Protokoll:
17074

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 74

  • date_rangeDatum: 24. November 2010

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: None Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:42 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/74 zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2011 (Haushaltsgesetz 2011) (Drucksachen 17/2500, 17/2502) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung des Haushaltsaus- schusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bun- des 2010 bis 2014 (Drucksachen 17/2501, 17/2502, 17/3526) 8 Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzler- amt (Drucksachen 17/3504, 17/3523) . . . . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . Reiner Deutschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einzelplan 05 Auswärtiges Amt 8050 A 8050 A 8050 B 8050 C 8055 C 8089 B 8090 B 8091 A 8092 A 8092 B 8092 C 8094 D Deutscher B Stenografisc 74. Sit Berlin, Mittwoch, den I n h a Glückwünsche zum Geburtstag des Vizepräsi- denten Dr. Hermann Otto Solms . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Siegmund Ehrmann als stellvertretendes Mitglied im Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte VI b und c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Tagesordnungspunkt I (Fortsetzung): a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- 8049 A 8049 B 8049 B 8049 D 8049 D Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 8063 A 8066 D undestag her Bericht zung 24. November 2010 l t : Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Merkel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8072 C 8076 C 8077 C 8080 C 8080 D 8081 A 8083 B 8086 D 8088 B (Drucksachen 17/3505, 17/3523) . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . . . 8092 C 8092 D 8097 A II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2010 Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . 10 Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 17/3513, 17/3523) . . . . . . . Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD) . . . Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . 8098 C 8100 D 8102 C 8104 A 8106 B 8106 D 8107 A 8107 C 8108 C 8109 D 8111 B 8112 C 8114 A 8115 C 8116 D 8118 C 8120 B 8121 C 8122 D 8123 A 8123 C 8124 B 8124 D 8125 A 8126 C 8128 B 8130 D 8132 D 8133 D 8135 C 8136 B 8136 C 8137 A Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Robert Hochbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt VI: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Übereinkommen des Euro- parats vom 16. Mai 2005 zur Verhütung des Terrorismus (Drucksache 17/3801) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 1: a) Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kulturelle Bildung von Bundesseite nachhaltig för- dern – Auflegung eines Förderpro- gramms „Jugendkultur Jetzt“ (Drucksache 17/3066) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Atommüllexport nach Russland (Drucksache 17/3854) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt VII: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sonderver- mögens für das Jahr 2011 (ERP-Wirt- schaftsplangesetz 2011) (Drucksachen 17/3119, 17/3835) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- ordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Marieluise Beck (Bremen), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einigkeit über die Definition des Tatbestandes des Aggressionsverbrechens im IStGH- Statut erzielen (Drucksachen 17/1767, 17/3889) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem An- 8137 B 8139 C 8140 C 8141 D 8142 D 8144 D 8144 D 8145 A 8145 A 8145 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2010 III trag der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Pakistan nach der Flut lang- fristig unterstützen und Schulden um- wandeln (Drucksachen 17/3206, 17/3779) . . . . . . . d)–j) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 164, 165, 166, 167, 168, 169 und 170 zu Petitionen (Drucksachen 17/3664, 17/3665, 17/3666, 17/3667, 17/3668, 17/3669, 17/3670) . . . . 11 Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 17/3519, 17/3523) . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Schirmbeck (CDU/CSU) . . . . . . . . Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel, Bundesminister BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel, Bundesminister BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 8145 C 8145 D 8146 C 8146 D 8148 C 8149 C 8151 A 8152 C 8153 B 8154 B 8156 A 8157 C 8157 C 8157 D 8158 A 8159 C 8160 B 8160 D 8161 B 8162 B 8163 A 8164 C 8164 D 8165 A 8165 C 8167 C Tagesordnungspunkt II: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Okto- ber 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäi- schen Union vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der Europäischen Union vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der Europäischen Union vom 30. Juli 2010 und dem erwarteten Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 13. De- zember 2010 (Drucksache 17/3691) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt III: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Opera- tion „ALTHEA“ zur weiteren Stabilisie- rung des Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina im Rahmen der Implementie- rung der Annexe 1-A und 2 der Dayton- Friedensvereinbarung sowie an dem NATO-Hauptquartier Sarajevo und seinen Aufgaben, auf Grundlage der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Natio- nen 1575 (2004) und Folgeresolutionen (Drucksache 17/3692) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8169 B 8169 C 8170 D 8171 A 8171 D 8173 B 8174 C 8175 B 8175 C 8176 A 8177 A 8178 A IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2010 Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dietmar Nietan (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt IV: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit- kräfte bei der Unterstützung der gemeinsa- men Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Arti- kels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikver- trags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Drucksache 17/3690) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Groschek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 8178 B 8179 B 8180 D 8181 D 8182 C 8183 A 8183 C 8184 C 8185 C 8185 D 8187 A 8188 C 8189 D 8190 D 8191 D 8192 C 8193 A 8193 D 8195 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2010 8049 (A) (C) (D)(B) 74. Sit Berlin, Mittwoch, den Beginn: 9
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2010 8195 (A) (C) (D)(B) Anlage zum Stenografischen Bericht Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 24.11.2010 Bellmann, Veronika CDU/CSU 24.11.2010 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 24.11.2010 Bögel, Claudia FDP 24.11.2010 Bülow, Marco SPD 24.11.2010 Dyckmans, Mechthild FDP 24.11.2010 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 24.11.2010 Friedhoff, Paul K. FDP 24.11.2010 Laurischk, Sibylle FDP 24.11.2010 Nord, Thomas DIE LINKE 24.11.2010 Oswald, Eduard CDU/CSU 24.11.2010 Röspel, René SPD 24.11.2010 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24.11.2010 Scheel, Christine BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24.11.2010 Dr. Schmidt, Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24.11.2010 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Klöckner, Julia CDU/CSU 24.11.2010 Kramme, Anette SPD 24.11.2010 Kretschmer, Michael CDU/CSU 24.11.2010 Schnurr, Christoph FDP 24.11.2010 Schreiner, Ottmar SPD 24.11.2010 74. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 24. November 2010 Inhalt: Redetext Anlage zum Stenografischen Bericht
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707400000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
begrüße Sie alle herzlich.

Unser Kollege und Vizepräsident Dr. Hermann Otto
Solms feiert heute seinen 70. Geburtstag.


(Beifall)


Aus diesem Anlass ist das Präsidium des Bundestages
bereits heute früh zu einer Sondersitzung zusammenge-
treten,


(Heiterkeit)


in der mir die Anregung vorgetragen wurde, ob ich aus
diesem besonderen Anlass ausnahmsweise die Glück-
wünsche in Reimform vortragen könnte. Ich fand die
Anregung plausibel, habe davon aber Abstand genom-
men wegen des strikten Prinzips der Gleichbehandlung,
auch wenn ich die Fröhlichkeit ahne, die eine solche
künftige Dauervariante im Plenum des Deutschen Bun-
destages erzeugen könnte.

Lieber Hermann Otto Solms, ganz herzliche Gratula-
tion zu diesem Ehrentag, verbunden mit allen guten

Rede
Wünschen für die nächsten Jahre und dem Dank für eine
besonders gute, freundschaftliche Zusammenarbeit in
den 30 Jahren, die Sie nun dem Deutschen Bundestag
angehören.


(Beifall)


Die SPD-Fraktion hat mitgeteilt, dass die ehemalige
Kollegin Monika Griefahn ihr Amt als stellvertretendes
Mitglied im Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bun-
des aufgibt. Als Nachfolger wird der Kollege Siegmund
Ehrmann vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist offenkundig der Fall. Dann ist der Kollege
Ehrmann als stellvertretendes Mitglied in den Stiftungs-
rat der Kulturstiftung des Bundes gewählt.

Interfraktionell ist vereinbart worden,
dene Tagesordnung um die in der Zusatzpu
geführten Punkte zu erweitern:
zung

24. November 2010

.01 Uhr

ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP VI

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes
Krumwiede, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kulturelle Bildung von Bundesseite nachhaltig
fördern – Auflegung eines Förderprogramms
„Jugendkultur Jetzt“

– Drucksache 17/3066 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Hans-Josef Fell,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Kein Atommüllexport nach Russland

– Drucksache 17/3854 –

text
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der FPD

Zurückweisung des Einspruchs des Bundesra-
tes gegen das Sechste Gesetz zur Änderung des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch

– Drucksachen 17/41, 17/137, 17/143, 17/355 –

Die Tagesordnungspunkte VI b und c werden abge-

mache ich auf eine nachträgliche Aus-
eisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
die verbun-
nktliste auf-

setzt.

Außerdem
schussüberw

aufmerksam:





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Der in der 69. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (18. Ausschuss) zur Mitberatung überwie-
sen werden:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz
Kuhn, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Menschenwürdiges Dasein und Teilhabe für
alle gewährleisten

– Drucksache 17/3435 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Sind Sie auch damit einverstanden? – Das ist offen-
sichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-
nungspunkt I – fort:

a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2011 (Haushaltsgesetz 2011)


– Drucksachen 17/2500, 17/2502 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung

Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014

– Drucksachen 17/2501, 17/2502, 17/3526 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Roland Claus
Alexander Bonde

Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.8 auf:

Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
– Drucksachen 17/3504, 17/3523 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Rüdiger Kruse
Petra Merkel (Berlin)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz (Herborn)


Wir werden über den Einzelplan 04 später namentlich
abstimmen. Zuerst findet aber die Aussprache statt.
Dazu ist zwischen den Fraktionen eine Zeit von dreiein-
halb Stunden vereinbart worden. – Auch dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Rede ID: ID1707400100

Herr Kollege Solms, auch von mir einen ganz herzli-

chen Glückwunsch. Wenn ich Sie anschaue, dann muss
ich schließen, dass dieser Bundestag der reinste Jung-
brunnen sein muss. Freuen wir uns alle darüber.


(Heiterkeit)


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Hoffnung macht sich breit in Deutschland,


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Aber nicht bei der SPD!)


Hoffnung, dass die Krise überstanden ist, dass der Auf-
schwung länger anhält als nur ein paar Monate. Wir alle
wünschen uns parteiübergreifend und fraktionsübergrei-
fend, dass diese Hoffnung in Erfüllung geht. Auch auf
der Regierungsbank macht sich Hoffnung breit, aber
eine andere Hoffnung, die Hoffnung nämlich, dass die
Erinnerung verblasst und dass die Menschen vergessen,
was diese Koalition seit der Bundestagswahl tagtäglich
angerichtet hat und weiter anrichtet.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ CSU und der FDP: Oh!)


Aber ich sage Ihnen voraus: Diese Hoffnung wird verge-
bens sein, sie wird sich als Kinderglaube erweisen. Die
Menschen – das wissen Sie doch am besten –, die Sie
vor einem Jahr gewählt haben, haben vielleicht von poli-
tischer Führung oder von der Einlösung von Wahlver-
sprechen geträumt. Was haben sie bekommen? Einen
Albtraum, Regierungschaos ohne Ende.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ CSU und der FDP: Oh!)


So viel Durcheinander, so viel Orientierungslosigkeit, so
viel Unernst war noch nie.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Albtraum Arbeitslosigkeit!)


– Ja, und dagegen haben wir etwas getan, lieber Herr
Kollege Kauder. –


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir!)


Der Schreck darüber, wie sich das im Augenblick dar-
stellt, sitzt tief bei vielen Menschen. Der Schreck hält an.
Gerade in der Krise 2008 und 2009 haben die Menschen
doch erfahren, dass man sich in einer solchen Situation
auf eine Regierung mit Ernsthaftigkeit, mit Kompetenz
und mit Verantwortung verlassen kann. Das ist gerade
einmal anderthalb Jahre her. Da ist wieder Vertrauen
entstanden, das vorher verloren gegangen war. Das Dra-
matische ist doch, dass diese Koalition innerhalb eines
Jahres dieses frisch gewachsene Vertrauen restlos ver-
schleudert hat.


(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Geschichtsklitterung nennt man das!)


Die Menschen haben gesehen, dass es darauf ankommt,
wer in einer Regierung ist, nicht darauf, dass es eine
gibt. Sie haben in den letzten Monaten erfahren, dass es
auch anders sein kann, dass es Regierungen gibt, die um





Dr. Frank-Walter Steinmeier


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den eigenen Bauchnabel kreisen, statt sich um die wirk-
lichen Aufgaben zu kümmern, und die schamlos – das
taten Sie zu Beginn Ihrer Regierungszeit – die eigene
Klientel bedienen, statt sich um das Gemeinwohl zu
kümmern. Das hat sich tief bei den Menschen einge-
brannt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie alle reden ganz gerne von den bürgerlichen Tu-
genden. Das haben wir in diesem ersten Jahr gemerkt.
Alle, die dort sitzen, hätten viele Gelegenheiten gehabt,
jeden Tag des ersten Jahres dieser Regierungszeit diese
Tugenden zu leben: Mut, Verlässlichkeit, Gewissenhaf-
tigkeit, Pflichtbewusstsein, Fairness und Loyalität unter-
einander – ich könnte die Aufzählung fortsetzen. Aber
will jemand in diesem Saale wirklich ernsthaft behaup-
ten, das seien die Markenzeichen dieser Regierung?


(Zurufe von der CDU/CSU: Ja!)


Die Menschen lachen doch inzwischen, wenn sie das hö-
ren. Wenn Sie von bürgerlichen Tugenden reden, ist das
eine Karikatur. Das können Sie nicht ernst meinen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie, Frau Merkel, überschätzen Ihre Lage. Vergan-
gene Woche haben Sie gesagt: Der Stil war vielleicht
verbesserungsfähig, aber die Ergebnisse stimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben auch noch die Frechheit besessen, diese Platti-
tüde in einem Brief millionenfach in allen Zeitungen ab-
zudrucken.


(Sören Bartol [SPD]: Eine Schweinerei ist das! Steuergeldverschwendung!)


Dann haben Sie in diesem Brief geschrieben: „Jetzt
geht der Blick nach vorne.“ „Sapperlot!“, habe ich ge-
dacht, „So will sie sich also aus der Affäre stehlen.“ Ich
finde, das ist auf der einen Seite dreist, auf der anderen
Seite ignorant. Ich spüre doch: Die Menschen wollen im
Augenblick keine neuen Versprechungen hören, nicht
eine, nicht zwei, nicht drei, nicht vier. Was sie vielmehr
erwarten, das ist eine Erklärung für das Trauerspiel, das
wir in diesem ersten Jahr erlebt haben. Sie wollen wis-
sen, wann diese Koalition endlich in der Regierung an-
kommt und warum man Ihnen glauben soll, dass es bes-
ser wird.

Aber es wird doch nicht besser; das haben wir doch
letzte Woche gesehen. Vor dem Koalitionsausschuss ha-
ben Sie selbst Ankündigungen gemacht. Sie haben die
Öffentlichkeit informiert, was dort angeblich alles auf
der Tagesordnung steht. Aber als Sie zusammengesessen
haben, als es ernst wurde, gab es dann wieder einen
Komplettausfall. Das, was ich schon gesagt habe, gilt:
Aus dem Herbst der Entscheidungen, den Sie angekün-
digt haben, ist wieder einmal eine Woche der Vertagung
geworden. Diese Art von Regierungsverweigerung,
diese Art von Führungsverweigerung können wir diesem
Land nicht noch drei Jahre zumuten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer sich den Brief einmal ein bisschen genauer ange-
schaut hat, den Sie da haben abdrucken lassen, der ahnt
ungefähr, warum das alles so weitergeht. Das beginnt
schon mit dem Zeitpunkt, zu dem dieser Brief abge-
druckt worden ist. Ich weiß nicht, ob es das jemals gab.
Ich finde es unglaublich, dass hier Steuergeld benutzt
wird, um einen Parteitag der CDU zu finanzieren und zu
promoten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Schamlos!)


Das ist leider nicht der einzige Widerspruch, auf den
ich hier in diesem Hause hinzuweisen habe. Wir reden
über den Haushalt. Der vorgelegte Haushalt sieht eine
Neuverschuldung von 48 Milliarden Euro vor. Gleich-
zeitig versprechen Sie in diesem Brief, Sie wollten in
diesen Tagen solide Finanzen sichern. Ich fordere Sie,
meine Damen und Herren von den Regierungsfraktio-
nen, auf, erst einmal die Millionenausgaben für diese
teuren Anzeigenkampagnen zu sparen, mit denen Sie
Ihre eigenen parteipolitischen Ziele promoten. Dafür ist
das Geld nicht vorgesehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem steht in diesem Brief: „Wir sparen an vie-
len Stellen, aber nicht an der Zukunft.“ Hier im Bundes-
tag, Frau Merkel, haben Sie in jeder Plenarsitzung die
Chance, Politik zu erklären, und das ganz kostenlos. Da
oben sitzen Journalisten, die schreiben das sogar auf,
auch kostenlos. Ihr Risiko ist nur: Sie werden nachprü-
fen, ob das stimmt, was Sie hier sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie werden morgen schreiben: Das, was Sie hier als
Haushalt vorlegen, bedeutet die zweithöchste Nettoneu-
verschuldung in der Geschichte der Republik; trotz Wirt-
schaftsboom mehr Schulden als unter Theo Waigel am
Ende der Regierung Kohl, und damals war immerhin
noch die deutsche Einheit zu finanzieren.

Wir müssen unseren Blick aber nicht nur auf diesen
Haushalt, sondern auch auf die mittelfristige Finanz-
planung richten. Milliardenschwere Löcher sind jetzt
schon abzusehen. Wann drohen wohl die größten Lö-
cher? Genau im Jahr nach der nächsten Bundestagswahl
2014. Dann sind Luftbuchungen in der Größenordnung
von 11 Milliarden Euro vorgesehen: globale Minderaus-
gaben, nicht ausreichende Mittel für die Bundeswehrre-
form, und so geht das weiter. Steuereinnahmen aus dem
Wachstum fallen Ihnen allen hier von den Regierungs-
fraktionen in den Schoß. Sie nehmen Luftbuchungen
vor. Das entspricht weder bürgerlicher Tugend, noch ist
es ehrlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Reden Sie mal zur Sache!)






Dr. Frank-Walter Steinmeier


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Das Ganze ist auch kein Geheimnis. Ich sage das, um
gleich zu der Erklärung zu kommen, warum dieser
Haushalt so aussieht: Ich weiß natürlich, Frau Merkel,
dass viele in den Regierungsfraktionen, besonders von
Ihrem Koalitionspartner FDP, sich schon wieder an
Steuersenkungen orientieren. Wenn ich die Zeitungen
richtig lese, dann tun Sie selbst im Augenblick so, als
seien Sie dagegen. Aber ich wette, heimlich werden Sie
für das Wahljahr schon eine Steuersenkung vorbereiten.
Herr Schäuble legt – man erkennt es, wenn man genau
hinschaut – dafür ja schon Reserven an. Das geht nach
dem Motto: die Schuldenbremse ein bisschen aushöhlen,
42 Milliarden Euro mehr Spielraum für Schulden schaf-
fen, um dann pünktlich im Wahljahr Steuersenkungen zu
machen.

Nur, das ist erkannt. Die Bundesbank, der Bundes-
rechnungshof, der Sachverständigenrat – sie alle mah-
nen. Hören Sie auf, an dieser Stelle zu tricksen. Wenn
Spielraum vorhanden ist, dann haben Sie die Neuver-
schuldung zu reduzieren. So ist das vorgesehen, so ha-
ben wir es gemeinsam in die Verfassung geschrieben.


(Beifall bei der SPD)


Aber Fakt ist: Sie halten sich nicht daran, meine Damen
und Herren von der Regierung.


(Beifall bei der SPD)


Das ist einer der Gründe, weshalb die Menschen Ihnen – das
spüren Sie doch – nicht glauben. Sie glauben Ihnen nicht
nach drei kompletten Kurswechseln innerhalb von sie-
ben Jahren. Frau Merkel, vor sieben Jahren waren Sie
marktradikale Vorkämpferin beim Leipziger Programm.
Zu Zeiten der Großen Koalition wären Sie am liebsten
sozialdemokratischer gewesen als die Sozialdemokraten.
Ein Jahr später kommen Sie jetzt als neue Konservative
daher. Deshalb frage ja nicht nur ich mich, sondern fra-
gen sich viele in der Öffentlichkeit: Was ist der Kom-
pass? Wofür steht diese Regierung? Was ist das Ziel? Wo
wollen Sie hin? Was ist Ihre Vorstellung von Gesell-
schaft? Mal hü, mal hott und jeden Tag neuer Streit: mal
Brüderle gegen Röttgen, mal Westerwelle gegen
Guttenberg und immer Seehofer gegen alle. Dieser
kleinkarierte, eitle Profilierungsstreit statt ernsthafter
Politik verleidet den Menschen Politik, und das bringt
sie weg von der Politik. Das schadet allen, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei der SPD)


Reden und Handeln, das liegt halt bei dieser Regie-
rung ein deutliches Stück auseinander, und diesen Wi-
derspruch empfinden die Menschen doch. Herr Brüderle
klopft sich öffentlich auf die Schultern und sagt: Das,
was wir da haben – wir werden das heute ja noch ein
paarmal hören –, ist Aufschwung XXL.


(Beifall bei der CDU/CSU und FDP)


– Dann können Sie gleich nochmal klatschen,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sagen Sie es erst mal! Das entscheiden wir dann schon selber!)


weil ich Ihnen sage: Derjenige, der so redet, hat gegen
alles gestimmt, was diesen Aufschwung begründet hat.

(Beifall bei der SPD)


Er hat gegen das Konjunkturprogramm, gegen das In-
vestitionsprogramm für Gemeinden, gegen die Brücke
für die Automobilindustrie und gegen das Kurzarbeiter-
geld gestimmt. Das alles hat funktioniert, aber es wäre
doch mit der FDP nicht gekommen. Das ist doch die
Wahrheit.


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Da können wir nicht klatschen, weil das Quatsch ist!)


Dann kommt noch eines hinzu. Wir werden im Laufe
des heutigen Tages noch häufiger über Europa reden.
Auch da ein interessanter Blick auf Ihren Koalitionspart-
ner, Frau Merkel, und, weil wir über Irland reden, auch
ein Blick auf Irland: Es war doch Ihr Koalitionspartner,
der hier in diesem Hause Irland immer zum Modellpart-
ner in der Europäischen Union erklärt hat. Er hat erklärt,
daran müssten wir uns alle orientieren. Das war doch für
Sie von der FDP das leuchtende Beispiel für ungehinder-
ten Wirtschaftsliberalismus. Dort gab es einen Regie-
rungschef – nicht mehr lange – aus Ihrer eigenen Partei-
enfamilie. Ich bin froh, dass wir uns daran nicht
orientiert haben.


(Beifall bei der SPD)


Ich bin froh, dass die FDP damals nicht in der Regierung
saß, sonst säßen wir heute in demselben Schlamassel wie
Irland.


(Beifall bei der SPD)


Wir reden ja nicht nur über die Fraktionen hier im
Deutschen Bundestag, sondern auch über die Menschen,
für die Politik gemacht wird. Wenn diese Ihren Satz vom
„Aufschwung XXL“ hören, dann fragen sie sich doch:
Was bedeutet das eigentlich für mich? Wann kommt die-
ser Aufschwung XXL bei mir an? Was wird eigentlich
aus den Versprechen der Regierungsparteien, dass am
Ende mehr Netto vom Brutto übrig sein soll? Die wissen
doch inzwischen, dass das eine grandiose Täuschung
war. Sie wissen doch, dass sie zum 1. Januar nächsten
Jahres mehr Beiträge bezahlen müssen, aber nicht mehr
Netto haben werden.

Ich sage Ihnen mit Blick auf die Gesundheitsreform:
Da hätten wir keine Überhöhung mit bürgerlichen Tu-
genden gebraucht. Angebliche Gesundheitsreformen mit
Beitragserhöhungen hätten auch andere gekonnt.


(Beifall bei der SPD)


Aber das ist ja noch gar nicht der Punkt, wenn es um Ge-
sundheit geht. Der eigentliche Punkt ist ja, in welche
Richtung diese Reformschritte, die wir da gegenwärtig
erkennen, die aber den Namen „Reform“ nicht verdie-
nen, wirklich gehen und welches Ziel damit verfolgt
wird. Das, was da gemacht wird, ist doch entgegen allen
Versprechungen alles andere als fair. Das ist – lassen Sie
es mich vorsichtig sagen – nicht mehr, aber auch nicht
weniger als die Aufkündigung des Solidarprinzips im
Gesundheitswesen. Darüber reden wir, und darüber müs-
sen wir auch heute reden.





Dr. Frank-Walter Steinmeier


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(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich erinnere mich noch sehr gut an die ersten Wochen
und Monate dieser Regierung: Es konnte Ihnen, noch be-
vor Sie wussten, wohin Sie wollten, gar nicht schnell ge-
nug gehen, das Beitragslimit für die Arbeitgeberseite
hier im Hause durchzusetzen. Die Folge davon haben
doch alle vor Augen. Sie wissen doch, was Sie tun. Alle
Lasten, alle künftigen Kostensteigerungen, sei es bei den
Arzneimitteln, sei es aufgrund einer besseren medizini-
schen Versorgung, all die steigenden Kosten lasten Sie
einseitig nur noch den Versicherten auf. Dazu kommen
Zusatzbeiträge. Dazu kommt das neu eingeführte Prin-
zip, in Vorkasse treten zu können. Wir werden dann,
wenn Sie Ihre angebliche Arbeit erledigt haben, nicht
mehr über dasselbe Gesundheitswesen reden. Was Sie
machen, ist die Aufkündigung des Solidarprinzips; das
schafft Patienten erster, zweiter und neuerdings sogar
dritter Klasse. Sie schwadronieren von Fairness. Ich sage
Ihnen, das ist verantwortungslos, was Sie da auf den
Weg bringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nach dem Parteitag der CDU konnte man sehen, dass
sich viele Kommentatoren mit der Frage beschäftigten:
Warum kettet sich eigentlich die CDU, warum kettet sich
die Parteivorsitzende der CDU auf diesem Parteitag ei-
gentlich an die FDP als Partner? Ich habe die kritische
Frage gar nicht verstanden. Für mich ist das völlig klar:
Für diese Politik – ich habe die Folgen eben beschrie-
ben – gibt es keinen anderen Partner hier im Hause als
die FDP. Deshalb ist das doch alternativlos, wie sich
zeigt.


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Deshalb seid ihr ja so schwach mit 20 Prozent!)


Ich finde, angesichts dessen, was wir gerade exempla-
risch im Bereich der Gesundheitspolitik erleben – die
Folgen davon werden Sie in den nächsten Jahren noch
spüren –, sollten wir etwas nüchterner über bürgerliche
Tugenden reden. Wir sollten auch etwas nüchterner hin-
schauen, wenn Sie über Gemeinsinn reden, aber in
Wahrheit das Gegenteil tun.

Was nützt es dem Gemeinwohl – ich frage Sie noch
einmal allen Ernstes –, wenn wir nicht vorhandenen Ver-
teilungsspielraum nutzen, nein, ausbeuten, um ein paar
Hotelbesitzern ein paar Millionen Euro zuzuwenden?


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP)


Was nützt es dem Gemeinwohl, wenn Sie vier Ener-
gieversorgern die Laufzeiten für deren Atomkraftwerke
verlängern?


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Richtig!)


Wie fördert es den Gemeinsinn, wenn Sie den Min-
destlohn flächendeckend verweigern und denjenigen
Menschen, die 4 Euro verdienen, sagen: Das ist zwar be-
dauerlich, aber holt euch den Rest vom Amt und tretet da
als Bittsteller auf?

Wie stärkt es den Gemeinsinn, wenn Sie den Lang-
zeitarbeitslosen den Rentenversicherungsbeitrag strei-
chen?

Ich kann doch diese Liste mühelos fortsetzen. Schon
nach einem Jahr wird so deutlich: Das ist keine Politik
für mehr Gemeinsinn, sondern in allen Politikfeldern
gibt es politische Vorschläge und am Ende auch Gesetze,
mit denen Sie die Spaltung dieser Gesellschaft vertiefen.
Die Folgen davon können Sie beobachten.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich rede nicht von Stuttgart, und ich rede auch nicht
nur von Gorleben. Aber zumindest da kann man be-
obachten, dass die Menschen inzwischen ganz offenbar
Schwierigkeiten haben, parlamentarische Beschlüsse
und demokratische Verfahren zu akzeptieren.

Bezogen auf die Laufzeitverlängerung sage ich Ihnen:
Sie wird kein einziges Problem der Energieversorgung
der Zukunft lösen. Was Sie auslösen – da bin ich mir
völlig sicher –, ist Planungsunsicherheit in den nächsten
Jahren in der gesamten Energiewirtschaft. Sie verursa-
chen Investitionsruinen bei den kleineren Energieversor-
gern, insbesondere bei den Stadtwerken. Frau Merkel,
Sie wissen schon jetzt: Sie werden selbst bei den unions-
geführten Ländern, spätestens aber beim Bundesverfas-
sungsgericht mit diesem Gesetzesvorhaben scheitern.
All das ist schon jetzt absehbar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das sind aber nur die Konsequenzen im Bereich der
Energiepolitik.

Wenn wir über Demokratie und unser Gemeinwesen
reden, kommt es auch darauf an, welche Folgen dies ab-
seits der Energiepolitik haben wird. Ich sage Ihnen: Sie
von den Regierungsfraktionen begreifen einfach nicht,
dass der Atomkonsens von 2000 die neue Energiepolitik
– Sie alle setzen sich drauf und tun so, als hätten Sie sie
erfunden – überhaupt erst möglich gemacht hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie reißen alte gesellschaftliche Großkonflikte, die die-
ses Land in den 80er- und 90er-Jahren fast zerrissen ha-
ben, ohne Not wieder auf.

Meine Damen und Herren von den Regierungsfrak-
tionen, Sie müssen begreifen: Die Menschen wollen eine
Energieversorgung ohne Atommüll; sie wollen jedoch
nicht den Rückmarsch in die 90er- oder 80er-Jahre. Da
bin ich völlig sicher.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])


Zum Schluss ein Wort zu Europa. Ich glaube, die
Lage ist ernst, und zwar nicht allein wegen Griechenland
und Irland. Ich schaue mit einiger Sorge auf das große





Dr. Frank-Walter Steinmeier


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europäische Einigungswerk. Es liegt im Moment in Apa-
thie. Die europäischen Führungsmächte sind aus meiner
Sicht nicht an Bord. Wo sie an Bord sind – in Klammern:
Deauville –, da haben die anderen nicht den Eindruck,
als ginge es um Europa.

Um da nicht missverstanden zu werden: Es ist völlig
klar, dass eine deutsche Bundeskanzlerin, eine deutsche
Regierung deutsche Interessen hat, die sie in Brüssel
vertreten darf und muss; das war immer so. Der Unter-
schied ist nur: Wir werden zurzeit offenbar nicht verstan-
den. Das kann doch nicht nur an den anderen liegen; da-
für spricht wenig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das hängt offenbar damit zusammen, dass wir es mit den
taktischen Spielchen ein wenig übertrieben haben – ich
habe das schon einmal am Beispiel der Finanzmarkt-
steuer durchbuchstabiert –: Wir tun so, als würden wir
wollen, aber hintenherum sagen wir, dass es eigentlich
gar nicht unsere Absicht ist. Die anderen Länder merken,
wenn eine Regierung Nutzen daraus zieht, dass der Bou-
levard gegen die südeuropäischen Partner vom Leder
zieht. Die kleinen Länder werden vor den Kopf gesto-
ßen, wenn man nicht auf Augenhöhe mit ihnen spricht.

Mir macht es Sorgen, wenn ich sehe, wie viel Empö-
rung und Abneigung uns mittlerweile von vielen euro-
päischen Partnern entgegenschlägt.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das waren Sie!)


Frau Merkel, das müssen auch Ihre Sorgen sein. Seien
Sie einen Augenblick ernsthaft. Sie wissen genau, dass
sich da etwas im europäischen Rahmen verändert. Es
muss auch Ihre Sorge sein, wenn uns der Verdacht entge-
genschlägt, wir hätten unser Interesse an Europa verloren
oder hätten gar – das wäre vielleicht noch schlimmer –
aus einem ökonomischen Kalkül heraus ein Interesse an
einer Renationalisierung. Ich behaupte nicht, dass das
stimmt. Ich behaupte, dass wir auf der europäischen
Ebene von vielen unserer Partner nicht verstanden wer-
den. Wenn das so ist, dann liegt auch das in der Verant-
wortung dieser Regierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Erfahrung ist jedenfalls: Man kann in Europa
Mehrheiten erzwingen und dabei gleichzeitig doch
scheitern, wenn man nämlich auf dem Weg zu einer Ent-
scheidung allzu viele Verletzte hinterlässt, wenn man zu-
lässt, dass die heimischen Medien Ressentiments gegen
einige Partner schüren,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das gab es bei Schröder nicht?)


vor allen Dingen, wenn man mit den Partnern zu sehr
von oben herab spricht.

Damit Sie es nicht missverstehen: Das sind nicht
meine Worte. Das eher regierungsfreundliche Handels-
blatt schreibt:

(Otto Fricke [FDP]: Das Handelsblatt ist regierungsfreundlich?)


Merkels Politik … führt zu Unsicherheit und Un-
frieden. Angela Merkel ist stark gegen die Schwa-
chen. Der Weg, den sie einschlägt, führt nicht nach
Europa.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich werden Sie sagen – das verstehe ich ja –: Das
ist das Handelsblatt; das ist starker Tobak. – Nur, igno-
rieren dürfen wir und erst recht Sie das nicht.

Die Wege aus der europäischen Krise – das ist meine
Überzeugung – führen nicht über vordergründige Schuld-
zuweisungen und nicht über Paternalismus. Sie können
nur über eine neue europäische Politik führen. Wann,
wenn nicht in Zeiten der Krise, ist der richtige Zeitpunkt,
um daran zu arbeiten, was eine gemeinsame europäische
Wirtschafts- und Finanzpolitik sein könnte?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wann, wenn nicht jetzt, ist der richtige Zeitpunkt für ei-
nen ernsthaften Versuch einer Annäherung der Steuer-
politiken? Dabei geht es nicht um die Stellen nach dem
Komma, natürlich nicht, aber über die Arten der Besteu-
erung, die Korridore für das Maß der Besteuerung muss
man doch jetzt reden. Ich bin sicher, auch Partner wie
die Iren sehen das heute anders als vor zwei Jahren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu all dem höre ich nichts. Stattdessen höre ich Beleh-
rungen. Das bringt Europa nicht neu zusammen. Ich weiß
selbst: Europa und die europäische Integration sind keine
Selbstläufer, waren es auch in der Vergangenheit nicht. Es
hat sich aber etwas verändert – deshalb müssen wir ge-
nauer hinschauen –: Die Fliehkräfte in Europa haben
ganz ohne Zweifel zugenommen. Dass nationalpopulisti-
sche Strömungen in Europa stärker geworden sind, auch
das wird in diesem Hause keiner bestreiten. Ich unter-
stelle, dass es keiner gut findet, dass sie in einigen euro-
päischen Ländern die Regierungspolitik schon mitbe-
stimmen. Ich sage nur: Wenn wir nichts dagegen tun,
werden solche nationalpopulistischen Strömungen nicht
auf Dauer an uns vorbeiziehen. Es ist Ihre Verantwortung,
auch die Verantwortung der Bundesregierung – dabei
können Sie mit unserer Unterstützung rechnen –, gerade
jetzt der europäischen Idee eine neue Kraft zu geben. Ich
weiß, dass das nicht im Trend liegt, aber es drängt, wenn
wir nicht alle Schaden nehmen wollen. Nehmen Sie diese
Verantwortung an!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Merkel, Sie haben sich entschieden, nach mir zu
reden.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Wie soll es denn sonst gehen?)






Dr. Frank-Walter Steinmeier


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Ich ahne, was Sie sagen werden: Der Fraktionsvorsit-
zende der SPD hat tüchtig geschimpft, aber er hat nicht
gesagt, was die SPD anders machen würde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg van Essen [FDP]: Genau so ist es!)


Um es ganz klar zu sagen – Sie dürfen jetzt bei jedem
Satz klatschen –: Mit uns gäbe es diese Gesundheits-
reform nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben Ihnen gezeigt, wie man eine Gesundheits-
reform machen und dabei das Solidarprinzip erhalten
kann. Wir haben Ihnen gezeigt – das ärgert Sie doch –,
wie man eine Gemeindefinanzreform machen kann,
ohne den Gemeinden das Geld wegzunehmen.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/ CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Oje! Vor allem in Nordrhein-Westfalen!)


Noch mehr ärgert Sie, dass wir die Blockaden, die Sie in
den 90er-Jahren im Bereich der Energiepolitik geschaf-
fen haben, aufgelöst und eine neue Energiepolitik in die-
sem Land überhaupt erst möglich gemacht haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo denn? Träumer!)


Was ich Ihnen auch sagen kann: Mit uns, mit der
SPD, gäbe es das Programm „Soziale Stadt“ nicht nur
als Überschrift und Symbolik in diesem Haushalt, son-
dern es wäre mit Substanz erfüllt, weil es nicht reicht,
Beton zu finanzieren, wenn man es mit der Integration
ernst meint.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Entscheidend aber ist: Bei uns gäbe es die fixe Idee
von Steuersenkungen als Selbstzweck nicht. Politik
heißt Entscheiden, und entscheiden muss man über Prio-
ritäten. Ich prophezeie Ihnen: Bildung und Integration,
das sind die beiden Themen, die darüber entscheiden
werden, ob uns das nächste Jahrzehnt gelingt. Das muss
finanziert werden, aber Sie tun das nicht. Sie erfüllen
Ihre eigenen Versprechungen nicht.


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Das ist ein wirklicher Unfug!)


Regieren ist mehr, als eine Koalition zu führen. Der
Haushalt, den Sie hier vorstellen, mag zum vorläufigen
Überleben des schwarz-gelben Bündnisses beitragen;
aber er ist ohne jede eigene Idee von Zukunft. Das steht
für Weiterwursteln in guten Zeiten; aber für schwere
Zeiten taugt das nicht, was Sie hier vorstellen.

Die jetzige Situation – ich freue mich darüber, dass
wir besser durch die Krise gekommen sind als andere –
schafft riesige Chancen; aber jede dieser Chancen haben
Sie im ersten Jahr Ihrer gemeinsamen Regierung verstol-
pert. Dieser Haushalt spricht dafür, dass sich das nicht
ändert. Es bleibt dabei: Dieses Land wird weit unter sei-
nen Möglichkeiten regiert. Das liegt in Ihrer Verantwor-
tung, und an den Quittungen wird schon geschrieben.

Herzlichen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707400200

Das Wort erhält nun die Bundeskanzlerin, Frau

Dr. Angela Merkel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Abg. Sigmar Gabriel [SPD] nimmt in der vorderen Reihe Platz)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1707400300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der

Rede von Herrn Steinmeier hat sich Herr Gabriel lieber
ganz nach hinten gesetzt, damit man sein Gesicht nicht
sieht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Er ist Vorsitzender, sitzt aber ganz hinten – toll.


(Sigmar Gabriel [SPD]: Wissen Sie, Sie waren schon mal besser!)


Lieber Herr Steinmeier, nach Ihrer Rede habe ich nur
ein einziges Bedürfnis: endlich eine Rede über die Zu-
kunft Deutschlands zu halten,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


über die Zukunft eines tollen Landes mit wunderbaren
Menschen, denen ich nicht nur in meinem Brief gedankt
habe, sondern denen ich ausdrücklich auch heute von
dieser Stelle aus noch einmal danken möchte dafür, wie
sie sich in den Zeiten der Krise verhalten haben, wie sie
ihren Beitrag für unser Land geleistet haben. Herzlichen
Dank dafür!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir führen die
vierte Haushaltsdebatte in diesem Jahr. Im März, als wir
über den Haushalt 2010 debattiert haben, sah es so aus,
als würden wir einigermaßen aus der Krise herauskom-
men. 1,4 Prozent Wachstum war die Prognose. Interna-
tionale Zeitungen, zum Beispiel der Economist, haben
schon damals geschrieben: Deutschland scheint besser
aus der Krise herauszukommen, als man ahnen konnte. –
Aber heute können wir sagen – das zeigt, welche Verän-
derung noch im Gange ist –: Wir werden wahrscheinlich
im Jahre 2010 3,4 Prozent Wachstum haben, 2011 wie-
der fast 2 Prozent, und auch für die folgenden Jahre kön-
nen wir, wenn wir alles richtig machen, auf vernünftige
Wachstumspfade hoffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das bringt mit sich, dass – das ist das Wichtigste – die
Menschen Arbeit haben, jedenfalls sehr, sehr viele. Die
Zahl der Arbeitslosen ist unter 3 Millionen gesunken.
Für das nächste Jahr heißt die Prognose: im Durchschnitt





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

2,9 Millionen. Das darf uns nicht ruhen lassen. Wenn wir
über Gerechtigkeit in diesem Lande sprechen, dann kön-
nen wir sagen: Heute haben mehr Menschen Arbeit als
vor der Krise. In Ostdeutschland haben mehr Menschen
Arbeit, als das seit 1991 der Fall war. Die Arbeitslosig-
keit ist die geringste seit 1991. Vor allen Dingen ist ein
Absinken der Langzeitarbeitslosigkeit zu verzeichnen.
Nach langer Zeit ist nun endlich ein Effekt eingetreten.
Da müssen wir weitermachen; da liegen unsere Aufga-
ben für die Zukunft. Da sind wir auf einem guten Weg,
auf dem wir aber nicht haltmachen, sondern weitergehen
werden. Das ist unsere Aufgabe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wie konnten wir so durch die Krise kommen? Was
macht unser Land aus?


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind Sie selber verwundert, nicht?)


Das ist einerseits eine innovative Wirtschaft mit einem
starken industriellen Kern; das ist ein dynamischer Mit-
telstand; das sind leistungsstarke Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, und das ist eine verlässliche Sozial-
partnerschaft. Das ist genau das, was wir als gelebte
soziale Marktwirtschaft bezeichnen können, eine so-
ziale Marktwirtschaft, die im Übrigen auf der Welt oft
etwas belächelt wurde. Jetzt, nach der Krise, werden wir
von vielen Ländern auf der Welt genau um diese gelebte
soziale Marktwirtschaft beneidet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das haben wir gemeinsam geschafft, das haben wir
uns gemeinsam erarbeitet. Ich stehe auch gar nicht an, zu
sagen: Daran haben natürlich nicht nur die jetzige Regie-
rung und die Vorgängerregierung, sondern sogar die Re-
gierung, die die Agenda 2010 erfunden hat – genau auch
die –, ihren Anteil. Das Problem des betreffenden Teils
des Hauses ist nur, dass Sie davon am liebsten gar nicht
mehr sprechen möchten, dass Sie sich so schnell davon-
stehlen wollen, wie Sie nur können. Das ist Ihr Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Man kann eben nicht Erfolge einheimsen und sich
gleichzeitig nicht zu dem, was man gemacht hat, beken-
nen. Deshalb müssen wir darüber sprechen.

Aber wir müssen auch darüber sprechen, dass sich na-
türlich auch im Haushalt 2011 noch deutlich die Spuren
dieser seit Jahrzehnten größten internationalen Finanz-
und Wirtschaftskrise zeigen. Dazu gehört, dass unsere
Schuldenquote von 66 Prozent im Jahr 2008 auf über
75 Prozent angestiegen ist, dass wir in diesem Jahr ein
Defizit von etwa 4 Prozent haben werden und dass wir
50 Milliarden Euro – plus oder minus; das kann ich
heute noch nicht genau sagen – Schulden machen wer-
den, also eine unglaubliche Summe von Schulden. Des-
halb heißt die Aufgabe natürlich, dass wir da besser wer-
den müssen. Wir können uns nicht damit herausreden,
dass wir sagen: Im Euro-Bereich, zum Beispiel, gibt es
eine mittlere Verschuldung von 6,7 Prozent. Da sind wir
besser. – Okay, das ist schön. Wenn wir nach Großbritan-
nien oder in die Vereinigten Staaten von Amerika
schauen, stellen wir fest, dass wir auch besser sind. Auch
das ist schön. Aber wir müssen unsere Maßstäbe an der
Schuldenbremse ausrichten; es ist gut, dass wir sie im
Grundgesetz haben.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Halten Sie sich auch daran?)


Und es ist gut, dass wir uns genau daran orientieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Sache wird ja auch nicht besser dadurch, dass Sie
hier Stunde um Stunde wiederholen, dass wir das nicht
täten.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Von selbst lernen Sie es ja nicht!)


Es ist doch völlig klar: In einem Jahr, in dem sich die
Daten unablässig verändern,


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Dann kann man sie aktualisieren!)


glücklicherweise einmal zum Positiven, müssen Sie ei-
nen Punkt nehmen, an dem Sie ansetzen. Wenn es nach
Ihnen gegangen wäre, hätten wir schon vor der Wahl in
Nordrhein-Westfalen den Haushalt aufstellen sollen. So
haben Sie damals doch geredet.


(Thomas Oppermann [SPD]: Das wäre jedenfalls ehrlicher gewesen!)


Nein, wir haben ihn dann aufgestellt, wenn man ihn nor-
malerweise aufstellt, nämlich im Juni und im Juli. Das
ist der Bezugspunkt. Wenigstens diejenigen bei Ihnen,
die Finanzpolitik betreiben, wissen, dass man die mittel-
fristige Finanzplanung an einem bestimmten Tag festle-
gen muss und dass sie nicht mehr Gegenstand der Bera-
tungen im Deutschen Bundestag ist.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Die Steuerschätzungen arbeiten wir immer ein!)


Das ist die Wahrheit, und deshalb haben wir uns so ent-
schieden. Das werden wir auch weiter machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Oh!)


Das, was wir an Konsolidierung machen, ist Zukunfts-
politik; denn da geht es um Generationengerechtigkeit,
um Spielräume.

Um das noch einmal vor Augen zu führen: Wir haben
heute für Zukunftsausgaben 28 Prozent des Haushalts
zur Verfügung, 1991 waren es 43,4 Prozent. In diese
Richtung müssen wir wieder kommen. Da kann es uns
nicht allein beruhigen, dass wir sagen: Wir haben für
2011 jetzt 10,6 Prozent Investitionen; das ist mehr, als
wir seit Jahren hatten. Deshalb sage ich auch: Wir sparen
nicht an der Zukunft, sondern diesen Haushalt kenn-
zeichnet, dass wir für die Zukunft sparen, für den Aus-
bau von Kinderbetreuung, für Bildung und Forschung,
für die Erhöhung der Investitionsquote. Das ist das Cha-
rakteristikum unseres Haushalts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Die sinkt um 1 Milliarde!)






Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Wir haben – auch das noch einmal zur Erinnerung;
das hat natürlich auch zu dem Wirtschaftswachstum bei-
getragen – zu Beginn des Jahres massive Steuerentlas-
tungen gehabt.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: MövenpickSteuer!)


Diese wurden teilweise schon in der Großen Koalition
beschlossen. Hinzugekommen ist das Wachstumsbe-
schleunigungsgesetz.

Wir werden weiter an den Fragen der Steuern arbei-
ten. Wir brauchen eine bessere Ausstattung der Gemein-
den. Dafür werden wir Lösungen vorschlagen. Das ist
ein drängendes Problem.


(Thomas Oppermann [SPD]: Aber wann denn? Da wäre doch heute der richtige Tag dafür!)


Es ist schon wirklich abenteuerlich,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


dass Sie, die Sie damals durch Steuerreformen den Kom-
munen Gewerbesteuern en masse gestohlen haben, uns
jetzt hier sagen, Sie wüssten, wie man eine Gemeindefi-
nanzreform macht. Das ist doch wirklich abenteuerlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Sie weiß gar nicht, wovon sie redet! – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das ist doch unglaublich!)


Wir werden Vorschläge zur Steuervereinfachung
machen.


(Thomas Oppermann [SPD]: Wo sind die denn?)


Diese werden am 1. Januar 2012 in Kraft treten. Die Be-
ratungen dazu laufen. Wir können viel im deutschen
Steuerrecht vereinfachen. Ein erstes Paket werden wir
vorschlagen. Es wäre schön, wenn vielleicht auch Ihre
Länder die Bereitschaft zeigen würden, sich an der Fi-
nanzierung zu beteiligen.


(Thomas Oppermann [SPD]: Fragen Sie erst einmal Ihre eigenen Länder!)


Denn unser Spielraum könnte viel größer sein, wenn das
nicht nur als Aufgabe des Bundes gesehen würde, son-
dern wenn sich auch alle Länder dafür mitverantwortlich
fühlen würden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben eine ganz klare Priorität. Wir sagen: Haus-
haltskonsolidierung kommt zuerst. Aber deshalb haben
wir das Thema „einfaches, gerechtes und niedriges Steuer-
system“


(Lachen der Abg. Petra Merkel [Berlin] [SPD])


gerade für kleine und mittlere Einkommen nicht verges-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn die Haushalte konsolidiert sind, wenn wir Spiel-
räume haben, machen wir das. Aber wir können heute
nicht sagen, wann genau. Deshalb werden wir diese
Dinge Schritt für Schritt abarbeiten.


(Thomas Oppermann [SPD]: Schritt für Schritt seitwärts!)


Deutschland ist ein Beispiel für das, was wir uns unter
Stabilitätskultur vorstellen. Nach unserer festen Über-
zeugung ist jetzt auch eine Ausstiegsstrategie aus den
Konjunkturmaßnahmen, die wir in großem Umfang ge-
macht haben, notwendig. Es zeigt sich, dass Deutschland
diesen Schritt gehen muss, auch und gerade im Blick auf
Europa. Denn wir haben in Europa eine Situation, die
deutlich zeigt, dass Stabilitätskultur überall gelebt wer-
den muss. Wir haben schwierige Monate hinter uns.

Herr Steinmeier, das, was Sie dazu gesagt haben,
kann mich wirklich nicht zufriedenstellen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber er hat recht!)


In Europa ist man heute noch entsetzt, dass 2004 der Sta-
bilitätspakt aufgeweicht wurde, und zwar auf Vorschlag
der Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder. Re-
den Sie einmal mit dem Präsidenten der EZB!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dann haben Sie die politische Entscheidung getroffen,
dass Griechenland in den Euro-Raum soll.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Waren Sie denn dagegen?)


Es hat sich gezeigt, dass das eine eher komplizierte Ent-
scheidung war. Als es im Frühjahr dieses Jahres darum
ging, dass Verantwortung gezeigt werden muss, haben
Sie sich unter fadenscheinigen Begründungen enthalten;
Sie haben sich in einer zentralen Stunde Europas zwei-
mal enthalten. Darüber wird die Geschichte richten; sie
wird zeigen, was man davon zu halten hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben im Frühjahr dieses Jahres in der Europäi-
schen Union einen Euro-Rettungsschirm gespannt. Dass
Irland jetzt einen Antrag stellt, Teil dieses Schirms zu
werden, ist genau die Verhaltensweise, für die wir vorge-
sorgt haben. Wir haben gesagt: Die Stabilität des Euro
als Ganzes muss gesichert sein. Deshalb werden wir
– das haben die Finanzminister gesagt – den Antrag Ir-
lands positiv betrachten, natürlich immer in einer Kondi-
tionalität, die deutlich macht, welche Schritte ein Land
tun muss, um auf den Pfad einer stabilen Währung zu-
rückzukehren.

Man sieht doch, welche Anstrengungen die griechi-
sche Regierung unternimmt. Man sieht auch – das haben
die Kommunalwahlen jetzt gezeigt –, dass die Menschen
in Griechenland diese Anstrengungen sogar honorieren.
Ich sage das, obwohl unsere Partnerpartei dort dabei
nicht der Gewinner ist. Die Menschen wollen, dass die
Dinge beim Namen genannt werden, dass man nicht den
Kopf in den Sand steckt, dass man ihnen nicht nach dem
Mund redet. Sie wollen, dass die Entscheidungen gefällt





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

werden, die notwendig sind. Das ist genau das, was auch
wir für unser Land machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir alle wissen – ich finde, darüber sollten wir in al-
ler Ruhe und Verantwortung in diesem Hause diskutie-
ren –: Wir haben einen Krisenmechanismus bis zum
Jahre 2013. Wir wissen auch – das sagt uns unsere euro-
päische Verantwortung –: Wir brauchen für die Zeit da-
nach einen permanenten Krisenmechanismus.

Im Augenblick arbeiten wir, auch im Hinblick auf Ir-
land, all die Fehler der Vergangenheit ab. Deshalb ist es
auch richtig, zu sagen: Die Krise ist noch nicht vorbei.
Aber wir müssen jetzt Vorkehrungen treffen, damit diese
Fehler nicht wieder passieren. Dabei geht es um die Fi-
nanzmarktarchitektur; da haben wir vieles erreicht. Da-
bei geht es um die Tatsache, dass wir den Stabilitätspakt
geschärft haben; auch da haben wir vieles erreicht, mehr,
als man vielleicht vor einem Jahr hätte denken können.

Das vielleicht Wichtigste ist aber nicht, dass jetzt die
Defizite strenger überwacht werden und auch die Ge-
samtverschuldung in den Blick des Stabilitäts- und
Wachstumspaktes kommt. Das Wichtigste ist aus meiner
Sicht, dass auch makroökonomische Kriterien wie Lohn-
stückkosten und das Verhältnis von Sozialausgaben und
Investitionsquote in die Betrachtung der europäischen
Länder hineinkommen. Wir sind auf dem Weg, eine ge-
meinsame, kohärente Wirtschaftspolitik zu schaffen, die
sich nach unseren Vorstellungen – ich hoffe, da stimmen
Sie uns zu – nicht an den Schlechtesten, sondern an den
Besten orientieren sollte, damit unser Kontinent insge-
samt stark wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt zum Krisenmechanismus für die Zukunft. Hier
stehen wir vor einem Problem, wo die Entscheidung
nicht einfach ist. Die christlich-liberale Koalition hat
sich aber entschieden. Wir sagen: Im Rahmen eines per-
manenten Krisenmechanismus müssen auch die priva-
ten Gläubiger, das heißt diejenigen, die an hohen Zin-
sen und mit Staatsanleihen Geld verdienen, beteiligt
werden, und zwar in dem Sinne, dass sie Verantwortung
übernehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Ja! Dann machen Sie mal!)


– Ja. Ich bitte Sie nur, dass wir darüber ganz redlich ge-
meinsam miteinander sprechen.


(Joachim Poß [SPD]: „Redlich“? Das müssen Sie gerade sagen! Sie haben die Dinge doch gerade verdreht! Vorhin! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Poß, Ruhe!)


– Herr Poß, ich kann es gerne wiederholen, damit auch
Sie die Richtung mitbekommen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Märkte sind, wie es immer so schön heißt, beun-
ruhigt, wenn man so etwas ausspricht.

(Joachim Poß [SPD]: Ja! Und warum? Dazu haben Sie viel beigetragen! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie mal mit Ihrem Regierungssprecher, mit Herrn Seibert!)


Wir stehen jetzt vor einer ganz entscheidenden Frage.
Wir haben am Anfang der Krise oft gesagt: Es darf nicht
sein, dass die Politik nicht das Primat hat. Die Wirtschaft
hat der Politik und den Menschen zu dienen und nicht
umgekehrt.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Ach! Das ist ja mal was ganz Neues! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine neue Erkenntnis ereilt Frau Merkel! – Thomas Oppermann [SPD]: Aha! Kein Beifall bei der Koalition!)


Jetzt stehen wir an genau dieser Stelle. Jetzt findet
ganz konkret und jeden Tag ein gewisses Ringen darum
statt: Hat die Politik den Mut, auch diejenigen, die damit
Geld verdienen, mit ins Risiko zu nehmen, oder ist der
Handel mit Staatsanleihen der einzige Bereich der Wirt-
schaft auf der Welt, in dem man kein Risiko eingehen
muss? Wir haben uns entschieden. Ich bitte Sie darum:
Unterstützen Sie uns dabei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hier geht es um die Frage des Primats der Politik, hier
geht es um die Frage der Grenzen der Märkte, und hier
geht es um eine klassische Frage der sozialen Marktwirt-
schaft im 21. Jahrhundert. Genau so ist es.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Was für eine Begeisterung bei der FDP! – Thomas Oppermann [SPD]: Na ja! Ich finde, die FDP klatscht eher verhalten!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles spielt sich
in einer Welt ab, in der, wie ich es oft gesagt habe, die
Karten nach dieser Krise neu gemischt sind. Zwei Drittel
des Wachstums in diesem Jahr kommen aus China, aus
Schwellenländern und Entwicklungsländern, nur ein
Drittel kommt aus den klassischen Industrieländern.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Mit zwei Dritteln haben Sie also nichts zu tun?)


– Ja, so ist es, Herr Trittin.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Okay! Das wollen wir nur mal festhalten!)


– Ja. – Herr Trittin hat der deutschen Öffentlichkeit ge-
rade mitgeteilt, dass wir, da zwei Drittel des Wachstums
in Schwellenländern und Entwicklungsländern stattge-
funden haben, mit zwei Dritteln nichts zu tun hatten. Das
ist richtig, weil wir noch kein Schwellenland und kein
Entwicklungsland sind.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)






Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Dafür ist die christlich-liberale Koalition der Garant: Mit
uns wird Deutschland auch kein Entwicklungsland. Bei
Ihnen bin ich mir nicht ganz so sicher, meine Damen und
Herren.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Als wir beim G-20-Treffen in Südkorea gewesen sind,
haben wir festgestellt, mit welcher Dynamik die Länder
Asiens an ihrer Zukunft arbeiten, in die sie optimistisch
blicken. Sie sind innovationsfreudig und bildungshung-
rig. Genau daraus ergibt sich der Auftrag der christlich-
liberalen Koalition. Wir haben ein starkes Deutschland.
Unser Auftrag heißt: Wir wollen, dass Deutschland stark
bleibt. Das ist der Auftrag unserer Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Genau das werden wir in dieser Legislaturperiode
machen; dafür haben wir unseren Auftrag bekommen.
Wir werden 2013 Rechenschaft darüber ablegen, was
wir auf diesem Weg geschafft haben.

Wir sind erstens für eine starke Wirtschaft, zweitens
für einen starken Staat und drittens für ein starkes Ge-
meinwesen. Das sind die Pfeiler unserer Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Genau in der Reihenfolge!)


Ja – darüber haben wir in diesem Herbst viele Debat-
ten geführt –, wir haben kontroverse Entscheidungen ge-
fällt. Aber wir sind der Meinung, dass wir damit die
Weichen in die richtige Richtung gestellt haben.

Ja, wir müssen noch weiter Überzeugungsarbeit für
das leisten, was wir tun, weil es natürlich kontrovers dis-
kutiert wird und weil es darüber auch Auseinanderset-
zungen gibt. Wir werden zu den Menschen gehen und sie
davon überzeugen, dass das, was wir tun, richtig ist.

Ja, wir sind bereit, auch ganz neue Wege zu gehen,
bei denen man nicht genau weiß, was das Ergebnis ist.
Wir sind aber überzeugt: Wer keine neuen Wege geht,
wird in die Vergangenheit gehen, und Deutschland wird
zurückfallen. Genau das wollen wir nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Bisher war es doch so!)


Wir wollen ein Land sein, in dem sich Leistung und
Arbeit lohnen,


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Siehe Mindestlohn!)


damit wir die Kraft für die Solidarität in unserer Gesell-
schaft haben. Genau das ist immer das Wechselspiel in
der sozialen Marktwirtschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir verschließen nicht die Augen vor der Realität.
Wir stecken nicht den Kopf in den Sand, sondern wir
stellen uns mutig den Herausforderungen, mit denen wir
es zu tun bekommen. Wir haben den Mut, zu sagen, wo-
für wir sind, und erzählen nicht unentwegt, wogegen wir
sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Schauen wir uns doch die Alternativen an! Über die
Linke will ich nicht weiter sprechen. Sie geben dauernd
Geld aus, das Sie nicht haben. Über die SPD habe ich
schon etwas gesagt: Sie sind heute hier und morgen dort.
Sie verabschieden sich von all den relevanten Entschei-
dungen, die zukunftsfähig gewesen sein könnten, und
zwar in einem affenartigen Tempo, dass es einem ganz
schwindlig wird und man sich fragt, wie das weitergehen
soll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage nur: Rente mit 67, Agenda 2010.

Fragen Sie doch einmal den Ulmer Oberbürgermeis-
ter, wie er zu Stuttgart 21 und neuen Bahnstrecken steht.
Dann werden Sie Ihre Antwort bekommen.

Und die Grünen? Sie sind sozusagen ziemlich fest mit
dem Wort „dagegen“ verbandelt. Das wollen Sie ka-
schieren. Sie sagen, Sie seien für erneuerbare Energien.
Aber wo immer eine Hochspannungsleitung gebaut wer-
den muss – das sind viele Kilometer –, wo immer ein
neuer Bahnhof entsteht, wo immer irgendetwas Neues
passiert, wo Pumpspeicherkraftwerke, zum Beispiel in
Bayern, entstehen, sagen Sie: Erneuerbare Energien, ja;
neue Netzleitungen, nein; Pumpspeicherkraftwerke in
Bayern, nein. – So geht es nicht! Das ist nicht die rich-
tige Antwort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie wollen angeblich für den Zugverkehr sein und
mehr Verkehr auf die Schiene verlagern. Aber wo immer
ein neuer Bahnhof gebaut wird, sind Sie dagegen, egal
ob es hier in Berlin-Ostkreuz oder bei Stuttgart 21 ist.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wo immer eine neue ICE-Strecke entsteht, sind Sie auch
dagegen. Gucken Sie doch einmal nach Hannover, Ber-
lin und Hamburg. Nein, meine Damen und Herren, so
geht es nicht! So werden Sie nicht durchkommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sind natürlich für den Sport – wer wollte das
nicht? – und wahrscheinlich auch dafür, Sport in das
Grundgesetz aufzunehmen. Aber wenn es um Olympi-
sche Spiele in Deutschland geht, dann sind Sie natürlich
dagegen.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn es so weitergeht, werden die Grünen für Weih-
nachten sein, aber gegen die davor geschaltete Advents-
zeit.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich lach’ mich ab! Ist die komisch, die Kanzlerin!)






Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden uns
auch damit befassen, was Sie den Menschen sagen und
wozu Sie die Menschen ermutigen. Lesen Sie einmal
nach, was Ihr Landesvorsitzender Kretschmann in Ba-
den-Württemberg sagte,


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den hätten Sie gerne!)


als er gefragt wurde, ob er garantieren könne, dass die
Grünen aus dem Projekt Stuttgart 21 aussteigen. Er
sagte:

Das kann ich nicht garantieren. … Wir können ja
aussteigen nur zu einem verantwortbaren Preis.
Solch ein Versprechen abzugeben, das wäre nicht
seriös.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Ich finde es schon ziemlich waghalsig – um es einmal
ganz vorsichtig auszusprechen –, Menschen zu Demon-
strationen gegen etwas zu ermutigen, um dann im Klei-
nen zu sagen: Wenn es darauf ankommt, können wir
euch gar nicht garantieren, dass wir das verhindern kön-
nen. – Ich finde, das müsste er viel lauter sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verhindern doch die Entscheidung! Sie blockieren das doch! Sie schicken die Wasserwerfer!)


Um es noch einmal in einer anderen Variante zu sa-
gen, weil Sie vielleicht meinen, das sei zu holzschnitt-
artig und zu grobschlächtig, zitiere ich Ihnen, was ges-
tern im Feuilleton in der Süddeutschen Zeitung
Interessantes geschrieben wurde:

Die Ökologie ist das größte System der Welt; Tech-
nik, Kultur oder Ökonomie sind darin Teilgebiete.
Es ist richtig, dass die Fragen der Nachhaltigkeit
alle anderen Themen dominieren. Wenn wir ihrem
grundsätzlichen Bedenkentum aber alle Kräfte der
Euphorie opfern, werden wir kaum in der Lage
sein, die Probleme der Zukunft zu lösen. Nicht ein-
mal die, die wir selbst im Glauben an die Zukunft
verursacht haben.

Das ist eine andere Variante, mit der auf das hingewiesen
wird, was Sie gerade zerstören.

Wir wollen nachhaltige Politik; der Bundestag wird
hier in einer Enquete-Kommission über nachhaltiges
Wachstum diskutieren. Wir zerstören aber die Fähigkeit
zur Zukunft, wenn wir den Bedenkenträgern folgen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat sie vorgeschlagen? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat die Kommission denn vorgeschlagen, Frau Bundeskanzlerin?)


– Ich gebe Ihnen ja nur gute Hinweise. Guten Hinweisen
von Ihnen schließen wir uns immer an; aber die gibt es
leider nur sehr selten.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir warten ja darauf!)


– Nun bleiben Sie einmal ruhig. Beherzigen Sie doch
einmal, dass Sie die Probleme der Zukunft nicht lösen
werden, noch nicht einmal die, die Sie in der Vergangen-
heit verursacht haben. Das ist doch der Punkt: Sie drü-
cken sich angeblich im Geiste der Nachhaltigkeit vor der
Verantwortung.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das trifft überhaupt nicht zu! – Thomas Oppermann [SPD]: Lösen Sie erst einmal die Probleme der Gegenwart!)


Sie sind gegen die Erkundung von Gorleben und be-
klagen, dass es kein Endlager gibt. Das ist diese Zwei-
deutigkeit, das sind Schäden aus der Vergangenheit, die
bereits angerichtet sind. Darauf müssen Sie eine Antwort
geben. Das haben Sie nicht getan.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Atomkonzern hat Ihnen das aufgeschrieben? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Also Erhalt der Schöpfung durch Salzkavernen!)


Das ist bei Ihnen Thema für Thema gleich.

Sie sprechen über nachhaltiges Wirtschaften. Dabei
können Sie doch nicht die Augen davor verschließen,
dass im Jahre 1950 sechs Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer für einen Rentner gearbeitet haben und er
zehn Jahre lang Rente bekommen hat. Heute arbeiten
drei Arbeitnehmer für einen Rentner, und er bekommt
18 Jahre lang Rente. Im Jahre 2030, also in 20 Jahren,
werden zwei Menschen für einen Rentner die Rente erar-
beiten müssen, und er bekommt sie über 20 Jahre lang.
Wenn man dann sagt, wie die SPD es tut, jetzt setze man
die schrittweise Einführung der Rente mit 67 erst einmal
fünf Jahre aus, dann mutet man den zukünftigen Genera-
tionen etwas zu, was wir nicht wollen; denn wir wollen
Generationengerechtigkeit. Sie stecken den Kopf in den
Sand, Sie stellen sich den Realitäten nicht, Sie reden
drum herum. So kommen wir nicht voran.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Genauso ist es beim Thema Gesundheit. Herr
Steinmeier, ich weiß, dass Sie es eigentlich wissen. Sie
wissen nur nicht, wie Sie das bei sich rüberbringen kön-
nen. Die Gesundheitskosten werden steigen, weil die
medizinischen Möglichkeiten größer sind, weil wir
heute Dinge tun können, an die man früher überhaupt
nicht gedacht hat, und weil unsere Bevölkerung gleich-
zeitig älter wird.


(Zuruf von der SPD: Solidarisierung à la Rösler!)


Deshalb ist es doch ganz logisch, dass man die aus-
schließliche Kopplung an die Arbeitskosten nicht auf-
rechterhalten kann.


(Thomas Oppermann [SPD]: Aber die Kopplung an die Arbeitnehmereinkommen!)






Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Sie wissen auch, dass der Ausgleich für die ansteigenden
Kosten viel gerechter aus dem Steuersystem als aus den
sozialversicherungspflichtigen Beiträgen geleistet wer-
den kann. Das – und nichts anderes – ist doch das, was
wir machen. Wir legen eine Oberbelastungsgrenze von
2 Prozent des eigenen Einkommens fest. Diese Grenze
haben Sie in vielen Fällen genauso gewählt.


(Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


– Sie haben so eine Angst, dass Sie verstehen könnten,
was wir machen, dass Sie immer gleich schreien und
einfach nicht zuhören. Aber das wird sich nicht durch-
setzen. Sie müssen Antworten auf die Zukunft finden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zu Ihrer Milchmädchenrechnung. Auf dem Grünen-
Parteitag ist ja das Allerbeste passiert. Man hat zum
Schluss die Kommission „Ehrlich machen“ gegründet.
Was war Ihr ganzer Parteitag, wenn Sie hinterher eine
Kommission „Ehrlich machen“ gründen müssen? War
das alles die Unwahrheit oder unehrlich, oder was? Das
ist doch unglaublich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat man Ihnen Quatsch aufgeschrieben!)


Wir werden über die Neuregelung der Hartz-IV-
Sätze miteinander sprechen. Wir haben eine verfas-
sungsgemäße Berechnung.


(Zurufe von der SPD: Nein! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das sehen die Experten anders!)


Sie haben uns bis heute nicht gesagt, was genau Sie da-
ran bezweifeln.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Rechnungshof! Bundesbank! Sachverständigenrat!)


Lieber Herr Steinmeier, ich sage Ihnen eines: Es geht um
Menschen und gerade um Kinder und ihr Bildungspaket
zum 1. Januar nächsten Jahres. Ich kann nur sagen: Ma-
chen Sie keine Spielchen, sondern lassen Sie uns ehrlich
darüber reden.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das jetzt die Einladung zum Gespräch, oder was?)


Wenn Sie es verweigern, mit der zuständigen Ministerin
darüber zu sprechen,


(Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben doch das Gespräch verweigert! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich warte auf die Einladung!)


weil Sie noch hundert Sachen mit lösen wollen, die gar
nicht in deren Arbeitsbereich fallen, dann kann ich nur
sagen: Das ist kein seriöses Herangehen. Es geht hier um
das Schicksal von Hartz-IV-Empfängern und von Kin-
dern in Familien mit Hartz IV. Da sind auch Sie in der
Verantwortung.

(Zurufe von der SPD)


– Sie brauchen gar nicht so zu schreien. Wir sind zu Ge-
sprächen bereit; das habe ich Ihnen immer wieder ge-
sagt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir brauchen nicht nur eine starke Wirtschaft, wir
brauchen auch einen starken Staat. Wir dürfen nicht ver-
gessen, dass die Beratungen heute in einer Umgebung
stattfinden, wie wir sie lange nicht hatten. Besucherin-
nen und Besucher können den Reichstag im Augenblick
nicht besuchen. Ich bedanke mich beim Bundestagsprä-
sidenten, dass er gestern ganz deutlich gemacht hat: Wir
werden uns von unserer Arbeit trotz terroristischer
Bedrohung nicht abbringen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber klar ist auch – das haben uns die Paketbomben im
Flugfrachtverkehr gezeigt –: Die Bedrohungen sind lei-
der real. Wir müssen uns auf sie einstellen. Ich möchte
der Polizei danken, den Sicherheitskräften insgesamt,
aber auch den Bürgerinnen und Bürgern, die das alles
gefasst und im Wissen um den Wert der Demokratie und
unserer Freiheit akzeptieren und einerseits aufmerksam,
andererseits aber eben auch nicht ängstlich sind. Ich
kann die Worte des Bundesinnenministers nur wiederho-
len: Es gibt Grund zur Sorge, aber keinen Grund zur
Hysterie.

Wir werden in diesem Bereich ganz eng – das haben
wir jetzt schon gesehen – mit anderen Ländern zusam-
menarbeiten müssen. Globalisierung ist nicht nur im
Wirtschaftsbereich, sondern globale Vernetzung ist auch
im Sicherheitsbereich wichtig. Wir werden die für uns
notwendigen Antworten finden müssen, wie wir für Ge-
setze, die in der Koalition besprochen und die geregelt
werden müssen – ich nenne das Thema Vorratsdaten-
speicherung –, richtige und gute Lösungen finden, und
wir werden international mehr Verantwortung überneh-
men.

Ich möchte mich beim Bundesaußenminister ganz
herzlich bedanken. Es ist gelungen – –


(Widerspruch bei der SPD)


– Mein Gott, das ist von Bundeskanzler Schröder einge-
leitet worden. Wir haben die Außenpolitik in guter, be-
währter Kontinuität fortgeführt und uns um den Sicher-
heitsratssitz für die Jahre 2011 und 2012 bemüht. Wir
waren erfolgreich. Ich finde, darüber können wir uns alle
freuen; wir sollten das Beste daraus machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir brauchen natürlich auch in der Sicherheitspolitik
der NATO neue Ansätze und neue Vernetzungen. Wir
haben in Lissabon mit dem Bundesaußenminister und
dem Bundesverteidigungsminister einen sehr erfolgrei-
chen NATO-Gipfel gehabt. Die NATO hat ein neues
Strategisches Konzept aufgelegt. Die NATO hat gezeigt,
dass sie ein politisches Bündnis ist. Dazu hat ganz we-
sentlich der Schritt Frankreichs im letzten Jahr beigetra-
gen, wieder Vollmitglied der NATO zu werden. Nur da-





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

durch ist es überhaupt möglich, heute Themen wie
Afghanistan, die Frage der Übergabe in Verantwortung,
das Thema der vernetzten Sicherheit, der Notwendigkeit
eines parallelen, politischen Prozesses zu den militäri-
schen Aktionen in der NATO zu besprechen.

Meine Damen und Herren, wir stellen uns auch den
neuen Herausforderungen. Dazu gehört auch Cyber
Defense, wie es so schön heißt, also der Schutz unserer
Datensysteme. Präsident Obama sagt, dass Amerikas
wirtschaftlicher Wohlstand im 21. Jahrhundert von der
Sicherheit der Datennetze abhängt, und hat ein Cyber-
security Office eingerichtet. Die britische Regierung hat
Cyber-Defense-Programme angekündigt und will in vier
Jahren 400 Millionen Pfund dafür ausgeben. Wir ma-
chen selbstverständlich auch etwas. Wenn der Fraktions-
vorsitzende der Grünen zu dem Thema nichts anderes
sagt als: „Wollen Sie Google bombardieren?“, dann kann
ich nur sagen: Dümmer geht’s nimmer, lieber Herr
Trittin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Peer Steinbrück [SPD])


Auch wir als christlich-liberale Koalition reagieren
auf die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen.
Der Bundesverteidigungsminister hat eine Sicherheits-
analyse vorgelegt. Wir haben die Entscheidung getroffen
– mit „wir“ meine ich vor allem die Unionsfraktion; die
FDP hatte diese Entscheidung schon früher getroffen –,
dass wir die Wehrpflicht nicht abschaffen, sondern aus-
setzen und in einen freiwilligen Wehrdienst überfüh-
ren. Die Kommandeurstagung dieses Jahres in Dresden
zum Thema „20 Jahre Armee der Einheit“ – übrigens eine
riesige gemeinsame Erfolgsgeschichte von uns allen –
war sicherlich eine ganz wesentliche Weichenstellung
dafür, wie sich die Bundeswehr in der Zukunft entwi-
ckelt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was auf die
Bundeswehr zukommt, ist nicht irgendeine Reform, son-
dern das ist das Ankommen im 21. Jahrhundert. Das ist
die Antwort auf die neuen Bedrohungen, die nicht mehr
an den Grenzen des Bündnisses NATO bestehen, son-
dern Bedrohungen, die aus Staaten kommen, die ihrer
Verantwortung nicht nachkommen können, die vom Ter-
rorismus kommen oder die durch die Proliferation von
Massenvernichtungswaffen entstehen: völlig neue Pro-
bleme, vor denen wir stehen. Deshalb war ich sehr froh,
dass es uns in Lissabon beim Russland-NATO-Rat ge-
lungen ist, deutlich zu machen: Russland ist bei der Be-
kämpfung all der Bedrohungen, denen wir gegenüberste-
hen, nicht mehr unser Gegner, wie es im Kalten Krieg
war, sondern Russland kann und wird Partner sein. Das
hat sich ganz massiv dort demonstriert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir mussten gestern wieder erleben, dass diese Bedro-
hungen nicht abstrakt sind. Die Raketenangriffe von
Nordkorea auf Südkorea haben uns allen gezeigt, wie
fragil die Sicherheit in einigen Bereichen unserer Welt
ist. Wir erwähnen, dass Russland auch bei der Sicher-
heitsratsresolution gegen den Iran mit auf unserer Seite
war. Diese Partnerschaft muss ausgebaut werden. Sie
wird ausgebaut werden, und wir werden dadurch ein
Mehr an Sicherheit haben.

Wenn wir jetzt zu einem freiwilligen Wehrdienst
übergehen, was auch Folgen für den Zivildienst im Zu-
sammenhang mit dem Freiwilligendienst hat, dann brau-
chen wir ein Freiwilligengesetz, das die Ministerin
Kristina Schröder vorgestellt hat. Das bringt mich zu
dem nächsten Punkt; denn wir wollen damit nicht nur et-
was technisch neu regeln, sondern auch einen Impuls ge-
ben und einen richtigen Schritt hin zu einem Gemeinwe-
sen tun, wie wir es uns vorstellen. Wir wollen, dass diese
Gesellschaft dadurch menschlicher wird, dass Menschen
sich für andere Menschen engagieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich glaube, viele junge Menschen werden dazu bereit
sein, sei es in der Bundeswehr, sei es im Freiwilligen-
dienst, sei es im Freiwilligen Sozialen oder im Freiwilli-
gen Ökologischen Jahr, das junge Menschen ableisten.
Aber wir laden Menschen aller Altersgruppen ein, sich
im Ehrenamt und in Freiwilligendiensten zu engagieren.
Es gibt sehr viel zu tun, und der Staat wird gerade in ei-
ner Gesellschaft, die älter wird, Menschlichkeit nicht so
vermitteln können, wie wir uns das wünschen, jedenfalls
nicht alleine. Wir brauchen einen starken Staat; aber wir
brauchen auch starke Bürger, die sich für andere Bürge-
rinnen und Bürger engagieren. Das ist unsere Vorstel-
lung von Gemeinwesen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir sind
uns nicht in allen Fragen einig. Aber ich glaube, dass wir
uns den Themen gestellt haben. Wir haben Entscheidun-
gen gefällt, und wir werden weitere Entscheidungen fäl-
len. Was das Thema Arbeitsmarkt angeht, dürfen wir
uns mit 2,9 Millionen Arbeitslosen nicht zufrieden ge-
ben. Wir haben angesichts des demografischen Wandels
vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte der Bundes-
republik Deutschland seit den 70er-Jahren wieder die
Chance, zu sagen: Vollbeschäftigung kann Realität wer-
den.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Steinmeier ist dafür ausgelacht worden im Wahlkampf!)


Deshalb werden wir gerade von den Jüngeren fordern,
wenn sie nicht gefördert werden wollen, genau diesen
Weg zu gehen; denn der demografische Wandel kann
auch als Chance für unser Land genutzt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir packen die Probleme also an, zusammen mit un-
seren internationalen Partnern. Wir machen eine Politik
aus dem Blickwinkel unserer Kinder, weil wir uns der
Zukunft verpflichtet fühlen. Deshalb darf ich Ihnen sa-
gen: Die christlich-liberale Koalition ist auf einem Weg,
um Deutschland, das immer stark war, auch stark blei-
ben zu lassen. Sie ist auf einem Weg, der deutlich macht:
Die Bundesrepublik Deutschland war nicht nur ein Er-
folgsmodell. Sie wird auch in Zukunft ein Erfolgsmodell
sein. – Diesem Auftrag fühlen wir uns verpflichtet. Da





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

werden wir auch keine Widerstände scheuen. Da werden
wir Entscheidungen treffen. Ich sage Ihnen dazu: Es
macht uns sogar noch gemeinsam Spaß.

Herzlichen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707400400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707400500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Nach dem Willen der Kanzlerin sollte es der Herbst
der Entscheidungen werden. Es wurde der Herbst der
Fehlentscheidungen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Verlängerung der Laufzeiten für marode Atomkraft-
werke, die Einführung der Kopfpauschale, das Festhal-
ten an der Rente erst ab 67 und jetzt noch ein Bundes-
haushalt, der mit dem größten Kürzungspaket in der
Geschichte der Bundesrepublik die Konjunktur aus-
bremsen und die soziale Spaltung in unserem Land vo-
rantreiben wird – alles Fehlentscheidungen.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Bundesregierung hat es geschafft, ihren eigenen
Weltrekord einzustellen, in kürzester Zeit eine maximale
Zahl an Fehlentscheidungen zu treffen. Das macht Ihnen
keiner so leicht nach, Frau Merkel.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707400600

Einen Augenblick bitte, Frau Lötzsch. – Ich darf die

Kolleginnen und Kollegen, die der weiteren Debatte
nicht folgen können oder wollen,


(Zuruf von der LINKEN: Ignorant!)


bitten, den Plenarsaal zu verlassen, damit sichergestellt
ist, dass die Rednerin die nötige Aufmerksamkeit erhält.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707400700

Vielen Dank, Herr Präsident.

Nun hat die Kanzlerin einen offenen Brief geschrie-
ben, um das Bild der Bundesregierung aufzupolieren.
Portokosten: 2,8 Millionen Euro. Das ist wohl der teu-
erste Brief, der jemals verschickt wurde. Ich sage mir:
Wer eine 2,8-Millionen-Euro-Briefmarke aufklebt, der
muss doch wohl panisch sein vor Angst.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir als Opposition haben nicht das Geld, derartige of-
fene Briefe in allen Zeitungen zu veröffentlichen. Ei-
gentlich wäre eine Gegenanzeige dringend erforderlich
gewesen. Bei der Zigarettenwerbung sind Gegenanzei-
gen schon zwingend vorgeschrieben. Ich glaube, das ist
etwas, was auch in der Politik bitter nötig wäre.

(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme zum ersten Versprechen. Das heißt: „Wir
sichern die Finanzen“. Sie selber haben gesagt: Keine
Bundesregierung hat bisher mehr Schulden gemacht als
Sie. Der Einwand, dass nicht die Regierung daran schuld
sei, sondern die Finanzkrise, ist unredlich. Ich darf dazu
den Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz zitieren,
der es folgendermaßen auf den Punkt bringt:

Stattdessen wird das Geld wahllos den Banken hin-
terhergeworfen, und die zahlen sich dafür Milliar-
den an Boni und Dividenden aus. Wir Steuerzahler
werden praktisch ausgeraubt, um die Verluste eini-
ger sehr wohlhabender Leute zu verringern. Das
muss sich dringend ändern.

Aber Sie haben das nicht geändert. Das ist ein Fehler,
Frau Merkel.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen ganz deutlich: Die Vollkaskomentalität
der Banker stinkt zum Himmel. Sie müssten endlich die-
ser Mentalität etwas entgegensetzen, anstatt sie immer
wieder zu unterstützen. Sie haben Ihr erstes Versprechen
gebrochen. Das ist die Wahrheit und die Antwort auf Ih-
ren Brief.


(Beifall bei der LINKEN)


Das zweite Versprechen heißt: „Wir schaffen die Bil-
dungsrepublik“. Sie wollen also die Bildungsrepublik
schaffen. Ich frage Sie: Warum geben Sie dann den Fa-
milien nicht genügend Geld? Wäre es nicht sinnvoller,
dafür zu sorgen, dass die Familien ein höheres Einkom-
men erhalten, damit sie selbst entscheiden können, wie
sie ihre Kinder fördern? Nein, Sie wollen diese Selbstbe-
stimmung nicht zulassen. Sie wollen lieber einen büro-
kratischen Bevormundungsapparat schaffen, der nach
Gutdünken Bezugsscheine verteilt. Das ist nicht unser
Menschenbild. Das ist kein Menschenbild von freien,
selbstbestimmten Menschen, sondern das ist ein autori-
täres, bürokratisches Menschenbild. Das lehnen wir ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Von einer Bildungsrepublik sind wir noch Lichtjahre
entfernt, solange Kitaplätze vor allem im Westen Man-
gelware sind, solange die soziale Herkunft über den
Schulweg entscheidet und solange Studiengebühren ge-
zahlt werden müssen. Damit haben Sie auch das zweite
Versprechen gebrochen. Das ist die Wahrheit und die
Antwort auf Ihren Brief, Frau Merkel.


(Beifall bei der LINKEN)


Das dritte Versprechen ist besonders absurd. Sie
schreiben:

Wir sichern die Energieversorgung. Sie soll zuver-
lässig, bezahlbar und umweltfreundlich sein.

Darüber werden sich all diejenigen wundern, die gerade
in diesen Tagen von ihrem Energieversorger eine saftige
Preiserhöhung bekommen haben. Also ist auch dieses
Versprechen schon gebrochen.


(Beifall bei der LINKEN)






Dr. Gesine Lötzsch


(A) (C)



(D)(B)

Mit dem Atomdeal der Bundesregierung sind weitere
Extraprofite für die Konzerne langfristig garantiert. Sie,
Frau Merkel, haben auf Kosten der Sicherheit der Men-
schen in unserem Land abgeschriebene Atomkraftwerke
dem radioaktiven Kartell überlassen. Wenn Sie diese ti-
ckenden Zeitbomben als zuverlässig bezeichnen, Frau
Merkel, dann ist das mehr als grob fahrlässig. Auch das
dritte Versprechen haben Sie also gebrochen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihr viertes Versprechen lautet: Das Gesundheitswesen
bleibt bezahlbar. – Das ist nun wirklich Hohn. Die ge-
rade beschlossene Kopfpauschale wird die Zweiklas-
senmedizin, die schon existiert, weiter verschärfen. Wir
müssen uns die Zahlen genau anschauen. Steigen die
Ausgaben der Krankenkassen um nur 4 Prozent pro Jahr,
dann wird ein Versicherter schon im Jahr 2013 21 Euro
pro Monat zusätzlich zahlen müssen. Gehen wir ein paar
Jahre weiter: Im Jahre 2019 werden es dann bereits
104 Euro Kopfpauschale sein. Nun kommen Sie mir
nicht mit Ihrem Sozialausgleich! Den werden Sie näm-
lich den Kürzungshaushalten opfern, ihn als Sparmasse
verwenden. Sie streuen den Menschen Sand in die Au-
gen.

Sie haben schon jetzt alle vier Versprechen gebro-
chen. Das ist eine Schande, Frau Merkel.


(Beifall bei der LINKEN)


Um Ihre Arbeit als Bundeskanzlerin aber umfassend
und gerecht bewerten zu können, sollten wir nicht nur
auf dieses eine Jahr zurückblicken. Sie sind schließlich
schon seit fünf Jahren im Amt. Deshalb ist es Zeit für
eine Fünfjahresbilanz. Sie selbst haben sich darum ge-
drückt; das wurde in der Presse festgehalten. Bilanz der
Arbeitsmarktpolitik: Die Bundesregierung feiert ihre
Arbeitsmarktpolitik als großen Erfolg und plakatiert
auf teuren Werbeflächen die Zahl 3 Millionen. Auch hier
wäre eine Gegenanzeige angebracht. Dafür braucht man
gar nicht viel Platz. Sie könnte einfach heißen: Vorsicht!
Bilanzfälschung! – Ich frage Sie: Warum unterschlägt
die Bundesregierung mehr als 1 Million Arbeitslose? Sie
hat einfach Menschen aus der Statistik gestrichen, weil
sie Leiharbeiter sind, weil sie 1 Euro pro Stunde bekom-
men, weil sie in Weiterbildung sind oder weil sie unter
die 58er-Regel fallen. Tatsächlich – das sagen nicht nur
wir, sondern das hat auch die Bundesagentur für Arbeit
berechnet – haben wir in Deutschland nicht nur 3 Millio-
nen, sondern mehr als 4,8 Millionen Arbeitslose. Ich
frage Sie: Was ist von einer Regierung zu halten, die
Menschen einfach aus der Statistik verschwinden lässt,
um besser auf Plakaten prahlen zu können? Ich sage:
nichts.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihr Credo, Frau Merkel, war: Sozial ist, was Arbeit
schafft. – Ist es wirklich sozial, wenn immer mehr Men-
schen in den größten Niedriglohnsektor Europas ge-
drängt werden? Ist es wirklich sozial, wenn Menschen
von ihrer Hände Arbeit nicht leben können und wenn
über 1 Million Menschen zum Amt gehen müssen, um
aufzustocken? Ist es wirklich sozial, wenn immer mehr
Menschen nur noch Zeitverträge und keine feste Anstel-
lung bekommen? Das hat mit sozialer Marktwirtschaft
gar nichts mehr zu tun. Das ist schnöder Kapitalismus
und Ausbeutung.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir als Linke fordern, dass Löhne zum Leben reichen
müssen. Deshalb brauchen wir endlich den Beschluss
über den gesetzlichen Mindestlohn.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen, dass Leiharbeit eingeschränkt wird. Leih-
arbeiter müssen mindestens genauso bezahlt werden wie
die Stammbelegschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir wollen, dass junge Menschen endlich wieder ihre
Zukunft planen können, dass sie nicht Spielball von Ar-
beitgebern werden und mit befristeten Verträgen und
Praktika hingehalten werden. Wir wollen, dass auch
Menschen mit über 60 Jahren noch eine Chance auf ei-
nen vernünftigen Arbeitsplatz bekommen und nicht vor-
zeitig mit hohen Rentenabschlägen in den Ruhestand ab-
geschoben werden. Ihre Bilanz ist eindeutig: Noch nie
wurden so viele gute Arbeitsplätze in schlecht bezahlte
und unsichere umgewandelt.


(Beifall bei der LINKEN)


Damit sich möglichst viele Menschen mit solchen un-
zumutbaren Arbeitsverhältnissen abfinden, wurde von
der rot-grünen Schröder-Regierung Hartz IV geschaf-
fen. Wir sollten nicht vergessen, wer die Tür für alle
diese Veränderungen und die Dinge, die Sie jetzt durch-
setzen können, geöffnet hat. Gegen die Willkür von
Hartz IV hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig
Recht gesprochen. Doch die Bundesregierung – das
zeigt die Debatte der letzten Monate – scheint jede Ach-
tung vor dem höchsten Gericht der Bundesrepublik ver-
loren zu haben. Die Statistiken wurden so lange zurecht-
gebogen, bis die Vorgaben des Finanzministers erfüllt
waren. Nun wollen Sie die Menschen mit 5 Euro zusätz-
lich abspeisen. Diese 5 Euro werden schon durch die
Strompreiserhöhung aufgefressen. Das ist wirklich eine
schändliche und verlogene Politik.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir als Linke fordern eine deutliche Erhöhung des
Arbeitslosengeldes II. Wir haben dazu entsprechende
Anträge gestellt. Wenn Sie auf uns nicht hören wollen,
dann hören Sie doch wenigstens auf die Wohlfahrtsver-
bände. Handeln Sie, und erhöhen Sie in einem ersten
Schritt die Regelsätze von Hartz IV mindestens auf das
Niveau, das die Wohlfahrtsverbände fordern, nämlich
416 Euro pro Monat. Wir als Linke wollen 500 Euro pro
Monat; aber gehen Sie doch wenigstens den ersten
Schritt.


(Beifall bei der LINKEN)


Zur Bilanz Ihrer Rentenpolitik. Die OECD stellt fest,
dass die Bundesrepublik bei den Renten für Niedrigver-
diener auf Platz 30 ist. Wir als Linke haben immer davor
gewarnt, dass der Niedriglohnsektor die Rente zerstören
wird. Die Grundlage für eine gute Rente sind gute





Dr. Gesine Lötzsch


(A) (C)



(D)

Löhne. Diese Wahrheit kann man nicht oft genug aus-
sprechen. Darum brauchen wir endlich einen gesetzli-
chen Mindestlohn und eine vernünftige Lohnpolitik in
diesem Land.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Wort „Altersarmut“ war schon fast aus dem
Sprachgebrauch verschwunden. Sie haben durch ständige
Rentenkürzungen dafür gesorgt, dass Altersarmut wieder
ein zentrales Problem geworden ist.


(Zuruf von der LINKEN: Pfui!)


Ich will Ihnen einige wenige Zahlen nennen. Rentner,
die im Jahr 2006 in den Ruhestand gegangen sind, haben
im Vergleich zu Rentnern, die im Jahr 2000 in Rente ge-
gangen sind, 14,5 Prozent weniger Rente. Was tun Sie
gegen die wachsende Altersarmut? Überhaupt nichts. Im
Gegenteil: Sie erhöhen das Renteneintrittsalter auf
67 Jahre. Das ist genau die falsche Politik, und der stel-
len wir uns entgegen.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt kommt wieder das Argument der Generationen-
gerechtigkeit. Ich sage Ihnen: In diesem Land gibt es
zwischen den Generationen tausendmal mehr Gerechtig-
keit als zwischen den hundert deutschen Milliardären
und den Leistungsträgern in dieser Gesellschaft, den
Krankenschwestern, Verkäuferinnen und Verkäufern, In-
genieurinnen und Ingenieuren und Lehrerinnen und Leh-
rern.

Wir als Linke wollen eine Rentenversicherung, in die
alle einzahlen und aus der ein Rentner im Osten nicht
weniger bekommt als ein Rentner im Westen. Von ihrer
Rente sollen alle nach einem langen Arbeitsleben in
Würde alt werden können. So sieht eine vernünftige
Rentenversicherung aus und nicht so, wie Sie sich das
ausgedacht haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Nebenbei bemerkt: Die Rentenzahlung beginnt für die
Hälfte aller DAX-Vorstände vertragsgemäß bereits mit
der Vollendung des 60. Lebensjahres. Das sind genau die
gleichen Leute, die allen anderen erzählen, sie müssten
länger arbeiten. So viel Verlogenheit ist wirklich uner-
träglich.


(Beifall bei der LINKEN)


Betrachten wir die Bilanz Ihrer Demokratiepolitik.
Ich kann es nur so einschätzen, dass Sie unser Land in
eine Vermummungsdemokratie treiben.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Was?)


Damit meine ich nicht die Erster-Mai-Demonstranten
auf den Straßen Berlins, sondern die Lobbyisten, die mit
allen Mitteln versuchen, die Partikularinteressen gegen
die Interessen der Mehrheit durchzusetzen. Diese ver-
mummten Demokraten, die Lobbyisten, haben bei fast
allen wichtigen Entscheidungen der letzten fünf Jahre ih-
ren Einfluss durchdrücken können: Die Bankenlobby
hat ihren 480-Milliarden-Euro-Rettungsschirm bekom-
men, die Atomlobby hat die Verlängerung der Atom-
laufzeit gegen die Interessen der Mehrheit durchgesetzt,
und die Pharmaindustrie und die privaten Krankenkas-
sen haben ihre Leute in Führungspositionen und die Ge-
sundheitsreform nach ihren Vorstellungen dem Minister
ins Gesetzblatt diktiert. Natürlich ist auch die Rüstungs-
lobby auf ihre Kosten gekommen. Sie schafft es immer
wieder – wir haben das beim Einzelplan 14 zu diskutie-
ren –, zu Wucherpreisen ihre Produkte der öffentlichen
Hand aufzudrücken. Noch nie hatten Lobbygruppen
solch einen Einfluss auf eine Regierung. Darum fordern
wir: Damit muss endlich Schluss sein. In diesem Zusam-
menhang fordern wir ein Verbot von Unternehmensspen-
den an Parteien. Das wäre ein erster Schritt, um zu einer
vernünftigen Politik zu kommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen auch: Lobbyisten haben weder in den
Ministerien noch im Bundestag etwas zu suchen; denn
Lobbyisten entscheiden niemals im Sinne der Mehrheit.


(Zurufe von der FDP)


Unsere Aufgabe als demokratisch gewählte Abgeordnete
ist, im Sinne der Mehrheit zu entscheiden, und nicht,
Einzelinteressen zum Zuge zu verhelfen. Das ist eine Sa-
che, mit der wir uns niemals abfinden werden.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP)


Die Kanzlerin hat durch ihren Schulterschluss mit den
Lobbyisten der Demokratie einen großen Schaden zuge-
fügt. Immer mehr Menschen glauben – das ist ein Pro-
blem, mit dem sich alle ernsthaft beschäftigen sollten,
auch die Zwischenrufer von den Hinterbänken der FDP,
deren Namen ich nicht kenne –,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, na, na! Also, jetzt ist mal gut!)


dass Politiker nicht mehr gewählt werden, sondern von
Lobbyisten bestellt werden. Das ist eine bedrohliche
Entwicklung, die wir alle gemeinsam stoppen sollten. Je-
denfalls wir, die Linke, stellen uns dieser Lobbyisten-
politik entschlossen entgegen.


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Merkel, Sie sind auch auf die Außen- und Si-
cherheitspolitik eingegangen. Augenscheinlich glaubt
die Bundesregierung immer noch, dass die Sicherheit
Deutschlands von der NATO, von der Bundeswehr oder
von einem Raketenschutzschirm abhängt. Das war viel-
leicht vor 20 Jahren noch so. Doch heute ist unsere Si-
cherheit vielmehr von ökologischen und ökonomischen
Prozessen abhängig. Umso unverständlicher ist es da-
rum, dass die Bundesregierung weiter Geld für diesen
Krieg in Afghanistan ausgibt. Wie viele Menschen sol-
len dort noch ihr Leben verlieren? Kein einziges Pro-
blem wurde gelöst; unzählige neue Probleme wurden er-
zeugt. Wir haben immer davor gewarnt: Der Krieg gegen
den Terror wird dazu führen, dass der Terror nach
Deutschland kommt. Der erste Schritt der Terrorabwehr
ist für uns, dass wir endlich die Bundeswehr aus Afgha-
nistan abziehen.


(Beifall bei der LINKEN)


(B)






Dr. Gesine Lötzsch


(A) (C)



(D)(B)

Sie, Frau Merkel, hätten vor fünf Jahren bei Ihrem Amts-
antritt den Abzug der Bundeswehr vorbereiten müssen;
doch das haben Sie nicht getan. Sie haben den Krieg ein-
fach so weiterlaufen lassen. Das ist die schlimmste Un-
terlassung Ihrer Amtszeit. Wenn Sie eine wichtige Ent-
scheidung treffen wollen, dann beschließen Sie endlich
zusammen mit den anderen Regierungsmitgliedern den
Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Ich glaube, im
Parlament würde sich eine Mehrheit dafür finden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen auch: Ich will nicht, dass sich junge
Leute entscheiden, entweder arbeitslos zu werden oder
zur Bundeswehr zu gehen und in Afghanistan ihr Leben
zu lassen. Ich will, dass die Soldatinnen und Soldaten
nach Hause zu ihren Familien zurückkommen. Ich
würde mich freuen, wenn es möglich wäre, dass viele
von ihnen zu Weihnachten hier sind und nicht dort ge-
fährdet sind. Das ist nämlich mein Anspruch, und der
unterscheidet sich sehr, sehr wesentlich von Ihren An-
sprüchen, wie ich an Ihren Zwischenrufen merke.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich muss auch das sagen: Mir ist keine einzige erfolgrei-
che Abrüstungsinitiative der Bundeskanzlerin in Erinne-
rung. Über die anderen Minister will ich jetzt aus Zeit-
gründen nicht sprechen.

Ich vermisse wirkliches Engagement. Frau Merkel,
Sie haben wieder – blumig und wortreich – davon ge-
sprochen. Aber Sie sprechen nur, Sie machen nichts, was
wirklich zur Regulierung der Finanzmärkte führt. Der
Bankenrettungsschirm – wir erinnern uns – wurde inner-
halb einer Woche durch den Bundestag gepeitscht. Die
Einführung einer Finanztransaktionsteuer lässt aller-
dings schon seit mehr als zwei Jahren auf sich warten.
Immer mehr Menschen stellen sich doch die Frage: Wa-
rum konnten eigentlich die Banken von Ihnen, Frau
Merkel, in einem nationalen Alleingang gerettet werden,
aber warum ist die Bundesrepublik Deutschland nicht in
der Lage, wenigstens mit der Regulierung der Banken
zu beginnen? Das ist ein offensichtlicher Widerspruch.
Augenscheinlich wollen Sie das nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Es wäre doch viel vernünftiger, wenn man einen Kon-
kurrenzvorteil hier in Deutschland dadurch gestalten
würde, dass wir hier sichere, regulierte Bankenplätze ha-
ben und nicht ständig in der Situation sind, dass der
Steuerzahler für Großbanken zahlen muss.

In dieser Woche ist da etwas ganz Pikantes passiert.
Regierungssprecher Seibert hat auf einer Pressekonfe-
renz davon gesprochen, wie engagiert deutsche Banken
in Irland sind, und hat insbesondere auf die Deutsche
Bank verwiesen. Anstatt dass die Deutsche Bank sagt:
„Der Mann tut was für uns“, reagierte sie mit Empörung
und verlangte, dass er sich entschuldigt. Warum? Weil
niemand erfahren sollte, was wir aber inzwischen in vie-
len Zeitungen lesen können – darum wird hier auch kein
Geheimnis verraten –, dass deutsche Banken mit über
100 Milliarden Euro in Irland engagiert sind. Und wer ist
am meisten engagiert? Über viele Verbindungen die
Deutsche Bank.

Also haben Sie sich, Frau Merkel, wieder einmal für
die Interessen von Herrn Ackermann eingesetzt, und Sie
wollen jetzt hier den Eindruck erwecken, wir würden
den Menschen in Irland helfen. Ich glaube, das ist genau
der falsche Weg. Wir als Linke sind solidarisch mit den
Menschen in Irland. Wir können uns nicht damit einver-
standen erklären, dass dort ein rigider Sparkurs gefahren
wird, nur um das Geld von Herrn Ackermann und seinen
Freunden zu retten. Das ist mit uns nicht zu machen. Ich
finde, viel, viel mehr Menschen sollten öffentlich da-
rüber sprechen und diese Wahrheit zum Ausdruck brin-
gen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann sage ich Ihnen noch einmal etwas zu Ihren gro-
ßen Worten zu Europa: Europa ist mehr als der Euro.
Wer das Schicksal Europas nur unter dem Blickwinkel
des Euro sieht, der hat die europäische Idee nicht ver-
standen. Wir als Linke wollen ein Europa der Menschen.
Wir wollen ein Europa der Sozialunion, und wir wollen
ein Europa, wo die Menschen nicht gegeneinander aus-
gespielt werden, ein Europa, wo sich jeder frei entwi-
ckeln kann und wo nicht große Staaten kleinen Staaten
etwas diktieren. Es ist schon von Kollegen angesprochen
worden: Der Ruf Deutschlands innerhalb der Europäi-
schen Union ist durch diese Regierung nicht verbessert,
sondern verschlechtert worden. Damit wollen wir nichts
zu tun haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir als Linke müssen nach fünf Jahren Kanzlerschaft
Merkel feststellen: Unser Land ist nicht sozialer, nicht
gerechter und nicht sicherer geworden. Diese Regierung
ist weder christlich noch liberal, wie sie sich gerne dar-
stellt. Sie ist auch nicht sozial gerecht. Wir sagen Ihnen:
Es ist endlich Zeit für einen politischen Wechsel.

Vielen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707400800

Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Birgit

Homburger.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1707400900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir haben mit Erfolg mehr Netto vom Brutto
durchgesetzt, und, verehrter Herr Steinmeier, das gilt
auch für das Jahr 2011.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Steuerzahlertag 2010 lag zehn Tage früher. Der
Konjunkturmotor ist angesprungen. Wir machen große
Anstrengungen zur Verschärfung des EU-Stabilitätspak-
tes, um eine harte Gemeinschaftswährung zu garantie-
ren. Wir haben die Haushaltskonsolidierung zugunsten
künftiger Generationen vorangetrieben. Wir haben zu-





Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)

sätzlich in Bildung und Forschung investiert. Wir haben
bei Hartz IV dafür gesorgt, dass das Schonvermögen
verdreifacht wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Sinne von „Leistung muss sich lohnen“ haben wir da-
für gesorgt, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien das Geld,
das sie bei einem Ferienjob verdienen, auch behalten
dürfen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sorgen für mehr Datenschutz für Arbeitnehmer und
Verbraucher. Und wir stärken Solidarität, Wettbewerb
und Gerechtigkeit im Gesundheitswesen.

Das heißt, meine Damen und Herren, wir entlasten
Familien, wir fördern Studierende, wir schaffen Gerech-
tigkeit für Hartz-IV-Empfänger, wir unterstützen Sparer,
wir stabilisieren die Staatsfinanzen zugunsten zukünfti-
ger Generationen,


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


wir verbessern die Chancen für Arbeitnehmer, wir stär-
ken die Patientinnen und Patienten, wir schützen die
Verbraucher. Für diese Menschen machen wir Politik.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie machen gegen die Menschen Politik!)


Sie nennen es Klientel, wir nennen sie Bürger. Sie sind
dagegen, wir sind dafür. Wir sind für Fortschritt, Sie sind
für Stillstand. Wir werden uns von Ihnen nicht abhalten
lassen, die Zukunft dieses Landes weiter zu gestalten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Schrecklich, schrecklich!)


Was tut die Opposition? Sie stellen falsche Behaup-
tungen auf. Sie frönen unverantwortlichem Populismus.
Sie beschimpfen und verunglimpfen.


(Zuruf von der LINKEN: Mit Recht!)


Das, was Frau Roth auf dem Parteitag der Grünen gesagt
hat, ist, wie ich finde, der Gipfel. Sie, Frau Roth, haben
gesagt, und es nicht dementieren lassen:

Ich rede von der Schande unseres Landes, und die
heißt Schwarz-Gelb.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer solche Worte wählt, Frau Roth, über den ist alles ge-
sagt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nicht diese Bundesregierung spaltet das Land, Ihre Op-
positionsarbeit ist eine Gefahr für das Land.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Am liebsten hätten Sie keine! Ich weiß!)

Ich rede hier von der Chance unseres Landes, von der
Zukunftsfähigkeit unseres Landes, und diese heißt:
Schwarz-Gelb.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deutschland ist das Comeback des Jahres 2010.


(Lachen der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist dadurch erreicht worden, dass wir Unternehmen
haben, die innovationsfähig sind, dass wir fleißige Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben. Es ist auch
dadurch erreicht worden, dass die Gewerkschaften zu-
rückhaltend waren. Wir haben aber auch durch kluge
Rahmenbedingungen diese Entwicklung unterstützt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das bedeutet: Wir haben Subventionen reduziert und
auch Wirtschaftshilfen. Wir machen Schluss mit Steuer-
geld für Konzerne. Sie, Herr Steinmeier, haben vorhin
hier vorgetragen, dass Sie das Ganze gerne so weiterge-
führt hätten. Sie hätten Opel gerne zu einem Zeitpunkt,
als klar war, dass sie das Geld gar nicht mehr brauchen,
dieses persönlich hinterhergetragen. Wir haben mit unse-
rem Wirtschaftsminister Rainer Brüderle dafür gesorgt,
dass die Milliarden von Opel zurückgeholt werden. Das
ist eine Wirtschaftspolitik für Arbeitsplätze und für Zu-
kunft in Deutschland.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das sehen die Schwarzen aber auch anders!)


Frau Lötzsch trauert der Fünfjahresbilanz hinterher.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Hätten Sie einmal eine gemacht!)


Frau Künast schwadroniert über den Umbau der Indus-
triegesellschaft; den wollen Sie ja inklusive der Schlüs-
selbranchen erreichen. Dazu kann man nur sagen: Gott
sei Dank, Frau Künast, entscheiden Sie nicht, was in
deutschen Unternehmen produziert wird oder nicht. Die
Planwirtschaft ist weltweit gescheitert, zuletzt vor
20 Jahren hier in diesem Land. Planwirtschaft ist nicht
besser, nur weil sie von den Grünen kommt und nicht
mehr aus dem Politbüro.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir machen außerdem eine Gesundheitspolitik, die
dieses System zukunftsfähig macht. Sie haben, Herr
Steinmeier, den Arbeitgeberanteil in der gesetzlichen
Krankenversicherung angesprochen. Ja, wir haben ihn
festgeschrieben, weil wir nicht wollen, dass Arbeits-
plätze in Deutschland durch steigende Zusatzkosten ge-
fährdet werden.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das Märchen glauben Sie selber nicht!)


Darüber hinaus haben wir dafür gesorgt, dass es einen
Sozialausgleich geben wird, der solidarischer und ge-
rechter ist als alles, was es bisher gab. Wir schaffen ei-
nen automatischen Sozialausgleich, der über das Steuer-





Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)

system finanziert wird. Das heißt, alle Bürgerinnen und
Bürger in diesem Land tragen dazu bei.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Nicht alle!)


Sie haben die Vorkasse angesprochen. Sie ist eine Er-
findung der Opposition; es gibt keine Vorkasse. Nie-
mand in diesem Land muss erst zahlen, bevor er zum
Arzt gehen kann. Meine Damen und Herren von der Op-
position, Sie bauschen da eine Lüge auf.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Gegenteil: Wir haben dafür gesorgt, dass es keine
Leistungskürzungen gibt. Wir haben dafür gesorgt, dass
im Gesundheitssystem Kosten eingespart werden. Wir
haben nun einmal Milliardendefizite von Frau Schmidt
geerbt.


(Joachim Poß [SPD]: War Frau Merkel nicht dabei?)


Wir nehmen jetzt Einsparungen bei den Kosten vor und
sorgen dafür, dass die Leistungen für die Versicherten er-
halten bleiben.

Dabei haben wir etwas in einem Bereich geschafft,
bei dem Sie sich in all den Jahren Ihrer Regierungstätig-
keit nicht getraut haben, ihn anzufassen: Durch eine
frühe Nutzenbewertung bei neuen Präparaten wird das
Preismonopol der pharmazeutischen Unternehmen ge-
brochen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Dadurch sinken die Preise. Davon profitieren die Versi-
cherten in Deutschland.

Ich kann Ihnen nur sagen: Neun Jahre Ulla Schmidt
lassen sich nicht in einem Jahr reparieren.


(Beifall bei der FDP)


Es verdient Respekt, was Philipp Rösler in diesem einen
Jahr erreicht hat. Damit ist der Einstieg in ein zukunfts-
festes Gesundheitswesen geschafft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie von den Grünen sind dagegen; das haben Sie ge-
rade noch einmal dazwischengerufen. Das ist nichts
Neues. Sie sind gegen alles.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie sich locker!)


Die Grünen sind die neue Dagegen-Partei. Jetzt sind Sie
auch noch gegen Olympia. Ich finde es bemerkenswert,
welche Stimmung beispielsweise bei der Fußballwelt-
meisterschaft hier in Deutschland herrschte: Da war von
einem Sommermärchen die Rede; es war ein Riesener-
folg.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Berlin immer so gutes Wetter geliefert hat!)

Warum wollen Sie diesem Land eigentlich kein Winter-
märchen gönnen? Die Universalbegründung der Dage-
gen-Partei lautet: Es ist nicht ökologisch, zu teuer, nicht
genügend transparent, mangelnde Einbindung der Bür-
ger.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind doch alles gute Gründe, oder?)


Dieses Begründungsmuster kennen wir von Ihnen,
meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grü-
nen, auch bei Stuttgart 21 und beim Thema Castortrans-
porte; jetzt gilt das auch noch für die Olympiade in Mün-
chen. Es geht Ihnen nicht um die Sache; es geht Ihnen
um Protest. Wir werden das deutlich machen, damit die
Menschen in diesem Land merken, woran sie bei Ihnen
sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie sind – das ist nichts Neues – auch gegen
Stuttgart 21. Sie haben jetzt auf Ihrem Bundesparteitag
einen Beschluss dazu gefasst. Wenn man die Vorschläge,
die Sie da abliefern, etwas näher verfolgt – ich komme
aus Baden-Württemberg –, hat man zwischenzeitlich den
Eindruck, dass jeder Keller mit einer Modelleisenbahn
ein Planungsbüro für Stuttgart 21 ist.

Wenn ich mir das betrachte, Frau Künast, dann er-
kenne ich, dass es einem bestimmten Muster folgt.
Schauen Sie einmal nach Hamburg: Was haben Sie da-
mals vor der Wahl alles versprochen? Sie wollten den
Bau des Kohlekraftwerks Moorburg verhindern. An-
schließend hat eine grüne Umweltsenatorin, Frau
Hajduk, genau dieses Kraftwerk genehmigt. Sie halten
uns permanent moraltriefende Vorträge. Sie spielen sich
als Moralinstanz dieser Republik auf.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Homburger, jetzt reicht es langsam! Kommen Sie mal runter!)


Die grüne Hochmoral, die Sie ständig vor sich hertragen,
ist nichts anderes, Frau Roth, als eine Lebenslüge.
Schauen Sie den Tatsachen endlich ins Gesicht und sa-
gen Sie deutlich, wofür Sie eigentlich stehen! Das, was
Sie versprechen, können Sie nicht halten, und Sie wer-
den es auch in Zukunft nicht halten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir versuchen, Deutschland in allen Bereichen zu-
kunftsfähig zu machen. Eine der großen Reformen, die
wir vor uns haben, ist die Reform von Hartz IV. Diese
Koalition steht für eine uneingeschränkte Solidarität mit
den Bürgern. Wer Hilfe braucht, kann sich auf die Soli-
darität der Gesellschaft verlassen. Für uns gilt aber auch:
Diejenigen, die diese Hilfe erwirtschaften, können sich
genauso auf unsere Solidarität verlassen.


(Beifall bei der FDP)


Deshalb werden wir sehr genau darauf achten, dass der
Regelsatz streng nach den Regeln des Gesetzes und un-
ter Ausnutzung des Wertespielraums festgesetzt wird.
Das heißt, dass wir darauf achten, dass diejenigen, die





Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)

Hilfe brauchen, diese Hilfe bekommen, aber wir achten
genauso darauf, dass diejenigen, die ihr Geld durch harte
Arbeit verdienen, am Ende mehr haben als diejenigen,
die nichts tun.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das gilt auch für die Bildungsleistungen für Kinder.
Wir haben in diesem Hause oft genug gehört, da müsste
man etwas tun. Wir tun es jetzt.


(Zuruf von der LINKEN: Leider!)


Wir sorgen dafür, dass Bildungsleistungen endlich auch
für Kinder aus Hartz-IV-Familien gewährt werden,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie ein Messer auf der Brust haben!)


weil wir wissen, dass Bildung die soziale Frage unserer
Zeit ist, weil wir wollen, dass es eine Möglichkeit zum
Aufstieg durch Bildung gibt. Wenn wir das wollen, dann
müssen wir die Kinder stärken. Genau das tun wir mit
dem, was wir vorgesehen haben, indem wir das Geld
treffsicher so einsetzen, dass es bei den Kindern an-
kommt. Wir sind der Meinung, dass in diesem Land kein
Kind verloren gehen darf und Kinder aus Hartz-IV-Fa-
milien endlich die entsprechende Unterstützung bekom-
men müssen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist gelebte Gemeinwohlpolitik.

Das gilt auch für die Energiepolitik. Das neue Ener-
giekonzept, das erste Gesamtkonzept seit 1973, ist ein
zentraler Baustein für die Zukunftsfähigkeit dieses Lan-
des. Wir bauen eine tragfähige Brücke in das Zeitalter
der erneuerbaren Energien. Im Gegensatz dazu machen
die Grünen Wohlfühlpolitik.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Sie haben auf Ihrem Parteitag beschlossen, dass Sie er-
reichen wollen, dass der Anteil der erneuerbaren Ener-
gien im Jahr 2030 bei 100 Prozent liegt.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! Das sind noch Ziele!)


Man hat ein bisschen den Eindruck, dass die Umfragen
Sie besoffen machen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch keine Ahnung!)


Der grüne Oberbürgermeister von Freiburg, Herr Salomon,
hat im Jahr 2004 erklärt, er wolle den Anteil der erneuer-
baren Energien bis zum Jahr 2010 auf 10 Prozent erhö-
hen. Das Ergebnis ist: Er hat eine Erhöhung von 3,4 Pro-
zent auf 3,7 Prozent erreicht. Er ist kläglich gescheitert.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es verhindert! Das ist die Wahrheit! Sie sind Landesvorsitzende!)

So wie er gescheitert ist, werden auch Sie mit den Uto-
pien, die Sie auf Ihrem Parteitag beschlossen haben,
scheitern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stellen doch den Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg, der alles verhindert!)


Sie sind gegen Kernkraftwerke. Sie sind gegen Koh-
lekraftwerke. Sie sind gegen Wasserkraftwerke. Sie sind
gegen Hochspannungsleitungen, die wir brauchen, um
den Strom, der aus erneuerbaren Energien gewonnen
wird, zum Verbraucher zu bringen. Wenn man immer
nur dagegen ist, dann kann man die Zukunft nicht gestal-
ten. Es geht um die Modernisierungsfähigkeit, um die
Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Deshalb können wir
Ihnen nur zurufen: Kommen Sie endlich aus Ihrer Ku-
schelecke heraus, und stellen Sie sich der Realität, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie stellen auch permanent falsche Behauptungen auf.
Sie behaupten, wir würden den Energiekonsens aufkün-
digen. Da wird überhaupt nichts aufgekündigt. Wir ma-
chen im Übrigen genau das, was wir vor der Wahl ange-
kündigt haben. Schon damals haben Sie versucht, uns zu
diskreditieren. Es hat aber nichts genützt. Wir haben von
den Wählerinnen und Wählern den klaren Auftrag be-
kommen, die Energieversorgung in Deutschland zu-
kunftsfähig zu machen. Sie ziehen Ihre Legitimation aus
Umfragen und Stimmungen. Wir ziehen unsere Legiti-
mation aus einer Wahl.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unsere Politik gefährdet nicht den Ausbau der erneu-
erbaren Energien. Sie vollendet die Energiewende.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unser Energiekonzept ist nicht der Ausstieg aus dem
Ausstieg, sondern der realistische Einstieg ins Zeitalter
der erneuerbaren Energien.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erneuerbar!)


Wir handeln; die Grünen träumen. Mit Träumerei kann
man ein Land nicht gestalten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei der Energiepolitik kann man meinetwegen unter-
schiedlicher Auffassung sein.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber großzügig!)


Allerdings erwarte ich dann auch, dass man sich ehrlich
verhält. Da ist aber bei den Grünen komplett Fehlan-
zeige. Angesichts der Vorkommnisse bei den Castor-
transporten ist ein Zitat von Herrn Trittin aus dem Jahr





Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)

2001 legendär. Er schrieb seinerzeit an die Grünen-Basis
in Niedersachsen:

Nur weil jemand seinen Hintern auf die Straße
setzt, finden wir das noch nicht richtig. … Genauso
verhält es sich mit Aktionen gegen die notwendige
Rücknahme von Atommüll aus Frankreich.

Heute finden wir Herrn Trittin an vorderster Front bei
Demonstrationen gegen die Castortransporte.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sagen Sie doch mal was Neues!)


Die gesetzlichen Verpflichtungen gelten nicht nur, wenn
Rot-Grün regiert. Sie gelten auch für die jetzige Bundes-
regierung. Deshalb sage ich Ihnen: Die Heuchelei in
Deutschland hat einen Namen. Sie heißt Trittin.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mövenpick!)


Wir Liberale setzen uns dafür ein, dass jeder, der eine
andere Meinung hat, diese andere Meinung äußern kann.
Das ist ein demokratisches Grundrecht. Deswegen sind
wir der Meinung, dass auch friedliche Demonstrationen
geschützt werden müssen.

Liebe Freunde von den Grünen,


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind nicht Freunde von Ihnen!)


der Aufruf zum sogenannten Schottern im Rahmen die-
ser Demonstrationen bedeutet, dass es eine Gefährdung
nicht nur für Castortransporte gibt, sondern auch eine
Gefährdung für den normalen Bahnverkehr, der über
diese Schienen fährt. Schottern ist kein Kavaliersdelikt,
sondern ein Straftatbestand. Wenn Sie für friedliche De-
monstrationen sind, dann hätte ich von Ihnen erwartet,
dass Sie dann auch eine klare Linie ziehen und sich deut-
lich von denjenigen distanzieren, die zu Straftatbestän-
den aufgerufen haben. Dieses Verhalten ist nicht hin-
nehmbar. Ich erwarte, dass sich die Grünen klar zur
Demokratie erklären.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Künast, Sie reden in diesem Zusammenhang von
einer Sternstunde der Demokratie. Was meinen Sie ei-
gentlich damit? Die 131 verletzten Polizisten? Die Mil-
lionen Euro, die für die Schutzmaßnahmen ausgegeben
wurden? Zum Thema Schottern haben Sie sich nicht ge-
äußert und sich nicht klar davon distanziert. Demokratie
heißt Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen und die
Durchführung sauberer rechtsstaatlicher Verfahren, und
zwar von der politischen Entscheidung bis zur gerichtli-
chen Überprüfung.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707401000

Einen Augenblick bitte, Frau Homburger. – Die De-

batte, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht noch eine
Weile weiter, sodass viele Möglichkeiten bestehen, Ein-
wände auch noch verständlich vorzutragen, die im Au-
genblick durch die Gleichzeitigkeit der Zwischenrufe
selbst im Protokoll nicht zu erfassen sind.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sehen uns alle ganz genau! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rede ist schlimmer als Schottern!)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1707401100

Herr Präsident, ich werde an dem Punkt noch einmal

beginnen, an dem die Grünen eben nicht mehr zuhören
wollten. Meine sehr verehrten Damen und Herren von
den Grünen, Ihre Philosophie stellt den Protest auf der
Straße über die Legitimität parlamentarischer Verfahren.
Dieses Handlungsmuster kennen wir an verschiedenen
Stellen. Ich bin der Meinung, dass Menschen in diesem
Land einen Anspruch auf Verlässlichkeit haben. Deshalb
werden wir an der Rechtsstaatlichkeit festhalten und
nicht akzeptieren, dass die letzte Instanz in diesem Land
die Sitzblockade ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir gehen die Erneuerung Deutschlands entschlossen
an, und zwar in allen Bereichen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fürchten viele in diesem Land!)


Das gilt auch für die Bundeswehrreform. Wir haben im
Koalitionsvertrag vereinbart, dass eine Strukturkommis-
sion eingesetzt wird. Wir haben durchgesetzt, dass zu-
nächst einmal die Wehrpflicht auf sechs Monate redu-
ziert wird.

Das hat zu einem Rutschbahneffekt geführt und auch
zu einem neuen Nachdenken im Verteidigungsministe-
rium. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir endlich
nach vielen Jahren der Diskussion eine neue, zukunftsfä-
hige Struktur für die Bundeswehr auf den Weg bringen
und vor allen Dingen die Wehrpflicht aussetzen. Das be-
deutet, dass es ein Meilenstein für die junge Generation
ist. Tausende junge Männer werden im nächsten
Sommer eben nicht mehr zur Kleiderkammer der Bun-
deswehr gehen, sondern direkt in die Hörsäle und in die
Berufsschulen gehen können.


(Thomas Oppermann [SPD]: Hauptsache, Sie finden dort einen Platz!)


Das, meine Damen und Herren, ist ein Erfolg, und es er-
öffnet wiederum neue Chancen für die junge Generation
in Deutschland.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Haushalt, den wir in dieser Woche abschließend
beraten, ist ein Wendepunkt in der Haushaltspolitik.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, auch das haben wir so befürchtet!)


Wir arbeiten mit Ausgabenkürzungen statt mit Ausga-
benausweitung. Wir senken die Neuverschuldung im
Bund um 40 Prozent, während unter gleichen wirtschaft-





Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)

lichen Rahmenbedingungen Rot-Grün in NRW die Ver-
schuldung um 35 Prozent erhöht. Das ist die Realität.
Wir werden bis 2014 80 Milliarden Euro gegenüber
dem Entwurf von Ihrem Herrn Steinbrück einsparen.
Das ist die Realität, und es ist sozialer und gerechter als
alles, was Sie in Ihrer Regierungszeit beschlossen haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden die Neuverschuldung weiter reduzieren.
Sie haben hier immer wieder eingewandt, man könnte
das schon jetzt tun und man könnte noch viel mehr tun.
Ich will Ihnen einmal sagen, meine sehr verehrten Da-
men und Herren von der SPD:


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die SPD gewandt: Nun hört mal zu!)


Sie haben über Jahre in diesem Land Regierungsverant-
wortung getragen. In dieser Zeit gab es viele wirtschaft-
lich gute Jahre mit sprudelnden Steuereinnahmen. In
keinem einzigen dieser Jahre haben Sie es geschafft, die
Ausgaben zu reduzieren – in keinem einzigen. Trotz
Milliarden Mehreinnahmen haben Sie die Ausgaben al-
lein von 2005 bis 2009 um 30 Milliarden Euro gestei-
gert.


(Thomas Oppermann [SPD]: Mit Ihrem Koalitionspartner!)


Der letzte, der dieser Koalition haushaltspolitische Vor-
schläge und Ratschläge geben sollte, ist die SPD.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Und da klatschen Sie mit! Sie beklatschen noch die Kritik an Ihnen! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])


Deshalb hat die Haushaltskonsolidierung für uns
oberste Priorität. Wir stehen bei den Staatsausgaben auf
der Bremse, und wir werden noch in diesem Jahr eine
Steuervereinfachung auf den Weg bringen, die vor allen
Dingen den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land
nutzt.


(Thomas Oppermann [SPD]: Da sind wir aber sehr gespannt!)


Wir werden – auch die Bundeskanzlerin hat das gesagt –
alles dafür tun, dass wir in dieser Legislaturperiode die
Spielräume erarbeiten, die wir brauchen, um eine Entlas-
tung der unteren und mittleren Einkommensgruppen in
Deutschland zu ermöglichen.


(Thomas Oppermann [SPD]: Als Wahlgeschenk!)


Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, Herr Oppermann,
und wir werden uns auch von Ihnen davon nicht abhalten
lassen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Sie schottern unseren Sozialstaat!)


Es geht um die Stabilisierung des Euro. Auch des-
halb ist die Haushaltskonsolidierung von zentraler Be-
deutung. Dabei geht es um Europa, aber es geht eben
auch um das Ersparte der kleinen Leute. Wir haben hier
eine Vorbildfunktion, die wir wahrnehmen, ganz anders
als Sie seinerzeit im Jahr 2004, als Sie dafür gesorgt ha-
ben, dass der Stabilitätspakt in Europa gelockert wurde.
Das war einer der Momente, die dazu geführt haben,
dass wir heute in dieser Krise sind.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Ah!)


Wir werden dafür werben, dass der Stabilitätspakt ver-
schärft wird.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zu Irland! Das war doch immer unsere Zukunft!)


– Verehrter Herr Trittin, ich komme gerade zum Beispiel
Irland.

Was die Frage Irland angeht: Hier zeigt sich, dass wir
über die Entscheidungen, die wir im Frühjahr gefällt ha-
ben, für die Krise gewappnet sind.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind doch Ihre steuerpolitischen Vorstellungen verwirklicht worden! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Schlimmer geht es nimmer!)


Ich stelle an dieser Stelle fest, dass wir uns der Verant-
wortung gestellt haben, während Sie von der Opposition
dagegen gestimmt oder sich kraftvoll enthalten haben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren doch gegen alles!)


Das war alles, was Sie gemacht haben. Sie schlagen sich
in die Büsche, wir haben die Verantwortung übernom-
men.


(Beifall bei der FDP)


Wir brauchen deshalb Krisenmechanismen,


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was lernen Sie aus Irland? – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Was lernen Sie denn?)


die die Beteiligung privater Gläubiger vorsehen. Wir als
Koalition hier im Deutschen Bundestag wollen – das ha-
ben wir deutlich gemacht – einen Zukunftsmechanis-
mus, der dafür sorgt, dass es eine Art Umschuldung, eine
Art Insolvenzordnung für Staaten gibt. Ich bin der tiefen
Überzeugung, dass wir dafür sorgen müssen, dass mehr
Verantwortlichkeit in diesen Bereich zurückkehrt. Des-
halb werden wir uns auf europäischer Ebene genau hier-
für einsetzen.

Was Sie hier tun, ist doppelt unverantwortlich. Bei der
Rettung tauchen Sie ab, und hinterher gibt beispiels-
weise Herr Gabriel Interviews, in denen er den Euro ka-
puttredet. Herr Steinmeier schlägt sich in die Büsche,
wenn es um die Abstimmung geht, gibt uns aber hier in
seiner Rede Belehrungen, wie man es besser machen
soll.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie haben die gemeinsame Entschließung verhindert!)






Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)

Ich bin der Auffassung, dass wir einen starken Euro
brauchen. Wir brauchen solide Haushalte, strenge Stabi-
litätskriterien und einen dauerhaften Krisenmechanis-
mus, um einen harten Euro zu erreichen. Diese Koalition
kämpft für einen harten Euro und gegen eine Transfer-
union. Sie sind herzlich eingeladen, sich dieser Verant-
wortung zu stellen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir haben schon lange eine Transferunion! Was ist die Europäische Union anderes als eine Transferunion?)


Neue Herausforderungen erfordern kluges und beson-
nenes Handeln. Das gilt auch für die aktuelle Sicher-
heitslage. Wir als FDP-Bundestagsfraktion haben volles
Vertrauen in die deutschen Sicherheitsbehörden und de-
ren gute Ermittlungsarbeit, die sie in den letzten Jahren
immer wieder bewiesen haben. Wir sind der Meinung,
dass die vorhandenen Gesetze konsequent genutzt und
Vollzugsdefizite abgebaut werden müssen. Wir als Ko-
alition haben in der letzten Woche nochmals bewiesen:
Wenn es notwendig ist, schnell zu handeln, dann tun wir
das. Als sich gezeigt hat, dass bei der Frachtkontrolle
Probleme bestehen, haben wir im Haushaltsausschuss
sofort dafür gesorgt, dass 450 neue Stellen vorgesehen
werden, durch die die Kontrolle und die Sicherheit ge-
währleistet werden. Das ist ein Beispiel für das sofortige,
entschlossene Handeln, das diese Koalition auszeichnet.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der reflexartige Ruf nach schärferen Gesetzen sorgt
nicht für mehr Sicherheit. Deshalb, denke ich, sollten
wir die Lage ruhig analysieren und die nötigen Maßnah-
men ergreifen. Denn Angst ist die stärkste Waffe des
Terrors. Terroristen zielen auf unsere freiheitliche Ge-
sellschaft. Sie wollen Angst, Schrecken und weniger
Freiheit; das ist das Ziel der Terroristen. Ich bin der Auf-
fassung, dass wir hier in diesem Hause gemeinsam dafür
sorgen sollten, dass sie das nicht erreichen. Ich danke an
dieser Stelle ganz ausdrücklich dem Bundesinnen-
minister de Maizière, aber auch der Justizministerin
Leutheusser-Schnarrenberger, die in Ruhe und Beson-
nenheit reagiert und die nötigen Maßnahmen auf den
Weg gebracht haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schwarz-Gelb trägt Verantwortung für unser Land.
Wir handeln entschlossen und treffen Entscheidungen,
auch wenn sie unpopulär sind. Das ist der Unterschied
zwischen Rot-Rot-Grün und Schwarz-Gelb: Wir gestal-
ten Deutschland, Sie sind für den Stillstand. Wir wollen
Deutschland zukunftsfähig machen, Sie wollen den
Rollback in alte Rezepte von gestern. Wir übernehmen
Verantwortung, Herr Kuhn, Sie drücken sich vor Ent-
scheidungen und schlagen sich in die Büsche. Wir haben
Kraft und Mut für Richtungsentscheidungen, Sie ma-
chen eine Wohlfühlpolitik, versprechen allen alles und
ziehen sich in Ihre Kuschelecke zurück.

Wachstum, Bildung, Zusammenhalt – dafür steht
diese Koalition, dafür arbeiten wir. Wir haben den Mut
zu Veränderungen und zu Verantwortung. Das ist der
Unterschied zur Opposition in diesem Haus.

Vielen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707401200

Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707401300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

möchte erst einmal nach oben schauen.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ja! Schauen Sie ab und zu ruhig mal nach oben! – Dr. HansPeter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Ein Stoßgebet kann nie schaden! – Weiterer Zuruf: Es ist keiner da!)


– Ja. – Dort oben laufen während unserer Sitzungen nor-
malerweise Menschen, aus diesem Lande, aus ganz
Europa und aus vielen anderen Ländern, die eines genie-
ßen: dass der Deutsche Bundestag das einzige Parlament
ist, das so frei ist, dass man sich nicht einmal anmelden
muss, bevor man sich dort vorne in die Schlange stellt,
um wenig später aus dem Reichstag hinaus- und auf uns
hinabzuschauen.

Ich glaube – zumindest mir geht es in den letzten Ta-
gen so –, das ist etwas, das wir immer im Kopf haben
müssen: Das ist aufgrund der Erkenntnisse im Zusam-
menhang mit dem Terrorismus im Moment nicht mög-
lich. Aber ein Gefühl sollte uns heute verbinden. Auch
wenn wir hier tagen wie immer und arbeiten wie immer,
sollten wir wissen: Dies ist ein freies Parlament in einem
freien Land, das wird es immer bleiben, und das Dach
wird wieder geöffnet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte an dieser Stelle dem Bundesinnenminister
danken.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Ja! Das finde ich auch!)


Wir sind bei diversen Themen nicht einer Meinung. Ich
will mich aber dafür bedanken, dass Sie die Dinge mit
der Ihnen typischen Ernsthaftigkeit und Seriosität ganz
ruhig angegangen sind, das, was nötig war, erklärt haben
und das tun, was notwendig und rechtlich zulässig ist.
Ich glaube, das hilft uns auch, um aus dieser Situation
herauszukommen. Später werden wir unsere Debatten
– wir wissen schon, welche – natürlich weiterführen.
Dennoch sage ich Ihnen insofern meinen und unseren
herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)






Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

Nun zum Haushalt und zu Ihrer Rede, Frau Bundes-
kanzlerin. Sie sind ans Redepult getreten und haben ge-
sagt, Sie möchten jetzt endlich eine Rede für die Zukunft
halten.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ja! Das hat sie auch!)


Eine solche Rede haben Sie aber nicht gehalten. Dies
war keine Rede für die Zukunft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will Ihnen auch erklären, warum. Das, was Sie ge-
sagt haben, war nicht wirklich der Zukunft verpflichtet.
Sie haben in den letzten Monaten im Übrigen eine an-
dere These vertreten. Als Sie mit Schwarz-Gelb so rich-
tig tief im Sumpf saßen, haben Sie gesagt: Nun kommt
der Herbst der Entscheidungen. – Entscheiden allein ist
aber keine Qualität, Frau Merkel. Es kommt auch auf
den Inhalt und die Richtung der Entscheidungen an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ja, Sie haben sich entschieden. Sie haben sich ent-
schieden – gegen eine zukunftssichere Energiepolitik in
Deutschland. Sie haben sich entschieden – gegen Solida-
rität in der Gesundheitspolitik. Sie haben sich entschie-
den – gegen sozialen Zusammenhalt. Sie spalten das
Land. Das ist nicht der Zukunft, sondern das ist dem
Vergangenen verpflichtet, Frau Merkel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Was erzählen Sie denn da für einen Quatsch, Frau Künast?)


Sie haben gesagt: starke Wirtschaft, starker Staat,
starkes Gemeinwesen. Dass die FDP bei all dem mit-
macht – ich wiederhole: „starkes Gemeinwesen“ und
„starker Staat“ –, wage ich zu bezweifeln. Aber egal! Sie
haben nichts von all dem organisiert. Sie haben im letz-
ten Jahr Klientelgeschenke verteilt. Wenn wir „Möven-
pick“ hören, zucken wir alle zusammen. Keiner denkt
mehr an Eis, sondern alle denken nur noch an Steuerpri-
vilegien.


(Jörg van Essen [FDP]: So ein Unsinn!)


Sie machen eine gnadenlose Klientelpolitik: für die
Pharmaindustrie, für den Profit der Atomkonzerne, für
die Privilegien einiger weniger in der Gesundheitspoli-
tik. Die Folgen dieser Politik haben Sie selbst beschrie-
ben, Frau Merkel. Ich möchte zitieren, was Sie auf Ihrem
Parteitag gesagt haben:

Wir brauchen uns nicht zu wundern, dass sich viele
Menschen angewidert von den politischen Parteien
und den Politikern abwenden, wenn die Politik ih-
rerseits selbst das Gespür für die Grenzen des An-
stands verliert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Oppermann [SPD]: Das war eine richtige Erkenntnis!)


Das ganze erste Jahr Schwarz-Gelb zeigte: Sie haben das
Gespür für den Anstand, für die Menschen verloren.
Frau Merkel, Sie haben vorhin – auch ich bin in der
Lage, Pirouetten zu drehen, aber man muss erst einmal
auf die Idee kommen, so zu denken –


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Vorführen! Machen Sie mal!)


etwas zur globalen Natur und zur Nachhaltigkeit erzählt.
Nachdem Sie da oben in den philosophischen Sphären
herumgereist sind, kamen Sie wieder herunter und sag-
ten: Deshalb muss Gorleben gebaut werden. – Frau
Merkel, nachhaltig ist das nicht, weil man dann nämlich
gar nicht erst damit angefangen hätte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Denn das ist eine Risikotechnologie, gar nicht davon zu
reden, wenn man dies verlängern würde.

Sie machen es immer nach der Methode: Der Regie-
rungssprecher erzählt vorher schon einmal, was Sie an-
geblich alles erreicht haben, damit möglichst viele es
schreiben. Ich nehme das so wahr: Wenn der Regie-
rungssprecher angekündigt hat, was Sie tun werden, tre-
ten Sie an das Redepult, spitzen den Mund, und heraus
kommt ein verzagter Pfiff.


(Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Immerhin!)


– Immerhin, das stimmt. Gar kein Ton wäre noch
schlimmer. – Ich sage Ihnen: So kann die Zukunft unse-
res Landes nicht organisiert werden.

Sie haben sich überlegt, nachdem Sie nicht wussten,
wer Sie jeweils sind – es gibt ja nicht wenige, die Pro-
bleme haben, zu sagen: „Wer bin ich und wenn ja, wie
viele?“, auch als Partei; die Grünen trifft es gerade nicht,
aber die CDU weiß es nicht; Sie rufen ständig etwas
Neues aus –:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Einmal sind Sie Mitte, liberal, um ihnen das Wasser ab-
zugraben. Dann sind Sie wieder konservativ und wollen
das Bürgertum in den Großstädten erreichen. Dann ist
wieder das große C dran. Jetzt ist die große Geschichte:
Immer auf die Grünen. Wir nehmen den Handschuh
gerne auf, den Sie werfen: Immer auf die Grünen. Ich
bin sowieso der Überzeugung, dass dieses Land, wenn es
sich um seine Zukunft Gedanken macht, im Wesentli-
chen zwischen zwei Konzepten zu entscheiden hat: Ih-
rem und unserem, schwarz oder grün.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns einmal an, wohin die Reise geht. Sie
sprechen immer vom großen C, dem Christlichen. Dann
müssten Sie aber einmal den Haushalt richtig konsolidie-
ren und dabei das große C mitnehmen. Ist es christlich,
nur bei den Ärmsten zu sparen?


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Gegenruf des Abg. Thomas Oppermann [SPD]: Das ist langweilig, nicht? – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Was ist das für eine Reaktion, Herr Kollege Kauder?)






Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

– Ich weiß, jetzt ruft Herr Kauder gleich wieder: Sie den-
ken immer nur an die Hartz-IV-Leute. – Nein, nicht im-
mer nur, aber auch. Und ich denke an die Zukunft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Warum streicht man eigentlich diesen Eltern, nicht aber
der erwerbslosen Ehefrau das Elterngeld? Auch das ist
keine Ersatzleistung, oder, meine Herren? Sie haben das
Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger sowie die Renten-
beiträge gestrichen und die Mittel zur Qualifizierung um
16 Milliarden Euro gekürzt. Das soll Zukunft sein? Das
organisiert die Arbeitslosigkeit der Zukunft. Das organi-
siert die tiefe Armut im Rentenalter. Das ist nicht Zu-
kunft, sondern ganz blöde alte Denke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie sagen, dieser Haushalt sei angeblich christlich
ausgewogen. Na toll! Die Brennelementesteuer wird
vollständig absetzbar. Die Ausnahmen bei der Ökosteuer
bleiben alle erhalten. Um sie zu finanzieren, sollen die
Menschen mehr Steuern für das Rauchen zahlen. Das ist
irgendwie schräg. Ich will nicht behaupten, Rauchen sei
gesund.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das wäre ja noch schöner!)


Im Gegenteil: Die Nichtraucherregelungen gefallen auch
mir. Sie meinen, die einen, die nicht einmal internatio-
nale Konkurrenz und Wettbewerb haben, dürften die
Ökosteuerausnahmen nicht verlieren. Bei den anderen
sagt man: Ihr müsst jetzt einmal einen Solidarbeitrag
leisten.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Die Steuersubventionen haben Sie doch eingeführt, Frau Künast!)


Ich kann Ihnen nur eines sagen: Ihr Haushaltsentwurf
ist der soziale und ökologische Offenbarungseid und
kein Zukunftsversprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie sprechen von 48 Milliarden Euro neuen Schulden.
Aber Sie haben vergessen, was Sie noch alles an Neben-
schauplätzen versteckt haben.

Dann beglückt uns noch der von Frau Homburger im-
mer so gelobte Herr Brüderle. Er schwadroniert schon
wieder über Steuersenkungen. Und Ihr Herr Lindner
– das ist der Ersatzmann, damit Westerwelle nicht so oft
gesehen wird –


(Lachen und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


profiliert sich immer mit seinen Gewerbesteueralbträu-
men.

Was in diesem Land sozial ist und wie der Alltag or-
ganisiert wird, wird in den Kommunen entschieden.
Wir brauchen Kindergärten, Schulen, Horte, Sozialarbei-
ter und Stadtteilarbeit, und zwar nicht erst dann, wenn
der Stadtteil bereits in einem total miserablen Zustand
ist. Wir brauchen Freibäder. Wir brauchen Kinder, die
das Seepferdchen machen können, damit sie schwimmen
lernen. Das ist der soziale Alltag in Deutschland. Dafür
brauchen die Kommunen Geld, und das wollen Sie ihnen
nehmen. Das ist nicht christlich, und das ist auch nicht
Zukunft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben etwas zu Europa gesagt; auch Frau Merkel
hat hier etwas darüber berichtet. Ich habe jetzt nicht die
Zeit, die gesamte Europapolitik aufzumachen, und
möchte deshalb an dieser Stelle nur auf Irland eingehen.
Ich sage Ihnen eines: Irland zeigt – das negieren Sie auch
nicht –, wohin unvernünftige neoliberale Wirtschafts-
politik führt. Es ist richtig, das Land zu stützen. Wir als
Grüne haben das hier gerade auch bei der Debatte über
Griechenland sehr klar gesagt. Wir haben damals gesagt:
Wir diskutieren einmal nicht über Frau Merkel, sondern
über Griechenland, über die Europäische Union und
über den Euro, den wir schützen wollen. Darum ging es,
und darum geht es auch bei Irland.

Um eines mache ich mir aber Sorgen, Frau Merkel:
Es geht ja um die Steuersätze dort. Nach dem Gipfel von
Deauville und Ihrem Alleingang, dem Überraschungs-
coup zusammen mit Sarkozy, wird es für Deutschland
nicht einfacher, in Richtung Irland zu sagen, was jetzt zu
tun ist.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: So ein Käse! Das hat doch damit überhaupt nichts zu tun! Das ist doch Unfug!)


Das wird das sein, was Sie jetzt leisten müssen: Irland
muss bei der Steuerharmonisierung einen Schritt weiter-
gehen und darf nicht sagen, sie bleiben bei den
12,5 Prozent. Es muss klar sein, was unter dem Begriff
„geeignete Maßnahmen“ zu verstehen ist, die zu ergrei-
fen sind, damit sich so etwas nicht wiederholt, und dass
die Iren entsprechende Maßnahmen ergreifen. Das ist
nicht einfach, weil ich sehe, dass die Grünen im Augen-
blick die einzigen sind, die an dieser Stelle agieren.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das müssen Sie einmal erklären! – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Darüber wird doch verhandelt! Das ist Gegenstand des Rettungsschirms!)


Sie sollten sich an dieser Stelle auch nicht zu laut äu-
ßern. Hans Eichel hat sich damals als Bundesfinanz-
minister immer an der, wie ich zugebe, nicht einfachen
Steuerharmonisierung in Europa versucht.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Eichel, oh ja!)


Wer hat ihn damals kritisiert? Der rechte Teil des Hau-
ses. Auch hier wäre also ein bisschen Demut angebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach ja!)


– Ja, schon.





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

Zurück zum Kern des Haushaltes. Worum geht es in
der Debatte? In der Debatte heute muss es darum gehen,
eine wirkliche Haushaltskonsolidierung aufzulegen
und einen Dreiklang zu praktizieren: durch Einsparun-
gen, durch die sozial ausgewogene Steigerung von Ein-
nahmen und durch gezielte Investitionen in Bildung,
Klima und Soziales. Sie haben aber keinen Haushalt der
Gestaltung vorgelegt, sondern einen Haushalt alter, ver-
gangener Klientelpolitik.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ein Blödsinn!)


Die Ausnahmen der Ökosteuer habe ich schon er-
wähnt. Warum gehen Sie an den Spitzensteuersatz nicht
ran? Warum führen Sie keine einmalige Vermögensab-
gabe ein? Warum besteuern Sie Kapital nicht tatsächlich
genauso wie Arbeitseinkommen? Wie sieht es mit den
Investitionen aus? Welche Leitlinien haben Sie eigent-
lich hinsichtlich der Investitionen der Zukunft? Wo
schaffen Sie eigentlich Arbeitsplätze?

Frau Merkel hat hier heute über Bildung und über
Hartz IV geredet. Bezüglich der Verhandlungen zur Um-
setzung des BGH-Urteils zu Hartz IV sind Sie uns mit
ein paar harten Sätzen angegangen. Ich sage Ihnen aber
eines: Ein bisschen Demut täte Ihnen hier gut.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Schon wieder!)


Jede Rednerin und jeder Redner tut so, als würde die
CDU/CSU-FDP-Koalition jetzt endlich für die großen
Strukturen in der Bildung sorgen. Mal halblang! Auf-
grund einer miserablen Bildungspolitik in diesem gan-
zen Land und fehlender Chancen für jedes Kind sind Sie
durch den BGH dazu verpflichtet.


(Zuruf der Abg. Birgit Homburger [FDP])


– Das hat mit Hartz IV gar nichts zu tun. Sie verstehen
schon wieder nichts. Sie verstehen von gar nichts etwas,
Frau Homburger.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Wollen Sie das Gymnasium abschaffen oder nicht, Frau Künast?)


Aufgrund der miserablen Bildungspolitik in diesem
Land und der fehlenden Strukturen, wodurch nicht je-
dem Kind die gleiche Chance gegeben und nicht jedes
Kind gefördert wird, wenn es Defizite hat, hat der BGH
gesagt: Es gehört zur persönlichen Entfaltung und zum
Recht der Kinder, dass sie zum Beispiel gefördert wer-
den und Nachhilfe bekommen.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Deshalb wollen Sie das Gymnasium abschaffen!)


Sie haben jetzt die Sachleistungen angesprochen. Sie
müssen das Urteil umsetzen; das ist nicht Ihre eigene
Idee. Mir fehlt dabei aber eine zusätzliche Idee von Ih-
nen. Allein die Umsetzung des Urteils hinsichtlich der
Sachleistungen bedeutet doch keine Bildungspolitik in
diesem Land. Sie müssen jetzt gezielt in die Bildungsin-
frastruktur investieren und dürfen nicht nur für einen
Wildwuchs an einzelnen Maßnahmen und mehr Büro-
kratie sorgen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Rein in die regionalen Bildungspartnerschaften, Sozial-
arbeiter mit einbeziehen, damit die Probleme der ganzen
Familie bearbeitet werden können und die Kinder Zeit,
Raum, Gefühl und Energie haben, sich zu bilden. Dazu
bieten Sie nichts an, außer dass Sie immer über den
Wegfall von Gewerbesteuern schwadronieren, statt end-
lich einmal für eine verlässliche Finanzierung der Kom-
munen zu sorgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Merkel, wir haben Ihnen zusammen mit der SPD
geschrieben, wir seien an dieser Stelle bereit, zu reden.
Dabei muss es dann aber wirklich um regionale Bil-
dungspartnerschaften und um die Fragen gehen, wie
innerhalb des Hartz-IV-Konzeptes eigentlich die Regel-
sätze berechnet werden und was Sie für Langzeitarbeits-
lose tun, weil Hartz IV nur ein Übergang sein soll. Die-
sen Übergang in das andere muss man dann bitte schön
auch organisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Merkel, Sie reden hier immer über die Zukunft,
aber an keiner Stelle sagen Sie wirklich, wie das Land in
Zukunft organisiert sein soll.

Wie soll es denn in 10, 20, 30 Jahren aussehen? Keine
Idee, kein Mut, immer nur so kleine sektorale Felder, die
angegangen werden. Bei dem ganz großen Feld Elektro-
mobilität machen Sie einen Elektroauto-Gipfel. Sie zie-
hen das also auf den kleinsten und auch unökologischs-
ten Teil. Frau Merkel, Deutschland verschläft an dieser
Stelle seine Zukunft. Wenn man in diesem Bereich die
Arbeitsplätze in der Automobilindustrie halten will,
wenn man mehr Arbeitsplätze schaffen will, dann muss
man jetzt an den systematischen Strukturwandel im Be-
reich Verkehr ran. Das heißt Elektromobilität. Dazu ge-
hören das Auto, das Fahrrad, der Roller, die Vernetzung
der Angebote, die Bahn, der öffentliche Verkehr. Dazu
haben Sie in Wahrheit gar nichts. Wo ist die Forschungs-
initiative für das vernetzte Konzept? Wo sind die Prä-
mien für entsprechende Autos? Wir haben ein fertiges
Konzept dazu. Ich sage Ihnen: Bei der Elektromobilität
stehen sich zwei Konzepte gegenüber, das schwarze und
das grüne. Unseres geht aber in die Zukunft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns das Thema Energie an: ihr Konzept,
unser Konzept. Frau Merkel, Sie haben gesagt, die
Atomenergie sei eine Brückentechnologie. Das war sie
aber schon, bevor Sie die Laufzeitverlängerung gemacht
haben – aus lauter Not, um wieder herauszukommen.
Wir setzen auf 100 Prozent erneuerbare Energie bis
2050. Sie reden mittlerweile immer vom Zeitalter der er-
neuerbaren Energie, das übrigens mit dem EEG und
nicht mit Ihnen angefangen hat, um es einmal klar zu sa-
gen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

Aber bei Ihnen heißt die Antwort: 2050 30 Prozent Strom-
import. So wollen wir die Zukunft Deutschlands nicht
organisieren. Wir wollen unabhängig werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU)


Wir wollen in der Entwicklung der Technologie vorne
sein, und es geht. Da muss man aber Mut haben und darf
nicht reine Lobbygeschenke verteilen.

100 Milliarden Euro Zusatzgewinne an die Atom-
energie, an die Atomkonzerne. Davon müssen sie allen-
falls, wenn es hoch kommt, 30 Milliarden Euro ausge-
ben. Meine Damen und Herren, das ist nicht Zukunft,
das ist alte Klientelpolitik, wie sie schon unter Helmut
Kohl gemacht wurde. Sie setzen sie fort, Frau Merkel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wenn das stimmen würde, würden die Aktien hochgehen! Tun sie aber nicht! – Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)


Das Bundesverfassungsgericht wird das so nicht beste-
hen lassen. Es wird auch keinen politischen Bestand
über 2013 hinaus haben, und das ist auch gut so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie reden hier für meine Begriffe verdächtig wenig
über die Frage von Konzepten für Bereiche. Das machen
Sie im Energiebereich nicht. Ich sage Ihnen: Im Ver-
kehrsbereich hängen Sie sich immer an der Frage von
Stuttgart 21, diesem Bahnhof, fest. Es freut mich, dass
Sie dazu etwas sagen. Frau Merkel, es freut mich auch,
dass Sie unseren Spitzenkandidaten dort, Herrn
Kretschmann, erwähnen und ihn zitiert haben. Er hat ge-
sagt: Wir versprechen nichts, aber wir werden alles dafür
tun, dass Stuttgart 21, dieser Bahnhof, nicht kommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Sie wissen aber genau, dass Sie Verträge einhalten müssen!)


Deshalb haben wir ja einen Stopp weiterer Baumaßnah-
men gefordert. Wissen Sie, Frau Merkel, das unterschei-
det uns von Ihnen: Wir versprechen nur das, was man
auch halten kann. So klug sind wir auch geworden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Auf der Straße bleiben!)


Ich gebe zu, wir haben in Moorburg etwas versprochen
und die Gerichtsentscheidung unterschätzt, die da noch
ansteht. Deshalb sagen wir bei Stuttgart 21: Klar, wir
versuchen alles, was geht.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Sie wissen, dass es nicht geht! – Weiterer Zuruf des Abg. Jörg van Essen [FDP])


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie bei
Ihren Steuersenkungen Ihren Grips einmal ähnlich an-
strengen würden, wäre das Land weiter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Unredlichkeit der Grünen! – Zuruf von der FDP: Unredlich!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707401400

Kollegin Künast, gestatten Sie eine Frage des Kolle-

gen Schlecht?


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707401500

Ja.


Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707401600

Frau Künast, Sie haben vorhin selbst gesagt, dass Sie

in der Lage sind, Pirouetten zu drehen. Das, was Stutt-
gart 21 betrifft, hört sich jetzt ein bisschen so an.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie Herrn Maurer fragen! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Der ist schon seit zehn Jahren bekehrt. Der ist schon
viel früher bekehrt, als die Grünen dazu bekehrt worden
sind. Das ist überhaupt kein Problem.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Unterhalten sich jetzt die Grünen mit den Linken?)


Ich will eine Frage stellen, Frau Künast. Das ist eine
Frage, die viele Menschen, die ich auf den Demonstra-
tionen in Stuttgart, in Straßenbahnen usw. treffe, bewegt,
nämlich: Was machen die Grünen eigentlich, wenn sie
gemäß den Umfragen am 27. März tatsächlich einen gro-
ßen Wahlerfolg erzielen sollten? Was machen die Grü-
nen tatsächlich? Werden sie dann Stuttgart 21 beerdigen,
ja oder nein? Das ist die Frage, und alles andere sind Pi-
rouetten.


(Beifall bei der LINKEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Parole ist „Oben bleiben“, nicht „Beerdigen“!)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707401700

Herr Schlecht, ich habe gedacht, das gerade gesagt zu

haben, will aber auf alle Fälle auf eines verweisen, weil
Sie von Bekehren gesprochen haben: Grüne müssen Sie
nicht bekehren. Bekehren Sie lieber Herrn Maurer. Er
hat damals, als er noch in der SPD war, für Stuttgart 21
gekämpft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sehe Herrn Maurer übrigens selten in solchen Debat-
ten. Wie kommt das?

Nachdem wir das Verb abgearbeitet haben, will ich
Ihnen eines sagen: Wir führen rechtliche Prüfungen
durch. Wir nehmen alles in den Blick, und wir haben
auch die Schlichtungsgespräche mit angeregt, um klar-
zumachen, dass das, was die Bürgerinnen und Bürger als
sinnlose Maßnahme ansehen, die sie nicht wollen und
für die sie kein Geld verplempern wollen, nicht Realität
wird. Auch deshalb wollen wir die Wahl gewinnen.





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)


(Jörg van Essen [FDP]: Ja oder nein?)


Ich finde es richtig, wenn jetzt in Stuttgart oder Ba-
den-Württemberg diskutiert wird, ob man das Geld nicht
besser für den Güterverkehr ausgeben sollte, als die Gi-
galiner über die Straßen fahren zu lassen. Ich finde es
richtig, dass an der Stelle gesagt wird: Was wir tun kön-
nen, um eine Weiterentwicklung hinsichtlich der Rechts-
lage und Auftragslage zu verhindern, tun wir.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörg van Essen [FDP]: Das war doch ein Geeiere hoch drei!)


Gerade Sie von der FDP sollten aufgrund von
Stuttgart 21 und anderen Projekten eines erkennen, näm-
lich dass die Basta-Politik und die Politik für die Besser-
verdienenden ein Ende hat. Nach 60 Jahren Grundgesetz
lassen sich die Menschen es nicht mehr gefallen – das
sehen wir in Stuttgart und anderswo –,


(Zuruf von der FDP: Sie waren schon mal besser, Frau Künast!)


dass man ihnen 15 Jahre alte Entscheidungen überstülpt.
Sie haben an 365 Tagen im Jahr eine Meinung, nicht nur
dann, wenn Wahlen bevorstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben einen Haushalt vorgelegt, der an keiner
Stelle den Fragen Genüge tut: Wo ist das Konzept für die
Fachkräftezuwanderung? Wo bleibt die gezielte Ar-
beit mit Migrantinnen und Migranten? Wo ist das Punk-
tesystem? Damit setzen Sie sich auch nicht durch. Jeden-
falls ist für mich nichts erkennbar. Sie reden immer nur
laut darüber. Wo ist das Punktesystem, das Fachkräften
Zuwanderung ermöglicht?

Wo ist eine Gesundheitspolitik, die dem C gerecht
wird, Frau Merkel? Das ist doch eine sozial kalte Ge-
sundheitspolitik der FDP, mit der Privilegien aufrechter-
halten werden. Sie wollen das bei der Pflegeversiche-
rung genauso machen. Wir wollen mehr Solidarität statt
weniger und deshalb eine Bürgerversicherung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Fazit Ihres Haushaltes ist: Schwarz-Gelb richtet
das Land nicht neu aus. Die entscheidenden Aufgaben
werden nicht angegangen, weder bei den Fachkräften
noch beim Umbau der Wirtschaft, bei der Bildungspoli-
tik und den erneuerbaren Energien, nirgendwo.

Wahr ist: Sie setzen die Zukunft des Landes aufs
Spiel. Sie sind dem Alten verpflichtet. Das macht den
Unterschied aus. Sie sind dem Alten verpflichtet. Wir
werden von der Zukunft gezogen. Deutschland hat wahr-
lich mehr Zukunft verdient.


(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg van Essen [FDP]: Dünner Beifall! Wirklich berechtigter dünner Beifall!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707401800

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Volker

Kauder.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1707401900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Gleich zu Anfang das Gemeinsame, Frau Künast:
Ja, es ist richtig, dass wir unter den Erkenntnissen des
Bundesinnenministers unsere Arbeit in diesem Parla-
ment so konsequent weitermachen wie bisher. Wir lassen
uns von niemandem in unserer Arbeit und in unserem
Leben beeinflussen. Das hätten die Terroristen gerne.
Genau das machen wir nicht. Darin sind wir einer Mei-
nung. Herzlichen Dank für diese Gemeinsamkeit, liebe
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin auch dem Bundesinnenminister dankbar für
seine kluge, zurückhaltende, aber doch klare Aussage,
dass wir alle wachsam sein müssen. Das gilt für uns alle.
Ich bin all denjenigen dankbar, die in Sicherheitsdiens-
ten hier im Deutschen Bundestag sowie draußen auf un-
seren Straßen und Plätzen durch ihre Präsenz zeigen:
Dieser Staat tut, was er kann. Wir setzen alles daran, um
Sicherheit in unserem Land zu gewährleisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber es wird dann sicher auch Diskussionen darüber
geben: Was müssen wir in Konsequenz der Erkenntnis
tun, dass Sicherheit zu garantieren immer auch ein Pro-
zess ist? Da warten wir natürlich auf die Anregungen
und Vorschläge, die der Bundesinnenminister diesem
Parlament auch im Zusammenhang mit der Neustruktu-
rierung geben wird. Ich habe heute Morgen in einem In-
terview bereits darauf hingewiesen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht die Pressefreiheit einschränken!)


Aber das Entscheidende, meine sehr verehrten Damen
und Herren, ist doch, dass wir dieses Land auf allen Ebe-
nen, in allen Bereichen weiter nach vorne bringen, wie
es die Bundeskanzlerin angesprochen hat. Frau Künast,
Sie irren ganz gewaltig; denn Sie haben Freude am Al-
ten, wir haben Freude am Neuen. Wir bringen unser
Land voran.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wenn es um irgendeine Investition geht, dann sind
Sie immer dagegen. Sie sind die Dagegen-Partei, die ge-
gen alles ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn ich mir einmal anschaue, was Sie auf Ihrem Par-
teitag alles so beschlossen haben


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr guter Parteitag!)


und was ich in den letzten Tagen auch zum Energiekon-
zept von Ihnen gehört habe, dann muss ich sagen: Das





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

ist der Markenkern ideologisch geprägter Politik. Dazu
einmal ein Beispiel.

Sie beschließen auf einem Parteitag Ausgaben in der
Größenordnung von 50 bis 60 Milliarden Euro. Dann
kommt der Schwabe Kuhn und stellt den Antrag, sich
das einmal genauer anzuschauen, weil man gar nicht
weiß, welche Auswirkungen das hat. Er wird runterge-
bügelt nach dem Motto: Sei ruhig, Kuhn, das interessiert
gar nicht. Wichtig ist nicht die Frage, was das kostet,
sondern wichtig ist, ob es unseren ideologischen An-
sprüchen gerecht wird. – Das ist das Thema bei Ihnen,
Frau Künast.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist gar nicht gebügelt, er sitzt noch hier!)


Ein Land wird im Wettbewerb mit anderen Ländern
auf dieser Erde, insbesondere mit Asien, nur dann eine
wirkliche Chance haben, wenn es sein Energieproblem
löst. Energiepolitik macht diese Regierung unter Be-
rücksichtigung der Realität, der Tatsachen und nicht der
Ideologie. Der Oberbürgermeister der Grünen in Frei-
burg hat gesagt, sie wollen den Anteil erneuerbarer
Energien im Jahre 2010 auf 10 Prozent erhöht haben.
Das ist ein schönes Ziel. Schöne Ziele kann man sich
setzen. Wo ist er angekommen? Bei 3,7 Prozent. Das ist
die Wahrheit.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 17 Prozent in Deutschland!)


So können wir kein Land – besonders mit Blick auf die
18-jährigen Menschen – in eine Zukunft führen, Frau
Künast.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen hat die Bundeskanzlerin völlig recht, wenn
sie sagt, wir schaffen die Voraussetzungen dafür, dass
dieses Land stark bleibt. Wir wollen die erneuerbaren
Energien ausbauen und sie zum zentralen Energiever-
sorger machen. Dafür brauchen wir für eine gewisse
Phase, für eine Übergangszeit Kohle, und da brauchen
wir auch Kernenergie. Aber jetzt kommt es doch auf
Folgendes an, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen: Voraussetzung dafür, von jetzt 13 oder 14 Pro-
zent auf 30, 40 oder 50 Prozent zu kommen – das wissen
Sie alle ganz genau –, ist, dass wir die Energieerzeugung
durch Wind auf dem Meer ausbauen.

Leider Gottes kann diese Energie nicht auf der Straße
oder auf der Schiene durch das Land transportiert wer-
den. Deswegen sagen uns heute die Fachleute, wir brau-
chen rund 3 000 Kilometer neue Leitungen mit einem
Investitionsvolumen von 10 bis 20 Milliarden Euro. Und
was erleben wir?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: CDU-Bürgermeister!)


Die Grünen stellen sich hier im Bundestag hin und
halten große Reden für erneuerbare Energien. Aber vor
Ort, wenn es dann darum geht, die notwendige Infra-
struktur dafür zu schaffen, wird blockiert und Nein ge-
sagt. Das sind die Grünen in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen kann ich nur sagen: Es ist gut, dass Sie in der
Opposition sitzen und dass Christlich-Liberal dieses
Land regiert und es auf eine neue Basis stellt.

Dieser Bundeshaushalt bildet dafür eine Grundlage.
Jetzt kommt das Thema, das Sie in allen Reden ange-
sprochen haben. Sie behaupten, dieser Haushalt sei so-
zial nicht ausgewogen.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das stimmt auch!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707402000

Herr Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Bonde?


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1707402100

Wenn ich mir diesen Haushalt anschaue, kann ich nur

sagen: Wer so etwas sagt, verfehlt die Wahrheit haar-
scharf. Wir geben über 50 Prozent, also jeden zweiten
Euro, für soziale Maßnahmen aus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das ist doch nicht sozial unausgewogen. Auch in der So-
zialpolitik und insbesondere in der laufenden Diskus-
sion über Hartz IV erkenne ich bei den Grünen den Mar-
kenkern ideologiegeleiteter Politik.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Elterngeld!)


Sie sagen, den Hartz-IV-Empfängern stehe eine Erhö-
hung der Regelsätze zu. Dann sprechen und verhandeln
Sie mit uns. Aber Ihnen geht es nicht in erster Linie um
die Menschen und um Hartz IV, sondern darum, etwas
aus Ihrem ideologischen Sandkasten mitzubringen. Das
dient aber nicht dem Land, sondern Ihrer Ideologie. Das
ist nicht in Ordnung, Frau Künast, um das klipp und klar
zu sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Helfen Sie mit, dass das Gesetz, das wir im Bundestag
verabschiedet haben, umgesetzt werden kann und die
Menschen am 1. Januar nächsten Jahres das Geld be-
kommen, das ihnen zusteht!


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran hindert Sie niemand! Sie allein haben die Verantwortung, Herr Kauder!)


Es wird auch etwas für die Bildung getan. Frau
Künast, Ihre Aussagen zur Bildungspolitik haben mich
überhaupt nicht überzeugt. Überall, wo Rot-Grün re-
giert, wird man zu Experimenten mit Kindern veranlasst,
aber nicht zu einer klugen Politik. Schauen Sie sich an,
was gerade in Nordrhein-Westfalen passiert! Sie werden
erleben, dass die Menschen dagegen auf die Straße ge-
hen werden, genauso wie in Hamburg, als Sie diese Poli-
tik gemacht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Ihre Bürgermeister! Wer regiert denn Volker Kauder in Ascheberg? Wer ist dort Bürgermeister? Ein CDU-Mann!)





(A) (C)


(D)(B)


– Nachdem Frau Merkel Sie versenkt hat, sind Sie offen-
bar wieder hochgeschwommen. Ich bemerke, Herr
Trittin, dass Sie wieder an der Oberfläche angekommen
sind.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin immer noch da! Beantworten Sie die Fragen: Wer regiert in Ascheberg? Welcher Partei gehört er an? Dazu schweigt er, der Volker Kauder! Das ist ihm peinlich!)


In allen Zeitungen können Sie in diesen Tagen etwas
lesen, das genau die Realität trifft. Die Bildungspolitik
ist für die Kinder da und nicht für ideologische Experi-
mente. Danach handeln wir.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir sehen, dass unser Land aus der Wirtschaftskrise
besser herausgekommen ist als andere Länder. Jetzt muss
ich Ihnen sagen: Die beste Sozialpolitik, die man machen
kann, ist diejenige, die dazu führt, dass die Arbeitslosig-
keit zurückgeht und die Menschen wieder Chancen ha-
ben. Genau das ist hier gemacht worden. Auf dem Weg
gehen wir weiter. Nicht immer mehr Sozialleistungen,
nicht immer mehr Menschen vom Sozialtropf des Staates
abhängig machen, sondern ihnen Chancen geben, das ist
die Politik der Regierung Merkel. Diese ist erfolgreich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist das Modell der sozialen Marktwirtschaft, das
sich hier bewährt hat. Aber natürlich ist die soziale
Marktwirtschaft von einigen nicht so wahrgenommen
worden, wie es notwendig ist. Deswegen unterstützen
wir, die Regierungskoalition, die Bundesregierung auf
ihrem Weg, der zum Ziel hat, auch private Investoren an
den Kosten zu beteiligen. Ludwig Erhard schreibt in sei-
nem berühmten Buch Wohlstand für Alle, in dem er die
Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft festgelegt hat:
Erfolg, Risiko und Haftung gehören zusammen. Es darf
nicht sein, dass jemand Risiken eingeht und dann die
Steuerzahler haften müssen. Deswegen müssen alle
wissen: Wer Chancen sucht – auch riskante –, muss für
sein Verhalten einstehen, wenn es schiefgeht, nicht nur
der Steuerzahler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen ist es richtig, wenn die Bundesregierung dies
umsetzen will.

Auch wir wollen natürlich die Finanztransaktion-
steuer. Das ist überhaupt kein Thema.


(Lachen bei der SPD)


– Die, die jetzt lachen, kann ich gerne einmal nach Sin-
gapur mitnehmen. Sie können auch alleine dorthin fah-
ren. Wenn Sie mit den Bankern und den Politikern in
Singapur reden, sagen diese: Führt doch am besten in
Deutschland allein die Finanztransaktionsteuer ein.
Dann werden wir in Singapur noch reicher und fetter;
denn wir machen auf keinen Fall mit. – Märchen zu
glauben, ist das eine, aber in der Realität zu arbeiten, ist
das andere. Wenn wir nicht zu einer zumindest europa-
weiten Finanztransaktionsteuer kommen – dafür kämpft
doch die Bundesregierung –, dann hat sie keinen Sinn.
Es hat daher auch keinen Sinn, den Menschen zu sagen,
dass wir sie in Deutschland allein einführen. Wenn Sie
das tun, gibt es bald gar keine Börse mehr in unserem
Land. So geht es nicht. Das ist wiederum ein Beispiel
ideologiegeleiteter Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir sehen auch mit einiger Sorge – die Bundeskanzle-
rin hat es angesprochen –, was sich in unserer Welt in Sa-
chen Sicherheit tut. Wir hoffen, dass die Krise in Korea
nicht größere Weiterungen hat, sondern dass das, was
dort in den letzten Tagen geschehen ist, eingedämmt
werden kann. Auch muss ich zum wiederholten Male sa-
gen: Wir sehen mit großer Sorge, wie weltweit und in
diesen Tagen insbesondere im Irak wieder Christen ver-
folgt werden. Das darf uns nicht ruhen lassen. Wir dür-
fen darüber nicht schweigen. Herr Bundesaußenminister,
ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das zum Thema gemacht
haben. Wir müssen aber auch überlegen, was wir kon-
kret tun können. Es kann nicht die Lösung sein, immer
mehr Christen aus dem Irak nach Deutschland zu holen
und damit im Irak eine christenfreie Zone zu schaffen.
Wir müssen vielmehr überlegen, wie wir mit dem einen
oder anderen Euro den Menschen im Irak helfen können,
damit sie sicherer vor Übergriffen sind. Dafür bitte ich
um Ihre Unterstützung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Flüchtlinge nehmen Sie denn auf?)


In diesen Tagen ist Asia Bibi in Pakistan mit dem Tod
bedroht, weil sie sich zum Christentum bekannt hat. Es
ist völlig klar, dass eine wertorientierte Außenpolitik,
wie sie diese Bundesregierung betreibt, das Thema
Christenverfolgung immer als zentrales Thema auf ih-
rer Agenda haben wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Man kann unterschiedlicher Auffassung sein, wie es
in Zukunft weitergeht, aber eines ist klar: Das, was ich
heute von der Opposition gehört habe, war nicht einmal
im Ansatz ein Zukunftsprogramm. Deswegen bin ich der
Bundesregierung dafür dankbar – die Bundeskanzlerin
hat es heute gesagt –, dass ihre Themen mehr Chancen,
Wachstum und weniger Arbeitslosigkeit, mehr Förde-
rung des Gemeinsinns und Werbung für Gemeinsinn
durch den Aufbau der Freiwilligendienste sind.

Eines will ich auch sagen: Wir müssen redlicher mit-
einander umgehen. Es ist richtig, Frau Künast, dass die
Menschen das ganze Jahr über denken und nicht nur bei
Wahlen. Aber es ist nach meiner Auffassung auch rich-
tig, dass sich unser System der repräsentativen Demo-
kratie grundsätzlich bewährt hat und dass wir allen
Grund haben, dieses System zu verteidigen und dafür zu
werben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)






Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

Sie aber diskreditieren ein solches System, wenn Sie sa-
gen: Entscheidungen, die in Parlamenten getroffen wor-
den sind, muss niemand in diesem Land akzeptieren. –
Was die Grünen hier vorgeführt haben, war wirklich
nicht komisch, sondern miserabel.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Gerade wenn man Bürgerentscheide will, gilt der
Grundsatz: Deine Rede sei ja, ja oder nein, nein. Das
heißt, die Menschen können die zur Abstimmung ste-
hende Frage mit Ja oder Nein beantworten. Sie suggerie-
ren den Menschen in Baden-Württemberg: Wenn die
Grünen Einfluss auf die Regierungspolitik bekommen,
dann wird der Bahnhof Stuttgart 21 nicht kommen. Hier
stellen Sie sich allerdings hin und sagen: Wir kämpfen
dafür; aber wir wissen, dass es Verträge gibt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht! Sagen wir doch in Stuttgart überhaupt nicht!)


Ich möchte Ihnen entgegnen: Sie können jetzt schon sa-
gen, dass es nichts wird. Es gibt Verträge und Gerichts-
entscheidungen. Der Bauherr wird natürlich dafür sor-
gen, dass seine Vorhaben umgesetzt werden. Sie
täuschen die Menschen, wenn Sie ihnen sagen: Kämpft
für uns; dann kommt dieser Bahnhof nicht. – Das ist
nicht in Ordnung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie bezahlen alle Kostensteigerungen aus dem Bundeshaushalt!)


– Nein, Herr Trittin; Sie nicht.

Gerade wenn man für Bürgerentscheide ist, muss man
seine Fragen so formulieren, dass sie mit Ja oder Nein zu
beantworten sind.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Dann müssen Sie sich an den Bürgerentscheid aber auch halten!)


Alles andere ist nicht redlich. Das hat Frau Künast hier
an diesem Rednerpult nicht gemacht. Hoffentlich haben
viele Menschen gesehen, wie sie hier herumgeeiert ist
und Pirouetten gedreht hat, um sich vor einer klaren Ant-
wort zu drücken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir stehen vor schwierigen Aufgaben. Wir stehen
nicht nur in Deutschland vor der Aufgabe, eine gute Zu-
kunft für alle zu organisieren. Wir stehen in der Welt vor
der Aufgabe, dafür zu sorgen, dass so etwas wie diese
Finanzmarktkrise möglichst nicht mehr eintritt. Wir ste-
hen in der Welt vor der Aufgabe, Frieden und Sicherheit
herzustellen. Wie man sieht, ist dies eine ständige Auf-
gabe, die jeden Tag neu bewältigt werden muss. Ich bin
froh, dass wir in dieser Phase der großen Herausforde-
rungen eine christlich-liberale Koalition in diesem Land
haben.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707402200

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Bonde das

Wort.


Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707402300

Herr Kauder, Sie haben sich in dieser Rede bemüßigt

gefühlt, zu behaupten, der Netzausbau scheitere immer
an Grünen. Ich will Sie einmal offen fragen: Reden Sie
eigentlich noch mit CDU-Bürgermeistern? Reden Sie
mit der Horde von CDU-Bürgermeistern in Nordrhein-
Westfalen, die an der Speerspitze von Bewegungen jede
Form von Netzausbau bekämpft?

Was ich sagen will, möchte ich an einem anderen Bei-
spiel verdeutlichen. In der Nähe meines Wohnorts, an
der Murg, ist ein großes Pumpspeicherkraftwerk geplant.
Ich bin dafür. Der grüne Ortsverband ist dafür. Herr
Kauder, Hose runter, legen Sie die Hand für Ihre CDU-
Bürgermeister ins Feuer? Was ist mit Ihren Bürgermeis-
tern? Wo ist da die Union?

Sie haben die Frage „Freiburg/Stromanteil/erneuer-
bare Energien“ angesprochen. Sie haben dezent verges-
sen, zu erwähnen, wer eigentlich den Ausbau der Wind-
kraft in der Region Freiburg durch Landesrecht
verhindert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer ist die Dagegen-Partei, die dafür sorgt, dass eine
Gemeinde, die auf erneuerbare Energien setzen will, es
nicht darf? Wer ist die Partei, die dafür sorgt, dass selbst
an bestehenden Windkraftstandorten – leistungsfähigere
Windkraftwerke ohne irgendeinen Eingriff in die Natur –
nichts ersetzt werden darf? Das ist die CDU. Sie tut dies
aus einer ideologischen Blockade heraus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dennoch stellen Sie sich hierhin und behaupten so einen
Unfug. Mit Verlaub, Herr Kauder: Wer die Bibel zitiert,
muss auch das achte Gebot im Sinn haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707402400

Kollege Kauder hat das Wort zur Erwiderung.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Hose bleibt oben!)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1707402500

Lieber Herr Kollege Bonde, wir alle haben jetzt in al-

ler Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen, dass die Grü-
nen in Zukunft an unserer Seite stehen, wenn es darum
geht, den Leitungs- und Netzausbau in unserem Land
voranzutreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich freue mich auf eine neue Kampfgemeinschaft mit Ih-
nen gegen die Verweigerer vor Ort. Herzlich willkom-
men bei denen, die die Zukunft gestalten wollen!





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Oh, war das schwach!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707402600

Der Kollege Poß spricht nun für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1707402700

Lieber Kollege Kauder, es kann auch schon einmal

staatsbürgerliche Verantwortung und politische Pflicht
sein, Nein zu sagen, und zwar im Interesse der großen
Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Denn für diese
Leute wird nach dem „Herbst der Entscheidungen“ alles
schlechter und nicht besser. Da ist es politische Pflicht,
Nein zu sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das von Ihnen angeschlagene Pathos – es erinnert ein
wenig an einen Flügel der amerikanischen Republikaner –
hilft da nicht weiter. Sie wollen doch nicht ernsthaft alle,
die Ihre Politik kritisieren, als Zukunftsverweigerer de-
nunzieren. Das spricht vielleicht das Gemüt der CDU an,
ist aber im Kern antidemokratisch, meine Damen und
Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD)

Von Redlichkeit sollte man nicht sprechen, wenn die

eigene Aussage mit den Fakten nicht übereinstimmt.
Das, was wir bei dem Beispiel der Finanztransaktion-
steuer von dieser Koalition ein halbes Jahr lang an
Theater – zwischen FDP und CDU/CSU und innerhalb
der Parteien – erlebt haben, war nicht mehr zu toppen.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Richtig!)

Das war der Grund, Herr Schäuble, warum Ihre Regie-
rung auf europäischer Ebene nicht handlungsfähig war,
als es um entscheidende Fragen der Finanzmarktregulie-
rung ging.


(Beifall bei der SPD)

Wenn sich dann die Frau Bundeskanzlerin hier auch

mit einem gewissen Pathos hinstellt und den Primat der
Politik gegenüber Wirtschaft und Finanzindustrie unter-
streicht, dann ist das doch – um den Begriff der Redlich-
keit aufzugreifen – auch unredlich, weil diese Koalition,
jedenfalls Teile davon, genau für das Gegenteil steht, die
FDP sich weitgehend verweigert hat und Sie, Herr
Schäuble, sich offensichtlich auch gegen Ihren eigenen
Willen für die Finanztransaktionsteuer aussprechen
mussten. Sie haben ja beim Wirtschaftsrat der CDU ge-
sagt, dass das nicht Ihrer eigenen Überzeugung entspre-
chen würde. So wurden sie jedenfalls zitiert.

Was ist das für eine Politik, wenn sich die Regie-
rungskoalition des größten Landes in Europa in zentra-
len Fragen, die darüber entscheiden, wie die nächste
Krise, wenn sie denn kommt, zu bewältigen ist – sie soll
ja durch Prävention verhindert werden –, so aufstellt,
wie Sie sich das erlaubt haben? Das geht doch überhaupt
nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD)

Deswegen ist mein Eindruck, dass wir es eher mit
dem Herbst der Legendenbildungen zu tun haben. In der
heutigen Rede von Frau Merkel – die ja auch ein wenig
wirkte, als spräche sie vor dem Kongress der Jungen
Union – war viel an Legendenbildung zu finden. Für die
Betrachter war, glaube ich, schon interessant, dass Frau
Merkel hier mit den billigsten Witzchen die größte Zu-
stimmung der Koalition erringen konnte, weil dies of-
fenbar das verbindende Band ist, weil in der Substanz
sonst nichts da ist.

Im Übrigen, Frau Bundeskanzlerin, in keiner Ihrer
bisherigen Reden im Plenum des Deutschen Bundestags
haben Sie so oft Reden und Handeln verwechselt – in
keiner Ihrer bisherigen Reden in Ihrer fünfjährigen Re-
gierungszeit.


(Beifall bei der SPD)


Sie waren und sind sehr geschickt als Fassadenmale-
rin, wie es ein Journalist vor kurzem bezeichnet hat, die
die schwarz-gelbe Fassade schön anstreicht. Darunter
sieht es noch so fürchterlich aus wie vor der Sommer-
pause. Da hat sich nichts geändert. Der Koalitionsaus-
schuss in der letzten Woche war noch einmal ein Beleg
dafür, dass sich bei Ihnen in der Substanz nichts verän-
dert hat. Beispiele gibt es genug, sie sind auch schon er-
wähnt worden.

Sie reden von der notwendigen Entlastung der
Kommunen und machen das Gegenteil: Streichung bei
der Städtebauförderung, bei energetischer Gebäudesa-
nierung, Schwächung der Gewerbesteuer schon zu Jah-
resanfang, Unklarheit über die Zukunft der Gewerbe-
steuer.

Die Kommunen brauchen aber jetzt Hilfe, und zwar
schon im Haushalt 2011.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vielen Kommunen brennt der Pelz, und Sie erlauben
sich Auseinandersetzungen. Die FDP will doch nach wie
vor etwas anderes bei der Gewerbesteuer, und die CDU/
CSU ist zerrissen. Herr Schäuble macht keinen Hehl da-
raus, dass er sowieso immer gegen die Gewerbesteuer
war, sich jetzt allerdings der Regierungsräson oder den
Versprechungen an die kommunalen Spitzenverbände
folgend anders verhält. Was ist das für eine Aufstellung
gegenüber den Kommunen, den Städten und Gemein-
den, in denen über die Lebensqualität der Menschen in
unserem Lande entschieden wird?


(Beifall bei der SPD)


Zu dem Einwand von Frau Merkel, zu bedenken, was
in den Jahren 2003 und 2004 gewesen ist, kann ich als
Verhandlungsführer der SPD im Vermittlungsausschuss
Ihnen sagen, was da war. Einige von Ihnen in der Union
sind damals mit dem Ziel in die Verhandlungen gegan-
gen, die Gewerbesteuer ganz abzuschaffen. Das ist die
Wahrheit über die Situation damals.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Joachim Poß


(A) (C)



(D)(B)

Das nächste Beispiel: Investitionen. Die Frau Bun-
deskanzlerin hat behauptet, die Investitionen würden ge-
steigert. Ja, aber die Investitionen im hier zu verabschie-
denden Haushalt sind um 1 Milliarde Euro geringer als
zum Zeitpunkt der Aufstellung dieses Haushaltes. Wer
schreibt Ihnen denn so etwas in die Reden hinein? Nicht
einmal Faktensicherheit ist bei der Bundeskanzlerin und
dieser Regierung gegeben.


(Beifall bei der SPD)


Billige Polemik zum wiederholten Male – auch das ist
wieder ein Beispiel für Legendenbildung – hinsichtlich
der Veränderungen 2005 beim europäischen Stabilitäts-
und Wachstumspakt! Ich empfehle Ihnen die Lektüre der
wissenschaftlichen Äußerungen, die es dazu gibt. Ich
kann Ihnen sogar einen Buchtipp mit Seitenangabe ge-
ben; diesen habe ich gestern Abend auch schon dem
Kollegen Barthle bei einer Diskussionsveranstaltung ge-
geben.

Ohne die damals vorgenommenen Veränderungen
beim Stabilitäts- und Wachstumspakt hätten wir in der
Großen Koalition nicht gemeinsam, Frau Merkel, die
Konjunkturpakete zur Abwehr der Krise schnüren kön-
nen, wären wir nicht so erfolgreich gewesen. Das ist die
Wahrheit.


(Beifall bei der SPD)


Im Zuge der damaligen Veränderungen haben wir einen
sogenannten präventiven Arm einbauen können. Das
heißt, es gab damit in Europa genau den Mechanismus,
auf den wir uns hier bei der Schuldenbremse gemeinsam
verständigt haben. Was gibt es denn daran zu kritisieren?
Nichts gibt es daran zu kritisieren!

Ihre Kritik ist nichts anderes als billige parteipoliti-
sche Argumentation, weil man sich in der Sachpolitik
nicht vorwärts bewegen kann. Das ist der wahre Grund.


(Beifall bei der SPD)


Der sogenannte Herbst der Entscheidungen ist nun
schon fast vorüber. Da ist die Frage erlaubt: Haben wir tat-
sächlich eine neue Frau Merkel erlebt? Die Frage lautet ja
nicht, ob wir eine forschere Kanzlerin erleben – heute
Morgen haben wir eine forschere Kanzlerin erlebt –; die
Frage lautet vielmehr, ob wir eine bessere Kanzlerin als
im ersten Dreivierteljahr der schwarz-gelben Regie-
rungskoalition erleben.

Wir haben nach der Bundestagswahl eine Kanzlerin
erlebt, die sich mit erkennbarem Desinteresse durch die
Koalitionsverhandlungen gequält hat.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Schmarrn!)


Dementsprechend sieht der Koalitionsvertrag von
Schwarz-Gelb auch aus. In ihm wird kaum eine Frage,
kaum ein Konflikt gelöst. Das sieht man auch am Ergeb-
nis des Koalitionsausschusses von letzter Woche. Frau
Merkel hatte sich schon zu Beginn in eine strategische
Falle begeben. Am Anfang stand die Lüge des Wahl-
kampfs: Nettoentlastung. Diese Lüge lastet heute noch
auf Ihnen, und zwar zu Recht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Bis in den Mai hinein war Frau Merkel weder für ir-
gendetwas, noch war sie gegen irgendetwas. Sie brachte
stattdessen immer ganz schicke Formulierungen; Bei-
spiele dafür gibt es genug. Sie war genau betrachtet ei-
gentlich bis in den Sommer hinein als Regierungschefin
gar nicht vorhanden. Das heißt, sie hat ihre Funktion als
Regierungschefin faktisch nicht ausgeübt. In der Tat, ein
verlorenes Jahr für Deutschland, aber noch mehr: Das
größte europäische Land fast ein Jahr ohne wirkliche
Führung! Was sind das für Zustände, meine Damen und
Herren?


(Beifall bei der SPD)


Das ist Fakt. Auch das war ein Grund für das Wahldesas-
ter von CDU und FDP in NRW.

Höchstgefährlich war dieses Verhalten im Frühjahr
im Fall der Griechenland- und Euro-Krise. Hier hätte
Europa eine starke und geradlinige Bundeskanzlerin ge-
braucht, um die immer dramatischer werdenden Ereig-
nisse zu kanalisieren und die Dinge mit zu ordnen. Aber
über Wochen wurde im Kanzleramt geschwankt, ge-
schwiegen und blockiert. Hinter den Kulissen tobte der
Kampf mit dem Bundesfinanzministerium, weil Herr
Schäuble im Gegensatz zu Frau Merkel erkannt hatte,
dass Griechenland zügig zu helfen war, weil ansonsten
alles noch schlimmer würde.

Wir kennen den weiteren Verlauf: Es gab Äußerungen
in der Bild-Zeitung, dass man Griechenland aus der EU
rausschmeißen sollte; eine Einladung an die Spekulan-
ten, wie alle Sachkundigen wissen.

Als die Dinge dann Anfang Mai in Brüssel Spitz auf
Knopf standen, war Frau Merkel unvorbereitet und ohne
Plan. Ihr Auftritt in Brüssel war peinlich und hat
Deutschlands Ansehen in Europa und der Welt nachhal-
tig geschädigt. Das sind die Wahrheiten, über die zu re-
den ist.


(Beifall bei der SPD – Georg Schirmbeck [CDU/ CSU]: Wo leben Sie eigentlich?)


Da hilft es auch nicht, dass Sie und Ihre Hilfstruppen
seitdem mit großem Einsatz versuchen, Ihr Versagen
– das Versagen der Bundeskanzlerin und der Bundes-
regierung – in einer entscheidenden Phase für Europa zu
einer wohlüberlegten und zielführenden Strategie umzu-
deuten. Es ist eine Legende, wenn Ihre Meinungsmacher
behaupten, es sei vor allem die deutsche Kanzlerin, die
seit Jahresbeginn beständig für Stabilität in der Euro-
Zone kämpfe.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau so ist es!)


Es ist fraglich, ob Ihr Kurs, die Stabilität des Euros
und der Euro-Zone nahezu ausschließlich über stärkere
und automatisierte Sanktionen sichern zu wollen, in die-
ser Form richtig ist. Die größer werdenden ökonomi-
schen Unterschiede und Ungleichgewichte in Europa
werden von Ihnen nur am Rande behandelt. Kolleginnen
und Kollegen, wir müssen endlich zu einer stärkeren
wirtschaftspolitischen Koordinierung in Europa kom-





Joachim Poß


(A) (C)



(D)(B)

men. Hierzu erwarten wir und vor allem die Partner in
Europa endlich weiterführende Vorschläge der deut-
schen Kanzlerin; diese kommen aber nicht. Wir brau-
chen diese Vorschläge aber dringend, um die Euro-Krise
– Irland ist ein aktuelles Beispiel – auf Dauer in den
Griff zu bekommen.

Frau Merkel als Kanzlerin der Euro-Stabilität zu ins-
zenieren, das ist ein Versuch der Geschichtsklitterung
und Legendenbildung. In Wahrheit haben Sie, Frau
Merkel, mit Ihrer speziellen Art, die Dinge zu behan-
deln, mit dem Feuer gespielt. Jetzt geht es im gleichen
Stil weiter. Meine Damen und Herren, das ist immer
noch die Frau Merkel, wie wir sie kennen; sie hat sich
nicht geändert; sie hat nur ihren Stil ein wenig verändert.

Ein Wort zu Irland. Ich habe Zitate von Herrn
Westerwelle und anderen dabei, die Irland wegen seines
wirtschaftspolitischen Weges und des Steuerdumpings
als ein leuchtendes Beispiel für gelungene Wirtschafts-
und Finanzpolitik gelobt haben. Ich sage ohne Genug-
tuung: Der keltische Tiger ist sehr schnell zum bedürfti-
gen Kätzchen mutiert, und zwar wegen der falschen
Ideologie, zum Beispiel in Steuerfragen. Insofern bin ich
froh, dass die FDP bis zum letzten Jahr hier in Deutsch-
land nicht mitregieren konnte; sonst wären wir vielleicht
dort, wo Irland heute ist.


(Beifall bei der SPD)


Jetzt noch ein Wort zum Inland und zur Innenpolitik.
Da gab es in der Tat Entscheidungen. Aber allein des-
halb, weil endlich etwas entschieden wird, wird die
Situation für die große Mehrheit der Bürgerinnen und
Bürger noch nicht besser; es kommt darauf an, was ent-
schieden und wie gehandelt wird. Das merken die Men-
schen in Deutschland. Auch die sogenannte Mitte will
zum Beispiel eine sozialverträgliche Konsolidierung.
Auch wir Sozialdemokraten stehen für eine Konsolidie-
rung; wir haben dazu konkrete Konsolidierungsvor-
schläge gemacht. Aber wenn es in unserer Gesellschaft
nicht sozialverträglich zugeht, dann drohen auf Dauer
gesellschaftliche Unruhe und Spaltung. Das ist Ihre Poli-
tik dieses Herbstes; sie muss gestoppt werden.


(Anhaltender Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707402800

Hans-Peter Friedrich hat jetzt das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei der FDP)



Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1707402900

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Auch diese Haushaltswoche steht
unter dem Eindruck der Folgen und Nachwirkungen
der Finanzkrise. Wir schauen nach Griechenland, wo
die Menschen in allen Bereichen – im privaten und im
öffentlichen Sektor – Einschnitte hinnehmen müssen.
Wir schauen nach Portugal und Spanien, wo Sparpro-
gramme – auch von den europäischen Partnern verordnet –
umgesetzt werden müssen. Wir schauen nach Irland, wo
zum Teil verzweifelte junge Leute nach ihrer Perspek-
tive in ihrem Heimatland fragen.
Sosehr uns das erschreckt und sosehr wir gemeinsam
an einer Verbesserung der Situation in ganz Europa ar-
beiten, haben wir doch Grund, froh darüber zu sein, dass
Deutschland besser aus dieser Krise gekommen ist und
wir den Menschen dramatische Einschnitte ersparen
können. 41 Millionen Erwerbstätige, das ist Beschäfti-
gungsrekord in diesem Land und ein Hinweis darauf,
dass dieses Land und die Wirtschaft in Deutschland
wettbewerbsfähig sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nur, wenn man wettbewerbsfähig bleiben will, muss
man etwas dafür tun. In der Politik, also im staatlichen
Bereich, und in der Wirtschaft muss man modernisieren,
verbessern, reformieren, flexibler werden und neue Im-
pulse geben. Genau darüber reden wir in diesem Haus.
Vonseiten der Opposition kommt aber nichts dazu, kein
konstruktiver Vorschlag. Sie sind die destruktivste Op-
position seit Jahrzehnten in diesem Haus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deutschland ist auch deswegen spitze, weil die Lin-
ken, die Roten und die Grünen in Deutschland nicht re-
gieren.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Genau!)


2002 ging Spott durch Europa. Deutschland, so hieß es,
ist der kranke Mann Europas. Zur Hochzeit Ihrer Regie-
rung hatten wir 5 Millionen Arbeitslose.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Aber Sie wissen auch, warum!)


Zur Hochzeit Ihrer Regierung gab es ein Aufweichen des
Stabilitätspaktes. Herr Poß, zu dem, was Sie hier erzäh-
len: Damals, vor sechs Jahren, war von Konjunkturpake-
ten noch nicht die Rede.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde das eigentlich super: Das ist doch die Merkel-Rede noch einmal!)


Wahr ist, dass Sie damals nicht die politische Kraft hat-
ten, Einsparungen vorzunehmen und die richtige Politik
zu machen. Das war der Grund, warum Sie den Stabili-
tätspakt aufgeweicht haben.


(Joachim Poß [SPD]: Der Bundesrat, der alles blockiert hat!)


Sozialisten neigen dazu, Verträge aufzuweichen, statt
konsequente Politik umzusetzen. Das war der wahre
Grund dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Während Ihrer Regierungszeit wurde Griechenland in
die Währungsunion aufgenommen.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wir wissen: Die SPD ist an allem schuld! Sie können aufhören! Es ist angekommen!)


– Nein, die SPD ist nicht schuld.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Doch!)






Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)



(A) (C)



(D)(B)

Ich weiß, dass Sie damals nichts dagegen machen konn-
ten. Wenn ein Land auf dem Abstiegsplatz steht, hat es
in Europa nichts mehr zu melden. So war das damals.
Deswegen ärgert es Sie auch, dass die Sache heute ganz
anders ist, dass Europa heute von Deutschland und einer
deutschen Regierungschefin geführt wird. Das ist die
Wahrheit, und darauf sind wir stolz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Bundesbank und die OECD bescheinigen, dass
wir in Deutschland das Fundament für einen langen Auf-
schwung gelegt haben. Der Export läuft gut, und auch
darauf können wir als Deutsche stolz sein. Unsere Pro-
dukte werden in der Welt gebraucht, und sie werden in
der Welt gekauft. Deswegen werden Arbeitsplätze ge-
schaffen. Dann kommt der Vorsitzende der Linkspartei,
der glorreiche Herr Ernst, der heute wahrscheinlich ir-
gendwo im Land mit dem Porsche unterwegs ist,


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Billig!)


und sagt im Tagesspiegel am 11.11. allen Ernstes, in den
Stabilitätspakt müsse eine Exportüberschussbremse auf-
genommen werden.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine Exportüberschussbremse bedeutet den Abbau von
Arbeitsplätzen in Deutschland.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: „Binnenkaufkraft stärken“, heißt das!)


Liebe Freunde von den Linken, von welchem Planeten
kommen Sie eigentlich? Gehen Sie dahin bitte wieder
zurück!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Exporte und die Schaffung von Arbeitsplätzen sind
vielen Tausenden von Langzeitarbeitslosen in diesem
Land in den letzten Monaten zugutegekommen. Sie ha-
ben wieder einen Arbeitsplatz gefunden. Dazu hat auch
die Funktionsfähigkeit der Institutionen beigetragen. Die
Jobcenterreform von Frau von der Leyen hat sich auch in
dieser Frage positiv ausgewirkt.

Ihr Gerede von einem unsozialen Haushalt können
Sie sich wirklich sparen. Ich sage Ihnen, was unsozial
wäre: Unsozial wäre es, eine Massenzuwanderung nach
Deutschland zu organisieren und den Menschen, die
Schwierigkeiten haben, hier Arbeit zu finden, das Leben
noch schwerer zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Unsozial gegenüber den Menschen, die jeden Tag zur
Arbeit gehen, wäre es, die Hartz-IV-Sätze immer weiter
anzuheben, bis sich jeder Geringverdiener in diesem
Land fragt, ob er eigentlich der Dumme ist, weil er arbei-
tet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Unsozial, lieber Herr Steinmeier und lieber Herr Poß,
wäre es, wenn man Ihrer Steuerpolitik folgen würde und
wenn man das Erreichen des Spitzensteuersatzes immer
weiter in Richtung der Einkommen von Normalverdie-
nern verschieben würde.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das stimmt nicht!)


Helmut Schmidt hat in seiner letzten Rede als Kanzler
– mehr oder weniger mit bitterer Selbsterkenntnis – ge-
sagt: Geholt haben wir das Geld bei den Arbeitnehmern.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Was haben Sie gesagt? Können Sie gerade noch mal erläutern, was das war? Das war doch Unsinn! Können Sie das gerade noch mal erklären?)


Das ist die einzige Konstante der SPD-Finanzpolitik, die
ich in den letzten Jahrzehnten erkennen konnte: Sie ha-
ben das Geld immer bei den Arbeitnehmern geholt.

Voraussetzung dafür, dass Deutschland in Europa an
der Spitze bleibt, ist gesundes Wirtschaften. Dazu ge-
hört eine solide und gute Haushaltspolitik. Wir haben die
Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Ich bin der
SPD- und der FDP-Fraktion sehr dankbar dafür, dass
dies möglich war. Es ist europaweit, vielleicht sogar
weltweit ein Paradigmenwechsel in der Parlamentsge-
schichte, dass ein Parlament sein Budgetrecht ein-
schränkt und nach dem Prinzip handelt „Es soll nur so
viel ausgegeben werden, wie eingenommen wird“.

Aber, liebe Freunde, die Schuldenbremse, die wir ge-
meinsam vereinbart haben, muss auch eingehalten wer-
den.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Jawohl!)


Dass die Grünen sie nicht einhalten wollen, war mir
schon klar, als sie damals gegen die Schuldenbremse


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Ihre Schuldenbremse schlecht war!)


und damit gegen die Zukunft des Haushaltes in Deutsch-
land gestimmt haben.


(Jörg van Essen [FDP]: Sie sind halt die Dagegen-Partei!)


Sie haben nicht das Kreuz, Politik für die nächste Ge-
neration zu machen und den Menschen auch einmal un-
angenehme Wahrheiten zu sagen. Das war auf dem Par-
teitag, den die Grünen hinter sich haben, wieder spürbar:
Weichspül- und Wohlfühlparolen, wo immer man hinge-
schaut hat, aber keine Substanz an den Stellen, wo es um
die Wahrheit geht. Zur Wahrheit gehört eben auch, dass
man nicht jedes Jahr Konjunkturpakete verabschieden
kann, sondern dass irgendwann diese Pakete gegenfinan-
ziert werden müssen. An dieser Stelle sind wir.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie mal nach oben! Es schneit! – Gegenruf des Abg. Norbert Barthle [CDU/CSU]: Es schneit, und ihr seid gegen die Wintersportolympiade!)


Wir müssen aus den Konjunkturpaketen aussteigen und
zur Normalität in der Finanzpolitik zurückfinden. Das ist
gesundes Wirtschaften.





Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)



(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Für ein gesundes Wirtschaften braucht man eine sta-
bile Währung. Für die Wirtschaft, aber auch für den pri-
vaten Sparer ist dies ein zentrales Thema. Rot-Grün hat
nicht nur den Stabilitätspakt, den Theo Waigel damals
geschmiedet hat, aufgeweicht und Griechenland in die
Euro-Zone gelassen, sondern Rot-Grün hat auch mit gro-
ßem Brimborium die Finanzmärkte in Deutschland dere-
guliert. Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie die Hedge-
fonds zugelassen haben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele gibt es denn hier? Wie viele gibt es woanders?)


Jetzt geht es darum, dass wieder Vertrauen in unsere
Währung aufgebaut wird. Wie baut man dieses Ver-
trauen auf? Man baut es erstens dadurch auf, dass man
strukturschwächeren Ländern Sanierungsprogramme
verordnet und ihnen sagt: Ihr müsst auf das Stabilitäts-
niveau aller anderen Länder in Europa kommen. – Da-
durch baut man Vertrauen in eine Währung auf, die von
diesen Volkswirtschaften abhängt.

Zweitens baut man Vertrauen dadurch auf, dass man
einen Euro-Rettungsschirm zur Verfügung stellt, der den
Menschen zeigt: Wir geben euch Hilfe, und zwar Hilfe
zur Selbsthilfe. Wir haben nicht vor, eure Ausgaben zu
finanzieren, aber wir ermöglichen Stabilität in eurem
Land, damit ihr euch selber helfen könnt.

Wir schaffen Vertrauen schließlich dadurch, dass wir
Kontrollmechanismen einrichten, die dafür sorgen, dass
die Stabilitätskriterien eingehalten werden.

Unser Ja zum Euro ist klar, aber auch unser Nein zur
Transferunion. Jedes Land in der Europäischen Union
muss seine Hausaufgaben machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Gesundes Wirtschaften heißt aber auch, für eine gute
und sichere Energieversorgung zu sorgen. Im Mittel-
punkt unserer Energiepolitik steht der Ausbau der erneu-
erbaren Energien. Die erneuerbaren Energien stehen des-
wegen im Mittelpunkt, weil wir wollen, dass in diesem
Bereich die Wertschöpfung dezentral, also auch in der
Fläche, erfolgt, sodass wir eine dezentrale Stromproduk-
tion und Stromversorgung haben.

Wenn man eine dezentrale Stromproduktion betreibt,
dann gehört dazu, dass man Leitungen baut, um den
Strom dorthin zu bringen, wo man ihn braucht.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach nee?)


Vor dieser Realität drücken Sie sich. Sie von den Grünen
glauben, dass es ausreicht, ein Einspeisegesetz, das Er-
neuerbare-Energien-Gesetz, zulasten der Stromverbrau-
cher zu machen. Aber das reicht nicht aus, sondern Sie
müssen auch die entsprechende politische Umsetzung all
dieser Vorschläge auf den Weg bringen. Dazu haben Sie
und hatten Sie nicht die Kraft.

Jetzt sage ich Ihnen etwas zu dem Theater, das Sie
hier und an anderer Stelle zur Verlängerung der Laufzei-
ten der Kernkraftwerke aufführen. Ich verwahre mich
gegen die Unterstellung, dass ich, wenn ich dieser Ver-
längerung zugestimmt habe und sie für richtig halte, die
Interessen der Stromkonzerne vertreten würde.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht aller! Nur vier! – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lobbyist! – Zuruf von der SPD: Aber nur das!)


Ich weise diese Unterstellung zurück. Wann immer Sie
nicht recht bekommen, wann immer Menschen andere
Auffassungen haben, fangen Sie an, sie zu diskreditieren
und zu diskriminieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage Ihnen: Die Interessen der Stromkonzerne
sind mir scheißegal.


(Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Satz nehmen Sie noch zurück!)


Was mir nicht egal ist, sind die Arbeitsplätze in der In-
dustrie im energieintensiven Bereich, da, wo die Men-
schen für dieses Land Werte schaffen. Die Arbeitsplätze
sind mir nicht egal.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber offensichtlich sind Ihnen von den Grünen diese
Arbeitsplätze völlig egal. Denn Ihnen ist Ideologie wich-
tiger als eine gesunde Grundlage der Wirtschaft in die-
sem Land. Schämen Sie sich dafür!


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen mehr Arbeitsplätze! Wir wollen 300 000, nicht 30 000! Sie können nicht rechnen!)


– Frau Künast, ich will Ihnen mal sagen, wie Sie hier
Ideologie betreiben. Sie haben an die lieben Freundinnen
und Freunde auf dem Parteitag einen Aufruf geschrie-
ben, die Atompolitik mit allen Mitteln zu bekämpfen.
Was meinen Sie denn damit, „mit allen Mitteln“? Könn-
ten Sie endlich mal zur Kenntnis nehmen, dass die
Mehrheit in diesem Haus, gewählt von der Mehrheit der
deutschen Bevölkerung, eine Entscheidung getroffen
hat? Sie können in diesem Haus mit Mitteln, die Sie als
Parlamentarier haben, selbstverständlich dagegen sein.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch als Bürgerin!)


Aber erklären Sie mir mal, was „mit allen Mitteln“ be-
deuten soll!


(Zuruf von der CDU/CSU): Rechtsbruch?)


Da schaue ich nach Gorleben, und es graut mir, Frau
Künast, vor Ihren Mitteln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Man braucht bei Ihrem Parteitag nur das Kleinge-
druckte zu lesen, alles das, was da so wolkig daher-
kommt in tollen Beschlüssen, nicht wahr? Da ist die





Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)



(A) (C)



(D)(B)

Rede von Gebäudesanierung. Ja, wir sind auch für Ge-
bäudesanierung. Wir unterstützen sie aktiv und massiv.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kürzen sie ja! – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum kürzen Sie dann?)


Aber bei den Grünen heißt das Nutzungspflicht für er-
neuerbare Energien in Bestandsgebäuden. Das heißt, je-
der muss zu einem bestimmten Anteil erneuerbare Ener-
gien für sein Häuschen nutzen.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wie in Baden-Württemberg! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch Frau Gönner auch beschlossen!)


Außerdem sagen Sie, dass Sie Obergrenzen für den
Energieverbrauch einführen wollen.

Ich sage Ihnen mal, was das im Klartext heißt, damit
die Menschen im Land verstehen, was beide Forderun-
gen – Nutzungspflicht für erneuerbare Energien in Be-
standsgebäuden und Obergrenzen – bedeuten.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Baden-Württemberg!)


Das bedeutet im Klartext Zwangssanierung von Gebäu-
den zulasten der Häuschenbesitzer, Zwangssanierung
auf deren Kosten. Das bedeutet das, was Sie beschlossen
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich nenne das Enteignung. Wenn Sie einen Menschen
zwingen, sein Häuschen auf seine Kosten für 150 000 Euro
zur Wärmedämmung zu sanieren, obwohl es nur
100 000 Euro wert ist, dann kann er es nur abreißen. Was
Sie auf Ihrem Parteitag beschlossen haben, ist Enteig-
nung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Grünen sind auf dem Weg zur Barrikadenrepu-
blik, ohne Frage.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit Ihnen los?)


Die grüne Botschaft lautet: dagegen sein. Die grüne Zu-
kunft ist Stillstand. Sie haben auf Ihrem Parteitag den
Ausbau von Stromleitungen beschlossen. Wenn ich nach
Thüringen schaue, dann sehe ich die Fraktionsvorsit-
zende der Grünen an der Spitze der Bewegung gegen
den Bau einer 380-kV-Leitung in Thüringen. Das ist die
Wahrheit. Wenn es konkret wird, sind Sie dagegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In Datteln in Nordrhein-Westfalen soll ein neues Koh-
lekraftwerk gebaut werden, sauberer als die anderen, die
da bisher stehen, und Sie hintertreiben in der Minder-
heitsregierung, der Sie angehören, den Bau dieses Kraft-
werks mit allen Mitteln.
In Niederbayern soll ein Pumpspeicherwerk für die
Speicherung regenerativer Energie gebaut werden, damit
man sie dann abrufen kann, wenn man sie braucht. Wer
ist dagegen und selbstverständlich wie immer an der
Spitze der Bewegung? Die Grünen!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn Sie heute in Niederbayern in die Zeitung

schauen, dann lesen Sie dort, dass es eine Initiative ge-
gen den Digitalfunk der Feuerwehr gibt. Wer ist an der
Spitze der Bewegung?


(Zurufe von der CDU/CSU: Die Grünen!)

Natürlich die Grünen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie bekennen sich zur Schiene; sie wollen eine Verla-

gerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene.
Aber das ist wieder eines dieser Bekenntnisse, denen
keine politischen Taten folgen. Denn sie sagen Nein zur
Fehmarnbelt-Querung nach Dänemark, und Sie sagen
Nein zur Y-Trasse von Hannover nach Bremen und
Hamburg.

Sie sagen überall da, wo sie gefragt sind, Nein. Sie sa-
gen Nein zu Olympia 2018. Sie sagen Nein; sie sind da-
gegen. Sie organisieren den Abstieg dieses Landes. Da-
gegen allerdings haben wir etwas. Deutschland kann
froh sein, dass eine christlich-liberale Regierung in die-
sem Lande regiert.

Ich danke Ihnen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707403000

Petra Merkel hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Petra Merkel (SPD):
Rede ID: ID1707403100

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte heute zwei
Bereiche des Einzelplans 04 erwähnen, nicht nur den
Kulturteil – dazu komme ich gleich –, sondern auch den
Bereich Integration; denn auch dieser findet sich im
Einzelplan 04. Das ist ein kleiner Etat. Integration ist si-
cherlich – da sind wir uns alle einig – eine der zentralen
Herausforderungen in unserer Gesellschaft, und zwar
nicht nur bei den Reden am Sonntag. Bei jeder Gelegen-
heit, ob im nationalen Integrationsplan oder im Migra-
tionsbericht der Bundesregierung, werden kulturelle
Bildung und Vermittlung, Kulturaustausch, bürger-
schaftliches Engagement und soziale Teilhabe als
Schlüsselfaktoren für Integration hervorgehoben. Dazu
gehört natürlich auch der Erwerb der deutschen Sprache.

Die Ernsthaftigkeit der Integrationspolitik ist in
Haushaltsplänen abzulesen. Abgesehen von der Tatsa-
che, dass viele im nationalen Integrationsplan angekün-
digte Maßnahmen bis heute nicht umgesetzt, geschweige
denn finanziell ausreichend ausgestattet sind, werden
wichtige Programme und Förderungen des Bundes deut-
lich gekürzt. Beim Beauftragten der Bundesregierung
für Kultur und Medien gibt es zum Beispiel den Titel





Petra Merkel (Berlin)



(A) (C)



(D)(B)

„Kulturelle Vermittlung“, für den statt 2 Millionen Euro
wie in diesem Jahr nur noch 1,2 Millionen Euro einge-
stellt werden. Dazu sage ich: Na gut, da kann man wohl-
wollend sein. Das ist ein frisches Programm, das in die-
sem Jahr gestartet ist. Es befindet sich also noch in den
Startlöchern. Aber die Mittel wurden abgesenkt.

Beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung wurde – darüber haben wir bereits disku-
tiert; das wird auch Thema bleiben – das Programm „So-
ziale Stadt“ gestutzt. Die Mittel wurden von immerhin
95 Millionen Euro auf 28,5 Millionen Euro gekürzt.
Künftig wird die Verwendung der Mittel auch noch auf
investive Maßnahmen begrenzt. Viele Projekte zur Inte-
gration und im Quartiersmanagement in den Ballungs-
räumen sind nun wirklich gefährdet.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Investitionshaushalt, nicht Sozialetat!)


Sehen wir im Haushalt des Bundesministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend nach! Die Ju-
gendfreiwilligendienste sind massiv von Kürzungen be-
troffen. Im Haushalt des Bundesministeriums des Innern
könnten die Integrationskurse durchaus erheblich mehr
Mittel vertragen, damit Wartezeiten auf Deutschkurse
von mehreren Monaten vermieden werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Integrationspolitik, die ernst gemeint ist, sieht anders
aus.

Gerade durch die Förderung konkreter, auf Integra-
tion und Teilhabe ausgerichteter Angebote werden Men-
schen aller Altersgruppen und Herkunft häufig erst in die
Lage versetzt, an unserer Gesellschaft teilzuhaben und
sich einzubringen. Frau Staatsministerin Böhmer, ich
schätze Sie als engagierte Politikerin. Was sagen Sie ei-
gentlich zu dem, was in den Haushalten der anderen
Ministerien passiert? Integrationspläne und Integrations-
gipfel reichen nicht aus, wenn notwendige aktive Inte-
grationsprogramme so gekürzt werden, wie diese
schwarz-gelbe Regierung es tut. Sie sind eher eine Frau
der leisen Töne. Aber eines ist jetzt dringend erforder-
lich: Mischen Sie sich bitte hörbarer ein! Unsere Unter-
stützung haben Sie.


(Beifall bei der SPD)


Ich komme zur Kultur. Waren Sie es, Herr Staats-
minister Neumann, oder waren es Ihre Kolleginnen und
Kollegen aus den Fraktionen, die in der Bereinigungssit-
zung des Haushaltsausschusses noch eine Schippe drauf-
gelegt haben? Wie dem auch sei, ich freue mich darüber,
auch über die Fraktionsgrenzen hinweg. Dass insgesamt
27 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt
wurden, ist ein feiner Erfolg für die Kultur.

Besonders freut mich, dass offensichtlich auch unsere
Anregungen aufgenommen worden sind. Es wurden Pro-
jekte und Titel verstärkt, die der SPD sehr am Herzen
liegen. So war zum Beispiel die Aufstockung der Mittel
für die Bundeskulturstiftung eine zentrale Forderung
meiner Fraktion. Die Kulturstiftung des Bundes fördert
auf der einen Seite viele wichtige, national bedeutsame
Projekte in der Fläche. Dies entlastet auf der anderen
Seite viele Kommunen, die sich in einer schwierigen
finanziellen Situation befinden. Wir begrüßen, dass hier-
für 2 Millionen Euro mehr in den Haushalt eingestellt
worden sind. Ich finde, das ist gut gelaufen.

Meine Fraktion hat in der Bereinigungssitzung des
Haushaltsausschusses sowohl der Erhöhung der Mittel
für die Bundeskulturstiftung als auch der Aufstockung
der Mittel für den Denkmalschutz zugestimmt. 15 Mil-
lionen Euro mehr für den Denkmalschutz ist gut ange-
legtes Geld. Die geplanten massiven Kürzungen im Be-
reich des Denkmalschutzes wären ein gravierender
Fehler gewesen. Dadurch wäre nicht nur die Erhaltung
der kulturellen Substanz gefährdet, sondern dadurch wä-
ren auch Arbeitsplätze und Investitionen riskiert worden.

In der Großen Koalition haben wir ein Sonderpro-
gramm aufgelegt, das sehr erfolgreich war, den kleinen
national bedeutsamen Denkmälern zugutekam und auf
unglaublich große Resonanz stieß. Die Investitionen des
Bundes wurden durch die Beteiligung der Länder und
Kommunen sowie Dritter multipliziert. Wie gut, dass
dieses Programm – seine Bedingungen werden noch
festgelegt – fortgesetzt wird! Es freut mich, dass es ge-
lungen ist, den Denkmalschutz mit 15 Millionen Euro
zusätzlich zu stärken. Auch dem haben wir zugestimmt.

Ausdrücklich zu begrüßen sind außerdem die vom
Haushaltsausschuss bewilligten Mittel zur Bewältigung
der Hochwasserschäden vom August dieses Jahres, so-
wohl für den Fürst-Pückler-Park Bad Muskau als auch
für das Kloster St. Marienthal in Ostritz. Darin waren
sich alle Fraktionen einig, nachdem wir dieses Thema in
den Berichterstattergesprächen erwähnt haben. 5 Millio-
nen Euro als Soforthilfe sind super.


(Zustimmung des Abg. Joachim Poß [SPD])


Ich komme zu Tarabya. Viele Kolleginnen und Kol-
legen aus dem Unterausschuss Auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik, dem Auswärtigen Ausschuss und dem
Ausschuss für Kultur und Medien haben sich dafür ein-
gesetzt. Tarabya ist ein wunderschönes Projekt, das von
allen Seiten große Unterstützung erfahren hat,


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht von der FDP!)


wenn auch von dem einen oder anderen Kollegen – ich
sehe gerade Herrn Koppelin an – vielleicht nicht so sehr.
Immerhin gibt es einen gültigen Beschluss des Deut-
schen Bundestages. Daran muss sich das Ministerium
halten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Alle Fraktionen haben diesem Vorschlag zugestimmt.
Die Mittel für die bauliche Sanierung der zur Nutzung
der Künstlerakademie festgelegten Häuser sind bereitge-
stellt worden. Wir werden darauf achten, dass diese Mit-
tel wirklich für die festgelegten Häuser verwendet und
für die Umsetzung des Konzepts der Künstlerakademie
genutzt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Petra Merkel (Berlin)



(A) (C)



(D)(B)

Anfang September dieses Jahres hatte das Auswärtige
Amt ein verändertes Nutzungskonzept für das Gelände
Tarabya in Istanbul vorgelegt, das allerdings nicht getra-
gen wurde. Es ist erstaunlich, welch ein Kraftakt für eine
gute Idee aufgewandt werden muss. Manchmal habe ich
den Eindruck, dass Verwaltungsgerangel stärker ist als
ein Beschluss des Deutschen Bundestages. Aber wir ge-
ben nicht auf.

Im kommenden Haushaltsjahr muss nachgelegt wer-
den. Für den Betrieb der Künstlerakademie Tarabya ste-
hen nicht ausreichend Mittel zur Verfügung, für die Sti-
pendien ebenfalls nicht. Insofern sage ich Ihnen, Herr
Außenminister, auch wenn Sie im Augenblick nicht in
diesem Raum sind: Hier können wir Ihre Unterstützung
gebrauchen. Es wäre angebracht, dass auch Sie sich für
dieses Projekt starkmachen.

Ich danke den Staatsministern, die für diesen Etat zu-
ständig sind, den Mitarbeitern der Verwaltung für ihre
Unterstützung, den Kolleginnen und Kollegen für die
Diskussion und Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707403200

Wolfgang Börnsen hat das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1707403300

Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! Petra Merkel,

ich schätze Kollegen, auch und gerade aus der Opposi-
tion, die fairerweise auch kulturpolitische Erfolge öffent-
lich anerkennen. Das ist nicht selbstverständlich. Sie
sind eine rühmliche Ausnahme.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Da sind wir uns doch immer einig, Herr Börnsen!)


Gestern vor zehn Jahren berichtete die Berliner Zei-
tung:

Kultur-Staatsminister Naumann verlässt das rot-
grüne Kabinett.

Er geht lieber zur Wochenzeitung Die Zeit.

Fast auf den Tag genau heute vor fünf Jahren hat Kul-
turstaatsminister Neumann sein Amt angetreten. Von
ihm ist nicht bekannt, dass er aussteigen will. Im Gegen-
teil, ihm macht diese Arbeit Freude: weil er Erfolg hat,
weil er sich der Unterstützung der Bundeskanzlerin si-
cher sein kann und weil er eine breite gesellschaftliche
Zustimmung erfährt.

Die Süddeutsche Zeitung zog vor sechs Tagen fol-
gende Bilanz:

Bernd Neumann, der Kulturstaatsminister des Bun-
des, ist im Kabinett Merkel ein fester Erfolg …
Keiner der Vorgänger hat mit solchem Erfolg die
Interessen seiner Klientel gewahrt.
Herzliche Gratulation zu diesem medialen Ritterschlag,
Herr Staatsminister!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Kulturpolitik in Deutschland ist Kernkompetenz im
Bundeskanzleramt. Sie ist ein zentrales Regierungsanlie-
gen. Sie dokumentiert die ideellen Werte, die es in unse-
rer Gesellschaft zu fördern gilt: Toleranz, Verständnis,
Kritikfähigkeit und Mitverantwortung. Sie ist sinnerfül-
lend, identitätsstiftend und trägt zur Lebensfreude bei.
Deshalb ist ihre Förderung und Finanzierung gerechtfer-
tigt.

Die Kulturpolitik des Bundes geht mit gutem Beispiel
voran. In den fünf Neumann-Jahren ist der Kulturetat
von 915 Millionen Euro auf 1,16 Milliarden Euro ange-
stiegen. Ich finde, das ist ein großartiger Erfolg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das Filmland Deutschland hat etwas davon gehabt:
Mit dem Filmförderfonds und hochklassigen Filmschaf-
fenden befinden wir uns jetzt in der europäischen Spit-
zenklasse.

Das Musikland Deutschland hat etwas davon gehabt:
Mit der Initiative Musik wurden unabhängig von der
Klassik Hunderte neue Projekte im Bereich der
50 000 Pop- und Jazzgruppen angestoßen.

Das Medienland Deutschland hat etwas davon ge-
habt: Mit der klugen Initiative „Ein Netz für Kinder“
wird erstmalig in dieser Form bei Heranwachsenden das
Demokratieverständnis gefördert.

Auch im sechsten Neumann-Jahr wird an der Kultur
nicht gekürzt. Damit kann die Digitalisierung der Kinos
verwirklicht werden. Das bedeutet nicht nur erstklassige
Kinos in den Metropolen, sondern auch in der Fläche.
Die mittelständische Kinowirtschaft wird gestärkt. Da-
mit können die Veranstalter des 500-jährigen Reforma-
tionsjubiläums 2017 sicher sein: Das Martin-Luther-
Jahr kann als Ereignis von Weltrang gewürdigt werden.
Experten gehen davon aus, dass 5 Prozent der weltweit
400 Millionen Protestanten 2017 das Mutterland der
Protestanten besuchen werden. Das ist eine kulturpoliti-
sche und kulturhistorische Herausforderung.

Bereits jetzt ist unser Land nach Frankreich auch we-
gen seines Kulturreichtums das zweitbeliebteste Reise-
land in Europa. Gut 90 Milliarden Euro werden durch
den Kulturtourismus eingenommen, und fast 2 Millionen
Menschen sichert er den Arbeitsplatz. Folgerichtig wird
im Kulturetat 2011 auch der Denkmalschutz weiter ge-
stärkt. 550 Kulturdenkmäler von nationaler Bedeutung
wurden allein durch diese staatliche Förderung für uns
alle gesichert. Tausende weitere kommen hinzu, ange-
stoßen und finanziert durch großartige Bürger und Pri-
vatinitiativen. Ihnen und den vielen Millionen Men-
schen, die unserer Gesellschaft im kulturellen Ehrenamt
verantwortungsbewusst Wissen und Wärme geben, gilt
unser Dank.





Wolfgang Börnsen (Bönstrup)



(A) (C)



(D)(B)

Durch die Neumann-Jahre wurde rückblickend auch
der Kultur- und Kreativwirtschaft bei uns zum Durch-
bruch verholfen. Diese Boombranche stellt bei 63 Mil-
liarden Euro Wertschöpfung bereits jetzt über 1 Million
Arbeitsplätze. Die Neumann-Jahre haben den großen
Museen, gerade auch hier in Berlin, den Gedenkstätten
und den Diktaturmahnmalen Profil und Perspektive ge-
geben.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Neumann glaubt das selber nicht! Er ist ganz erstaunt!)


Auch ein Beweis für ernsthafte Kulturförderung ist
die Beibehaltung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes
für Kulturgüter. Dafür treten wir auch weiterhin ein.


(Beifall der Abg. Agnes Krumwiede [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was Bernd Neumann für 2011 vorausblickend ange-
kündigt hat, findet die Unterstützung der gesamten
Union: die bundesweite Einrichtung von Zeitzeugenbü-
ros, die Beibehaltung der Stasiüberprüfung bis 2019, die
Schaffung eines Denkmals für Freiheit und Einheit, um
auch an die glücklichen Epochen unserer Geschichte zu
erinnern, und die Verwirklichung der Stiftung „Flucht,
Vertreibung, Versöhnung“, die durch die anerkennens-
werte polnische Beteiligung ihre Arbeit jetzt endlich auf-
nehmen kann. Auch die Fortentwicklung der Künstlerso-
zialkasse gehört dazu. Deren Stabilisierung war der erste
Schritt, weitere müssen folgen.

Schließen möchte ich mit einem Appell und einem
Dank.

Mein Appell gilt der Opposition. Sagen Sie nicht, wie
angekündigt, Nein zu mehr Geld für die Kultur, und ge-
ben Sie nicht die parlamentarische Gemeinsamkeit in der
Kulturpolitik auf. Damit würden Sie der Kulturpolitik
und den Kulturschaffenden unseres Landes schaden.

Mein Dank gilt den Initiatoren und Machern der
Europäischen Kulturhauptstadt 2010, der Stadt Essen
und der gesamten Ruhrregion. Sie haben unser Kultur-
land würdig, vital, locker und wunderbar ideenreich re-
präsentiert.


(Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!)


Herzlichen Dank von uns allen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707403400

Das Wort hat Dr. Lukrezia Jochimsen für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707403500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Natürlich kann die Opposition auch loben, lieber Herr
Kollege Börnsen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Also machen Sie mal!)

Das ist auch gar nicht so ungewöhnlich. Auch wir tun
das immer dann, wenn es angebracht ist.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen Sie mal! Es ist angebracht!)


Der Kulturhaushalt 2011, der uns heute ungekürzt
und sogar um 27 Millionen Euro erhöht vorgelegt wird,
verdient unseren Respekt, auch wenn wir dabei in Rech-
nung stellen, dass von den zusätzlich bewilligten 27 Mil-
lionen Euro über 15 Millionen Euro für den Denkmal-
schutz vorgesehen sind, die wiederum im Haushalt des
Bauministeriums gestrichen wurden.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aha!)


Das ist schon ein kleiner Etikettenschwindel. Es bleibt
aber verdienstvoll, dass auf diese Weise der Schutz der
Kultur in den verarmten Kommunen betrieben wird, den
ein anderes Ministerium kalt zur Disposition gestellt hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Die massiven Kürzungen in der Städtebauförderung
und beim Denkmalschutz sind schwerwiegende Fehlent-
scheidungen. Darauf haben wir immer wieder hingewie-
sen. Diese Fehlentscheidungen werden durch die 15 Mil-
lionen Euro im Kulturhaushalt natürlich nur zu einem
Teil revidiert, womit wir beim eigentlichen Problem die-
ser Debatte sind: Der Abstand zwischen dem, was der
Bund kulturell ermöglicht, und dem, was die Kommunen
für die Kultur leisten können, wird immer größer. Die
Linksfraktion ist nach wie vor der Auffassung, dass der
Bund finanzpolitisch umsteuern und die kulturelle Infra-
struktur in unseren großen und kleinen Städten, auf dem
Land und in den Armutsvierteln retten muss,


(Beifall bei der LINKEN)


und zwar aus nationaler Verantwortung und auch aus
Verantwortung als Verursacher; denn die Misere der
Kommunen ist eine Folge der absoluten Misswirtschaft
der Regierung, und das wissen Sie hier auch.


(Beifall bei der LINKEN)


In diesem Zusammenhang begrüßen wir, dass die
Kulturstiftung des Bundes zusätzliche 2 Millionen
Euro erhält. Wir setzen uns seit Jahren für diese Einrich-
tung ein, weil sie nach unserer Ansicht eine Schlüssel-
rolle im Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Kom-
munen spielen sollte. Mit der Förderung von national
bedeutsamen Projekten überall im Land werden die
Kommunen entlastet. Wichtig dabei ist aber, dass die
Länder diese Modellprogramme dann auch übernehmen
und fortsetzen.

Wir brauchen einen kooperativen Kulturföderalis-
mus. Ohne ihn wird die Kulturkrise, die Bedrohung der
Theater, der Bibliotheken, der Museen und der soziokul-
turellen Zentren, in den nächsten Jahren in den Ländern
und den Kommunen nicht zu bewältigen sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Agnes Krumwiede [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir brauchen mehr nationale Verantwortung für diese
Kultur. Diese kulturelle Vielfalt kann nur von Bund,





Dr. Lukrezia Jochimsen


(A) (C)



(D)(B)

Ländern und Kommunen gemeinsam erhalten werden.
Dafür müssen wir endlich auch die gesetzlichen Grund-
lagen schaffen. Wir fordern seit Jahren beharrlich die
Verankerung des Staatsziels Kultur und eine Gemein-
schaftsaufgabe Kultur im Grundgesetz.


(Beifall bei der LINKEN)


Das muss jetzt endlich geschehen – in diesen Zeiten der
Not.

Und noch etwas muss geschehen in diesen Zeiten der
Not: Wir müssen genau hinsehen, wofür die hart um-
kämpften Mittel ausgegeben werden. Da kann ich Ihnen,
Herr Staatsminister, den Vorwurf einfach nicht ersparen,
dass Sie Millionen für die Bundesstiftung „Flucht, Ver-
treibung, Versöhnung“ ausgeben. Mit einem Stiftungsrat
ohne Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschland,
mit einem Wissenschaftlichen Beirat ohne Vertreter der
Roma und Sinti widerspricht diese Institution eindeutig
ihrem Stiftungszweck,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


den wir hier in diesem Haus verabschiedet haben. Ich
frage: Wie lange wollen Sie dieses Gebilde – als Bun-
desstiftung wohlgemerkt – der Öffentlichkeit gegenüber
vertreten und finanzieren? 2,5 Millionen Euro im Jahr
2011 – spätestens da endet das Lob für den Kulturhaus-
halt; denn mit diesen Millionen ließe sich wahrlich Bes-
seres für die Kultur unseres Landes bewirken.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707403600

Das Wort hat Reiner Deutschmann für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Reiner Deutschmann (FDP):
Rede ID: ID1707403700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen!


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber jetzt! Gas geben!)


Der Haushalt 2011 steht ganz im Zeichen der Haushalts-
konsolidierung. Das erfordert auch vom Bund, dass er
Maßnahmen ergreift, um die Staatsfinanzen endlich wie-
der auf solide Füße zu stellen. Dies erfüllt die christlich-
liberale Koalition und setzt dabei klare Prioritäten.

Deshalb ist es besonders zu begrüßen, dass sich die
Koalition deutlich dazu bekennt, die Bereiche Bildung,
Forschung und eben auch Kultur aus dem Sparkorridor
herauszunehmen; denn in diesen Bereichen entstehen die
Ideen, die unser Land so erfolgreich machen. Auch des-
halb begreift sich Deutschland zu Recht als Kulturna-
tion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Be-
reinigungssitzung des Haushaltsausschusses ist es gelun-
gen, der Kultur einen Aufwuchs von 27 Millionen Euro
zu sichern. Dafür ein herzlicher Dank an die Haushalts-
politiker.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Als sächsischer Abgeordneter bin ich natürlich beson-
ders stolz darauf, dass wir den hochwassergeschädigten
Kultureinrichtungen in Sachsen auch 2011 unter die
Arme greifen können. So erhalten der Fürst-Pückler-
Park in Bad Muskau und das Kloster St. Marienthal in
Ostritz 5 Millionen Euro zur Beseitigung gravierender
Flutschäden.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Auch die Finanzausstattung der Kulturstiftung des
Bundes ist durch die Bereinigungssitzung um 2 Millio-
nen Euro auf 37 Millionen Euro gestiegen. Dies ermög-
licht, zahlreiche laufende Projekte weiter zu fördern und
neue, innovative Projekte in die Förderung aufzuneh-
men. So werden gerade Kommunen in die Lage versetzt,
ambitionierte Projekte umzusetzen, die für sie allein so
nicht durchführbar wären.

Auch die zusätzlichen 15 Millionen Euro, die der
Substanzerhaltung und Restaurierung von unbewegli-
chen Kulturdenkmälern dienen, kommen Kommunen
und vor allem den Ländern zugute.

Weitere 5 Millionen stehen für die Förderung kultu-
reller Einrichtungen zur Verfügung, wie beispielsweise
für den Bundesverband Freier Theater, worauf wir Libe-
rale besonders stolz sind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch mit dem Kulturetat des Bundeswirtschaftsminis-
teriums sind wir auf einem guten Weg. Die Kultur- und
Kreativwirtschaft wird trotz des Auslaufens der Sonder-
mittel aus dem Konjunkturprogramm mit 3,5 Millionen
Euro gefördert. Erst vorgestern wurde das achte Regio-
nalbüro der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft in
Stuttgart eröffnet. Somit steht inzwischen ein bundeswei-
tes Angebot zur Verfügung.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Zu guter Letzt möchte ich noch einmal die Haushälter
positiv nennen; denn durch sie ist es gelungen, auch im
Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ei-
nen Aufwuchs zu erzielen. Somit kann die hervorra-
gende Arbeit des Goethe-Instituts im Bildungs- und Kul-
turbereich im Ausland weiter fortgesetzt werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Koppelin! Jawohl!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir setzen
um, was wir versprochen haben. Dieser Haushalt ist ein





Reiner Deutschmann


(A) (C)



(D)(B)

klares positives Signal für die Kultur. Trotz genereller
Einsparungen räumt die christlich-liberale Koalition der
Kultur höchste Priorität ein.

Danke.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707403800

Die nächste Rednerin ist Agnes Krumwiede für

Bündnis 90/Die Grünen.


Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707403900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Bereinigungssitzung hat dem Kulturetat
für 2011 einige Überraschungseier beschert: 5 Millionen
Euro mehr zur Verstärkung kultureller Förderung,
2 Millionen Euro zusätzlich für die Bundeskulturstif-
tung. Überraschungseier haben nur leider einen Nach-
teil: Man weiß nicht genau, was drin ist. Mittel für die
Kultur zu organisieren, ist das eine. Genauso wichtig
wäre aber, Transparenz darüber zu schaffen, was mit die-
sen Geldern passieren soll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Kulturhaushalt bleibt nebulös, was die gezielte
Unterstützung von Künstlern und die kulturelle Förde-
rung betrifft. Konkret dagegen sind die Geschenke an
Herrn Neumanns Klientel, an die deutschen Vertriebe-
nenverbände oder an seinen Wahlkreis Bremen. Mit der
Begründung „gesamtstaatliche Bedeutung“ bekommt die
Bremer Kunsthalle 5 Millionen Euro für einen Anbau.
Das Kabinett darf auch 2011 wieder als Finanzierungs-
partner über den roten Teppich der Bayreuther Festspiele
schreiten. Im nächsten Jahr erhält Bayreuth 2,3 Millio-
nen Euro vom Bund.


(Beifall des Abg. Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU] – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Ist doch richtig!)


Wir Grüne sind keine Antiopernpartei; aber es tut uns
leid um all die Festspiele, Bühnen und Museen, die von
Kürzungen bedroht sind und leider nicht das Privileg ge-
samtstaatlicher Bedeutung zugesprochen bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Warum werden eigentlich immer die Kulturevents mit
Bundesmitteln vergoldet, die sowieso schon glänzen?
Zwei Drittel der Theater- und Tanzschaffenden in
Deutschland sind arm. Sie leben unterhalb der Armuts-
grenze.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Da hat sie recht!)


Auf unsere Anregung hin hat sich der Kulturausschuss
zum ersten Mal in seiner Geschichte ausführlich mit dem
Thema Tanz beschäftigt. Wegen der enormen körperli-
chen Belastung ist die Karriere für die meisten Tänzer
mit 35 beendet. Umschulungsmaßnahmen in einem dem
Tanz verwandten Beruf bekommen sie in der Regel vom
Arbeitsamt nicht finanziert. Die Stiftung TANZ-Transi-
tion unterstützt Tänzer beim Übergang in einen neuen
Beruf. Ab April 2011 ist die Weiterführung der Stiftung
nicht mehr gesichert. Unseren Haushaltsantrag zur För-
derung von TANZ-Transition hat die Regierung abge-
lehnt.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerhört!)


Ich bin fassungslos, dass Sie bei einem Etat von
1 Milliarde Euro keine 50 000 Euro für den Tanz übrig
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unsere Tanzkultur ist von genauso großer gesamtstaatli-
cher Bedeutung wie der Wagner-Kult. Rein aus Prinzip
und ohne Empathie für die Kreativen Vorschläge der Op-
position abzuschmettern, dient nicht den Künstlerinnen
und Künstlern in Deutschland und auch nicht unserer de-
mokratischen Kultur.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Immerhin wollen Sie unseren Antrag umsetzen, den
Bundesverband Freier Theater mit 100 000 Euro zu un-
terstützen. Auch die FDP ist stolz auf diesen Antrag der
Grünen.


(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vielleicht steckt hinter den 2 Millionen Euro für die Bun-
deskulturstiftung auch unser Vorschlag, ein Förderpro-
gramm für Jugendkultur aufzulegen. Unser Konzept
möchte Workshops mit pädagogisch erfahrenen Künst-
lern an Bildungseinrichtungen fördern. Denn Bildungs-
gutscheine ohne Anreize sind sinnlos. Ein Kind, das den
Wert von Musik nie vermittelt bekommen hat, wird sich
wohl kaum für Musikschulgutscheine begeistern können.
Deshalb sind mehr kostenlose und kreative Angebote an
den Schulen und Jugendzentren notwendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Rahmen des Streichkonzerts der Bundesregierung
innerhalb der Städtebauförderung wurde das Programm
„Soziale Stadt“ zusammengeschrumpft. Die Projektför-
derung wurde gestrichen. Unser Konzept zur Stärkung
von Jugendkultur wäre eine geeignete Lösung, trotz-
dem kulturelle und integrative Projektförderung in be-
nachteiligten Stadtbezirken zu ermöglichen.

Kultur hat ihren eigenen Wert, unabhängig vom wirt-
schaftlichen oder gesellschaftlichen Nutzen. Die aktive
Teilnahme an Kunst kann helfen, Defizite unserer Leis-
tungs- und Stressgesellschaft zu kompensieren. Fantasie,
Selbstvertrauen, mehr Respekt und Toleranz: All das
kann vielseitig verstandene Kulturförderung positiv be-
einflussen. Mehr Raum, Zeit und Mittel für Jugendkultur
bedeuten weniger seelische Obdachlosigkeit bei Kindern
und Jugendlichen.






(A) (C)



(D)(B)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707404000

Frau Kollegin!


Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707404100

Ich komme gleich zum Schluss. – Die Mittel zur Auf-

legung unseres Förderprogramms sind jetzt dank Ihnen,
Herr Neumann, vorhanden. Bitte setzen Sie sich dafür
ein, dass unser Förderprogramm „Jugendkultur Jetzt“
durch die Bundeskulturstiftung aufgelegt wird.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707404200

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen

Jürgen Koppelin das Wort.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1707404300

Frau Kollegin, ich bin als Haushälter für den Etat des

Staatsministers für Kultur zuständig. Ich will auf Ihre Kri-
tik zu den Wagner-Festspielen eingehen. Man kann es so
sehen, wie Sie es dargestellt haben. Aber ich bekenne
mich dazu, dass ich diese Mittel mit freigegeben habe.
Grund war – ich war selber noch nie bei den Wagner-Fest-
spielen –, dass ich jedes Jahr sehe, wie Claudia Roth mit
strahlendem Gesicht zu den Wagner-Festspielen geht,
und ich dachte, ich täte etwas Gutes.


(Heiterkeit)


Ich dachte, ich setze mich dafür ein, dass nicht nur Frau
Claudia Roth, sondern auch andere Grüne zu den
Wagner-Festspielen gehen können. Ich habe mich jetzt
durch Sie belehren lassen. Schade; das nächste Mal muss
ich das dann entsprechend berücksichtigen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707404400

Zur Antwort Frau Krumwiede.


Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707404500

Ich muss betonen, dass auch ich Wagner sehr gerne

mag. Ich war noch nie bei den Festspielen, weil ich noch
nie eine Karte bekommen habe. Das ist bei den Wagner-
Festspielen immer sehr problematisch. Darüber müssen
wir uns vielleicht an anderer Stelle noch einmal unter-
halten.

Das wollte ich auch gar nicht ins Verhältnis setzen.
Ich frage mich, warum zum Beispiel in die Wagner-Fest-
spiele 2,3 Millionen Euro fließen. Warum fließen die
Gelder des Bundes immer dorthin, wo sowieso schon al-
les schillert, und nicht dorthin, wo man eigentlich mehr
kulturelle kreative Teilhabe bräuchte, zum Beispiel in
die Jugendkultur? Das wollte ich damit sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707404600

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur na-

mentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 in der
Ausschussfassung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-
setzt? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich
die Abstimmung.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707404700

Ist eine Kollegin oder ein Kollege im Saal, die ihre

bzw. der seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das
ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)

Darf ich Sie bitten, wenn Sie die Debatte nicht weiter-
verfolgen wollen, Ihre Gespräche vor dem Saal zu füh-
ren, damit wir uns auf die weitere Diskussion konzen-
trieren können?

Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf:

Einzelplan 05
Auswärtiges Amt

– Drucksachen 17/3505, 17/3523 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler

Interfraktionell wurde vereinbart, darüber zwei Stun-
den zu diskutieren. – Ich sehe, damit sind Sie einverstan-
den. Dann werden wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1707404800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor ich zum Haushalt des Auswärtigen Amtes komme,
möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Haushaltsreferats im Auswärtigen Amt mit Dr. Morhard
an der Spitze ganz herzlich danken. Ich möchte mich da-
für bedanken, dass sie uns mit Informationen zum Haus-
halt des Auswärtigen Amtes zuverlässig, schnell und um-
fangreich nicht nur während der Haushaltsberatungen,
sondern über das ganze Jahr versorgt haben. Ich möchte
mich auch bei den Mitberichterstattern bedanken – ich
glaube, es war ein faires Miteinander, das wir vorgelebt
haben. Insbesondere möchte ich unserem Hauptberichter-
statter, dem Kollegen Frankenhauser, der erkrankt ist,
herzliche Genesungswünsche von dieser Stelle aus schi-
cken.


(Beifall)


1) Ergebnis Seite 8094 D





Klaus Brandner


(A) (C)



(D)(B)

Mein Dank gilt aber auch Ihnen, Herr Minister, für
die Gesprächsbereitschaft und den guten Kontakt. Da ich
gerade das Positive anspreche: Wir haben uns sehr da-
rüber gefreut, dass Deutschland in den Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen gewählt wurde und dass Sie die Ar-
beit der von Ihren Vorgängern eingesetzten und unter-
stützten unabhängigen Historikerkommission – Das Amt
und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten
Reich und in der Bundesrepublik – zum Abschluss ge-
bracht haben und darüber sehr offensiv berichtet haben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich finde, das ist eine späte, aber beispielhafte Aufarbei-
tung der Geschichte. Andere Ministerien sollten sich da-
ran durchaus messen lassen und dieses Thema aufgrei-
fen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Für den Haushaltsplan 2011 des Auswärtigen Amtes
kann ich eine solche Anerkennung leider nicht ausspre-
chen. Das können Sie von uns nicht erwarten. Vorab: Ich
finde, der Haushalt des Auswärtigen Amtes ist deutlich
unterfinanziert. Um es klar zu sagen: Das ist kein Spar-
haushalt, sondern ein Kürzungshaushalt, der unseren
Anforderungen nicht gerecht wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Er ist ungerecht, teilweise unsolide und widersprüchlich.
Er ist ungerecht, weil Kürzungen zulasten der Ärmsten
der Welt gehen, während innenpolitisch unsinnige Steuer-
geschenke gemacht wurden und weitere geplant sind. Er
ist ungerecht, weil die Mittel für die humanitäre Hilfe,
die Flüchtlingshilfe im Ausland und für Maßnahmen des
humanitären Minenräumens um fast 15 Prozent gekürzt
werden. Er ist ungerecht, weil Mittel für Demokratisie-
rungs- und Ausstattungshilfe und für Maßnahmen zur
Förderung der Menschenrechte um fast 43 Prozent ge-
kürzt werden. Er ist ungerecht, weil die Mittel für Kri-
senprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewälti-
gung um fast 30 Prozent gekürzt werden.

Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass die Unter-
stützung einzelner Länder immer dann unterbleiben oder
reduziert werden kann, wenn sich die Situation verbes-
sert hat, wenn Fortschritte oder Veränderungen eingetre-
ten sind. Aber solche Fortschritte oder Veränderungen
sind eben nicht in großem Maße eingetreten. Im Gegen-
teil: Es gibt in vielen Bereichen noch größere Bedarfe als
zuvor. Ich denke dabei insbesondere an Pakistan und die
ärmsten Länder Afrikas, zum Beispiel Simbabwe und
die Länder in der Region der Großen Seen. Die Mittel
für diese Länder werden gekürzt, wofür wir kein Ver-
ständnis haben. Wir empfinden das als ungerecht, und
das sollte so deutlich angesprochen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das hat mit sinnvoller Haushaltskonsolidierung
nichts zu tun; vielmehr hat es Signalwirkung, wenn der
Haushalt insgesamt um circa 3 Prozent, aber die Mittel
für Krisenprävention, für Demokratisierungshilfe und
für Friedenserhaltung um bis zu 43 Prozent gekürzt wer-
den. Das ist schlichtweg unangemessen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Der Haushalt ist nicht nur ungerecht, er ist auch in
Teilen unsolide; denn die Sondermittel aus dem Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung, die in Höhe
von 50 Millionen Euro an das Auswärtige Amt gehen
sollten, werden zum Stopfen von Haushaltslöchern ge-
nutzt, und das, obwohl sie zusätzlich, zweckgebunden
ausgegeben werden sollten. Sie sollten nicht einfach um-
geleitet werden, sondern im Bereich der Auswärtigen
Bildungs- und Forschungspolitik dem Ziel dienen, zum
Beispiel Aktivitäten der deutschen Auslandsschulen, die
zusätzliche Investitionen zum Nutzen der proklamierten
„Bildungsrepublik Deutschland“ dringend benötigen, zu
finanzieren. Hier ist zu Unrecht fast gar nichts angekom-
men. So machen wir aus der Bildungsrepublik Deutsch-
land eine Kürzungsrepublik. Ich glaube nicht, dass wir
das sein wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viele Auslandsschulen fürchten um ihre Existenz.
Uns haben viele Briefe von Schulen in Europa, Süd-
afrika und Südamerika erreicht. Sie alle mussten oder
müssen die Schulbeiträge deutlich erhöhen oder Kredite
aufnehmen, um die Existenz ihrer Schule zu sichern. Das
alles geschieht, weil von dem Anteil des Auswärtigen
Amtes am Sonderprogramm für Bildung und Forschung
gar nichts dort ankommt, wo es eigentlich hinfließen
sollte. Deshalb ist es zynisch, zu behaupten, dass diese
Bundesregierung zusätzlich in Bildung und Forschung
investiert. Im Auswärtigen Amt ist jedenfalls nichts da-
von zu sehen. Wer unter „zusätzlich“ versteht, dass ge-
kürzt wird, der hat die Grundrechenarten nicht gelernt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In Afghanistan leisten wir einen notwendigen Bei-
trag. Es ist jedoch kein Zeichen für eine solide und zu-
verlässige Haushaltspolitik, wenn die zusätzlichen Mit-
tel für die Befriedung und Stabilisierung Afghanistans
nicht mehr zusätzlich zur Verfügung gestellt werden,
sondern zulasten anderer Maßnahmen, zum Beispiel der
Krisenprävention, gehen.

Von Ihnen, Herr Minister, und den Kolleginnen und
Kollegen der Koalitionsfraktionen hätte ich im Haus-
haltsausschuss mehr Engagement erwartet. Man hätte
diesen zusätzlichen Aufgaben Rechnung tragen müssen.
Eine der Vorrednerinnen hat ausgeführt, wie das Engage-
ment von Herrn Staatsminister Neumann dazu geführt
hat, dass während der Beratungen im Haushaltsaus-
schuss zusätzlich 27 Millionen Euro für Kultur im Etat
des Kanzleramts bewilligt wurden. Ich hätte mir ein sol-
ches Engagement auch im Bereich des Auswärtigen ge-
wünscht, damit für die notwendigen Ausgaben die erfor-
derlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Geärgert hat mich der Umgang mit der Kulturakade-
mie Tarabya. Ursprünglich sind 6 Millionen Euro vom
Parlament bewilligt worden. 14 Stipendiaten sollten dort





Klaus Brandner


(A) (C)



(D)(B)


dert, obwohl sie gar nicht mit dem Projekt befasst waren. Ich könnte noch weitere Beispiele nennen. Bevor ich

nur: Hier wurde konsequent der Wille des Parlaments
missachtet. Unabhängig davon, was jeder Einzelne von
der Kulturakademie Tarabya denkt: So kann man mit
dem Parlament nicht umgehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Letztlich können doch Sie selbst, Herr Bundesminis-
ter, mit dem Haushalt nicht zufrieden sein; denn er ist
widersprüchlich in zentralen Fragen Ihres eigenen An-
spruchs. Sie haben in Ihrer Grundsatzrede auf einer Ver-
anstaltung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige
Politik am 21. Oktober 2010, also im letzten Monat, ge-
sagt:

Abrüstung ist endlich wieder als Zukunftsthema der
internationalen Politik anerkannt.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: So ist es!)


Ich freue mich, wie viel Dynamik die vergangenen
Monate über in die Diskussion über Abrüstung,
Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung gekom-
men ist.

Weiter haben Sie, Herr Westerwelle, gesagt: „… deut-
sche Außenpolitik ist Abrüstungspolitik.“ Im Haushalts-
plan erkenne ich jedoch nur eine Dynamik nach unten.
Genau hier wird um 32 Prozent gekürzt, obwohl sich der
Bedarf des Handelns deutlich vergrößert hat. Hier be-
steht ein eklatanter Widerspruch zwischen dem, was ge-
sagt, und dem, was in der Praxis materiell hinterlegt
wird.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Der Haushalt widerspricht Ihnen, auch beim Thema

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1707404900


In unserer globalisierten Welt können zerfallende
und gescheiterte Staaten und regionale Konflikte
unsere Sicherheit unmittelbar beeinträchtigen. Kri-
senbewältigung fernab unserer Grenzen ist heute
ein fast alltäglich gewordener Beitrag zur Sicher-
heit innerhalb unserer Grenzen.

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 588;

davon

ja: 314

nein: 274

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
tive Dinge ansprechen.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707405000

Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Redezeit.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1707405100

In den Beratungen des Haushaltsausschusses hat es

Veränderungen zum Besseren gegeben: Im Hinblick auf
die humanitären Hilfen, die deutschen Auslandsschulen,
die deutschen Auslandsdienstlehrkräfte und das ZIF
wurden deutliche Verbesserungen erzielt; ich will das
hier ausdrücklich anerkennen.

Das alles ist aber bei weitem nicht genug. Gerade in
der Außenpolitik kann man mit wenig Geld vieles bewir-
ken. Kontinuität und Zuverlässigkeit müssen zu unserer
Außenpolitik gehören. Ich bleibe dabei: Der Haushalts-
entwurf ist, insgesamt gesehen, ungerecht, weil bei den
Ärmsten gekürzt wird, er ist unsolide, weil Gelder für
Bildung und Forschung zweckentfremdet werden, und er
ist widersprüchlich, weil entgegen der Ankündigung von
einer Schwerpunktsetzung bei der Abrüstungspolitik bei
der zivilen Krisenprävention und bei Schwerpunktregio-
nen gekürzt wird. Aus diesem Grunde können wir dem
Haushalt nicht zustimmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707405200

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe

ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsaus-
schusses zum Einzelplan 04, dem Geschäftsbereich der
Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes, bekannt:
abgegebene Stimmen 588. Mit Ja haben gestimmt 314,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


mit Nein haben gestimmt 274. Enthaltungen gab es
keine. Damit ist der Einzelplan 04 angenommen.

Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)


Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Überhaupt erfuhr man vieles nur über Dritte. Klar war zum Schluss komme, will ich aber zwei oder drei posi-
tätig werden. Dann gab es e
Staatsministerin, wonach nu
umgebaut werden sollten. Mi
die Botschaft renoviert werde
und Her und eine diffuse Info
ausschuss Auswärtige Kul
wurde gesagt, die Haushälter
in erweitertes Konzept der
r noch vier Appartements
t dem restlichen Geld sollte
n. Es gab ein ständiges Hin
rmationspolitik. Im Unter-
tur- und Bildungspolitik
hätten das Projekt verhin-
Die Erkenntnis ist gut. Ich
Aber vor diesem Hintergrund
nahe fahrlässig zu nennen; d
nahmen zur Krisenpräventi
Konfliktbewältigung werden
Das ist ein Widerspruch, den
sen, die letztlich für diese Po
teile sie uneingeschränkt.
ist der Haushaltsplan bei-

enn die Mittel für die Maß-
on, Friedenserhaltung und
um fast 30 Prozent gekürzt.
diejenigen aufklären müs-
litik stehen.





Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr

zu Guttenberg
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner





Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Nein

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde





Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)


Kolleginnen und Kollegen, beim Haushalt an sich ist Lassen Sie mich dazu sagen: Ich halte es für einen
muss sein, Herr Brandner. Ha
zert, und gute Politik muss
Geld kosten.


(Sven-Christian Kindle GRÜNEN]: Sie hatten d das Liberale Sparbuch!)


Sparziele gelten auch für das
Auswärtige Amt erbringt eine
Das begrüßen wir. Mein Koll
ausführlicher auf die eigentli
gehen.

Ich will ein paar Dinge zu
die uns sehr wahrscheinlich
ushalt ist kein Wunschkon-
auch nicht unbedingt viel

r [BÜNDNIS 90/DIE
och mal ein Sparbuch,

Auswärtige Amt. Auch das
n Anteil an den Sparzielen.

ege Djir-Sarai wird nachher
chen Haushaltsaspekte ein-

den großen Themen sagen,
im nächsten Jahr vor allen
aber auch offene Sprache Ru
haben. Wir haben es jetzt g
Stück Verhandlungserfolg de
in Zukunft zusammen mit Ru
hungsanalysen erstellt werde
auf Russland zu. Deswegen e
dass sich Russland bewegt
reitschaft bei Frozen Conflic
da einige Beispiele ein.

Der OSZE-Gipfel in Asta
uns hier im Hause gemeinsam
mit diesem Gipfel umgehen
Russland hat das Potenzial,
überraschen. Beim Transnistr
ssland gegenüber gefunden
eschafft – das ist auch ein
r Bundesregierung –, dass
ssland gemeinsame Bedro-
n. Das ist also ein Schritt
rwarten wir jetzt aber auch,
und seine Kooperationsbe-
ts zeigt. Konkret fielen mir

na steht bevor. Wir haben
darüber gestritten, wie wir
sollen. Aber eines ist klar:
uns in Astana positiv zu
ienkonflikt wäre viel Raum
die Einigkeit allerdings schon wieder weg, denn Sparen großen Erfolg, dass wir eine ausgewogene, fordernde,
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger

Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)


Nun hat das Wort der Kollege Michael Link für die
FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Link (FDP):
Rede ID: ID1707405300

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich fand

es von Ihnen sehr fair, Herr Brandner, dass Sie eingangs
das Thema Vergangenheitsbewältigung angesprochen
haben. In der Tat ist die Frage, wie sich eine Institution
wie das Auswärtige Amt an diese schwierige, an diese
schlimmste Zeit in der deutschen Geschichte erinnert,
sehr wichtig. Genauso wie Sie begrüßen wir, dass der
Bundesaußenminister dieses Thema in der Reihe mit sei-
nen Vorgängern – das will ich ganz bewusst sagen; denn
es ist etwas, was uns über die Parteigrenzen hinweg
eint – offensiv angegangen ist. Wir müssen uns mit die-
sem Thema noch weiter befassen. Er hat an die von ihm
eingesetzte Kommission die Frage formuliert, wie in Zu-
kunft mit Nachrufen auf und Bildern von in nationalso-
zialistische Verbrechen verwickelten Angehörigen des
Auswärtigen Amtes umgegangen werden soll. Wir be-
grüßen das sehr und freuen uns, dass die Arbeit an die-
sem Thema weitergeht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Monika Lazar
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)


Krista Sager
Manuel Sarrazin
Dr. Gerhard Schick
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

anderen ganz besonders im Bereich der auswärtigen
Politik, aber auch der Europapolitik beschäftigen wer-
den. Das ist zum einen die Wahl Deutschlands in den
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Es ist ein wirk-
licher Verhandlungserfolg der Bundesregierung, der
Bundeskanzlerin und des Bundesaußenministers, dass es
gelungen ist, für die nächsten zwei Jahre im Sicherheits-
rat Politik mitzugestalten.

Wir als christlich-liberale Koalition haben immer ge-
sagt: Wir stehen auch und gerade im internationalen Be-
reich für Verantwortungsübernahme. Wo täte man das
besser als im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Daran anschließend komme ich – das ist zwar ein
kleiner Rückblick, aber lassen Sie es mich dennoch an-
sprechen – auf das Strategische Konzept der NATO. Das
ist ein ganz wichtiger Punkt. Auch hier sind wichtige
Durchbrüche gelungen. Natürlich hätte man sich mehr
wünschen können. Aber positiv ist, dass wir all die Be-
drohungen durch das Internet – Cyberattack, Cyberwar –
in Zukunft nicht nach Art. 5, sondern nach Art. 4 hand-
haben werden. Damit ist auch klargestellt, dass es nicht
zunächst eine Sache des Militärs, sondern der zivilen
Einrichtungen ist, das zu bekämpfen. Das ist ein ganz
wichtiger Punkt dieses neuen Strategischen Konzeptes
der NATO, durchgesetzt vom Außenminister.





Michael Link (Heilbronn)



(A) (C)



(D)(B)

dafür. Wir möchten wirklich gemeinsam mit der russi-
schen Seite zu einer Lösung dieser Frozen Conflicts
kommen, und mit Transnistrien sollten wir anfangen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ein anderer Bereich – da fehlt mir die Zeit, ihn aus-
führlich zu erwähnen – ist das Thema Menschenrechte.
Das Urteil oder auch Nicht-Urteil – jedenfalls möchte
ich es nicht als solches bezeichnen, wo auch immer es
geschrieben wird – im Chodorkowski-Prozess steht kurz
bevor. Die Menschenrechtslage in Russland ist ein
Thema, wo wir auch weiterhin sehr genau hinschauen
müssen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich in der verbleibenden Zeit noch kurz
zum Thema Europäische Union kommen. Mir macht es
große Sorgen, wie wir mit dem Thema EU umgehen. An-
gesichts der immer kritischer werdenden Stellungnahmen
zu Europa – nicht nur in Deutschland, sondern in der gan-
zen Europäischen Union –, angesichts der Anti-EU-Tira-
den, die immer mehr werden, stelle ich mir die Frage:
Werben wir eigentlich genug für die europäische Idee?
Erklären wir sie richtig? Vermitteln wir ihre Bedeutung
ausreichend?

Schon gibt es einige, die der Renationalisierung das
Wort reden. Lassen Sie mich das ganz deutlich sagen:
Zunächst geht es bei denen, die das wollen, um die Re-
nationalisierung des Euro. Der nächste Schritt wäre eine
Auflösung bzw. Desintegration der Europäischen Union.
Das kann auf keinen Fall im deutschen Interesse sein –
im europäischen ohnehin nicht. Lassen Sie uns jetzt
– ganz besonders in der Griechenland- und Irlandkrise –
ganz klar gemeinsam dagegen Stellung nehmen und
deutlich sagen: Wir haben die Instrumente; wir haben sie
für drei Jahre geschaffen, um auch einen Fall wie Irland
bewältigen zu können. Aber bitte, machen wir uns nichts
vor: Wir dürfen diesen Rettungsschirm nicht einfach
verlängern. Wir müssen im Gegenteil intensiv daran ar-
beiten, wie wir diesen Rettungsschirm durch etwas
Neues ersetzen, und zwar durch etwas, was eben nicht
auf Dauer das Risiko der Marktteilnehmer sozialisiert
und auf die Steuerzahler abschiebt, sondern das die Be-
teiligung der Gläubiger, insbesondere der privaten, si-
cherstellt. Denn als Liberaler ist für mich eines klar:
Kein Markt ohne Risiko. Dieses Risiko muss wieder auf
den Finanzmärkten eingepreist werden; denn ansonsten
werden wir mit der sozialen Marktwirtschaft der Euro-
päischen Union und insbesondere mit dem Euro tatsäch-
lich in noch viel ernsthaftere Probleme kommen.

Deshalb steht für meine Fraktion ganz vorne – das ist
für sie ganz wichtig – der Punkt: Wir müssen unbedingt
diesen Rettungsschirm durch etwas Neues, durch einen
robusten Mechanismus ersetzen, bei dem nicht einfach
wieder Rettung vor Eigenverantwortung steht. In Zu-
kunft muss ganz klar Eigenverantwortung vorne stehen.
Das wird eines der Megathemen des nächsten Jahres
sein.

Mein letzter Satz, Frau Präsidentin: Ich möchte den
Diplomatinnen und Diplomaten des Auswärtigen Amtes
auch im Namen der FDP-Fraktion ganz herzlich danken.
Sie verrichten einen Dienst, der oft auch sehr gefährlich
ist. Wir danken zu Recht den Soldatinnen und Soldaten.
Aber wir sollten auch unseren Diplomatinnen und Diplo-
maten für den Dienst danken, den sie für uns in der gan-
zen Welt auf ihren Posten leisten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707405400

Das Wort hat der Kollege Stefan Liebich für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707405500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Unser Außenminister sagt, dass deutsche Außenpolitik
Friedenspolitik und Abrüstungspolitik ist und dass
unser Land seine Politik der militärischen Zurückhaltung
fortsetzen will.


(Otto Fricke [FDP]: Da hat er recht!)


Das ist der Anspruch, an dem er sich auch messen lassen
muss.


(Otto Fricke [FDP]: Messen lassen kann!)


Die Zahlen in diesem Haushalt sprechen leider eine ganz
andere Sprache.

Mehr als 7 000 Soldatinnen und Soldaten befinden
sich im Ausland, die meisten im Krieg in Afghanistan.
Bei der zivilen Konfliktprävention, also der Vermeidung
von Kriegen, bevor sie ausbrechen, für die wichtige Ar-
beit der Vereinten Nationen, bei der Auswärtigen Kultur-
und Bildungspolitik wird hingegen weniger Geld ausge-
geben als in der Vergangenheit. Das beim Millenniums-
gipfel abgegebene Versprechen Deutschlands, 0,7 Prozent
seines Bruttosozialprodukts für Entwicklungszusam-
menarbeit zu investieren, ist gebrochen worden. Da
klingt die Forderung an andere Länder schon seltsam,
dass sie ihre Wirtschaft öffnen sollen. Die Menschen in
den Entwicklungsländern fragen sich: Was tut ihr im
Westen für mehr Handelsgerechtigkeit? Wirtschaftliche
Öffnung ist keine Einbahnstraße.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nun gibt es ja eine Standardantwort auf die Opposi-
tionskritik; der Kollege Link hat sie auch gerade gege-
ben, indem er gesagt hat: Sparen muss sein. Nun ist der
Sparzwang, dem auch das Außenministerium unterliegt,
nicht gottgegeben. Die Schuldenbremse, die hier be-
schlossen wurde, ist selbst gewähltes Elend. Die Bun-
deskanzlerin sagt ja immer wieder, so ein Instrument
gibt es nur in einem Land auf der Erde, und es wird auch
nur in einem Land auf der Erde genutzt. Da kann man ja
einmal fragen: Warum eigentlich?

Keine Schuldenbremse zu haben, heißt nicht automa-
tisch, dass der Haushalt aus dem Ruder laufen muss. Die
von Rot-Rot regierten Bundesländer Berlin und Meck-
lenburg-Vorpommern haben gezeigt, wie man die Aus-





Stefan Liebich


(A) (C)



(D)(B)

gaben auf das Niveau der Einnahmen reduzieren kann,
ganz ohne Verfassungsklimbim, mit reinem politischen
Willen. Das gelang dort nämlich bis zum Beginn der
Finanz- und Wirtschaftskrise.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Länder hatten übrigens eine Option nicht, die
Sie haben: Sie können die großen Vermögen, die Erb-
schaften, die Einkommen auf vernünftige Art und Weise
besteuern, statt Hoteliers zu entlasten. Statt einer Schul-
denbremse wäre eine Steuersenkungsbremse im Grund-
gesetz sinnvoll gewesen. Dann müsste sich Herr
Schäuble in dieser Frage auch nicht mit der FDP herum-
ärgern, und es wäre genug Geld da, Gutes zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Was haben Sie also in Ihrem Haushalt angestellt? Es
gibt einen Abbau bei der Auswärtigen Kultur- und Bil-
dungspolitik. Dabei ist das doch ein wichtiges Potenzial
für die Arbeit Deutschlands im Ausland. Im Regierungs-
entwurf, Herr Westerwelle, waren Streichungen beim
Goethe-Institut und Eingriffe in dessen Budget gegen
jede wirtschaftliche Logik vorgesehen. Das war Kürzung
bei der Bildungspolitik, obwohl sie angeblich nicht statt-
finden sollte.

Obwohl es ungewöhnlich ist, möchte ich hier meinem
Kollegen, dem CSU-Abgeordneten Dr. Peter Gauweiler,
recht herzlich danken.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Er hat als Vorsitzender des Unterausschusses für Aus-
wärtige Kultur- und Bildungspolitik nicht einfach nur
feurige Reden gegen den Regierungsentwurf gehalten,
sondern er hat parteiübergreifende Beschlüsse zur Ver-
besserung erwirkt. Das ist selbstbewusste Parlaments-
arbeit eines Koalitionsabgeordneten im besten Sinne.
Schade, dass Sie nicht von selbst auf die Idee gekommen
sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Trotzdem sind viele Kürzungen übrig geblieben. Die
Künstlerakademie Tarabya ist hier mehrfach erwähnt
worden; ich kann mich dem nur anschließen. Bei der
Deutschen Welle droht Jobabbau. Als Berliner Abgeord-
neten schmerzt mich natürlich, dass 20 Prozent der Regel-
förderung für das Haus der Kulturen der Welt gestrichen
werden sollen. Dem Kommentar von Rüdiger Schaper
aus dem Tagesspiegel ist nichts hinzuzufügen.

… allmählich zeigt sich doch eine Linie. Die Libe-
ralen haben keine rechte Freude an auswärtiger
Kulturpolitik,


(Widerspruch des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP])


jedenfalls haben sie … in einem Jahr fast so viel an-
gesägt, wie Westerwelles sozialdemokratischer
Vorgänger Steinmeier aufgebaut hat.

Herr Westerwelle, sehr geehrte Damen und Herren,
nur eine Organisation legitimiert Völkerrecht. Das ist
nicht das Treffen der G 8; das sind die Vereinten Natio-
nen, die UNO, in deren Sicherheitsrat unser Land ab Ja-
nuar Stimmrecht haben wird. Der Kollege Link hat eben
gesagt, die Wahl sei ein Erfolg. Ich denke, ein Erfolg
wird sich daran messen lassen müssen, was Sie dort im
Sicherheitsrat tun.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was bedeutet für Sie die Stärkung der Vereinten Na-
tionen, wenn Sie ausgerechnet dort kürzen? Bei den Bei-
trägen für das Flüchtlingskommissariat UNHCR, beim
Kinderhilfswerk UNICEF, bei humanitären UN-Pro-
grammen und bei der Unterstützung von palästinensi-
schen Flüchtlingen kürzen Sie in diesem Haushalt. Sie
fahren in den Gazastreifen – dabei geht es um eine gute
Initiative –, aber bei der Finanzierung der UN-Mission
für die palästinensischen Flüchtlinge vor Ort ist
Deutschland nur dreizehntgrößter Geldgeber und kürzt
die Mittel im vorliegenden Haushalt zusätzlich um
20 Prozent. Was wollen Sie eigentlich im UN-Sicher-
heitsrat? Geht es nur um den ständigen Sitz für Deutsch-
land?


(Otto Fricke [FDP]: Es geht um Verantwortung! Geht es bei Ihnen nur um Geld?)


Man muss es fast glauben; denn all unsere Anträge zu
diesen Fragen wurden abgelehnt. Dabei ist dort jeder in-
vestierte Euro besser angelegt als für Eurofighter, Leo-
pard und neue U-Boote.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Westerwelle, forcieren Sie Ihre Anstrengungen
– ich weiß, dass Sie einige unternommen haben –, damit
Indien, Lateinamerika und Afrika endlich einen ständi-
gen Sitz im Sicherheitsrat bekommen, anstatt auf einen
dritten ständigen Sitz für die Europäische Union zu hof-
fen.

Der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konflikt-
lösung und Friedenskonsolidierung“ – er ist hier bereits
angesprochen worden – ist ein wichtiges Instrument
deutscher Außenpolitik. Er wird maßgeblich von der Zi-
vilgesellschaft bestimmt. Es ist unvorstellbar: Ausge-
rechnet dort wollen Sie die Mittel um ein Drittel kürzen.
Solche gravierenden Fehlentscheidungen lehnen wir na-
türlich entschieden ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein Punkt ist bereits vom Kollegen Brandner ange-
sprochen worden: Die eingesparten Mittel werden in den
Afghanistan-Pakt verschoben. Auch wir sind dafür, dass
sich Deutschland in Afghanistan engagiert, nicht militä-
risch, aber finanziell. Man wird aber hinterfragen dürfen,
was Sie mit dem Geld finanzieren: Aufbau einer Gendar-
merie zum Zwecke der Aufstandsbekämpfung, undefi-
nierte Umfeldstabilisierung im Norden und faktisch
militärisch relevante Infrastrukturmaßnahmen an Flug-
häfen. All das ist nicht im Sinne der Erfinder der zivilen
Konfliktprävention. In Afghanistan wäre eine tatsächli-
che „Übergabe in Verantwortung“ – nicht das, was Sie
so nennen – statt einer Strategie des fortgesetzten Krie-
ges der richtige Weg.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. KarlGeorg Wellmann [CDU/CSU]: Träumer!)






Stefan Liebich


(A) (C)



(D)(B)

Einige unserer Kolleginnen und Kollegen hatten ges-
tern die Gelegenheit, den ISAF-Kommandeur General
Petraeus zu treffen. Er hat die Strategie als Anakonda-
strategie bezeichnet: Es geht also darum, die Aufständi-
gen zu zerquetschen. Ich glaube, so wird man keinen
Frieden gewinnen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Politische Lösungen sind erforderlich; das wäre ein ech-
ter Strategiewechsel.

Die Schauspielerin Jutta Wachowiak hat zutreffend
gesagt, dass Frauen zwar nicht die besseren Menschen
sind, aber genauso viele. Deswegen wollen und müssen
sie selbstverständlich genauso an Entscheidungen betei-
ligt werden. Es wird also Zeit, dass mit der Umsetzung
der UN-Resolution 1325 zu Frauenrechten Ernst ge-
macht wird. Herr Westerwelle, es wäre gut, wenn Sie
hier einen eigenen konkreten Aktionsplan vorlegten, für
den entsprechende Mittel bereitgestellt werden. Ich will
durchaus anerkennen, dass es in Ihrem Haus, im Aus-
wärtigen Amt, durchaus Lob für die Förderung von
Frauen gibt; es wäre aber schön, wenn Sie Ihr Engage-
ment auf diesem Feld ausweiten würden.

Ich möchte etwas zum Thema Menschenrechte sa-
gen. Ich teile Ihre Kritik an den Menschenrechtsverstö-
ßen im Iran. Wir alle sind mit unseren Gedanken bei
Sakine Aschtiani, die zum Tod durch Steinigung verur-
teilt wurde, und appellieren an die Machthaber in Tehe-
ran, dieses Urteil nicht zu vollstrecken.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Auch an anderen Orten der Erde sind deutliche Worte
gefragt. Deutschland darf nicht schweigen, wenn in der
von Marokko besetzten Westsahara Protestcamps ge-
räumt, mindestens ein Dutzend Menschen getötet und
Hunderte verletzt werden. Ich schlage vor, dass sich der
Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus
Löning, vor Ort ein Bild macht. Wirtschaftliche Interes-
sen wie bei den Planungen für das Solarthermiekraft-
werk Desertec dürfen uns nicht die Augen vor einer
Menschenrechtsverletzung wie dieser verschließen las-
sen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Abrüstung ist das wichtigste Thema. Hier geht es um
ein gutes Ziel, das wir unterstützen. Nach einem Viertel
der Legislaturperiode wird man aber fragen dürfen, was
den Ankündigungen folgt. Herr Kollege Link hat auf den
NATO-Gipfel in Lissabon Bezug genommen. Sie, Herr
Westerwelle, haben hohe Erwartungen geweckt. Sie und
Barack Obama finden eine nuklearwaffenfreie Welt gut;
ich auch. Wer nicht? Ich dachte aber an etwas mehr ent-
sprechendes Handeln. Die Antwort der NATO ist ein
milliardenschwerer Raketenschutzschirm. Keiner weiß,
gegen wen er gerichtet ist. Erfahrungsgemäß wird so et-
was meist teurer und unnützer als geplant. Das ist das
Gegenteil von Abrüstung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sieht man auch im Kleinen und Konkreten: Die
Ausgaben für Abrüstung in Ihrem Haushalt sind abge-
senkt worden. Ich weiß – wir hatten darüber schon dis-
kutiert –, dass die Atom-U-Boote der Sowjetunion in
Murmansk bald fertig zerlegt sein werden. Aber statt die
entsprechenden Mittel zu streichen, könnte man gleich
mit den amerikanischen Atomwaffen in Büchel in
Rheinland-Pfalz weitermachen. Das wäre echte Abrüs-
tung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vorgestern hat der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon
die Herausforderungen beschrieben, er hat sie „die gro-
ßen Drei“ genannt: Klimawandel, Kampf gegen Armut,
Hilfe bei Naturkatastrophen. Das sind die eigentlichen
Herausforderungen. Hier hat die Bundesregierung bisher
versagt.

Wir werden weiter sinnvolle Ansätze bei der Kon-
fliktprävention und der Abrüstung unterstützen, wenn
Sie handeln. Die Grundlinie einer aktiven und nachhaltig
friedlichen Außenpolitik fehlt aber leider. Deshalb kön-
nen wir Ihrem Haushaltsentwurf nicht zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707405600

Nächster Redner ist der Kollege Ruprecht Polenz für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1707405700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese

Haushaltsplanberatungen finden in einer besonderen At-
mosphäre in Deutschland statt. Wir bemerken überall
eine starke Polizeipräsenz auf den Straßen. Das sind Vor-
kehrungen gegen den internationalen Terrorismus,
und das macht einmal mehr deutlich, dass auch wir in
Deutschland von dieser Geißel der Menschheit, so
möchte ich es einmal nennen, betroffen sind. Von den
ersten Anschlägen Ende der 90er-Jahre auf amerikani-
sche Botschaften in Ländern Afrikas über den schreckli-
chen Anschlag am 11. September 2001 auf das World
Trade Center und das Pentagon und die Anschläge in
London und Madrid bis zur Gegenwart hat uns der inter-
nationale Terrorismus immer wieder vor neue Heraus-
forderungen gestellt. Zum Glück haben wir es dank un-
serer Sicherheitsdienste bisher vermeiden können, dass
solche Anschläge in Deutschland verübt wurden. Ich
möchte mich an dieser Stelle bei allen, die bei den Si-
cherheitsbehörden, aber auch in der präventiven Außen-
und Sicherheitspolitik dazu beigetragen haben, dass wir
das bisher so hinbekommen haben, bedanken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Ruprecht Polenz


(A) (C)



(D)(B)

Nun gibt es Stimmen in Deutschland, auch bei uns im
Parlament, die sagen: Wenn wir uns nicht einmischen
würden, wenn wir nicht in Afghanistan wären, wenn wir
uns im Nahen Osten nicht engagierten, dann hätten wir
Ruhe vor dem internationalen Terrorismus; nach dem
Motto: Wenn wir niemandem etwas tun, dann tut uns
auch niemand etwas.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Die Chancen wären größer!)


– Herr Gehrcke, es gibt keine groteskere Verkennung der
Wirklichkeit und keine größere Verkehrung von Ursache
und Wirkung als die, die diesem Argument, das gele-
gentlich leider auch von der Linksfraktion verwandt
wird, zugrunde liegt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Terrorismus lebt von der Unschuld der Opfer.
Deshalb gibt es nur die Antwort, ihm gemeinsam, ge-
schlossen, fest und gelassen entgegenzutreten, wie wir
das bisher gemacht haben. Deutschland übernimmt Mit-
verantwortung für die internationale Sicherheit, weil in
einer globalisierten Welt ein Wagenburgdenken – wir
kapseln uns ab und schließen uns ein – nicht zu mehr Si-
cherheit führt. Das ist ein völlig unrealistischer Ansatz.

Die deutsche Außenpolitik hat eine große Kontinuität
aufzuweisen, über mehrere Regierungen hinweg. Neh-
men Sie das Beispiel Afghanistan: Das ist ein Beleg da-
für, wie wir internationale Verantwortung mit überneh-
men, wie wir mit für internationale Sicherheit sorgen,
damit Afghanistan, so hat es General Petraeus gestern
als Ziel unserer Aufgabe beschrieben, nicht wieder
Rückzugsraum für den internationalen Terrorismus wer-
den kann.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit wenig Erfolg!)


Die Übergabe in Verantwortung, auf die wir in Afgha-
nistan jetzt gemeinsam zusteuern, ist natürlich abhängig
von den Fähigkeiten Afghanistans einerseits und der
Entwicklung der Sicherheitslage im Land andererseits.
Wir werden darüber im Zusammenhang mit den Fort-
schrittsberichten der Regierung – der erste wird in neuer
Form im Dezember vorgelegt – im Parlament zu disku-
tieren haben.

Mir kommt es darauf an, zu betonen, dass wir eine
große Kontinuität in der Außenpolitik haben, ausgehend
von dem Beschluss der damaligen rot-grünen Bundes-
regierung, dass wir uns in Afghanistan engagieren, über
die jeweiligen Mandatsverlängerungen bis heute. Wenn
ich diese Kontinuität erwähne, ist das gleichzeitig ein
Appell an diejenigen, die diese Politik seinerzeit einge-
leitet haben und sich jetzt in der Opposition möglicher-
weise einen schlanken Fuß machen wollen, weil sie
nicht bereit sind, die Verantwortung für die internatio-
nale Sicherheit zu tragen. Das werden wir bei den weite-
ren Diskussionen über die Mandatsverlängerungen, ins-
besondere im Zusammenhang mit Afghanistan, sehen.

Heute werden wir noch über Atalanta diskutieren. Da-
bei geht es um die Pirateriebekämpfung vor Somalia,
weil Somalia nicht in der Lage ist, die eigenen Küsten-
gewässer zu schützen.

Wir werden heute auch die Diskussion über die Mis-
sion Althea in Bosnien führen. Auch hier zeigt sich, ge-
nauso wie im Fall des Kosovo, die große Kontinuität
deutscher Außenpolitik. Die damalige Interventionsent-
scheidung, mit der NATO die Albaner im Kosovo vor
den Serben zu schützen, war eine Entscheidung der rot-
grünen Bundesregierung, die von der Opposition unter-
stützt worden ist. Wir sind heute noch dabei, mit den
Folgen dieser richtigen Entscheidung so umzugehen,
dass der Balkan in die Lage versetzt wird, sich selbsttra-
gend zu stabilisieren. Eine Folge ist letztendlich auch
– das ist das Versprechen aus dem Stabilitätspakt für den
Balkan, das die Europäische Union gegeben hat –, dass
einmal alle Länder dieser Region der Europäischen
Union beitreten können.

Wir haben einen wichtigen Zwischenerfolg dahin ge-
hend erreicht – da möchte ich dem Außenminister gratu-
lieren –, dass Serbien – diesem Land fällt die Anerken-
nung des Kosovo und die Kenntnisnahme der damit
verbundenen Fakten nach wie vor sehr schwer – bei der
Vollversammlung der Vereinten Nationen auf einen Kurs
des Dialogs mit der Europäischen Union über diese
Frage eingeschwenkt ist. Auch hier gibt es also eine
große Kontinuität deutscher Außenpolitik.

Wer heute Morgen die Zeitung gelesen hat, der wird
festgestellt haben, dass sich das Weltgeschehen nicht nur
bei uns abspielt. Die Menschen in Asien machen sich
Sorgen vor einem neuen Korea-Krieg. Da haben wir als
Deutsche und als Europäer relativ wenige Möglichkei-
ten, Einfluss zu nehmen. Einmal wieder schauen alle
Augen auf Washington und in diesem Falle auch auf Pe-
king.

Wir haben darüber nachgedacht, was der Ausgang der
amerikanischen Kongresswahlen für die Fähigkeit der
Amerikaner bedeutet, sich außenpolitisch zu engagieren.
Egal welche Schlussfolgerungen man da im Einzelnen
ziehen möchte, ist für mich eines klar: Die Europäer
werden im Zweifel eher mehr als weniger Verantwor-
tung übernehmen müssen. Wir werden nicht alles auf die
Amerikaner abladen können, die jetzt auch bei der Lö-
sung der Korea-Krise in starkem Maße gefordert sind.
Eher mehr Verantwortung für Europa heißt natürlich
auch: eher mehr Verantwortung für Deutschland.

Das gilt auch mit Blick auf den Nahen Osten, wo die
Europäer sicherlich nicht diejenigen sein können, die es
den Palästinensern und Israelis leichter machen können,
Frieden zu schließen. Aber wir können an dieser Stelle
hilfreich sein. Ich hoffe, dass die Verhandlungen in den
nächsten drei Monaten zu einer Einigung über den
Grenzverlauf führen; denn eine solche Einigung zwi-
schen Israel und einem palästinensischen Staat würde
endlich die Abwärtsspirale stoppen, in der sich der Frie-
densprozess spätestens seit Beginn der zweiten Intifada
im Jahre 2000 befindet.

Lassen Sie mich noch etwas zum Iran sagen. Der Iran
legt – das wissen alle, die mit iranischen Politikern spre-
chen – größten Wert darauf, dass er mit Würde und Res-





Ruprecht Polenz


(A) (C)



(D)(B)

pekt behandelt wird und dass man ihm auf Augenhöhe
begegnet. Aber er muss sich dann auch entsprechend
verhalten und zunächst die Menschenwürde der eigenen
Bürgerinnen und Bürger respektieren.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dazu gehört, dass Wahlen so durchgeführt werden, dass
dieser Respekt vor den eigenen Bürgerinnen und Bür-
gern und ihrer Entscheidung zum Ausdruck kommt.
Dazu gehört auch, dass die barbarischste Form der To-
desstrafe, die Steinigung, ohne Wenn und Aber abge-
schafft wird.


(Beifall im ganzen Hause)


Natürlich darf die Steinigung von Frau Aschtiani nicht
vollzogen werden. Wir fordern, dass sie einen fairen
Prozess bekommt.

Was die beiden deutschen Journalisten angeht, will
ich an dieser Stelle Folgendes sagen: Es ist eigentlich ein
Akt der Selbstverständlichkeit, dass für sie die Möglich-
keit besteht, sich zu Weihnachten mit ihren Familien zu
treffen. Wenn sie eine Ordnungswidrigkeit begangen ha-
ben sollten, dann muss dies in einem schnellen, geordne-
ten und fairen Verfahren festgestellt und zu einem Ab-
schluss gebracht werden, damit die beiden Journalisten
möglichst bald zurück in Deutschland sein werden.

Zur Nuklearpolitik. Auch hier besteht eine große
Kontinuität in der deutschen Außenpolitik. Die „EU-3
plus 3“-Verhandlungen kommen jetzt wieder in Gang.
Es wird darum gehen, vom Iran Garantien für eine dau-
erhaft friedliche Ausrichtung seines Atomprogramms zu
bekommen.

Als Erstes wird es um Transparenz gehen. Diese
Transparenz liegt im eigenen iranischen Interesse. Denn
mangelnde Transparenz birgt schon jetzt das Risiko,
dass ein nukleares Wettrüsten in der Region einsetzt,
weil die umliegenden Länder nicht genau wissen, was
der Iran tatsächlich im Schilde führt. Deshalb hoffe ich
sehr, dass die Verhandlungen zu einem Erfolg führen.

Der amerikanische Verteidigungsminister Gates hat
gesagt: Die einzige langfristige Lösung, iranische Nu-
klearwaffen zu vermeiden, ist die Einsicht des Irans
selbst, dass Atomwaffen nicht in seinem Interesse lie-
gen. – Die Sanktionspolitik soll diese Einsicht befördern,
indem sie deutlich macht: Erstens. Iran isoliert sich.
Zweitens. Die Weltgemeinschaft steht gegen dieses Pro-
gramm. Drittens. Die politischen und moralischen Kos-
ten werden durch die Sanktionen erhöht. Viertens. Wir
machen gleichzeitig ein Kooperationsangebot für den
Fall, dass der Iran seine Politik ändert.

Letzter Satz. Als Parlamentarier – daran möchte ich
ausdrücklich festhalten – dürfen wir den Gesprächsfaden
zum Iran auch weiterhin nicht abreißen lassen, trotz aller
Probleme, die es im Augenblick gibt. Ich sage das des-
halb, weil mich, wie wahrscheinlich viele andere Kolle-
gen, viele Briefe und E-Mails erreicht haben, in denen
die Reisen unserer Kollegen kritisiert wurden. Ich weise
das zurück. Die Reisen waren sinnvoll, und wir müssen
auf diesem Weg weiterarbeiten, sonst werden wir im Iran
keine Änderung der Politik mit diplomatischen bzw.
politischen Mitteln erreichen. Denn dazu gehört auch der
direkte Kontakt zwischen Parlamentariern und ihren
Counterparts in Teheran.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707405800

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Marieluise Beck das Wort.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Polenz hat eben von einer Geißel der Mensch-
heit gesprochen, dem totalitären Fundamentalismus. Es
gibt eine zweite Geißel, mit der wir auch in diesen Tagen
konfrontiert werden; das ist die der atomaren Bewaff-
nung und der Proliferation. Wenn uns die Nachrichten
vom neu aufbrechenden Konflikt zwischen Nordkorea
und Südkorea so beunruhigen, dann auch deshalb, weil
wir wissen, dass wir es bei Nordkorea mit einem diktato-
rischen Regime zu tun haben, das die Atomwaffe zur
Verfügung hat.

Wenn wir etwas weiter schauen und an die Debatte
von heute Morgen denken und die Debatte über die
Energieversorgung wirklich ernst nehmen, dann müssen
wir uns klarmachen, dass Energiepolitik nicht nur Innen-
politik, sondern auch Außenpolitik ist und dass es sogar
eine Steigerung der Geißel der atomaren Bewaffnung
gibt. Dies hat mit der Energiepolitik zu tun. Denn wenn
weltweit der Weg in den Ausbau atomarer Energie
eingeschlagen werden würde, würde das zweifellos als
nächste Etappe die Wiederaufbereitung bedeuten und
damit – das ist noch eine Spirale höher – das Zur-Verfü-
gung-Stehen von Plutonium, und das in einer Welt, in
der wir es mit Failed States und diktatorischen Regimen
zu tun haben, bei denen wir nicht wissen, ob sie über
ihre destruktive Kraft nach außen hinaus sogar zur
Selbstdestruktion bereit sind, sodass jeglicher Schutz für
ein internationales Zusammenleben entfallen würde.

Insofern sind die Atomenergie und – daran gekoppelt –
die Plutoniumwirtschaft ein zentraler Punkt, wenn wir
international und in Strategien denken, mit denen wir
uns von den Geißeln der Menschheit befreien können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dass im Fall von Nordkorea und Südkorea die USA,
Russland und China – hoffentlich gemeinsam – agieren
und die USA und Russland China dabei überzeugen
– wir wissen, dass es den Haupteinfluss auf Nordkorea
hat –, ist gut.

Ich bin damit noch einmal beim Gipfel von Lissabon.
Es ist in der Tat ein gutes Signal, wenn das Ende des
Kalten Krieges ausgerufen wird, obwohl ich meine, wir
sollten Präsident Gorbatschow gegenüber etwas fairer
sein. Wir würden nicht hier in diesem Haus sitzen, wenn





Marieluise Beck (Bremen)



(A) (C)



(D)(B)

es das Ende des Kalten Krieges nicht schon gegeben
hätte, ein Ende, das viel mit der wunderbaren Politik von
Präsident Gorbatschow zu tun gehabt hat. Nichtsdesto-
trotz begrüßen wir uneingeschränkt jeden Schritt in der
Kooperation mit Russland. Ich sage das als jemand, die
sehr viel in Russland ist, die eine kritische Begleiterin
dieses Landes ist, die sehr viele enge Verbindungen in
dieses Land hat.

Die Jubelschlagzeilen aus Lissabon bedürfen einer
genaueren Betrachtung. Denn sowohl in den USA als
auch in Russland ist nicht klar, ob es weiterhin eine in-
nenpolitische Deckung für einen Entspannungskurs
geben wird. Ich nenne die gruselige Tea-Party-Bewe-
gung in den USA, die Obamas Spielräume einengt. Auch
bei Russland wissen wir nicht, ob Medwedew Präsident
bleiben wird und ob Ministerpräsident Putin seinen Ent-
spannungskurs wirklich deckt.

Wie sieht das Ost-West-Verhältnis derzeit aus? Tat-
sächlich gibt es in Teilen der russischen Bevölkerung
nach wie vor ein Gefühl der Bedrohung durch die
NATO. Teile der Militärs und auch der Politik denken
noch in Bedrohungskategorien. Es gibt den Begriff der
Einkreisung durch die NATO, wobei manchmal nicht
ganz klar ist, wo dieser Begriff instrumentalisiert und wo
solch eine Einkreisung ernsthaft empfunden wird. Die
Überwindung dieser Gräben kann man jedenfalls nur
durch ständige Kommunikation und Transparenz schaf-
fen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir als Deutschland müssen die kleinen Länder zwi-
schen den ehemaligen Blöcken im Blick behalten, die
leidvolle historische Erfahrungen gemacht haben, auch
durch das niederträchtige Zusammenwirken von Hitler
und Stalin. Wir müssen ihnen zugestehen, dass sie unter
das Dach der NATO gestrebt sind. Hier gibt es einen ers-
ten wichtigen Punkt in der Auseinandersetzung mit
Russland: Wir müssen Russland unmissverständlich
klarmachen, dass es ein souveränes Recht auf Entschei-
dung gibt und dass die Kategorie des „nahen Auslands“,
wie sie von Russland verwandt wird, zu diesem Recht
von souveränen Staaten nicht passt.

Ich füge hinzu: Es ist auch keine vertrauensbildende
Maßnahme, dass die konsentierte OSZE-Mission nach
wie vor nicht in Südossetien auftreten darf. Das ist nicht
in Ordnung. Hier wäre ein erster Schritt, mit dem Russ-
land zeigen kann und muss, wie ernst man es dort mit
der Entspannungspolitik und der Politik der Gemeinsam-
keiten meint.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die NATO ist mehr als ein Militärbündnis. Sie ist eine
Gemeinschaft demokratischer Staaten. Das führt zu
schmerzhaften Prozessen im Westen. Wir haben politisch
die Verantwortung, dass dieser schmerzhafte Blick ge-
wagt wird. Ich nenne Verfehlungen innerhalb der NATO
wie CIA-Geheimgefängnisse, Foltervorwürfe und den
Schandfleck Guantánamo. Aber dieser kritische Blick auf
die demokratischen Grundsätze des eigenen Militärs
muss auch für den zukünftigen Partner Russland gelten.

Präsident Kadyrow hat in unglaublicher Offenheit in
einem Interview, das die taz vor zwei Tagen dankens-
werterweise abgedruckt hat, ganz unmissverständlich
gezeigt, womit wir es in Russland auch zu tun haben,
nämlich mit einem Präsidenten, der, angesprochen auf
die Überfälle in Tschetschenien, sagt:

Mein Heimatdorf Zentoroi ist ein sehr sicherer Ort.
Wer reingeht, kommt nicht mehr raus.

Weiter:

So war es auch beim Überfall auf das Parlament.
Ein paar Dutzend sind übrig, die werden wir auch
ausschalten. Das können wir gut.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kein Partner
für unsere Politik. Es muss sich noch unendlich viel be-
wegen, damit wir auch im Bereich der Militärs tatsäch-
lich eine Partnerschaft mit Russland haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt auch in Bezug auf die innere Verfasstheit des
russischen Militärs viel zu tun. Das sieht man, wenn man
sich mit den Müttern der Soldaten in Sankt Petersburg
trifft. Diese haben sich zusammengetan, weil es eine
große Zahl von Selbstmorden von jungen Menschen im
russischen Militär als Folge der ritualisierten Gewalttä-
tigkeit gibt. Das alles muss angegangen werden. Dies
darf es beim Militär in demokratischen Staaten nicht ge-
ben. Darauf muss die NATO achten. Ich sage noch ein-
mal: Auch wenn die NATO und ihre Mitgliedsländer von
dem Weg abweichen, haben wir die Verpflichtung, sie
immer wieder zurückzuholen. Das muss eine unmissver-
ständliche Basis sein: Willkür passt nicht zu demokrati-
schen Staaten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte zum Schluss noch ganz kurz auf das
Thema Terrorismus eingehen. Hier gibt es tatsächlich
eine schicksalhafte Verbindung zwischen Russland und
dem Westen. Keiner von uns ist davon unberührt. Das ha-
ben die Festnahmen gestern gezeigt. Wenn Belgier, Nie-
derländer, Marokkaner, russische Staatsangehörige und
tschetschenische Kämpfer zusammen festgenommen
werden, wissen wir, dass wir in einem Boot sitzen.

Es geht um den Kampf eines totalitären Denkens ge-
gen die Grundwerte von Aufklärung und Humanität,
Werte des Westens, die aber auch für Russland gelten.
Wenn wir diesem totalitären Denken gemeinsam auf
Grundlage der wundervollen Werte, die die Würde des
Menschen bewahren, gemeinsam entgegenwirken, dann
haben wir einen guten roten Faden für die nächsten
Jahre.

Schönen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707405900

Nächster Redner ist der Kollege Karl-Georg

Wellmann für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Karl-Georg Wellmann (CDU):
Rede ID: ID1707406000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-

finden uns gegenwärtig in einer Phase großer internatio-
naler Konferenzen: des G-20-Gipfeltreffens in Korea,
des NATO-Gipfels in Lissabon und des OSZE-Gipfels in
Astana, der in der nächsten Woche stattfindet. Bei all
diesen Gipfeltreffen spielen die Amerikaner eine we-
sentliche Rolle. Deshalb ist die enge Zusammenarbeit
zwischen uns und den Amerikanern so wichtig. Sie ist
für uns von existenziellem Interesse. Das hat mit unserer
Sicherheit und mit der Tatsache zu tun, dass wir poten-
ziellen Bedrohungen ausgesetzt sind, gegen die wir uns
alleine nicht verteidigen könnten. Das hat aber auch viel
mit gemeinsamen Werten und einer gemeinsamen Ge-
schichte zu tun. Ich sage das ausdrücklich als jemand,
der in Westberlin aufgewachsen ist und nicht vergessen
wird, dass es die Amerikaner waren, die gewährleistet
haben, dass wir in einer freien Welt leben und aufwach-
sen konnten und nicht Teil von Ulbrichts oder Honeckers
Spießerdiktatur wurden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die uns von den Nazis befreit haben!)


Wir wissen, dass wir diese Freundschaft pflegen müs-
sen. Europa ist nicht mehr der zentrale Bezugspunkt der
Amerikaner. Das ist inzwischen eher der pazifische
Raum, sind eher Indien und China. Wer die Wahlen in
Amerika vor zwei Jahren erlebt hat, konnte geradezu
körperlich spüren: Außenpolitik spielte überhaupt keine
Rolle; alles drehte sich um Wirtschaft und Arbeitsplätze.
Vor diesem Hintergrund war die Botschaft, die Präsident
Obama nach dem NATO-Gipfel ausgesandt hat, eine
gute Botschaft. Sie machte deutlich, dass er von einer
engen Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA
ausgeht. Er sagte, dass die Partnerschaft mit den europäi-
schen Verbündeten ein Eckpfeiler des amerikanischen
Engagements ist.

Durch den Sieg der Republikaner bei den Midterm
Elections vor drei Wochen wurde die Rolle des amerika-
nischen Parlaments gestärkt. Ob uns das Wahlergebnis
gefällt oder nicht, es wird für Präsident Obama jeden-
falls nicht einfacher. Wir, die wir hier sitzen, müssen ge-
rade auf parlamentarischer Ebene den Austausch mit den
Amerikanern suchen:


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dann fangen Sie mal an!)


weil viele neue Abgeordnete in den Kongress eingezo-
gen sind, weil es unter den Wahlsiegern auch populisti-
sche Tendenzen gibt und dies nicht zu isolationistischen
Reflexen führen darf, weil die Ratifikation des START-
Vertrages gefährdet ist und weil unser Standpunkt, dass
der Iran-Konflikt nur mit friedlichen Mitteln gelöst wer-
den kann, richtig bleibt.

(Beifall der Abg. Michael Groschek [SPD], Stefan Liebich [DIE LINKE] und SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist unser aller Anstrengung wert, dass unser Stand-
punkt im Hinblick auf die Bedeutung des Bündnisses
auch dem neu gewählten Senator aus Illinois oder dem
Congressman aus dem mittleren Westen vermittelt wird.

Das transatlantische Bündnis hat uns Deutschen Si-
cherheit, Stabilität und Wohlstand garantiert und wird
dies auch zukünftig tun. Deshalb dürfen wir nicht nur
seine Vorteile in Anspruch nehmen, sondern müssen
auch Verantwortung übernehmen; Ruprecht Polenz hat
darauf hingewiesen. Das gilt auch mit Blick auf Afgha-
nistan. Die aktuelle Sicherheitslage in unserem Land
zeigt, wie wichtig es ist, den Terrorismus, wo es möglich
ist, an seinem Ursprung und nicht bei uns zu Hause zu
bekämpfen.

Das gilt auch für unsere Verantwortung im Rahmen
internationaler Missionen, etwa der Operation Atalanta
am Horn von Afrika. Dieser Mission haben auch die
Grünen zugestimmt. Deshalb finde ich die Diskussionen
über Handelskriege, die hier angeblich geführt werden,
völlig absurd. Der Kollege Trittin regt sich immer beson-
ders schön künstlich auf und behauptet, irgendjemand
sei darauf aus, Kriege zur Durchsetzung von Handelsin-
teressen zu führen.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das wurde doch offen so gesagt! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist es nicht so?)


– Herr Ströbele, mit dieser Behauptung hat der Kollege
Trittin schon dem Ansehen des früheren Bundespräsi-
denten schweren Schaden zugefügt.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wie bitte? Wer dem Ansehen des Bundespräsidenten schweren Schaden zugefügt hat, dazu sollten Sie sich lieber nicht äußern!)


Unsere Aktion am Horn von Afrika ist keine sozialpoliti-
sche Aktion, sondern wir schützen unsere Handelsrou-
ten. Was denn sonst?


(Beifall des Abg. Philipp Mißfelder [CDU/ CSU])


Darf ich daran erinnern, dass unser Wohlstand und vor
allem 9 Millionen Arbeitsplätze in der Exportwirtschaft
von unserem Außenhandel abhängen?


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na also! Es geht doch um Arbeitsplätze! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau das meinten wir ja! Es geht um Arbeitsplätze und wirtschaftliche Interessen!)


Als Gewerkschaft würde ich gegen den Unsinn, den
Trittin da erzählt hat, mobil machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Karl-Georg Wellmann


(A) (C)



(D)(B)

Ich habe mir heute früh einmal etwas angetan und re-
cherchiert, wie die Linkspartei zum westlichen Bündnis
steht, Herr Gehrcke.


(Dr. Bijan Djir-Sarai [FDP]: Da findet man nichts!)


Da liest man: Linkspartei will die Auflösung der NATO.
– Ein Mitglied Ihres Bundesvorstands fordert – wörtlich –
die Auflösung des Kriegsbündnisses NATO. Es meint,
sie sei ein kriegerisches Bündnis und für den Terror ver-
antwortlich.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Mitverantwortlich!)


Jeder weiß – Sie bestätigen das –: Würde die NATO auf-
gelöst, wäre das das Ende der nordatlantischen Partner-
schaft; denn die NATO ist das Herzstück dieser Partner-
schaft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Dass Sie von „Herz“ reden, ist schon merkwürdig!)


Erst vor 14 Tagen hat die Vorsitzende der Linkspartei,
Frau Lötzsch, hier an dieser Stelle eine Rede gehalten, in
der sie diesen ganzen lebensgefährlichen Unsinn wieder-
holt hat. Das Gegenteil ist richtig: Die NATO ist das er-
folgreichste Bündnis der Geschichte. Das hat Obama
letzte Woche in der New York Times geschrieben, und er
hat recht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die UNO ist ja wohl ein bisschen erfolgreicher als die NATO!)


Im Internet wird man zu den Positionen der Linken
richtig fündig. Einer der DDR-Mullahs war lange Ehren-
vorsitzender Ihrer Partei und ist heute Vorsitzender Ihres
Ältestenrats, Herr Modrow. Im Internet finden Sie wun-
derbare Zitate von ihm. Er spricht von den Kriegsplänen
des NATO-Staates Bundesrepublik damals gegen seine
friedliebende DDR. Wohlgemerkt, das hat er nicht nur
damals behauptet – damals sowieso –, sondern er hat es
heute wiederholt. Ihr Ehrenvorsitzender der Linkspartei
war es, der unser Engagement in Jugoslawien, das, mit
Verlaub, von einem Grünen-Außenminister verantwortet
wurde, mit dem Einmarsch Hitlers in die Tschechoslo-
wakei gleichgesetzt hat. Dieses Gerede werden wir nicht
vergessen. Das verspreche ich Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich kann mich noch gut an die Begeisterung der DKP-
ler erinnern, die jetzt bei Ihnen, Herr Gehrcke, in der
Fraktion sitzen, als die Sowjetunion in Afghanistan ein-
marschiert ist. Ich kann mich auch noch gut an die
Spruchtafeln erinnern, die damals in der DDR auftauch-
ten:


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Deswegen müssen Sie den Mist nicht noch einmal wiederholen!)


Waffenbrüderschaft, Klassenbrüderschaft. – Das haben
wir gelesen. Solange Sie diesen politischen Giftmüll im
Keller haben, fehlt Ihnen jede Regierungsfähigkeit,
meine Damen und Herren von den Linken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das entscheiden Sie doch nicht! Das entscheiden die Wähler!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707406100

Herr Kollege Wellmann, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Gehrcke?


Karl-Georg Wellmann (CDU):
Rede ID: ID1707406200

Nein, jetzt nicht.


(Zuruf von der LINKEN)


– Ich weiß, dass Ihnen das unangenehm ist, aber ich sage
es trotzdem.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie doch einmal eine Zwischenfrage zu!)


Ich wundere mich ein bisschen darüber, dass die Grü-
nen dazu nicht klatschen, kann Ihnen aber gerne erklä-
ren, warum. Auch ihre Jugendorganisation, die Grüne
Jugend, ist für die Auflösung der NATO.


(Beifall bei der LINKEN – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat sie recht! – Beifall des Abg. SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In Berlin ist die Grüne Jugend für eine Koalition mit der
Linkspartei: grün-dunkelrot. Da muss Frau Künast ein-
mal erklären, mit wem sie in Berlin zukünftig regieren
will.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie von der Westberliner CDU wollen mit diesen Grünen zusammen regieren! Da haben Sie keine Skrupel! Schlimm! Schlimm!)


Von Lissabon sind wichtige Signale der Entspannung
und Abrüstung ausgegangen. Vor allem ist die richtige
Botschaft nach Moskau gegangen, nämlich dass Sicher-
heit nicht gegen Russland zu erreichen ist, sondern nur
mit Russland. Auch die Bundeskanzlerin hat es heute
früh gesagt: Wir sehen die Russen nicht mehr als Feinde,
sondern als Partner.

Übrigens, Herr Gehrcke: In russischen Regierungs-
zeitungen ist im Moment sehr viel Nachdenkliches über
die NATO zu lesen. Darin steht wörtlich, sie habe ihren
Mitgliedern Frieden, Wohlstand und Stabilität gebracht.
Das müsste doch Ihr Weltbild durcheinanderbringen.
Sie, der Sie auf der Parteihochschule Moskau gewesen
sind, haben früher auf die Genossen gehört. Dann hören
Sie doch auch heute auf die Genossen in Moskau!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist nicht mehr die Sowjetunion! Wir sind nicht mehr die DKP! Das ist 20 Jahre her!)







(A) (C)



(D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707406300

Herr Kollege Wellmann, auch Herr Kollege Nouripour

würde gerne eine Zwischenfrage stellen.


Karl-Georg Wellmann (CDU):
Rede ID: ID1707406400

Nein, ich will zum Ende kommen.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So groß ist Ihre Toleranz!)


– Dass Sie so toben und schreien, ist ein Beispiel dafür,
dass ich Sie getroffen habe. Das ist doch eine wunder-
bare Bestätigung.

Lissabon war ein Schritt vorwärts in Richtung mehr
Sicherheit. Dass die Russen in Person ihres Präsidenten
teilgenommen haben, war vor allem auch ein Verdienst
der Bundeskanzlerin. Sie vor allem hat Vertrauen aufge-
baut und Medwedew überzeugt, dass es sich lohnen
würde, an dem Gipfel teilzunehmen.


(Beifall des Abg. Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU])


Wir haben ein nachhaltiges Interesse an der Einbin-
dung Russlands. Wir haben kein Interesse an einem
schwachen Russland. Wir brauchen Russland bei der
Rüstungskontrolle, der Nichtverbreitung und Bekämp-
fung des Terrorismus, bei der Klimapolitik und vielem
anderen mehr. Das Vertrauen, das jetzt in Lissabon auf-
gebaut worden ist, darf nicht dadurch beschädigt wer-
den, dass der START-Vertrag im Kongress scheitert.

Lassen Sie mich auf den Ausgangspunkt meiner Rede
zurückkommen: Lassen Sie uns alle im Dialog mit unse-
ren amerikanischen Kollegen daran mitwirken, dass die
von Obama und der Bundeskanzlerin betriebene Ent-
spannungs- und Abrüstungspolitik fortgesetzt wird.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707406500

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege

Gehrcke.


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707406600

Herr Wellmann, Sie sind selber schuld, dass ich jetzt

alles erklären muss. Sie hätten es anders haben können.

Ich fand das schon ein bisschen paradox. Ich gebe zu,
dass ich lange gebraucht habe, um mich davon zu lösen,
alles gut zu finden, was Russland macht bzw. die
Sowjetunion gemacht hat. Dass Sie mir jetzt empfehlen,
dass ich alles gut finden soll, was Russland heute zur
NATO sagt, finde ich ein bisschen unhistorisch.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Akzeptieren Sie: Es gibt hier Bewegung. Da Sie jetzt al-
les begrüßen, was die NATO macht, kann ich Ihnen Fol-
gendes empfehlen: Fangen Sie einmal an, ein bisschen
kritisch nachzudenken. Dann lösen auch Sie sich davon
und werden auch Sie nicht alles gut finden, was Russ-
land macht. Hier kann man sich ja bewegen.
Ähnliches gilt in Bezug auf Afghanistan. Ich finde es
immer bemerkenswert, wenn die falschen Argumente,
die ich gebraucht habe, heute von anderen Seiten wie-
derholt werden. Man kann geschichtlich nicht alles
gleichsetzen; das ist völlig klar. Ich kenne die Argu-
mente von früher, als auch ich leider argumentiert habe:
Die Sowjetunion ist in Afghanistan einmarschiert, um
das Mittelalter zu überwinden. – Völlig falsch! Die So-
wjetunion ist einmarschiert, um die Menschen dort zu
befreien. – Völlig falsch! Die Sowjetunion ist einmar-
schiert, um die Frauen in Afghanistan zu befreien. –
Völlig falsch! Es waren imperiale Gründe. Ich finde,
man sollte heute nicht den gleichen Unsinn seitenver-
kehrt wiederholen. Wenn man das tut, dann hat man aus
der Geschichte nun wirklich überhaupt nichts gelernt.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir alle sollten so couragiert sein, etwas aus der Ge-
schichte – auch aus der eigenen – zu lernen.

Letzter Punkt: Man kann an Herrn Modrow, der
Ministerpräsident der DDR war, gewiss viel Kritik üben.
Er weiß, dass das auch in unserer Partei der Fall ist. Er
hat aber seinen Beitrag dazu geleistet, dass die Vereini-
gung Deutschlands friedfertig und nicht mit viel Gewalt
verlaufen ist. Ich finde, auch Ihre Partei müsste sich ein-
mal einen Ruck geben, das auch hier im Parlament zu
würdigen und zu sagen, dass sie das bei allen Differen-
zen anerkennt. Der Kalte Krieg ist vorbei, die DDR gibt
es nicht mehr – man kann zu einem anderen Umgang
miteinander kommen.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Da soll man Sie auch noch loben! – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Die haben so viele Menschen auf dem Gewissen!)


Sie haben das nicht geschafft; aber es war ein bisschen
erheiternd und ermunternd, hier wieder einmal Antikom-
munismus pur zu erleben. Ich habe das, ehrlich gesagt,
schon vermisst, weil es dazu so lange nicht gekommen
ist.

Schönen Dank für Ihren Beitrag.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707406700

Zu einer weiteren Kurzintervention hat die Kollegin

Marieluise Beck das Wort.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Herr Kollege Gehrcke, Sie reklamieren hier, dass Sie
sich bewegt haben und dass Sie gelernt haben. Dass man
das kann, ist richtig und muss jedem von uns zugestan-
den werden.

Weil Sie aber beim Thema Afghanistan ein zweites
Mal diese Figur bemühen, wobei Sie Äpfel und Birnen
miteinander vergleichen – das wäre ja noch ein harmlo-
ser Vergleich; Ihr Vergleich ist nicht so harmlos –, haben
Sie anscheinend doch nichts gelernt. Ich will Ihnen auch
sagen, warum. Da Sie die Intervention bzw. den Ein-
marsch der russischen Armee, die das afghanische Land

(B)






Marieluise Beck (Bremen)



(A) (C)



(D)(B)

bis in den letzten Winkel vermint hat und unendlich
viele Tote und Millionen von Flüchtlingen zu verantwor-
ten hat, von denen viele bis heute nicht zurückgekehrt
sind, mit einem UN-mandatierten Einsatz vergleichen,
an dem sich 43 Nationen quer durch alle Lager dieser
Welt beteiligen, haben Sie nichts gelernt. Das möchte ich
hier doch noch einmal festhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707406800

Herr Kollege Wellmann, bitte.


Karl-Georg Wellmann (CDU):
Rede ID: ID1707406900

Herr Kollege Gehrcke, zu Afghanistan hat die Kolle-

gin Beck schon das Richtige gesagt. Sie haben immer
noch Mühe, einen Einmarsch der Sowjetunion und ein
Engagement der internationalen Staatengemeinschaft
auseinanderzuhalten. Das finde ich sehr bedauerlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der LINKEN: Die Argumente sind dieselben! Die Folgen sind auch dieselben!)


Zu Herrn Modrow ließe sich viel sagen. Er war
16 Jahre einer der führenden Funktionäre des DDR-Sys-
tems, Parteichef in Dresden und damit einer der wich-
tigsten Männer, der auch gesagt hat, der Bau der Mauer
habe zum Frieden beigetragen.


(Zuruf von der LINKEN: Das hat auch Herr Strauß geschrieben!)


Solche Leute sind bei Ihnen nach wie vor Ehrenvorsit-
zende, 16 Jahre.


(Zuruf von der LINKEN: Wir haben überhaupt keine Ehrenvorsitzenden! Was reden Sie?)


Deshalb sage ich: Sie haben Giftmüll im Keller, und Sie
sind nicht regierungsfähig.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Außerdem regieren wir in Berlin!)


Ein Letztes. Ich sage es gern noch einmal: Das Nord-
atlantische Bündnis – das haben wir aus dem furchtba-
ren 20. Jahrhundert gelernt – ist Teil der deutschen
Staatsräson. Es gewährleistet uns Sicherheit, Sicherheit
in Gemeinschaft mit der atlantischen Staatengemein-
schaft. Diejenigen, die dieses Bündnis auflösen wollen,
gefährden die Sicherheit. Damit werden wir nie überein-
stimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Jetzt wieder in die Gegenwart!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707407000

Nun hat die Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul für

die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)


Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1707407100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine Haushaltsdebatte ist auch Anlass, sich über die Per-
spektiven und die operativen Schritte deutscher Außen-
politik zu vergewissern. Wir meinen, angesichts der
Konflikte weltweit müssen diese Perspektiven und die
operativen Schritte bei Vorrang für Abrüstung, Vorrang
für politische Lösungen für die schweren Konflikte auf
der Welt und bei der Verringerung der Gewaltpotenziale
und Gewaltinstrumente liegen. Deshalb möchte ich mich
in meinen Ausführungen auf vier Punkte konzentrieren:
auf die Notwendigkeit atomarer Abrüstung, auf die Ver-
hinderung des Transfers von Kleinwaffen, auf das
Verbot von Streumunition und auf eine notwendige par-
lamentarische Transparenz bei Waffenexportentschei-
dungen.

Nimmt man die Haushaltszahlen – der Kollege
Brandner hat das sehr deutlich dargestellt – als konkre-
ten Maßstab, muss man übrigens feststellen, dass die-
selbe Bundesregierung, die am 12. Oktober große Ver-
antwortung in Form des Sitzes im UN-Sicherheitsrat
übernommen hat, massive Einsparungen auf den wich-
tigsten Feldern der internationalen Friedens- und Sicher-
heitspolitik plant. Das ist ein eklatanter Widerspruch zu
der eingegangenen Verpflichtung.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu den angesprochenen Punkten. Erstens: atomare
Abrüstung. Außenminister Westerwelle hat vor dem
NATO-Gipfel den Mund vollgenommen, und er hat sich
nicht durchgesetzt. Das muss er hier auch offen einräu-
men. Sein Kollege Jean Asselborn aus Luxemburg hat
gesagt: Westerwelles Abrüstungsinitiative war ein Miss-
erfolg. Die NATO hat auf dem Gipfel keine klare Festle-
gung getroffen, ob und wie sie die Atomwaffen in
Europa abbauen will.

Wir sagen: Die NATO braucht nach unserer Überzeu-
gung keine Atomwaffen. Dieses Abschreckungskonzept
des Kalten Krieges gehört seit 20 Jahren der Vergangen-
heit an. Deshalb müssen auch die taktischen Atomwaf-
fen vom Boden Europas zurückgezogen werden.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das wäre auch ein Impuls für den weltweiten nuklearen
Abrüstungsprozess. Wir erinnern uns: Die UN hat für die
Zeit der UN-Sicherheitsratspräsidentschaft gefordert, im
Nahen Osten eine Zone frei von Massenvernichtungs-
waffen zu verwirklichen.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Es gilt zweitens, den illegalen und legalen Transfer
sogenannter Kleinwaffen, zumal nach Afrika, zu ver-
hindern. In den Händen von Gewaltgruppen werden sie
genutzt, um Kinder als Soldaten zum Töten zu missbrau-
chen. Kinder sollen aber lernen, Stift und Computer zu
nutzen, um für das Leben und nicht für das Töten zu ler-
nen. Im Jahr 2012 findet die UN-Überprüfungskon-
ferenz zum Kleinwaffen-Aktionsprogramm statt. Ab





Heidemarie Wieczorek-Zeul


(A) (C)



(D)(B)

Januar 2011 ist Deutschland Mitglied im UN-Sicher-
heitsrat. Ich möchte gerne hier und heute wissen: Was
will die Bundesregierung? Was wollen Sie tun und ini-
tiieren, damit diese Konferenz ein Erfolg wird und ille-
galen Waffenhändlern endlich das Handwerk gelegt
wird?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Drittens. Am 1. August 2010 ist das völkerrechtliche
Verbot von Streumunition in Kraft getreten. Das ist der
wunderbare Erfolg einer Initiative von Regierungen,
aber auch der Zivilgesellschaft. Die Konvention wurde
für Deutschland noch von Außenminister Frank-Walter
Steinmeier unterzeichnet. Jetzt geht es um die praktische
Umsetzung. Es geht um ein konkretes Aktionspro-
gramm. Es geht darum, dass diese Konvention die Re-
gierungen verpflichtet, Opferfürsorge zu leisten. Herr
Westerwelle, Sie haben in Ihrem Haushalt die Mittel für
die Opferfürsorge gekürzt, statt sie auszubauen, was not-
wendig gewesen wäre. Streubomben töten und verstüm-
meln noch lange nach ihrem Einsatz. Man kann davon
ausgehen, dass die tatsächliche Anzahl von Opfern welt-
weit bei etwa 85 000 liegt. Dabei sind vor allem Kinder
betroffen. Deshalb fordern wir, dass die notwendigen
Verpflichtungen tatsächlich umgesetzt werden.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum letzten Punkt. Als langjähriges Mit-
glied des Bundessicherheitsrates und aus langjähriger
und in dem Fall leidvoller Erfahrung dieser Zeit plädiere
ich dafür: Schluss mit der Geheimwirtschaft bei Waffen-
exporten.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung
der evangelischen und katholischen Kirche hat gefor-
dert, dass der deutsche und der internationale Rüstungs-
export endlich in öffentliche kontroverse Debatten
Eingang finden. Die Rüstungsexportpolitik muss der tat-
sächlichen parlamentarischen Kontrolle unterliegen; die
nachträgliche Information des Deutschen Bundestages
reicht nicht aus. Das ist meine Erfahrung aus der Arbeit
dort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist umso wichtiger, als die Koalition von Schwarz-
Gelb in ihren Koalitionsvereinbarungen festgelegt hat,
dass sie die restriktive Rüstungsexportpolitik, die Rot-
Grün in den Grundsätzen verankert hatte, zugunsten ei-
ner angeblich verantwortungsvollen Rüstungsexport-
politik aufgeben will. Die Gemeinsame Konferenz Kir-
che und Entwicklung sieht die Konsequenz daraus in der
vorrangigen Ausrichtung der skizzierten Rüstungs-
exportpolitik der neuen Bundesregierung an außenwirt-
schaftlichen und industriepolitischen Gesichtspunkten
und in der Vernachlässigung friedens- und entwicklungs-
politischer Dimensionen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Außenminis-
ter, wenn Sie, weil Sie bei der Bundeswehr in unserem
Land Umstrukturierungen und Einsparungen vorneh-
men, den Finanzausgleich durch mehr Waffenexporte in
die Welt herstellen wollen, dann exportieren Sie neue
Konflikte und Gefahren in die Welt, statt Gefahren zu
mindern. Das ist unverantwortlich und hochgefährlich.
Wir warnen ausdrücklich davor.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707407200

Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen,

Dr. Guido Westerwelle.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich möchte vorab zwei Bemerkungen machen.
Zunächst einmal möchte ich mich sehr herzlich bei den
Berichterstattern bedanken. Sehen Sie es mir bitte nach,
dass ich mich, ohne die anderen Kollegen zurücksetzen
zu wollen, besonders bei dem Hauptberichterstatter,
Herrn Frankenhauser, bedanke. Ich bitte Sie, ihm auch
meine persönlichen Genesungswünsche zu übermitteln.
Ich weiß, dass er gerne an dieser Debatte teilnehmen
würde. Herzlichen Dank für diese Arbeit!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine zweite Vorbemerkung richte ich an Frau
Wieczorek-Zeul. Es hat schon etwas Satirisches, wenn
man elf Jahre lang Verantwortung für die Angelegenhei-
ten des Bundessicherheitsrates gehabt hat


(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Deshalb habe ich das ja gesagt!)


und dann nach wenigen Monaten in der Opposition die-
jenigen, die jetzt regieren, auf die Anklagebank setzt,
obwohl man selber nichts zustande gebracht hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Was?)


Ich muss Ihnen sagen, Frau Wieczorek-Zeul: Elf Jahre
lang saßen Sie da. Wenn Sie sagen, diese Regierung
schraube die Waffenexporte nach oben, und das hier als
Kulisse aufbauen, dann darf ich einmal auf Folgendes
aufmerksam machen: Jede Waffe, die derzeit ins Aus-
land exportiert wird, wurde nicht von dieser Regierung
projektiert, sondern im Schnitt in den sieben Jahren von
Rot-Grün. Das geht nämlich nicht von jetzt auf gleich.
Das, was Sie hier heute beklagen, liegt also in Ihrer Ver-
antwortung. Das ist abenteuerlich.





Bundesminister Dr. Guido Westerwelle


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, Deutschland ist vor weni-
gen Monaten in den Sicherheitsrat der Vereinten Na-
tionen gewählt worden. Das ist ein Erfolg der deutschen
Außenpolitik; aber es ist noch viel mehr ein Erfolg
Deutschlands in der Welt. Es ist ein Vertrauensbeweis.
Es zeigt, welches hohe Ansehen wir haben. Noch nie-
mals musste sich Deutschland einer solchen Abstim-
mung stellen, in der es mehr Kandidaten als Plätze gab.
Wir haben uns im ersten Wahlgang in einer geheimen
Abstimmung mit einer Zweidrittelmehrheit gegen sehr
respektable Kandidaten durchgesetzt. Das zeigt, dass das
Ansehen Deutschlands in der Welt hoch ist. Daran haben
sehr viele Anteil, aber auch die Regierung. Ich denke,
bei allem, was eine Opposition immer mäkeln muss,
könnten Sie dies auch anerkennen. Wir können stolz sein
auf das Ansehen, das Deutschland in der Welt genießt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Trotz Schwarz-Gelb!)


Natürlich geht es im Sicherheitsrat der Vereinten Na-
tionen besonders um die Frage der Konfliktprävention
und der Konfliktlösungen. Die Welt ist alles andere als
friedlich. Deswegen will ich an dieser Stelle klar zum
Ausdruck bringen: Wir sind sehr besorgt über die gestri-
gen Vorfälle auf der koreanischen Halbinsel. Den nord-
koreanischen Artillerieangriff auf die Insel Yeonpyeong
verurteilen wir scharf. Eine solche Aggression ist durch
nichts zu rechtfertigen. Die internationale Staatenge-
meinschaft lässt sich nicht erpressen. Wir fordern Nord-
korea auf, das Waffenstillstandsabkommen zu beachten
und zu völkerrechtsmäßigem Handeln zurückzukehren.
Deshalb hat das Auswärtige Amt heute den nordkoreani-
schen Botschafter einbestellt. Die besonnene Reaktion
des südkoreanischen Präsidenten Lee begrüßen wir aus-
drücklich. Ich darf darauf setzen, dass das die Haltung
nicht nur der Regierung, sondern des ganzen Hauses ist.


(Beifall im ganzen Hause)


Es gibt viele regionale Konflikte, und wir werden in
den nächsten beiden Jahren im Weltsicherheitsrat eine
Menge Arbeit haben. Wir werden uns in Kürze mit dem
Sudan befassen. Wir haben im Auswärtigen Ausschuss
ausführlich darüber gesprochen. Heute Abend werden
wir uns mit den Mandaten auseinandersetzen. Wir wis-
sen, dass das auch in einem Zusammenhang mit regiona-
ler Instabilität steht. Somalia, die Probleme im Jemen,
das ist uns allen hier bekannt. Wir können auf die De-
batte am heutigen Abend verweisen.

Zwei Bereiche möchte ich aber besonders herausgrei-
fen. Das ist zum einen der Nahe Osten. Wir befinden
uns in einer sehr wichtigen und sehr schwierigen Ent-
scheidungsphase, was die wiederaufgenommenen direk-
ten Friedensgespräche angeht. Die Bundesregierung ap-
pelliert an alle Beteiligten, alles zu unterlassen, was
diese ohnehin schwierigen Friedensgespräche gefährden
könnte. Wir setzen darauf, dass eine Zweistaatenlösung
von allen Beteiligten forciert wird und dass in diese
Richtung verhandelt wird. Israels Sicherheit ist für uns
nicht verhandelbar. Aber auch die Palästinenser haben
ein Recht darauf, in einem eigenen Staat selbstbewusst
leben zu können. Ich habe den Gazastreifen besucht;
denn Gaza ist Teil einer Zweistaatenlösung. Wir appel-
lieren an alle, die es angeht, erstens auf Gewalt zu ver-
zichten, aber zweitens auch zuzulassen, dass die Bürge-
rinnen und Bürger in Gaza in vollem Umfange wieder in
den Handelsaustausch mit ihrer Umgebung eintreten
können. Import und Export müssen wieder zugelassen
werden.


(Beifall im ganzen Hause)


Der zweite Bereich, den ich in diesem Zusammenhang
ansprechen möchte, ist Iran. Wenn man hier vor einem
Jahr über Iran gesprochen hat, dann ist die Frage gestellt
worden: Schafft es die internationale Politik, eine ge-
meinsame Haltung der Völkergemeinschaft zustande zu
bringen? Genau das ist uns gelungen. Das ist nicht allein
der Erfolg der deutschen Bundesregierung und deutscher
Außenpolitik. Es ist auch dem umsichtigen und vor allen
Dingen auch klugen und abgewogenen Verhalten vieler
Beteiligter in der Welt geschuldet. Wir haben auf vielen
Konferenzen Russland und China überzeugen können, im
Sicherheitsrat mit uns gemeinsam zu stimmen.

Wir haben in Europa im Kreis der 27 Mitgliedstaaten
dafür gesorgt, dass die Sanktionen gemeinsam getragen
werden. Das hat vor wenigen Monaten niemand für
möglich gehalten. Das zeigt: Die Welt ist in Bewegung,
und die Welt will nicht zusehen, dass sich der Iran ato-
mar bewaffnet. Eine atomare Bewaffnung des Irans ist
für die internationale Völkergemeinschaft nicht akzepta-
bel; das können wir nicht akzeptieren. Deswegen brau-
chen wir eine geschlossene Haltung der internationalen
Völkergemeinschaft in diesem Zusammenhang. Ich be-
grüße, dass es zu dieser geschlossenen Haltung gekom-
men ist.

Wir wollen nicht, dass sich immer mehr Staaten ato-
mar bewaffnen. Dabei geht es nicht um irgendwelche
fernen Regionen, sondern um unsere Sicherheit hier in
Deutschland. Je mehr Staaten sich atomar bewaffnen,
desto instabiler wird die Welt und desto größer ist die
Gefahr, dass Terroristen Zugriff auf Nuklearwaffen be-
kommen. Man mag sich gar nicht ausmalen, welch eine
Gefährdung das für die Menschheit darstellte. Deswegen
setzt die Bundesregierung auf nukleare Nichtverbreitung
und auf Abrüstungspolitik. Es sind zwei Seiten dersel-
ben Medaille.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707407300

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Malczak?

Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:

Bitte schön.


Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707407400

Herr Minister, Sie haben meine vollste Unterstützung

für diesen Satz, den Sie schon häufiger gesagt haben.
Auch die Kanzlerin hat heute in der Debatte betont, dass





Agnes Malczak


(A) (C)



(D)(B)

die Proliferation von Massenvernichtungswaffen eine der
größten Gefahren auf der Welt darstellt. Deshalb möchte
ich Ihnen die Frage stellen, warum dann die Haushalts-
mittel für Abrüstung von 61 Millionen auf 41,8 Millio-
nen, also um rund ein Drittel, gekürzt werden. Als wir Sie
das in den Ausschüssen gefragt haben, haben Sie darauf
hingewiesen, dass zum Beispiel die mit Russland verein-
barten Projekte zur Vernichtung von Chemiewaffen aus-
laufen. Aber gerade weil die Proliferation von Massen-
vernichtungswaffen ein so großes Problem ist, reicht der
Hinweis auf auslaufende Projekte zur Begründung nicht
aus. Es gibt mehr als genug andere mögliche Projekte zur
Vernichtung von Waffen, ob es sich dabei um Streumuni-
tion, Chemiewaffen oder andere Waffentypen handelt. Auch
im nuklearen Bereich gibt es zahlreiche unterstützens-
werte Initiativen und Konferenzen, die für den Beitritt zu
bestimmten, für die Abrüstungspolitik wichtigen Verträ-
gen werben. Deshalb frage ich Sie, ob die Kürzungen zu
Ihrer Aussage passen, dass Abrüstung ein Schwerpunkt
Ihrer Politik ist und dass die Proliferation von Massenver-
nichtungswaffen eine der größten Gefahren darstellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich möchte zuerst da-
rauf aufmerksam machen, dass es aus meiner Sicht un-
zulässig ist, den Haushalt dieses Jahres ausschließlich
mit dem Haushalt letzten Jahres zu vergleichen; denn
man muss schon den Schnitt der letzten fünf Jahre sehen,
wenn man ein Kapitel des Haushaltes fair bewerten
möchte. Wir liegen ziemlich genau im Schnitt der letzten
fünf Jahre bzw. sogar noch etwas darüber. Es ist richtig,
dass diese Politik fortgesetzt wird. Das gilt übrigens aus-
drücklich für den Bereich der Auswärtigen Kulturpoli-
tik, auf den bereits eingegangen wurde. Dieser Ansatz
steigt im nächsten Jahr sogar im Vergleich zu dem für
dieses Jahr. Das wird gerne vergessen, wenn man nur auf
die absoluten Zahlen schaut.

Auf Ihre Frage nach der Abrüstung möchte ich Ihnen
genau antworten. Was steckt dahinter? Das Kapitel, das
Sie ansprechen, beinhaltet zum Beispiel das Ausgaben-
programm für die Vernichtung von Massenvernichtungs-
waffen in Russland. Es geht hier um gemeinsame Part-
nerschaften, die vor zehn Jahren mit Russland begründet
worden sind. Wir haben Geld dafür gegeben, dass Russ-
land Massenvernichtungswaffen abrüstet und vernichtet.
Nun stellen wir aber fest, dass diese Programme nach
zehn Jahren auslaufen werden. Wir sind der Überzeu-
gung: Mittlerweile ist Russland wirtschaftlich in der
Lage, die Vernichtung der eigenen Massenvernichtungs-
waffen selbst zu finanzieren. Auch Russland muss hier
seinen Beitrag leisten. Deswegen wird dieser Ansatz zu-
rückgeführt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Was den Iran angeht: Aus unserer Sicht ist es von gro-
ßer Bedeutung, an den Iran zu appellieren, dass die beiden
deutschen Staatsbürger, die dort derzeit in Haft sitzen,
möglichst umfassend – auch konsularisch – betreut wer-
den und dass Anwälte Zugang haben. Ich möchte Ihnen
versichern, dass wir alles daransetzen, dass diese beiden
deutschen Staatsbürger so schnell wie möglich wieder in
unser Land zurückkehren. Dies ist die klare Erwartungs-
haltung der Bundesregierung und – darin bin ich sicher –
nicht nur der Fraktionen, die sie tragen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. h. c. Gernot Erler [SPD])


Wir haben aber auch in Europa verschiedene Fragen
zu besprechen. Ich werde an dieser Stelle das Thema
Afghanistan nicht weiter ausführen. Es ist oft angespro-
chen worden. Nur ein kleiner Hinweis sei mir erlaubt.
Wir haben oft grundsätzlich über Wahlen gesprochen.
Heute sind die Wahlergebnisse bekannt geworden. Wenn
man in Rechnung stellt, dass zum ersten Mal Wahlen in
afghanischer Verantwortung stattfinden, dann ist es be-
merkenswert, dass die afghanischen Stellen selbst den
Vorwürfen des Wahlbetrugs konkret nachgehen. Das hat
auch Konsequenzen, und es wird nichts vertuscht. Viel-
mehr decken afghanische Stellen selbst Wahlbetrug auf.
So wurden zum Beispiel 27 Abgeordneten die Mandate
aberkannt, weil sie nicht rechtmäßig zustande gekom-
men sind. All das muss man, wenn man die Lage diffe-
renziert bewertet, anerkennend feststellen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das sind Fortschritte, die gesehen werden müssen, neben
all den Rückschlägen, die es natürlich auch gibt.

Es gibt aber auch Konflikte in Europa. Ich nenne
Transnistrien und Georgien. Die Rede des Präsidenten
vor dem Europäischen Parlament ist angesprochen wor-
den. Es war eine wichtige, bemerkenswerte Rede. Im
westlichen Balkan – Herr Kollege Polenz war so freund-
lich, darauf hinzuweisen – haben wir große Fortschritte
machen können. Es ist uns gelungen, Serbien zu einem
Politikwechsel in Sachen Kosovo zu bewegen. Das ist
ein gemeinsamer Erfolg Europas.

Entscheidend ist natürlich auch – damit will ich
schließen –, was aus Europa wird. Ich will dazu ganz
klar eine Erklärung für die Bundesregierung, aber auch
für mich ganz persönlich abgeben. Man hat es im Au-
genblick nicht leicht, wenn man nach Europa schaut.
Trotzdem kann ich uns nur raten, Europa zu keiner
Stunde in der Substanz infrage zu stellen. Wenn wir hier
über regionale Konflikte sprechen, über die des westli-
chen Balkans beispielsweise, dann kann ich nur dazu
aufrufen, nicht nur zu fragen, welche Schwierigkeiten
wir mit Europa haben, sondern auch daran zu denken,
welches Glück wir mit Europa haben. Dass wir hier
friedlich leben können, von Freunden umgeben sind, hat
vor allen Dingen etwas mit Europa zu tun. Auch dass wir
wieder als Mitglied der europäischen Gemeinschaft und
der Völkergemeinschaft anerkannt sind, hat etwas mit
Europa zu tun. Wenn die deutsche Bundesregierung da-
für sorgen will, dass auch private Gläubiger an den Kos-
ten der Krise beteiligt werden, also nicht jedes Investi-
tionsrisiko auf den Steuerzahler abgewälzt werden kann,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das machen Sie doch!)






Bundesminister Dr. Guido Westerwelle


(A) (C)



(D)(B)

dann ist das die beste Wahrnehmung europäischer Inte-
ressen. Nicht nur die Interessen deutscher Steuerzahler
werden wahrgenommen, sondern es werden die Interes-
sen aller europäischen Steuerzahler wahrgenommen.
Deswegen weise ich die Kritik von Präsident Barroso in
aller Form hier im Deutschen Bundestag zurück.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Brüssel wird das anders gesehen!)


Abrüstungspolitik ist eine wichtige Frage. Ob es Ih-
nen gefällt oder nicht, wir müssen feststellen, dass wir in
der Abrüstungspolitik Fortschritte gemacht haben. Es
mag Ihnen nicht genug sein, was jetzt bei dem NATO-
Gipfel herausgekommen ist. Sie finden für jede Position
immer einen Kronzeugen. Aber eines stelle ich fest: Die
letzte strategische Schrift der NATO wurde 1999 verab-
schiedet. Damals, als Sie Verantwortung trugen, hat die
Abrüstung keine Rolle gespielt. Dieses Mal ist sie ein
zentrales Anliegen der NATO. So viel Abrüstung gab es
in der NATO noch nie.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Nur aufgeschrieben! Nichts passiert!)


Wir werden diesen Weg fortsetzen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707407500

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege

Alexander Ulrich das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707407600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf Europa len-
ken. Das Thema passt gut in die Haushaltswoche hinein.
Nach dem Griechenland-Paket folgte in diesem Jahr das
Euro-Rettungspaket. Damals hieß es, die 750 Milliar-
den Euro – davon allein fast 150 Milliarden Euro von
deutscher Seite – würden bereitgestellt, damit sie nie-
mals in Anspruch genommen werden müssten. Kein hal-
bes Jahr später leisten die Bundeskanzlerin und die Bun-
desregierung den Offenbarungseid. Jetzt soll Irland mit
deutschen Steuergeldern in Höhe von über 25 Milliar-
den Euro geholfen werden.

Aber wollen Sie wirklich Irland helfen? Nein. Ihnen
geht es wie bei Griechenland allein darum, die deutschen
Banken und die Spekulanten zu retten. Man möchte Ih-
nen dazu in Anlehnung an Bertolt Brecht zurufen: Was
ist schon ein Überfall auf eine Bank im Vergleich zur
Rettung einer Bank? Nach diesem Motto verfährt diese
Bundesregierung.

Wieder soll der Steuerzahler den Schaden bezahlen,
den er nicht angerichtet hat, und wieder versucht die
Bundesregierung, die Menschen zu täuschen. Da geistert
Herr Brüderle durch die Talkshows und spricht davon,
dass es nur Bürgschaften wären. Wieder soll den Leuten
damit Sand in die Augen gestreut werden. Sie, Herr Au-
ßenminister, wissen, dass ein Großteil dieses Geldes ver-
loren sein wird. Bereits jetzt sprechen Börsenanalysten
davon, dass die Umschuldung kommen wird, auch im
Fall Irland. Dann werden auch die Bürgschaften fällig.
Tatsache ist: Sie lassen den deutschen Steuerzahler für
die verbrecherischen Geschäfte der Finanzinvestoren
und Banken bezahlen.


(Beifall bei der LINKEN – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn die Alternative? Konkret!)


Ich habe heute Morgen gelesen, dass Frau Merkel be-
reits 2011, also bereits nachdem Sie Milliarden Steuer-
gelder an die Banken herausgereicht haben, die privaten
Gläubiger beteiligen will. Ich kann das nur noch als Zy-
nismus bezeichnen. Für wie dumm hält die Bundesregie-
rung die Bevölkerung eigentlich? Sie wissen es, also sa-
gen Sie es hier auch.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: So ist das!)


Eine wirkliche Gläubigerhaftung ist selbstverständlich
nicht vorgesehen. Diese unverantwortliche Politik muss
endlich beendet werden. Die Profiteure müssen endlich
zur Kasse gebeten werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Banken müssen zahlen und nicht die Bürgerinnen
und Bürger.

Aber bei Frau Merkel und Herrn Westerwelle habe
ich da wenig Hoffnung. Sie wollen ihrem Freund Herrn
Ackermann von der Deutschen Bank schlicht nicht das
Geschäftsmodell zerstören. Dieses Geschäftsmodell ist
simpel: Verluste werden sozialisiert, sprich: die Verluste
der Banken bezahlen in Deutschland die Beschäftigten,
die Rentnerinnen und Rentner, die Studierenden und die
Hartz-IV-Empfänger. Genau nach diesem Prinzip wollen
Sie auch in Irland verfahren.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit dem EU/IWF-Paket soll der Mindestlohn in Irland
gekürzt werden. Gespart werden soll ganz unten in der
Gesellschaft, gerade bei den Kindern. Frau Merkel, Herr
Westerwelle, Sie werden sich damit sicher einen Namen
in der europäischen Geschichte machen: als Robin Hood
der Reichen. Das ist Ihr Prinzip, das Ihre gesamte Politik
durchzieht: Ich gebe den Reichen und nehme den Ar-
men. Für dieses Prinzip steht auch das Kürzungspaket in
Deutschland.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese unverantwortliche Politik führt Europa in den Ab-
grund. Ob in Griechenland, Spanien, Portugal, Deutsch-
land, jetzt Irland: überall massive Umverteilung von un-
ten nach oben. Die breiten Schultern werden geschont.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam haben
Sie von CDU/CSU über FDP, SPD bis zu den Grünen
der Öffentlichkeit immer erzählt, mit dem Vertrag von
Lissabon würde Europa auch sozialer. Jetzt ist dieser
Vertrag fast ein Jahr in Kraft. Ist Europa sozialer gewor-
den? Viele Menschen in Europa empfinden die Frage





Alexander Ulrich


(A) (C)



(D)(B)

nach einem sozialen Europa angesichts der anhaltenden
Krise und angesichts dessen, dass für sie vom bescheide-
nen Aufschwung nichts im Geldbeutel übrig bleibt, dass
die Wirtschafts- und Finanzkrise europaweit zum weite-
ren Sozialabbau genutzt wird, dass die Verursacher der
Krise genauso spekulieren wie vorher, nur noch als Zy-
nismus.


(Beifall bei der LINKEN)


Die EU verkommt immer mehr zu einem Bankenret-
tungsverein. Es geht nur noch und ausschließlich um
wirtschaftliche Interessen. Der Vertrag von Lissabon
funktioniert geradezu als Brandbeschleuniger in der
Krise. Allein dass es ein Verbot von Kapitalverkehrskon-
trollen im Vertrag von Lissabon gibt, heizt die Krise ge-
radezu an.

Was haben Sie in den letzten zwei Jahren an Finanz-
marktregulierungen in Europa auf den Weg gebracht? So
viel wurde uns auch hier im Bundestag versprochen, und
nichts davon haben Sie gehalten. Alles waren nur Sonn-
tagsreden; alles war Wischiwaschi. Ein paar schwache
Aufsichtsbehörden mehr in Brüssel werden den nächsten
Crash nicht aufhalten können. Wieder sind Sie vor den
Finanzinvestoren eingeknickt.

Angesichts dieses Desasters brauchen wir nicht weni-
ger als eine demokratische Neugründung der Europäi-
schen Union.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen ein Europa, in dem die sozialen Rechte
endlich Vorrang vor dem Kapital erhalten. Wir brauchen
ein Europa, bei dem nicht weiter die Bürgerinnen und
Bürger mit massivem Sozialabbau die Zeche für die
Krise zu bezahlen haben. Wir brauchen endlich die Fi-
nanztransaktionsteuer anstatt Kürzungen im Sozialbe-
reich. In Irland muss die Einnahmeseite verbessert wer-
den. Dort muss endlich das ruinöse Steuerdumping,
insbesondere bei den Unternehmensteuern, beendet wer-
den.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich komme zum Ende. Ich möchte mit einer Aussage
von Hans-Werner Sinn enden, der wahrlich kein Linker
ist. Er – Hans-Werner Sinn! – sagte gestern im Früh-
stücksfernsehen, dass es nicht sein kann, dass die Deut-
sche Bank Geld aus Deutschland abzieht, sich in Irland
verspekuliert und dann der deutsche Steuerzahler das be-
zahlen muss. Recht hat er. Aber genau das hat die deut-
sche Bundesregierung vor.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707407700

Die Kollegin Ute Granold ist nun die nächste Redne-

rin für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1707407800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Die Haushaltsmittel für die Menschenrechtsbil-
dung, Demokratieunterstützung, Rechtsstaatlichkeit und
humanitäre Soforthilfe ressortieren im Haushalt des
Auswärtigen Amtes. Deshalb freue ich mich, dass ich
die Möglichkeit habe, als Mitglied des Ausschusses für
Menschenrechte und Humanitäre Hilfe für die Union ei-
nige Worte zu sagen.

Demokratie, Menschenrechtsbildung, Menschen-
rechte und Rechtsstaatlichkeit sind ein zentrales Thema
unserer wertegebundenen Außenpolitik. Das ist im
Koalitionsvertrag vereinbart, und daran lassen wir uns
messen. Für die Repräsentanten unseres Staates gilt dies
ebenso. Die Bundeskanzlerin sprach zum Beispiel in
China die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und die
Laogai-Lager an. Der Außenminister spricht die Pro-
zesse in Russland – oder auch andere Fragen – an. Ich
erinnere hier auch – das habe ich schon einmal gesagt –
an Ihre Einführungsrede, Herr Minister Westerwelle,
beim Menschenrechtsrat in Genf. Dieser ist eine wich-
tige Einrichtung als Institution der UN, die sich weltweit
um die Menschenrechte kümmert. All das ist ein wichti-
ger Baustein unserer Politik.

Wir Parlamentarier sind – über alle Fraktionen hin-
weg – weltweit unterwegs, um den Finger in die Wunde
zu legen, wenn es um massive Menschenrechtsverlet-
zungen, fehlende Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie
geht. So haben wir in den vergangenen Wochen und Mo-
naten einige Brennpunkte besucht, über die ich kurz
sprechen möchte.

Zunächst aber, Herr Bundesaußenminister, einen Satz
zum Menschenrechtsrat in Genf. Da steht ja nun im
nächsten Jahr ein Review an, das heißt die Überprüfung
der Arbeit des Menschenrechtsrates. Sie ist – wie bei der
Menschenrechtskommission zuvor – unbefriedigend.
Durch die Blockbildung und das Nord-Süd-Gefälle ist es
schwierig, die wirklichen Menschenrechtsverletzungen
aktuell bzw. zeitnah im Menschenrechtsrat zu diskutie-
ren. Teilweise ist es – wenn ich an die Diskussion über
Sri Lanka denke – so absurd, dass unser Anliegen ins
Verkehrte gedreht wird.

Hier geht es darum, mit anderen behutsam dafür zu
werben, dass die Arbeit im Menschenrechtsrat effektiver
wird, dass die Brennpunkte diskutiert werden und dass
die Sonderberichterstatter unabhängig bleiben und
nicht gegängelt werden. Wir bitten Sie – der Ausschuss
wird im Februar 2011 wieder zum Menschenrechtsrat
fahren –, die Position der Deutschen, vielleicht auch zu-
sammen mit unserem Menschenrechtsbeauftragten
Markus Löning – wir finanzieren das ja auch mit –, noch
einmal deutlich zu machen. Das wäre uns ein großes An-
liegen.

Ich möchte hier einige wenige Staaten erwähnen, die
für uns im Blickpunkt standen. Das war und ist der Irak,
der hier schon mehrfach angesprochen wurde. Sie haben,
Herr Außenminister, zugesagt, die neue irakische Regie-
rung zu unterstützen, was die Situation der Minderheiten
– hier insbesondere die der Christen, um die wir uns sehr
gekümmert haben, aber auch die der muslimischen Min-
derheiten – im Staat angeht. Hier geht es darum, den





Ute Granold


(A) (C)



(D)(B)

Menschen, die im Irak bleiben, trotz der schweren Men-
schenrechtsverletzungen eine Perspektive zu geben. Die
deutsche Unterstützung ist zugesagt. Es geht aber auch
darum, dass die Menschen, die Binnenflüchtlinge sind
– es sind mehr als 1 Million, die in den Norden des Irak
geflüchtet sind –, eine wirtschaftliche Grundlage erhal-
ten, ihre Kinder Bildung erfahren und sie zu einem ruhi-
geren Leben kommen.

Es gibt auch viele, viele Flüchtlinge aus dem Irak, die
in die Nachbarländer – nach Syrien, Jordanien, in die
Türkei und den Libanon – geflohen sind, unter schwie-
rigsten Bedingungen dort leben und keine Perspektive
haben, in die Heimat zurückzukehren. Auch diesen Men-
schen muss geholfen werden. Ich danke dem ehemaligen
Innenminister Wolfgang Schäuble sehr – Deutschland
war da führend –, dass wir die Möglichkeit hatten, auf
EU-Ebene 10 000 irakische Flüchtlinge zu uns zu holen
und ihnen zu helfen. In Deutschland sind 2 500 ange-
kommen, die sehr gut integriert sind.

Die Situation ist sehr schwierig, wir lesen jeden Tag
von neuem über Ermordungen insbesondere von Chris-
ten. Die Perspektive ist erschütternd und schwierig. Wir
werben dafür, dass wir diesen Menschen ein weiteres
Mal helfen. Das ist ein Teil unseres christlichen Glau-
bens und unserer Kultur. Diese Menschen bedürfen un-
serer Unterstützung.

Ein anderes Thema: Indien. Wir waren in Indien. Der
Kollege Kober von der FDP ist jetzt nicht mehr da. Wir
wollten nach Indien einreisen und dort auch auf die
schwierige Situation bezüglich der Menschenrechte – ins-
besondere die Religionsfreiheit betreffend – hinweisen.
Es ist schwierig, hierzu als Abgeordneter nach Indien zu
reisen. Wir sind mit kirchlicher Unterstützung in das
Land gekommen. Indien ist die größte Demokratie der
Welt. Die Menschenrechte, auch die Religionsfreiheit,
sind in der Verfassung verankert; trotzdem gab es
schwierige Situationen für die Muslime im Westen von
Indien. 2 000 Muslime wurden umgebracht. Die örtliche
Regierung war in dieses Massaker involviert. Aufgrund
unserer Intervention kam es letztlich dazu – so wurde es
uns dieser Tage aus Indien berichtet –, dass der Innen-
minister in Haft genommen wurde. Die Regierung war
also aktiv involviert in Menschenrechtsverletzungen.

In Ostindien dagegen werden Christen schikaniert
und umgebracht. Es handelt sich um einige Tausend. Da
wurden 300 Kirchen zerstört. Die Menschen sind auf der
Flucht. Darüber muss diskutiert werden, weil die meis-
ten gar nicht wissen, dass Indien auch diese zweite Seite
hat. Die Zentralregierung hat Probleme, da durchzugrei-
fen.

Unsere Aufgabe ist es, den Finger in die Wunde zu le-
gen und Öffentlichkeit zu schaffen. Es war dank der
kirchlichen Nachrichten in Asien, aber auch hier bei uns
möglich geworden, dass in den Medien diese massiven
Menschenrechtsverletzungen thematisiert wurden. Wenn
wir sehen, dass Schritt für Schritt Erfolge erzielt werden,
sind wir auf einem guten Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir sind dieser Tage in Ägypten gewesen. Dort ste-
hen Ende des Monats Wahlen an. Dort gibt es Probleme
mit dem freien Zugang der Opposition zu den Wahlen
und mit durchgängig vorkommender Folter. Das geht
quer durch die Polizei und die Sicherheitskräfte. Die
Menschen sind nicht sicher vor Folter und Misshand-
lung. Blogger werden inhaftiert. Auch hier konnte durch
das Herstellen von Öffentlichkeit und Gespräche, aller-
dings nicht mit der Regierung – von dieser Seite wurden
Gespräche mit uns abgesagt –, sondern mit vielen ande-
ren wie zum Beispiel NGOs, dafür gesorgt werden, dass
der eine oder andere im Nachhinein freigelassen wurde.

Wenn ich an den Iran denke, ist auch hier vieles an-
zusprechen; zum Teil wurde dies hier schon getan. Ich
bin sehr dankbar, dass wir in der nächsten Woche hier im
Bundestag eine große Debatte über den Iran führen wer-
den. Es liegen Anträge von der Koalition und auch von
der Opposition vor, die sich mit der Situation zum Bei-
spiel der Bahai und der Vollstreckung von Todesstrafen
beschäftigen. Wir hatten eben gerade von einem Fall ge-
hört: Hier ist die Steinigung einer Frau vom Tisch; der
Tod durch den Strang ist offenbar auch vom Tisch, wie
heute im Fernsehen gemeldet wurde. Das heißt aber
noch lange nicht, dass die Frau aus dem Gefängnis ent-
lassen wird. Das heißt auch noch lange nicht, dass ihr
Sohn und der Anwalt, die beide auch inhaftiert sind, frei-
kommen. Hier gilt es, wie auch im Fall der beiden Bun-
desbürger, die inhaftiert sind, dafür zu sorgen – die Bun-
desregierung kümmert sich bereits intensiv darum –,
dass die Menschen freigelassen werden.

Wir als Menschenrechtler – in dieser Position spreche
ich gerade zu Ihnen – können dadurch, dass wir Öffent-
lichkeit schaffen, sehr viel erreichen. Viele Staaten der
Welt schauen nämlich auf Deutschland. Deutschland hat
einen guten Ruf in der Welt, gerade auch hinsichtlich
seiner Menschenrechtspolitik. Dieses Pfand sollten wir
nutzen und immer wieder darauf hinweisen, dass für uns
Einhaltung der Menschenrechte, Demokratie und die
Rechtsstaatlichkeit ganz wichtig sind; denn ohne Rechts-
staatlichkeit gibt es keine Menschenrechte und damit
keinen Schutz für Menschen. Das betrifft Afghanistan
ebenso wie China. Bezüglich des Rechtsstaatsdialogs
mit China wurde ja dieser Tage ein weiteres Dreijahres-
programm aufgelegt, was ich für sehr wichtig halte. Es
wurde gerade schon angesprochen, wie wichtig die Rolle
von China in der Auseinandersetzung in Korea ist.

All das sind für uns wichtige Aufgaben und Anliegen.
Wir möchten auch in Zukunft, natürlich zusammen mit
dem Auswärtigen Amt, das für uns eine maßgebliche
Stelle darstellt, dafür sorgen, dass Menschenrechte und
Rechtsstaatlichkeit in der Welt verankert und verteidigt
werden. Für die Unterstützung des ganzen Hauses über
die Ressorts hinweg wären wir Ihnen – ich denke, ich
darf das auch für meine Kollegen im Ausschuss sagen –
sehr dankbar.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])







(A) (C)



(D)(B)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707407900

Nächste Rednerin ist die Kollegin Viola von Cramon-

Taubadel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Damen und Herren! Ich möchte jetzt wieder
den Bogen zurück zur Europapolitik schlagen. Wir ha-
ben gestern vom Kollegen Altmaier unter anderem den
Vorwurf gehört, die vereinigte Opposition habe in der
Haushaltsdebatte zur Irland-Frage geschwiegen, obwohl
die Medien derzeit über nichts anderes schreiben. Das ist
allerdings nur eine Seite der Medaille. Offensichtlich
nimmt der Kollege Altmaier die aktuelle Europadebatte
nur sehr selektiv wahr; denn in der europäischen Öffent-
lichkeit wird nicht nur über Irland diskutiert, sondern
seit Wochen wird in Europa auch darüber geredet und
vor allen Dingen auch geschrieben, wie viel Schaden
und auch Kollateralschaden Frau Merkel bei ihren letz-
ten Auftritten in Brüssel angerichtet hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die private Beteiligung ist, wie wir gehört haben, ein
hehrer Anspruch. Dem stimmen wir zu. Die Durchfüh-
rung dieses Vorhabens war allerdings mangelhaft. Es ist
schon ein diplomatisches Kunststück, alle anderen Mit-
gliedstaaten, die Kommission und die Europäische Zen-
tralbank gegen sich aufzubringen.

Vielleicht haben Sie in der Regierung lange über
diese Aufgabenverteilung nachgedacht und dem Außen-
minister bei dieser Frage bewusst die Kompetenzen für
Europa abgenommen. Das Ergebnis der Kanzlerinnen-
diplomatie ist aber in jedem Fall verheerend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Ich habe mich gefreut, dass Herr Westerwelle eben
geraten hat, „Europa zu keiner Stunde in der Substanz
infrage zu stellen“. Kollege Link hat davon gesprochen,
dass Renationalisierungstendenzen eine Gefahr für das
gesamte Projekt darstellen. Ich möchte aber kurz auf den
Vorwurf des Kollegen Altmaier zurückkommen, wir hät-
ten seinerzeit bei der Abstimmung über den Euro-Ret-
tungsschirm mit fadenscheinigen Argumenten nicht für
den Rettungsschirm gestimmt. Das mag beim ersten
Hinhören so klingen, als wären die wirklichen Europäer
bei den Christdemokraten oder vielleicht noch bei den
Liberalen zu finden.


(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: So ist es doch! Richtig! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU war mal die Europapartei! Heute nicht mehr!)


Allerdings hat uns das monatelange Zögern zu Jahresbe-
ginn, ob man Griechenland nun helfen wolle oder nicht,
in Europa viel politisches Kapital gekostet, und es hat
die Kosten für die Rettung nach Aussagen aller Experten
unnötig erhöht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Tatsache ist leider auch, dass sich die Bundesregie-
rung bei dem neuen Rettungsmechanismus immer noch
gegen eine europäische Lösung stemmt, und zwar vehe-
ment. Jetzt muss ich Sie fragen: Welches Modell von
Europa schwebt Ihnen vor, wenn Sie weiterhin auf inter-
gouvernementale Lösungen setzen, damit wir am Ende
hier in Deutschland in die Wirtschafts- und Finanzpolitik
der anderen Mitgliedstaaten hineinregieren? Das ist für
uns auf Dauer definitiv keine Lösung. Wir wollen, dass
nicht das deutsche Finanzministerium die Steuersätze in
Irland oder in Griechenland bestimmt. Vielmehr sind das
Fragen, die in Brüssel unter der Federführung der Kom-
mission konzipiert und anschließend vom Rat verhandelt
werden müssen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein Länderfinanzausgleich! Sagen Sie es doch!)


– Nein, dazu kommt es nicht.

Wir brauchen eine einheitliche Bemessungsgrund-
lage für die Körperschaftsteuer sowie Mindeststeuer-
sätze für die Europäische Union; das wurde fraktionsüber-
greifend in das EP eingebracht und heute so beschlossen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Europäische Parlament ist der richtige Ort für die
demokratische Kontrolle der Wirtschafts- und Finanz-
politik. Das wäre ernst gemeinte Europapolitik.

Eine Anekdote dazu: In Brüssel wurde jetzt von ei-
nem Institut, dem Bruegel-Institut, ein Vorschlag zu ei-
nem europäischen Krisenmechanismus vorgelegt. Zur
Erläuterung: Das Bruegel-Institut wird im Rahmen eines
Staatsvertrags zu gleichen Teilen vom französischen und
vom deutschen Finanzministerium unterstützt. Genau
diesem Institut wurde in der letzten Bereinigungssitzung
mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen der Zuschuss
gestrichen. Insofern ist nicht nachzuvollziehen, dass Sie
sich noch immer ein proeuropäisches Fähnchen anste-
cken; denn bei keinem anderen Institut wird die europäi-
sche Perspektive besser widergespiegelt als beim Brüs-
seler Bruegel-Institut. Jetzt fragt man sich natürlich in
Europa: Welche Symbolpolitik mag dahinterstehen? Wir
wissen es nicht: War es nur Dummheit oder Unwissen-
heit oder haben die Mitgliedstaaten recht, die darin einen
weiteren Beleg für eine antieuropäische Verschwörung
der Deutschen vermuten? Alle drei Varianten ehren uns
nicht. In jedem Fall ist es ein Politikum, das einmal mehr
zeigt, wie wenig Verständnis insbesondere bei der FDP
für die Verlässlichkeit der deutsch-französischen Zusam-
menarbeit vorhanden ist. Eine Kürzung der Mittel für
solch ein Institut ist das eine; aber das Streichen der Mit-
tel und eine komplette Demontage ist nicht zu akzeptie-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland wird bereits ausreichend der europäi-
schen Demontage bezichtigt. Es kommen schon die ers-
ten Stimmen auf, dass Deutschland auch beim EU-Haus-
halt ab 2014 mit einer Schaufensterpolitik tricksen will.





Viola von Cramon-Taubadel


(A) (C)



(D)(B)

Anstatt den Haushalt sukzessive zu erhöhen, sucht man
hier in Berlin nach Möglichkeiten, um das 1-Prozent-
Ziel offiziell zu erreichen, aber aufgrund der zusätzli-
chen Verwaltungskosten für den Rettungsschirm die tat-
sächliche Summe im Haushalt, die für EU-Politik zur
Verfügung steht, jährlich abzuschmelzen. Das geht aus
unserer Sicht nicht.

Wer sich in Europa umschaut und umhört, der wird
allerdings nicht weniger, sondern immer mehr Projekte
sehen, die für die Zukunftsfähigkeit der Europäischen
Union unersetzlich sind. Konkret geht es um grenzüber-
schreitende Kommunikationsnetze, den Ausbau der
europäischen Energieinfrastruktur und vor allem um
Projekte für den Klimaschutz. Dafür ist aber mehr und
nicht weniger Geld notwendig. Weil diese Infrastruktur
Geld kostet, sollten wir uns an dieser Stelle endlich ein-
mal eine ehrliche Debatte erlauben. Hier geht es um eine
historische Aufgabe. Die Bürgerinnen und Bürger wol-
len sich nicht weiter für dumm verkaufen lassen. Denn
es geht nicht um eine unbegrenzte Transferunion – Herr
Silberhorn, damit komme ich auf Ihre Äußerungen zu-
rück –, sondern um ein Bekenntnis zu einer klar definier-
ten europäischen Solidarität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Probleme sind vorhanden. Wir wollen eine ehrli-
che Debatte. Es geht um fiskalischen Föderalismus. Es
geht um ernst gemeinte europäische Wirtschafts- und
Finanzpolitik. Das möchte ich kurz erläutern.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707408000

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sofort. Letzter Absatz.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707408100

Nein, letzter Satz.


(Heiterkeit)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Finanzminister unterliegt einem echten Denkfeh-
ler, wenn er behauptet, Deutschland könne man nicht als
maßgeblichen Exporteur an den Pranger stellen, wenn
die Handelsbilanz der EU in Gänze ausgeglichen sei.
Aus seiner Sicht heißt das, man schaue sich ja auch nicht
die Exportbilanz von Kalifornien an, wenn man über die
USA rede. Aber genau das ist der entscheidende Unter-
schied. Man kann Kalifornien nicht mit Deutschland
vergleichen, weil es in den USA den fiskalischen Föde-
ralismus längst gibt.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707408200

Kommen Sie bitte zum Schluss.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja. – Dort sorgt ein Finanztransfer zwischen den Ein-
zelstaaten genau für den Ausgleich, den wir in der EU
dringend benötigen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707408300

Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Gauweiler für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Peter Gauweiler (CSU):
Rede ID: ID1707408400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Ich rede hier über die Auswärtige Kul-
tur- und Bildungspolitik, die zu Unrecht als Nebenthema
der auswärtigen Politik abgehandelt wird. Wenn die
Deutschen im Ausland gut dastehen wollen, dann nen-
nen sie sich das Volk der Dichter und Denker. Kein
Thema ist besser geeignet als dieses, um zu prüfen, ob
wir diesem Ruf gerecht werden.

Ich traue mich kaum, es zu sagen: Vielen Dank, Herr
Liebich, für die freundlichen Worte. Ich kann sie an
meine Kolleginnen und Kollegen von den auswärtigen
Arbeitskreisen der Koalition und an die Haushaltspoliti-
ker weitergeben. Sie gehören zu der Oppositionsfrak-
tion, die die Regierung zuordnungsgemäß am schärfsten
kritisiert. Als berufener Zeuge sagen Sie damit, dass wir
aus den Haushaltsberatungen besser herauskommen, als
wir hineingegangen sind. Das ist doch ein großer parla-
mentarischer Erfolg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Klaus Brandner [SPD] – SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war vorher ein sehr schlechter Entwurf!)


Dass es dabei auch Kontroversen gab, spricht doch eher
dafür. Mein Kollege Harald Leibrecht, mein Stellvertre-
ter als Unterausschussvorsitzender, ist heute leider nicht
da. Ich bitte, ihm das auszurichten. Die Kollegin Frau
Staatsministerin Cornelia Pieper ist aber anwesend. Sie
können beiden den Orden für Tapferkeit vor dem
Freunde verleihen; denn sie haben in den letzten Wochen
in dieser Richtung wirklich sehr gut mitgehalten. Ich
hoffe, dass ihnen das jetzt nicht schadet.


(Beifall des Abg. Thomas Silberhorn [CDU/ CSU])


Die vorgesehenen gravierenden Einschnitte waren
nicht verhältnismäßig. Wären sie bei meinen Kollegen
so durchgegangen, hätte die Auswärtige Kulturpolitik
als Zukunfts- und Bildungsaufgabe an Bedeutung verlo-
ren. Die CDU/CSU-Fraktion hat aus der Zeit der Großen
Koalition in diesem Bereich eine gute Bilanz mitgenom-
men; das will ich ausdrücklich sagen. Diese Arbeit setz-
ten wir mit der FDP fort. Angesichts geringerer Mittel,
die zur Verfügung stehen, war das nicht einfach, aber es





Dr. Peter Gauweiler


(A) (C)



(D)(B)

ist uns gelungen. Das ist ein Erfolg der ganzen Regie-
rung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Insbesondere ist es gelungen, die Kürzungen beim
Deutschen Akademischen Austauschdienst zu vermei-
den. Es ist auch gelungen, die Mittel für das Auslands-
schulwesen zu erhöhen. Dass wir zusätzlich 8 Millionen
Euro für die Förderung der deutschen Sprache im Aus-
land durch das Goethe-Institut bekommen haben, war
ein ganz großer Schritt nach vorne.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich finde es auch richtig, dass die bei der Auslandskul-
turarbeit der Kirchen zunächst vorgesehenen Kürzungen
zurückgenommen worden sind. Wir wissen inzwischen
lagerübergreifend, welche Bedeutung diese Arbeit hat.
Ich freue mich, dass die beiden Kirchen mit ungekürzten
Haushalten ihre Arbeit in diesem Bereich im nächsten
Jahr fortsetzen können.

Lassen Sie mich noch kurze Anmerkungen zu einigen
weiteren Themen machen. Wir müssen der Förderung
der deutschen Sprache besondere Beachtung schenken.
Es hat überhaupt keinen Sinn, uns deklaratorisch an
Unterschriftensammlungen, in denen die Aufnahme der
deutschen Sprache ins Grundgesetz gefordert wird, zu
beteiligen, wenn wir gleichzeitig die Mittel für die För-
derung der deutschen Sprache im Ausland kürzen wür-
den. Das wäre völlig unverantwortlich. Deswegen ist es
richtig, dass das Gegenteil getan worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich bin auch froh, dass die Verbindungen des Goethe-
Instituts mit dem Deutschen Akademischen Austausch-
dienst wieder gestärkt worden sind. Es ist auch groß-
artig, dass in der Zwischenzeit in Osteuropa, in der soge-
nannten GUS, der Anteil der deutschsprechenden
Menschen auf 38 Prozent gestiegen ist. Ich denke, dass
wir unsere diesbezüglichen Anstrengungen eher aus-
bauen sollten.

Das Geld ist vorhanden. Es war ein Erfolg des Bun-
destages und seines Kulturausschusses, dass der Etat des
Staatsministers bei der Bundeskanzlerin erhöht worden
ist. Heute ist in einem anderen Zusammenhang auf die
Debatte hinsichtlich der vom Grundgesetz festgelegten
Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in
Sachen Kultur schon hingewiesen worden. In einem
Punkt ist das Grundgesetz ganz eindeutig: Die Auswär-
tige Kultur- und Bildungspolitik liegt in der ausschließli-
chen Zuständigkeit des Bundes. Es kann doch nicht sein,
dass in dem umstrittenen Bereich die Ansätze verdoppelt
werden, während in dem Bereich, für den der Bund
zweifelsohne zuständig ist, Kürzungen als selbstver-
ständlich angesehen werden. Ich bin froh, dass dies ab-
gewehrt worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Klaus Brandner [SPD])


Ich möchte Sie auf eine Anregung des entsprechen-
den Arbeitskreises meiner Fraktion hinweisen: Eine
deutsche Schule im Ausland kann beispielsweise För-
dermittel in Höhe von 8 000 bis 10 000 Euro erhalten.
Für eine solche Schule wäre es eine Katastrophe, wenn
sie aufgrund der plötzlich gekürzten Förderung ihre Sa-
nitäranlagen nicht hätte reparieren können. Wir sehen es
daher als Ziel einer zukunftsorientierten Haushaltspolitik
der stärksten Wirtschaftsmacht Europas an, dass in die-
sem wirtschaftlich ohnehin extrem schmalen Bereich
– ich als erfahrener Polemiker muss mich zurückneh-
men, Vergleiche anzustellen, wenn in anderen Zusam-
menhängen über Milliardenbeträge gesprochen wird –
Kürzungen ausgenommen bzw. die „Ultissima Ratio“
sein sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN!)


Ich möchte auch daran erinnern, dass die Leistung der
Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik im Bereich der
Krisenprävention nicht hoch genug eingeschätzt werden
kann.

Als ich 1968 in die Politik eingestiegen bin, hätte ich
mir nicht gedacht, als alter Antikommunist einmal von
einem Vertreter der Linkspartei gelobt zu werden.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Darüber sollten Sie einmal nachdenken, Dr. Gauweiler!)


Im Jahr 1968 hätte ich mir auch nicht vorstellen können,
mich im Jahre 2010 einmal darüber freuen zu können,
dass bei der Tausendjahrfeier der Stadt Hanoi, die vor
wenigen Tagen stattfand, Beethovens Ode an die Freude
in deutscher Sprache aufgeführt werden würde.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707408500

Nun hat der Kollege Christoph Strässer das Wort für

die SPD-Fraktion.


Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1707408600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich fand das von Herrn Dr. Gauweiler zum Schluss Ge-
sagte bemerkenswert. Ich kann nur sagen: Die Nachwir-
kungen der 68er erreichen sogar Sie und Hanoi. Das ist
doch eine gute Entwicklung, das ist doch wunderbar.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


Ich möchte gern zu zwei Dingen Stellung nehmen, die
zum Teil schon eine Rolle gespielt haben. Ich meine das
Thema Menschenrechte, das aus meiner Tätigkeit heraus
bei mir im Vordergrund steht, und den Bereich, der lei-
der Gottes nur am Rande, wenn überhaupt, mit zwei Be-
merkungen eine Rolle gespielt hat, nämlich das Thema
Afrika.

Das kann natürlich zwei Gründe haben. Der eine
Grund ist – ich hoffe nicht, dass das der Fall ist –, dass
Afrika für die deutsche Bundesregierung, für den Deut-
schen Bundestag keine Rolle spielt. Der Kollege Fischer





Christoph Strässer


(A) (C)



(D)(B)

ist gestern Abend zum Vorsitzenden der Deutschen
Afrika-Stiftung gewählt worden. Noch einmal herzli-
chen Glückwunsch dazu!


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, dass wir uns darüber klar werden müssen,
dass die Entwicklung auf unserem Nachbarkontinent den
Frieden in Europa und den Frieden auf der ganzen Welt
massiv beeinflussen wird. Deshalb hätte ich es mir ge-
wünscht, etwas mehr darüber zu hören, was diese Bun-
desregierung in den nächsten Wochen und Monaten
plant. Wir haben ja Ende des Monats den EU-Afrika-
Gipfel in Libyen.


(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Nächste Woche!)


– Nächste Woche geht er los, am 27. November.

Wir warten im Parlament und in den Fraktionen auf
das schon im April zugesagte Afrika-Konzept, das uns
vor der Sommerpause zur Verfügung stehen sollte.
Nichts ist auf dem Tisch. Ich würde mir wünschen, Herr
Außenminister, dass Sie uns einmal über das unterrich-
ten, was Sie dort im Kontext der EU erreichen wollen.
Es gibt eine Fortsetzung der EU-Strategie, die zum ers-
ten Mal – das ist gut, und das ist richtig – Afrika als ei-
nen Partner auf Augenhöhe angesehen hat. Es wäre si-
cherlich angemessen, wenn wir in diesem Hohen Haus
auch einmal über diese Themen diskutieren würden.
Denn Afrika ist unser Nachbarkontinent, und er braucht
eine Zukunft mit unserer Unterstützung auf Augenhöhe.
In vielen Bereichen sind wir da aus meiner Sicht noch
nicht auf dem Stand der Dinge.


(Beifall bei der SPD)


Eine weitere Bemerkung betrifft den zweiten Bereich,
der natürlich auch etwas mit Afrika zu tun hat. Das ist
die Frage: Wie arbeitet diese Bundesregierung eigentlich
im Bereich der Menschenrechte? Frau Granold, Ihren
Ausführungen bin ich sehr aufmerksam gefolgt, hatte al-
lerdings den Eindruck, dass das mehr eine Regierungs-
erklärung war als eine Stellungnahme aus dem Parla-
ment heraus. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass
Sie all das, was diese Bundesregierung macht – auch aus
Ihrer Erfahrung aus den vergangenen Beratungen im
Menschenrechtsausschuss –, so uneingeschränkt gut fin-
den, wie Sie es hier dargestellt haben.

Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen. Sie haben be-
gonnen – da habe ich gedacht, jetzt wird es spannend –
mit den Schwerpunkten der Menschenrechtspolitik: Kri-
senprävention, Demokratieförderung, Institutionenauf-
bau und all diesen wunderbaren Dingen, die wir gemein-
sam im Ausschuss diskutieren und für die wir immer
wieder einstehen. Aber was ist denn die Realität? Sie sa-
gen: Die Bundeskanzlerin und der Außenminister fahren
durch die Welt und erklären überall, wie wichtig es sei,
die Menschenrechte einzuhalten. Auch das ist richtig;
niemand wird dem widersprechen.

Es ist für die Menschenrechtspolitik auch gut und
richtig, dass die Bundesrepublik Deutschland – das ist
jedenfalls meine Meinung – einen Sitz im Weltsicher-
heitsrat hat. Aber jetzt kommt die Kehrseite der Me-
daille. Ich möchte einmal fragen, ob dieser Erfolg, zu
dem ich Sie übrigens beglückwünsche – ohne jeden
Zweifel –, erzielt worden wäre, errungen worden wäre,
wenn die Menschen, die uns dort in der Versammlung im
ersten Wahlgang gewählt haben, gewusst hätten, was wir
mit diesem Haushalt beschließen sollen, meine Damen
und Herren. Denn eines ist doch klar: Die erste Amts-
handlung der Bundesregierung und des Deutschen Bun-
destags nach Mitgliedschaft im Weltsicherheitsrat ist
Kürzung in allen Bereichen, die die Vereinten Nationen
betreffen.


(Edelgard Bulmahn [SPD]: Wohl wahr!)


Ob das nun bei den denjenigen auf Zustimmung stößt,
die uns da gewählt haben, wage ich sehr zu bezweifeln.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich hätte mir gewünscht, meine Damen und Herren,
dass das in den parlamentarischen Beratungen passiert
wäre, was wir in den vergangenen Jahren gerade im
Menschenrechtsausschuss immer hinbekommen haben,
nämlich zumindest an der einen oder anderen Stelle
nachzubessern, an der einen oder anderen Stelle aufzu-
satteln, auch in Zeiten, wo gekürzt werden muss.

Aber das ist schon angekündigt worden: Bei der rela-
tiv geringen prozentualen Absenkung des Haushalts ins-
gesamt sind Absenkungen zwischen 30 Prozent und
50 Prozent in Bereichen der wesentlichen menschen-
rechtlichen Fragen das Gegenteil von glaubwürdiger
Menschenrechtspolitik. Das beschädigt die Menschen-
rechtspolitik und die Außenpolitik der Bundesrepublik
Deutschland in der Sicht des Auslandes ganz massiv.
Dass das mit Ihrer Zustimmung, ohne Widerstand in die-
sem Parlament durchgeht, finde ich beschämend. Das
muss ich einmal ganz deutlich sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will Ihnen auch zwei konkrete Beispiele nennen,
in denen wir gerade in den letzten Jahren gemeinsam ge-
arbeitet haben. Das eine ist das Beispiel humanitäres
Minenräumen mit den Bereichen Konfliktprävention
und Nachsorge von Konflikten. Ich will Ihnen sagen,
dass wir in den letzten Jahren bei jedem Haushalt aufge-
sattelt haben, mit Diskussionsergebnis und Votum des
Menschenrechtsausschusses. In diesem Jahr wird in die-
sen Bereichen gekürzt.

Was heißt das denn? Frau Wieczorek-Zeul hat darauf
hingewiesen: Wir haben Erfolge erzielt bei der Ächtung
von Landminen, bei der Ächtung von Streumunition.
Das kann doch aber, bitte schön, nicht bedeuten, dass wir
uns jetzt um die Altlasten zumindest nicht mehr in dem
Maße kümmern, wie wir das in den letzten Jahren getan
haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Christoph Strässer


(A) (C)



(D)(B)

Ich glaube, auch hier machen wir einen Fehler in der
humanitären Arbeit, der uns noch schwer zu schaffen
machen wird.

Ich will einmal ein Beispiel nennen, das mich jetzt
ganz konkret betrifft. Daran kann ich das sehr deutlich
machen. Ich werde auf Einladung des Ministers für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Anfang
Dezember unter anderem nach Sambia fahren. Wir be-
kommen Sicherheitshinweise aus dem Auswärtigen
Amt. In diesen Sicherheitshinweisen steht, man solle
bitte schön vorsichtig sein, im Grenzbereich zwischen
Sambia und der Demokratischen Republik Kongo seien
nicht gekennzeichnete Minenfelder. Diese Hinweise be-
kommen wir als Abgeordnete, die dorthin fahren. Jetzt
überlegen Sie sich einmal bitte, was mit den Kindern,
mit den Menschen passiert, die keine Hinweise bekom-
men, die in diesem Bereich arbeiten oder spielen und in
diese Minenfelder rennen. Sie verlieren Gliedmaßen und
werden für ihr Leben verstümmelt. Dennoch sagen wir,
dass wir die Mittel für diesen Bereich kürzen. Ich finde
das zynisch. Das kann der Bundestag eigentlich nicht zu-
lassen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein letzter Punkt: Förderung von UN-Institutionen.
Einige Beispiele sind schon genannt worden. Kollege
Leutert von der Linkspartei und Kollege Haibach von
der Union waren 2007 unter anderem im Gazastreifen.
Im Jahre 2007 war die humanitäre Situation dort schon
desaströs. Ich finde es ausgesprochen gut, dass Sie dort-
hin gefahren sind, aber Sie müssten sich doch Gedanken
darüber machen, was dort passiert, und zwar nicht nur
bezogen auf den Zugang und ein Ende der Blockade,
sondern auch konkret bezüglich der Kinder, die aufgrund
der Kürzungen bei UNRWA nicht mehr zur Schule ge-
hen können.

Unverdächtige Menschenrechtsorganisationen, mit
denen wir gesprochen haben, haben uns gesagt: Im Mo-
ment habt ihr hier Hamas – das war 2007 –; wenn das so
weitergeht mit der Rückführung der humanitären Hilfe,
mit der Einschränkung des Zugangs und insbesondere
mit der Benachteiligung von Kindern, haben wir hier in
zehn Jahren nicht mehr Hamas, sondern al-Qaida.

Meine Damen und Herren, wenn das die Konsequenz
aus einer wirklich nicht stark den Haushalt belastenden
Ausgabenpolitik ist, bin ich wieder bei Ruprecht Polenz,
der zu Recht gesagt hat: Krisenprävention ist das beste
Mittel zur Verhinderung von Terrorismus. Wenn dieser
Haushaltsetat um ein Drittel gekürzt wird, dann kann ich
nur darauf hinweisen, dass die Bekämpfung des Terro-
rismus mit krisenpräventiven Mitteln nicht erfolgreich
sein wird. Wir müssen hier umkehren, sonst müssen wir
später mit militärischen Mitteln Schäden beseitigen; das
wollen wir alle nicht. Deshalb ist dieser Haushalt in die-
sem Punkt aus meiner Sicht absolut unzureichend.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707408700

Das Wort hat nun Kollege Bijan Djir-Sarai für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bijan Djir-Sarai (FDP):
Rede ID: ID1707408800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle

wissen, dass die Debatten zur Verabschiedung des Haus-
haltes viel mehr beinhalten als nur das Vortragen eines
Zahlenwerkes.


(Beifall bei der FDP)


Diese Debatte ist auch mehr als eine lieblose Aufzählung
von angeblich verantwortungslosen Kürzungen. Diese
Aufzählung haben wir heute von Ihnen ausreichend ge-
hört. Ich nehme die Forderungen sehr ernst – das können
Sie mir glauben – und mache mir meine Gedanken da-
rüber.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und?)


Aber bei Ihren Forderungen fehlt leider eine realistische
Betrachtung der aktuellen Lage.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es weniger Gewalt in der Welt? Gibt es weniger Waffen in der Welt?)


Ich werde Ihnen sagen, warum, Herr Kollege. Schul-
denbremse und Haushaltskonsolidierung sind große He-
rausforderungen für unser Land und natürlich auch für
die Außenpolitik unseres Landes. Wir brauchen heute
konstruktive Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung
auf der einen Seite und zukunftsweisenden Außenpolitik
auf der anderen Seite.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir gemacht im Haushaltsverfahren! Haben Sie abgelehnt! Sie waren dagegen!)


– Herr Kollege, nicht so aggressiv, Sie sind doch Pazi-
fist. Bleiben Sie doch locker.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Deswegen muss er als Pazifist doch nicht stumm sein!)


Bei der Aufstellung des Haushaltes 2011 haben wir
sehr genau darauf geachtet, dass wir diesen Prinzipien
treu bleiben. Deutsche Außenpolitik ist wertegebunden
und interessengeleitet. Deutsche Außenpolitik ist ziel-
orientiert und nachhaltig. Der im Haushalt 2011 zu leis-
tende Einsparbetrag fällt uns nicht leicht; das möchte ich
betonen. Wir sparen aber nicht mit dem Rasenmäher.
Zur Realisierung der Sparbeschlüsse war eine starke
Priorisierung nötig. Das galt insbesondere für den Be-
reich der politischen Ausgaben.

Eine haushaltspolitische Realität ist ganz klar die Si-
tuation in Afghanistan. Der Ansatz von 180 Millionen





Dr. Bijan Djir-Sarai


(A) (C)



(D)(B)

Euro wird jetzt vollständig aus dem Haushalt des Aus-
wärtigen Amtes getragen; das hat für uns Priorität.
90 Millionen Euro mussten daher in anderen Bereichen
erwirtschaftet werden. Wir haben Verantwortung in
Afghanistan übernommen. Vordringliches Ziel ist jetzt,
dass wir diese möglichst bald an die Afghanen überge-
ben können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unsere Prioritäten sind eindeutig. Sie liegen neben
der Region Afghanistan/Pakistan im zukunftsträchtigen
Bereich der Bildung und Forschung. Die Einsparungen
in diesem Bereich sind im Vergleich zu den Gesamtein-
sparungen von 2,8 Prozent im Gesamthaushalt des Aus-
wärtigen Amtes unterproportional ausgefallen. Das sehe
ich als ein klares Bekenntnis. Wir wollen, dass auch in
Zukunft deutsche Bildungs- und Kulturarbeit im Aus-
land erhalten bleiben.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707408900

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Nouripour?


Bijan Djir-Sarai (FDP):
Rede ID: ID1707409000

Nein.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Schade!)


Dieses Budget hat in den vergangenen Jahren eine
überproportionale Mittelaufstockung erfahren. Wir lie-
gen mit dem Ansatz für 2011 immer noch über dem Ni-
veau der Jahre vor 2008 und sind voll handlungsfähig.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Haushaltstricksereien bei der Berechnung!)


Einschränkungen können wir teilweise durch Sondermit-
tel für Bildung und Forschung abfedern.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles Haushaltstricksereien! Es gibt keine zusätzlichen Mittel!)


Dieses Geld setzen wir im Auslandsschulwesen, für
Auslandslehrer, für Schulbeihilfen, für Stipendien und
für Wissenschaftsbeziehungen ein.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht zusätzlich! Das ist ganz wichtig!)


Außerdem stellen wir sicher, dass bei allen Bildungs-
titeln im Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungs-
politik uneingeschränkt das Niveau des Haushaltes von
2010 erhalten werden kann. In Zeiten der Haushaltskon-
solidierung geht leider nicht alles, was wünschenswert
ist. Das ist realistisch und weitsichtig.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie erst die Steuern für Hotels senken, müssen Sie sich nicht wundern, wenn Sie danach weniger Geld haben!)


Unsere Außenpolitik ist auch in multilaterale Strate-
gien eingebunden. So zahlen wir – das ist im Haushalt
des Auswärtigen Amtes kein kleiner Posten – Pflichtbei-
träge an internationale Organisationen wie die Vereinten
Nationen und die EU; auch dies gehört zur deutschen
Außenpolitik. Als großer Beitragszahler hat Deutschland
einen maßgeblichen Anteil an den humanitären Hilfs-
maßnahmen von EU-Kommission und Vereinten Natio-
nen.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die auch gekürzt werden!)


Diese Hilfsgelder, die von Deutschland multilateral ge-
zahlt werden, dürfen wir nicht außen vor lassen.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wird auch gekürzt!)


Ich möchte ein Beispiel, das noch nicht allzu lange
her ist, nennen. Die jüngsten Entwicklungen in Pakistan
zeigen die Bedeutung der humanitären Hilfe für das
Auswärtige Amt. Neben den eigenen Hilfsausgaben hat
die Bundesrepublik Deutschland über EU und Vereinte
Nationen weitere mehr als 15 Millionen Euro bereitge-
stellt. So federn wir notwendige Einsparungen im Haus-
haltsansatz für humanitäre Hilfe ab. Mit diesem Ansatz
für 2011 bleiben wir aber reaktionsfähig und flexibel.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie kürzen! Gekürzt wird mit Ihrer Hilfe!)


Das ist ein Erfolg, meine Damen und Herren. Zum Ver-
gleich: Noch bis 2007 betrugen die Mittel des Auswärti-
gen Amtes für diesen Bereich nur circa 50 000 Euro.


(Christoph Strässer [SPD]: Wie hoch waren sie denn 2010?)


Der vorliegende Haushaltsentwurf des Auswärtigen
Amtes für 2011 sieht insgesamt Einsparungen in Höhe
von 2,8 Prozent vor;


(Christoph Strässer [SPD]: Und wie viel bei der humanitären Hilfe?)


das ist vorbildlich. Einsparungen liegen im Budget vor-
rangig bei den politischen Ausgaben. Denn die Pflicht-
beiträge für die Mitgliedschaft in internationalen Organi-
sation steigen von Jahr zu Jahr.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Dann wird lieber bei Krisenprävention und Konfliktbewältigung gestrichen!)


Auch die Betriebsausgaben sind nur sehr moderat gestie-
gen.

Unsere Auslandsvertretungen sind wichtig. Sie sind
eine der Kernaufgaben des Auswärtigen Amtes im Aus-
land. Diesen Service für Deutsche im Ausland wollen
und werden wir nicht einschränken.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707409100

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Strässer?


Bijan Djir-Sarai (FDP):
Rede ID: ID1707409200

Nein.


(Christoph Strässer [SPD]: Ach, bitte! – Klaus Brandner [SPD]: Nur keine Zwischenfragen! Seine Rede hat ihm doch das Amt aufgeschrieben! Das merkt doch jeder!)


Dennoch werden wir ab dem kommenden Jahr auch in
diesem Bereich Sparpotenziale ausschöpfen können.

Meine Damen und Herren, wir sind froh, unter den
gegebenen Rahmenbedingungen eine verantwortungs-
volle Haushaltspolitik betreiben zu können. Das genau
ist und bleibt unsere Pflicht.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Schön abgelesene Amtsrede! So einer ist sich für nichts zu schade! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haushaltstricksereien und Kürzungen, das ist Ihr Haushalt!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707409300

Das Wort hat nun Kollege Rüdiger Kruse für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rüdiger Kruse (CDU):
Rede ID: ID1707409400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Hätte ich diese Rede nach der Bereinigungssitzung
des Haushaltsausschusses vor etwa 14 Tagen gehalten,
hätte ich vermutlich hauptsächlich darüber gesprochen,
wo wir als Parlamentarier zu Recht unsere Akzente ge-
setzt haben. Wir haben zum Beispiel gesagt: Wir wollen
für die Förderung der deutschen Sprache im Ausland
8 Millionen Euro mehr ausgeben. – Das ist nach wie vor
ein wichtiger Punkt.

Aber in der Zwischenzeit hat sich etwas verändert
– auch Sie haben es wahrscheinlich gemerkt, als Sie in
dieser Woche nach Berlin gekommen sind –: Das Er-
scheinungsbild des Regierungsviertels hat sich verän-
dert. Als ich heute Morgen mit einem Mitarbeiter die
kurze Strecke vom Reichstag zum Paul-Löbe-Haus ge-
gangen bin, wurde ich kontrolliert, und alles war nett
und freundlich. Es hat aber etwas gefehlt: Da standen
keine Menschen. Die Transparenz, die auch in diesem
Gebäude sichtbare Kultur der Transparenz, ist plötzlich
weg. Das gilt sowohl für das Paul-Löbe-Haus als auch
für die Reichstagskuppel, die momentan für Besucher
geschlossen ist. Das alles hat sich verändert.

Mit Blick auf die Zukunft – denn nach der Haushalts-
aufstellung ist vor der Haushaltsaufstellung – müssen
wir uns fragen: Was müssen wir im Kulturbereich zu-
künftig tun? Welche Debatte müssen wir gemeinsam
führen und in welchen Dialog eintreten, um neue Ak-
zente zu setzen? Wie gehen wir mit der Erkenntnis, dass
die Freiheit auch bei uns elementar bedroht ist, um?


(Christoph Strässer [SPD]: Wir kürzen einfach die Mittel für Prävention!)


– Lassen Sie uns doch debattieren und gemeinsam nach
Lösungen suchen. Ich glaube, Sie hätten vor diesem Hin-
tergrund keinen anderen Haushalt aufgestellt, als wir es
getan haben.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Stimmt nicht! Wir haben andere Vorschläge gemacht! Die haben Sie aber abgelehnt!)


Das ist durchaus normal. Das ist Regierungsverantwor-
tung.

Hier sind auch Sie von den Grünen gefordert. Ihr
freundliches, weltoffenes Modell nach dem Motto:
„Wenn ich nett bin und freundlich auf die Menschen zu-
gehe, dann werden auch alle anderen lächelnd auf mich
zugehen“ funktioniert in dieser Welt leider nicht. Das ha-
ben wir erfahren.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das denn mit unseren Vorschlägen zu tun? – Klaus Brandner [SPD]: Bei uns klappt das aber!)


Wir haben auch erfahren müssen, dass es nicht mehr
der Konflikt zwischen zwei Systemen ist, die beide ge-
danklich aus Europa stammen. Auch der Marxismus-Le-
ninismus – sosehr man ihn ablehnen mag – ist ein euro-
päischer Gedanke.

Jetzt sind wir aber mit Dingen konfrontiert, die nicht
europäisches Gedankengut sind und die nicht in einem
langen Dialog und nicht in parlamentarischer Diskussion
entstanden sind.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Menschenrechte sind universell!)


– Richtig, die Menschenrechte sind universell. Sie sind
plötzlich universell bedroht.

Sie erinnern sich vielleicht: In den 90er-Jahren gab es
einmal das Thema „Ende der Geschichte“. Das war die
Illusion, dass wir in eine überaus friedliche und ruhige
Phase entlassen werden würden, in der es zwar noch ein
paar Kleckerstaaten gibt, die undemokratisch sind, aber
das würde man mit der Zeit aufräumen. Und das ist
plötzlich nicht mehr so, sondern wir müssen uns vertei-
digen.

Worum geht es? Es geht immer um den Konflikt: In-
dividuum als Erstes oder Staat als Erstes?

Der chinesische Kapitalismus, für den man noch ein
neues Wort erfinden muss, weil das kein normaler Kapi-
talismus ist, ist ein System, das grundsätzlich anders ist
als unser System und das auch ohne Freiheitsrechte wirt-
schaftlich erfolgreich ist. Sie wissen, was mit Ihren
freien Reden passieren würde, wenn Sie sie in China hal-
ten würden. Das ist etwas, was wir beide nicht wollen;





Rüdiger Kruse


(A) (C)



(D)(B)

denn wir beide wollen, dass Sie Ihre freien Reden hier
halten können und dass das auch zukünftig möglich ist.

Es gibt noch andere Ismen, die uns bedrohen und mit
denen wir umgehen müssen. Dabei muss die Kultur eine
Rolle finden und auch zugewiesen bekommen. Diese ist
sicherlich anders, als es früher einmal war, als man ge-
sagt hat: Kultur im Auswärtigen zeigen ist, man bringt
den Franzosen einmal bei, dass Deutschland nicht nur
Wagner ist. – Das ist eine nette Geschichte. Das Gleiche
gilt für Amerika oder Japan. Das Ganze ist nämlich auch
ein bisschen wirtschaftsfördernd. Dementsprechend
kann man das einmal stärker und einmal weniger stark
machen.

Wir müssen uns jetzt überlegen: Wie überzeugen wir
andere Kulturen davon, dass dieses freiheitliche Mo-
dell ein Gewinn für alle ist, und zwar unabhängig davon,
welcher Religion sie angehören, weil dieses freiheitliche
Modell ein Vorteil ist?


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keinen Kampf der Kulturen!)


– Ich rede nicht vom Kampf der Kulturen. Ich rede da-
von, dass es entweder Freiheit oder Unfreiheit gibt.

Ich glaube, dass das, was wir an Kultur in Deutsch-
land und auch in Europa haben, gerade in der Auseinan-
dersetzung besteht. Kultur ist in Deutschland nicht
staatstragend. Kultur ist oftmals ein Ärgernis, und auch
Kunst ist oftmals ein Ärgernis. Das bedeutet aber auch,
etwas über die Gesellschaft zu erfahren. Viele Leute är-
gern sich darüber, und auch Politiker sind sauer, wenn
im Schauspielhaus in Hamburg nackte Menschen andert-
halb Stunden auf der Bühne frieren und sie nicht sehen,
welchen Sinn das haben soll. Das gibt es in totalitären
Systemen nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben das große Privileg mit der Kultur, dass sie
uns wehtut, dass sie uns ärgert und dass wir sie vielleicht
nicht verstehen. Was man jetzt exportieren muss, ist die-
ses Bild von einer Gesellschaft, in der die Menschen
zum Beispiel solche Äußerungen über Theater, über bil-
dende Künste oder auch über Musik machen können, da-
mit ihre Individualität leben und sich in einem kollekti-
ven System nicht zurückstellen müssen. Ich glaube, das
ist die große Auseinandersetzung.

Darum wäre es wertvoll, wenn wir darüber redeten,
welchen Beitrag Kultur leisten kann und wie wir sie
dann ausstatten müssten. Dafür haben wir jetzt ein Jahr
lang Zeit. Das ist eine Aufforderung an uns alle.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707409500

Das Wort hat nun Kollegin Eva Högl für die SPD-

Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1707409600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

lenke zum Schluss unserer Haushaltsdebatte noch ein-
mal den Blick auf Europa. Vor allen Dingen stelle ich als
Allererstes die Frage: Wo ist eigentlich das Auswärtige
Amt in der Europadebatte?


(Beifall bei der SPD – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist doch vollständig anwesend!)


Herr Bundesminister, Sie sind für Europa zuständig;
das wissen wir. Aber das, Herr Bundesminister
Westerwelle, was Sie an das Ende Ihrer Rede gepresst
haben, die drei Sätze, die Sie sich zum Thema Europa
abgerungen haben, ist weit davon entfernt, auch nur an-
satzweise eine Perspektive für Europa zu formulieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, neige überhaupt
nicht zu Dramatik. Aber die Situation, in der wir uns in
Europa befinden, ist dramatisch. Bei unseren Debatten
über die Europapolitik geht es nämlich nicht mehr nur
um Details der europäischen Integration. Es geht in der
Euro-Krise nicht nur um die Bankenrettung und die Ret-
tung von Staatsfinanzen, sondern es geht um Europa als
solches. Es geht um das, was Europa ausmacht, nämlich
Solidarität und Zusammenhalt.

In der Europadebatte haben wir unsere Identifikation
mit diesem genialen Zukunftsprojekt verloren. Ich darf
hier an das erinnern, was der Kollege Manfred Link zu
Beginn unserer Debatte und was auch Kollege
Wellmann gesagt hat, dass Europa nämlich nicht mehr
Bezugspunkt der USA ist. Dafür, dass wir in solch einer
Situation sind und dass wir das beklagen müssen, ist
aber die Bundesregierung verantwortlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung ist dafür verantwortlich, dass
Deutschland nicht mehr Motor, sondern Bremse in Eu-
ropa ist. Die Bundesregierung ist auch dafür verantwort-
lich, dass wir die kleinen Länder aus dem Blick verlie-
ren. Es ist gut, wenn Deutschland und Frankreich sich
verständigen, aber es ist schlecht, wenn wir die kleinen
Länder außer Acht lassen. Es hat die deutsche Europa-
politik immer ausgezeichnet, dass wir versuchen, sie un-
abhängig von dem Motor Deutschland/Frankreich auch
in Übereinstimmung mit den kleinen Ländern und ihren
Interessen zu bringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen ge-
meinsam beklagen, dass es in der Europapolitik fast aus-
schließlich nur noch um nationale Interessen geht. Über-
all und insbesondere in Deutschland werden die
nationalen Interessen vor die europäischen Interessen
gestellt. Dadurch wird Europa in Gänze infrage gestellt.
Das ist eine ganz dramatische Kehrtwende der deutschen
Europapolitik, die sich immer gerade dadurch ausge-





Dr. Eva Högl


(A) (C)



(D)(B)

zeichnet hat, dass ganz anders dort herangegangen
wurde.

Angesichts der Krise will ich kurz auch noch einmal
hervorheben, worum es in der Krise nicht gehen kann.
Es ist jetzt in der Krise nicht hilfreich, mit Empfehlun-
gen an einzelne Mitgliedstaaten zu reagieren, zum Bei-
spiel den Griechen vorzuschreiben, das Renteneintritts-
alter zu erhöhen, oder den Iren vorzuschreiben, die
Steuern zu erhöhen.


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Genau das müssen wir tun!)


Es ist auch nicht hilfreich, mit Stimmrechtsentzug zu
drohen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gerade wir als föderales Land sollten uns noch einmal
vor Augen führen, was es heißen würde, wenn wir etwa
den Bundesländern vorschreiben würden, im Bundesrat
nicht mehr mitstimmen zu dürfen, wenn sie in der Bil-
dungspolitik oder in der Kulturpolitik etwas täten, was
uns auf der Bundesebene nicht passte.

Das sind keine Lösungen. Wir brauchen mehr und
nicht weniger Europa – auch und gerade zur Bewälti-
gung der Krise.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben entscheidende Fehler gemacht. Auch da-
ran möchte ich kurz erinnern: Wir haben es bisher nicht
geschafft, eine Koordination der Wirtschafts-, der Fi-
nanz- und vor allem auch der Sozialpolitik zu erreichen.
Das ist ein riesengroßes Manko, das uns jetzt in der Eu-
ropapolitik auf die Füße fällt.

Wir haben auch die Chance vertan – ich habe das hier
im Haus schon mehrfach gesagt –, mit dem Programm
Europa 2020 ein wirkliches Zukunftsprogramm zu for-
mulieren, mit dem wir Europa fit für den Wettbewerb
mit anderen Regionen machen. Die Chance war da, und
diese Bundesregierung hat genau diese Chance vertan.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mir ist noch ein Punkt wichtig, weil wir hier ja in der
Haushaltsdebatte sind. Sparen durch Sozialabbau ist
kein Rezept. Das, was wir hier erlebt haben, der Sozial-
abbau – gerade gestern wurde das bei dem Haushalt für
Arbeit und Soziales wieder deutlich –, ist weder ein Re-
zept für uns hier in Deutschland noch ein Rezept für die
anderen Mitgliedstaaten noch ein Rezept für Europa ge-
nerell. Wir müssen sparen – das wissen wir –, und auch
in Europa muss gespart werden, aber wir müssen intelli-
gent sparen.

Wenn uns daran gelegen ist, für Europa und für einen
gemeinsamen Weg zu werben und die Bürgerinnen und
Bürger auf diesem Weg mitzunehmen, dann brauchen
wir klare Signale in Richtung eines sozialen Europa und
nicht nur Sonntagsreden. Wir brauchen dann eine prakti-
sche Politik. Diese zeigt sich auch in der Bewältigung
der Krise, indem wir einen Akzent auf die soziale Si-
cherheit setzen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine letzte Bemerkung. Wir müssen die Zivilgesell-
schaft stärken – auch das ist notwendig – und eine euro-
päische Öffentlichkeit schaffen. Ein wichtiger Beitrag
dazu ist – insofern will ich versöhnlich schließen –, dass
es im Haushalt gelungen ist, Akzente auf eine stärkere
zivilgesellschaftliche Beteiligung und die europäische
Öffentlichkeit zu setzen. Wir haben damit einen Beitrag
zur Stärkung der europäischen Arbeit geleistet. Herr
Bundesminister, das ist ein kleiner, wichtiger Beitrag,
aber ich hätte mir in diesem Sinne viel mehr Akzente im
Bundeshaushalt gewünscht.

Vor allen Dingen wünsche ich mir, dass Sie Europa
sehr viel offensiver gestalten und für Europa werben, an-
statt immer nur zu sagen, was Sie nicht wollen und was
Sie verhindern wollen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das sagt er doch gar nicht!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707409700

Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen

Michael Link das Wort.


Michael Link (FDP):
Rede ID: ID1707409800

Frau Kollegin Högl, unsere gute Zusammenarbeit im

Ausschuss, wo wir uns übrigens auch mit Vornamen
kennen,


(Zurufe von der FDP: Oh!)


wird sicherlich nicht dadurch getrübt, dass ich Sie an ei-
nige Fakten erinnere.

Zu der von Ihnen angemahnten guten Zusammenar-
beit mit den kleinen Ländern der EU. Wenn es eine Par-
tei gibt, die dazu überhaupt keinen Nachholbedarf hat,
dann ist es die Freie Demokratische Partei.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Wie ist das zu verstehen?)


Der Bundesaußenminister hat in seinem ersten Amts-
jahr alle 27 Mitglieder der Europäischen Union besucht.
Der Außenminister der Sozialdemokratischen Partei hat
das innerhalb eines Jahres nicht hinbekommen.

Bundeskanzler Schröder hat damals, insbesondere in
der Situation nach 2004, die neuen Mitglieder der Union
auf eine Art und Weise behandelt, die man nur als undi-
plomatisch und brüsk bezeichnen kann. Das sogenannte
Direktorium hat Schröder gemeinsam mit den großen
Mitgliedstaaten vorgelebt. Deshalb hat die SPD selber
erst einmal enorme Hausaufgaben aufzuarbeiten. Wir
räumen bei den Nachbarn der Europäischen Union teil-





Michael Link (Heilbronn)



(A) (C)



(D)(B)

weise heute noch das an Misstrauen auf, was damals un-
ter anderem Bundeskanzler Schröder angerichtet hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Falsch!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707409900

Frau Kollegin Högl, Sie haben Gelegenheit zur Ant-

wort.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Duzen Sie ihn noch?)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1707410000

Lieber Michael – ich sage es so, obwohl wir uns hier

als Kollegin und Kollegen nicht duzen –, ich entschul-
dige mich, dass ich einen falschen Vornamen genannt
habe. Das ist vielleicht dem Engagement in der europa-
politischen Debatte geschuldet. Das tut der gemeinsa-
men guten Zusammenarbeit keinen Abbruch, hoffe ich.
Ich hoffe, dass ich mich bei einer Tasse Kaffee oder ei-
nem Glas Wein entsprechend entschuldigen kann.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Noch ein Schnäpschen dazu?)


Ich weise allerdings zurück – jetzt komme ich zur Sa-
che –, dass die SPD-Europapolitik die kleinen Länder in
Europa nicht genügend berücksichtigt hat. Ich habe es
extra noch einmal so deutlich gemacht: Es ist eine Konti-
nuität der gesamten deutschen Europapolitik gewesen,
dass wir die kleinen Länder entsprechend würdigen, ins
Boot holen, obwohl wir nie nachgelassen haben, deutlich
zu machen, dass natürlich die großen Länder – etwa
Frankreich oder Deutschland – eine Motorfunktion in
Europa haben.

Ich beklage – ich spiele insbesondere auf das an, was
heute schon angesprochen worden ist –, dass das, was
insbesondere zwischen Präsident Sarkozy und Kanzlerin
Merkel vereinbart wurde, völlig außer Acht lässt, welche
Interessen die kleinen Länder haben. Da hätte man viel
mehr ins Boot holen können. Man hätte nicht nur viel
sensibler agieren können, sondern müssen. Das war die
Aussage, die ich in meiner Rede getroffen habe.

Wenn wir uns gemeinsam darauf verständigen, dass
wir zu dieser Kontinuität der Europapolitik zurückkeh-
ren, die meines Erachtens ein Erfolgsrezept der deut-
schen Europapolitik war und wieder sein sollte, dann ha-
ben wir in diesem Punkt eine Verständigung erreicht. In
diesem Sinne wäre es gut, wenn wir da auch die FDP an
der Seite hätten

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707410100

Das Wort hat nun Bettina Kudla für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bettina Kudla (CDU):
Rede ID: ID1707410200

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Wir sind nun am Schluss der Debatte zur
Beratung des Einzelplans 05 des Auswärtigen Amtes.
Der Außenminister hat es zwar bereits erwähnt, aber las-
sen Sie mich noch einmal darauf hinweisen, was zu Be-
ginn des Einzelplanes aufgezählt ist.

Danach dient der Auswärtige Dienst … einer dauer-
haften, friedlichen und gerechten Ordnung in Eu-
ropa und zwischen den Völkern der Welt, …

Der Aufbau eines vereinten Europa ist Kernaufgabe.
Wesentlicher Faktor eines vereinten Europa ist die ge-
meinsame Währung innerhalb der 16 Euro-Staaten und
die Wechselbeziehungen zu den an den Euro-Kurs ge-
bundenen Staaten der EU.

Lassen Sie mich kurz auf die Funktionsweise der
Euro-Zone im Hinblick auf die aktuelle Situation in
Irland eingehen. Meine Damen und Herren, der Bun-
deshaushalt enthält keine Ausgaben für den sogenannten
Euro-Rettungsschirm. Diese Tatsache möchte ich deut-
lich hervorheben. In dem im Mai dieses Jahres beschlos-
senen Rettungsschirm garantieren die Euro-Staaten ge-
meinsam mit dem IWF und auf Basis des EU-Haushaltes
bestimmte Hilfsmaßnahmen.

Ich möchte unterstreichen, dass es aktuell nicht um
die Bereitstellung von Geldern durch die Euro-Staaten
geht; es geht vielmehr um die Anwendung von Hilfs-
mechanismen, die im Mai beschlossen worden sind. Ziel
des Rettungsschirms ist, vorübergehend mit Garantien
zu helfen, um schwierige Situationen in einzelnen Euro-
Staaten zu überwinden und damit Vermögensverluste für
die Bevölkerung Europas zu vermeiden.

Ich möchte auch auf die Ausführungen der Linken
eingehen, weil in den Raum gestellt wurde, dass die
Bundesregierung leichtfertig mit Steuergeldern umgehen
würde. Sie wissen genau, dass sich im Jahr 2008 die
Staaten weltweit verständigt haben, keine systemrele-
vanten Banken mehr in die Insolvenz gehen zu lassen,
um das Vermögen der Bevölkerung zu schützen. Ich
denke, daran sollten wir uns auch weiter halten. Natio-
nale Alleingänge sind nicht angebracht. Man muss aus
vergangenen Wirtschaftskrisen wie der von 1929 die
Lehren ziehen.

Man muss jetzt unaufgeregt an die Problemlösungen
herangehen. Es gilt, die einheitliche Wirtschafts- und
Währungsunion weiterzuentwickeln. Die Probleme in
Irland kommen unter anderem daher, dass man in Irland
viel zu schnell eine wirtschaftliche Angleichung an an-
dere Staaten erreichen wollte, teils mit sehr niedrigen
Steuersätzen, teils mit einer unverantwortlichen Kredit-
vergabe.

Jedes Extrem ist schlecht. Wichtig ist jetzt, dass wir in
Europa eine Annäherung der Steuersätze erreichen. Ich
betone: eine Annäherung, nicht zwangsläufig eine An-
passung. Wettbewerb zwischen den Regionen muss nach
wie vor möglich sein. Der von der Bundesregierung ein-
geschlagene Weg ist daher richtig.





Bettina Kudla


(A) (C)



(D)(B)

Wir müssen auch langfristig die Schwächen der
Euro-Zone beseitigen, und zwar insbesondere durch fol-
gende Maßnahmen: Erstens sind Mechanismen und Auf-
lagen des bestehenden Rettungsschirms konsequent
anzuwenden, sofern ein Staat entsprechende Hilfen benö-
tigt. Zweitens muss eine bessere Bankenaufsicht einge-
richtet werden. Die zum 1. Januar 2011 auf europäischer
Ebene geschaffene Finanzaufsicht ist dabei genauso ge-
fordert, wie es die nationalen Aufsichten sind. Das hohe
Staatsdefizit in Irland ist vor allem dadurch entstanden,
dass der Staat die Banken entsprechend stützt.

Wirtschaftliche Fehlentwicklungen – sprich: die Bil-
dung von Blasen – müssen rechtzeitig transparent ge-
macht werden. Des Weiteren – das ist ein ganz wesentli-
cher Punkt – muss nach dem Auslaufen des bisherigen
Rettungsschirms 2013 ein neuer, wirksamer Sanktions-
mechanismus in Kraft treten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die genannten Ziele werden wir nur dann erreichen,
wenn wir weiterhin konsequent konsolidieren. Die Bun-
desregierung wird den erreichten Paradigmenwechsel
bei der Staatsverschuldung weiter konsequent umsetzen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707410300

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Ulrich von der Linksfraktion?


Bettina Kudla (CDU):
Rede ID: ID1707410400

Bitte schön.


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707410500

Frau Kollegin, Sie haben eben gesagt, was die Steuer-

sätze in Europa angehe, solle es keine Anpassung, son-
dern eine Annäherung geben. Sie haben das mit der Aus-
sage begründet, es müsse auch weiterhin Wettbewerb
möglich sein. Finden Sie es verantwortbar, dass der
Unternehmensteuersatz in Irland bei 12,5 Prozent
liegt? Insofern bedeutet Wettbewerb auch, dass in der
Vergangenheit Arbeitsplätze aus Deutschland nach Ir-
land oder in andere Regionen abwandern konnten. Der
deutsche Steuerzahler soll das jetzt über den Euro-Ret-
tungsfonds ausgleichen. Halten Sie nicht auch eine An-
passung nach oben für notwendig? Denn es kann nicht
sein, dass der Steuerzahler in Deutschland zunächst die
durch den ruinösen Steuerwettbewerb wegfallenden Ar-
beitsplätze zu finanzieren hat und dann auch noch die
Lücken ausgleichen muss, die zum Beispiel dadurch ent-
standen sind, dass Irland seine Einnahmeseite zu
schwach hält?


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Wie ist das beim Rentenalter?)



Bettina Kudla (CDU):
Rede ID: ID1707410600

Herr Kollege, ich glaube, ich habe es klar und deut-

lich gesagt: Selbstverständlich müssen die Steuersätze
in den Ländern erhöht werden, in denen extreme Unter-
schiede zum EU-Durchschnitt zu verzeichnen sind. Das
heißt aber nicht, dass alle EU-Staaten denselben Steuer-
satz haben müssen. Das wäre kontraproduktiv.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Man muss doch auch regionale Unterschiede berück-
sichtigen.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht bei 12,5 Prozent!)


Irland ist kein Industrieland. In Irland gab es nicht die in-
dustrielle Revolution. Aber Irland hat sich in den letzten
Jahren zu einem Hightechland entwickelt. Also müssen
hier gewisse geringe Unterschiede weiterhin möglich
sein. Aber ich gebe Ihnen recht, es kann nicht sein, dass
der eine Staat auf Kosten des anderen lebt.

Auch die Verschuldung der Kommunen und der Län-
der fließt in die Maastricht-Kriterien ein. Aufgrund der
guten Konjunktur sind hier positive Effekte zu erwarten.
Wirtschaftswachstum ist immer noch die beste Form der
Haushaltskonsolidierung. Unverantwortlich ist es daher,
wenn die Neuverschuldung unter der rot-grünen Landes-
regierung in NRW etwaige positive Effekte hinsichtlich
der Maastricht-Kriterien bei den Kommunen gleich wie-
der zerstört.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)


Zentrale Bedeutung in diesem Zusammenhang hat na-
türlich auch die Entwicklung des EU-Haushalts. Beim
EU-Haushalt gilt es, die notwendigen Aufgaben mit ei-
nem effizienten Mitteleinsatz zu finanzieren.

Zum Schluss noch einige Worte zum künftigen
Sanktionsmechanismus, der ab Mitte 2013 in der EU
gelten soll. Es ist geplant, die Haushalte der europäi-
schen Staaten bis 2013 so weit zu konsolidieren, dass die
Maastricht-Kriterien eingehalten werden. Das kann man
nur erreichen, wenn die Schuldenbremse auch in ande-
ren EU-Staaten umgesetzt wird. Wenn ein Staat diese
Kriterien dann immer noch nicht einhält, müssen ent-
sprechende neue Mechanismen greifen. Dazu gehören
sowohl die Beteiligung privater Gläubiger als auch wir-
kungsvolle Sanktionen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707410700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 05, Auswärtiges Amt, in der Ausschussfassung.
Wer stimmt für den Einzelplan 05 in der Ausschussfas-
sung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der beiden Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositions-
fraktionen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.10 auf:

Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung

– Drucksachen 17/3513, 17/3523 –





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Klaus-Peter Willsch
Bernhard Brinkmann (Hildesheim)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde

Zum Einzelplan 14 liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke vor, über den wir am Freitag nach
der Schlussabstimmung abstimmen werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Bernhard Brinkmann für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Bernhard Brinkmann (SPD):
Rede ID: ID1707410800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Bun-
deswehr steht mit dem angekündigten Reformvorhaben
vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte. Die
Empfehlungen der Weise-Kommission machen sehr
deutlich, wo die Probleme liegen, und zeigen darüber hi-
naus auch den haushalts- und finanzpolitischen Spiel-
raum der nächsten Jahre auf.

Die Kommission kommt unter anderem zu dem Er-
gebnis, dass die Bundeswehr künftig nicht mehr Geld
brauche als bisher, aber auch keine wesentlichen Ein-
sparungen leisten könne. Es ist daher Ihre vordringliche
Aufgabe, Herr Minister zu Guttenberg, dem Parlament
zügig aufzuzeigen, wo Sie die avisierten 8,3 Milliarden
Euro einsparen wollen. Bisher liegen jedenfalls keine
belastbaren Konzepte vor. Bisher gibt es Zahlen aus dem
Bundeskanzleramt und dem Bundesfinanzministerium,
die eine Größenordnung von 1,5 Milliarden Euro haben.
Es wird eine Herkulesaufgabe sein, allein diese Lücke in
den Haushalten für 2012 und die Folgejahre zu schlie-
ßen. Das ist meines Erachtens fast unmöglich. Allein die
globalen Minderausgaben haben schon dazu geführt,
dass in weiten Teilen der Truppe bestimmte Aufgaben
nicht mehr erfüllt werden können. Hier gibt es noch eini-
ges zu tun.

Wer sich die großen Ausgabenblöcke des Verteidi-
gungshaushalts vor Augen führt, muss zu der Überzeu-
gung gelangen, dass selbst bei der vorgesehenen Redu-
zierung des Personals, also der Zahl der Soldatinnen
und Soldaten sowie der zivilen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter – auch diese Größenordnung steht noch nicht
fest –, die Personalkosten von derzeit rund 12 Milliarden
Euro zwar sinken, aber gleichzeitig ein enormer Anstieg
an Leistungen für Pensionen und Altersversorgung zu
verzeichnen sein wird. Auch hier müssen wir in den
nächsten Monaten zu belastbaren Zahlen kommen. Auch
hier sind Sie, Herr Minister, ausdrücklich gefordert.

Die Weise-Kommission zeigt zudem klar auf, dass
das vom Verteidigungsminister favorisierte Modell mit
163 500 Soldatinnen und Soldaten weder finanziell un-
terlegt ist noch den sicherheitspolitischen Erfordernissen
unseres Landes entspricht. Es ist also ganz sicher keine
Antwort auf die von Frau Merkel heute Morgen erwähn-
ten neuen Bedrohungen und Aufgaben.

Dass die Einsparungen an Personal nicht mit entspre-
chenden Einsparungen im Haushalt gleichzusetzen sind,
zeigt sich bereits an folgender Rechnung: Die Ausgaben
für Personal und Versorgung belaufen sich auf circa
52 Prozent des Gesamthaushalts, nämlich 37,9 Prozent
für Personal und 14,3 Prozent für Versorgung. Bei einer
1-prozentigen Besoldungs- und Tarifanpassung ein-
schließlich der Pensionen ergeben sich jährliche Mehr-
ausgaben in Höhe von 130 Millionen Euro. Bei 3 Pro-
zent werden es 400 Millionen Euro sein, die in den
nächsten Jahren im Einzelplan 14 unterlegt werden müs-
sen. Wie gesagt, weniger Soldatinnen und Soldaten so-
wie weniger ziviles Personal reduzieren zwar punktuell
die Personalausgaben. Gleichzeitig steigen allerdings die
Versorgungskosten überproportional.

Jede Reform benötigt – das wissen wir aus der Ver-
gangenheit – eine Anschubfinanzierung, diese Reform
ganz besonders; denn eine Umsetzung der Kommis-
sionsvorschläge ist mit den in der mittelfristigen Finanz-
planung vorgesehenen Haushaltsmitteln nicht möglich.
Wie erwähnt, gehen selbst das Finanzministerium und
das Kanzleramt davon aus, dass die beabsichtigten Ein-
sparungen in Höhe von 8,3 Milliarden Euro bis 2014
nicht zu erzielen sind.

Landauf, landab wird über die dringend erforderliche
Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr gespro-
chen. Auch hierzu sind Mehrausgaben in Millionenhöhe
erforderlich. Wie die Weise-Kommission festgestellt hat,
ist es nämlich ein zwingendes Erfordernis, künftig die
Wettbewerbsfähigkeit der Bundeswehr als Arbeitgeber
zu stärken. Das bedeutet unter anderem die Planung und
Umsetzung von Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Fa-
milie und Dienst, für neue Laufbahnen, zur Verstärkung
der Aus- und Weiterbildung sowie für einen erleichterten
Übergang in Zivilberufe. Auch das wird künftige Haus-
halte mehr als bisher belasten.

Bei den militärischen Beschaffungen verhält es sich
ähnlich. Ich wäre Ihnen, Herr Minister zu Guttenberg,
sehr dankbar, wenn Sie auch hier unter Berücksichtigung
der künftigen Strukturen unserer Streitkräfte belastbares
Zahlenmaterial vorlegten, das selbstverständlich auch
– diese Erfahrung haben wir in der Vergangenheit ge-
macht – eine Preissteigerungsvariante enthalten muss.
Äußerste Priorität hat hierbei ohne Wenn und Aber die
bestmögliche Ausstattung der im Einsatz befindlichen
Soldatinnen und Soldaten. Es kann künftig nicht mehr
angehen, dass teilweise mehr als zwei Jahre ins Land ge-
hen, bevor entsprechende Ausrüstungsgegenstände zur
Verfügung stehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für die Sicherheit der Truppe und die Sicherheit
Deutschlands darf nicht entscheidend sein, was wir uns
noch leisten können, sondern was auch künftig zwin-
gend notwendig ist. Das muss finanziert werden.





Bernhard Brinkmann (Hildesheim)



(A) (C)



(D)(B)

Das Papier der Weise-Kommission ist auch für andere
Ministerien empfehlenswert. Man sollte Herrn Weise
vielleicht einmal beim BMZ einsetzen. Das sollte nach
den Vorstellungen des heutigen Ministers geschlossen
werden. In dem Papier wird angeregt, im Ministerium
die Dienstpostenzahl auf circa 1 500 zu reduzieren.
Gleichzeitig soll der alleinige Dienstsitz künftig hier in
Berlin sein. Auch das wird eine Herausforderung sein,
und das sollte von Ihnen, Herr Minister, so zeitnah wie
möglich vorbereitet werden.

Bei einem künftigen jährlichen strukturellen Ergän-
zungsbedarf von voraussichtlich 15 000 Soldatinnen und
Soldaten bei gleichzeitig ausgesetzter Wehrpflicht wer-
den circa 50 000 bis 60 000 Bewerberinnen und Bewer-
ber benötigt, um eine entsprechende Auswahl treffen zu
können. Das ist ebenfalls eine Herkulesaufgabe, die
nicht ohne weitere Ausgaben zu meistern sein wird.

Wer durch das Land fährt und die Streitkräfte besucht,
wird vor Ort erfahren, dass die Verunsicherung in der
Truppe groß ist. Es ist daher unsere gemeinsame Auf-
gabe, alle Betroffenen im Reformprozess mitzunehmen.
Eine auch künftig hochmotivierte Bundeswehr, zu der
auch die vielen zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
und auch die Reservisten gehören, benötigt so schnell
wie möglich Planungssicherheit.


(Beifall bei der SPD)


Also, Herr Minister zu Guttenberg, ran an die Arbeit!
Jetzt ist Kärrnerarbeit gefragt. Das passt zu der Jahres-
zeit und dem Wetter heute. Die Schönwetterzeit ist vor-
bei. Wir sind gespannt, inwieweit Sie Ihren Zeitplan,
was die Vorlage im Kabinett und die weiteren Beratun-
gen angeht, werden einhalten können. Vielleicht hören
wir anschließend noch etwas dazu.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Dank auszu-
sprechen. Dieser geht in erster Linie an die Soldatinnen
und Soldaten, an die zivilen Helfer sowie insbesondere
an deren Angehörige. Seien Sie versichert: Es wird ge-
würdigt, was Sie für unser Land tun.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Auslandseinsätze werden von der Linkspartei in
einer Art und Weise kritisiert, die – das füge ich ganz
selbstbewusst und sehr deutlich hinzu – nicht hinnehm-
bar ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Denken Sie einmal daran zurück, was Sie bis 1989 alles
angerichtet haben. Dafür tragen Sie teilweise die Verant-
wortung. Sie haben versucht, das bei der heutigen außen-
politischen Debatte schönzureden.

Ihnen, Herr Minister, und Ihrem Haus herzlichen
Dank für die stets zur Verfügung gestellten Informatio-
nen. Wir gehen davon aus, dass das auch in Zukunft im
Sinne einer konstruktiven Zusammenarbeit so bleibt.
Den Einzelplan lehnen wir ab, nicht nur wegen der von
mir angesprochenen Punkte, sondern auch wegen der
Probleme, die wegen der Verzögerungen und der Un-
wägbarkeiten des Reformvorhabens mit Sicherheit in
den nächsten Monaten noch auf uns zukommen werden.
Eine konstruktive Mitarbeit kündige ich hiermit an. Zu
der sind wir sehr gerne bereit.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707410900

Das Wort hat nun Klaus-Peter Willsch für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1707411000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege
Brinkmann, in Ihrer Rede waren durchaus viele Gemein-
samkeiten mit uns zu erkennen. Das Kleinteilige und
Mäkelige ist natürlich typisch für die Opposition. Schö-
ner wäre es gewesen, wenn Sie die zentralen Punkte, in
denen wir als Deutscher Bundestag übereinstimmen
– wir schicken gemeinsam die Parlamentsarmee in den
Einsatz –, aufgezählt und damit mehr Gemeinsamkeit
demonstriert hätten. Wir mit unserem Minister Karl-
Theodor zu Guttenberg an der Spitze haben jedenfalls
gezeigt, dass diese christlich-liberale Koalition die Kraft
zum großen Wurf hat, dass wir in der Lage sind, die tief-
gehendste Reform unserer Streitkräfte der letzten
20 Jahre zu schultern und mutig anzugehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bisher nur angekündigt! – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Wo ist der große Wurf?)


Wir haben uns bereits bei der ersten Lesung damit
auseinandergesetzt. Zu Zweifeln an den vorgegebenen
Terminen gibt es überhaupt keinen Anlass.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Das ist schon zweimal verschoben worden!)


Wenn Sie meinen Beitrag zur ersten Lesung nachlesen
oder wenn Sie sich ihn in Erinnerung rufen, dann werden
Sie feststellen, dass ich angesichts des vorgegebenen
Zeittableaus – Parteitag CSU, Parteitag CDU, Bericht
der Weise-Kommission – immer wieder betont habe:
Wir haben es mit einer Haushaltsaufstellung unter der
Bedingung extremer Unsicherheit zu tun, weil wir noch
nicht genau wissen, wie die Zielstruktur aussieht. Das
gilt zum Teil auch noch heute; das haben Sie angespro-
chen. Ich bin dankbar dafür, dass wir durch die Kom-
mandeurtagung in Dresden in dieser Woche etwas mehr
Aufschluss bekommen haben. Nunmehr können wir
munter und mutig auf dem Weg voranschreiten, die
Streitkräfte so umzubauen, wie es für diese Zeit und für
die Einsatzszenarien, die wir heute haben, notwendig ist.

Zunächst will ich – da schließe ich mich Ihnen aus-
drücklich an, Herr Kollege Brinkmann – dem Haus ganz
herzlich danken. Die Zusammenarbeit war vertrauens-
voll. Unsere Informationswünsche wurden umfassend
erfüllt. Auch im Namen der ganzen Fraktion richte ich
meinen Dank an die Soldaten. Wir wissen, was im Ein-
satz geleistet wird. Wir müssen bekümmert zur Kenntnis





Klaus-Peter Willsch


(A) (C)



(D)(B)

nehmen, dass es in diesem Jahr auch Opfer gab; Kame-
raden sind gefallen. Wir gehen mit unserer Verantwor-
tung, unsere Armee in Einsätze zu schicken, nicht leicht-
fertig um. Wir wissen es wirklich wertzuschätzen, was
dort – im Einsatz, aber auch bei der Unterstützung in der
Heimat – geleistet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Ullrich Meßmer [SPD])


„Vom Einsatz her denken“, so lautet die Überschrift
des Abschlussberichts der Weise-Kommission. Das ist
in der Tat das, was wir in der Organisation der Bundes-
wehr brauchen. Wir haben hervorragende Soldaten, die
Ausgezeichnetes in vielfältigen Einsatzszenarien leisten.
Wann immer man mit Alliierten spricht, wann immer
man selbst mit der Truppe im Einsatz spricht oder mit
Vertretern der Länder, zu deren Schutz sie unterwegs
sind, bekommt man das bestätigt: Auf die Bundeswehr
kann man sich verlassen.

Darüber hinaus müssen wir für einsatzfähige Struk-
turen sorgen. Wenn wir schauen, wie die Einsätze ausse-
hen, stellen wir fest: Das ist die Zukunft der deutschen
Streitkräfte: in internationalen Einsätzen rund um den
Globus Frieden und Freiheit unseres Vaterlandes schüt-
zen. Dazu gehört auch der Schutz des freien Welthandels
als wesentliche Quelle unseres Wohlstands; schließlich
sind wir eine große Außenhandelsnation.

Wenn wir heute noch nicht mit letzter Klarheit sagen
können, wie sich das alles haushaltsmäßig abbildet, dann
liegt das daran, dass wir mitten in diesem Transforma-
tionsprozess sind. Wir müssen zunächst folgende Fra-
gen beantworten: Welche Fähigkeiten wollen wir erhal-
ten? Welche Fähigkeiten wollen wir hinzufügen? Bei
welchen Fähigkeiten wollen wir uns darauf verlassen, im
internationalen Verbund mit den Partnern zu wirken,
diese Fähigkeiten also unter den Bündnispartnern aufzu-
teilen? Sie alle wissen: Die NATO hat auf dem Lissabon-
Gipfel in der letzten Woche entschieden, sich auf einen
gemeinsamen Raketenabwehrschirm zu verlassen und
Russland anzubieten, hierbei zu kooperieren, was ein
qualitativ neuer Schritt ist.

Die endgültige Festlegung des Streitkräfteumfangs
kann nun zügig angegangen werden, nachdem CDU wie
CSU die Aussetzung der Wehrpflicht eindeutig be-
schlossen haben. Das entspricht unserem festen Willen,
die Truppe, die Streitkräfte, konsequent auf Einsätze
auszurichten. Wir konnten den Vorteil eines sechsmona-
tigen Grundwehrdienstes nämlich nicht mehr erkennen.

Das hat jetzt Auswirkungen positiver Art auf den
Haushalt 2011. Je schneller wir zu den Entscheidungen
kommen, desto besser. Ein Wunschtermin ist bereits ge-
nannt worden: 1. Juli 2011. Ich hoffe, dass wir diesen
Termin einhalten. Wenn es nur noch ein gutes halbes
Jahr Wehrpflichtige gibt, dann heißt das weniger Sold,
weniger Ausrüstung, weniger persönliche Ausstattung,
weniger Unterkunft. Jetzt muss also alles Mögliche
möglichst schnell realisiert werden. Aber wir müssen
uns für die Folgejahre – das haben Sie, Herr Kollege
Brinkmann, angesprochen; dafür bin ich Ihnen dankbar;
lassen sie uns gemeinsam daran arbeiten – darüber Ge-
danken machen, was wir zusätzlich brauchen; denn wir
werden für andere Aufgaben Mehraufwendungen haben.

Wir werden in die Kasernen bzw. die Unterkünfte et-
was hineinstecken müssen. Wir müssen um Freiwillige
sowie um Zeit- und Berufssoldaten werben und dazu den
Dienst attraktiver machen. Zivilberufliche Qualifika-
tionsmöglichkeiten innerhalb des Dienstes werden wir
stärken müssen. All das steht vor uns. Dass wir all diese
Fragen heute noch nicht vollständig beantworten kön-
nen, liegt am Wesen des Prozesses, den wir gerade
durchlaufen. Insofern bitte ich da um Verständnis und
konstruktive Zusammenarbeit.

Wir haben in den aktuellen Haushaltsberatungen vor
allen Dingen in einem Bereich finanziellen Nachbesse-
rungsbedarf gesehen. Das ist der Sanitätsdienst der
Bundeswehr, der ja für den Soldaten im Einsatz von ex-
trem hoher Bedeutung ist. Die Sicherheit zu haben, dass
der Sani kommt und er optimal versorgt wird, ist für den
Soldaten, den wir in den Einsatz schicken, wichtig. Des-
halb haben wir gesagt: Hier geben wir mehr aus. Wir ha-
ben umfangreiche Aufstockungen um insgesamt 22 Mil-
lionen Euro vorgenommen. Das ist im Übrigen eine
Teileinheit, die bei unseren Bündnispartnern sehr hohes
Ansehen genießt. Wir sind der Auffassung: Hier müssen
wir mehr tun.

Zur Erhaltung und Verbesserung der Einsatzfähigkeit
haben wir auch die einsatznahen Bereiche Materialerhal-
tung Schiffe/Boote, Materialerhaltung Luftfahrzeuge
und Munitionsbeschaffung mit Aufwüchsen versehen.
Auch hier steht wieder der Gedanke im Vordergrund, die
Soldaten im Einsatz bestmöglich zu versorgen.

Eine Frage, die ich auch beim letzten Mal angespro-
chen habe, müssen wir im Zuge der Reform mit in den
Blick nehmen und versuchen, richtig zu beantworten. Der
Einzelplan 14 beinhaltet auch eine industriepolitische
Last für Deutschland. Wir haben eine sehr hochwertige,
hervorragende Wehrindustrie mit Hochtechnologieberei-
chen. Es sind auch viele kleine und mittelständische
Unternehmen dabei. Hierzu müssen wir sagen: Der Ein-
zelplan 14 muss von industriepolitischen Aufgaben ent-
lastet werden. Wir müssen Wege finden, diese hervorra-
genden Ingenieure und ihre Firmen unabhängiger zu
machen, indem sie Möglichkeiten finden, ihre Produkte
in der ganzen Welt abzusetzen.

Es gibt – das kann man als Haushälter nicht ver-
schweigen – natürlich beim Thema Beschaffungen aus-
geprägte Sorgenkinder. Aber einige Nachrichten der
letzten Tage zeigen, dass auch Sorgenkinder noch das
Laufen lernen, wenn man ihnen lange genug Zeit gibt
und sich mit genügender Hinwendung den Dingen wid-
met.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Die Großen ja, die Kleinen nicht!)


In Bezug auf den A400M wurde eine Einigung er-
zielt.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mir ist wohler, wenn der fliegt, als wenn er läuft! – Ralph Brinkhaus [CDU/ CSU]: Wenn der läuft, wird es gefährlich!)






Klaus-Peter Willsch


(A) (C)



(D)(B)

Wir versuchen, die Verträge, die wir von Vorgängerre-
gierungen übernommen haben, wieder einigermaßen ins
Lot zu bekommen, und zwar hinsichtlich des kontrahier-
ten Leistungsspektrums und des Preises. Ich glaube, hin-
sichtlich des A400M können wir dem Haus danken, dass
hier eine strikte Linie gefahren wurde. Manche Partner-
länder wollten schon von Anfang an sehr viel mehr Geld
auf den Tisch legen. Ich glaube, das erzielte Ergebnis ist
noch einigermaßen erträglich.

Der erste NH-90 wurde im Oktober an das Hub-
schraubergeschwader in Holzdorf ausgeliefert, und zehn
weitere werden bereits an der Heeresfliegerwaffenschule
Bückeburg im Rahmen der Ausbildung der Piloten ge-
flogen. Die Korvette 130 steht zur Abnahme bereit; die
muss dann eben auch erfolgen.

Kollege Brinkmann, ich wende mich auch an die grü-
nen Kollegen: Wir haben ja durchaus verschiedene Dis-
kussionen im Haushaltsausschuss geführt, in denen die
Verantwortung, die sich aus dem Verhältnis zu unserer
Bundeswehr ergibt, in einem sachgemäßen Umgang mit
dem Thema zum Ausdruck kam. Das, was wir anstreben
und auf dessen Verwirklichung wir hinarbeiten, ist ein
großes Reformwerk. Es wäre schön und auch ein wichti-
ges Signal an unsere Soldaten, wenn wir diese Reform,
die wir uns fest vorgenommen haben, hier mit konstruk-
tiver Begleitung durch die Opposition über die Bühne
kriegen könnten.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Die grüne Krawatte ist ein erstes Signal!)


– Nein, Herr Kollege Brinkmann, ich habe die rote ein-
fach nicht gefunden, sonst hätte ich heute mal eine rote
angezogen. So ist es heute eine grüne Krawatte.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Nächste Woche!)


– Okay, ich verspreche Ihnen für die nächste Woche die
rote.

Lassen Sie mich mit Johann Wolfgang von Goethe
schließen. Der hat gesagt:

Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch an-
wenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muss
auch tun.

Auf diesem Wege befinden wir uns.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707411100

Das Wort hat nun Kollegin Inge Höger für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707411200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 80 Pro-

zent der Bevölkerung sagen, die Bundesregierung solle
bei der Bundeswehr, bei der Rüstung sparen und nicht
beim Sozialen. Verteidigungsminister zu Guttenberg ließ
noch im Sommer durch die Bild-Zeitung verkünden, er
würde nun auch bei der Bundeswehr und der Rüstung
sparen.


(Dr. h. c. Susanne Kastner [SPD]: Macht er auch! Leider!)


Aber weder im vorgelegten Haushalt noch im Plan zur
Reform der Bundeswehr geht es ums Sparen beim Mili-
tär.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Bundeswehrreform dient der weiteren Militari-
sierung der Außenpolitik und einer weltweiten Inter-
ventionspolitik.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Das erklärte Ziel ist – Herr von und zu Guttenberg hat es
häufiger gesagt –, mehr Soldatinnen und Soldaten in
Auslandseinsätze schicken zu können. So steigen die
Militärausgaben 2011 um 440 Millionen auf 31,5 Mil-
liarden Euro. Damit handelt es sich hier um den dritt-
größten Einzelhaushalt. Dazu kommen in anderen
Haushalten versteckte Ausgaben. Nach NATO-Kriterien
betragen die Ausgaben dann schon 34 Milliarden Euro.
Bei der Bundeswehr wird eindeutig nicht gespart,


(Beifall bei der LINKEN)


ganz anders als im Sozialbereich. Hier müssen die Bür-
gerinnen und Bürger mit tiefen Einschnitten rechnen.

Anscheinend ist das Sparargument ohnehin nur ein
politischer Hebel, mit dem die Strukturreform der
Bundeswehr der Öffentlichkeit und besonders der
schwarz-gelben Basis verkauft werden soll. Minister zu
Guttenberg hat ja immer wieder klargemacht, dass es
nicht wirklich darum geht, bei der Rüstung zu sparen. So
erklärten Sie, Herr Minister, bereits am 11. Oktober vor
der Hanns-Seidel-Stiftung:

Die Frage kann nicht sein, was können wir uns leis-
ten, sondern was ist uns die Sicherheit wert.


(Elke Hoff [FDP]: Richtig! – Dr. Karl A. Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]: Das ist doch gut!)


Nur, welche Sicherheit ist gemeint? Soziale Sicher-
heit sollte allen hier im Parlament viel wert sein.


(Beifall bei der LINKEN – Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU]: Ist sie ja auch!)


Sozialpolitik oder Gesundheitspolitik nach Kassenlage
zu betreiben, das ist falsch.


(Dr. Karl A. Lamers [Heidelberg] [CDU/ CSU]: Macht auch keiner!)


Sozialpolitik nach Kassenlage ist unsozial.


(Beifall bei der LINKEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wenn Sie aber nichts in der Kasse haben? – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Schulden machen ist unsozial! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Zum Thema!)






Inge Höger


(A) (C)



(D)(B)

Es geht ganz offensichtlich auch nicht um die Sicher-
heit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande; denn
durch Ihre Kriegspolitik schaffen Sie neue Gefahren für
die Menschen hierzulande und in den Einsatzgebieten
der Bundeswehr.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Guttenberg, Sie haben Ihre Vorstellung von Si-
cherheit in den letzten Tagen und Wochen sehr deutlich
gemacht. Ihnen geht es vor allem um die Sicherheit der
Interessen von Unternehmen, um den sicheren Zugang
zu Ressourcen, um die Sicherheit der Handelsrouten.


(Elke Hoff [FDP]: Und der Linksfraktion! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und der Rüstungskonzerne!)


Sie fordern etwas, was unser Grundgesetz verbietet: Sie
fordern Wirtschaftskriege zur Durchsetzung und Absi-
cherung der Interessen deutscher Konzerne.


(Zurufe von der CDU/CSU: Pfui! – Unerhört!)


Dazu sagt die Linke klar und deutlich Nein.


(Beifall bei der LINKEN – Elke Hoff [FDP]: So ein Blödsinn!)


Bei der Berliner Sicherheitskonferenz haben Sie, Herr
Guttenberg, jüngst ganz bewusst ein außenpolitisches
Tabu in unserem Lande gebrochen. Sie haben betont,
dass Sie die Position des früheren Bundespräsidenten
Köhler zur militärischen Interessendurchsetzung teilen.


(Elke Hoff [FDP]: Ja! Genau richtig!)


Herr Köhler hatte wenigstens noch den Anstand, an-
schließend zurückzutreten. Sie erklärten – Zitat –:

Der Bedarf der aufstrebenden Mächte an Rohstof-
fen steigt ständig und tritt damit mit unseren Be-
dürfnissen in Konkurrenz … Da stellen sich Fragen
auch für unsere Sicherheit, die für uns von strategi-
scher Bedeutung sind.

Mit Herrn Niebel haben Sie einen Entwicklungshilfe-
minister an Ihrer Seite, der Organisationen, die in Kri-
senregionen neutral und unabhängig von der Bundes-
wehr arbeiten wollen, gern den Geldhahn zudrehen will.
Herrn Niebels Ressort wird gleich im Anschluss behan-
delt. Aber die sogenannte vernetzte Sicherheit ist ja lei-
der auch ein Thema der Verteidigungspolitik geworden.
Die Bundeswehr versucht genauso wie die NATO, die
enge Verzahnung von Entwicklungs-, Außen- und Ver-
teidigungspolitik als großen Fortschritt zu verkaufen.
Die NATO hat am Wochenende sogar beschlossen, eine
eigene zivil-militärische Planungszelle einzurichten.

Arme Länder brauchen Entwicklungshilfe, die sich an
den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Notwendig
ist eine Außenpolitik, die sich auf Diplomatie stützt und
an einem gerechten Ausgleich zwischen Arm und Reich
interessiert ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine Vermischung von zivilen und militärischen Instru-
menten führt zu Unklarheit und Unsicherheit. Eine Un-
terordnung der verschiedenen zivilen Bereiche unter
machtpolitische und militärische Prioritäten ist nach un-
serer Ansicht falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


In Afghanistan ist drastisch zu beobachten, welche fa-
talen Auswirkungen die Kriegspolitik von Bundeswehr
und NATO hat. Das haben nicht erst die Bombardierung
und die bewusste Inkaufnahme von toten Zivilisten am
Kunduz-Fluss gezeigt. Immer mehr Soldatinnen und
Soldaten bringen immer mehr Unsicherheit, und immer
mehr Kampfhandlungen führen zu einer Eskalation des
Krieges und zu immer mehr toten Soldatinnen und Sol-
daten sowie toten Zivilisten.

Auch bei den eingesetzten Soldaten zeigt sich eine
Verrohung, die dieser Kriegseinsatz hervorruft.


(Elke Hoff [FDP]: Das ist ja unglaublich! – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Bitte? Das ist ja unverschämt! – Gegenruf von der LINKEN: Es ist aber so! – Jürgen Herrmann [CDU/CSU]: Sie kennen sich ja auf den Schiffen aus, wo es auch zur Sache geht!)


Ich zitiere, was ein Soldat in einem von der Nachrichten-
agentur dapd jüngst veröffentlichten Interview gesagt
hat:

Man baut einfach einen Hass gegen die Bevölke-
rung auf. … Man möchte am liebsten auch alle nor-
malen Afghanen ins Jenseits befördern.

Allein die Erkenntnis, dass der Einsatz in Afghanistan
bei deutschen Soldaten solche Vorstellungen hervorruft,


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Entschuldigung! Nicht die deutschen Soldaten!)


sollte Grund genug für einen sofortigen Abzug sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Bitte erzählen Sie nun nicht, die NATO habe ja in Lis-
sabon den Rückzug aus Afghanistan bis Ende 2014 be-
schlossen. Es wurde nur der Abzug von Kampftruppen
angekündigt, keineswegs der Abzug aller Soldaten. Das
Vorbild für diesen Plan ist der Irak: Dort sind trotz Ab-
zugs der USA immer noch 50 000 US-amerikanische Sol-
daten. Sie übernehmen die Gefechte in der Regel nicht
mehr selbst; dies überlassen sie den irakischen Truppen.
Die internationalen Truppen unterstützen und beraten
die irakischen Truppen bei deren Kampf gegen andere
Iraker. Wie im Irak soll die Kriegsführung auch in
Afghanistan Stück für Stück auf die einheimische Bevöl-
kerung übertragen werden. Das ist kein Friedensplan;
das ist ein Plan zur Ausweitung eines Bürgerkrieges.
Das ist keine Afghanisierung der Sicherheit; das ist eine
Afghanisierung des Krieges.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die einzige Antwort kann nur sein: Bundeswehr und
NATO raus aus Afghanistan!


(Beifall bei der LINKEN)


Mit dem Rüstungshaushalt werden allein für Waffen-
systeme über 5,2 Milliarden Euro ausgegeben. Darüber
hinaus hat die Bundeswehr Rüstungsverträge abge-





Inge Höger


(A) (C)



(D)(B)

schlossen, durch die bereits heute Verpflichtungen für
Ausgaben in Höhe von mehr als 46 Milliarden Euro be-
stehen. Das ist unverantwortlich.

Das Verteidigungsministerium selbst gibt zu, dass na-
hezu keines der Aufrüstungsprojekte zeitlich und finan-
ziell im Rahmen bleibt. Auch die Qualität lässt häufig zu
wünschen übrig. Durch eine absolut schlampige und
häufig verspätete Produktion bietet die Rüstungsindus-
trie aber die Chance eines Ausstiegs. Diese Chance eines
Ausstiegs aus den Beschaffungsprojekten sollten Sie
nutzen.

Die Regierung beharrt aber auf dem Kauf des Schüt-
zenpanzers Puma oder des Kampfhubschraubers Tiger,
obwohl die Industrie bis heute keine fehlerfreien Geräte
liefern kann. Es gäbe die Möglichkeit einer außerordent-
lichen Kündigung. Ähnliches gilt für die neuen Fregat-
ten oder den Transporthubschrauber NH-90.


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Mit den neuen Fregatten ist alles in Ordnung!)


Die Beschaffung des Militärtransporters A400M ist
der teuerste Fall von Pleiten, Pech und Pannen bei der
Aufrüstung, an dem die Bundesregierung festhält. EADS
hat bereits Anfang des Jahres finanzielle und zeitliche
Zugeständnisse erbettelt. Nun will der Rüstungskonzern
das einmalige Angebot machen, nur noch 170 Flugzeuge
zum Preis der ehemals ausgehandelten 180 Flugzeuge zu
liefern. Neben anderen Zugeständnissen erhält EADS im
Zuge des vorliegenden Haushalts einen Kredit, der nur
dann zurückgezahlt werden muss, wenn ausreichend
hohe Einnahmen aus dem Export erzielt werden. Dafür
werden 500 Millionen Euro aus Steuermitteln zur Verfü-
gung gestellt. Damit wird ein privates Risiko öffentlich
abgesichert. Im Ergebnis wird die Aufrüstung der Bun-
deswehr über die Ausweitung von Rüstungsexporten
finanziert.

Das ist wohl kein Zufall. Parallel zum Umbau der
Bundeswehr zur Einsatzarmee sind die Rüstungs-
exporte kontinuierlich angestiegen. Ich denke, ohne eine
Abkehr von der globalen Interventionspolitik wird es
kaum möglich sein, Rüstungsexporte zu verringern und
zu kontrollieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn man über die Bundeswehr redet, muss man
auch das Bündnis betrachten, in dessen Rahmen die
meisten deutschen Soldaten im Ausland eingesetzt sind:
die NATO. Am letzten Wochenende hat die NATO in
Lissabon ihr neues Strategisches Konzept beschlossen.
Die Bilanz dieses Gipfels bei den Themen „Abrüstung“
und „Frieden“ ist äußerst mager. Es ist besonders dreist,
die bloße Erwähnung der atomaren Abrüstung als Erfolg
zu verkaufen. Dabei wird betont – ich zitiere –:

Solange es Nuklearwaffen auf dieser Welt gibt,
wird die Nato eine nukleare Allianz bleiben.

So schafft die NATO keine Bedingungen für die nu-
kleare Abrüstung, sondern das genaue Gegenteil.


(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie mich abschließend kurz noch etwas zur
aktuellen Terrorhysterie sagen. Der Vorsitzende des
Bundes der Kriminalbeamten, Klaus Jansen, forderte
gestern:

Für den Schutz besonders gefährdeter Einrichtun-
gen, Infrastruktur oder Veranstaltungen muss unter-
stützend die Bundeswehr eingesetzt werden.

Nur durch Amtshilfe der Bundeswehr lasse sich der
Schutz der Bevölkerung angeblich gewährleisten. So
verhindern Sie keinen einzigen Terrorangriff, aber Sie
verändern unser Land in eine gefährliche Richtung.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Linke steht für eine Politik, die nicht vom Einsatz
her denkt, weder im Inland noch im Ausland.


(Beifall bei der LINKEN – Holger Haibach [CDU/CSU]: Das Schlimme ist: Ihre Politik denkt gar nicht! Das ist das Problem!)


Die Linke steht für eine Friedenspolitik, die von der Ab-
rüstung her denkt. Unser Ziel ist eine gerechte und fried-
liche Welt ohne Atomwaffen, ohne Rüstung und ohne
Militärinterventionen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707411300

Das Wort hat nun Jürgen Koppelin für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1707411400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bald beginnt die Weihnachtszeit. Da darf man sich etwas
wünschen: Ich wünsche mir von den Sozialdemokraten
und den Grünen, dass sie dafür sorgen, dass solche Poli-
tiker wie Frau Höger unser Land nie regieren. Das wäre
mein Wunsch nach dieser Rede.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie es aussieht, reicht es für Rot-Grün allein! Den Wunsch können wir erfüllen!)


Bevor ich zum Haushalt komme, gestatten Sie mir
bitte eine Bemerkung – ich glaube, das gehört zur heuti-
gen Debatte dazu; ich sehe die Kollegen Gernot Erler,
Werner Hoyer und andere, die damals mit im Verteidi-
gungsausschuss saßen –: Vor 20 Jahren wurden zwei
große Armeen, die Bundeswehr und die NVA, die sich
bis dahin feindlich gegenüberstanden, zusammenge-
führt. Die Tagung der Bundeswehr „20 Jahre Armee der
Einheit“, die in diesen Tagen in Dresden stattfand, war
beeindruckend. Das gilt auch für die Reden der Bundes-
kanzlerin und des Bundesministers Guttenberg. Damals,
vor 20 Jahren, sagten viele: Das ist kaum zu bewältigen.
Das dachten auch in meiner Fraktion viele; das gebe ich
ehrlich zu. Dennoch ist es gelungen. Viele waren an dem
Erfolg beteiligt. Stellvertretend möchte ich, weil er wie
ich aus dem Bundesland Schleswig-Holstein kommt, den





Dr. h. c. Jürgen Koppelin


(A) (C)



(D)(B)

damaligen Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg
nennen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Man darf auch daran erinnern: Die Zusammenfüh-
rung der beiden Armeen sorgte dafür, dass das größte
Abrüstungsprogramm stattfand, das es in Europa je ge-
geben hat. Beide Seiten waren hochgerüstet. Wir haben
abgerüstet noch und noch; das kann man wirklich sagen.
Diese Reform und diese Zusammenlegung waren ein Er-
folg. Das war eine Erfolgsgeschichte.

Man sollte noch etwas nicht vergessen: Es waren
Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher, denen es in
Verhandlungen gelang, dass das gesamte wiederverei-
nigte Deutschland Mitglied in der NATO bleiben konnte.
Alle in Europa und der Welt hatten Vertrauen zu uns.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Nur die Linkspartei hat kein Vertrauen. Da haben Sie
wirklich ein Alleinstellungsmerkmal.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Man hätte die NATO damals genauso wie den Warschauer Pakt auflösen können!)


Nun stehen wir bei der Bundeswehr erneut vor großen
Aufgaben. Die Bundeswehr wird eine Freiwilligen-
armee. Das ist seit vielen Jahren das politische Ziel der
FDP. Dafür sind wir eingetreten.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten ihre Aussetzung!)


Ich habe großen Respekt vor den Entscheidungen von
CDU und CSU. Das war sicher keine leichte Entschei-
dung auf Ihren Parteitagen. Als Freie Demokraten, als
Ihr Koalitionspartner erkennen wir an, dass Ihnen das
nicht leichtgefallen ist. Alle Achtung für diese Entschei-
dung! So sind wir zu einem guten Ergebnis gekommen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU]: So viel Lob ertragen wir gar nicht!)


Ich darf daran erinnern, dass unter Rot-Grün die
Weizsäcker-Kommission eingesetzt wurde. Das war im
Jahr 2000. Was damals aufgeschrieben wurde, ist sehr
interessant. Ich will nur einen Satz zitieren. Schon im
Jahr 2000 schrieb die Weizsäcker-Kommission:

In ihrer heutigen Struktur hat die Bundeswehr keine
Zukunft.

Ich frage mich, warum Rot-Grün das damals nicht
entsprechend umgesetzt hat.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fragen wir uns auch!)


Natürlich habe ich eine Vermutung – das sage ich nicht
einmal in Richtung der Grünen, sondern in Richtung der
Sozialdemokraten –:


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Sie haben die Augen verschlossen und nicht anerkannt,
dass die Wehrpflicht bereits im Jahr 2000 ausgedient
hatte. Unser Koalitionspartner hat das anerkannt. Sie ha-
ben sich damit sehr schwer getan.

Wir als FDP haben in den Koalitionsverhandlungen
durchgesetzt, dass eine Strukturkommission eingesetzt
wurde. Das Ergebnis liegt nun vor. Ich möchte besonders
dem Vorsitzenden, Frank-Jürgen Weise, unseren ganz
herzlichen Dank aussprechen. Ich denke, ich kann das
im Namen der Koalition und im Namen des Hauses tun.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Anders als frühere Regierungen werden wir diese Ergeb-
nisse nicht zu den Akten legen. Wir werden umsetzen,
was immer umsetzbar ist, und zwar zügig. Das kann man
wohl ausdrücklich zusagen.

Wenn die Bundeswehr, wie angekündigt, zum 1. Juli
2011 eine Freiwilligenarmee wird, müssen wir – das ent-
spricht unserer Auffassung – aus Fürsorgepflicht zuerst
an die Angehörigen der Bundeswehr denken, seien sie in
Uniform oder seien sie zivil beschäftigt. Die Bundes-
wehr hat als Arbeitgeber eine besondere Fürsorgepflicht.
Deswegen sage ich: zuerst die Menschen und dann das
Material.

So haben wir es bei den Haushaltsberatungen zum
Einzelplan 14 gehalten. Teilweise hat es erhebliche Um-
schichtungen zugunsten des Personals gegeben. Die
Freien Demokraten und ich persönlich als Hauptbericht-
erstatter haben das sehr ernst genommen, was der frü-
here Wehrbeauftragte Reinhold Robbe in seinem Bericht
über den katastrophalen Zustand des Sanitätswesens ge-
schrieben hat. Wir haben daher erheblich zugunsten des
Sanitätswesens umgeschichtet. Ich muss den Kollegen
Bonde schon fragen, warum die Grünen so viele Streich-
anträge – ich habe diese Anträge bei mir; ich kann sie Ih-
nen zeigen – im Bereich des Sanitätswesens gestellt ha-
ben. Dies ist ein Fehler, der nicht zu akzeptieren ist;
denn gerade beim Sanitätswesen muss draufgepackt und
darf nicht gekürzt werden. Wir haben das gemacht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr müsst euch jetzt entscheiden, ob ihr die Wehrpflicht aussetzt und anpasst oder nicht!)


Ich sage noch einmal: zuerst die Menschen und dann das
Material.

Ich denke besonders an unsere Bundeswehrangehöri-
gen im Auslandseinsatz. Wir danken ihnen sehr. Sie sol-
len wissen, dass wir mit dem Bundeswehretat 2011 fi-
nanzielle Schwerpunkte gesetzt haben, um ihren Einsatz
zu unterstützen.

Bei der Gelegenheit möchte ich ausdrücklich den Fa-
milienangehörigen unserer Soldaten danken. Wir können
manchmal nur erahnen, welche Ängste sie bedrücken.
Sie sollen wissen, dass wir auch an sie denken und dass
wir – damit schließe ich alle Fraktionen außer der der
Linkspartei ein – alles für die Sicherheit unserer Solda-
ten tun. Ich halte es auch für wichtig, dass die Angehöri-
gen wissen, dass wir die Soldaten bei ihrem Auslands-
einsatz und anschließend, wenn sie zurückkommen,





Dr. h. c. Jürgen Koppelin


(A) (C)



(D)(B)

nicht im Stich lassen. Das sage ich in aller Deutlichkeit.
Ich denke dabei vor allem an diejenigen, die krank an ih-
rer Seele sind, wenn sie zurückkommen. Wir werden al-
les für ihre Heilung tun. Denjenigen, die sich bisher
nicht offenbart haben, sage ich, dass sie sich nicht zu
verstecken brauchen. Wir sind bei ihnen.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Bundesminister, weil wir uns in dieser Frage ei-
nig sind, bitte ich Sie, dafür zu sorgen, dass bürokrati-
sche Hürden abgebaut werden, die Angehörige der Bun-
deswehr überwinden müssen, wenn es um das Stellen
von Anträgen bei Versorgungsämtern geht. Es kann
nicht angehen, dass manchmal länger als 18 Monate auf
den Bewilligungsbescheid eines Versorgungsamtes ge-
wartet werden muss. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.
Hier ist ganz dringend Abhilfe geboten.


(Beifall der Abg. Agnes Malczak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach wie vor leidet
die Bundeswehr unter zu viel Bürokratie. Mit der Um-
stellung auf die Freiwilligenarmee muss auch der Kampf
gegen die Bürokratie in der Bundeswehr aufgenommen
werden, Herr Minister. Das ist wichtig, um die Bundes-
wehr attraktiver zu machen. Arbeitsabläufe müssen drin-
gend modernisiert werden.

Ich sage noch einmal: zuerst die Menschen und dann
das Material. Das gilt auch für die Materialbeschaf-
fung. Nur das Material, das der Sicherheit unserer Sol-
daten dient und das für die Erfüllung des Auftrages not-
wendig ist, sollte beschafft werden. Kollege Brinkmann
hat sehr zu Recht darauf hingewiesen: Wenn es Anforde-
rungen der Soldaten im Auslandseinsatz in Bezug auf
Materialbeschaffung gibt, dann kann es nicht angehen,
dass die Entscheidung darüber zwei Jahre und länger auf
sich warten lässt. Ich teile die Einschätzung des Kolle-
gen Brinkmann.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Alles muss auf den Prüfstand. Das gilt für das
Jahr 2011 besonders. Auf den Prüfstand gehören auch
die vielen Auslagerungen, die in der Zeit des Ministers
Scharping erfolgt sind. Ich nenne beispielsweise Bun-
deswehrfuhrpark und Bekleidungswesen. Es muss ge-
prüft werden, ob sich diese Entscheidungen für den Bun-
deshaushalt gerechnet haben. Wir als Freie Demokraten
– auch da sind wir uns einig, Herr Kollege Brinkmann –
haben uns deshalb dazu entschieden, dass die Logistik
der Bundeswehr nicht privatisiert wird, obwohl wir an-
sonsten Befürworter von Privatisierungen sind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Als Hauptberichterstatter für den Einzelplan 14 möchte
ich meinen Kollegen von der Opposition – Frau Lötzsch
von den Linken ist heute nicht anwesend – und meinen
Kollegen von der Koalition für die gute Zusammenarbeit
danken. Ich glaube, wir sind trotz unterschiedlicher Auf-
fassungen ein gutes Team.
Zum Abschluss ein Wort an die Sozialdemokraten.
Der Kollege Brinkmann, aber auch andere Kollegen von
den Sozialdemokraten im Haushaltsausschuss haben
sich bei den Beratungen zum Etat des Verteidigungsmi-
nisters durchaus positiv eingebracht. Das war gut und
richtig; denn es gibt ja auch viele Gemeinsamkeiten.
Auch manche Idee von den Grünen war okay; das will
ich gar nicht abstreiten. Aber ich will an dieser Stelle be-
wusst die Sozialdemokraten ansprechen: Ich bitte Sie,
noch einmal darüber nachzudenken, ob Sie den Etat, wie
der Kollege Brinkmann sagte, ablehnen. Es geht hier
nicht um die Bundesregierung oder um die Koalition. Es
geht um unsere Bundeswehr, die eine Parlamentsarmee
ist.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um das, was die Bundesregierung mit der Bundeswehr macht!)


Ringen Sie sich zumindest zu einer Enthaltung durch,
am besten zu einem Ja! Das wäre für unsere Soldaten
und für unsere Bundeswehr insgesamt ein tolles Zei-
chen. Ich werbe ganz herzlich dafür.

Herr Bundesminister, wir haben wie vor 20 Jahren
große Reformen vor uns. Damals hat die Koalition aus
CDU/CSU und FDP die Zusammenlegung von NVA und
Bundeswehr, über die ich schon gesprochen habe, ge-
schafft. Wir werden auch die kommende Reform schaf-
fen. Unser Ziel ist eine moderne Bundeswehr.

Über den Etat wurde gut beraten; es ist ein guter Etat.
Die Freien Demokraten werden dem Einzelplan 14 zu-
stimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707411500

Das Wort hat nun Alexander Bonde für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707411600

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will im Dienste
der konstruktiven Stimmung, die gerade beschworen
wurde, sagen: Wir sind froh, dass endlich wieder Bewe-
gung in der Reform der Bundeswehr ist. Wir sind froh,
dass endlich Dynamik in der Frage aufgekommen ist:
Passt die Struktur, passen die Ausgaben in diesem Be-
reich?

Die Ansage des Ministers ist: Die Reform kommt, die
Wehrpflicht geht. Aber schon bei der Frage, wann, wird
es spannend. Herr Minister, Sie sagen uns: 1. Juli, Ende
der Wehrpflicht. Jetzt höre ich, dass die Kanzlerin er-
klärt, das stimme nicht, es gebe keinen Termin. Ich
würde Sie bitten, uns nachher, wenn Sie nach vorn kom-
men, zu sagen, ab wann die Reform gilt. Das ist für den
Haushalt keine unerhebliche Frage.

Es liegen mutige und auch tiefgreifende Reformvor-
schläge auf dem Tisch. Auch wir bedanken uns aus-
drücklich bei Frank-Jürgen Weise und seiner Kommis-
sion für vielversprechende Handlungsvorschläge. Ich
will mich auch dafür bedanken, dass mit dem Kommis-





Alexander Bonde


(A) (C)



(D)(B)

sionsbericht eine harte und schonungslose Analyse auf
dem Tisch liegt, die aufzeigt, dass es zum Teil Dysfunk-
tionen gibt. Es ist eine Analyse, die, was die Aufstellung
des Ministeriums angeht, massiv Fragezeichen bezüg-
lich der Führungsfähigkeit setzt. Es ist gut, dass das alles
einmal so deutlich auf dem Tisch liegt. Das unterstützt
natürlich auch uns, die wir seit Jahren an dieser Frage ar-
beiten und Vorschläge machen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist nun kein Vorwurf an die handelnden Personen
in den Strukturen, sondern ausdrücklich eine Frage der
Strukturen und eine Aufforderung an die Politik, Hand-
lungsfähigkeit zu schaffen.

Jetzt, wo die Reformvorschläge auf dem Tisch liegen,
geht es natürlich an die Umsetzung. Die Kanzlerin hat
bei dem Treffen mit der Generalität in Bezug auf die
Bundeswehrreform viel Spaß an der Veränderung ge-
wünscht. Ich habe da eine Menge Spaß. Aber wenn ich
die Debatte in der Koalition über die Frage verfolge, wie
viel mehr Soldaten es im Rahmen der Reform denn noch
werden, Herr Minister, dann muss ich Ihnen sagen: Sie
werden auf dem Weg, der da vor Ihnen liegt, noch eine
Reihe von Spaßbremsen überzeugen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind mit einer Mindeststärke von 163 500 militäri-
schen Angehörigen der Bundeswehr gestartet. Sie sind
jetzt, nach dem Wasserstand der koalitionsinternen Bera-
tungen, schon bei 20 000 mehr. Das heißt, wenn Sie die
55 000 Wehrpflichtigen zum jetzigen Stand herausneh-
men, sind Sie bei einer Verkleinerung um 10 000 Kräfte.
Wir sind gespannt, ob Sie die zum Schluss noch halten
können und wie mutig der Schritt wird.

Vor der Reformanalyse waren Sie ja mutig in der An-
kündigung der Einsparvolumina und der Reformdivi-
dende. Da ist aber unklar, was Sie eigentlich liefern kön-
nen. Schon bei Ihrer Mindeststärke von 163 500 war es
ja mehr als wackelig, ob Sie die Einsparungen laut Fi-
nanzplan, der ja hier zur Debatte steht, der am Freitag
verabschiedet werden wird, mit Ihrer Bundeswehrreform
tatsächlich erreichen können.

Ich will in Erinnerung rufen: Sie haben zugesagt – im
Kabinett mit beschlossen und dem Bundestag als Vor-
schlag vorgelegt –, dass Sie im Jahr 2014 durch Ihre
Bundeswehrreform 4,334 Milliarden Euro an Einsparun-
gen im Einzelplan 14 erbracht haben werden. Mit dem,
was jetzt auf dem Tisch liegt, fehlen Ihnen noch
3,5 Milliarden Euro. Hierzu wünsche ich eine klare An-
sage von Ihnen; das können Sie von diesem Pult aus ma-
chen. Wir diskutieren hier ja über den Finanzplan; der
soll mit dem Haushalt verabschiedet werden. Ich will
von Ihnen wissen: Woher kommen diese 3,5 Milliarden
Euro? Ihr bisheriger Reformvorschlag deckt sie nicht ab.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir alle haben ein Interesse daran, dass wir am Ende
– um in Ihrem Sprachgebrauch zu bleiben – eine richtige
Reform bekommen, nicht einen reformähnlichen Zu-
stand.

Die Beratungen zum Haushalt 2011 waren ein Stück
unheimlich. Der Haushalt, der hier verabschiedet werden
soll, bildet die gesamten Reformüberlegungen, die die
Koalition jetzt vorgetragen hat, die Sie überall vortragen,
nicht ab. Hier wird ein Haushalt verabschiedet, der die
alte Bundeswehr, so wie sie vor der Reform organisiert
ist, titelscharf weiter durchfinanzieren soll. Zum Teil
wird eine ganze Reihe von Ausgaben ermöglicht, von
denen wir wissen, dass sie nach der Reform nicht mehr
gebraucht werden.

Deshalb frage ich mich schon, weshalb Sie unserem
Vorschlag, ein Moratorium im Beschaffungsbereich
zu machen, nicht gefolgt sind, weshalb Sie darauf beste-
hen, vor der Reform weiter in Beschaffung und militäri-
sche Strukturen zu investieren – und dies, obwohl Sie sa-
gen, dass Sie heute noch nicht wissen, wie die Struktur
der Bundeswehr nach der Reform sein wird. Das halten
wir für nicht überzeugend. Wir haben die Sorge, dass
hier Strukturen zementiert werden, bevor klar ist, worauf
es hinausläuft. Ich könnte jetzt noch viel sagen, zum Bei-
spiel zum A400M und zu anderen Beschaffungsprojek-
ten.

Herr Minister, Sie haben die konstruktive Mitarbeit
der Opposition, wenn es darum geht, den Reformprozess
auf den Weg zu bringen. Aber wir warten noch auf den
Reformprozess; bisher gab es nur eine Ankündigung.
Der Haushalt, wie er hier vorliegt, ignoriert die Reform.
Insofern ist er dazu kein Beitrag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707411700

Das Wort hat nun Bundesminister Karl-Theodor zu

Guttenberg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-
desminister der Verteidigung:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße
auf der Tribüne Soldatinnen und Soldaten des Fachsani-
tätszentrums in Kiel. Ich begrüße sie gerne, und ich frage
mich ein wenig, was diese Soldatinnen und Soldaten
vorhin dachten, als Sie, Frau Höger, hier Ihren Redebei-
trag geleistet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unabhängig vom grundsätzlichen Niveau dieser Rede,
auf das ich gar nicht eingehen möchte, ist es schon er-
staunlich, wie man sich die Freiheit nehmen kann, Men-
schen, die sich grundsätzlich bereit erklären, für den
Dienst an dieser Gesellschaft Leib und Leben zu riskie-
ren, so pauschal zu beleidigen. Das ist unglaublich.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Inge Höger [DIE LINKE])






Bundesminister Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg


(A) (C)



(D)(B)

Man kann ja einen harten Streit über viele Punkte füh-
ren, über die wir zu Recht diskutieren und diskutieren
müssen, aber ein Restmaß an Anstand im Umgang darf,
glaube ich, schon noch gepflegt werden. Deswegen war
mir dieser Hinweis wichtig.

Herr Kollege Koppelin, zunächst einmal danke für die
Erwähnung: 20 Jahre Armee der Einheit. Ich glaube,
dass dieser Aspekt gar nicht stark genug hervorgehoben
werden kann. Ich würde in diesen Kontext gerne noch
jene einbeziehen, die damals neben den großen, von der
Öffentlichkeit so beachteten und zu Recht gelobten Köp-
fen, die das gewährleistet haben, dabei mitgeholfen haben
– im zivilen Bereich und auf allen Ebenen der Dienst-
grade –, dass diese Armee der Einheit so entstehen
konnte. Hier ist ein großartiges, ein wunderbares Werk
gelungen. Ich glaube, wir können hier allgemein dafür
danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Von nahezu allen wurde auf die Verpflichtung hinge-
wiesen, die wir gegenüber den Soldatinnen und Solda-
ten haben. Ein Aspekt, der eine zunehmend wichtige
Rolle spielt, ist: Wie können wir Grundvoraussetzungen
schaffen, um nicht nur den sichtbaren körperlichen Ver-
wundungen unserer Soldatinnen und Soldaten, die aus
den Einsätzen heimkehren – solche sind ebenso wie Ge-
fallene leider immer wieder zu beklagen –, sondern auch
den seelischen Verwundungen, die zunehmend eine
Rolle spielen, gerecht zu werden? Hier ist der Hinweis
wichtig, dass wir in dieser Frage nicht nachlassen dürfen
und können.

Herr Koppelin, Sie haben erwähnt, dass man teilweise
durch einen unsäglichen Wust von Bürokratie muss, bis
einem überhaupt eine Anerkennung zuteil wird. Diesen
Punkt haben wir aufgegriffen. Wir haben jetzt – wohl
wissend, dass wir in der Strukturreform noch besser wer-
den müssen – unter der Federführung von Staatssekretär
Koppelin eine Anlaufstelle geschaffen, die helfen soll.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ging ja schnell! Jetzt ist es raus! – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Das sollte noch keiner wissen! Jetzt ist es raus! Das wäre eine Pressemeldung wert! – Zuruf von der FDP: Noch nicht!)


– Ich meinte Staatssekretär Kossendey. Habe ich
Koppelin gesagt?


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


Das war ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk, Herr
Koppelin.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Würde passen!)


– Wenn wir die Federführung so aufteilen könnten, wäre
das natürlich gut; aber da müsste man auch die Finanzen
beachten. Herr Kossendey macht das jedenfalls in Feder-
führung.

Ich glaube, es ist gut, dass eine Anlaufstelle geschaf-
fen wurde, die gerade jenen helfen soll. Aber, wie ge-
sagt, wir müssen hier besser werden; wir müssen hier si-
cherlich noch einiges nachlegen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ich habe in Dresden deutlich gemacht, was die Bun-
deswehr der Zukunft und in Zukunft leisten soll. Ich
habe auch noch einmal deutlich gemacht, welche nächs-
ten Schritte anstehen, welche Entscheidungen der Bun-
desregierung anstehen. Die Frage wurde hier ja gestellt
– Herr Brinkmann, Sie haben auch noch einmal darauf
hingewiesen –: Wann werden die nächsten Schritte als
Ausgangspunkt für die Umsetzung gemacht?

Das Bundeskabinett wird sich noch im Dezember die-
ses Jahres mit diesem Thema beschäftigen. Mit den ers-
ten Grundfragen werden wir uns auch im Koalitionsaus-
schuss befassen, und zwar, wie Sie gefordert haben, so
zeitnah wie möglich. Anderen geht es manchmal etwas
zu schnell, nicht wahr, Herr Arnold? Dazu werden Sie
gleich wahrscheinlich noch etwas sagen. Dann werden
wir sehen, ob das zusammenpasst: Dem einen geht es zu
schnell, der andere möchte, dass man sich so zeitnah wie
möglich damit beschäftigt. Ich glaube, wir müssen, um
zu einer möglichst sinnvollen Lösung zu kommen, ver-
antwortungsvoll handeln und dabei das Momentum nut-
zen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In diesem Jahr haben wir eine Debatte geführt – es
war gottlob eine öffentliche Diskussion, die mit und in
der Gesellschaft stattfand –, in der es um folgende Fra-
gen ging: Was ist die Bundeswehr? Wie hat sie zukünftig
auszusehen? Wie können wir die so wichtige Brücke
zwischen Bundeswehr und Gesellschaft aufrechterhal-
ten?

Es ist hocherfreulich, dass der Ausfluss dieser De-
batte über die Parteigrenzen hinweg spürbar wurde. Da-
durch dass ich in einer zugegebenermaßen sehr provo-
zierenden Rede in Hamburg in diesem Jahr einen Bezug
zum Budget hergestellt habe, wurde diese Debatte mit
ausgelöst. Mittlerweile besteht nahezu Einigkeit darin,
dass wir künftig keine Bundeswehr nach Kassenlage ha-
ben wollen, sondern eine Bundeswehr, die sich über die
sicherheitspolitischen Herausforderungen und Erforder-
nisse definiert. Deswegen ist das, was vorhin zitiert
wurde, völlig richtig. Die Grundfrage lautet: Was ist uns
die Sicherheit in diesem Lande eigentlich wert? Darauf
kommt es an. Dem wollen wir gerecht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was muss eine neu ausgerichtete Bundeswehr leisten
können? Sie muss ihren Auftrag vollumfänglich erfüllen
können. Sie muss einen verlässlichen Beitrag in der Eu-
ropäischen Union, im Bündnis und in den Vereinten Na-
tionen leisten können. Sie muss ein leistungsfähiges In-
strument deutscher Sicherheitsvorsorge sein, das
attraktiv ist. Der Gesichtspunkt der Attraktivität ist von
großer Bedeutung. Hier müssen wir bedeutend besser
werden, gerade vor dem Hintergrund der Entscheidun-
gen, die wir getroffen haben. Aber auch unabhängig da-
von muss die Bundeswehr im Wettbewerb mit anderen
Arbeitgebern in diesem Lande so attraktiv sein, dass sie





Bundesminister Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg


(A) (C)



(D)(B)

die besten Köpfe für sich gewinnt. Das muss der An-
spruch sein. Dafür werden wir uns einsetzen.

Wenn ich sage, dass wir besser werden müssen, heißt
das, auch kreative Ansätze, die vielleicht nicht so viel
kosten, zu verfolgen; dass auch dies natürlich Geld kos-
ten wird, steht völlig außer Frage. In Dresden habe ich
bereits erste Vorschläge gemacht, die wir mit dem Haus-
halt, den wir im nächsten Jahr verabschieden werden,
unmittelbar realisieren können. Ich glaube, es ist ein
wichtiges Signal, nicht nur an die Soldatinnen und Sol-
daten, sondern auch und gerade an die zivilen Mitarbei-
ter der Bundeswehr, dass es uns mit dieser Reform ernst
ist und wir diese Reform nicht als Selbstzweck betrach-
ten, sondern sie durchführen, um den Soldaten und den
zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr eine Perspektive zu
geben. Eine Perspektive haben sie nämlich verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Neben einer Erhöhung der Attraktivität der Bundes-
wehr muss ihr inneres Gefüge intakt und lebendig gehal-
ten werden. Natürlich besteht an Tagen und Monaten
wie diesen Verunsicherung. Natürlich machen sich die
Menschen Sorgen; das ist nachvollziehbar und verständ-
lich. Gerade deswegen ist es wichtig, dass wir diesen
Prozess stringent durchführen. Wir dürfen aber, wie von
dem einen oder anderen befürchtet, nichts überstürzen.
Herr Arnold, es wird nichts überstürzt. Vielmehr werden
die einzelnen Schritte verantwortungsvoll geplant und
sinnvoll durchgeführt und die entsprechenden Gesetze
gemeinsam mit dem Parlament auf den Weg gebracht.
Wir müssen entsprechende Vorschläge vorlegen. Daraus
resultierende Verordnungen und die Novellierung beste-
hender Gesetze, etwa im Hinblick auf die Wehrform,
werden wir rasch erarbeiten. Einen ersten Vorschlag
werden wir im Dezember dieses Jahres vorlegen. Die
entsprechenden Eckpunkte werden folgen.

In Dresden habe ich auch meine Vorstellungen bezüg-
lich des Gesamtumfangs der Streitkräfte zum Ausdruck
gebracht; zu diesem Thema gab es auch sehr viele Im-
pulse aus dem parlamentarischen Bereich. Ich habe eine
Zielgröße von 180 000 bis 185 000 Soldatinnen und Sol-
daten genannt. Diesen Umfang kann die Bundeswehr der
Zukunft haben, wenn eine substanzielle und nachhaltige
finanzielle Unterfütterung gewährleistet ist. Das ist
wichtig und muss in diesem Zusammenhang immer wie-
der betont werden.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht das mit dem jetzigen Haushaltsund Finanzplan oder nicht?)


– Im Rahmen des Haushalts 2011 nehmen wir die ersten
Strukturänderungen vor, Herr Kollege Bonde. Das wei-
tere Vorgehen werden wir schrittweise an den entspre-
chenden Zahlen festmachen müssen.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist jetzt mit dem Finanzplan?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707411800

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Bartels?
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-
desminister der Verteidigung:

Kollege Bartels, bitte sehr. – Er darf heute ja nicht re-
den.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Rede ID: ID1707411900

Doch, jetzt. – Herr Minister, Sie haben die Ankündi-

gung der Reform damals mit dem Spardiktat der Kabi-
nettsklausur begründet.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hat er nicht!)


Kollege Bonde hat es angesprochen: Das war mit einer
konkreten Zahl verbunden; insgesamt 8,3 Milliarden
Euro sollten in den nächsten Haushalten eingespart wer-
den. Das wird schwierig, wenn Sie, wie angekündigt, die
Attraktivität der Bundeswehr verbessern wollen, was an-
gesichts des Wegfalls von Grundwehrdienstleistenden
und auch aus anderen Gründen unbedingt notwendig ist,
wenn Sie das Ausscheiden von Zeitsoldaten befördern
wollen, damit Sie auf die genannten kleineren Zahlen
kommen, und wenn Sie den Umzug und Stationierungs-
fragen mit Geld unterlegen wollen. Durch all das wird es
nicht billiger. Stehen Sie noch zu der Zahl von
8,3 Milliarden Euro, oder ist das die Ankündigung von
gestern, und morgen gibt es eine neue?

Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-
desminister der Verteidigung:

Herr Kollege Bartels, herzlichen Dank. – Es wird
schwierig, gerade vor dem Hintergrund, dass wir im
Zuge dieser Kabinettsentscheidung den Auftrag hatten
– wir haben den Auftrag auch ausgeführt –, zu zeigen,
welche Folgen ein Abbau von bis zu 40 000 Berufs- und
Zeitsoldaten hat und wie wir zu der Ihnen bekannten Mi-
nimalzahl von 163 500 kamen. Bei der Zahl 163 500, für
die man viel beschimpft und auch verkloppt wurde, wäre
ein Zahlenrahmen, den man mit etwa 150 000 Soldaten
erreicht hätte, kaum mehr erreichbar gewesen wäre.

An der Zahl von 180 000 bis 185 000 Soldaten, von
der wir jetzt in der Diskussion ausgehen, sind die künfti-
gen Zahlen zu messen. Darüber wird allerdings jetzt erst
zu entscheiden sein. Das geschieht zunächst in der Ab-
stimmung zwischen den Ressorts und im Kabinett und
anschließend in den Verhandlungen mit dem Parlament.
Wenn man diese Zahl für sinnvoll hält, dann wird man
ihr gerecht werden müssen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707412000

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischen-

frage, und zwar des Kollegen Bonde?

Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-
desminister der Verteidigung:

Nein, vielen Dank. Das können wir nachher noch be-
sprechen, Herr Kollege Bonde.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Er hat schon gesprochen, der Kollege Bonde!)






Bundesminister Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg


(A) (C)



(D)(B)

In Bezug auf die Zahl von 180 000 bzw. 185 000 ist
Folgendes wichtig: Ein Mehr über diese 185 000 hinaus
müssten wir schlicht an den Realitäten messen und auch
daran, was mit Blick auf die demografische Entwicklung
in diesem Lande machbar, verantwortbar und leistbar ist.
Das ist eine Einschätzung, die wir nach intensiver Befas-
sung in diesem Hause gewonnen haben. Hinsichtlich der
Minimalzahl, die für mich – das möchte ich noch einmal
betonen – immer das absolute Minimum war, muss man
sagen: Wir wollen im Grunde genommen keine Bundes-
wehr, die sich auf Minimallinien begründet, sondern
eine Bundeswehr, die tatsächlich ein breites und kluges
Fähigkeitsspektrum vorhalten und den Ansprüchen, die
ich vorhin genannt habe, gerecht werden kann.

All das erfordert insbesondere einen erheblichen Per-
sonalumbau und schließt auch Reduzierungen nicht aus
– das wurde genannt –, und zwar sowohl bei den Zeit-
und Berufssoldaten als auch bei den Zivilbediensteten,
bei einer bestimmten zu erreichenden Gesamtgröße. Das
kann im Grunde nur bei einer ausgewogenen Alters- und
Dienstgradstruktur gelingen. Nur so lässt sich auch die
Einsatzbereitschaft aufrechterhalten. Um beide Zielset-
zungen auf sozialverträgliche Weise zu gewährleisten,
untersuchen wir neue gesetzliche, dienstrechtliche und
auch tarifrechtliche Instrumente. Dazu werde ich dem-
nächst Vorschläge einbringen.

Zur Attraktivität habe ich mich bereits geäußert.
Wichtig erscheint mir noch Folgendes: Veränderungen
müssen dort beginnen, wo wir es früher zum Teil ver-
säumt haben. Es kann nicht sein, dass wir die Verände-
rungen nur dort ansetzen, wo es möglicherweise am
leichtesten erscheint; vielmehr müssen wir im Ministe-
rium, an der Spitze, oben beginnen, die Veränderungen
angemessen zu gestalten, und dürfen uns nicht mit dem
Ende der Stufenleiter begnügen, wo dann möglicher-
weise das Aussitzen als das Richtige erscheint. Wenn wir
an der Spitze, im Ministerium beginnen, können wir da-
mit ein Zeichen setzen, dass es uns mit dieser Reform
ernst ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin dankbar für das Niveau der Debatte. Ich bin
dankbar für vieles, was an Impulsen eingebracht worden
ist. Wichtig ist, dass wir das, was wir jetzt gestalten, an
den Soldatinnen und Soldaten und an den zivilen Mitar-
beitern ausrichten, denen noch einmal mein herzlicher
Dank gilt. Kritik an den Strukturen ist nicht Kritik an der
Leistungsbereitschaft und an der Leistungsfähigkeit der
Soldaten und der Mitarbeiter dieser Bundeswehr. Diesen
Dank und auch Applaus haben sie verdient.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707412100

Das Wort zu Kurzinterventionen haben jetzt nachei-

nander Kollegin Höger und Kollege Ströbele.


Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707412200

Herr Minister zu Guttenberg, ich verwahre mich da-

gegen, ich hätte alle Soldaten pauschal beleidigt.

(Dr. Andreas Schockenhoff türlich! Die ganze Bundeswehr! Ich habe aus einem Interview zitiert. Ich habe das getan, weil ich gerade nicht möchte, dass die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan die Zivilbevölkerung als potenziellen Feind betrachten. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Jetzt machen Sie das Gleiche noch einmal!)


Ich habe das getan, weil wir als Linke nur eine Möglich-
keit zur Gewährleistung des Schutzes unserer Soldatin-
nen und Soldaten sehen, nämlich wenn Sie die Soldatin-
nen und Soldaten ganz schnell aus diesem Einsatz nach
Hause holen. Deshalb stimmen wir auch grundsätzlich
gegen diese Auslandseinsätze, damit wir sie nicht in Ge-
fahr bringen.


(Beifall bei der LINKEN – Elke Hoff [FDP]: Setzen, durchgefallen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707412300

Kollege Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister, ich habe mich zu Wort gemeldet, weil
ich zu zwei Punkten eine Einlassung von Ihnen ver-
misse.

Erster Punkt. Ich gehöre diesem Parlament ja schon
länger an – schon mehrere Legislaturperioden – und
komme mir manchmal ein bisschen wie in einer Geister-
debatte vor. Deshalb erwarte ich von Ihnen, dass Sie ein-
mal eine Erklärung dazu abgeben und sich auch bedan-
kend dazu äußern, dass die grüne Bundestagsfraktion die
Abschaffung der Wehrpflicht in den letzten Legislatur-
perioden immer wieder gefordert hat,


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Aber nicht durchgesetzt!)


während von allen möglichen Mitgliedern dieses Hauses
– gerade aus der Union und auch von Ihnen selbst – hef-
tigste polemische Kritik daran geäußert worden ist. Jetzt
tun Sie so, als sei das schon immer das Gelbe vom Ei ge-
wesen,


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das BlauGelbe!)


ohne einmal einen Augenblick zu verharren und zu sa-
gen, warum Sie das damals ganz anders gesehen und den
Grünen Unrecht getan haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Den zweiten Punkt mahne ich immer wieder an. Sie
haben auch in dieser Ihrer grundsätzlichen Rede zum
Haushalt – der Verteidigungsminister spricht zum Haus-
halt – mit keinem Satz etwas dazu gesagt – in der Öffent-
lichkeit tun Sie das sonst durchaus –, was nach Ihrer
Auffassung und nach dem Grundgesetz der Bundesrepu-
blik Deutschland in Zukunft die Aufgaben der Bundes-
wehr überall auf der Welt sind. Gehört dazu beispiels-
weise die Sicherung der Handelswege?


(Elke Hoff [FDP]: Passiert doch schon!)






Hans-Christian Ströbele


(A) (C)



(D)(B)

Gehört dazu beispielsweise die Sicherung der Rohstoff-
zufuhr? Gehört dazu beispielsweise die Sicherung von
Arbeitsplätzen in Deutschland, wie Sie das als Verteidi-
gungsminister bei der Tagung, über die Sie berichtet ha-
ben, angedeutet haben?

Bitte sagen Sie mir doch, zu welcher Tagung ich hin-
gehen und welche Zeitung ich lesen muss, damit ich da-
rüber informiert werde, was der Bundesverteidigungsmi-
nister zu diesen Fragen zu sagen hat.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Einfach ins Plenum kommen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707412400

Herr Minister, Sie haben die Gelegenheit zur Ant-

wort.

Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-
desminister der Verteidigung:

Herr Kollege Ströbele, ich bedanke mich dafür, dass
Sie den Begriff „Geisterdebatte“ mit Leben füllen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich darf nur noch einmal darauf hinweisen, dass es
sich lohnt, beispielsweise das Papier des Generalinspek-
teurs zu lesen, auf das ich oft Bezug genommen habe.
Darin wird genau dieses Spektrum offengelegt.

Sie sagen, Sie lesen und bekommen in der Öffentlich-
keit mit, was ich tatsächlich damit gemeint habe. Gleich-
zeitig fragen Sie mich, in welche Veranstaltungen Sie
kommen und welche Zeitung Sie lesen müssen, um zu
erfahren, was ich gemeint habe. Das ist zumindest ein
kleiner Widerspruch.

Ich habe Ihnen nach Ihrer letzten Kurzintervention
auf diese Frage geantwortet.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Sie haben gesagt, Sie haben es schon gemacht!)


Ich hoffe, dass Ihr Gedächtnis zumindest für diese drei
Wochen ausreicht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Meine Antwort war relativ ausführlich, Herr Ströbele,
und auf die will ich noch einmal Bezug nehmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707412500

Das Wort hat nun Kollege Rainer Arnold für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1707412600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister, die Antwort, die Sie gerade gegeben ha-
ben, zeigt ein bisschen das Problem auf. Sie machen sich
nicht die Mühe, Politik wirklich zu erklären. Sie sorgen
für eine schnelle Überschrift, statt den Menschen zu sa-
gen, was gemeint ist. Das fehlt.


(Zuruf von der FDP: Zuhören!)


Sie haben Herrn Ströbele weder heute noch in der letzten
Debatte präzise geantwortet. Ich möchte das einfach ein-
mal festhalten.

Ich glaube, dass Sie mit Ihren auch heute wieder
wohlgesetzten schönen Worten weit von der augenblick-
lichen Wirklichkeit der Bundeswehr entfernt sind. Die
Schere geht sehr weit auseinander. Wer heute die Truppe
besucht und den Bericht des Wehrbeauftragten liest, in
dem auf 55 Seiten gravierende Mängel aufgezeigt sind,
der muss doch wirklich feststellen, dass wir aktuell sehr
ernste Probleme haben.

Es gibt Soldaten, die im Einsatz auf Material warten,
und es werden Übungen abgesagt, weil das Geld nicht
zur Verfügung gestellt wird und ein Omnibus nicht be-
zahlt werden kann. Überall, wo wir hinkommen, gibt es
ernsthafte Sorgen.

Herr Minister, es sind Ihre Probleme. Es ist Ihre Ver-
antwortung. Das haben wir Ihnen schon zu Beginn des
Jahres gesagt, als der jetzige Haushalt verabschiedet
wurde. Die fehlenden 500 Millionen Euro schlagen jetzt
im Truppenalltag durch. Herr Koppelin, es ist schon in-
teressant, wie weihevoll Sie sagen: erst der Mensch und
dann das Material. – Sie waren Auslöser dieses ernsthaf-
ten Problems. Sie haben es zu verantworten, und der
Minister hat es akzeptiert.


(Beifall bei der SPD)


Im nächsten Jahr wird es nicht besser. Der Kollege
Brinkmann hat die ernste Situation im Haushalt des Ein-
zelplans 14 eindrucksvoll dargestellt. Herr Koppelin hat
sich bei ihm für die gute Zusammenarbeit bedankt. Dies
möchte auch ich tun, weil ich gesehen habe, dass sozial-
demokratische Haushälter verantwortungsvoll mit den
Menschen bei der Bundeswehr umgehen. Herr Koppelin,
noch besser wäre es gewesen, wenn Sie, statt meinem
Kollegen zu danken, seinen Vorschlägen gefolgt wären.
Die waren nämlich immer seriös gegenfinanziert.


(Beifall bei der SPD)


Die entscheidende Frage ist aber: Wie geht es lang-
fristig mit der Bundeswehr weiter? Jeder Fachpolitiker
wusste, dass das Jahr 2010 einen weiteren Schritt bedeu-
ten muss, was Transformation und neue Antworten ver-
langt. Angesichts der Entwicklung dieser Debatte in den
letzten Monaten könnten Sozialdemokraten eigentlich
zufrieden sein, weil Sie, Herr Minister, und die Koalition
sich in vielen wichtigen Punkten exakt auf das zubewegt
haben, was sozialdemokratische Fachpolitiker seit meh-
reren Jahren formuliert haben. Wir könnten zufrieden
sein


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Seien Sie es doch mal! – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Da klatscht noch nicht mal die SPD!)






Rainer Arnold


(A) (C)



(D)(B)

– langsam; die wissen ja, dass noch etwas kommt, Herr
Kollege –, wenn sich der Herr Minister nicht allzu sehr
in der Rolle des Durchmarschierers gefallen würde nach
dem Motto: schnell, stramm und dann am Ende leider
auch schlecht und falsch.

Sie haben von einem Zwiespalt in Bezug auf das
Tempo gesprochen: Wie schnell soll es gehen? Ist es zu
hektisch oder zu langsam? – Zunächst sollte man nach-
denken, sich mit den Ressorts und dem Parlament ab-
stimmen und konzeptionelle Vorarbeiten im Haus leis-
ten;


(Zuruf von der FDP: Das hat er doch gemacht!)


dann kann man ankündigen und umsetzen. Sie, Herr
Minister, kündigen zuerst an. Ihr Stil, vorzupreschen und
dann hektisch wichtige Details nachzubessern und im
Nachhinein Gesetzesarbeit zu leisten, führt nun einmal
zu Fehlern.

Einen haben wir doch alle in diesem Sommer erlebt.
Die kurzfristige Einführung der W 6, der sechsmonati-
gen Grundwehrzeit, war ein gravierender Fehler mit fa-
talen Folgen für die Bundeswehr und die jungen Men-
schen.


(Beifall bei der SPD)


Wenn Sie jetzt über die Aussetzung der Wehrpflicht
reden, ist das auch so ein Fall. Sozialdemokraten haben
das so ähnlich schon vor drei Jahren gefordert. Aber Sie
verspielen die Chance, einen gesellschaftlichen Konsens
hinzubekommen, indem Sie eine Insellösung für das
Verteidigungsministerium anstreben, das gesellschaft-
liche Projekt der Jugendfreiwilligkeit nicht stützen und
am Ende möglicherweise nur einen preiswerten Zeitsol-
daten suchen. Das entspricht nicht unseren Vorstellun-
gen.

Ich habe die große Sorge, dass auch auf der anderen
Seite, beim Zivildienst, nicht genügend an Vernetzung
gedacht wird und dass etwas Neues, Eigenständiges ent-
steht, statt dass eine Verknüpfung mit den guten vorhan-
denen Jugendfreiwilligendiensten geschaffen wird. So
machen Sie die richtige und gute Idee am Ende kaputt.

Lassen Sie mich auf den Zeitpunkt zu sprechen kom-
men. Sie haben es angesprochen. Die Träger des Zivil-
dienstes, die Soldaten in der Truppe und viele andere,
auch im Parlament, wüssten nun wirklich schon gern,
wann es losgehen soll. Es hat gravierende Folgen, wenn
die jungen Menschen ab dem 1. Juli nächsten Jahres
nicht mehr zur Verfügung stehen. Schließlich haben sie
in der Vergangenheit etwas geleistet. Das Datum 1. Juli
wurde immer wieder genannt. Damit sind Sie wieder
vorgeprescht. Die Kanzlerin hat Bedenken in Bezug auf
Studienplätze, auf anständige Vorbereitung und Alterna-
tiven geäußert, die zu Recht bestehen.

Herr Minister, Sie sollten sich wirklich die Zeit neh-
men, solche Fragen abzuklären, bevor Sie an die Öffent-
lichkeit gehen. Sonst werden die Reformen schlecht, und
die gesellschaftliche Chance, Sozialdemokraten im
Grundkonsens hinsichtlich der Sicherheitspolitik zu hal-
ten, zerstören Sie am Ende auch.
Ähnliches gilt für den Umfang der Streitkräfte. Auch
hier bewegen Sie sich auf die Vorschläge der Sozialde-
mokraten zu. Die Zahl von 185 000 Soldaten liegt nahe
bei dem, was wir für notwendig halten. Wir sollten aber
nicht vergessen: Begonnen hat es in der Tat anders. Sie
sagen manchmal, der Generalinspekteur habe diesen
Vorschlag gemacht. Nein, Sie haben ihm den Auftrag
dazu erteilt. Das ganze Kabinett hat gesagt, er solle
8,3 Milliarden Euro einsparen und 40 000 Stellen bei
den Zeit- und Berufssoldaten streichen.

Nun haben Sie eine Korrektur vorgenommen, obwohl
es ursprünglich durchaus ein Modell war, das Sie mit ei-
ner Präferenz versehen hatten. Ich finde es spannend,
dass der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt
über die Streitkräfte keinen eigenständigen seriösen Vor-
schlag zum Umfang macht, sondern ihm durch Partei-
tage und das Parlament gesagt werden muss, wie verant-
wortungsvoll mit der Bundeswehr zu verfahren ist. Dies
ist doch nicht das Vorgehen eines Ministers, der es mit
der Sicherheitspolitik ernst meint.


(Beifall bei der SPD)


Die sicherheitspolitische Begründung fehlt nach wie
vor, vor allen Dingen in einem Bereich: Es wird nicht
genügend darüber gesprochen und reflektiert, welche
Chancen zurzeit in der europäischen Debatte liegen. Es
gibt ein offenes Zeitfenster. Alle Europäer müssen spa-
ren. Wer, wenn nicht das große Land Deutschland mit
seinen Vorstellungen, soll die europäische Idee einer
stärkeren Verzahnung der Streitkräfte voranbringen?
Weder der Außenminister noch der Verteidigungsminis-
ter bringen entsprechende Impulse in die europäische
Politik ein. Das ist schade. Damit wird eine große
Chance verspielt.


(Beifall bei der SPD)


Wenn wir gerade über europäische Fähigkeiten reden,
Herr Minister: Wir werden gegen alles andiskutieren,
was bei der zukünftigen Reform die europäischen Fähig-
keiten beschneidet. Dazu gehört, dass das Heer auch im
Sinn eines Großverbandes Bündnisverteidigung leisten
muss, damit die osteuropäischen Staaten Vertrauen in die
europäische Sicherheitspolitik finden. Dazu gehört eine
Marine, die eben nicht auf Kante genäht werden darf,
wie es gelegentlich zu hören ist. Dazu gehört, dass die
Zahl der Transporthubschrauber eben nicht so stark re-
duziert wird, wie es derzeit manche von Ihnen planen.
Dazu gehört, dass das Operation Headquarter bzw. das
Kommando Operative Führung auch europaweit zur
Verfügung stehen kann und vieles andere mehr.

Deshalb fordere ich Sie auf, Herr Minister: Stoppen
Sie diese Planungen! Stoppen Sie den gesamten Prozess,
und machen Sie endlich verlässliche Vorgaben, die den
Planern auf der militärischen Seite eine solide Basis für
die zukünftige Gestaltung der Bundeswehr bieten.

Weiter liegen Vorschläge der Weise-Kommission
vor. Sie enthalten viel Sinnvolles, was die Straffung des
Ministeriums betrifft. Manches darin ist aber auch
falsch, vor allen Dingen das grundlegende ökonomi-
sierte Denken. Streitkräfte sind etwas anderes als ein
Wirtschaftsbetrieb. Sie brauchen Vorsorge, Redundan-





Rainer Arnold


(A) (C)



(D)(B)

zen und Reserven. Sie haben vorhin die Sanitätssoldaten
angesprochen. Sie brauchen keine Vorschläge, die nur
Scheinlösungen sind. Wir bekommen nicht dadurch
mehr Ärzte, dass wir den Sanitätsdienst der Streitkräfte-
basis zuordnen. All diese Punkte sind im Vorschlag der
Weise-Kommission nicht sehr gut geregelt.

Herr Minister, unser Wunsch lautet: Sortieren Sie sehr
sorgfältig, und teilen Sie der Truppe mit, dass das Kon-
zept nicht vorsieht, alles zu verändern. Sie sollten der
Truppe auch einmal sagen: Vieles, was ihr leistet, leistet
ihr gut. Das gilt es zu bewahren und weiterzuentwickeln.


(Beifall bei der SPD)


Dann erst reden wir darüber, was verändert werden
muss.

Letzten Endes bleibt es dabei: Der Umbau der Bun-
deswehr ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite
ist die Finanzierung. Sie sind der Frage vorhin ausgewi-
chen. Die Kanzlerin hat in Dresden auf die Frage von
Journalisten gesagt: Es bleibt bei der finanziellen Vor-
gabe. Das ist eindeutig. Sie, Herr Minister, haben im
September dieses Jahres in Ihrer Hauspostille gesagt: Es
gibt keine Armee nach Kassenlage. Im Mai dieses Jahres
haben Sie sich selbst dafür gelobt, dass man bei den
Streitkräften endlich nach der Kassenlage vorgeht.

Wissen Sie, was das Schlimmste ist? Im Augenblick
machen Sie Reformen ohne Kassenlage, freischwebend
ohne Bezug zum aktuellen Haushalt, ohne Bezug auch
zur mittelfristigen Finanzplanung. Den Soldaten der
Streitkräfte und den Zivilbeschäftigten haben wir in den
letzten acht Jahren bei Reformen schon sehr viel abver-
langt. Vertrauen in weitere Reformschritte werden die
Soldaten nur behalten, wenn sie sehen, dass die Reform
materiell unterfüttert ist.

Angesichts der mangelnden finanziellen Untermaue-
rung der Reform empfinde ich es als hämisch, wenn
nicht gar zynisch, wenn Frau Merkel vorgestern bei der
Kommandeurstagung den Soldaten entgegenruft, sie
wünsche ihnen viel Spaß bei der weiteren Veränderung.
So darf man mit den Menschen bei der Bundeswehr
nicht umgehen.


(Beifall bei der SPD)


Die größte Herausforderung bleibt aber die Attrakti-
vität des Dienstes. Auch hier gilt: Wenn wir das ernst
nehmen, dann reicht es nicht, wenn man es in Sonntags-
reden erwähnt. Wir sind sehr dafür, dass das Parlament
in Zukunft mit einem Unterausschuss die Attraktivitäts-
steigerungen begleitet, die Regierung auch drängt.

Herr Minister, die Menschen bei der Bundeswehr
leisten verantwortungsvoll ihren ernsten, manchmal
auch gefährlichen Dienst. Deshalb verdienen sie einen
Dienstherrn, der nicht ständig über Wahrheit und Klar-
heit redet, sondern danach handelt und jetzt sagt, was
kommen wird. Sie verdienen allerdings auch mehr als
wohlfeile Versprechungen. Es kann nicht sein, Herr
Minister, dass ihnen im selben Atemzug das verspro-
chene Weihnachtsgeld wieder gestrichen wird. Das ist
Teil der Politik dieser Koalition. Dies zerstört Vertrauen
bei den Menschen, die für uns alle diesen schweren
Dienst leisten.

(Beifall bei der SPD)


Die Bundeswehr braucht einen Minister, der sich für
ihre Belange einsetzt, sich um sie kümmert. Am Ende,
Herr Minister, wird deutsche Sicherheitspolitik nur ge-
lingen, wenn der zuständige Ressortchef auch streitbar
für eine angemessene finanzielle Ausstattung eintritt und
etwas erreicht. Herr Minister, am Ende wird die Reform
nur gelingen, wenn sie finanziell unterlegt ist. Ihr Erfolg
oder auch Misserfolg wird auch daran gemessen, was
Sie diesbezüglich in den nächsten Jahren erreichen. Un-
sere Unterstützung, Positives für die Bundeswehr zu be-
wegen, werden Sie haben. Dort, wo dies nicht gelingt
und wo es nicht seriös untermauert ist, werden wir es so
kritisieren, wie es notwendig ist.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1707412700

Das Wort hat nun die Kollegin Elke Hoff für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Elke Hoff (FDP):
Rede ID: ID1707412800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Die Einschätzung, die Herr Kollege
Arnold hier gerade in bester Oppositionsmanier vorge-
tragen hat, kann ich überhaupt nicht teilen. Ganz im Ge-
genteil, Herr Arnold, ich finde, dass der Minister genau
das gemacht hat, was wir als Parlament von ihm erwar-
ten können. Er hat uns gesagt, was angesichts der demo-
grafischen Verhältnisse in Zukunft auf die Bundeswehr
zukommt, was möglich ist und was nicht möglich ist. Er
hat uns auch, wie es sich für einen verantwortungsvollen
Minister gehört, dargelegt, was in diesem Zusammen-
hang machbar ist.

Ich darf Sie an dieser Stelle daran erinnern, dass die
Väter und Mütter unserer Verfassung uns die Verantwor-
tung übertragen haben. In Art. 87 a des Grundgesetzes
steht eindeutig, dass für Umfang und Struktur der Bun-
deswehr der Haushalt entscheidend ist. Das heißt, dass
das Parlament darüber entscheidet. Ich finde, das ist ein
Punkt, den man an dieser Stelle sehr deutlich zum Aus-
druck bringen muss.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie haben eben für die Sozialdemokratische Partei re-
klamiert, dass sich der Minister, was den Umfang an-
geht, auf die Vorstellungen Ihrer Partei zubewegt. Ich
darf daran erinnern, dass sowohl die CDU/CSU-Fraktion
als auch meine Fraktion, die FDP, einen Umfang festle-
gen möchten, der in Zukunft den Anforderungen an die
Streitkräfte vor dem Hintergrund des demografisch
Möglichen gerecht wird. Ich glaube, das ist ein Punkt,
den wir heute viel zu wenig beleuchtet haben. Was nützt
es, wenn wir mit Zahlen operieren, die wir nachher nicht
unterlegen können?


(Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP])






Elke Hoff


(A) (C)



(D)(B)

Die Truppe hat Klarheit verdient, und in dieser Klar-
heit müssen wir ihr sagen, dass sich Fähigkeiten zukünf-
tig daran orientieren müssen, was machbar ist, aber auch
daran, was sicherheitspolitisch verantwortbar ist. Auch
diesbezüglich hat diese Bundesregierung ganz deutlich
gesagt, wie sie sich die Zukunft der Bundeswehr vor-
stellt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Reform steht
aus verschiedenen Gründen an. Ich bin sehr froh, dass
wir – durch eine sehr gute Debatte übrigens – davon
weggekommen sind, Sicherheitspolitik nach Kassenlage
zu machen. Das haben auch Sie gefordert. Dann müssen
wir jetzt aber auch dazu stehen und dürfen es dem Minis-
ter nicht vorwerfen, wenn er Einsparziele, die die Bun-
desregierung uns als Vorschlag unterbreitet, letztendlich
nicht erfüllt. Es ist und bleibt unsere Verantwortung, da-
rüber zu entscheiden, in welcher Größenordnung die
Streitkräfte ihre Aufgabe wahrnehmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gilt jetzt der Finanzplan oder nicht?)


Bei einer Reform sozusagen bei laufendem Motor – da
sitzen wir alle in einem Boot, weil wir gemeinsam die
Streitkräfte in die Auslandseinsätze geschickt haben –
müssen wir besonders Rücksicht darauf nehmen, die An-
sprüche zu erfüllen.

Das, was heute insbesondere im Bereich der Fürsorge
für unsere verwundeten Soldaten dargestellt wurde,
wurde gemeinsam von der Bundesregierung und den
Oppositionsfraktionen mit Ausnahme der Linken auf
den Weg gebracht. Deswegen verdienen diese Bundesre-
gierung und insbesondere der Minister unsere Unterstüt-
zung.

Es gibt eine saubere Definition der zukünftigen Auf-
gaben der Bundeswehr. Es ist klar und deutlich, dass
Krisenverhütung und Krisenprävention nach wie vor
die vorrangige Aufgabe der Bundeswehr sind. Sie muss
auch in die Lage versetzt werden, diese Aufgabe wahr-
zunehmen. Natürlich gibt es Defizite, die zu beseitigen
sind. Aber eine solche Geschwindigkeit, mit der Minis-
ter zu Guttenberg gemeinsam mit uns in diesem Jahr an
die Aufgaben herangegangen ist, habe ich in den letzten
vier Jahren, als wir in der Opposition waren, nicht erlebt.
Dabei war die damalige Lage ähnlich schwierig. Ich
bitte daher darum, die Kirche im Dorf zu lassen. Ich
glaube, dass wir Ende bzw. Mitte nächsten Jahres unse-
ren Soldatinnen und Soldaten Klarheit darüber verschaf-
fen können, wie es weitergeht. Das war eine Forderung.
Diese werden wir erfüllen. Ich bin sehr froh, dass der
Kollege von der SPD – mir hat sehr gut gefallen, was Sie
heute vorgetragen haben – deutlich gemacht hat, dass
auch die Sozialdemokraten bereit sind, die notwendige
Verantwortung in diesem wichtigen Prozess zu überneh-
men.

Ich möchte an dieser Stelle im Namen meiner Frak-
tion den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundes-
ministeriums der Verteidigung, den Soldatinnen und Sol-
daten sowie dem Minister sehr herzlich dafür danken,
dass endlich begonnen wird, den Reformstau, der das Er-
gebnis von vielen Jahrzehnten Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik ist, zu beseitigen. Am Ende der Reise wer-
den wir genauso wie heute stolz auf unsere Streitkräfte
sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707412900

Omid Nouripour hat das Wort für Bündnis 90/Die

Grünen.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707413000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als die

Bundeskanzlerin am Montag davon sprach, dass die
Truppe endlich Spaß an der Veränderung empfinden
müsse, musste ich an Helmut Kohl denken. Helmut Kohl
hat 1993 ein Unwort, ein Wortungetüm geprägt, nämlich
das vom kollektiven Freizeitpark. Ich glaube, dass
diese Auffassung von unserer Bundeswehr das falsche
Verständnis ist. Ich finde, dass man mit unserer Bundes-
wehr so nicht umgehen kann. Im Übrigen bin ich der
Meinung, dass man das Unwort „kollektiver Freizeit-
park“ assoziiert, wenn man den Bericht der Weise-Kom-
mission liest und sich die dort beschriebenen Zustände
im Verteidigungsministerium vor Augen führt. Natürlich
brauchen wir Veränderungen; das steht außer Frage. Ent-
scheidend ist aber die Herangehensweise.

Herr Minister, Sie haben in Dresden mit großem Pa-
thos Veränderungen eingefordert. Sie wollen „die selbst
auferlegten bürokratischen Fesseln“ sprengen. Sie wol-
len sich „auf die gemeinsame Führungsphilosophie be-
sinnen“. Sie sind nicht angetreten, „um auf halber Weg-
strecke stehen zu bleiben“. Sie fordern eine „Kultur der
Transparenz, des Vertrauens und der Offenheit“. Abge-
sehen von dem Pathos und der Ergriffenheit, die diese
Worte zum Ausdruck bringen, frage ich mich, was da-
nach kommt. Ich sehe erst einmal nicht so viel. Die Rei-
henfolge Ihrer Strukturveränderungen macht keinen
Sinn. Zuerst müsste über die Aufgaben geredet und eine
Aufgabenkritik vorgenommen werden. Dann müsste
über die Strukturen geredet werden. Daraus ergibt sich
im Übrigen von selbst die Gesamtgröße. Schließlich
kann man über die Standorte reden. Aber Sie machen
das anders. Sie reden zuerst über die Wehrpflicht und
nehmen einen ganz tiefen Einschnitt mit W 6 vor. Dann
soll nach Ihrer Vorstellung irgendwann einmal – kein
Mensch weiß, wann genau – die Wehrpflicht ausgesetzt
werden. Dann reden Sie über die Gesamtgröße und die
Standorte. Am Ende des gesamten Prozesses soll noch
ein Weißbuch kommen. Das alles macht überhaupt kei-
nen Sinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben die gesamte Reform auf den Kopf gestellt
und haben sich vor allem um eine Aufgabenkritik he-
rumgedrückt. Sie haben sehr viele große Überschriften
produziert. Manche waren sehr fragwürdig. Sie haben





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)

beispielsweise im Dezember letzten Jahres davon ge-
sprochen, Auslandseinsätze müssten eine Selbstver-
ständlichkeit für unsere Gesellschaft werden. Lassen Sie
sich von mir, von jemandem, der seine Kindheit in ei-
nem Kriegsgebiet verbracht hat, sagen: Militärische Ein-
sätze dürfen und sind zu keiner Zeit und in keinem Land
der Welt eine Selbstverständlichkeit. Das sollten sie nie-
mals sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Problem ist, dass Sie das Kleingedruckte außer
Acht lassen. Kollegin Hoff hat gerade davon gespro-
chen. Wir müssen doch jetzt alle über diesen Etat befin-
den. In diesem Etat finde ich die Reform nicht wieder.
Gerade auf den letzten Drücker wurde W 6 erwähnt. Ich
finde aber keinen Ansatz für eine Reform der Bundes-
wehr. Herr Minister, Sie haben in Dresden einige Verän-
derungen genannt, die zum 1. Januar in Kraft treten sol-
len. Alle anderen Bereiche, die zu etatisieren sind und
die man finanzieren muss, finde ich in diesem Haushalt
nicht. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie Sie das
finanzieren wollen. Ich weiß nicht, wie Sie das unter Be-
rücksichtigung der Grundsätze der Haushaltswahrheit
und Haushaltsklarheit in Zahlen gießen wollen. Als ich
im Ausschuss nachgefragt habe, war die Antwort sinn-
gemäß: Unmöglich ist es nicht, dies mit diesem Einzel-
plan hinzubekommen. – Eine solche Antwort trägt nicht
unbedingt zu einer Kultur des Vertrauens bei. Es wäre
transparenter, wenn Sie sagen würden, dass Sie eine
große Reform machen wollen. Das aber tun Sie nicht.
Sie fangen im Übrigen erst im Jahr 2012 an; denn die
Entscheidungen, die zentral für die Strukturreform der
Bundeswehr sind, werden frühestens zwei bis drei Mo-
nate gefällt, nachdem der Haushalt vom Hohen Haus be-
schlossen worden ist.

Sie legen eine Zahlenlotterie vor, die nicht nur ich,
sondern auch viele andere nicht verstehen. Sie bedenken
nicht, dass hinter all den Zahlen, die genannt werden,
Menschen und ihre Familien stehen. Erst haben Sie eine
Zahl von 163 500 Soldaten genannt, dann haben Sie zwi-
schenzeitlich auf einer Wahlkampfveranstaltung in
Rheinland-Pfalz die Zahl von 190 000 für sympathisch
erklärt, jetzt sind wir bei 185 000. Der einzige Grund,
warum die Menschen nicht erkennen, dass aus diesem
Wirrwarr am Ende möglicherweise nur ein Reförmchen
herauskommt – dabei könnte das wirklich eine große Re-
form werden –, ist, wenn Sie mich fragen, die Tatsache,
dass die Sozialdemokraten weiterhin so unglaublich
strukturkonservativ argumentieren. Sie wollen auch jede
noch so kleine Veränderung nicht mittragen. Das führt
dazu, dass Sie hier den großen Reformator spielen kön-
nen. Das hat aber mit einer Bundeswehrreform nicht viel
zu tun.

Ich frage mich, ob der Anspruch, den Sie formuliert
haben, nämlich dass jetzt eine tiefe Zäsur gemacht wer-
den muss, mit der Himmeroder Denkschrift, die Sie
selbst in Dresden zitiert haben, vereinbar ist. Sie haben
aus dem wichtigen Grundsatzdokument einen Satz zi-
tiert, nämlich die Frage: Wofür Streitkräfte? – In dem
Augenblick, in dem Sie die Strukturen der Bundeswehr
von den großen Veränderungen, die es in der NATO und
in der EU gibt, abkoppeln und die Bundeswehr komplett
neu aufstellen, stellt sich diese Frage am Ende nicht
mehr. Das Weißbuch, das Sie uns letztlich vorlegen
werden, ist ausschließlich eine Abbildung der Fakten,
die Sie vorher geschaffen haben, und hat deshalb – das
kann ich schon jetzt sagen – seinen Namen nicht mehr
verdient.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb vergeht mir der Spaß. Der Kollege Arnold
hat völlig zu Recht gesagt, dass der Spaß aufhört, wenn
ein Versprechen gebrochen wird. So wird zum Beispiel
das Weihnachtsgeld gestrichen, obwohl es versprochen
worden ist. Stattdessen wird das Geld für den A400M
verpulvert.


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Falsch!)


Das muss man leider so sagen. Das ist Ihr A400M; denn
Sie hätten im März dieses Jahres die Möglichkeit gehabt,
aus dem Projekt auszusteigen. Ich erkenne keinen Frei-
zeitpark, sondern ich erkenne viele bunte Luftballons.
Vor allen Dingen liegt hier ein Haushalt vor, der mit
Wahrheit und Klarheit nichts zu tun hat. Darüber täuscht
auch Ihre Rhetorik nicht hinweg. Deshalb können wir
gar nicht anders, als ihn abzulehnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Das ist aber wirklich traurig!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707413100

Robert Hochbaum hat jetzt das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Robert Hochbaum (CDU):
Rede ID: ID1707413200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Seit der ersten Lesung zum Haushalt 2011 im
September hat sich in der verteidigungspolitischen De-
batte bekanntlich einiges getan. Die Ergebnisse der
Strukturkommission liegen vor, die Aussetzung der
Wehrpflicht ist in greifbare Nähe gerückt, und die Zah-
len zum Umfang der Bundeswehr nehmen immer deutli-
chere Konturen an. An dieser Stelle möchte ich es nicht
versäumen, unserem Minister recht herzlich für seine
klare, zielorientierte wie auch zügige Vorgehensweise zu
danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt ist es wichtig, die Vorschläge der Kommission
klug zu bewerten, sie reibungslos umzusetzen und ge-
genüber allen Missmutigen und Nörglern den Beweis
anzutreten, dass die Reform der Bundeswehr nicht aus-
gesessen wird, sondern dass die begonnene Aufgabe er-
folgreich zu Ende gebracht wird.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Da warten wir mal ab!)


– Warten wir es ab, Sie werden es sehen. –

Das Ziel ist klar – der Minister hat es zur Komman-
deurtagung in Dresden auf den Punkt gebracht –:





Robert Hochbaum


(A) (C)



(D)(B)

Unsere Bundeswehr muss noch professioneller,
noch schlagkräftiger, noch moderner und attraktiver
werden …

Damit komme ich zu einem Punkt, der sich seit der
ersten Lesung leider nicht geändert hat: Wieder sind
deutsche Soldaten in Afghanistan schwer verwundet
worden. Ich meine, man kann gar nicht oft genug darauf
hinweisen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten tagtäg-
lich unter Einsatz ihres Lebens für unsere Sicherheit sor-
gen, für die Sicherheit aller Menschen in unserem Land.
Ich glaube, wir alle – Frau Höger, ich nehme Sie gerne
aus – sind ihnen dafür zu tiefstem Dank verpflichtet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade vor diesem Hintergrund ist es gut und richtig,
ihre Ausrüstung einer ständigen Prüfung zu unterziehen.
Sie müssen optimal geschützt sein, und wir müssen ih-
nen diejenige Ausrüstung und diejenigen Waffen zur
Verfügung stellen, die sie dringend benötigen.

Da wir uns in der Haushaltsdebatte befinden, möchte
ich auf das Verhältnis zwischen Sicherheitspolitik und
Kassenlage eingehen. Richtig ist – Herr Minister hat es
ausgeführt –: Wir machen keine Sicherheitspolitik nach
Kassenlage. Aber richtig ist auch: Wir werden die Kasse
dabei auf jeden Fall fest im Blick behalten. Denn gerade
wenn wir auch in anderen Ressorts Einsparungen vor-
nehmen müssen – der Sozialbereich wurde schon ange-
sprochen –, darf der Verteidigungsbereich nicht außen
vor bleiben. An der Einhaltung der gesetzlich veranker-
ten Schuldenbremse, der Verantwortung für unsere zu-
künftigen Generationen und der damit verbundenen
Haushaltsdisziplin müssen nämlich auch wir mitarbei-
ten.

Was meine ich aber genau mit Sparen? Es geht uns
nicht um Sparen um des Sparens willen, vor allem, wenn
es um unsere Soldaten im Einsatz geht, sondern um ei-
nen effizienten Einsatz der zur Verfügung stehenden
finanziellen Mittel. Die Schlüsselwörter dabei sind Effi-
zienz, Effektivität und Einsatzorientierung. Dass da noch
ein wenig Nachholbedarf besteht, das müssen wir jetzt
leider bei manchen großen Beschaffungsvorhaben
schmerzlich erkennen. Sie wurden schon vor vielen Jah-
ren mit Verträgen auf den Weg gebracht – ich will hier
nicht anmerken, von wem –


(Elke Hoff [FDP]: Warum denn nicht? Verraten Sie es!)


– ich bin ja fair –, die, vorsichtig ausgedrückt, schon eine
gewisse Verwunderung auslösen können. Diese Vorha-
ben binden nicht nur viel Geld, nein, dringend im Ein-
satz benötigt, stehen sie immer noch nicht zur Verfü-
gung, was noch viel schlimmer ist.

An uns ist es jetzt – ich sage es noch einmal –, mit
Fingerspitzengefühl die vor vielen Jahren getroffenen
Entscheidungen und geschlossenen Verträge, wenn
rechtlich überhaupt noch möglich, an unsere Kriterien
von Effizienz, Effektivität und Einsatzorientierung anzu-
passen. Was zukünftige Vertragswerke anbelangt, so ha-
ben wir mit diesen Verträgen Beispiele, wie man es eben
nicht machen sollte. Ich bin mir sicher, dass wir in Zu-
kunft mit diesem Verteidigungsminister, mit der Politik
einer nachhaltigen Preis-Leistungs-Maxime und einem
nachhaltigen und realistischen Projektmanagement der-
artige Miseren verhindern werden.

Abschließend ein weiterer Blick in die Zukunft. Ich
habe eben von Beschaffungsprozessen, Reformbemü-
hungen und Einsatzorientierung gesprochen. Dies alles
ist jedoch nur Schall und Rauch, wenn wir es parallel
dazu nicht schaffen, den Dienst in der Bundeswehr at-
traktiv zu gestalten; das wissen wir alle. Dies gilt im Be-
sonderen für einen zukünftigen freiwilligen Dienst. Um
es auf den Punkt zu bringen: Attraktivität ist der Schlüs-
sel zum Erfolg der Bundeswehr der Zukunft. Dabei muss
sie – das ist besonders wichtig – für alle Bereiche der
Gesellschaft interessant bleiben. Viele Vorschläge wur-
den bereits gemacht. Sie sind zu prüfen und gegebenen-
falls umzusetzen. Wir sollten in diesem Zusammenhang
die bereits seit längerer Zeit im Raum stehende eigene
Besoldungs- und Versorgungsordnung für Soldatinnen
und Soldaten erneut debattieren. Ich glaube, dass sie ge-
rade unter den Aspekten „besondere Situation in den
Einsätzen“ und „Attraktivität der Truppe“ eine entschei-
dende Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft
wäre.

Sehr geehrte Damen und Herren, „Verantwortung ver-
pflichtet!“, hat der Minister in Dresden gesagt. Scheuen
wir uns nicht davor, sondern haben wir Mut – nicht
Spaß, Herr Arnold – und Freude an der Gestaltung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707413300

Ernst-Reinhard Beck hat jetzt das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


Ernst-Reinhard Beck (CDU):
Rede ID: ID1707413400

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Lieber Herr Kollege Arnold, Sie haben der Bun-
deskanzlerin Zynismus vorgeworfen. Leider waren Sie
in Dresden nicht dabei. Ich glaube, dass dies das Letzte
ist, was man einer Kanzlerin vorwerfen kann, die zu ei-
ner Bundeswehrtagung geht und dort ein Signal setzt,
dass die Regierungschefin zu ihren Soldaten, zu ihrem
militärischen Führungspersonal steht. Es war im Grunde
genau das Gegenteil von dem, was Sie jetzt gesagt ha-
ben. Wenn Sie mit den Leuten – Sie waren leider nicht
da – gesprochen hätten, hätten Sie als Reaktion mitbe-
kommen, dass sie es genauso empfunden haben, wie ich
es gerade dargestellt habe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Ausführungen des Kollegen Nouripour sind in
dieselbe Richtung gegangen. Sie haben nur den Stil des
Ministers kritisiert. Etwas anderes war es ja nicht, als Sie
sagten, wir könnten eigentlich zufrieden sein. Dazu
würde ich sagen: Seien Sie zufrieden. Inhaltlich habe ich
hier sehr wenig Differenzen in Bezug auf das festge-
stellt, was in der Zukunft an neuen Konzepten für die
Bundeswehr da ist.





Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)



(A) (C)



(D)(B)

Herr Kollege Nouripour, Sie haben versucht, hier dar-
zustellen, dass der Minister keine Aufgabenkritik vor-
genommen hat. Das ist einfach nicht richtig. Was ist
denn im Ministerium passiert? Es gab ein Analysedefi-
zit. Jede der Teilstreitkräfte hat gesagt, wo die entspre-
chenden Mängel sind. Wir haben eine sicherheitspoliti-
sche Analyse des Generalinspekteurs. Und wir haben
eine Strukturkommission eingesetzt, die Vorschläge auf
den Tisch gelegt hat. Was wollen Sie eigentlich noch an
Vorarbeiten machen?

Ich sage Ihnen noch eines: Der Minister hat den gan-
zen Sommer über – in jedem Landesvorstand, in jeder
Zeitung bzw. in jedem Presseorgan – für seine Reform
argumentiert und gekämpft. Im Grunde ist das also wirk-
lich nachträgliche Miesmacherei, was Sie hier machen.
Das tut mir außerordentlich leid.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Meine Kolleginnen und Kollegen, der Einzelplan 14
ist aus gutem Grund aus der Spargeschichte herausgehal-
ten worden; denn es ist doch klar: Wir erleben in diesen
Tagen, dass die Bedrohung für unser Land keineswegs
abstrakt oder unwahrscheinlich, sondern sehr konkret und
spürbar ist. Ich darf darauf hinweisen, dass es die vorran-
gige Pflicht des Staates ist und bleibt, seine Bürgerinnen
und Bürger möglichst vor den anstehenden Gefahren zu
schützen. Die finanzielle Ausstattung von Sicherheits-
strukturen ist – darüber besteht ja auch Konsens – die
Voraussetzung für eine effiziente Gefahrenabwehr. Aus
diesem Grunde ist eine solide Finanzierung in diesem Be-
reich unabdingbar. Da sind wir ja beieinander. Ich meine
im Gegensatz zu den Rednern der Opposition, dass dieser
Haushalt – auch vor dem Hintergrund, dass natürlich das
Schlüsseljahr 2011 für die Zukunft der Reform wichtig
ist – dem weitgehend Rechnung trägt.

Es war, meine ich, im Hinblick auf die finanzielle
Seite – sie ist auf fünf bis sieben, vielleicht auch auf acht
Jahre angelegt – ein Fehler, zu sagen: Es wird auf das re-
duziert, was im nächsten Jahr ansteht. Das ist nicht se-
riös, vielmehr müssen wir den gesamten Reformzeit-
raum im Auge behalten.

Verteidigungsminister zu Guttenberg ist die Aufgabe
der Reform mutig und engagiert angegangen. Er hat – das
sage ich für unsere Fraktion und auch für die andere Ko-
alitionsfraktion – dabei unsere volle Unterstützung. Ich
würde es außerordentlich begrüßen, wenn bei dieser
schwierigen und wichtigen Aufgabe auch ein breiter
Konsens im Parlament vorhanden wäre. Bei elementaren
sicherheitspolitischen Fragen ist dies, glaube ich, kein
Schaden. Ich meine, wir müssen jetzt nach vorne schauen
und die Entscheidungen auch zügig umsetzen.

Herr Kollege Arnold, wenn Sie die Dresdener Rede
des Ministers zur Hand nehmen, können Sie nicht sagen,
es sei nichts gesagt worden. Er hat Rahmen und Eck-
punkte gesetzt, die jetzt für die weitere parlamentarische
Arbeit natürlich auch wichtige Zielpunkte sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bezüglich der Gesamtstärke der Bundeswehr habe
ich – wie auch Sie, Herr Kollege Arnold – immer für ei-
nen angemessenen militärischen Beitrag plädiert, um da-
mit unsere nationale Sicherheitsvorsorge und internatio-
nalen Verpflichtungen abdecken zu können. Der Minister
hat in Dresden einen Zielkorridor von 185 000 bis
190 000 Soldatinnen und Soldaten genannt. Dies ist ak-
zeptabel und angesichts der Demografie und der Finan-
zierbarkeit auch realistisch.

Herr Kollege Arnold, ich gebe Ihnen recht, es geht
nicht um erfundene Zahlen, sondern 180 000 bzw.
190 000 sind im Grunde eine sicherheitspolitisch gefor-
derte Größe, wenn man vom „Level of Ambition“
spricht.

Ihren Ausführungen zum Thema „Fähigkeiten Heer
und Marine“ können wir uns ausdrücklich anschließen.
Das ist überhaupt keine Frage. Auch die europäische Di-
mension sollten wir gerade zu einer Zeit, da auch andere
reformieren, nicht aus den Augen verlieren. Auch hier
sehe ich Gemeinsamkeiten zwischen uns.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Reform
wird kurzfristig keine Ersparnisse bringen – ich sage das
noch einmal in aller Klarheit –, sondern erst auf längere
Sicht im Zuge der Verwirklichung der Gesamtreform.
Um die Reform entsprechend abzusichern, müssen wir
im nächsten Haushalt deshalb die erforderlichen Finanz-
mittel einstellen. Ich sage aber noch einmal: Maßstab für
den Umfang der Bundeswehr muss immer die Bedro-
hungssituation unseres Landes sein. Dafür steht unsere
Politik. Es geht nicht um ein Wünsch-dir-was, sondern
um notwendige Fähigkeiten, die von uns als verlässli-
chem und leistungsfähigem Partner in der Allianz auch
in Zukunft erwartet werden.

Wir stehen nicht allein mit unseren Überlegungen zur
Reform der Sicherheitsstrukturen. Die NATO hat in Lis-
sabon ein neues Strategisches Konzept vorgelegt; darauf
wurde hingewiesen. Wir als Teil dieser Allianz sind da-
bei, uns ebenfalls sicherheitspolitisch zukunftsfest auf-
zustellen.

Die Reform der Bundeswehr wird sehr bald konkrete
Züge annehmen. Der Minister hat dazu in Dresden seine
Vorstellungen dargestellt. Die Vorschläge der Struktur-
kommission liegen auf dem Tisch, ebenso die neue
NATO-Strategie. Der Entschluss, die Wehrpflicht auszu-
setzen, ist gefallen. Die notwendigen Voraussetzungen
zum Handeln sind geschaffen. Zentrale Herausforderun-
gen für die Bundeswehr zeichnen sich bereits jetzt ab.

Mit dem Wegfall der Wehrpflicht muss die Bundes-
wehr mehr als bisher um junge Menschen werben und
als attraktiver Arbeitgeber im Kampf um die klügsten
Köpfe auftreten. Dabei tritt die Bundeswehr in Konkur-
renz zu Unternehmen auf dem Markt. Eine wichtige
Aufgabe ist – darauf wurde von allen Rednern hingewie-
sen –, dass die Maßnahmen zur Attraktivitätssteige-
rung zügig in Angriff genommen werden. Sie sind – da-
rüber sind wir uns auch im Klaren – nicht zum Nulltarif
zu haben.





Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)



(A) (C)



(D)(B)

Die Bundeswehr muss entschlussfreudige, flexible
und belastbare Mitarbeiter gewinnen. Junge Menschen
wollen gute Arbeitsbedingungen, fairen Lohn und die
Möglichkeit, Familie und Beruf unter einen Hut zu brin-
gen. Der demografische Wandel und der bereits erkenn-
bare Fachkräftemangel vergrößern die Herausforderun-
gen. Wir müssen die Bundeswehr so aufstellen, dass sie
dieser Anstrengung gewachsen ist – von den Kompeten-
zen her, aber auch finanziell.

Der Verankerung der Bundeswehr in der Gesell-
schaft muss auch künftig, meine sehr geehrten Damen
und Herren, unser Augenmerk gelten. Der Soldat wird
seltener im Straßenbild auftreten. Damit dies nicht zu
wachsender Gleichgültigkeit der Bevölkerung gegenüber
der Bundeswehr führt, ist ein Bündel von Maßnahmen
denkbar. Dazu müssen die Themen Sicherheit und Vertei-
digung offensiv kommuniziert und prominent in den Me-
dien positioniert werden. Die Menschen müssen wissen
und auch erklärt bekommen, was die Bundeswehr leistet.
Sie darf nicht nur in den Medien vorkommen, wenn Sol-
daten fallen.

Wir müssen aber auch ein Stationierungskonzept er-
arbeiten, das die Präsenz der Bundeswehr in der Fläche
sichert. Die Bevölkerung muss wissen, dass in ihrer
Nähe Soldaten stationiert sind. Die Gesellschaft soll teil-
haben am Alltagsleben der Soldaten. Die Bundeswehr
muss in der Mitte der Gesellschaft sichtbar bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nicht zuletzt, meine sehr geehrten Damen und Her-
ren, muss das Reservistenwesen neu organisiert werden.
Reservisten sind wichtige Multiplikatoren für die Bun-
deswehr und üben verantwortungsvolle Tätigkeiten in
den Streitkräften aus. Ihre zivilen Qualifikationen sind
noch besser nutzbar zu machen. Wenn das gelingt, kön-
nen die Reservisten Botschafter für die Bundeswehr sein
und zum positiven Bild der Streitkräfte beitragen.

Wir wollen, dass unsere Bundeswehr weiterhin zu
den besten Armeen dieser Welt zählt. Wichtigstes Gut
der Bundeswehr sind die Menschen. Die Einsatzrealität
bringt es mit sich, dass Soldaten fallen und verwundet
werden. Das ist schrecklich, kann aber trotz bester Aus-
rüstung nie völlig verhindert werden. Umso wichtiger ist
der Umgang mit diesen Situationen: Bestmögliche Ver-
sorgung und Absicherung, auch von Hinterbliebenen
und Angehörigen, verlangen Fingerspitzengefühl und
Großzügigkeit.

Viele Veteranen kommen gezeichnet aus dem Einsatz
zurück. Die sanitätsdienstliche Versorgung von körperli-
chen wie seelischen Verwundungen steht ganz oben auf
unserer Agenda; dies ist, glaube ich, unsere gemeinsame
Auffassung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707413500

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Ernst-Reinhard Beck (CDU):
Rede ID: ID1707413600

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.

Meine Gedanken gehen in der nahenden Weihnachts-
zeit zu unseren Soldatinnen und Soldaten im Einsatz.
Auch dieses Jahr werden Tausende von ihnen das Weih-
nachtsfest und den Jahreswechsel nicht im Kreise ihrer
Familie und Freunde feiern können. Sie tun dies in dem
Bewusstsein, unser aller Sicherheit zu dienen. Dabei ver-
trauen sie auf die politische Führung und auf uns, den
Deutschen Bundestag.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707413700

Herr Kollege.


Ernst-Reinhard Beck (CDU):
Rede ID: ID1707413800

Wir haben daher eine besondere Verpflichtung gegen-

über den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und
ihren Angehörigen. Lassen Sie uns dieser Verpflichtung
gerecht werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707413900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 14 des Bundesministeriums der Verteidigung in der
Ausschussfassung. Wer stimmt für diesen Einzelplan? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Einzel-
plan 14 bei Zustimmung von CDU/CSU und FDP ange-
nommen;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen
gestimmt.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt VI a sowie die Zu-
satzpunkte 1 a und b auf:

VI a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen des Europarats vom 16. Mai
2005 zur Verhütung des Terrorismus

– Drucksache 17/3801 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

ZP 1a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes
Krumwiede, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kulturelle Bildung von Bundesseite nachhaltig
fördern – Auflegung eines Förderprogramms
„Jugendkultur Jetzt“

– Drucksache 17/3066 –





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Hans-Josef Fell,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Kein Atommüllexport nach Russland

– Drucksache 17/3854 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte VII a bis j auf.
Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt VII a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung des Wirtschaftsplans des
ERP-Sondervermögens für das Jahr 2011

(ERP-Wirtschaftsplangesetz 2011)


– Drucksache 17/3119 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 17/3835 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dieter Jasper

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/3835, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 17/3119 anzunehmen. Diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen das bitte mit
Handzeichen signalisieren. – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Bera-
tung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte die Zustimmenden,
sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung wie-
derum einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt VII b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom
Koenigs, Marieluise Beck (Bremen), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Einigkeit über die Definition des Tatbestandes
des Aggressionsverbrechens im IStGH-Statut
erzielen

– Drucksachen 17/1767, 17/3889 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Frieser
Christoph Strässer
Marina Schuster
Annette Groth
Ingrid Hönlinger

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/3889, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1767 abzu-
lehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und
SPD angenommen; Bündnis 90/Die Grünen und Die
Linke haben dagegen gestimmt, Enthaltungen gab es
keine.

Tagesordnungspunkt VII c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Koczy,
Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Pakistan nach der Flut langfristig unterstüt-
zen und Schulden umwandeln

– Drucksachen 17/3206, 17/3779 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Holger Haibach
Burkhard Lischka
Helga Daub
Heike Hänsel
Ute Koczy

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/3779, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3206 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU
und FDP, dagegen gestimmt haben die Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen; die SPD-Fraktion hat sich enthalten.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses.

Tagesordnungspunkt VII d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 164 zu Petitionen

– Drucksache 17/3664 –





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt VII e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 165 zu Petitionen

– Drucksache 17/3665 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung der
Koalitionsfraktionen und der SPD angenommen. Dage-
gen hat die Linke gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen ha-
ben sich enthalten.

Tagesordnungspunkt VII f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 166 zu Petitionen

– Drucksache 17/3666 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt VII g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 167 zu Petitionen

– Drucksache 17/3667 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen. Die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat dagegen gestimmt,
alle anderen dafür.

Tagesordnungspunkt VII h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 168 zu Petitionen

– Drucksache 17/3668 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen. Die
Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt, alle anderen
dafür.

Tagesordnungspunkt VII i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 169 zu Petitionen

– Drucksache 17/3669 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung
durch CDU/CSU, FDP und SPD angenommen. Linke
und Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt.
Tagesordnungspunkt VII j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 170 zu Petitionen

– Drucksache 17/3670 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung
durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Dagegen
haben die Oppositionsfraktionen gestimmt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.11 auf:

Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung

– Drucksachen 17/3519, 17/3523 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Volkmar Klein
Lothar Binding (Heidelberg)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Dietmar Bartsch
Priska Hinz (Herborn)


Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke vor. Außerdem liegen zwei Entschließungsan-
träge der Fraktion Die Linke und ein Entschließungsan-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die
wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen
werden.

Verabredet ist, zu diesem Einzelplan eineinhalb Stun-
den zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Wi-
derspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und rufe Dr. Bärbel Kofler
für die SPD-Fraktion auf.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1707414000

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Wir debattieren heute über den Einzelplan 23,
über den Einzelplan des Bundesministeriums für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich
möchte betonen: Das ist zwar – leider – nicht einer der
größten Einzelpläne unseres Haushalts, aber es ist ein
Einzelplan mit ganz herausragender Bedeutung, weil er
das Ziel der internationalen Armutsbekämpfung in den
Mittelpunkt stellt und ein Gradmesser dafür ist, wie sich
die internationalen Vereinbarungen, die wir als Bundes-
republik Deutschland in den vergangenen Jahren getrof-
fen haben, in unserer Haushaltspolitik widerspiegeln,
wie wir unsere Versprechen umsetzen.

Wenn man sich den Einzelplan 23 ansieht, kann man
angesichts der Einzelpläne, über die heute Morgen dis-
kutiert worden ist, fast etwas zynisch feststellen: Die
Mittel sinken nicht. Das ist aber auch das einzig Gute,
was man dazu sagen kann. Wenn man sich den Regie-
rungsentwurf anschaut, stellt man fest, dass 3 Millionen
Euro mehr geplant waren. In den letzten Tagen haben
wir erfahren – das ist in Ordnung –, dass infolge der
Goldverkäufe des IWF bzw. des deutschen Anteils an





Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)

diesen Erlösen mehr Geld – um genau zu sein: 146 Mil-
lionen Euro – in diesen Einzelplan fließt. Ich habe über-
haupt nichts dagegen. Mein Problem ist – schon in der
letzten Sitzungswoche habe ich eine entsprechende
Frage an die Regierung gestellt –: Was ist die strategi-
sche Ausrichtung? Was ist mit der Einhaltung der inter-
nationale Zusagen, dass es bei den Mitteln für die Ar-
mutsbekämpfung einen Aufwuchs gibt? Wie wird die
Einhaltung dieser Zusage in diesem Haushaltsentwurf
und in der mittelfristigen Finanzplanung dargestellt?


(Beifall bei der SPD)


Leider gibt es dazu vonseiten des zuständigen Minis-
teriums, des BMZ, keine Antwort bzw. nur eine ganz
schwammige; darauf werde ich gleich noch eingehen.
Es gibt aber ein Schreiben des Bundesfinanzministe-
riums, in dem ganz deutlich gemacht wird, dass die
Haushaltsmittel, die im kommenden Jahr zur Verfügung
stehen – gerade habe ich mich noch darüber gefreut,
dass sie nicht sinken –, in den Jahren 2012 bis 2014
kompensiert werden müssen. Das heißt auf gut Deutsch:
In den nächsten Jahren wird der Etat sinken und nicht
entsprechend den Zusagen, die wir auf internationaler
Ebene gemacht haben, steigen. Es bedarf einer Strategie
des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, wie wir trotzdem die zugesagten Mit-
tel bereitstellen und unsere Versprechen einhalten kön-
nen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Opposition haben Vorschläge gemacht. Ich
nenne als Beispiel die Finanztransaktionsteuer. Wenn Sie
sich diesem Instrument verschließen und ihm nicht zu-
stimmen können, dann erwarte ich von der Regierung
wenigstens klare Aussagen darüber, was Sie stattdessen
wollen. Wie wollen Sie den Aufwuchs der notwendigen
Mittel für die Armutsbekämpfung erreichen? Herr
Leibrecht, weil ich ahne – es ist ja nicht die erste Debatte
über dieses Thema –, dass Sie sagen werden: „Die Wirk-
samkeit ist am größten, wenn es die Wirtschaft macht“,
will ich ein paar Punkte zum Thema Wirksamkeit nen-
nen.

Dieses Thema haben Sie, Herr Minister Niebel, und
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nicht
erfunden. Über das Thema Wirksamkeit in der Entwick-
lungszusammenarbeit wird seit Jahren, spätestens seit
Beginn dieses Jahrtausends auf internationaler Ebene de-
battiert. Es geht um internationale Abstimmung und Ge-
berharmonisierung. Es geht auch darum – das ist das,
was man immer so schön „Ownership“ nennt –, Ent-
wicklungsstrategien gemeinsam mit den Ländern aufzu-
stellen. Das führt dazu, dass sich die Länder die Projekte
zu eigen machen können. Das hat sehr viel mit Wirksam-
keit zu tun; denn nur wenn sich die Länder die Projekte
zu eigen machen und wenn wir als Geber gut abge-
stimmt auftreten, kann eine wirksame und nachhaltige
Entwicklungspolitik vorangebracht werden.


(Beifall bei der SPD)


Ich habe meine Zweifel, ob Sie in der Debatte das-
selbe unter Wirksamkeit verstehen wie alle anderen.
Wirksamkeit würde bedeuten, dass man Mittel für die
Strukturpolitik einsetzen müsste, um also in den Län-
dern Strukturen zu schaffen, die für die Erhöhung der
Steuereinnahmen und für den Aufbau der Verwaltung
sorgen und die die Länder befähigen, nachhaltig in Ge-
sundheit und Bildung zu investieren. Dazu gehört auch
der Aufbau von selbsttragenden Mechanismen. Wenn
Sie das alles wollen, dann müssen Sie zunächst die not-
wendigen Mittel zur Verfügung stellen.

Herr Minister, Sie haben im Zusammenhang mit der
Personaldebatte das Beispiel eines Niedrigenergiehauses
verwendet, in das man zuerst investieren müsse, um bes-
sere Wirkungsgrade zu erreichen. Warum versuchen Sie
nicht, das auf die Entwicklungspolitik anzuwenden? Wir
müssen jetzt investieren, um selbsttragende Strukturen
in den Ländern aufbauen zu können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Das ist etwas anderes, als PPP-Projekte – gegen die habe
ich gar nicht so viel, wie Sie vielleicht vermuten – zu fi-
nanzieren oder Direktinvestitionen der deutschen Wirt-
schaft zu fördern.

Wenn man effiziente und wirksame Projekte voran-
bringen möchte, dann verstehe ich nicht, warum Sie ein
nachweislich gutes und wirtschaftliches Instrument, das
den Menschen nützt, das hilft, ihre Sorgen und Probleme
zu lindern, und das auch volkswirtschaftlich sinnvoll ist
– nämlich den Globalen Fonds zur Bekämpfung von
HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria –, so im Regen ste-
hen lassen, wie Sie es mit diesem Haushaltsentwurf tun.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE] – Harald Leibrecht [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)


– Selbstverständlich stimmt das. Die Fachpolitiker die-
ser Regierungskoalition müssten sich einmal mit den
Haushaltspolitikern dieser Koalition ins Benehmen set-
zen. Die Entwicklungspolitiker aller Fraktionen hatten
den richtigen Ansatz gewählt, nämlich Verpflichtungser-
mächtigungen für den Globalen Fonds einzustellen, da-
mit Planungssicherheit über das Jahr 2011 hinaus be-
steht. Das ist die Grundvoraussetzung. Wenn genau das
von den Haushaltspolitikern der Koalition gestrichen
wird, dann untergraben Sie die Planungsfähigkeit eines
wirksamen Instrumentes, das dafür sorgt, dass weltweit
auftretende Seuchen wie Aids, Tuberkulose und Malaria
nachhaltig bekämpft werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn Sie mir nicht glauben, dass es sich um ein wirk-
sames Instrument handelt, möchte ich einmal die Kanz-
lerin zitieren, die Ende September Folgendes gesagt hat:

Die Lösung globaler Aufgaben erfordert globale
Anstrengungen. Ein Beispiel ist der Globale Fonds
zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Ma-
laria, ein multilaterales Instrument, das sich be-
währt hat. Die Hilfe des Fonds kommt direkt bei
den Menschen an. Deutschland ist drittgrößter Ge-
ber, und ich werde mich dafür einsetzen, dass





Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)

Deutschland den Fonds und die Bemühungen um
eine Verbesserung der Gesundheitssituation auch
weiterhin auf hohem Niveau unterstützt.

Richtig. Das sind schöne Worte, aber allein die Taten
fehlen.

Wie heißt es so schön in der Bibel? An ihren Taten
sollt ihr sie erkennen. Ich denke, dieses Zitat kann man
bei jeder Haushaltsdebatte und auch in dieser in den Mit-
telpunkt stellen.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wenn schon, dann „Nicht an ihren Worten, sondern an den Taten könnt ihr sie erkennen“! – Holger Haibach [CDU/CSU]: Genau! Wenn Sie schon die Bibel zitieren, dann richtig! – Gegenruf des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]: Wenn euch da drüben sonst nichts einfällt!)


Wenn wir schon bei dem Punkt sind und uns diesen
Haushalt genauer anschauen, dann fällt ja eines auch
noch auf – aber vielleicht haben Sie da auch einen flapsi-
gen, schnellen Spruch parat, wie man dieses wirklich
ernsthafte Problem aus der Welt schafft –: Sie fahren in
der Welt spazieren und sagen international Gelder zu.
Sie werden jetzt sicherlich schon sagen: Jetzt kommt die
Kofler wieder mit Kopenhagen. – Ja, ich komme wieder
mit Kopenhagen. Das hat nämlich etwas mit Wirksam-
keit und Transparenz zu tun und auch mit: „An ihren Ta-
ten sollt ihr sie erkennen“. Damit habe ich das Zitat noch
einmal richtig gebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Was machen Sie in dem Bereich? – Sie sagen in Ko-
penhagen Mittel zu, gleichzeitig findet man im
Einzelplan 23 einen schönen Titel, der sich mit dem
Waldschutz beschäftigt.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707414100

Frau Kollegin, kommen Sie zum Ende?


Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1707414200

Ja, ich komme zum Schluss. – In diesem Titel sind für

diesen Haushalt und bis zum Haushalt 2012 330 Millio-
nen Euro eingeplant. Leider werden diese 330 Millionen
Euro mit den Zusagen von Kopenhagen, die ja für dieses
Jahr 420 Millionen Euro ausgemacht hätten, verrechnet.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707414300

Frau Kollegin.


Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1707414400

Das ist intransparent und führt dazu – ich bin schon

am Ende –, dass wir Glaubwürdigkeit verlieren und dass
wir ein denkbar schlechtes Beispiel für andere Länder
abgeben, von denen wir immer Transparenz einfordern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707414500

Der Kollege Harald Leibrecht hat jetzt für die FDP-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Harald Leibrecht (FDP):
Rede ID: ID1707414600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich freue mich natürlich darüber, dass der Etat
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung trotz angespannter Haushalts-
lage im nächsten Jahr noch einmal auf eine Gesamt-
summe von über 6,2 Milliarden Euro ansteigen wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das sind im Vergleich zum letzten vollen Kalenderjahr
der sozialdemokratischen Leitung des Ministeriums im-
merhin 370 Millionen Euro mehr – das muss man hier
mal betonen –,


(Zurufe von der FDP: Hört! Hört!)


und das ist vor dem Hintergrund der Schuldenbremse
und der Haushaltskonsolidierung ein beachtlicher Er-
folg.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ihr wolltet das Ministerium doch abschaffen!)


Was den Global Fund anbetrifft: Er ist ja für das kom-
mende Jahr abgesichert. In der Vergangenheit, auch un-
ter anderen Regierungen, wurde er nie über Verpflich-
tungsermächtigungen abgesichert. Das wissen Sie selber
ganz genau.


(Zuruf von der FDP: So ist es!)


Deshalb finde ich es nicht gut und nicht ehrlich, das hier
polemisch so aufzublasen.

Auch wenn es bis zur Erreichung des ODA-Ziels von
0,7 Prozent sicherlich noch ein gutes Stück Weges ist, so
sind wir diesem Ziel heute näher als je zuvor.

Deutschland ist eines der ganz großen Geberländer in
der Welt, und mit deutschen Steuergeldern wird viel Gu-
tes in den ärmsten Ländern getan. Ich denke, hierauf
kann man auch etwas stolz sein.

ODA ist ohne Frage wichtig, aber wir dürfen die De-
batte nicht darauf beschränken. Wichtig ist – Frau
Kofler, Sie haben da recht –, auch auf die Wirksamkeit
der Maßnahmen zu achten. Nur dann, wenn das Geld
bzw. die Maßnahmen bei den Menschen, die sie benöti-
gen, auch ankommen, nur wenn sie ihre Lebenssituation
wirklich verbessern und ihnen eine Perspektive auf ein
besseres Leben geben, ist das Geld richtig und wirksam
eingesetzt.

Nur wenn sich die Regierungen der Entwicklungslän-
der zum Rechtsstaat und zu den Menschenrechten be-
kennen, wenn sie Meinungsfreiheit zulassen und Kor-





Harald Leibrecht


(A) (C)



(D)(B)

ruption bekämpfen, sind sie für uns die richtigen Partner
für eine langfristige Zusammenarbeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe es sehr begrüßt, dass Minister Niebel der Re-
gierung von Uganda mit deutlichen Worten klargemacht
hat, dass Entwicklungszusammenarbeit mit uns nicht
möglich ist, wenn dort ein Gesetz verabschiedet wird,
das zum Beispiel Homosexualität unter Todesstrafe
stellt, oder dass er der kongolesischen Regierung klarge-
macht hat – da ging es um die gesperrten GTZ-Konten –,
dass sie endlich die Korruption in ihrem Land bekämp-
fen soll. Wirksamkeit betrifft alle Bereiche der Entwick-
lungszusammenarbeit.

So erhöhen wir durch die Vorfeldreform wesentlich
die Effektivität und die Qualität der deutschen Entwick-
lungszusammenarbeit. Gleichzeitig setzen wir mit dieser
Reform eine seit Jahren von der OECD geforderte Maß-
nahme um. Im DAC Peer Review wurde diese Maß-
nahme ja auch lobend erwähnt. Allen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der jetzt neu entstandenen GIZ wün-
sche ich von dieser Stelle aus sehr viel Erfolg.

Ein weiterer Schwerpunkt der deutschen Entwick-
lungspolitik ist die verstärkte Zusammenarbeit mit der
Privatwirtschaft. Nicht ohne Grund heißt das BMZ
„Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung“. Das Engagement der Privatwirtschaft ist
eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Ent-
wicklung eines Landes. Eine prosperierende Wirtschaft
ist wichtig für ein Entwicklungsland, um sich von
Abhängigkeit zu befreien und aus eigener Kraft in eine
bessere Zukunft zu gehen. Grenzübergreifende Investi-
tionen, die sowohl Arbeitsplätze als auch Ausbildungs-
plätze schaffen, sorgen mit dafür, dass eine Wertschöp-
fung in den Entwicklungsländern stattfindet.

Ich bewundere immer wieder die große Spendenbe-
reitschaft der Menschen hier im Land. Nach dem verhee-
renden Erdbeben in Haiti spendeten die Deutschen über
200 Millionen Euro. Das war das höchste Spendenvolu-
men in ganz Europa. Dies zeigt, dass den Menschen in
Deutschland das Leid und das Elend in der Welt nicht
egal sind. Darum ist es wichtig, dass die deutsche Ent-
wicklungszusammenarbeit sichtbarer wird. Hier tut sich
ja jetzt, Gott sei Dank, im BMZ einiges.

Ich treffe – das tun auch Sie – immer wieder Schul-
klassen, Vereine, Vertreter von Kommunen und viele
Einzelpersonen, die sehr viel Zeit, Engagement und Geld
in Entwicklungsprojekte investieren. Ich freue mich,
dass das BMZ mit diesem Haushalt im Bereich des bür-
gerlichen Engagements in der Entwicklungspolitik mit
Informations- und Bildungsarbeit einen neuen Akzent
setzt. Leider zeigt die SPD mit ihrem eingebrachten Kür-
zungsantrag, dass ihr hieran nichts liegt.

Wir alle, die wir in der Entwicklungspolitik tätig sind,
werden immer wieder von Menschen hier im Land ge-
fragt, warum wir so viel Geld in den Entwicklungslän-
dern ausgeben, wo wir doch genug Probleme im eigenen
Land haben. Wenn wir diesen Menschen erklären, dass
sich Deutschland als bedeutende Industrie- und Wirt-
schaftsnation durchaus auch für die Ärmsten der Welt
verantwortlich fühlt und wir darum einen Beitrag zur
Verbesserung ihrer Situation leisten müssen, verstehen
sie es. Es geht also um Aufklärung, es geht aber auch um
Transparenz und darum, den Menschen im Land zu er-
klären, was wir in der Entwicklungspolitik mit ihren
Steuergeldern leisten. Auf internationaler Ebene haben
wir gesehen, dass zum Beispiel mit den Jahrtausendent-
wicklungszielen, mit den MDGs, etwas geschaffen
wurde, das die Entwicklungszusammenarbeit für die
Menschen in den Geberländern greifbarer macht und das
Bewusstsein für entwicklungspolitische Herausforderun-
gen stärkt.

Nochmals: Ich freue mich, dass es im kommenden
Jahr mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit
gibt und dass dieses Geld in Zukunft wirksamer einge-
setzt wird.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707414700

Das Wort hat Heike Hänsel für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707414800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Heute wurde mehrmals auf die Sicherheitssituation, auf
die Terrorwarnungen hingewiesen. Ich denke, das geht
auch uns Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungs-
politiker etwas an. Nach den Anschlägen des 11. Sep-
tember 2001 gab es nicht nur diese Hau-drauf-Parolen,
sondern auch viel Nachdenkliches: In welcher Welt le-
ben wir? Wie groß ist die Kluft zwischen Arm und
Reich? Kann es überhaupt so weitergehen?

Wenn wir uns anschauen, was in den Jahren seit 2001
passiert ist, dann müssen wir feststellen, dass wir jetzt den
Höchststand an hungernden Menschen weltweit haben.
Das ist eine tagtägliche Tragödie für über 1 Milliarde
Menschen. Seit neun Jahren führen die NATO-Staaten in
Afghanistan Krieg unter dem Stichwort „Kampf gegen
den Terror“, viele Tausende Zivilisten werden getötet. Es
gibt gezielte Tötungen. Die CIA hat Geheimgefängnisse
in Europa. Viele Entführungen von „Terrorverdächtigen“
wurden durchgeführt. Guantánamo und Abu Ghureib –
auch das sind Orte des Terrors. Das zeigt, dass die NATO-
Staaten in den letzten Jahren sehr viel Armut, Elend und
Hass produziert haben,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


vor allem Hass, den Nährboden, auf dem der Terror
blüht. Ich möchte für unsere Fraktion festhalten: Auch
Krieg ist Terror, und wir müssen dieses Mittel der Politik
bekämpfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dazu gehören eine zivile Außenpolitik und eine zivile
Entwicklungspolitik. Herr Niebel, dazu tragen Sie über-





Heike Hänsel


(A) (C)



(D)(B)

haupt nichts bei. Sie stärken nach wie vor das Konzept
der zivil-militärischen Zusammenarbeit,


(Holger Haibach [CDU/CSU]: Ja! Zu Recht!)


trotz des Protests zahlreicher Hilfsorganisationen. Die
CDU/CSU-Fraktion will dieses Instrument, wie ich gele-
sen habe, ebenfalls ausbauen. Sie führen zu diesem
Thema sogar eine Konferenz durch.


(Holger Haibach [CDU/CSU]: Oh, wie schrecklich! Teufelszeug!)


Wie zivile Aufbauhilfe, Entwicklungsprojekte und
Militär miteinander verknüpft sind, haben wir während
einer Delegationsreise in Afghanistan erfahren müssen.
Dort konnten wir beobachten, wie schlecht diese Zusam-
menarbeit funktioniert und wie gefährlich sie ist. Die
Schule, die wir dort besuchen wollten, mussten wir uns
nämlich in einem ISAF-Konvoi, schwer bewacht von
ISAF-Soldaten, anschauen. Ich kann nur sagen: Es ist
absurd, in welch martialischem Aufmarsch wir zu dieser
Schule kamen. Die Aufbauhelfer haben uns danach ge-
sagt, dass solche militarisierten Besuche ihre Projekte
gefährden, weil sie dadurch in der Region zu Anschlags-
zielen werden. Genau deswegen kritisieren wir die zivil-
militärische Zusammenarbeit und lehnen sie grundsätz-
lich ab.


(Beifall bei der LINKEN – Zustimmung des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])


Herr Niebel, ich halte es für eine fatale Entscheidung,
dass Sie zivil-militärische Projekte trotz der Informatio-
nen, die Ihnen vorliegen, unterstützen wollen. Ein kon-
kretes Projekt ist „La Macarena“ in Kolumbien. Es ist
bekannt, welche negativen Wirkungen dieses Projekt, in
das die Armee eingebunden ist, hat. Es wird von vielen
Hilfsorganisationen und von der Zivilbevölkerung vor
Ort kritisiert. Die Menschen haben vor der kolumbiani-
schen Armee, die für sehr viele Menschenrechtsverlet-
zungen verantwortlich ist, Angst. Dennoch haben Sie zu
diesem Projekt Ja gesagt. Das halten wir für eine fatale
Entscheidung. Deshalb haben wir den Antrag einge-
bracht, im nächsten Haushalt kein Geld für das Projekt
„La Macarena“ in Kolumbien zur Verfügung zu stellen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wird von
Ihnen weiterhin in vielerlei Hinsicht instrumentalisiert.
Militäreinsätze sollen zivil flankiert werden; das haben
Sie selbst gesagt. Laut der neuen Rohstoffstrategie der
Bundesregierung soll durch die Entwicklungszusam-
menarbeit in Entwicklungsländern aber auch ein investi-
tionsfreundliches Klima geschaffen werden. Was „inves-
titionsfreundliches Klima“ konkret heißt, konnten wir
vor kurzem in Bolivien erleben: Wer nicht Ihren Vorstel-
lungen von Marktwirtschaft, Privateigentum und Inves-
titionsschutz entspricht, wer also, wie die bolivianische
Regierung, einen eigenständigen Weg der Entwicklung
gehen will, der wird abgestraft.

(Holger Haibach [CDU/CSU]: Wir haben in Deutschland nun einmal eine soziale Marktwirtschaft, ob Sie das wollen oder nicht!)


Die Entwicklungszusammenarbeit wird gekürzt. Das ist
für mich keine Entwicklungszusammenarbeit auf Au-
genhöhe, Herr Niebel. Das ist für mich neokoloniales
Gehabe.


(Beifall bei der LINKEN)


Statt sich immer nur um das Investitionsklima für
deutsche Unternehmen zu sorgen, sollten Sie sich lieber
mehr Sorgen um das Klima generell machen und gute
Klimaschutzprojekte konkret unterstützen.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Am besten verbessern wir erst einmal das Klima in der Linksfraktion!)


Sie reagieren viel zu wenig auf gute Ideen, die vorgetra-
gen werden. Wir diskutieren schon seit langem ganz
konkret über ein sehr gutes Projekt in Ecuador, nämlich
über die ITT-Initiative; sie ist Ihnen ja wohl bekannt. Es
geht darum, dass die ecuadorianische Regierung das
Erdöl im Boden lassen möchte und dafür Kompensa-
tionszahlungen braucht.

Was machen Sie? Sie haben diese Initiative ständig
kritisiert und tun das nach wie vor. Sie finden immer
wieder neue Argumente, weswegen Sie dieses Projekt
ablehnen. Das hat sogar dazu geführt, dass der ecuado-
rianische Präsident Correa einen bereits geplanten Be-
such abgesagt hat.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Er hat wohl befürchtet, Sie zu treffen!)


Da kann ich nur sagen: Was für ein Affront, Herr Niebel!
In den Entwicklungsländern gibt es gute Ideen. Ich kann
nur an Sie appellieren: Bitte unterstützen Sie diese Initia-
tive! Das ist ein zukunftsweisendes und wichtiges Pro-
jekt, auch für den Klimaschutz.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Abschließend möchte ich sagen: Wir sind der Auffas-
sung, dass Sie auf große Katastrophen wie die in Haiti
und Pakistan völlig unzureichend reagieren. Sie leisten
lediglich Einmalzahlungen. Wir hingegen fordern Son-
dertitel über mehrere Jahre hinweg, um diesen Katastro-
phen nachhaltig zu begegnen. Diese Initiativen sind
wichtig. Wir dürfen nicht nach dem Motto verfahren: In
den Medien wird über diese Katastrophen nicht mehr be-
richtet, also sind diese Probleme für uns nicht mehr vor-
handen. – Wir müssen anders reagieren. Deswegen ha-
ben wir Sondertitel gefordert.

Ich kann nur sagen: Mit diesem Haushalt haben Sie
sich faktisch – darauf ist schon eingegangen worden –
von dem 0,7-Prozent-Ziel für 2015 verabschiedet. Ihre
Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit freut si-
cherlich den BDI, den Bundesverband der Deutschen In-
dustrie, aber nicht die Menschen in den Ländern des Sü-
dens.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707414900

Das Wort hat Volkmar Klein für die CDU/CSU-Frak-

tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volkmar Klein (CDU):
Rede ID: ID1707415000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich habe, ehrlich gesagt, schon geahnt, was die
Opposition alles sagen wird. Das muss sie ja, und das
verstehe ich; denn dafür gibt es schließlich eine Opposi-
tion.

An sich kann niemand dagegen sein, einfach mehr
Geld für Dinge zu verlangen, die uns gemeinsam wichtig
sind.


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Das hat Deutschland doch versprochen! Das ist das Problem!)


Das kann niemand schlecht finden. Insofern ist das na-
türlich ein billiges Erreichen von schnellem Applaus.
Aber leider ist es so, dass wir das Geld, das wir vielleicht
gerne für diese guten Dinge ausgeben würden, gar nicht
haben.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!)


48,4 Milliarden Euro Defizit stehen noch immer in unse-
rem Haushaltsplan.

Ich erinnere mich an heute Vormittag. Da hat der
SPD-Fraktionsvorsitzende Steinmeier dem Finanzminis-
ter vorgeworfen, er würde inzwischen sogar Vorräte an-
legen.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Von einer Kriegskasse hat er geredet!)


Diese sehe ich nicht, weil ich alle Ansätze für sehr rea-
listisch halte. Aber darauf will ich jetzt gar nicht hinaus.
Steinmeier hat dann gesagt: Wenn ein Spielraum vorhan-
den ist, dann ist die Neuverschuldung zu reduzieren. –
Steinmeier hat nicht gesagt: Wenn ein Spielraum vor-
handen ist, dann sind die Ausgaben im Einzelplan 23 zu
erhöhen. – Insofern würde ich Frau Dr. Kofler bitten, die
Dinge vielleicht einmal in der Fraktion anzusprechen;
denn offenbar gibt es dort ein Koordinierungsproblem,


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das soll nicht Ihre Sorge sein!)


weil jetzt vorgeschlagen wird, man müsse das Geld zu-
sätzlich ausgeben. Der Fraktionsvorsitzende hingegen
– den habe ich bisher als relevant für die SPD angesehen –
hat vorgeschlagen: Wenn Spielräume vorhanden sind,
dann – das ist vernünftig – ist die Nettoneuverschuldung
zu reduzieren. – Jedenfalls geht es schon gar nicht, mor-
gens zu verlangen, die Schulden müssten weiter herun-
tergefahren werden, und abends zu verlangen, es solle
mehr Geld ausgegeben werden. Das jeweils zu sagen,
nur um von jeweils anderen Beifall zu erheischen, ist
nicht in Ordnung. Das lassen wir Ihnen natürlich nicht
durchgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das ist albern, und das wissen Sie!)


Auch ich sage selbstkritisch: Mehr Geld für Entwick-
lungshilfe, für gute Projekte in der Entwicklungshilfe
wäre sicherlich noch besser. Aber ich bitte die Kritiker,
ihre Kritik ein bisschen zu dosieren und auch ihr eigenes
Handeln an diesen Maßstäben zu messen.

Ich bin erst seit einem Jahr hier im Bundestag, aber
ich habe mir die alten Zahlen einmal angeschaut. Dass es
überhaupt deutliche Aufwüchse in diesem Einzelplan
gegeben hat, ist nicht schon mit der früheren Ministerin
Wieczorek-Zeul, sondern erst mit Angela Merkel als
Bundeskanzlerin eingetreten, weil sich offensichtlich die
Maßstäbe verschoben haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Da war die Ministerin doch auch noch Ministerin! Ist Ihnen entgangen, dass Frau Wieczorek-Zeul bis 2009 Ministerin war? Haben Sie da im Parlament geschlafen? Das ist ja peinlich!)


Schauen wir uns einmal an, welche Zahl die frühere
Ministerin Wieczorek-Zeul in der damaligen Finanzpla-
nung im Einzelplan 23 für das Jahr 2011 vorgesehen
hatte, schauen wir uns also ihre alten Pläne an. Darin
steht – das kann man noch heute nachlesen; das ist das
Schöne bei Papier –, dass sie geplant hatte,
5,84 Milliarden Euro für Entwicklungshilfe auszuge-
ben. Wir wollen heute 6,22 Milliarden Euro beschließen.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Das ist deutlich mehr. Dafür könnte es ein bisschen Lob
geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Angesichts der Restriktionen ist das ein ziemlich großer
Erfolg für den Bereich, der uns zu Recht wichtig ist.

Wir haben aber nicht nur weltweit Verantwortung,
sondern auch gegenüber künftigen Generationen. Des-
wegen sage ich: Wir dürfen nicht alles noch viel schlech-
ter reden, sondern sollten das Erreichte vielleicht einfach
einmal anerkennen. Ich habe gerade schon die Relation
zu Ihren früheren Plänen genannt. Durch die heutige
Haushaltsrelation wird die steigende Bedeutung des
Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung unterstrichen. Das Volumen des Gesamt-
haushalts, den wir in dieser Woche zu beschließen ha-
ben, sinkt deutlich um 4,3 Prozent auf 305,8 Milliarden
Euro. Das Volumen des Einzelplans 23 steigt dagegen
deutlich auf 6,22 Milliarden Euro. Das heißt, das kompa-
rative Gewicht wird deutlich größer. Wenn Sie ein biss-
chen ehrlich sind, sollten Sie das entsprechend anerken-
nen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Burkhard Lischka [SPD]: Sagen Sie doch mal was zur ODA-Quote!)


Beim Verteilen von Kritik sind Sie ein bisschen pau-
schal. Gerade haben wir gehört, dass wir den Globalen
Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Ma-





Volkmar Klein


(A) (C)



(D)(B)

laria ganz schlecht ausstatten. Schlechte Behandlung?
Nein. Für den Globalen Fonds sind im Haushaltsplan für
das Jahr 2011 200 Millionen Euro an Steuergeldern aus-
gewiesen – wie auch in den Jahren 2008, 2009 und 2010.
Jetzt beklagen Sie, es gebe keine Verpflichtungsermäch-
tigungen für die Folgejahre.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Zu Recht! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Ja, so ist es!)


Auch für die Jahre 2008, 2009 und 2010 gab es keine
Verpflichtungsermächtigungen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Also hat sich gegenüber dem Verfahren von vor drei Jah-
ren überhaupt nichts geändert. Deshalb brauchen Sie
sich jetzt auch nicht so aufzuregen. Glauben Sie mir:
Wenn unsere Bundeskanzlerin international etwas zu-
sagt, dann findet das auch die angemessene Beachtung
in diesem Hause.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein super Argument!)


Lassen Sie mich noch ergänzen – Sie werden das jetzt
nicht gerne hören –: Wahrscheinlich ist es sogar sehr
wichtig, dass wir uns einmal mit Rückfragen an den Glo-
balen Fonds wenden; denn er hat bisher Ausgaben in
Höhe von rund 1 Milliarde Dollar in der Volksrepublik
China zugesagt. Die Hälfte davon ist schon abgeflossen;
der Rest wird noch abfließen. Das heißt doch auf
Deutsch, dass mit unseren Geldern auch Entwicklungs-
hilfe in China bezahlt wird, mit Geldern, die dann in den
ärmeren Ländern, an die wir denken, wenn wir über den
Globalen Fonds reden, nicht mehr zur Verfügung stehen.
Wahrscheinlich haben wir mit unseren kritischen Rück-
fragen mit dazu beigetragen, dass China künftig gar
keine Anträge beim Globalen Fonds mehr stellen wird
und dass in Zukunft sichergestellt ist, dass diese Gelder
dort ankommen, wo sie richtig und gut aufgehoben sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Bei allen berechtigten Reden über Geld: Gestern
Abend war ich gemeinsam mit seiner Exzellenz dem
Botschafter von Tansania bei einer Veranstaltung. Er hat
dort gesagt: Durch Hilfe allein ist noch kein Land aus
der Armut herausgekommen. – Da hat er recht. Wir
brauchen eine sich selbst tragende Entwicklung; das ist
dann auch nachhaltig. Wir brauchen eine wie auch im-
mer ausgestaltete soziale Marktwirtschaft in den Län-
dern. Wir brauchen Anstöße für die Privatwirtschaft, so-
wohl hier als auch dort, Arbeitsplätze zu schaffen. Das
ist die Philosophie des Ministers, und das ist auch gut so.

Wir haben in der Vergangenheit an vielen Stellen
schon dazu beitragen können. Ich stelle mir hier noch
Verstärkungen vor. Deswegen erfolgt auch die kleine
Umschichtung der Mittel aus dem Titel „Bilaterale Fi-
nanzielle Zusammenarbeit“ in den Titel „Finanzielle Zu-
sammenarbeit mit Regionen“. Dadurch erhalten wir die
Möglichkeit, mehr Initiativen für Mikrokredite auch
jenseits von staatlichen Strukturen in den Regionen zu
stärken. Das ist notwendig, weil wir an vielen Stellen in
den Ländern des Südens darauf achten müssen, die Bür-
gergesellschaften zu stärken und nicht immer alles nur
auf den Staat zu fokussieren. Es mag bei meiner Vorred-
nerin vielleicht großen Anklang finden; aber Staatskapi-
talismus hat auch schon andere Staaten, inklusive in
Deutschland, zugrunde gerichtet. So etwas brauchen wir
bei der Entwicklungshilfe nicht.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707415100

Priska Hinz spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Klein, es war ja ganz nett, als Sie eben gemeint haben,
die Opposition fordere nur und hole sich billig Beifall
ab. Aber wissen Sie: Es geht nicht nur darum, zu fordern
– und uns schon einmal gar nicht –, sondern wir haben
auch Fantasie und Ideen – anscheinend im Gegensatz zu
Ihnen –, wie man das 0,7-Prozent-Ziel erreichen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihnen reicht schon, wenn der Haushalt stagniert. Das
verkaufen Sie hier als großen Erfolg.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ist es ja auch!)


Herr Leibrecht sagt auch noch: Der Etat ist gewach-
sen. – Das stimmt, er ist um 148 Millionen gewachsen,
nämlich um das Geld, das aus dem Einzelplan 60 herü-
bergeschoben wurde, durch die Erlöse aus den Goldver-
käufen, die dem Internationalen Währungsfonds wieder
erstattet werden müssen.


(Harald Leibrecht [FDP]: Immerhin! Das ist Steuergeld! Hart verdient!)


Von daher ist es ein Nullsummenspiel. Es ist völlig egal,
ob das im Einzelplan 60 oder im Einzelplan 23 steht. Für
Herrn Niebel bleibt kein Geld übrig, das er mehr für die
Entwicklungszusammenarbeit ausgeben kann. Das will
ich hier doch einmal festhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Harald Leibrecht [FDP]: Wie wollen Sie die 0,7 Prozent schaffen?)


Die Lücke, um Ihre Zusagen und Ihre Koalitionsver-
einbarungen einzuhalten, beträgt in diesem Jahr
3,2 Milliarden Euro. So viel bräuchten wir im Einzelplan
23 und insgesamt im Bundeshaushalt mehr, um das Ziel
von 0,55 Prozent zu erreichen. Nur so könnte man den
Pfad beschreiten, um im Jahr 2015 das 0,7-Prozent-Ziel
zu erreichen.


(Harald Leibrecht [FDP]: Hätten Sie das mal in den elf Jahren gemacht! Sie haben doch elf Jahre nichts gemacht!)


Das wäre ein Pfad nach oben. Der Pfad, den Sie be-
schreiten, ist der Pfad nach unten. Sie wollen nämlich





Priska Hinz (Herborn)



(A) (C)



(D)(B)

nach dem Finanzplan im Entwicklungsbereich im Jahr
2012 5 Prozent und im Jahr 2013 noch einmal 1,5 Pro-
zent einsparen. Angefangen haben Sie damit, dass Sie
die Verpflichtungsermächtigungen um 200 Millionen
Euro gekürzt haben. Das spricht doch Bände.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Klein, Sie sagen, wenn die Kanzlerin etwas ver-
spricht, sei klar, dass sie das einhalte. In Kopenhagen
wurden – ohne Verrechnung mit Klimaschutzmitteln –
420 Millionen Euro mehr zugesagt. Nichts davon ist im
Einzelplan 23 eingestellt. Sie haben selbst die
35 Millionen Euro, die für 2010 vorhanden waren, er-
satzlos gestrichen. – So viel zu Ihrer Kanzlerin und de-
ren Zusagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Harald Leibrecht [FDP]: Sie haben elf Jahre Zeit gehabt!)


Nein, meine Damen und Herren, Sie müssten sich ei-
gentlich auf den grünen ODA-Pfad begeben. Wir haben
nämlich einen Plan vorgelegt, wie man die Lücke von
3,2 Milliarden Euro in diesem Jahr mit mehr Barmitteln,
mit zusätzlichen Förderkrediten der KfW und mit zins-
subventionierten Krediten schließen könnte. Man
braucht nicht alle Haushaltsmittel als Barmittel. Wir wa-
ren kreativ. Natürlich kann man zinsverbilligte Kredite
gewähren; man kann über die KfW Förderkredite verge-
ben. Das würde auch die selbsttragenden Strukturen in
den Entwicklungsländern stärken. Ich wundere mich,
dass die FDP nicht mit uns auf diesem Pfad geht. Sie
sind doch der Meinung, die Privatwirtschaft müsse ge-
stärkt werden. Über solche Wege könnte man die Privat-
wirtschaft in den Entwicklungsländern stärken, und dann
könnten wir uns mit den Barmitteln darauf konzentrie-
ren, die Armutsbekämpfung in den Ländern voranzutrei-
ben, die wirklich auf diese Zuschüsse angewiesen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707415200

Frau Hinz, Herr Schirmbeck würde Ihnen gern eine

Zwischenfrage stellen. Wollen Sie sie zulassen?

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Bitte schön, gerne.


Georg Schirmbeck (CDU):
Rede ID: ID1707415300

Verehrte Frau Kollegin, Sie betreiben das Spiel aller

Oppositionsabgeordneten – vielleicht muss das so sein,
auch wenn ich anderer Meinung bin –, indem Sie den
Eindruck erwecken, wir könnten mit immer mehr Geld
irgendwo tätig werden. Sind Sie nicht mit mir einer Mei-
nung, dass wir uns fragen müssen, wie wir die vorhande-
nen Mittel effizienter einsetzen können und dass man in
Teilen mit weniger Geld mehr machen kann?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Eine Delegation des
Haushaltsausschusses hat in Brasilien Vertreter von KfW
und GTZ getroffen. Wir haben uns beiläufig erkundigt,
was aus den 300 Millionen Euro geworden ist, die Bun-
deskanzler Kohl seinerzeit zur Verfügung gestellt hat.
Daraufhin hat uns der junge Vertreter der GTZ wörtlich
gesagt, wenn sie Bock hätten, würden sie dem dem-
nächst nachgehen. Es gab dann erhebliche Unruhe bei
der GTZ. Ich habe mir dann im Haushaltsausschuss er-
laubt, die damals zuständige Ministerin danach zu fra-
gen. Als Antwort habe ich einen Besinnungsaufsatz be-
kommen, aber zu der Frage, was konkret mit den
300 Millionen Euro bewirkt worden ist, kam gar nichts.

Die Aufgabe gerade von Haushältern – dazu gehören
auch Sie seit einiger Zeit – ist es, darauf zu dringen, dass
mit den zur Verfügung gestellten Mitteln effektiv etwas
bewegt wird. Wenn Minister Niebel jetzt seine Institutio-
nen umbaut, um dieses Ziel zu erreichen, dann ist das
auch im Sinne von uns Haushältern eine gute Haushalts-
politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Niema Movassat [DIE LINKE]: Was war Ihre Frage?)


Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Herr Schirmbeck, es ist gut, dass Sie diese Frage ge-
stellt haben. Selbstverständlich wollen wir, dass die Mit-
tel wirksam ausgegeben werden. Das ist völlig klar. Wir
wollen auch nicht, dass irgendwo Bauruinen in die
Landschaft gepflanzt werden und man sich nach zehn
oder 20 Jahren fragt, wofür das Geld eigentlich ausgege-
ben wurde. Darin sind wir uns völlig einig.

Aber wir wissen: Wir brauchen Geld für die Armuts-
bekämpfung. Die 1,9 Milliarden Euro an Förderkrediten
und zinssubventionierten Krediten, wie ich es eben vor-
geschlagen habe, hätten zur Folge, dass die Gelder in
den Entwicklungsländern sehr effizient eingesetzt wer-
den müssen, weil die Kredite zurückzuzahlen sind. Es ist
sinnvoll, auch das Eigeninteresse von Entwicklungslän-
dern zu wecken, die schon eine bestimmte wirtschaftli-
che Schwelle erreicht haben, damit sie selbsttragende
Strukturen mit entwickeln, und dabei durch Beratung
und Anschubfinanzierung Hilfestellung zu leisten. Ge-
rade deshalb hätten Sie unserem Antrag zustimmen kön-
nen. Das hätte mehr Geld für die Entwicklungszusam-
menarbeit bedeutet, und das Geld wäre effizient
eingesetzt. Aber nicht einmal das wollten Sie machen,
Herr Kollege Schirmbeck.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wir sollten uns mal zum Kaffee treffen und das diskutieren!)


Ein anderer Punkt, den ich noch ansprechen möchte,
sorgt ebenfalls immer wieder für Erregung. Ich hatte
mich eigentlich gefreut, Herr Minister Niebel, dass Sie
sich so stark für den Global Fund eingesetzt und sozu-
sagen ordentlich gebrüllt haben, nach dem Motto: Ich
kann das Geld nicht allein aus meinem eigenen Etat auf-
bringen und brauche über den Plafond, den mir der Fi-
nanzminister zugesteht, hinaus auch für die nächsten





Priska Hinz (Herborn)



(A) (C)



(D)(B)

Jahre einen entsprechenden Aufwuchs. – Daraus ist aber
leider nichts geworden. Die 200 Millionen, die für 2011
zur Verfügung stehen, waren nämlich schon im Entwurf
enthalten.


(Zuruf des Abg. Harald Leibrecht [FDP])


– Die standen im Entwurf, Herr Kollege Leibrecht. Es ist
nichts hinzugekommen.

Es geht jetzt um die zusätzlichen Mittel für die Jahre
2012 und 2013, die zugesagt worden sind. Diese Zusa-
gen müssen eingehalten werden. Insofern wäre es not-
wendig gewesen, die Verpflichtungsermächtigungen in
den Haushalt aufzunehmen,


(Harald Leibrecht [FDP]: Das hat man früher auch nicht gemacht!)


damit der Haushaltsausschuss dem Finanzminister ge-
genüber deutlich sagt: Diese Gelder wollen wir schon im
Haushaltsplanentwurf für 2012 sehen. – Wir unterstüt-
zen den Entwicklungsminister. Aber leider hat die Koali-
tion gekniffen. Sie hätten unserem Antrag gerne zustim-
men können.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Harald Leibrecht [FDP]: Da haben Sie aber gerade nicht zugehört!)


Ich möchte noch einen allerletzten Punkt ansprechen.
Herr Schirmbeck, Sie haben recht: Die Durchführungs-
organisationen müssen fusionieren. Wir brauchen mehr
Steuerung im Ministerium, und die Durchführung muss
bei den Vorfeldorganisationen liegen. Man kann aber
nicht 500 Stellen streichen und gleichzeitig die Lei-
tungsebene auf sieben Stellen verbreitern, für die nur
Männer qualifiziert sind. Das wird mit uns nicht funktio-
nieren. Ich sage Ihnen ganz klar: Das machen wir nicht
mit.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707415400

Johannes Selle hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion

das Wort.


Johannes Selle (CDU):
Rede ID: ID1707415500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In den letzten Wochen, aber ganz besonders in dieser
Woche haben wir über die Bedeutung des Sparens ge-
sprochen. Konsolidierung bleibt eine Verpflichtung der
jeweiligen Regierungsparteien; aber es ist ein Marken-
zeichen der CDU/CSU und der FDP.

Am vorliegenden Einzelplan 23 kann man erkennen,
dass wir die Nöte dieser Welt sehen, dass sie uns nicht
gleichgültig sind und wir eben nicht an unserer Verant-
wortung sparen. Mit dem Bundeshaushalt 2011 werden
gegenüber 2010 circa 13 Milliarden Euro eingespart,
aber der Einzelplan legt zu. So gesehen ist die Bedeu-
tung der internationalen wirtschaftlichen Zusammenar-
beit als Anteil am Bundeshaushalt gestiegen. Darüber
sollten wir uns alle freuen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass nicht
alle Wünsche der Entwicklungspolitiker der christlich-
liberalen Koalition in Erfüllung gegangen sind. Aber
diese Leistung verdient unseren Dank an die Haushalts-
kollegen, an den Bundesminister Niebel und auch an den
Bundesminister der Finanzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir sind bereit, Verantwortung mitzutragen, Verant-
wortung für diesen Haushalt und dafür, dass Deutsch-
land stark bleibt. So werden wir nämlich von den Län-
dern gesehen, die mit uns zusammenarbeiten und die es
vielleicht noch viel mehr möchten.

Mit einer Schulklasse hatte ich eine interessante Dis-
kussion. Die Schüler sehen ihre Probleme, die Probleme
ihrer Eltern und fragen, warum wir so viel Geld in ande-
ren Ländern ausgeben. Es ist wichtig, dass wir den Schü-
lern eine verständliche Antwort geben und auch der Öf-
fentlichkeit gegenüber die guten Argumente äußern.

Wir geben in erster Linie Hilfe, weil es unsere Mit-
menschlichkeit gebietet, wir eine funktionierende
Volkswirtschaft haben und weil wir zu den wenigen Län-
dern gehören, die Hilfe geben können. Tausende von
Deutschen engagieren sich in dieser Hilfe und nehmen
dabei auch Risiko auf sich. Wir wollen sie bei dieser Ar-
beit unterstützen.

Bittere Armut kann sich ökologische Überlegungen
nicht leisten. Ob Bäume fallen oder Tiere sterben müs-
sen, wird nicht nach den Gesichtspunkten der Biodiver-
sität entschieden, sondern danach, wie die nächsten Tage
überstanden werden können. Entwicklungszusammenar-
beit und Umweltschutz bilden für uns Schwerpunkte.


(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das merkt man an dem Haushalt!)


Bittere Armut kann sich auch Heimatliebe nicht mehr
leisten. Die Menschen verlassen ohne Perspektive ihre
Länder und suchen ihr Glück in der Ferne. Perspektiven
in der Heimat stabilisieren und schaffen mehr Sicherheit.
Wir unterstützen eine wirtschaftliche Entwicklung, die
auf eigenen Füßen stehen kann. Das bedeutet, dass uns
jedes entstehende Pflänzchen freier und selbstständiger
wirtschaftlicher Betätigung wichtig ist.

Wir begehen in diesen Tagen viele Feiern der Unab-
hängigkeit. Zur politischen Unabhängigkeit muss mehr
und mehr auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit
kommen. Im Übrigen würden die Unternehmen in pros-
perierenden Staaten auch zunehmend Kunden der deut-
schen Wirtschaft werden.

Das sind nicht nur für Schüler überzeugende Argu-
mente für eine konsequente, effiziente, ökologisch und
wirtschaftlich ausgerichtete Unterstützung.





Johannes Selle


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Schleppender Applaus!)


Gerade die selbstständig wachsende Wirtschaft in un-
seren Partnerländern erreichen wir nicht ohne Experten.
Diese Experten finden sich in deutschen Unternehmen.
Es gibt so viele gute Ideen des Mittelstandes, die in den
Partnerländern dringend gebraucht werden. Hier setzt
der Bundesminister Niebel einen richtigen Akzent in
diesem Haushalt; denn wirtschaftliche Zusammenarbeit
schließt sinnvollerweise die Wirtschaft ein und nicht aus.

Der Antrag der Grünen enthält Vorschläge dazu, wie
einzelne Titel im Einzelplan 23 erhöht werden sollen. Da
Sie das innerhalb der Struktur des von uns vorgelegten
Haushalts tun, erlaube ich mir die Folgerung, dass die
Grünen die von uns gesetzten Schwerpunkte für richtig
halten. Es ist das Recht der Opposition, immer ein biss-
chen mehr zu fordern. Nur bei einem einzigen Titel
schlagen die Grünen eine Verringerung vor, nämlich bei
Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft. Alles
scheint gut zu sein, wenn es nicht wirtschaftlich ist.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe doch gerade das Gegenteil erklärt!)


Das würde noch nicht einmal auf Schüler überzeugend
wirken.

Gestern hatten die GTZ und PlaNet Finance eingela-
den, um über Kundenschutz und soziale Verantwortung
zu diskutieren. In den Mittelpunkt der Diskussion geriet,
dass sich Mikrokredite so erfolgreich entwickeln, dass
plötzlich reichlich privates Kapital zur Verfügung steht,
nicht mehr sorgfältig gearbeitet wird und der Kredit zur
Katastrophe für den Kleinkunden werden kann. Dabei ist
ganz offenkundig: Jemanden bei einer guten geschäft-
lichen Idee mit einem Kleinkredit zu unterstützen, so-
dass er für sich und andere Arbeitsplätze schaffen kann,
ist Kern der Entwicklungszusammenarbeit. So etwas ist
sogar in Deutschland notwendig. Hier bedarf es einer
eingehenden Analyse des Kunden und des geplanten Ge-
schäftes. Das ist personalintensiv und damit auch kos-
tenintensiv. Genau an dieser Stelle muss Förderung ein-
setzen. Der Einzelplan 23 tut dies mit einer deutlichen
Erhöhung. Das ist der richtige Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Entwicklungszusammenarbeit darf eigentlich kein
Feld ideologischer Auseinandersetzung sein; so ist es
dankenswerterweise oft. Ich halte nichts davon, bei der
ODA-Quote anders zu verfahren. Alle Fraktionen wol-
len es. Die Kanzlerin bekennt sich dazu, erneut am
21. September in New York. Damit haben wir ein ge-
meinsames Ziel. Von einem Ziel kann man noch entfernt
sein. Aber wichtig ist, dass es unser Ziel bleibt. In dieser
finanziell belasteten Zeit ist das nicht mit einem Ruck zu
schaffen. Die fehlenden 4,5 Milliarden Euro sind nicht
einfach durch Barmittel darstellbar. Es müssen auch
nicht Barmittel des Bundeshaushaltes allein sein. Auch
in diesem Zusammenhang dürfen innovative Finanzie-
rungsinstrumente eine stärkere Rolle spielen.

(Zuruf von der SPD: Welche denn?)


Die KfW macht dazu sehr interessante Vorschläge; die
kennen alle Fraktionen.


(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das ist nicht mehr Geld! Das ist nur eine andere Verteilung!)


– Es kommt auf die ODA-Quote an, Frau Dr. Kofler. –
Wie gesagt, die KfW macht dazu sehr interessante Vor-
schläge; die kennen Sie. Auf ein solches Know-how
können und sollten wir nicht verzichten. Ich werbe je-
denfalls dafür. Ich vermute – das erlebe ich schon jetzt –,
dass die Opposition bei den innovativen Finanzierungs-
instrumenten eine Menge Diskussionsstoff entdecken
wird.

Multilaterale Ansätze in der Entwicklungszusammen-
arbeit sind nicht immer effizient. Sie entkoppeln von der
direkt kontrollierbaren Effizienz und Verantwortung.
Deshalb unterstützen wir den Bundesminister darin, die
bilaterale Zusammenarbeit zu stärken. In der bilatera-
len Zusammenarbeit können eigene Schwerpunkte ge-
setzt werden. Dass wir dies verstärkt tun, hoffen viele
Länder. Sie halten uns für fair sowie ökologisch und
technologisch für beispielhaft. In der Tat sollten wir
noch viel mehr Mut zu enger Partnerschaft haben und
vielleicht ein eigenes, unverwechselbares Modell wirt-
schaftlichen Aufschwungs schaffen. Das könnte zusätz-
liche Kräfte und Investitionsbereitschaft in unserer Ge-
sellschaft freisetzen, eine Aufbruchstimmung im
Empfängerland erzeugen und einen Wettbewerb der
Ideen auf internationaler Ebene auslösen.

Ein erfolgreiches Modell multilateraler Zusammenar-
beit ist der Global Fund zur Bekämpfung von Aids, Tu-
berkulose und Malaria. Er hat sich bewährt. Seine Hilfe
kommt bei den Menschen an. Deutschland hat seine Ver-
pflichtungen erfüllt. Im Haushalt sind wieder 200 Mil-
lionen Euro für das nächste Jahr eingestellt. Wir wollen
diese bewährte Zusammenarbeit weiter auf hohem Ni-
veau unterstützen. Verpflichtungsermächtigungen für
Folgejahre können das unterstreichen. Fehlende Ver-
pflichtungsermächtigungen berechtigen nicht zur Folge-
rung, dass wir das nicht tun. Eine langfristige Investi-
tionssicherheit an dieser Stelle ist nicht erforderlich. Ich
weiß, dass die Damen und Herren der Opposition es
zwar nicht wollen, aber ich fordere sie trotzdem auf, dem
Wort der Bundeskanzlerin zu trauen.

Der Einzelplan 23 weist einen der höchsten Beträge
aus, die es je gab. Deutschland bleibt einer der größten
Geber weltweit. Diesen Ansatz können wir alle mit gu-
ten Argumenten vertreten. CDU/CSU und FDP stehen
für ein wirtschaftlich starkes Deutschland. Deshalb kann
sich die Welt weiterhin auf unsere Hilfsbereitschaft ver-
lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707415600

Der Kollege Dr. Sascha Raabe hat jetzt das Wort für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1707415700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Ich habe seit 2002 im Deutschen Bundes-
tag schon viele kuriose Sätze gehört. Aber der Satz von
Volkmar Klein toppt vieles. Er sagte: Wenn die Kanzlerin
international etwas zusagt, dann hält sie es auch. – Ich
war erst vor wenigen Wochen mit der Bundeskanzlerin
auf der Millenniumskonferenz in New York, wo es da-
rum ging, zu überprüfen, wie die Staaten dieser Erde ihre
Versprechen einhalten. Die Kanzlerin hatte die Chuzpe,
dort in die Bütt zu steigen und zu sagen: Wir stehen zum
0,7-Prozent-Ziel. – Gleichzeitig legt der Entwicklungs-
minister, gedeckt von der Bundeskanzlerin, einen Haus-
halt vor, mit dem sie dieses Versprechen eiskalt bricht,
weil sie die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit
bis 2014 reduzieren will. Das ist ein Skandal. Wer die
Weltöffentlichkeit so belügt, sollte nicht glauben, dass er
damit hier im deutschen Parlament durchkommt.


(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Das mit dem Lügen nehmen Sie zurück!)


Sehr geehrter Herr Kollege Klein, Sie haben in Ihrer
Rede gesagt, die damalige Entwicklungsministerin Heidi
Wieczorek-Zeul von der Sozialdemokratischen Partei
habe die Mittel nicht erhöht. Ihnen ist wohl entgangen,
dass die Ministerin 2008 und 2009 auch in der Großen
Koalition den Etat um 641 Millionen Euro bzw. 680 Mil-
lionen Euro – also jeweils um 13 bzw. 14 Prozent – ge-
steigert hat,


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Du hast überhaupt nichts kapiert!)


während Sie in diesem Jahr faktisch einen Nullaufwuchs
zu verantworten haben. Als wir in Verantwortung waren,
haben wir zum ODA-Stufenplan gestanden; Sie aber
brechen die Zusage. Wir lassen nicht zu, dass das durch
eine solche Geschichtsklitterung, wie Sie sie betreiben,
verdeckt wird.


(Beifall bei der SPD – Dr. Christian Ruck [CDU/ CSU]: Mir kommen die Tränen!)


Sehr geehrter Herr Kollege Klein, Sie haben die Zah-
len angesprochen, die die SPD und die jetzige Opposi-
tion damals in den Haushaltsplänen gehabt haben. Ich
habe mir angeschaut, was die FDP zum Haushalt 2009
beantragt hat. Sie wollten das Entwicklungsministe-
rium komplett abschaffen. Das ist bekannt. Der, der es
abschaffen wollte, ist jetzt Entwicklungsminister. Ich
verweise auf Ihre Anträge zum Haushalt 2009, die in Ih-
rem glorreichen sogenannten Sparbuch niedergelegt
sind. Sie wollten im Haushaltstitel 421 01 die Bezüge
der Parlamentarischen Staatssekretärin mit der Begrün-
dung streichen, der geringere Ansatz ergebe sich aus der
Einsparung einer Staatssekretärin. Diese Einsparung
diene der Entlastung der Bürger. Was haben Sie ge-
macht, als Sie das Ministerium übernommen haben? Sie
haben die Staatssekretärsposten behalten, sie mit Partei-
soldaten besetzt und die Stellen für Abteilungsleiter von
drei auf vier erhöht. Bei der neuen Durchführungsorga-
nisation GIZ haben Sie die Zahl der Geschäftsführer von
drei auf sieben erhöht. Einer kostet etwa 500 000 Euro
im Jahr.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie blähen den Verwaltungsapparat auf, indem Sie Spit-
zenposten schaffen. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Das
werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Kannst du mal runterkommen vom Baum?)


Dann kommt hinzu, dass Sie, Herr Minister Niebel,
elf Spitzenkräfte ausgewählt haben, die eine reine Män-
nerfußballmannschaft bilden. Alle vier Abteilungsleiter
in Ihrem Haus sind männlich, und alle sieben neuen Ge-
schäftsführer sind männlich. Dass Sie keine Frau sind,
kann man Ihnen nicht vorwerfen,


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Du auch nicht!)


aber wenn Sie glaubwürdig in den Entwicklungsländern
für Gender-Mainstreaming und Gleichstellung der Frau
werben wollen, dann müssen Sie mit gutem Beispiel vo-
rangehen. Wir können unseren Partnerländern nicht sa-
gen, sie müssten mehr Frauen beteiligen, aber in der ei-
genen Verwaltung alle Spitzenpositionen nur mit
Männern besetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Inge Höger [DIE LINKE])


Es ist nicht nur die Quantität, die in diesem Haushalt
nicht stimmt, sondern es ist auch die Qualität. Der Peer
Review des DAC, des Entwicklungsausschusses der
OECD, hat klar festgestellt, dass die Verteilung der Ent-
wicklungshilfe, die Sie im Koalitionsvertrag festge-
schrieben haben – zwei Drittel bilateral, nur ein Drittel
multilateral –, falsch ist.

Übersetzt heißt das: Sie wollen künftig nicht mehr
eine im Hinblick auf internationale Töpfe wie den Glo-
bal Fund – davon war schon die Rede – abgestimmte
Entwicklungspolitik betreiben, sondern Sie wollen auf
viele kleinteilige Projekte deutsche Fahnen setzen. Sie
brechen damit den internationalen Konsens, für mehr Ef-
fizienz und Effektivität zu sorgen. Klar ist doch: Wir
überfordern unsere Partnerländer, wenn wir deren Minis-
terien jedes Mal mit hundert ausländischen Missionen
aufsuchen, anstatt gemeinsam zu handeln. Auch dort
stimmt die Qualität nicht. Auch deswegen lehnen wir Ih-
ren Haushalt ab, Herr Minister.


(Beifall bei der SPD – Dr. Christian Ruck [CDU/ CSU]: Das überrascht mich nicht!)


Im DAC Peer Review wird auch kritisiert, dass mit
Ihrer neuen inhaltlichen Ausrichtung die große Gefahr
verbunden ist, dass die Außenwirtschaftsförderung ent-
wicklungspolitischen Fragestellungen und Zielsetzungen
übergeordnet ist. Dazu passt in der Tat das von Ihnen er-
arbeitete neue Rohstoffkonzept. Darin bringen die Bun-
desregierung und der Entwicklungsminister zum Aus-
druck, dass bei der Auswahl der Partnerländer, also





Dr. Sascha Raabe


(A) (C)



(D)(B)

derjenigen Länder, mit denen wir Entwicklungszusam-
menarbeit betreiben, ein ganz entscheidendes Kriterium
die Rohstoffsicherung Deutschlands sein soll. Ich sage:
Wir müssen bei der Auswahl der Partnerländer in erster
Linie darauf schauen: Wo ist der Hunger am größten?
Wo ist die Armut am größten? Wo ist die Not am größ-
ten? Da müssen wir helfen. Wir dürfen nicht danach ge-
hen, wie wir der deutschen Industrie am besten Roh-
stoffe sichern können. Dieses Ziel müssen wir auf
anderen Politikfeldern verfolgen. Die Ärmsten der Ar-
men dürfen nicht in diese Richtung instrumentalisiert
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazu passt, dass Verteidigungsminister Guttenberg
auf einmal ebenfalls sagt – das ist sehr bedenklich –,
dass er die Verteidigungspolitik in Zukunft auch danach
ausrichten möchte, wie und wo deutsche Rohstoffe gesi-
chert werden können. Ein ganz gefährliches Zusammen-
spiel in der neuen Regierung ist, dass Entwicklungszu-
sammenarbeit militarisiert wird. In Afghanistan haben
Sie auch den NGOs gesagt: Es gibt nur noch dann Geld,
wenn ihr mit der Bundeswehr kooperiert. Herr Niebel,
Ihre Militärmütze, die Sie in Entwicklungsländern auf-
ziehen, ist einfach nur peinlich – darüber kann man noch
lachen –; aber dass Sie die Entwicklungszusammenar-
beit jetzt an Rohstoffinteressen und an militärischen In-
teressen ausrichten, das ist gefährlich. Dem werden wir
Einhalt gebieten, und wir werden diesen Haushalt ableh-
nen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707415800

Herr Raabe, ich werde Sie jetzt nicht fragen, ob Sie

eine Zwischenfrage zulassen, weil Sie Ihre Redezeit
schon deutlich überschritten haben.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1707415900

Ich hätte sie sehr gerne zugelassen, weil ich eine Zwi-

schenfrage von Herrn Koppelin immer gerne beant-
worte.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707416000

Das kann ich mir vorstellen. Nichtsdestotrotz ist Ihre

Redezeit zu Ende.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1707416100

Gut. Dann ersparen wir uns die Zwischenfrage von

Herrn Koppelin. Damit bin ich einverstanden.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707416200

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem

Kollegen Koppelin.

Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1707416300

Herr Kollege, zu Ihren Bemerkungen, was den Vertei-

digungsminister angeht und was die Konzepte zum
Thema Rohstoffe und die Weißbücher angeht: Sind Sie
bereit, zur Kenntnis zu nehmen – notfalls stelle ich Ihnen
die entsprechenden Materialien zur Verfügung –, dass
unter sozialdemokratischen Verteidigungsministern und
zu Zeiten einer Koalition, der Sie angehört haben, in den
Weißbüchern genau die gleichen Formulierungen ge-
standen haben?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707416400

Herr Raabe zur Erwiderung.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1707416500

Ich stelle nur fest, dass Bundespräsident Köhler Aus-

sagen gemacht hat,


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Weich nicht aus! Das war eine konkrete Frage!)


in denen er Rohstoffsicherung in einen Zusammenhang
mit militärischer Absicherung gestellt hat. Er hat das
aber bedauert, weil das missverständlich war; er habe es
nicht so gemeint. Herr Guttenberg hat seine Aussagen,
dass er das Militär einsetzen möchte, um unsere Roh-
stoffe zu sichern, ausdrücklich betont und immer wieder
bekräftigt. Ich frage mich, warum ein Bundespräsident
zurücktritt, nachdem er sich falsch verstanden gefühlt
hat, weil er etwas so nicht gemeint hat, während ein Ver-
teidigungsminister hier in Deutschland in der Öffent-
lichkeit damit durchkommt, dass er das, was im Grund-
gesetz überhaupt nicht vorgesehen ist, nämlich den
Einsatz deutscher Soldaten zur Rohstoffsicherung, nun
zur Maxime dieser Regierung erhebt. Ich finde, der
Bundesverteidigungsminister hätte genauso konsequent
sein müssen und die gleichen Konsequenzen wie der
Bundespräsident ziehen müssen. Das wäre richtig gewe-
sen. Andernfalls hätte er seine Aussage zurücknehmen
müssen. Beides hat er nicht getan.


(Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Setzen, Fünf!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707416600

Das Wort hat der Bundesminister Dirk Niebel.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich ganz
herzlich bei den Berichterstattern, insbesondere bei der
Hauptberichterstatterin, Frau Hinz, für den Einzelplan 23
für die kollegiale Zusammenarbeit bedanken, was ja
nicht immer selbstverständlich ist, wenn die Hauptbe-
richterstattung bei der Opposition angesiedelt ist. Ich
möchte mich auch ausdrücklich beim gesamten Haus-
haltsausschuss und bei den Kollegen des Fachausschus-
ses für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken, die





Bundesminister Dirk Niebel


(A) (C)



(D)(B)

natürlich den einen oder anderen inhaltlichen Dissens
mit sich bringt.

Ich erlaube mir, bei allem, was ich hier schon gehört
habe, noch einmal festzustellen: Es ist mit 6,22 Milliar-
den Euro der größte Etat dieses Einzelplans, den es je-
mals gab. In Zeiten der Schuldenbremse gab es einen
Zuwachs von 148 Millionen Euro.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das zeigt ganz deutlich, dass dieser Bundesregierung die
Zusammenarbeit mit der internationalen Staatengemein-
schaft wichtig ist. Sie macht damit deutlich, dass dieser
Investitionsetat auch tatsächlich genutzt wird, um den
Menschen in dieser Welt zu helfen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707416700

Herr Minister, möchten Sie eine Frage des Kollege

Raabe zulassen?

Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:

Ich wundere mich, dass sie so früh kommt, aber ich
freue mich darüber.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1707416800

Herr Minister Niebel, Sie sprechen von 148 Millionen

Euro Zuwachs in diesem Etat. Ist Ihnen bekannt – das
wissen Sie bestimmt –, dass die Gesellschaft für Techni-
sche Zusammenarbeit selbst schreibt, dass diese
148 Millionen Euro im Prinzip eine reine Verschiebung
aus einem anderen Einzelplan, eine Luftbuchung dahin
gehend sind, dass es keine Programmfinanzierung ist?
Und sind Sie bereit, hier zuzugeben, dass mit diesen
148 Millionen Euro, die Sie jetzt stolz anführen, nicht
ein einziges Entwicklungsprojekt konkret vor Ort finan-
ziert wird, sondern dass es allein eine Sache ist, den
Haushalt optisch gut aussehen zu lassen? Ich kann Ihnen
das auch gerne aus der entsprechenden GTZ-Stellung-
nahme vorlesen. Darin heißt es:

Rein optisch wächst der Etat sogar um knapp
150 Millionen Euro Barmittel auf 6,2 Milliarden
Euro. Hier handelt es sich allerdings nur um eine
Übernahme von Ausgaben, die bisher direkt aus
dem Etat der allgemeinen Finanzverwaltung,
Einzelplan 60, übernommen wurden. Es handelt
sich nicht um Programmtitel.

Das sagt nicht die SPD, das sagt die GTZ. Vielleicht
glauben Sie es der wenigstens.

Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:

Herr Kollege Raabe, ich bin nicht bereit, das zuzuge-
stehen, aber das, was Sie sagen, zeigt zweierlei: erstens
Ihre Quotengläubigkeit und zweitens Ihre GTZ-Hörig-
keit.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das ist doch Ihr eigenes Haus, das haben Sie nicht im Griff!)

– Ich würde Ihre Frage gern beantworten, Herr Raabe,
falls es Sie denn überhaupt interessiert. – 1 Million Euro
sind zusätzliche Mittel für Bildung, und das andere sind
tatsächlich Erlöse aus Goldverkäufen, die dem Interna-
tionalen Währungsfonds für Entwicklungskredite zur
Verfügung gestellt werden, durch die wichtige Projekte
in den Partnerländern finanziert werden und die den
Menschen tatsächlich helfen. Ich gehe davon aus, dass
Ihre Frage dadurch hinreichend beantwortet worden ist.

Unabhängig davon ist dieser Etat aber auch ein ganz
besonderer, nicht nur wegen der Höhe, sondern er gilt
für das 50. Jahr des Bestehens des Bundesministeriums
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
das wir im nächsten Jahr feiern können.


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Wollen wir abschaffen!)


– Sie können mir eine Zwischenfrage stellen, dann be-
antworte ich Ihnen die sofort; aber so lange läuft die Uhr
noch. – Wir werden das im nächsten Jahr nicht nur fei-
ern, sondern wir haben mit diesem Etat das erste Mal
vom deutschen Parlament die Chance bekommen, ab
dem nächsten Jahr auch eine qualitativ deutlich hoch-
wertigere Entwicklungspolitik gestalten zu können. Das
ist übrigens auch der Grund, meine lieben Kollegen von
der linken Seite des Hauses, weshalb Sie mich in aller
Regel – außer bei vergangenheitsbezogenen Diskussio-
nen – nicht von Entwicklungshilfe sprechen hören. Ent-
wicklungshilfe der Vergangenheit hat Abhängigkeiten
gefördert. Wir reden von Entwicklungskooperation, Ent-
wicklungspartnerschaften und Entwicklungspolitik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die finanziellen Voraussetzungen für die neue Struk-
tur der staatlichen Entwicklungskooperation sind mit
diesem Haushalt geschaffen worden. Das bedeutet: Die
Abstimmung über diesen Einzelplan 23 ist auch eine
Abstimmung über die Reform der deutschen Entwick-
lungspolitik. Da bin ich ganz gespannt auf Ihr Abstim-
mungsverhalten.

Der Haushaltsausschuss hat mit seinem Grundsatzbe-
schluss auch das Fundament für die notwendige Perso-
nalausstattung gelegt, um die Steuerungsfähigkeit der
Politik gegenüber den Durchführungsorganisationen zu-
rückzugewinnen. Das ist überhaupt die Kernaufgabe des
Koalitionsvertrages und des Kabinettsbeschlusses vom
7. Juli dieses Jahres; die Rückgewinnung der Steue-
rungsfähigkeit der Politik der Bundesregierung gegen-
über den Durchführungsorganisationen. Das ist eine
Aufgabe, die jedem hier im Haus wichtig sein muss.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es ist natürlich leicht, das alte Schema zu benutzen:
erst einmal skandalisieren und dann hinterher sehen, was
daraus wird. Ich hatte schon gedacht, dass die Rede von
Frau Hänsel bemerkenswert wäre; aber da ist wenigstens
noch ein Kern von Ideologie festzustellen gewesen. Ein
so hohes Maß an Schlichtheit der Einlassungen des Kol-
legen Raabe hätte ich in diesem Hause aber nicht erwartet.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Kriegen Sie erst mal die GTZ in den Griff!)






Bundesminister Dirk Niebel


(A) (C)



(D)(B)

Fakt ist, dass mit dieser Reform, mit all den Vorschlä-
gen, die wir gemacht haben, nicht nur die Steuerungsfä-
higkeit der Bundesregierung wiederhergestellt wird, son-
dern, obwohl das nur Nebenziele sind, auch die Effizienz
der Entwicklungskooperation gestärkt und zusätzlich
noch Geld gespart wird.

Man kann sich große Buchstaben anschauen und dann
aus den Überschriften herauslesen, wie viel Furchtbares
von diesem Minister gemacht wird. Wenn man dann das
zweite Mal hinschaut, stellt man fest: Im Haushaltsplan
des Bundes für das BMZ werden 700 Stellen am 31. De-
zember dieses Jahres entfallen. 200 werden im Laufe der
Fusion umgewidmet – dafür hat der Haushaltsausschuss
die Voraussetzungen geschaffen –, um die Steuerungsfä-
higkeit zu erhöhen. 500 Stellen netto werden somit im
Haushalt des Bundes entfallen sein.


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Aha! Hört! Hört!)


Darüber hinaus kann man, wie Frau Kollegin Hinz
und Sie, Herr Raabe, es gemacht haben, kritisieren, dass
wir die Steuerung auch bei der neuen Durchführungsor-
ganisation, der Deutschen Gesellschaft für Internationale
Zusammenarbeit, implementieren wollen. Man muss
aber auch hier bitte die Fakten zur Kenntnis nehmen. Die
drei zu fusionierenden Gesellschaften, GTZ, DED und
InWEnt, haben heute sieben Geschäftsführer, drei bei
der GTZ, einer beim DED und drei bei InWEnt.

Wir haben dem Haushaltsausschuss gegenüber klar-
gemacht, dass wir Geld sparen wollen. Der Haushalts-
ausschuss hat völlig zu Recht die Sorge gehabt, dass es
dann, wenn wir aus fünf wahrnehmbaren Geschäftsfüh-
rern sieben machen würden – zwei Geschäftsführer bei
InWEnt werden nämlich immer wieder vergessen; weil
sie nicht Hauptgeschäftsführer sind, sind sie nicht so
präsent, aber sie sind da; schauen Sie einmal auf die In-
ternetseite –, zu einer Vermehrung der Ausgaben kom-
men würde. Das wäre auch richtig, wenn man die Ge-
haltsstruktur der GTZ mit ungefähr 250 000 Euro Gehalt
für die Geschäftsführer zugrunde legen würde. Wir kom-
men der Vorgabe des Haushaltsausschusses nach, indem
wir überhaupt keine Geschäftsführung mehr einsetzen.
Wir werden eine komplett neue Führungsstruktur einset-
zen mit einem Vorstandssprecher und sechs Bereichsvor-
ständen,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


die auch fachliche Zuständigkeit für ihren Bereich ha-
ben. Gleichzeitig wird die gesamte Gehaltsstruktur auf
die Ebene der bisherigen Bereichsleiter abgesenkt,


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Aha! Großartig!)


außer natürlich bei denjenigen, die aufgrund bestehender
Verträge Rechtsschutz genießen.

Wir sorgen auch dafür, dass die Steuerungsfähigkeit
bei Wahrung der Interessen aller Einzelorganisationen
gewahrt bleibt. Die Alt-GTZ kann nicht über den Tisch
gezogen werden, weil der Vorstandssprecher ein Veto-
recht bekommt, also nichts gegen ihn entschieden wer-
den kann. Er muss sich aber aktiv um mindestens einen
weiteren Bereichsvorstand bemühen, wenn er etwas
durchsetzen möchte. Das sichert die Rechte von DED
und InWEnt, dass sie nicht von der Alt-GTZ dann doch
womöglich feindlich übernommen werden. Die Steue-
rungsfähigkeit der Bundesregierung wird für einen
Übergangszeitraum von 2011 bis 2012 durch zwei vom
Bund zu entsendende Bereichsvorstände gestärkt. Es
bleibt also bei der Gesamtzahl sieben bei deutlich abge-
senkter Einkommenshöhe.

Von Einsparungen in Höhe von 2,146 Millionen Euro
im Jahr spricht das Wirtschaftlichkeitsgutachten, das Ih-
nen lange vor den Haushaltsberatungen vorgelegen hat


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Woche vor der Bereinigungssitzung!)


und von BMF und Bundesrechnungshof in diesem Punkt
nicht angegriffen wurde.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707416900

Ich unterbreche Sie ja immer erst, wenn Sie einen

Punkt machen. Deswegen jetzt die Frage: Möchten Sie
eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen
Koppelin zulassen?

Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:

Wenn Sie stoppen, sehr gerne.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1707417000

Herr Minister, könnten Sie noch einmal für Klarstel-

lung sorgen?

Erstens. Kollege Raabe hat ja gesagt, jeder der Ge-
schäftsführer hätte ein Gehalt von 500 000 Euro.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Kosten! – Zuruf von der LINKEN: So wenig?)


Können Sie das bestätigen, oder können Sie noch einmal
konkret sagen, was vorgesehen ist?

Zweitens hat Kollege Raabe Ihnen vorgeworfen, Sie
würden – ich sage es jetzt einmal vereinfacht – nur FDP-
Soldaten dort in den Gremien haben. Werden auch So-
zialdemokraten bei diesem Personaltableau dabei sein?


(Zuruf von der SPD: Parteisoldaten!)


Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:

Ich will die Fragen gerne beantworten. Im Moment ist
es so, dass sich die Gehaltsstruktur für einen Ge-
schäftsführer bei der GTZ auf ein Fixum von 190 000
Euro plus 60 000 Euro variablem Einkommen beläuft.
Bei den zukünftigen Bereichsvorständen wird sich das
Gehalt in einer Größenordnung von 110 000 Euro plus
30 000 Euro variablen Bestandteilen bewegen. Das heißt
also, eine deutliche Verringerung, außer aufgrund der ge-
wachsenen Rechtsansprüche bei denen, die jetzt schon
im Amt sind und im Amt bleiben.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Leitung bleibt eben Leitung! Nur Männer!)






Bundesminister Dirk Niebel


(A) (C)



(D)(B)

Ich will hier, weil sich das Kabinett und die Auf-
sichtsgremien erst noch damit befassen müssen, nichts
über Namen sagen, aber die Struktur, die mir vor-
schwebt, berücksichtigt auch Sozialdemokraten. Das ist
richtig.


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Auch Linke?)


Nachdem Sie, Herr Raabe, nur von Parteisoldaten ge-
sprochen haben, erlauben Sie mir auch das andere im
Rahmen Ihrer Frage aufgeworfene Kriterium anzuspre-
chen: Von den sieben Mitgliedern des neu zu schaffen-
den Vorstandes sind allein fünf, männlich, Überbleibsel
der Vorgängerregierung; denn unter der Vorgängerregie-
rung konnte keine Frau irgendwo in eine gehobene Posi-
tion kommen, weder bei der GTZ noch beim DED, nicht
bei InWEnt, nicht bei der KfW, nicht bei der DEG, nicht
bei der Weltbank und nicht beim DAC.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Allerdings, um das, Herr Koppelin, abschließend zu
erläutern, habe ich schon eine Dame zur Exekutivdirek-
torin bei der Weltbank gemacht. Durch die Initiative von
Gudrun Kopp wird zum 1. Januar eine zusätzliche Auf-
sichtsrätin in der DEG installiert werden, übrigens Frau
Professor Dr. Weder di Mauro, deren Kompetenz Sie ja
wohl kaum anzweifeln werden.

Das zeigt, dass wir von null Frauen in Führungsposi-
tionen in Ihrer Verantwortung auf zwei Frauen in Füh-
rungspositionen gekommen sind. Lothar Binding, der
nachher noch spricht, ist gelernter Mathematiker. Er
wird Ihnen bestätigen, dass man diese Steigerung nicht
einmal prozentual beschreiben kann.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie
sehen: Der Haushalt, den wir heute beschließen, bildet
die entscheidende Grundlage für die wichtigen Maßnah-
men im Rahmen der Strukturreform. Ich weiß, dass zu-
mindest die Grünen dem Haushalt nicht zustimmen wer-
den; sie werden ihn ablehnen. Mittlerweile lehnen Sie
auch Bahnhöfe und Olympische Spiele ab. Insofern kann
ich Ihnen nur sagen: Immer nur dagegen zu sein, bringt
Deutschland nicht voran, schon gar nicht, wenn es um
die Sicherung der Rechte der ärmsten Menschen auf die-
ser Welt geht.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707417100

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem

Kollegen Sascha Raabe.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1707417200

Ich muss schon die Äußerung von Herrn Koppelin zu-

rückweisen. Er hat behauptet, ich hätte gesagt, jeder der
Geschäftsführer hat ein Gehalt von 500 000 Euro. Ich
habe aber gesagt: Er „kostet etwa 500 000 im Jahr“.
Diese Zahl ergibt sich, wenn man die ganzen indirekten
Kosten und Leistungen hinzurechnet.


(Harald Leibrecht [FDP]: Das ist aber großzügig gerechnet!)


Zweitens. Meine Äußerung zur Besetzung bezog sich
nicht auf die neue Geschäftsführung. Diejenigen, mit de-
nen ich bis jetzt gesprochen habe, haben gesagt, dass sie
Geschäftsführer werden, und haben sich darüber gefreut.
Auf einmal hören wir, dass sie sich irgendwie anders
nennen. Ich glaube, die sieben, die benannt wurden, ha-
ben sich eher im Range eines Geschäftsführers gefühlt;
Ich glaube, das ist auch so. Ich habe aber nicht gesagt,
dass dort nur FDP-Parteisoldaten untergebracht sind,
sondern habe gesagt, in der bisherigen Personalpolitik ist
das so.

Herr Minister Niebel, Sie haben schon hundertfach
die Kritik des Personalrats gehört, dass Sie im Prinzip
kompetente Leute herausschmeißen und sie durch FDP-
Parteisoldaten ersetzen. Das haben wir auch bei Eckhard
Deutscher, dem früheren Exekutivdirektor bei der Welt-
bank, erlebt.

Herr Minister, ich war einmal Bürgermeister einer
kleinen Gemeinde. Als ich dort Bürgermeister war, habe
ich, als ich Stellen besetzt habe, immer darauf geachtet,
dass keiner sagen kann: Die Stelle ist nach deinem Par-
teibuch besetzt worden. Mir wäre nie in den Sinn ge-
kommen,


(Zurufe von der CDU/CSU: Nie!)


den Leiter meiner Personalabteilung – ausgerechnet den,
der für die Einstellungen in meinem Rathaus zuständig
ist – nach SPD-Parteibuch zu besetzen. Selbst wenn da
einer sehr qualifiziert gewesen wäre, hätte ich gesagt:
Ich möchte mich nicht dem Vorwurf aussetzen, nach
Parteibuch entschieden zu haben.


(Harald Leibrecht [FDP]: Das glaubt dir kein Mensch!)


Sie haben jetzt selbst die Stelle des Personalleiters – des-
jenigen, der für die Stellenvergabe zuständig ist – mit ei-
nem FDP-Kreisvorsitzenden besetzt. Ebenso steigt Herr
Paetz in die Geschäftsführung auf. Da kann ich nur sa-
gen: Hören Sie einmal auf Ihren Personalrat! Verschaf-
fen Sie sich dadurch Respekt, dass Sie Menschen nach
Leistungsfähigkeit und Kompetenz einstellen und nicht
nach dem Parteibuch.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707417300

Herr Bundesminister zur Antwort.

Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:

Kollege Raabe, zunächst möchte ich sagen: Es ist fast
so, als wenn Opa vom Krieg erzählt; diese Rede haben
wir schon mehrfach gehört. Sie unterstreichen mit be-
merkenswerter Klarheit meine Aussage über die
Schlichtheit der Äußerung.





Bundesminister Dirk Niebel


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Wenn Sie mich schlicht nennen, dann sind Sie dumm!)


Nichtsdestotrotz möchte ich einen Punkt klarstellen.
Nachdem Sie schon mehrfach in diesem Hause versucht
haben, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Res-
sorts zu beleidigen, dürfen Sie bitte zur Kenntnis neh-
men, dass der von Ihnen angesprochene Referatsleiter
im Personalbereich ein qualifizierter Beamter in einem
anderen Bundesministerium war. Er ist von Bundes-
ministerium zu Bundesministerium versetzt worden; es
war also nicht einmal eine der von Ihnen als widerlich
angeprangerten externen Besetzungen. Diese hervorra-
gende, kompetente Persönlichkeit ist im Übrigen zu
100 Prozent schwerbehindert.


(Agnes Malczak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das damit zu tun? Sie sind als Minister unhaltbar!)


Er ist wie Sie oder ich keine Frau; das ist richtig. Er ist
aber wirklich kompetent und schließt eine große Lücke
im Bereich der Beschäftigung von Schwerbehinderten,
die in einem Ressort, das für das Gute in der Welt zu-
ständig ist, durchaus im eigenen Hause geschlossen wer-
den sollte.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Peinlich! Sie sind ein Kirmesboxer!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707417400

Ich will gern darauf hinweisen, dass es keine Kurz-

intervention zur Kurzintervention gibt.

Ich gebe das Wort dem Kollegen Niema Movassat für
die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707417500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Bezüglich des Entwicklungsbudgets stecken wir seit
Jahrzehnten in einer Endlosschleife. Wieder wird ein
neuer Haushalt verabschiedet; wieder ist er meilenweit
vom internationalen Versprechen Deutschlands entfernt,
die Quote der Entwicklungshilfe bis 2015 auf 0,7 Pro-
zent des Bruttonationalprodukts zu steigern. Laut
Europäischer Kommission beträgt die Lücke zwischen
zugesagten und tatsächlich gezahlten Entwicklungshilfe-
geldern in Deutschland im Jahr 2010 mittlerweile ganze
2,7 Milliarden Euro. Dabei bräuchten wir jedes Jahr
knapp 2 Milliarden Euro mehr, um das 0,7-Prozent-Ziel
zu erreichen. Laut Regierungsplanung werden aber bis
2014 fast 400 Millionen Euro weniger in den Entwick-
lungsetat fließen. Das ist eine völlig falsche Weichen-
stellung.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin zwar erst zum zweiten Mal bei den Haushalts-
beratungen dabei, aber eine Frage an meine Kolleginnen
und Kollegen, die schon länger dabei sind: Kommen Sie
sich nicht langsam lächerlich vor? Sie schieben sich je-
des Jahr aufs Neue gegenseitig die Schuld in die Schuhe
– auch heute wieder – und erfinden immer wieder neue
Ausreden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie alle waren oder sind aber in der Regierung und haben
alle zu wenig dafür getan, dass wir das Ziel erreichen.


(Beifall bei der LINKEN)


Von den für die Entwicklungsarbeit ausgewiesenen
Geldern fließen nur circa 40 Prozent in die Partnerlän-
der. Der Rest sind Kosten, unter anderem für Abschie-
bung, Verwaltung und Unterkünfte der Bundeswehr in
Afghanistan. Was sich irgendwie mit Entwicklungslän-
dern in Verbindung bringen lässt, rechnen Sie in die Ent-
wicklungsquote mit ein. Sie sollten einmal überdenken,
was Sinn und Zweck des 0,7-Prozent-Ziels ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Es soll Geld zur Verfügung gestellt werden, um nachhal-
tige Entwicklung zu ermöglichen, damit grundlegende
Menschenrechte wie Bildung und Gesundheit endlich
auf der ganzen Welt gewährleistet sind. Ganz sicher ist
es nicht Sinn und Zweck, durch Buchungstricks irgend-
wann formal die 0,7-Prozent-Marke zu erreichen, damit
Sie sich dann auf die Schulter klopfen können.


(Beifall bei der LINKEN)


In einem Punkt bleiben Sie, Herr Niebel, sich treu:
Die Mittel für Ihr Lieblingsprojekt „Entwicklungspart-
nerschaft mit der Wirtschaft“ erhöhen Sie um satte
25 Prozent. Schauen wir uns doch einmal diese öffent-
lich-privaten Partnerschaften, kurz PPP genannt, ge-
nauer an. Das erste Problem ist, dass sich die Interessen
der Unternehmen häufig nicht mit den Anforderungen an
die Entwicklungszusammenarbeit decken.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Unternehmen gehen nun einmal ungern in Staaten mit
einer instabilen Wirtschaft oder einer schlechten Infra-
struktur. Viele Staaten Afrikas, insbesondere ländliche
Regionen, bleiben damit außen vor. Auch die Bereiche,
die für nachhaltige Entwicklung eine große Rolle spie-
len, also kostenloser Zugang zu Bildung, Gesundheit
und Wasser, kommen bei PPPs viel zu kurz. Hierfür wer-
den nur 15 Prozent der Gelder ausgegeben; denn für die
Privatwirtschaft sind hier kaum Profite zu machen.


(Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Die PPPs binden also Mittel, die in anderen Bereichen
dringend benötigt werden. Da die Unternehmen nur in
lukrative Bereiche investieren, ist völlig unklar, ob sie
die Projekte nicht ohnehin durchgeführt hätten. Deshalb
handelt es sich bei PPPs oft schlichtweg um verdeckte
Subventionen. Das ist Außenwirtschaftsförderung, nicht
Entwicklungszusammenarbeit.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])






Niema Movassat


(A) (C)



(D)(B)

Das zweite Problem: Im PPP-Programm des Entwick-
lungsministeriums sind nur deutsche bzw. europäische
Unternehmen antragsberechtigt, Firmen aus Partnerlän-
dern nicht. Das führt das ganze Konzept der PPPs end-
gültig ad absurdum. Es trägt nicht zur Stärkung der loka-
len Wirtschaft bei. Sie betreiben ganz antiliberal – das
stellt auch die Deutsche Welthungerhilfe fest – Wettbe-
werbsverzerrung zugunsten deutscher Unternehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Die letzte Evaluation des gesamten PPP-
Konzepts gab es vor acht Jahren. Niemand käme in der
Wirtschaft damit durch, nur alle zehn Jahre Bilanz zu
ziehen. Wenn Sie schon mit der Wirtschaft kooperieren,
dann legen Sie wenigstens in diesem Punkt dieselben
Standards an.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen: Das Geld wäre in den Bereichen „ländli-
che Entwicklung“ oder „Hungerbekämpfung“ angesichts
fast 1 Milliarde Hungernder wesentlich besser aufgeho-
ben.

Ungenügend sind auch die Bemühungen der Bundes-
regierung zur Abschaffung der Agrarexportsubventio-
nen. So subventioniert die Europäische Union Milch
und macht sie dadurch künstlich billiger. Das Milchpul-
ver landet dann in afrikanischen Staaten. Die Kleinbau-
ern vor Ort können mit diesen Dumpingpreisen nicht
konkurrieren. Lokale Milchmärkte wie in Sambia wur-
den dadurch zerstört und Bauern in Armut und Elend ge-
trieben. Dasselbe Spiel kennen wir in Ghana mit den To-
maten und in Ägypten mit dem Getreide. Aber statt die
Agrarexportsubventionen bis 2013 wie versprochen ab-
zuschaffen, will die Europäische Kommission bei der
Neugestaltung der europäischen Agrarpolitik bis 2020
an den Subventionen festhalten. Die Bundesregierung
muss ihren Einfluss geltend machen, damit diese Pläne
nicht Wirklichkeit werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Also: Zu wenige Mittel und zu viel Wirtschaftsorien-
tierung, das sind Kernpunkte Ihrer Entwicklungspolitik.
Die Linke wird diesem Haushaltsentwurf daher natürlich
nicht zustimmen.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707417600

Jetzt hat Thilo Hoppe das Wort für Bündnis 90/Die

Grünen.


Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707417700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben heute in den Reden schon mehrfach vom
DAC Peer Review gehört. Einige werden sich fragen,
was das ist. Dahinter verbirgt sich nicht Donald Duck
oder eine lahme Ente, sondern der Entwicklungsaus-
schuss der OECD-Staaten. Das ist der Verbund der
Industrienationen, die Entwicklungszusammenarbeit be-
treiben. Der Peer Review ist eine Art Überprüfungs-
mechanismus. Delegationen reisen in ein bestimmtes
Geberland und nehmen die Entwicklungszusammen-
arbeit unter die Luppe. Dann listen sie in einem langen
Bericht das Positive und Negative auf und bringen kon-
struktive Kritik an.

Vor kurzem war Deutschland an der Reihe. Auch da-
rüber haben die Inspektoren einen langen Bericht ge-
schrieben, in dem sie Positives und Negatives aufgelistet
haben. Sie haben – das muss man fairerweise sagen – die
Entwicklungspolitik der letzten vier bis fünf Jahre unter
die Luppe genommen, also nicht nur die Entwicklungs-
politik dieser Regierung, sondern auch die der Vorgän-
gerregierung.

Da wir uns in der Haushaltsdebatte befinden, greife
ich eine Passage zum Thema Entwicklungsfinanzierung
heraus. Da heißt es: „Germany is far off-track …“
Deutschland ist also weit davon entfernt, seine Zusagen
einzuhalten. Der Bericht fordert – ebenso wie die evan-
gelische und die katholische Kirche, wie VENRO, also
der Verband der Nichtregierungsorganisationen, und wie
auch die Oppositionsparteien – von der Bundesregierung
einen Plan, aus dem glaubhaft und nachvollziehbar her-
vorgeht, wie denn das 0,7-Prozent-Ziel bis 2015 tatsäch-
lich erreicht werden kann. Das ist wohl nichts Neues.

Aber es gibt auch eine Passage, die mir zunächst ent-
gangen war und die sich mit der Rolle der Parlamentarier
und ganz speziell des Entwicklungsausschusses beschäf-
tigt. Der DAC Peer Review schlägt vor, dass wir uns
fraktionsübergreifend zusammensetzen und dass wir ge-
meinsam eine Initiative nach dem Motto „Keep the pro-
mise!“ – haltet das Versprechen – starten. Das könnte
dazu führen, dass sich zum Schluss die Parlamentari-
schen Geschäftsführer und die Fraktionsvorsitzenden zu-
sammensetzen und sich darauf verständigen: Ja, es gibt
zwar große Sparzwänge, aber wenn wir das gemeinsam
stemmen und uns später gegenseitig keine Vorwürfe ma-
chen, dann vereinbaren wir, dass wir jetzt die Lücke
schließen. – Es geht um 2 bis 3 Milliarden Euro, die
jährlich hinzukommen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Jetzt sagen einige, das sei utopisch und unrealistisch.
In Großbritannien hat es aber auf diesem Wege ge-
klappt. Man hat die Debatte aus dem parteipolitischen
Hickhack mit den gegenseitigen Schuldzuweisungen,
wie wir sie heute wieder hier erlebt haben, herausge-
nommen. Das hat dazu geführt, dass die dortige konser-
vativ-liberale Regierung in Großbritannien trotz drama-
tischerer Sparzwänge einen Etat vorgelegt hat, der
Absenkungen in fast allen Ressorts, aber Zuwächse bei
der Entwicklungszusammenarbeit vorsieht. Es wird also
nicht bei den Ärmsten der Armen gespart. Die Opposi-
tion, also die Labour Party, hat versprochen, dass sie das
nicht populistisch ausnutzen wird nach dem Motto „Seht
mal, hier in England wird gespart, aber in Afrika wird
das Geld zum Fenster herausgeworfen“.

Den Bedenken, wie diese Politik bei der Bevölkerung
ankommt, ist man durch eine gemeinsame Vereinbarung
der Fraktionsvorsitzenden begegnet. Genau das schlägt





Thilo Hoppe


(A) (C)



(D)(B)

der DAC Peer Review vor. Ich finde, das ist eine sehr
spannende gemeinsame Initiative, für die ich Sie gerne
gewinnen möchte. Warum sollten wir das, angespornt
von VENRO, von den Kirchen und von der Micha-
Initiative, die sich gebildet hat, nicht tun? Es ist finan-
zierbar. Das Geld ist vorhanden. Angesichts der Notwen-
digkeit der Haushaltskonsolidierung und anderer Spar-
zwänge ist dies für manche nur schwer zu vertreten.
Aber wenn wir das gemeinsam machen, dann können
wir es schaffen. Dann können wir sagen: Keep the pro-
mise! Yes, we can!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707417800

Dagmar Wöhrl hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1707417900

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Kollege

Hoppe, ich kann sagen – ich glaube, da spreche ich im
Namen aller, die im Ausschuss sind –, dass wir an dem
Ziel festhalten und es erreichen wollen. Aber wir haben
auf einer sehr niedrigen Ausgangsbasis angefangen.

Sie wissen ganz genau, wie bei den Vorgängerregie-
rungen die ODA-Quote erfüllt worden ist, nämlich größ-
tenteils durch Schuldenerlasse. Das ist das Problem. Es
wurde nicht mehr Geld ausgegeben, sondern es gab
Schuldenerlasse, was die Entwicklung in diesen Ländern
natürlich nicht vorangebracht hat.

Wir wissen, die Zeiten sind inzwischen schwieriger
geworden, als sie es damals waren. Wir haben immens
viele Krisen hinter uns. Ich will jetzt nicht näher auf die
Finanzmarktkrise, die Wirtschaftskrise, die Nahrungs-
mittelpreiskrise, Ernährungskrise und auf die Naturkata-
strophen eingehen. Trotzdem haben wir es geschafft, ei-
nen Sparhaushalt auf den Weg zu bringen – ich erinnere
an die 80 Milliarden Euro –, weil wir sehen, dass wir un-
seren Kindern die Chance geben müssen, dass sie auch
künftig ein steuerbares Sozialsystem haben. Deswegen,
glaube ich, ist es wichtig, hier zu sagen, dass wir für die-
sen Etat mit 6,22 Milliarden Euro, den wir jetzt haben,
wirklich dankbar sein müssen,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


dass wir dankbar sein müssen, dass wir in dieser Situa-
tion, in der wir jetzt und heute stehen, keine Federn las-
sen mussten. Das ist nicht selbstverständlich, wenn Sie
sich die Einzelpläne anderer Ministerien ansehen. Des-
halb ein herzliches Dankeschön an alle, die dabei mitge-
wirkt haben, an die Finanzpolitiker und auch an die
Haushälter in diesem Haus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir sind immer noch einer der größten Geber bei den
internationalen Institutionen. Ich glaube, ein Kapitalan-
teil von 4,6 Prozent bei der Weltbank kann sich sehen
lassen.
Wir haben diese Regierung jetzt seit etwas über einem
Jahr, und ich sehe, was inzwischen alles auf den Weg
gebracht worden ist. Wenn ich nur an die Reform der In-
stitutionen, an die Zusammenlegung im Rahmen der
technischen Zusammenarbeit, denke, dann muss ich fest-
stellen, dass das ein Werk ist, das Vorgängerregierungen
nicht einmal angedacht haben, geschweige denn auf den
Weg gebracht haben.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Jetzt reicht es aber langsam!)


Heute sind wir auf einem positiven Weg. Es ist noch im-
mens viel zu tun, es muss hier noch ein neues Geschäfts-
modell entwickelt werden. Das wissen wir. Die GIZ wird
ein großer Goliath, der steuerbar sein muss. Ich wünsche
dem Minister wirklich alles Gute dabei, diese Steuerung
auf den Weg zu bringen.

Wir erhoffen uns eines – ich glaube, wir alle erhoffen
uns das –: Wir wollen mehr Übersichtlichkeit haben, wir
wollen auch mehr Wirtschaftlichkeit haben. Das sind in
diesem Zusammenhang die Schüsselwörter.

Ich erinnere mich daran, dass es in allen Reden heißt:
Mehr Geld, mehr Geld, mehr Geld. Aber ist das wirklich
so, dass wir dann, wenn wir mehr Geld in die Hand neh-
men würden,


(Frank Schwabe [SPD]: Bei Ihnen nicht!)


in den Ländern noch mehr bewirken würden? Sollten wir
uns nicht eher fragen: Wie sehen wir zukünftig über-
haupt eine effizientere Entwicklungspolitik? Wie wollen
wir die Entwicklungspolitik zukünftig gestalten? Wollen
wir die alten Wege, die oft nicht sehr vielversprechend
gewesen sind, weiter beschreiten, oder wollen wir neue
Wege und auch effizientere Wege einschlagen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin der Auffassung, dass überhaupt nicht zur Dis-
kussion steht, dass Gelder eingesetzt werden. Das sieht
auch unsere Koalition so. Ich glaube, das ist unstrittig.

Aber man muss auch eines sehen: Wir brauchen
starke Geberländer. Wir brauchen Geberländer, die einen
soliden Haushalt haben; denn wir wollen ja, dass diese
Geberländer auch in Zukunft Entwicklungshilfe leisten
können,


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


und das nicht nur mit den Mitteln des nächsten Etats,
sondern über Jahrzehnte hinweg. Deswegen ist die
Haushaltskonsolidierung in diesem Bereich so wichtig.

Wir werben für mehr gegenseitiges Verständnis bei
den Entwicklungsländern, bei den Schwellenländern, bei
den Geberländern. Wir alle sitzen in einem Boot. Wir
müssen die Erkenntnis gewinnen – ob das die Entwick-
lung im Süden ist, ob das die Lebenschancen, die Poten-
ziale der vielen Menschen in den Entwicklungsländern
sind –, dass uns das alles auch hier in Deutschland etwas
angeht. Das müssen wir in der Öffentlichkeit noch viel
mehr herüberbringen, als wir es in der Vergangenheit ge-
macht haben. Das heißt, um die Armut zu bekämpfen,





Dagmar Wöhrl


(A) (C)



(D)(B)

brauchen wir ein weltweites Netzwerk aller, die daran
teilhaben.

Außerdem brauchen wir dringend einen Perspektiv-
wechsel. Ich bin noch nicht so lange in der Entwick-
lungspolitik aktiv, aber ich habe gemerkt, dass wir die-
sen Perspektivwechsel brauchen: weg von dem – in
Anführungszeichen – „betreuten Opfer“ hin zum eigen-
verantwortlichen Akteur in den einzelnen Ländern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das ist der Weg, den wir einschlagen müssen, um das zu
erreichen.

Frau Hänsel, in diesem Zusammenhang sind die Ge-
berländer in der Pflicht; ich glaube, das ist auch Ihre
Meinung. Wir müssen sie viel stärker in die Verantwor-
tung nehmen, als wir es in der Vergangenheit gemacht
haben. Das Ownership-Prinzip, wie es in der Pariser Er-
klärung steht, ist der richtige Weg zu mehr Wirksamkeit.

Sie müssen sehen: Es gibt die internationale Ebene.
Die Staatengemeinschaften haben große Ziele. An der
Erreichung dieser Ziele müssen auch die Entwicklungs-
und Schwellenländer mitarbeiten. Ich erwähne nur das
Klimaschutzabkommen. Es gibt daneben die nationale
Ebene. Auf der nationalen Ebene haben diese Länder na-
türlich eine Verantwortung ihren Bürgern gegenüber. Sie
müssen dafür sorgen, dass es eine Gesundheitsvorsorge,
Bildungseinrichtungen und vieles andere mehr gibt. Das
heißt, sie müssen mitentscheiden, aber vor allem eines:
Sie müssen mitverantworten. Sie müssen die Verantwor-
tung für ihr eigenes Volk tragen.

Präsident Obama hat in seiner Rede vor dem ghanai-
schen Parlament gesagt – ich zitiere –:

Die Geschichte liefert ein klares Urteil: Regierun-
gen, die den Willen ihrer Bevölkerung respektieren,
sind wohlhabender, stabiler und erfolgreicher als
Regierungen, die dies nicht tun.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das solltet ihr euch mal merken!)


Was folgt daraus? Ich glaube, man sieht, dass es
falsch ist, Regierungen, denen die eigene Bevölkerung
egal ist, zu päppeln, Geld zuzuschießen. Deren Macht
endet am Rand ihrer Hauptstadt. Dort ist der Misserfolg
für das Land, für das Volk vorprogrammiert. Deswegen
ist es wichtig, dass wir dort, wo wir merken, dass Regie-
rungen nicht verantwortungsvoll mit ihrer Bevölkerung
umgehen,


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: So wie Stuttgart! Mappus geht schlecht mit seiner Bevölkerung um!)


versuchen, an die Bevölkerung selbst heranzukommen,
ohne den Umweg über schlechte Regierungen zu gehen.
Ich möchte jetzt nicht länger auf Budgethilfe und ande-
res in diesem Zusammenhang eingehen. Das ist ein
wichtiger Punkt. Wir sind dankbar, dass uns die Zivilge-
sellschaften hier sehr stark unterstützen.
Wir müssen mehr Sensibilität wecken. Wir müssen
die immensen Potenziale, die es gibt, stärken, damit
diese Länder unabhängig werden. Denn eines ist klar:
Impulse setzen können wir, aber die schöpferische Kraft,
um etwas aus den Impulsen zu machen, müssen die Ent-
wicklungsländer selbst aufbringen. Man kann kein Land
von außen entwickeln.

Ich bedanke mich vielmals für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707418000

Der Kollege Hoppe erhält die Möglichkeit für eine

Kurzintervention.


Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707418100

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Kol-

legin, ich stimme Ihren Analysen und alldem, was Sie
gesagt haben, zu. Aber es führt kein Weg daran vorbei,
dass wir zur Erreichung der Millenniumsziele bessere
und mehr Entwicklungszusammenarbeit und auch mehr
Geld brauchen. Das ist auch im Koalitionsvertrag so
festgelegt.

Mich würde interessieren, wie Sie den Vorschlag aus
dem DAC Peer Review, dass wir versuchen sollten, hier
im Parlament fraktionsübergreifend Konsens herzustellen,
finden. Den Kolleginnen und Kollegen in Großbritannien
ist dies geglückt. Dort haben alle Fraktionen gesagt:
0,7 Prozent werden beiseitegelegt, über den Restkuchen
kann man sich in den Etatverhandlungen unterhalten.
Man hat es in Großbritannien geschafft, das 0,7-Prozent-
Ziel als sakrosankt und unantastbar zu erklären. Dies ge-
schah aus einer Initiative des dortigen Entwicklungsaus-
schusses heraus. Das hat die Sache weit vorangebracht.
Sollten wir bei uns im AWZ nicht auch versuchen, solch
eine Initiative auf den Weg zu bringen?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707418200

Bitte schön, Frau Kollegin Wöhrl.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1707418300

Lieber Kollege Hoppe, ich glaube, wir alle würden

nichts lieber tun, als einen Konsens zu finden, um das
0,7-Prozent-Ziel sehr kurzfristig zu erreichen. Aber, ich
glaube, uns allen ist auch klar, dass wir gegenüber den
Generationen in unserem eigenen Land Verantwortung
hinsichtlich der Haushaltskonsolidierung haben. Für uns
ist es primäres Ziel, den Haushalt schnell zu konsolidie-
ren. Wir haben eine Schuldenbremse im Grundgesetz
verankert. Wir alle sind uns einig: Sobald erreicht ist,
dass wir wieder agieren können, können wir viel mehr
Geld in all den Bereichen einsetzen, wo wir es uns wün-
schen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707418400

Das Wort erhält nun der Kollege Lothar Binding für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1707418500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-

nächst zu dem Streit über die Wirksamkeit. Ich glaube,
wir sind uns einig, dass viel Geld, das effizient einge-
setzt wird, besser ist als wenig Geld, das ineffizient ein-
gesetzt wird. Ich glaube, darum ging es in dem Streit,
den wir vorhin geführt haben.

Irritiert hat mich, wie über Mitarbeiter von Durchfüh-
rungsorganisationen gesprochen wurde. Ich glaube,
wenn man auf die Kompetenz der GTZ vertraut, ist man
nicht „hörig“.


(Beifall bei der SPD)


Wenn man auf die Kompetenz des BMZ vertraut, ist
man auch nicht hörig. Wir sollten uns klarmachen, was
der Evangelische Entwicklungsdienst, ONE, GAVI, Mi-
sereor, VENRO und andere leisten. Auf deren Expertise
können wir uns verlassen – man muss immer wieder et-
was nachprüfen; das ist völlig klar –, deshalb ist man
aber nicht hörig. Ich glaube, so wie vorhin geschehen,
sollten wir nicht über die Durchführungsorganisationen
reden. Denn dann stellt man etwas gegeneinander, das
man nicht gegeneinander stellen sollte. Ich glaube, es tut
dem Minister nicht gut, wenn er in dieser Weise verfährt.


(Beifall bei der SPD)


Das passt auch gar nicht zu der wirklich guten Atmo-
sphäre, in der die Berichterstatterrunden stattfanden. Mit
unserer Chefin Priska Hinz und den Kollegen Volkmar
Klein, Jürgen Koppelin und Dietmar Bartsch waren wir
ein recht gutes Team, das die verschiedenen Themen er-
arbeitet hat. Bärbel Kofler und Sascha Raabe haben
mich im AWZ sehr stark unterstützt; das gilt allerdings
auch für Herrn Schmidt, Herrn Beerfeltz und Dirk
Niebel. Es war insgesamt eine gute Kooperation. Uns
wurden alle Fragen beantwortet. Das ist eine gute Ar-
beitsbasis. Im Parlament darf es ruhig ein bisschen hoch
hergehen; aber die Arbeitsbasis sollte man nicht zerstö-
ren. Die Ministerien haben eine extrem hohe fachliche
Kompetenz. Ich glaube, wenn man diese Kompetenz mit
der Kompetenz des Parlaments zusammentut – als wei-
tere Beispiele nenne ich GTZ, KfW, DED und InWEnt –,
dann haben wir einen Fundus, aus dem wir schöpfen
sollten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Einbringung des Haushalts hat Dirk Niebel
voller Stolz gesagt: Mein Haushalt wächst um
3 Millionen Euro. – Interessanterweise hat die Anzeige,
die die Kanzlerin vor kurzem geschaltet hat, Kosten in
genau dieser Größenordnung verursacht. Diese Anzeige
wurde übrigens rein zufällig einen Tag nach dem CDU-
Parteitag geschaltet. Solche Zufälle gibt es; das kann
schon einmal passieren.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Holger Haibach [CDU/CSU]: Das ist in Ihrer Regierungszeit nie vorgekommen, oder?)


– Nicht in dieser Weise; aber darüber können wir gleich
vielleicht noch reden.

(Joachim Günther [Plauen] [FDP]: In welcher Weise denn dann? – Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Jetzt freue ich mich; denn man will mir hoffentlich
eine Zwischenfrage stellen.


(Holger Haibach [CDU/CSU]: Wie war das noch mal mit dem Stellen von Zwischenfragen durch Mitglieder der eigenen Fraktion?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707418600

Diese Überraschung ist außerordentlich gut gelungen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1707418700

Ja.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707418800

Insofern erteile ich vereinbarungsgemäß der Kollegin

Hendricks das Wort zu einer Zwischenfrage.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1707418900

Genau, Herr Präsident. Sie konnten nicht dabei sein,

als Herr Koppelin sowohl seinem Minister Zwischenfra-
gen stellte als auch Kurzinterventionen anschloss. Inso-
fern kann ich nachvollziehen, dass Sie meine Hand-
lungsweise überrascht.

Herr Kollege, es hat auch mich ein bisschen über-
rascht, dass die großformatigen Anzeigen der Bundes-
kanzlerin ausgerechnet einen Tag nach dem CDU-Partei-
tag geschaltet worden sind. Können Sie mir erläutern,
wie das mit diesen Kosten zusammenhängt?


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh! – Dr. h. c. Gernot Erler [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Das habt ihr doch genauso gemacht!)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1707419000

Das kann ich tun. Zumindest kann ich die Anzeige

einmal hochhalten.

Dirk, du hast damit nichts zu tun. Ich möchte dich in
einer wichtigen Angelegenheit unterstützen. Denn dein
Stolz hätte sich verdoppelt. Mit dieser Anzeige hätten
wir den im Entwurf vorgesehenen Aufwuchs verdoppeln
können. Das heißt, nur diese eine Anzeige hätte zu
100 Prozent mehr Leistungsfähigkeit des BMZ geführt.
Das ist doch eine erkleckliche Zahl.

Worum geht es wirklich? Es geht in dieser Anzeige
essenziell um das Thema Sparen. Wir haben heute schon
des Öfteren gehört, dass wir überall sparen müssen.
Diese Anzeige fängt mit „Sie“ an – gemeint sind also Sie
alle, die Sie diesen Text lesen –:





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)

Sie haben Deutschland zu dem Land gemacht, das
die weltweite Wirtschaftskrise am besten gemeistert
hat.

Das ist das Lob für das Volk. Ein solches Lob nimmt je-
der gern an.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dem Psychologen, der sich das ausgedacht hat, kann
man nur sagen: Sauber, wunderbar. Er hat recht.

Dann kommt es zu einem interessanten Schwenk:

Ohne die gemeinsame Anstrengung aller wäre
uns …

Plötzlich heißt es „uns“. Gemeint sind also wir alle, die
Kanzlerin inklusive. Das allein ist nicht so schlimm; das
ist nur nicht gelungen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707419100

Herr Kollege, ich möchte Sie nur darauf aufmerksam

machen, dass ich nicht die Absicht habe, –


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1707419200

Ja. Ich muss das aber noch vortragen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707419300

– ja; ich habe das wohl begriffen, unter jedem Ge-

sichtspunkt –, Ihre Redezeit aufgrund Ihrer kunstvollen
Dauerbezugnahme auf eine heute bereits mehrfach ge-
würdigte Anzeige ins Unermessliche zu verlängern.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1707419400

Das brauchen Sie nicht zu tun. Ich beeile mich.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707419500

Ich finde, die Frage der Kollegin Hendricks ist über-

zeugend beantwortet worden. Sie können jetzt in Ihrer
Redezeit fortfahren.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1707419600

Ich fahre in meiner Redezeit fort:

Auch wir in der Bundesregierung haben dafür
gearbeitet …

Jetzt heißt es „auch wir“, nicht mehr „wir alle“, sondern
auch die Bundesregierung. Das ist eine deutliche Redu-
zierung.

Jetzt kommt etwas ganz Schönes:

So hat die Kurzarbeiterregelung geholfen …

Wer bei Kurzarbeiterregelung nicht an Olaf Scholz, Peer
Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier denkt, der hat
ein Problem mit sich.


(Holger Haibach [CDU/CSU]: Herr Kollege, das ist die falsche Debatte!)

Es geht dann weiter, dass Arbeitsplätze gesichert wor-
den seien und dass auch die finanziellen Entlastungen
der Unternehmen geholfen hätten. Und jetzt kommt et-
was ganz Interessantes:


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Können Sie nicht die ganze Anzeige vorlesen? Das wäre sehr hilfreich!)


– Nein, es ist ganz gut, wenn Sie das aufnehmen.

Erstes Versprechen: Wir sichern die Finanzen. Wir
sparen …


(Beifall bei der FDP)

Wir! Jetzt ist die Regierung gemeint. Und wo wird wirk-
lich gespart? Das sage ich mit Blick auf die Reden, die
bisher gehalten worden sind: beim Elterngeld, beim
Heizkostenzuschuss, beim Übergangsgeld und bei den
Renten für Arbeitslosengeld-II-Empfänger.

Außerdem wird bei einer weiteren interessanten
Komponente gespart, nämlich in der Entwicklungspoli-
tik. Das möchte ich mit einem Beispiel deutlich machen
– Dirk Niebel hat das im Ausschuss etwa so erklärt –:
Wenn er 1 Euro hat und damit seine Kinder ernährt, dann
ermöglicht das den Kindern, weil sie sich um die Ernäh-
rung nicht mehr kümmern müssen, eine Schule zu besu-
chen, sich zu bilden. Dann freut sich seine Frau, und
seine Frau ist im Wesentlichen zufrieden. Dirk Niebel
hat einen Stammhalter, und er hat damit die Alterssiche-
rung gerettet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was bedeutet das? Mit 1 Euro hat er fünf Funktionen

erfüllt: Kinder, Bildung, Ernährung usw. Das heißt, wir
könnten, wenn wir in diesem Einzelplan so rechnen, wie
Dirk Niebel mir das vorgerechnet hat, sein Gehalt auf
ein Fünftel kürzen, und es hat noch immer den gleichen
Effekt. Die Erklärung in der Entwicklungspolitik war,
dass es, wenn man 1 Euro für etwas ausgibt, das auch
woanders hilft, in Wahrheit 2 Euro sind. Das ist eine su-
pergute Erklärung.


(Beifall bei der SPD)

Sie ist aber leider, wenn man sich das etwas genauer an-
schaut, ein Problem.

In Wahrheit müssen wir sagen: Es geht vielmehr um
eine sozialethische Dimension in der Entwicklungszu-
sammenarbeit. In einer sozialethischen Dimension lässt
es sich legitimieren, eigene Interessen zu verfolgen; das
stimmt. Idealtypischerweise – so sagt das jedenfalls das
Institut für christliche Ethik und Politik – ist es sogar le-
gitim, eine nachhaltige Win-win-Situation anzustreben.
Ich glaube, darauf könnte man sich verständigen.

Wenn aber der Bundesminister seine Politik auf Ab-
satzmärkte für deutsche Unternehmen orientiert – nur
darauf –, dann ist das ein Rückfall in eine Zeit, in der die
Modernisierungstheorie galt, der jedenfalls wir nicht fol-
gen wollen. Das ist eine Zeit, die in die Nachkriegsge-
schichte gehört. Diese Theorie hat sich nicht bewährt
und ist in den armen Ländern kontraproduktiv. Wir wol-
len den Süden nicht dazu missbrauchen, Rohstoffliefe-
rant zu sein, sondern wir wollen mit ihm auf andere
Weise kooperieren.





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Niebel irritiert meines Erachtens, wenn er als deut-
scher Wirtschaftsminister oder vielleicht als Minister für
militärische Aufgaben auftritt. Das ist der deutschen EZ
einfach nicht angemessen. Niebel irritiert, so meine ich,
wenn die Leute sehen, dass es in Deutschland keine Bil-
der von Niebel mit Mütze gibt. Das heißt, diese Mütze
ist im Grunde eine Verkleidung, ein Zeichen der Re-
spektlosigkeit gegenüber den Ländern, die er besucht.


(Beifall bei der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Kolonialherr!)


Dafür müssen wir uns bei diesen Ländern entschuldigen.
Das ist nicht anständig. Ich bitte um Entschuldigung für
dieses Auftreten unseres Ministers. Zumindest diejeni-
gen, die meiner Meinung sind, vertritt er dort nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Kommen wir noch kurz zu der Fusion. Die Fusion in
der Technischen Zusammenarbeit zwischen GZT, DED
und InWEnt läuft nach anfänglichem Zögern in vielen
Bereichen ganz ordentlich. Überleitungsvertrag, Tarif-
vertrag, Gesellschaftsvertrag – vieles liegt vor und findet
Zustimmung.

Problematisch ist es natürlich, wenn es um das Perso-
nal geht. Es gibt jemanden, der auf eine lange Lebenser-
fahrung zurückblicken kann und verantwortlich damit
umgeht, nämlich Generalsekretär Lindner. Er sagt, dass
1 500 Stellen abgebaut werden. Was das für die Men-
schen bedeutet, kann man sich überhaupt nicht vorstellen.

Jetzt sehen wir einmal, was passiert: Auch der Minis-
ter beantragt Stellen, nämlich 210 Stellen für das BMZ,
ohne dies aber – da stütze ich mich auf den Bundesrech-
nungshof – seriös zu begründen. Der Haushaltsaus-
schuss hat erst einmal 65 Stellen genehmigt. Aber man
muss sagen, dass der Rest nicht begründet ist.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707419700

Herr Kollege.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1707419800

Ich sehe, dass es hier fürchterlich blinkt, und muss

deshalb zum Ende kommen. Sie merken, es ist noch sehr
viel zu tun. Ich bräuchte noch 15 Minuten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Alles Gute!


(Beifall bei der SPD – Holger Haibach [CDU/ CSU]: Dann würden Sie wahrscheinlich etwas zum Thema sagen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707419900

Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Riegert für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Holger Haibach [CDU/CSU]: Endlich etwas zur Sache! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jetzt kommt etwas Seriöses!)


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1707420000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kollegen! Ich möchte zum Einzelplan 23 zurückkom-
men


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


und gerne etwas über den Schwerpunkt „Entwicklung
der ländlichen Räume“ sagen.

Auf dem letzten G-8-Gipfel hat die Bundesregierung
für die Jahre 2010 bis 2012 insgesamt 200 Millionen
Euro für die Entwicklung ländlicher Räume verspro-
chen. Für nächstes Jahr stehen dafür 70 Millionen Euro
zur Verfügung. Unter dem Leitgedanken der Hilfe zur
Selbsthilfe bauen wir so die jahrzehntelang vernachläs-
sigte Entwicklung der ländlichen Räume zu einem
Schlüsselbereich der deutschen Entwicklungspolitik aus.

Durch das breit angelegte Konzept wird der Blick für
die vielschichtigen Voraussetzungen ländlicher Entwick-
lungen und für das Ineinandergreifen verschiedener Sek-
toren und Erfolgsfaktoren geschärft. Jenseits der reinen
Entwicklung des Agrarsektors geht es um umfassende
Reformprozesse: die Entwicklung der ländlichen Wirt-
schaft, ein nachhaltiges Management der natürlichen
Ressourcen, die Bereitstellung sozialer Dienste und
technischer Infrastruktur im ländlichen Raum sowie die
Verbesserung der politisch-institutionellen Rahmenbe-
dingungen.

Die Kollegin Christiane Ratjen-Damerau, der Kollege
Thilo Hoppe und ich haben in einem gemeinsamen
Schreiben an Minister Dirk Niebel festgehalten, dass wir
als Entwicklungspolitiker den Konzeptentwurf begrüßen
und unterstützen. Wir haben aber auch deutlich gemacht,
dass ländliche Räume nicht zu einseitig als potenzielle
Produktionsstätten für den Weltmarkt gesehen werden
sollten, dass sich Ernährungssicherheit in ländlichen Re-
gionen nur dann adäquat erfassen lässt, wenn neben
agrarökologischen und wirtschaftspolitischen auch ge-
sellschaftliche Faktoren wie die Gleichstellung der Ge-
schlechter berücksichtigt werden, dass sich nachhaltige
Ernährungssicherung insbesondere durch die Förderung
gemeinschaftlicher Projekte wie der Bildung von Erzeu-
ger- und Nutzerorganisationen oder Kooperativen errei-
chen lässt und dass rein protektionistische Handels-
hemmnisse überwunden werden müssen.

Meine Damen und Herren, für ländliche Räume ist
ein langfristiges Engagement erforderlich, um Erfolge
und nachhaltige Entwicklung erzielen zu können. Des-
halb sollte die ländliche Entwicklung als ein zusätzlicher
Förderschwerpunkt in die regionalen Konzepte des BMZ
aufgenommen werden und im Afrika-Konzept eine be-
sondere Schlüsselfunktion einnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir würden es ebenfalls begrüßen, wenn in dem über-
sektoralen Konzept die Problematik des sogenannten
Land Grabbing behandelt werden würde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Klaus Riegert


(A) (C)



(D)(B)

Etwa 300 Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissen-
schaft und Zivilgesellschaft haben das Konzept Anfang
November auf einem Kongress hier in Berlin konstruktiv
diskutiert und dem BMZ zusätzliche Vorschläge unter-
breitet. Das Konzept sowie die enge Abstimmung zwi-
schen dem Entwicklungs- und dem Landwirtschaftsmi-
nisterium wurden insgesamt positiv aufgenommen. Tenor
des Kongresses war die Forderung, das Konzept zügig zu
konkretisieren und Schwerpunkte bei der Umsetzung zu
setzen.

Die Entwicklung hin zu einer rentablen, sozial und
ökologisch nachhaltigen bäuerlichen Landwirtschaft
stellt in Entwicklungsländern einen Schwerpunkt, ja die
zentrale Herausforderung dar. Wachstum im Agrarsektor
trägt sowohl zum Wirtschaftswachstum als auch zur Ar-
mutsreduktion bei. Nachhaltige Landwirtschaft reduziert
sich dabei nicht auf den ökologischen Landbau.

Das Prinzip 9 der Rio-Deklaration von 1992 betrach-
tet die Entwicklung und Verbreitung umweltfreundlicher
Technologien – inklusive neuer und innovativer Techno-
logien – als integralen Bestandteil einer nachhaltigen
Entwicklung.

Am Horizont erkennt man durchaus auch neue Dinge,


(Holger Haibach [CDU/CSU]: Vertikale Landwirtschaft!)


zum Beispiel die vertikale Landwirtschaft. Der Kollege
Haibach hat erkannt, auf was ich hinaus will. Mit High-
techgewächshäusern kann man auf einer innerstädti-
schen Fläche von 2 Hektar etwa 1 000 Hektar Ackerland
ersetzen und trotzdem entsprechende Erfolge zum Bei-
spiel beim Wassersparen, bei der Energierückgewinnung
und Ähnlichem erzielen.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das gibt dann Turbotomaten!)


Meine Damen und Herren, wir reden über den Haus-
halt. Das ist hinlänglich bekannt. Wenn wir über den
Haushalt sprechen, geht es natürlich – das war nicht an-
ders zu erwarten – auch ums Geld. Auch mich überzeugt
nicht, dass wir für die Entwicklungshilfe immer nur
mehr Geld – –


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Zusammenarbeit! Hilfe ist out!)


– Entwicklungszusammenarbeit. Richtig, Sie haben recht.
Der Herr Minister hat auch von Entwicklungszusammen-
arbeit gesprochen.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie doch in der Koalitionsvereinbarung beschlossen: mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit!)


Deswegen ist nicht nur die Höhe der zur Verfügung ste-
henden Gelder entscheidend, sondern auch wofür und
wie sie eingesetzt werden.

Frau Hinz, die Süddeutsche von heute, also vom
24. November 2010, schreibt aus meiner Sicht sehr zu-
treffend über die Reden von Carsten Schneider und
Alexander Bonde – ich zitiere –:
So richtig aber will der Funke bei deren Reden
nicht überspringen. Das liegt auch daran, dass die
Haushaltsexperten den Finanzminister für seinen
angeblich mangelnden Sparwillen kritisieren,


(Zuruf von der SPD)


in ihren eigenen Reihen aber viele Abgeordnete sit-
zen, die in Wahrheit statt weniger gern mehr Geld
ausgeben würden als Schäuble. Entsprechend leicht
fällt es diesem zu spotten: „Sie müssten sich schon
entscheiden, ob Sie nun mehr sparen oder mehr
ausgeben wollen.“


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Weniger für die Atomlobby, mehr für die Ärmsten der Armen! – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen an den richtigen Stellen sparen und für die Entwicklungszusammenarbeit mehr ausgeben! So einfach ist das!)


Ich möchte Ihnen aber noch gern ein paar Gedanken-
anstöße mitteilen, die ich sehr interessant fand. Am
20. November 2010 stand in der Frankfurter Rundschau
ein Interview mit Muhammad Yunus und Paulo Coelho,
also einem Friedensnobelpreisträger und einem Bestsel-
lerautor. Darin stehen einige interessante Beispiele, über
die man sich durchaus Gedanken machen kann.

Zuerst erzählt Yunus, dass er Bettlern grundsätzlich
kein Geld gibt, weil er sonst das eigentliche Problem
nicht anpackt und weil er, wenn er in Bangladesch, sei-
nem Heimatland, einem Bettler Geld gibt, sofort 20, 30
und mehr Bettler um sich hat. Dann muss er begründen,
warum er dem einen Geld gibt und dem anderen nicht.
Daher hat er Mikrokredite auch an Bettler ausgegeben.
Er hat gesagt: Wenn ihr von Tür zu Tür geht, dann nehmt
doch ein paar Handelswaren mit. So hat er es geschafft,
rund 20 000 Bettler von der Bettelei wegzubringen und
zu kleinen Handelsvertretern zu machen.

Er hat insgesamt 150 000 Bettlern Kleinkredite mit
den Auflagen gegeben: keine Zinsen, keinen Rückzah-
lungstermin, und es gibt einen neuen Kredit, wenn der
alte abbezahlt ist. Auf die Frage von Coelho sagt Yunus,
fast jeder Einzelne hat diesen Kredit zurückbezahlt. Sie
mussten schon zweite, dritte und vierte Kredite ausge-
ben, weil das System so gut funktioniert hat.

Er schildert dann auf die Frage: „Was machen wir mit
Kranken und Behinderten?“ sehr eindrücklich das Bei-
spiel eines Bettlers, den er an einer Bushaltestelle traf, der
keine Beine mehr hatte. Den fragte er, was er denn könne.
Der sagte: Ich kann kochen. Ich koche doch nicht mit
meinen Beinen. – Dieser Satz ist Yunus immer in Erinne-
rung. Er hat diesem Mann tatsächlich einen Job und die
Möglichkeit verschafft, für sich selber aufzukommen.

Ich kann dieses Interview nur empfehlen. Darin steht
eine Menge an Hinweisen, wie wir diesen Leitgedanken
der Hilfe zur Selbsthilfe, wie es auch das Konzept des
BMZ vorsieht, das die Regierungskoalition in den Haus-
halt eingebracht haben, verwirklichen können. Wir wol-
len die kreativen Ressourcen der Menschen vor allem in
den ärmsten Entwicklungsländern ansprechen, um sie zu
ihrem eigenen Vorteil zu nutzen.





Klaus Riegert


(A) (C)



(D)(B)

Der vorliegende Haushalt stellt hierfür die erforderli-
chen Mittel bereit und findet deshalb unsere Zustim-
mung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707420100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 23, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung, in der Ausschussfassung.
Zu dieser Ausschussfassung liegen zwei Änderungsan-
träge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zunächst
abstimmen.

Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag auf
der Drucksache 17/3836 ab. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Wir stimmen jetzt über den Antrag auf der
Drucksache 17/3837 ab. Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist
mit gleicher Mehrheit abgelehnt.

Wir kommen nur zur Abstimmung über den Einzel-
plan 23 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für diesen
Etatansatz? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist der Einzelplan mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt II auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der EU-geführten Opera-
tion Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie
vor der Küste Somalias auf Grundlage des
Seerechtsübereinkommens der Vereinten Na-
tionen von 1982 und der Resolutionen 1814

(2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom

2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008,
1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1897

(2009) vom 30. November 2009 und nachfol-

gender Resolutionen des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen in Verbindung mit der Ge-
meinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates
der Europäischen Union vom 10. November
2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates
der Europäischen Union vom 8. Dezember
2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates
der Europäischen Union vom 30. Juli 2010
und dem erwarteten Beschluss des Rates der
Europäischen Union vom 13. Dezember 2010

– Drucksache 17/3691 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfah-
ren.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle.
Bitte schön.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Seit diesem Montag stehen in Ham-
burg zehn somalische Staatsbürger vor Gericht. Ihnen
wird vorgeworfen, vor der somalischen Küste ein deut-
sches Schiff entführt zu haben. Dies zeigt in großer Klar-
heit, wie sehr uns die Probleme in Somalia in Deutsch-
land angehen.

Geografisch mag das Horn von Afrika vielen weit
weg und entfernt erscheinen, aber wir erkennen an den
regelmäßigen Meldungen, dass es in Wahrheit auch uns
betrifft. Mit der EU-geführten Operation Atalanta si-
chern wir die Lieferung von humanitären Hilfsgütern an
die notleidenden Menschen in Somalia, und wir sichern
den zivilen Schiffsverkehr.

Insoweit will ich, was die Interessenwahrnehmung
angeht, noch einmal unterstreichen: Das Ganze hatte sei-
nen Ausgang darin, zu gewährleisten, dass Lieferungen
humanitärer Hilfsgüter die Häfen von Afrika erreichen
konnten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Dass in den letzten Jahren eine erneute humanitäre Kata-
strophe in Somalia verhindert werden konnte, ist auch
ein Erfolg dieser Operation.

Atalanta kommt Millionen Menschen zugute, die
diese Hilfe bitter nötig haben. Noch immer sind über
3,5 Millionen Somalier auf humanitäre Hilfe angewie-
sen. Allein im laufenden Jahr hat Atalanta über
30 Schiffe des Welternährungsprogramms sicher in die
somalischen Häfen eskortiert. Wer also diese Operation
ablehnt, muss dann auch erklären, wie er sicherstellen
will, dass diese Hilfslieferungen die hungernden Men-
schen tatsächlich erreichen. Da Sie das nicht können,
werden Sie alle in diesem Hause, denke ich, Ihrer Ver-
antwortung gerecht werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Mehr als 90 000 Tonnen Lebensmittel erreichten
1,8 Millionen Menschen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht alle!)


Das ist es, worum es in entscheidendem Umfang geht.

Auf diese humanitären Leistungen der Europäischen
Union, an den auch die deutsche Marine einen erhebli-
chen Anteil hat, können wir stolz sein. Ich möchte allen
Fraktionen, die das Engagement der Bundeswehr unter-
stützen, herzlich danken. Aber ich danke insbesondere





Bundesminister Dr. Guido Westerwelle


(A) (C)



(D)(B)

auch den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr für
ihren Einsatz. Es ist ein schwieriger und entbehrungsrei-
cher Einsatz. Ich bitte Sie, Herr Parlamentarischer
Staatssekretär, dies der Truppe noch einmal zu übermit-
teln. Ich bin sicher, dass wir alle in diesem Deutschen
Bundestag wissen, was für eine wichtige Arbeit unsere
Frauen und Männer der Bundeswehr dort leisten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das zweite Ziel der Mission ist es, den internationalen
Schiffsverkehr zu schützen. Eine Außenpolitik, die hu-
manitären Werten verpflichtet ist, muss auch die Interes-
sen im Blick behalten.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht denn das im Grundgesetz?)


Bewegungsfreiheit im offenen Meer ist ein gemeinsames
Interesse der internationalen Gemeinschaft. Wir handeln
dabei unter dem Mandat des Sicherheitsrates der Verein-
ten Nationen. Auch das ist von großer Bedeutung: Es
handelt sich hierbei um ein Mandat des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen.

Wenn Sie, Herr Kollege, durch Zwischenrufe oder
auch durch öffentliche Wortmeldungen den Eindruck er-
wecken, das sei gewissermaßen eine kriegerische Mis-
sion, dann disqualifizieren Sie sich in einem wirklich be-
merkenswerten Umfang.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Einsatz der Bundeswehr steht so nicht im Grundgesetz!)


Meine Damen und Herren, die Reeder können zur
Verbesserung der Sicherheit der Schiffe und vor allem
auch der Besatzungen beitragen. Ich bin zuversichtlich,
dass die Schiffseigner ihre Verantwortung ernst nehmen
und entsprechend vorsorgen. Aufgrund der Zusammen-
arbeit zwischen Reedereien und Sicherheitskräften ist
die Zahl der Überfälle und Entführungsversuche im Golf
von Aden zurückgegangen. Aber wir müssen feststellen:
Noch immer befinden sich Hunderte von Menschen in
der Gewalt der Piraten.

Zugleich hat die Bedrohung eine neue Qualität, weil
diese Piraten ihr Tätigkeitsfeld mittlerweile sogar bis vor
der indischen Küste und bis vor der Küste von Mosam-
bik ausgeweitet haben. Das ursprüngliche Operationsge-
biet reicht nicht mehr aus. Es ist daher erweitert worden,
zum Teil mit einer bemerkenswerten Logistik. Die Euro-
päische Union hat auf die veränderte Lage reagiert und
das Operationsgebiet von Atalanta ausgeweitet. Deshalb
ist es notwendig, dass auch das Bundeswehrmandat an
diese neue Realität angepasst wird. Darum bitten wir als
Bundesregierung dieses Hohe Haus.

Internationale Einsätze können die Folgen eines
Staatsverfalls nicht im Alleingang lösen. Wir müssen die
Lösung da suchen, wo auch das Problem seine Wurzeln
hat, und das ist in Somalia selbst. Der Einsatz gegen die
Piraterie wird nicht auf der Hohen See gewonnen, son-
dern nur an Land. Deswegen ist es richtig, dass wir die
humanitäre Hilfe für Somalia um die Hilfe zum politi-
schen Wiederaufbau ergänzen. Es ist eben falsch, die Be-
hauptung aufzustellen, dass wir lediglich militärisches
Engagement zeigen und nicht auch wüssten, dass wir
uns bei der Ursachenbekämpfung an Land kräftig zu en-
gagieren haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie?)


Das tun wir.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn?)


Am Dienstag der kommenden Woche werden wir in
Tripolis beim Gipfeltreffen der Europäischen Union mit
den Staaten Afrikas weiter an einer gemeinsamen Ord-
nung, an einer gemeinsamen entsprechenden Perspek-
tive arbeiten. Aber natürlich reicht das allein nicht aus.
Es geht um die EU-Trainingsmissionen zur Ausbildung
somalischer Sicherheitskräfte. Auch dies tun wir. Es geht
um internationale Projekte zur Unterstützung beim Auf-
bau der Justizsysteme. Das ist unser Anliegen. Es geht
aber auch darum, dass wir erkennen: In rechtsfreien
Räumen entstehen Instabilität und Gewalt. Deswegen
müssen wir diesen vernetzten Ansatz weiterverfolgen.
Wir bitten um Zustimmung für dieses wichtige Mandat.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707420200

Ich vermute, dass der Kollege Ströbele nun gern eine

Kurzintervention vortragen möchte. – Bitte schön.


(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Hat er keine Redezeit?)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister, ich will jetzt nicht mit Ihnen die Frage
erörtern – das tun wir vielleicht an anderer Stelle –, wo
denn im Grundgesetz steht, dass die Bundeswehr zur Si-
cherung des zivilen Passagier- und Handelsverkehrs ein-
gesetzt werden kann; denn das Grundgesetz sagt aus-
drücklich, dass die Bundeswehr grundsätzlich nur
eingesetzt werden kann, wenn das Grundgesetz es er-
laubt. Ich wollte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Aber
da haben Sie weitergeredet, und ich bin nicht mehr dazu
gekommen.

Sie haben gesagt, richtig sei – und das würde die Bun-
desregierung auch tun –, dass man sich um die Ursachen
der Piraterie vor der Küste von Somalia kümmert. Ich
habe in mehreren Anfragen an Ihr Haus, die vom Aus-
wärtigen Amt auch beantwortet worden sind, die Frage
gestellt, ob es zutreffend ist, dass die heutigen Piraten
dort nicht zumindest am Anfang Fischer gewesen sind
und dass man diesen Fischern und ihren Familien die
Existenzgrundlage genommen hat, indem von einer gan-
zen Reihe von europäischen Staaten – darunter Spanien,
Frankreich und andere Staaten – dort große Fischfabri-





Hans-Christian Ströbele


(A) (C)



(D)(B)

ken errichtet worden sind und die Fischgründe, die be-
sonders attraktiv und besonders fischreich gewesen sein
sollen, leergefischt worden sind, sodass die Fischer dort
keinerlei Möglichkeit mehr haben, selber zu fischen. Sie
haben in den Antworten, die ich vom Auswärtigen Amt
bekommen habe, bestätigt, dass das mindestens eine Ur-
sache ist, warum viele seeerfahrene Fischer sich in die
Piraterie begeben haben und heute noch unter den Pira-
ten eine Rolle spielen.

Was hat die Bundesregierung getan, um erstens die
fabrikmäßig betriebene Fischerei vor der Küste Somalias
zu beenden – mit der Gegenwart der deutschen Marine
dort gäbe es viele Möglichkeiten – und zweitens den Fi-
schern, die zu Piraten geworden sind, eine Existenz-
grundlage zu verschaffen? Wenn Sie den Fischern eine
Existenzgrundlage verschafften, wäre das ein wirklicher
Beitrag zur Beseitigung der Ursachen der Piraterie. Was
ist in dieser Hinsicht geschehen? Sehen Sie es nicht als
Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland und der Ko-
alition aus Ländern an, die dorthin die größte Armada an
Kriegsschiffen nach dem Zweiten Weltkrieg geschickt
haben, auf diese Weise die Piraterie dort zu bekämpfen?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707420300

Herr Minister.

Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:

Herr Kollege, ich will zuerst etwas zum Grundgesetz
sagen. Sie sind genauso Rechtsanwalt wie ich. Wir beide
haben Jura studiert. Ich sage Ihnen daher: Nicht Sie ent-
scheiden, was mit der Verfassung vereinbar ist, sondern
das Bundesverfassungsgericht.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch!)


Dieses hat seit der Adria-Entscheidung in den 90er-Jah-
ren den Kompass glasklar ausgerichtet. Sie können doch
nicht behaupten, etwas sei von der Verfassung nicht ge-
deckt, nur weil Sie selbst dieser originellen Auffassung
sind. Das ist absurd. Was Sie erzählen, ist völliger Hum-
bug.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es handelt sich nur um Ihre persönlichen Interpretatio-
nen. Ich bewundere Ihre Hochseilakrobatik in Jura. Aber
ehrlich gesagt, so könnten Sie als Jurist nicht davon le-
ben.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Zu den Ursachen. Es ist richtig – das habe ich bereits
gesagt –, dass man die Ursachen sehen muss. Das habe
ich Ihnen in meinen Antworten auf Ihre vielen Fragen
bestätigt. Aber bei allem Respekt bitte ich Sie, auch mit
Amtsträgern zu Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung
zu erörtern, welche Versäumnisse es in früheren Jahren
bei der Regierung möglicherweise gegeben hat. Die
Lage ist für die jetzige Bundesregierung so, wie sie ist.
Wir haben mit dieser Lage umzugehen. Deswegen sor-
gen wir erstens für die Sicherheit unserer Staatsbürgerin-
nen und Staatsbürger. Es ist nicht nur das Recht, sondern
nach unserer Auffassung auch die Pflicht der Bundesre-
gierung, deutsche Staatsangehörige auf den Schiffen zu
schützen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie sind anderer Auffassung; das muss ich zur Kenntnis
nehmen. Aber wir werden es anders machen.

Das Zweite ist: Wir leisten humanitäre Hilfe in Soma-
lia; das habe ich deutlich gemacht.

Das Dritte ist: Wir arbeiten am Wiederaufbau in So-
malia und halten dies für unbedingt notwendig.

Das Vierte ist: Den Eindruck zu erwecken, dass diese
Piraterie ausschließlich aus der Not geboren ist


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Ausschließlich“ habe ich nie gesagt!)


– das ist der Eindruck, den Sie hier erwecken –, weil die
armen Fischer keine Fischgründe mehr haben und sich
deshalb als Piraten organisieren, ist, ehrlich gesagt,
ziemlich naiv. Es handelt sich zum Teil um organisiertes
Verbrechen und um Menschen mit hoher krimineller
Energie und von größter Gefährlichkeit,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Menschen, die nicht davor zurückschrecken, andere zu
foltern, mit dem Tode zu bedrohen und sie gegebenen-
falls umzubringen. Das hat nichts mit Ihrer naiven Auf-
fassung zu tun. Es ist unsere Verpflichtung, gegen diese
organisierte Kriminalität vorzugehen. Sie wollen das
nicht. Wir werden es trotzdem machen. Ich glaube, dass
wir unserer Verantwortung gerecht werden. Sie tun es
leider nicht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707420400

Die Kollegin Edelgard Bulmahn ist die nächste Red-

nerin für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1707420500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Mit der EU-geführten Operation
Atalanta unterstützt die internationale Staatengemein-
schaft den Kampf gegen die kriminellen Piraten vor der
Küste Somalias.

Die Operation – das ist für meine Fraktion und, wie
ich glaube, für den ganzen Bundestag wichtig – beruht
auf den Entscheidungen der internationalen Gemein-
schaft, auf dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten
Nationen und auf den Resolutionen 1814, 1816 sowie
den darauf aufbauenden Resolutionen. Die europäischen
Marineverbände sollen die zivile Schifffahrt schützen
und dabei insbesondere den Schiffen des Welternäh-
rungsprogramms Geleitschutz geben. Die Lieferungen
mit humanitären Hilfsgütern für die somalische Be-
völkerung erfolgen fast ausschließlich über den Seeweg.





Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Die an Atalanta beteiligten Kriegsschiffe haben seit Be-
ginn des Einsatzes sichergestellt, dass alle 86 im Auftrag
des Welternährungsprogramms durchgeführten Schiffs-
transporte ihre somalischen Zielhäfen sicher erreichen
konnten. Damit konnten fast 470 000 Tonnen Nahrungs-
mittel und weitere wichtige Hilfsgüter nach Somalia ge-
bracht werden, wo bis zu 1,8 Millionen Menschen ver-
sorgt werden. Atalanta hat in den vergangenen Monaten
sehr viel zur Sicherung der Seewege in dieser Region
beigetragen, aber die Piraterie und die damit verbunde-
nen Gefahren für die Seeleute sind keineswegs überwun-
den. Deshalb wird die SPD-Bundestagsfraktion der Ver-
längerung des Mandats zustimmen.


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Sehr vernünftig!)


Die Zahl der Seeräuberattacken – das muss man hier
im Deutschen Bundestag ausdrücklich festhalten – hat
leider nicht abgenommen, sondern sie hat im letzten Jahr
dramatisch zugenommen. Allein im vergangenen Jahr
wurden weltweit über 406 Angriffe von Seeräubern auf
zivile Schiffe verzeichnet. Die stärkste Zunahme hat es
dabei im Übrigen im Golf von Aden und im Roten Meer
gegeben. Gerade diese Region passieren jährlich unge-
fähr 20 000 zivile Schiffe. Allein im ersten Halbjahr
2010 ist es dabei zu 51 Angriffen durch Piraten gekom-
men, bei denen Schiffe unvermittelt mit Waffengewalt
bedroht und gekapert wurden, Mannschaften monate-
lang als Geiseln genommen wurden und Reedereien um
Millionenbeträge für Lösegelder erpresst wurden.

Betroffen ist deshalb von diesen Angriffen die zivile
Schifffahrt insgesamt, einschließlich der Schiffe, die
Nahrungsmittel und Hilfsgüter für die notleidende soma-
lische Bevölkerung transportieren. Um die Angriffe auf
die zivilen Schiffe und die Schiffe, die die Hilfsgüter
transportieren, zu verhindern, gibt es die Operation
Atalanta. Deshalb möchte ich an dieser Stelle den Bun-
deswehrsoldaten für diese schwierige Aufgabe, die sie
tagtäglich meistern müssen, ebenfalls meinen ausdrück-
lichen Dank auch im Namen der Kolleginnen und Kolle-
gen aussprechen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind uns durchaus der Tatsache bewusst, dass wir
die Piraterie nicht besiegen werden, wenn wir uns auf
die militärischen Mittel allein konzentrieren. Wir müs-
sen viel stärker die Bekämpfung der Ursachen in den
Blick nehmen. Der Kampf gegen Piraterie wird nur
erfolgreich sein, wenn er Hand in Hand mit der Bekämp-
fung der Armut in Somalia, der Sicherung von Men-
schenrechten und dem Aufbau funktionsfähiger staatli-
cher Strukturen einschließlich der Sicherheitsstrukturen
geht. Militärisches Engagement – das gilt insbesondere
für meine Fraktion – kann kein Ersatz für Staatlichkeit
und für eine friedliche Entwicklung Somalias sein und ist
es auch nicht. Deshalb sind die Beteiligung Deutschlands
an dem Programm der internationalen Gemeinschaft zum
Wiederaufbau staatlicher Strukturen und an der Finan-
zierung von AMISOM zur Ausbildung von Ausbildern
und Mentoren für die somalische Polizei ebenso wie die
Fortsetzung der humanitären Hilfe unverzichtbar.
Seit mehr als 20 Jahren ist Somalia ein Staat ohne
handlungsfähige Zentralregierung. Während inzwi-
schen in Somaliland stabile Verhältnisse herrschen, füh-
ren im Süden Konflikte zwischen den verschiedenen
Klans immer wieder zu Gewalt, zu bürgerkriegsähnli-
chen Zuständen, zu Verfolgung und zu massiven Flücht-
lingsströmen. Millionen von Menschen leiden unter
Hunger und sind auf die Hilfe aus dem Ausland ange-
wiesen.

Die Transitional Federal Government, die internatio-
nal anerkannte Übergangsregierung – sie ist der einzige
Ansprechpartner der Staatengemeinschaft –, ist politisch
und militärisch nicht in der Lage, mehr als wenige Stra-
ßenzüge in Mogadischu zu kontrollieren. Auch das ge-
lingt im Übrigen nur mit Unterstützung der Afrikani-
schen Union in Somalia, AMISOM.

Deutschland, der Europäischen Union, ja, der interna-
tionalen Staatengemeinschaft insgesamt fehlt es an einem
kohärenten Gesamtkonzept für Somalia – ich glaube,
das müssen wir selbstkritisch festhalten –, an einem
Konzept, das erreichbare Ziele beschreibt. Es geht um
eine kohärente Strategie, die eine Perspektive für eine ei-
genständige Entwicklung Somalias aufzeigt. Ich bin da-
von überzeugt, dass nur ein solch umfassender Ansatz
dazu führen kann, dass die Menschen in diesem Land
endlich wieder eine Perspektive erhalten. Deshalb müs-
sen wir Atalanta auch als eine Mission verstehen, die die
humanitäre Hilfe absichert und die Aufmerksamkeit im-
mer wieder auf Somalia lenkt. Es ist eine Mission für
umfassendere und langfristige Programme zur Entwick-
lung und zum Staatsaufbau dieses Landes.

Damit das gelingen kann, müssen die Europäische
Union und ihre Mitgliedstaaten Somalia vor allem durch
humanitäre Hilfe und bei der Schaffung und Durchset-
zung von Rechtsstaatlichkeit stärker unterstützen. Nur
durch den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und die
Unterstützung dabei können die Verantwortlichen in So-
malia selbst in die Lage versetzt werden, stärker gegen
die Piraterie sowie gegen die Instabilitäten und gegen die
Gewalt in ihrem Lande vorzugehen.

Herr Minister, wenn Sie in Ihrer Rede die Bedeutung
eines vernetzten Ansatzes und die Bedeutung der zivilen
Unterstützung, der zivilen Aufbaumaßnahmen, die wir
in diesem Land durchführen müssen, herausstellen, dann
stimme ich Ihnen zu. Ich sage Ihnen aber ausdrücklich,
dass Ihre Aussage nicht glaubwürdig ist, wenn Sie am
gleichen Tag, heute, in diesem Parlament gemeinsam mit
den Regierungsfraktionen eine Kürzung der Ansätze
für zivile Krisenprävention und für humanitäre
Maßnahmen in einem derartigen Umfang durchführen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist keine glaubwürdige Politik. Das gilt auch für Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfrak-
tionen.

Wenn wir hier eine glaubwürdige Politik vertreten
wollen – das muss der Anspruch des gesamten Parla-
mentes sein –, dann müssen Sie diese Kürzungen zu-
rücknehmen. Denn es ist nicht vereinbar, auf der einen





Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Seite die Bedeutung dieser Maßnahmen zu unterstrei-
chen und auf der anderen Seite die Grundlage für die
Umsetzung dieser Maßnahmen zu zerstören. Ich sage Ih-
nen ausdrücklich: Dafür hat niemand Verständnis. Die
Debatte darüber wird mit dem heutigen Tag nicht been-
det sein. Wir müssen in Deutschland die Voraussetzun-
gen dafür schaffen, dass wir unsere wichtigen Aufgaben
weiterhin erfüllen können. Das ist eine ganz wichtige Er-
rungenschaft hier in Deutschland, zu der viele Parlamen-
tarier einen Beitrag geleistet haben. Wir haben kein Ver-
ständnis dafür, wenn zu verhindern versucht wird, dass
hier die Grundlage für politisches Handeln, für zivile
Krisenprävention, für die wichtigen zivilen Aufbaumaß-
nahmen, die ergriffen werden müssen, geschaffen wird.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707420600

Frau Kollegin!


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1707420700

Ich sage zum Schluss noch einmal: Ja, wir brauchen

eine Verlängerung dieser Operation. Aber wir brauchen
eben auch die Grundlagen dafür, dass die zivilen Maß-
nahmen nicht nur in Sonntagsreden unterstrichen, son-
dern auch konkret durchgeführt werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1707420800

Das Wort erhält nun der Parlamentarische Staatsse-

kretär Thomas Kossendey.

T
Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1707420900


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch wir vom Verteidigungsministerium bitten Sie
heute um Ihre Zustimmung zur Fortsetzung der EU-Ope-
ration Atalanta. Seit Beginn dieser Operation Ende 2008
kann Atalanta durchaus auf bemerkenswerte Erfolge zu-
rückblicken. Alle beteiligten Nationen – das geht weit
über die Länder der Europäischen Union hinaus – kön-
nen mit Fug und Recht auf diese Erfolge stolz sein. Wir
können auch auf das stolz sein, was die Seestreitkräfte
der beteiligten Länder bewirkt haben. Wir sollten ganz
konkret den über 300 deutschen Soldatinnen und Solda-
ten, die auf unseren Marineschiffen an dieser Operation
beteiligt sind, für ihren Einsatz danken. Sie leisten eine
hervorragende Arbeit, und sie erfahren dafür im interna-
tionalen Rahmen – das steht hier zu Hause häufig etwas
im Schatten – eine sehr hohe Anerkennung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will Ihnen anhand einiger Zahlen deutlich ma-
chen, wie erfolgreich Atalanta war. Allein 2010 wurden
90 000 Tonnen Hilfsgüter nach Somalia gebracht. Das
sind 2 500 Lastwagenladungen. Frau Bulmahn und
Minister Westerwelle, Sie haben es ja angesprochen:
1,8 Millionen Menschen konnten durch das World Food
Programme – die Lieferungen gehen im Wesentlichen
über See in die bedrohten Gebiete – Nahrung erhalten.
Diese Lebensmittellieferungen erfolgten unter unserem
Schutz.

Ich glaube auch, dass wir in Atalanta auch insofern ei-
nen Erfolg sehen können, als wir weit über die Europäi-
sche Union, weit über die NATO hinaus Länder animiert
haben, sich an der Sicherung dieser Seeverbindungs-
wege zu beteiligen. Denken Sie an China, Indien, Pakis-
tan oder Indonesien – all das sind Länder, die die Sicher-
heit dieser Seeverbindungslinien auch im Hinblick auf
ihre eigenen Interessenslagen für wichtig halten und die
dort mit Atalanta zusammenarbeiten.

Frau Bulmahn hat darauf hingewiesen, dass die
Anzahl der Angriffe der Piraten gerade im letzten Jahr
zugenommen hat. Ja, das ist richtig, Frau Kollegin
Bulmahn; aber die Anzahl der dabei erfolgreichen Kape-
rungen mit Geiselnahme nahm im Verhältnis ab. Ich
glaube, das ist auch ein wichtiger Punkt, wenn wir über
Atalanta sprechen. Unsere Präsenz dort zeigt also Wir-
kung. Nicht nur, weil wir dort militärisch vertreten sind,
sondern auch weil die Reeder zunehmend in der Lage
sind, selber für ihre Schiffe Vorsorge zu treffen, sind wir
insgesamt erfolgreich. Wir führen mit den Reedern stän-
dig Gespräche, und wir sind gemeinsam erfolgreich. Die
Vorsorge der Reeder und das Eingreifen von Atalanta
haben dazu beigetragen, dass das Problem der Piraterie
eingedämmt werden konnte. Das hat auch dazu geführt,
dass wir knapp 80 Piraten vor Gericht gestellt haben. In
Hamburg läuft der erste Prozess.

Wir müssen dennoch, glaube ich, angesichts der
Größe des Territoriums, das zu schützen wäre, eingeste-
hen, dass eine lückenlose Abdeckung schlichtweg nicht
möglich sein wird. Allerdings können wir – das wollen
wir auch weiter tun – den Schwerpunkt darauf legen, die
Schiffe des Welternährungsprogramms zu sichern. Die
Schiffe, die sich bei Atalanta anmelden und dann unter
den sogenannten Konvoischutz gestellt werden, sind im
Regelfall sicher durch das gefährdete Gebiet gekommen.

Natürlich kann man monieren, dass Atalanta allein
das Problem der Piraterie nicht eindämmen wird. Minis-
ter Westerwelle hat einiges zu den Aktivitäten an Land
gesagt. Ich denke, das ist wichtig. Denn wenn wir die
Ursachen an Land nicht bekämpfen, werden die Solda-
ten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf See arbeiten
müssen. Das wollen wir nicht.

Atalanta ist aber für diese Übergangszeit unverzicht-
bar. Denn wenn wir Atalanta heute einstellen würden,
würden die Menschen in Somalia wieder hungern. Das
würde bedeuten, dass sich Piraterie weiter ungehindert
ausbreiten könnte. Wir müssen in dieser Region die Kul-
tur der Gewalt und die Kriegsökonomie durchbrechen.
Und wir müssen darauf achten, dass wir durch ein politi-
sches Rahmenprogramm, sage ich einmal, in Somalia
funktionierende Strukturen und Regulierungsmechanis-
men wiederbeleben.

Lieber Herr Kollege Ströbele, wenn Sie einmal vor
Ort gewesen wären und mit den politisch Verantwortli-
chen – vielleicht auch mit Fischern – gesprochen hätten,





Parl. Staatssekretär Thomas Kossendey


(A) (C)



(D)(B)

dann wüssten Sie, dass die romantische Vorstellung, dass
Fischer zu Piraten werden, falsch ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich glaube, es ist eher sogar eine Beleidigung für ei-
nen ganz normalen Somali-Fischer, wenn wir ihm unter-
stellen, er würde dadurch, dass ihm Fische weggefischt
würden, zum Mörder, Geiselnehmer, Piraten und Terro-
risten. Ich glaube, wer so über die somalischen Fischer
redet, hat mit ihnen relativ wenig zu tun gehabt.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist Quatsch, was Sie erzählen!)


Wir werden, Herr Ströbele – lesen Sie das Mandat
einmal in Ruhe –, auch das Thema der illegalen Fische-
rei dort ansprechen. Ich empfehle Ihnen – möglicher-
weise haben Sie es ja da liegen – mal die Ziffer 3 g des
Mandats zu lesen. Darin ist das Thema Fischerei in au-
ßerordentlich deutlicher Weise erwähnt.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Fahren Sie einmal nach Hamburg!)


Wir wollen natürlich mit dem, was wir an Land ma-
chen, langfristig eine Perspektive für Somalia erreichen.
Allerdings muss man – wenn man Somalia kennt, und
ich kenne es seit den 90er-Jahren, als wir zum ersten Mal
mit der Bundeswehr dort waren – auch sehr deutlich sa-
gen: Das sind Ziele, für die wir Geduld und einen langen
Atem brauchen.

Atalanta hilft den Menschen in der Region. Atalanta
schützt aber auch uns; denn Atalanta hilft eben mit, dass
die Seewege in der Region passierbar bleiben, dass der
internationale Handel als eine wesentliche Stütze unse-
res Wohlstandes und auch unserer Sicherheit nicht in
Gefahr gerät. Auch dafür schulden wir unseren Soldatin-
nen und Soldaten Dank. Das sind Soldatinnen und Sol-
daten, die manchmal 200 Tage im Jahr von zu Hause weg
sind und unter durchaus fordernden Bedingungen – kli-
matisch wie unterbringungsmäßig – einen sehr schwieri-
gen und fordernden Dienst leisten.

Ich bitte Sie um Zustimmung, dass wir dieses, im
Übrigen auf klaren völkerrechtlichen Grundlagen beru-
hende Mandat mit einer Obergrenze von 1 400 Soldatin-
nen und Soldaten um ein Jahr verlängern. Dieses Mandat
enthält eine Ausweitung des Operationsgebietes. Da die
Piraten – Sie haben es gehört – ihre Einsatzgebiete aus-
geweitet haben, muss dem auch Atalanta folgen. Wir ha-
ben das in diesem Mandat vorgesehen und werden uns in
diesen erweiterten Rahmen von Atalanta einpassen.

Wir brauchen heute ein klares, ein deutliches Signal
für eine fortgesetzte deutsche Beteiligung an dieser er-
folgreichen EU-Mission. Ein solches Mandat gibt übri-
gens auch unseren Soldatinnen und Soldaten den Rück-
halt, den sie brauchen, um motiviert diese Arbeit zu tun.
Es ist gleichzeitig, wie ich finde, ein Zeichen der Aner-
kennung für das, was die Soldatinnen und Soldaten im
Auftrag des Bundestages für unser Land dort leisten. Ich
bitte Sie um Zustimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707421000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707421100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen

Sie sich für eine Minute vor, Sie wären in Somalia, Sie
wären einer von 3,2 Millionen Menschen, die ohne die
Hilfslieferungen der UNO nicht überleben können, Sie
müssten sich und ihre Familie ernähren. Vielleicht wäre
Ihr einziger Ausweg aus dem tagtäglichen Kampf ums
Überleben, sich einer Piratenorganisation anzuschließen.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!)


– Hören Sie sich an, was die Angeklagten in Hamburg
zu sagen haben! – Dann verwundert es Sie nicht, dass
die Zahl der Piratenüberfälle nicht zurückgegangen ist.
Das ist schon mehrfach gesagt worden; ich möchte noch
einmal Zahlen hinterherschicken: Von Januar bis Sep-
tember 2010 gab es 126 Piratenüberfälle. Im gleichen
Zeitraum des Jahres 2008, also im letzten Jahr vor Ata-
lanta, waren es 87. Piraterie wurde nicht bekämpft. Der
einzige Effekt der Mission ist, dass die Piraten ihr Ein-
satzgebiet ausgeweitet haben.

Es gehört auch dazu, wenn man ehrlich Bilanz ziehen
will, zur Kenntnis zu nehmen, dass es im Jahr 2006 die
niedrigste Zahl von Überfällen gab. Das lag daran, dass
es damals in weiten Teilen Somalias politische Struktu-
ren mit Unterstützung der Bevölkerung gab: die Union
der Islamischen Gerichtshöfe. Aber diese Struktur loka-
ler Autoritäten hat den Regierungen in Europa und in
den USA nicht gepasst. Sie gerieten ins Visier des soge-
nannten Kriegs gegen den Terror. Im Sommer 2006 un-
terstützte die Bush-Administration eine äthiopische In-
vasion, in deren Folge 16 000 Somalier getötet wurden
und der somalische Staat endgültig zusammengebrochen
ist. Der Zusammenbruch des somalischen Staates ist also
nicht vom Himmel gefallen, sondern ein Ergebnis der
westlichen Intervention.


(Beifall bei der LINKEN)


Westliche Regierungen haben sich ein paar somali-
sche Warlords ausgeguckt und zur neuen somalischen
Regierung erklärt. Mittlerweile sind 8 000 Soldaten der
Afrikanischen Union, teilweise finanziert mit Entwick-
lungshilfegeldern aus der EU, in Mogadischu, um diese
Warlords zu stützen. Die Bundesregierung und die EU
finanzieren einen Krieg mit, der allein in diesem Jahr
2 000 Zivilisten das Leben gekostet hat. Reden Sie also
nicht von der humanitären Politik der Bundesregierung
in Somalia!


(Beifall bei der LINKEN)


Voraussetzung für ein Ende der Piraterie sowie für die
Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in
Somalia sind das Ende des Krieges und eine somalische
Regierung, die von den Somaliern akzeptiert wird.


(Beifall bei der LINKEN – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Damit verkündet!)






Christine Buchholz


(A) (C)



(D)(B)

Das kann offensichtlich keine Regierung sein, die sich
die westlichen Regierungen handverlesen herausgepickt
und militärisch unterstützt haben.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Ach, Quatsch!)


Die Bundesregierung besteht aber darauf, mit darüber zu
entscheiden, wer in Somalia regiert. Damit hat sie Mitver-
antwortung für das Leid sowohl der Somalier als auch der
von der Piraterie betroffenen Seeleute.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung scheint fest entschlossen, mit
Atalanta ihr erstes Experiment in Sachen Seeraumüber-
wachung in aller Welt nicht aufzugeben.


(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Ach du lieber Gott!)


Worum es dabei wirklich geht, macht nun nach Horst
Köhler auch Minister Guttenberg deutlich, indem er sagt,
es gehe darum, den Zusammenhang von regionaler Si-
cherheit und Wirtschaftsinteressen offen und ohne Ver-
klemmung anzusprechen. Guttenberg wörtlich:

Der Bedarf der aufstrebenden Mächte an Rohstof-
fen steigt ständig und tritt damit mit unseren Be-
dürfnissen in Konkurrenz …

Damit ist die Katze aus dem Sack: Die Bundeswehr
soll für Einsätze fit gemacht werden, deren Ziele nicht in
erster Linie Terroristen oder Kriminelle sind, sondern
konkurrierende Staaten.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707421200

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Spatz?


Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707421300

Ich bin gleich am Ende meiner Rede. Danach darf der

Kollege gerne fragen. – Es geht hier weder um das Wohl
der Somalier noch um das Wohl der Seeleute. Im Gegen-
teil: Sie zahlen den Preis für die weltpolitischen Ambi-
tionen der Bundesregierung.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Auweia!)


Deswegen wird die Linke die Operation Atalanta weiter-
hin ablehnen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Helge Braun [CDU/CSU]: Eine Rede von vorgestern! Kader des Sozialismus!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707421400

Zu einer Kurzintervention hat das Wort der Kollege

Spatz.


Joachim Spatz (FDP):
Rede ID: ID1707421500

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kollegin

Buchholz, ich will jetzt nicht auf Ihre ideologiebelastete
Schlussfolgerung eingehen. Es ist sattsam bekannt, was
Sie da für abstruse Meinungen vertreten.
Ich finde es aber schon mutig, zu unterstellen, bei der
Übergangsregierung in Somalia handele es sich um
Leute, die vom Westen herausgepickt worden seien.
Könnten Sie mir einmal verraten, woran wir uns halten
sollen, wenn nicht an eine von der Afrikanischen Union
vorgeschlagene Lösung? Die Afrikanische Union ist
eine Institution, die sich seit ihrer Gründung vor acht
Jahren darum bemüht – dazu gibt es ein klares Bekennt-
nis –, am Ende der Reise möglichst viel Demokratie,
Teilhabe der Bevölkerung und Einhaltung der Men-
schenrechte in Afrika zu erreichen. Sie bemüht sich,
auch in Somalia, bei schwierigster Ausgangssituation,
eine entsprechende Lösung herbeizuführen. Das unter-
stützen wir. Nennen Sie mir eine Alternative, die wir
verfolgen könnten und die völkerrechtlich ähnlich rele-
vant wäre wie die von der Afrikanischen Union vorge-
schlagene Lösung!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707421600

Zur Antwort, Frau Kollegin, bitte.


Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707421700

Lieber Kollege Spatz, das Grundproblem Ihrer Außen-

politik – und der Außenpolitik früherer Regierungen – ist,
dass Sie in Ländern Afrikas oder in Afghanistan mit west-
lichen Maßstäben Regierungen aufbauen wollen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben es immer noch nicht verstanden!)


Das Ganze bekommt dann noch die Tünche des UN-Si-
cherheitsrates.

Das Problem ist – schauen Sie sich die Situation in
Somalia an! –: Die Reichweite der Übergangsregierung
in Somalia ist nicht viel größer als die Reichweite der
Regierung in Kabul. Das heißt, die Unterstützung der
Bevölkerung ist überhaupt nicht gegeben. Es geht einzig
und allein darum, Leute aus dem Ausland einzufliegen,
die dort die Interessen der westlichen Staaten vertreten.
Sie können das gerne „ideologiebelastet“ nennen. Sie
verfolgen dort die alte neokoloniale Ideologie. Das leh-
nen wir ab.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


– Es freut mich, Sie ein weiteres Mal zu amüsieren. Sie
können mir aber nicht erzählen, dass Ihr Vorgehen ideo-
logiefrei ist.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Vielen Dank! Das reicht jetzt! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Jetzt reicht es aber wirklich!)


Ansonsten war dies meine ganz ideologiefreie Antwort
auf Ihre ideologiefreie Frage, Herr Spatz.


(Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/ CSU]: So jung und schon so verbohrt!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707421800

Das Wort hat nun die Kollegin Katja Keul für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.






(A) (C)



(D)(B)


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707421900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Atalanta ist eine der wenigen militärischen
Operationen der Europäischen Union, über die wir hier
im Bundestag zu entscheiden haben. Die erste Frage, die
sich dabei immer stellt, ist die nach der völkerrechtli-
chen Grundlage. Die hohe See steht nach dem UN-See-
rechtsübereinkommen allen gleichermaßen zur friedli-
chen Nutzung zu. Auf hoher See darf sich nicht nur jeder
selbst verteidigen, sondern auch Nothilfe zugunsten an-
derer leisten. Freie Seehandelswege liegen nicht nur im
Interesse einzelner Nationalstaaten, sondern im Interesse
aller. Herr Kossendey, richten Sie das bitte Herrn Minis-
ter zu Guttenberg aus: Keinesfalls dürfen sich rohstoff-
hungrige Staaten mit militärischen Mitteln Vorteile zu-
lasten anderer verschaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE] – Zuruf von der CDU/CSU)

auch keiner!)

Darum geht es bei Atalanta gerade nicht. Die freie
Schifffahrt auf hoher See ist eine völkerrechtliche Errun-
genschaft, nachdem die Weltmächte jahrhundertelang
bestimmt haben, wer die Meere befahren darf.


(Zuruf von der LINKEN: Klären Sie das einmal mit Ihrem Kollegen Ströbele! – Gegenruf der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Er hört auch zu!)


Bei allen berechtigten Vorbehalten gegenüber militäri-
schen Mitteln müssen wir in diesem Fall konstatieren,
dass die Marine hier als eine Art Weltpolizei im Auftrag
der UNO unterwegs ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Kollegin Buchholz, immerhin befinden sich immer
noch 438 Menschen in der Gewalt somalischer Piraten.
Eine Geiselnahme ist nicht so etwas wie ziviler Unge-
horsam.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Das hat keiner behauptet! – Gegenruf der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Das hat sie gerade behauptet!)


Bei diesem Einsatz werden weder Zivilisten gefährdet
noch nationale Souveränitätsrechte verletzt. Soweit im
Rahmen von Atalanta die Küstengewässer Somalias ein-
bezogen sind, liegen das Einverständnis der Übergangs-
regierung und ein entsprechendes Mandat des UN-Si-
cherheitsrates vor.

Die Küstengewässer sind gerade für die Schiffe des
Welternährungsprogramms wichtig, da die Lebensmittel
schließlich in den Häfen ankommen müssen. Der Ein-
satz dient damit sowohl der Durchsetzung des geltenden
Völkerrechts als auch der Versorgung der notleidenden
Menschen in Somalia. Meine Fraktion wird der Verlän-
gerung des Einsatzes daher überwiegend zustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das darf aber keinesfalls jährliche Routine werden;
denn es reicht nicht aus, Jahr für Jahr Fregatten an das
Horn von Afrika zu schicken.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir alle wissen, dass die Piraterie nur ein Symptom der
schwachen Staatlichkeit Somalias und der Perspektivlo-
sigkeit seiner Bevölkerung ist. Somalia ist nach einem
jahrzehntelangen Bürgerkrieg in Armut und Chaos ver-
sunken. Weder die Übergangsregierung noch die rund
7 000 Soldaten der Afrikanischen Union können die Si-
cherheit im Land gewährleisten. Im Ergebnis ist Somalia
mit über 2 Millionen Flüchtlingen eines der größten hu-
manitären Krisengebiete weltweit. 3,2 Millionen Men-
schen sind von der UN-Lebensmittelhilfe abhängig, und
es gibt kaum legale Erwerbsmöglichkeiten.

Wo also bleibt das Gesamtkonzept? Im Vergleich zu
den Aufwendungen für Atalanta können die zivilen Mit-
tel für den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in Soma-
lia und die Verbesserung der Lebensbedingungen als
eher symbolisch bezeichnet werden. Stattdessen schickt
die Bundesregierung deutsche Offiziere nach Uganda,
damit sie dort Soldaten für die somalische Übergangsre-
gierung ausbilden. Diese deutschen Offiziere sind ge-
meinsam mit ihren europäischen Kollegen in einer soge-
nannten einsatzgleichen Mission im Ausland tätig, ohne
dass der Bundestag damit befasst war. Mir hat bislang
noch keiner überzeugend erklären können, warum der
Parlamentsvorbehalt für diese problematische Mission
nicht gelten soll. Keiner weiß genau, wo diese ausgebil-
deten Kämpfer nachher in Somalia bleiben und wer sie
langfristig bezahlen soll. Nicht einmal das Alter dieser
Rekruten und ihre Volljährigkeit stehen zweifelsfrei fest.
Ich erwarte von der Bundesregierung, dass uns als Parla-
mentariern auch dieses Mandat zur Prüfung und Ent-
scheidung vorgelegt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem fordern wir Grüne schon lange, dass uns
nicht nur isolierte militärische Mandate vorgelegt wer-
den, sondern dass uns ein integriertes, das heißt auch ein
ziviles Konzept vorgelegt wird. Die Bundesregierung
sollte ihren Sitz im UN-Sicherheitsrat ab Januar 2011
nutzen und sich für die Entwicklung einer kohärenten
politischen Strategie für Somalia einsetzen, für ein Kon-
zept, das sich durch langfristig wirkende zivile Instru-
mente auszeichnet, damit wir nicht auf Dauer Symptome
bekämpfen müssen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707422000

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1707422100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Kollegin Buchholz, auch ich möchte das,
was Sie gesagt haben, nicht unkommentiert stehen las-
sen. Das war wieder ein Stück – so ist es bei einer Viel-
zahl der Reden, die Sie hier halten –, das vor allem auf
einer Aneinanderreihung von Verschwörungstheorien
basierte.


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist auch dieselbe These, die Sie immer vortragen!)


Ich weiß nicht, wo im Internet Sie das gefunden ha-
ben. Wir wissen ja, dass manche Schüler Hausarbeiten
einfach aus dem Internet kopieren und als ihr Werk ab-
geben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Sie als ge-
wählte Bundestagsabgeordnete sich so etwas selbst aus-
gedacht haben;


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Ich schon!)


zumindest hoffe ich, dass Sie sich das nicht selbst ausge-
dacht haben.


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Wo kopieren Sie denn Ihre Reden ab?)


Vielleicht nutzen Sie diese Homepage mit Verschwö-
rungstheorien in Zukunft nicht mehr und kümmern sich
stattdessen um die Politik, die hier hingehört. Dieser
Beitrag war so wenig ernsthaft, dass er in eine solche
Debatte einfach nicht gehört, Frau Kollegin. Das muss
ich Ihnen von dieser Stelle aus einmal zurufen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das glatte Gegenteil war Ihre Rede, Frau Kollegin
Keul. Ihren kritischen Anmerkungen müssen wir uns
selbstverständlich stellen. In der Tat ist es so, dass die
Verlängerung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr
hier zum Teil zu einer Routineaufgabe verkommt. Das
liegt an der Uhrzeit, zu der diese Debatten teilweise statt-
finden. Das liegt aber auch an der öffentlichen Wahrneh-
mung. Schließlich ist weder das Fernsehen bereit, die De-
batte zu einer solchen Uhrzeit zu übertragen, noch wollen
Journalisten sich in größerer Zahl damit auseinanderset-
zen.

Ich finde, bei diesem Einsatz müssen wir uns kritisch
fragen: Haben wir in unserer Afrika-Politik genug ge-
tan? Ich muss sagen: Wir haben in der Vergangenheit zu
wenig getan, was Afrika angeht. Ich möchte die Bundes-
regierung ausdrücklich ermutigen, den Weg, den wir seit
einem Jahr beschreiten, zu verstetigen. Dieser Außen-
minister hat den afrikanischen Kontinent in seiner noch
relativ kurzen Amtszeit häufig besucht. Auch in der
nächsten Woche wird er versuchen, dort Impulse zu set-
zen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das ist der Weg, zu dem ich Sie alle ermutigen
möchte. Hier müssen wir mehr tun.

Eines ist klar: Eine Mandatsverlängerung, um die wir
den Bundestag ersuchen, ist zweifellos notwendig. Wir
werben daher dafür, dieses Mandat politisch zu unter-
stützen. Es befindet sich auf einem völkerrechtlich si-
cheren und auf einem wertegebundenen Fundament,
weil wir uns für den Schutz der Freiheit, der Menschen-
rechte und letztendlich für den Schutz der somalischen
Bevölkerung einsetzen.


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Guttenberg hat gesagt: von Handelswegen!)


Ich lasse auch nicht den romantisierenden Einwurf
gelten, es handele sich bei diesen Piraten um arme Fi-
schersleute, denen gar nichts anderes übrig bleibt, als so
zu handeln. Hier geht es um ein Verbrechen und um
Mörderbanden. Es ist nicht entscheidend, was diese
Leute nachher vor Gericht aussagen. Ich frage mich, wer
ihnen eigentlich vorher gesagt hat, was sie vor Gericht
aussagen sollen. Was sie sagen, kann man nicht ernst
nehmen. Wir sollten sie an den Straftaten und nicht an
den Rechtfertigungen, die hier politisch ins Feld geführt
werden, messen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der LINKEN)


– Dass die Linke den Rechtsstaat reklamiert, ist ihr gutes
Recht. Deutschland ist ein Rechtsstaat. Aber hören Sie
auf mit diesen romantisierenden Einwürfen in Bezug auf
Piraterie!


(Zuruf von der LINKEN: Keiner romantisiert!)


Kein Mensch auf der Welt, dem es schlecht geht, hat das
Recht, andere Menschen zu entführen und zu töten. Ein
solches Verhalten ist inhuman. Wir setzen das Völker-
recht an dieser Stelle durch. Wir sind grundsätzlich an-
derer Auffassung als Sie darüber, wie das Völkerrecht
wehrhaft zu verteidigen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der freie Zugang zu Handelswegen ist die Grundlage
unseres Wohlstandes und auch die Grundlage einer funk-
tionierenden globalisierten Weltwirtschaft. Wenn dieser
Freihandel weltweit nicht durchführbar ist, wenn Reeder
aus Deutschland und Europa Angst haben müssen, ihre
Schiffe in diese Regionen zu schicken, dann wird es
keine Lösung für die Schwellenländer und für die Ent-
wicklungsländer auf der Welt geben, die an diesem
Wohlstand dauerhaft partizipieren wollen.

Es ist natürlich richtig, dass die erste Welt am meisten
vom Freihandel profitiert. Aber unser Ansatz für nach-
haltige Lösungen hinsichtlich Afrika muss sein, mög-
lichst viele Länder in den Welthandel einzubeziehen.
Das kann nur funktionieren, wenn es Investitionssicher-
heit, Sicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer sowie freie und sichere Handelswege gibt. Das
ist ein Grund, warum man dieses Piraterieproblem – es
ist ja ein Phänomen der letzten Jahre – nicht auf die
leichte Schulter nehmen darf, sondern sehr ernst nehmen
muss. Deshalb bitten wir Sie um Unterstützung für die-
ses Mandat.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707422200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/3691 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt III auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der EU-geführten Opera-
tion „ALTHEA“ zur weiteren Stabilisierung
des Friedensprozesses in Bosnien und Herze-
gowina im Rahmen der Implementierung der
Annexe 1-A und 2 der Dayton-Friedensverein-
barung sowie an dem NATO-Hauptquartier
Sarajevo und seinen Aufgaben, auf Grundlage
der Resolution des Sicherheitsrates der Ver-
einten Nationen 1575 (2004) und Folgeresolu-
tionen

– Drucksache 17/3692 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Interfraktionell wurde vereinbart, darüber eine halbe
Stunde zu debattieren. – Ich sehe, Sie sind damit einver-
standen. Dann werden wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort Herr Staatsminister Dr. Werner Hoyer.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


D
Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1707422300


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Namens der Bundesregierung bitte ich Sie um Zustim-
mung für das Mandat zur Fortsetzung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an der im Rahmen der
Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der
Europäischen Union durchgeführten Operation EUFOR/
Althea in Bosnien-Herzegowina und am NATO-Haupt-
quartier in Sarajevo.

Die weitere Stabilisierung Bosnien-Herzegowinas
liegt im besonderen außenpolitischen Interesse der Bun-
desrepublik Deutschland und der Europäischen Union.
Wir wollen Bosnien-Herzegowina in seiner Entwicklung
als demokratischer Rechtsstaat und auf dem Weg in die
europäischen und euro-atlantischen Integrationsformen
weiter unterstützend begleiten.

Deutschland hat sich seit 1995 am Friedensprozess in
Bosnien und Herzegowina beteiligt, zuerst an den
NATO-Operationen IFOR und SFOR und ab 2004 an der
EU-geführten Operation EUFOR/Althea. Die Bundesre-
gierung unterstützt zudem die politischen und zivilen
Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, die ei-
nen Beitrag zur nachhaltigen Stärkung der Demokratie
und des Rechtsstaats in Bosnien und Herzegowina leis-
tet. Unser Ziel ist ein stabiler Staat, in dem alle Ethnien
friedlich miteinander leben können. Außerdem muss
Bosnien-Herzegowina in der Lage sein, aus eigener
Kraft auf seinem Weg in Richtung EU und NATO voran-
zuschreiten.

Die militärische Sicherheitslage in Bosnien-Herzego-
wina ist stabil. Erfreulicherweise sind auch die diesjähri-
gen Parlamentswahlen, wie bereits die Wahlen in den
vergangenen Jahren, friedlich und im Wesentlichen im
Einklang mit internationalen Standards verlaufen. Die
moderaten Kräfte, die sich die Modernisierung und wei-
tere Stabilisierung des Landes zum Ziel gemacht haben,
sind aus diesen Wahlen gestärkt hervorgegangen. Das ist
ein großer Erfolg für Bosnien und Herzegowina.

Die innenpolitische Lage bleibt indessen kompliziert.
Das Verhältnis zwischen den drei wichtigsten Volks-
gruppen – Bosniaken, Serben und Kroaten – bleibt leider
wenig konstruktiv. Die Entscheidungswege sind lang
und überaus kompliziert. Aus diesem Grund werden
viele wichtige Reformen verhindert, die für eine erfolg-
reiche Annäherung Bosniens und Herzegowinas an die
EU und die NATO nötig wären. Eine Reform der Verfas-
sung, die Bosnien-Herzegowina zu einem effizienter
funktionierenden Staat machen würde, ist bisher nicht
gelungen. Zuletzt hat der Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen am 18. November dieses Jahres festgestellt,
dass die Bedingungen zur Schließung des Büros des Ho-
hen Repräsentanten noch nicht vollständig erfüllt sind.

Nicht alles, was im Friedensabkommen von Dayton
1995 für Bosnien-Herzegowina festgelegt wurde, ist um-
gesetzt. In seiner Resolution 1948 hat der Weltsicher-
heitsrat in diesem Jahr deshalb die Mitgliedstaaten der
Vereinten Nationen zur Fortführung der multinationalen
Stabilisierungstruppe Althea ermächtigt und damit das
völkerrechtliche Mandat um ein weiteres Jahr verlän-
gert.

Althea hat nach wie vor die Aufgabe, die bosnisch-
herzegowinische Regierung bei der Aufrechterhaltung
eines sicheren und geschützten Umfeldes zu unterstüt-
zen. Darüber hinaus unterstützt Althea weiterhin den
Hohen Repräsentanten bei der Wahrnehmung und
Durchsetzung seiner exekutiven Sondervollmachten in
Bosnien und Herzegowina. Althea leistet außerdem ei-
nen wichtigen Beitrag zur Ausbildung und zum Aufbau
der bosnisch-herzegowinischen Streitkräfte.

Im Laufe der kommenden Monate und im Lichte der
Entwicklung in Bosnien-Herzegowina wird über die Zu-
kunft des OHR und auch über das exekutive Mandat von
EUFOR/Althea zu entscheiden sein. Denkbar ist eine
Überführung in eine reine Ausbildungsmission.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, zurzeit be-
teiligt sich Deutschland mit gut 120 Soldatinnen und
Soldaten – von insgesamt circa 1 650 Soldatinnen und
Soldaten – an der Operation Althea. Diese deutschen





Staatsminister Dr. Werner Hoyer


(A) (C)



(D)(B)

Soldatinnen und Soldaten tragen und trugen dazu bei,
dass die Menschen in Bosnien-Herzegowina seit vielen
Jahren in Frieden leben können. Dafür gebührt ihnen un-
ser aufrichtiger Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sollte die Sicherheitslage in Bosnien-Herzegowina wei-
terhin stabil bleiben, so könnte die Präsenz von EUFOR
im Frühjahr 2011 reduziert werden. Für diesen Fall be-
absichtigt die Bundesregierung, in Abstimmung mit den
EU-Partnern das deutsche Kontingent bis auf das Perso-
nal im Hauptquartier in Sarajevo und ein zusammen mit
Österreich vorgehaltenes Reservebataillon zu reduzie-
ren.


(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)


Den Bundestag werden wir in dieser Angelegenheit
selbstverständlich in geeigneter Form auf dem Laufen-
den halten.

Bei allem vorsichtigen Optimismus über die Entwick-
lung in Bosnien-Herzegowina müssen wir dennoch
Sorge dafür tragen, dass das Erreichte nicht durch einen
verfrühten Abzug in Gefahr gerät. Die Beibehaltung der
aktuellen Personalobergrenze bleibt daher aus Sicht der
Bundesregierung gegenwärtig bis auf Weiteres notwen-
dig. Die mögliche weitere Entwicklung im Falle einer
positiven Situation Anfang des nächsten Jahres habe ich
Ihnen erläutert. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie um
Ihre Zustimmung zur Fortsetzung von EUFOR/Althea
mit einem inhaltlich unveränderten Mandat.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707422400

Nächster Redner ist der Kollege Dietmar Nietan für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dietmar Nietan (SPD):
Rede ID: ID1707422500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In vielen Diskussionen, die wir mit Bürgerinnen und
Bürgern und auch hier unter uns führen, kommen wir,
wenn wir erklären wollen, warum die Europäische
Union trotz aller Missstände und Rückschläge ein so
wichtiges Projekt ist, immer an den Punkt, an dem wir
sagen, dass die Europäische Union in der Nachkriegszeit
zumindest für Westeuropa das zentrale Friedensprojekt
war. Für uns stellt sich natürlich die entscheidende
Frage: Kann die Europäische Union, die in Westeuropa
nach dem Zweiten Weltkrieg der entscheidende Frie-
densfaktor war, auch den europäischen Kontinent insge-
samt befrieden und allen Menschen in Europa eine Per-
spektive bieten, ihr Leben in Freiheit zu gestalten, in
einer Art und Weise zu gestalten, dass sie Perspektiven
für sich und ihre Kinder haben, nicht nur in Fragen der
Sicherheit, sondern auch in Fragen der sozialen Gerech-
tigkeit und des materiellen Wohlstandes?
Wir blicken, wenn wir uns das fragen, auf den Balkan
und insbesondere nach Bosnien-Herzegowina. Wir müs-
sen feststellen, dass der Frieden von Dayton in vielerlei
Hinsicht immer noch ein kalter Frieden ist. Wir müssen
feststellen, dass es insbesondere in Bosnien-Herzego-
wina in den letzten Jahren Stagnation und nicht Fort-
s
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1707422600
Die Verlängerung des Mandats
für die Operation Althea ist ein wichtiges Signal, dass
wir weiterhin Verantwortung in dieser Region überneh-
men wollen, aber – das sage ich sehr deutlich – sie ist
nur ein Signal. Wenn wir Fortschritte in dieser Region in
Europa sehen wollen, muss sich die Europäische Union
– das ist der entscheidende Punkt – dort stärker, konkre-
ter und nachhaltiger engagieren, jedenfalls mehr als bis-
her.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nach all den Rückschlägen, die wir erlebt haben,
stellt sich die Frage: Ist das möglich? Ich sage: Ja, das ist
möglich. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir zur-
zeit erleben, dass in Bosnien-Herzegowina vielleicht
doch wieder Bewegung im positiven Sinne entstehen
kann. Aus welchen Gründen?

Der erste Grund ist – auch das hat der Staatsminister
schon angesprochen –, dass die Wahlen am 3. Oktober
dieses Jahres die moderaten Kräfte gestärkt haben. Sie
haben bei diesen Wahlen einen Stimmenzuwachs be-
kommen, ausdrücklich nicht mit nationalistischen The-
men, sondern mit Themen, die sich um die Zukunft des
Landes, um konkrete berufliche und soziale Chancen der
Menschen gedreht haben.

Der zweite Grund ist, dass die nun anstehende Regie-
rungsbildung eine große Chance ist, in den völlig blo-
ckierten Diskussionen über die Verfassungsreform viel-
leicht wieder etwas zu bewegen.

Der dritte Grund ist – das ist aus meiner Sicht für die
Menschen dort ein wichtiges Signal –, dass mit der nun
bevorstehenden Visaliberalisierung auch die Bosniaken
in den Genuss der Rechte kommen, die viele Kroaten
und Serben auf dem Gebiet von Bosnien-Herzegowina
schon haben.

Der vierte Grund ist, dass wir beobachten können,
dass die beiden großen Nachbarstaaten Kroatien und
Serbien in ihren bilateralen Beziehungen, aber auch in
ihrer Entwicklung insgesamt auf einem guten Weg sind.
Ich möchte ausdrücklich herausheben, dass wir mit den
beiden Präsidenten Josipovic und Tadic dort im Moment
zwei politische Führer erleben, die sich im Aussöh-
nungsprozess wirklich engagieren. Das kann auch eine
Chance für die Entwicklung in Bosnien-Herzegowina
bedeuten.

Damit diese Bewegung entstehen kann, muss die Eu-
ropäische Union klare Signale senden. Aus meiner Sicht
muss das erste Signal sein, dass nach der Erweiterung
um Kroatien mit der Erweiterungsperspektive nicht
Schluss ist, dass wir unser Versprechen vom Europäi-
schen Rat 2003 in Thessaloniki ernsthaft und glaubwür-





Dietmar Nietan


(A) (C)



(D)(B)

dig erneuern – und das nicht nur mit Lippenbekenntnis-
sen.

Es gilt auch, über die Frage zu diskutieren, ob es nicht
so etwas wie eine Roadmap für Bosnien-Herzegowina
im Erweiterungsprozess geben könnte, nicht etwa – da-
mit wir uns nicht missverstehen – im Sinne eines Short-
cuts, einer Abkürzung, oder gar eines Rabatts, sondern
im Sinne einer neuen Initiative vonseiten der EU, den
Beitrittsprozess stärker zu strukturieren und – man sollte
überlegen, welche Möglichkeiten es hier gibt – Meilen-
steine, erste Erfolgserlebnisse unterhalb der Schwelle ei-
nes Beitritts zu generieren, damit die Menschen in dieser
Region erkennen können, dass die Beitrittsperspektive
ernst gemeint ist.

Ein weiterer Punkt ist, dass sich die Europäische
Union überlegen muss, ob sie in der Frage der Ablösung
des Hohen Repräsentanten bisher glücklich agiert hat.
Denn wir erleben, dass er immer mehr zu einer lahmen
Ente wird. Auf der einen Seite sagen fast alle europäi-
schen Staaten: Diese Institution soll abgelöst werden. –
Aber konkretes Engagement, um die fünf Ziele zu errei-
chen und die zwei Bedingungen zu erfüllen, um also den
Deadlock, den es dort gibt, zu durchbrechen, ist nicht er-
kennbar. Das stärkt die destruktiven Kräfte. Sie reiben
sich die Hände, dass es einen Hohen Repräsentanten
gibt, der nicht mehr so agieren kann, wie er es vielleicht
möchte, und die EU bisher nicht in der Lage ist, Bedin-
gungen zu schaffen, die es ihr ermöglichen, selbst grö-
ßere Verantwortung zu übernehmen.

Der nächste Punkt, den ich für wichtig halte, ist die
Frage, ob wir die konstruktiven Kräfte unterstützen kön-
nen. Ich finde, es ist ein hervorragendes Signal, dass der
Chef der SDP, Zlatko Lagumdzija, erklärt hat, dass er
sich eine Regierungsbildung unter Beteiligung der SDP
nur dann vorstellen kann, wenn die neue Regierungs-
mehrheit mit konkreten Verfassungsänderungen startet.
Er macht also Fortschritte im Hinblick auf die Verfas-
sung zu einer Bedingung für die Regierungsbildung. In
dieser Hinsicht sollten wir von deutscher Seite die kon-
struktiven Kräfte unterstützen, gerade aufgrund unserer
Erfahrungen mit dem Föderalismus.

Wir müssen den Druck auf diejenigen, die sich bisher
völlig kontraproduktiv und nationalistisch verhalten, er-
höhen, zum Beispiel auf Milorad Dodik. Ich möchte al-
lerdings nicht jede Hoffnung aufgeben, weil ich glaube,
dass der eine oder andere im Lager von Dodik erkennt,
dass ein prosperierendes, sich auf dem Weg zur EU be-
findliches Bosnien-Herzegowina am Ende auch im Inte-
resse der Menschen in der Republika Srpska ist.

Bei aller Wertschätzung für Präsident Tadic würde ich
mir wünschen, dass auch er den Druck auf Dodik und
andere erhöht. Es ist nicht unbedingt ein hilfreiches Si-
gnal, wenn der Präsident zum Beispiel bei Wahlkampf-
auftritten von Dodik anwesend ist. Ich finde, den Be-
kenntnissen Serbiens, dass es eine konstruktive Rolle
spielen will, muss jetzt auch ein stärkerer Druck auf
Herrn Dodik folgen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für die Bundesrepublik Deutschland und uns Parla-
mentarier, aber auch für die Regierung gilt es, klare Si-
gnale zu senden. Ich will wiederholen: Parlament und
Regierung sollten deutlich machen, dass diejenigen, die
insgeheim oder offen sagen: „Nach der Erweiterung der
Europäischen Union um Kroatien ist mit der Erweiterung
erst einmal Schluss“, bei uns keine Mehrheit haben. Die
Beitrittsperspektive aufzugeben, wäre das Schlimmste,
was wir tun könnten. Dadurch würden wir die Lage vor
Ort destabilisieren.

Die Bundesregierung muss, wie ich finde, auch Lady
Ashton unterstützen. Ich habe den Eindruck, dass Lady
Ashton großes Engagement auf dem Westbalkan zeigt,
nicht nur im Hinblick auf den Kompromiss, den sie mit
Präsident Tadic bezüglich der Kosovo-Resolution gefun-
den hat. Dies könnte das erste Feld sein, auf dem sie be-
weist, dass der Europäische Auswärtige Dienst und sie
in Person durchaus in der Lage sind, etwas zu leisten.
Dabei sollte die Bundesrepublik Deutschland sie unter-
stützen.

Wir sollten die guten Beziehungen, die Deutschland
zur Russischen Föderation und zur Türkei hat, nutzen, um
auch diese beiden Staaten stärker in diesen Prozess einzu-
binden. In einem ersten Schritt sollten wir eine intensive
Strategieabstimmung mit unseren amerikanischen Freun-
den vornehmen. Dann sollten wir mit unseren türkischen
und russischen Freunden eine gemeinsame Strategie ent-
wickeln und sie einbinden. Auch das könnte den Druck
auf diejenigen, die sich nicht konstruktiv verhalten, er-
höhen.

Zum Schluss möchte ich Ihnen sagen: Ich bin der fes-
ten Überzeugung, dass das, was dort geschieht, für uns
Deutsche, aber auch für die Europäische Union eine
große Bewährungsprobe ist. Europa bzw. die Europäi-
sche Union hat in den 90er-Jahren versagt, als es darum
ging, einen Beitrag zu einem friedlichen Prozess beim
Zerfall Jugoslawiens zu leisten. Ein zweites Scheitern
der EU, wenn es darum geht, den Balkan endgültig zu
befrieden und ihn an die Europäische Union heranzufüh-
ren, wäre vielleicht das Ende der EU als anerkannter und
handlungsfähiger außenpolitischer Akteur. In jedem Fall
wäre es das Ende der EU als glaubwürdiges Friedenspro-
jekt für ganz Europa. Ich glaube, das können und wollen
gerade wir als Deutsche uns nicht leisten. In diesem
Sinne unterstützen wir diese Operation. Sie kann aber
nur ein Schritt sein. Am Ende müssen wir uns politisch
stärker engagieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707422700

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär

Christian Schmidt.

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1707422800


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
15 Jahre ist es nun her, dass mit dem Massaker von Sreb-





Parl. Staatssekretär Christian Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

renica das „Nie wieder“, das wir uns für Europa und die
Welt zum Ziel gesetzt haben, durchbrochen wurde. In
der Tat war es leider so – Kollege Nietan, da haben Sie
völlig recht –, dass dieses Massaker aufgrund der Macht-
losigkeit und des zu kurz greifenden Engagements Euro-
pas in Bosnien-Herzegowina nicht hat verhindert werden
können.

15 Jahre später – nicht nur nach Dayton, sondern auch
nach all den Irrungen, Wirrungen und schwierigen Situa-
tionen – können wir sagen, dass sich doch ein nachhalti-
ger – soll ich sagen: hoffentlich nachhaltiger? – Erfolg in
der Befriedung Bosnien-Herzegowinas zeigt.

Die militärische Seite, die den Frieden nicht bringen,
sondern nur die Voraussetzungen dafür schaffen kann,
dass Frieden und Aussöhnung möglich sind, hat ihren
Beitrag nach den bitteren Erfahrungen von Srebrenica
geleistet. Sie ist jetzt in einer Situation, in der militäri-
sche Stabilität – dies wurde bereits gesagt – vorhanden
ist. Wir möchten die Aufgabe des militärischen Teils der
Mission sehr gerne in einen nichtexekutiven Teil über-
führen; das heißt, wir müssen uns in der Tat mit den poli-
tischen Rahmenbedingungen beschäftigen.

Ich darf mich der Aufforderung an Serbien anschlie-
ßen, sich unmissverständlich in den Dienst einer Europäi-
sierung des Westbalkans insgesamt zu stellen. Es gibt
viele guten Anzeichen dafür, dass dies der Fall ist. Das
sollten wir, gerade im Hinblick auf die Erfahrungen vor
15 Jahren, überhaupt nicht leugnen. Die Signale, die aus
Belgrad kommen, sind alles in allem eher ermutigend.
Aber man muss Herrn Dodik und all denen, die meinen,
Separatismus, das Umgehen von Dayton und die Nicht-
perspektive Europa könnten als versteckte Agenda ge-
führt werden, ein klares Nein auch der Europäischen
Union und der europäischen Staatengemeinschaft zu sol-
chen Entwicklungen entgegenhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir sind über den Weg von IFOR über SFOR und
EUFOR heute in der Situation, dass in Bezug auf Bos-
nien-Herzegowina die ersten Ansätze und Überlegungen
hinsichtlich Mitgliedschaften in internationalen Organi-
sationen, der NATO und – Sie haben es angedeutet – der
Europäischen Union im Raum stehen. Das ist ein Erfolg.
Wir sollten diesen Erfolg nicht dadurch aufs Spiel set-
zen, dass wir die Sicherheitslage vorzeitig, wie Kollege
Hoyer das beschrieben hat, durch Nachlässigkeit mehr
oder weniger gefährden.

Ein klein wenig nachdenklich stimmt uns schon, dass
wir eine Reihe von Partnerstaaten haben, die sich in mi-
litärischen Komponenten offensichtlich nicht mehr so
intensiv um die Situation in Bosnien-Herzegowina küm-
mern. Sie haben die fünf Aufgaben und die zwei Bedin-
gungen angesprochen. Sie haben das nach wie vor nicht
zu einer Entscheidung kommende PIK im Hinblick auf
den Hohen Repräsentanten und die Bonn Powers ange-
schnitten, die letztendlich dahinterstehen. Solange diese
Fragen nicht endgültig im Sinne eines Konsenses gelöst
sind, wird es wohl, wenn es zu schwierigen Situationen
kommt, zumindest einer Präsenz mit militärischen Kräf-
ten bedürfen, um wieder Ruhe und Frieden zu schaffen
und die Grundlagen zu erhalten, die für eine positive
Entwicklung des Staates Bosnien-Herzegowina stehen.

Deswegen wird die Bundeswehr mit einer Obergrenze
von 900 Soldaten nach wie vor um das Mandat werben.
Mit dem Mandat, wenn es vom Bundestag beschlossen
wird, wird sie dann auch die Möglichkeiten haben, so-
wohl exekutiv als auch nichtexekutiv tätig zu sein, wo-
bei das Schwergewicht zwischenzeitlich auf dem ge-
meinsamen Bataillon mit Österreich liegt, das sich hinter
dem Horizont befindet und nur im Notfall eingreifen
würde.

Die Hoffnung, dass wir im Laufe des Jahres 2010,
noch bevor wir dieses Mandat noch einmal verlängern
müssen, dazu kommen, dass wir nichtexekutiv tätig wer-
den und dies gemeinsam gestalten können, gebe ich und
gibt die Bundesregierung nicht auf. Bis dahin wollen wir
in aller Seriosität unseren Beitrag dazu leisten, dass der
Übergang Bosnien-Herzegowinas auch wirklich sicher-
gestellt wird und das Land Teil der europäischen Staa-
tengemeinschaft wird.

Wir bitten deshalb um Unterstützung für den Antrag
der Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707422900

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707423000

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-

men und Herren! Die Bundesregierung lässt in ihrem
Antrag an den Absichten, die hinter dem Einsatz von
Bundeswehrsoldaten in Bosnien-Herzegowina stehen,
keinerlei Zweifel aufkommen. In dem Antrag heißt es
– ich zitiere –: „Das Land muss … den Weg der Integra-
tion in euro-atlantische Strukturen aus eigener Kraft“ ge-
hen. Die EU-Mission Althea soll also die NATO-Anbin-
dung Bosnien-Herzegowinas militärisch absichern. Was
ist das eigentlich, wenn nicht imperiale Politik?


(Lachen des Abg. Dr. Rainer Stinner [FDP])


Seit der Ära Guttenberg bekennt sich die Bundes-
regierung ja offen zu Einsätzen der Bundeswehr für
Rohstoffe, für freie Märkte – wir haben das eben in der
Debatte zu Atalanta gehört – und für freie Handelsrou-
ten. Das sind Zitate von Herrn Guttenberg selbst. Lieber
Herr Stinner, nehmen Sie zur Kenntnis, dass Ihr Minister
diese Worte gesagt hat, und zwar nicht erst kürzlich im
November; vielmehr hat er sich bereits im Juni darüber
gewundert, dass Bundespräsident Köhler, der zurückge-
treten ist, nicht genügend Unterstützung von Ihnen be-
kommen hat. Das sind die Worte Ihres Ministers. Ich zi-
tiere diese Worte nur.


(Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Erst angreifen und jetzt uns beschimpfen! Ist ja unfassbar!)






Sevim Daðdelen


(A) (C)



(D)(B)


Sevim Dağdelen
Deshalb sage ich: Diese neue Ehrlichkeit hat nur den
Vorteil, dass Sie damit ehrlicher sind, als es die Grünen
und die SPD sind.


(Beifall bei der LINKEN – Abg. Michael Brand [CDU/CSU]: Es ist unanständig, wie Sie sich gegenüber dem Bundespräsidenten verhalten haben!)


Mit diesem Einsatz wird auch die neoliberale EU-Er-
weiterungsstrategie begleitet. Hinsichtlich Bosnien-Her-
zegowina wird in der Strategie kritisiert – ich zitiere –:

Die Privatisierung, die Umstrukturierung öffentli-
cher Unternehmen und die Liberalisierung des
Marktes der netzgebundenen Industrien sind nicht
weiter vorangeschritten.

Weiter heißt es in dieser Strategie, das Sozialsystem
sei zu gut und müsse deshalb dringend reformiert wer-
den. Finden Sie das eigentlich nicht zynisch gegenüber
Bosnien-Herzegowina, wo ein Fünftel der Menschen mit
weniger als 2 US-Dollar pro Tag auskommen muss?
Sind 2 US-Dollar für Sie einfach zu viel?

Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich die
Lage in Bosnien-Herzegowina weiter verschlechtert.
Der Gesamtstaat musste Kredite vom IWF aufnehmen
und sich im Gegenzug Kürzungspakete diktieren lassen.
Gegen diese Kürzungen gab es massive Streiks und De-
monstrationen. Unter den Protestierenden waren auch
viele Behinderte, deren Zuschüsse und kostenloser
Zugang zum Gesundheitssystem vom IWF gestrichen
wurden. Am 21. April dieses Jahres wurden bei einer
solchen Demonstration 70 Menschen zum Teil schwer
verletzt.

Die Bundeswehr kam dabei noch nicht zum Einsatz,
aber sie ist an der Ausbildung der bosnischen Polizei be-
teiligt. Deutsche Außenpolitik ist hier wahrlich keine
Friedenspolitik. Deshalb ist hier eine Umkehr erforder-
lich. Ich würde mir wünschen, Sie würden auch nur ein-
mal genauer hinsehen, was die Folgen Ihres Handelns
vor Ort sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die International Crisis Group – wahrlich keine
linke Institution – räumt ein, dass durch diese neolibera-
len Diktate der Ethno-Nationalismus dort befeuert wird.


(Zurufe von der FDP)


– Ja, das sagt die International Crisis Group. Das passt
Ihnen natürlich nicht. – Jüngst haben diese Diktate auch
zu einem neuerlichen Anstieg ethnisch motivierter Ge-
walttaten in Bosnien-Herzegowina geführt. Jetzt droht
eben auch noch die Föderation Bosnien-Herzegowina
auseinanderzubrechen. Die EU-Mission Althea soll fort-
gesetzt werden und der Hohe Repräsentant soll mit sei-
nen Sonderbefugnissen weiter im Land verbleiben, um
diese neoliberalen Diktate abzusichern.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Ach je!)


Dabei sind Sie Teil des Problems. Durch Ihre Politik in
Bosnien-Herzegowina wird der Nationalismus dort wei-
ter geschürt. Das muss meiner Meinung nach umgehend
ein Ende haben.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Dass Nationalisten zu Nationalismus reden!)


Zum Schluss: Die militärische Absicherung neolibe-
raler Reformen und der Einbindung Kosovos in die
NATO muss beendet werden. Das Büro des EU-Protek-
torats, des Hohen Repräsentanten, muss aufgelöst wer-
den. Nur so und durch die finanzielle Unterstützung der
hiesigen bosnischen Bevölkerung kann sich Bosnien ei-
genständig entwickeln. Ihre Politik wird dagegen nicht
den Frieden sichern helfen. Ziehen Sie also die Bundes-
wehr aus Bosnien-Herzegowina ab. Verschlimmern Sie
nicht noch das soziale Elend in Bosnien, wie Sie es in
den letzten Jahren gemacht haben. Achten Sie endlich
ein Minimum – das ist wirklich nicht zu viel verlangt –
an Rechtsstaatlichkeit auch auf dem Balkan.


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/ CSU]: Vier Minuten Theatralik!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707423100

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen

Dr. Rainer Stinner das Wort.


Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1707423200

Sehr geehrte Frau Kollegin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist ja entlarvend, wenn man mehrere sol-
cher Debatten nacheinander hat. Es ist entlarvend,


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Was meinen Sie, wie es uns ergeht jedes Mal?)


wenn man die Einlassungen von Ihnen und Ihren Kolle-
gen hört. Ich bin mittlerweile zu der Überzeugung ge-
kommen, dass Sie eine fraktionsinterne Wette laufen ha-
ben, bei der es darum geht, dass jeder Redner von Ihnen
– ganz egal, zu welchem Thema Sie sprechen – einige
Vokabeln verwenden muss. Dazu gehört natürlich auch
„neoliberal“.


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist doch nicht unser Problem! Das ist das Problem der Politik!)


Frau Kollegin Dağdelen, Sie werden bedauerlicher-
weise – das meine ich jetzt sehr ernst – mit Ihrer Rede,
mit Ihrem Vokabular und mit Ihrer Argumentation dem
Ernst der Lage in Bosnien-Herzegowina in keinster
Weise gerecht.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben eine furchtbare Situation gehabt. Es gibt die-
sen, wie wir alle heute wissen, schlechten, problemati-
schen Vertrag von Dayton, unter dem wir alle leiden, un-
ter dem auch das Land leidet. Wir versuchen, aus dieser
Situation herauszukommen, Frau Dağdelen, indem wir
versuchen, das Land zu entwickeln.

Wenn Sie diese Rede in Sarajevo halten würden, wür-
den die Leute Sie auslachen – wenn nicht Schlimmeres.
Zu glauben, dass wir gegen den Willen von Bosnien-





Dr. Rainer Stinner


(A) (C)



(D)(B)

Herzegowina dabei sind, das Land imperial-kapitalis-
tisch-neoliberal auszubeuten, um es dazu zu knechten,
endlich zu uns zu kommen, damit wir es aussaugen kön-
nen, ist ein solch blödsinniges Bild, dass Sie damit ei-
gentlich nur Verachtung erreichen können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich kann Ihnen nur sagen: Mit solch einer Politik sind
Sie weit davon entfernt, ernsthafte Gesprächspartner im
Deutschen Bundestag zu werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707423300

Frau Dağdelen zur Erwiderung.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707423400

Lieber Herr Stinner, erstens sind Sie nicht befugt, so-

zusagen im Namen der ganzen Bevölkerung in Deutsch-
land zu sagen, wer in den Debatten um Außen- und Si-
cherheitspolitik ernst genommen werden kann und wer
nicht.

Das Zweite ist: Sie nehmen einfach nicht zur Kennt-
nis, dass nicht nur die Linksfraktion im Deutschen Bun-
destag Kritik an den Militäreinsätzen auf dem Balkan
zum Ausdruck bringt, sondern zum Beispiel eben auch
die International Crisis Group.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Belegen Sie das mal!)


Sie werden mir zustimmen, dass das keine linke Institu-
tion ist. Auch die Stiftung Wissenschaft und Politik sagt,
dass die Situation in Bosnien-Herzegowina


(Michael Brand [CDU/CSU]: Neues Deutschland! Sie haben die falsche!)


noch nie so verfahren, noch nie so schlecht war


(Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])


wie im letzten Jahr und in diesem Jahr.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch schon mal falsch!)


Das äußert die Stiftung Wissenschaft und Politik, nicht
die Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Die SWP
sagt, dass diese Konflikte weder durch politischen noch
durch wirtschaftlichen oder durch militärischen Druck,


(Zuruf von der CDU/CSU: Die SWP hat das niemals gesagt! – Michael Brand [CDU/CSU]: Wer denn bei SWP?)


wie ihn die Bundesregierung und die Europäische Union
im Moment ausüben, gelöst werden können.

Sie glauben, am Reißbrett auf dem Balkan Staaten
aufbauen zu können


(Michael Brand [CDU/CSU]: Ach du liebe Güte!)

in Ihrem Interesse und nach Ihrer Logik, und dann wun-
dern Sie sich, dass die Bevölkerungen vor Ort mit einer
Kolonialvertretung, wie es sie im Moment mit dem Ho-
hen Repräsentanten gibt, nicht einverstanden sind. Sie
als Vertreter einer Fraktion, die sich eine liberale Frak-
tion nennt, können doch nicht im Ernst davon sprechen,
dass dieser Hohe Repräsentant irgendetwas mit deut-
scher Rechtsstaatlichkeit oder unserem Verständnis von
Rechtsstaatlichkeit zu tun hat. Was daran ist in Ihren Au-
gen noch Liberalismus?


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707423500

Das Wort hat nun die Kollegin Katja Keul für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Jetzt kommt wenigstens wieder ein bisschen Intelligenz!)



Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707423600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Kollegin Dağdelen, zunächst noch eine Bemer-
kung zu Guttenberg und dem Imperialismus: Ich wäre
ganz bei Ihnen, wenn es darum ginge, den Minister dafür
zu kritisieren, dass er nicht sorgfältig differenziert. Ich
muss aber leider sagen: Auch Sie differenzieren bei Ihrer
Position nicht sorgfältig.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die Grünen sind immer für den Krieg! – Gegenruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist aber mal gut!)


Zur Sache: Der Krieg in Bosnien-Herzegowina ist seit
nunmehr 15 Jahren beendet. Doch obwohl die Waffen
seit 1995 schweigen, müssen wir im Bundestag erneut
über die Verlängerung eines Bundeswehrmandats ent-
scheiden. Das zeigt uns wieder einmal, dass Frieden weit
mehr ist als die Abwesenheit von Krieg.


(Michael Brand [CDU/CSU]: So ist es!)


Der Beitrag der Bundeswehr besteht derzeit noch aus
120 Soldaten. Im kommenden Frühjahr werden auch
diese voraussichtlich abgezogen. Die militärische Prä-
senz wird sich dann auf eine Handvoll Verbindungsoffi-
ziere im Hauptquartier beschränken. Das ist ein gutes
Zeichen. Denn militärische Einsätze zur Konfliktbewäl-
tigung müssen auch irgendwann zu Ende gehen. Unter
dieser Prämisse werden auch wir Grünen dem Mandat
noch einmal zustimmen.

Die verbliebenen Risiken in Bosnien-Herzegowina
sind inzwischen weniger militärischer als politischer,
ökonomischer und polizeilicher Natur. Die in Dayton
entworfene Verfassung war letztlich nur eine Hilfskon-
struktion, um den Krieg in Europa endlich zu beenden.
Das 1995 entworfene Staatsgefüge ist viel zu komplex
und fragmentiert, als dass sich darauf eine gemeinsame
Zukunft der drei Volksgruppen begründen ließe. Aktuell
existieren mit den Kantonen, der Föderation und der Re-





Katja Keul


(A) (C)



(D)(B)

publik Srpska praktisch 13 verschiedene Ebenen statt ei-
nes einheitlichen Staates. Die gesamtstaatlichen Organe
sind seit Jahren quasi funktionsunfähig.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat
im Dezember letzten Jahres entschieden, dass der ethni-
sche Proporz in Exekutive und Legislative gegen die Eu-
ropäische Menschenrechtskonvention verstößt.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Das hat er klug entschieden!)


Der Europarat hat daher eine Änderung des Wahlrechts
verlangt. Das ethnische Proporz- und Vetosystem muss
endlich durch eine demokratische Verfassung ersetzt
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Solange dies nicht gelingt, sind der Hohe Vertreter mit
seinen exekutiven Befugnissen und die Unterstützung
durch Althea als Rückversicherung unverzichtbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Der Bürgermeister des bosnisch-serbischen Foca
sagte kürzlich auf einer Veranstaltung in Berlin, die in-
ternationale Gemeinschaft müsse die bosnische Bevöl-
kerung endlich laufen lernen lassen. Die positive Kraft,
so der Bürgermeister, gehe von der kommunalen Ebene
aus. Die lokale Selbstverwaltung stärke das Vertrauen
der Bevölkerung in eine friedliche Zukunft. Die Dezen-
tralisierung ermögliche es, die territorialen Zuordnungen
nach ethnischen Kriterien zu überwinden. Das macht
Hoffnung.

Auf der anderen Seite bremsen Korruption und krimi-
nelle Strukturen den demokratischen Fortschritt. Die
meisten Machthaber der Föderation und der Republik
Srpska wollen mit allen Mitteln ihre Macht erhalten.
Eine Teilung Bosnien-Herzegowinas ist aber mit Europa
nicht zu machen. Das muss auch der deutsche Außen-
minister unmissverständlich klarmachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Die EU steht den 4,3 Millionen Bürgerinnen und Bür-
gern Bosnien-Herzegowinas gegenüber in der Pflicht.
Am 2. Juni wurde auf dem EU-Westbalkan-Gipfel in Sa-
rajevo die Beitrittsperspektive noch einmal bekräftigt.
Ein wichtiges und längst überfälliges Zeichen in diese
Richtung ist die kürzlich beschlossene Visaerleichte-
rung.

Aber nur ein Staat, der seinen Bürgerinnen und Bür-
gern die gleichen Rechte und Pflichten unabhängig von
ethnischen Kriterien gewährt, kann die Beitrittsvoraus-
setzungen erfüllen. Nach den Parlamentswahlen am
3. Oktober richten sich unsere Hoffnungen auf neue Ini-
tiativen aus der bosnischen Politik und auf Menschen
wie den Bürgermeister von Foca, damit Bosnien-Herze-
gowina als Staat endlich laufen lernen kann und wir bald
nicht mehr über die Verlängerung dieses Mandats ent-
scheiden müssen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707423700

Philipp Mißfelder ist nun der letzte Redner in dieser

Debatte. Er spricht für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1707423800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Keul, auch in dieser Debatte war nach dem
Aussetzer von Frau Dağdelen Ihre ordnende Hand leider
notwendig.


(Lachen bei der LINKEN)


Ich finde es beruhigend, dass auch im größten Teil des
Auswärtigen Ausschusses das Thema Westbalkan mit
großer Ernsthaftigkeit, aber immer auch mit großer
Sorge diskutiert wird.

Wir dürfen eines nicht außer Acht lassen: Vor
15 Jahren war Europa nicht kurz davor, zu scheitern,
sondern es ist fundamental gescheitert, weil wir zugelas-
sen haben, dass direkt vor unserer Haustür Gewalt und
Völkermord stattgefunden haben,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und weil wir mit den vorhandenen Strukturen leider
nicht in der Lage waren, dieser Aufgabenstellung ge-
recht zu werden.

Die grüne Partei hat ja lange mit sich gerungen, wel-
chen Weg man dort am besten einschlagen sollte. Wir
sollten nie vergessen, wie Joschka Fischer damals in
Bielefeld – kurz vor oder nach dem Farbbeutelwurf; ich
weiß es nicht – die Linie ausgegeben hat: nie wieder
Auschwitz, nie wieder Völkermord! – Das finde ich in
dieser Debatte durchaus bemerkenswert. Deshalb muss
sie auch sehr ernst geführt werden. Hier geht es nicht um
Kolonialismus. Hier geht es nicht um enge Interessen;
vielmehr geht es hier nur um ein einziges Interesse, das
wir als Europäische Union und als Bundesrepublik
Deutschland haben, nämlich Frieden zu schaffen direkt
vor unserer Haustür und ihn dauerhaft zu erhalten. Um
nichts anderes geht es an dieser Stelle.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dietmar Nietan [SPD])


Ich möchte auf den Beitrag von Herrn Nietan zurück-
kommen. In Dayton ist etwas auf den Weg gebracht wor-
den, was zunächst einmal den Frieden geschaffen hat.
Seitdem ist viel passiert: Slowenien ist Mitglied der Eu-
ropäischen Union geworden. Kroatien hat große Fort-
schritte erreicht. Insgesamt muss man sagen, dass die Er-
wartungshaltung der Länder des Westbalkans Richtung





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

Europa wesentlich größer geworden ist. Das gilt auch für
die Hoffnung, die viele Menschen dort in Europa setzen.

Formale Regelungen – auch des Daytoner Abkom-
mens – sind im Einzelnen immer kritikwürdig; denn man
kann nicht die politische Devise herausgeben, an einem
Regelwerk festzuhalten, nur weil man das Regelwerk
selbst aufgestellt hat. Was anfangs ein Erfolg war, muss
immer kritisch überprüft werden, zweifellos. Deshalb
darf unser Anspruch, auch in der heutigen Debatte, wenn
es um die Entsendung deutscher Soldaten geht, nicht nur
sein, dort mit Soldaten aktiv zu sein, sondern unser An-
spruch muss auch eine politische Perspektive umfassen.


(Beifall des Abg. Roderich Kiesewetter [CDU/ CSU])


Deshalb ist mein Plädoyer eindeutig – ich nehme den
Ball von Dietmar Nietan gerne auf –, dass im Mittel-
punkt unserer politischen Debatte stehen muss, einen
Weg für diese Länder in Richtung Europa und zur Euro-
päischen Union zu gewährleisten und die Hoffnung nicht
zu enttäuschen.

In Thessaloniki gab es beim Gipfeltreffen im Jahr
2003 ein klares Bekenntnis zu den Werten der Europäi-
schen Union. Das sollten wir gemeinsam weiterverfol-
gen und gemeinsam engagiert vorantreiben, selbst wenn
dies im Einzelfall ein sehr steiniger Weg sein wird, mit
dem wir uns auch noch lange Zeit beschäftigen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dietmar Nietan [SPD])


Die militärische Aktion ist und bleibt notwendig. Ich
möchte deshalb Franz Josef Jung, unserem früheren Ver-
teidigungsminister, ausdrücklich danken; denn es gab
viele Stimmen innerhalb der Europäischen Union, die ei-
nen schnelleren Abzug gefordert haben. Man stelle sich
vor, das politische Druckmittel, gerade das Druckmittel,
an der Integrität der Grenzen festzuhalten, wäre dort
nicht militärisch untermauert – manche würden das viel-
leicht als Freifahrtschein für ihr Großmachtstreben und
ihren puren Nationalismus empfinden. Insofern ist es
richtig, dass unser politisches Engagement – Minister
Westerwelle hat dies in Belgrad sehr deutlich gemacht;
er hat auch viel erreicht, was das Kosovo angeht – mili-
tärisch unterstrichen werden muss – leider.

Ganz praktisch hat das auch die Auswirkung, dass
alle diejenigen, die sich um den Aufbau von politischen
Strukturen in der Region bemühen, die sich um eine
Nachhaltigkeit im politischen System bemühen, alle in-
ternationalen NGOs, im Grunde nur dadurch frei arbei-
ten können, dass man ein militärisches Drohpotenzial in
der politischen Hinterhand hat. Wäre es nicht vorhanden,
hätte die eine oder andere Organisation sich vermutlich
nicht so frei entfalten können, wie es besonders in Bos-
nien-Herzegowina momentan der Fall ist. Auch deshalb
ist dieser Einsatz notwendig.

Trotzdem sage ich auch hier: Wir streben keine Man-
datsverlängerung nur der Mandatsverlängerung wegen
an, sondern unser Angebot muss ein politisches sein.
Trotz der großen Schwierigkeiten, die wir innerhalb der
Europäischen Union heute sehen, muss die Vision eines
zusammenwachsenden Europas eben auch sein, nicht
nur einen wirtschaftlichen Integrationsrahmen darzustel-
len; vielmehr muss ganz klar auch Friedenspolitik in den
Mittelpunkt gerückt werden. Dazu gehört, Frieden mit
diplomatischen Mitteln zu schaffen. Das ist möglich, in-
dem man einen politischen Weg in die Europäische
Union offen lässt und damit auch die konstruktiven
Kräfte ermutigt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dietmar Nietan [SPD])



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707423900

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/3692 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-
scher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische An-
griffe gegen die USA auf Grundlage des Arti-
kels 51 der Satzung der Vereinten Nationen
und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags
sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373

(2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Natio-

nen

– Drucksache 17/3690 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Damit sind
Sie einverstanden. Dann verfahren wir so.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort Herr Staatsminister Dr. Werner Hoyer.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


D
Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1707424000


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei ihrem Gipfel in Lissabon am vergangenen Wochen-
ende hat die NATO erneut gezeigt, dass sie 20 Jahre nach
dem Ende des Kalten Krieges ein lebendiges Bündnis ist,
ein Bündnis, das sich den neuen Herausforderungen
stellt. Das ist eine bemerkenswerte Feststellung, nachdem
man so viele Jahre darüber gesprochen hat, dass die
NATO am Ende sei und ihr in Zukunft die Aufgaben nach
Beendigung des Kalten Krieges fehlten. Sie ist nichtsdes-





Staatsminister Dr. Werner Hoyer


(A) (C)



(D)(B)

totrotz ein sehr lebendiges Bündnis. Mit dem neuen Stra-
tegischen Konzept, auf das sich die 28 Staats- und Re-
gierungschefs geeinigt haben, ist die NATO auf dem
richtigen Weg. Deutschland hat in Solidarität mit seinen
Partnern im Bündnis immer seinen Beitrag geleistet, ge-
rade in Krisenzeiten und auch angesichts der andauern-
den Bedrohung durch den internationalen Terrorismus.

Unter dem unmittelbaren Eindruck der Anschläge
vom 11. September 2001 erteilte der Bundestag erstmals
das Mandat, das es ermöglicht, dass deutsche Soldatin-
nen und Soldaten an Einsätzen bewaffneter Streitkräfte
gegen den internationalen Terrorismus teilnehmen. Das
Mandat zur Beteiligung an der NATO-Operation Active
Endeavour im Mittelmeer war seit 2003 stets mit dem
Mandat zur Beteiligung an der US-geführten Operation
Enduring Freedom verbunden. Vor einem Jahr, bei der
Verabschiedung des jetzt laufenden Mandats, hat die
Bundesregierung zugesagt, die deutsche Beteiligung an
OEF einer kritischen Bestandsaufnahme und Überprü-
fung zu unterziehen. Wir sind dabei zu dem Ergebnis ge-
kommen, dass aufgrund der sich wandelnden Aktions-
formen des internationalen Terrorismus unsere weitere
Teilnahme an Operation Enduring Freedom nicht vonnö-
ten ist. Vom 2. Juli 2010 an sind die letzten Einheiten
vom Horn von Afrika, wo wir im Rahmen von OEF zu-
letzt ausschließlich aktiv waren, zurückgekehrt.


(Beifall bei der FDP)


Das heißt, wir haben unsere Zusage eingehalten.

Gleichwohl zeigen die aktuellen Warnungen zur Ter-
rorgefahr hier in Deutschland gerade in diesen Tagen: Der
Kampf gegen den internationalen Terrorismus dauert an.
Der Angriff der Terroristen auf den Westen insgesamt
fand nicht nur am 11. September 2001 in Washington,
New York und in der Nähe von Philadelphia statt. Er
setzte sich fort am 11. März 2004 in Madrid und am
7. Juli 2005 in London. Die gescheiterten Versuche im
Anflug auf Detroit Weihnachten letzten Jahres und am
Times Square in New York in diesem Jahr sowie nicht zu-
letzt die aktuellen Drohungen gegen Deutschland zeigen:
Der Angriff und die Bedrohung dauern an. Deswegen
dauert auch die Selbstverteidigung dagegen an.

Dabei wundere ich mich sehr, heute zu lesen, Herr
Kollege Erler, dass Sie gerade zum jetzigen Zeitpunkt
Unbehagen zur völkerrechtlichen Grundlage äußern;
denn über die Argumente, die bereits vorgetragen wor-
den sind, wurde in der Sache, insbesondere in Bezug auf
den Hauptteil unseres früheren Engagements im Rahmen
der Operation Enduring Freedom, diskutiert. Diese Ar-
gumente wurden von Ihnen in Ihrer damaligen Funktion
vehement zurückgewiesen. Ich bin durchaus der Auffas-
sung, dass man das sehr differenziert sehen muss. Das
gilt auch im Hinblick auf die zukünftige Ausgestaltung
der Aufgaben, die hier zu bewältigen sind – mit einem
breiten Ansatz aus zivilen und militärischen Mitteln. Wir
haben stets die Vernetzung vielfältiger Instrumente und
Handlungsmöglichkeiten gerade im Zusammenhang mit
der damaligen Operation Enduring Freedom gewährleis-
tet. Das tun wir jetzt auch hier bei der gemeinsamen Ak-
tion des Bündnisses Active Endeavour; denn wir müssen
doch auf die Veränderung der Bedrohungs- und Opera-
tionsmuster der Akteure des Terrorismus eingehen. Sie
verändern sich ständig. Dementsprechend bedarf auch
der Kampf gegen den Terrorismus einer stetigen Anpas-
sung, um präventiv wirksam zu sein.

Die jüngst offenbar gewordene Bedrohung aus dem
Jemen hat erneut gezeigt, wie wichtig ein klarer Infor-
mationsvorsprung des Staates im Kampf gegen den Ter-
ror ist. Bei der Operation Active Endeavour werden für
die NATO neue Arten der Informationsgewinnung und
Informationsverarbeitung mit dem Ziel entwickelt, um-
fassende Lagebilder zu erstellen. Eine entscheidende
Rolle kommt dabei der Vernetzung der NATO-Struktu-
ren mit anderen Akteuren in der Region sowie mit Part-
nerstaaten der NATO zu. So waren zum Beispiel Länder
wie Russland, Marokko und die Ukraine an Active En-
deavour beteiligt. Solche Beteiligungen wird es auch in
Zukunft geben. Alle verbindet das gemeinsame Ziel der
Bekämpfung des Terrorismus. Hier erweist sich Active
Endeavour als ein innovatives Zentrum in einem sich
ausbreitenden Sicherheitsnetzwerk.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707424100

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Ströbele?

D
Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1707424200


Das Vergnügen werde ich mir jetzt nicht machen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Vielen Dank, Sie sind sehr freundlich!)


Ich freue mich aber auf die engagierte Diskussion dieses
Antrages der Bundesregierung in den Ausschüssen des
Deutschen Bundestages. Gegenwärtig sind wir in der
Einbringung.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist das erste Mal, dass Sie eine Zwischenfrage nicht zulassen!)


– In der Tat, es ist auch erst das zweite Mal, dass ich ein
Mandat einbringe. Bei einer Debatte im Deutschen Bun-
destag werden Sie mich als aktiven Debattenredner wie-
derfinden. Aber jetzt werde ich das für die Bundesregie-
rung vortragen, was hier gesagt werden muss.

Wir alle haben in den letzten Tagen erneut erfahren,
dass die Bedrohung durch den internationalen Terroris-
mus real ist und auch uns betrifft. Wir werden uns dieser
Herausforderung auch in Zukunft stellen müssen.

Im Bündnis werben wir dafür, die aktive Verteidi-
gungsoperation Active Endeavour auf Grundlage von
Art. 5 des NATO-Vertrages – da sind wir bei der Rechts-
grundlage, Herr Kollege Erler; vielleicht können wir uns
aufeinander zubewegen – mittelfristig zu einem ständigen
Verteidigungsplan weiterzuentwickeln, in dessen Rahmen
Alliierte und NATO-Partner ständig zur Aufklärung und
Vorwarnung beitragen. Diese Umwandlung, bei der wir,
wie gesagt, wahrscheinlich wieder zusammenkommen,
wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Auf dem Weg dort-
hin werden wir weiterhin im Rahmen der Bündnissolida-
rität zu unseren Verpflichtungen aus der Operation ste-





Staatsminister Dr. Werner Hoyer


(A) (C)



(D)(B)

hen. Den deutschen Soldatinnen und Soldaten, die hierzu
täglich ihren Beitrag leisten, gebührt unser aufrichtiger
Dank. Aus diesen Gründen bittet die Bundesregierung
Sie um eine breite Unterstützung dieses durch den Weg-
fall der Beteiligung an Operation Enduring Freedom nun
neu zu bestimmenden Mandats zum Einsatz bewaffneter
Streitkräfte im Rahmen der NATO-Operation Active En-
deavour.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707424300

Nächster Redner ist der Kollege Michael Groschek

für die SPD-Fraktion.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht so laut!)



Michael Groschek (SPD):
Rede ID: ID1707424400

Ganz leise und ganz ruhig, weil ich konsterniert bin. –

Sehr geehrter Herr Staatsminister, als Abgeordneter wa-
ren Sie ein prägnanter verteidigungs- und sicherheits-
politischer Akteur, der auf Abrüstung und Rüstungskon-
trolle gesetzt und frühzeitig darauf hingewiesen hat, dass
man OEF nicht verlängern sollte, weil es ein vorüberge-
hendes Mandat sei.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Da waren Sie noch nicht im Parlament!)


Als Staatsminister haben Sie beim letzten Mal schon
eine Legitimation für OEF herbeigezaubert, von der Sie
selbst im Grunde nicht überzeugt waren. Sie haben uns
ein Mandat mit einer Laufzeit von zwölf Monaten vorge-
legt, obwohl Sie wussten, dass Sie selbst als Person und
auch Ihre Fraktion von diesem Mandat nicht überzeugt
sind; denn vor Ihrer Regierungsbeteiligung haben Sie
gegen die Verlängerung von OEF argumentiert. Nach ei-
nem halben Jahr haben Sie den Cut gemacht und gesagt:
Wir lassen OEF auslaufen.


(Dr. Werner Hoyer, Staatsminister: Haben wir auch!)


Wir haben schon zum letzten Zeitpunkt der Mandats-
verlängerung darum gebeten, OEF in Atalanta aufgehen
zu lassen. Das haben Sie von sich gewiesen. Das, was
Sie gerade gemacht haben, ist schon wieder eine Stufe
weiter. Es ist eine Verschlimmbesserung und ein Verwi-
schen Ihres parlamentarischen Rufes, lieber Herr Staats-
minister.


(Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])


Warum? Was haben Sie gesagt? Sie haben als Be-
gründung für die Operation Active Endeavour gesagt:
Die NATO lebt noch. Wir waren immer bündnissolida-
risch. Die OEF-Absage war plausibel, und deshalb brau-
chen wir keine entsprechende Mandatierung vorzuneh-
men.

Die völkerrechtliche Plausibilität des Art. 5 des Nord-
atlantikvertrags bzw. des Art. 51 der Satzung der Verein-
ten Nationen ist, jedenfalls im Moment, unstrittig. Was
wir Ihnen heute hier als Mandatsverlängerung anbieten,
ist ein innovatives Zentrum. – Unter dem Strich, lieber
Herr Staatsminister, war das ein Herumeiern und Nebel-
kerzenwerfen. Sie wissen nämlich, auf welch tönernen
Füßen Ihr Antrag steht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Jetzt kommen wir zum Kern. Wir hatten eine sehr inte-
ressante, aufschlussreiche Anhörung mit General Petraeus.
Folgender Satz von ihm hat mich nachhaltig beeindruckt:
Ich als Soldat will vor allen Dingen eines, politische Klar-
heit und eine präzise Beauftragung. – An Klarheit und
Präzision mangelt es in Ihrem Antrag. Warum? Weil Sie
den Antragstext mit nachlässiger Routine und nicht mit
Klarheit und Präzision geschrieben haben, was nicht nur
der Bundestag, sondern auch die zu mandatierenden Sol-
datinnen und Soldaten erwarten können.

Ich will das deutlich machen. Sie haben bei der erst-
mals alleinigen Verlängerung der Operation Active En-
deavour eben nicht auf eine präzise originale Begrün-
dung dieses Anliegens Bezug genommen, sondern Sie
haben weitestgehend aus der in der Vergangenheit ge-
meinsamen Mandatierung von Active Endeavour und
Enduring Freedom abgeschrieben.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn?)


Beides ist aber nicht so zu vereinbaren. OEF, das war ein
zu Recht robustes Mandat, das mit hohen militärischen
Fähigkeiten ausgestattet war. Dazu gehörten zum Teil
Spezialkräfte, Unterstützungskräfte, ABC-Abwehrkräfte.
Das Ganze war eine gezielte Reaktion, um Kampfein-
sätze gegen Terrorcamps und Terroristen möglich zu ma-
chen. Das, was heute zur Abstimmung steht, die Fortset-
zung der Operation Active Endeavour, hat einen ganz
anderen Charakter: den einer Seeaufklärung. Die Funk-
tion besteht nur darin, Präsenz zu zeigen.

Das wird in dem Antrag der Bundesregierung aber
überhaupt nicht deutlich. Sie haben uns im Grunde im
Rahmen einer Wiedervorlage die Begründung aus dem
Antrag auf Fortsetzung der Operation Enduring Freedom
vorgelegt, was die Aufgaben der Bundeswehr angeht,
was die Gesamtmission angeht, beispielsweise die angeb-
liche Bekämpfung und Gefangennahme von Terroristen
und das Ausschalten von Terrorcamps. Das entspricht
aber nicht dem Geist der Operation Active Endeavour.
Denn das ist eher eine Gelegenheitsmandatierung, sozu-
sagen eine Durchreisemandatierung, von am Horn von
Afrika seefahrenden Einheiten auf dem Weg in die Hei-
mathäfen. Das bedeutet zum Teil die Präsenz von NATO-
Einheiten und Stippvisiten von Seefernaufklärern.

All das hat wenig mit dem zu tun, was Sie in Ihrem An-
trag verlangen, nämlich das Aufsuchen und Gefangen-
nehmen von Terroristen und das Zerstören von Terror-
camps. Das ist mit dem eigentlichen Anliegen überhaupt
nicht deckungsgleich. Das gilt auch für die Mandatsober-
grenze. Sie haben festgelegt, dass die Mandatsobergrenze
bei 700 liegt, ohne präzise zu begründen, wie Sie zu die-
ser Zahl kommen. In der ersten Hälfte dieses Monats wa-
ren null Soldatinnen und Soldaten in diesem Einsatz. Wa-
rum wollen Sie jetzt eine Mandatierung in Höhe von 700?





Michael Groschek


(A) (C)



(D)(B)

Kommen wir auf Art. 5 des Nordatlantikvertrags und
auf Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen zu spre-
chen. Sie selbst haben gerade in einem Nebensatz darauf
hingewiesen, dass die Legitimationskraft schwindet. Sie
haben gesagt: Mittelfristig müssen wir zu einem neuen
Konzept und einer neuen Legitimation kommen. Nein,
jetzt ist die Zeit reif, anzuerkennen, dass eine präzise
Neulegitimation für diese Mandatierung notwendig ist
und dass neun Jahre nach den Anschlägen in New York
eben nicht argumentiert werden kann, Art. 5 des Nord-
atlantikvertrags und Art. 51 der Satzung der Vereinten
Nationen seien die Grundlage für eine Pauschalermäch-
tigung.


(Beifall bei der SPD)


Die fehlende Sorgfalt bei der Begründung zieht sich wie
ein roter Faden durch diesen Antrag.

Schauen wir uns das Einsatzgebiet an. Das Einsatzge-
biet ist das Mittelmeer. Im Mittelmeer selbst ist auch nach
Auskunft der Bundesregierung keine aktuelle Terrorge-
fahr und keine terroristische Aktivität dokumentiert. Im
Gegenteil: Dort kann man allenfalls Boatpeople, also
Elendsflüchtlinge, antreffen. Es geht somit um das ge-
naue Gegenteil von Terrorbekämpfung. Wir haben dort
eine herausragende soziale und zivilisatorische Aufgabe
zu erfüllen.

Im Mittelmeer selbst gibt es keine terroristische Be-
drohung, die über dieses Mandat zu bekämpfen wäre,
und erst recht keine terroristischen Camps, die aufzuspü-
ren und zu vernichten wären. Deshalb ist unser Anlie-
gen, Sie darum zu bitten, im Rahmen der Beratung mit
uns gemeinsam zu sagen: Wir können bei diesem Man-
dat in die Zeit von vor 2003 zurückkehren, als nämlich
die NATO-Verbände ohne ein robustes Kampfmandat
Seefernaufklärung und Präsenz gewährleistet haben und
eben nicht die Legitimation über Art. 5 brauchten. Das
wäre eine sinnvolle Perspektive, bei der wir mitgehen
würden.

Deshalb sagen wir Ja zur Klarheit und präzisen Man-
datserteilung. Die Soldatinnen und Soldaten müssen
wissen, woran sie sind – und zwar präzise und nicht ne-
bulös. Und deshalb sagen wir Nein zum vorliegenden
Antrag. Sie werden uns nicht an Ihrer Seite finden, weil
ein robustes Mandat in diesem Fall überflüssig ist und
weil wir Ihnen auch keinen Vorratsbeschluss – siehe
700 Mann – erteilen würden; denn das wäre nicht ver-
einbar mit dem parlamentarischen Beteiligungsgesetz.

An die FDP kann ich doch bitte nur appellieren, nicht
den gleichen Fehler wie bei der letzten Mandatsdiskus-
sion um OEF zu machen. Damals haben Sie gesagt: Wir
werden das überprüfen und darüber nachdenken. Das
halbe Jahr Nachdenken war ja gut; denn das Mandat ist
ausgelaufen. Das hätten wir aber gemeinsam schon ein
halbes Jahr früher beschließen können. Deshalb meine
herzliche Bitte und Einladung: Folgen Sie uns heute,
springen Sie über Ihren Koalitionsschatten, geben Sie
Ihrer liberalen Vernunft Platz. Dann werden Sie mit uns
stimmen und Nein sagen.

(Beifall bei der SPD – Michael Brand [CDU/ CSU]: Noch eine Neinsagerpartei!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707424500

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär

Thomas Kossendey.

T
Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1707424600


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich bitte im Namen der Bundesregierung um die
Zustimmung zu diesem Mandat. Active Endavour ist ein
wichtiger Beitrag. Der Kollege Hoyer hat das hier ge-
rade vorgetragen. Ich glaube, Herr Kollege Groschek,
ein Blick in das Mandat hätte Ihnen manche Ihrer Be-
merkungen hier erspart.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn Sie im Mandat unter Punkt 4 nachlesen, werden
Sie feststellen, dass die Operation Active Endavour ein
Ziel hat. Es soll ein Beitrag zu den Aktivitäten geleistet
werden, die Sie genannt haben. Zur Bundesmarine bzw.
zur Bundeswehr steht genau das darin, was Sie erwartet
haben:


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Deutsche Marine, Herr Staatssekretär!)


– Danke schön, Herr Stinner: Deutsche Marine. –

In diesem Rahmen ergeben sich für die Bundes-
wehr insbesondere folgende Aufgaben: militärische
Präsenz auf See, Aufklärung, Überwachung, Lage-
bilderstellung auf und über See, Austausch und Ab-
gleich gewonnener Lagebildinformationen.

All das steht sehr präzise im Mandat.

Ich glaube, an der grundsätzlichen Aufgabenstellung
hat sich eigentlich gar nichts geändert. Sie haben sich
geändert, weil Sie vielleicht einem fragwürdigen Zeit-
geist nachlaufen, der Ihnen aufgrund des Hinweises von
Herrn Gabriel vielleicht die Chance gibt, in trüben Ge-
wässern – da, wo die Linken normalerweise die Ober-
hand haben – zu fischen.


(Michael Groschek [SPD]: Das ist die billigste aller Ausreden!)


Sie sagen, dass eigentlich niemand so genau weiß,
wer da ist. Es hätte nur eines kurzen Anrufes bedurft,
dann hätten wir Ihnen gesagt, welche Marineeinheiten
zum Beispiel in diesem Jahr bei Active Endavour dabei
waren. Es war „U 31“ als U-Boot dabei. Zwei Fregatten
und der Einsatzgruppenversorger waren dabei, und es
war auch – genau wie es im Mandat steht – auf Transit
die eine oder andere Marineeinheit am Horn von Afrika
dabei. Da haben wir weder etwas falsch gemacht, noch
falsch geschildert. Wir haben es sehr präzise in dem
Mandat gesagt.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707424700

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Erler?






(A) (C)



(D)(B)

T
Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1707424800


Das macht jetzt bei der kurzen Redezeit keinen Sinn. –
Ich glaube, die angespannte Situation, die wir in diesen
Tagen hier in Berlin erleben, zeigt uns, dass der interna-
tionale Terrorismus nichts von seiner Bedrohung und
seiner Unberechenbarkeit eingebüßt hat. Wir als Deut-
sche, als Mitglied in der Staatengemeinschaft, müssen,
glaube ich, deutlich machen, dass wir in unserer Ent-
schlossenheit, diesen Kräften etwas entgegenzusetzen,
nicht nachlassen. Gemeinsam müssen wir klare Signale
setzen: Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir schützen
entschlossen Frieden und Freiheit, und wir treten auch
mit Überzeugung für unsere Werte ein.

Wenn Sie das UN-Mandat vielleicht nicht ganz so ju-
ristisch sicher sehen, möchte ich Sie darauf hinweisen,
dass der Sicherheitsrat am 13. Oktober in der Resolu-
tion 1943 noch einmal ausdrücklich eine fortdauernde
Unterstützung für die verschiedenen internationalen Be-
mühungen im Hinblick auf die Bekämpfung des interna-
tionalen Terrorismus beschlossen hat. Auch das sollte
Ihnen eigentlich zu denken geben.

Active Endeavour ist und bleibt ein wesentlicher Bei-
trag im Kampf gegen diesen internationalen Terrorismus
durch Präsenz auf See und durch gezielte Überwa-
chungsmaßnahmen. Damit erschweren wir die Nutzung
der traditionellen Transportwege durch terroristische
Kräfte, und wir schränken den Zugang zu potenziellen
Aktions-, aber auch zu potenziellen Rückzugsgebieten
ein.


(Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Da steht aber etwas ganz anderes im Mandat!)


Ich glaube, ein ganz wichtiger weiterer Aspekt ist,
dass sich mittlerweile viele Länder, die nicht NATO-
Staaten sind – Russland, die Ukraine oder Marokko –, an
diesen Aktivitäten beteiligen. Das stärkt diese Operation
nicht nur operativ; das stellt, wie ich glaube, auch einen
sehr wichtigen Beitrag zur einer längerfristigen und
nachhaltig vertrauensbildenden Kooperation mit wichti-
gen Partnerländern dar.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch das steht nicht im Mandat!)


Auch unter diesem Aspekt ist Active Endeavour als ein
wichtiger Beitrag zur Stabilisierung der gesamten Re-
gion zu werten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit 2002 beteiligen
sich deutsche Marinekräfte an dieser Operation und da-
mit an der Überwachung des Seeraums Mittelmeer.
Dazu gehören unter anderem, wie wir es im Mandat ge-
schrieben haben, die Erstellung eines maritimen Lage-
bildes, die Durchführung von Security-Operationen,
zum Beispiel das Abfragen, das Anhalten und das
Durchsuchen von Schiffen, sowie auch die Nachrichten-
gewinnung und die allgemeine Aufklärung. Darüber hi-
naus sichern wir Hochwertschiffe durch Begleitung.
Schiffe mit besonderer Ladung werden von Marineein-
heiten eskortiert.

(Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Das ist seit 2005 eingestellt!)


– Entschuldigung, fragen Sie doch, was Sie fragen wol-
len.


(Zurufe von der SPD: Wir wollten ja fragen!)


– Ich meine, der Zwischenruf war etwas neben der Sa-
che.

Angesichts der Tatsache, dass die terroristische Be-
drohung fortbesteht, bleibt Active Endeavour ein ganz
wichtiger und angemessener Beitrag der NATO, um für
die Sicherheit dieses für Europa so wichtigen Seegebiets
zu sorgen. Unser deutscher Beitrag ist nicht nur ein kla-
res Zeichen unserer Bündnissolidarität – ich erinnere da-
ran, dass es Gerhard Schröder war, der uneingeschränkte
Solidarität versprochen hat –,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber nicht für immer!)


sondern es liegt auch im Interesse unserer eigenen Si-
cherheit, dort Präsenz zu zeigen und auch in Zukunft die
Aufgaben zu erfüllen, die wir im Mandat, das Ihnen vor-
liegt, eindeutig beschrieben haben.

Wir werden uns mit bis zu 700 Soldatinnen und Sol-
daten – das ist die Obergrenze – in Zukunft an dieser
Operation mit See- und Seeluftstreitkräften beteiligen.
Das schließt natürlich auch ein, Herr Groschek, dass sich
Marineeinheiten, die sich im Transit durch das Mittel-
meer befinden, an dieser Operation beteiligen.

Die Mandatsdauer ist bis zum 31. Dezember 2011
vorgesehen.

Ich bitte Sie, Ihre Position zu überdenken, und auch
im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Auch kein Argument!)


um eine breite Zustimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707424900

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Paul

Schäfer das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1707425000

Werte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Die deutsche Beteiligung an dieser NATO-Militäropera-
tion ist abzulehnen und schnellstmöglich zu beenden.

Erstens, weil die Erfahrung gezeigt hat, dass man mit
militärischen Mitteln dem Terrorismus nicht beikommen
kann.

Zweitens, weil dieses Mandat, gestützt auf Art. 5
NATO-Charta, schon längst für andere Zwecke miss-
braucht wird. Wenn man genauer hinschaut, stellt man
fest, dass es mit der Sicherung von Öltransporten – ich
komme gleich noch darauf – auch hier inzwischen um
die Durchsetzung bestimmter Wirtschaftsinteressen geht.





Paul Schäfer (Köln)



(A) (C)



(D)(B)

Das gilt auch, weil unter das Mandat auch die Abwehr
von Flüchtlingen, die nach Europa wollen, gefasst wird.

Drittens, weil für uns, das entsendende Parlament,
überhaupt nicht mehr klar ist, wofür welche Marineein-
heit wann eingesetzt wird. Dieses Blindekuhspiel hat mit
dem Parlamentsbeteiligungsgesetz wenig zu tun. Das
sollten wir nicht mit uns machen lassen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir waren ja heilfroh, dass man aus OEF ausgestie-
gen ist. Da hätte man gar nicht einsteigen dürfen, weil
die militärische Bekämpfung des Terrorismus in der Tat
nichts gebracht hat. Im Gegenteil: Sie verschärft die
Lage in Afghanistan und auch hier.


(Beifall bei der LINKEN – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Ach! Absolut falsch!)


Das gilt auch für die Mission Active Endeavour. Der
Auftrag lautet, „Führungs- und Ausbildungseinrichtun-
gen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu be-
kämpfen, gefangen zu nehmen“. Sie haben mehr als
100 000 Abfragen gemacht, mehr als 160 Boardings.
Welcher Terrorist wurde gefangen genommen und vor
Gericht gestellt? Kein einziger!


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist präventiv!)


Das ist doch der Punkt: Sie können nicht nachweisen,
dass diese Mission irgendeinen Effekt hatte. Darum geht
es inzwischen allerdings auch gar nicht mehr.

Sie sollten diesem Parlament jetzt ehrlich sagen, dass
es darum geht, in Verbindung mit den Aktionen im Suez-
kanal und im Indischen Ozean großflächig Räume zu
kontrollieren. Das klingt harmlos. Schaut man auf die
NATO-Homepage, findet man dort zum Beispiel als
Auftrag, dass systematisch Erdöl- und Erdgastransporte
beschützt werden sollen. Man kann auch nicht von der
Hand weisen, dass die NATO-Mitgliedstaaten durch die
Aufklärungsmissionen, die man durchführt, über Herr-
schaftswissen verfügen. Das ist des Pudels Kern: Es geht
nicht um Territorialverteidigung, sondern darum, be-
stimmte Interessen durchzusetzen. Dafür wollen wir
aber keine Soldaten entsenden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sind für die Durchsetzung des Völkerrechts und
die Freiheit der Meere. Dabei handelt es sich aber – das
ist der Punkt – um zentrale Aufgaben der Vereinten Na-
tionen, nicht von exklusiven Machtblöcken und Militär-
allianzen. Das ist doch der Punkt.


(Beifall bei der LINKEN)


Inzwischen leiten Sie weitschweifende Aktivitäten
aus dem Mandat ab, zum Beispiel die Abwehr illegaler
Immigration und die Verhinderung von Flucht. Davon
steht aber nichts im Bundestagsmandat. Das ist doch Be-
trug.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das Problem ist aber nicht nur, dass im Bundestags-
mandat nichts davon steht; das Problem ist auch, dass
solche Dinge tatsächlich gemacht werden. Der NATO-
Kommandeur hat 2006 in Bezug auf die Amtshilfe für
Griechenland – hier ging es um Flüchtlinge – geschrie-
ben, es gehe bei der Mission zwar um Kriminelle, aber
man sende damit auch die Botschaft an die Terroristen:
Wir suchen nach euch und wenn wir euch finden, gibt es
keinen Platz zum Verstecken. – Liebe Kolleginnen und
Kollegen, haben Sie gut zugehört? Das ist das, was aus
dem Bundestagsmandat gemacht wird. Wir machen bei
dieser bedenklichen Praxis nicht mit.


(Beifall bei der LINKEN)


Zur bedenklichen Praxis gehört auch, dass die Daten
aller Schiffe, die einmal durch das Gebiet durchfahren,
einfach zugeordnet und assigniert werden. Damit wer-
den alle Schiffe und U-Boote, die durch das Gebiet fah-
ren, der Operation Active Endeavour oder der Operation
Ocean Shield unterstellt. Meiner Meinung nach wird
hier die parlamentarische Kontrolle ad absurdum ge-
führt. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz ist an dieser
Stelle sehr klar: Es regelt, dass der Auftrag und die Auf-
gaben präzise benannt werden müssen. Soll es präzise
sein, wenn nur von der „militärischen Präsenz auf See“
die Rede ist? Der Auftrag und die Aufgaben müssen klar
benannt werden, ebenso die dafür vorgesehenen Kräfte.
Davon kann in der Praxis keine Rede sein. Auch deshalb
lehnen wir das Mandat ab.

Wir sagen Ihnen deshalb: Wenn Sie es mit dem Parla-
mentsvorbehalt ernst meinen – wenn das Parlament da-
rüber bestimmen soll –, gibt es Grund genug, jetzt inne-
zuhalten und die Verlängerung des Mandats abzulehnen;
sie ist aus friedenspolitischen Gründen ohnehin entschie-
den abzulehnen. Die Bundeswehrbeteiligung an dem
Mandat muss beendet werden.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707425100

Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1707425200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir

sprechen heute über die mögliche Fortsetzung der deut-
schen Beteiligung am Antiterroreinsatz Operation
Active Endeavour. Ich möchte an dieser Stelle etwas Un-
gewöhnliches machen, nämlich die Mission und das
Mandat voneinander trennen.

Herr Kollege Groschek, ich finde, für die Mission
gilt: Das ist nicht ganz so heiß, wie es gekocht wird. Es
passiert gar nicht so viel; man kann darüber reden, ob es
sinnvoll ist oder nicht. Ich möchte mich deshalb auf die
Versäumnisse beschränken, die ich beim Mandat gefun-
den habe. Aus meiner Sicht gibt es vier Versäumnisse:

Erstens. Es gibt sinnvolle Aspekte der Mission, über
die man im vorliegenden Mandat und in den Briefen der
beiden Minister, die versucht haben, das Mandat an die
Fraktionen heranzutragen, an keiner Stelle etwas findet.
Herr Staatssekretär, Sie haben heute zum ersten Mal da-
rauf hingewiesen, dass NATO-Partner wie Russland, Is-





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)

rael, Marokko und die Ukraine daran beteiligt sind. Es
ist aus internationaler Sicht eine wirklich spannende Ge-
schichte, dass die NATO mit diesen Ländern tatsächlich
operativ agiert. Das findet sich bisher nicht im Man-
datstext wieder. Ich finde, es ist ein Riesenversäumnis,
dass über das, was an der Mission sinnvoll sein könnte,
überhaupt nicht gesprochen wird.

Zweitens die Parlamentsbeteiligung. Im Hinblick da-
rauf hat der Kollege Schäfer recht. Ich ging bisher ei-
gentlich immer davon aus, dass Sie sich darum bemü-
hen, in diesem Parlament breite Konsense herzustellen
und dafür breit zu werben. Für die Parlamentsbeteili-
gung gilt: Wir werden nicht immer automatisch infor-
miert, wenn Schiffe eine Mission beginnen. In diesem
Fall sah die Parlamentsbeteiligung so aus, dass unsere
Fraktionsvorsitzenden einen Brief bekommen haben, in
dem steht: Wir bitten Sie, Ihre Fraktion über dieses Vor-
haben der Bundesregierung zu informieren.

Ich habe die Vorsitzenden meiner Fraktion angerufen
und sie gefragt, was eigentlich in dem Brief steht. Das
konnten sie mir nicht beantworten, weil darin nichts
Substanzielles zum Mandat stand. Hier gab es kein wirk-
liches Bemühen darum, eine breite Unterstützung für das
Mandat, für den Einsatz der Bundeswehr herzustellen.

Herr Staatssekretär Kossendey, es wäre gut gewesen,
wenn Sie das Gespräch gesucht hätten. Es reicht hier
nicht aus, zu fragen: Warum habt ihr nicht angerufen?
Sie wollten doch die Zustimmung des Hauses erreichen.
Ein Gespräch hätte möglicherweise dazu geführt, dass
manche technische Missverständnisse, die im Raum ste-
hen, von vornherein ausgeräumt worden wären.

Im Gegenteil: Ich habe das Gefühl, dass diese spärli-
che Informationspolitik in erster Linie auf einem Miss-
verständnis seitens der Regierung beruht. Ich habe das
Gefühl, dass die Regierung denkt, dies sei eine Exeku-
tivmission. Darum geht es bei diesem Mandat aber defi-
nitiv nicht.

Das dritte Versäumnis: Ich kann nicht erkennen – das
konnte ich auch den Reden an keiner Stelle entnehmen –,
welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit diese
Mission beendet wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir reden jetzt seit 15 Jahren über Missionen und sagen
immer wieder: Dieser oder jener Punkt muss auf unsere
„To do“-Liste für das nächste Mal; wir müssen noch ein-
mal darüber nachdenken, was man anders machen muss. –
Immer sind wir uns darüber einig, dass man Konditionen
und Ziele formulieren muss, mit denen dargestellt wird,
wann das Ganze zu Ende geht. Das fehlt hier völlig.
Dazu ist nichts gesagt worden.

Nun kann man das trotzdem alles für ausreichend er-
achten, um der Mission zuzustimmen, weil man sie rich-
tig findet.

Damit komme ich zum letzten Versäumnis. Das be-
trifft die völkerrechtliche Grundlage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die völkerrechtliche Grundlage fehlt. Das Einzige, was
ich heute in der Debatte dazu gehört habe, war eine Äu-
ßerung von Ihnen, Herr Staatsminister. Sie haben dem
Kollegen Erler vorgeworfen, er habe auch bei OEF keine
Bedenken gehabt und die Mission sogar verteidigt. Wir
Grünen haben schon damals gesagt: OEF ist völker-
rechtswidrig. Deshalb kommen wir auch an dieser Stelle
nicht mit.

Die Grundlage für das OEF-Mandat und die Opera-
tion Active Endeavour ist bis heute das Selbstverteidi-
gungsrecht der Amerikaner, das im Jahr 2001 von den
Vereinten Nationen anerkannt wurde. In diesem Be-
schluss der Vereinten Nationen finden Sie sehr genaue
und sehr präzise Rückbezüge auf die Regionen, von de-
nen die Gefährdung ausgeht. So ist die Operation Active
Endeavour nicht mehr begründbar. Sie haben es ja auch
gar nicht versucht; weder der Minister noch Sie haben
das versucht. Auch in dem Antragstext wird nicht ver-
sucht, zu begründen, inwiefern die Vereinigten Staaten
von Amerika im Aktionsraum der Operation Active En-
deavour ihre eigene Sicherheit gewährleisten.

Sie sind zwar stolz darauf, dass wir jetzt einen Sitz im
VN-Sicherheitsrat haben, aber Sie haben es versäumt,
diese Gelegenheit zu nutzen, um auf einen Beschluss der
Vereinten Nationen hinzuwirken, mit dem das Mandat
eine völkerrechtliche Grundlage bekommen hätte. Ich
glaube nicht, dass das schwierig gewesen wäre. Sollten
Sie einen solchen Beschluss nicht bis zur nächsten Le-
sung erreichen – das ist meines Wissens in der nächsten
Woche –, dann fühle ich mich nicht imstande, meiner
Fraktion zu empfehlen, diesem Mandat zuzustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das wäre ja mal was Neues!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707425300

Nun hat das Wort der Kollege Philipp Mißfelder für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1707425400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Kollege Nouripour, sicherlich werden wir die
Gelegenheit nutzen – der Kollege Hahn vom Verteidi-
gungsausschuss, die Kollegen Kiesewetter, Brand und
ich haben uns schon beraten – und das eine oder andere
Missverständnis bis zur Schlussberatung beseitigen. Ich
stimme Ihnen zu, dass wir auch bei dieser Frage versu-
chen sollten, einen möglichst breiten Konsens in diesem
Haus herzustellen. Das ist das Anliegen der Regierung;
das ist auch unser Anliegen als Mehrheitsfraktion.

Um vielleicht schon einmal eine Kleinigkeit auszu-
räumen, empfehle ich Ihnen, den Antrag noch einmal
durchzulesen. Das ist hilfreich, weil der Schlusssatz ei-
nen ausdrücklichen Hinweis auf die Ukraine und Russ-
land enthält. Damit ist zumindest einer der Punkte, die
für Sie kritikwürdig sind, schon ausgeräumt. Bis zum
Ende des Textes lesen, hilft bei der einen oder anderen





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

Akte, generell bei Vorgängen. Das soll die eine oder an-
dere Diskussion auch schon erspart haben.

Was den Auftrag angeht, sage ich: Er ist klar umris-
sen. Das ist im Mandat eindeutig formuliert. Herr
Schäfer hat das paraphrasiert. Er hat von der Jagd auf
Terroristen gesprochen. Es ist so:

Die Operation Active Endeavour hat weiterhin zum
Ziel, einen Beitrag dazu zu leisten, Führungs- und
Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszu-
schalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu
nehmen und vor Gericht zu stellen …


(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Auf See!)


Weiter heißt es:
– militärische Präsenz auf See,
– Aufklärung, Überwachung und Lagebilderstel-

lung auf und über See,
– Austausch und Abgleich gewonnener Lagebild-

informationen mit weiteren Akteuren im Rah-
men des Auftrages,

– Kontrolle des Seeverkehrs,

– die ist ausdrücklich erwähnt –
– temporäre Führung der maritimen Operation,
– Lufttransport zur Unterstützung der maritimen

Operation,
– Eigensicherung und Nothilfe.

Das umreißt sehr klar das, worum es in der Mission
konkret geht.


(Michael Groschek [SPD]: Worum denn?)


Deshalb kann ich Ihre Kritik an dieser Stelle nicht teilen.

Denn eines ist klar: Bei der Terrorismusbekämpfung
geht es nicht darum – Herr Schäfer und Herr Nouripour,
in diesem Punkt möchte ich Sie beide korrigieren –, aus-
schließlich Amerika zu schützen. Es ging im Falle der
NATO-Mandatierung darum, die Wertegemeinschaft der
NATO-Mitglieder insgesamt zu schützen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Völkerrechtlich gibt es mehrere Grundlagen; der Einsatz
ist auch mandatiert durch VN-Resolutionen. Es ist doch
so: Aufgrund einer Lageeinschätzung kommt man nur
selten zu dem Schluss, dass die terroristische Bedrohung
von innen kommt. Die terroristische Bedrohung wird
vielmehr von außen in ein Land hineingetragen. Insofern
sind entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, mit denen
man dem Terrorismus Einhalt gebieten kann.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707425500

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Ströbele?


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1707425600

Herr Ströbele, ich freue mich darüber. Was Zwischen-

fragen in dieser Legislaturperiode angeht, haben Sie den
Rekord gebrochen.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will mich beeilen, weil wir alle Feierabend ma-
chen wollen. – Ich habe schon entsprechende Zwischen-
fragen gestellt und wollte auch Ihre Vorredner danach
fragen: Können Sie mir erklären, was denn im letzten
Jahr – das Mandat soll ja jedes Jahr erneuert werden –
von dieser ruhmvollen Truppe an Aktivitäten geleistet
worden ist? Was machen die da eigentlich? Heißt Prä-
senz zeigen, dass sie über das Mittelmeer schippern? Wir
wissen, dass Griechenland und die Türkei NATO-Staa-
ten sind. Was ist also der Unterschied zu dem, wie die
Schiffe dieser Staaten üblicherweise über das Mittelmeer
schippern?


(Michael Brand [CDU/CSU]: Jetzt weiß ich auch, warum Kollege Ströbele von seiner Fraktion keine Redezeit bekommt!)


Was haben sie konkret gemacht? Haben sie irgendwo et-
was ausgehoben? Haben sie irgendjemanden festgenom-
men oder ähnliche Aktionen durchgeführt?


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1707425700

Herr Ströbele, Sie haben heute so viele Zwischenfra-

gen gestellt. Da Sie also fast den ganzen Tag gestanden
haben, können Sie sich meinetwegen bei der Beantwor-
tung Ihrer Frage hinsetzen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


In der Tat ist es ja so, dass ein Element unserer Kon-
zeption der Terrorismusbekämpfung ist, Präsenz zu zei-
gen. Was findet denn im Moment um das Reichstagsge-
bäude herum statt? Das ist doch nichts anderes, als
Präsenz zu zeigen. Wir stehen bei der Terrorismusbe-
kämpfung in einer Partnerschaft mit den anderen NATO-
Staaten. Es ist also nicht so, dass die deutsche Marine al-
leine herumschippert. Herr Ströbele, schon das Wort
„herumschippern“ zeigt an dieser Stelle, wie wenig Sie
in der Lage sind, gegenüber den Soldatinnen und Solda-
ten den Respekt zum Ausdruck zu bringen, den sie ver-
dient haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Michael Brand [CDU/CSU]: Einen ehemaligen Terroristenanwalt von Terrorismusbekämpfung zu überzeugen, ist schwierig!)


Aber an diesem Wort will ich mich jetzt nicht aufhän-
gen, auch wenn Sie es vorhin vielfach verwendet haben.

Präsenz zeigen, heißt aus meiner Sicht, präventiv in
ein Stadium der Terrorismusbekämpfung einzutreten.
Dazu ist diese Mission da. – Ich denke, Ihre Frage ist da-
mit beantwortet.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß immer noch nicht, was sie da gemacht haben!)


– Wir haben nächste Woche Gelegenheit, noch einmal
darüber zu diskutieren. Vielleicht lässt Sie Ihre eigene
Fraktion dann endlich auch einmal zu Wort kommen.






(A) (C)



(D)(B)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707425800

Herr Kollege, bevor Sie mit Ihrer Rede fortfahren,

möchte ich fragen, ob Sie noch eine Zwischenfrage des
Herrn Kollegen Mützenich gestatten?


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1707425900

Bitte.

setzt, selbst wenn es jetzt dem einen oder anderen um
diese Uhrzeit schwerfällt, selbst wenn es jetzt vielleicht
eine undankbare Tätigkeit ist, hier noch zu sitzen und
nicht anderen parlamentarischen Verpflichtungen nach-
gehen zu können, die vergnügungsvoller sind.


(Heiterkeit)


In der Tat finde ich es doch richtig, dass wir auch aus
Respekt gegenüber denjenigen, die in unserem Namen

Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1707426000

Herr Kollege, ich wollte mich dafür bedanken, dass

Sie erwähnt haben, dass offensichtlich auch nach Ihrer
Auffassung die eine oder andere Unklarheit in der Man-
datierung, also in dem, was die Bundesregierung dem
Parlament überantwortet hat, in den nächsten Tagen zu
klären ist. Ich glaube, dass wir im Auswärtigen Aus-
schuss und in den mitberatenden Ausschüssen dazu eine
Debatte brauchen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zu
dieser Klarheit beitragen würden.

Aber da die beiden Vertreter der Bundesregierung
vorhin nicht willens waren, zur Aufklärung beizutragen,
würde ich Sie gerne fragen, was denn die Ankündigung
des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Herrn Hoyer,
bedeutet, dass es möglicherweise in Zukunft zu einer Art
integrierenden Mandatierung für eine Fortschreibung der
Operation Active Endeavour kommen könnte. Liegt Ih-
nen eine weitere Information vor? Wird es über dieses
Mandat hinausgehen? Wie könnte man das begründen?


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1707426100

Leider liegt mir keine Information vor. Dazu, wie

man das begründen könnte, fällt mir viel ein. Wir wer-
den die Gelegenheit nutzen, auch an dieser Stelle für
Klarheit zu sorgen. Unser Angebot ist doch ganz eindeu-
tig. Für die SPD hat Herr Groschek Kritik ja nicht an der
Mission selbst geübt, sondern hat eine für den Zuschauer
vielleicht etwas verwirrende Kritik an der Mandatierung
vorgetragen. Es ist richtig, dass wir uns damit ernsthaft
beschäftigen. Unser Ansinnen ist es, bis zur Schlussbera-
tung einen größtmöglichen Konsens herzustellen; das ist
selbstverständlich. Darum werden wir uns auch in den
nächsten Tagen bemühen. Der Auswärtige Ausschuss
muss sich darum bemühen und soll sich damit in seiner
nächsten Sitzung beschäftigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, was ich zum Thema Man-
datierung noch einmal festhalten will – ich sage das,
weil gerade angeklungen ist, wir müssten das jedes Jahr
beschließen –: Ich finde es gut, dass sich der Deutsche
Bundestag so intensiv mit den Mandaten auseinander-
und zum Schutz der deutschen Bürgerinnen und Bürger
im Einsatz sind, immer über den besten Weg diskutieren
und darum ringen, wie wir diese Mandate auf den Weg
bringen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Denn bei den vielen Auslandseinsätzen, die es momen-
tan gibt – teilweise wird ja in der öffentlichen Wahrneh-
mung die Arbeit des Auswärtigen Ausschusses ganz auf
die Mandate reduziert –, bin ich der Meinung, dass der
Parlamentsvorbehalt und die parlamentarische Beratung
einen so hohen Stellenwert haben, dass wir uns selber
hinterfragen müssen, dass wir diskutieren: Welche Fort-
schritte gibt es? Welche Kritikpunkte gibt es? Dann,
wenn wir eine Entscheidung getroffen haben, müssen
wir auch dazu stehen und von dieser Stelle die Soldatin-
nen und Soldaten im Auslandseinsatz kraftvoll unterstüt-
zen. Darum geht es auch bei diesem Mandat. Deshalb
werden wir daran arbeiten, dass an diesem Punkt der
Konsens in diesem Haus so groß wie möglich ist.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1707426200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/3690 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Erhebt sich dagegen
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Damit wir sind wir auch schon am Schluss unserer
heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destags auf morgen, Donnerstag, 25. November 2010,
9 Uhr, ein.

Ich danke Ihnen herzlich dafür, dass sie so lange aus-
geharrt und diskutiert haben.

Ich wünsche einen schönen Abend und schließe die
Sitzung.