesem Bereich wollen wir den Menschen solange wie möglich ein Leben mitten in der Gesellschaftermöglichen. Wir sehen deswegen zusätzliche Leistun-gen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen und fürPflegekräfte vor. Wir flexibilisieren in Zukunft die Kurz-zeit- und Verhinderungspflege. Wir machen die Tages-und Nachtpflege leichter zugänglich. Auch die stärkereFörderung ambulanter Wohngruppen und die Erhöhungder Zuschüsse für Umbaumaßnahmen tragen dazu bei,dass Menschen dort leben können, wo sie gerne lebenwollen, auch wenn sie pflegebedürftig sind.Wir wollen die Voraussetzungen schaffen bzw. ver-bessern, dass Menschen mit Pflegebedarf und/oder Be-hinderung möglichst so leben können, wie sie es wollen.Gesellschaftliche Teilhabe darf nicht in stationären Ein-richtungen enden. Deswegen bin ich sehr dankbar, HerrMinister Gröhe, und finde es hervorragend, dass wir beiden Betreuungskräften in diesen Einrichtungen eine er-hebliche Aufstockung vornehmen konnten. Wie Sie wis-sen, konnte bisher pro 24 pflegebedürftigen Bewohnerneine Betreuungskraft eingestellt werden. Aber dafürzählten nur Menschen mit eingeschränkter Alltagskom-petenz, also vor allem demente Menschen. Jetzt ist derSchlüssel verbessert worden. Es gibt eine Betreuungs-kraft pro 20 Pflegebedürftigen, und zwar unabhängig da-von, ob sie dement sind oder nicht.Das wird bedeuten, dass zu diesem Zweck Tausende,wenn nicht sogar Zehntausende Betreuungskräfte in die-sen Einrichtungen eingestellt werden könnten, die denMenschen mehr geben als Pflege. Sie dürfen zwar keinekörperliche Pflege leisten. Wichtig ist aber auch, jeman-den zu haben, der mit einem spricht, der einen begleitetund mit einem spielt. Das ist Inklusion. Das ist Teilhabe,und das schaffen wir mit diesem Gesetz.
Im Übrigen schafft das vielleicht auch die Möglich-keit, Menschen einen Arbeitsplatz zu geben, die bisherdiese Chance nicht hatten. Es gibt zum Beispiel ein Mo-dellprojekt der Lebenshilfe, in dem man versucht, Men-schen mit Lernbehinderung eine Qualifikation und einenArbeitsplatz außerhalb einer Behindertenwerkstatt zu er-möglichen. Auch das wäre eine sehr schöne Nebenwir-kung.
Meine Damen und Herren, alle diese Leistungen kos-ten Geld.
Gute Pflege gibt es nicht umsonst. Deswegen nehmenwir die Anhebung des Beitrages in Kauf, auch wenn wirdas nicht gerne tun und bei den Lohnnebenkosten an-sonsten auf Stabilität achten.
Wichtig ist es auch, Barrieren im Gesundheitssystemabzubauen. Deswegen sehen wir beim Versorgungsstär-kungsgesetz vor, dass bei Ausschreibungen eines nach-zubesetzenden Arztsitzes erstmals die Belange von Men-schen mit Behinderungen gezielt berücksichtigt werdenkönnen. Übrigens loben uns fast alle Selbsthilfeverbändedafür. Es wäre richtig, auch das anzuerkennen, statt nurzu sagen, wir hätten nichts gemacht. Im Gegenteil: Dasist nur einer der Punkte, um die wir uns kümmern.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist meines Erachtens derBegriff „Transition“. Damit können vielleicht nicht alleetwas anfangen. Es geht darum – das ist im Koalitions-vertrag festgelegt worden –, dass für erwachsene Men-schen mit geistiger Behinderung und schweren Mehr-fachbehinderungen die Möglichkeit geschaffen wird,sich in medizinischen Behandlungszentren behandeln zulassen. Diese Notwendigkeit gibt es aus meiner Sichtschon seit geraumer Zeit. Es war notwendig und es istrichtig, dass wir das, was im Koalitionsvertrag verein-bart wurde, jetzt anpacken. Bislang sind Menschen miteiner Behinderung oder Erkrankung wie zum Beispieleiner Muskeldystrophie oder Mukoviszidose in sozialpä-diatrischen Zentren behandelt worden. Viele sind schonim Kindesalter gestorben. Deswegen hat man auch keineFolgeeinrichtungen geschaffen.
Herr Kollege Hüppe, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Klein-Schmeink?
Ja, meinetwegen.
Gut.
Herr Hüppe, wenn Sie schon die Haushaltsrede dazunutzen, um auf das als Nächstes geplante Gesetz überzu-leiten, möchte ich Ihnen eine Frage stellen.Da Sie zu Recht auf Maßnahmen für Menschen mitBehinderung hingewiesen haben, ist natürlich erklä-rungsbedürftig, warum in der letzten Legislaturperiodedas Zentrum zur medizinischen Behandlung von Men-schen mit Mehrfachbehinderung von Ihrer Fraktion ab-
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6446 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Maria Klein-Schmeink
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gelehnt wurde; ein entsprechender Antrag hat hier imBundestag vorgelegen. Als Beauftragter der Bundesre-gierung für die Belange behinderter Menschen hatten Sieeinen umfangreichen Katalog von notwendigen Verbes-serungen in der gesundheitlichen Versorgung vorgelegt.Nun sehe ich aber, dass der Referentenentwurf für Men-schen mit Behinderung gerade einmal drei Punkte ent-hält, die als notwendig erachtet wurden. Daher frage ichSie: Beabsichtigen Sie, nach dem geplanten Versor-gungsstärkungsgesetz ein eigenständiges Versorgungs-stärkungsgesetz für Menschen mit Behinderung zu ma-chen? Wenn ja, dann sind Sie auf dem richtigen Weg.Ansonsten befürchte ich, dass Sie leider bei den erstenSchritten stehen bleiben. Sechs Jahre nach der Ratifizie-rung der UN-Behindertenrechtskonvention wäre es inder Tat notwendig, eine vollständige Anpassung der Re-gelungen vorzunehmen. Beabsichtigen Sie das?
– Die Frage lautet, ob es ein eigenständiges Gesetz fürMenschen mit Behinderung geben wird, da das andereGesetz quasi nur Bruchteile enthält.
Es wird in der Tat verschiedene Gesetze geben, im
Rahmen derer dieses Thema behandelt wird. Wir disku-
tieren bereits über ein Teilhabegesetz, auch in der Koali-
tion. Dabei werden nicht nur die Belange behinderter
Menschen, sondern auch der Pflegebereich berücksich-
tigt werden, da die Pflege nicht nur durch die Pflegever-
sicherung, sondern auch im Rahmen des SGB XII finan-
ziert wird. Ich bin sicher, dass verschiedene Punkte
aufgenommen werden, die die Umsetzung der UN-
Behindertenrechtskonvention verstärken. Aber ich bin
der Meinung, dass sowohl das Pflegegesetz als auch das
geplante Versorgungsstärkungsgesetz bereits wichtige
Schritte nach vorne darstellen; ich habe noch nicht alle
aufgezählt. Dazu gehört unter anderem die zahnärztliche
Betreuung. Ich bin dankbar, dass die Belange der Men-
schen mit Behinderung nicht in einem gesonderten Ge-
setz berücksichtigt werden. Vielmehr haben diese Men-
schen genauso wie jeder andere nicht behinderte Mensch
– das bedeutet Inklusion – das Recht auf Versorgung
bzw. ortsnahe Versorgung, soweit es möglich ist.
Es ist wichtig, dass Jugendliche und Kinder mit Be-
hinderung bzw. Mehrfachbehinderung die Kontinuität
einer Behandlung erfahren. Ich nenne ein Beispiel. Es
reicht nicht aus, allein einen Urologen hinzuzuziehen,
wenn ein Mensch mit Spina bifida Probleme mit der
Blase hat. Ein solcher Mensch braucht zusätzlich einen
Neurologen, der feststellen kann, ob dieses Problem bei-
spielsweise mit dem Rückenmark zu tun hat. Es ist auf
jeden Fall wichtig, dass solche Menschen eine umfängli-
che Beratung bekommen, die nicht nur auf den medizini-
schen Bereich ausgerichtet ist, sondern auch Hilfsmittel,
Versorgung und vieles andere umfasst. Wenn wir diese
Kontinuität erreichten, dann wäre das ein wichtiger
Schritt nach vorne.
Letzter Punkt. Eine gute Gesundheits- und Pflegepoli-
tik garantiert in der Tat keine Inklusion und keine gesell-
schaftliche Teilhabe. Aber eines ist sicher: Wenn wir sie
nicht haben, dann wird es auch nicht zu einer gesell-
schaftlichen Teilhabe kommen. Deswegen bedanke ich
mich beim Minister für die eingeleiteten Maßnahmen.
Wir werden noch vieles für die betroffenen Menschen
erreichen.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Hüppe. – Nächste Redne-
rin ist Birgit Wöllert, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Herr Minister Gröhe! Sehr geehrteKolleginnen und Kollegen! Kollege Heiderich und auchSie, Herr Minister Gröhe, haben recht viel zur Präven-tion gesagt. Um es deutlich zu machen: Bei Präventionund Gesundheitsförderung trennen uns nicht nur Welten,sondern wahrscheinlich genau die Lebenswelten, die inIhrem Entwurf fehlen.
Der große Wurf mit dem angekündigten lebenswelt-orientierten Ansatz ist leider nicht gelungen, und auchder tatsächliche Neuigkeitswert ist gering.Nach der 1986 verabschiedeten Ottawa-Charta zurGesundheitsförderung versteht man Lebenswelten als ei-nen Ort, an dem Gesundheit von Menschen in ihrer all-täglichen Umwelt geschaffen und gelebt wird, dort wosie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Das heißt nichtsanderes, als die Menschen in ihrem unmittelbaren Le-bensumfeld anzusprechen und das Umfeld selbst zumGegenstand gesundheitsfördernden Verhaltens zu ma-chen. Das bedeutet nicht, die Menschen mit Plakaten, In-formationsbroschüren und Tipps zur Lebensweise zuüberschütten.
In dem Beschluss der 87. Gesundheitsministerkonfe-renz zur Gesundheitsförderung und zum Präventionsge-setz haben die Länder gefordert, die finanziellen Grund-lagen und die Kooperationen der wesentlichen Akteuresolide und wirkungsvoll zu gestalten. Sie hatten Erwar-tungen an eine Stärkung der Gesundheit im Sinne derVerlängerung der gesunden Lebensjahre in Deutschland,insbesondere auch bei sozial benachteiligten Menschen.Prävention, die an den Lebenswelten anknüpft, ist alsoweder nur Sache der Krankenkassen noch nur eine Sachevon Früherkennungs- und Vorsorgeuntersuchungen.Statt Steuermittel für die Gesundheitsausgaben immerweiter zu kürzen, gehören sie richtig eingesetzt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6447
Birgit Wöllert
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Deshalb brauchen wir einen Fonds für Gesundheits-förderung und Prävention mit einem Titelansatz in Höhevon 1 Milliarde Euro. Das schlägt meine Fraktion vor.
Daraus könnte auch künftig die Bundeszentrale fürgesundheitliche Aufklärung finanziert werden. Auch dievier Punkte der Deutschen Allianz gegen Nichtübertrag-bare Krankheiten zeigen, dass Prävention in Lebenswel-ten wesentlich mehr bedeutet, nämlich Sport und Bewe-gung in Kitas und Schulen, Zucker- und Fettsteuer aufungesunde Lebensmittel, Qualitätsstandards für Kita-und Schulessen und ein Verbot von Lebensmittelwer-bung, die sich an Kinder richtet.
Ich könnte noch hinzufügen: Ausstattung von Schu-len mit Möbeln, die dem im Wachstum befindlichenKörper des Kindes entsprechen, aber nicht nach Kassen-lage der Kommunen.
Ganz vorne stand bei einem Besuch von Kindern ei-ner sechsten Klasse im Bildungsausschuss in Sprembergder Wunsch an die Politik, E-Books einzuführen. DerGrund: leichtere Schultaschen. Auch das ist Prävention.
Frau Kollegin Wöllert, ich muss Sie jetzt bitten, zum
Schluss zu kommen, nicht nur weil Ihre Redezeit abge-
laufen ist, sondern auch angesichts Ihrer Heiserkeit we-
gen des Präventionsgedankens.
Deshalb stimmen Sie unserem gesamten Antrag zu.
Danke schön.
Nächste Rednerin ist Hilde Mattheis, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es geht hier heute um den Einzelplan 15, aber wie es inder Politik so ist: Alles hängt mit allem zusammen. Des-wegen schauen wir uns alles zusammen an; denn wir alsSPD-Bundestagsfraktion sehen natürlich gerade die Da-seinsvorsorge im Gesundheitsbereich als einen ganz we-sentlichen Punkt an, und die Zugänge zur medizinischenVersorgung und die Teilhabe am medizinischen Fort-schritt stehen im Zentrum unserer Politik.
Deswegen sind wir auch froh, dass im Einzelplan 15viele Maßnahmen genau dieses Anliegen erfüllen. In derVernetzung und gemeinsam mit dem, was wir im Koali-tionsvertrag festgeschrieben haben, ist dieser Ansatz zuerkennen. Ich sage gerne „ist zu erkennen“, weil klar ist:Wir als Gesundheitspolitiker der SPD wollen immermehr, wir sind unersättlich. Das ist richtig.Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Ich mache dasan einzelnen Beispielen fest. Ich bitte alle, die die Meta-pher der Märchen benutzt haben, weiterzudenken; dennim Märchen siegen immer die Guten. Wie heißt der netteSchlusssatz in vielen Märchen? „Und wenn sie nicht ge-storben sind, dann leben sie noch heute.“
Vielleicht blüht uns das.Der Koalitionsvertrag, den wir geschlossen haben, istim Gesundheitsbereich sehr konkret. Ich wage zu be-haupten: So wie in keinem anderen Bereich haben wir,geleitet von den Zielen Versorgungssicherheit und Ver-sorgungsqualität, ganz konkrete Projekte und auch ganzkonkrete Maßnahmen beschlossen und eine solche Ver-einbarung getroffen.
Deswegen ist es so wichtig, auch an diesem Punkt, beidem es um den Einzelplan 15 geht, immer wieder daraufhinzuweisen: Ja, wir wollen noch einmal 5,9 MillionenEuro für alles, was in den Bereich Pflegeberatung undUnterstützung gehört, zusätzlich ausgeben. Aber unserzentraler Punkt ist, in dieser Legislaturperiode das Pfle-gestärkungsgesetz zu verabschieden. Dabei geht es ins-besondere um die Reform des Pflegebedürftigkeits-begriffs. Auch im Einzelplan 15 schimmert das durch.Wir arbeiten vernetzt und gemeinsam an der Erreichungunseres Ziels: an der Verbesserung der Daseinsvorsorgeund der Teilhabe am medizinischen Fortschritt.Ein weiteres Beispiel für gelungene Prävention istdas, was ich gerne das Präventionsgesetz nenne. DasProgramm „Klasse 2000“ ist ein gutes Beispiel. Aus ei-nem anderen Bereich könnte ich als Beispiel das Pro-gramm „Soziale Stadt“ nennen. Wo kommt Präventionan, wenn nicht in Lebenswelten?
Wir müssen noch ein bisschen daran feilen, wie „Le-benswelten“ zu definieren sind.
Für uns sind Lebenswelten vor Ort im Zusammen-spiel mit den Kommunen und mit all den Menschen, dieda Verantwortung tragen: von Erzieherinnen über Lehre-rinnen und Pädagogen – die ganze Palette – bis hin zuanderen Angehörigen der Arbeitswelt. Dass wir jetzt dieMittel für Prävention mehr als verdoppeln, ist doch einguter, wichtiger Hinweis. Da könnten Sie alle klatschen,finde ich.
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6448 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Hilde Mattheis
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Genau für den Bereich der Prävention ist auch imEinzelplan 15 sehr viel zu finden. Dass wir mit 12,1 Mil-liarden Euro für den Einzelplan 15 natürlich nur einenganz kleinen Teil dessen investieren, was wir im Ge-sundheitsbereich insgesamt verausgaben, wurde hierschon mehrfach erwähnt. Es ist doch klar: Wir als Politikhaben den Auftrag, die Versichertengelder sehr zielge-nau und effektiv, Stichwort „Qualität“, einzusetzen. Dasist unser Auftrag.
Prävention ist und bleibt also ein wichtiger Ansatz.Zu allem, was mit Versorgungsstrukturen zusammen-hängt: Im Koalitionsvertrag steht etwas zur Bund-Län-der-Arbeitsgruppe zum Thema Krankenhausfinanzie-rung.
Frau Kollegin Mattheis, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Schulz-Asche?
Ja.
Ich möchte eine Zwischenfrage zum vorherigen
Punkt, Gesundheitsprävention, stellen.
Kein Problem.
Was die Betonung der Lebenswelten, die gemeinsame
Gestaltung in den Kommunen angeht, bin ich voll bei Ih-
nen. Sie haben aber auch darauf hingewiesen, dass der
größte Teil aus der gesetzlichen Krankenversicherung
finanziert wird. Deswegen will ich fragen, inwieweit Sie
vorsehen, die privaten Kranken- und Pflegeversicherun-
gen stärker als bisher gerade in die Finanzierung der För-
derung der Lebenswelten einzubeziehen und es dort
nicht bei der Freiwilligkeit zu belassen. – Danke schön.
Ich danke Ihnen herzlich für die Frage. – Es gelingt
vielleicht, die kleinen, aber feinen Unterschiede in einer
Großen Koalition ein Stück weit dadurch zu verdeutli-
chen, dass ich darauf hinweise, dass unser Herz einfach
dafür schlägt, in größerem Maße eine gleiche Teilhabe
zu gewährleisten und zu ermöglichen, dass sich die pri-
vaten Versicherungen beteiligen. Das dürfte auf der
Hand liegen. Wir müssen eine Debatte darüber führen,
ob uns das, was im Entwurf des Eckpunktepapiers vor-
gesehen ist, ausreicht. Ich sage – da darf ich auch für un-
sere Position sprechen –, dass wir da eine Teilhabe auf
Augenhöhe möchten und fordern. Es wird eine Debatte
geben. Wir haben ein Anhörungsverfahren. Und kein
Gesetz – so lautet das Struck’sche Gesetz – geht so aus
dem Parlament hinaus, wie es hereingekommen ist. Wir
debattieren, und ich glaube, es ist auch eine Qualität von
Parlament, dass hier zwischen Opposition und Koali-
tionsfraktionen debattiert wird. Von daher: Wir freuen
uns über jede Unterstützung.
Ein wichtiger Punkt – auch für uns in der Großen Ko-
alition; da sind wir uns völlig einig – ist natürlich die
Versorgungsstruktur und damit all das, was die Bund-
Länder-Kommission im Bereich der Krankenhausfinan-
zierung regeln möchte. Dass wir uns da ein sehr ambitio-
niertes Ziel gesetzt haben, wurde hier schon ausgeführt.
Wir wollen innerhalb dieses Jahres, also bis Jahresende,
Eckpunkte vorlegen und ein Ergebnis präsentieren, wie
wir gemeinsam mit den Ländern genau das erreichen
können, was unser aller Anliegen ist, nämlich dass die
Krankenhausfinanzierung gesichert ist und dass die Ver-
sorgungsstrukturen, egal wo man lebt, und die Zugänge,
egal ob man im ländlichen oder städtischen Bereich lebt,
einigermaßen gleichwertig sind.
Zum Versorgungsstrukturgesetz. Das neue Versor-
gungsstrukturgesetz, das wir jetzt schon sehr intensiv de-
battieren und uns natürlich mit der ganzen Problematik
der Versorgung konfrontiert, die wir nicht erst seit heute
kennen – schon seit etlichen Jahren versuchen wir immer
wieder, das zu regulieren –, wird Punkte enthalten, zu
denen wir nicht nur ein Nein der Opposition zu hören
wünschen. Wenn wir in den ländlichen Räumen bei den
Versorgungsstrukturen eine Verbesserung haben wollen,
bedeutet das schlicht und ergreifend, dass wir auch eine
Debatte über Überversorgung brauchen. Diese Debatte
werden wir miteinander führen müssen.
Ich glaube schon, dass es wichtig ist – nicht nur im
Hinblick auf die Akzeptanz der Gesetze, die sich die
Große Koalition als wichtige Ziele vorgenommen hat –,
dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen, insbeson-
dere, so denke ich, für die Gebiete, in denen die Versor-
gung noch großer Unterstützung bedarf. Da geht es nicht
nur um die ärztliche Versorgung, um die Krankenhaus-
landschaft; da geht es auch um die Versorgung von Men-
schen mit psychischer Beeinträchtigung, da geht es um
die Arzneimittelversorgung. Es ist eine ganze Palette.
Dieses ambitionierte Ziel im Zusammenhang mit dem
Einzelplan 15 ist, glaube ich, eines, das uns nach vier
Jahren, in denen es nicht gelungen ist, Gesundheitspoli-
tik zu machen, als diejenigen auszeichnet, die etwas für
die Menschen erreichen, die nicht eine Märchenstunde
abhalten, sondern ganz knallharte Tatsachen schaffen
und Step by Step – vielleicht will der eine oder andere
zwei Stufen überspringen; wir aber sagen: Step by Step –
die Versorgungsqualität und die Versorgungssicherheit
für die Menschen verbessern.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Reiner Meier,CDU/CSU-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6449
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Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirberaten heute in zweiter Lesung den Entwurf des Bun-deshaushalts 2015. Auch wenn es manche immer nochnicht glauben wollen: Der Bund wird nächstes Jahr ohneNeuverschuldung auskommen.
Der erste ausgeglichene Bundeshaushalt seit Franz JosefStrauß im Jahre 1969 zeigt eines: 45 Jahre später brauchtes mit Wolfgang Schäuble wieder die Union im Finanz-ministerium, um dieses Ziel zu erreichen.
Frau Kollegin Schulz-Asche, wenn Sie dem amtieren-den Gesundheitsminister vorwerfen, er verwalte nur undgestalte nicht, dann möchte ich Ihnen sagen: Dieser Ge-sundheitsminister hat im ersten Jahr so viele Reformendurchgebracht zum Wohle der Patienten und der Bevöl-kerung wie kein anderer Bundesminister.
Deshalb möchte ich von Ihnen weder verwaltet werden,noch möchte ich Ihnen die Gestaltung der Gesundheits-politik in Deutschland überlassen.
Indem wir einer unkontrollierten Schuldenpolitik eineklare Absage erteilen, bewahren wir uns und unserenKindern Handlungsspielräume für die Zukunft. Die ge-setzliche Krankenversicherung steht heute wieder auf ei-nem soliden finanziellen Fundament. Im ersten Halbjahr2014 haben die gesetzlichen Krankenkassen über Prä-mien und freiwillige Leistungen insgesamt 517 Millio-nen Euro an die Versicherten zurückgegeben. Wenn mandiese Ausschüttungen berücksichtigt, sind die Finanzender GKV strukturell nahezu ausgewogen. Mit 16,2 Mil-liarden Euro Rücklagen bei den Kassen und weiteren10,4 Milliarden Euro beim Gesundheitsfonds verfügt diegesetzliche Krankenversicherung über hohe Reserven.Mit dem GKV-Finanzierungsgesetz haben wir dafürgesorgt, dass die Kassen den umständlichen Weg überAusschüttungen künftig gar nicht mehr gehen müssen.Ab dem kommenden Jahr können die Krankenkassen dieHöhe des Zusatzbeitrags selbst festsetzen und ihrenFinanzierungsbedarf eigenverantwortlich justieren. Da-mit, meine Damen und Herren, stärken wir den Wettbe-werb in der gesetzlichen Krankenversicherung. JederVersicherte kann künftig für sich selbst entscheiden, ober lieber kostenlose Zusatzleistungen oder niedrige Bei-träge haben will. In den nächsten Wochen werden wir se-hen, wie die Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge für daskommende Jahr gestalten. Ich gehe davon aus, dass vieleKassen ihre Versicherten auch deutlich entlasten werden.Meine Damen und Herren, unser deutsches Gesund-heitssystem gehört zu den modernsten und leistungsfä-higsten Systemen weltweit.
Wegen der Vielfalt der Leistungsangebote und der Ak-teure kann es aber auch manchmal etwas kompliziertwerden: Welche Leistungen übernimmt die Kasse? Wassind die Voraussetzungen für Kuren? Oder: Was mussich im Ausland beachten? – Genau hier ist die Unabhän-gige Patientenberatung eine wertvolle Ergänzung zu denbestehenden Angeboten
und unterstützt die Versicherten seit Jahren dabei, sichim Gesundheitssystem zu orientieren, und, wo es nötigist, auch dabei, ihre Rechte zu verwirklichen. Ich freuemich deshalb besonders, dass es uns gelungen ist, dieUnabhängige Patientenberatung finanziell besser auszu-statten. Von gut 5 Millionen Euro auf 9 Millionen Eurojährlich konnten wir das Budget erhöhen. Das ist einewichtige Stärkung der Patientenrechte; denn künftig er-halten die Versicherten nicht nur die schon heute hervor-ragende Beratung, sondern sie bekommen diese Bera-tung schneller und idealerweise auch ohne Wartezeiten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein krankerMensch interessiert sich nicht für Kennziffern oder Bü-rokratie, sondern alleine dafür, wie schnell er zumnächsten Arzt oder in das nächste Krankenhaus kommt.Wir haben deshalb mit dem Pflegestärkungsgesetz I denVersorgungszuschlag für Krankenhäuser in Höhe von0,8 Prozent und damit in voller Höhe um ein weiteresJahr verlängert. Das ist mir wichtig; denn das kommt vorallem kleineren und ländlichen Krankenhäusern zugute,von denen viele für die Versorgung in der Fläche unent-behrlich geworden sind.Ich wohne in der nördlichen Oberpfalz und kenne auseigener Erfahrung die Probleme, die sich in manchenOrten durch die Landflucht stellen. Erst gehen die Ban-ken und die Fachgeschäfte, dann die Supermärkte undam Ende die Krankenhäuser, Ärzte und Apotheker. ImBereich der Daseinsvorsorge, meine sehr verehrten Da-men und Herren, ist das für mich schlichtweg inakzepta-bel. Wir haben uns deshalb im Koalitionsvertrag aus-drücklich zu einer flächendeckenden ambulantenVersorgung, einer flächendeckenden Krankenhausver-sorgung und einer flächendeckenden Apothekenversor-gung bekannt. Genau an diese Ziele des Koalitionsver-trags halten wir uns, meine Damen und Herren.
Mit dem Referentenentwurf zum Versorgungsstärkungs-gesetz unseres Gesundheitsministers Hermann Gröhe
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6450 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Reiner Meier
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sind wir dabei auf einem guten Weg, und ich danke ihmfür diese hervorragende Leistung.Weil wir gerade beim Thema Ärzte sind: Ich freuemich, dass viele Kassenärztliche Vereinigungen schonheute das Thema Unterversorgung offensiv angehen. Mitdem Versorgungsstärkungsgesetz werden wir an dieserStelle die Instrumente der Selbstverwaltung noch weiterausbauen. Kern der ambulanten Versorgung ist undbleibt für uns aber der niedergelassene Arzt als freier Be-rufsträger. Weisungsunabhängig und in seiner Diagnoseund Therapie nur dem Wohl des Patienten verantwort-lich, bleibt er auch weiterhin absolut unverzichtbar.Wir müssen dennoch die Rahmenbedingungen fürden Ärzteberuf weiter optimieren. Besonders jungeÄrzte tragen häufig den Wunsch an mich heran, Familieund Beruf besser vereinbaren zu können.
Ebenso müssen wir sehen, dass es Ärzte gibt, die zwar inder Stadt wohnen wollen, aber durchaus bereit sind, aufdem Land zu arbeiten. Hier brauchen wir noch mehrpraktikable und flexible Modelle, damit wir trotz Ärz-temangels eine bestmögliche Versorgung der Patientengewährleisten können. Ich bin überzeugt, dass wir ge-meinsam mit der Selbstverwaltung hier gut vorankom-men.Meine Damen und Herren, zum Ende meiner Rede-zeit möchte ich noch kurz auf ein Thema eingehen, dasmir persönlich sehr wichtig ist. In der letzten Sitzungs-woche haben wir eingehend über das Thema Sterbehilfegesprochen. Bei allen unterschiedlichen Meinungen zudiesem Thema treffen wir uns fast alle immer wieder aneinem Punkt: nämlich der Überzeugung, dass wir dieHospiz- und Palliativversorgung auch finanziell stärkenmüssen.
Eine menschliche und menschenwürdige Begleitung biszum Ende ist die mindeste Grundlage für jede weitereDiskussion.Meine Damen und Herren, wir haben heute viele Ge-danken gehört. Wenn Einzelne von uns das eine oder an-dere Argument nicht so überzeugend gefunden haben, sobitte ich um Verständnis dafür, dass die Positionen füruns klar und deutlich definiert sind. Eines ist aber dochim Grunde unumstritten: Wir müssen aus der Schulden-spirale ausbrechen, damit am Ende nicht unsere Kinderdie Zeche für uns alle bezahlen müssen.
Dieser Haushalt ist ausgewogen und realisiert diesesZiel. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15– Bundesministerium für Gesundheit – in der Aus-schussfassung. Hierzu liegen vier Änderungsanträge derFraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache18/3272? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPDund Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen derFraktion Die Linke abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache18/3273? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerÄnderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ge-gen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache18/3274? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerÄnderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU,SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmender Fraktion Die Linke abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache18/3275? – Wer stimmt dagegen? – Der Änderungsan-trag ist mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU undSPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke undBündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-plan 15 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzel-plan 15 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPDgegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bünd-nis 90/Die Grünen angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte I.6 a und I.6 b auf:a) Einzelplan 07Bundesministerium der Justiz und für Ver-braucherschutzDrucksachen 18/2807, 18/2823b) Einzelplan 19BundesverfassungsgerichtDrucksachen 18/2817, 18/2823Berichterstattung zu Einzelplan 07: AbgeordneteDr. Tobias Lindner, Klaus-Dieter Gröhler, Dennis Rohde,Roland Claus. Berichterstattung zu Einzelplan 19: Abge-ordnete Carsten Körber, Dennis Rohde, Dr. DietmarBartsch, Manuel Sarrazin.Zu dem Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag derFraktion Die Linke vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6451
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat RolandClaus, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrBundesminister Maas, unsere Kritik am Justizetat fällttraditionell maßvoll aus, aber sie fällt natürlich nichtgänzlich aus. Wesentlich kritischer sehen wir dann schonden Bereich Verbraucherschutz. Dem Haushalt für dasBundesverfassungsgericht werden wir zustimmen.Herr Minister, Sie strahlen es ja ganz deutlich aus,dass für Sie die Koalition so etwas wie eine Zwangseheist. Wir nehmen natürlich wahr, dass Sie mit sehr vielkonservativem Justiz- und Rechtsverständnis umgehenmüssen. Deswegen begleitet Sie hin und wieder auch un-ser Respekt; aber wir meinen, da ist noch sehr viel Luftnach oben.
Ein Jahr Große Koalition ist nun um. Ihre Probezeit,Herr Minister, ist also längst vorüber. Deshalb sagen wir:mehr Justizcourage an den Tag legen, aber immer in demSinne, den Leuten Mut und nicht Angst zu machen.
Deshalb sagen wir auch: Rechtsstaatlichkeit ist unswichtiger als Kabinettsdisziplin.
Im Dezember dieses Jahres soll Edward Snowden derAlternative Nobelpreis verliehen werden; das ist gut so.Seine nach Stuttgart übertragene Rede vom Sonntag ist,glaube ich, für uns alle ein Lehrstück in Sachen Rechts-verständnis.
Seine Story, der Film Citizenfour, läuft zeitweilig imKino. Zeitlos verläuft weiterhin die Beobachtung durchdie amerikanische Sicherheitsagentur, auch während die-ser Debatte, meine Damen und Herren. Ich sehe hierzahlreiches technisches Gerät, und mit Ausnahme derBundeskanzlerin sind wir ja alle Gegenstand dieser Ob-servierung. Und wie verhält sich die Regierung? Wie indem berühmten Bild: nichts sehen, nichts hören, nichtssagen. – Wir sagen Ihnen dazu: Unterwürfigkeit hat ineiner Partnerschaft noch nie Nutzen gebracht. Das mussbeendet werden.
Herr Minister, Sie haben einen Gesetzentwurf mitdem Ziel vorgelegt, die Erkenntnisse des Untersu-chungsausschusses zum „Nationalsozialistischen Unter-grund“ rechtlich umzusetzen. Für die Linke hat meineKollegin Martina Renner den Gesetzentwurf in der De-batte als eine „gefährliche Symbolpolitik“ charakteri-siert, also als sehr unzureichend. Gegenüber dem „Natio-nalsozialistischen Untergrund“ haben bekanntlich vieleversagt; aber es war auch ein gigantisches Justizversa-gen. Wir müssen daraus endlich Schlussfolgerungen zie-hen. Den Empfehlungen des Untersuchungsausschusses,Herr Minister, haben Sie allenfalls buchstabengerecht,nicht aber dem Geiste nach entsprochen.
Jüngste Umfragen zum Jahrestag des Mauerfalls ha-ben übrigens eines ergeben, nämlich dass das Vertrauenin das Funktionieren des Rechtsstaates besonders im Os-ten unserer Republik erschüttert ist. Das muss uns allendoch zu denken geben. Ich glaube, wir alle wollen dieIdee vom Rechtsstaat bewahren. Ich glaube aber auch:Wer die Idee vom Rechtsstaat bewahren will, muss dieseIdee neu denken.
Es bedarf daher endlich einer Justizreform, die diesenNamen auch verdient, meine Damen und Herren.
Ich will zum Abschluss einen Vorgang beschreiben,der zeigt, wie eine wundersame parlamentarische Ar-beitsteilung zwischen Koalition und Opposition in Ein-zelfällen funktionieren kann.Zu dem Etat des Justizministers gehört auch das Pa-tentamt mit seinem Hauptstandort in München und ei-nem kleineren Standort in Jena. Ich habe hier in der ers-ten Lesung den Vorschlag unterbreitet, für das Patentamtmehr Mittel in den Haushalt einzustellen, ihm mehr Geldzu geben, damit es mehr Leistungen erbringen kann, wasletztendlich wiederum zu mehr Einnahmen führt. Ichfand das ausgesprochen plausibel.
Die Reaktion der Koalition war, wie ich sie schon erwar-tete: Alles Mist, was die Opposition hier erzählt!
Danach ist die Koalition intern aber ins Grübeln gekom-men und hat vielleicht festgestellt: Es war ja nicht allesschlecht, was die Opposition da gesagt hat. – Was konntesie jetzt tun? Sie konnte natürlich nicht den Antrag derLinken eins zu eins übernehmen.
– Das ist ernsthaft passiert. Das ist eine ernsthafte Be-schreibung eines parlamentarischen Vorgangs. Sie müs-sen es jetzt aushalten, dass ich Ihnen das erkläre.
Die Koalition hat also ihren ganzen Mut zusammenge-nommen und sogar noch mehr Mittel, als die Linke ge-fordert hat, eingestellt. Darüber freuen wir uns.
Das Fazit ist doch einfach toll: Dem Ministeriumwurde geholfen, die Koalition hat ihr Gesicht gewahrt,die Linke ist hochzufrieden, aber nicht aufgrund vonRechthaberei, sondern wegen der Wirkung; denn die
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6452 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Roland Claus
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Gewinnerinnen und Gewinner dieser Entscheidung sindjunge Erfinder, Start-up-Unternehmen, kleine und mit-telständische Unternehmen, weil ihr Patent schneller undsicherer zur Vermarktung kommt.Ich stelle deshalb nicht ganz selbstlos fest: Innova-tion, Mittelstand, kleine und mittelständische Unterneh-mer und Linke passen gut zusammen. Wenn sich das he-rumspricht, meine Damen und Herren – aber dann!
Vielen Dank. – Für die Bundesregierung erhält jetztdas Wort Bundesminister Heiko Maas.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Sehr geehrter Herr AbgeordneterClaus, ein Satz hat mir in Ihrer Rede ganz besonders ge-fallen, der da lautete: „Das Fazit ist doch einfach toll.“ –Aufgrund Ihrer Schlussbemerkung gehe ich davon aus,dass Sie dem Justizetat in diesem Jahr möglicherweisezustimmen können, wenn wir das alles so gut gemachthaben.Meine Damen und Herren, es ist noch kein Jahr her,dass die Bundesregierung ihre Arbeit aufgenommen hat.Wir haben uns auch für den Bereich Justiz und Verbrau-cherschutz eine ganze Menge vorgenommen. Und vielesvon dem, was wir uns vorgenommen haben, ist schonauf den Weg gebracht, teilweise auch schon umgesetztworden.Ein neues Adoptionsrecht für Kinder, die in Regenbo-genfamilien aufwachsen, ist bereits in Kraft getreten.Die Mietpreisbremse wird nächste Woche im Rechts-ausschuss beraten und kann im kommenden Jahr bereitsin Kraft treten. Damit wird Wohnraum für Familien,Rentner und vor allen Dingen Normalverdiener auch be-zahlbar bleiben.Die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschus-ses setzen wir ebenfalls zügig um. Der Gesetzentwurfliegt Ihnen vor. Damit setzen wir ein Zeichen gegenRechtsextremismus und Gewalt und auch dafür, dass wiruns nicht damit abfinden wollen, dass Behörden in unse-rem Land so gnadenlos versagt haben.Wir reformieren auch das Sexualstrafrecht, um dieSchwächsten der Gesellschaft vor Missbrauch und vorKinderpornografie besser zu schützen. Dieses Gesetz ha-ben wir intensiv beraten, und es kann bereits in wenigenWochen in Kraft treten.Ich finde, es ist schon eine ganze Menge, was wir innicht einmal einem Jahr auf den Weg gebracht haben.
Was das Strafrecht angeht, will ich auch noch einmalbetonen – wie immer an diesem Punkt –: Präventionbleibt der beste Opferschutz. Das gilt auch, wenn es umden sexuellen Missbrauch von Kindern geht. Wir habenbereits in diesem Jahr die Mittel für das Präventionsnetz-werk „Kein Täter werden“ um 40 Prozent erhöht. Wirwerden diesen Zuschuss auch weiter steigern, weil wirüberzeugt sind: Die beste Kriminalpolitik bleibt die, diedafür sorgt, dass es gar nicht erst zu neuen Straftatenkommt.
Meine Damen und Herren, auch der Verbraucher-schutz ist ein Thema, mit dem wir uns intensiv auseinan-dersetzen. Wir sind dabei, vieles auf den Weg zu brin-gen, und haben auch schon vieles auf den Weg gebracht.So haben wir etwa nach dem Insolvenzantrag der FirmaProkon sofort einen besseren Schutz von Kleinanlegernangepackt. Mit mehr Transparenz, verständlicheren In-formationen und mehr Aufsichtsbefugnissen sorgen wirfür faire Spielregeln auch auf dem grauen Kapitalmarkt,der dies ganz besonders notwendig hat. Der Gesetzent-wurf zum Kleinanlegerschutz ist bereits im Kabinett be-schlossen worden und wird uns demnächst hier beschäf-tigen.Für eine bessere Orientierung der Verbraucherinnenund Verbraucher werden auch die sogenannten Markt-wächter sorgen. Der Marktwächter für den Finanzmarktwird Anfang kommenden Jahres bereits seine Arbeitaufnehmen. Der Marktwächter für die digitalen Märkte,der genauso notwendig ist, wird bald folgen. Beides istvor allen Dingen auch dank der Mittel aus dem Haushalt,der heute hier beraten wird, möglich geworden. Deshalbsage ich dem Bundestag und insbesondere den Bericht-erstattern für unseren Einzelplan ein ganz herzlichesDankeschön dafür, dass das möglich gemacht wurde.
Meine Damen und Herren, wir haben uns viel vorge-nommen. Auch für die Zukunft bleibt noch viel zu tun.Zurzeit berät – das ist ein ganz aktuelles Thema – dieKoalition noch einmal über die Frauenquote in den Auf-sichtsräten. Sie wissen, dass das Justiz- und Verbrau-cherschutzministerium eine entsprechende Vorlage fürdie Änderung des Aktiengesetzes eingebracht hat. Ichsage nur das, was alle sagen: Der Koalitionsvertrag gilt.Das bedeutet: Die Frauenquote wird kommen. Vielleichtkommen wir heute schon einen ganz entscheidendenSchritt weiter.
Dabei geht es nicht darum, wer politisch obsiegt.Nein, wir setzen mit der Frauenquote, wie ich finde,auch den Gleichstellungsauftrag aus dem Grundgesetzum. Sie ist vor allen Dingen – das soll noch einmal ge-sagt werden – wirtschaftlich sinnvoll. Wir wollen, dassDeutschlands Unternehmen die vorhandenen Potenzialestärker nutzen. Frauen in Führungsetagen der deutschen
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Bundesminister Heiko Maas
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Wirtschaft sind keine Belastung, sondern ein Gewinn.Deshalb wird die Frauenquote kommen.
Meine Damen und Herren, es stehen weitere Themenauf unserer Tagesordnung. Wir haben zusammen mit denKolleginnen und Kollegen aus dem Bundesinnenminis-terium, also dem Ministerium von Herrn de Maizière, ei-nen Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Doping vorge-legt. Wir sind nämlich der Auffassung, dass Profisportler– um die geht es –, die dopen, zum einen den Wettbe-werb verzerren und zum anderen vor allen Dingen dieIntegrität des Sportes beschädigen. Sie sind damit alsVorbilder in der Gesellschaft, vor allem für Kinder, einkompletter Totalausfall. Deshalb bringen wir diesen Ge-setzentwurf auf den Weg. Seit vielen Jahren wird überDoping diskutiert. Es ist höchste Zeit, dass endlich ge-handelt wird. Dieser Gesetzentwurf ist ein Statement fürsauberen Sport und eine Kampfansage an alle dopendenBetrüger.
Wir werden uns in den kommenden Wochen und Mo-naten außerdem mit der Frage auseinandersetzen müs-sen, wie wir Frauen besser vor sexueller Gewalt schüt-zen können. Wir haben uns, auch in Abstimmung mitden Bundesländern und den Justizbehörden vor Ort, mitFallgestaltungen auseinandergesetzt und dabei festge-stellt, dass der Vergewaltigungsparagraf, so wie er heutegilt, das Unrecht, das bedauerlicherweise Realität ist,nicht in allen Fällen erfasst. Es gibt Schutzlücken. DasRecht muss aber tatsächlich alle Situationen abdecken,in denen sexuelle Übergriffe stattfinden. Wenn das heutenicht der Fall ist – so ist das leider –, werden wir dieseSchutzlücken schließen müssen. Wir werden deshalb ei-nen Gesetzentwurf vorlegen, durch den die Gesetzeslü-cken und die Schutzlücken, die es bedauerlicherweisebei Vergewaltigungen gibt, in Zukunft geschlossen wer-den.
Eine moderne Rechtspolitik nimmt nicht nur die He-rausforderungen der Zukunft an, sondern stellt sich auchder Vergangenheit. Wenn es um die deutsche Justiz undden Nationalsozialismus geht, dann mag persönlicheSchuld verjährt sein; aber die Verantwortung, die wiralle haben, bleibt bestehen.Deshalb müssen wir erstens die historische Aufarbei-tung dieses Themas weiter vorantreiben. Ich meine dasProjekt des Bundesjustizministeriums, das schon untermeiner Vorgängerin auf den Weg gebracht wurde, dasRosenburg-Projekt. Wie Sie wissen, untersucht eine un-abhängige wissenschaftliche Kommission den Umgangdes Ministeriums mit der NS-Vergangenheit nach demZweiten Weltkrieg, also in den 50er- und 60er-Jahren.Ende des kommenden Jahres soll der Abschlussberichtvorliegen. Es zeichnet sich bereits heute ab: Die NS-Ver-strickung der Nachkriegsjustiz und unseres Ministeriumswar noch weitaus tiefer als bekannt. Das müssen wir auf-arbeiten, und das tun wir auch vorbehaltlos.Zweitens müssen wir unsere Gesetze, wie ich finde,auch von den letzten Überresten des nationalsozialisti-schen Rechtsdenkens befreien. Deshalb – auch wegenanderer praktischer Probleme, aber auch deshalb – habenwir eine Reform des Mordparagrafen in Angriff genom-men.Drittens schließlich darf die Vergangenheit nie ver-gessen werden. Ich habe deshalb in diesem Jahr denFritz-Bauer-Studienpreis gestiftet. Er ist benannt nachdem Initiator des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, überden es mittlerweile sogar Kinofilme gibt und über denweitere gedreht werden. Mit diesem Preis wollen wir ge-rade junge Juristinnen und Juristen ermuntern, sich mitden Verbrechen und dem Versagen der deutschen Justizwieder stärker zu beschäftigen, weil wir finden: DieseErinnerung ist kein Selbstzweck, nein, sie stärkt unserenRechtsstaat.
Wie wichtig ein entschlossenes Vorgehen gegen Anti-semitismus, Rassismus und Neonazis ist, das haben dieVerbrechen des NSU erneut gezeigt. Wir sind deshalbüberzeugt: Eine Justiz, die die Schattenseiten ihrer Ge-schichte kennt, wird den Herausforderungen der Gegen-wart viel besser gerecht. Auch deshalb bleibt die Erinne-rung an die Vergangenheit so wichtig für die Zukunft.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrMinister Maas, ich muss zugeben, dass ich letzte Woche,am Vorlesetag, an Sie gedacht habe.
Ich habe überlegt, was ich in der Grundschule vorlesensoll. Am Ende habe ich es nicht vorgelesen, aber mirkam Das tapfere Schneiderlein in die Finger: Sieben aufeinen Streich. Das tapfere Schneiderlein stickt sich aufseinen Gürtel, es habe sieben auf einen Streich erledigt,und fortan halten die Leute es für einen Helden.
Das ist ganz klar ein Beispiel für gelungene PR-Arbeit.So ähnlich machen Sie es auch, Herr Maas:
Der ganz große Macher. Sie haben ganz viel erzählt, aberim Ergebnis haben Sie, wie ich finde, nur ganz wenige
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Renate Künast
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Erfolge vorzuweisen. Sie haben vieles versprochen undangekündigt: Die gesetzliche Frauenquote war Ostern2014 schon fast in trockenen Tüchern; eine Mietpreis-bremse haben Sie angekündigt; den Mordparagrafenwollten Sie modernisieren – gut, Sie haben eine Kom-mission –; das Urheberrecht wollten Sie den Erfordernis-sen des digitalen Zeitalters anpassen und die Daten-schutz-Grundverordnung voranbringen. Bei TTIP habenSie verbal so richtig zugeschlagen: TTIP soll endlicheine breite demokratische Legitimation bekommen, undbestimmte Bereiche sollen ausgeklammert werden. –Das alles und noch viel mehr haben Sie sich auf denkleinen Gürtel gestickt. Gefühlt haben Sie jedes Wo-chenende jedes dritte Thema noch einmal verkauft. He-rausgekommen ist aber, finde ich, relativ wenig.
Schauen wir uns das an: Sie haben die Sachen zu ei-nem Gutteil überhaupt nicht wirklich angepackt. Sie ha-ben gerade als Erfolg verbucht, dass die Sukzessivadop-tion jetzt auch bei Homosexuellen möglich ist.Natürlich, aber nur in dem minimalen Rahmen, den dasBundesverfassungsgericht durch seine Entscheidung bisspätestens 30. Juni dieses Jahres gefordert hat. Sie hättengar nicht anders gekonnt. Insofern geht mein Lob an derStelle an Karlsruhe, nicht an Sie. Sie sind keinen Milli-meter weiter gegangen; trotzdem muss man zwei Verfah-ren hintereinander absolvieren.Sie haben gesagt, dass Sie großartig angepackt haben.Nehmen wir doch einmal den Fall Edathy. Natürlichmussten Sie dieses Thema anpacken angesichts der Vor-fälle und der Frage, wer in der alten Koalition oder wäh-rend der Koalitionsverhandlungen wem was erzählt hat;das hatte ja auch juristische Nachspiele. Dann haben Sieeine Vorlage gemacht, sind aber gleich so weit vorange-schritten, dass in der Anhörung, soweit ich mich erin-nere, alle sieben Sachverständigen gesagt haben: Daswollen wir nicht; das ist nicht richtig. – Selbst der Prakti-ker, der Oberstaatsanwalt aus Gießen, sagte: Das habenwir nicht gewollt. – Daraufhin mussten Sie an der Stellenochmals Änderungen vornehmen.Sie haben hier auch manch andere Vorschläge ge-macht, zum Beispiel zu den Marktwächtern und zumSachverständigenrat. Das sind ja gute Sachen, die auchwir durchaus gefordert haben. Aber es kommt darauf an,ob die guten Vorschläge, die gemacht werden, auch inder Praxis umgesetzt werden.
– Nun denn, meine Liebe, Sie sagen: „Mal abwarten!“Die Legislaturperiode hat bekanntlich vier Jahre. Davonist eines bald um.
Der Justizminister hat sich mit Frau Schwesig hingesetztund ganz klar gesagt, was alles kommen wird. Dannwollen wir es auch sehen, und zwar zum versprochenenZeitpunkt.
Beispiel Mietpreisbremse. „Jetzt kommt die großeBremse“, haben Sie noch am 8. April dieses Jahres hierangekündigt. Sie haben sogar gesagt, die Wohnungswirt-schaft solle nicht das neue Eldorado der Profitmaximie-rung werden.
Große kapitalismuskritische Worte eines SPDlers, destapferen Schneiderleins. Dann hat es sich aber doch vomRiesen überwältigen lassen, der am Ende nicht ganz sotumb war wie im Märchen. Eifrige Lobbyisten haben Pa-piere geschrieben, die Zeit schritt immer weiter voran,und der Lobbyismus nahm immer mehr zu. Am Ende ha-ben Sie sich die Sache zerreden lassen.Da Sie hier gerade gesagt haben, die Menschen wür-den in Zukunft bezahlbare Mieten haben, frage ich Sie:Herr Maas, geht es auch ein bisschen kleiner? Das ist einbürokratisches Monster. Da ist nicht einmal eine wirkli-che Bremse drin. Man muss erst die Bürokratie überwin-den, um Mietsteigerungen im Hinblick auf einen Teil derWohnungen – das gilt nämlich nicht für die Neuvermie-tung, sondern nur für Bestandswohnungen – für dieDauer von fünf Jahren auf 110 Prozent zu begrenzen. Sosorgt man nicht für bezahlbare Mieten, schon gar nicht,wenn das Begleitprogramm fehlt.
Oder nehmen wir die Frauenquote. Auch sie wurdeam 8. April dieses Jahres groß angekündigt. Sie habensogar mit Frau Schwesig zusammen in der Bundespres-sekonferenz gesessen und gesagt: Die anderen haben inder letzten Legislaturperiode nur geredet. Wir handelnjetzt. – Da sage ich als Frau, die auch in der letzten Le-gislaturperiode Abgeordnete war – vielleicht im Sinnealler Frauen, die beim letzten Mal dabei waren –: Das istschon starker Tobak, wenn man nicht mehr durchbe-kommt als das, wofür wir in der letzten Legislaturpe-riode gekämpft haben.Zugegeben, am Ende ist die Union umgefallen. Aber dieCDU-Frauen haben dafür im Wahlprogramm eine 30-Prozent-Quote durchgesetzt. Mehr bekommt man heuteauch gar nicht durch. Also: Mein Dank an die Frauen derletzten WP!
Sie hätten an dieser Stelle besser nicht aufgerüstet undbesser nicht so viele Sachen aufgenommen, dass CDUund CSU am Ende noch lange an der Geschichte herum-fuhrwerken können. Die Frauen haben keine Geduldmehr, Herr Maas! Wir wollen endlich etwas sehen!
Ich sage – auch in Ihre Richtung –: Ich trauere einbisschen Rita Pawelski aus der letzten Legislaturperiodenach; denn die wäre jetzt auf der Zinne, wenn sie FrauHasselfeldt hören würde. Frauen schaden der Wirtschaft,hat Frau Hasselfeldt faktisch gesagt, indem sie formu-
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Renate Künast
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lierte: Jetzt hat die Wirtschaft Vorrang und nicht dieFrauenquote. – Ich kann nur sagen: Schade, dass sieheute nicht da ist. Wer solche Kolleginnen wie FrauHasselfeldt im Bundestag hat, braucht keine altmodi-schen Männer mehr.
Herr Kauder – schade, dass er nicht da ist und nichthier sitzt –, der Umgangston in der Koalition geht michja nichts an,
und auch ich bin für harte Sätze bekannt. Aber in der Sa-che ist es so: Herr Kauder hat über Frau Schwesig ge-sagt, sie sei weinerlich. Das ist eine Abwertung. So et-was sagt er über Männer nicht. Ich finde, das ist eineEntschuldigung wert.
Nun zu Ihnen, Herr Maas. Ich würde Sie bitten, in Zu-kunft vernünftige Gesetzgebungsverfahren auf den Wegzu bringen, kein Hopplahopp. Auch dafür müsste einJustizminister eintreten. Es kann nicht sein, dass wirdienstagnachmittags geänderte Vorlagen für Mittwoch,9 Uhr, vorgelegt bekommen. Bei der Istanbul-Konven-tion sind Sie, was § 177 StGB angeht, auf Druck der Jus-tizministerinnen der Länder glücklicherweise umgefal-len; erst wollten Sie ja keine Änderung. Ich würde mirwünschen, dass wir hier gemeinsam eine Lösung finden.Ich würde mir auch wünschen, dass wir dazu eine or-dentliche Beratung im Rechtsausschuss durchführen.Wir haben für den 28. Januar nächsten Jahres eine Anhö-rung beantragt. Ich weiß nicht, warum die Union das ab-gelehnt hat – vielleicht um sich vorher intern zu einigen.Ich würde mir wünschen – –
Kollegin Künast, Sie können sich das alles wünschen.
Ich muss Sie bloß darauf aufmerksam machen: Ihre Kol-
legin hat dann weniger Zeit.
Darf ich den letzten Satz noch sagen? – Ich würde mir
wünschen, dass Sie rechtspolitisch und verbraucherpoli-
tisch in vielen Bereichen Ihre Stimme erheben. Um nur
einige Dinge zu nennen: Anti-Doping soll der Sport und
nicht das Strafgesetzbuch regeln,
die Verbraucherkennzeichnung hat Herr Müller ge-
rade versemmelt, und Sie sind für nachhaltigen Konsum
zuständig.
Setzen Sie die Dinge endlich auf die Tagesordnung –
nicht nur verbal und in Interviews, sondern auch in der
Realität Ihres ministeriellen Handelns!
Das Wort hat der Kollege Klaus-Dieter Gröhler für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKollegen! Herr Minister Maas! Frau Künast, zu RenatesMärchenstunde nur eine Anmerkung:
Eine Partei, die die erste Kanzlerin der BundesrepublikDeutschland stellt, braucht keine Belehrung zum Thema„Frauen in Führungspositionen“.
Bevor ich auf den Einzelplan 07 konkret eingehe, er-lauben Sie mir bitte zwei persönliche Bemerkungen:Die erste möchte ich gerne als Berliner Abgeordnetermachen. Für Berlin enthält dieser Bundeshaushalt insge-samt sehr viel Gutes. Ich will nur einmal drei Stichwortenennen: Museum der Moderne, Humboldt-Forum,Martin-Gropius-Bau. Ich könnte jetzt noch viele weitereBeispiele nennen, aber dann wären die Kollegen aus denanderen Bundesländern vielleicht neidisch.Ich muss sagen, der Bund kommt hier seiner Verant-wortung für die Bundeshauptstadt sehr engagiert nach.Als Berliner möchte ich hier ein herzliches Dankeschönin Richtung Bundesregierung – insbesondere in Rich-tung von Monika Grütters –,
aber auch in Richtung der Kollegen aus den anderenBundesländern dafür sagen, dass sie die Bundeshaupt-stadt durch diesen Haushalt so solidarisch unterstützen.
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Klaus-Dieter Gröhler
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Meine zweite Vorbemerkung: In § 2 Absatz 1 Satz 1Haushaltsgesetz 2015 heißt es:Im Haushaltsjahr 2015 nimmt der Bund keine Kre-dite zur Deckung von Ausgaben auf.
– Diesen Satz haben wir heute schon öfter gehört, aber erist leider noch nicht bei allen Kollegen in der notwendi-gen Intensität angekommen, lieber Herr Kollege,
insbesondere nicht bei den Kollegen Bartsch undKindler, was ich feststellen konnte, als ich heute Morgensehr intensiv zugehört habe. Ich sage es einmal so: Wenndiese beiden Bundesminister der Finanzen wären – waswir nicht hoffen wollen – und es schaffen würden, einenHaushalt ohne Schulden vorzulegen, dann – das prophe-zeie ich Ihnen – würden bei dem einen Banner mit derAufschrift „Ohne Schulden leben heißt siegen lernen“aus den entsprechenden Häusern hängen, und bei demanderen würden wahrscheinlich Graffiti an der Wandstehen. Dort hieße es: Schuldenfrei – Spaß dabei.
Wir von der Union gehen mit diesem Erfolg nicht soüberschwänglich um, sondern wir arbeiten solide undverlässlich weiter, damit es den Menschen in unseremLand weiterhin gut geht – auch in späteren Generatio-nen. Dass uns unser sozialdemokratischer Koalitions-partner bei der Umsetzung dieses wichtigen Ziels ver-lässlich begleitet, ist, glaube ich, ein gutes Zeichen fürdas Land und darüber hinaus.Mich als Mitglied des Haushaltsausschusses erfüllt esjedenfalls mit Freude, gerade zu dem Zeitpunkt Mitgliedim Haushaltsausschuss zu sein, in dem wir eine Über-zeugung von Ludwig Erhard, nämlich „Maß halten“– das hat jetzt weniger mit dem Herrn Minister zu tun –,im Haushalt tatsächlich erfolgreich umsetzen können,sodass Wohlstand für alle wirklich machbar wird.Ich komme nun im Einzelnen zum Einzelplan 07– Justiz und Verbraucherschutz –:Der Etat ist in der Tat sehr klein, aber auch sehr wich-tig, um den Rechtsstaat erfolgreich zu sichern und fort-zuentwickeln. Wir haben verstanden, dass Rechtsstaat-lichkeit und Rechtsgewährung Standortvorteile sind,wenn das auch noch nicht in allen Teilen Osteuropaskomplett angekommen ist.Um nur einmal eine Relation klarzumachen: HerrMinister Maas, mit Ihrem Haushalt käme Ihre KolleginFrau Nahles gerade einmal zwei Tage aus. So groß istder Unterschied zwischen dem Sozialhaushalt und demJustizhaushalt. Trotz dieses geringen Umfangs – viel-leicht aber auch gerade deshalb – haben wir unsere Bera-tungen, wie ich glaube, sehr intensiv geführt.Herr Minister Maas, bitte bestellen Sie den Mitarbei-terinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses, aber auch beiden Gerichten und in den Ämtern, unser herzliches Dan-keschön. Lieber Steffen Kampeter, das Gleiche gilt fürdas Finanzministerium. Ohne die Zuarbeiten von diesenStellen könnten wir unserer Kontrollaufgabe und derHaushaltsgesetzgebung letztlich nicht nachkommen.Das muss man an dieser Stelle auch einmal sehr deutlichsagen.Wir haben uns mehrheitlich zurückgehalten, was zu-sätzliche Ausgaben angeht. Trotzdem haben wir – wohl-begründet – 32 Millionen Euro obendrauf gepackt, wennich das einmal so flapsig sagen darf. Insbesondere habenwir einen Schwerpunkt beim Deutschen Patent- undMarkenamt gesetzt; der Kollege Claus hat darauf hinge-wiesen. Herr Kollege Claus, Sie sagten, die Koalitionhabe ihren ganzen Mut zusammengenommen, um dieseMittel zur Verfügung zu stellen.
Ich sage Ihnen einmal etwas: Es bedarf nicht Mut, umbessere Politik als die Linken zu machen. Es bedarfWerte und Köpfchen, und das hat diese Große Koalition.
Deshalb haben wir an dieser Stelle entsprechend drauf-gesattelt.
Nun stehe ich der Bereitstellung zusätzlicher Stellenin Ämtern immer sehr skeptisch gegenüber, weil dasmeistens mehr Verwaltung und mehr Bürokratie bedeu-tet. Aber an dieser Stelle ist das sehr gut investiertesGeld. Lassen Sie mich einmal zwei, drei Zahlen nennen.65 000 Patentanmeldungen werden in 2014 beim Patent-amt eingehen, 75 Prozent davon stammen aus Deutsch-land, 10 Prozent aus den USA. In Frankreich ist die Zahlder Patentanmeldungen nicht einmal halb so groß wie inDeutschland, in Großbritannien ist es gerade einmal einViertel. Mit diesen Zahlen will ich deutlich machen, wiewichtig Patentanmeldungen für unser Land sind.Die Nachfrage beim Patentamt hat sich in den letztendrei Jahren um fast 10 Prozent gesteigert. Auf diese Be-lastung müssen wir reagieren, nicht nur um das Personalzu entlasten und die Leistungsfähigkeit des Amtes zu er-halten, sondern auch um Einzelanmeldern, kleinen Er-findern, Mittelständlern und Großunternehmern den nö-tigen staatlichen Schutz für ihr geistiges Eigentum zugeben und auch die wirtschaftliche Verwertungsmög-lichkeit ihrer Erfindung zu gewährleisten. Das gilt übri-gens genauso für den Schutz von Markendesigns undGebrauchsmustern.2 000 Patentanmeldungen jährlich betreffen den Be-reich regenerative Energien, 6 000 Anmeldungen dieSparte Kfz-Abgastechnologien. Die Stärkung des Patent-amtes ist wichtig für das Erfinderland Deutschland, füruns als Exportnation, für die Energiewende, für den Mit-
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Klaus-Dieter Gröhler
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telstand und für qualifizierte Arbeitsplätze. ZusätzlichePrüferinnen und Prüfer sorgen für zusätzliche Einnah-men. Insofern ist das insgesamt eine sehr gute Verstär-kung. Die Arbeitsbelastung beim Patentamt wird trotz-dem hoch bleiben. Wir werden im nächsten Jahr genauhinschauen müssen – der Kollege Rohde wird da sicher-lich sehr eng an meiner Seite sein –, um sicherzustellen,dass das Amt dauerhaft leistungsfähig ist.Einen zweiten Schwerpunkt haben wir beim ThemaVerbraucherschutz gesetzt: mehr Personal für den Schutzdigitaler Kundenbeziehungen und besonderer Verbrau-chergruppen, mehr Geld für Verbraucherzentralen undMarktwächter. Den Grünen ist das immer noch nicht ge-nug. Es ist nun einmal das Los der Opposition, immernoch mehr zu wollen. Aber ich sage einmal: Das Haus,Herr Minister, ist beim Verbraucherschutz meiner Mei-nung nach gut ausgestattet, stark aufgestellt und wird or-dentlich arbeiten können.Dabei sollten wir eines nicht aus dem Auge verlieren:Im Mittelpunkt des politischen Handelns steht meinerAuffassung nach die mündige Bürgerin, der mündigeBürger, die mündige Konsumentin, der mündige Konsu-ment. Verbraucherschutz heißt nicht, dass Vater Staat dieKinder an die Hand nimmt und sie durchs Leben führt,auf dass sich keiner an einem Stein stoße. Verbraucher-schutz heißt, sich dort einzusetzen, wo es zu Verwerfun-gen kommt, wo der Verbraucher nicht mehr durchbli-cken kann oder wo die Gefahr besteht, dass er nicht alsgleichberechtigter Partner im Rahmen der Privatautono-mie handeln kann. Nur dann darf der Staat eingreifen.Der wichtigste Aspekt des Verbraucherschutzes mussimmer noch sein, die Verbraucherinnen und Verbraucherfitzumachen, um am Markt eigenständig entscheidenund agieren zu können, um auf Augenhöhe zu verhan-deln. Dabei wollen wir die Wirtschaft, die Anbieter, alsPartner verstehen, nicht als Gegner der Verbraucher.
Gestatten Sie mir abschließend, auf ein Thema hinzu-weisen – Herr Minister Maas hat es schon kurz ange-sprochen –: auf das Präventionsprojekt Dunkelfeld„Kein Täter werden“. Finanziell ein ganz kleines Anlie-gen im Haushalt, aber in seiner Wirkung sehr wichtig.560 000 Euro gibt der Bund in 2015 für dieses Projektaus, fast das Doppelte gegenüber 2013 und noch einmalmehr als 2014.Wir werden in Zukunft dafür sorgen müssen, dass die-ses Projekt auf eine andere finanzielle Basis gestelltwird; denn die Projektfinanzierung wird nicht ewig ausMitteln des Justizministeriums kommen können, weil esein Projekt ist. Wir werden nach Mitteln suchen müssen,aber ich bin sicher: Auch dieses Geld ist gut angelegt.Ich kann die Bundesländer, die bisher für dieses Projektnoch kein Geld bereitgestellt haben, nur auffordern, zuüberlegen, ob das Projekt nicht dieses Geld wert ist.Lassen Sie mich zwei, drei Zahlen aus Berlin nennen,wo der Schwerpunkt dieses Projekts liegt. In den letztenzehn Jahren haben dort fast 2 000 Männer anonymKontakt aufgenommen, weil sie Sorge hatten, dass sieStraftaten im Bereich pädophiler Neigungen begehenkönnten. Bei 846 dieser Männer hat es abgeschlosseneklinische Diagnosen gegeben, und 412 Männer habensich entschlossen, in eine Therapie zu gehen. 6 Prozentstammten übrigens aus der Region Berlin/Brandenburg;der Rest kam aus der übrigen Bundesrepublik oder garaus dem Ausland. Insofern ist das ein deutlicher Appellan die anderen Bundesländer, die noch nicht aktiv sind,in dieser Frage ihre Position zu überdenken. Ich glaube,auch diese gute halbe Million Euro ist gut angelegtesGeld, so wie dieser Haushalt insgesamt solide ist. Auchder Einzelplan 07 – Justiz und Verbraucherschutz – istnachhaltig und zukunftsorientiert. Ich glaube, auch dieOpposition kann ihm am Ende der Debatte guten Gewis-sens zustimmen.Herzlichen Dank.
Der Kollege Dennis Rohde hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Ich bin froh und stolz, dass ich als Fazit zu denVerhandlungen zum Einzelplan 07 festhalten kann, dasswir unsere Versprechungen gehalten haben. Ich möchtedas an drei Punkten näher darlegen. Ich beginne mit demPunkt, den auch Sie gerade angesprochen haben, HerrKollege Claus: mit dem Deutschen Patent- und Marken-amt.Ich war sehr verwundert über Ihre Worte. Das, wasSie in Bezug auf die erste Lesung des Haushalts 2015hier ausgeführt haben, können Sie eigentlich nur ausdem Märchenbuch von Frau Künast haben. Alle Kolle-ginnen und Kollegen haben damals gefordert, dass beimDPMA etwas passiert. Alle Haushälter haben gesagt:Das müssen wir angehen. – Das waren nicht nur die Lin-ken, sondern alle Kolleginnen und Kollegen. Ich finde,man sollte zumindest im Plenum die Wahrheit sagen.
Wir haben alle gesagt, dass das Deutsche Patent- undMarkenamt eine vernünftige Ausstattung braucht. Heutekönnen wir feststellen: Es gibt einen massiven Personal-aufwuchs. Es gibt eine bessere finanzielle Ausstattungdes DPMA. Versprochen und gehalten, meine Damenund Herren.Meine Kollegin Eva Högl hat am 26. Juni 2014 zumHaushalt im Bereich innere Sicherheit gesagt: „Einwichtiger Punkt ist die Stärkung des Generalbundesan-walts.“ Heute werden wir sechs zusätzliche R-besoldeteStellen beschließen und dem Generalbundesanwalt über700 000 Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Verspro-chen und gehalten.
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Dennis Rohde
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Meine Kollegin Elvira Drobinski-Weiß hat in dersel-ben Haushaltsberatung gesagt: Neben Ideen und Kon-zepten benötigen wir für den Verbraucherschutz auchGeld. – Heute können wir sagen: Seit Regierungsüber-nahme haben sich die Mittel für den wirtschaftlichenVerbraucherschutz um mehr als 20 Prozent erhöht. Ver-sprochen und gehalten.
Aber lassen Sie mich auf die Punkte im Einzelneneingehen. Wir wussten zu Beginn der Haushaltsverhand-lungen um die Situation beim Deutschen Patent- undMarkenamt. Wir wussten, dass es dort einen Antragsstauvon gut 170 000 Anträgen gibt. Ich habe ungefähr dreiViertel meiner Rede dafür genutzt, die Wichtigkeit desPatents für unsere Wirtschaft herauszustellen.Ich bin sehr froh, dass wir als Koalition den Vorschlagdes Deutschen Patent- und Markenamtes heute eins zueins umsetzen. Wir werden 58 neue Patentprüferstellenschaffen und eine bessere finanzielle Ausstattung zurVerfügung stellen. Ich freue mich wirklich, dass bei die-sem überlegten Vorgehen auch die Opposition mitgehenkann.Wir haben bei der Absicherung der Innovationskraftunseres Landes Ernst gemacht.
Wir haben beim Schutz des geistigen Eigentums Ernstgemacht. Wir haben beim Deutschen Patent- und Mar-kenamt keine halben Sachen gemacht, sondern klareKante gezeigt.
Ein zweites Thema: Die nationale Sicherheit kostetGeld. Das merken insbesondere die Kolleginnen undKollegen, die mit dem Haushalt des Bundesinnenminis-teriums befasst sind und mit der Bundespolizei, demZoll, aber auch dem Bundeskriminalamt zu tun haben.Aber auch die Judikative steht vor neuen Herausfor-derungen. So gibt es erhebliche Mehrbelastungen beimGeneralbundesanwalt. Diese stehen in unmittelbaremZusammenhang mit der Bedrohung durch die Terroristendes „Islamischen Staates“ und gewaltbereite Dschihadis-ten. Lassen Sie mich nur ein Beispiel nennen: Im Jahr2012 gab es beim Generalbundesanwalt in diesem Be-reich einen Prüfvorgang, ein Ermittlungsverfahren undvier Beschuldigte. Im Jahr 2014 – Stand: 30. Oktober –waren es 162 Prüfvorgänge und 41 Ermittlungs- undStrafverfahren mit insgesamt 80 Beschuldigten.Meine Damen und Herren, das sind dramatische Ent-wicklungen, und diesen dramatischen Entwicklungenmüssen wir Rechnung tragen. Wir tragen ihnen Rech-nung, indem der Generalbundesanwalt 720 000 Euromehr zur Verfügung gestellt bekommt.
Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen: Die Si-cherheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutsch-land und darüber hinaus ist in Geld nicht zu beziffern.Sicherheit hat kein Preisschild. Es ist unsere Verantwor-tung, in Gewahrsam genommene Terroristen einemrechtsstaatlichen Verfahren zuzuführen und sie für ihreGräueltaten zur Rechenschaft zu ziehen und die Bevöl-kerung vor ihnen zu schützen. Darum werden wir wei-terhin genau prüfen und beobachten, was wir an Unter-stützung für den Generalbundesanwalt werden leistenkönnen.Ein drittes Thema. Es war die richtige Entscheidung,den wirtschaftlichen Verbraucherschutz im Bundesjus-tizministerium einzugliedern. Wir gehen diesen Schrittkonsequent weiter und stellen den Verbraucherschutzheute auf eine breitere finanzielle wie personelle Basis.So haben wir überhaupt erst zum zweiten Mal in seinerGeschichte der Verbraucherzentrale Bundesverband eineErhöhung seiner institutionellen Förderung zugedacht.Ich weiß, dass das nicht allen gefällt, auch nicht allenKolleginnen und Kollegen; denn der vzbv ist auch ge-genüber den gewählten Politikerinnen und Politikernmanchmal unbequem und nimmt sich das Recht zu Kri-tik heraus. Aber genau das soll er auch: mit lauterStimme einzig und allein für die Verbraucherinnen undVerbraucher sprechen. Das kann er nur, wenn er unab-hängig von der Wirtschaft agiert. Darum sind die staatli-chen Mittel so wichtig. Wir wollen und brauchen starkeund unabhängige Verbraucherzentralen, eine starkeLobby für die Verbraucherinnen und Verbraucher in un-serem Land.
Darum werden wir eines der zentralen Projekte dieserKoalition und der Verbraucherzentralen mit mehr finan-ziellen Mitteln hinterlegen. Im kommenden Jahr werdendie Marktwächter mit 5,5 Millionen Euro weiter ange-schoben.Die Große Koalition richtet ihre Politik übrigens nichtnach dem Irrglauben aus, man müsse nur vom mündigenVerbraucher sprechen, und alle Probleme lösten sichdann in Wohlgefallen auf. So unterschiedlich wie Men-schen, so unterschiedlich sind auch ihre Bedürfnisse unddie Herausforderungen für die Verbraucherpolitik. Demtragen wir Rechnung, indem wir im Bundesjustizminis-terium ein Referat „Besondere Verbrauchergruppen“installieren werden. Da geht es zum Beispiel um dieHerausforderungen junger Menschen sowie der Senio-rinnen und Senioren, aber auch der Migrantinnen undMigranten. Dabei geht es ganz besonders darum, dassauf die Dinge, die wir nicht gleich auf dem politischenRadar haben, aufmerksam gemacht wird.Ein Beispiel: So deckten im Oktober dieses Jahres dieVerbraucherzentralen Hamburg, Berlin und Bremen er-hebliche Missstände bei den sogenannten Ethnomobil-funktarifen auf. Das sind Tarife, die bevorzugt Migran-tinnen und Migranten nutzen, um Kontakt zu ihrerHeimat zu halten. Mit diesen Tarifen erhält man verbil-ligte Konditionen bei Anrufen in einigen Ländern. Kaumeiner von uns wird diese Tarife intensiv nutzen. Aber ge-
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Dennis Rohde
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rade weil Migrantinnen und Migranten diese Tarife in-tensiv nutzen, gehen zusätzliche Herausforderungenzum Beispiel bei der Sprache und der Vertragsgestaltungdamit einher. Wenn wir ganz ehrlich sind, müssen wirzugeben, dass das ein Bereich ist, an den wir nicht zu-vorderst denken, wenn wir uns die gesamte großeTK-Branche anschauen. Es ist aber wichtig, dass sicheine Institution mit einer spezifischen Sicht genau sol-cher Themen annimmt. Das ist ein wichtiger Schritt hinzu einer Verbraucherpolitik, die wirklich alle Menschenin unserem Land einschließt.
Wir stellen uns auch der Herausforderung der Digita-lisierung unserer Gesellschaft mit der Einrichtung einesneue Referats „Digitale Kundenbeziehungen“. Heutzu-tage schließen wir Onlineverträge ab. Wir kaufen ein, er-ledigen unsere Post und informieren uns über Angeboteonline. Kurzum: Ein guter Teil der traditionellen Bezie-hungen zwischen Verbrauchern und Anbietern ist insNetz gewandert. Dabei ist insbesondere der Schutz derKundendaten unheimlich wichtig. Wir hoffen, dass wirmit diesem Referat neue Erkenntnisse diesbezüglich ge-winnen.Meine Damen und Herren, Verbraucherschutz ist inder Großen Koalition in guten Händen. Wir haben einenParadigmenwechsel eingeleitet. Wir nehmen den Schutzder Verbraucherinnen und Verbraucher ernst. Wir wolleneine aktive und keine reagierende Verbraucherpolitik.Diesen Weg gilt es in den kommenden Jahren konse-quent fortzusetzen, ohne einen Rückfall in vergangeneZeiten. Wir gehen mit dem vorliegenden Haushalt dieHerausforderungen der Judikative, des Schutzes desgeistigen Eigentums und der Verbraucherpolitik an. Wirhaben einen guten Regierungsentwurf noch besser ge-macht. Hierfür werbe ich um Ihre Zustimmung.
Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Was die Verbraucherarbeit und den Verbrau-cherschutz in diesem Haushaltsentwurf anbelangt,komme ich leider zu einer völlig anderen Einschätzungals beispielsweise mein Vorredner. Wenn wir uns dieZahlen anschauen, stellen wir fest, dass die Verbraucher-politik im Gesamthaushalt wirklich ein Schattendaseinfristet. Gerade einmal 31 Millionen Euro sind für dieVerbraucherpolitik vorgesehen. Das ist im Vergleichzum Gesamthaushalt ziemlich wenig. Alleine der Schüt-zenpanzer Puma beispielsweise ist der Bundesregierung19-mal mehr wert als die Verbraucherpolitik. Das nenneich eine falsche Prioritätensetzung.
An diesem Beispiel sieht man auch, dass es nicht soist, dass kein Geld da ist oder die Opposition dauerndGeld ausgeben möchte; es sitzt einfach an der falschenStelle. Auf dieses Kriegsgerät zu verzichten und dasGeld für die Verbraucherarbeit einzusetzen, das wärezum Beispiel eine gute Lösung.
Wenn Sie da nicht mitgehen können, will ich Ihneneinen anderen Vorschlag machen und eine Idee der ehe-maligen Verbraucherministerin Frau Aigner aufgreifen,die bekanntlich nicht der Linken angehört, sondern derCSU. Sie hatte vorgeschlagen, dass man die Mittel, diedem Bundeskartellamt aus Bußgeldern zufließen, alsodie Kartellstrafen aufgrund illegaler Preisabsprachen, fürdie Verbraucherarbeit zur Verfügung stellen könnte. Al-leine bis zum Oktober dieses Jahres waren es Bußgelderfür illegale Preisabsprachen in Höhe von 1 MilliardeEuro, die in den Bundeshaushalt fließen. Das ist Geld,das den Verbrauchern unrechtmäßig aus der Tasche ge-zogen wurde und das man für sinnvolle Projekte einset-zen könnte. Selbst wenn wir nur 20 Prozent dieser Gel-der nehmen würden, wären das 200 Millionen Euro.Dann müsste man, um ein Beispiel zu nennen, nichtbei der Stiftung Warentest kürzen – und das ausgerech-net im 50. Jubiläumsjahr. Da frage ich mich ehrlich ge-sagt, wie das nächste Woche beim feierlichen Festakt ab-laufen soll und ob dann die Kanzlerin sagt: LiebeStiftung Warentest, herzlichen Glückwunsch zum Ge-burtstag, Sie leisten eine wertvolle Arbeit, und als Ge-burtstagsgeschenk werden wir Ihnen gleich die Mittelkürzen. – Nein, bei diesen Geburtstagsgeschenken kannman sich die Sonntagsreden sparen.
Wir könnten von diesem Geld beispielsweise1 000 Schuldner- und Finanzberatungsstellen finanzie-ren. Das wäre auch angemessen. Sie haben es selber ge-sehen: Die Anzahl der verschuldeten Haushalte ist er-neut gestiegen. Die durchschnittlichen Wartezeitenbetragen sechs Monate, in einzelnen Kommunen könnenes auch einmal eineinhalb Jahre sein. Damit vergeht vielzu viel Zeit, in der sich die Schuldenspirale weiter dreht,anstatt dass den Betroffenen geholfen würde. Wir müs-sen bei der Finanz- und Schuldnerberatung deutlichmehr zulegen. Deswegen werden wir als Linke das auchbeantragen.
Man könnte mit einem Bruchteil des Geldes aus denKartellstrafen beispielsweise auch die Marktwächterauskömmlich finanzieren, um tatsächlich und wirkungs-voll den Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten, aberauch in der immer komplizierter werdenden digitalenWelt zu stärken. Wir freuen uns, dass eine langjährigeOppositionsforderung nach solchen Marktwächtern auf-gegriffen wurde, aber wir, die wir uns damit beschäftigthaben, wissen auch: Diese 6,5 Millionen Euro sind zuwenig. Da hilft es auch nichts, dass die ursprünglich ver-anschlagten Kosten von 12 Millionen Euro auf Wunsch
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Caren Lay
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nach unten korrigiert wurden. Hier müssten wir eigent-lich viel mehr Geld in die Hand nehmen.
Es wird gerne gesagt, das gehe gar nicht und mankönne die Bußgelder dafür nicht einsetzen. Die ganzenVorschläge, die ich gemacht habe, fallen einfach deswe-gen weg, weil das Geld, das den Verbrauchern eigentlichzustehen würde, nicht etwa in den Haushalt des Verbrau-cherministers fließt, sondern weil es in den Haushalt desWirtschaftsministers fließt. Da frage ich mich, warumdas Geld, um das die Verbraucher betrogen wurden, amEnde ausgegeben wird, um die Wirtschaft zu unterstüt-zen. Das ist doch wirklich völlig absurd.
Ein beliebtes Argument in diesen Debatten ist, das seider kleinste Haushalt. Okay, 31 Millionen Euro sind imVergleich zum Gesamthaushalt nicht besonders viel. Eswird angeführt, es gehe auch darum, gute Gesetze zumachen. Na, bitte schön, dann machen Sie doch gute Ge-setze. Ich möchte Ihnen einige aktuelle Beispiele nen-nen. Eines hat schon eine Rolle gespielt.Nehmen wir die Mietpreisbremse. Das, was Sie, HerrMinister, hier vor kurzem in den Bundestag eingebrachthaben, lässt zu, dass die Länder selber entscheiden kön-nen, ob sie Ihr Gesetz umsetzen. Die Länder haben vielzu viel Zeit für die Umsetzung, sodass die Vermieterschön an der Preisspirale drehen können. Es gibt viel zuviele Ausnahmen und Bedingungen, und der Deckel, denSie gewählt haben, ist überhaupt nicht sachgerecht undwird die Mieten nicht deckeln. Nein, meine Damen undHerren, diese Mietpreisbremse ist bestenfalls eine Hand-bremse, und da müssen wir dringend nachbessern.
Oder nehmen wir die gesetzliche Deckelung der Dis-pozinsen; sie lässt ebenfalls auf sich warten. Sehr geehr-ter Herr Minister, Sie haben selber gesagt, Verbraucher-schutz sei kein Thema von Appellen. Dann möchte ichSie hier, ehrlich gesagt, an Ihre eigenen Worte erinnern:Haben Sie bitte den Mut, sich mit der Bankenlobby an-zulegen! Belassen Sie es nicht einfach bei mehr Transpa-renz, und führen Sie endlich einen gesetzlichen Deckelein!
Ich möchte zum Schluss noch auf das Projekt derFrauenquote zu sprechen kommen. Dieses Projekt be-grüße ich natürlich prinzipiell. Aber Ihre Behauptung,dass mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs derim Grundgesetz verankerte Gleichstellungsauftrag um-gesetzt werde, ist, glaube ich, ein bisschen übertrieben.Die feste Quote soll tatsächlich nur 108 Unternehmenbetreffen. Davon würden also gerade einmal 160 Frauentatsächlich profitieren. Dazu muss ich einfach sagen: Vordiesen 160 Frauen muss die CSU nicht zittern, und derHerr Fraktionsvorsitzende Kauder muss angesichts des-sen nicht so weinerlich werden. Meine Damen und Her-ren von der CDU/CSU-Fraktion, da müssen Sie keineAngst haben. Die Männerbündelei in Deutschlands Vor-standsetagen würde auch nach Verabschiedung diesesGesetzentwurfs weitergehen. Wir als Linke finden, es istdringend an der Zeit, dass wir das endlich beenden.Vielen Dank.
Der Kollege Dr. Hendrik Hoppenstedt hat für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Rechtspolitik wird bekanntlich nicht mit dem Scheck-buch gemacht. Das Bundesministerium der Justiz undfür Verbraucherschutz ist in erster Linie ein Gesetzge-bungs- und Beratungsministerium.Aber Rechtspolitik ist natürlich auch nicht zum Null-tarif zu haben. Mein Kollege Gröhler ist als Haushälterschon auf viele Details des Einzelplans 07 eingegangen.Auch ich möchte noch einmal auf den erheblichen Auf-wuchs im Personalhaushalt des Deutschen Patent- undMarkenamtes hinweisen. Mit weit über 50 neuen Stellenwird es in die Lage versetzt, Patentanmeldungen schnel-ler zum Abschluss zu bringen. Damit können Erfindun-gen zügiger auf den Markt gebracht werden, und das si-chert und schafft Arbeitsplätze in Deutschland. DiesesBeispiel zeigt, dass wir nach einem Jahr erfolgreicherGroßer Koalition neben den Verbesserungen im BereichOpferschutz, auf die ich gleich noch zu sprechen kom-men werde, viel für die Wirtschaft und den deutschenMittelstand getan haben und zukünftig auch noch tunwerden.Lassen Sie mich das anhand der Nennung von dreiBeispielen unterstreichen:Beispiel Nummer eins. Wir haben das Gesetz zur Be-kämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr be-schlossen und damit die EU-Zahlungsverzugsrichtlinieumgesetzt. Wenn insbesondere kleinere mittelständischeUnternehmen wochenlang auf die Begleichung einerRechnung warten und die Materialkosten vorfinanzierenmüssen, dann kann sie das schnell in den Ruin treiben,und das vernichtet Arbeitsplätze. Deshalb haben wir zurSicherstellung der Liquidität von kleineren und mittlerenBetrieben den bisweilen vorhandenen exorbitanten Zah-lungsfristen ein Ende gesetzt. Die in den allgemeinenGeschäftsbedingungen geregelten Zahlungsfristen wer-den grundsätzlich auf 30 Tage begrenzt. Die Vereinba-rung einer Zahlungsfrist von mehr als 60 Tagen ist nurdann wirksam, wenn sie ausdrücklich getroffen ist undim Hinblick auf die Gläubigerbelange nicht grob unbilligist. Bei den öffentlichen Auftraggebern, die ja bekannt-lich nicht immer die beste Zahlungsmoral haben, darfauch in Ausnahmefällen die 60-Tage-Frist nicht über-schritten werden. Regelmäßig wird auch hier die Fristbei 30 Tagen liegen.
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Dr. Hendrik Hoppenstedt
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Beispiel Nummer zwei. Die Beseitigung der Haf-tungsfälle für Handwerker im Mängelgewährleistungs-recht. Worum geht es hier? Kauft ein Handwerker, ohnedies zu wissen, mangelhaftes Material und baut dies beieinem Kunden ein, zum Beispiel Parkettstäbe, dann hatder Kunde aufgrund der werkvertraglichen Beziehungeneinen Nachbesserungsanspruch. Der Handwerker mussdie fehlerhaften Parkettstäbe auf seine Kosten ausbauenund fehlerfreie Parkettstäbe einbauen. Der Handwerkerseinerseits hat gegen seinen Verkäufer aber nur An-spruch auf Lieferung einer mangelfreien Sache, dasheißt, mangelfreier Parkettstäbe. Den wegen der hohenLohnkosten zumeist viel teureren Ausbau und den an-schließenden Einbau muss er aber selber tragen. DerHandwerker arbeitet also zweimal, bekommt aber nur ein-mal sein Geld. Deswegen haben wir uns im Koalitions-vertrag richtigerweise darauf verständigt, die Haftungs-falle für Handwerker im Mängelgewährleistungsrecht zubeseitigen. Handwerker und andere Unternehmer sollennicht pauschal auf den Folgekosten von Produktmängelnsitzen bleiben, die der Lieferant oder Hersteller zu ver-antworten hat.Wir wollen das Verursacherprinzip im Gewährleis-tungsrecht stärken. Wir streben dabei eine Lösung an,die sich bestmöglich in das Gewährleistungsrecht desBGB und damit in dessen Systematik einfügt und dieauch die berechtigten Interessen der übrigen Beteiligten,insbesondere die Interessen des Handels, angemessenberücksichtigt; der Handel ist normalerweise nicht fürProduktionsfehler verantwortlich.Zu dieser Frage wird das Bundesministerium der Jus-tiz gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Verbraucherrechtder Uni Bayreuth im nächsten Frühjahr ein Symposiumdurchführen. Danach werden wir uns erst mit dem Ko-alitionspartner, dann mit dem Ministerium und im An-schluss selbstverständlich mit dem gesamten Ausschussüber die konkrete rechtstechnische Umsetzung austau-schen und uns hoffentlich einigen.Beispiel Nummer drei. Wir möchten bei der Bewälti-gung von Konzerninsolvenzen zu Erleichterungen kom-men. Es geht darum, die Sanierungsmöglichkeiten vonUnternehmen zu verbessern. Das ist im Interesse derGläubiger, aber ausdrücklich auch im Interesse der Ar-beitnehmer.Das geltende Insolvenzrecht ist auf die Bewältigungder Insolvenz einzelner Rechtsträger zugeschnitten. Wennin einem Konzern mehrere Unternehmen in wirtschaftli-che Schwierigkeiten geraten, muss für jeden Unterneh-mensträger ein Insolvenzverfahren eröffnet und ein In-solvenzverwalter bestellt werden. Diese zwangsweiseDezentralisierung kann zu Nachteilen führen, wenn diezu dem Konzern zusammengeschlossenen Unternehmeneine wirtschaftliche Einheit bilden. Die Verwaltungs-und Verfügungsbefugnis über die konzernweit verfügba-ren Ressourcen, die bislang durch die Ausübung derKonzernleitungsmacht aufeinander abgestimmt war, wirdauf mehrere Insolvenzverwalter verteilt. Es wird damitschwieriger, die wirtschaftliche Einheit des Konzerns alssolche zu erhalten und ihren vollen Wert für die Gläubi-ger zu realisieren. Ziel des Gesetzentwurfs ist es daher,die im Fall einer Konzerninsolvenz zu eröffnenden Ein-zelverfahren über die Vermögen konzernangehörigerUnternehmen besser aufeinander abzustimmen.
Meine Damen und Herren, neben diesen mittelstands-freundlichen Regelungen geht es auch noch um denSchutz derer, die schwere Zeiten durchmachen, sei es,weil sie Opfer von Straftaten wurden, oder sei es, weilsie besonderes Leid erfahren haben. Auch hier möchteich drei Beispiele geben:Beispiel Nummer eins. Wir haben durch die Novelleim Sexualstrafrecht – das klang heute schon an – insbe-sondere Kinder und Jugendliche vor Missbrauch bessergeschützt. Der Fall Edathy hat einmal mehr gezeigt, dassein Markt für Kindernacktfotos existiert. Wir haben demHandel mit Nacktfotos von Kindern und Jugendlicheneinen Riegel vorgeschoben, um so die Würde der Kinderund der Jugendlichen zu schützen. Kinderfotos für dasFamilienalbum bleiben erlaubt. Der Handel und derTausch von Kindernacktfotos ist kriminelles Unrechtund muss auch entsprechend bestraft werden.Der Schutz in Obhutsverhältnissen wird ebenfallsverbessert. Für die Strafbarkeit sexueller Kontakte zwi-schen Lehrern und Schülern ist es künftig völlig unerheb-lich, ob der Lehrer nun Klassenlehrer oder Vertretungs-lehrer ist. Sexuelle Kontakte zu Schülern werden für alleLehrer einer Schule strafrechtliche Konsequenzen nachsich ziehen.Kinder und Jugendliche müssen besser vor Erwachse-nen geschützt werden, die sich im Internet und sozialenNetzwerken als Kinder ausgeben. Deswegen verschärfenwir das Strafrecht im Bereich des sogenannten Cyber-groomings. Als Union hätten wir uns durchaus noch ge-wünscht, dass auch der untaugliche Versuch unter Strafegestellt wird; Täter, die auf Lockvogelangebote von Er-mittlern eingehen, bleiben aber leider weiterhin straflos.Beispiel Nummer zwei. Wir gehen das Angehörigen-schmerzensgeld an. Wir werden einen eigenständigenSchmerzensgeldanspruch für Menschen schaffen, die ei-nen nahen Angehörigen durch Verschulden eines Drittenverloren haben. Anders als viele andere europäischeRechtsordnungen sieht das deutsche Recht einen solchenAngehörigenschmerzensgeldanspruch nicht vor. Bislangist Voraussetzung für einen Schmerzensgeldanspruchdes nahen Angehörigen, dass die Schwelle zum Schockund damit zu einer Gesundheitsverletzung des trauern-den Angehörigen überschritten wurde. Das ist aber nichtbesonders häufig der Fall.Das, meine Damen und Herren, führt zu Wertungswi-dersprüchen: Leichte Schleudertraumata werden ent-schädigt, nicht aber das viel schwerwiegendere, zum Teiljahrzehntelange Leid bei Verlust eines nahen Angehöri-gen. Auch im Falle der Ehrverletzung und selbst für denNutzungsausfall eines Pkw sowie für entgangene Ur-laubsfreude wird Schadenersatz gezahlt. Man könntedeswegen den Eindruck gewinnen, dass umso eherfinanzielle Kompensation geschuldet wird, je banaler dieRechtsverletzung ist, und umso weniger, je gravierender
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Dr. Hendrik Hoppenstedt
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die Rechtsverletzung ausfällt. Diese Rechtslage empfin-den wir als unbefriedigend.
Selbstverständlich kann die Einführung eines Ange-hörigenschmerzensgeldes den Verlust eines nahen Men-schen niemals ersetzen. Aber der Schmerzensgeld-anspruch wäre ein Symbol der Solidarität der Gesellschaftund zeigt, dass die Rechtsgemeinschaft das seelischeLeid auch entsprechend anerkennt.Und ein letztes Beispiel: die Vorratsdatenspeicherung.Offen ist auch dieses Projekt. In manchen Bereichen istdie Speicherung von Verbindungsdaten erforderlich, umschwere Straftaten aufzuklären und Terrorakte verhin-dern zu können. Um häufigen Missverständnissen vor-zubeugen: Es geht hier nicht darum, dass Korresponden-zen regelmäßig mitgelesen oder Gespräche mitgehörtwerden.
Die Telekommunikationsanbieter sollen lediglich so-genannte Metadaten speichern, das heißt: Wer hat mitwem wann und wie lange telefoniert? Im Bedarfsfallewürde so auf diese Kommunikationsdaten zugegriffenwerden können. Im Koalitionsvertrag haben wir uns da-rauf verständigt, dass die Vorratsdatenspeicherung nurbei schweren Straftaten und nach Genehmigung durcheinen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren fürLeib und Leben erfolgen soll. Richtig ist, dass der EuGHdie konkrete Richtlinie der EU zur Vorratsdatenspeiche-rung für nichtig erklärt hat.
Nachdem nun die konkrete Richtlinie gescheitert ist,geht es darum, eine europa- und verfassungsrechtlichkonforme Regelung für die Vorratsdatenspeicherung zufinden. Ich bin besonders dankbar, dass die SPD-Innen-minister in ihrer Berliner Erklärung vom 10. April 2014zum Ausdruck bringen, dass sie das genauso sehen. Ichzitiere:Verbindungsdaten müssen unter größtmöglicherBeachtung der Grundrechte und des Datenschutzeszur Verfolgung von Kinderpornographie, schwers-ter Fälle von Cybercrime und organisierter Krimi-nalität für eine sehr begrenzte Zeit zur Verfügungstehen.
Ich selber habe mich bei meinem Besuch beim BKAin Wiesbaden davon überzeugen können, wie wichtigdiese Vorratsdatenspeicherung auch für unsere Ermitt-lungsbehörden sind, die wir an dieser Stelle gerne unter-stützen möchten. Daher wünsche ich mir, dass wir alsKoalition dieses Thema noch deutlich beherzter aufgrei-fen als in der Vergangenheit, auch wenn ich weiß, dassdas rechtlich schwierig ist. Aber auch hier gilt der Satz:Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.Meine Damen und Herren, die genannten Beispielezeigen, dass wir auf dem Gebiet der Rechtspolitik schonviel erreicht haben, aber noch eine gute Wegstrecke voruns haben. Nach einem Jahr Mitgliedschaft im Deut-schen Bundestag kann ich für mich jedenfalls feststellen,dass die Koalition gute Gesetzentwürfe auf der Grund-lage der Arbeiten des Bundesministeriums der Justiz undfür Verbraucherschutz beschlossen hat, dass es in derRechtspolitik zwischen den Koalitionsfraktionen einegute und vertrauensvolle Zusammenarbeit gibt und dasses auch mit den Oppositionsfraktionen
trotz inhaltlicher Differenzen im Ausschuss ein zumin-dest nach meinem Dafürhalten sehr manierliches und or-dentliches Miteinander gibt. Ich habe das ja schon inmeiner letzten Rede gesagt. Da kam von der Oppositionder Zwischenruf: „Warten Sie es mal ab!“ Ich habe jetzteine ganze Weile gewartet, und ich muss sagen: Ich fühlemich in meiner Aussage durchaus bestätigt und freuemich deswegen auf die zukünftige Zusammenarbeit indiesem Ausschuss.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Nicole Maisch für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Dr. Hoppenstedt, ich habe vernommen, dass Siemit Anlauf zweimal gegen dieselbe Wand laufen wollen,nämlich bei der Vorratsdatenspeicherung.
Ich kann nur sagen: Hier hört für uns Grüne der Spaßauf. Wenn Sie einen Angriff auf unsere Bürgerrechtefahren, dann wird es hier in der Debatte durchaus unge-mütlich. Das möchten wir nicht zulassen. Wir halten IhrVorhaben hier für völlig falsch.
Aber wir sind ja heute zusammengekommen, um überden Haushalt zu reden. Man kann sagen, dass die Bera-tungen im Haushaltsausschuss durchaus erfolgreich wa-ren. Herr Maas, Sie haben viel Kritik eingesteckt. Aberes gibt auch Dinge, die man loben kann.Wir finden es als Grüne gut, dass der BundesverbandVerbraucherzentralen mehr Geld bekommt. Wir findenes gut, dass Sie endlich Geld für die Marktwächter inden Bereichen Finanzen und Digitales eingestellt haben.Wir finden es auch gut, dass Sie endlich einen Sachver-ständigenrat für Verbraucherfragen benannt haben undden auch finanzieren wollen.Aber – damit ist die lobende Vorrede vorbei – wennman so etwas Schlaues macht wie Marktwächter, waswir lange gefordert haben, dann muss man auch den Muthaben, alles zu tun, damit das Projekt ein Erfolg wird. So
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Nicole Maisch
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wie Sie das angelegt haben, sieht es ein bisschen so aus,als ob Sie sich eigentlich gar nicht trauen, dass dieMarktwächter erfolgreich werden. Warum ist das so? Siewollen weiter mit Projektförderungen operieren. Siewissen so gut wie ich, dass der Bundesrechnungshof dieProjektitis nicht gerne sieht. Hier kann man schon fra-gen: Ist es vor allem ein Ansinnen der Union, die Markt-wächter nach kurzer Zeit in Schönheit sterben zu lassen,oder warum finden sie nicht eine längerfristige, eine in-stitutionelle Finanzierung?Wenn man will, dass die Marktwächter auch wirklichbeißen und bellen können, dann brauchen sie auch diestrukturellen Voraussetzungen dafür. Dann brauchen sieein formales Beschwerderecht gegenüber der BaFin. Wirmüssen außerdem darüber nachdenken, ob wir nicht bes-sere Möglichkeiten der kollektiven Rechtsdurchsetzungfinden können.
Geld allein, so wichtig es ist, macht noch keinen gu-ten Verbraucherschutz. Das gilt insbesondere für denFinanzbereich. Hier haben Sie noch einige Versprechun-gen einzulösen. Sie haben Maßnahmen zur Begrenzungvon Dispozinsen angekündigt. Ich habe akzeptiert, dasses erst einmal keinen gesetzlichen Deckel geben wird.Aber Sie haben andere Möglichkeiten angedeutet undentsprechende Gesetze versprochen. Darauf warten wirnoch.Weil wir gerade beim Thema „Knietief im Dispo“sind, will ich noch auf den Kollegen Klaus-DieterGröhler eingehen. Er hat hier eine allgemeine Haushalts-rede gehalten, hat sich für die schwarze Null und einesolide Haushaltsführung gerühmt und hat dann auf dieLinken und die Grünen geschimpft.
Da muss ich Ihnen Folgendes sagen, liebe Kolleginnenund Kollegen: Wer so tief wie Sie in die Rentenkasse, inden Gesundheitsfonds und in den Topf für die Finanzie-rung der Infrastruktur fasst, der hat keine schwarze Nullaufzuweisen, sondern der steckt knietief im Dispo beiden kommenden Generationen. Das lassen wir Ihnen sonicht durchgehen.
Wenn wir uns den Haushalt für den Verbraucherschutzanschauen, dann finden wir dort hinsichtlich des nachhal-tigen Konsums eine Leerstelle. Verbraucher sind nicht nurschutzbedürftig, sondern sie sind auch mächtige Akteure,wenn es um mehr Tierschutz, mehr Umweltschutz undnachhaltigeren Konsum geht. Aber dafür braucht maneben auch die strukturellen Voraussetzungen: vor allemverlässliche Label und Siegel – zum Beispiel für grüneGeldanlagen, echten Ökostrom, aber auch für faire Klei-dung. Hier, finde ich, ist der Verbraucherschutzministerin der Verantwortung, den Kollegen Müller nicht schei-tern zu lassen
und dieses Textilsiegel zum Erfolg zu führen. Hier soll-ten Sie Ihren Kollegen unterstützen, damit das Ganze zueinem Erfolg wird; denn so, wie es im Moment angelegtist, ist es eher dazu geeignet, ein Rohrkrepierer zu wer-den.
Ich möchte, dass Sie sich weiterhin dafür einsetzen,dass wir bessere Informationsansprüche im VIG habenund dass Sie Kampagnen für nachhaltigere Konsum-muster und für bessere Produkte fahren. Grüner undnachhaltiger Konsum ist eine große Macht bei derTransformation der Wirtschaft. Hier kann der Verbrau-cherschutzminister einfach noch mehr tun.
Herr Maas, ich wundere mich schon, dass es beimThema TTIP um Sie sehr ruhig geworden ist. Vor eini-gen Monaten hörte sich das noch sehr mutig an. Da ha-ben Sie den Bürgern in unterschiedlichsten Zeitungs-interviews viel versprochen. Ihr erstes Versprechen war:keine Absenkung von Standards. Sie stehen in der Ver-antwortung, zu erklären, wie regulatorische Kooperatio-nen mit einem System – nämlich dem der USA – mög-lich sein sollen, welches das Vorsorgeprinzip nichtkennt. Wie soll es eine regulatorische Kooperation undgleichzeitig den Erhalt des Vorsorgeprinzips geben?Vielleicht ist das möglich. Aber Sie sind in der Verant-wortung, es zu erklären.
Sie haben auch gesagt: keine Investor-Staats-Schieds-gerichte. Das heißt, Sie haben den Bürgerinnen und Bür-gern versprochen, dass es keine undemokratische Kon-zernjustiz gibt. In dieser Deutlichkeit – das muss ichganz offen sagen – habe ich das von Ihnen lange nichtmehr gehört. Das mag damit zusammenhängen, dasssich Ihr Parteivorsitzender und WirtschaftsministerSigmar Gabriel von der Forderung „keine Investor-Staats-Schiedsgerichte“ klammheimlich verabschiedet.Jetzt sind Sie als Verbraucherschutzminister gefragt, ge-genüber den Bürgerinnen und Bürgern Ihr Versprechenzu halten: kein Ausverkauf von Verbraucher- und Daten-schutz und keine Sonderjustiz für Konzerne.
Hier steht nicht nur der europäische Standard für Ver-braucher- und Datenschutz auf dem Spiel, sondern auchIhre Glaubwürdigkeit als Minister.Ich bedanke mich.
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin ElviraDrobinski-Weiß das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Maisch,ich bitte Sie, einfach mal in den Beschluss unseres Par-teikonvents zu schauen. Dann wissen Sie, was unsereund die Position des Wirtschaftsministers zum ThemaTTIP ist. Ich denke, damit ist alles gesagt.Wenn in den vergangenen Jahren im Rahmen derHaushaltsberatung über die Politik des Verbraucherschutz-ministeriums gesprochen wurde, dann musste ich leiderimmer Begriffe wie Placebo oder Etikettenschwindel be-nutzen. Das ist heute zum Glück anders; denn dieserHaushalt zeigt: SPD wirkt.
Wir haben es zusammen mit unserem Koalitionspartnerin diesem Haushalt geschafft, wichtige Weichen für einewirksame Verbraucherpolitik zu stellen.Wir haben einen Sachverständigenrat für Verbrau-cherfragen eingerichtet, der jetzt seine Arbeit aufgenom-men hat. Frau Künast, das ist jetzt gerade einmal dreiWochen her. Ich denke, dann ist es auch recht, dass erjetzt noch keine Ergebnisse zeitigen kann. – Unser Zielist eine effektive, eine empirisch fundierte Verbraucher-politik, also keine Placebos mehr. Die Verbraucherfor-schung kann viel dazu sagen, welche Instrumente effek-tiv sind, welche Informationen Verbraucherinnen undVerbraucher in der konkreten Entscheidungssituationnutzen und welche Gesetze wie verbessert werden müs-sen. Der Sachverständigenrat wird uns genau dabei un-terstützen.Welche Weichen haben wir noch gestellt? Der Start-schuss für die Marktwächter ist im Oktober gefallen. Wirhaben in der Bereinigungssitzung zum Haushalt 2015noch einmal 1,135 Millionen Euro draufgesattelt. Insge-samt stehen den Marktwächtern rund 5,6 Millionen Euroin 2015 zur Verfügung – wie ich finde, ein toller Erfolg.
Mit dem Kleinanlegerschutzgesetz – ich würde hiergerne vom Sparerschutzgesetz sprechen – sorgen wir da-für, dass die BaFin als Behörde nun auch die Marktauf-sicht im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes wahr-nehmen kann. Einzelne Verletzungen des AGB-Rechtsund rechtswidrige Bankgebühren werden der vzbv unddie Verbraucherzentralen in ihrer Marktwächterfunktionweiterhin durch Abmahnungen und Klagen abstellen.Die verbraucherpolitischen Herausforderungen neh-men weiter zu, auch bei der Interessenvertretung derKonsumentinnen, dem Verbraucherzentrale Bundesver-band: Datenschutz, digitale Welt, Onlinehandel. SeitJahren hat der vzbv darauf aufmerksam gemacht, dass ermehr Personal braucht, um diesen Herausforderungengerecht werden zu können. Mit dem Haushalt werdendie hierfür nötigen Mittel bereitgestellt. Beispielsweisewird das vzbv-Büro in Brüssel nun auf Dauer eingerich-tet. Angesichts der gewachsenen Aufgaben erhält dervzbv im Jahr 2015 865 000 Euro zusätzlich; auch das istschon erwähnt worden. Damit können tatsächlich dieFachleute für die eben genannten Bereiche der digitalenWelt eingestellt werden.Welche Weichen haben wir noch gestellt? Im Bundes-ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wer-den zwei neue Referate eingerichtet, um auch hier dengestiegenen Anforderungen gerecht zu werden: ein Re-ferat „Besondere Verbrauchergruppen“ – Dennis Rohdehat es bereits ausgeführt – und ein Referat „Kundenbe-ziehungen in der digitalen Welt“. Hier geht es darum,unsere Daten zu schützen, die sonst nur gesammelt wer-den.Neulich titelte die Berliner Zeitung: „Sicher sind nurStempelkarten“. Das sind die Karten, die bei einem Ein-kauf in einem bestimmten Geschäft, in dem man öftereinkauft, gelocht oder abgestempelt werden. Diese Da-ten kann man nicht erfassen. Aber wenn man heute beimEinkauf eine Plastikkarte nutzt – man kennt die Frage ander Kasse: „Haben Sie eine Payback-Karte?“ –, dannwerden natürlich die Daten gesammelt. Dies geht inzwi-schen auch über Apps auf dem Smartphone. Das ist lei-der Standard. Eine Firma hat einmal festgehalten: Nachdrei Käufen kennt das Computernetzwerk des Unterneh-mens das Kaufverhalten des Kunden mindestens in denGrundzügen, nach zehn Einkäufen weiß man schon sehrgut Bescheid. Für ein wenig Rabatt oder müheloses Be-zahlen nutzt man die Karten bzw. Apps, und niemandweiß, was mit den Daten passiert. Hier ist es wichtig, zuanalysieren und zu reglementieren, was mit unseren Da-ten passiert. Transparenz ist also notwendig: Wer sam-melt welche Daten, wer nutzt sie wofür, und wer gibt sieeventuell an wen weiter? – Die Wahrung der Privatsphäreund der Schutz der informationellen Selbstbestimmungmüssen sichergestellt werden. Das, Frau Maisch, istauch ein Anliegen der Großen Koalition.Wir wollen also eine Verbraucherpolitik, die wirkt.Wie Sie sehen, haben wir im Haushalt 2015 die Weichendafür gestellt. Aber es gibt noch einige andere Themen,um die wir uns kümmern müssen, beispielsweise um dasThema Rechtsdurchsetzung oder aber um das Thema– auch das ist schon angesprochen worden – der Ab-schöpfung von Kartellstrafen. Wir alle sind davon über-zeugt, dass das Kartellamt gute Arbeit leistet. Tatsäch-lich sind in diesem Jahr fast 1 Milliarde Euro Bußgelderzusammengekommen. Wir fordern auch hier, dass einTeil davon – da bin ich mir mit der Frau Kollegin Lay ei-nig – für Verbraucherpolitik eingesetzt wird. Wir müssendarauf achten, dass Kartellsünder unrechtmäßig erwirt-schaftete Gewinne nicht behalten; denn ich glaube, daswürde falsche ökonomische Anreize setzen.Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Die weni-gen von mir genannten Punkte – darüber hinaus gibt esnoch weitere – stellen die Weichen für eine solide Ver-braucherpolitik. Ich danke unserem Haushälter DennisRohde und auch Herrn Gröhler von der CDU/CSU fürihre Unterstützung. Ich wünsche unserem Minister Maasund auch unserem Staatssekretär Kelber viel Erfolg beider Umsetzung aller unserer Vorhaben.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6465
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Die Kollegin Mechthild Heil hat für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! UnsereVerbraucherpolitik, die Verbraucherpolitik der CDU/CSU, basiert auf fünf Säulen: erstens Verbraucherfor-schung, zweitens Verbraucherbildung, also gezielte För-derung der Verbraucherkompetenz, drittens Transparenzund gute Informationen für Verbraucher, viertens einklarer Rechtsrahmen und fünftens wirksame Rechts-durchsetzung.Zur ersten Säule, der Verbraucherforschung. GuteVerbraucherpolitik orientiert sich an den Realitäten derVerbraucher. Unsere politischen Entscheidungen müssensich stets am Alltag der Verbraucher orientieren und dorterfolgreich sein. Um ein möglichst realistisches Bild derVerbrauchersorgen zu erhalten, stellen wir im Haushalt2015 erneut Geld ein: 637 000 Euro für die Verbraucher-forschung und für die Finanzierung einer Stiftungspro-fessur für Verbraucherrecht immerhin 225 000 Euro.Aber damit nicht genug. Wir tun noch mehr. Wir ha-ben auch einen Sachverständigenrat für Verbraucherfra-gen eingerichtet, der sich bereits im November diesesJahres konstituiert hat. Der Sachverständigenrat soll dasBundesministerium beraten, und er soll Gutachten er-stellen und Empfehlungen abgeben. Wichtig dabei ist,dass der Sachverständigenrat unabhängig ist. Wir habenauch Gelder für die Finanzierung einer Geschäftsstelledieses Sachverständigenrates bereitgestellt.Ich kämpfe für eine Verbraucherpolitik, die empirischfundiert und wissenschaftlich reflektiert ist. Eine solchePolitik greift auf den Sachverstand von Experten zurückund auf Erkenntnisse aus der Verbraucherforschung.Aber damit nicht genug. Wir gehen noch viel weiter.Wir sorgen auch für intensive Marktbeobachtung durchspezialisierte Verbraucherzentralen. Wir stellen über5 Millionen Euro zur Verfügung, damit diese speziali-sierten Verbraucherzentralen ihre Funktion als Beobach-ter wahrnehmen können, und zwar besonders in zweiBereichen: zum einen im Bereich des Finanzmarktes undzum anderen in der digitalen Welt.Damit die Erkenntnisse des Marktwächters DigitaleWelt tatsächlich aufgegriffen und ausgewertet werdenkönnen, stellen wir dem Ministerium Mittel für die Ein-richtung eines Referats zur Verfügung, Frau Drobinski-Weiß, das sich mit Kundendatenschutz beschäftigt.Bei aller Forschung und Wissenschaft, bei aller Markt-beobachtung und Schwachstellenauswertung bleibt einesjedoch immer wahr: Jeder von uns, jeder Kunde und jederVerbraucher, sollte in der Lage sein, gute Produkte undDienstleistungen zu erkennen und von schlechten zu un-terscheiden. Wir müssen lernen, Risiken einzuschätzen,um nicht auf unseriöse Geschäftemacher hereinzufallen.Das kann uns kein Staat, das kein Wissenschaftler undauch keine Verbraucherzentrale abnehmen.Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Nehmen wir das Gesetzgegen unseriöse Geschäftspraktiken. Wir haben dafürgesorgt, dass Verbraucher besser vor unerwünschten Te-lefonanrufen, vor unseriösen Inkassofirmen und unge-rechtfertigten Abmahnungen geschützt sind. Das Gesetzist da. Vielen unseriösen Firmen konnten wir damit dasHandwerk legen. Aber leider wird es auch weiterhin einekleine Schar von schwarzen Schafen geben, die sich ankein Gesetz halten und durch Betrug versuchen, an Geldzu kommen. Gegen solche kriminellen Machenschaftenhilft dem Kunden nur: gute Information über seineRechte und eine einfache Rechtsdurchsetzung.Ein anderes Beispiel ist die Pleite des Windkraftkon-zerns Prokon, bei der auch viele Kleinanleger ihr Geldverloren haben. Die Stiftung Warentest hat davor ge-warnt, die Verbraucherzentralen hatten gewarnt. Aberfür manchen Verbraucher war die Verlockung wohl zugroß und der Zusammenhang zwischen Rendite und Ri-siko offenbar doch unklar.Mit dem Kleinanlegerschutzgesetz schützen wir dieseVerbraucher nun deutlich besser vor riskanten Anlage-möglichkeiten. Aber die Entscheidung für oder gegeneine bestimmte Finanzanlage muss der Verbraucher wei-terhin selber treffen. Nach unserer tiefsten Überzeugungdarf der Staat seine Bürger nicht bevormunden, und erdarf ihnen nicht die Freiheit der Entscheidung nehmen.Unsere Position ist klar: Wir wollen die Verbrauchergrundsätzlich befähigen, gute und richtige Entscheidun-gen für sich zu treffen. Das ist die zweite Säule unsererVerbraucherpolitik: die Verbraucherbildung. Wir wissenund haben es auch im Koalitionsvertrag niedergeschrie-ben, dass Verbraucher eben unterschiedlich sind und un-terschiedliche Hilfestellungen benötigen. Dem tragenwir Rechnung, indem wir dem Bundesministerium derJustiz und für Verbraucherschutz Mittel für die Einrich-tung eines Referates „Besondere Verbrauchergruppen“zur Verfügung stellen. Uns ist wichtig, dass die besonde-ren Bedürfnisse zum Beispiel junger Menschen, von Se-nioren oder Menschen mit Migrationshintergrund in un-serer Verbraucherpolitik beachtet werden. Das Referatsoll Vorschriften im Hinblick auf diese besonderen Ver-brauchergruppen weiterentwickeln und auch Konzeptefür zielgruppenorientierte Angebote erstellen.Kommen wir zur dritten Säule: Information undTransparenz. Damit Verbraucher die Angebote an Warenund Dienstleistungen verstehen und sinnvoll vergleichenkönnen, benötigen sie Informationen. Das Problem istheute allerdings nicht, dass Informationen fehlen, ganzim Gegenteil: Wir werden geradezu überflutet von Infor-mationen. Verbraucherinformationen müssen deswegengut sein. „Gut“ heißt in diesem Zusammenhang: Siemüssen relevant, sie müssen übersichtlich und sie müs-sen verständlich sein.Ein Beispiel: die allgemeinen Geschäftsbedingungen.Es würde jeden von uns ungefähr 76 Tage pro Jahr kos-ten, wenn wir alle Nutzungsbedingungen oder Daten-schutzerklärungen lesen würden, die wir im Alltag lesen
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6466 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Mechthild Heil
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müssten oder die uns begegnen und die wir meistensohne irgendeine Prüfung akzeptieren. Das kann mandoch eigentlich niemandem zumuten. Klar: Unser BGBschützt uns vor überraschenden Klauseln in AGB, aberdas reicht leider nicht. Die Informationen in den AGBmüssen so aufbereitet sein, dass sie nicht nur für Juris-ten, sondern auch für Verbraucher verständlich sind.Denn der Verbraucher unterschreibt den Vertrag. Er setztdas Häkchen beim Onlinekauf. Der Kunde alleine undnicht der Jurist trägt nachher die Konsequenzen. Einwichtiges Thema, an dem wir und ganz besonders ichdranbleiben wollen.
Das Gleiche gilt für die Lebensmittel. Bei Lebensmit-teln muss gelten: Was drin ist, muss auch draufstehen –und andersherum. Im Dezember tritt die Lebensmittelin-formations-Verordnung in Kraft. Ab dem 13. Dezember2014 müssen auf Lebensmittelverpackungen in ganzEuropa Angaben über den Brennwert, die Menge vonFett und gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydrate, Zucker,Eiweiß und Salz stehen. Hinzu kommen Vorgaben fürdie Schriftgröße und die Hervorhebung von Allergenenin den Lebensmitteln.Was bei der Kennzeichnung von Lebensmittelnselbstverständlich ist, das sollte doch auch bei homöopa-thischen Mitteln gelten. Der Verbraucher muss verstehenkönnen, was drin ist, und zwar besonders dann, wenn esum seine Gesundheit geht. Deshalb muss an dieser StelleSchluss sein mit der Kennzeichnung auf homöopathi-schen Mitteln auf Latein.
Zur vierten Säule. Die Verbraucher benötigen einenverlässlichen Rechtsrahmen. Seit Beginn der jetzigen18. Legislaturperiode ist der Verbraucherschutz beimBundesministerium der Justiz angesiedelt, einem zentra-len Verfassungsressort, das an jedem Gesetzgebungsver-fahren beteiligt ist – ein Tatbestand, der hilft, den Inte-ressen der Verbraucher in allen Gesetzgebungsverfahrennoch stärker Rechnung zu tragen.Gute gesetzliche Rahmenbedingungen allein reichenaber auch hier nicht aus. Wir brauchen auch eine wir-kungsvolle Rechtsdurchsetzung. Sonst bleiben alle ver-braucherpolitischen Maßnahmen und Gesetze stumpfeSchwerter. Wir haben deshalb beispielsweise vereinbart,dass wir es den Verbraucherverbänden ermöglichen, da-tenschutzrechtliche Verstöße abzumahnen und Unterlas-sungsklagen zu erheben. Wenn also Daten unzulässig er-hoben, verarbeitet oder genutzt werden, könnten, wennwir es durchsetzen, die Verbraucherverbände dagegenvorgehen. Rechtlich ist das nicht ganz einfach – das istuns bewusst –, aber wir arbeiten daran.Um all diese Ziele zu erreichen, brauchen wir Partner.Wir brauchen Institutionen, die wir finanzieren und diedie Aufgabe haben, die Verbraucher zu informieren, zuunterstützen und zu schützen. Einen unserer Partner, dieVerbraucherzentralen, stärken wir mit dem Haushalt2015, mal wieder, mit zusätzlich 1,3 Millionen Euro.Die Verbraucherzentralen erhalten im Jahr 2015 also ins-gesamt 10,8 Millionen Euro.Um es auf den Punkt zu bringen: Die Große Koalitiontut viel für die Verbesserung des Verbraucherschutzes.Dieses „viel“ lässt sich aber nicht bloß in Euro und Centbeziffern. Unsere Verbraucherpolitik ist mehr als nur dieSumme einzelner Haushaltstitel. Unser Politikansatz istklar: Wir sorgen für die bestmöglichen Rahmenbedin-gungen, damit die Verbraucher gute Entscheidungentreffen können, und wir vertrauen den Entscheidungender Menschen in unserem Land. Das ist unser Funda-ment. Darauf gründen sich die Säulen unserer Verbrau-cherpolitik. Das werden wir auch in Zukunft so halten.Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Metin Hakverdi
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zu Beginn meiner Rede möchte ich zum Ausdruck brin-gen, dass es mir eine große Ehre und eine große Freudeist, dabei zu sein, wenn nach über 40 Jahren der ersteBundeshaushalt ohne Schulden aufgelegt wird.
Wir kommen damit einer schon vor Jahren verfassungs-rechtlich verankerten Verpflichtung nach. Ich danke al-len, die hierzu ihren Beitrag geleistet haben. Das ist einhistorisches Ereignis.
Im Einzelplan 07 wird deutlich, dass wir den Verbrau-cherschutz noch stärker in den Mittelpunkt gerückt ha-ben. Viele meiner Vorredner haben das schon erwähnt,ich will das trotzdem noch einmal tun. Ich möchte die5,5 Millionen Euro hervorheben, die wir für die Einrich-tung von Marktwächtern in den Verbraucherzentralen in-vestieren. Mir ist der Marktwächter für die digitale Weltbesonders wichtig. Bereits heute wird im Internet einge-kauft, es wird Pizza bestellt und es werden Reisen ge-bucht. Im Internet beschafft man sich Unterhaltung inForm von Spielen und Filmen. Das Internet ist Ort sozia-ler Interaktion. Die Wahrheit ist aber auch: Die zukünf-tige Entwicklung im dynamischen Lebensraum Internetkönnen wir heute gar nicht absehen. Es wird Entwick-lungen geben, die wir uns heute noch gar nicht vorstellenkönnen. Vor allem deshalb finde ich es wichtig, dass wirdiese Marktwächter ins Leben gerufen haben und mitden entsprechenden finanziellen Mitteln ausstatten. Un-lautere Angebote müssen aufgespürt werden, Verbrau-cherinnen und Verbraucher müssen vor ihnen geschütztwerden.Aber auch der Bereich des Datenschutzes ist für dieEntwicklung unserer Gesellschaft von vitaler Bedeu-tung. Fast jede Woche erscheint ein neues Buch, das sich
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6467
Metin Hakverdi
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mit der Gefahr der digitalen Gesellschaft für unsere Bür-gerrechte befasst. Der Datenschutz wird eines der wich-tigsten Themen dieses Jahrzehnts bleiben. Die Diskus-sion über Big Data, über intelligente Algorithmen undden gläsernen Bürger sowie die Snowden-Affäre zeigen,dass in diesem Feld die Politik nicht hinterherhinkendarf. Die Reform des Bundesdatenschutzgesetzes ist einweiterer wichtiger Schritt zur Wahrung der bürgerlichenFreiheiten. Eine wirksame Aufsicht kann nur durch eineunabhängige Institution gewährleistet werden. Daher istes richtig, die Bundesdatenschutzbeauftragte aus derBindung an das Innenministerium in die Unabhängigkeitzu entlassen. Aber damit wird es nicht getan sein. Wirmüssen auch dafür sorgen, dass diese Institution perso-nell und sachlich auskömmlich ausgestattet wird.Ein weiteres wichtiges Thema für die Zukunft unsererGesellschaft ist die Einführung einer Frauenquote inAufsichtsräten. Im Koalitionsvertrag haben wir Folgen-des vereinbart – ich zitiere –:Wir wollen den Anteil weiblicher Führungskräfte inDeutschland erhöhen.Wir wollen ihn erhöhen.Deshalb werden wir zu Beginn der 18. Wahlperiodedes Deutschen Bundestages Geschlechterquoten inVorständen und Aufsichtsräten in Unternehmen ge-setzlich einführen.Mit der Einführung einer Frauenquote von 30 Prozentin Aufsichtsräten gehen wir einen ersten Schritt, um eineUngerechtigkeit in unserer Gesellschaft zu beheben. Esgeht nicht an, dass Frauen schlechtere Aufstiegschancenin unserer Gesellschaft haben, weil sie auf eine Unter-nehmerwelt treffen, die von Männern dominiert wird.Über Jahre haben Frauen wegen dieser strukturellen Vo-raussetzungen schlechtere Aufstiegsmöglichkeiten ge-habt. Wir können diesem Zustand nicht mehr tatenloszusehen. Zusicherungen der Unternehmen haben offen-sichtlich keine Verbesserung bewirkt; das haben wir ge-sehen. Es ist an der Zeit, dass wir endlich Entscheidun-gen treffen.
Wen ich mit diesem Gerechtigkeitsargument hier undheute nicht überzeugen kann, dann vielleicht mit einemökonomischen – liebe Kolleginnen und Kollegen vonder Union, ich sage das ohne jeden Zynismus, sondern involler Kollegialität –: Das Argument „Wir können unsdie Frauenquote wirtschaftlich nicht leisten“ ist falsch.Fatal an dieser Argumentation ist, dass das Gegenteilrichtig ist.Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Anzahlvon Frauen in Führungspositionen und unternehmeri-schem Erfolg. Letzten Mittwoch ist die letzte Studie zudiesem Thema veröffentlicht worden – es wird übrigensseit Jahrzehnten immer das Gleiche publiziert; ich willjetzt aber nicht die ganze Liste aufzählen –, und zwareine von McKinsey; Sie zwingen also einen Sozialdemo-kraten, im Deutschen Bundestag eine McKinsey-Studiezu zeigen.
Sie stammt, wie gesagt, vom letzten Mittwoch, und sieist seit Freitag letzter Woche online. In dieser Studie„Diversity Matters“ wird auf den signifikanten Zusam-menhang zwischen der wirtschaftlichen Performanceund dem Anteil von Frauen in Führungspositionen hin-gewiesen. McKinsey ist keine Vorfeldorganisation derdeutschen Sozialdemokratie, und die Studie ist auchnicht von der SPD in Auftrag gegeben worden. Diese Er-kenntnis ist auch nicht neu; bereits 2007 wurde das in ei-ner Studie festgestellt. Was für politische Rückschlüssesind daraus gezogen worden? Keine, sieben lange Jahre.Wenn wir die Selbstverpflichtung am Anfang des letztenJahrzehnts hinzunehmen, heißt das: über ein Jahrzehntverlorene Zeit. Es ist an der Zeit, das zu ändern.
Zum Schluss möchte ich auf das Thema Sterbehilfeeingehen. Wenn wir in diesem und im kommenden Jahrüber Sterbehilfe sprechen, sprechen wir über unserSelbstverständnis vom Menschsein. Dieses Selbstver-ständnis ist von Mensch zu Mensch höchst unterschied-lich. Sterben ist eben eine konkrete Angelegenheit fürjede einzelne Person. Es gibt aber auch eine ethischeKlammer, die unser gesellschaftliches Zusammenlebenerst ermöglicht. Diese ethische Klammer ist durch unserStrafgesetzbuch als Minimalkonsens abgesichert. Nurdas, was für das Zusammenleben zwingend erforderlichist, sichern wir strafrechtlich ab, nicht mehr, aber auchnicht weniger. Das Strafgesetzbuch ist nicht der Ort, umindividuelle ethische Vorstellungen durchzusetzen. Indiesem Geiste sollten wir auch diese Debatte führen. Aufdiese Weise schaffen wir den Raum für Vielfalt und un-terschiedliche Lebens- und Sterbensentwürfe in unseremLand.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der vorliegende Etat ist klein, aber fein. DieAusgabensteigerungen sind moderat und betreffen denGeneralbundesanwalt, damit er der steigenden Zahl derErmittlungsverfahren begegnen kann. Das ist eine rich-tige und leider notwendige Maßnahme. In Zeiten einerzunehmenden Bedrohung der inneren Sicherheit hat derStaat den Schutz zu erhöhen. Dazu gehören auch Stellen-schaffungen bei Polizei und Justiz.
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6468 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Dr. Volker Ullrich
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Die Aussprache über diesen Etat ist stets auch eineDebatte über die Leitlinien der Rechtspolitik.Im Bereich des Wirtschaftsrechts bedeutet dies: DerStaat hat eine funktionsfähige und verlässliche Wirt-schaftsordnung mit Rechtssicherheit zu garantieren. Wirhaben die Balance zwischen notwendiger Regulierungund praktischer Umsetzbarkeit zu halten. Das gilt bei-spielsweise für die Überlegungen zur Einführung einesUnternehmensstrafrechts. Der Koalitionsvertrag emp-fiehlt lediglich, ein Unternehmensstrafrecht zu prüfen.Sympathie zeigt der Bundesjustizminister für den Ge-setzentwurf des Landes Nordrhein-Westfalen. DieserEntwurf ist aber keine tragfähige Diskussionsgrundlage.
Er sieht nämlich vor, dass die strafrechtliche Verantwor-tung von Unternehmen und Verbänden nach dem Musterder Anklage und des Strafverfahrens ausgestaltet wird.Als Sanktionen des strafrechtlichen Verfahrens kommenGeldstrafen oder gar die Auflösung des Unternehmens inBetracht. Damit sei eine Konsequenz angedeutet: Dasgeplante und diskutierte Unternehmensstrafrecht könnteim Ergebnis dazu führen, dass Arbeitnehmer mit demArbeitsplatzverlust für das Fehlverhalten von Managernhaften. Das ist nicht unser Ansatz einer gerechten Poli-tik.
Auch verletzt ein solches Unternehmensstrafrecht dasPrinzip der Schuld. Schuld setzt individuelle Vorwerf-barkeit voraus und ist ein sozialethisches Unwerturteilüber persönliches Fehlverhalten. Das passt nicht zu Un-ternehmen.Es gibt auch keinen Handlungsbedarf für ein Unter-nehmensstrafrecht. Wir müssen die jetzigen Vorschriftendes Ordnungswidrigkeitenrechts und die Vorschriftenüber den Vermögensverfall nur ordentlich ausreizen undausschöpfen. Deswegen sei angeraten, die Prüfung derEinführung eines Unternehmensstrafrechts zügig zumAbschluss zu bringen und die Diskussion im Interesseeines funktionierenden Strafrechts zu beenden.
Im Bereich des Wirtschaftsrechts sei aber auch einWort zum Gesetzentwurf zur Frauenquote verloren. Umeines vorweg zu sagen: Wir stehen ohne Wenn und Aberzu dem, was im Koalitionsvertrag vereinbart wurde.
Wichtig erscheint mir aber: Die Ausgestaltung derFrauenquote hat so zu erfolgen, dass sie sowohl verfas-sungsrechtlichen Anforderungen standhält als auch imtatsächlichen Vollzug handhabbar bleibt.Gerade bei der Festlegung von verbindlichen Quoten-zielen für mittelgroße Unternehmen dürfen keine Doku-mentationspflichten entstehen, die für Mittelständler nurmit einem hohen oder zu hohen Aufwand zu handhabensind.
Eine solche Quote haben wir nicht vereinbart.
Zukünftig soll bei börsennotierten und mitbestim-mungspflichtigen Unternehmen eine Quote von 30 Pro-zent Frauen im Aufsichtsrat gelten.
Wird die Quote nicht erreicht, bleibt der Sitz unbesetzt.Dieser Eingriff in die Personalhoheit der Unternehmenist sicherlich zulässig, aber wir müssen bei dieser Rege-lung auch die verfassungsrechtlich geschützte Positiondes Eigentums immer mit ins Auge fassen.
Die gebotenen Nachbesserungen am Gesetzentwurfzur Frauenquote sind allerdings nicht so eilig und nichtmit so großer Priorität vorzunehmen, wie manche dasverlangen.
Wenn man den Interviews der letzten Tage gefolgt ist,dann hat man den Eindruck bekommen, dass die Fami-lienministerin gerade nur ein Thema zu haben scheint:die Durchsetzung der Quote. Die Menschen fragen aberzu Recht: Gibt es nicht wesentlich wichtigere Fragen?
Ich sage Ihnen: Ja, diese Fragen gibt es.
Ich nenne beispielsweise den Kampf gegen Zwangs-prostitution und Menschenhandel.
Wir wissen, dass es in diesem Land bei der jetzigen Ge-setzeslage zu einer Verletzung der Menschenwürdekommt, und es ist sicherlich zu fragen, weshalb die fe-derführenden Ministerien die Priorität andersherum set-zen.
Warum gibt es nicht endlich einen Gesetzentwurf zurReform des Prostitutionsgesetzes? Warum heben wirnicht das Mindestalter auf 21 Jahre an? Warum schaffenwir nicht das Weisungsrecht ab?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6469
Dr. Volker Ullrich
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Warum regeln wir nicht das, was die Menschenwürdeverletzt, und beginnen mit den Gesetzesvorhaben, die indiesem Land eine hohe Priorität haben?
Ebenso keinen Aufschub verdient die Wiedereinfüh-rung der Strafbarkeit der Sympathiewerbung für terroris-tische Organisationen. Wer Sympathiewerbung für terro-ristische Vereinigungen betreibt, wirbt für Terror undGewalt. Das darf der Rechtsstaat nicht akzeptieren.
Der wehrhafte Rechtsstaat hat sich zu seinen ihn begrün-denden Werten zu bekennen. Dazu gehört auch die ge-setzgeberische Wertentscheidung, die Sympathiewer-bung für terroristische Vereinigungen wieder unterStrafe zu stellen.
Sie abzuschaffen, war ein Fehler.
Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung des Kollegen Volker Beck?
Ja.
Da Sie zum Thema Sympathiewerbung für terroristi-
sche Organisationen gesprochen haben: Sie sind mit mir
der Auffassung, dass die PKK eine terroristische Organi-
sation ist?
Würden Sie tatsächlich jemanden für den Satz bestrafen
wollen: „Wir danken der PKK, dass sie die Jesiden von
ISIS befreit hat“? – Das ist eine Sympathiewerbung und
wäre nach Ihrer Auffassung strafbar.
Ich finde, das müsste nicht sein.
Die entscheidende Frage, Kollege Beck, ist, ob wir in
diesem Land Menschen bestrafen wollen, die Sympathie
mit den Mörderbanden von ISIS haben,
die Sympathie für die Terrorbande des NSU äußern.
Das ist die entscheidende Frage.
Sie müssen bei der Frage des strafrechtlichen Schut-
zes auch die aktuellen Zustände berücksichtigen
und dürfen nicht theoretische Konstrukte wählen.
Ein funktionierender Rechtsstaat, der die Sicherheit
der Bürger schützt, ist ein hohes Gut. Darauf sind unsere
Anstrengungen zu richten. Die Menschen haben das
Recht, sich sicher zu fühlen und sicher zu sein: sicher
vor Terroristen und Extremisten, sicher vor Einbrechern
und dem organisierten Verbrechen, sicher auf den Stra-
ßen und Plätzen unserer Städte. Nur so bleibt die Freiheit
gewahrt.
Wir dulden nicht und werden nicht dulden, dass unter
dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit Gewaltfan-
tasien ausgelebt werden. Wir können auch nicht dulden,
dass Strukturen von Parallelgesellschaften und Parallel-
justiz entstehen und sich verfestigen. Für diese Ziele ist
notwendig, dass genügend Mittel und Stellen für die Jus-
tiz und Polizei bereitgestellt werden. Das betrifft alle
staatlichen Ebenen.
Der Bund nimmt seine Verantwortung wahr. Dieser
werden wir aber nur vollends gerecht werden, wenn wir
die gesetzgeberischen Maßnahmen in der gebotenen
Priorität umsetzen. Maßstab dafür ist die Freiheit und die
Verletzung der Menschenwürde. Darauf kommt es bei
rechtsstaatlichem Handeln an.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-plan 07 – Bundesministerium der Justiz und für Verbrau-cherschutz – in der Ausschussfassung. Hierzu liegt einÄnderungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den
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6470 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Vizepräsidentin Petra Pau
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wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsan-trag auf Drucksache 18/3271? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmender Fraktion Die Linke bei Enthaltung der FraktionBündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Wir stimmen nun über den Einzelplan 07 in der Aus-schussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 07 ist mitden Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke undder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-plan 19 – Bundesverfassungsgericht – in der Ausschuss-fassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Der Einzelplan 19 ist einstimmig an-genommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.7 auf:Einzelplan 06Bundesministerium des InnernDrucksachen 18/2806, 18/2823Die Berichterstattung haben die AbgeordnetenDr. Reinhard Brandl, Norbert Barthle, Martin Gerster,Dr. Dietmar Bartsch und Anja Hajduk.Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der FraktionDie Linke sowie ein Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen vor. Über diese werden wir amFreitag nach der Schlussabstimmung abstimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Wenn in den Koalitionsfraktionen die notwendigenUmgruppierungen abgeschlossen wären, könnte ich dieAussprache eröffnen. – Liebe Kolleginnen und Kolle-gen, ich bitte, auch die interfraktionellen Gespräche aufder linken Seite des Hauses aus dem Plenarsaal zu verla-gern. Auch in der Union gibt es offensichtlich noch Be-ratungsbedarf. Das Präsidium hat viel Zeit. Wir werdenfür jeden Redner und jede Rednerin entsprechend unse-ren Regeln auf die Würde des Hauses achten. Ich werdedas auch für die Redner der Unionsfraktion durchsetzen,wenn die Fraktion noch Abstimmungsbedarf hat.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeDr. Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrBundesminister, wir sind uns sicherlich einig, dass unserLand und die Innenpolitik unseres Landes bzw. die in-nere Sicherheit Deutschlands vor enormen Herausforde-rungen stehen. Selbst seit der Einbringung des Etats hatsich sehr viel verändert. Es gibt den Terror des ISIS und550 Islamisten, die aus Deutschland nach Syrien und inden Irak gegangen sind und jetzt teilweise anschlagsbe-reit zurückkommen. Wir haben das Problem der Salafis-ten, Hooligan-Probleme, Gewalt in Stadien und diegroße Herausforderung der Flüchtlinge, die nach Europaund nach Deutschland kommen. Nicht bewältigt sind dieAufgaben, die mit NSU und NSA in Zusammenhang ste-hen.
Es waren in den Haushaltsberatungen diverse Ände-rungen nötig. Wir haben sehr viele Berichterstatterge-spräche geführt: zur Bundespolizei, zum THW, zu denStiftungen, zu Netzen des Bundes und vielem mehr. Ichmuss sagen, dass viele der Gespräche durchaus erfolg-reich waren. Ich kann auch sagen, dass Opposition dortwirkt und dass wir – auch mit den Haushältern vonCDU/CSU und SPD – in den Beratungen einiges durch-setzen konnten. Es bleibt aber generell eines festzustel-len: Indem Sie, Herr de Maizière, den Kurs von HerrnSchäuble bedingungslos mittragen, machen Sie die in-nere Sicherheit und die Sicherheitspolitik zu Resultantenaus dem Ziel der schwarzen Null. Das ist unverantwort-lich, meine Damen und Herren.
Eine schwarze Null zulasten der Sicherheit der Men-schen geht gar nicht. Das sagt ein Linker Ihnen als Kon-servativen.Die Linke kritisiert aus drei Gründen diesen Etat:Erstens. Der Kurs der Koalition zur vermeintlichenHaushaltssanierung und -konsolidierung ist sicherheits-politisch verhängnisvoll. Die Personalräte Ihres Hauseshaben festgestellt: Das Top-down-Verfahren führt dazu,dass das BMI ein abgeschlossenes Budget zugewiesenbekommt, noch bevor über Haushaltsnotwendigkeitender Sicherheitsbehörden überhaupt geredet wird. Dasmag beim Verkehrsetat oder beim Bauetat gehen. In derSicherheitspolitik geht das meines Erachtens überhauptnicht; denn am Ende trifft das Präventionsprojekte, För-derstrukturen und den Datenschutz. Das ist das ErgebnisIhrer Politik.
Zweitens kritisieren wir Ihren Haushalt, weil er dafürsteht, dass die Bundesregierung nicht bereit ist, aus demVersagen der Sicherheitsbehörden im Kampf gegenRechtsextremismus – Stichwort „NSU“ – substanzielleSchlussfolgerungen zu ziehen.Drittens. Der Bundesregierung fällt zum Stichwort„Schutz der Rechte der Bürgerinnen und Bürger vor ille-galen und unverhältnismäßigen Eingriffen durch deut-sche und ausländische Nachrichtendienste, kommerziel-len Datenmissbrauch und staatliche IT-Projekte“ kaumetwas anderes ein als ein Weiter-so, nur mit mehr Mit-teln, und das, obwohl namhafte Juristen und Sachver-ständige Bedenken gegen diese Vorgehensweise äußern.Ich will zu einigen Einzelpunkten im Etat etwas sa-gen. Das Thema „Integration und Migration“ ist – dashabe ich vorhin erwähnt – die größte Herausforderung,vor der wir stehen. Es ist gut, dass es beim BAMF einenStellenaufwuchs gibt; das ist völlig richtig. Wir müssen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6471
Dr. Dietmar Bartsch
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dafür sorgen, dass die Mitarbeiter dort entsprechendqualifiziert werden. Es muss aber die Offenheit geben,dass dann, wenn der bisherige Stellenaufwuchs nichtausreicht, weitere Stellen geschaffen werden. In IhremKoalitionsvertrag steht schließlich, dass die Bearbei-tungszeit drei Monate betragen soll. Momentan liegt siebei 7,6 Monaten. Dieser Zustand ist nicht zu akzeptieren.Wir werden Sie immer wieder an dieses Versprechen ausIhrem Koalitionsvertrag erinnern.
Wir brauchen daher qualifizierte und gegebenenfallsnoch mehr Mitarbeiter.Es ist sicherlich vernünftig, dass für Maßnahmen zurMigrationsberatung zusätzlich 5 Millionen Euro einge-stellt wurden. Es ist allerdings zu befürchten, dass auchdiese Mittel nicht ausreichen werden. Es ist auf jedenFall eine Fehlentscheidung, dass die Mittel für die Inte-grationskurse trotz Ihrer Erkenntnis, Herr de Maizière,dass Deutschland nun ein Einwanderungsland gewordenist – das ist immerhin ein großer Erkenntnisfortschritt –,nicht zur Verfügung stehen. Flüchtlinge sind Botschafterdes Unrechts und der Kriege dieser Welt.
Wir müssen natürlich zuallererst die Ursachen beseiti-gen. Das machen wir sicherlich nicht über den Etat. Aberwir brauchen für eine Willkommenskultur mehr finan-zielle Mittel. Man braucht natürlich auch Courage, umsich schützend vor Flüchtlingsheime zu stellen. Wir alsLinke werden – ich hoffe, zusammen mit allen Fraktio-nen dieses Hauses – immer dabei sein, wenn es darumgeht, Rassismus zu bekämpfen und Flüchtlinge in unse-rem Land zu verteidigen.
Ich will kurz auf das THW zu sprechen kommen. Hiersind wichtige Haushaltskorrekturen erreicht worden. DieHaushälter haben hier parteiübergreifend erfolgreich ge-arbeitet. Das ist mit Blick auf die wachsenden Heraus-forderungen und Aufgaben des THW eine gute Bot-schaft für die vielen Helferinnen und Helfer des THW.Die zusätzlichen 5 Millionen Euro für Investitionen inden Fahrzeugbestand sind aber nur ein Tropfen auf denheißen Stein. Aktuell fehlen infolge von Stilllegungenrund 130 Feuerwehren. 60 Prozent des Fahrzeugbe-stands sind älter als 24 Jahre. Hier muss mehr gesche-hen. Beim THW fehlt außerdem mindestens 1 MillionEuro für Aus- und Fortbildung, Stichwort „Nutzung mo-derner Kommunikationsmittel“.Im internen Verteilungskampf der verschiedenen Si-cherheitsbehörden Ihres Hauses fährt – je nach Lobby-und Durchsetzungsvermögen – die eine Sicherheitsbe-hörde im Haushaltspaternoster hoch, während die andereSicherheitsbehörde hinunterfährt.Gestatten Sie mir eine Bemerkung zum großenThema „Netze des Bundes“. Hierüber haben wir sehrumfangreich debattiert. Das ist technisch und politischeine riesige Herausforderung, die weit über diese Legis-laturperiode hinausreicht. Aber Sie, Herr Minister deMaizière, müssen sich im Kabinett durchsetzen. Offen-bar ist jeder Minister der Meinung, Seins machen zukönnen. Bei den Netzen des Bundes muss aber gehandeltwerden, Herr de Maizière. Nehmen Sie das Heft in dieHand! Dann haben Sie auch die Unterstützung des ge-samten Hauses. Angesichts dessen, was bisher gelaufenist, besteht die große Gefahr, dass wir weiterhin finan-zielle Mittel versenken. Das darf angesichts der großenHerausforderung, vor der wir hier stehen, nicht sein.Ich will eine kurze Bemerkung zu den politischenStiftungen machen. Auch hier haben wir gemeinsam Er-folge erzielt. Ich finde, dass es die Aufgabe des ganzenHauses ist, für alle Stiftungen – von der Hanns-Seidel-Stiftung bis hin zur Rosa-Luxemburg-Stiftung – eineLanze zu brechen, selbst wenn irgendwelche Medienversuchen, die Stiftungen als reine Parteiinstrumentedarzustellen. Es ist unsere Aufgabe, engagiert vorzutra-gen, dass die Stiftungen durch die Bank eine hervorra-gende Arbeit im In- und Ausland leisten. Das sollteunser gemeinsames Anliegen sein. Wir können inDeutschland stolz darauf sein, dass es solche Stiftungengibt.
Eine letzte Bemerkung zur Bundespolizei. Auch siehat etwas mit dem eben zitierten Haushaltspaternoster zutun. Es ist richtig, dass einiges in personeller Hinsichtgetan worden ist. Aber es bleibt dabei, dass Schutzwes-ten teilweise 24 Stunden getragen und nicht gereinigtwerden. Man kann dann ein Quiz veranstalten und fra-gen, ob man am Geruch den vorherigen Nutzer erkennt.Das ist die reale Situation. Ein nicht unerheblicher Teildes Fahrzeugsparks ist längst überaltert. Von manchenFahrzeugen wird berichtet, dass man sie nur noch imSommer und bei Trockenheit benutzen kann und dassschon eine Neulackierung den aktuellen Kfz-Wert über-steigen würde. Hier müssen wir deutlich mehr tun. Ichsage noch einmal, dass bei den PersonalentscheidungenPositives erreicht worden ist, aber auch das kann nichtdas Ende der Fahnenstange sein.Zum Schluss: Es sind wichtige Korrekturen durchge-setzt worden, aber am Ende des Tages ist das ein unter-finanzierter Etat. Weil es ein unterfinanzierter Etat ist,werden wir ihm nicht zustimmen. Niemand kann damitverantwortungsvolle und wirkungsvolle Sicherheitspoli-tik in Deutschland betreiben.Herzlichen Dank.
Der Kollege Dr. Reinhard Brandl hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Wir werden gleich im Anschluss an die Debatteüber den Haushalt des Bundesinnenministeriums abstim-men. Dieser Haushalt wird in weiten Teilen durch zweiAufgabenbereiche bestimmt: Sicherheit und Verwaltung.Es ist die Grunderwartung der Bürger an den Staat, dasser Sicherheit bietet und dass die Verwaltung funktioniert.So fallen diese Bereiche meistens erst auf, wenn etwasnicht funktioniert, wenn Sicherheit nicht gegeben istoder es zu Problemen in der Verwaltung kommt. Verant-wortungsbewusstes staatliches Handeln in diesen Berei-chen heißt deshalb vor allem, Vorsorge zu treffen. Aller-dings müssen wir feststellen, gerade in der jetzigen Zeit,dass nicht alles vorhersehbar ist. Gerade im Moment er-leben wir, wie sich die Herausforderungen im Bereichder inneren Sicherheit, aber auch bei den Themen Mi-gration und Integration in einer geradezu atemberauben-den Geschwindigkeit entwickeln. Wir haben deswegenin den Beratungen darauf reagiert und umfangreicheVeränderungen vorgenommen.Bevor ich im Einzelnen darauf zu sprechen komme,möchte ich der ganzen Mannschaft und den Mitbericht-erstattern danken, mit denen das gemeinsam erreichtworden ist. Das ist in allererster Linie der Kollege vonder Koalition, Martin Gerster von der SPD; aber das sindauch Frau Anja Hajduk von den Grünen und HerrBartsch von den Linken. Das war eine sehr konstruktiveZusammenarbeit. Es gibt natürlich im Verhältnis zur Op-position unterschiedliche politische Schwerpunktsetzun-gen;
aber in den wesentlichen Fragen waren wir doch von ei-nem Grundkonsens getragen. Wer die Rede von HerrnBartsch gerade verfolgt hat, wird feststellen, dass sichdieser Grundkonsens auch in seinen Worten widerge-spiegelt hat.Dazu beigetragen hat aber auch ganz wesentlich unserBundesminister Dr. Thomas de Maizière. Er hat in seinersehr seriösen Art und Weise, ohne Übertreibung und me-diale Begleitmusik
die Anliegen seines Hauses dargestellt und über seinenGeschäftsbereich informiert. Jeder kann heute in der De-batte feststellen, dass sein Umgang mit dem Haushalts-ausschuss der erfolgreiche Umgang mit dem Haushalts-ausschuss war.Ich möchte als Hauptberichterstatter auch den ande-ren Kollegen der Koalitionsfraktionen danken, nament-lich Norbert Barthle, der den Bereich Sport für uns mit-verantwortet, aber auch Johannes Kahrs. Wir haben vielfür den Bereich Inneres erreicht. Wir haben die schwarzeNull gehalten. Das heißt, für jedes Anliegen, das im Be-reich Inneres erfüllt werden konnte, ist ein Anliegen auseinem anderen Geschäftsbereich nicht erfüllt worden.Dennoch haben wir darüber in unseren Arbeitsgruppengroßen Konsens erreicht, und ich möchte allen Kollegin-nen und Kollegen für deren Solidarität und Unterstüt-zung danken.
Lieber Kollege von Notz, ich komme nun zu den Er-gebnissen der Beratungen, die Sie bestimmt in weitenTeilen zustimmend zur Kenntnis nehmen werden.
Ich habe am Anfang den Bereich der Migration er-wähnt. Als die Regierung Anfang des Jahres mit derHaushaltsaufstellung begonnen hatte, lag die Zahl derAsylbewerber – das ist die Istzahl aus dem Jahr 2013 –bei 127 000. Wir wissen heute, dass wir im Jahr 2014 andie 200 000 Asylbewerber haben werden, und wir wis-sen auch, dass sich dieser Trend in Zukunft eher verstär-ken wird, das heißt, dass wir in Zukunft mit noch mehrAsylbewerbern rechnen müssen. Wir haben darauf schonin den Haushaltsberatungen 2014 reagiert, indem wirdem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 300 neueStellen gegeben haben. Diese Stellen, die wir für 2014bewilligt haben, sind bereits vollständig besetzt. Auchdas ist eine besondere Leistung der Mitarbeiterinnen undMitarbeiter.
– Da kann man ruhig einmal klatschen. – Weil wir ge-merkt haben, dass das noch nicht reicht, da der Trend an-hält, haben wir für diesen Haushalt, Herr Bartsch, zu-sätzlich 300 Stellen bewilligt. Dazu kommen 50 Stellen,die die Regierung eh schon vorgesehen hat. Das heißt,wir haben allein in diesem Bereich 650 neue Stellen mitaufgebaut. Zusätzlich sind wir dem steigenden Bedarfnach Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderernachgekommen, einem Anliegen vieler Wohlfahrtsver-bände, aber auch des Bundes der Vertriebenen. Wir ha-ben den entsprechenden Ansatz um 8 Millionen Euro er-höht. Ich kann aus meinem Wahlkreis berichten, dass daswirklich ein Segen für die Menschen ist.Meine Damen und Herren, die zweite schnell wach-sende Herausforderung, der wir im Bereich der Innen-politik gegenüberstehen, ist die Wahrung der inneren Si-cherheit. Man muss sich nur einmal vor Augen führen,dass zu dem Zeitpunkt, als mit der Haushaltsaufstellungbegonnen wurde, die Organisation „Islamischer Staat“nur wenigen Spezialisten überhaupt ein Begriff war. Wirerleben heute, dass diese Organisation in einer noch niedagewesenen Professionalität – mit Internetauftritten,sogar mit eigenen Zeitungen – junge Menschen, vor-nehmlich Männer, auch bei uns anspricht, versucht, siezu radikalisieren und für den Dschihad zu gewinnen.Das ist nicht nur ein Problem im Irak und in Syrien. So-wohl die Rückkehrer als auch diejenigen, die zu Hausebleiben und sich hier im Stillen radikalisieren, stelleneine Bedrohung für die innere Sicherheit in Deutschlanddar. Wir haben vorhin von Vorsorge gesprochen. Wir
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dürfen nicht so lange warten, bis etwas passiert. Wir ha-ben deswegen in diesem Haushalt das Bundesamt fürVerfassungsschutz, das für die Abwehr dieser Gefahrenzuständig ist, verstärkt.Ein weiterer Schwerpunkt der Veränderungen im Be-reich der inneren Sicherheit lag auf der Bundespolizei.Die Bundespolizei ist mittlerweile an der Grenze ihrerBelastungsfähigkeit angekommen. Die Angehörigen derBundespolizei müssen fast täglich ihren Kopf für unshinhalten. Um das zu sehen, brauchen Sie nur dieMedien zu verfolgen. Ich erinnere an die großen Auf-märsche von Hooligans und Extremisten in den letztenWochen, die Zunahme der illegalen Migration, dieSchleuserkriminalität, die regelmäßigen Gewaltexzessebei Fußballspielen am Wochenende, den wachsendenBedarf des Schutzes unserer Auslandsvertretungen inverschiedenen Krisengebieten, aber auch an den G-7-Gipfel im nächsten Jahr. Ich könnte diese Liste fortfüh-ren. Hinzu kommt mit der Bewachung der Goldreservender Bundesbank eine weitere Aufgabe.Damit die Bundespolizei in der Lage ist, all dies zubewältigen, haben wir insgesamt 406 neue Stellen fürPolizeivollzugsbeamte geschaffen und zusätzlich dieBundespolizei umfangreich mit Personal und Sachmit-teln ausgerüstet. Wir haben dabei sehr bewusst einenSchwerpunkt auf den Bereich „Einsatz- und Schutzbe-kleidung“ gesetzt. Es ist angesichts der zunehmendenGewalt gegen Polizisten einfach nicht hinnehmbar, dassimmer noch über Mängel und Engpässe bei der Körper-schutzausstattung geklagt wird. Deswegen haben wirdarauf in den Haushaltsberatungen sehr bewusst einenAkzent gesetzt. Dazu kommen insgesamt 356 Stellenhe-bungen in den verschiedenen Laufbahngruppen, die diehöheren Anforderungen widerspiegeln und auch denDienst bei der Bundespolizei attraktiver machen.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, am bestenwäre es doch, wenn es gar nicht so weit käme, dass Fa-natiker oder Extremisten auf unsere Polizisten einprü-geln. Auch hier gilt der Gedanke der Vorsorge. Wir ha-ben deswegen den Bereich der politischen Bildung miteinem Schwerpunkt auf die Bekämpfung von politi-schem und religiösem Extremismus sowie Radikalisie-rung verstärkt.
Ein weiteres Aufgabenfeld des Bundesinnenministe-riums ist der Zivilschutz, also der Schutz der Bevölke-rung im Verteidigungsfall. Das wird seit dem Ende desKalten Krieges oft als unwahrscheinliches Szenario ab-getan. Beim Thema Verteidigungsfall denkt man auchimmer zuerst an die Bundeswehr. Ich halte das für eineFehleinschätzung. Sollte heute in Deutschland tatsäch-lich ein Terrorangriff stattfinden, dann würden dieMenschen in allererster Linie durch die zivilen Katastro-phenschutzorganisationen geschützt werden. Der Bundunterstützt die Feuerwehren und Rettungsorganisationender Länder durch die Finanzierung von zusätzlichenFahrzeugen und Gerätschaften genau für diesen Fall.Wir stehen zu dieser Aufgabe und haben den Ansatz beidiesem Titel deswegen angehoben.Meine Damen und Herren, wenn wir diese Verant-wortung ernst nehmen – und wir wollen sie ernst neh-men, um einen wirksamen Schutz für die Bevölkerungzu gewährleisten –, dann kann es nicht sein, dass dieLänder das Geld und die Fahrzeuge zwar dankend an-nehmen, aber der Bund nicht überprüfen kann, wie dieseAufgabe wahrgenommen wird, sprich: wie der Katastro-phen- und damit der Zivilschutz vor Ort aufgestellt ist.Das geht ja so weit, dass überörtliche Einsätze undÜbungen mit diesem Gerät kaum stattfinden. Selbst Feu-erwehren vor Ort, deren Fahrzeug vom Bund finanziertworden ist, wissen zum Teil gar nicht, dass sie damit ei-nen Bundesauftrag ausführen. Meine Damen und Her-ren, ich begrüße daher sehr, dass Bundesinnenministerde Maizière eine Staatssekretärsrunde einberufen hat,um mit den Ländern über die Neuorganisation dieses er-gänzenden Katastrophenschutzes zu sprechen.Der Zivilschutz war übrigens der Grund für die Grün-dung des Technischen Hilfswerks. Heute sind dort über80 000 ehrenamtliche Helfer im Einsatz, die hervorra-gende Arbeit im In- und Ausland leisten. Um dieseshohe ehrenamtliche Engagement aufrechtzuerhalten, istneben einer guten Ausrüstung und Ausbildung auch einegute Unterbringung der Ortsverbände notwendig.
Wir haben im Haushalt 2014 einen Schwerpunkt auf dieFahrzeugbeschaffung und die Führerscheinausbildunggesetzt. Wir setzen jetzt im Haushalt 2015 einen Schwer-punkt auf die Liegenschaften und beschließen heute einmehrjähriges Sonderprogramm „Liegenschaften für dasTechnische Hilfswerk“. Das THW erhält dazu in 2015zusätzlich 4 Millionen Euro. Darüber hinaus gibt es bis2018 Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von wei-teren 23 Millionen Euro. Damit soll der aufgelaufeneBedarf an Neubauten bzw. an dringend notwendigerRenovierung abgearbeitet werden und sollen die Orts-verbände besser untergebracht werden. Das ist eine be-sondere Wertschätzung, die wir damit dem THW entge-genbringen. Das THW liegt gerade uns Abgeordnetenim Deutschen Bundestag sehr am Herzen. Das wollenwir damit auch zum Ausdruck bringen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit diesemHaushalt geben wir auch den Startschuss für das Projekt„Netze des Bundes“; Kollege Bartsch hat es angespro-chen. Mit dem Projekt sollen die unterschiedlichen Weit-verkehrsnetze der Verwaltung zusammengefasst werden.Die IT-Sicherheit wird dadurch deutlich erhöht. Der Bür-ger hat erst einmal nichts davon, wenn die Regierungplötzlich über verschlüsselte Leitungen kommuniziert.Aber die NSA-Affäre hat uns gezeigt, dass, wenn sie esnicht tut, eine deutliche Einschränkung der Souveränitätunseres Landes damit einhergeht. Es ist ein Projekt, dasuns über Legislaturperioden hinweg begleiten wird. Ichfreue mich deswegen besonders darüber, dass der Antrag
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für dieses Projekt vom Haushaltsausschuss einstimmigbeschlossen worden ist – und das, obwohl es bei einemsolchen Vorhaben wie bei jedem großen IT-Projekt auchRisiken gibt. Das ist Ausdruck einer gemeinsamen Ver-antwortung für unser Land. In diesem Sinne bedanke ichmich bei Ihnen für die gute Zusammenarbeit bei denHaushaltsberatungen.Den Zuhörerinnen und Zuhörern sage ich: HerzlichenDank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! In der Tat: Wir haben erst im Sommer, vor fünfMonaten, den Haushalt 2014 verabschiedet. Seither hatsich die damals schon angespannte geopolitische Lagenoch mehr verschärft. Ich sage das natürlich mit Blickauf die Situation im Irak, in Syrien, der Ukraine. Auchdie Bedrohungslage durch IS ist sicherlich nicht nur fürdie Außenpolitik relevant. All diese Punkte müssen sichauch im Etat des Innern deutlich widerspiegeln.Wenn ich so einführe, dann ist Ihnen schon klar: Meinerster Blick richtet sich auf das Thema „Flüchtlinge undIntegration“. Schauen wir uns einmal an, wie die Mittel-ausstattung hier aussieht. Ich habe natürlich registriert,dass Sie an manchen Stellen etwas getan haben. Aberinsgesamt muss man doch deutlich festhalten: DieserEtat wird der Realität und den Herausforderungen defi-nitiv noch nicht gerecht.
Es ist schon ein bisschen witzig, dass heute in derSüddeutschen Zeitung zu lesen ist, dass Herr Gabriel1 Milliarde Euro für Flüchtlinge fordert. Wir sind ganzerfreut. Ich gehe davon aus, dass – heute Abend ist Ko-alitionsrunde – Herr Gabriel das vielleicht in weiserVoraussicht getan hat, weil er mit Blick auf die Be-schlusslage der Grünen-Fraktion von dem geschnürten1-Milliarden-Paket zur Unterstützung der Asylbewerberund Flüchtlinge, gerade auch mit Blick auf die Kommu-nen, weiß. Da kann ich nur sagen: Herr Gabriel, es istgut, dass Sie die Koalition heute Abend darauf vorberei-ten. Dieser Antrag steht am Freitag hier zur Abstim-mung, und dann möchte ich, dass Nägel mit Köpfen ge-macht werden.
Aber ich möchte hier natürlich nicht Herrn Gabrielansprechen. Ich möchte Minister de Maizière anspre-chen. Ich glaube, wenn man ehrlich ist, dann sind wiruns doch einig. Herr Minister, Sie haben ein Interviewgegeben, das am 23. November im Tagesspiegel zu lesenwar. Sie führen dort aus – wir teilen das –, es sei gut,dass wir heute davon ausgehen dürfen, dass es einegroße Unterstützungsbereitschaft in unserer Bevölke-rung gibt, Flüchtlinge aufzunehmen.
Da sind wir froh. Sie stellen auch fest und bereiten dieÖffentlichkeit zu Recht darauf vor: Wir müssen uns aufJahre hinaus auf hohe Asylbewerber- und Flüchtlings-zahlen einstellen. – Aber ich bitte Sie: Dann müssen Siesich doch jetzt und nicht erst in ferner Zukunft einenRuck geben, um die Integration voranzubringen und dieZeit, in der die Flüchtlinge hier sind, positiv zu gestalten,damit die Menschen in unserer Gesellschaft dieseFlüchtlinge weiter als Bereicherung erleben können.Das heißt, Sie müssen den Flüchtlingen Zugang zu In-tegrationsleistungen wie Sprache, Arbeitsmarkt und Be-ratung geben.
Genau dies ist doch nicht schwer zu entwickeln. Ichkomme da noch einmal auf unseren Antrag zurück. Wirmüssen bei den Integrationskursen endlich eine Öffnungfür die Asylbewerber erreichen, deren Zahl so unglaub-lich stark angestiegen ist. Wir sprechen hier von einemAnstieg – Sie haben die Zahlen gerade genannt – im Ver-gleich zum Vorjahr um 56 Prozent; im Vergleich zu vonvor zwei Jahren handelt es sich um eine Verdoppelung.Wir müssen das schaffen – Zugang zu den Sprachkursen,Zugang und Öffnung auch der Migrationsberatung fürAsylbewerberinnen und Asylbewerber, Zugang zu einerguten Gesundheitsversorgung, aber auch Beratung durchJobcenter und Arbeitsagenturen –, damit Integration ge-lingt. Wir haben Ihnen unsere Vorstellungen vorgelegt.Das kostet Geld, und zwar nicht wenig. Aber das istauch keine Summe, die wir nicht aufbringen können.Wir werden Sie von der SPD, aber auch Sie von derCDU/CSU am Ende der Woche daran messen, ob Sieimstande sind, diesem Paket zuzustimmen.
Ein weiterer Punkt – beim Etat des Innern geht esnicht nur um die Integration – ist natürlich die Sicher-heitspolitik. Wir wollen durchaus anerkennen, dass Sieauch Programme zur Präventionsarbeit gegen die Radi-kalisierung von Jugendlichen auflegen. Wir werden eineMenge zu tun haben mit IS-Kämpfern, die aus Deutsch-land kommen, auch mit solchen, die zurückkommen. Esbleibt aber dabei, dass dieses Ausmaß an Prävention vonuns nicht für ausreichend gehalten wird. Wir denken, daist eine Verdoppelung der Mittel nötig.
Das große Projekt, das in Zukunft für den Haushaltdes Innenministers wichtig ist – ich möchte dies kurz er-wähnen –, ist die Konsolidierung der Netze und der IT.Wir werden Sie da konstruktiv, aber auch kritisch beglei-ten. Wir wollen nicht, dass das riesige IT-Projekt einFass ohne Boden wird. Beim Digitalfunk haben wirschon entsprechende negative Erfahrungen gemacht.Wir werden darauf drängen, dass sich nicht Ressort-
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Anja Hajduk
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egoismen in der Regierung durchsetzen, sondern dass eseine vernünftige, zentrale Konsolidierungsstrategie gibt,die durch Sie, Herr Minister, federführend umgesetztwird.Mein letzter Punkt behandelt die Haushaltskontrolleder Geheimdienste. Das betrifft nicht nur Ihren Etat,Herr Minister. Dieser Punkt ist mir besonders wichtig;wir haben schon vor einigen Sitzungswochen darübergesprochen. Wir haben, was die Kontrolle der Nachrich-tendienste angeht, die Situation, dass es in der Bevölke-rung einen immensen Vertrauensverlust
und Skepsis darüber gibt, ob wir unserer Kontrollauf-gabe überhaupt vernünftig nachkommen. Da spreche ichin erster Linie die Fraktionen an und nicht so sehr denMinister.Ich verstehe nicht, warum es nicht eine engere Ko-operation zwischen Vertrauensgremium und Parlamenta-rischem Kontrollgremium gibt. Ich verstehe auch nicht,warum Sie bei der auch in der Öffentlichkeit diskutiertenAusstattung der Nachrichtendienste mit neuen Technolo-gien unsere Beratungsmöglichkeiten nicht optimierenwollen, zum Beispiel durch die systematische Einbin-dung der Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Wirwerden Sie damit nicht durchkommen lassen, dass un-sere vorhandenen parlamentarischen Möglichkeiten zurKontrolle der Geheimdienste nicht besser genutzt wer-den. Das hat auch mit den Geschehnissen um den NSUund um die NSA zu tun.In diesem Sinne werden wir sehr kritische Begleitersein. Wir sind mit Ihrer Arbeit und auch mit der Arbeitder Koalitionsfraktionen nicht zufrieden.Schönen Dank.
Danke, Frau Kollegin. – Schönen guten Tag Ihnen,
liebe Kolleginnen und Kollegen, und den Gästen auf der
Tribüne. – Nächster Redner in der Debatte ist Martin
Gerster für die SPD.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Ist das nötige Geld vorhanden, ist das Ende meis-tens gut.So heißt es in der filmischen Umsetzung der Drei-groschenoper von Bertolt Brecht. Im Bundeshaushaltgeht es natürlich nicht nur um drei Groschen, sondernum fast 300 Milliarden Euro. Ich bin natürlich auch nichtMackie Messer, sondern der Haushälter der SPD für denGeschäftsbereich des Innenministeriums.Ich will an dieser Stelle eines vorwegschicken: Ichbin froh, dass wir in der Großen Koalition gemeinsamdie Kraft hatten – das ist doch ein tolles Zeichen –, imHaushaltsausschuss diesen Etat über die Marke von6 Milliarden Euro zu heben und damit wichtige Verände-rungen am Haushaltsentwurf zu erreichen. Dazu möchteich feststellen: Das Ende unserer Haushaltsberatung istaus Sicht der SPD-Fraktion und der Großen Koalitionnicht nur gut, sondern richtig gut. Das ist heute eine ganzwichtige Botschaft.
Viele Anliegen und politische Schwerpunkte derSPD-Fraktion konnten wir noch einbringen. Ich glaube,das geschah nicht gegen den Willen des Innenministers,sondern er wird es gutheißen, dass sein Etat an der einenoder anderen Stelle ausgebaut werden konnte.Aber der Reihe nach. In unruhigen Zeiten ist es not-wendig, die Sicherheit zu stärken. Ich will an dieserStelle einen Dank vorausschicken, einen Dank an dieMänner und Frauen, die für unsere Sicherheit im Einsatzsind.
Zehntausende sind täglich im Einsatz und sorgen dafür,dass wir uns in unserem Land sicher bewegen können.Ich nenne beispielsweise die Angehörigen der Bundes-polizei, die an Flughäfen, auf Bahnhöfen und beim Fuß-ball im Einsatz sind.Wir haben ganz klar gesagt: Wir müssen diesen Be-reich stärken. Deswegen haben wir zusammen mit unse-rem Koalitionspartner durchgesetzt, dass wir insbeson-dere die Bereiche stärken, von denen die Beamtinnenund Beamten im Einsatz direkt profitieren: 15 MillionenEuro mehr für Körperschutz und neue Bekleidung,5 Millionen Euro mehr für neue Fahrzeuge, was unge-fähr 120 neuen Fahrzeugen entspricht. Jedenfalls ist dasein richtig gutes Signal an die Beamtinnen und Beamten,an all diejenigen, die für die Bundespolizei in unseremLand unterwegs sind.Damit aber nicht genug: Wir haben über 400 zusätzli-che Stellen geschaffen. Wir haben natürlich auch dieWünsche und Anregungen aus dem Personalrat der Bun-despolizei und der Gewerkschaft der Polizei berücksich-tigt. Wir finden es richtig, dass unsere Leute bei derBundespolizei mehr berufliche Perspektiven brauchen,und zwar im Vollzug, in der Verwaltung, aber auch beiden Tarifbeschäftigten. Deswegen haben wir das ohne-hin schon aufgelegte Hebungsprogramm bei der Bundes-polizei aufgestockt – es hat eine Laufzeit von vier Jahren –,und zwar um 181 Möglichkeiten der Beförderung vonder Besoldungsgruppe A 8 zur Gruppe A 9. Jetzt habenwir in diesem Bereich 1 500 Beförderungsmöglichkei-ten. Ich glaube, das ist gut, weil in diesem Bereich dergrößte Beförderungsstau herrscht. Es ist gut, dass sich dajetzt mehr tut, als sich ursprünglich abgezeichnet hat.
Wir haben darüber hinaus Hebungen bei den 75 In-spektionsleitungen und weitere 100 Hebungen vom ein-
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fachen in den mittleren Dienst auf den Weg gebracht.Das ist eine richtig gute Sache für unsere Leute in derBundespolizei, die jede Woche, jeden Tag, jede Stundefür uns im Einsatz sind. Ich will für unsere Fraktion dieBotschaft aussenden: Wir lassen euch nicht hängen; wirvon der SPD-Fraktion und in der Großen Koalition ins-gesamt kämpfen für euch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weitererSchwerpunkt war der Katastrophen- und Bevölkerungs-schutz, insbesondere natürlich das THW. Ich war – wieviele Kolleginnen und Kollegen – in den letzten Wochenund Monaten an vielen THW-Standorten. Was man dasieht, ist zum Teil jämmerlich. Es ist der vielen Helferin-nen und Helfer beim THW, insgesamt etwa 80 000,wirklich nicht würdig. Ich konnte bei mir im Wahlkreisden Standort Riedlingen besuchen. Da ist eine Fahrzeug-halle wegen Einsturzgefahr nicht mehr betretbar. Ne-benan, in Ehingen, sind Risse in den Gebäudemauern,und es gibt viel zu wenig Platz. Wir haben in der GroßenKoalition gesagt: So kann es nicht mehr weitergehen. –Wir werden mit diesem Haushalt ein großes Baupro-gramm auf den Weg bringen, sodass in den nächstenJahren Dutzende von THW-Unterkünften und -Liegen-schaften instand gesetzt oder neu gebaut werden können.Ich glaube, das ist das Mindeste, was wir für die vielenHelferinnen und Helfer beim THW tun können.
Hinzu kommen 5 Millionen Euro, die wir beim Katastro-phenschutz der Länder draufgepackt haben. Davon wer-den vor allem auch die Feuerwehren profitieren. Ichglaube, das ist eine ganz gute Sache.Ein wichtiger Punkt war für uns natürlich auch dasThema Integration und Migration. Hier geht es um Mil-lionen von Menschen, die Leidtragende von Verfolgung,Terror, kriegerischen Auseinandersetzungen und ande-ren Gräueltaten sind. Wir finden es unerträglich, wierechte Hetzer jetzt versuchen, Not und Elend der Flücht-linge und der Asylsuchenden für ihre Zwecke auszunut-zen.
Wir senden vom Deutschen Bundestag ein klares Signalaus – auch mit den Beschlüssen des Haushaltsausschus-ses –: Wir unterstützen die Einwanderer, die Flüchtlinge,die Asylsuchenden und stellen mehr Geld für die Bera-tung von Einwanderern bereit, wir halten die Mittel fürIntegrationskurse auf hohem Niveau, und in den Jahren2014 und 2015 schaffen wir 650 Stellen beim BAMF.Ich glaube, das ist insgesamt eine richtig gute Ge-schichte.An dieser Stelle ein Dankeschön an die vielen Ehren-amtlichen, die sich für die Flüchtlinge engagieren und inder Tat für ein gutes Klima des Willkommenheißens inunserem Land sorgen. Ich glaube, das ist in der aktuellenSituation unverzichtbar.
Wir müssen natürlich auch politisch dafür kämpfen,dass die Akzeptanz für Integration, Demokratie, Rechts-staatlichkeit und friedliches Miteinander weiterhin hochbleibt. Deswegen haben wir ganz bewusst gesagt: DieMittel der Bundeszentrale für politische Bildung werdenaufgestockt, die politischen Stiftungen erhalten 14 Mil-lionen Euro mehr, und im Haushalt von ManuelaSchwesig stellen wir 10 Millionen Euro mehr für denKampf gegen Rechtsextremismus und andere Extremis-men, die wir unbedingt bekämpfen wollen, bereit.Dann haben wir noch das Thema Sport.
Aber kurz, bitte.
Ja, danke schön, ich denke daran. – Kollege Barthle
und ich, wir haben ein 15-Millionen-Euro-Programm für
den Sport auf den Weg gebracht.
Ich glaube, das ist eine richtig gute Geschichte. Davon
geht ein gutes Signal an unsere Gesellschaft aus.
So kann ich an dieser Stelle sagen: lauter gute Nach-
richten aus dem Haushaltsausschuss für den Bereich des
Bundesinnenministeriums. Ich danke den Kollegen
Brandl und Barthle, aber auch den Kollegen der Opposi-
tion. Unsere Änderungsanträge im Haushaltsausschuss
bekamen viele Jastimmen. Deswegen gilt mein herzli-
cher Dank den Kollegen Bartsch und Hajduk. Ich wün-
sche allen weiterhin eine gute Debatte.
Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Gerster. – Ja, der HerrBarthle brauchte halt jetzt noch Schnee.
– Nein, Sie waren nicht Mackie Messer. Es fragt sichnur, wer der Haifisch ist. Das ist jetzt aber keine Überlei-tung zum Bundesminister.
Dr. Thomas de Maizière, Sie haben das Wort.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin, wie soll ich denn das verstehen?
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Sie sehen einen fröhlichen unddankbaren Innenminister vor sich.
– Ja, das ist so.Die Regierung hatte im Regierungsentwurf schon et-liche Verbesserungen vorgenommen. Der Haushaltsaus-schuss hat nun in engem Kontakt mit dem Finanzminis-terium und mit uns und mit Unterstützung derHauptberichterstatter, aber auch vieler anderer, an denrichtigen Stellen noch viel draufgepackt. Das ist wirklichgut.Ich möchte das vor allen Dingen betonen, weil ichhier, gerade im Bereich der Sicherheit, der sonst zu denumstrittensten gehört, etwas Seltenes erlebt habe. Vieleder Vorhaben und Projekte haben, auch in den Einzelab-stimmungen, die ausdrückliche Zustimmung aller Frak-tionen gefunden. Unverständlicherweise hat die Opposi-tion den Haushalt insgesamt dennoch abgelehnt.
Ich verstehe das als große Unterstützung für meinHaus, aber vor allem für die Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter, für die Polizisten, für die Mitarbeiter des BAMFund der Sicherheitsbehörden. Sie gewährleisten Freiheitund Sicherheit in unserem Land, und dafür ein herzli-ches Dankeschön.
Zukunftsweisend ist auch der Beschluss der Finanzie-rung der „Netze des Bundes“. Hier geht es um ziemlichviel Geld: 450 Millionen Euro in drei Jahren. Das ist einehrgeiziges Projekt. Einige haben dazu gesprochen. Esmuss stärker koordiniert werden, Herr Bartsch, dasstimmt. Das ist nicht alleine, aber auch eine Antwort aufdas Thema NSA. Wir werden die Realisierung der Emp-fehlungen des Ausschusses zügig in Angriff nehmen.Das führt mich zu einer grundsätzlichen Bemerkung,die ich gerne machen möchte, weil sehr viel von Investi-tionen die Rede ist. Uns fällt ziemlich viel ein, wie wirden Ländern im Bereich Bildung, Autobahnen, vor allemim Bereich Energieeffizienz durch Investitionen helfenkönnen. Das ist alles gut und schön. Aber wir könnenauch mal an uns denken. Wir haben das bei den Kon-junkturprogrammen gemacht. Wir haben für Investitio-nen in Bundesliegenschaften eine Vorabquote einge-führt. Wir haben es bei der Flut gemacht. Wir habengesagt: Von den 8 Milliarden Euro geht ein gewisser An-teil in die eigene Infrastruktur des Bundes, Schleusenusw.Wenn es jetzt um die Verteilung der Investitionengeht, dann fallen mir und uns allen ganz viele Bereicheein, in die wir – ich sage das als Minister für innere An-gelegenheiten – investieren können, zum Beispiel in dieErneuerung unserer IT-Strukturen oder in die Liegen-schaften des Bundes. Wir können viel gutes Geld für dieeigenen Belange des Bundes in die Hand nehmen undnicht nur für noch so berechtigte Belange Dritter. Daswollte ich gerne an dieser Stelle einmal sagen.
Die Sicherheit und der Schutz der Freiheit haben eineherausragende Bedeutung für unser Land. Es gibt einengroßen gesellschaftlichen und politischen Konsens, daszu erkennen, zu erhalten und die dafür notwendigenSchritte zu tun. Auch dafür, dass das deutlich gewordenist, möchte ich mich beim Haushaltsausschuss ausdrück-lich bedanken.Mein wichtigstes Anliegen als Bundesminister des In-nern ist, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutsch-land sicher leben können. Einen wesentlichen Anteil da-ran haben nicht nur Gesetze und die internationaleZusammenarbeit und vieles andere mehr, sondern unserePolizistinnen und Polizisten und die Mitarbeiter in denSicherheitsbehörden. Sie üben Tag und Nacht gewissen-haft und gerne ihren Beruf aus. Sie genießen in der Be-völkerung ein hohes Ansehen. Die Polizei liegt bei über80 Prozent, die Bundeskanzlerin bei 65 Prozent und derPapst bei 55 Prozent, die Parteien liegen ziemlich weithinten.Wir müssen dafür sorgen, dass der Polizeiberuf at-traktiv bleibt. Auch dafür leisten wir mit dem Haushalt2015 einen Beitrag. Die Zahlen wurden genannt: 406neue Stellen für die Bundespolizei, Schutzausrüstung,Kfz, Hebungen gerade im unteren und mittleren Bereich.Unsere Polizistinnen und Polizisten müssen auf derStraße immer wieder buchstäblich den Kopf hinhalten,auch und gerade, wenn es brenzlig wird. Leider verlierteine Reihe von Bürgern immer mehr den Respekt vorstaatlichen Funktionsträgern insgesamt. Verbale undkörperliche Angriffe nehmen zu. In Bremen wird jetztgerade eine Spuckhaube eingeführt, die diejenigen überden Kopf bekommen, die regelmäßig Polizisten im Kfzusw. anspucken. Auch dagegen, dass es diese Spuckhau-ben gibt, gibt es jetzt Protest. Ich finde es gut bzw. nurrecht und billig, dass man dafür sorgt, dass Polizistennicht angespuckt werden.
Bei links- und rechtsextremistischen Gruppen ebensowie bei alkoholisierten Fußballanhängern bis hin zu ein-zelnen Gruppen scheinen die gewalttätigen Auseinan-dersetzungen mit der Polizei eine Art Eventcharakterzu haben. Wir haben insgesamt einen Rückgang der Ge-waltkriminalität, auch der Jugendgewaltkriminalität– das ist gut –, verzeichnen aber einen Anstieg der Inten-sität von Gewaltausübung, und zwar nicht nur gegenüberPolizisten, sondern auch gegenüber Rettungskräften undRepräsentanten des Staates. Die Polizistinnen und Poli-zisten im Bund und in den Ländern tragen Verantwor-tung für unsere Sicherheit. Also tragen wir Verantwor-tung dafür, dass sie bei ihrer Arbeit sicher sind. DerHaushalt leistet auch einen Beitrag hierfür.
Zum Katastrophenschutz ist hier viel gesagt worden.Ich unterstütze das natürlich ausdrücklich, insbesondere
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6478 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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was zur liegenschaftlichen Situation gesagt worden ist.Das hilft auch den Helfern vor Ort.Ich will nur einmal auf Folgendes hinweisen – HerrBrandl hat das auch gemacht –: Während wir hier debat-tieren, sind THW-Helfer in Afrika und kämpfen gegendie Ausbreitung von Ebola, sind THW-Helfer in Jorda-nien und im Nordirak und helfen dort in den Flüchtlings-lagern. Wir denken gern an unsere Ortsverbände, aberich finde, eine solche Debatte bietet auch Anlass, diesenMenschen im Ausland und ihren Angehörigen sowie denArbeitgebern, die sie freistellen, einmal ein herzlicheslautes Dankeschön zu sagen.
Meine Damen und Herren, es ist heute nicht die Zeit,umfassend über die Sicherheitslage zu sprechen. AberSie wissen, die Sicherheitslage ist ernst. Die Terrororga-nisation, die sich selbst „Islamischer Staat“ nennt – unddie wir nicht „Islamischer Staat“ nennen sollten –, zeigteine archaische Brutalität. Menschen werden enthauptet,Frauen vergewaltigt, versklavt, Grenzen, die seit über100 Jahren bestehen, ignoriert – und mit all dem brüstetsich die IS öffentlich.Männer und einige Frauen bringen aus Deutschland,bringen aus Europa den Krieg in diese Gegend; sie ex-portieren Gewalt und Terror. Mitte September habe ichein Betätigungsverbot gegen die Organisation IS ausge-sprochen. Wir sehen hier Erfolge; es gibt viele Festnah-men und Ermittlungen. Diensteanbieter in den sozialenMedien nehmen zunehmend Profile vom Netz. Alles,was sich dort an Sympathiewerbung für die IS findet,Herr Abgeordneter Beck, ist durch dieses Betätigungs-verbot strafbar geworden. Das ist gut so. Das Betäti-gungsverbot fügt sich in eine Reihe von anderen Maß-nahmen ein, sowohl von mir, die wir demnächstdiskutieren, Stichwort „Personalausweis“, als auch vomJustizminister, Stichwort „Reisen“ und anderes; es istheute nicht die Zeit, im Einzelnen darauf einzugehen.Wir wollen verhindern, dass der Terrorismus vonDeutschland aus exportiert wird. Wir wollen erst rechtverhindern, dass geschulte Terroristen – zumal wenn sieaus Deutschland gekommen sind – nach Deutschland zu-rückkehren und hier Anschläge verüben. Dazu brauchenunsere Sicherheitsbehörden Unterstützung. Dafür brau-chen wir internationale Zusammenarbeit. Dazu brauchenwir auch eine Stärkung des Bundesamts für Verfassungs-schutz; davon ist gesprochen worden.Wir können damit keine vollständige Sicherheit her-stellen. Niemand kann eine Garantie dafür geben, dass esin Deutschland nicht zu einem Anschlag kommt. Aberwir sind entschlossen, das uns Mögliche zu tun, damit esnicht passiert.Meine Damen und Herren, ein Wort zum ThemaFlüchtlinge. Frau Hajduk, Sie haben darüber gespro-chen, und es ist über die zusätzlichen Stellen gesprochenworden; das ist alles richtig. In der Tat: Ich halte es fürfalsch, der Bevölkerung zu sagen: Das ist jetzt mal einJahr, nächstes Jahr wird alles wieder gut. – Das wirdwohl nicht der Fall sein. Trotzdem verlangt dies ange-sichts der Flüchtlingsströme, angesichts der Bürger-kriege in Syrien und im Irak und all dessen, was dortpassiert ist, natürlich eine Strategie, die darüber hinaus-geht, einfach alle aufzunehmen. Auch darüber zu spre-chen, ist heute nicht die Zeit.Das hat etwas mit der Arbeit vor Ort zu tun, das hatetwas mit der Arbeit in den Transitländern zu tun, dashat mit dem Dubliner Übereinkommen zu tun – alleStaaten müssen ihre Verpflichtungen aus diesem Über-einkommen erfüllen –, das hat etwas mit europäischerSolidarität und mit vielem anderen mehr zu tun. Darübersind wir uns möglicherweise einig. In einem Punkt sindwir uns vielleicht nicht einig – ich will nicht, dass hier zuviel Harmonie verbreitet wird –:
Ja, wir sind dafür, dass im BAMF schnell entschiedenwird – auch mithilfe zusätzlicher Stellen –, wer politischverfolgt wird, wer Asyl verdient. Diese Personen müssenintegriert werden, und zwar so schnell wie irgend mög-lich.
– Oder als Flüchtling anerkannt wird, Herr Beck. Das istjetzt gar nicht mein Punkt.
Ich möchte auf etwas anderes hinaus: Wir wollen auch,dass die Anträge derjenigen, die aus sicheren Herkunfts-ländern kommen, genauso schnell geprüft werden,
damit sie nicht integriert werden und unser Land schnellwieder verlassen, damit die Aufnahmebereitschaft derBevölkerung erhalten bleibt.
Nun ein Wort zu Herrn Gabriel. Wir sind in Gesprä-chen mit den Ländern über die Frage, ob, in welcherWeise und in welchem Umfang wir den Ländern und,ehrlich gesagt, vor allem den Kommunen in allen anste-henden Punkten, von der Unterbringung bis zum ThemaGesundheit, helfen können und müssen. Das ist schwie-rig. Die Länder verhalten sich gegenüber den Kommu-nen sehr unterschiedlich. Das Spektrum der Kosten-erstattung durch die Länder reicht von 20, 30 Prozent derKosten der Kommunen bis zu 90, 100 Prozent. Ichmöchte alle, die hier große Töne spucken, man sollte denKommunen helfen, bitten, erst einmal in den jeweiligenLändern dafür zu sorgen, dass diese den Kommunen hel-fen. Das wäre auch einmal etwas.
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Aber wir überlegen uns etwas. Das läuft auf ein Ge-spräch der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidentender Länder hinaus. Es könnte ja sein, Frau Hajduk, dassHerr Gabriel das, was er gesagt hat, gar nicht erfundenhat. Es könnte ja sein, dass er es nur als Erster öffentlichgemacht hat und es die Gespräche schon seit längeremgibt. Wir sind der Meinung, dass wir erst am Ende derDebatte etwas verkünden sollten und nicht am Anfangder Debatte. Also seien Sie nicht so stolz auf Ihren dies-bezüglichen Antrag auf dem Parteitag der Grünen.
– Das verstehe ich; aber vertrauen Sie doch einmal einbisschen darauf, dass es auch andere Möglichkeiten gibt,den Kommunen und den Ländern zu helfen, ohne denHaushalt noch einmal anfassen zu müssen. NorbertBarthle, ich glaube, auch das ist ein wichtiger Punkt.
Ich will nur sagen: Wir haben das im Blick. Wir machendas verantwortungsvoll, und das ist richtig so.Eine letzte Bemerkung zum Sport – Herr Barthle hatheute Morgen einiges dazu gesagt –: Wir hatten gegen-über der ursprünglichen Veranschlagung schon 8 Mil-lionen Euro draufgelegt. Jetzt kommen noch einmal15 Millionen Euro hinzu. Auch die NADA-Finanzierungist gesichert. Ich füge hinzu – das hat Norbert Barthleheute Morgen gesagt, sicher auch im Namen von HerrnGerster –: Dieses Geld kommt nicht einfach obendraufund wird nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt,sondern wir verbinden damit die Erwartung, dass damitder Einstieg in eine Strukturveränderung, in eine Effekti-vierung der Spitzensportförderung verbunden ist – hof-fentlich auf dem Weg zu Olympischen Spielen inDeutschland.
Daran werden wir erinnern, und ich hoffe, dass wir dasgemeinsam tun werden.Ich habe meine Rede begonnen mit dem Satz: Sie se-hen einen fröhlichen, zufriedenen und dankbaren Innen-minister. – Das ist so. Noch mehr würde ich mich freuen,wenn nicht nur die Koalition, sondern nach all den schö-nen Reden auch die Opposition sagen würde: Verdammtnoch mal, das war eine gute Sache. Dieses Mal stimmenwir zu.
Vielen Dank, Herr Dr. de Maizière. – Das kann Herr
Dr. André Hahn als nächster Redner für die Linke gleich
beantworten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrMinister, ich sage es gleich vorab: Wir finden zur Fröh-lichkeit in Ihrem Haushalt nur wenig Anlass.
Ich möchte gerne über das Bundesamt für Verfas-sungsschutz und die Geheimdienste allgemein sprechenund auch zum Sport etwas sagen.Im Zusammenhang mit dem Thema Geheimdienstehat SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann dieser Tagedem Spiegel ein sehr aufschlussreiches Interview gege-ben.
Darin heißt es unter anderem:Wenn die Dienste die Informationen über den NSUrichtig verarbeitet und ausgetauscht hätten, hätteeine in der deutschen Nachkriegszeit beispielloseVerbrechensserie wohl verhindert werden können.Das ist eine der größten Niederlagen der deutschenSicherheitsbehörden überhaupt. Die Verfassungs-schutzämter von Bund und Ländern haben kollektivversagt.
Wir Linke teilen diese Auffassung.An anderer Stelle heißt es – wieder Zitat Oppermann –:Leider wurde der Rechtsextremismus über vieleJahre systematisch unterschätzt. … Die Behördenhaben den brisanten Moment, als der Rechtsextre-mismus von der offenen Gewalt gegen Ausländerund Flüchtlinge über national befreite Zonen in denterroristischen Untergrund gegangen ist, schlichtverpasst.Ja, auch das ist leider zutreffend. Der SPD-Fraktions-chef zieht verbal durchaus die richtigen Schlussfolgerun-gen,
wenn er darauf drängt, dass die Rechtsgrundlagen derDienste grundlegend revidiert werden. Wir als Linke ge-hen da noch einen deutlichen Schritt weiter. Wir stellennicht zuletzt nach dem Versagen in Sachen NSU und beider Spionageabwehr beim NSA-Skandal die Existenzbe-rechtigung von Geheimdiensten grundsätzlich infrage.
So weit geht Herr Oppermann nicht. Er fordert aber im-merhin eine generelle Überarbeitung des BND-Gesetzes
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Dr. André Hahn
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und des G-10-Gesetzes sowie eine spürbare Verbesse-rung der parlamentarischen Kontrolle.Doch Ankündigungen sind das eine. Die Realität siehtleider anders aus.
Deshalb frage ich die Koalitionäre von Union und SPD– drei Jahre nach der Aufdeckung der NSU-Verbrechenund fast eineinhalb Jahre nach den Enthüllungen EdwardSnowdens zur massenhaften Überwachung der NSAauch bei uns in Deutschland –: Wo ist denn der Entwurfeines neuen BND- oder G-10-Gesetzes? Wo ist der Ent-wurf einer Novellierung des Gesetzes zur Arbeit desParlamentarischen Kontrollgremiums? Wo sind die Kon-sequenzen der Bundesregierung aus den Aussagen hoch-karätiger Verfassungsrechtler vor dem NSA-Untersu-chungsausschuss, nach denen zumindest ein Teil derTätigkeit des BND ohne jegliche Rechtsgrundlage statt-findet?
: Stimmt doch gar
nicht!)Überall Fehlanzeige. Doch daran werden Sie gemessenund nicht an Absichtserklärungen.
Statt mit einer grundlegenden Reform auch nur zu be-ginnen, machen Sie im vorliegenden Haushaltsplan et-was ganz anderes: Sie schanzen den Diensten erst einmalüber Jahre hinweg weitere Mittel in dreistelliger Millio-nenhöhe zu, ohne dass sich an der Arbeitsweise derDienste auch nur irgendetwas geändert hätte. Es ist dochgeradezu absurd, dass die Geheimdienste für ihr Versa-gen bei NSU und NSA de facto noch mit zusätzlichenSteuergeldern belohnt werden. Für uns Linke ist das in-akzeptabel.
BND und Verfassungsschutz sollen weiter aufgerüstetwerden, um mit den Überwachungstechniken der Ameri-kaner künftig halbwegs mithalten zu können. Das istdoch der völlig falsche Weg. Wo ist eigentlich, frage ichSie, das millionenschwere Programm zum Schutz derBürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmen hier inDeutschland vor Ausspähung und Spionage? Davon fin-det sich im vorliegenden Plan für 2015 nichts. Auch des-halb wird die Linke diesen Haushalt ablehnen.
Einige Anmerkungen zum Sportetat. Der Haushalts-ausschuss ist über den ursprünglichen Ansatz für 2015hinausgegangen; er hat die Mittel um 15 Millionen Euroaufgestockt. Das begrüßen wir; das ist positiv.
Ohne diese Anhebung hätte tatsächlich die Gefahr be-standen, dass der deutsche Spitzensport noch weiter indie Mittelmäßigkeit abrutscht, wie es der DOSB in sei-ner Presseerklärung ja selbst formuliert hat.Wir verstehen die jetzige Entscheidung so, dass es,anders als beispielsweise in Großbritannien, bei uns wei-terhin eine umfassende Spitzensportförderung gebensoll, die sich nicht allein an medaillenträchtigen Sportar-ten ausrichtet. Auch die Verstetigung der Mittelzuwei-sungen für das Programm „Integration durch Sport“ bis2017 ist richtig und sinnvoll. Allerdings gibt es leiderauch im Sporthaushalt durchaus Defizite.Über künftige deutsche Olympiabewerbungen kannman trefflich streiten, Herr de Maizière – ich persönlichbin für überzeugende Konzepte durchaus offen –, aberman muss auch zur Kenntnis nehmen, dass es zum Bei-spiel allein in Berlin über 1 000 sanierungsbedürftigeSportstätten gibt.
Einen derartigen Investitionsstau können die Länder al-lein kaum bewältigen. Deshalb bleiben wir Linke bei un-serer Forderung nach einem entsprechenden Förderpro-gramm des Bundes.
Da Sie jetzt so schimpfen,
darf ich Ihnen sagen, dass sich die Sportpolitiker derunionsregierten Länder im März dieses Jahres getroffenund einstimmig ein solches Förderprogramm des Bundesgefordert haben.
Sie haben es aber in beiden Ausschüssen abgelehnt.Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Wir ver-kennen nicht, dass es im Zuge der Beratungen zum In-nenetat einige vernünftige Korrekturen gegeben hat, sobeispielsweise bei der Verbesserung der Finanzierungder Nationalen Anti Doping Agentur oder auch bei derMigrationsberatung für Erwachsene, die gerade wirLinke immer unterstützt haben. Das ändert jedoch nichtsan unserer grundsätzlichen Kritik an den falschen Wei-chenstellungen im Einzelplan 06. Deshalb werden wirmit Nein votieren.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Dr. Hahn. – Nächster Redner inder Debatte: Rüdiger Veit für die SPD.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich kann mich jetzt nicht auf den Beitrag des KollegenHahn beziehen, weil ich mich in meiner Rede zu diesemBundeshaushalt nach unserer Aufgabenverteilung mitÜberlegungen zu Flüchtlingen und Integrationsaufgabenauseinanderzusetzen habe, was ich gerne tue.Um den Überraschungseffekt am Anfang auszunut-zen: Frau Hajduk, Sie haben in einem recht: Man kannsich bei ganz vielen Dingen, die gut gemeint sind undhoffentlich auch gut gemacht werden, vorstellen, dassnoch mehr getan wird und dass man noch mehr Geld da-für ausgibt.
Das ist zwischen uns völlig unstreitig. Wenn man abereben nicht so viel Geld hat, wie das vielleicht Ihren undvielleicht auch meinen Wunschvorstellungen entspräche,kann man nicht den Umkehrschluss daraus ziehen undsagen: Wenn ich nicht 100 Prozent bekomme, dann binich auch dagegen, dass es mindestens 50, 60 oder70 Prozent sind.Deswegen will ich Ihnen im Einzelnen noch einmalaufzählen, warum sich der Einzelplan 06 durchaus sehenlassen kann. Natürlich wird man einwenden, dass mandas schon einmal gehört hat. Erinnern Sie sich aber bitte– wer von Ihnen Lehrer ist, der hat das einmal so gelernt –:Die Wiederholung ist in der Pädagogik ein ganz wesent-liches Element der Vertiefung. Deswegen will ich dasgerne noch einmal tun.Erstens. Im Bundeshaushalt sind wiederum – auch imletzten Jahr war das so – 9 Millionen Euro für die Auf-nahme von Flüchtlingen aus humanitären Gründen ent-halten. Das ist gut so.Zweitens. Es gibt – darauf ist hingewiesen worden –eine durchaus beachtliche Steigerung im Bereich der Mi-grationsberatung für Erwachsene in Höhe von immerhin8 Millionen Euro. Wenn ich mir die Zahlen richtignotiert und gemerkt habe, dann wurden die Mittel von26 auf jetzt 34 Millionen Euro erhöht.Drittens – und das ist eigentlich noch wichtiger – ha-ben wir in einer Zeit, in der es eine große Anzahl zusätz-licher Zuwanderer und Flüchtlinge gibt, eine erheblicheSteigerung des Stellenbestandes beim Bundesamt fürMigration und Flüchtlinge erreicht. 300 Stellen mehrwaren es im letzten Jahr – soweit ich weiß, sind mittler-weile alle besetzt –, und mit diesem Haushalt schaffenwir für 2015 weitere 350 Stellen.Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als die-ses Amt in Nürnberg, diese nachgeordnete Bundesbe-hörde, noch den Namen „Bundesamt für die Anerken-nung ausländischer Flüchtlinge“ hatte. Alle, die damalsschon im Bereich der Flüchtlingsbewegung tätig waren,werden mir zustimmen: Wir, die wir guten Wollens undguten Willens im Sinne der Belange der Flüchtlinge tätigwaren, haben die Abkürzung BAFl eher so ausgeschrie-ben: Bundesamt für die Ablehnung von Flüchtlingen.Man kann das so sagen. Das war sozusagen unser nichtimmer emotionsfrei besetzter Angstgegner. Das hat sichseit dem Jahre 2001 aber gründlich geändert.Ich will diese Gelegenheit nutzen, um dem vormali-gen Präsidenten, Herrn Dr. Albert Schmid, und dem jet-zigen Präsidenten, Herrn Dr. Manfred Schmidt, ganzherzlich dafür zu danken, dass sie diese Behörde ganzerheblich und nachhaltig zu einer Dienstleistungsbe-hörde umgebaut haben, mit der wir häufig und intensivKontakt haben – auch und gerade im Sinne der Men-schen, die bei uns Zuflucht suchen.
Dort wird überwiegend eine hervorragende Arbeit ge-leistet. Denken Sie einmal daran, wie hoch die Zahl derFlüchtlinge in den vergangenen Jahren war. Heute müs-sen wir davon ausgehen, dass sich diese Zahl praktischverzehnfacht hat. Umso größer ist die Notwendigkeit,hier eine entsprechende Arbeit zu leisten. Dabei ist unsaus Sicht der SPD nicht nur eine zügige, sondern aucheine sorgfältige und rechtsstaatlich fundierte Bearbei-tung von Asylanträgen wichtig. Auch deswegen habenwir diesem Personalaufwuchs in der Koalitionsvereinba-rung zugestimmt und sehen wir das jetzt mit Freude auchin diesem Haushalt.Viertens. Nun komme ich zum Komplex Integrations-kurse, wofür 40 Millionen Euro mehr zur Verfügung ste-hen. Das ist aufgrund der gestiegenen Fallzahlen dergleiche Zuwachs wie im letzten Jahr.Ich will nicht verhehlen, dass in diesem Bereich nocheinige Wünsche offen bleiben. Die Mindestvergütung istnoch heute nur so hoch, dass die Lehrkräfte selbst beiVollzeit mit lediglich knapp 1 000 Euro netto über dieRunden kommen müssen. Es wäre wünschenswert, dasssie ein vernünftiges Einkommen haben, um wenigstensder jetzigen Armut, der notwendigen Aufstockung durchstaatliche Zusatzleistungen und auch der Armut im Alterzu entgehen.Das muss auch unser Interesse sein; denn ein hoherErfolg von Integrationskursen setzt guten Unterricht vo-raus, und guter Unterricht setzt gute Lehrkräfte voraus.Voraussetzung für gute Lehrkräfte ist wiederum, dassman sie halbwegs anständig bezahlt, sodass sie von die-ser Arbeit leben können und nicht, was man verstehenkann, bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen neuenJob annehmen, weil das der Kontinuität der Arbeit nichtguttut.Wir werden uns daher weiterhin dafür einsetzen, dassdurch einen entsprechenden Mittelaufwuchs in Zukunftauch eine angemessene Vergütung der Lehrkräfte undbei dem einen oder anderen Träger hoffentlich auch einesozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder sogar,wie ich hoffe, auch eine dauerhafte Anstellung ermög-licht werden. Das jedenfalls wäre auch weiterhin unserZiel. Im Rahmen des Möglichen sind wir jedoch durch-aus zufrieden.
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6482 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Rüdiger Veit
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Ich komme zum letzten Punkt: Perspektiven für dieZukunft. Es ist schon die Rede davon gewesen, HerrMinister – das müssen wir laut und deutlich sagen unddann die notwendigen Schlüsse ziehen –, dass es nichtsein kann, dass wir heute zwar eine weit verbreitete, be-grüßenswerte Akzeptanz und Sensibilität in unserer Be-völkerung dafür haben, dass schutzsuchende Menschenaus vielen Teilen dieser Welt zu uns kommen und hierZuflucht finden, dass wir aber diejenigen, die vor OrtIntegrationsarbeit zu leisten haben, nämlich die Kommu-nen, mit dieser Aufgabe, jedenfalls in weiten Teilen die-ser Republik, finanziell alleine lassen; denn Flüchtlings-angelegenheiten und deren Versorgung muss zwar vorOrt in den Kommunen geleistet werden, aber der Staat,also Bund oder Länder, muss es bezahlen. Daran müssenwir gemeinsam arbeiten.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin, und bitteum Nachsicht. Einen Punkt will ich uns allen mit auf denWeg geben. Wenn wir über die Frage reden: „Wie kön-nen wir den Kommunen nachhaltig helfen?“, dann willich Sie darüber informieren, dass der Parteivorstand derSPD gestern in einem Papier beschlossen hat: Wir soll-ten dafür sorgen, dass die Kosten für die Gesundheitsfür-sorge der Asylbewerber und Flüchtlinge nicht mehr vonden Kommunen oder teilweise den Ländern getragenwerden, sondern wir sollten dafür sorgen, dass dieFlüchtlinge im Rahmen der gesetzlichen Krankenversi-cherung eine Gesundheitsfürsorge erhalten und der Bunddafür die Kosten übernimmt;
übrigens ein Element aus Ihrem Antrag, das ich in derSache für richtig halte.
Ich möchte mich, offen gestanden, am liebsten aufdieses Instrument konzentrieren. In dem Augenblick, indem wir die Kommunen bei den Kosten für die Gesund-heitsfürsorge entlasten, tun wir auch unmittelbar etwasfür die Kommunen. Bei jedem anderen Finanzierungs-weg könnte es sein, dass Finanzierungsmittel des Bun-des möglicherweise in Länderhaushalten – ich sage eseinmal so – verschwinden.
Herr Kollege.
Daher möchte ich uns herzlich bitten, zu überlegen,
ob das nicht die schnellste, wichtigste und richtigste
Maßnahme wäre, um aktuell die Kommunen zu entlas-
ten und bei den Flüchtlingen für eine angemessene Ge-
sundheitsfürsorge zu sorgen.
Vielen Dank.
Danke, Kollege Rüdiger Veit. – Nächster Redner in
der Debatte ist Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen.
Hochverehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Ich möchte zu zwei Punkten etwas sagen, zumeinen zum Thema Sicherheit und zum anderen zumThema, wie wir die Situation der Flüchtlinge humanitärbewältigen.Herr Minister, ich war schon erstaunt, dass in IhrerRede – das spiegelt ein bisschen die Situation im Haus-halt wider – das Thema Cybersicherheit überhaupt nichtvorkam. Das ist jedoch eine zentrale Frage für den Wirt-schaftsstandort Deutschland.
Es ist auch eine zentrale Frage für das Haus in der Bun-desregierung, das für Sicherheit und Freiheit in diesemLand hohe Verantwortung trägt.
Sie haben zu Recht das Thema angesprochen – da ha-ben wir große Aufgaben zu bewältigen –: Was machenwir gegen den Terrorismus vom IS? Wir als Bundesrepu-blik Deutschland haben die Verantwortung, dafür zu sor-gen, dass dem IS keine weiteren Kämpfer aus Deutsch-land, aus Europa mehr zulaufen. Da tragen wir einegroße Verantwortung.Wir haben im Innenausschuss erheblichen Nachbes-serungsbedarf festgestellt, was die Exekution der gesetz-lich geregelten Sicherheitsmaßnahmen angeht. Auchbeim Schengener Informationssystem läuft vieles nichtrund. Da müssen wir besser werden. Ich war erstaunt,dass das in den Innenministerien von Bund und Ländernso lange liegen geblieben ist. Also: Nachbessern!
Aber Repressionen alleine, die in diesem Bereich not-wendig sind, können es nicht richten. Wir brauchen auchPrävention. Wir müssen um die Köpfe und Herzen derMenschen kämpfen, die sich von der IS-Propaganda an-gesprochen fühlen. Wir hatten im Innenausschuss Mittelfür ein Deradikalisierungsprogramm in Höhe von10 Millionen Euro beantragt. Sie haben das abgelehnt.Gut, dass Sie sich bis zur Bereinigungssitzung immerhinauf einen ersten zaghaften Schritt verständigen konntenund für diesen Bereich 5 Millionen Euro eingestellt ha-ben.Ich erwarte von Ihnen, dass Sie in diesem Zusammen-hang zivilgesellschaftliche Akteure suchen und stärken,die in diesem Bereich arbeiten wollen. Weisen Sie, HerrInnenminister, deshalb nicht die ausgestreckte Hand desZentralrats der Muslime zurück, der gesagt hat: Wir wol-len unsere Imame so ausbilden, dass in unseren Gemein-den keiner mehr auf solche terroristischen Rattenfängerhereinfällt.
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Volker Beck
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Lassen Sie mich zum Thema Flüchtlinge kommen.Rüdiger Veit – meine Kollegin Hajduk hat es vorhinauch schon gesagt –, deine Vorstellungen werden wahr,indem du dem Antrag unserer Fraktion am Freitag zu-stimmst. Ich halte es auch für einen zentralen Punkt imUmgang mit den Flüchtlingen, dass wir begreifen: Esliegt eine doppelte Aufgabe vor uns, nämlich einerseitsdie Menschenwürde und den Schutz der Flüchtlinge inden Mittelpunkt zu stellen, anderseits aber auch zu er-kennen, dass damit ein Potenzial an Menschen auf unszukommt, die etwas beitragen können, und dass wir dieVerantwortung haben, die Rahmenbedingungen so zugestalten, dass sie ihren Beitrag zu unserer Gesellschaftleisten können.
Das deklinieren wir in unserem Antrag durch. Dasheißt, dass wir den Menschen, die hierherkommen, vonAnfang an die Möglichkeit geben, sich durch Integra-tionskurse für den deutschen Arbeitsmarkt fit zu ma-chen, vor allem nachdem sie in Zukunft nach drei Mona-ten die Arbeitserlaubnis erhalten sollen und später dieVorrangprüfung ganz wegfällt. Das ist entscheidend, da-mit sie die Qualifikation, die sie mitbringen, in Deutsch-land verwerten können.Im Zusammenhang mit der Novellierung des Asylbe-werberleistungsgesetzes regt mich eines wirklich auf.Das hat Rüdiger Veit zu Recht angesprochen. Es gibteine Möglichkeit, die Kommunen enorm zu entlasten,die das dringend brauchen, und der Menschenwürde derFlüchtlinge gerecht zu werden. Das Bundesverfassungs-gericht hatte bei seiner Entscheidung zum Asylbewer-berleistungsgesetz nur über das Existenzminimum zu be-finden. Aber es hat einen Satz gesagt, den man auf dasganze Gesetz anwenden muss: „Die in Artikel 1 Absatz 1Grundgesetz garantierte Menschenwürde ist migrations-politisch nicht zu relativieren.“Asylbewerbern steht heute als Gesundheitsfürsorgenur akute Nothilfe und Schmerzbehandlung zu. Mehrgewährleistet das Asylbewerberleistungsgesetz nicht.Ich meine, dass die Behandlung einer Krankheit in ei-nem Sozialstaat wie der Bundesrepublik Deutschlandzur Menschenwürde gehört. Deshalb müssen wir dieFlüchtlinge endlich krankenversichern.
Das ist ein Gebot der Humanität, und es ist klug, dieKommunen so zu entlasten. Das kostet etwas. Ein Kol-lege von der CDU/CSU fragte gerade, ob das die Bei-tragszahler bezahlen sollen. Nein, natürlich muss die öf-fentliche Hand die Beiträge für die Flüchtlinge zahlen.Das können wir nicht den Beitragszahlern aufbürden.Aber das sollten wir schultern.Wenn wir akzeptieren, dass die Menschen, die zu unskommen, Grundbedürfnisse haben, und wir sie ernstnehmen, dann ist die Gesundheitsversorgung ein ersterSchritt, um sie mitten in unsere Gesellschaft zu holen.
Herr Minister, Sie haben vorhin die Frage der siche-ren Herkunftsstaaten und der Roma angesprochen. Ichwar zufälligerweise, weil in Belgrad der Gay Pride statt-gefunden hat, eine Woche nach der Entscheidung desBundesrates selbst in Serbien, und ich habe dort Roma-siedlungen besucht. Die Menschen dort sind übrigenszum Teil aus Deutschland in den Kosovo abgeschobenworden und dann ohne Papiere in Serbien in einer wil-den Siedlung aufgetaucht. Sie leben dort ohne Wasser-versorgung, ohne Behausung und ohne Zugang zu ir-gendwelchen Sozialleistungen, weil sie für die serbischeRegierung nicht existent sind. Es gibt einige Hundertsolcher Siedlungen.Meines Erachtens ist die entscheidende Frage nicht,ob es sich um einen sicheren Herkunftsstaat handelt odernicht, sondern wie wir in unserem Flüchtlingsrecht da-mit umgehen, wenn Menschen durch Diskriminierungsystematisch der Zugang zu den essenziellen Menschen-rechten Nahrung, Wasser, Kleidung und Schutz vor ge-walttätigen Übergriffen verwehrt ist. Das betrifft Serbiengenauso wie Bulgarien und Rumänien, die sogar Mit-gliedstaaten der Europäischen Union sind. Sie habendeshalb als deutscher Innenminister im Kreis Ihrer euro-päischen Kollegen eine enorme Verantwortung. Ichfinde, der kommen wir in der Bundesrepublik wie auchin den anderen Staaten der Europäischen Union nichthinreichend nach.
Herr Beck.
Sie haben dafür plädiert, diesen Staaten ein Label aus-
zustellen. Das geht mit der Verantwortung einher, nun
dafür zu sorgen, dass die Einhaltung der Menschen-
rechte dieser Menschen tatsächlich gesichert ist. Sie ist
es noch nicht.
Danke, Herr Kollege Beck. – Nächster Redner ist
Stephan Mayer für die CSU-CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir leben aus meinerSicht seit langem wieder einmal in einer Zeit, in der in-nenpolitische Themen ganz oben auf der politischenAgenda stehen. Eine solche Zeit gab es lange nicht mehr.Man kann mit Fug und Recht behaupten: Der Haushaltdes Innenministeriums, den wir heute verabschieden,wird den gestiegenen und großen Herausforderungenvollumfänglich gerecht. Das wurde aber erst dadurch er-reicht – das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sa-gen –, dass in der Bereinigungssitzung des Haushalts-
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6484 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Stephan Mayer
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ausschusses ein deutlicher Aufwuchs im Einzelplan 06ermöglicht wurde. Ich muss ehrlich sagen: Ich persön-lich hätte es für nicht möglich gehalten, dass sich einderartiger Aufwuchs darstellen lässt. Deswegen möchteich nicht hintanstehen, den Haushältern, insbesondereden Mitgliedern des Haushaltsausschusses, die diesemAufwuchs zugestimmt haben, ausdrücklich zu danken.Das kann sich sehen lassen. Allein 113 MillionenEuro zusätzlich werden für die Bundespolizei ein-gestellt. Ich kann mir gut vorstellen, dass es durchausattraktivere Bereiche gibt, denen man sich im Haus-haltsauschuss zuwenden könnte, zum Beispiel mehrGeld für Verkehrsinfrastruktur, mehr Geld für sozialeWohltaten oder mehr Geld für Forschung und Bildung.Aber dass hier ein deutliches Signal für die innere Si-cherheit und die Bedeutung der Innenpolitik gesetztwurde, verdient großen Respekt. Deswegen von meinerSeite aus ein herzliches Dankeschön an die Adresse derHaushälter!
Insbesondere der Aufwuchs der Mittel für die Bun-despolizei ist ein klares Signal dafür, dass wir verstandenhaben, dass die Bundespolizei vor gestiegenen Heraus-forderungen, vor einem Aufwuchs an Aufgaben stehtund dass wir diesen Herausforderungen gerecht werdenmüssen. 406 zusätzliche Stellen können sich genauso se-hen lassen wie 356 zusätzliche Stellenhebungen. Ichmöchte gar nicht behaupten, dass damit alles getan ist.Hier gilt der gleiche Grundsatz wie im Fußball: Nachdem Haushalt ist vor dem Haushalt. Natürlich wird esauch in Zukunft darum gehen, die Bundespolizei sowohlpersonell als auch sächlich besser auszustatten. Aberdas, was in der Bereinigungssitzung des Haushaltsaus-schusses erreicht wurde, kann sich wirklich sehen lassen.Ich würde mich freuen, wenn sich die Länder stärkeran der Bundespolizei orientieren würden. Bei der Bun-despolizei gab es in den letzten zehn Jahren einen Auf-wuchs an Stellen. Wenn man sich aber die Gesamtstruk-tur der Polizeien des Bundes und der Länder anschaut,dann stellt man bedauerlicherweise fest, dass es heuteüber 10 000 Vollzugsbeamte weniger gibt als vor zehnJahren. Das stellt eine klare Hausaufgabe für die Länderdar.Wir sollten trotz der aktuellen Themen wie der Bedro-hung durch den sogenannten „Islamischen Staat“ und diedeutliche Zunahme der Zahl der Asylbewerber nicht ver-gessen, was die Bevölkerung unmittelbarer betrifft undstärker besorgt: die Alltagskriminalität und die deutlicheZunahme im Bereich der organisierten Kriminalität.Man sollte nicht vergessen, dass in Deutschland alledreieinhalb Minuten ein Wohnungseinbruchsdiebstahlstattfindet. Solche Themen berühren das subjektive Si-cherheitsempfinden der Bevölkerung. Wir sollten uns inder Innenpolitik verstärkt solchen Themen zuwenden. Esgeht vor allem darum, den internationalen Austauschvon Informationen zu verbessern. In diesem Zusammen-hang ist es als ein großer Erfolg anzusehen, dass erst-mals in der Geschichte von Interpol – der Dank und dieGratulation gehen an die Adresse des Bundesinnen-ministers – mit Herrn Dr. Stock, dem bisherigen Vize-präsidenten des BKA, ein deutscher Beamter Generalse-kretär wurde.
Das kann sich ebenfalls sehen lassen und macht deutlich,dass unsere Sicherheitsbehörden über hervorragendesPersonal verfügen.Genauso wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir sinn-volle Präventionsmaßnahmen unterstützen, damit sichdie Bürgerinnen und Bürger persönlich gegen Woh-nungseinbruchsdiebstähle besser schützen können. Invielen Städten und Gemeinden nimmt die Verunsiche-rung zu, weil ein deutlicher Zuwachs an Einbruchsdieb-stählen bei Gewerbeansiedlungen und Wohnungen zuverzeichnen ist.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, einegroße Bedrohung stellt mit Sicherheit der internationaleTerrorismus dar. Es ist eine außerordentlich besorgniser-regende Entwicklung, dass mittlerweile 500 Dschihadis-ten Deutschland verlassen haben und auf dem Weg nachSyrien und in den Nordirak sind. Aber wir sollten unsgar nicht nur auf die Zahl der aus Deutschland Ausge-reisten kaprizieren: Insgesamt sind allein aus Westeu-ropa mittlerweile über 3 000 Dschihadisten nach Syrienund in den Nordirak gereist.Nach Deutschland sind zumindest nach offiziellenAngaben 180 wieder zurückgekehrt. Diese Rückkehrerwerden die Sicherheitsbehörden in Zukunft vor nochgrößere Herausforderungen stellen. Ich bin Ihnen, HerrBundesminister, sehr dankbar, dass Sie sehr konsequentund schnell mit der Verbotsverfügung gegenüber demsogenannten „Islamischen Staat“ gehandelt haben. Daswar ein klares Zeichen. Sie haben erwähnt, dass es schonerste Ermittlungsverfahren wegen dieses Betätigungs-verbotes gibt. Ich sage aber auch ganz offen: Das wirdaus meiner Sicht nicht reichen, weil es nach wie vorheute noch zulässig ist, für Boko Haram, für al-Nusraund für al-Schabab Werbung zu machen.Deswegen bin ich der felsenfesten Überzeugung, dasswir auch die Debatte führen müssen, ob es nicht richtigist – ich bin der Meinung, es wäre richtig –, die Sympa-thiebekundung für ausländische terroristische Organisa-tionen wieder unter Strafe zu stellen, wie es schon vor2002 der Fall war.
Ausdrückliche Unterstützung bekommen Sie, sehr ge-ehrter Herr Bundesminister, bei Ihrem Vorhaben, dasPersonalausweisgesetz dahin gehend zu novellieren,dass in Zukunft, wie es schon jetzt beim Reisepass mög-lich ist, ausreisewilligen Dschihadisten auch der Perso-nalausweis entzogen werden kann.Ich denke, dass wir uns auch intensiv damit beschäfti-gen sollten, ob wir nicht unser Staatsangehörigkeitsge-setz ändern müssen. Es kann nicht sein, dass Personen,die zwei Staatsangehörigkeiten haben, die deutsche undnoch eine, sich offenkundig gegen unsere Werte und ge-gen die freiheitlich-demokratische Grundordnung wen-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6485
Stephan Mayer
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den. Deswegen halte ich es für richtig, dass wir, wieauch in anderen Ländern, zum Beispiel in Großbritan-nien, die gesetzliche Möglichkeit im Staatsangehörig-keitsgesetz schaffen, dass bei Doppelstaatlern die deut-sche Staatsangehörigkeit entzogen werden kann, um zuverhindern, dass diese Personen wieder nach Deutsch-land einreisen.
Denn gibt es ein deutlicheres Zeichen dafür, dass mansich von Deutschland und von unserer freiheitlich-demo-kratischen Grundordnung abgewandt hat, als sich demsogenannten „Islamischen Staat“ anzuschließen?
In diesem Zusammenhang ist es aus meiner Sichtauch wichtig, ein klares Bekenntnis zum Verfassungs-schutz abzugeben. Ich bin dem Haushaltsausschussdankbar, dass es möglich war, im Haushalt 2015 dasBundesamt für Verfassungsschutz sowohl personell alsauch mit Sachmitteln besser auszustatten. Wenn mansich vor Augen führt, dass allein 24 Mitarbeiter des Ver-fassungsschutzes notwendig sind, um nur einen Dschi-hadisten in Deutschland rund um die Uhr, also 24 Stun-den lang, zu beobachten, dann muss es doch jedemeinleuchten, dass wir im Bundesamt für Verfassungs-schutz mehr Personal benötigen. Deshalb ein herzlichesDankeschön an die Adresse der Haushälter, dass es zueinem Personalaufwuchs auch beim Bundesamt für Ver-fassungsschutz kommt.Ich persönlich bin der festen Überzeugung: Wennman die Sicherheitsbehörden in Deutschland miteinan-der vergleicht, dann stellt man fest, dass das Bundesamtfür Verfassungsschutz die am schlechtesten ausgestatteteBehörde ist, sowohl was das Personal als auch was dieSachausstattung anbelangt. Hier gilt es auch weiterhindeutlich nachzubessern.Natürlich haben Maßnahmen zur Bewältigung derdeutlichen Zunahme der Flüchtlinge und Asylbewerbereine hohe Priorität. Es ist schon erwähnt worden:650 zusätzliche Stellen sind in zwei Haushaltsjahren al-lein für das Bundesamt für Migration und Flüchtlingegeschaffen worden. Das wird ermöglichen, dass die Ver-fahrensdauer deutlich reduziert wird. Es ist auch völligrichtig, dass der Schwerpunkt auf die Bürger gelegtwird, die aus den sicheren Herkunftsstaaten kommen.Es muss erreicht werden, dass die Verfahren der Per-sonen aus den sicheren Herkunftsstaaten schon ab-geschlossen werden, solange die sich noch in der Erst-aufnahmeeinrichtung aufhalten, um dann eineschnellstmögliche Rückführung in das Heimatland zugewährleisten. Auf der anderen Seite ist es genauso rich-tig, dass die Verfahren der Bürger, die aus Syrien, ausdem Nordirak und aus Afghanistan kommen, ebensoschnell abgewickelt werden, weil zu fast 100 Prozent da-von auszugehen ist, dass diese Menschen über Jahre hin-weg, vielleicht sogar für immer, in Deutschland bleibenwerden. Deswegen unterstützen wir nachdrücklich dieBemühungen, dass auf diese beiden Personenkreise einehohe Priorität gesetzt wird, was die Verfahrensdauer an-belangt.
Ein großer Erfolg ist, dass es möglich war, das Gesetzzur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunfts-staaten zu verabschieden. Das wird mit Sicherheit – da-von bin ich fest überzeugt – eine klare Signalwirkungentfalten. Ich glaube schon, dass es unsere gemeinsameAufgabe in den nächsten Monaten und vielleicht sogarJahren sein wird, dass wir den momentan noch vorhan-denen – ich hoffe, es bleibt auch so – gesellschaftlichenKonsens in unserer Bevölkerung erhalten, dass wir zu je-der Zeit denen gegenüber offen sind, die politisch ver-folgt sind, denen Gefahr für Leib und Leben droht. Esdarf auch durch keine Quote und durch kein Kontingentjemals verhindert werden, dass jemand, der aus welchenGründen auch immer verfolgt ist, der flüchtet, der gede-mütigt wurde, der malträtiert wurde, in Deutschland Un-terschlupf finden kann.
Herr Kollege.
Um dies zu erreichen, müssen wir auf der anderen
Seite konsequenter sein, wenn es um die Abschiebung
derjenigen geht, die nicht asylberechtigt sind.
Es kann nicht sein, dass der Grundsatz gilt: Wer asylbe-
rechtigt ist, der darf in Deutschland bleiben, und wer
nicht asylberechtigt ist, der darf auch in Deutschland
bleiben.
Dieser Grundsatz darf eben nicht gelten. Da geht der Ap-
pell vor allem in Richtung der Länder, konsequenter ab-
zuschieben.
Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit; sonst
muss ich bei einem anderen Mitglied Ihrer Fraktion Re-
dezeit abziehen.
Ich komme sehr gerne zum Schluss.Ich darf mich abschließend wirklich ganz herzlich be-danken. Wie so häufig hat der Erfolg viele Väter. Ichmöchte aber nicht verhehlen, dass es vor allem die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und insbesondere die Fachpo-litiker in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion waren, dienachdrücklich immer wieder darauf hingewiesen haben,dass der Einzelplan 06, vor allem was die Sicherheitsbe-hörden anbelangt, nicht auskömmlich ausgestattet ist. In-sofern noch einmal ein herzliches Dankeschön für diesesgute Ringen um den richtigen Weg. Ich glaube, das ist
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6486 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Stephan Mayer
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wirklich ein Erfolg, der sich sehen lassen kann. DieserErfolg verdient auf jeden Fall die Zustimmung des ge-samten Hohen Hauses.Herzlichen Dank.
Danke, Herr Kollege Mayer. – Frau Dr. Eva Högl von
der SPD ist die nächste Rednerin.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Unsere Sicherheitsbehörden leisten einehervorragende Arbeit. Ich finde, es ist eine gute Gele-genheit, in der Haushaltsdebatte zum Innenhaushalt diesnoch einmal ausdrücklich zu betonen.Dass wir hier alle sicher leben, dass wir vor Straftatengeschützt werden, dass Straftaten aufgeklärt werden, dashaben wir – das ist heute schon ein paarmal gesagt wor-den; ich betone es aber noch einmal – den Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern der Polizei – wir sprechen hier ins-besondere über die Bundespolizei –, des Bundesamtesfür Verfassungsschutz und des Bundeskriminalamtes zuverdanken. Diese leisten einen wichtigen Beitrag für un-sere Sicherheit.
Ich komme zum Thema Kritik. Es ist richtig undwichtig, dass wir dort, wo es angebracht ist, Kritik üben.Wir haben in der letzten Sitzungswoche über die NSU-Mordserie gesprochen. Wir haben im Untersuchungsaus-schuss im Zusammenhang mit dieser Mordserie nichtnur Fehler und Versäumnisse, sondern ein echtes Versa-gen aufdecken müssen. Insofern ist es richtig, dass wirdas hier nicht nur ansprechen und aufgreifen, sondernauch – das ist für uns entscheidend – zum Ausgangs-punkt für zahlreiche Reformen nehmen.Ich möchte die Reformen beim Verfassungsschutz an-sprechen, die wir vor uns haben. Herr Minister, wir ha-ben uns diese Reformen für das nächste Jahr vorgenom-men. Wir wollen den Verfassungsschutz grundlegendreformieren. Einige Bundesländer haben das schon ge-macht, und auch wir müssen das für den Bund auf jedenFall in Angriff nehmen. Wir müssen die Analysefähig-keit des Verfassungsschutzes verbessern. Wir haben esbeim NSU-Untersuchungsausschuss gesehen: Rechts-extremismus wurde über viele Jahre – man kann sagen:Jahrzehnte – verharmlost, und Rechtsextremismuswurde nicht als Gefahr für unsere Gesellschaft gesehen.Das müssen wir ändern. Da ist der Verfassungsschutzgefragt, ganz frühzeitig Entwicklungen zu registrierenund dann gut im Blick zu behalten.Wir haben es jüngst beim Thema HoGeSa in Köln ge-sehen, dass ganz offensichtlich die Einschätzung falschwar, dass Rechtsextreme nicht in der Lage sind, ganzkurzfristig mehrere Tausend Menschen nach Köln zumobilisieren und dort nicht nur die Polizei, Bürgerinnenund Bürger, sondern auch unsere Sicherheit insgesamtzu bedrohen und Stimmung zu machen. Deswegen ist eswichtig, dass wir den Verfassungsschutz gut reformierenund gut aufstellen.Es gibt ein paar Punkte, die wir uns dabei vorgenom-men haben; sie betreffen die Zusammenarbeit zwischenBund und Ländern. Wir wollen hier im Deutschen Bun-destag dafür werben, dass das Bundesamt für Verfas-sungsschutz eine Zentralstelle wird. Das wäre richtigund wichtig. Nicht für alles ist eine Zentrale die richtigeStelle. Wir wollen den Föderalismus natürlich beibehal-ten und, wie wir betonen, auch im Innenbereich; abermanche Dinge sind in der Zentralstelle doch besser auf-gehoben. Deswegen müssen wir das BfV an dieser Stellestärken.Wir wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen, den ge-samten Bereich der V-Leute neu regeln. Wir sind derAuffassung: Wir brauchen V-Leute. Aber wir haben fest-stellen müssen, dass ihr Einsatz, ihre Führung, ihre Be-zahlung und auch ihre Kontrolle nicht ansatzweise demgenügen, was wir für erforderlich halten, damit sie wert-volle Informationen geben können und uns bei der Beur-teilung der Lage helfen können.Ich werbe an dieser Stelle noch einmal dafür, dass wirdie G-10-Kommission ins Boot holen und die Kontrolleüber den Einsatz der V-Leute auf die G-10-Kommissionverlagern. Es ist nichts, was nur parlamentarische Auf-gabe ist; aber es ist auch nichts, was allein in der Be-hörde bleiben kann.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen in denSicherheitsbehörden exzellente Mitarbeiterinnen undMitarbeiter. Wir haben da schon viele; aber nichts ist sogut, dass es nicht noch besser werden kann. Wir verlan-gen viel von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern derSicherheitsbehörden; unsere Erwartungen sind hoch.Deswegen ist es auch richtig und gut – das ist heuteschon ein paarmal betont worden; ich betone es nocheinmal und danke auch hier den Haushälterinnen undHaushältern –, dass wir die Sicherheitsbehörden gut aus-statten sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gutbezahlen.
Es kann nicht sein, dass Beamte der BundespolizeiTeile ihrer Ausrüstung selbst bezahlen müssen, dass sieKnieschützer oder Anoraks selbst kaufen müssen. Eskann auch nicht sein, dass beim Verfassungsschutz be-stimmte Entwicklungen nicht in den Blick genommenwerden, weil nicht genügend Personal da ist. Deswegenist es gut, dass wir 20 Millionen Euro zusätzlich für Aus-rüstung und Fahrzeuge bei der Bundespolizei sowie400 Stellen zusätzlich bereitstellen und außerdem – dasmöchte ich auch noch einmal betonen – auf 250 Stellenbei der Bundespolizei Beförderungen möglich machen.Es ist nämlich wichtig, dass wir gute Arbeit gut beloh-nen und auch Anreize schaffen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6487
Dr. Eva Högl
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Ich unterstütze ausdrücklich, dass wir die Mittel fürdas Bundesamt für Verfassungsschutz aufstocken, dasswir 10 Prozent – rund 21 Millionen Euro – mehr dafürbereitstellen; denn – ich habe es eben schon gesagt –auch der Verfassungsschutz leistet eine wichtige Arbeitund muss entsprechend unterstützt werden.
Wir werden bei künftigen Haushaltsberatungen, liebeKolleginnen und Kollegen, noch einmal über Cyber-kriminalität, über das Thema Kinderpornografie und dasThema „Ausstattung des Bundeskriminalamts“ sprechenmüssen. Wir sehen im Untersuchungsausschuss gerade,was für eine exzellente Arbeit die Mitarbeiterinnen undMitarbeiter des Bundeskriminalamts, die sich mit demschwierigen Thema Kinderpornografie befassen, dabeileisten.
Ich möchte das nicht den ganzen Tag machen. Deswegenauch an dieser Stelle ein Dankeschön dafür! Ich glaube,dass wir da auch noch Nachholbedarf haben. Wenn wirwollen, dass Kinderpornografie besser und wirksamerbekämpft wird, müssen wir das Bundeskriminalamt unddie anderen Stellen besser ausstatten.Ich habe über Sicherheit gesprochen; jetzt noch einWort zur Demokratieförderung. Wir setzen auch beimKampf gegen Rechtsextremismus gute Akzente. Wir ha-ben im Einzelplan 06 das Programm „Zusammenhaltdurch Teilhabe“. Ich sage es ganz offen: Die SPD-Bun-destagsfraktion hätte dieses Programm sehr gern weiteraufgestockt. Wir haben dafür 6 Millionen Euro vorgese-hen. Wir hätten es gern auf Westdeutschland ausgedehnt,damit wir auch Vereine und Verbände in Westdeutsch-land hinsichtlich Fortbildungs- und Qualifikationsmaß-nahmen besser ausstatten können.
Das war leider nicht möglich; das hätte ich aber gut ge-funden.Was aber möglich war – das betrifft jetzt nicht denEinzelplan 06, aber ich möchte es an dieser Stelle her-vorheben –: Wir haben erreicht, dass 10 Millionen Euromehr für das Programm „Demokratie leben! Aktiv gegenRechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlich-keit“ bereitgestellt werden, und das ist ein riesengroßerErfolg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir haben jetzt 40 Millionen Euro für dieses wichtigeProgramm. Wir reden nicht nur, sondern wir handeln.Wenn man das mit dem zusammenzählt, was die Bun-deszentrale für politische Bildung erhält – das sind wei-tere 5 Millionen Euro –, dann kommen wir sogar auf die50 Millionen Euro, die wir im NSU-Untersuchungsaus-schuss immer gefordert haben und die wir brauchen, umuns in der Demokratie wirksam gegen Rechtsextremis-mus und andere Formen der Menschenfeindlichkeit zuengagieren. Das, denke ich, ist ein großer Erfolg.Den eingeschlagenen Weg gehen wir weiter. Ichdanke allen, die dafür geworben und gekämpft habenund sich daran beteiligt haben, und freue mich auf wei-tere innenpolitische Debatten zum Thema Haushalt.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Eva Högl. – Nächster Redner in der De-
batte: Dr. André Berghegger für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Die solide Finanz-politik der Bundesregierung erfährt, glaube ich, eine im-mer breitere Zustimmung in der Bevölkerung und auchbei den Wissenschaftlern in unserem Land.
Die schwarze Null war, ist und bleibt dabei, denke ich,ein Kernanliegen der Union. Mit dem anstehenden Be-schluss über den Haushaltsplan 2015 halten wir Wort.Das schafft Vertrauen, und – wie hat unser Bundes-finanzminister heute Morgen gesagt? – das ist auch sehrwichtig in der fragilen Situation der Wirtschaft in Eu-ropa.Lieber Stephan Mayer, ich nehme dein Zitat gerneauf, nur in etwas anderer Weise. Die Fußballweisheit„Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ gilt auch hier; dennwir können uns kurz über diesen ausgeglichenen Haus-halt freuen. Aber entscheidend ist, dass wir das nachhal-tig angehen, dass wir dauerhaft ausgeglichene Haushalteohne Neuaufnahme von Krediten beschließen.
Das erfordert natürlich Ausgabendisziplin. Ich glaube,wir tun gut daran, an dieser Stelle erst einmal das zu be-schließen, was wir zwingend vereinbart haben – das istschwierig genug –, bevor wir uns neuen Projekten zu-wenden.
Ein Haushalt ohne neue Schulden ist ja kein Selbst-zweck, sondern er soll schlicht und ergreifend die Zu-kunftsfähigkeit unseres Landes sichern. Konsolidierenund Wachsen gehen zusammen. Das haben wir, glaubeich, an den Wachstumsraten in Deutschland in den letz-ten Jahren feststellen können. Außerdem wird dadurchBeschäftigung geschaffen. Das ist generationengerecht,und eine solche Politik schafft Spielräume für die Zu-kunft und auch für diesen Einzelplan.
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6488 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Dr. André Berghegger
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Ich denke, ein Haushalt muss Antworten auf gesell-schaftspolitische Fragen liefern. Auf diese gesellschafts-politischen Fragen liefert zum Teil auch dieser Einzel-plan 06 Antworten. Wir hatten einen guten Entwurf derBundesregierung. Den haben wir in den Beratungen aberStück für Stück noch spürbar verbessert mit einemSchwerpunkt im Bereich der inneren Sicherheit. Ichglaube, dafür gab es im Haushaltsausschuss großeRückendeckung über alle Fraktionen hinweg. Aber– auch das wurde in dieser Debatte mehrfach deutlich –im Einzelplan 06 geht es nicht darum, den Status quo zubewahren, sondern es ist ein Anfang gemacht, und wirmüssen schauen, wo wir weitermachen können, wennwir Spielräume erarbeiten.Der Einzelplan wächst um 350 Millionen Euro imVergleich zum Regierungsentwurf. Das ist ein beachtli-cher Wert. Herr Bartsch, Sie haben dazu am Anfang derDebatte, glaube ich, gesagt: Dies ist aus meiner Sichtkeine Resultante der schwarzen Null – so haben Sie es,glaube ich, formuliert –, sondern das ist eine bewusstepolitische Schwerpunktsetzung im Laufe des parlamen-tarischen Verfahrens hin zum Bereich innere Sicherheit. –Auch ich glaube, das ist sehr gut so.
Die Nachrichten in den letzten Monaten sind geprägtvon den Stichworten: Krisen, Terror, Ausbreitung vonSeuchen. Meldungen und Bilder davon sehen wir jedenTag, und sie erschüttern uns. Insbesondere meine ich da-mit natürlich die Krise in der Ukraine, wo nach wie vorjeden Tag Leute umkommen, das Terrorregime des soge-nannten „Islamischen Staats“ und die Ausbreitung derEbolaseuche in Westafrika. Das scheint alles sehr weitweg von uns zu sein. Aber in Wirklichkeit ist es uns ganznah. Wer einmal interessehalber die Entfernungen vonBerlin nach Kiew bzw. bis zur Krim heraussucht, wirdfeststellen, dass das alles viel näher ist als teilweise unssehr bekannte Urlaubsziele. Deswegen ist es sehr wich-tig, dass wir uns damit intensiv beschäftigen und dasswir Hilfe in dem Umfang gewähren, wie wir das können.Ich glaube, Deutschland leistet einen sehr guten Beitragim Rahmen der internationalen Gemeinschaft; denn nurdurch gemeinsame Anstrengungen können wir wir-kungsvolle Unterstützung liefern.Natürlich haben die angesprochenen Themen auchAuswirkungen auf die Innenpolitik und insbesondere aufden Geschäftsbereich des Innenministeriums. EinigeStichworte wurden schon angesprochen. Ich möchte sieaber – sehen Sie es mir nach – gerne wiederholen.Ich beginne als Erstes mit der Bundespolizei. DerAufgabenbereich hier ist stetig gewachsen. Die Stich-worte sind gefallen: Sicherung von Flughäfen und Bahn-höfen, Überwachung der Grenzen gegen Schmuggel undnatürlich in letzter Zeit vermehrt gegen illegale Migra-tion, Aufgaben bei Fußballspielen und Bekämpfung derorganisierten Kriminalität.Vor kurzem konnte ich mir mit Kolleginnen und Kol-legen einmal wieder persönlich ein Bild von der Arbeitder Bundespolizei machen. Wir durften teilnehmen aneiner grenzübergreifenden Großkontrolle von deutschenund niederländischen Polizeibeamten an der A 30. MitHänden war dort zu greifen, dass die Beamtinnen undBeamten bis an ihre Belastungsgrenze gehen, sowohl inpersoneller als auch sachlicher Hinsicht. Ihre Arbeit istfür uns von unschätzbarer Bedeutung. Wir habenschlicht und ergreifend die Aufgabe, die Voraussetzun-gen dafür zu schaffen, dass sie ihre Arbeit weiterhin gutleisten können. Ich denke, da sind wir auf einem ver-nünftigen Weg. An dieser Stelle möchte ich mich gernedem Dank an die Beamtinnen und Beamten anschließen:Vielen Dank für ihren unermüdlichen Einsatz zum Wohlunserer Gesellschaft!
Entsprechende Weichenstellungen im Haushalt sindvorgenommen worden:Die Aufstockung der Mittel und ebenso die neu ge-schaffenen Stellen aufgrund von Stellenanhebungen– neben dem bereits existierenden Stellenhebungspro-gramm – wurden bereits angesprochen. Dies ist, wie ichglaube, eine gute Voraussetzung für die zukünftige Ar-beit.Ebenso erwähnen möchte ich die Mittel für die An-schaffung moderner Schutzbekleidung und neuer Ein-satzfahrzeuge. Dadurch haben wir gute Voraussetzungenzur Entwicklung mithilfe dieses Einzelplans geschaffen.Ich fühle mich bestätigt durch ein Schreiben vomHauptpersonalrat des Bundesinnenministeriums, dasnicht nur ich, sondern auch die anderen Mitglieder desInnen- und Haushaltsausschusses bekommen haben. Da-rin bedankt er sich für unser Engagement hinsichtlichder Schwerpunktsetzung dieses Einzelplans. DiesesSchreiben traf nach der Beschlussfassung ein. Es handeltsich also um ein Dankesschreiben und nicht um einSchreiben mit Wünschen und Forderungen im Vorfeld.Ich glaube, auch das zeigt, dass wir auf einem richtigenWeg sind.Der zweite Punkt – wahrscheinlich zählt dieser Punktzu den größten Herausforderungen, die vor uns stehen –umfasst die Migration und Integration. Die Integrations-arbeit ist für unsere Gesellschaft wichtig, für die Zukunftwahrscheinlich existenziell wichtig. In verschiedenenFacetten haben wir diesen Bereich aufgewertet: Zu-schüsse für die Minderheitengremien und für die Migra-tionsberatung von erwachsenen Zuwanderern und mehr.Ein Ziel für uns muss es aber sein, eine deutliche Be-schleunigung der Asylverfahren zu erreichen. Dafür lie-ferte natürlich die neue Einstufung in sichere Herkunfts-länder einen Beitrag. Das bietet die Grundlage für dieAblehnung von offensichtlich unbegründeten Anträgenvon Personen aus diesen Ländern. Unbeschadet dieserMöglichkeit können die Betroffenen natürlich individu-ell immer wieder versuchen, nachzuweisen, dass siepolitisch verfolgt werden.Wir müssen auf die dynamische Entwicklung in die-sem Bereich reagieren. Die Zahl der Asylbewerber auf-grund von Flucht und Vertreibung, insbesondere ausdem syrischen Raum, nimmt deutlich zu. Aktuell liegen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6489
Dr. André Berghegger
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noch 150 000 Anträge vor, über die noch nicht entschie-den worden ist. Die 650 bereitgestellten Stellen dienenauch dazu, diese Anträge abarbeiten zu können. Es isteine riesige Herausforderung, der wir uns alle – Bund,Länder und Kommunen – stellen müssen,
um dieser Herausforderung Herr zu werden und einegute Entwicklung zu ermöglichen.
Als dritter Punkt muss an dieser Stelle die Arbeit derStiftungen und der Bundeszentrale für politischeBildung ebenfalls hervorgehoben werden. Sie spielen in-sofern eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Terro-rismus, als von den politischen Stiftungen Aufklärungs-arbeit hier im Land, aber auch im Ausland geleistetwerden kann. Sie tragen dazu bei, dass in Krisenregio-nen demokratische Strukturen aufgebaut und die Zivil-gesellschaften gestärkt werden. Auch hier haben wireine deutliche Aufwertung erzielen können. Da schonmeine Vorredner Details genannt haben, muss ich sienicht wiederholen.Ich möchte als vierten Punkt noch den Katastrophen-schutz ansprechen. Humanitäre Katastrophen erforderneine schnelle und effiziente Hilfe. Dies geschieht im In-wie im Ausland. Diese Hilfe ist sowohl im Ausland beieiner Epidemie wie Ebola wie auch im Inland bei denleider immer wiederkehrenden Flutkatastrophen zu leis-ten. Wir tun gut daran, die entsprechenden Mittel deut-lich aufzustocken. Das ist gut angelegtes Geld. Wir ver-suchen natürlich, eine Verstetigung der Mittel auf hohemNiveau zu erreichen. Dadurch wird sichergestellt, dassbeispielsweise das THW seine hervorragende Arbeitauch in Zukunft leisten kann. Wir sorgen dafür, dass dieVoraussetzungen dafür vorhanden sind.
Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch ei-nen kleinen Punkt ansprechen, der heute noch gar nichterwähnt worden ist und für den sich Erika Steinbach, diehier anwesend ist, über viele Jahre eingesetzt hat. Ichfreue mich, dass wir einen kleinen Titel im Haushalt be-schlossen haben, in dem Geld für den Festakt zum An-lass des Gedenktages für die Opfer von Flucht und Ver-treibung, der ab 2015 jährlich am 20. Juni abgehaltenwerden soll, eingestellt ist. Mich freut es, dass wir diesenSchritt endlich gehen konnten.Jetzt bleibt mir nur noch übrig, Dank all denjenigenzu sagen, die sich konstruktiv an den Beratungen betei-ligt haben. Ich glaube, dieser Einzelplan bietet eine guteGrundlage für die Arbeit im kommenden Jahr.Herzlichen Dank fürs freundliche Zuhören.
Danke, Kollege Berghegger. – Nächste Rednerin:
Susanne Mittag für die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es kommt ja nicht so oft vor, dass wir Politi-ker nach der Bereinigungssitzung des Haushaltsaus-schusses Lob von Gewerkschaften erhalten. Das Lob derGewerkschaft der Polizei für den Bereich Bundespolizeifreut mich und uns deswegen natürlich besonders. Ande-rerseits wirft es eben auch ein Schlaglicht darauf, wie dieSituation bei den Sicherheitsbehörden vorher aussah.Denn Polizisten beklagen sich erst einmal nicht; sie er-tragen sehr lange eigentlich nicht mehr hinnehmbare Si-tuationen, versuchen alles, um doch noch ihren Dienstfür die Sicherheit in unserem Land zu leisten. Deshalbbraucht es sehr lange, bis Polizisten eine Demo für eineVerbesserung ihrer Personalsituation und Ausstattungveranstalten. Diese Demonstration fand im Novemberhier in Berlin statt. Wir haben die Forderungen mitge-nommen, und ich freue mich sehr, dass zumindest für ei-nige Punkte im Haushalt Verbesserungen erreicht wer-den konnten.Es ist schon ein Erfolg der Großen Koalition, dass205 Stellen zur Bewachung der schon erwähnten Gold-reserven der Deutschen Bundesbank neu geschaffenwerden. Es ist auch ein Erfolg, dass es 140 neue Stellenfür die Bundespolizei zum Schutz des zivilen Luftver-kehrs an Flughäfen gibt. Es ist des Weiteren ein Erfolg,dass es 60 neue Stellen für den Personenschutz im Aus-land, also an den deutschen Botschaften, gibt. Es ist zu-dem ein Erfolg – das ist schon erwähnt worden –, dassdas Stellenhebungsprogramm fortgesetzt und ausgewei-tet wird.Es ist weder zumutbar, noch können polizeiliche Auf-gaben erfüllt werden, wenn Bundespolizisten in Fahr-zeugen, die teilweise deutlich älter sind als sie selber, inden Einsatz fahren und dann auch noch eine bröckelnde,schwere Schutzweste mit ihrem Kollegen teilen müssen.
Daher ist die Bereitstellung von zusätzlichen 20 Millio-nen Euro für Ausrüstung und Fahrzeuge unbedingt not-wendig; auch das ist ein Erfolg der Haushaltsberatungen.Ich gebe aber auch zu, dass ich mir in einigen Berei-chen des Haushaltes doch ein bisschen mehr erhoffthätte. Das BKA zum Beispiel hat nur 20 neue Stellenplus 6 weitere sogenannte Verfügungsstellen erhalten.Das freut mich grundsätzlich schon. Aber insbesondereim Hinblick auf die Bekämpfung der organisierten Kri-minalität hätte ich mir da ein bisschen mehr gewünscht.In der vergangenen Woche war die Herbsttagung desBKA in Mainz. Dort wurde der langjährige PräsidentJörg Ziercke in den Ruhestand verabschiedet. Ihmmöchte ich an dieser Stelle explizit im Namen der SPD-Bundestagsfraktion für seine Arbeit an der Spitze desBKA danken. Auch wenn Herr Ziercke ab und an ein
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6490 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014
Susanne Mittag
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streitbarer Geist war und auch bleibt: Seine Fachkompe-tenz ist hier im Hause und auch in seiner Behörde hoch-geschätzt und anerkannt.
Das Thema der Herbsttagung in Mainz war die organi-sierte Kriminalität. Wer erfahren will, welche Bedrohungdie organisierte Kriminalität – abgesehen vom auch im-mensen wirtschaftlichen Schaden – für das subjektiveSicherheitsgefühl in unserer Gesellschaft darstellt, mussbloß einmal mit Opfern eines Einbruchsdiebstahls, einesSchockanrufes oder eines Enkeltricks sprechen. DieseTaten werden häufig von international agierenden Ban-den durchgeführt und hinterlassen fast in jedem Falletraumatisierte Opfer. Und die Fallzahlen steigen hier seitJahren. Genau deshalb müssen wir das BKA weiter stär-ken; denn es hat in der Ermittlungsarbeit zwischen denBundesländern und den europäischen Institutionen eineverbindende Funktion. Wenn wir – so habe ich Ihre Aus-führungen, Herr Minister de Maizière, in Mainz verstan-den – die Bekämpfung der organisierten Kriminalitätsehr ernst nehmen, müssen wir hier auch mehr investie-ren. Ich bin da zuversichtlich im Hinblick auf den Haus-halt 2016.Wir als SPD-Bundestagsfraktion stehen klar zu demZiel, den nachkommenden Generationen keinen Schul-denberg zu hinterlassen; das ist hier schon mehrfach ge-sagt worden. Allerdings ist für uns dabei nicht nur einausgeglichener Haushalt entscheidend, sondern auch,dass die Infrastrukturen und Einrichtungen, die wir fürein sicheres Zusammenleben in unserem Land brauchen,zukunftssicher sind. Wir brauchen Feuerwehren, Ret-tungsdienste und das THW, die gut ausgerüstet sind, umhelfen zu können.Wer oftmals in seiner Freizeit Dienst für unsere Ge-sellschaft leistet, sollte nicht mit marodem Material aussanierungsbedürftigen Dienststellen in den Einsatz fah-ren müssen. Wir haben die Mittel für das THW im lau-fenden Haushaltsjahr 2014 zu Recht um 10 MillionenEuro erhöht. Das war im Haushalt 2015 leider nichtmöglich. Aber wir haben den Regierungsentwurf deut-lich verbessert: 4 Millionen Euro zusätzlich und eineVerpflichtungsermächtigung über 23 Millionen Euro bis2018, um endlich die vielerorts maroden THW-Unter-künftige und -Liegenschaften zu sanieren. Viele Länderbeneiden uns um unsere freiwilligen Feuerwehren undum die ehrenamtlichen Helfer des THW und der Ret-tungsdienste. Wir dürfen durch das Sparen nicht derenExistenz und Zukunftsfähigkeit verspielen.Sicherheit – auch das ist Infrastruktur, die wir erhal-ten müssen. Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit nachfol-genden Generationen gegenüber und auch der sozialenGerechtigkeit. Es darf nicht sein, dass die Sicherheit desEinzelnen vom eigenen Geldbeutel abhängt.Mit dem vorliegenden Haushalt haben wir von CDU/CSU und SPD bewiesen, dass wir bereit sind, für die in-nere Sicherheit Geld in die Hand zu nehmen. Wenn neueAufgaben, die BKA, Bundespolizei, BSI, THW und an-dere Behörden übernehmen sollen, in den Haushaltsbe-ratungen in den kommenden Jahren berücksichtigt undVersäumnisse der Vergangenheit aufgearbeitet werden,können wir froh sein; denn Sicherheit gibt es nicht zumNulltarif. Aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Mittag. – Die letzte Red-
nerin in dieser Debatte: Michaela Engelmeier für die
SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Was gibt es Schöneres, als als letzte Rednerin des
Tages zu einem Superthema zu sprechen?
Da fällt mir schon was ein.
Drei Minuten für den Sport; das ist, finde ich, eigent-lich ganz gut.Seit die SPD in der Regierung ist, geht es wieder rich-tig aufwärts mit dem Sport.
Bereits zum Abschluss des letzten Haushalts stand ich andieser Stelle und habe für Kontinuität im Sporthaushaltgeworben. Nun stehe ich ein knappes halbes Jahr späterwieder hier, und es sind zwei Aufträge, die wir formu-liert hatten, in Erfüllung gegangen: Zum einen hat un-sere Fußballnationalmannschaft die WM gewonnen undden Titel nach Hause gebracht – herzlichen Glück-wunsch! –,
und zum anderen stellen wir durch effektive Verhandlun-gen in den Haushaltsberatungen einen hohen Zuschlagfür den Sport bereit.Gemeinsam mit den Fachpolitikerinnen und Fach-politikern sowie den Haushältern der Koalition ist es unsgelungen, stolze 15 Millionen Euro extra für die Sport-förderung in Deutschland freizugeben. Ein sportlicherEinsatz!
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. November 2014 6491
Michaela Engelmeier
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– Entschuldigung, Sie waren natürlich auch daran betei-ligt.Mit der Sportförderung unterstützen wir die Vielfaltunserer Gesellschaft und die Freude am Wettkampf. Wirstärken Integration und Inklusion und haben – hören Siegut zu! – die Kürzungen beim Behindertensport abge-wandt.
Im Kampf gegen Doping haben wir den Bundeszu-schuss für die Nationale Anti Doping Agentur, NADA,nochmals deutlich erhöht. Die Finanzierung teilen sichStaat und Sport übrigens zur Hälfte. Der Bund hat seinenBeitrag erfüllt, jetzt ist der organisierte Sport am Zuge.Durch diese kräftige Finanzspritze geben wir den Wegfrei für die Vorbereitung von Olympia und der Paralym-pics in Rio 2016. Das bedeutet: deutlich mehr Mittel fürdie olympischen Sportverbände, für das olympischeTop-Team, die Trainerinnen und Trainer und das Perso-nal im Leistungssport sowie die Projektförderung der In-stitute IAT und FES. Wir finden: Gute Arbeit muss gutbezahlt werden.
Der Weg an die Weltspitze ist hart und das Ergebnissorgfältiger Vorbereitung: vom Nachwuchstraining biszum Wettkampfhöhepunkt. Der Bundestag leistet nunseinen Teil, damit der autonome Sport die Sportlerinnenund Sportler angemessen fördern kann. Im Klartext: Wirhaben geliefert, der Ball liegt nun beim organisiertenSport.Ich appelliere an den Deutschen Olympischen Sport-bund: Halten Sie Ihr Wort, und setzen Sie mit der seitlangem überfälligen Reform der Spitzensportsystematikrichtige Akzente! Bündeln Sie unsere Steuergelder, ver-teilen Sie sie gerecht und nachhaltig! Lassen Sie intrans-parente Verfahren sein, und gestalten Sie die Sportför-derung offen und effektiv! Nehmen Sie Kritik undAnregungen auf, und präsentieren Sie eine schlagkräf-tige Organisation des deutschen Spitzensports! – DieAbstimmung mit dem Parlament ist noch ausbaufähig.Ich lade Sie gerne zu weiteren Gesprächen in den Bun-destag ein. Die SPD im Bundestag steht jederzeit zurVerfügung, um Rahmenbedingungen für einen fairenund integren Sport mitzuentwickeln.Noch kurz ein Wort zum Referentenentwurf desneuen Anti-Doping-Gesetzes. Sie können sicher sein– und das ist eine Botschaft von mir –: Wir kämpfen füreinen fairen und sauberen Sport, gegen Doping und Ma-nipulation.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als bekennender Fuß-
ballfan sage ich: Es würde sich anbieten, den Wissen-
schaftlichen Dienst zu befragen, ob es tatsächlich die
SPD war, die für den Erfolg bei der Weltmeisterschaft
zuständig war. Ich sehe Nicken bei Kollegen Grindel.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 06 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzel-
plan 06 ist angenommen mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD bei Ablehnung von Bündnis 90/Die Grü-
nen und der Linken.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Mittwoch, den 26. November
2014, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen
schönen Abend.