Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich unserem Kollegen Ronneburger zu seinem 65. Geburtstag gratulieren. Ihn begleiten die besten Wünsche des Hauses.
Ich rufe Punkt I der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1986
— Drucksachen 10/3700, 10/4101 —
Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksachen 10/4151 bis 10/4180 — Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne. Ich rufe auf:
Einzelplan 04
Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes
— Drucksachen 10/4154, 10/4180 —
Berichterstatter: Abgeordnete Nehm
Dr. Hackel
Dr. Riedl
Dr. Müller
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache fünf Stunden vorgesehen. — Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Darstellung der unterschiedlichen Auffassungen von Regierung und Opposition in Einzelfragen gibt es im Laufe des parlamentarischen Jahres viele Gelegenheiten. Die zweite Lesung des Einzelplanes 04, also des Einzelplans des Bundeskanzleramtes, bietet hingegen nach gutem parlamentarischen Brauch Anlaß, eine umfassende Zwischenbilanz der Regierungspolitik zu ziehen und dieser Politik die umfassenden Alternativen der Opposition gegenüberzustellen. Unser Volk erwartet, insbesondere die Jüngeren in unserem Volk erwarten, daß dies in einer deutlichen, aber fairen Auseinandersetzung geschieht,
in einer Diskussion, die sich auf Fakten stützt, die Argument gegen Argument setzt, die nichts beschönigt und nichts verschweigt, die aber dem Gegner seine Würde läßt, die den Gegner überzeugen, nicht aber ihn ausgrenzen oder ihn gar vernichten will.
Dieser Erwartung widerspricht es — lassen Sie mich das mit Ernst sagen —, daß Sie, Herr Bundeskanzler, in letzter Zeit immer häufiger versuchen, tote Sozialdemokraten gegen deren eigene Partei auszuspielen.
Manche von denen, auf die Sie sich berufen, meine Damen und Herren, würden sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen, wenn sie wüßten, wofür sie da von Ihnen in Anspruch genommen werden,
Friedrich Ebert zum Beispiel, den Weimarer Exponenten von Auffassungen, die leider auch noch heute in Ihrem Lager zu finden sind, mit dem Vorwurf, ein Verzichtspolitiker, ja ein Landesverräter zu sein, förmlich zu Tode gehetzt haben.
Wir wollen Ihnen auf dieses Feld nicht folgen. Wir wollen uns der Sache zuwenden,
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13230 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Dr. Vogelwir wollen die wirklichen Fragen stellen.
Und deshalb fragen wir: Welche Fakten und welche Entwicklungen kennzeichnen die gegenwärtige Situation unseres Volkes? Wir fragen: Gibt es Übereinstimmungen in der Beurteilung unserer Situation? Wo liegen die Gegensätze? Wo haben wir als Bundesrepublik Spielräume für die eigene Gestaltung? Wo sind wir von Faktoren abhängig, die sich unserem Einfluß entziehen? Und wir fragen schließlich: Welches sind die großen Themen unserer Zeit, die Themen, an denen sich die geistige Führung und die geistige Orientierung bewähren müssen? Wo sind die Themen, um die zu ringen sich wirklich lohnt?Ich stelle zwei große Themen an den Anfang, weil konkrete Entscheidungen, die wir zu treffen haben, in einem engen Zusammenhang mit diesen Themen stehen.Hans Jonas, ein eher konservativer Gelehrter, den manche für einen der scharfsinnigsten Philosophen der Gegenwart halten, hat das zentrale Thema unserer Epoche in einem Satz zusammengefaßt, in dem Satz:Die Macht der Menschen, etwas zu tun und in Raum und Zeit hineinzuwirken, ist in gewaltiger, ja in erschreckender Weise über ihre Fähigkeiten und ihre Bereitschaft hinausgewachsen, Entwicklungen vorherzusehen, die möglichen Folgen unserer Handlungen im voraus zu werten und die immer rascher wechselnden Zusammenhänge zu beurteilen.Dieser Satz findet eine immer breitere Zustimmung. Aber auch die, die ihn bezweifeln, können drei Fakten nicht bestreiten: Ob es uns gefällt oder nicht, es ist eine Tatsache, daß unserer Generation erstmals in der Menschheitsgeschichte eine Fähigkeit zugewachsen ist, die vor ihr keine andere Generation seit Anbeginn der Menschheit besaß, die furchtbare Fähigkeit nämlich, das Leben auf unserem Planeten auszurotten und der Menschheit selbst ein Ende zu setzen.
Es ist eine Tatsache, daß sich der Mensch erstmals in unserer Generation zum Herrn der natürlichen Evolution aufgeschwungen hat, daß er vom Objekt zum Subjekt der Evolution wurde, daß die Verantwortung für die Existenz und die Entwicklung der Erde in seine Hand, in die Hand des Menschen, übergegangen ist. Und es ist eine Tatsache, daß die Welt niemals schneller geschrumpft, daß die gegenseitige Verflechtung und damit auch die gegenseitige Abhängigkeit der Völker und Kontinente niemals rascher vorangeschritten ist als in unserer Zeit.Daraus folgt — und ich halte es für denkbar, daß wir uns darüber verständigen —: Unsere Verantwortung ist im Vergleich zu früheren Generationen in einem ungeheuren Maß gewachsen: gegenüber der Natur, gegenüber der gegenwärtigen Menschheit insgesamt und vor allem gegenüber den künftigen Generationen. Denn was wir in Gang setzen, was wir geschehen lassen, was wir tun, reicht mit seinen Folgen und Wirkungen viel tiefer und viel weiter, als das Tun und Lassen früherer Generationen, und es ist, wenn überhaupt, viel schwerer umkehrbar oder rückholbar oder korrigierbar.Ist das so — und es ist so —, dann müssen wir viel mehr Kraft als bisher darauf verwenden, daß wir diese Verantwortung erkennen und konkrete Maßstäbe für ihre Wahrnehmung entwickeln. Es geht um die Entwicklung einer Zukunftsethik, die die humanen Grenzen des technisch Machbaren deutlich werden läßt und die uns dort die Kraft zum bewußten Verzicht gibt, wo die sich selbst überlassene Entwicklung sonst die Substanz eines menschenwürdigen Daseins in Frage stellen würde.
Wer sich — wie wir — derart zum Herrn der Natur aufschwingt, daß er die natürlichen Schutz- und Regenerationsmechanismen außer Wirksamkeit setzt, der muß selber neue, vom Menschengeist getragene Schutz- und Regenerationsmechanismen schaffen.Manche, gerade in Ihren Reihen, verspotten solche Gedankengänge als Askese oder diskreditieren sie als Kulturpessimismus. Das ist abwegig. In Wahrheit sind diese Gedankengänge Ausdruck der Zuversicht, nicht eines glatten und oberflächlichen Zweckoptimismus, sondern einer von Hoffnung getragenen ernsthaften Zuversicht.
Denn diesen Gedankengängen liegt die Überzeugung zugrunde, daß es Wege aus der Gefahr gibt, daß die Gefahr gebannt, daß das Unheil abgewendet, daß der Frieden gesichert, die Freiheit ausgebreitet, die Gerechtigkeit gestärkt und die Menschenwürde als oberster Wert, auch angesichts der gegenwärtigen und absehbaren technologischen Entwicklung, gewahrt werden kann, wenn wir uns nur über die Gefahren Klarheit verschaffen und ihnen tätig entgegenwirken.Für Sozialdemokraten sind diese Einsichten nicht neu. Wir haben den technischen Fortschritt stets bejaht, aber wir wußten und wissen, daß die kapitalistische Nutzung der Technologie nicht dem Selbstlauf überlassen bleiben kann, sondern der sozialen Kontrolle und der sozialen Korrektur durch die Betroffenen bedarf,
wenn sie nicht zerstörerische Wirkungen entfalten soll.Wir haben gelernt, daß auch ökologische und humane Eingrenzungen und Korrekturen dieser Entwicklung notwendig sind.
Wir teilen — ungeachtet Ihrer dümmlichen, Sie selbst charakterisierenden Zwischenrufe —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13231
Dr. Vogeldiese Einsichten mit einer wachsenden Zahl gesellschaftlicher Kräfte, mit den Kirchen beispielsweise, mit den Gewerkschaften, mit wichtigen Teilen der Wissenschaft, mit nicht wenigen in den neuen Bewegungen. Wir teilen sie aber auch mit den Klügeren, den Nachdenklicheren
unter den Konservativen. Wir teilen diese Einsichten mit all denen, die fragen, ob unser gegenwärtiges System wirklich mehr auf die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse als auf die Instrumentalisierung dieser Bedürfnisse zum Zwecke der Gewinnmaximierung angelegt sei, mit denen, die fragen, ob die Bedürfnisse das Ziel oder ob sie nur Instrument und Mittel zum Zweck seien,
mit denen, die fragen, ob eine Ordnung wirklich von Dauer sein könne, die nicht den Kreislauf, sondern das unendliche und unbegrenzte Wachstum zu ihrer Grundvoraussetzung erklärt.Die Diskussion darüber ist doch außerhalb dieses Saales längst im Gang. Warum geben wir dieser Diskussion nicht auch im Plenum des Deutschen Bundestags breiteren Raum? Die beiden EnqueteKommissionen „Technologiefolgenabschätzung" und „Chancen und Risiken der Gentechnologie", auf die wir uns verständigt haben, sind immerhin ein erster Ansatz.Meine Damen und Herren, es ist viel vom Grundkonsens der Demokraten die Rede, oft auch in Angelegenheiten, die eher nebensächlich sind. Hier, in den Grundfragen, in den Überlebensfragen, müßte dieser Konsens der Demokraten wirklich gesucht werden. Wir sind dazu bereit.
Wir halten diesen Konsens für möglich. Wir sollten uns gemeinsam um diesen Grundkonsens in diesen Fragen bemühen.Ein anderes großes Thema ist das unserer Geschichte und unserer nationalen Identität. Im schrillen Lärm der täglichen Erklärungen könnte es scheinen, als ob hier gravierende Gegensätze bestünden. Dem ist nicht so. Eine breite Mehrheit unseres Volkes findet sich in dem zusammen, was der Herr Bundespräsident dazu am 8. Mai 1985 von dieser Stelle aus und am 8. Juni 1985 vor dem Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf gesagt hat. Unser Volk findet sich in seiner breiten Mehrheit wieder in Sätzen wie diesen:Wir Deutschen sind ein Volk und eine Nation. Wir fühlen uns zusammengehörig, weil wir dieselbe Geschichte durchlebt haben ... Wir fühlen uns zusammengehörig in unserem Willen zum Frieden.Oder, so gesagt in Düsseldorf vor dem Evangelischen Kirchentag:Wir sind mitverantwortlich, unserem Deutschsein einen Inhalt zu geben, mit dem wir uns und unseren Nachbarn verständlich sind und in dem wir uns selbst zu Hause fühlen, unseremNachbarn erträglich und willkommen sind und vor unseren Nachkommen bestehen können.Oder ein Kernsatz der Rede, aus der ich zitiere:Die Substanz — des Themas der Einheit — sind nicht wie früher nationale Grenz- und Gebietsfragen. Es geht nicht darum, Grenzen zu verschieben, sondern Grenzen den trennenden Charakter für die Menschen zu nehmen.
Wenn man von einer Handvoll Rechtskonservativer, deren Einfluß leider weit größer ist als ihre Zahl in Ihren Reihen, und einem Teil der GRÜNEN absieht, dann existiert darüber ein breiter Konsens.Auf dieser Grundlage und der Grundlage der von mir erwähnten Reden des Bundespräsidenten müßte nach einer breiten öffentlichen Diskussion auch ein Konsens über die Konzepte eines nationalen Mahnmals, eines Museums der deutschen Geschichte in Berlin und eines Hauses der Geschichte in Bonn möglich sein, ein Konsens über Konzepte, die dann unter der Obhut des Bundespräsidenten von allen Verfassungsorganen gemeinsam getragen werden.
Nichts wäre schlimmer, meine Damen und Herren, als wenn die Exekutive versuchen wollte, sich dieser Projekte unter Aspekten der gegenwärtigen Koalitionsmehrheiten zu bemächtigen oder gar vollendete Tatsachen zu schaffen,
etwa durch Festlegung auf bestimmte Geschichtsinterpretationen oder durch personelle Vorentscheidungen. Auch hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, gilt: Unsere Geschichte und unsere nationalen Symbole gehören nicht der Regierung und erst recht nicht einer Partei, sie gehören dem ganzen Volk ohne Ausnahme.
Die Erinnerung an den zerstörerischen Flaggenstreit der Weimarer Republik, an den Streit zwischen schwarz-rot-gold und schwarz-weiß-rot sollte uns Mahnung sein.
Vor dem Hintergrund solcher Fragen geht es uns unverändert um die Sicherung des Friedens, um die Überwindung der Arbeitslosigkeit, um den sozialen Frieden und um den Schutz und die Wiederherstellung unserer Umwelt.Die beiden mächtigsten Männer der Welt, Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow, haben sich vor knapp einer Woche in Genf getroffen. Das Ergebnis ihrer Gespräche ist ermutigend, und die Bereitschaft, diese Gespräche fortzusetzen, ist für sich allein schon ein Erfolg.
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13232 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Dr. VogelDer von uns entwickelte
und von Ihnen, meine Damen und Herren, immer wieder bekämpfte Gedanke, daß Sicherheit, daß das Überleben nur durch partnerschaftliche Zusammenarbeit gewährleistet werden kann, hat in Genf konkrete Formen angenommen.
Und auch andere der von uns seit langem vertretenen Positionen findet sich in den dortigen Erklärungen. Etwa die Feststellung, daß nukleare Kriege in unserer Zeit nicht mehr zu gewinnen sind und deshalb unter gar keinen Umständen geführt werden dürfen, oder die Feststellung, daß keine Seite militärische Überlegenheit anstreben dürfe.
Das läßt hoffen, daß die Zeit der gegenseitigen Verteufelung der Vergangenheit angehört und daß sich der Begriff der Entspannung, der lange aus der politischen Diskussion verdrängt wurde, endlich wieder mit Leben erfüllt.
Es wäre gut gewesen, die Begegnung hätte schon vor drei Jahren, also vor der letzten großen Umdrehung der Rüstungsschraube, stattgefunden; denn bei aller Freude über Genf darf nicht übersehen werden: Auch nach Genf geht der Rüstungswettlauf weiter. Die Gefahr seiner Ausdehnung auf den Weltraum ist keineswegs gebannt.
Die strikte Einhaltung und die volle Anwendung des ABM-Vertrages und der SALT-II-Vereinbarung ist keineswegs gewährleistet. Auf diesen entscheidenden Feldern steht die Bewährungsprobe des Genfer Gipfels noch bevor. Hier müssen den Worten jetzt auch Taten folgen.
Der weltweite Druck auf die Supermächte, dem Wahnwitz weiterer Aufrüstung ein Ende zu machen, darf jetzt nicht nachlassen. Dieser Druck muß sich verstärken.In dieser Situation bekräftigen wir unsere Positionen. Sie lauten:Erstens. Wir bejahen das Atlantische Bündnis und die Bundeswehr als Instrumente der Kriegsverhütung. Ein deutscher Sonderweg außerhalb des Bündnisses würde unsere Nachbarn insgesamt beunruhigen, die Mitte unseres Kontinents destabilisieren und unsere Sicherheit nicht stärken.
Er würde auch nicht zu einer umfassenden europäischen Friedensordnung führen. Wir lehnen einen solchen Sonderweg ab.
Zweitens. Wir sind gegen jede weitere Fortsetzung des Rüstungswettlaufs und insbesondere gegen seine Ausdehnung in den Weltraum. Die Beteiligung der Bundesrepublik an SDI ist nach Genf noch bedenklicher und noch stärker abzulehnen als vorher.
Das weitere Auftürmen nuklearer Vernichtungswaffen erhöht die Sicherheit nicht, sondern vermindert sie. Außerdem läßt der Rüstungswettlauf schon jetzt Menschen in großer Zahl zu Tode kommen, weil er die Ressourcen verschwendet, mit deren Hilfe Not und Elend in der Dritten Welt gelindert und gebessert werden könnten.
Drittens. Wir sind für konkrete Schritte zur Rüstungskontrolle auch im regionalen Maßstab. Wenn die weltweite Abrüstung auf einen Schlag nicht zu erreichen ist, dann ist die regionale Abrüstung immer noch besser als gar keine Abrüstung.
Unsere von der DDR-Führung bejahten Vorschläge bieten einen Ansatz für die Entfernung chemischer Waffen zunächst aus beiden deutschen Staaten und dann aus Zentraleuropa. Sie versichern uns immer wieder, daß die USA ihre chemischen Waffen alsbald aus der Bundesrepublik ersatzlos abziehen wollen. Das heißt, die Bundesrepublik soll alsbald — und wir begrüßen das — eine chemiewaffenfreie Zone werden. Wenn das so ist, warum greifen Sie dann eigentlich nicht den Vorschlag auf, der auch den Abzug der sowjetischen Giftgasvorräte aus der DDR und aus der Tschechoslowakei zum Ziel hat? Nehmen Sie denn wirklich lieber den einseitigen Verbleib sowjetischen Giftgases in unserer nächsten Nachbarschaft in Kauf, als einen von uns gewiesenen gangbaren Weg zu beschreiten?
Ja, warum lehnen Sie denn sogar die von den Führungen der DDR und der Tschechoslowakei angebotenen Konsultationen über einen Vorschlag, der die Räumung dieser Giftgasvorräte zum Gegenstand hat, nur deshalb ab, weil wir diesen Prozeß in Gang gebracht haben? Ich weigere mich vorläufig, zu glauben, daß Sie Ihre Rüstungskontrollpolitik derartig engstirnig und parteipolitisch betreiben.
Viertens. Die Kriegsverhütungsfähigkeit der Bundeswehr muß gewährleistet sein. Sie kann nach dem Ergebnis der gerade auf diesem Gebiet sehr intensiven und sehr sachlichen Haushaltsberatungen mit einem geringeren als dem von der Mehrheit des Haushaltsausschusses gebilligten finanziellen Aufwand geleistet werden. Sie haben sich einem Teil unserer Kürzungsvorschläge angeschlossen. Wir halten darüber hinaus Kürzungen in Höhe von insgesamt 1,8 Milliarden DM ohne Gefährdung der Kriegsverhütungsfähigkeit für vertretbar. Dann hätte der Verteidigungshaushalt am Gesamthaushalt immer noch einen Anteil von über
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Dr. Vogel18%. Die dadurch frei werdende Summe wollen wir für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Behebung besonders gravierender sozialer Ungerechtigkeiten verwenden. Auch dies ist ein Beitrag zur Sicherheit unserer Bundesrepublik und unseres Landes.
Fünftens. Wir bedauern den Gewichts- und Ansehensverlust der deutschen Außenpolitik.
Seine Ursachen liegen in den andauernden Koalitionsstreitigkeiten über wichtige außenpolitische Fragen, so etwa im Streit über die Haltung zu SDI, der in den letzten Tagen und Wochen geradezu groteske Formen angenommen hat, im Streit über Eureka, im Streit über die Südafrikapolitik. Diese Streitereien lassen Ihre Außenpolitik unberechenbar erscheinen.
Das Gewicht der Bundesrepublik wird auch durch die wachsende Neigung zu einem vorauseilenden Gehorsam gegenüber der gegenwärtigen amerikanischen Administration gemindert, und zwar nicht nur in Osteuropa, sondern gerade auch in den Vereinigten Staaten selbst.
Leider spielen bei diesem Gewichts- und Ansehensverlust auch persönliche Unzulänglichkeiten eine Rolle. Hier, in diesen drei Punkten, müssen die Korrekturen einsetzen. Lassen Sie mich hinzufügen: Durch forcierte Waffenexporte wird unser Land den so verlorenen Einfluß nicht zurückgewinnen.
Im Gegenteil: Unser Land würde dadurch in Spannungen verstrickt, an deren Überwindung, nicht an deren Vertiefung wir als Bundesrepublik mitwirken sollten.
Sechstens. Die Ost- und Deutschlandpolitik muß fortgesetzt und belebt werden. Das ist durch die Ergebnisse des Genfer Gipfels erleichtert worden. Der Besuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR könnte diese Entwicklung ebenfalls fördern. Ich warne allerdings, ihn schon wieder im Vorfeld durch kleinliche und profilsüchtige Diskussionen zu zerreden.
Ein Störfaktor
für eine konstruktive Ost- und Deutschlandpolitik bleibt die von rechtskonservativen Kräften neu belebte Diskussion über die politische Endgültigkeit der in den Verträgen anerkannten Grenzen. Nicht zuletzt dieser Streit hat es der Union unmöglich gemacht, der von ihren Unterhändlern gebilligten Fassung der deutschlandpolitischen Entschließungzuzustimmen. Herr Kollege Rühe hat das in der Aktuellen Stunde vom 23. Oktober 1985 indirekt bestätigt, indem er wörtlich ausführte:Ich stehe zu dem, was ich am 6. Februar— gemeint war die politische Bindungswirkung der Verträge —gesagt habe. Ich halte das politisch für vernünfgig und rechtlich für völlig einwandfrei. Aber ich muß auch sagen— es ehrt Sie, daß Sie das hinzugefügt haben —,daß diese Rede eben nicht zu den unumstrittenen Grundlagen unserer Politik gehört.Das ist ein bemerkenswertes, den Redner ehrendes Zeugnis aus der Mitte der Union über ihre Gespaltenheit in dieser Frage.
Herr Czaja hat Sie, Herr Kollege Rühe, in diesem Zusammenhang erst gestern wieder öffentlich angegriffen und sich dabei zu der erstaunlichen Äußerung verstiegen, es seien die Polen, die jetzt uns gegenüber Gebietsansprüche erheben. Herr Bundeskanzler, bringen Sie diese unmögliche Äußerung so rasch wie möglich vom Tisch, bevor sie mehr Schaden anrichtet!
Meine Damen und Herren, wir stehen unverändert zu allen Teilen dieser Entschließung. Wir stehen auch zu der vom Grundgesetz normierten Fortdauer der deutschen Staatsangehörigkeit, die wir niemandem aufnötigen, aber auch niemandem entziehen.Um so unverständlicher sind uns die Äußerungen des Herrn Bundesministers Windelen über das Verhältnis zwischen Berlin und der Bundesrepublik. Herr Windelen hat in einem Interview vor einer Woche ausgeführt, Berlin gehöre rechtlich nicht zur Bundesrepublik und werde nicht von der Bundesrepublik regiert. Richtig ist, daß Berlin infolge der besonderen Situation der Stadt und der besonderen Rechte der Alliierten nicht vom Bund regiert werden kann. Ich sage Ihnen, Herr Kollege Windelen, aber klipp und klar: Unannehmbar ist die apodiktische Feststellung aus dem Munde eines Bundesministers, daß Berlin rechtlich nicht zur Bundesrepublik gehört. Das steht in klarem Widerspruch zur Verfassung und zur Auffassung des Bundesverfassungsgerichts!
Ich möchte wissen, welcher Sturm des Protestessich erhoben hätte, wenn irgendein Sozialdemokratund nicht ein amtierender Bundesminister in Ber-
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Dr. Vogellin oder hier eine derartig unglaubliche Äußerung gemacht hätte.
— Meine Damen und Herren, dieser Zuruf ist kennzeichnend für das Diskussionsniveau einiger aus Ihren Reihen. Wenn ich hier über eine ernste Sorge wegen einer Äußerung eines amtierenden Bundesministers spreche, dann ist der Kommentar dieser Herren „Heuchelei". Sie reden über Lafontaine; kümmern Sie sich lieber um Herrn Windelen und seine Äußerungen!
Herr Bundeskanzler, ich habe Sie gebeten, die Äußerung von Herrn Czaja in Ordnung zu bringen; ich muß Sie als Bundeskanzler noch dringender bitten, von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen und Herrn Bundesminister Windelen die rechtliche Situation Berlins klarzumachen.Wir haben auch die Aussöhnung mit Polen durch das gestern veröffentlichte gemeinsame Papier wieder ein Stück vorangebracht und damit den Worten von Genf im Rahmen unserer Möglichkeiten konkrete Taten folgen lassen. Nichts in diesem Papier, Herr Kollege Rühe, verstößt gegen Bündnispflichten, aber alles in diesem Papier hat ein Ziel im Auge — und das sollte ein gemeinsames Ziel sein —, nämlich Mißtrauen abzubauen, auch konventionelle Konflikte weniger wahrscheinlich zu machen und die Lage in Zentraleuropa durch konkrete, wenn auch kleine Schritte zu stabilisieren.
Ich muß fragen: Wo bleibt demgegenüber eigentlich Ihre Polen-Politik? Vernünftige, konstruktive Beiträge insbesondere von Herrn Rühe, aber auch von einzelnen anderen beispielsweise auf dem Forum in Krakau sind leider nicht repräsentativ für Ihre konkrete Haltung gegenüber dem polnischen Volk. Ich wiederhole: Die Aussöhnung mit Polen muß für uns denselben Rang haben wie die Aussöhnung mit Frankreich, die wir im letzten Vierteljahrhundert Gott sei Dank zustande gebracht haben.
Siebtens. Wir treten unverändert für den raschen Fortgang der europäischen Einigung und für eine stärkere Selbstbehauptung Europas ein. Wir sehen mit Sorge, daß die großen europäischen Ankündigungen und Versprechungen, insbesondere die Ihren, nach und während des Stuttgarter Gipfels im Jahre 1983 immer blasser werden, je näher der Gipfel in Luxemburg heranrückt. Schon seit geraumer Zeit — und ich sage das mit Bedauern — gehört die Bundesrepublik nicht mehr zur Spitzengruppe der auf die Einigung Europas drängenden Kräfte. Seit dem Sündenfall des Getreidepreisvetos zählt die Bundesrepublik bestenfalls noch zum Mittelfeld. Mit diesem Veto, mit der lauwarmen, unentschiedenen Haltung zum Eureka-Projekt, auch mit der Ablehnung eines europäischen wetterunabhängigen Rüstungskontroll- und Aufklärungssatelliten werden wichtige Chancen vertan.Wer die Europäische Union will, wer wie wir davon überzeugt ist, daß Europa nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft hat, wer überzeugt ist, daß Europa nicht nur das Feld sein soll, auf dem andere ihre Interessengegensätze austragen, der muß deshalb mit uns gemeinsam zunächst einmal die Bundesregierung zu einer entschiedeneren und konstruktiveren Haltung in europäischen Fragen drängen.
Insgesamt, Herr Bundeskanzler und meine Damen und Herren von der Union: Hören Sie auf, uns eine Nebenaußenpolitik vorzuwerfen! Machen Sie endlich selbst eine klare Außenpolitik und passen Sie auf, daß Sie den Überblick über Ihre verschiedenen Haupt- und Nebenaußenminister, über die Herren Strauß, Teltschik, Czaja und Genscher, nicht verlieren!
Innenpolitisch ist für uns nach wie vor die Überwindung der Arbeitslosigkeit die wichtigste Aufgabe. Natürlich sind unsere wirtschaftlichen Daten heute günstiger als im Jahre 1982.
Das ist nicht nur bei uns, das ist weltweit so. Wir freuen uns darüber um so unbefangener, weil wir zur Zeit unserer Regierungsverantwortung im weltweiten Vergleich der Industrienationen
in keiner Hinsicht schlechter dastanden, als die Bundesrepublik das heute tut. Bei der Preisentwicklung z. B.
hatten wir 1981 im internationalen Vergleich zusammen mit Japan die geringste Preissteigerungsrate aller Industrieländer. Großbritannien, USA und Frankreich hatten damals doppelt so hohe Raten wie wir. Sie stehen heute im internationalen Vergleich nicht um einen Deut besser da, als dies während unserer Regierungszeit der Fall war.
Wir freuen uns über diese günstigeren wirtschaftlichen Daten, obwohl wir doch alle wissen, daß das gigantische Haushaltsdefizit der USA und ihr ebenso gigantisches Leistungsbilanzdefizit wie eine dunkle Wolke über der weltwirtschaftlichen Landschaft liegt.Aber in einer Zeit günstiger wirtschaftlicher Daten ist die Massenarbeitslosigkeit, ist die Dauerarbeitslosigkeit,
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Dr. Vogelist die Jugendarbeitslosigkeit doch noch unerträglicher als in Zeiten allgemeiner wirtschaftlicher Schwierigkeiten.
Entgegen allen Ankündigungen und Kampagnen bewegt sich die Arbeitslosigkeit eben leider nicht. Im Gegenteil, seit Anfang des Jahres verharrt sie nach den Mitteilungen von Herrn Präsidenten Franke von der Bundesanstalt für Arbeit von Monatsende zu Monatsende auf dem jeweils höchsten Stand seit der Währungsreform. Die Zahl der Dauerarbeitslosen und die Zahl der arbeitslosen Frauen nimmt sogar wieder zu. Alle Prognosen, auch die des Sachverständigenrates, sagen — einige dieser Prognosen übrigens mit einer geschäftsmäßigen Kühle, die den betroffenen Arbeitslosen geradezu unbarmherzig erscheinen muß —
voraus, daß dies bei Fortsetzung Ihrer Politik bis in die 90er Jahre im wesentlichen so bleiben wird.Wir wissen, daß auch wir in der Regierungsverantwortung die Arbeitslosigkeit nicht in kurzer Zeit auf Null bringen könnten.
— Meine Damen und Herren, Sie haben noch nicht einmal eine gewisse Koordinierung in dem Geschrei, das Sie hier veranstalten. Infolgedessen ist schon die akustische Wahrnehmung schwierig. Aber ich fürchte, daß auch die inhaltliche Wahrnehmung gar nicht lohnen würde, wenn Sie sich in dieser Art und Weise äußern. —
Vollbeschäftigung in einem Lande, das kann heute keine verantwortungsbewußte Staatsführung mehr versprechen. Aber wir sind kräftig und wohlhabend genug in dieser Bundesrepublik des Jahres 1985, um die Arbeitslosigkeit, um vor allem die Jugendarbeitslosigkeit fühlbar zu vermindern. Was hier fehlt, ist nicht die objektive Bereitschaft und die Kraft unseres Volkes, was fehlt, ist der politische Wille, ist Ihr Wille, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als Gemeinschaftsaufgabe Nummer eins zu formulieren und ihr die höchste Priorität einräumen. Das fehlt!
Es gab in der jüngeren Vergangenheit unserer Republik andere große Aufgaben, die wir gelöst haben, weil wir als Volk unter Verantwortung und Führung der jeweiligen Bundesregierungen die Kräfte der einzelnen und die Kräfte der gesellschaftlichen Gruppen und der öffentlichen Hände, also auch die Kräfte der Gemeinden, der Länder und des Bundes, konzentriert und zusammengefaßt haben, etwa die Behebung der Wohnungsnot, für die wir in einer Zeit, in der wir viel ärmer waren, als wir es heute sind, hohe Milliardensummen an öffentlichen Mitteln ausgegeben haben. Oder die Erhaltung der Landwirtschaft, meine Damen undHerren, die uns allein 1985 weit über 20 Milliarden DM an öffentlichen Mitteln wert ist.Ich frage: Kann denn die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht den gleichen Rang beanspruchen wie seinerzeit die Behebung der Wohnungsnot oder heute die Erhaltung und Bewahrung unserer Landwirtschaft?
Was für 1,6 Millionen Landwirte und ihre Angehörigen recht ist, das muß doch für über 2 Millionen Arbeitslose und ihre Angehörigen billig sein. Das erfordert das gleiche Maß an gemeinschaftlicher Anstrengung.
Die Wiederherstellung der bereits zerstörten Teile der Umwelt und der Schutz der intakten Umwelt sind doch nicht minder wichtig. Unser Projekt „Arbeit und Umwelt" zieht daraus die Konsequenzen. Es gibt beiden Aufgaben, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und dem Schutz der Umwelt, endlich den Rang, der ihnen zukommt; und es finanziert die dafür vorgesehenen 20 Milliarden DM — es sind ebenso 20 Milliarden DM wie in dem anderen Fall — ohne eine Steigerung der öffentlichen Verschuldung. Angesehene Institute wie das IfoInstitut für Wirtschaftsforschung in München, auf das Sie sich j a Ihrerseits so oft berufen, haben sich erst kürzlich positiv und zustimmend zu diesem Programm geäußert.Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Fragen vielleicht nicht nur durch unartikulierte Rufe, sondern durch zusammenhängende Darlegungen beantworten wollen: Warum sperren Sie sich eigentlich gegen eine solche gemeinsame Initiative? Warum sperren Sie sich gegen eine weitere kontinuierliche Verkürzung der Arbeitszeit? Warum sperren Sie sich gegen die von uns vorgeschlagenen steuerlichen Hilfen für die kleinen und mittleren Unternehmen, da wir doch alle wissen, daß die kleinen und mittleren Unternehmen bei der Bereitstellung weiterer Arbeitsplätze eine Schlüsselrolle in unserer Wirtschaft einnehmen?
An die Sozialpolitiker und Finanzpolitiker in Ihren Reihen: Warum sperren Sie sich gegen eine Reform der Bemessungsgrundlagen für die Arbeitgeberbeiträge, die die lohnintensiven Betriebe entlasten, die kapitalintensiven aber stärker heranziehen würde? Ist die Entlastung der Arbeit nicht ein dringendes Gebot der Stunde?Meistens disqualifizieren Sie unser Projekt „Arbeit und Umwelt" als Beschäftigungsprogramm, das nur ein Strohfeuer bewirke.
Das klingt so, als ob wir Geld für sinnlose und überflüssige Tätigkeiten ausgeben wollten,
so wie man Kinder beschäftigt, damit sie sich nichtlangweilen oder auf dumme Gedanken kommen.Ich bezweifle, daß — abgesehen von den Übereifri-
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Dr. Vogelgen — Sie selber diesen Einwand ernsthaft glauben. Oder meinen Sie wirklich, die Wiederherstellung zerstörter Umwelt, z. B. die Sanierung Tausender von Altdeponien oder die Entgiftung unserer Böden, oder die Rettung vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten oder die Bekämpfung des Waldsterbens sei nur eine Beschäftigung, die genausogut unterbleiben könne und im Grunde überflüssig sei? Jeder weiß doch, daß es sich dabei um eine strukturelle Aufgabe höchster Dringlichkeit handelt, die uns auf viele Jahre, wenn nicht auf Jahrzehnte in ähnlicher Weise in Anspruch nehmen wird wie — ich wiederhole es — seinerzeit die Behebung der Wohnungsnot.
Wenn Sie es volkswirtschaftlich betrachten: Es handelt sich beim Programm „Arbeit und Umwelt" doch um Investitionen, die rentabel sind,
die schon deshalb rentabel sind, weil sie hohe und ständig wachsende volkswirtschaftliche Schäden und Verluste verhindern; sie sind also auch volkswirtschaftlich sinnvoll.
Nicht umsonst bricht sich diese Erkenntnis auch in der Wirtschaft mehr und mehr Bahn. Nicht irgendein Phantast, sondern ein Vorstandsmitglied der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke — RWE —, also des größten Energieversorgungsunternehmens der Bundesrepublik, hat vor wenigen Tagen gesagt:Die natürlichen Ressourcen, wie Luft, Wasser und Boden, sind zu einem dritten Produktionsfaktor geworden, der in direkte Konkurrenz zu den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital getreten ist. Ich kann mir vorstellen, daß sich das über kurz oder lang auch in einer Neufassung unserer Wirtschaftsordnung — etwa in der Konzeption einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft — niederschlägt.
Eine bemerkenswerte Äußerung aus den Reihen der Wirtschaft!Im übrigen ist die Abwertung der gemeinsamen Programme aus unserer Zeit, meine Herrschaften von der FDP, denen Sie allen zugestimmt haben und die in den meisten Fällen auch Strukturprogramme waren, ganz ungerechtfertigt. Ich weiß nicht, warum Sie im nachhinein das, was Sie selber mitgetragen haben, solcher Kritik aussetzen. Allein zwischen 1977 und 1980 wurden u. a. durch die Auswirkungen des Zukunftsinvestitionsprogramms, das der Kollege Genscher als damaliger Vorsitzender der FDP ganz besonders gerühmt und begrüßt hat, 750 000 — eine dreiviertel Million! — Mitbürgerinnen und Mitbürger und ihre Familien vor Arbeitslosigkeit bewahrt, und es wurden den öffentlichen Händen — auch darauf hat gerade Kollege Genscher damals hingewiesen — dadurch, daß 750 000 Menschen zusätzlich in Arbeit waren, rund 13 Milliarden DM — 13 Milliarden! — an Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe, aber auch anSteuer- und Beitragsausfällen erspart. Bei einem Aufwand von 16 Milliarden DM für das gesamte Programm ist ein Ertrag von 13 Milliarden DM und die Verhinderung von Arbeitslosigkeit von 750 000 Menschen über Jahre ein durchaus diskutables Ergebnis.
Sie mögen sich von diesem Ergebnis distanzieren. Wir stehen zu diesem Ergebnis. Es sind Ergebnisse, die Sie nicht mißachten, die Sie in dieser Größenordnung erst einmal erreichen sollten.
Ich wiederhole deshalb den Appell zu einer großen gemeinschaftlichen Anstrengung, der den Anstrengungen zur Behebung der Wohnungsnot, den Anstrengungen zur Erhaltung der Landwirtschaft ebenbürtig ist. Ich wiederhole den Appell zu einer Anstrengung der praktischen Solidarität der in Arbeit Stehenden mit den Arbeitslosen und ihren Familien, der praktischen Solidarität der Stärkeren mit den Schwächeren. Ich wiederhole den Appell zu einer gemeinschaftlichen Anstrengung, die jetzt unternommen wird, also in einer Phase der konjunkturellen Besserung, damit wir in den nächsten Abschwung nicht mit einem Sockel von rund 2 Millionen Arbeitslosen eintreten und dann englische Zahlen erreichen. Es muß unser gemeinsames Interesse sein, dies durch eine gemeinsame Anstrengung zu verhindern und unmöglich zu machen.
Die Massenarbeitslosigkeit bedeutet für sich schon eine Gefährdung des sozialen Friedens und eine Belastung des sozialen Konsenses; kein Ernsthafter wird das bestreiten. Aber viele Maßnahmen, die von Ihnen seit 1983 getroffen worden sind, haben die Gefährdung erhöht und die Belastung des sozialen Konsenses verstärkt. Nicht, daß gespart wurde, daß Einschränkungen vorgenommen worden sind, hat diese schlimmen Wirkungen. Auch wir — ich habe das oft genug gesagt — hätten in der Phase des weltweiten Abschwungs nicht darauf verzichten können, von unserem Volk Opfer zu verlangen. Daß Sie es einseitig getan haben, daß Sie die Schwachen ohne Barmherzigkeit belastet und die Reichen geschont, j a ihnen noch gegeben haben,
daß Sie das Gerechtigkeitsgefühl verletzt haben,
daß Sie die Massenarbeitslosigkeit als Vorwand genommen haben, um Arbeitnehmerrechte nicht nur in Frage zu stellen, sondern abzubauen, Arbeitnehmerrechte, um die jahrzehntelang gerungen worden ist, das erschüttert den sozialen Frieden.
Wir Sozialdemokraten wollen den sozialen Frieden wiederherstellen und aufs neue festigen. Zu
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13237
Dr. Vogeldiesem Zweck müssen die schlimmsten sozialen Ungerechtigkeiten beseitigt werden.
Zu diesen Ungerechtigkeiten gehören die BAföG-Kürzungen, die Verschlechterungen beim Kündigungsschutz für Mütter, die Selbstbeteiligung bei der Beförderung von Behinderten und die Selbstbeteiligung bei der Krankenhausbehandlung.
Die Mütter, die ihre Kinder in den Kriegs- und Nachkriegsjahren geboren und aufgezogen haben, die Mütter, die Frauen, die heute über 65 Jahre alt sind, müssen ebenso für jedes Kind ein beitragsfreies Versicherungsjahr angerechnet bekommen wie die jüngeren Mütter, die diese Zeiten nicht miterlebt haben.
— Meine Herrschaften, der Lautpegel Ihrer schreienden Stellungnahme zeigt immer, wie sehr Sie von den jeweiligen Bemerkungen getroffen worden sind.
Daß Sie sich hier besonders exponieren, ist ein Beweis dafür.
Daß Sie , den älteren Frauen, den Müttern der Kriegs- und Nachkriegszeit diese Anrechnung vorenthalten haben, ist übrigens einmal mehr eine Entscheidung gegen die Schwächeren, gegen die Altgewordenen, die sich nicht mehr mit der gleichen Kraft wehren können wie die Jüngeren und deshalb leer ausgehen. Das ist der Hintergrund.
Im Interesse des sozialen Friedens muß eine Steuerreform in Angriff genommen werden, die diesen Namen wirklich verdient, nicht eine Reform, die die Spitzenverdiener begünstigt, sondern eine Reform, die damit Schluß macht, daß Familien und Alleinstehende, denen weniger als der Sozialhilfesatz bleibt, auch noch Lohnsteuer zahlen müssen. Dies und. nicht die Spitzenbelastung ist der eigentliche Skandal unseres Steuerrechts.
Es muß eine Reform sein, die finanzierbar bleibt und nicht mit gänzlich irrealen Volumen von 35 oder sogar von 40 Milliarden DM und mit ebenso irrealen Deckungsvorschlägen jongliert. Ein Bundeswirtschaftsminister, Herr Kollege Bangemann, der ernstgenommen werden will, sollte sich für derartige Wahlmanöver durch derartige Zahlenkunststücke zu schade sein.
Der soziale Friede erfordert weiter, daß die Gewerkschaften ihre Funktionen ungehindert wahrnehmen können. Wer — wie Sie — durch die Zulassung von Splittervertretungen in den Betriebs- und Aufsichtsräten die Gewerkschaften schwächen und durch die Änderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes kampfunfähig machen will, wer nicht zur Kenntnis nimmt, daß es seit Jahr und Tag eine vernünftige Regelung der Frage gibt, wann bei vorübergehenden Stillegungen einzelner Betriebe durch die Unternehmensleitungen Kurzarbeitsgeld zu zahlen ist und wann nicht — eine Regelung übrigens, der wiederum die FDP damals in der Regierung voll zugestimmt hat —, wer dies alles nicht zur Kenntnis nimmt und trotzdem diese Änderung will, der will nicht Frieden und Konsens. Der will die Vereinzelung der Arbeitnehmer, weil er glaubt, mit den einzelnen leichter fertigzuwerden als mit dem Zusammenschluß der vielen. Das ist die Philosophie hinter diesen Aktivitäten.
Wer dies tut, der will Konflikt und Abbau von Arbeitnehmerrechten; der nimmt Arbeitnehmern — und dies ist ein Sachverhalt, den wir den Menschen klarzumachen nicht müde werden —, die an dem jeweiligen Konflikt überhaupt nicht beteiligt sind, den Lohn und den Versicherungsschutz. Er nimmt ihn auch denen, die selber gar keiner Gewerkschaft angehören. Der zerstört mit der Chancengleichheit von Arbeit und Kapital bei der Aushandlung der Tarife und Arbeitsbedingungen das Fundament eines Tarifsystems, um das uns die ganze Welt beneidet.
Wer das will, der will offenbar englische Verhältnisse — Verhältnisse, in denen die Auseinandersetzungen nicht unterbleiben, sondern geradezu verbissen, ja brutal geführt werden.
Wir wollen das nicht. Wir wollen nicht spalten, sondern zusammenführen. Wir wollen den sozialen Frieden bewahren; denn der soziale Friede ist eine der Voraussetzungen, denen wir nicht nur unseren wirtschaftlichen Aufstieg nach dem Krieg, sondern auch die Stabilität unserer Gesellschaft verdanken.
Darum haben wir Verständnis dafür, daß sich die Gewerkschaften den Forderungen der Arbeitgeberverbände nach einer solchen Gesetzesänderung entschieden entgegenstellen. Darum werden wir einer solchen Gesetzesänderung hartnäckigen Widerstand entgegensetzen. Wenn Sie für Ihre Vorlage wirklich eine Mehrheit bekommen, wenn die Gewerkschafter in Ihren Reihen, wenn die Herren Scharrenbroich und Müller , wenn der
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13238 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Dr. VogelGewerkschaftskollege Norbert Blüm das Hand in Hand mit Graf Lambsdorff und anderen Protagonisten eines Klassenkampfes von oben wirklich beschließen,
wenn Sie das — ich wiederhole es — Hand in Hand mit Protagonisten eines Klassenkampfes von oben wirklich beschließen,
dann werden wir diese Kampf- und Konfliktgesetze wieder aufheben, sobald wir dafür eine Mehrheit haben.
Der soziale Friede erfordert weiter nicht weniger, sondern mehr Mitbestimmung. Dieser Prozeß ist genauso zwangsläufig und unumkehrbar wie der Prozeß, der im staatlichen Bereich von der absoluten Monarchie über die konstitutionelle Monarchie zur Demokratie geführt hat. Die konservativen Kräfte haben gegen diese Entwicklung über Jahrhunderte mit den gleichen Argumenten gekämpft, die Sie heute gegen die Mitbestimmung ins Feld führen. Die Geschichte ist darüber hinweggegangen. Sie wird, meine Damen und Herren, auch Ihre Einwände gegen die Ausdehnung der Mitbestimmung zu den Akten legen.
Der soziale Friede fordert schließlich die langfristige Stabilisierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Wir haben ein konkretes Konzept zur Sicherung der Renten vorgelegt.
Ich fordere Sie auf, in eine konstruktive Diskussion über diese Vorschläge einzutreten und Ihre konkreten Gegenvorschläge auf den Tisch zu legen. Wenn irgendwo im sozialen Bereich, dann müssen wir hier nach einem Konsens suchen. Die Älteren, die ein Leben lang gearbeitet haben, die auf die Rente angewiesen sind, wollen nicht den verbissenen Streit, der auf ihrem Rücken ausgetragen wird, sie wollen Klarheit und vor allem Sicherheit. Wir bieten unsere Mitwirkung an, ihnen diese Klarheit und Sicherheit zu geben.
Ähnliches gilt für die Krankenversicherung. Hier stehen drastische Beitragserhöhungen bevor. Wir halten das für den verkehrten Weg. Unser Gesundheitswesen krankt nicht an zu geringen Beiträgen, es krankt an zu hohen und immer weiter wachsenden Kosten. Wir wollen diese Kosten unter Kontrolle bringen und senken, indem wir die Stellung der Versicherten und ihrer Krankenkassen stärken, weil sie letzten Endes die Mittel aufbringen.In diesem Zusammenhang ein klares Wort zu den skandalösen Aktivitäten einiger Zahnarzt-Funktionäre. Was sich hier abspielt, ist ein sozialer Amoklauf. Das ist rücksichtsloser Egoismus der Starken, das ist Egoismus von Leuten, die im Durchschnitt mehr als 200 000 Mark im Jahr verdienen.
Es ist gut, Herr Kollege Blüm — und ich danke ihm —, daß Sie diesem Treiben entgegengetreten sind. Aber Sie sehen, wohin Sie mit Ihren Parolen von der Leistung, die sich wieder lohnen müsse, wohin Sie mit dem Gerede vom Neid der Arbeitslosen gegenüber den Hochverdienenden gekommen sind. Was sich hier zeigt, ist die Ellenbogen-Gesellschaft in Reinkultur. Hier sind Geister am Werk, die Sie mit Ihren Sprüchen und Redensarten gerufen und ermutigt haben.
In der Finanzpolitik brüsten Sie sich gerne damit, daß Sie sparsamer seien, als Helmut Schmidt und seine Finanzminister es gewesen sind. Sie hätten die Deckungslücken reduziert — so behaupten Sie. Und Sie wollen sich dafür feiern lassen oder feiern sich vorsorglich selbst dafür.
Diese Behauptung ist unzutreffend, diese Behauptung ist irreführend. Die Zahlen und Fakten zeigen nämlich ein gänzlich anderes Bild, ein Bild, das zu der Stoltenberg-Legende, an der eifrig gestrickt wird, gar nicht passen will. Das Bild sieht so aus: 1970, als Herr Stoltenberg sein Amt als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein antrat, betrug die Pro-Kopf-Verschuldung in seinem Lande 580 DM.
1982, als er Schleswig-Holstein verließ, war die ProKopf-Verschuldung unter seiner Verantwortung auf 3 966 DM gestiegen.
Damit hatte das Musterland dieses Musterfinanzpolitikers
im Vergleich der Flächenländer die zweithöchsten Schulden pro Einwohner — schlechter stand 1982 nur das damals noch von Ihren Parteifreunden im 24. Jahr regierte Saarland —, und das, obwohl dem Herrn Stoltenberg in der gleichen Zeit im Länderfinanzausgleich — im übrigen überwiegend von SPD- regierten Ländern — fast 4 Milliarden DM und an Bundesergänzungszuweisungen etwa noch einmal 1,7 Milliarden DM zugeflossen sind. Es wird Zeit,
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Dr. Vogeldaß wir die Wahrheit über die Finanzpolitik unter die Leute bringen.
Aber weiter: Wir hatten in der Zeit — —
— Meine Damen und Herren, die Sie draußen zusehen: Sie haben hier wieder ein Beispiel. Der Lärmpegel bei der Union steigt. Sie ist an einer empfindlichen Stelle getroffen.
— Sie werden noch mehr Stoff für Aufregung bekommen.Wir hatten in der Zeit des weltweiten Abschwungs auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise
in den Jahren 1980 bis 1982 im Bundeshaushalt eine Finanzierungslücke von 114,5 Milliarden DM zu decken, die mit Kreditaufnahmen und — damals sehr geringfügigen — Bundesbankgewinnen geschlossen werden mußte.
Ihre Finanzierungslücke, Herr Stoltenberg, beläuftsich für die Jahre 1983 bis 1985 — und das sind dochdie Jahre, die Sie als Aufschwungjahre bezeichnen— auf 120 Milliarden DM. Und sie wäre noch um 10 Milliarden höher, betrüge also 130 Milliarden, wenn Sie ehrlicherweise erwähnen würden, daß Sie in der gleichen Zeit die Schwankungsreserven der Rentenversicherung auf ein Minimum herabgedrückt und daraus etwa 10 Milliarden für den Bundeshaushalt verwendbar gemacht haben.
114 Milliarden Deckungslücke in drei Jahren des Abschwungs, 131 Milliarden Deckungslücke in drei Jahren des Aufschwungs! Ihre Finanzierungslükken sind also im Aufschwung höher, als es die unseren im weltwirtschaftlichen Abschwung waren.Hören Sie deshalb auf, auf andere beschuldigend mit dem Finger zu zeigen! Bleiben Sie bei der Wahrheit! Sagen Sie unserem Volk, daß Sie aus Ihren Gründen größere Finanzierungslücken in Kauf nehmen, als wir es getan haben!
Wir tadeln Sie nicht wegen Ihrer Finanzierungslücken. Wir halten sie für vertretbar. Hören Sie umgekehrt endlich auf, die Finanzierungslücken unserer Zeit zu verteufeln! Das ist ein Gebot der Redlichkeit und der parlamentarischen Hygiene.
Ich habe schon dargelegt, daß wir neben der Sicherung des Friedens, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Wiederherstellung des sozialen Friedens den Schutz unserer Umwelt für die wichtigste Gemeinschaftsaufgabe unserer Zeit halten. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, bedarf es vielfacher Anstrengungen. Wir haben dazu außer unserem Projekt „Arbeit und Umwelt" viele konkrete Vorschläge gemacht.
Wer Frieden mit der Natur will, muß übrigens auch aus diesem Grund die Agrarpolitik ändern.
Die gegenwärtige Agrarpolitik ist wirtschaftlich unsinnig und sozial ungerecht.
Von den Milliarden, die wir, d. h. die deutschen Steuerzahler, für diesen Zweck aufwenden, erreicht nur ein kleiner Teil diejenigen, denen wir helfen wollen, nämlich die bäuerlichen Familienbetriebe. Die Agrarausgaben der EG sind in der Zeit von 1981 bis 1984 um 67 % gestiegen. Wir haben wesentlich dazu beitragen müssen. Die Einkommen der deutschen Landwirtschaft sind in derselben Zeit, in der diese Ausgaben um 67 % gestiegen sind, um 8 % gesunken.Gleichzeitig werden die Landwirte gezwungen, mit immer mehr Chemikalien immer höhere Überschüsse zu produzieren, die dann mit immer höheren Zuschüssen auf dem Weltmarkt immer schwerer abzusetzen sind. Das ist ein Teufelskreis, der nicht durch Schuld der Landwirte, sondern durch Schuld der Politik zu einem aggressiven Umgang mit den Feldern und Wiesen und zu einem immer schlimmeren Raubbau an der Natur führt.
Vielleicht können wir uns wenigstens verständigen, daß es ein Gebot der Vernunft ist, die Landwirtschaft vom Zwang zu sinnloser, ja schädlicher Überproduktion zu befreien
und ihr statt dessen die Leistungen zu vergüten, die wir von ihr dringend benötigen, nämlich die Erhaltung und Pflege von Landschaft und Natur. Das ist die Leistung, für die wir auf die Landwirtschaft angewiesen sind.
Also flächenbezogene Hilfen an Stelle des widersinnigen Versuchs, auf einem Markt, der hoffnungslos an Überangeboten leidet, mit Mitteln der Zwangswirtschaft und der Quotierung Preissteigerungen entgegen der primitivsten Logik von Angebot und Nachfrage durchsetzen zu wollen. Es ist erstaunlich, daß man das so erklärten Marktwirtschaftlern in dieser Art und Weise darlegen und erläutern muß.
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13240 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Dr. VogelHier besteht eine Chance, unserer Landwirtschaft, die wir brauchen, mit breiter Unterstützung der öffentlichen Meinung wieder eine Perspektive zu geben. Wir sollten sie gemeinsam nutzen.Eine andere Chance, die Umwelt zu schützen, insbesondere unseren Wäldern zu helfen, haben Sie in der letzten Woche leider vertan. Ich meine die Einführung eines Tempolimits auf den Autobahnen und einer verminderten Höchstgeschwindigkeit auf den Landstraßen. Was Sie zur Rechtfertigung Ihrer Entscheidung vortragen, ist schon von Ihren eigenen Argumenten her sehr anfechtbar; etwa der erneute Versuch, Arbeitsplätze und Umweltschutz gegeneinander auszupielen, oder die fadenscheinige Begründung dafür, daß der Versuch nicht auf Landstraßen ausgedehnt worden ist.Besonders befremdlich ist aber Ihre Argumentation, die Schadstoffverminderung sei schon deshalb geringfügig, weil sich nur 30 % der Kraftfahrer an die Geschwindigkeitsbeschränkungen halten würden. Meine Damen und Herren — da spreche ich vor allem die Verkehrs- und die Rechtspolitiker an —, mit dem gleichen Argument hätte man auch die Gurtanlegepflicht ablehnen müssen. Auch hier ist die Zahl derer, die sich an diese Pflicht hielten, erst auf Grund der Bußgelddrohungen und verschärfter Kontrollen jetzt auf 90 % gestiegen. Diese Pflicht ist jetzt allgemein akzeptiert.
Außerdem: Sind Sie sich eigentlich im klaren darüber, daß diese Argumentation auf eine Ermunterung zur Mißachtung der Gesetze, j a zum Rechtsbruch hinausläuft?
Ausgerechnet diejenigem in diesem Hause, die sonst ständig nach der Verschärfung von Strafen und nach neuen Straftatbeständen rufen, die sonst die mangelnde Befolgung von Gesetzen lautstark beklagen, wollen hier keinen Finger rühren, sondern kapitulieren binnen 48 Stunden sang- und klanglos vor der Parole, freie Bürger hielten sich halt nicht an Gesetze, und das müsse man hinnehmen. Ich sage Ihnen voraus: Dieses Argument ist ein Bumerang und wird Ihnen in der rechtspolitischen Debatte von anderer Seite immer wieder vorgehalten werden.
Das ist schlimm. Schlimmer noch aber ist in unseren Augen, daß Sie den guten Willen der großen Mehrheit unseres Volkes, der großen Mehrheit, die für den Schutz der Umwelt und der Wälder auch Opfer zu bringen bereit ist, enttäuscht haben,
weil Sie einer Führungsentscheidung ausgewichen sind, die im Verhältnis zur Umweltorientierung eine Signalwirkung ausgelöst hätte, die deutlich gemacht hätte, wie wichtig der Bundesregierung die Erhaltung unserer Wälder ist und daß sie dafürauch den Preis vorübergehender Unpopularität zu zahlen bereit ist.
Das Unbehagen darüber reicht ja bis in Ihre eigenen Reihen — etwa Baden-Württemberg —, auch das Unbehagen darüber, daß Sie einmal mehr für die Stärkeren Partei ergriffen haben, für diejenigen, die Sie für die Stärkeren halten. Die Bäume und der Wald sind für Sie offenbar die Schwächeren im Vergleich zu denen, die seit Wochen und Monaten mit dem Ellenbogenslogan „Freie Fahrt für freie Bürger" trommeln und Sie zu dieser Entscheidung getrieben haben.
Wir werden bald erleben, daß Sie sich geirrt haben, daß die Bäume, daß der Wald nicht schweigend sterben, sondern einen hohen Preis für diese Fehlentscheidung fordern,
einen Preis, den wir alle bezahlen, nicht nur mit unserem Geld, sondern auch mit Gesundheit.
In diesem Sinn ist die Tempoentscheidung nicht zufällig, sondern symptomatisch. Sie ist kennzeichnend für eine Politik, die wir ablehnen, der wir unsere Antwort und unsere Alternative entgegensetzen.Unsere Alternative, das ist die Hilfe für die Schwächeren. Und es ist kennzeichnend, daß Sie dies als eine Politik rückwärts bezeichnen. Offenbar ist Hilfe für die Schwächeren für christliche Demokraten etwas, was der Vergangenheit angehört. Sonst macht Ihr Zwischenruf keinen Sinn.
Unsere Alternative ist Menschlichkeit, Vertrauen und Glaubwürdigkeit statt Egoismus, Ellbogenmentalität und kühl kalkuliertes Hantieren mit Vorurteilen und Emotionen. Unsere Alternative, das ist Zusammenführen, nicht Gegeneinander-Ausspielen von Lebensbereichen und Gruppen,
also das Zusammenführen von Technik und Lebensqualität, von Arbeit und Umwelt, von Ökologie und Ökonomie, von Stärkeren und Schwächeren. Unsere Antwort, das ist das solidarische Füreinander-Einstehen, das ist die Bündelung der Kräfte zur gemeinschaftlichen Anstrengung. Unsere Devise ist Gerechtigkeit statt Egoismus, Anteilnahme und Mitmenschlichkeit statt rücksichtsloser Durchsetzung eigener Interessen.
Unser Ziel ist der Frieden, der äußere Frieden, der innere, der soziale Frieden, der Frieden mit der Natur. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht unser Volk weit in die Zukunft reichende Perspektiven, braucht es den breiten Dialog und die breite Zusam-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13241
Dr. Vogelmenarbeit, braucht es aber vor allem politische Führung. Das sind Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre Koalition unserem Volk schuldig geblieben. Deshalb stimmen wir gegen Sie, deshalb lehnen wir Ihren Haushalt ab. Aber dieses Nein ist zugleich ein Ja, ein Ja zu unserer Alternative,
zu der Alternative, die unser Volk zu einem Bündnis der Vernunft zusammenschließt und zu einer großen gemeinschaftlichen Anstrengung vereinigt.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Dr. Kansy hat während eines Zwischenrufs den Ausdruck „Heuchelei" benützt. Ich weise diesen Ausdruck als unparlamentarisch zurück.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Vogel, es tut mir leid, Ihre Rede war nicht nur lang, sie war auch schwach.
Sie haben Heiterkeitserfolge erzielt. Wenn ein so humorloser Mann wie Sie Heiterkeitserfolge erzielt, dann ist es schlimm. In dem ersten Teil Ihrer Rede sind Sie in allgemeine Erwägungen ausgewichen, die als philosophisch zu bezeichnen eine maßlose Übertreibung wäre.
Danach haben Sie den krampfhaften und hilflosen Versuch gemacht, über die Wirklichkeit hinwegzureden.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Vogel, Sie können doch nicht bestreiten, daß diese Regierung in den drei Jahren ihrer Amtsführung ungewöhnliche Erfolge erzielt hat.
Das wird um so deutlicher, wenn man sie an den Mißerfolgen mißt, die Sie als Regierungspartei zuvor produziert haben.
Ich nenne fünf Errungenschaften dieser Politik von nur drei Jahren.Die erste: Wir haben wieder stabiles Geld.
Meine Damen und Herren, wir sind wieder Weltmeister in Geldwertstabilität.
1981 betrug die Entwertungsrate noch 6,3%,
jetzt sind es 1,8%. Und der Sachverständigenrat hält für das nächste Jahr 1,5 % für erreichbar.Meine Damen und Herren, es gibt keine größere soziale Errungenschaft als stabiles Geld.
Was nutzen nominale Lohn- und Rentenerhöhungen, wenn sie, wie zu SPD-Zeiten, durch die Geldentwertung wieder aufgefressen werden?
Daß die D-Mark wieder stabil ist, verdanken wir der Bundesregierung, der Koalition aus CDU/CSU und FDP, der Deutschen Bundesbank und Tarifabschlüssen der Gewerkschaften und der Arbeitgeber, die sich der allgemeinen Lage angepaßt hatten.
Ich bin sicher, daß Bundesregierung, Koalition und Bundesbank ihren erfolgreichen Kurs fortsetzen werden. Ich hoffe, daß das auch für die Gewerkschaften und ihre Tarifpartner gilt. Der Sachverständigenrat empfiehlt, bei Lohn- und Gehaltserhöhungen vom Produktivitätszuwachs auszugehen und es zu vermeiden, daß sich die Lohnstückkosten erhöhen. In der Tat, wenn noch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, als wir es zur Zeit erreichen, dürfen die Lohnstückkosten nicht steigen.Zweite Errungenschaft: Wir haben wieder steigende Realeinkommen.
Als wir 1982 die Regierung übernahmen, waren sie rückläufig.
Jetzt steigen sie wieder.
Im nächsten Jahr werden sie einen Sprung nach oben machen. Der Sachverständigenrat rechnet mit einem Anstieg der Realeinkommen um 5%. Da kommt vieles zusammen: Geldwertstabilität, Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer, Hilfen für Familien und für Alleinstehende mit Kindern, Wohngelderhöhungen und Sozialhilfeerhöhungen.
Meine Damen und Herren, diese Traumkombination, die erreicht worden ist, ist das Ergebnis unserer Politik.
Mit der Ihren, mit Schuldenmacherei, ständigem Drehen an der Steuer- und Abgabenschraube, mit immer neuen Tests der Belastungsfähigkeit der Wirtschaft, wären diese Ergebnisse nicht erreichbar gewesen.
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13242 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Dr. DreggerDie dritte Errungenschaft: Wir haben wieder solide Staatsfinanzen.
Wir haben dafür gesorgt, daß die Staatsausgaben langsamer steigen als das Bruttosozialprodukt. Wenn Sie, meine Damen und Herren, in Ihrer Verantwortung so solide gewirtschaftet hätten wie wir, brauchten wir entweder gar keine neuen Schulden aufzunehmen — denn die Schulden, die wir aufnehmen, dienen doch nur noch dazu, einen Teil der Zinsen für die Schulden zu bezahlen, die Sie gemacht haben —
oder uns stünden in dieser Legislaturperiode über 100 Milliarden DM zur Verfügung, die wir für bessere Zwecke als für Zinszahlungen an unsere Gläubiger verwenden könnten. Aber, meine Damen und Herren der SPD, an so etwas haben Sie nie gedacht.
In Ihren Überlegungen kommen die Begriffe Kosten und Schulden überhaupt nicht vor. Sie waren und Sie sind in Ihrer Politik unsolide.
Das Wichtigste: Wir haben die Arbeitslosenrakete, die Sie, meine Damen und Herren, gezündet hatten, gestoppt.
1982, beim Regierungswechsel, ging die Arbeitslosenzahl raketenartig nach oben. Allein 1981/1982 stieg sie um 106 %, bei uns schneller als in jedem anderen Land der Europäischen Gemeinschaft.
Damals waren wir auf dem Arbeitsmarkt die Schlechtesten. Heute sind wir zusammen mit Dänemark die Besten, meine Damen und Herren.
Die Beschäftigtenzahl steigt, in diesem Jahr laut Bundesbank um 200 000. Der Sachverständigenrat rechnet für das kommende Jahr mit einem weiteren Anstieg um 300 000 Arbeitsplätze. Warum nehmen Sie das nicht zur Kenntnis, meine Damen und Herren? Paßt Ihnen das vielleicht nicht?
Warum wollen Sie den Menschen den Mut nehmen, den sie zu einer verstärkten Wirtschaftstätigkeit brauchen, zum Verbrauch und damit zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung, die es in Deutschland gab, bevor Sie die Regierung übernahmen?
Ich fasse zusammen. Was Sie verspielt hatten, haben wir wiedergewonnen:
solide Staatsfinanzen, stabiles Geld, wachsende Realeinkommen und wachsende Beschäftigung.
Ein Blick auf EUROSTAT, die amtliche Statistik der Europäischen Gemeinschaft, zeigt: Die Regierung Kohl ist die erfolgreichste Regierung in der Europäischen Gemeinschaft.
Im Umweltschutz sind wir Vorreiter in Europa. Die Europäische Gemeinschaft hat uns gebremst. Autonom hätten wir noch schärfere Schadstoffgrenzen eingeführt, als wir sie europäisch durchsetzen konnten. Aber die Europäische Gemeinschaft hat uns auch geholfen. Ohne Europäische Gemeinschaft würden die Schadstoffgrenzen bei unseren Nachbarn nicht eingeführt worden sein. Da die Hälfte des Drecks von außen hereingeweht wird, ist auch das eine Hilfe für uns, für die Entlastung unserer Wälder.
Nun bleibt Ihnen, meine Damen und Herren, nur noch die Beschäftigung mit dem Tempolimit. Wenn Sie sich zusammen mit den GRÜNEN daran delektieren wollen, dann wünschen wir Ihnen viel Vergnügen.
Wir setzen nicht auf Verbote, die, wenn sie nicht einsichtig sind, ohnehin nicht eingehalten werden. Wir setzen auf technischen Fortschritt. Wir setzen auf Schadstoffbegrenzungen durch Technik.
Mit dem Katalysatorauto, dem bleifreien Benzin, der TA Luft und der Großfeuerungsanlagen-Verordnung haben wir schon jetzt in drei Jahren für den Schutz des Waldes mehr getan, als Sie es in dreizehn Jahren getan haben. Sie haben nämlich gar nichts getan.
Wir werden mit unserem Kurs fortfahren. Herr Kollege Vogel, falls Sie das bezweifeln sollten, möchte ich Ihnen empfehlen, den „Vorwärts" sorgfältiger zu lesen.
Dort schreibt Rolf Dietrich Schwartz am 8. Dezember 1984 folgendes:Auf kaum einem anderen Gebiet wiegen diehistorischen Versäumnisse sozialdemokrati-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13243
Dr. Dreggerscher Regierungsverantwortung so schwer wie gerade auf dem Bereich des Umweltschutzes.
... Die Aktion Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" ist — so gesehen — nicht nur ein Dokument für verlorene Regierungsfähigkeit, sondern auch für verlorene Oppositionsfähigkeit.— Der SPD.
— Die GRÜNEN stimmen zu.
So ist es, meine Damen und Herren, und damit bin ich bei Ihnen, bei der SPD. Auch die Opposition hat eine wichtige Aufgabe.
Deshalb ist die kritische Sonde nicht nur an die Regierung, sondern auch an die Opposition zu legen.
Ich behaupte: Die SPD ist in ihrer gegenwärtigen Verfassung ohne klares Profil.
Sie ist auf allen Feldern der Politik in hohem Maße unglaubwürdig. Sie hat, wie Rolf Dietrich Schwartz im „Vorwärts" schreibt, beides verloren: die Regierungs- und die Oppositionsfähigkeit.
In der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ist die Glaubwürdigkeitslücke der SPD an niemandem besser zu verdeutlichen als an ihrem designierten Kanzlerkandidaten Johannes Rau.
Meine Damen und Herren, er glänzt durch Abwesenheit!
Er kann jederzeit hier auf der Bundesratsbank Platz nehmen. Er kann jederzeit von diesem Pult aus sprechen. Gerhard Stoltenberg hat ihn in der letzten Debatte dazu eingeladen. Aber er kneift, er kommt nicht. Meine Damen und Herren, das sagt alles!
Wenn man das berühmte „Express"-Interview von Rau zur Kenntnis nimmt, von dem er unter dem Druck der öffentlichen Meinung selbst abrücken mußte, fragt man sich, ob Herr Rau nur lesen läßt oder selbst liest.
Meine Damen und Herren, entweder ist seine Unkenntnis erschreckend groß,
oder, was schlimmer wäre, er macht den Leuten bewußt etwas vor.
In seinem „Express"-Interview verkündete er, wenn er Kanzler werde, wolle er alle Ausgabenbegrenzungen im Sozialbereich rückgängig machen.
In seinem eigenen Land Nordrhein-Westfalen hat er soziale Leistungen — als Stichworte nenne ich nur: Familienerholung, Altenhilfe, Ausbildungsförderung, Behinderteneinrichtungen — rigoros gekürzt.
Wer sich so verhält, kann sich vor der deutschen Öffentlichkeit nicht als sozialpolitischer Wundertäter aufspielen.
Wer das Manna unbezahlbarer Wohltaten vom Himmel regnen läßt, meine Damen und Herren, ist nicht überzeugend!
Herr Rau ist aber nicht nur sozialpolitisch unglaubwürdig. Für seine Finanzpolitik gilt dasselbe. Sein eigener Finanzminister hat ihm den Bankrott vorausgesagt, falls er, Rau, so weitermacht. In dem berühmten Posser-Brief heißt es, Nordrhein-Westfalen habe sich in den letzten Jahren Jahr für Jahr um 3 bis 4 Milliarden DM übernommen. Dazu Posser wörtlich:Es liegt auf der Hand, daß sich eine solche Verschuldungspolitik nur wenige Jahre durchhalten läßt, weil die dramatisch steigenden Zinslasten den Haushalt sonst in Kürze geradezu erdrosseln würden, wie am abschreckenden Beispiel anderer hochverschuldeter Länder ...
— dann kommt ein Klammerzusatz: Brasilien, Mexiko, Polen, aber auch Bremen und das Saarland —zu studieren ist.
Herr Kollege Vogel, wollen Sie die Erdrosselungspolitik des Herrn Rau auf die Bundesrepublik Deutschland wirklich übertragen sehen? Das kann doch wohl nicht wahr sein!
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13244 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Dr. DreggerEs ist eine beklemmende Vorstellung,
daß dieser Mann die mühsam erreichte Stabilisierung unseres Wirtschafts-, Finanz- und Sozialsystems wieder in Frage stellen könnte.
Am schlimmsten ist die Glaubwürdigkeitslücke der SPD in der Sicherheitspolitik. Im Hinblick auf die exponierte und damit immer gefährdete Lage unseres Landes ist sie gerade auf diesem Felde besonders schlimm.
Erster Punkt: Wie steht die SPD zur Bundeswehr und zur Landesverteidigung?
An Glückwunschadressen der SPD-Spitze zum Bundeswehrjubiläum hat es nicht gefehlt. Wie aber, Herr Kollege Vogel, läßt sich das mit der Erklärung Ihres Präsidiumsmitglieds — immerhin Ministerpräsident — Lafontaine, Wehrdienstverweigerung sei geradezu eine moralische Pflicht, vereinbaren?
So Ministerpräsident Lafontaine.
Das ist von Ihrer Partei noch nie zurückgewiesen worden. Wie können Sie es zulassen, daß unsere jungen Wehrpflichtigen, die das tun, was wir durch unsere Gesetze von ihnen verlangen,
in dieser unglaublichen Weise moralisch abqualifiziert werden?
Zweites Beispiel: Manöverbehinderungen. Junge Soldaten wurden bei den Manövern durch Aktionen der sogenannten Friedensbewegung tätlich
— weil sie unfriedlich ist, weil sie nicht den Frieden bewirkt, sondern das Gegenteil — angegriffen und als Faschisten und Hitler-Söhne beschimpft.
Sie, Herr Brandt und Herr Vogel, haben nicht diese Exzesse, aber Sie haben die Aktionen derer unterstützt, von denen diese Exzesse ausgegangen sind.
Sie haben sie politisch und finanziell unterstützt. Auch wenn es nicht zu diesen Exzessen gekommen wäre, wäre es völlig unvertretbar gewesen, daß eine demokratische Partei Manöverbehinderungen derBundeswehr, der Armee des ganzen Volkes, unterstützt.
Nachdem diese Exzesse passiert waren, wäre eine scharfe Reaktion von seiten der SPD-Führung fällig gewesen. Sie unterblieb. Erst als wir Sie in einer Aktuellen Stunde hier in diesem Hause gestellt haben, kam es von Ihrer Seite zu verlegenen Ausreden.
Zu Zeiten der beiden Männer Helmut Schmidt und Georg Leber, die Gott sei Dank noch zu den Lebenden gehören — ich erinnere mich an das, was Sie zu Beginn Ihrer Rede gesagt haben, Herr Kollege Vogel —, Sozialdemokraten, wäre so etwas nicht denkbar gewesen. Aber heute bestimmen nicht mehr Helmut Schmidt und Georg Leber den Kurs der SPD, sondern Lafontaine und Eppler,
und das ist das Unglück der SPD.Zweite Frage: Wie steht die SPD zur Allianz? Ihr designierter Kanzlerkandidat hat erklärt, er würde alles daransetzen, den NATO-Doppelbeschluß rückgängig zu machen.
Initiiert wurde dieser Beschluß innerhalb der NATO durch den damals von Ihnen gestellten Bundeskanzler, durch Helmut Schmidt. Professor Karl Kaiser, auch ein lebender Sozialdemokrat und außerdem Direktor der außenpolitischen Gesellschaft, hat am 13. Oktober 1983 — übrigens auch im „Vorwärts" — erläutert, was dieser NATO-Doppelbeschluß bedeutet. Ich zitiere Karl Kaiser:Beim Doppelbeschluß geht es im Kern um die Frage, ob sich die Bundesrepublik Deutschland im Einvernehmen mit ihren Verbündeten einem sich abzeichnenden Vormachtanspruch der Sowjetunion über Westeuropa entgegenstemmt oder nicht. Dies ist eine entscheidende Frage nationalen Interesses, nämlich der Selbstbestimmung der Bundesrepublik Deutschland, bei der man nicht kampflos sowjetische Positionen übernehmen— Herr Kollege Vogel —oder dagegen gerichtete Bemühungen innenpolitisch untergraben darf.
So der Sozialdemokrat und außenpolitische Experte Karl Kaiser. Sie haben diese Warnungen in den Wind geschlagen.Die Frage, aus welchen Motiven, beantwortet Frau Professorin Gesine Schwan — auch eine Lebende, Gott sei Dank —, Mitglied Ihrer Partei, zeitweise Mitglied der Grundwertekommission der SPD. Gesine Schwan schrieb, die Systemfrage, d. h. die Bedrohung der westlichen Freiheit, werde von
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13245
Dr. Dreggerder SPD nicht mehr gestellt. Nur wer darauf verzichte und die Augen vor der sowjetischen Bedrohung verschließe, könne den Doppelbeschluß bekämpfen.Meine Damen und Herren, Frau Schwan fügte hinzu — ich zitiere —:Wer sich so verhält, dem bedeutet die Erhaltung der westlichen Freiheit nicht viel.
Herr Rau — man muß schon fast sagen: dieser Unglücksrabe —
hat mit seiner unverantwortlichen Ankündigung, er wolle als Kanzler den Doppelbeschluß rückgängig machen, das Urteil Gesine Schwans nur bestätigt. Und da behaupten Sie, Herr Kollege Vogel, die SPD bekenne sich zum Bündnis und zu dessen ideellen und moralischen Fundamenten. Das ist doch absolut unglaubwürdig.
Eine Glaubwürdigkeitslücke der SPD gibt es auch in der Deutschlandpolitik. Im Godesberger Programm, das Sie nach langer Zeit einmal wieder lesen sollten, heißt es noch — ich zitiere —:Sie— die SPD —steht zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
In seinem Sinne erstrebt sie die Einheit Deutschlands in gesicherter Freiheit.Die Spaltung Deutschlands bedroht den Frieden. Ihre Überwindung ist lebensnotwendig für das deutsche Volk.Erst in einem wiedervereinigten Deutschland wird das ganze Volk in freier Selbstbestimmung Inhalt und Form von Staat und Gesellschaft gestalten können.So das Godesberger Programm.
Meine Damen und Herren, ich kann diese alten Positionen der SPD Wort für Wort unterschreiben.
Nur, Sie können es nicht mehr.
In der SPD sind diese Aussagen nicht mehr mehrheitsfähig; sonst hätte Herr Rau die bedauerliche Äußerung des italienischen Außenministers Andreotti zur deutschen Frage nicht mit unverhohlener Genugtuung kommentiert, und sonst hätte Herr Apel — damals ausgerechnet auch noch als Bürgermeisterkandidat für Berlin — nicht gesagt, die deutsche Frage sei nicht mehr offen, und sonst hätte Herr Lafontaine nicht die gemeinsame Staatsbürgerschaft der Deutschen — wie jetzt in Ost-Berlin — in Frage gestellt.
Herr Brandt hat sich von Herrn Lafontaine distanziert! Ich frage: Für wie lange und aus welchen Motiven? Herr Vogel hat diese Äußerungen zunächst interpretiert. Meine Damen und Herren, dieses unwürdige Hin und Her der SPD ausgerechnet dann, wenn es um Deutschland geht
— Deutschland bedeutet Ihnen von den GRÜNEN gar nichts, das weiß ich; das unterscheidet uns —, zeigt, welche Kluft sich zwischen der SPD des Godesberger Programms und der heutigen SPD aufgetan hat.
Herr Abgeordneter Ehmke, ich weise diesen Ausdruck zurück.
Herr Ehmke, meine Damen und Herren, wenn Sie in der Deutschlandpolitik wieder glaubwürdig werden wollen, was Ihnen schwerfallen wird, dann müssen Sie uns und dem deutschen Volk verbindlich erklären, was Sie eigentlich wollen. Stehen Sie zur Verfassung oder nicht? Ist die DDR für Sie Ausland oder nicht? Ist die deutsche Frage für Sie offen, oder ist sie begraben? Was gilt?
Wir jedenfalls bleiben dabei, daß die Teilung Berlins, Deutschlands und Europas nicht die letzte Antwort der Geschichte sein kann.
Wir halten daran fest, daß die jetzige, aus Krieg und den Konflikten der Siegermächte entstandene Ordnung Europas durch eine Friedensordnung abgelöst werden muß, die auf dem Selbstbestimmungsrecht der europäischen Völker und auf ausgehandelten Friedensverträgen der europäischen Staaten mit den beiden Weltmächten beruht. Die Überwindung der Konfrontation der Weltmächte ist dazu ebenso notwendig wie die Wahrung unserer Grundsatzpositionen in der Berlin- und in der Deutschlandpolitik.
Darauf hat dankenswerterweise der oberste Beamte der amerikanischen Schutzmacht in Berlin, Herr Kornblum, kurz vor der Begegnung Gorbatschow/Reagan in Genf in klarer und überzeugender
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13246 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Dr. DreggerWeise hingewiesen; siehe „FAZ" und „Welt" vom 21. November dieses Jahres. Selbst Gorbatschow hat das nicht ausgeschlossen. Auf die Frage eines Journalisten in Genf nach der deutschen Wiedervereinigung hat Gorbatschow auf den KSZE-Prozeß hingewiesen. Dieser KSZE-Prozeß schließt die friedlichen Veränderungen von Grenzen nicht aus. Herr Gorbatschow ist in der deutschen Frage aufgeschlossener als die SPD.
— Das ärgert Sie, aber die Wahrheit ist manchmal ärgerlich für die Betroffenen. Das ist nun einmal so, das kann ich nicht ändern. Ich muß sie doch sagen dürfen.
Ich kann Ihnen nur voraussagen: Sie werden mit Ihrer jetzigen Linie in der Deutschlandpolitik immer mehr ins Abseits geraten.
Sie haben Ihre Moral in der Deutschlandpolitik verloren.
Sie denken geschichtsfremd. Wer geschichtsfremd denkt und sich beflissen Tagesopportunitäten unterwirft, wird von der Geschichte widerlegt werden.
Wir jedenfalls sind überzeugt und wir werden dafür eintreten,
daß die friedliche Verständigung zwischen den Weltmächten, zu der, wie wir hoffen, in Genf der Grundstein gelegt wurde, die Beantwortung der deutschen und europäischen Frage nicht ausspart.
Aber nicht nur die Inhalte Ihrer deutschland-, außen- und sicherheitspolitischen Aktivitäten sind kritikwürdig, sondern auch Ihre Methoden. Wenn die oppositionelle SPD mit regierenden kommunistischen Parteien Abkommen schließt, dann betreibt sie eine Nebenaußenpolitik, die illegitim ist und den deutschen Interessen schadet.
Die SPD bietet dadurch den kommunistischen Führungen die Möglichkeit, die gewählte deutsche Regierung gegen eine Opposition auszuspielen, die sich selbst Regierungsfunktionen anmaßt. Ich verurteile dieses skandalöse Verhalten der SPD, für die es in der Geschichte der demokratischen Länder kein Beispiel gibt.
Die „Frankfurter Rundschau" hat am 29. Mai 1985 zum letzten Besuch des Herrn Brandt in Moskau folgendes geschrieben — ich zitiere —:Die Sowjets können mit der Brandt-Visite zufrieden sein. So viele Gleichklänge bei der Erörterung so sensibler Themen wie der Rüstungskontrollpolitik, der bilateralen Beziehungen und der Weltlage hatte es schon lange nicht mehr zwischen dem Kreml und einem nichtkommunistischen Gast gegeben.Wenn das zutreffen sollte, was in der „Frankfurter Rundschau" steht, dann hätte Herr Brandt weder uns noch der Sowjetunion einen Dienst erwiesen.Professor Karl Kaiser, der eben schon zitierte, immer noch lebendige Parteifreund und außenpolitische Experte der SPD, hat Ihnen aus dringendem Anlaß ins Stammbuch geschrieben — ich zitiere — :Äquidistanz— also gleicher Abstand von beiden Weltmächten —ist der Anfang vom Ende deutscher und europäischer Sicherheit.
Ich jedenfalls werde in der nächsten Woche in Moskau als Mitglied einer Bundestagsdelegation nichts anderes sagen als das, was ich im Juni in Washington gesagt habe.
Meine Damen und Herren, ich will niemanden täuschen: Nichts ist wichtiger als die Kalkulierbarkeit der deutschen Politik. Das ist für beide Seiten gleich wichtig.
Natürlich wollen wir Deutsche zu beiden Weltmächten möglichst gute Beziehungen unterhalten;
aber wir können nicht zu beiden Seiten gleich gute Beziehungen unterhalten.Solange die Sowjetunion an der Teilung Berlins, Deutschlands und Europas festhält, solange sie nicht darauf verzichtet, Nachbarvölker gegen ihren Willen in ein kommunistisches Weltsystem einzufügen, wie zur Zeit Afghanistan, solange wir durch ihre überlegene Militärmacht, ihre expansive Ideologie — Weltrevolution unter sowjetischer Führung — und durch ihre offensive Militärdoktrin bedroht werden, so lange darf es keinen Zweifel geben, wer unser Verbündeter und neben den europäischen Alliierten unser Sicherheitspartner ist. Das sind die Vereinigten Staaten von Amerika.
Unser Verhältnis zu den USA ist daher notwendigerweise ein anderes als unser Verhältnis zur Sowjetunion. Wer wie Sie, meine Damen und Herren der SPD, verschiedene Tatbestände mit demselben Begriff kennzeichnet, Sicherheitspartnerschaft, der verwirrt die Menschen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13247
Dr. DreggerDas ist nirgendwo gefährlicher als in der Außen-und Sicherheitspolitik. Ich fordere Sie auf, das in Ihren künftigen Äußerungen zu bedenken.Meine Damen und Herren, Sicherheitspartnerschaft mit den USA darf möglichst gute Beziehungen zur Sowjetunion nicht ausschließen. Das Bemühen darum ist im Interesse des Friedens notwendig, es ist auch im Interesse einer Friedensordnung für Europa notwendig, die nur mit beiden Weltmächten gemeinsam geschaffen werden kann.
Unser Ziel ist ein vereinigtes Deutschland als Gliedstaat eines vereinigten Europas. Das wäre nicht ein Zurück zur Vorkriegsordnung, aus der zwei Weltkriege hervorgegangen sind. Die von uns angestrebte Friedensordnung wäre für eine defensive Sowjetunion ein Gewinn. Ein in Nationalstaaten gegliedertes, aber vereinigtes Europa könnte nicht offensiv sein, weil das Ziele voraussetzt, auf sie sich die europäischen Staaten niemals einigen könnten. Es wäre ebensowenig offensivfähig — um einen historischen Vergleich zu nennen — wie das alte Reich, das 1806 untergegangen ist. Ein in Nationalstaaten gegliedertes, aber vereinigtes Europa würde es beiden Weltmächten ersparen, sich in Europa hautnah und hochgerüstet gegenüberzustehen. Einer Sowjetunion mit defensiver Ideologie und defensiver Politik könnte ein vereinigtes Europa ein wertvoller Partner sein, nicht zuletzt bei der Erschließung ihrer unermeßlichen Reichtümer an Rohstoffen und Energiequellen.
Meine Damen und Herren, das ist eine Perspektive — Sie sprechen wie ein Parteigänger der anderen Seite, nicht wie ein deutscher Patriot —,
für die die Zeit nicht reif sein mag.
— Hören Sie zu, Herr Vogel, das ist auch für Sie wichtig! — Aber es ist eine Perspektive, deren Verwirklichung die Würde Europas und seiner Nationen wiederherstellen und auch den Interessen der beiden Weltmächte dienen würde, wenn diese auf Vorherrschaft verzichten.Die USA sind dazu bereit; sie ziehen ab, wenn wir es fordern.
Der amerikanische Botschafter in Bonn hat es erst kürzlich erneut festgestellt. Ist auch die Sowjetunion zum Abzug bereit, wenn die Europäer es fordern, oder will sie auf ewige Zeiten die Vorherrschaft über Ostmitteleuropa behaupten? Das ist doch die Frage.
Meine Damen und Herren, aus dem Genfer Kommuniqué der Reagan/Gorbatschow-Begegnung möchte ich zwei Punkte hervorheben, die bisher nicht die Beachtung gefunden haben, die sie verdienen.Ich nenne als erstes die Absicht, die chemischen Waffen nicht nur in Mitteleuropa, sondern weltweit zu beseitigen.
Das ist möglich, da keine der beiden Seiten zur Abschreckung auf chemische Waffen angewiesen ist. Es geht um die Verwirklichung einer wirksamen Kontrolle, zu deren Vorbereitung die Bundesregierung wertvolle Arbeit geleistet hat. Die Abschaffung chemischer Waffen wäre ein erster großer Fortschritt, der weitere Fortschritte erhoffen ließe.Wie im Juni in Washington werde ich dieses Thema auch in Moskau in der nächsten Woche zum Gegenstand unserer Gespräche machen.
Ein zweites. Für uns in der Mitte Europas ist es vielleicht noch wichtiger, daß beide Seiten in Genf erklärt haben, nicht nur einen atomaren und chemischen, sondern auch einen sogenannten konventionellen Krieg unter sich selbst auf jeden Fall vermeiden zu wollen. Diese Erklärung schützt bei ihrer Realisierung auch uns, solange amerikanische Truppen auf deutschem Boden stationiert sind. Solange das der Fall ist, würde ja ein Angriff der Sowjetunion auf unser Land ein Angriff auf die Vereinigten Staaten von Amerika bedeuten.Ob diese Tatsache auch diejenigen nachdenklich machen wird, die den USA und der NATO grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen, wozu heute leider auch große Teile der SPD gehören? Ich jedenfalls beglückwünsche den amerikanischen Präsidenten und den sowjetischen Generalsekretär zu diesen für uns so wichtigen Abreden.
Meine Damen und Herren, welche Felder man auch untersucht, ob die Deutschland-, Außen- und Sicherheitspolitik oder die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, das Ergebnis ist überall das gleiche: Der Kurs der Regierung ist klar und erfolgreich. Der Kurs der SPD ist unklar geworden; er steckt voller Widersprüche und läßt Schlimmes erwarten, wenn er verwirklicht würde.
Die Voraussage Ihres Parteifreundes Richard Löwenthal — auch Gott sei Dank unter den Lebenden, Herr Kollege Vogel — aus dem Jahre 1981 ist längst eingetroffen: Die SPD hat sich „selbst desintegriert", wie Löwenthal es damals befürchtet hat. Auf der Suche nach der von Brandt proklamierten neuen Mehrheit links von der Union hat die SPD Kompaß und Orientierung verloren. Zur „Zerfaserung des außenpolitischen Profils" — so Karl Kaiser — kommt die Zerfaserung des gesellschaftspolitischen Profils.
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13248 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Dr. DreggerDabei ist doch klar: Zusammengehen mit den GRÜNEN ist Politik gegen die Arbeitnehmer,
ist Politik gegen wissenschaftlichen und technischen Fortschritt,
gegen wirtschafts- und finanzpolitischen Sachverstand und gegen die Sicherheit unseres Landes. Herr Rappe weiß das, Herr Brandt und Herr Vogel nicht?
Professor Hartmut Jaeckel, Mitglied Ihrer Partei, Herr Brandt und Herr Vogel, sieht die Gefahr heraufziehen, die SPD könne im grünen Neutralismus versinken. Wohin grüner Neutralismus unser Land und darüber hinaus die freie Welt führen würde, ist klar: in die Unfreiheit!
Wenn Sie wieder regierungsfähig werden wollen, Herr Kollege Vogel, müssen Sie daher zunächst und verbindlich Ihr Verhältnis zu den GRÜNEN klären. Solange Sie dieser Bewegung programmatisch hinterherlaufen, solange Sie keine finanzierbaren Alternativen zur Regierungspolitik vorlegen und solange Sie konstruktive Oppositionspolitik mit Herabsetzungen der Regierung verwechseln, bleiben Sie regierungsunfähig.
Während Bundeskanzler Helmut Kohl eine erfolgreiche Bilanz vorlegen konnte und uneingeschränkt das Vertrauen der Koalition genießt, ist die SPD dabei, an der Seite der GRÜNEN zum Risiko für die Arbeitsplätze und für die Sicherheit unseres Landes zu werden.
Solange Sie, meine Damen und Herren, mit Spontis und Alternativen gemeinsame Sache machen, wie der wortbrüchig gewordene Herr Börner es zur Zeit in Hessen tut,
bleiben Sie unglaubwürdig.
Welchen Grund sollte es geben, Herrn Rau mehr zu glauben als Herrn Börner?
Alles in allem: Die SPD ist in keiner guten Verfassung.
Sie ist nicht in der Lage, ihre Aufgabe als Opposition konstruktiv wahrzunehmen.
Die Feststellung von Rolf-Dieter Schwartz im „Vorwärts" ist zutreffend: Die SPD ist zur Zeit weder regierungs- noch oppositionsfähig.
Bevor Sie wieder regierungsfähig werden, meine Damen und Herren, müssen Sie zunächst einmal oppositionsfähig werden.
Das ist nicht leicht; wir haben das 1969 bei uns selbst feststellen müssen. Beides, Oppositionsfähigkeit und Regierungsfähigkeit, ist in einem Jahr, bis 1987, nicht zu erreichen.
Deshalb sollten Sie, Herr Kollege Vogel, nicht kurzatmig werden. Sie sollten sich auf eine langfristigeOppositionsstrategie einstellen. Das wäre gut für Sie, das wäre gut für die SPD, und das wäre auch gut für unser Land.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Schmidt (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit keine Verwechselungen aufkommen: Schmidt (HamburgNeustadt) von den GRÜNEN, nicht Schmidt (Bergedorf).
Die Probleme der Menschen hier unten auf der Erde haben momentan eine schlechte Konjunktur in den Medien. Hochkonjunktur haben derzeit die Themen, die sich weiter oben abspielen: auf dem Gipfel von Genf, die Deutschen im Weltraum und der Aufschwung mit Eureka und SDI.Über den Genfer Gipfel ist so phantasiereich geredet worden, so fundamental optimistisch, daß es schwerfällt, in diesem Fall Realpolitiker zu bleiben.
Weil es nirgends so wichtig ist wie in der Rüstungspolitik, Realpolitiker zu bleiben, müssen wir auf dieErgebnisse von Genf in der Sache zurückkommen.Zur Sache gehört, daß sich in Genf zwei Männer getroffen haben, von denen jeder über 25 000 Atomraketen verfügt, mit denen er das jeweils andere Land, aber auch uns alle mehrfach auslöschen kann. Weil beide Seiten dies wissen, wissen sie auch, daß die Vernichtung des Gegners unweigerlich die eigene Vernichtung bedeutet.Die sogenannte Sicherheitspolitik beruht auf der absurden Vermutung, daß der Frieden um so siche-
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Schmidt
rer ist, je sicherer die Vernichtung beider Seiten wird. In dieser Situation nun sind die Amerikaner dabei, ein Raketenabwehrsystem aufzurichten, das es ihnen ermöglicht, der Vernichtung zu entgehen. Alle Experten sagen, daß der UdSSR in dieser Situation nichts anderes übrigbleibt, als ihrerseits aufzurüsten und so viele Raketen zu installieren, daß der Abwehrschirm nicht mehr alle schlucken kann.Worum es also in Genf ging, war der Versuch, eine Situation herzustellen, in der SDI nicht installiert wird und damit die nächste Aufrüstungsrunde verhindert werden kann. In dieser Hinsicht ist nichts, aber auch gar nichts in Genf erreicht worden.
Wenn alle Seiten von Erfolg sprechen, sollten Sie wenigstens darin übereinstimmen, was der Erfolg war. Herr Vogel, Sie haben heute morgen gesagt: Der Erfolg war,' daß über künftige Gespräche die Möglichkeit gegeben sei, daß Taten folgen. Sie meinten damit die Abschaffung von SDI.Dazu muß ich Ihnen sagen: Ich begrüße es, daß die SPD hier erklärt, sie ist gegen SDI. Dann verstehen wir es aber nicht, warum Ihre Mitglieder in der Nordatlantischen Versammlung nicht gegen SDI gestimmt haben, sondern sich vor wenigen Wochen in San Francisco der Stimmen enthalten haben.
Herr Dregger und die CDU sagen im Grund das genaue Gegenteil, warum Genf ein Erfolg gewesen sei. Sie sagen, es war ein Erfolg, daß über die Installierung von Pershing II die Sowjets an den Verhandlungstisch gezwungen wurden und daß die Forderung der Sowjetunion nach Aufgabe von SDI vom Tisch sei. Sie behaupten also, Herr Vogel, es sei ein Erfolg in Richtung Abrüstung. Herr Dregger sagt, es sei ein Erfolg in Richtung Aufrüstung.
Weil das so ist, halten wir daran fest, daß für die Friedensbewegung Genf ein Mißerfolg war.
Daß es so ist, belegen auch die Agenturmeldungen nach Genf. Da lesen wir z. B., daß der Chef der Forschung für SDI, ein General Abrahamson nach dem Gipfel geäußert hat, er erwarte jetzt die unmittelbare Anweisung von Präsident Reagan, noch „sehr viel schneller und effektiver" mit seinen Forschungen in Sachen SDI fortzufahren.Dieses Ergebnis deckt sich ja auch mit dem, was bei früheren Abrüstungsverhandlungen herausgekommen ist. Dabei ist jeweils nur das vereinbart worden, was technologisch überflüssig geworden war. 1963 wurde ein Stopp von Atomtests in der Atmosphäre vereinbart, in einer Zeit, als beide Supermächte dazu übergegangen waren, diese Tests unterirdisch fortzuführen. 1972 unterzeichneten Nixon und Breschnew den SALT-I-Vertrag, der die Zahl der Atomraketen begrenzte, weil beide Seiten dazu übergegangen waren, Mehrfachsprengköpfe zu installieren. 1974 wurde der ABM-Vertrag unterzeichnet, der absurderweise beiden Supermächten untersagte, sich mit dem System der Raketenabwehr zu schützen, ihnen aber freie Hand bei der Aufstellung von Angriffswaffen gab, was damals Priorität hatte.Zu den chemischen Waffen, Herr Dregger, ist zu sagen: Das älteste Dokument von Abrüstungsverhandlungen ist das Genfer Protokoll von 1925. Darin wird die Produktion chemischer Waffen verboten. Heute, 60 Jahre später, stellen wir fest: Noch nie hat es so viele chemische Waffen auf der Welt gegeben wie jetzt, und jetzt sind die Amerikaner dabei, neue Binärwaffen zu entwickeln. Das zeigt, daß Ihr Gerede, Herr Dregger, von der chemischen Abrüstung eben nur Gerede ist und nichts dabei herauskommen wird, wenn Sie in Moskau darüber Gespräche führen.
Die wesentliche Schlußfolgerung, die wir ziehen müssen, ist die, daß Abrüstungen deshalb unmöglich sind, weil die Politiker beider Seiten entschlossen sind, die Aufrüstung fortzusetzen,
und weil dies durch eine technologische Entwicklung diktiert wird, die in den großen Rüstungskonzernen vor allem im kapitalistischen Westen vorbereitet und vorangetrieben wird.
Weil das so ist, dürfen wir nicht nur, Herr Vogel, auf SDI starren und auf die Apokalypse, die von daher droht. Wir müssen auch angucken, was in Europa an einem neuen industriellen Komplex zusammenwächst, der dreierlei vereinigt: Hochtechnologie, Weltraum und Rüstungskonzerne.Eureka — sagen Sie — ist die friedliche Alternative zu SDI. Wir weisen darauf hin, daß Ihre eigenen Parteifreunde in Frankreich, die französischen Sozialisten, durchaus offen sagen, sie verfolgten mit Eureka, mit der europäischen Weltraumfahrt und mit der europäischen Verteidigungsinitiative u. a. auch ein europäisches Abwehrsystem im Weltraum wie SDI.
Zuletzt hat das Präsident Mitterrand am Abend von Genf in einer Pressekonferenz so bekräftigt.Bei Eureka war zunächst das Bemerkenswerte, daß der Begriff erfunden war, lange bevor das Produkt feststand.
Es war bemerkenswert, daß sofort alle Staatsmänner in Westeuropa sagten, Eureka sei eine hervorragende Idee, obwohl niemand wußte, was Eureka eigentlich ist. Die Beamten im Forschungsministerium haben wochenlang Überstunden machen müssen, um herauszufinden, was Eureka sein könnte. Das war also wirklich modernstes Management: zu-
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nächst einmal die Werbekampagne und dann die Suche nach dem Produkt.
Seit Anfang November gibt es nun eine EurekaGrundsatzerklärung. Darin steht — ich zitiere:Ziel von Eureka ist, durch verstärkte Zusammenarbeit von Unternehmen und Forschungsinstituten auf dem Gebiet der Hochtechnologien die ... Wettbewerbsfähigkeit der Industrien ... Europas auf dem Weltmarkt zu steigern .. .Die dazu vorgesehenen Projekte — Computer, Roboter, Laser usw. — sind nicht neu. Sie erhalten jetzt nur das Gütesiegel „Eureka".Wichtiger aber ist der Beschluß — ich zitiere —,daß Eureka zu einer Beschleunigung der laufenden Bemühungen führen sollte, um ... gemeinsame Industrie-Normen auszuarbeiten; ... Handelshemmnisse ... zu beseitigen; das öffentliche Beschaffungswesen zu öffnen.In der Summe heißt das zweierlei: Die Forschungsförderungen für Großprojekte werden weiterhin aufgestockt; es gibt noch mehr Subventionen. Zweitens soll für bestimmte Industriezweige der westeuropäische Markt geöffnet werden. Hauptnutznießer sind die Elektronikkonzerne, die am Tropf staatlicher Aufträge hängen. Musterfall ist bei uns in der Bundesrepublik Siemens, das heute nicht nur der größte Hauptauftragnehmer bei der Bundespost ist; bei einer Gesamtauftragssumme von 15 Milliarden DM. Siemens ist auch der Hauptauftragnehmer bei den militärischen Beschaffungen der Bundeswehr in derselben Größenordnung.
Wenn jetzt die europäischen Märkte für Siemens, SEL, AEG, Philips usw. geöffnet werden, dann hat das das Ziel, in Westeuropa Konzerne zu schaffen, die über einen Markt vergleichbar dem amerikanischen verfügen. Damit sollen also Superkonzerne gebildet werden, die auch hinsichtlich Forschung und Rüstung den amerikanischen gleichrangig sind.Dabei ist richtig, daß Eureka kein erklärtes Militärprogramm ist. Es orientiert sich aber an denselben Großtechnologien, und es wendet sich an die Konzerne, die nicht zufällig Weltraumtechnik, Großtechnologien allgemein und Rüstung unter einem Dach verbinden. Insgesamt werden hier also die industriellen Grundlagen dafür geschaffen, daß es Westeuropa möglich wird, in den 90er Jahren mit SDI gleichzuziehen und dieselbe Aufrüstungspolitik zu betreiben, die die USA heute planen.Nun hören wir immer wieder, daß die Förderung von Hochtechnologien die einzige Möglichkeit sei, die Wirtschaft in Schwung zu bringen und die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Halten wir deshalb zunächst fest, daß die beiden Staaten, die am meisten für Hochtechnologien an Milliarden ausgeben, die USA und Frankreich — die USA betreiben heute zu über 50% ihrer Forschungspolitik im militärischen Bereich —, in der industriellen Massenfertigung immer mehr zurückfallen und absolut zweitrangig werden.Zweitens, Bei der Frage nach dem wirtschaftlichen Nutzen ist es interessant, zu lesen und zu hören, wie der Nutzen der Weltraumfahrt ist. Wenige Tage nach dem ersten deutschen Raumfahrtunternehmen D 1 fand im Ausschuß für Forschung und Technologie eine Anhörung mit Experten dazu statt. Da wurde erstens gesagt, daß wir den Astronauten dafür danken, daß sie heil wieder auf die Erde gekommen sind. Dem kann man sich so weit anschließen. Denn das ist wahrlich ein erfreulicheres Ergebnis modernster Verkehrspolitik als das, was wir Woche für Woche auf deutschen Autobahnen erleben.
Das erlaubt einen Schlenker zur Problematik des Tempolimits.
— Ja, das ist ein wichtiger Schlenker. Es ist ein Wahnsinn, darüber froh zu sein, daß ein halbes Dutzend Astronauten heil zurückgekehrt sind und dieses Problem verkehrspolitisch gelöst ist, zugleich aber die totale Unfähigkeit besteht, die Probleme des Massenverkehrs auf der Erde zu lösen.
Dazu ist das Tempolimit eine wichtige und notwendige Maßnahme. Wenn es nur dazu käme, daß über das Tempolimit erreicht würde, daß von den vielen Tausenden von Verkehrstoten im Jahr einige wenige gerettet würden, dann wäre das allein schon eine tausendfache Begründung für die Berechtigung von Tempo 100 auf den Autobahnen und von Tempo 80 auf den Landstraßen. Aber es geht auch darum, die ökologischen Schäden über ein Tempolimit zu reduzieren. Was da zur Auswertung des Großversuchs von Regierungsseite gesagt wurde, ist wirklich hanebüchen. Herr Zimmermann hatte die Stirn, zu sagen: erstens bringt das Tempolimit nichts in Sachen Schadensminderung, und
zweitens wird es nicht befolgt. Herr Zimmermann, umgekehrt wird ein Schuh draus. Wenn das Tempolimit flächendeckend eingeführt wird und die Regierung dafür sorgt, daß es befolgt wird, dann ist es auch möglich, die Schadensminderung in einem Umfang zu betreiben, daß der Wald wenigstens eine Chance hat weiterzuleben.
Zurück zur D-1-Mission und zum wirtschaftlichen Nutzen der Weltraumfahrt. Wir haben in der Anhörung im Ausschuß gehört, daß die bisherige Bilanz so aussieht, daß 13 Jahre Weltraumförderung mit 10 Milliarden DM Aufwand betrieben worden ist, und wir haben gehört, über diese Politik sind gerade mal ein paar tausend Arbeitsplätze gesichert worden. Das ist dieselbe Politik wie bei der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, wo ebenfalls 10 Milliarden DM investiert werden und, wie wir hörten, 1 600 Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir wollen über einen wirtschaftlichen Nutzen
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der Weltraumfahrt nicht streiten, nämlich darüber, daß es möglich ist, Geschäfte zu machen über die Vermietung von Wetter- und Fernsehsatelliten. Dafür haben wir dann zwar kein besseres Wetter, können aber jeden Abend im Fernsehen über Weltraumfotos sehen, warum es schlecht ist, und können uns anschließend im privaten Fernsehen aus dem Weltraum ansehen, was die Werbung an neuen Dummheiten zu bieten hat. Das Ganze, wie gesagt, mit 10 Milliarden DM Aufwand.Wie sieht es mit dem künftigen wirtschaftlichen Nutzen der Weltraumfahrt aus? Dazu will ich zitieren, was ein führender Unternehmensberater bei der Anhörung in Sachen High Tech geäußert hat:Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Weltraumtechnik und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit ist offensichtlich viel geringer als dargestellt. Die Computerentwicklung erfolgt inzwischen unabhängig von der Entwicklung der Weltraumfahrt.Und ein Technologietransfer aus der Weltraumtechnik in die allgemeine Wirtschaft sei ganz offensichtlich schwer zu beweisen. — Und abschließend kritisiert er:Hier werden Großprojekte in Angriff genommen, ohne daß ihr gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Nutzen geklärt ist.Das sagt, wohlgemerkt, kein grüner Industriefeind, das sagt ein Mann, der sein Geld damit verdient, der Industrie Tips zu geben, mit welchen neuen Technologien sie Gewinne machen kann.
Und dieser Mann sagt: Raumfahrt ist wirtschaftlich uninteressant, und ein Technologietransfer findet nicht statt.Die Erklärung, warum das so ist, ist sehr einfach. Weltraumtechnologien haben nämlich die Eigenschaft, daß sie nur im Weltraum selbst von Nutzen sind, nur für die Weltraumindustrie, aber keinen Nutzen im Hinblick auf die Probleme bringen, die uns auf der Welt bedrücken.
— Dies stimmt absolut; denn das ist bei der Anhörung von Experten, die wirklich kein Interesse daran haben, die Bundesregierung von links zu kritisieren, so betont worden.
Es lohnt sich zweifellos für die paar Raumfahrtunternehmen, die die Millionen-Aufträge bekommen. Dem hat auch entsprochen, daß die Regierung nichts Besseres wußte, als die Vertreter von MBB, von SEL, von MAN, von der AEG, von Dornier usw. als Gutachter zu dem Hearing einzuladen. Die haben natürlich Stein und Bein geschworen, daß Weltraumfahrt ein absolut lohnendes Geschäft sei. Dabei haben sie auch nicht gelogen. Für sie ist es ein Geschäft.
Nur, nach derselben Methode könnte man zur Klärung der Frage, ob denn Parteispenden eine gesellschaftlich nützliche Sache seien, die Herren Flick und Brauchitsch und die Herren Lambsdorff und Friderichs einladen. Natürlich würden auch die beeiden, daß Parteispenden, die sie einkassieren, eine gesellschaftlich nützliche Sache sind. Da würden sie nicht einmal Falschaussagen machen müssen.
Zweitens müssen wir erkennen, daß jede Art von Weltraumforschung im Zusammenhang mit bemannter Weltraumfahrt einen sehr präzisen militärischen Nutzen hat; denn die Produkte, die auf der Erde nicht gebraucht werden, werden benötigt, um eben solche militärischen Systeme wie SDI, wie die Raketenabwehr im Weltraum, aufzubauen.Wer also sagt: Weltraumrüstung, klar, dafür sind wir, sie darf aber nur nicht zu militärischen Zwecken mißbraucht werden, der ist ungefähr so logisch wie jemand, der sagt: Für die Zigarettenindustrie, klar, da sind wir, die Zigaretten dürfen nur nicht zum Rauchen mißbraucht werden.Das Weltraumabenteuer wird heute auch ideologisch mißbraucht. Ich habe von den vielen Berichten über das D-1-Abenteuer den am schönsten gefunden, der in der „Quick" stand. In der „Quick" waren zwei große Reportagen. In der ersten Reportage wurden die tüchtigen deutschen Astronauten im Weltraum gefeiert, und Franz Josef Strauß wurde mit den Worten zitiert - ich zitiere meinerseits —:Die bescheidenen öffentlichen Mittel für den deutschen Raumflug — er sprach von 400 Millionen DM — zahlen sich für unsere Industrie um ein Vielfaches aus. Das ist ein riesiger Erfolg für die Menschheit auf dem Weg nach oben in eine bessere Zukunft.In der zweiten Reportage stellt die „Quick" dar, was hier unten auf der Erde den Weg nach oben behindert — ich zitiere wiederum —:Rund 2,15 Millionen Arbeitslose gibt es heute in der Bundesrepublik. Fragen Sie nicht auch manchmal, wie viele davon Drückeberger sind?In dieser Serie über Mißstände bringt „Quick" alarmierendes Material über falsche Arbeitslose und Drückeberger.Das ist eine Stimmungsmache, die sich nahtlos in die Regierungspolitik einfügt. Denn auch in der Regierungspolitik wird in diesem Jahr wieder Jagd auf sogenannte Drückeberger gemacht. Mit der Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes sind ehemalige Lehrlinge herabgestuft worden, erhalten Erwerbslose Arbeitslosenhilfe nur noch nach der Arbeitsmarktlage, nicht mehr nach der Qualifikation, und neuerdings beginnt die Regierung auch in die Privatverhältnisse hineinzuschnüffeln, indem sie
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untersuchen läßt, wo Leute, die zusammen wohnen, eine eheähnliche Beziehung haben, um dann deren Arbeitslosenhilfe zu kürzen, wenn sich herausstellt, daß ein eheähnliches Verhältnis besteht. Das ist bemerkenswert, weil hier die Regierung erstmalig die Gleichstellung von normalen Partnerschaften mit Ehen praktiziert, aber natürlich nur, um ihren Sozialabbau besser fortsetzen zu können.
Die schlimmste sozialpolitische Maßnahme, die die Regierung plant, ist die Änderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes, zu der Herr Dregger heute bemerkenswerterweise nichts gesagt hat. Wir sagen dazu: Es ist eine schamlose Lüge zu behaupten, daß die Änderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes deshalb geplant wird, weil die Streiks der Metaller im letzten Jahr dieses notwendig machen. Wir haben letzte Woche gelesen, daß die Metallindustrie in diesem Jahr wie die Teufel investiert, daß sie 200 000 Neueinstellungen vorgenommen und daß sie Erweiterungsinvestitionen in jeder Höhe gemacht hat. Das ist nur ein Beleg dafür, daß die 38,5-Stunden-Woche für die Metallindustrie ein großes Geschäft gewesen ist,Worum es bei der Änderung des § 116 in Wirklichkeit geht, ist, die Streikfähigkeit in den Großbetrieben einzuschränken und abzuschaffen.
Denn dort werden in aller Regel die Schwerpunktstreiks begonnen und durchgeführt. Wenn dort aber gestreikt wird und den Arbeitgebern erlaubt wird, die Arbeitnehmer der Zuliefer- und Abnehmerbetriebe auszusperren, und der Bundesanstalt verboten wird, Kurzarbeitergeld zu zahlen, dann ist kein Schwerpunktstreik mehr durchhaltbar. Wenn damit die Großbetriebe für Tarifkämpfe neutralisiert werden, dann bricht die ganze tarifpolitische Solidargemeinschaft der Arbeitnehmer und des DGB auseinander. Dann ist die Politik möglich, die Herr Bangemann hier seit Monaten propagiert. Dann ist es möglich, die unteren Lohngruppen weiter nach unten zu „flexibilisieren" und die Löhne in den strukturschwachen Branchen nach unten zu bringen.Deswegen sagen die GRÜNEN: Erstens. Wir lehnen jede Änderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes entschieden ab.
Zweitens. Wer Aufklärung dafür benötigt, wohin die Änderung des § 116 führen wird, der soll sich angukken, was in den USA los ist. Dort stehen Woche für Woche vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer vor den Fürsorgestellen in Schlangen, um sich Lebensmittelzuteilungen abzuholen, weil der Lohn so niedrig ist, daß sie allein davon nicht leben können. Sollte die CDU diesen Paragraphen ändern, sagen wir schon jetzt voraus: Wir werden im Wahlkampf gerade die Arbeitnehmer darauf aufmerksam machen, daß sich jeder, der überlegt, CDU/CSU oder FDP zu wählen, vorher ansehen sollte, was in den USA heute vor den Fürsorgeämtern los ist: 35 Millionen Arbeitnehmer, die ganztags arbeiten, müssen trotzdem von der Sozialfürsorge leben.Um zu begreifen, worum es geht, muß man sich anhören, was die Kriegsberichterstatter der Arbeitgeberseite zur Änderung des § 116 schreiben. Ich zitiere einen Herrn Mundorf, der im „Handelsblatt" vor wenigen Tagen über Schwerpunktstreiks geschrieben hat:In diesen Stellvertreter-Kriegen gibt es keine Neutralen. Auch die Arbeitnehmer, die streikbedingt in anderen Tarifgebieten kurzarbeiten müssen, sind Kombattanten, sind sie doch auch am Kriegsgewinn beteiligt.Genau darum geht es aber der Regierung: das Tarifrecht in ein Kriegsrecht umzuwandeln, damit die Arbeitnehmer dann geschlagen werden können.
Ich habe eingangs gesagt: Das, was momentan in der Öffentlichkeit diskutiert wird, ist sehr nach oben gerichtet, blickt in die Sterne und vernachlässigt die Probleme hier unten. Es gibt neben der Bejahung der NATO und der Marktwirtschaft, in der alle sich einig sind, eine neue einheitliche Staatsideologie, und das ist die Bejahung der Hochtechnologie.
Herr Abgeordneter Schmidt , ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie Ihre Redezeit schon deutlich überschritten haben.
Schmidt (GRÜNE): Gestatten Sie mir trotzdem eine Schlußbemerkung, Herr Präsident.
Die GRÜNEN werden auch in dieser Haushaltsdebatte die schwierige Aufgabe übernehmen, zu sagen, daß nur eine Absage an Hochtechnologien die Probleme lösen hilft, um die es uns GRÜNEN geht: die Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit und die Bekämpfung der Naturzerstörung.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beschreibung der Ausgangssituation, die Darstellung der Probleme, vor denen wir alle gemeinsam stehen, wird sicher ein Stück Gemeinsamkeit in dieser Debatte sein. Bei den Schlußfolgerungen, die wir daraus ziehen, bei den Möglichkeiten, die wir sehen, die Probleme zu überwinden, zeigen sich aber schon jetzt tiefe Unterschiede. Das ist nicht nur eine Frage des sachlichen Ansatzes, sondern dahinter verbirgt sich auch ein Unterschied in der Einstellung zu den Problemen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13253
Bundesminister Dr. BangemannEs gibt die negative, verzweifelte Reaktion der Weltuntergangspropheten, die die Beschreibung der Probleme eigentlich nur brauchen, um ihre eigene verzweifelte Gemütsstimmung immer wieder zu vertiefen.Es gibt daneben die etwas abgemilderte Haltung derjenigen, die am liebsten den Mangel verwalten möchten, weil darin ein masochistisches Element liegt; und die die Problembeschreibung benutzen, um die Menschen noch mehr zu gängeln, ihnen noch mehr Vorschriften vorzugeben, sie noch mehr daran zu hindern, ein Leben zu führen, wie sie es sich vorstellen, und die daraus eine scheinbare moralische Rechtfertigung beziehen.Es gibt schließlich die Reaktion, von der sich diese Regierung und die Parteien, die sie tragen, leiten lassen: Ein Problem ist dazu da, daß man es überwindet.
In der Politik wird Gestaltungskraft, die sich aus dem Bewußtsein ergibt, daß man fähig und in der Lage ist, mit den Problemen fertig zu werden, von den Bürgern immer noch eher geschätzt als die Schwarzmalerei, als die Beschreibung eines unglücklichen Zustandes, zu dessen Bewältigung man dann gar nichts mehr beitragen will, weil man im Grunde politisch von diesem schlechten Zustand leben muß.
Das läßt sich sehr schön am Beispiel der Technologie darlegen. Natürlich werden — niemand bestreitet das — mit den modernen Entwicklungen im Bereich der Technologie im weiten Sinne — einschließlich dessen, was die Biotechnologie vermag oder noch wird leisten können — Grenzen deutlich, die eine Herausforderung sind, und zwar nicht nur in einem technischen, sondern auch in einem moralischen Sinne. Weil diese Grenzen technisch sehr weit gezogen werden können, brauchen wir eine moralische Anstrengung, um zuvor moralische, menschliche Grenzen setzen zu können.
Aber auch diese Anstrengung ist nur möglich und wird nur dann zum Erfolg führen, wenn man weiß: Man kann es schaffen.Meine Damen und Herren, der Mensch hat immer vor solchen Herausforderungen der Technologie gestanden. Nur haben wir jetzt ein Empfinden dafür, daß Grenzen überschritten werden, die in der Vergangenheit nicht in dieser Form vorhanden waren, weil wir zum erstenmal ein Bewußtsein dafür entwickeln, daß der Mensch technologisch die Fähigkeit erlangt hat, die Welt, auf der er lebt, zu einem lebensunwerten, lebensunfähigen Ort zu machen.
Diese Herausforderung, die wir jetzt zum erstenmal erblicken, ist neu. Ihr zu begegnen verlangt natürlich eine besondere Anstrengung. Aber der Weg, den viele vor Augen haben und den sie für möglich halten, gerade bei der Bewältigung dieser Herausforderung auf die Technologie zu verzichten, also bewußt einen Schritt zurück zu machen, sozusagen seine eigene Vergangenheit, seine eigene Geschichte als eine schützende Höhle, schützend vor den Herausforderungen und vor den Risiken der Gegenwart und Zukunft, aufzusuchen, ist nicht gangbar. Das unterscheidet uns auch in dem Versuch, dieses Problem zu bewältigen. Man kann es, wenn Sie wollen, wirtschaftlich beschreiben, man kann es an Hand der Herausforderungen der Sicherheitspolitik beschreiben. Beides möchte ich tun.Dabei gilt auch eines nicht mehr, verehrter Kollege Vogel, die alte Zweiteilung der Welt, die Sie immer wieder vornehmen. Auch in Ihrer Rede sprachen Sie von denen da unten und denen da oben, von den Schwachen und von den Starken, von den Armen und den Reichen.
— Nun warten Sie doch erst einmal ab, bis ich meinen Satz zu Ende gebracht habe. Wenn wir dieses Problem gemeinsam bewältigen wollen, müssen Sie sich erst einmal anhören, was ich dazu vorschlage. Sie können es ja immer noch ablehnen.
Natürlich gibt es diese Zweiteilung noch, aber daraus den Schluß zu ziehen, daß sie zur Grundlage von Politik werden kann, daß man also die Ideale des Klassenkampfes hier noch anlegen kann und daß man diese Zweiteilung der politischen Welt auch noch perpetuiert — —
— Wenn Sie das nicht wollen, Herr Kollege Vogel, dann gehen Sie doch mit uns zunächst einmal zum Vorstand der IG Metall und sorgen Sie dafür, daß das Bild in der Zeitung der IG Metall, wo ein Demonstrant gezeigt wird, auf dessen Plakat, das er vor sich herträgt, steht: „Die Nazis haben die Gewerkschaften abgeschafft, diese Regierung will sie ausbluten", mit dieser Art von Klassenkampf nicht mehr gezeigt wird.
Wer hat denn die sogenannten Mahnwachen vor wessen Haus gestellt und damit die Kinder erschreckt? Wer hat das denn gemacht?
— Nein. Ich halte eine Mahnwache vor Ihrem Haus, vor dem Haus jedes hier Sitzenden, vor dem Hause eines jeden Menschen, für eine Angst- und Einschüchterungstaktik, die unmenschlich ist und die ich bei Ihnen genauso kritisieren würde wie bei jedem anderen auch.
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13254 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Bundesminister Dr. BangemannSie wissen zumal ganz genau, daß Kinder von Politikern sowieso in einer Situation leben, die man eigentlich Menschen ersparen sollte.
— Doch, das ist so. Im Zeitalter des Terrorismus, wo Kinder wissen, daß ihre Eltern, ihre Mütter und Väter, in der Politik in einer besonderen Gefährdungssituation leben — und sie selbst damit auch —, ist das, wie ich finde, eine Bemerkung, die schon einmal angebracht ist und die man sehr wohl machen kann.
Ich finde es auch nicht gut, daß man in einer Gesellschaft, wenn auch nur verbal, einen Gegensatz zwischen denen, die leistungsfähiger sind als andere, und denen, die diese Fähigkeit entweder nicht aufbringen können, zum Teil auch manchmal auch nicht aufbringen wollen, was ich gar nicht untersuchen will, herbeiführt.
— Ich will Ihnen sagen, warum „Leistung muß sich wieder lohnen" ein Grundsatz der Solidarität in einer liberalen offenen Gesellschaft ist,
weil nämlich in der Vergangenheit solcher Gesellschaften Solidarität immer schon auf zweierlei beruhte, daß es nämlich Menschen gab, die aber nicht deswegen als mindere Menschen angesehen wurden, weil sie weniger leisten konnten, sondern die sehr wohl ihren Platz in der Gesellschaft hatten, die aber auch anerkannten, daß andere, die mehr geleistet haben, das nicht nur aus Egoismus, aus Gewinnsucht gemacht haben, sondern aus der Bereitschaft heraus, in einer Solidarität für die gesamte Gesellschaft auch für die Schwachen etwas zu leisten.
Das ist der Geist von Robert Bosch, den Sie auch vergessen haben. Dieser Mann hat damals mehr geleistet als der Durchschnitt der Menschen, die zu seiner Zeit lebten und arbeiteten. Auf Grund dessen Lebensleistung haben heute viele Menschen einen Arbeitsplatz, und viele, die keinen haben, können wenigstens die materielle Sicherheit von dieser Gesellschaft beziehen.
Diesen Geist von Robert Bosch meinen wir, wenn wir sagen: Es muß sich wieder lohnen, etwas zu leisten; und das meinen wir, meine Damen und Herren, wenn wir sagen: Leistung gehört auch zu einem erfüllten Leben eines Menschen.
Das müßten Sie doch eigentlich selber auch sagen, wenn Sie mit uns die Arbeitslosigkeit beklagen. Warum ist Arbeitslosigkeit ein so furchtbares Schicksal? Natürlich auch wegen der materiellen Verluste, aber — Herr Vogel, darüber werden wir uns doch einig sein — in erster Linie doch wegen des Verlustes an Lebenschancen, den diese Menschen dadurch erleiden.
— Wenn Sie mit uns darin nicht mehr übereinstimmen, dann weiß ich nun wirklich nicht, wo wir diese Solidarität noch gemeinsam suchen sollen.
Wir wollen diese Solidarität in der Gesellschaft auf allen, die in einer Gesellschaft leben, aufbauen,
nicht auf einzelnen Schichten und nicht auf einzelnen Klassen.
Es beginnt sich ja auch bei Ihnen herumzusprechen — Ihre Rede, Herr Vogel, hat das heute morgen ja schon gezeigt, das ehrt Sie; Sie haben auch Herrn Rühe ehrend erwähnt —, daß wir in den wichtigen wirtschaftspolitischen Bereichen — auf den Arbeitsmarkt komme ich noch einmal gesondert zu sprechen — eine hervorragende Bilanz vorzulegen haben.
— Wir haben nicht nur im internationalen Vergleich eine hervorragende Bilanz aufzuweisen, sondern, Herr Vogel, auch in absoluten Zahlen. Wir hatten vor 15 Jahren übers Jahr gerechnet eine Preissteigerungsrate von 2 %. Die Sachverständigen sagen uns für das nächste Jahr Preissteigerungen in Höhe von 1,5% voraus. Wir werden in diesem Jahr einen Überschuß in der Außenhandelsbilanz von etwa 70 Milliarden DM haben; im nächsten Jahr wird es wahrscheinlich noch mehr sein. Auch das sagen die Sachverständigen voraus. Wir haben ein Wirtschaftswachstum, das sich im nächsten Jahr noch steigern wird und von dem die Sachverständigen sagen, daß es sich auch darüber hinaus fortsetzen wird. Wo hat es das vorher in dieser Weise schon einmal gegeben?
Das wirkt sich auch auf den Arbeitsmarkt aus. Wir werden in diesem Jahr 200 000 Arbeitsplätze mehr haben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13255
Bundesminister Dr. BangemannWir werden nach der Schätzung der Sachverständigen im nächsten Jahr 300 000 Arbeitsplätze mehr haben.
Ein Institut ist gestern sogar noch über diese Zahlen hinausgegangen. Das Wirtschaftswachstum wird sich auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen.
— „Wann denn?"; ich sage es noch einmal, ganz langsam, damit Sie es auch wirklich verstehen:
in diesem Jahr 200 000 Arbeitsplätze mehr. Im nächsten Jahr sagen die Sachverständigen 300 000 Arbeitsplätze mehr voraus. Ein Institut hat gestern gesagt, daß es 330 000 Arbeitsplätze mehr sein werden.
Meine Damen und Herren, diese Entwicklung — darüber machen wir uns überhaupt keine Illusionen —
wird einen Teil der Arbeitslosen nur schwer erreichen,
nämlich diejenigen Arbeitslosen, die dieser modernen technologischen Gesellschaft, die auf hohem technologischem Niveau arbeitet, nicht mit dem eigenen persönlichen Rüstzeug gegenübertreten können.
Weil 1 Million von den jetzt 2 Millionen Arbeitslosen keine abgeschlossene Schulbildung bzw. keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, haben wir Qualifikationsmaßnahmen in Gang gesetzt. Wir haben dabei Priorität darauf gelegt, daß sich diese Arbeitslosen, wenn sie es wollen, aus Mitteln der Bundesanstalt besser qualifizieren können. Denn wir werden nur einen Arbeitsplatz mit höheren Anforderungen anbieten können, anders als das in der Vergangenheit möglich und nötig war. Gerade deswegen ist j a die Verteufelung des Leistungsgedankens eine Arbeitslosen gegenüber zutiefst unmenschliche Einstellung. Wer sich nämlich darauf verläßt, daß er nichts mehr machen muß, weil ihm der Staat schon einen Arbeitsplatz garantiert,
ist ein Mensch, den andere — nicht wir — in eine Situation getrieben haben, die wir ihm ersparen sollten.
Nun sagen Sie: Warum machen Sie denn nicht das, was wir vorschlagen? Herr Vogel, Sie stellen sich hier beschwörend hin und sagen: Nun macht doch endlich „Arbeit und Umwelt", nun macht dieBeschäftigungsprogramme, die wir vorgeschlagen haben!
— Ich wiederhole nur das, was Sie sagen. Da ich Ihnen zuhöre — im Gegensatz vielleicht zu vielen anderen, die mir nicht zuhören —, nehme ich an Weisheit auch jeden Tag zu.
— Nein, das hängt vom Zuhören ab.Jetzt will ich Ihnen aber auch sagen, warum wir das nicht machen: nicht, weil wir in der Theorie wissen, daß es falsch ist, sondern weil wir es — mit Ihnen übrigens — ausprobiert haben. In den letzten zehn Jahren der sozialliberalen Koalition hat es sieben Beschäftigungsprogramme mit einem Gesamtaufwand von 70 Milliarden DM gegeben.
Am Schluß waren wir mit zwei Millionen Arbeitslosen am Ende dieser Politik angelangt.
— Das ist schon richtig. Wir haben das leider zu lange mitgemacht.
Das kann ich Ihnen ohne jede Rücksicht sagen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn Sie erlauben, Herr Abgeordneter, möchte ich genau wie meine Vorredner zu Ende reden.
Es wird dann noch im Lauf der Diskussion Gelegenheit geben, Ihre Fragen zu stellen und zu beantworten.Die Sachverständigen nehmen in ihrem Gutachten zu den Alternativkonzepten Stellung. Man sollte sich diese Passagen wirklich sorgfältig durchlesen,
denn sie machen sich auch die Mühe, mit den Alternativkonzepten ins Gericht zu gehen. Die Alterna-
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13256 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Bundesminister Dr. Bangemanntivkonzepte, die Sie vorschlagen, werden von allen Sachverständigen abgelehnt.
- Das wundert mich nicht. Aber daß es Sie nicht wundert, das ist gerade Ihr Problem.
Warum lehnen die Sachverständigen es ab? Weil sie sagen: Nur die Verbesserung der Investitionsbedingungen schafft mehr Arbeitsplätze. Bei der Schaffung von Arbeitsplätzen geht es nicht darum, Beschäftigung auf kurze Sicht und ohne Rentabilität zu schaffen, sondern die Frage ist: Wie kann ich auf Dauer angelegte rentable Arbeitsplätze schaffen? Das geht nur so, wie es diese Regierung und wie wir es hier alle gemeinsam gemacht haben.
Diese Rahmenbedingungen allerdings — das sagen die Sachverständigen auch — können wir noch verbessern. Ich bin mit den Sachverständigen einer Meinung, daß wir da noch einen Haufen Arbeit vor uns haben. Ich denke etwa daran, daß wir von der Deregulierung, von der Flexibilisierung von Märkten noch zu wenig Gebrauch gemacht haben. Ich denke hier an die Post. Die Sachverständigen sagen das ganz deutlich:
Die Privatisierung der Beschaffungsmärkte bei den öffentlichen Unternehmen, insbesondere bei der Post, wird nicht nur für private Unternehmen neue Chancen bringen, sondern wird neue Arbeitsplätze schaffen.
Deswegen müssen wir weg vom Monopol der Post auf diesen Beschaffungsmärkten.
Ich unterstütze das, was der Kollege Dollinger im Verkehrsministerrat der Europäischen Gemeinschaft mit seinen Kollegen beschlossen und mitgetragen hat: daß wir nämlich auch zu einer größeren Flexibilität im Bereich der Güterverkehrstarife und -kontingente kommen müssen. Wenn er jetzt von einigen Verbänden angegriffen wird, dann muß man — deswegen sage ich das hier — solche Angriffe solidarisch zurückweisen. Er hat genau das getan, was diese Verbände gemeinsam mit uns beschlossen hatten, nämlich zu sagen: Wenn die Wettbewerbsbedingungen in der EG harmonisiert werden, wenn es die gleiche steuerliche Belastung bei Kraftfahrzeugsteuer und Mineralölsteuer gibt, dann können wir einer Harmonisierung zustimmen, und dann können Tarife und Kontingente wegfallen. Nichts anderes hat Dollinger mit beschlossen und durchgesetzt. Das sollte niemand kritisieren, denn wir brauchen mehr Markt auch in diesen Bereichen, die heute noch ein Dornröschendasein führen.
— Arbeitsplätze zu sichern, indem man das unwirtschaftlich macht — egal, wo sie das machen —, bringt uns nicht weiter. Aber Sie begreifen es nicht. Es ist hoffnungslos.
Wir müssen auch die Lohnnebenkosten senken, denn sie sind der Grund für die Schwarzarbeit. Mehr und schärfere Strafbestimmungen bringen uns nicht weiter. Sie würden nur eine Kriminalisierung auslösen, die der Gesellschaft nicht nützt. Aber eine Senkung der Lohnnebenkosten, d. h. auch eine Senkung der Krankenkosten, der Kosten für die Krankenversicherung, ist wichtig. Auch dort gibt es nur das Mittel der marktwirtschaftlichen Lösung.
Glauben Sie nicht, daß die Krankenversicherung heute sozial ist!
Es ist ein System, das zu Mißbrauch einlädt. Da müssen Sie nicht die Ärzte angreifen, sondern Sie müssen das System angreifen. Das System, das mit einer Rezeptgebühr eine unbeschränkte Menge an Arzneimitteln kostenlos zur Verfügung stellt, lädt zu Mißbrauch ein. Das ist unsozial; denn die steigenden Krankenkosten werden von allen Arbeitern und Angestellten und von niemand sonst bezahlt. Deswegen müssen wir das besser lösen.
Meine Damen und Herren, wir müssen auch das Steuersystem über das hinaus, was wir schon beschlossen haben, marktgerechter, gerechter machen, und wir müssen es so gestalten, daß die Beschränkungen für Investitionen, die heute noch bestehen, wegfallen. Es wird immer wieder gesagt: Umverteilung von oben nach unten oder von unten nach oben; ich weiß gar nicht, wie Sie die Richtung da bezeichnen.
Im nächsten Jahr werden wir mit der ersten Stufe der Steuerreform 11 Milliarden DM für kinderreiche Familien freigeben. 11 Milliarden DM bekommen kinderreiche Familien im nächsten Jahr durch die erste Stufe der Steuerreform. Wenn Sie die
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13257
Bundesminister Dr. Bangemann6 Milliarden DM dazunehmen, die für die Verbesserung von Sozialleistungen ausgegeben werden, sind das 17 Milliarden DM mehr zur Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit. Dann sollten Sie nicht davon reden, daß wir hier eine unsoziale Politik betreiben.
Der Herr Kollege Vogel hat sehr vornehm darum herumgeredet; er hat das Wort „Trümmerfrauen" nicht in den Mund genommen. Ich weiß — warum soll man nicht davon sprechen? —, es ist eine Ungerechtigkeit, daß die Trümmerfrauen nicht in die Regelung betreffend das Babyjahr einbezogen worden sind.
Aber Sie wissen ganz genau, daß wir das nicht getan haben, weil wir die Leistung dieser Frauen nicht schätzen,
sondern wir haben es gemacht, weil es aus finanziellen Gründen nicht anders zu machen war.
— Nun regen Sie sich nicht auf: Zu Ihrer Regierungszeit haben Sie einen Entwurf zum Babyjahr vorgelegt, der noch restriktiver als das war, was wir hier gemacht haben.
Meine Damen und Herren, wenn Sie schon Zwischenrufe machen, dann bitte so geordnet, daß der Redner sie auch verstehen kann.
Ich wäre also dankbar, wenn Sie sich etwas zurückhalten würden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich habe noch einen Satz des Kollegen Vogel im Gedächtnis, der gesagt hat: Wenn die Lautstärke steigt, scheint man getroffen zu sein. — Dies ist wohl auch zu der Seite hin anzuwenden.
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit diesen ersten Schritten einer Steuerreform skizzieren, was nach unserer Meinung in der nächsten Legislaturperiode, die wir wieder gemeinsam bestreiten werden und in der wir wieder die Regierung stellen werden,
bei der Steuerstrukturreform nötig ist.Meine Damen und Herren, wenn die Besteuerung unternehmerisch eingesetzten Kapitals bei uns im Schnitt bei 70 % liegt, wenn also ein Mensch, der allenfalls den Spitzensteuersatz zahlt, dann, wenn er sein Geld auf einem Konto anlegt, manchmal auch im Ausland, eine risikofreiere und eine bessere Anlage erhält, als wenn er den Mut aufbringt, mit seinem Geld unternehmerisches Risiko auf sich zu nehmen,
dann muß man diese Bedingungen verändern. Das darf man dann nicht als Begünstigung von Unternehmern verteufeln, sondern das ist Schaffung von Arbeitsplätzen durch Belohnung derjenigen, die ein Risiko auf sich nehmen wollen.
Die Verbindung mit dem Subventionsabbau, Herr Vogel, die Sie kritisiert haben, ist die einzige Möglichkeit, ernsthaft an den Krebsschaden der Subventionen heranzukommen.
Deswegen ist die Verbindung mit der Steuerstrukturreform der Hebel, den man nutzen kann, um diesen Krebsschaden endlich einmal einzudämmen. Wenn wir uns da einig sind, haben wir wenigstens einen Punkt gefunden.Lassen Sie mich noch ein kurzes Wort zu dem zweiten Problembereich sagen; denn das alles ist Sicherung sozialen inneren Friedens, die Schaffung einer materiellen Grundlage, von der aus man Politik betreiben kann. Aber dazu gehört auch die Sicherung des Friedens nach außen. Ich finde, das, was hier heute morgen, auch von dem Sprecher der GRÜNEN, zur Wertung des Genfer Treffens gesagt worden ist, entspricht nicht dem von Ihnen selbst gesetzten Willen, den Frieden zu schaffen und zu sichern. Wer dieses Treffen in Genf kritisiert, der übersieht, in welcher schwierigen Situation ein wichtiger erster Schritt getan worden ist; er übersieht übrigens auch, welchen Anteil die Bundesregierung und mein Freund Hans-Dietrich Genscher als Außenminister an der Erreichung dieser Ergebnisse gehabt haben und in welcher Weise sich die Bundesregierung zielstrebig dafür eingesetzt hat, daß Genf möglich wurde.
Meine Damen und Herren, wenn Sie jetzt anfangen zu lachen, dann will ich Ihnen sagen: Der Nachrüstungsbeschluß, den Sie nicht mehr mit tragen und mit vollziehen wollten, war der erste Schritt, um überhaupt zu dem Treffen in Genf zu kommen.
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13258 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Bundesminister Dr. BangemannDiejenigen unter Ihnen, die damals gesagt haben, das sei der Beginn der Eiszeit, jetzt werde ein Gespräch nicht mehr möglich sein, niemals werde sich die Sowjetunion mit den USA an einen Tisch setzen können, müßten eigentlich beschämt eingestehen, daß sie sich nicht nur in dieser Prognose geirrt haben, sondern daß sie — was viel schlimmer ist — in einem wichtigen Punkt deutscher Nachkriegsgeschichte nicht in der Lage gewesen sind, Politik zu machen, weil sie vor ihrer eigenen Partei nicht mehr das durchsetzen konnten, was verantwortliche Sozialdemokraten für richtig gehalten haben.
Ich sage Ihnen, was meine Partei von der Übereinkunft in Genf für wichtig hält. Es sind sieben Punkte.Erstens. Wir schätzen es hoch ein, daß vereinbart worden ist, daß der Dialog fortgesetzt werden soll.
Zweitens. Es ist wichtig, daß beide Seiten im Abschlußkommunique festgehalten haben, daß ein Atomkrieg nicht gewonnen, ja niemals ausgefochten werden darf. Beide Seiten haben das festgestellt.Drittens. Es ist wichtig, daß festgestellt worden ist, daß jeglicher Krieg, auch ein konventioneller Krieg, solch zerstörerische Wirkungen entfaltet, daß er als Mittel von Politik heute ausscheiden muß. Dies ist eine Sicherheit auch für uns.
Viertens. Es ist festgestellt worden — und das hat Bedeutung im Zusammenhang mit SDI —, daß ein Wettrüsten auf der Erde beendet und im Weltraum nicht begonnen werden soll. Wir werden zu SDI eine Entscheidung treffen, meine Damen und Herren,
aber eine Entscheidung mit der notwendigen Überlegung. Es ist wahr, daß diese Entscheidung nicht nur unter verteidigungs- und sicherheitspolitischen Aspekten gesehen werden muß. Sie ist eine wichtige bündnispolitische, außen- und entspannungspolitische Entscheidung. Weil das so ist, ist es verantwortungslos, daß Sie einfach kurz — und ohne darüber nachzudenken — nein gesagt haben. Das ist die wahre Verantwortungslosigkeit.
Wir werden in der Zeit, in der wir uns das vorgenommen haben, eine Entscheidung treffen. Die Bedingungen dazu hat die Regierung im Einvernehmen festgelegt.Fünftens. Das ist besonders wichtig: Es ist nicht nur der Vorschlag zu einer 50 %igen Verringerung von Offensivwaffen von beiden aufgegriffen worden, sondern — und ich sage das mit Nachdruck — es ist auch einvernehmlich festgehalten worden, daß bei Mittelstreckenwaffen eine Zwischenlösung angestrebt wird. Es ist wahr, daß im Bündnis ein gleicher Schutz möglich sein muß. Es ist auch wahr, daß für uns Europäer Mittelstreckenraketen eine mindestens gleiche, wenn nicht höhere Bedrohung darstellen als Interkontinentalwaffen. Daß dies hier möglich war, bedeutet eine Wahrnehmung deutscher und europäischer Interessen, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Sechstens. Damit komme ich zu den chemischen Waffen und auch zu einer Frage von Herrn Vogel: Wir wissen alle, daß ein weltweites Verbot chemischer Waffen wesentlich günstiger und wichtiger für uns alle sein würde als nur regionale Vereinbarungen. Hier ist es zum erstenmal möglich gewesen, sich über das weltweite Verbot von chemischen Waffen im Ansatz zu einigen und eine ins einzelne gehende Verhandlung dazu anzustreben.Siebtens und letztens. Es ist von beiden betont worden, welch große Bedeutung MBFR in Wien hat. Meine Damen und Herren, auch das betrifft ein bündnispolitisches Interesse, auf das wir großen Wert legen müssen. Denn es kann nicht sein, daß wir einer solchen nuklearen Abrüstung zustimmen, ohne daß dabei auch die konventionelle Bedrohung, über die in Wien verhandelt wird, mit in unser Gesichtsfeld rückt.Lassen Sie mich nun noch ein paar Bemerkungen zu Europa und zur Entwicklung des weltwirtschaftlichen Systems sagen. Denn auch dies ist für beides, für die Sicherung der materiellen Grundlagen des inneren Friedens bei uns wie des äußeren Friedens, wichtig.Ich habe den Eindruck, daß die Bedeutung der Europäischen Gemeinschaft und der europäischen Einigung in unserem Lande noch zu gering eingeschätzt wird. Es ist leider so, daß wir uns angewöhnt haben — durch das Fehlverhalten anderer, die die Europäische Gemeinschaft und ihre Einigung nur als eine Art Finanzquelle betrachtet haben —, sozusagen unseren eigenen materiellen Vorteil montags, dienstags und mittwochs auszurechnen. Wenn wir das täten, dann wäre diese historische Idee tot. Das bedeutet nicht, daß wir alles akzeptieren müssen, was zu einem Europa führt, das wir nicht wollen. Ich halte einen horizontalen Finanzausgleich in Europa, der mechanisch funktioniert, der keine Politik zuläßt, für eine Pervertierung der europäischen Idee. Es gibt vieles, was an der europäischen Politik schlecht ist, und ich habe die Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft mit Recht, so glaube ich, kritisiert. Denn ihre Ergebnisse lassen nicht zu, daß man von daher ein besseres, positives Urteil über die Gemeinschaft gewinnt. Und da müssen wir weg von der Preispolitik alten Stils. Denn sie hat Überschüsse produziert, sie hat Landwirte in eine Produktion gelockt, aus der diese selbst kein Einkommen mehr erzielen können.
Das zu ändern ist auch eine wichtige europapolitische Forderung.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13259
Bundesminister Dr. BangemannDenn diese Art von Politik diskreditiert Europa vielleicht mehr als eine Debatte über institutionelle Fragen, die die Menschen sowieso nicht in ihren engeren Lebensumkreis einbeziehen können.Aber auch zu diesen institutionellen Fragen möchte ich noch ein Wort sagen: Meine Damen und Herren, man kann das Europäische Parlament nicht direkt wählen lassen, man kann sich nicht an den Bürger wenden und sagen, gebt euer Votum über europäische Politik ab, wenn man diesem Parlament — wie jedem Parlament — nicht die Möglichkeit gibt, die Politik ganz maßgeblich mitzubestimmen.
Deswegen ist es wichtig, daß die Regierung Vorschläge dazu eingebracht hat, Vorschläge, die auf dem Gedanken eines Vermittlungsausschusses basierten. Wir kennen dieses Instrument — es ist bei uns hinsichtlich seiner Wirkungsweise einzuschätzen —, andere kannten es nicht, andere haben deswegen Einwände dagegen gehabt. Das Verfahren, das wir vorgeschlagen haben und das wir jetzt finden können, sichert jedenfalls eine Beteiligung des Europäischen Parlaments an der Gesetzgebung und ist deswegen ein erheblicher Fortschritt.Zum Schluß einige Worte zur Weltwirtschaft: Meine Damen und Herren, wir stehen vor einer Herausforderung, die uns ganz unmittelbar betrifft. Ein Drittel unseres Bruttosozialprodukts erwirtschaften wir aus dem Export. Man kann den Export nicht beliebig an- und abstellen, man kann ihn auch nicht, wie ein sogenannter Weltökonom vor kurzem vorgeschlagen hat, halbieren; auch das geht nicht. Das, was wir aber können, ist, unsere Märkte den Entwicklungsländern mehr zu öffnen. Da sehe ich eine Aufgabe, die wir auch gemeinsam bewältigen können.Allerdings gibt es da einen seltsamen Zwiespalt bei der SPD: Entwicklungspolitik wird als Banner vor den Reihen einhergetragen. Wenn es aber darum geht, den heimischen Markt für Produkte der Entwicklungsländer einmal ein wenig zu öffnen, und man dabei dann mit rückständigen Gewerkschaften in Konflikt kommt, dann plötzlich ist die SPD nicht mehr gesehen, und Entwicklungspolitik ist dann nichts mehr wert.
In dieser Situation sollten Sie Graf Lambsdorff nicht als Klassenkämpfer bezeichnen,
sondern Sie sollten ihn als das nehmen, was er für Sie sein sollte, nämlich ein Mensch, von dessen wirtschaftlichem Sachverstand Sie eigentlich profitiert haben sollten.
Aber Sie sind nicht in der Lage, eine Politik der Vernunft gegenüber einem innenpolitischen Druck durchzuhalten. Und genau das ist es, was der Kollege Dregger mit Recht sagt: Wenn man nicht einmal in der Opposition die politische Kraft aufbringt, vernünftige Politik durchzusetzen, wie soll das dann erst in der Regierung aussehen?
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich in der Situation, in der Sie sich heute befinden, die Schlagzeilen der Zeitungen von heute vor Augen führen — steigender Optimismus,
wachsende Chancen auf dem Arbeitsmarkt, die Zahl der Aufträge steigt, das Geld wird stabiler, Menschen haben wieder Hoffnung in diesem Lande —,
dann, meine Damen und Herren, ist es kennzeichnend, daß Sie nicht einmal bereit sind, diese Hoffnung der Menschen in unserem Lande mitzutragen und zu fördern. Sie sind nur daran interessiert, Menschen in Hoffnungslosigkeit zu halten. Und das ist das zutiefst Unmenschliche Ihrer Politik.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, das, was der Kollege Bangemann zum Schluß hier gesagt hat, gibt eigentlich den Eindruck richtig wieder, den die Rede des Sprechers der SPD-Fraktion, des Kollegen Dr. Vogel, hinterlassen hat: Nach drei Jahren Opposition sind Sie schlicht und einfach gescheitert.
Es gibt nicht eine einzige Prognose von Ihnen in diesen drei Jahren, die nicht von der Entwicklung überholt und widerlegt wurde. Ich nenne in diesem Augenblick nur zwei Beispiele.
In den letzten Tagen waren es zwei Jahre, daß hier die Abstimmung über die Resolution zur Stationierung der amerikanischen Mittelstreckenwaffen stattfand. Wer sich die Mühe macht — und ich denke, die Nachdenklichen unter Ihnen tun das vielleicht doch —, heute noch einmal Ihre Reden in dieser Debatte vor zwei Jahren nachzulesen, muß doch einfach zugeben: Sie haben sich in allen Punkten getäuscht.
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13260 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Bundeskanzler Dr. KohlNichts von dem, was Sie vor genau zwei Jahren vorausgesagt haben, ist eingetreten.
Und was noch viel schlimmer ist: Sie haben ja damals nicht nur hier so gesprochen, sondern Sie haben draußen im Land in einer groß angelegten Kampagne Angst und Kriegsfurcht verbreitet. Sie haben den Menschen eine tiefe Depression eingeredet.
Die Wahrheit ist, daß nach zwei Jahren die Politik und die Geschichte über Sie hinweggegangen sind.
Das, was mein Amtsvorgänger Helmut Schmidt der NATO zugesagt hatte — Stichwort: NATO-Doppelbeschluß —, was wir nach wahrlich intensiven, manchmal auch bitteren Diskussionen in den eigenen Reihen für richtig und notwendig gehalten und durchgesetzt haben, haben Sie in einer kritischen Stunde der Geschichte unseres Landes als falsch verworfen. Sie bestehen mit diesem Urteil vor der Geschichte nicht.
Dieses erste Beispiel finde ich für Sie besonders nachdenkenswert, weil es — ich komme auf Ihren Begriff der Geschichte noch zu sprechen — in einen Bereich der Politik hineinführt, in dem Schäden sehr leicht irreparabel sind. Daß Sie sich im Bereich der Wirtschafts-, der Sozial- und der Finanzpolitik getäuscht haben, wundert mich nicht. Sozialisten verstehen von diesen Dingen nirgendwo etwas, auch nicht hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.
Herr Abgeordneter Vogel, das einzige, was Sie anzubieten haben, ist Sozialneid, ist ein blanker sozialistischer Egoismus,
aber nicht die Fähigkeit,
Menschen in einem Land zusammenzubringen.
Sie dürfen versichert sein, daß das, was Sie uns alsIhre Erblast hinterlassen haben, am Ende dieserLegislaturperiode mit dem verglichen werden wird,was wir gemeinsam mit vielen, die guten Willens sind, in diesen vier Jahren leisten konnten.
Herr Abgeordneter Vogel, Sie begannen in der Ihnen eigenen Weise mit einem Appell an die Fairneß. Dann haben Sie sich plötzlich mit ganz erstaunlichen Aspekten der Geschichte der Weimarer Republik zugewandt. Sie haben Friedrich Ebert in diese Debatte einbezogen. Ich gehe davon aus, daß es überhaupt kein Mitglied dieses Hohen Hauses gibt, das nicht mit höchstem Respekt des ersten Reichspräsidenten der deutschen Republik gedenkt.
Ich verstehe überhaupt nicht — oder ich will es schärfer formulieren: Wie erbärmlich muß eigentlich Ihre intellektuelle Grundposition sein in einer solchen Debatte, wenn Sie jetzt den Streit, den Rechts- und Linksradikale in der Weimarer Zeit gegen Ebert geführt haben, in diesen Saal hineinziehen?
Ich stehe hier auch als Vorsitzender der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Die Christlich Demokratische Union Deutschlands ist die Nachfolgepartei von einer ganzen Reihe Parteien der Weimarer Zeit.
— Entschuldigung, auch von Teilen der Deutschnationalen Volkspartei. Wenn Sie zu einem differenzierten Urteil nicht fähig sind, dann lernen Sie erst einmal etwas aus der Geschichte von Weimar,
von dem Grafen Westarp und vielen anderen, die die Gefahr Hitlers lange vor vielen erkannt hatten, die auf dem linken Flügel herumgeisterten.
Was mich so betroffen macht, Herr Abgeordneter Vogel, ist,
daß Sie ausgerechnet am heutigen Tag so etwas in die Debatte einführen; denn heute ist ja der hundertste Geburtstag von Heinrich Brüning. Heute ist eigentlich ein Tag, an dem man für einen Augenblick in die Geschichte unseres Landes zurückblikken und versuchen sollte, aus Geschichte zu lernen. Das, was wir daraus gelernt haben — ich hoffe, das kann ich wenigstens auch für die Sozialdemokraten sagen; solche Zustimmung von Ihnen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, zu erwarten, hat wahrscheinlich keinen Sinn —, ist doch die Erkenntnis, daß Bonn nicht Weimar ist und niemals Weimar werden darf.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13261
Bundeskanzler Dr. KohlAber wenn das so ist, lassen Sie uns doch um Gottes willen auch darauf verzichten, Vergleiche in die Debatte einzuführen, die historisch falsch, abwegig, töricht sind
und die im übrigen vor allem jene verwirren, die sich nie mit der Geschichte der Weimarer Zeit beschäftigt haben.
Herr Abgeordneter Vogel, was soll es, wenn Sie im Zusammenhang mit meinem Vorschlag, ein Museum der deutschen Geschichte in Berlin zu begründen, ein Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn zu begründen, endlich ein Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewalt in Bonn zu errichten, vom Flaggenstreit der Weimarer Zeit — schwarz-rot-gold, schwarz-weiß-rot — sprechen?
— Herr Vogel, es geht Ihnen doch nicht um den Konsens. Es geht Ihnen hier doch um die Darstellung eines Sachverhalts, die rundum falsch ist.
Sie wollen doch ganz bewußt, und zwar ganz polemisch,
einen Vorgang in eine bestimmte ideologische Ecke bringen, in die er überhaupt nicht gehört.
Im übrigen, Herr Abgeordneter Vogel, hätten Sie besser einmal die Frage beantwortet, warum Sie in den Jahren von 1969 bis 1982 nicht selbst vergleichbare Vorschläge gemacht haben, wenn Ihr Bekenntnis zur Geschichte so ernsthaft ist, wie Sie behaupten.
Warum haben Sie und die von Ihnen geführten Regierungen nicht Vergleichbares getan?
Es ist doch schlicht und einfach so, daß Sie daran überhaupt nicht gedacht haben. Es hatte j a auch gute Gründe, warum Sie nicht daran gedacht haben.
Herr Abgeordneter Vogel, wenn Sie davon sprechen, daß Sie einen Konsens in Fragen der Geschichte herbeiführen wollen, kann ich Sie nur fragen: Warum sagen Sie das heute? Warum haben Sie beispielsweise im Bundesland Hessen, das Sie damals zu einem sozialistischen Bundesland machen wollten und jetzt zu einem Prototyp des Zusammengehens mit den GRÜNEN machen wollen,
in den 70er Jahren zugelassen — damals waren Sie doch schon ein führender Repräsentant sozialdemokratischer Politik —, daß in den Oberstufen der Gymnasien Geschichte als Fach abgeschafft wurde,
daß es mit Gemeinschaftskunde und Geographie zusammengelegt wurde. Sie, der sie sich doch immer gern auf Subsidiarität beziehen, mußten erst von den hessischen Eltern vor dem Hessischen Staatsgerichtshof dazu gezwungen werden, diesen geschichtslosen Blödsinn aufzugeben.Das heißt, Herr Abgeordneter Vogel, in Sachen Geschichte brauchen wir keine Nachhilfe von Ihnen. Sorgen Sie lieber dafür, daß der Wähler 1987 verbindlich die Wahrheit erfährt, ob Sie die Präambel des Grundgesetzes ändern wollen oder nicht. Das ist die Frage, die ich Ihnen zu stellen habe.
: Geschichtsschreibung à la
Reden Sie nicht von Konsens in Fragen der deutschen Geschichte, wenn Sie offensichtlich in der eigenen Partei nicht in der Lage sind, eine übereinstimmende Meinung herbeizuführen.Meine Damen und Herren, wir haben heute hier in der Generaldebatte über den Haushalt selbstverständlich auch zu sprechen über das sehr wichtige Ereignis der vergangenen Woche, die Gipfelbegegnung zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow. Die Ergebnisse dieses Treffens werden unseren Erwartungen in hohem Maße gerecht. Sie stellen einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Friedens in der Welt dar. Der vorsichtige Optimismus, den ich in vielen Monaten immer wieder erklärt habe — und den Sie so gerne verspottet haben, Herr Abgeordneter Vogel —, hat sich bewährt, hat sich als richtig erwiesen. Die Ergebnisse waren nur möglich, weil beide Seiten bereit waren, miteinander zu sprechen. Sie waren möglich durch das persönliche Engagement des amerikanischen Präsidenten und seine Entschlossenheit, diesen Gipfel zum Erfolg zu führen. Wir danken dem Präsidenten dafür, weil dies für uns eine wichtige Entscheidung war und ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch deutlich machen, daß wir als Bundesregierung die konstruktive Rolle von Generalsekretär Gorbatschow in Genf sehr wohl zu würdigen wissen.
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13262 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Bundeskanzler Dr. KohlDer Genfer Gipfel ist in mehrfacher Hinsicht ein beachtlicher Erfolg. Er hat bereits im Vorfeld konkrete positive Wirkungen gehabt. Schon vor der Gipfelbegegnung ist eine neue Dynamik in den West-Ost-Beziehungen entstanden, weil beide Seiten gehalten waren, die Probleme neu zu durchdenken und sich über Verhandlungsziele klarzuwerden. Bereits die Vorbereitung hat dazu geführt, daß die Sowjetunion weitreichende Vorschläge für die Genfer Abrüstungsverhandlungen eingeführt hat. Zum erstenmal in der Geschichte der Rüstungskontrolle ist die Sowjetunion bereit, drastische Reduzierungen von 50 % in ihre Überlegungen einzubeziehen. Diese sowjetischen Vorschläge, meine Damen und Herren, und die weiterführenden amerikanischen Gegenvorschläge sind gute Ausgangspositionen für die weiteren Verhandlungen.Der Gipfel hat das Verstehen und das Kennenlernen der beiden Verhandlungspartner gefördert. Das ist auch ein Stück Vertrauensbildung zwischen den Weltmächten. Der Präsident der Vereinigten Staaten und der Generalsekretär der Sowjetunion haben vereinbart, den Dialog kontinuierlich auf allen Ebenen fortzuführen. Bereits für das kommende Jahr wurde ein Treffen in den USA und für das Jahr darauf ein weiteres in der UdSSR vereinbart.Meine Damen und Herren, das ist der von uns immer gewünschte Einstieg in eine neue Phase der Ost-West-Beziehungen. Damit ist auch die Absicht der beiden Verhandlungsführer der Weltmächte klar erkennbar, diesen ersten Gipfel als den Beginn eines Prozesses zur Verbesserung der Beziehungen zu begreifen. Dieser Gipfel hat schließlich — und Sie haben auch dies nicht erwartet — in Form einer Erklärung ein Schlußdokument zustandegebracht, in dem ganz wesentliche Punkte in unserem Sinne aufgegriffen und diskutiert werden. Der Text enthält vor allem — natürlich trotz fortbestehender Meinungsunterschiede — eine Reihe von Punkten, auf die man sich einigen konnte: Dazu gehören ein Bekenntnis zur Zusammenarbeit und selbst Hinweise auf Gesprächsfähigkeit im Bereich der Menschenrechte. Dieses Ergebnis war möglich, weil der Präsident der Vereinigten Staaten — und das habe ich aus nächster Nähe beobachten können — diesen Gipfel in einer sehr entschiedenen Weise mit vorbereitet hat.
— Wenn ich mir vorstelle, was Sie in den ganzen Jahren getan haben: Sechs Jahre gab es keine Gipfelbegegnungen. Drei Jahre bin ich im Amt. Was haben Sie eigentlich in den drei Jahren davor getan?
Sie haben doch in Wahrheit außer parteiinternemStreit, ob Sie den NATO-Doppelbeschluß durchführen oder nicht, nichts zu der Entwicklung beigetragen.
Die Entscheidung für die Stationierung, die mein Amtsvorgänger angekündigt und versprochen hatte — und Sie haben das Wort gebrochen —, die Entscheidung zur Verbesserung der Lage unserer Bundeswehr, die Stärkung der Allianz, das alles war unser Beitrag, der es möglich gemacht hat, daß Genf zustande kam.
Ich weiß, es lohnt sich nicht, meine Damen und Herren, Ihre Reden im Bundestag nachzulesen. Aber als ich im Sommer 1983 aus Moskau zurückkam, hier einen Bericht erstattet und darauf hingewiesen hatte, daß ich es für nützlich hielte — damals war noch Generalsekretär Andropow im Amt —, daß der Präsident der Vereinigten Staaten und der Generalsekretär möglichst bald zusammenkämen, waren Sie von dieser Ansicht nicht nur nicht angetan, sondern haben den Ihnen zur Verfügung stehenden Spott und Hohn angewandt, um ein solches Unterfangen möglichst lächerlich zu machen.
Meine Damen und Herren, ich habe zu dieser Meinung in diesen drei Jahren gestanden, und ich habe recht behalten. — Das sage ich heute aus gutem Grund auch hier im Deutschen Bundestag.
Unsere Politik hat wesentlich zur Stabilisierung des Bündnisses beigetragen. Die Solidarität und die Festigkeit der Bundesregierung und der anderen Bündnispartner auch im Zusammenhang mit der SDI-Forschung haben der öffentlichen Diskreditierung des Programms durch die Sowjetunion wenig Chancen gegeben. In diesem Zusammenhang verweise ich außerdem auf unseren konsequenten Einsatz für die gegenseitige Respektierung von SALT II, auf unser erfolgreiches Bemühen um eine enge Auslegung des ABM-Vertrags, in dessen Rahmen die SDI-Forschungen erfolgen. Und wir haben erfolgreich darauf hingewirkt, daß die USA noch vor der Gipfelbegegnung eigene Rüstungskontrollvorschläge eingebracht haben.Die Erklärung von Genf enthält klare Bekenntnisse zur Fortsetzung des Dialogs. Es kommt jetzt darauf an, daß beide Seiten mit ihren Direktiven an die Verhandlungspartner auch Taten folgen lassen.
Meine Damen und Herren, wir sind zuversichtlich, daß die Auflockerung des amerikanisch-sowjetischen Verhältnisses konstruktive Auswirkungen auf das West-Ost-Verhältnis im allgemeinen haben wird, daß auch die mittleren und kleineren Staaten in West und Ost — und dazu gehören wir — ihren
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Bundeskanzler Dr. KohlBeitrag leisten können und werden und daß das Gespräch unter allen auf dieser Grundlage erleichtert wird.
Wir erhoffen uns in diesem Zusammenhang eine ungestörtere Entwicklung und Intensivierung unserer Beziehungen zur DDR wie auch der Beziehungen zu allen anderen Warschauer-Pakt-Staaten.
Mit den Absprachen zum politischen Dialog ist eine Voraussetzung erfüllt worden, die nach Meinung der Bundesregierung für die Lösung der Sicherheitsfragen unabdingbar ist. Wir sind immer der Auffassung gewesen, daß wir in den Sicherheitsfragen zwischen West und Ost nur dann zu einem Ergebnis gelangen können, wenn sich auch die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen in beide Richtungen entwickeln, und daß sicherheitspolitische Lösungen nur in Gestalt eines Gesamtpakets erreicht werden können, das das notwendige politische Vertrauen auf beiden Seiten voraussetzt. Der Weg steht offen, und wir sind zuversichtlich, daß er jetzt beschritten werden wird.In den zentralen Sicherheitsfragen — und jeder wird dies verstehen — konnte jetzt ein Durchbruch nicht erzielt werden. Die Gegensätze sind immer noch vorhanden. Aber, meine Damen und Herren, es sind Ansätze für wichtige Fortschritte erreicht. Die gemeinsame Verpflichtung, keine einseitige militärische Überlegenheit zu suchen, könnte den Grundstein für einen Sicherheitsdialog bilden, der auf Anerkennung der legitimen Sicherheitsinteressen des jeweils anderen Staates beruht.Die Bekräftigung der in der sowjetisch-amerikanischen Vereinbarung vom 8. Januar 1985 enthaltenen wesentlichen Verhandlungsziele stellt ebenfalls einen wichtigen Schritt dar, den Sicherheitsdialog der Großmächte immer mehr zu verstetigen. Unsere vor diesem Treffen in Genf immer wieder geäußerte Hoffnung, Genf möge einen Impuls für die Abrüstungsverhandlungen in der gleichen Stadt bewirken, ist durch das Ergebnis nicht enttäuscht worden. Die Verhandlungsführer bekunden ihre Absicht, „die Arbeiten in diesen Verhandlungen zu beschleunigen, um die Ziele zu erreichen, die in der gemeinsamen amerikanisch-sowjetischen Erklärung vom 8. Januar 1985 festgelegt worden waren, nämlich ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern und es auf der Erde zu beenden sowie die Zahl der Atomwaffen zu begrenzen und zu verringern und die strategische Stabilität zu verbessern". Sie führen weiter aus, daß — ich zitiere — „sie sich für schnellstmöglichen Fortschritt, vor allem in den Gebieten, in denen bereits eine gemeinsame Basis vorhanden ist", einsetzen.Meine Damen und Herren, dies ist eine zentrale Absichtserklärung des Generalsekretärs der KPdSU und des amerikanischen Präsidenten.
Diese Erklärung kommt deutschen Interessen weitgehend entgegen. Wir haben diese Forderung gegenüber den Weltmächten immer wieder vorgetragen. Wir sind dabei in der Bundesrepublik Deutschland vornehmlich an einer möglichst raschen Lösung des Problems der Mittelstreckenwaffen in Europa interessiert.
Daher begrüße ich es ganz besonders, daß die USA und die UdSSR auf diesem Gebiet eine Zwischenvereinbarung ins Auge gefaßt haben. Die Gemeinsame Erklärung von Genf, meine Damen und Herren, hält darüber hinaus gemeinsame Positionen fest, wie das angemessen anzuwendende Prinzip einer 50%igen Verringerung der Nuklearwaffen der USA und der Sowjetunion.Meine Damen und Herren, es ist doch gänzlich unbestreitbar, daß den Interessen der Bundesrepublik Deutschland in wesentlichen Fragen der Sicherheits- und der Rüstungskontrollpolitik in diesem Dokument Rechnung getragen wurde. Ich denke dabei auch an die Bemühungen um Fortschritte bei der Stockholmer Konferenz. Ich denke an die Bemühungen im Zusammenhang mit der deutsch-britischen Initiative im Rahmen von MBFR, die zur Zeit im Bündnis abgestimmt werden. Für uns von besonderer Bedeutung ist die Verabredung der Großmächte, daß sie ein allgemeines und vollständiges Verbot chemischer Waffen sowie die Vernichtung existierender Bestände solcher Waffen anstreben, daß sie die Antrengungen zum Abschluß eines wirksamen und kontrollierbaren internationalen Abkommens in diesem Bereich beschleunigen wollen und daß sie ferner einen Dialog über die Verhütung der Ausbreitung chemischer Waffen einleiten wollen.
Meine Damen und Herren, wir fühlen uns durch diese Entscheidung weitgehend in der Politik bestätigt, die zu diesem Ziel geführt hat.
Wir haben ein wesentlich größeres Vertrauen in eine solche Politik als etwa in eine Vereinbarung, die zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der SED abgeschlossen wird.
Die Erfahrung, die wir jetzt in Genf gemacht haben, hat jenen Zweckpessimismus klar widerlegt, der von bestimmter Seite — hier im Hause nicht zuletzt von den Fraktionen der SPD und der GRÜ-
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13264 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Bundeskanzler Dr. KohlNEN — in den letzten zwei Jahren immer wieder in die Bevölkerung getragen wurde.
Meine Damen und Herren, es ist deutlich geworden, daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland ihren international beträchtlichen Einfluß im Sinne einer Lösung der Vernunft einsetzen konnte.
Die Prognosen und die Irrtümer, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie immer wieder zur Deutschland-, Ost- und Sicherheitspolitik geäußert haben, sind — ich sagte das schon — widerlegt worden. Herr Vogel, ich muß zitieren, weil Sie offensichtlich vergessen haben, was Sie vor zwei Jahren hier gesagt haben:Nach all dem, was wir wissen, ist es leider viel wahrscheinlicher, daß es bittterste Rückschläge geben wird. Wir in diesem Hause wissen doch auch, wer dafür vor allem zu zahlen haben wird. Nämlich die Deutschen im anderen deutschen Staat.Glauben Sie im Ernst, daß am heutigen Tage irgend jemand in Leipzig oder Dresden Ihrer Prognose noch Glauben schenken kann?
Ferner haben Sie damals gesagt, die Entspannungspolitik werde weiter in den Hintergrund treten. Heute haben Sie hier die Hoffnung ausgedrückt, daß Genf die Entspannungspolitik wiederbelebt. Welche Ihrer Prognosen gilt nun eigentlich?
Der Abgeordnete Brandt hat hier gesagt — ich zitiere:Aus meiner Sicht der Dinge ist leider abzusehen, daß der Einschnitt, der jetzt im Ost-WestVerhältnis bevorsteht, tiefer gehen wird, als es sich die meisten heute vorstellen.Herr Brandt konnte sich keine konstruktive Lösung vorstellen. Sie ist trotzdem eingetreten, und wir sind dankbar dafür.
Ein Weiteres ist in Genf jetzt wieder einmal deutlich geworden: Sie, meine Damen und Herren, verkennen, daß unser Handlungsspielraum auch gegenüber dem Osten entscheidend dadurch bestimmt wird, welchen Einfluß die Bundesrepublik Deutschland im Atlantischen Bündnis, in der Europäischen Gemeinschaft und im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika besitzt und geltend machen kann. Mit Ihrer Strategie unreflektierter Kritik und mißtrauischer Distanz gegenüber den Vereinigten Staaten sind Sie trotz der hier heute bekundeten positiven Einstellung zum Ergebnis des Gipfels von Genf auf dem besten Wege, sich von dem wiederaufgenommenen West-Ost-Dialog abzukoppeln und zwischen alle Stühle zu setzen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich bei Ihren Zusammenkünften in der Sozialistischen Internationale gelegentlich einmal von Ministerpräsident Craxi, von Ministerpräsident Conzales oder von Präsident Mitterrand beraten ließen, wäre das ein Segen für die deutsche Politik!
Zur SDI-Diskussion will ich heute nur folgendes feststellen: Ich bleibe bei meiner Erklärung, daß SDI-Forschung im Rahmen des ABM-Vertrages — auch angesichts der Forschung in der Sowjetunion — gerechtfertigt ist. Ich habe schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt darauf hingewiesen, daß Notwendigkeit und etwaiger Umfang weltraumgestützter Verteidigungssysteme immer auch im Zusammenhang mit der Möglichkeit einschneidender Verminderungen bei nuklearen Offensivwaffen in Ost und West gesehen werden müssen. Unserer Auffassung nach kommt es jetzt in Genf darauf an, die Chancen zur. Rüstungskontrolle, die ganz offenbar in SDI liegen, zu nutzen. Es geht insbesondere darum, die von uns allen gewünschte drastische Verringerung der Zahl der nuklearen Angriffswaffen zu vereinbaren, ein Einvernehmen über das Verhältnis von offensiven und defensiven Waffen mit dem Ziel höchster strategischer Stabilität zu erreichen, sich über die Grenzen ABM-konformer Forschung an Verteidigungssystemen zu verständigen und schließlich Einvernehmen über Art und Umfang zulässiger Verteidigungssysteme zu erreichen.Meine Damen und Herren, der Genfer Gipfel hat die zwischen den Weltmächten bestehenden Hauptprobleme natürlich noch nicht lösen können, aber es sind erste Ansätze für einen Weg der Vernunft gemacht worden. Es bleibt die große Herausforderung an Ost und West, die Genfer Beratungen für die Entwicklung des Dialogs zu nutzen und die strategische Stabilität zwischen West und Ost im Wege kooperativer Lösungen zu stärken.Wir Deutschen sind mehr als alle anderen Völker dieser Erde an einer positiven Entwicklung dieses Dialogs interessiert,
denn für uns ist entscheidend, daß sich auf dem Wege der Vertrauensbildung auch die Chancen, daß in Deutschland die Menschen zueinander kommen, verbessern können.
Aufgabe so verstandener Deutschlandpolitik für die nächste Zukunft ist es, durch ganz konkrete Taten den Dialog im Sinne einer Verbesserung der Lage fortzusetzen.Das Ergebnis von Genf bestätigt und festigt mich in meiner Überzeugung, die ich am 12. März bei meinem Zusammentreffen mit Generalsekretär
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Bundeskanzler Dr. KohlHonecker mit ihm gemeinsam so ausgedrückt habe, daß die Wiederaufnahme des Dialogs der Großmächte Möglichkeiten zu einer neuen Phase in den West-Ost-Beziehungen eröffnet, wobei ich natürlich auch immer an die Beziehungen bei uns in Deutschland gedacht habe.Durch mein Gespräch mit Generalsekretär Honecker in Moskau und durch die gemeinsame Erklärung ist auch positive Bewegung in die innerdeutschen Beziehungen gekommen, und wir werden diesen Weg weitergehen. Die erwähnte positive Entwicklung hat greifbare Ergebnisse gebracht. So wird der innerdeutsche Handel in diesem Jahr ein Volumen von über 16 Milliarden Verrechnungseinheiten erreichen. Beide Seiten signalisieren damit ihre unveränderte Absicht, die Wirtschaftsbeziehungen weiter auszubauen. Die Zahl der Reisen in dringenden Familienangelegenheiten aus der DDR hat im Zeitraum Januar bis Oktober dieses Jahres im Vergleich zu dem gleichen Zeitraum 1984 trotz mancher Schwankungen am Ende zugenommen. Die Zahl der Reisen in die DDR hat von Januar bis Oktober dieses Jahres gegenüber dem gleichen Zeitraum 1984 ebenfalls zugenommen. Trotzdem bleibt es unsere Aufgabe, die Härten, die durch die Erhöhung des Mindestumtausches entstanden sind, abzubauen.Lassen Sie mich hier einfügen: Die in der gemeinsamen Erklärung von Genf bekundete Absicht, eine „Verstärkung von Reisen sowie menschliche Kontakte" zu „ermutigen", möchte ich ausdrücklich auch auf die beiden Staaten in Deutschland beziehen als Ansporn, dafür zu sorgen, daß mehr Deutsche zueinanderkommen können.Die Zahl der genehmigten Ausreisen aus der DDR wird 1985 merklich über dem langjährigen Durchschnitt liegen, wenngleich die extrem günstige Zahl des vergangenen Jahres nicht erreicht werden konnte.Im Bereich des Umweltschutzes — Sie wissen das — gehen die Gespräche gut voran.Die Chancen sind gut, das Kulturabkommen abschließen zu können. Auf beiden Seiten werden jetzt die internen Prüfungen eingeleitet.Das derzeit günstige Klima muß vor allem auch genutzt werden, um für Berlin weitere Fortschritte zu erreichen.
Wir in der Bundesregierung bleiben dabei: Wir wollen eine Intensivierung des Dialogs und der Zusammenarbeit mit der DDR auf allen Ebenen. — Meine Damen und Herren, soviel zur Außen-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik.Eine Generalaussprache über den Etat des Bundeskanzlers ist eine Generalaussprache über die gesamte Politik. Man kann natürlich am heutigen Tage nicht über die Gesamtpolitik sprechen, wenn man nicht über die Lage der Wirtschaft, die soziale Verfassung und die zukünftige Entwicklung unseres Landes spricht.
— Wissen Sie, Ihr Plädoyer zugunsten von Arbeitslosen wird immer weniger überzeugend, denn alles, was Sie getan haben mit diesen ideologischen Vorstellungen, die Sie entwickelt haben —, waren Beiträge zu mehr Arbeitslosigkeit.
Ich lese Ihnen ganz einfach vor, was die Sachverständigen gesagt haben, und Sie sollten sich das jeden Tag mehrmals selbst vorhalten:Die Verfassung, in der sich die deutsche Wirtschaft befindet, läßt erwarten, daß 1986 wieder ein gutes, vielleicht sogar ein noch besseres Jahr als 1985 wird.
Der Aufschwung wird fortdauern, und mit ihm wird eine zunehmende Beschäftigung einhergehen.
Dann heißt es weiter:
Die Voraussetzungen für mehr Beschäftigung und mehr Wachstum sind besser als anderswo in Europa.Herr Kollege, hier sollten Sie Beifall spenden.
Diese Analyse des Sachverständigenrates spricht für sich.
Meine Damen und Herren, was hätten Sie dafür gegeben, wenn mein Amtsvorgänger im Jahre 1982 ein solchtes Gutachten hätte vorlegen können!
Die Sachverständigen gehen für dieses Jahr von einem realen Wirtschaftswachstum von 21/2 % aus. Für 1986 lautet ihre Prognose 3 %. Die EG-Kommission schätzt für die Bundesrepublik sogar, abgesehen von Japan, das stärkste Wirtschaftswachstum mit über 3 % — nämlich bis 3,5 %. Aber viel wichtiger als diese Daten ist doch der Trend zum Optimismus, die Bereitschaft, wieder an die Zukunft zu glauben, die unsere Landsleute unter Ihrer Führung zunehmend verloren haben.
Unter den Experten besteht heute eine breite Übereinstimmung, daß sich die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung weiter fortsetzen wird, daß der Aufschwung zunehmend an Breite und Intensität gewinnt, daß die Bereitschaft, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen, zugenommen hat.
Neben Exporten und Investitionen kommen jetztauch von der übrigen Inlandsnachfrage zunehmendImpulse für Wachstum und Beschäftigung. Der pri-
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Bundeskanzler Dr. Kohlwate Verbrauch hat an Schwung und Dynamik gewonnen.Meine Damen und Herren, eine Gruppe, die Ihnen doch nahesteht, nämlich die Gruppe der DGB- Wirtschaftsexperten, kam in der vergangenen Woche zu einer Schlußfolgerung, die Sie eigentlich mit Beifall aufnehmen müßten: „Das Wachstum ruht jetzt auf einem breiteren Fundament." Die DGB-Wirtschaftsexperten haben noch eine andere Erkenntnis gewonnen. Sie sehen Anlaß „zu einem vorsichtigen Optimismus, was die Dauerhaftigkeit des Aufschwungs angeht".
Das ist die Prognose des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des DGB. Was wollen Sie eigentlich noch mehr, wenn Sie es den anderen schon nicht glauben?
— Ja, verehrte gnädige Frau, auf die Arbeitsplätze und die Arbeitslosigkeit, die Sie hinterlassen haben, komme ich gleich zu sprechen.
„Optimismus mit Augenmaß", das ist die richtige Beschreibung der Situation der Bundesrepublik Deutschland an der Jahreswende 1985/86. Diese Perspektive, meine Damen und Herren, ist für mich kein Grund zur Euphorie. Aber sie signalisiert unmißverständlich, daß sich die Wirtschafts- und die Finanzpolitik der Bundesregierung als richtig und als erfolgreich erwiesen hat.
Da stand eben nach jener Mißwirtschaft in den öffentlichen Finanzen, die Sie hinterlassen haben, die Gesundung der Staatsfinanzen an erster Stelle. Wir haben diese Prioritätsentscheidung getroffen, obwohl wir wußten, daß es Ihnen auf der Durststrecke, bis der Ertrag für jedermann sichtbar war, möglich sein würde, politische Geschäfte zu machen. Sie haben diese Gelegenheit mit großer Polemik und durch die Diffamierung unserer Politik bei den Landtagswahlen auch weidlich genutzt.
Wir haben uns für diese Politik entschieden, weil berechenbare Staatsfinanzen und die Rückgewinnung des finanzpolitischen Spielraumes die Grundvoraussetzung für jede andere Form aktiver Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik ist.Diese Politik hat auch positive Folgen. In den letzten drei Jahren — Sie müssen sich schon damit auseinandersetzen — war eine reale Zunahme der wirtschaftlichen Leistungen um rund 100 Milliarden DM zu verzeichnen, nachdem das Bruttosozialprodukt 1982 noch um 14 Milliarden DM geschrumpft war. Mit einer Preissteigerungsrate von zuletzt 1,8 % wurde eine Rückkehr zur Preisstabilität der 60er Jahre erreicht. Das ist wahre soziale Politik, Politik für die kleinen Leute.
Denn es gibt keine schlimmere Form der Expropriation, als den Bürgern über Inflationsraten das Geld wegzunehmen. Das ist die Erfahrung, die in der Welt gemacht wurde.
Wir haben damit eine Entlastung des Kapitalmarktes erreicht, Spielraum für Zinssenkungen gewonnen und eine lebhafte Investitionstätigkeit ausgelöst. Allein 1985 ist eine Zunahme der realen Investitionen in Maschinen und Anlagen um 10 % auf ein Volumen von rund 130 Milliarden DM zu verzeichnen. Für 1986 wird eine ähnliche Entwicklung erwartet. Dies ist entscheidend. Ohne zusätzliche Investitionen gibt es keine neuen, wettbewerbsfähigen und damit dauerhaften Arbeitsplätze. Investitionen von heute sind Arbeitsplätze von morgen. Man kann es nicht oft genug sagen.
Im übrigen, dieser Sachverständigenbericht hat noch eine an sich pädagogische Wirkung, wenn Sie überhaupt bereit sind, eine solche Wirkung zu akzeptieren. Denn dort ist angesprochen, was Sie unter dem Scheinetikett „Beschäftigungsprogramm" unverdrossen anbieten. Der Sachverständigenrat sagt dazu ganz unmißverständlich:Er— der Sachverständigenrat —hält die vorgeschlagenen Maßnahmen für die erneute Hinwendung zu einer Politik, die zu einer Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Voraussetzungen für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung führt, für falsch.Wir haben, meine Damen und Herren — ich weiß dies mindestens so gut wie Sie —, unseren Mitbürgern Opfer zugemutet. Sie hatten das ebenfalls getan, aber der entscheidende Unterschied zwischen Ihrer Regierung und der unseren ist: Wir haben mit dieser Politik die entscheidende Wende in der deutschen Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik erreicht.
Die Beispiele — ich will wegen der Kürze der Zeit nur wenige anführen — sprechen für sich. Die reale Kaufkraft der privaten Haushalte geht nicht mehr zurück, sie nimmt wieder zu, und zwar 1984 und 1985 in der Größenordnung von insgesamt mehr als 20 Milliarden DM. Gerade das durchschnittlich verfügbare Haushaltseinkommen der Rentner hat — anders als bei bessergestellten Gruppen der Bevölkerung — bereits 1984 wieder zugenommen,
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Bundeskanzler Dr. Kohlund zwar trotz der zusätzlichen Belastungen durch den erhöhten Krankenversicherungsbeitrag.
Nach den Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist das Haushaltseinkommen der Rentner 1984 spürbar stärker gestiegen als die Kosten der Lebenshaltung. Für 1986, wenn die erste Stufe der Steuersenkung in Kraft tritt, ist mit einem generellen Anstieg der Nettorealeinkommen der Arbeitnehmer zu rechnen. Dies belegt ein weiteres Mal, daß die Kombination von Preisstabilität und Steuersenkung die beste und die wirkungsvollste Sozialpolitik überhaupt ist.
Meine Damen und Herren, meine Freunde und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen und aus dem Kabinett werden Ihnen in diesen Tagen noch viele Beispiele vortragen. Aber ein Beispiel möchte ich doch selbst vortragen, da es auch wieder an den Beginn der Regierungszeit nach meiner Wahl zum Bundeskanzler zurückführt. Ich kann im Augenblick nicht erkennen, ob der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Herr Jahn, hier anwesend ist,
aber ich möchte ihn doch sehr persönlich ansprechen, weil es ein Akt intellektueller und politischer Redlichkeit wäre, wenn er heute hier ans Pult geht und alles das zurücknimmt, was er damals in Inseraten und bei anderen Gelegenheiten über die Mietpreissteigerung vorausgesagt hat.
Der Anstieg der Mieten im freifinanzierten Wohnungsbau ist seit 1982 von 4,4 % auf zuletzt 1,8% zurückgegangen.
Das ist der niedrigste Stand seit Bestehen der Mietenstatistik, und die gibt es, meine Damen und Herren, seit 23 Jahren. Eigentlich müßten Sie ja eine „standing ovation" bringen, verehrte gnädige Frau, denn Sie wissen j a, das ist soziale Politik, die hier deutlich geworden ist.
Während in Ihren Kreisen darum gerungen und gestritten wird, wie man die Verantwortung gegenüber einem großen, angeblich gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen los wird, haben wir soziale Politik für die Mieter betrieben.
Man muß nur in alten Bundestagsprotokollen — so alt sind sie gar nicht, zwei, drei Jahre — nachlesen. Wenn Sie sich jetzt noch einmal die Debatte vergegenwärtigen, die es damals im Zusammenhang mit der Hamburger Bürgerschaftswahl gegen Ende des Jahres 1982 gab, als mein Freund und Kollege Heiner Geißler mit Recht von der „Mietenlüge" gesprochen hat,
so ist es doch jetzt die Frage, daß hier öffentlich einmal festgestellt wird, wer damals gelogen hat.
Meine Damen und Herren von der SPD, so wie auf diesem Feld werden Sie auch von der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt überrollt werden, denn auch dort ist die Trendwende bereits erreicht. Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Ich zitiere einen der kompetentesten Kenner in der Bundesrepublik,
meinen Amtsvorgänger Bundeskanzler Helmut Schmidt. Er hat im Sommer 1982 vor Ihrer Fraktion doch ganz klare Äußerungen getan. Er hat für die Zeit 1969 bis 1982 einen Gesamtverlust von 1,3 Millionen Arbeitsplätzen bilanziert, verbunden mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit von praktisch Null — Sie können es in Ihrem Fraktionsprotokoll nachlesen — auf 1,8 Millionen.Meine Damen und Herren, das war und ist eine schwere Belastung unseres politischen Systems, unserer Volkswirtschaft. Ich habe nie gesagt, daß diese Arbeitslosigkeit, die nicht über Nacht gekommen ist, über Nacht abgebaut werden kann. Aber heute werden Arbeitsplätze nicht mehr abgebaut, sondern es werden neue geschaffen. Für das dritte Quartal dieses Jahres beziffert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung die Zunahme der Arbeitsplätze gegenüber dem Tiefpunkt im Jahre 1984 auf plus 240 000.Das bedeutet, meine Damen und Herren: Erstmals kann in diesem Jahr per Saldo all denen ein Arbeitsplatz angeboten werden, die zusätzlich aus der jungen Generation auf den Arbeitsmarkt drängen, die noch aus den geburtenstarken Jahrgängen ins Berufsleben eintreten. Der Zugewinn von 200 000 Arbeitsplätzen ist aber offensichtlich
— das zeigt auch Ihre Unruhe — erst der Beginn einer neuen dynamischen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. 1986 erwartet der Sachverständigenrat eine Zunahme von rund 300 000 Arbeitsplätzen. Dies bedeutet innerhalb von zwei Jahren die Schaffung von einer halben Million neuer Arbeitsplätze. Das ist soziale Politik.
Das Sachverständigengutachten macht auch hierzu eine interessante Aussage — ich zitiere—: „Wir halten daher die oft geäußerte Sorge, der Aufschwung könne am Arbeitsmarkt vorbeigehen, für unbegründet".
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Bundeskanzler Dr. Kohl— Das glaube ich; dies entspricht auch gar nicht Ihren Intentionen. Wer so von Weltschmerz und Zukunftsangst gepackt ist, der kann den Menschen keine neue Perspektive vermitteln.
Aber, meine Damen und Herren, trotz dieser günstigen Perspektiven gibt es keinen Anlaß zur Entwarnung auf diesem wichtigen Feld der Politik. Wir müssen jetzt alle Kräfte darauf konzentrieren, die Zahl der Arbeitslosen weiter zu verringern. Dies kann man nicht allein der Konjunkturentwicklung überlassen. Weitere Anstrengungen aller Beteiligten, der Arbeitgeber, der Gewerkschaften, der Regierung sind dazu zwingend notwendig, und niemand darf sich dieser gemeinschaftlichen Verantwortung entziehen.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl?
Nein, danke.Wir haben wichtige Voraussetzungen für mehr Beschäftigung geschaffen. Ich nenne nur die Stichworte: Vorruhestand, Beschäftigungsförderungsgesetz, mehr berufliche Qualifizierung. Aber neben dem, was Politik, Gesetzgeber und Regierung tun können, muß auch die Forderung stehen, daß ebenso die Tarifpartner ihren Beitrag leisten.
Es ist richtig, daß die moderaten Lohnrunden der letzten Jahre — wir wollen das dankbar vermerken — wesentlich zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung beigetragen haben. Gerade deshalb mutet es jetzt für mich und andere merkwürdig an, wenn angesichts der vielen, die heute noch keine Arbeit haben, mit Blick auf das Jahr 1986 von einer sogenannten reinen Lohnrunde gesprochen wird; denn Löhne beziehen ja bekanntlich nur jene, die in Arbeit stehen. Die so oft beschworene Solidarität mit den Arbeitslosen muß doch auch bei den Tarifvereinbarungen, die jetzt vor uns stehen, ein Thema sein.
Die EG-Kommission hat in ihrem Jahreswirtschaftsbericht — den hätten Sie aufnehmen können, Herr Kollege Vogel — einen Vorschlag gemacht, der zumindest diskutabel ist. Sie hat die Frage gestellt, ob in den jetzt anstehenden Tarifverhandlungen nicht als Gegenleistung für moderate Lohnabschlüsse die Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte von Tarifpartnern verabredet werden könnte. Ich gebe zu, dies ist ein sehr unkonventioneller Vorschlag. Aber warum soll man einen solchen Vorschlag nicht einmal sehr, sehr ernsthaft diskutieren, wenn es um Solidarität geht?
Wir haben mit unkonventionellen Vorschlägen, etwa im Bereich der Lehrstellenproblematik, hervorragende Erfahrungen gemacht.
Wir haben dabei vor allem gelernt, was möglich ist, wenn alle Beteiligten ein zentrales gesellschaftliches Problem nicht an den Staat und nicht an andere Gruppen weiterreichen, sondern wenn jeder für seinen Teil Verantwortung übernimmt, und genau dies müssen wir erreichen.
— In welch einem Zustand müssen Sie sich befinden, wenn ein Appell an die Tarifpartner für Sie schon zu einer Beschimpfung der Gewerkschaften gerät!
Meine Damen und Herren, das ist wirklich die intellektuelle Auseinandersetzung der Steinzeit, die Sie hier führen.
Gerade das wollen wir — bei all dem, was uns in der Auseinandersetzung trennt: die Fähigkeit, etwa jetzt im Zusammenhang mit den bevorstehenden Tarifrunden auch über solche Vorschläge zu sprechen.
Im übrigen sind Ansätze in dieser Richtung ja sichtbar. Die Arbeitgeber im Chemiebereich haben kürzlich ihre Mitgliedsfirmen ausdrücklich zu Neueinstellungen ermutigt, unterstützt von ihren Betriebsräten. Ernst Breit und Otto Esser haben gemeinsam zum Abbau von Überstunden aufgerufen. Über eine Qualifizierungsoffensive wurde im Gespräch zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und Regierung Einvernehmen erzielt. Ich kann die Liste beliebig erweitern.Meine Damen und Herren, wenn es um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geht, eines zentralen Problems der deutschen Innenpolitik, muß man jeden nur denkbaren Weg beschreiten, der eine Chance zur Verbesserung der Lage bietet. Wir in der Bundesregierung sind dazu bereit.
Erlauben Sie mir abschließend noch eine Bemerkung. Ich hatte gehofft, daß in dieser Debatte von seiten der Opposition — das gilt also vor allem für die SPD — der eine oder andere konstruktive Vorschlag kommen würde, der geeignet wäre, ein Stück Gemeinsamkeit zu gestalten.
— Ich habe wirklich genau zugehört,
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Bundeskanzler Dr. Kohlvielleicht sogar für den Kollegen Vogel, wie seine geschichtlichen Expertisen bewiesen haben, zu genau. In der Sache selbst habe ich leider keine Anregungen bekommen.
Herr Kollege Vogel, es hat sich in dieser Debatte einmal mehr gezeigt, daß die Alternative der deutschen Politik durch die sozialdemokratische Opposition eben nicht stattfindet. Das ist ja auch gar kein Wunder angesichts des Diskussionsstandes etwa bei der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik in Ihrer eigenen Partei.
Wir — die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien, die Koalition; ich will den Kollegen der Koalition hier auch ausdrücklich für ihre Hilfe und Unterstützung danken — werden unseren Weg weitergehen.Wir werden im Jahre 1986 Gelegenheit haben, unseren Bürgern deutlich zu machen, wie dieser Weg aussah: vom 1. Oktober 1982 bis zum Wahltag im Januar 1987. Dann, meine Damen und Herren, sehe ich der Entscheidung des obersten Souveräns der Bundesrepublik Deutschland, der Wähler, mit großer Gelassenheit entgegen.
Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Die Aussprache über den Einzelplan 04 wird um 14 Uhr fortgesetzt. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Mittagspause.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgeführt. Wir setzen die Aussprache über den Einzelplan 04 fort.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schröder .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat heute morgen geredet, und er hat sich als Nachfolger der Deutschnationalen bezeichnet.
Er hat sich und seine Partei in diese Tradition gestellt.
Aber er hat dann versucht, diese Tradition, auf die er sich bezogen hat, auch noch zu verfälschen. Er hat nämlich versucht, nur über den Grafen Westarp zu reden und sich in dessen Tradition zu stellen.Was er dann aber gemacht hat, das war mehr die Tradition Hugenbergs als die des Grafen Westarp.
Er hat darüber geredet, daß man in der Nachrüstungsdebatte in Zweckpessimismus gemacht habe, und er hat das insbesondere den Sozialdemokraten in die Schuhe zu schieben versucht.
Aber wenn er sich einmal aufmerksam angeschaut hätte, was z. B. Carl-Friedrich von Weizsäcker in der letzten Nummer der „Zeit" geschrieben hat, dann hätte er gemerkt, daß der meint — ich zitiere wörtlich —: „Die Menschheit befindet sich in einer Krise, deren katastrophaler Höhepunkt wahrscheinlich noch vor uns liegt." So Carl-Friedrich von Weizsäcker. Ist der eigentlich auch ein Miesmacher, einer, der in Zweckpessimismus macht,
oder ist das jemand, der versucht, hinter wohltönenden Formeln, die in der letzten Zeit über den Gipfel verbreitet worden sind, die Sache zu sehen, darauf hinzuweisen, daß das, was auf dem Gipfel passiert ist, zweifellos Fortschritt ist, daß wir aber zusammen aufzupassen haben, daß das nicht bei Reden und bei Formeln bleibt?
Denn es ist doch wahr, daß das, was Nachrüstung ist, zu einem Mehr an Waffen geführt hat und nicht zu einem Weniger
und deshalb zu einem Mehr an Unsicherheit und nicht zu einem Mehr an Sicherheit.
Der Bundeskanzler hat den Begriff des Sozialneids benutzt. Ich weiß nicht recht, wen er damit gemeint hat.
Hat er jene Rentnerin damit gemeint,
die 600 DM — und manchmal weniger — Rente bekommt und die doch wohl zu Recht darauf verweist, daß das, was in den letzten drei Jahren an Sozialabbau gelaufen ist, ihr, dieser Rentnerin, geschadet hat,
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Schröder
aber denjenigen, die von den Zinsen ihres Vermögens leben können, überhaupt nicht geschadet hat? Ist das Sozialneid, wenn diese Rentnerin ein bißchen mehr für sich einklagt und ein bißchen weniger für die Besitzenden fordert?
Und ist das Sozialneid, wenn die junge Frau, wenn der junge Mann, die bzw. der die 50. und 60. Bewerbung für eine Lehrstelle geschrieben und eine nichtssagende Absage bekommen hat, ein Stückchen staatlicher Aktivität dafür einfordert, daß sie bzw. er in dieser Gesellschaft eine Perspektive erhält? Ist das Sozialneid? Wollen Sie das als solches diffamieren? Und ist es Sozialneid, wenn jener Landwirt in unserem Land, der angesichts des Preisverfalls nicht recht weiß, ob es denn gelohnt hat,
die Ernte dieses Jahres einzuholen,
ein Stückchen mehr von dem einfordert, was in diesem Land ausgegeben wird?
Wollen Sie das alles mit Sozialneid abqualifizieren?
Oder ist das nicht ein Stückchen Einforderung von Gerechtigkeit — Gerechtigkeit, die unter Ihrer Regierung leider verlorengegangen ist.
Hier ist versucht worden — von Herrn Dregger, von Herrn Kohl —, all denen, die die Augen nicht vor der Wirklichkeit verschließen, die darauf verweisen,
daß in wichtigen Landstrichen der Bundesrepublik, in Niedersachsen,
z. B. in Ostfriesland und im Emsland, die Arbeitslosenziffern immer noch bei 20 % sind,
all denen, die ein Stückchen Realität auch in Ihr borniertes Bewußtsein heben wollen,
zu antworten: „Schwarzmalerei".
Das ist nicht Schwarzmalerei, das ist Kennzeichnen der Wirklichkeit,
und das Kennzeichnen der Wirklichkeit ist die eigentliche Basis dafür, eine vernünftigere Politik zu machen. Aber das wollen Sie j a überhaupt nicht.
Sie wollen uns vorwerfen, wir seien gegen den Aufschwung.
Quatsch ist das, absoluter Quatsch ist das. Die Strategie von Sonthofen ist doch nicht bei uns und von uns erfunden worden,
sondern die Strategie von Sonthofen ist in Bayern erfunden worden und nirgendwo anders. Nehmen Sie das doch mal zur Kenntnis!Wir sind für einen Aufschwung. Aber wir sind dafür, daß dieser Aufschwung auch diejenigen voran bringt, die in den letzten Jahren zurückgefallen sind, Ihrer Politik wegen zurückgefallen sind.
Wir sind für eine wirtschaftliche Besserung, die den Arbeitnehmern und nicht nur denen hilft, die aus Geldvermögen hohe Zinsen beziehen.
Was — so frage ich Sie — soll sich eigentlich die Rentnerin unter Ihrem Aufschwunggerede vorstellen, wenn sie zugleich merkt, daß nicht mehr, sondern weniger Geld in ihre Kasse gekommen ist?
Was denkt eigentlich jenes bereits erwähnte junge Mädchen, das auf seine Lehrstellenbewerbung gerade die 50. Absage erhalten hat?
Ich will Ihnen mal sagen, wie es in Niedersachsen aussieht. Auf jede Lehrstelle kommen zwölf Bewerbungen.
In wichtigen Städten des Landes sind es 40 und mehr Bewerbungen.
Wenn Sie sagen, das stimme nicht, kann ich Sie darauf verweisen, doch einmal die Statistiken Ihrer
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eigenen Landesregierung anzuschauen. Denn die Zahlen sind von da und von nirgendwo anders.
Ich sage Ihnen eines. Ihre Diskussion über den Aufschwung ist sehr abstrakt. Die Not vieler Menschen dagegen ist sehr konkret, und darüber sollten Sie reden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Link ?
Nein. Ich erlaube keine Zwischenfragen. Diese Herren — das beweist sich doch — wollen durch Zwischenfragen ja nichts klären, sondern stören, unterbrechen und mehr nicht.
Deswegen hat es wenig Sinn, Ihnen Zwischenfragen zu erlauben. Denn wenn Sie wirklich klären wollten, dann würden Sie doch nicht dazwischenbrüllen.
Halten Sie doch ein damit.
So können wir doch keine Debatte miteinander führen, die auch nur einem einzigen Menschen im Land Aufklärung vermittelt. In der Weise, wie Sie es tun, geht es nicht.Ich sage Ihnen:
Die Zahl derer wächst, die Ihr Gebrüll nicht mehr hören können.
die die Ohren zumachen, weil Sie sie nicht mehr erreichen. Diese Menschen, die Sie mit Ihrer abstrakten Diskussion nicht erreichen, wenden sich ab, ratlos und bisweilen schon resigniert und auch erbittert, weil Ihre Propaganda diese Menschen, die am unteren Ende der sozialen Skala arbeiten und leben,
zu ihrem Schicksal auch noch diffamiert. Das ist das, was Sie betreiben.
Gewiß, Sie haben das gar nicht ungeschickt eingefädelt. Sie, Herr Kohl, haben diese Politik der Wende in ein durchaus prächtiges Gewand gekleidet.
Sie haben Ihr Programm drapiert, um täuschen zu können. Sie haben es überhöht und mit dem Etikett von der geistig-moralischen Erneuerung versehen. In Wahrheit ist das Programm dieser Bundesregierung nicht ein Programm geistig-moralischer Erneuerung. Es ist ein Programm des Ungeistes und der Unmoral.
Es ist eine Politik, die nur dem Stärkeren recht gibt.
Sie haben aus der Wahrheit, daß wir Menschen im Leben etwas leisten müssen und auch wollen, eine üble Halbwahrheit gemacht. Leistung, so sagen Sie, müsse sich wieder lohnen.
Für wen — so frage ich Sie —, für den, der die stärkeren Fäuste,
die rücksichtsloseren Ellenbogen hat, gedeckt von einer Politik, für die Leistung bei der Erfindung eines neuen Lasers beginnt und beim Nobelpreis aufhört. Ich frage Sie: Was ist denn bei Ihrer merkwürdigen Elitendebatte noch Leistung? Wie stehen Sie denn zur Leistung des Facharbeiters, der Krankenschwester, des Erziehers? Wie stehen Sie zur Leistung des Bauern und des Meisters?
Wie stehen Sie zu diesen lebenslangen Leistungen,
die nicht in den Zeitungen erwähnt werden, die doch aber die Basis für die Spitzenleistungen anderer sind? Das ist die Frage, die ich habe.
Ich sage: Im Unterschied zu anderen nehme ich Ihre Ideologie, die der Politik der Wende zugrunde liegt, durchaus ganz ernst. Ich stelle fest, daß diese Ideologie bereits Wirkungen zeigt. Die Wirkungen liegen in einem Verlust an sozialstaatlicher Substanz. Diese Ideologie diffamiert soziales Denken und Tun. In Ihrer Vorstellungswelt — das haben wir heute morgen wieder gehört — sind Menschen vor allem Egoisten. Wer sich nicht durchboxt, na ja, der hat eben Pech gehabt. Daß jemand aus Solidarität, aus Verantwortung für andere etwas tut, ist Ihrem Weltbild fremd.
Die Kälte, ja die Unmenschlichkeit dieser Politik entsetzt mich. Mich erbittert es — ich sage das ganz
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13272 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
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offen —, das wieder und wieder zugedeckt zu sehen durch einen feixenden Kanzler, der in der Maske des Biedermannes die Brandstifter zwar deckt, aber durch öffentlich zur Schau gestellte Jovialitäten versucht, von der eigenen Mittäterschaft abzulenken.
Ich frage Sie: Was halten Sie von Brüderlichkeit, vom Recht aller auf ein menschenwürdiges Leben, von der Freiheit, die nicht Egoismus heißt,
und von der Einigkeit, die alle Bürger — alle, sage ich — einbezieht?Unnachsichtig, ja bisweilen gewaltsam gehen Sie im Sinne Ihrer Ideologie mit Minderheiten um, mit ethnischen ebenso wie mit politischen.
— Ja, fragen Sie nicht so erstaunt. Wie anders soll man denn die Ausländerpolitik Ihres Innenministers nennen?
Wie anders soll man ein Vorhaben nennen, sechsjährige Kinder nicht mehr zu ihren Eltern in die Bundesrepublik zu lassen, nur weil sie sechs Jahre geworden sind?
Wer nackte Angst in diesem Land erleben will, der muß nur einmal hinschauen, was diese Regierung mit Menschen macht, die bei uns um Asyl nachsuchen.
Ist das Brüderlichkeit, von der Sie reden und von der Sie singen lassen auf Ihren Veranstaltungen?
Aber diese Politik, die Sie machen, richtet sich nicht nur gegen Minderheiten.
Unter dem feinen Begriff der Flexibilität machen Sie Arbeitnehmer zur Verfügungsmasse. Sie nehmen Ihnen die Sicherheit eines Dauerarbeitsplatzes, und Sie nehmen ihnen damit ein gutes Stück ihres Selbstbewußtseins.
Ihr Ziel ist klar, es ist sonnenklar: Arbeit, die auf Dauer vorhanden ist, soll nur noch auf Zeit vergeben werden.
Das macht gefügig, und das wollen Sie; denn es betrifft natürlich zuerst die,
die arbeiten wollen, aber keine Arbeit haben.
Aber dabei bleibt es nicht. Es betrifft auch diejenigen, die noch Arbeit haben. Sie werden erpreßbar und erpreßbarer. Es soll Druck ausgeübt werden von denjenigen, die nicht wissen, was nach sechs Monaten ist, auf diejenigen, die das noch wissen.
Ich nenne das nicht Recht, ich nenne das Recht des Stärkeren.
Sie verweisen auf Ihre Sozialpolitik, auf die zu erwartende Steuerreform, und Sie reden in diesem Zusammenhang — zynisch, behaupte ich —, von Gerechtigkeit.
Aber wer hat denn etwas zu erwarten von dieser Steuerreform? Diese Reform wird z. B. dazu führen, daß in Zukunft ein Ehepaar ohne Kind, das 35 000 DM im Jahr verdient, auf eine Entlastung in Höhe von 144 DM im Jahr rechnen kann. Ein Ehepaar indessen, das über 200 000 DM verdient, kann auf eine Entlastung von 6 445 DM rechnen. Das ist das Vierundvierzigfache. Was, so frage ich Sie, ist daran gerecht, was, so frage ich Sie, ist daran sozial?
An dieser Steuerreform erweist sich, wohin Sie weiterwollen. Gewiß, Sie versuchen Alibis zu schaffen. Eines davon ist Ihre neue Familienministerin. Frau Süssmuth, die ich als eine engagierte Frau kenne, wird nur dann glaubwürdig bleiben können, wenn es ihr z. B. gelingt, dem Kabinett dieses Bundeskanzlers noch in dieser Legislaturperiode eine Vorlage auf den Tisch zu legen und die auch durchzubringen, in der das gleiche Kindergeld für alle Kinder wiederhergestellt wird
und die Steuerfreibeträge, die Sie begünstigen, abgeschafft werden.Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, was ist sozial an Ihrer Politik, die es nicht zuläßt, daß junge Menschen auch nur annähernd gleiche Startchancen bekommen? Was ist in Ihren Augen gerecht an einer Bildungspolitik, die wenigen den Königsweg öffnet und die viele auf den Trampelpfad verweist? Denn warum haben Sie das BAföG abgeschafft, das doch die finanzielle Basis dafür war, daß Kinder
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aus Arbeitnehmerfamilien endlich auch Deutschlands hohe und höhere Schulen besuchen konnten?
Aber wir wissen — und Sie wissen das auch —, Ihre Politik, Ihre unsoziale Politik weckt Widerstand. Dieser Widerstand äußert sich auch auf der Straße. Er äußert sich vor allen Dingen aber bei Wahlen. Sie haben das im letzten Jahr gemerkt. Er äußert sich in den Betrieben ebenso wie in den Verwaltungen. Widerstand ist das, der Ihnen sehr zu schaffen macht.
Dieser Entwicklung von Gegenmacht aus der Gesellschaft heraus wollen Sie Fesseln anlegen, rechtliche Fesseln. Denn auf die Legitimation Ihres Machtanspruches durch Gesetze wollen Sie nicht verzichten.
Hier genau liegt der Grund für die durchgezogenen Veränderungen beim Demonstrationsstrafrecht, wo Sie erst das Bundesverfassungsgericht stoppen mußte. Hier liegt auch der Grund für die vorgesehenen und von den Liberalen leider nicht aufhaltbaren Verdichtungen der Kontrollmöglichkeiten der Staatsorgane. Sie wollen Widerstand gegen unsoziale Politik in einen harten Griff nehmen. Das ist Ihr Ziel.
Hier liegt aber auch der Grund für Ihren erklärten Willen, jenen Paragraphen zu ändern, von dem heute schon viel die Rede war, den § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes. Sie wollen diejenigen, die mittelbar von einem Streik betroffen sind, rausschmeißen aus der Arbeitslosenversicherung, zum Sozialamt schicken. Das ist Ihr Ziel, das ist das Ergebnis Ihrer Vorschläge.
Der Grund dafür ist, daß Sie nicht wollen, daß die weiter selbstbewußt eintreten für die Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen. Sie wollen auch die verfügbarer machen. Das ist Ihr Ziel.
Ist Ihnen, so frage ich Sie, eigentlich klar, was Sie da aufs Spiel setzen wollen? Gehört das nicht — und wir reden ja hier heute morgen über Geschichte — zu den ganz unabänderlichen und unaufhebbaren Erfahrungen unserer jüngeren Geschichte, daß die Gesellschaft jeweils so frei war, wie es die Gewerkschaften waren? Kapieren Sie das endlich.
Aber so, wie Sie ausschließlich auf den Egoismus und die Innenpolitik setzen,
so setzen Sie auf den Egoismus, auf die Stärke in der Außenpolitik. Das zeigt sich an Ihrer Haltung zu SDI. Wir haben ja heute morgen erfahren, daß es offenbar in Genf einen Geist gegeben hat, der unsichtbar die Fäden gezogen hat und dem der Erfolg des Gipfels zu danken ist. Dieser Geist war Helmut Kohl. Ich habe das seit heute morgen, 12 Uhr, kapiert.
Er war es, der den Gipfel gemacht hat und der die beiden Staatsmänner der westlichen und der östlichen Welt an der Hand zum Erfolg hin geführt hat. Nun gut, wer es glauben will, mag es glauben. Eines ist jedenfalls gewiß:
Wenn Sie SDI weiterverfolgen, gefährden Sie die Ergebnisse des Gipfels, weil Sie nicht auf Entspannung, sondern wieder mal auf militärische Stärke setzen.
Ihre Entscheidungsgründe zu SDI offenbaren aber noch ein anderes Merkmal, eines der ökonomischen Unvernunft. Denn eines ist doch wohl klar: Wenn man versucht, Rüstungsforschung zu finanzieren, um daraus zivil nutzbare Technologien zu entwickeln, geht man immer einen Umweg.
Sie sind j a sehr schnell dabei, uns das japanische Beispiel buntgemalt vor Augen zu führen. Aber warum reden Sie denn nicht mal darüber, daß die Japaner, auch aus historischen Gründen, in der Entwicklung ihres Rüstungshaushalts beschränkt sind und daß das vermutlich einer der wichtigsten Gründe dafür ist, daß sie wirtschaftlich Erfolg haben — mehr als Sie, im übrigen?
Warum reden Sie nicht über diesen Zusammenhang,
daß derjenige, der auf immer weitere Forschung in Rüstung setzt, nicht nur sicherheitspolitisch zweifelhaft handelt, sondern auch ökonomisch unzulänglich?
Seit geraumer Zeit — meine Damen und Herren, Sie werden das mitverfolgt haben, auch Sie — beschließen die Fernsehanstalten ihre Programme bekanntlich mit der Nationalhymne.
Wir hören die Hymne, sehen die Fahnen wehen undlesen den Text. Der Text handelt von Einigkeit und
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von Recht und Freiheit und von „brüderlich mit Herz und Hand".
Doch die Politik dieser Bundesregierung wird dieser Hymne nicht mehr gerecht;
denn Sie einigen nicht unser Volk, Sie spalten die Arbeitnehmerschaft. Und Sie tun das bewußt.
Ihre Politik verteidigt nicht gleiches Recht für alle, sondern Sie legitimieren das Recht des Stärkeren.
Und die Freiheit, die Sie meinen, erschöpft sich in Gewerbefreiheit, ist die Freiheit dessen, der Geld genug hat, sie auch zu nutzen.
Und es geht nicht brüderlich zu, weil solidarisches Verhalten von Ihnen heruntergemacht, ja, verhöhnt wird.
Ich denke, für diese Regierung müßte eine neue Hymne geschrieben werden. Ich habe Ihnen einige Begriffe genannt, die dafür in Frage kommen: Egoismus und Zwietracht und Spaltung. Über die Freiheit jenseits sozialer Verantwortung wäre darin zu spielen, wenn es Ihre Hymne wäre — auch von der Leistung, die alle erbringen müssen, damit es sich für wenige besonders lohnt. Da klänge nichts in Ihrer Hymne von Brüderlichkeit.
Es wäre eine von geradezu synthetischer Kälte, eben so, wie Ihre Politik in Wahrheit beschaffen ist.
In der Mitte des letzten Jahrzehnts haben Sie den Kampf um die politischen Begriffe begonnen. Ihr Ziel war in Wirklichkeit die Zerstörung von Werten, für die wir stehen.
Gleichheit haben sie Gleichmacherei genannt. Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit war und ist Ihnen Anspruchsdenken. Entspannung, Sich-Vertragen nannten Sie Schwäche und Ausverkauf nationaler Interessen. — Diese Umwertung von Werten — das sage ich ganz deutlich — verstößt gegen Geist und Inhalt unserer Verfassung.
Wir gehen davon aus, daß eine Gesellschaft auf Dauer nur dann friedlich bleibt, wenn es auch das Recht des Schwachen und nicht nur das des Starken gibt,
wenn die Chancen nicht von vornherein nach Geburt und Vermögen verteilt sind.
Wir haben die Erfahrung gemacht, nicht zuletzt in den 70er Jahren, daß eine Gesellschaft, die über Schritte zur sozialen Gerechtigkeit sozialen Frieden herstellt, hoch produktiv, weil hoch motiviert sein kann.
Ungeachtet Ihres Krakeelens, Herr Klein,
sage ich Ihnen: Die Menschen in unserem Lande beginnen gegen den Ungeist Ihrer Politik aufzustehen,
in den Gewerkschaften und in den Kirchen, in der Friedensbewegung und in den Bürgerinitiativen.
Ich weiß: Ohne dieses neue Engagement dort gibt es keine neue Politik. Aber alle müssen wissen: Ohne die Veränderung von Mehrheiten zerbricht dieser andere Geist an Ihrer Macht.
Doch der Prozeß der Veränderung — Sie wissen es gut — hat bereits begonnen. Er hat im Saarland begonnen, hat sich bei den Kommunalwahlen in Hessen fortgesetzt und hat in Nordrhein-Westfalen zunächst seinen Abschluß gefunden.
Eines sage ich Ihnen: In Niedersachsen wird sich am 15. Juni nächsten Jahres eine Sache glasklar entscheiden, nämlich die, ob es gelingt, den sozialstaatlichen Geist unserer Verfassung auf Dauer zu erhalten, oder ob eben der Ihnen ausgeliefert bleibt.Denjenigen, die mir zugehört haben — bei Ihnen von der CDU/CSU waren das sehr wenige —, sage ich sehr herzlichen Dank und denen, die es nicht getan haben: Machen Sie so weiter mit Ihrer Störe-
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rei; die Bürger werden Ihnen schon die Quittung geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schröder, ich bin sehr froh darüber, daß Sie hier gesprochen haben. Denn das macht es mir leichter, mich schon jetzt auf das einzustellen, was Sie offensichtlich im Wahlkampf in Niedersachsen Tag für Tag von sich geben wollen. Dies zeigt aber auch, daß Sie, nachdem Sie beklagt haben, man würde Ihnen vorwerfen schwarzzumalen, der Schwarzmaler in Person gewesen sind.
Denn alles, was Sie hier gesagt haben, war an der Grenze dessen, was Le Bon demagogisch genannt hätte.
— Doch, doch, doch. Ich habe es bewußt so ausgedrückt, weil ich seit Jahrzehnten in diesem Hause bin und weiß, wie weit ich gehen kann mit einer Bemerkung und wie weit ich nicht gehen kann. Sie können doch erwarten, daß ich diese Grenzen einhalte.
— Einen sachlichen; das ist der Unterschied zu Ihnen.Wenn ich mir Ihre einzelnen Punkte vornehme, dann kann ich nur sagen: Ich bedaure sehr, daß mit dem Hinweis, da seien die Deutschnationalen, da sei der Stahlhelm wieder aufgetaucht,
das, was wir vor fünf, vor zehn Jahren hier im Hause beklagt haben — daß nach der anderen Seite kommunistische Vergangenheit vorgeworfen würde —, hier aufgewärmt werden soll. Wer so handelt, der setzt die Einigkeit aufs Spiel, der spaltet, der treibt auseinander und führt nicht zusammen, was hier in diesem Lande an Demokraten zusammenhalten sollte.
Wenn Sie mit Recht davon sprechen, daß wir heute, 1985, in Europa leider mehr Waffen haben — das stimmt —, dann müssen Sie bitte auch hinzufügen: Trotz dieser mehr Waffen in Europa ist es gelungen, in Europa Frieden zu erhalten. Hat nicht vielleicht das Gleichgewicht — ja, es hat — die entscheidende Voraussetzung dafür geschaffen, daß wir den Frieden erhalten konnten? Das haben Sie mit uns gemeinsam über ein Jahrzehnt lang vertreten. Warum entfernen Sie sich von allen Grundlagen, die Sie gestern noch für richtig gehalten haben?
Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß es noch eine hohe Arbeitslosigkeit gibt. Das bestreitet niemand von uns. Nur, warum verschweigen Sie, daß eben — im Gegensatz zu einer Politik ständiger Arbeitsbeschaffungsprogramme — die Politik, die wir seit drei Jahren durchgeführt haben, die Zahl der Arbeitsplätze systematisch erhöht hat? Bereits zu Beginn dieses Jahres hatten wir mehr Arbeitsplätze als 1969. Das zeigt doch, daß dieser Weg erfolgreich und nicht, wie Sie behaupten, ein falscher Weg gewesen ist.
Nun sagen Sie, Herr Kollege Vogel, wir würden die Beschäftigungsprogramme, die doch bestimmte Arbeitsplatzsicherungen mit sich gebracht haben, verleugnen. Wir verleugnen sie nicht! Wir haben sie nie verleugnet. Wir haben nur festgestellt, daß die Wirkung dieser Programme begrenzt war, daß Arbeitsplätze nur für eine gewisse Zeit gerettet wurden. Die strukturellen Veränderungen aber, die notwendig waren, sind eben nicht bewirkt worden, und das hat dazu geführt, daß danach die Arbeitslosigkeit um so größer gewesen ist.
Deshalb wollen wir diesen Fehler nicht noch einmal machen.Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, genau das ist damals doch auch von Ihrem Kanzler, von Ihren Mitgliedern des Kabinetts und von Ihren Fraktionsvorständen erkannt worden. Die Umkehr von diesem Weg begann doch bereits in den Jahren 1980/81. Das war sehr mühselig. Mitten auf diesem Weg war es Ihnen dann zu mühselig geworden; da waren Sie müde geworden, diesen Weg mitzugehen. Wir gehen ihn jetzt in dieser Koalition gemeinsam zu dem guten Ende, das wir damals schon vor Augen hatten, während Sie nicht den Mut und auch nicht die Tapferkeit gegenüber den eigenen Reihen aufbrachten, das durchzusetzen, was im Interesse der Menschen notwendig war. Das ist doch der wahre Sachverhalt!
Wenn Sie jetzt davon sprechen, wir würden den sozialen Konsens in Frage stellen, wenn Sie, Herr Schröder, fragen, wo die Leistung des Bauern oder des Meisters bleibt, sage ich Ihnen: Sehen Sie sich doch einmal die Weiterentwicklung der Agrarsozialpolitik an, die wir gerade vor wenigen Tagen beschlossen haben. Da ist die Leistung des Bauern durch Verbesserungen bestätigt und anerkannt worden. Oder nehmen wir die Leistung des Meisters: Ist Ihnen denn entgangen, daß jede zuverdiente Mark heute bereits zu 40 oder 50 % weggesteuert wird? Wir wollen doch die Steuerreform gerade, damit die Mehrleistung des Meisters nicht gleich in die höchste Progression hineinführt. Es
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Mischnicksoll mehr für ihn bleiben, damit sich eben die Leistung lohnt. Vergessen Sie das alles?
— Verehrter Herr Kollege, Sie sagen, der Erfolg lohne sich nicht? Da kann ich mich nur wundern, wieso Sie bereit waren, mit uns ähnliche Entscheidungen zu treffen, wenn diese auch nicht den Umfang hatten, den wir uns jetzt vorgenommen haben. Sie waren doch mit uns der Meinung, daß die Proportionalzone erweitert werden muß und daß die Progression später beginnen soll. Haben Sie auch das alles vergessen?Deshalb, wenn Sie diese Punkte schon ansprechen, dann bitte mit etwas mehr Nüchternheit und mehr Redlichkeit, nicht mit so vielen Verdächtigungen und Unterstellungen, die der Sache überhaupt nicht gerecht werden.
Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Penner.
Wahlkämpfer in Niedersachsen lassen ja keine Fragen zu, aber ich mache das!
Verehrter Herr Kollege Mischnick, Sie haben vorhin von Tapferkeit im Verhalten gegenüber der eigenen Anhängerschaft gesprochen.
Ja.
Können Sie mir vielleicht ein einziges Beispiel dafür nennen, daß die FDP gegenüber ihrer Klientel tapfer gewesen wäre?
Mein lieber Herr Kollege Penner, da kann ich Ihnen eine ganze Menge sagen. In der Entscheidung 1982 war es notwendig, die entscheidenden Schritte tapfer zu vertreten und Mann für Mann und Frau für Frau in der Partei zu überzeugen. Und sie sind heute überzeugt! Wir haben die Tapferkeit aufgebracht, Sie nicht!
Wo ist die Tapferkeit des Kollegen Börner, der Leute mit Dachlatten hinausjagen wollte und der heute genau das Gegenteil macht?
Fangen Sie nicht von Tapferkeit oder vom Umfallen an! Da müssen Sie erst einmal in den eigenen Reihen nachschauen!Herr Kollege Schröder, Sie haben behauptet, BAföG sei abgeschafft. Das ist falsch. Schon in der sozialliberalen Koalition sind Kürzungen vorgenommen worden. Wir haben inzwischen mancheMängel wieder bereinigt. Wir wissen, daß da noch mehr zu tun ist. Ich bitte also, nicht solche Behauptungen aufzustellen, die nicht mit den Tatsachen übereinstimmen.§ 116 AFG: Um was geht es denn hier? Hier geht es darum, daß das, was im Gesetz steht und — wer die Debatten, die Kommentare darüber nachliest — in den Debatten so gewollt war, in den Kommentaren so zum Ausdruck gebracht worden ist, auch so angewandt und nicht in eine falsche Richtung entwickelt wird. Hier geht es weder um eine Benachteiligung der Gewerkschaften noch um eine Bevorzugung der Arbeitgeber. Hier geht es ausschließlich darum, daß sichergestellt wird, daß die Beitragszahler die Arbeitslosenversicherung nicht mitfinanzieren müssen, wenn an irgendeiner Stelle durch einen Streik Folgen in andere Bereiche hinein entstehen, die dann letztendlich zu Lasten der Arbeitnehmer mit ihren Beiträgen gehen. Um diese Frage geht es, wie hier klargestellt werden muß.
Wenn jetzt gedroht wird, man könne bis an die Grenzen der gewerkschaftlichen Möglichkeiten gehen, dann muß sich jeder im klaren darüber sein, daß das, wenn hier der Gesetzgeber eine Entscheidung trifft, eine Drohung gegenüber der gewählten Volksvertretung ist. Ich kann nur davor warnen, diesen Weg durch weitere Erklärungen weiterzugehen. Wer dies macht, zerstört viel, viel mehr, als vorhin hier anklagend als Vorwurf erhoben worden ist.Herr Kollege Vogel hat davon gesprochen, daß gegenüber früheren Generationen für uns die Verantwortung gewachsen ist. Ich sage: ja, das ist richtig. Die Verantwortung ist größer geworden. Aber diese Verantwortung bedeutet doch gleichzeitig, daß man nicht nur klagt, sondern zu Entscheidungen bereit ist und diese Entscheidungen auch trägt. Dieser Verantwortung stellen wir uns.Sie haben davon gesprochen, schriller Lärm bei Gegensätzen sei falsch. Ich teile diese Meinung. Aber den schrillen Lärm haben doch bei bestimmten Themen sehr oft Sie aus Ihren Reihen heraus veranstaltet.Sie haben gesagt, wir Deutsche — Sie haben dabei den Bundespräsidenten zitiert — seien ein Volk und eine Nation. Das ist immer unsere gemeinsame Grundhaltung gewesen. Ich bin sehr froh darüber, daß Sie dies wiederholt haben. Dann wäre es aber auch besser, ständige Irritationen, indem man in dem einen oder anderen Bereich durch wohlgefällige Erklärungen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland den Eindruck erweckt, als würde man von diesem Grundsatz abgehen, zu vermeiden.In diesem Zusammenhang eine kurze Bemerkung dazu, daß wieder sehr viel über den Besuch des Staatsratsvorsitzenden Honecker spekuliert wird. Meine Damen und Herren, ich bedaure sehr, daß nun wiederum diese Spekulation losgeht über Zeitpunkte, mit Erwartungen. Ich teile diese Spekulation nicht; ich beteilige mich nicht. Ich stelle nur eines fest: Wer diese Spekulation so oder so nährt,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13277
Mischnickhilft nicht. Wer den Erwartungshorizont bewußt hochschraubt, um hinterher anklagend festzustellen, es sei nicht genügend herausgekommen, schädigt das, was wir wollen. Wer von vornherein glaubt, Positionen, die von unserem Verfassungsrecht her selbstverständlich sind, in Frage stellen zu können, hilft weder uns, noch hilft es der DDR.
Deshalb bleibt unbestritten, daß es eine Reihe von Punkten gibt, — wenn ich an den Zwangsumtausch denke, wenn ich an die Reiseerleichterungen denke, auch wenn ich an die Besuchsmöglichkeiten für die Berliner denke —, die auf der Tagesordnung stehen und von uns zu keinem Zeitpunkt dort weggenommen wurden. Aber in diesen Punkten hat sich in der Vergangenheit immer gezeigt, daß weniger öffentlich darüber reden immer besser und hilfreicher gewesen ist, und dabei soll es auch bleiben.
Herr Kollege Vogel hat davon gesprochen, die Diskussion über das nationale Ehrenmal und das Haus der Geschichte solle keine parteipolitische Frage werden. Ich teile diese Auffassung. Das heißt für mich aber auch, daß wir zunächst einmal untereinander zwischen den Fraktionen mit dem Präsidium und mit der Bundesregierung in Ruhe über diese Frage sprechen, bevor wir im Deutschen Bundestag öffentliche Diskussionen darüber verlangen, denn nichts wäre schädlicher, wenn hier eine Auseinandersetzung über öffentliche Festlegungen stattfände, die uns genausowenig hilft wie die Auseinandersetzung, die wir vor dem 8. Mai gehabt haben.
Ich hoffe, daß jeder daraus gelernt hat, hier zunächst das Gespräch untereinander zu suchen, um würdige und unserer Geschichte gerecht werdende Lösungen zu finden. Wir sind dazu bereit.Herr Kollege Vogel, Sie haben davon gesprochen, ob man nicht zu Teillösungen betreffend ein Verbot chemischer Waffen kommen solle, wenn man schon mit einer Gesamtlösung nicht so schnell vorankomme. Das ist eine Überlegung, die man durchaus anstellen kann, aber nachdem die Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts in Sofia gemeinsam die weltweite Abschaffung, Vernichtung von chemischen Waffen verlangt haben und nachdem dies von unserer Seite auch weltweit verlangt worden ist, sehe ich nicht mehr ein, weshalb man an den Überlegungen im Sinne einer Begrenzung festhält, wenn sich beide Führungsmächte die weltweite Abschaffung und Vernichtung chemischer Waffen zum Ziel gesetzt haben. Deshalb sollten wir vielmehr auf diesen Dampfer aufsteigen und uns darum bemühen, hier Schritt für Schritt weiterzukommen.
— Schritt für Schritt in den Verhandlungen, Herr Kollege Voigt, nicht in den Vereinbarungen. Vereinbarungen haben doch den Nachteil: Wenn Sie eine regionale Begrenzung erreicht haben, dann können Sie zwar den Abzug überwachen; nicht gelöst istdabei aber die Frage, wie Sie auf Dauer durch eine Überwachung sicherstellen können, daß nichts wieder hineingebracht wird. Deshalb ist die generelle Abschaffung, die generelle Beseitigung der chemischen Waffen die einzige Möglichkeit, um in diesem Bereich tatsächlich zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen.Meine Damen und Herren, der Gipfel ist gewürdigt worden; er wird in der außenpolitischen Debatte noch weiter gewürdigt werden. Er hat für viele nicht so viel gebracht, wie sie erwartet haben. Ich bin überzeugt, daß die These derjenigen richtig war, die von Anfang an das, was möglich ist, richtig eingeschätzt haben. Das Gespräch an sich — es war mehr als ein Gespräch — hat Voraussetzungen geschaffen, wie wir sie in den letzten fünf bis zehn Jahren nicht hatten. Nun wird es aber darauf ankommen, daß wir jede Möglichkeit, jede Gelegenheit nutzen — nicht nur im Gespräch mit den beiden Großmächten, sondern auch im Gespräch mit den jeweiligen Bündnispartnern und über die Grenzen der Paktsysteme hinaus —, diesen Prozeß fortzusetzen, ihn zu unterstützen und weiterentwickeln zu helfen.Das bedeutet natürlich, daß wir auch bereit sein müssen, Entwicklungen — z. B. im Warschauer Pakt — zur Kenntnis zu nehmen. Ich habe mit Bedauern festgestellt, daß bei uns in der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise die Neufassung des Wahlrechts in Ungarn so wenig Aufmerksamkeit gefunden hat.
Nach der Neufassung des Wahlrechts müssen mindestens zwei Kandidaten aufgestellt werden, mit allen Konsequenzen, die daraus — bis hin zur kommunalen Ebene — enstehen. Es würde sich lohnen, wenn unsere Medien auch über diese Dinge mehr berichten würden. Ich habe bedauert, daß die offiziöse Delegation der tschechischen Föderalversammlung unter Leitung des Vizepräsidenten Dr. Kučera, der unserem Bundestagspräsidenten eine Einladung überbracht hat — die er angenommen hat —, in den Medien kaum Beachtung fand. Es wird immer darüber geklagt, daß nicht genügend geschehe, um hier die Möglichkeiten der Verbindungen, der Beziehungen zu nutzen. Diejenigen, die sie nutzen, sollten in der Öffentlichkeit dann auch die entsprechende Unterstützung erfahren, denn das ist praktische Politik des Verstehens, eines Abbaues des Mißtrauens und damit eines allmählichen Aufbaus von Vertrauen. Es lohnt sich, dies zur Kenntnis zu nehmen.
Noch eine Bemerkung zu dem Teil, der sich damit befaßte, inwieweit durch Entscheidungen in den letzten Jahren „sozialer Abbau", „neue Armut" — und wie es alles bezeichnet wird — entstanden ist. Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Das Schlimmste, was man sozialpolitisch machen kann, ist, eine Inflation laufen zu lassen und nichts gegen sie zu tun. Das haben wir gestoppt. Wenn sich heute 2 %, möglicherweise 1,5 % Preissteigerungsrate für
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Mischnickdas nächste Jahr abzeichnen, dann heißt das, daß ich auch bei einer 3 %igen oder 3,5 %igen Rentenerhöhung unter dem Strich mehr in der Tasche habe, als wenn ich die Renten um 7 % erhöhe, aber 6,5 % Preissteigerungsrate habe. Das heißt wiederum, daß die Behauptung, die Entwicklung der letzten Jahre habe zu einer sozialen Umverteilung — zu Lasten der Rentner — geführt, schlicht falsch ist.
Daß die Wirkung davon nicht sofort eintreten konnte, sondern sich im Jahre 1985 und im Jahre 1986 stärker bemerkbar macht, ist unbestreitbar.Zweiter Punkt. Wenn all die Erkenntnisse, die heute auf dem Tisch liegen, als Vorschläge — ich gehe davon aus: für die nächste Legislaturperiode —, z. B. für die Rentenreform, von Ihnen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen der SPD,
bereits in unserer gemeinsamen Regierungszeit auf den Tisch gekommen und unsere Vorschläge in dieser Richtung nicht immer abgelehnt worden wären, würden Sie heute die Mühsal der Opposition mit Sicherheit nicht auf sich nehmen müssen. Da hat es bei Ihnen etwas zu lange gedauert, bis die Erkenntnis kam, daß auch dort ein neuer Weg beschritten werden muß.
Ein dritter Punkt, den ich, um die Zeit nicht zu überschreiten, kurz erwähnen möchte: Wir haben uns hier in Diskussionen mehrfach — dies war zum Schluß eine Bemerkung des Kollegen Schröder — über rechtspolitische und innenpolitische Fragen auseinandergesetzt. Sie haben davon gesprochen, daß wir da den Weg — das Wort „Knebelung" haben Sie nicht verwandt, aber es klang so — der Knebelung derjenigen, die sozialpolitisch benachteiligt sind, durch rechtspolitische und innenpolitische Mittel vorantreiben wollen. Dies ist genauso falsch wie die andere Behauptung. Richtig ist, daß wir im Bereich der Rechts- und Innenpolitik in verschiedenen Fragen zwischen den drei Koalitionsparteien lange um die richtige Lösung gerungen haben. Wir haben sie zu einem Teil schon gefunden und praktiziert, ein Teil ist in der Vorbereitung.Was ich aber zum Abschluß feststellen möchte: daß es mit Ihnen nicht möglich war, das wichtige Rechtsgut, jedem Angeklagten oder Inhaftierten zu jeder Zeit einen Rechtsbeistand zur Seite zu stellen— Kontaktsperregesetz —, daß dies aber in der Koalition mit der Union möglich war, was uns niemand zugetraut hat.
— Wir hatten den Antrag in der Debatte gestellt, Sie haben ihn damals gemeinsam mit der CDU/ CSU abgelehnt, obwohl wir in der Koalition waren. Vergessen Sie das nicht! Ich habe das nicht verges-sen. Mein Gedächtnis ist nicht so kurz, wie das bei Ihnen offensichtlich zu sein scheint.
Daß es uns gelungen ist, das mit der Union durchzusetzen, beweist: Auch in dieser Koalition ist Rechtstaatlichkeit, Innenpolitik und Rechtspolitik aus liberalen Grundsätzen
nicht nur machbar, sondern es sind Probleme lösbar, die früher nicht lösbar waren. Dafür sind wir dankbar.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rühe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schröder, wer Ihnen zugehört hat, konnte auf viele Ideen kommen; aber daß Sie der Kandidat der SPD für das Amt eines Ministerpräsidenten in diesem Lande sind, darauf konnte man wirklich nicht kommen.
Ich möchte Ihnen und auch der gesamten SPD- Fraktion im Namen der Kollegen, vor allen Dingen der niedersächsischen Landesgruppe, allen voran Rudi Seiters, sehr herzlich danken, daß Sie sich hier heute präsentiert haben. Das erspart den Kollegen viel Arbeit im Lande; denn die Rede, die Sie hier gehalten haben, war eine Enthüllungsrede.
Enthüllend auch deswegen: Wenn ein Mann wie Börner eine Koalition mit den GRÜNEN eingeht, dann weiß heute jeder: Ein Mann wie Schröder, der verkauft sich nicht nur an eine Koalition mit den GRÜNEN, sondern der würde sich auch inhaltlich völlig an die GRÜNEN als Koalitionspartner verkaufen.
— Sie können uns darüber nicht hinwegtäuschen.— Herr Schröder, ich sage das als jemand, der ungefähr so alt ist wie Sie. Ich frage mich, welches Verhältnis Sie eigentlich zum demokratischen Stil haben, wie er in der Bundesrepublik Deutschland gewachsen ist.
Ich glaube, daß diejenigen, die wie wir beide der mittleren Generation angehören, also in dieser Bundesrepublik Deutschland politisch großgeworden sind, sehr wohl wissen, daß zur Demokratie nicht nur Harmonie gehört und daß man nicht fälschlich harmonisieren darf. Aber wir wissen auch, daß zur Demokratie nicht nur der Streit gehört. Wer Politik nach dem Motto macht: So viel Streit und Bekämpfung des politischen Gegners wie
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13279
Rühemöglich, statt soviel wie nötig, bei dem muß man fragen, welches Verhältnis er eigentlich zum demokratischen Staat hat, wie er sich hier entwickelt hat.
Ich kann nur sagen: Wer so redet wie Sie, der ist nicht der Sprecher dieser mittleren Generation, die in der Bundesrepublik Deutschland großgeworden ist. Sie sind der demagogische Sprecher einer kleinen Randgruppe.
Wer der Christlich Demokratischen Union und damit mir und allen Kollegen unterstellt, die Freiheit dieses Landes sei für uns Gewerbefreiheit, der ist ein Verleumder.
Herr Abgeordneter Rühe, der Ausdruck „Verleumder" ist unparlamentarisch. Ich weise ihn zurück.
Herr Abgeordneter Rühe, das kann eine „Verleumdung" sein, aber das Wort „Verleumder" ist unparlamentarisch.
Vielen Dank, Herr Präsident.Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, ich habe mich bemüht, der Debatte zuzuhören und eine Überschrift für das zu finden, was wir gehört haben,
vor allen Dingen von seiten der Opposition. Ich möchte Ihnen eine Überschrift anbieten. Ich habe die Opposition beobachtet, und ich finde, das war die Suche nach der verlorenen Wirklichkeit, die Suche einer Partei, der die Wirklichkeit dieses Landes davongelaufen ist und die mit ihren Worten nicht mehr hinterherkommt.
Ihre Worte stehen doch heute völlig vereinsamt in der politischen Landschaft.Sie haben im wesentlichen von zwei Katastrophen-Legenden gelebt. Das erste ist die Legende von der Eiszeit, und das zweite ist die Legende von der Armut. Zur Legende von der Armut: Diese Regierung und diese Koalition haben erst in den letzten Tagen das Gütesiegel des Sachverständigenrates bekommen: Geldwertstabilität, Wachstum, 300 000 zusätzliche Arbeitsplätze im nächsten Jahr, — nicht nur neue, sondern zusätzliche —; das ist ein Gütesiegel, wie es das lange nicht gegeben hat.
Zur Legende von der Eiszeit, die Sie vor drei Jahren verkündet haben: Sie haben damals versucht, die deutsche Politik vor eine schlimme Alternative zu stellen. Sie haben gesagt: entweder Sicherheitspolitik oder das Gespräch mit dem Osten, entweder Nachrüstung oder gute deutsch-deutsche Beziehungen. Wer die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik vor eine solche Alternative stellt, kann ihr kaum etwas Schlimmeres antun. Wir haben bewiesen, daß die einzig vernünftige Politik darin besteht, das zu tun, was sicherheitspolitisch notwendig ist, und dann dennoch und verstärkt auch das Gespräch mit dem Osten zu führen.
Sie müssen insofern Ihre Drehbücher für den Bundestagswahlkampf und auch für den Wahlkampf in Niedersachsen ganz neu schreiben. Der Aufschwung der Wirtschaft, der Aufschwung der OstWest-Beziehungen und die hervorragende Rolle, die die Bundesregierung hierbei gespielt hat, hat Ihnen Ihre Argumente genommen. Was bleibt, ist die Flucht in eine Quasi-Philosophie wie bei Herrn Vogel heute morgen oder die Flucht bzw. das Fernbleiben aus dem Parlament überhaupt.Ich möchte in Anlehnung an eine berühmte Sportreportage, die wir vor einigen Jahren bei den Olympischen Winterspielen gehört haben, die Frage stellen: Wo bleibt Rau?
Wo ist Herr Rau? Ist er auf Bildungsreise im Ausland oder in Wanne-Eickel? Ich meine, wer den Anspruch erhebt, dieses Land regieren zu wollen, der muß sich im Deutschen Bundestag stellen!
Deswegen werden wir Sie immer wieder fragen: Wo bleibt Herr Rau? Oder haben Sie Angst?
Haben Sie Sorge, daß Herr Rau sich wieder unbedacht äußert, wie er es ja selbst eingestanden hat?
Wir wollen jedenfalls hier im Bundestag, bevor im Wahlkampf die Wogen so hochschlagen, daß man die Dinge nicht mehr so genau erkennen kann, von Herrn Rau sehr schnell wissen, ob er das tun will, was er in seinem Interview angekündigt hat, nämlich die Grundlagen für unsere außenpolitischen und wirtschaftspolitischen Erfolge wieder zu zerstören.
Wir wollen wissen, ob die Politik der Haushaltskonsolidierung weitergeführt werden kann und ob
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13280 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Rühewir eine erfolgreiche Sicherheitspolitik in der NATO betreiben können.
Meine Damen und Herren von der Opposition, es reicht eben nicht, sich an Jubiläen für die NATO auszusprechen. Es reicht auch nicht, im Prinzip für die NATO zu sein und bei jeder konkreten Maßnahme dann dagegenzustimmen.
Wer den Schutz durch die NATO will, der darf dieser NATO, dem Atlantischen Bündnis, auch nicht die eigenen Beiträge verweigern, so wie Sie das tun, z. B. im Zusammenhang mit den notwendigen Beschlüssen zur Aufrechterhaltung der Stärke der deutschen Bundeswehr. Wer die eigenen Beiträge verweigert, gefährdet auf Dauer in Wahrheit den Schutz unseres Landes.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Würtz?
Nein. Die Zeit ist schon so knapp geworden, daß Sie Verständnis dafür haben, daß ich jetzt fortfahren möchte, Herr Würtz.
Zu Genf: Sie sind sich nicht ganz einig darüber geworden, wie Sie das handhaben wollen. Herr Vogel hat so getan, als ob er Genf herbeigeführt habe. Er hat gesagt, es sei sozialdemokratisches Gedankengut, das sich dort niedergeschlagen habe. Herr Schröder hat versucht, Genf herunterzuspielen.
Wissen Sie, was die Politik der Bundesregierung von Ihrer Politik unterscheidet und was mitgeholfen hat, den Weg nach Genf zu ebnen?
Das ist die Tatsache, daß wir eine Politik des Dialogs auf der Grundlage einer gesicherten Verteidigungsfähigkeit betreiben. Sie aber betreiben eine Politik des Dialogs anstelle einer gesicherten Verteidigungsfähigkeit. Und dieses gefährdet Sicherheit und Entspannung.
Mit Genf steht die Entspannungspolitik wieder auf zwei Beinen, so wie es im Harmel-Bericht schon 1967 vorgesehen war: auf dem Bein der gesicherten Verteidigungsfähigkeit und auch auf dem Gesprächsbein.
Entspannungspolitik kann von zwei Seiten her gefährdet werden. Wer die Maßnahmen zur Sicherung der Verteidigung ablehnt, wie Sie das bei der Nachrüstung und bei den Maßnahmen für die Bundeswehr getan haben, erweckt den Eindruck von Schwäche und gefährdet Verhandlungen. Wer aber nur Sicherheitspolitik betreibt, ohne auch das Gespräch mit der anderen Seite zu suchen, der schafft Spannungen. Deswegen gibt es keine Alternative zu der Politik der Bundesregierung, die den Weg nach Genf geebnet hat:
gesicherte Verteidigungsfähigkeit und Gesprächsbereitschaft mit dem Osten. Aber die Grundlage muß klar sein. Deswegen diese wichtige Auseinandersetzung mit Ihnen. Für uns bleiben die Vereinigten Staaten der Sicherheitspartner. Die gemeinsame Sicherheit wird im Bündnis hergestellt.
Herr Abgeordneter Rühe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schily?
Jetzt nicht mehr. Sie sehen ja, daß nur noch wenig Zeit verblieben ist, Herr Präsident.
Auf dieser Grundlage muß man sich im nuklearen Zeitalter um gegenseitige Sicherheit zwischen den Bündnissen bemühen, um die strategische Stabilität aufrechtzuerhalten.
Was Sie mit Ihrer Nebenaußenpolitik machen, Herr Kollege Voigt von den Sozialdemokraten, bedeutet ja, daß wir bei den Verhandlungen in Stockholm und in Genf eine Situation vorfinden, in der uns auf der anderen Seite plötzlich nicht nur die Warschauer-Pakt-Staaten gegenübersitzen, sondern daß diese auf Grund der Abmachungen, die Sie dort getroffen haben, auch durch die Sozialdemokraten verstärkt worden sind, während auf unserer Seite nicht nur alle westlichen Staaten, sondern auch die neutralen Staaten sitzen. Im Ansatz, Herr Vogel, bedeutet diese Nebenaußenpolitik der SPD aber den Einstieg in den deutschen Sonderweg, den Sie heute morgen noch so leidenschaftlich abgelehnt haben — den Einstieg in den deutschen Sonderweg, Herr Vogel.
Eine solche Politik ist keine vertrauensbildende, sondern eine vertrauensgefährende Maßnahme.
In eine solche Nebenaußenpolitik — ich werde das gleich noch kurz belegen — sind Täuschung und Enttäuschung von vornherein eingebaut. Denn entweder täuschen Sie Ihre östlichen Gesprächspartner, wenn Sie sich jetzt auf atomwaffenfreie Zone, auf chemiewaffenfreie Zone festlegen — alles Dinge, die mit den Auffassungen sämtlicher anderer NATO- Staaten unvereinbar sind —, über Ihre wahren Absichten im Falle einer Regierungstätigkeit von Ihnen — wie entfernt die auch immer sein mag —, oder Sie halten sich an das Wort, das Sie Ihren östlichen Gesprächspartnern heute leichtfertig geben — und das sind ja nicht irgendwelche, sondern das sind die regierenden kommunistischen Parteien dort —, und dann wären Sie nicht mehr in der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13281
RüheLage, im Falle einer Regierungstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland NATO-Politik zu machen. Eines ist so schlimm wie das andere, Herr Vogel.
Ich fordere Sie deswegen auf, diesen Weg noch einmal gründlich zu überdenken und von weiteren Verhandlungen Abstand zu nehmen, die Sie ab Anfang Dezember mit den deutschen Kommunisten, mit der SED über das Projekt einer atomwaffenfreien Zone führen wollen.
Nun, Herr Vogel, zum Abschluß noch etwas zu dem, was Sie gesagt haben. Man kann Gräben graben oder auch Gräben vertiefen durch Kritik, aber auch durch Lob. Sie haben sich heute morgen in beidem versucht.Ich komme von dem deutsch-polnischen Forum in Krakau zurück. Ich habe dort gesagt — das hat die Unterstützung aller deutschen Kollegen gefunden —, daß wir im deutsch-polnischen Versöhnungsprozeß nicht zwischen Guten und Bösen unterscheiden dürfen, daß wir niemanden ausklammern dürfen. Dieses geschlossene Auftreten der deutschen Gruppe dort hat seinen Eindruck auf die polnische Seite nicht verfehlt. Deswegen meine herzliche Bitte an Sie und andere, die sich angesprochen fühlen: Nehmen wir das auf, was dort in Krakau deutlich geworden ist! Hören wir auf mit rückwärtsgewandten Grundsatzdiskussionen! Erkennen wir, daß im Warschauer Vertrag auch ein Stück Zukunftsgestaltung liegt! Hören wir auf damit, uns in dieser Diskussion im Kreise zu drehen!
Herr Abgeordneter Rühe, einen Augenblick, bitte. — Ich darf alle Damen und Herren, die bereits zur Abstimmung hier sind, bitten, die Plätze einzunehmen und dem Redner in den letzten fünf Minuten Aufmerksamkeit zu schenken. — Darf ich bitten, Platz zu nehmen, meine Damen und Herren. — Herr Rühe, warten Sie ab. — Das gilt auch für das gesamte Justizministerium. — Bitte, fahren Sie fort.
Es tut mir leid, daß die, wenn ich das sagen darf, wichtigen Bemerkungen zum deutsch-polnischen Verhältnis in diese technischen Schwierigkeiten hineinkommen, aber man wird es uns verzeihen.Hören wir doch auf damit, rückwärtsgewandt zu diskutieren! Benutzen wir die Grundlage, die wir — to whom it may concern — in Krakau gemeinsam erarbeitet haben! Wir alle werden einmal gefragt werden, was wir denn konkret getan haben — jetzt und in der Zukunft —
für die wichtigen Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern.Deswegen kann ich nur sagen: Greifen wir das auf, was dort erarbeitet wurde: Städtepartnerschaften, mehr Austausch, Jugendbegegnungen,
aber auch Hilfe für Aussiedler.
Freuen wir uns aber auch darüber, wie heute Deutsche und Polen miteinander sprechen können!
Ich habe in Krakau nicht nur unser Mitgefühl für die Leiden zum Ausdruck gebracht, die z. B. auch die Professoren der Jagiellonischen Universität in Krakau durch die Nazis erdulden mußten,
sondern auch Fälle genannt, wo Deutsche Polen und Juden geholfen und ihnen das Leben gerettet haben.
Ich finde, auch das gehört zur deutschen Geschichte und zur deutsch-polnischen Geschichte.Wir haben einen ersten Anfang gemacht, auch formell über Kreisau zu sprechen, wo der Kreisauer Kreis getagt hat, die vielleicht wichtigste Gruppe des deutschen Widerstands, um für die Zukunft dort eine Gedenkstätte, eine Begegnungsstätte für die junge Generation beider Länder zu schaffen.
Auch der Widerstand gehört zur deutschen Geschichte.
Ich finde, es ist ein gutes Zeichen, daß wir hier im deutsch-polnischen Verhältnis einen Anfang gemacht haben und zukunftsgewandt diskutieren können.Wir sollten also, Herr Kollege Vogel und wen es sonst noch angeht, weder durch Lob noch durch Kritik Unterschiede vergrößern, sondern uns gerade in diesem wichtigen deutsch-polnischen Verhältnis bemühen, die vorhandenen Gemeinsamkeiten zu nutzen. Das entspricht unserer Verantwortung.
Die letzte Bemerkung. Ich habe eingangs gesagt: Die Überschrift dieser Debatte ist: „Die Opposition auf der Suche nach der verlorenen Wirklichkeit". Herr Vogel, Sie müssen in den nächsten Wochen und Monaten einen Beitrag leisten, damit Sie draußen im Land wieder verstanden werden.
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13282 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
RüheDa Sie keine Chance haben, die Wirklichkeit, die sich zum Positiven entwickelt hat, an Ihre Worte anzupassen — das wäre eine Katastrophenpolitik —, müssen Sie Ihre Worte an die Wirklichkeit anpassen, wie sie sich positiv unter dieser Regierung entwickelt hat. Dazu fordere ich Sie auf.Schönen Dank.
Herr Abgeordneter Dr. Friedmann, Sie haben ein Mitglied des Hauses „Demagoge" genannt. Ich rufe Sie zur Ordnung.Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP verlangen gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. —Meine Damen und Herren, wünscht noch ein Mitglied des Hauses seine Stimme abzugeben? — Letzter Aufruf: Wünscht noch ein Mitglied des Hauses, seine Stimme abzugeben? Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer auszuzählen.Meine Damen und Herren, das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksachen 10/4154 und 10/4180 — liegt vor. Von den vollstimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 414 ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 244, mit Nein 170 Mitglieder des Hauses gestimmt. Enthaltungen: keine.19 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 11 und mit Nein 8 Abgeordnete gestimmt. Enthaltungen: keine.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 414 und 19 Berliner Abgeordnete; davonja: 243 und 11 Berliner Abgeordnetenein: 171 und 8 Berliner AbgeordneteJaCDU/CSUDr. Abelein Frau Augustin Austermann Dr. Barzel BayhaDr. Becker BergerBiehleDr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Dr. Bötsch BohlBohlsenBorchertBraunBreuerBrollBrunnerBühler
Dr. BuglCarstens Carstensen (Nordstrand) ClemensDr. Czaja Dr. DanielsDawekeFrau DempwolfDeresDörflingerDossDr. DreggerEchternachEhrbarEigenEngelsbergerErhard
Eylmann
Dr. Faltlhauser FellnerFrau FischerFischer Francke (Hamburg) Dr. Friedmann FunkGanz Frau GeigerDr. GeißlerDr. von Geldern Gerlach GersteinGerster GlosDr. GöhnerDr. GötzGötzerGünthervon Hammerstein Hanz HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heeremanvon Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHerkenrathHinrichsHinskenHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. HüschJagodaDr. Jahn Dr. JenningerDr. JobstJung Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki KellerKiechleKlein
Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) Dr. KohlKolbKrausKreyKroll-SchlüterFrau Krone-Appuhn Dr. Kronenberg LamersDr. LammertLandréDr. LangnerLattmannDr. LaufsLenzerLink Link (Frankfurt) LinsmeierLintnerDr. LippoldLöherLohmann LouvenLowackMaaßFrau MännleMaginMarschewskiMetzDr. Meyer zu Bentrup Dr. MikatDr. Miltner MilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelFrau Pack PeschPfeffermann PfeiferDr. Pinger PöpplPohlmannDr. PohlmeierDr. Probst RaweReddemann RepnikDr. Riedl
Dr. RiesenhuberFrau Roitzsch
Dr. Rose Rossmanith Roth
RüheRufSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen)Dr. Schäuble ScharrenbroichSchartz Schemken ScheuSchlottmann SchmidbauerSchmitz
von SchmudeSchneider
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schwarz
Dr. SchwörerSeehofer SeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerDr. SprungDr. Stark
Dr. SterckenStockhausenDr. StoltenbergStommel StrubeStücklen StutzerSussetTillmann UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13283
Vizepräsident StücklenVogt
Dr. Voigt
Dr. WaffenschmidtDr. WaigelDr. WarnkeDr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeißWerner Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms WilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann Dr. WörnerWürzbachDr. WulffDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteFrau Berger BoroffkaBuschbom DolataFeilckeDr. Hackel Kittelmann Dr. h. c. LorenzSchulze StraßmeirFDPFrau Dr. AdamSchwaetzerBaumBeckmannCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardDr. Feldmann Gattermann Genscher GrünbeckFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. HirschKleinert KohnDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff MischnickMöllemann Neuhausen Paintner RonneburgerDr. Rumpf Schäfer
Frau Dr. SegallFrau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)Berliner Abgeordneter HoppeNeinSPDAmlingAntretter Dr. ApelBahrBambergBecker BernrathFrau Blunck BrandtBrückBuckpeschDr. von Bülow Catenhusen ConradiCorterierCurdtDaubertshäuser DelormeDreßlerDuveDr. Ehmke
Dr. Ehrenberg EickmeyerDr. EmmerlichDr. Enders EstersEwenFiebigFischer
Fischer
Frau Fuchs
Frau Fuchs GanselGerstl
GilgesGlombigGrunenberg Haase
HaehserHansen Frau Dr. Hartenstein Dr. HauchlerHauckHeistermann HettlingHiller
Dr. HoltzHornFrau Huber HuonkerIbrüggerImmer Jahn (Marburg)JansenDr. JensJungmann KiehmKirschner Kisslinger Klein
Dr. KlejdzinskiKolbowDr. Kübler Kühbacher Kuhlwein LambinusFrau Dr. Lepsius LiedtkeLohmann
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MatthöferMeininghaus MenzelMüller Müller (Schweinfurt) MünteferingNehmNeumann Dr. NöbelFrau OdendahlPaternaPauliDr. Penner Peter
PfuhlPorzner PoßPurpsRankerRapp
Frau RengerReschke ReuschenbachReuterRohde SanderSchäfer SchanzDr. ScheerSchlatterSchluckebierFrau Schmedt
Dr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (München) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeSchreinerSchröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna)Sielaff SielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. SperlingDr. SpöriStahl
Frau SteinhauerStiegler StocklebenDr. StruckFrau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau TraupeUrbaniakVahlbergVerheugenVoigt
VosenWaltematheWalther WeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphal Frau Weyel Dr. WieczorekWiefelvon der Wiesche Wimmer WischnewskiDr. de WithWolfram WürtzZanderZeitlerFrau ZuttBerliner AbgeordneteDr. Diederich HeimannLöfflerFrau LuukDr. Mitzscherling StobbeDr. VogelDIE GRÜNENAuhagenFrau BorgmannFrau DannFrau KellyKleinert LangeMannDr. Müller RuscheDr. SchierholzSchilySchulte SenfftSuhrTatgeVogel VolmerWerner Frau ZeitlerBerliner Abgeordneter StröbeleDamit ist der Einzelplan 04, Geschäftsbereich des Bundeskanzlers, angenommen.Ich rufe auf:Einzelplan 05Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksachen 10/4155, 10/4180 — Berichterstatter:Abgeordnete Dr. RoseHoppeWürtzSuhrHierzu liegen Änderungsanträge des Abgeordneten Suhr und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4300 bis 10/4302 vor.
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13284 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Vizepräsident StücklenMeine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 21/2 Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt .
Ich möchte mit einem versöhnlichen Wort beginnen.
Ich wünsche Herrn Rühe viel Erfolg bei der Durchsetzung seiner Haltung zur Polenpolitik in der Fraktion der CDU/CSU.
Wenn er zur psychologischen Absicherung dieser Politik der Polemik gegen die Vorschläge der SPD bedarf, habe ich dafür ein taktisches Verständnis, auch wenn ich sachlich damit nicht einverstanden bin. Aber ich nehme ihm nicht ab, daß er den Inhalt dieser Vorwürfe selber glaubt. Ich nehme auch an, daß er sich im Laufe der Jahre hier noch revidieren wird.
Genf bietet eine Chance — nicht mehr, nicht weniger — für einen Neuanfang in den Ost-WestBeziehungen.
Ich möchte hier ausdrücklich sagen: Damit diese Chance im deutschen und auch im europäischen Interesse optimal genutzt werden kann, bieten wir Sozialdemokraten der Bundesregierung unsere Zusammenarbeit an.
Wir wollen eine zweite Phase der Entspannungspolitik. Wir sind bereit, die Regierung zu unterstützen, wenn — wenn! — sie sinnvolle eigene entspannungs- und abrüstungspolitische Initiativen entwickelt. Ja wir fordern die Bundesregierung geradezu auf, endlich eigene abrüstungs- und entspannungspolitische Initiativen zu entwickeln.Im Gegensatz zu den Regierungsparteien gibt es hierfür konkrete Vorschläge der SPD. Dagegen polemisiert die CDU.
Aber sie ist zu eigenen Vorschlägen bisher außerstande. Die Vertreter der CDU/CSU werfen uns eine Nebenaußenpolitik vor.
Wir tragen diesen Vorwurf mit Gelassenheit. Er ist in Wirklichkeit ja eine indirekte Bestätigung für unseren Vorwurf, daß sich die Regierungsparteien zur Zeit mit den außenpolitischen Konzeptionen und Initiativen der SPD auseinandersetzen müssen,weil sie sich weder auf eine gemeinsame eigene Konzeption noch auf gemeinsame neue abrüstungs- und entspannungspolitische Initiativen innerhalb der Koalition einigen können.
Im deutschen Interesse muß diese Regierungskoalition ihren Zustand der Konfusion, den Franz Josef Strauß zu Recht beklagt hat, endlich überwinden.
Die Bundesrepublik Deutschland und die DDR liegen an der Grenze der beiden Bündnissysteme. Im Interesse des Friedens in Europa sollten die Regierungen der beiden deutschen Staaten innerhalb ihrer jeweiligen Bündnissysteme zum Vorreiter für eine zweite Phase der Entspannungspolitik werden. Wer sich zur Verantwortungsgemeinschaft bekennt, hat auch die politische Pflicht, zwischen den beiden deutschen Staaten entspannungspolitisch aktiv zu werden. Sonst bleibt das ganze Gerede von der Verantwortungsgemeinschaft eine hohle Phrase.Mehrere Jahre sind durch die abrüstungspolitische Untätigkeit dieser Bundesregierung verspielt worden.
Bundeskanzler Kohl versprach den Frieden mit immer weniger Waffen. Aber bisher hat er wirklich nichts getan, um der Beschleunigung des Wettrüstens Einhalt zu gebieten.
Zwei Jahre lang wurde überhaupt nicht verhandelt. Jetzt endlich wird wieder über ein Interimsabkommen geredet, das der Bundeskanzler in völliger Fehleinschätzung der damaligen Lage bereits vor zwei Jahren für damals versprochen hatte.
Damit es jetzt endlich zu diesem Abkommen kommt, darf die Bundesregierung nicht passiv bleiben und abwarten. Sie muß eigene Initiativen entwickeln, und zwar solche, die sich nicht nur auf das Thema der Mittelstreckenwaffen, sondern auch auf das Thema der Kurzstreckenwaffen beziehen, die als Ergebnis des NATO-Doppelbeschlusses und des Beginns der Stationierung neu stationiert worden sind. Für beides müssen in Genf zusammenhängende Vorschläge vorgelegt werden. Wenn wir das nicht tun, wer sollte es dann tun?Wer morgen die Spaltung Deutschlands und Europas überbrücken und überwinden will, muß heute für den Bau von Brücken zwischen Ost und West sorgen. Wir sind ein mittelgroßer Staat. Unser Einfluß ist begrenzt. Aber man kann diesen Einfluß zum Wohle der Deutschen nutzen oder verspielen. Die gegenwärtige Bundesregierung hat ihn nicht genutzt, sondern verspielt.Nach der Weltoffenheit von Willy Brandt und Helmut Schmidt ist es so, daß sich in der Bundesre-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13285
Voigt
publik unter Helmut Kohl ein immer größerer Provinzialismus ausgebreitet hat, auch in der Außenpolitik.
Zum Beispiel werden die Grundlagen der deutschpolnischen Beziehungen durch wahltaktische Rücksichtnahmen auf einige unbelehrbare Vertriebenenfunktionäre leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Beim Streit über eine Beteiligung am SDI-Programm werden langfristige Weichenstellungen für die künftige Militärstrategie des Westens und für die gesamten Ost-West-Beziehungen von koalitionsinternen Taktierereien und von der Einschätzung kurzfristiger Wirtschaftsinteressen einzelner deutscher Firmen abhängig gemacht.
Wir lehnen eine Beteiligung der Bundesregierung am SDI-Programm ab, und zwar gleichgültig, in welcher Form auch immer sie vorgeschlagen wird.
Wir sind gegen die Stationierung von Systemen der strategischen Verteidigung in Ost und West. Wir sind dagegen, daß ein Wettrüsten in Europa durch eine europäische Verteidigungsinitiative begonnen wird.
Wir wollen nämlich keine neue Rüstungsinitiative der europäischen Staaten, sondern wir wollen Abrüstungsinitiativen der europäischen Staaten.
Wir wollen auch nicht, daß in Europa durch die Hintertür die Träume von einigen in der CDU und frühere Träume von Alfred Dregger in Richtung auf eine europäische Atomstreitmacht realisiert werden, sondern wir wollen Schritte in Richtung auf eine europäische Friedensordnung.
Der bayerische Ministerpräsident und andere betätigen sich im Ausland immer stärker als Vertreter der deutschen Rüstungslobby. Das Risiko, daß unsere deutsche Politik dadurch in außereuropäische Konflikte hineingezogen wird, wird entweder nicht gesehen oder geleugnet. Das ist dumm oder naiv.Die Frage, ob wir durch unsere Rüstungsexporte, statt Frieden mit immer weniger Waffen zu schaffen, in Wirklichkeit zur Militarisierung der Dritten Welt beitragen, wird in dieser Regierungskoalition überhaupt nicht mehr gestellt. Wer aber die Rüstungswirtschaft in dieser Weise in ihrer Exportpolitik von allen bisher hemmenden Fesseln befreit, ist mitverantwortlich dafür, daß die Militarisierung des Denkens den Grundwert der Solidarität mit der Dritten Welt immer mehr in den Hintergrund drängt.
Wer im Unterschied zu uns Sozialdemokraten wie dieser Bundeskanzler und diese Bundesregierung
die direkte und indirekte wirtschaftliche und militärische Destabilisierung Nicaraguas durch die Vereinigten Staaten rechtfertigt, aber gleichzeitig mit uns zusammen die sowjetische Intervention in Afghanistan verurteilt, anprangert, der muß unglaubwürdig wirken, wenn er sich in Sonntagsreden gegen die Übertragung des Ost-West-Konflikts auf Länder der Dritten Welt ausspricht.
Wir Sozialdemokraten treten für das Selbstbestimmungsrecht aller Völker ein,
und zwar nicht nur dann, wenn es westlichen Interessen oder vermeintlichen westlichen Interessen dient.
Deshalb verteidigen wir — im Unterschied zur Regierungskoalition — das Selbstbestimmungsrecht kleiner Völker, etwa Nicaraguas, auch gegen unseren engsten Verbündeten, die Vereinigten Staaten.
Wer — wie die Bundesregierung — in seinem praktischen Handeln gegenüber der Dritten Welt immer wieder in machtpolitischen Zynismus verfällt, soll aufhören, in der Außenpolitik von der „geistig-moralischen Erneuerung" zu reden.Empörend ist die Nachsichtigkeit gegenüber der Politik der Republik Südafrika. Sie widerspricht den moralischen Verpflichtungen, die sich aus unserer eigenen rassistischen Vergangenheit ergeben. Es reicht nicht aus, abstrakt gegen das Apartheid-Regime zu sein, wenn man sich weigert, auch tatsächlich Druck auszuüben, damit dieses Regime abgeschafft wird.
Jeder Tag, den die weiße Minderheit länger am Apartheid-Regime festhält, wird dazu beitragen, daß ein friedliches Zusammenleben mehrerer Rassen unter schwarzer Führung gefährdet wird.
Wer jetzt den Druck auf die Republik Südafrikaund das Regime Botha verweigert, ist mitverantwortlich — nicht nur für die Leiden der schwarzen
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13286 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Voigt
Mehrheit heute, sondern auch für mögliche Leiden der weißen Minderheit später.Diese Bundesregierung ist in wichtigen Fragen der Außen-, Sicherheits- und Abrüstungspolitik nicht nur zerstritten, sondern auch handlungsunfähig.
Franz Josef Strauß spricht zu Recht von einer Bundesregierung der Konfusion. Derjenige, der in diesem Kabinett angeblich die Richtlinien der Politik bestimmt, gilt im Ausland nicht als Subjekt zahlreicher Ideen und Initiativen, sondern als Objekt zahlloser Witze.
Wer so zur internationalen Witzfigur geworden ist wie dieser Bundeskanzler, kann das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland nicht mehr mehren.
Herr Abgeordneter Voigt, für die Bezeichnung „Witzfigur" für den Bundeskanzler
erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.
Die Sache ist leider noch schlimmer als der Begriff!
Wir Sozialdemokraten wollen, daß das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland wieder so groß wird wie zu den Zeiten der Bundeskanzler Willy Brandt, Helmut Schmidt oder auch — ich scheue mich nicht, das zu sagen — Konrad Adenauer.
Herr Abgeordneter Voigt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horn?
Bitte, Herr Kollege Horn.
Herr Kollege Voigt, können Sie bestätigen, daß sogar Herr Worms, Parteifreund von Herrn Bundeskanzler Kohl, bei seinen Parteifreunden eingreifen mußte, damit sie endlich die Witze gegenüber dem Bundeskanzler unterlassen?
Es gibt zumindest eine gemeinsame Konzeption dieser Witze über Helmut Kohl, aber noch keine gemeinsame Konzeption für die Außen- und Sicherheitspolitik dieser Koalition.
Unser Konzept für eine Sicherheitspartnerschaft findet in Ost und West, auch und insbesondere bei den Kirchen, immer mehr Unterstützung. Nicht die Einführung neuer Waffentechnologien, seien sie defensiv oder offensiv, nicht das SDI-Konzept, sondern nur das politische Konzept der Sicherheitspartnerschaft, auf das sich jetzt zum erstenmal Vertreter aus Ost und West in diesem Papier, das wir mit den Vertretern der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei
vereinbart haben, geeinigt haben, ist es, das den Weg zur Überwindung des Systems wechselseitiger Abschreckung eröffnet.Zur Entmilitarisierung des Macht- und Systemkonflikts können Zonen verringerter Rüstung beitragen, wie wir sie sowohl in dem Papier, das wir mit führenden Vertretern Polens, als auch in dem Papier, das wir mit führenden Vertretern der DDR vereinbart haben, vorgeschlagen haben.
Diese Zonen verringerter Rüstung sind ein Beitrag zum Frieden mit immer weniger Waffen. Wir tun dafür etwas; andere reden nur davon.Wenn Parteien und Organisationen Vorschläge erarbeiten und Regierungen zum Handeln anregen, erfüllen sie damit ihre politische Pflicht. Wir werden damit fortfahren, denn es gibt in der Demokratie zwar ein außenpolitisches Exekutivmonopol der Bundesregierung, aber es gibt kein Monopol für Formulierungen und Ideen. Die Formulierung politischer Ideen und außenpolitischer Vorschläge ist nicht nur das Recht von Parlamentsfraktionen und Parteien, es ist ihre Pflicht.
Wenn die Bundesregierung hierzu nicht in der Lage ist, wenn die Koalitionsparteien hierzu nicht in der Lage sind, verabsäumen sie ihre Pflicht. Wenn die SPD in der Lage ist, in Vorbereitung ihres Regierungshandelns oder als Anregung für Ihr jetziges Regierungshandeln, Ihr Handeln in der jetzigen Regierungskoalition,
solche Vorschläge gemeinsam mit Politikern aus Osteuropa zu erarbeiten, so sollten Sie dies als Anregung, als Chance nutzen und nicht verteufeln. Sie werden in einigen Jahren froh sein, wenn Sie selber solche Vereinbarungen auf Regierungsebene zustande bringen oder wenn Sie in der Opposition solche neuen Ideen formulieren können. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist einTraumwunsch!)Wer den Mut hat zum Abbau von Feindbildern, zuSchritten zur Partnerschaft in der Sicherheit, der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13287
Voigt
muß auch den Mut zum Dialog, ja, zum Interessenausgleich mit osteuropäischen Gesprächspartnern haben.Solche Pilotprojekte im Ost-West-Verhältnis stellen ein neues Element unserer außenpolitischen Aktivitäten dar. Wir leugnen das nicht. Wir haben aber auch den Mut gehabt, neue Schritte zur Vorbereitung der ersten Phase der Entspannungspolitik zu gehen. Wir werden auch den Mut haben, durch solche Vorschläge konzeptionell den Weg für eine zweite Phase der Entspannungspolitik zu bereiten. Ich richte den Appell an Sie: Setzen Sie sich mit der Substanz dieser Vorschläge auseinander und polemisieren Sie nicht dagegen, daß man dort drüben mit Kommunisten spricht, denn Sie müssen auch mit Kommunisten drüben sprechen, wenn Sie zu Verträgen mit Partnern in Osteuropa kommen wollen.
In Wirklichkeit können solche Vorschläge, können solche Gespräche nur von denjenigen bekämpft werden, die träge, denkfaul und feige sind. Wir aber haben den Mut zu solchen neuen Wegen.Ich sage darüber hinaus: Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten nicht nur mit der DDR weiter über einen atomwaffenfreien Korridor sprechen, wir werden auch mit der Tschechoslowakei über Fragen der Ökologie sprechen, denn das be-führt uns auch unmittelbar, und wir werden mit den Ungarn über gesamteuropäische wirtschaftspolitische Fragen sprechen, denn das ist auch nicht nur eine Frage von Zusammenarbeit, sondern im weiteren Sinne auch von Sicherheit.
Ich bitte Sie, sich dann auch mit diesen Vorschlägen auseinanderzusetzen.Was zur Zeit passiert, ist, daß Sie gespannt auf das warten, was aus Washington kommt, während wir in der Bundesrepublik konkret das formulieren, was im deutschen und europäischen Interesse liegt.
Während Sie darauf warten, daß Gorbatschow und Reagan sich im deutschen Interesse einigen, entwickeln wir im deutschen und europäischen Interesse Vorschläge dafür, wie unsere Interessen wahrgenommen werden können im Dialog zwischen den beiden, aber auch im Dialog zwischen den kleineren und mittleren Staaten.Es ist schon beschämend, wenn Länder in Osteuropa, die einen außenpolitisch viel geringeren Handlungsspielraum haben als die Bundesregierung und die Bundesrepublik Deutschland, an die Bundesregierung appellieren, doch die Interessen und die Möglichkeiten und die Chancen der kleineren und mittleren Staaten nicht zu verspielen. Die Bundesregierung hat mehr Möglichkeiten als viele Staaten in Osteuropa, aber sie nutzt diese Möglichkeiten schlechter, als Staaten Osteuropas ihre geringeren Chancen und Möglichkeiten nutzen. Das ist ein Armutszeugnis für diese Außenpolitik.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stercken.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als mich mein väterlicher Freund Felix von Eckardt in die Außenpolitik einführte, gab er mir den Rat, nie Außenpolitik als einen besonders geeigneten Gegenstand für innenpolitische Profilierungen zu machen.
Verehrter Herr Kollege Voigt, ich habe es in Krakau als besonders eindrucksvoll empfunden, daß die neun Kollegen des Deutschen Bundestages, die dort auftraten, dies unter solchen Vorzeichen geleistet haben. Sie haben nämlich nicht versucht, die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland einer Kontroverse zu unterwerfen.Wenn die Form der Darstellung, die Sie gerade gewählt haben und auf die sicherlich auch noch einige meiner Kollegen eingehen wollen, darauf ausgerichtet wäre, der Bundesrepublik, der Bundesregierung bessere Ratschläge zu erteilen, mit uns um Gedanken zu ringen, die ich gleich zum Thema Außenpolitik zu formulieren versuche, dann, meine ich, würden wir der Aufgabe gerecht, die durch das Wort „Parlamentarier" qualifiziert wird. Das sind nämlich für mich und in der Verantwortung, in der ich mich fühle, Menschen, die miteinander sprechen und die nicht mit Dachlatten aufeinander einschlagen.
Meine Damen und Herren, das Haushaltsgesetz ist auch das Schicksalsbuch der deutschen Außenpolitik. Die Wünsche der Bundesregierung nach Mitteln für Personal- und Sachausgaben sind geprüft worden; über sie soll heute entschieden werden.Wirkungsmöglichkeiten und Lebensverhältnisse des auswärtigen Dienstes sind in den Sitzungen der beteiligten Ausschüsse einer eingehenden Prüfung unterzogen worden. Einige Verbesserungen konnten für das nächste Rechnungsjahr erreicht werden. Viele Wünsche bleiben bestehen, um in kommenden Haushalten den personellen, arbeitstechnischen und repräsentativen Maßstab vergleichbarer Länder zu erreichen. Es geht nicht darum, Privilegien auszuhandeln; unsere parlamentarische Entscheidung zieht Konsequenzen aus dem Auftrag, deutsche Interessen zu vertreten. Die Kolleginnen und Kollegen, die Verantwortung im Bereich der Außenpolitik tragen, sind den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, insbesondere den Berichterstattern für das Verständnis dankbar, das sie den parlamentarischen Initiativen entgegengebracht haben.Dr. SterckenWir sollten in diesem Augenblick nicht vergessen, daß uns der Einsatz von Werner Marx eine Verpflichtung bleiben wird.
Wenn auch Grenzen des Machbaren erkennbar sind, so hängt doch auch das, was in kommenden Haushalten zu tun ist, nicht von der Kassenlage des Bundes allein ab. Wir werden dies mit Augenmaß und Entschiedenheit weiterzuentwickeln haben.Mit dieser Absicht ist allerdings der Wunsch verbunden, daß die deutschen Interessen im Ausland mit einem höheren Maß an Zusammenarbeit der vor Ort wirkenden Ressorts und freier Träger vertreten werden sollten. Die Unabhängigkeit des Denkens fördert gewiß Kreativität und Originalität solcher Beiträge. Dennoch muß dies alles der Zweckbestimmung des Haushalts unterworfen bleiben, aus dem es ja auch insgesamt finanziert wird. Der sorgsame Umgang mit den Mitteln des Steuerzahlers und das Bemühen um eine erfolgreiche Arbeit verlangen Zusammenarbeit vor Ort. Dies gilt für die von anderen Ressorts als dem Auswärtigen Amt entsandten Kräfte wie für die Mittlerorganisationen im Bereich der Kultur, der wirtschaftlichen und der politischen Zusammenarbeit.
Es muß verlangt werden, daß alle Dienst leisten, auswärtigen Dienst. Der Botschafter vertritt den Bundespräsidenten und damit den deutschen Souverän. Ich meine, dies sollte so respektiert werden und auch vor Ort zum Ausdruck kommen.Die Chancen zur Vertretung politischer, wirtschaftlicher und kultureller Interessen haben sich für unser Land — daran kommt, glaube ich, keiner vorbei— deutlich verbessert. Darin kommt, wie ich es sehe, ein hohes Maß an Vertrauen in den deutschen Beitrag zur Sicherung des Friedens und der Menschenrechte zum Ausdruck. Wir haben diese Beachtung und Achtung durch uns ere Mitwirkung in der Europäischen Gemeinschaft und in der atlantischen Allianz erreicht. Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit sind unser größtes Kapital. Solche Voraussetzungen zu ändern kann daher nur unseren konstruktiven Beitrag schmälern.Der beste Exportartikel, über den wir verfügen, sind unsere europäischen Überzeugungen. Nur wenn sich rivalisierende Mächte zur Integration entschließen, lassen sich viele regionale Konflikte entschärfen, die heute noch einem anachronistischen Denken entspringen. Die Bundesrepublik Deutschland und die Europäischen Gemeinschaften sollten prüfen, ob sich die den ASEAN-Staaten und der Contadora-Gruppe zuteil gewordenen Ermunterungen nicht auch in anderen Regionen dieser Welt nutzbringend einsetzen ließen.Das Ansehen unserer Republik hat sich auch dadurch gefestigt, daß die deutsche Wirtschaft nicht nur den größten Export an Waren leistet, den es je in der deutschen Geschichte gegeben hat, sondern sie hat auch in Zusammenwirkung mit der deutschen Forschung ein vorbildliches Maß an Technologietransfer ermöglicht. Wir wissen, daß entwikkelte Staaten bessere Handelspartner sind. Wer sich allein auf Export beschränkt, wird schon bald das Nachsehen haben.Die Kollegen aus allen Fraktionen, die mit einer Delegation des Auswärtigen Ausschusses kürzlich in China waren, haben davon ein beredtes Beispiel miterleben dürfen, als nämlich die Chinesen kurz nach unserer Abreise den Import ausländischer Automobile untersagt haben und damit in China im Bereich der Automobilindustrie nur diejenigen weiterhin begünstigt bleiben, die rechtzeitig einen Transfer von Technologie geleistet haben. Das ist glücklicherweise, wie Sie wissen, das Unternehmen Volkswagen. Damit sind, glaube ich, sehr wesentliche Interessen, die nicht ohne ihren politischen Kontext bewertet werden können, gewahrt.Gerade die rasante Entwicklung technologischer Innovationen sollte dem Deutschen Bundestag häufiger Veranlassung geben, im Rahmen seiner Verantwortung an der weiteren Entwicklung mitzuwirken. Es wäre verhängnisvoll, wenn zu den politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Spannungen in dieser Welt auch noch technologische hinzutreten würden.Wir haben auch die künftige Rolle der Technologie in den West-Ost-Beziehungen zu bedenken. Nicht die normative Kraft des Faktischen, sondern unser Wille muß hier entscheiden.Wer sich in dieser Welt Wohlstand reserviert und ihn noch ausbaut, der übernimmt auch Verantwortung für die Solidargemeinschaft dieser Erde. Dies ist keine beiläufige Phrase. Dies entspricht der rechtzeitigen Erkenntnis, daß unsere Außenpolitik sich alsbald schon dem sich immer mehr über die West-Ost-Politik lagernden Nord-Süd-Gefälle zuwenden wird. Es wäre doch für uns alle eine Erlösung, denke ich, wenn sich aus dem in Genf demonstrierten Friedenswillen konkrete Abrüstungsmaßnahmen ergeben würden, die Mittel für die Entwicklung dieser Welt freimachen würden. Als Folge hätten Diplomatie und Wirtschaft ihre Zusammenarbeit weiter auszubauen. Vornehme Zurückhaltung scheint mir auf diesem Gebiet nicht angebracht. Wir schulden dies gewiß auch dem deutschen Arbeitnehmer.Doch die Wahrnehmung deutscher Interessen im Ausland in den klassischen Bereichen von Politik, Wirtschaft und Kultur ist nicht allein der Exekutive anvertraut. Die Auslandskontakte der Legislative finden im Haushalt des Deutschen Bundestages eine breite Berücksichtigung. Davon haben wir in diesem Hause bislang wenig gesprochen, weil das Reisen der Deputierten immer wieder der Kritik unterworfen ist. Ich möchte daher diese Debatte nutzen, um in Erinnerung zu rufen, daß sich der Auftrag des Souveräns auch auf die Außenpolitik erstreckt, so daß der Parlamentarier unmittelbar auf außenpolitische Prozesse einwirken soll, kann, muß. — Dies gibt mir übrigens Gelegenheit, Bundesminister Genscher stellvertretend für die Aufnahme und Betreuung zu danken, die uns durch die
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Dr. SterckenAngehörigen des auswärtigen Dienstes in aller Welt zuteil wird.
Ich habe den Eindruck, daß insbesondere vor Ort der Beitrag verstanden und gewertet wird, der durch diese besondere Art der Kontaktpflege und des Austauschs politischer Überzeugungen geleistet wird. In diesem Sinne verdient sicher die kürzliche Reise einer Delegation des Auswärtigen Ausschusses in die Volksrepublik China Erwähnung. Sinn dieser Reise war es, die ersten parlamentarischen Kontakte zwischen beiden Ländern herzustellen. Wir werden diese Gespräche fortsetzen und fühlen uns dazu durch den Verlauf der Gespräche ausdrücklich ermutigt.Am letzten Sonntag endete in Krakau das vierte deutsch-polnische Forum, an dem neun Abgeordnete dieses Hauses teilgenommen haben. Die Breite und Vielseitigkeit dieser Gespräche war derartig weit gefächert, daß dies nur als ein konstruktiver Beitrag gewertet werden kann, die fünf Jahre auf dieser Ebene unterbrochenen Kontakte wiederherzustellen. Ich sage dies auch, Herr Kollege Voigt, an Ihre Adresse gerichtet, weil Sie einmal. mehr den Versuch unternehmen, unseren Kollegen Rühe hier in einen Gegensatz zu den Kollegen zu stellen, die auf anderen Plätzen Verantwortung im Bereich der Außenpolitik tragen.
Ich möchte dies, an Ihre Adresse gerichtet, für mich — jeder kann dies für sich leisten — ausdrücklich betonen, daß die von ihm wo immer vorgetragenen Auffassungen mit meinen Auffassungen identisch sind.
Wir sollten deshalb diese sensible Materie nicht dazu nutzen. Sie schmälert den Erfolg, den dieses Haus in seiner Versöhnung mit Polen leisten kann.
Das ist genau das, Herr Kollege Voigt, was ich Ihnen zum Eingang gesagt habe, wo durch ein solches Mißtrauen am Ende nichts anderes bewirkt wird, als daß Schaden der deutschen Außenpolitik zugefügt wird,
wenn man Gegensätze konstruiert, die in dieser Form nicht bestehen.
Diese Beiträge, meine ich, müssen sich positiv auf die Meinungsbildung im Bereich legislativer Verantwortung auswirken, und sie haben dies nach meiner Überzeugung auch getan.Dank der Hilfe aller Mitglieder der deutschen IPU-Delegation gelang es kürzlich auf der Herbsttagung der Interparlamentarischen Union, zum erstenmal einen Deutschen zum Präsidenten zu wählen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, um Ihre Unterstützung:
Drei Jahre lang kann durch unsere Verantwortung in diesem Parlament der Parlamente ein gewichtiger Beitrag zur Verständigung in der Welt geleistet werden. Es liegt an unserem Einsatz, an unserer Phantasie, ob wir diese Chance in den nächsten drei Jahren ausschöpfen.
Ähnliches gilt für die Unterstützung unserer Kollegen im Europäischen Parlament. Die Bereitschaft der Bundesregierung, sich auf dem bevorstehenden Gipfel in Luxemburg für die Sicherung und Erweiterung der Rechte dieses Parlaments einzusetzen, verdient unser aller Unterstützung.Ich möchte auch an den Beitrag der Vertreter dieses Hauses in der Beratenden Versammlung des Europarates sowie in den parlamentarischen Versammlungen der Nordatlantischen Gemeinschaft und der Westeuropäischen Union erinnern.Wir werden als Parlamentarier für unser Land um so mehr bewirken, je weniger wir im Ausland eine Bühne für unsere innenpolitischen Konflikte aufbauen. Die Verfassung überantwortet den einzelnen Abgeordneten seinem Gewissen, weist aber die Zuständigkeit für die Außenpolitik des Landes der von der Mehrheit dieses Hauses getragenen Bundesregierung zu. Alle Versuche, dies zu unterlaufen, sind bis auf den heutigen Tag — dies sage ich als Historiker — fehlgeschlagen. Man kann davon nur abraten.
Was der Erkenntnis unserer außenpolitischen Interessen gut bekommen würde, Herr Bundesminister, wäre eine bessere Öffentlichkeitsarbeit im Inland. Vielen Bürgern ist der Zugang zu dieser wichtigen Aufgabenstellung verstellt.
Für sie ist das alles zu abstrakt, zu wenig erreichbar.Wenn es richtig ist, daß die Welt weiter schrumpfen wird und daß wir mehr Verständnis für solche Verantwortlichkeiten brauchen, dann muß dafür mehr getan werden. Ich meine damit nicht allein die Verbreitung von Reden, Dokumenten, Kommuniqués. Die Aufgabenstellung als solche muß deutlicher erkannt werden. Wenn nämlich die wichtigsten Aufgaben der Außenpolitik darin bestehen, den Frieden zu erhalten und die Rechte der Menschen zu sichern, dann muß deutlich werden, daß dies die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutsch-
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Dr. Sterckenland leistet, daß der Deutsche Bundestag in diesem Sinne die größte Friedensbewegung ist, über die unsere Bürger verfügen. Sie haben sie zudem auch zu diesem Zweck gewählt.
Dies sind Gedanken, die mich angesichts dieses Haushalts des Auswärtigen Amtes bewegen.Die Zustimmung meiner Fraktion gilt der Arbeit, die sich hinter den Zahlen verbirgt. Diese hätte eigentlich unser aller Einverständnis verdient.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Borgmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Probleme der 80er Jahre sind häufig auf der Ebene einzelner Staaten nicht mehr zu lösen, sondern nur im internationalen Rahmen zu bewältigen.
Das Nord-Süd-Gefälle, die Rüstungsspirale, die Entwicklung von Freiheit und Menschenrechten sind heute globale Probleme. Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung sind grenzenlos. Windrichtungen und Strömungen des Meeres machen an nationalen Grenzen nicht halt, ebensowenig wie die Profitgier multinationaler Konzerne.
Daher ist eine zielgerichtete und diese Notwendigkeiten berücksichtigende Außenpolitik für unser Land eine existentielle Notwendigkeit.Die Außenpolitik der Bundesregierung wird dieser Anforderung nicht im entferntesten gerecht. Sie ist alles andere als in sich geschlossen und verfügt über kein stimmiges Konzept.
Statt langfristig zielorientiert zu sein, läuft die Bundesregierung taktischen Vorteilen hinterher und verfängt sich in der Wirrnis ihrer eigenen widersprüchlichen ideologischen Fallstricke. Für ein Land wie die Bundesrepublik stellt eine solche Außenpolitik ein offenes Sicherheitsrisiko dar. Ich erinnere daran: Hier lagern zur Zeit etwa 6 000 nukleare Sprengköpfe aller Art, nicht nur Pershings und Cruise Missiles, sondern beispielsweise auch nukleare Artilleriemunition, Atomminen und Rucksackbomben sowie 4 000 Tonnen chemischer Waffen. Die Bundesregierung beteiligt sich an riskanten Aufrüstungen und weigert sich, der abenteuerlichen Politik der Reagan-Regierung entgegenzutreten.
Was heute not tut, ist eine Wende in der Außenpolitik: weg von der ideologischen Kumpanei mit der US-Regierung hin zu einer Politik aktiver Friedenssicherung, die weitreichende Entspannungsinitiativen und tasächliche Abrüstung zu ihrem Hauptanliegen macht.Sehen wir uns einige Glanzpunkte konservativer Außenpolitik näher an: Am 22. Oktober 1985 erschien in der „Washington Post" ein Artikel unter der Überschrift: „Kohl sorgt sich um sein Image". Dieser Artikel beschreibt die peinliche Art, in der sich unser Bundeskanzler bei seinem UNO-Besuch in New York Präsident Reagan aufzudrängen versuchte. Zitat:Bonn hat viel von seinem früheren Einfluß auf politische und diplomatische Kontakte zwischen Washington und Moskau verloren, seit Kohl vor drei Jahren sein Amt angetreten hat.Es ist davon die Rede, daß sich in der US-Regierung das „Vertrauen in Kohls Urteilsfähigkeit vermindert" habe und „ein Vakuum der Bonner Staatskunst" zu verzeichnen sei.
Schönrednerei ersetzt eben keine solide Politik, und für den Verzicht auf den aufrechten Gang erntet der Herr Bundeskanzler den Spott nicht nur hier bei uns zu Hause, sondern sogar auch in Washington. Diese Einschätzung ist um so bemerkenswerter, als sie gerade von den Gesinnungsgenossen kommt, denen die Kohl-Mannschaft so unermüdlich hinterherdackelt.
Die bei uns stationierten Erstschlagwaffen schaffen Unsicherheit und Bedrohung nicht nur für unsere Nachbarn, sondern auch für uns selbst.
Als ein erster Schritt zu umfassender Abrüstung müssen daher die destabilisierendsten Waffen sofort abgezogen werden: die Pershings und die Cruise Missiles.
Auch die Lagerung alter und die mögliche Stationierung neuer chemischer Waffen auf dem Boden der Bundesrepublik liegen eindeutig nicht im Interesse der Menschen in unserem Lande.
Die Bundesregierung hat auch hier versagt und keine Abrüstungsinitiativen ergriffen oder unterstützt, die etwa zur Einrichtung einer chemiewaffenfreien Zone in Mitteleuropa führen würden. Die Bundesregierung hat sich nicht einmal gegen die neuen chemischen Waffen ausgesprochen, die die USA ab nächstes Jahr produzieren wollen.Zugleich ist es Grundbedingung für jede Friedenspolitik, die Aufrüstung im Weltraum zu verhindern. Auch hier vertritt die Regierung nicht unsere Interessen: Aus Vasallentreue in Verbindung mit wirtschaftlicher Gier — anders kann man es nicht sagen —
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will sie sich sogar am Weltraumrüstungsprogramm SDI beteiligen, wobei sie sich erneut monatelange koalitionsinterne Grabenkämpfe lieferte.Immer wichtiger für eine umfassende Friedenspoltitik wird die Dritte Welt. Eine Kernfrage ist inzwischen die Lösung der sogenannten Schuldenkrise der Entwicklungsländer. Die westlichen Großbanken und der Internationale Währungsfonds wollen die Schuldenrückzahlung erzwingen, allenfalls zeitlich strecken. In vielen Ländern führen die entsprechenden aufgezwungenen Programme zu Verelendung und Hungerkatastrophen.
Die zukünftige Entwicklung jener Länder wird durch die Schuldenfalle zerstört. Die Profite unserer Banken werden durch die Ausplünderung gerade der Ärmsten der Armen in den Entwicklungsländern gesichert. Der Hunger in der Dritten Welt wird so verschärft oder erst hervorgebracht.
So wird die finanztechnische Schuldenkrise zu einer sozialen Katastrophe. Die Bundesregierung steht in diesem Konflikt — wie üblich — auf der Seite der ohnehin Mächtigen in diesen Ländern.
Ein ähnliches Beispiel dafür ist die Rüstungsexportpolitik der Regierung. Statt ihren feierlichen Erklärungen zu Armut und Hunger in der Welt Taten folgen zu lassen, forciert die Regierung unter fadenscheinigen wirtschaftspolitischen Vorwänden die bundesdeutschen Rüstungsexporte in die Dritte Welt. Nicht einmal den Export von Polizeihubschraubern nach Südafrika konnte die Regierung unterbinden. Die Bundesrepublik ist heute der drittgrößte Exporteur von Rüstungsgütern in Länder der Dritten Welt.
Nicht besser sieht es aus, wenn man die wichtigen regionalen Konfliktherde in der Dritten Welt betrachtet. In Südafrika steht eine immer blutigere Konfrontation bevor. Die Bundesregierung weigert sich nach wie vor, ernsthafte Maßnahmen zu ergreifen, die in Übereinstimmung mit einer internationalen Politik des Drucks und der Isolierung des Rassistenregimes einen Beitrag zur Bekämpfung des Apartheidssystems leisten würden. Viele Länder, auch die Vereinigten Staaten, haben in den letzten Monaten Boykottmaßnahmen gegen Südafrika ergriffen, wie es die Befreiungsbewegungen fordern. Die Bundesregierung aber gibt dem südafrikanischen Regime nach wie vor direkt Rückendeckung und richtet so ungeheuren außenpolitischen Schaden an. Gerade unsere Regierung hätte die Verpflichtung, sich an die Spitze des Kampfs gegen Rassismus zu stellen.
In Mittelamerika ist die Bundesregierung nicht ohne die üblichen internen Querelen inzwischen völlig auf die Linie Washingtons eingeschwenkt. Die Tatsachen spielen dabei keine Rolle. Gesinnung und Ideologie sowie Bündnisopportunität sind auch hier die Bestimmungsfaktoren. Sosehr sich die Bundesregierung immer wieder dabei gefällt, Fensterreden gegen den Terrorismus und gegen die Gewalt in der Politik zu halten, so sehr warten wir noch immer auf eine eindeutige und unmißverständliche Verurteilung der von der US-Regierung betriebenen Contra-Kriegsführung gegen Nicaragua. Staatlicher Terror ist wohl, wenn er von Verbündeten kommt, ein legitimes Mittel der Politik. Auch der französische Terroranschlag auf das Greenpeace-Schiff scheint die Bundesregierung nicht sonderlich interessiert zu haben. Hier entpuppt sich die sogenannte „geistig-moralische Wende" als Steigerung staatlicher Heuchelei ins Bodenlose.
Fassen wir die Bilanz der Kohl-Genscherschen Außenpolitik zusammen:
— Hören Sie doch zu!
Erstens. Diese Regierung biedert sich auf peinlichste Weise der Reagan-Administration an.
Diese Politik ist sowohl unwürdig als auch erfolglos.Zweitens. Diese Regierung unterstützt und betreibt selber eine Politik der aggressiven Aufrüstung — entgegen ihrem Reden vom Bemühen um immer weniger Waffen.
Diese aggressive Aufrüstung, die die Stationierung von atomaren Erstschlagwaffen und die Militarisierung des Weltraums einbezieht, lehnen wir ab. Dadurch wird jedes Bekenntnis zur Friedenspolitik von seiten der Bundesregierung zur reinen Phrase.
Drittens. Die Westeuropapolitik ist eher von großen Worten als von Erfolgen gekennzeichnet. Es existieren keine einheitliche Linie und kein politisches Konzept.Viertens. Die Osteuropapolitik ist weitgehend dadurch gelähmt, daß die Bundesregierung sich mit den Kräften verbündet, die den Traum vom deutschen Osten immer noch nicht ausgeträumt haben.
Fünftens. Die Politik gegenüber der Dritten Welt ist von Verständnislosigkeit und blinder Ideologie geprägt. Marktwirtschaftlicher Wunderglaube und Sicherheitsfetischismus feiern im Entwicklungshil-
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Frau Borgmannfeministerium wahre Orgien. Die Menschen der Dritten Welt werden die Zeche zu zahlen haben.Sechstens. Sowohl was die Frage des internationalen Terrorismus als auch was die Menschenrechte angeht — und hierbei handelt es sich nur um zwei Beispiele —, basiert die Rhetorik der Bundesregierung auf bloßer Heuchelei. Maßstäbe werden gebogen und manipuliert, bis sich selbst blutigste Regime propagandistisch als keimende Demokratien darstellen lassen — falls sie nur westlich ausgerichtet sind.Siebtens. Die Außenpolitik der Regierung ist in einem höchst desolaten Zustand. Dies ist nicht dem Apparat des Auswärtigen Amts anzulasten, sondern dem inneren Zustand der Koalition, die Angst vor rot-grünem Chaos zu haben vorgibt, aber ein unglaubliches schwarzes Chaos produziert.
Es gibt zahlreiche Unter-, Über- und Nebenaußenminister, die in München oder im Kanzleramt beheimatet sind und selbst einfache Probleme noch zu verwirren verstehen.
Die Tatsache, daß diese Bundesregierung eine Politik macht, die vor allem im Dienst der Großindustrie steht, können wir niemals akzeptieren.
Es sollte die Aufgabe einer Regierung sein, die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten.
Die gegenwärtige Bundesregierung verrät diese Interessen zugunsten der wirtschaftlich Mächtigen in der Innen- und in der Außenpolitik.
Wir brauchen eine Alternative links von der CDU. Pershing II und SDI sind dafür ein Testfall für uns.
Wenn eine Partei bereit ist, mit uns die Entfernung der Pershings und Cruise Missiles aus der Bundesrepublik durchzusetzen und die Militarisierung des Weltraumes zu bekämpfen, dann wird eine Zusammenarbeit denkbar; dann wird mit dem Regierungswechsel auch ein Wechsel in der Außenpolitik endlich möglich.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Beim aufmerksamen Zuhören Ihres Beitrags, Herr Kollege Voigt, und Ihres Beitrags, Frau KolleginBorgmann, habe ich es eigentlich bedauert, daß die Öffentlichkeit so wenig Gelegenheit hat, uns auch einmal zu erleben, wenn wir im Auswärtigen Ausschuß zwar strittig, aber doch anders miteinander debattieren;
denn wenn man immer nur die Reden hier hört, ergibt das ein falsches Bild von dem, was wir im Hohen Hause auch miteinander leisten.Ich möchte in der kurzen Redezeit, die mir zur Verfügung steht, drei grundsätzliche Feststellungen für meine Fraktion treffen und dann, wenn ich noch Zeit habe, drei haushaltsorientierte Anmerkungen — wir sollen j a über den Haushalt des Auswärtigen Amtes debattieren — machen. Die erste Feststellung ist — ich glaube, darauf können wir uns alle einigen —, daß wir am Ende des Jahres 1985 wirklich hoffnungsvoller in eine friedliche Zukunft blikken können als zu Beginn dieses Jahres.
— Doch, davon bin ich wirklich fest überzeugt. Ich habe die Nachkriegszeit mit großem Bewußtsein erlebt, Herr Kollege Ströbele. Wenn ich an den Beginn dieses Jahres denke, an die damals herrschende Hoffnungslosigkeit hinsichtlich einer Begegnung der verantwortlichen Staatsmänner der Supermächte, muß ich sagen, daß wir immerhin einen Schritt weitergekommen sind. Dafür schulden wir diesen beiden Staatsmännern Respekt und Dank. Wir schulden Respekt und Dank auch allen Regierungen, die an dem Zustandekommen dieser Begegnung beteiligt waren. In diesen Dank ist unsere eigene Regierung natürlich besonders eingeschlossen.
Ich möchte aber auch sagen — ich finde es wichtig, das zum Ausdruck zu bringen —: Wir schulden auch den ungezählten Bürgern in West und Ost Dank, die durch die unvorstellbare friedenspolitische Initiative über Jahre hinweg zur Bewußtseinsbildung und zur Schärfung der Weltverantwortung doch einen ganz entscheidenden Beitrag geleistet haben.
Ich glaube, daß gerade dieses Bewußtsein in der Öffentlichkeit dazu beigetragen hat, daß wir Politiker differenzierter denken und argumentieren.
— Ich danke Ihnen, Herr Kollege; denn ich glaube, wir sollten so etwas auch voneinander lernen und uns diesen Lernprozeß auch gegenseitig zugestehen.Menschen, die beginnen, die aus Angst vor dem Gegner geballte Faust zu öffnen und sie statt dessen diesem Gegner entgegenstrecken, symbolisieren für mich den ersten, entscheidenden Schritt, gegenseitiges Vertrauen zu investieren, zumindest die Bereitschaft dazu. So ist es ja in Genf geschehen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13293
Frau Dr. Hamm-BrücherIch glaube, Herr Kollege Voigt, es ist doch ein bißchen mehr als nur eine Chance. Ich erinnere an unsere eigene Geschichte der 20er Jahre. Was persönliches Vertrauen als eine Voraussetzung für einen Schritt aus scheinbar politischer Ausweglosigkeit bedeutet, haben wir fast auf den Tag genau vor 60 Jahren erlebt; denn auch der Vertrag von Locarno, der übrigens am 27. November 1925 mit den Stimmen der Demokraten und der Sozialdemokraten und gegen den wütenden Widerstand der Deutschnationalen angenommen wurde, wäre ohne die ausgestreckten Hände von Gustav Stresemann und Aristide Briand gar nicht möglich gewesen,
d. h. er wäre nicht zustande gekommen.Heute ist uns die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich selbstverständlich. Damals ist sie leider nur eine Episode geblieben. Die Unvernunft und die Uneinsichtigkeit in vielen politischen Lagern in Deutschland, aber auch in Frankreich haben zum Zweiten Weltkrieg geführt. Das ist meine zweite Feststellung: Deshalb darf Genf nicht vergeblich sein, deshalb darf es nicht zu einer einmaligen Episode schrumpfen. Wir müssen aus der Geschichte Europas, aus der mit Blut und Tränen gepflügten Geschichte Europas lernen. Deshalb werden die Folgen und Wirkungen des Genfer Gipfels die Leitlinie für alle kommenden außenpolitischen Schritte und Entscheidungen sein müssen. Ich will das ganz besonders unterstreichen. Die Bundesrepublik kann hierzu sehr viel beitragen, Herr Kollege Voigt. Ich komme nachher noch einmal auf Ihren vorhin besonders herausgestrichenen Beitrag zurück. Die Bundesrepublik Deutschland kann bei den Bemühungen um die Fortsetzung des Helsinki-Prozesses, im deutsch-deutschen Verhältnis, in der Konferenz für Vertrauensbildung und Abrüstung, bei den MBFR-Verhandlungen, in allen bilateralen Kontakten in Zukunft versuchen, diese Ansätze von Genf behutsam durch weitere Vertrauensbildung zu entwickeln. Ich meine — und ich darf das für viele meiner Fraktionskollegen sagen —, daß auch die Frage, ob und wie eine Beteiligung deutscher Firmen und Forschungskapazitäten an der Entwicklung einer defensiven Weltraumverteidigung — Weltraumwaffen sollen ja gar nicht entwickelt werden — gewährleistet werden kann, auch nach Genf einer Überlegungspause und vielleicht auch einer Konsultationspause bedarf. Zumindest — und hier sollten sich alle Kollegen einig sein, denn das liegt in unserem Selbstverständnis — dürften keine Entscheidungen getroffen werden, darf kein Fait accompli geschaffen werden, bevor wir am 9. und 10. Dezember das Anhörungsverfahren zu SDI durchgeführt haben. Denn, meine Damen und Herren, stellen Sie sich einmal ein anderes westliches Land vor, in dem ohne eine Beteiligung des Parlaments, ohne die bestmögliche Information derer, die die Verantwortung tragen, solche Entscheidungen gefällt werden.
So interpretiere ich übrigens auch die Beschlüssemeiner Fraktion. Alle Kollegen — ich glaube, wirsind uns da ja einig — sollten heute hier hinausgehen und sagen: Es gibt keine Entscheidungen, bevor diese Anhörung bei uns gelaufen ist. Wir würden uns sonst j a selber lächerlich machen.
Eine dritte Feststellung. Jetzt werden Sie Ihren Beifall schnell einstellen, Herr Kollege Voigt. Ich darf für meine Fraktion sagen, daß die deutsche Außenpolitik gut ist, daß sie sehr gut ist und daß sie nach Genf voll gerechtfertigt und bestätigt worden ist.
— Ich gebe zu, daß dies für die Opposition — das ging uns j a auch nicht anders — das Geschäft erschwert. Sie sagen, Herr Voigt — ich fand den Vorwurf eigentlich nicht gerecht; vielleicht waren Sie auch uninformiert gegenüber dem Außenminister —: Immer, wenn ich nach Herrn Genscher fahnde, ist er auf irgendeinem Besuch in einem kleineren osteuropäischen Land. Das tut er pausenlos und er hat über die Zeiten der Durststrecke gerade diese Beziehung gepflegt.
— Das gehört ja nun einmal dazu. Wenn Sie das fordern und er tut es, sollten Sie das anerkennen und nicht behaupten, er tue es nicht. Das finde ich nicht ganz richtig.
Aber nun halten Sie sich Ihre Gespräche zugute, die übrigens wichtig sind, und die oft von der Opposition auch unbefangener geführt werden können als von Regierungsparteien. Aber ich finde die Art, wie Sie die Ergebnisse Ihrer Gespräche zu Verträgen und offiziellen Erklärungen hochstilisieren, doch ein bißchen zu hoch gegriffen, wenn ich das hier einmal sagen darf.
Und wenn Sie von einem Pilotprojekt sprechen, Herr Kollege Voigt — habe ich das vorhin richtig verstanden? —, dann müssen Sie doch einmal vergleichen, was bei Ihren Gesprächen vereinbart worden ist und was in Genf hinsichtlich dessen vereinbart worden ist, was eingeleitet werden soll. Dann hinken Sie der Entwicklung eher hinterher, als daß es ein besonderes Pilotprojekt wäre.
— Ja, das müssen Sie einmal tun. Es mag ja ein Witz sein. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht. Herr Genscher wird das vielleicht bei seinen Notizen haben. Er wird sicherlich nachher aufzählen, was alles angefangen werden soll. Das betrifft auch die wichtigen Fragen: Wie halten wir es mit den Mittelstreckenraketen in Europa? Wie reduzieren wir sie? Wie kommen wir auf ein niedrigeres Niveau?
— Na gut. Aber das ist in Genf doch wenigstens in Ansätzen vereinbart worden.
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Frau Dr. Hamm-BrücherWas soll es denn eigentlich bezwecken, wenn man so etwas „Verträge" nennt? Ich finde, auch der Ausdruck „Nebenaußenpolitik", mit dem wir das hier belegen, ist doch viel zu hoch gegriffen. Ich meine, Sie sollten dieser Versuchung widerstehen; denn, liebe Kollegen, auch Sie haben ein Ansehen zu verlieren. Es besteht doch die Gefahr, daß man das nicht als „Nebenaußenpolitik", sondern als „Pseudoaußenpolitik" bezeichnet, und das wäre doch für Ihren guten Ruf nicht sehr angenehm.
Jetzt möchte ich drei Anmerkungen zum Haushalt machen. Der Haushalt spiegelt erste Resultate unserer überfraktionellen Bemühungen zur Verbesserung der Situation der Angehörigen des auswärtigen Dienstes und der Tätigkeit des auswärtigen Dienstes. Allen, die dazu beigetragen haben, möchte ich namens der FDP-Fraktion herzlich danken. Aber ich kann nicht verschweigen, daß die Gesamtlage auch nach diesen ersten Verbesserungen alles andere als befriedigend ist. Hierfür nur zwei Beispiele.Die Personalreserve ist eine wichtige Voraussetzung, um etwas flexibler in der Personalpolitik zu sein: Die Enquete-Kommission „Reform des auswärtigen Dienstes" hat 8 % des Personalstandes als Personalreserve für dringend nötig gehalten. Wir sind jetzt mit Mühe und Not bei 2,5% angekommen. Das sind 59 Stellen. 8% wären 180 Stellen. Sie sehen also, wie weit der Weg noch ist, wenn wir eine Personalreserve in diesem Umfang schaffen wollen. — Im mittleren Dienst sieht es noch viel schlechter aus. Von den 225 geforderten und benötigten Stellen bleiben auch nach den Stellenvermehrungen noch fehlende 209 übrig. Angesichts der Geschwindigkeit der Personalstellenvermehrung bei uns können Sie ausrechnen, wie viele Lichtjahre es noch dauern wird, bis wir dieses so spürbare Defizit abgebaut haben.Auch zur Verbesserung der sozialen Lage der Angehörigen des auswärtigen Dienstes, ihrer Familien und Kinder haben wir nur einen ersten Anfang gemacht. Hier müssen wir am Ball bleiben.Fast 40 % des Haushalts des Auswärtigen Amtes sind den vielfältigen Bereichen der Kulturbeziehungen gewidmet. Auch hier haben wir nur einen schwachen silbernen Streifen am Horizont; denn die Mehrungen gehen überwiegend in die Zentralen der Mittlerorganisationen und nicht unmittelbar in die Kulturarbeit.Das Sonderprogramm „Südliches Afrika" sollte ein Signal setzen. Aber das tut es einfach noch nicht, wenn man die Relation zu anderen Programmen sieht. Ich bitte das Auswärtige Amt, Gespräche mit denen zu führen, die betroffen sind, nämlich mit der nichtweißen südafrikanischen Bevölkerung, wie und in welche Programme man diese Mittel sinnvoll einsetzen kann. Die Steigerung des Ansatzes von 2,2 auf 2,4 Millionen DM war so unbefriedigend, daß ich sehr dankbar dafür bin, Herr Kollege Rose, daß der Haushaltsausschuß hier noch etwas zugelegt hat.Die Kulturhilfe für die Länder der Dritten Welt ist ein Prüfstein dafür, wie ernst wir es mit der Bewertung der großen Weltkulturen meinen.Wir sind Herrn Genscher sehr dankbar, daß er vor den Vereinten Nationen wiederholt ausgeführt hat, daß er einen kulturellen Nord-Süd-Dialog für dringend erforderlich hält. Auch wir tun das. Aber Sie, Herr Minister, müßten dann Sorge dafür tragen, daß die Mittelansätze für die Arbeit in diesem Bereich gesteigert werden. Die Mittel für nächstes Jahr sind bereits völlig verplant. Sie sind also schon vergeben. Man kann nicht davon sprechen, daß hier wirklich ein Akzent gesetzt worden wäre.Die letzte Bemerkung: Unsere multilaterale kulturelle Zusammenarbeit hat in diesem Jahr zwei wichtige Ergebnisse gebracht, die für meine Fraktion sehr gute Beispiele dafür sind, welchen hohen Stellenwert eine gut vorbereitete kulturelle Zusammenarbeit in diesen internationalen Foren hat.Meine Fraktion bewertet das Budapester Kulturforum positiv. Sie sieht vor allem in der aktiven Teilnahme von Repräsentanten des kulturellen Lebens — statt daß man nur Kulturbeamte hinschickt — aller 35 Staaten, die die KSZE-Akte unterzeichnet haben, einen großen Fortschritt, der eine Belebung und Bereicherung des Ost-West-Kulturdialogs darstellt.
Budapest ist ein weiterer Schritt im KSZE-Prozeß von Madrid nach Wien im nächsten Jahr. Die OstWest-Beziehungen insgesamt erfuhren auch ohne Schlußdokument — ein belangloses Schlußdokument sollte man unterlassen, wenn schon kein gutes zustande kommt — eine Stärkung.Die UNESCO-Generalkonferenz hat all denen recht gegeben, die vor Kurzschlußentscheidungen im vorigen Jahr gewarnt haben.
Die Bedeutung unserer Mitgliedschaft und das Durchhalten auch in schwierigen Zeiten haben sich voll bewährt. Die sachlichen Beiträge, die wir geleistet haben, haben dazu geführt, daß wieder ein hochrangiger deutscher Vertreter in den Exekutivrat gewählt worden ist. Die Konferenz insgesamt hat sehr hoffnungsvolle Zeichen für eine reformfähige UNESCO erbracht. Auch dafür danke ich allen, die dazu beigetragen haben.Sie sehen also, Herr Kollege Voigt, man kann sagen: Unsere Medaille hat zwei Seiten. Wir sehen sie positiv und werden weiter dazu beitragen, daß sie im nächsten Jahr noch positiver aussieht.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich bei der zweiten Lesung des
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Bundesminister GenscherHaushalts des Auswärtigen Amtes bei Herrn Kollegen Stercken und Frau Kollegin Hamm-Brücher bedanken, daß sie zu den Problemen des auswärtigen Dienstes gesprochen haben.
— Dann werde ich mich bei ihr natürlich auch noch bedanken, Herr Voigt.Ich möchte Frau Kollegin Borgmann von den GRÜNEN bitten, noch einmal darüber nachzudenken, ob sie den Leistungen vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des auswärtigen Dienstes wirklich gerecht wird, wenn sie vom „Apparat" spricht. Ich muß Ihnen sagen: Ich hasse dieses Wort als Bezeichnung für den Arbeitsbereich von Mitbürgern in unserem Lande.
Es ist ein zutiefst inhumaner Ausdruck für das, was gesellschaftliche Zusammenarbeit unter menschenwürdigen Bedingungen in einer freiheitlichen Gesellschaft bedeutet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Probleme des auswärtigen Dienstes haben seit einiger Zeit zu Recht verstärkt die Aufmerksamkeit des Parlaments und ebenso der Presse und auch der Öffentlichkeit gefunden. Ich möchte an das Hearing des Auswärtigen Ausschusses erinnern, an die Bundestagsdebatte über die Antworten auf die Großen Anfragen von Koalition und Opposition. Ich möchte mich für dieses Interesse dankbar zeigen. Es ist nicht nur ein Ausdruck der Sorge um die langfristige Funktionsfähigkeit des auswärtigen Dienstes, um seine Fähigkeit, die Belange der Bundesrepublik Deutschland überall in der Welt wirkungsvoll zu vertreten. Hinter diesem Interesse des Parlaments und der Öffentlichkeit steht mehr noch die Einsicht, daß wir hier im Parlament das Unsrige tun müssen, um unseren Mitarbeitern, die oft unter schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen ihren Dienst für unser Land verrichten, gerecht zu werden. Darum geht es bei unseren Bemühungen, nicht um Bevorzugung. Es ist nicht vertretbar — ich nenne ein Beispiel —, wenn Botschaftsmitarbeiter der unteren Besoldungsgruppen in Hochlohnländern mitunter um Rückversetzung bitten, weil ihre Bezüge nicht mehr ausreichen, um sich und ihre Familien zu ernähren.Wir müssen ebenso beachten, daß unsere Mitarbeiter durch die internationale Stellung der Bundesrepublik Deutschland zunehmend mehr und zunehmend verantwortungsvollere Aufgaben wahrzunehmen haben. Dies alles muß vor dem Hintergrund schwieriger gewordener äußerer Lebensbedingungen in vielen unserer nahezu 200 Dienstorte in aller Welt gesehen werden, von denen oft die Ehegatten und die Kinder noch stärker betroffen sind als unsere Bediensteten selbst. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch ein Wort des Dankes an die Ehepartner der bei uns im auswärtigen Dienst Beschäftigten richten.
Sie leisten einen wichtigen Beitrag bei der Vertretung unserer deutschen Interessen im Ausland. Häufige Umzüge, Schulschwierigkeiten der Kinder, materielle und ärztliche Versorgungsprobleme verlangen von ihnen einen beachtlichen Einsatz. Dabei stellen oft gerade diese Ehegatten ihre eigenen beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten zurück und verzichten auf vieles, was für uns hier im Inland zur Selbstverständlichkeit geworden ist.Die Anhörung des Auswärtigen Ausschusses hat gezeigt: Wir müssen bei der Lösung der auslandsbedingten Probleme der Ehepartner und Kinder auch neue Wege beschreiten. Mit diesem Haushalt wird eine Reihe wichtiger Schritte getan, aber es müssen den von diesem Haushaltsgesetz vorgesehenen Verbesserungen in den kommenden Haushaltsjahnen weitere folgen.Verbesserungen in Einzelfragen und auch solche struktureller Art braucht der auswärtige Dienst im Bereich der Besoldung. Um nicht jedes Jahr neu über die prinzipiellen Fragen diskutieren zu müssen, sollte ein in sich geschlossenes mehrjähriges Konzept für den personellen Ausbau des auswärtigen Dienstes verwirklicht werden. Das Auswärtige Amt hat ein solches Konzept im Rahmen eines bis in das Jahr 1989 reichenden Stufenplanes erarbeitet, aus dem sich die weiteren Personalanforderungen für die kommenden Haushaltsjahre ergeben.Zwei besonders wichtige Einzelpunkte dieses Stufenplans sind der Ausbau des mittleren Dienstes und die Personalreserve im gehobenen und im höheren Dienst, wie die Herwarth-Kommission sie gefordert hat. Die jetzt vorgesehene Verknüpfung der beiden Stellenpläne In- und Ausland ist ein wichtiger erster Schritt auf dem Wege zu einem angemessenen Stellenplan. Im übrigen zeigen die Erfahrungen anderer westlicher Länder, daß besondere Gesetze für den auswärtigen Dienst seinen Besonderheiten am besten gerecht werden. Hier werbe ich für Verständnis.
Meine Damen und Herren, Frau Kollegin HammBrücher hat eben — wie ich festgestellt habe, unter Beifall aller Fraktionen — auf diejenigen hingewiesen, die in allen Ländern dieser Welt durch ihren Einsatz für eine Politik des Friedens und des Ausgleichs auch eine internationale Stimmungslage geschaffen haben, die Begegnungen, die Durchsetzung von Abrüstung und die Zusammenarbeit erleichtert. In der Tat, der Abbau von Feindbildern ist einer der wichtigsten Beiträge zur Friedenspolitik überhaupt.
Meine Damen und Herren, wir in der Bundesrepublik Deutschland können zu Recht feststellen: In unseren Schulen und in unseren Kasernen wird
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Bundesminister Genscherkein Kind und wird kein Soldat zum Haß erzogen, sondern zum Frieden und zur Verständigung,
und das ist ein wichtiger politischer Beitrag.
Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei — und hier wende ich mich vor allem an den Herrn Abgeordneten Schröder aus Niedersachsen —, bitten, doch noch einmal darüber nachzudenken, ob es der Herstellung eines Klimas der gegenseitigen Achtung und der Stärkung des inneren Friedens in unserer Republik dient,
wenn davon geredet wird, der Bundeskanzler trage die Maske des Biedermannes, der Brandstifter dekken und von der eigenen Mittäterschaft ablenken wolle.
Meine Damen und Herren, das ist eine Sprache, die Friedensfähigkeit nach innen und nach außen unterläuft und unmöglich macht!
Wir können unterschiedlicher Meinung zu vielen Fragen sein,
aber ich denke, wir sollten einander nicht mit Unterstellungen dieser Art begegnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es muß doch im Grunde für Sie hoffnungslos sein, wenn Sie schon zu Angriffen in dieser Form greifen müssen, wenn Sie sich mit der Politik der Bundesregierung auseinandersetzen wollen.
— Herr Kollege Ehmke, Sie sagen: „unglaubwürdig".
Dieser Tag heute hat doch deutlich gemacht, daß wir in zwei ganz wichtigen Bereichen — nämlich bei der Durchsetzung einer wirtschaftlichen und finanziellen Politik des Aufstieges und bei einer Politik der Verständigung, wie sie der Genfer Gipfel gezeigt hat — bedeutsame Beiträge geleistet haben. Diese Entscheidungen mußten wir, soweit es die Wirtschafts- und Finanzpolitik angeht, innenpolitisch gegen Sie durchsetzen. Außenpolitisch mußten wir unser Gewicht im Bündnis gegen Ihre Stimmen dadurch bewahren, daß wir jene Entscheidung gefällt haben, die Sie einst versprochen haben, aberin der eigenen Partei nicht mehr durchsetzen konnten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehmke?
Nein, ich wollte gerne, wie alle anderen Kollegen auch, meine Gedanken zu Ende führen, schon um den anderen Kollegen der Koalition nicht die Redezeit rauben zu müssen.
Meine Damen und Herren, es ist einfach nicht richtig, daß die Beiträge der Bundesrepublik Deutschland und die Beiträge der Bundesregierung
nicht deutlich und klar und nach vorn weisend wären. Frau Kollegin Hamm-Brücher hat soeben zu Recht das zu Ende gegangene Kulturforum im Rahmen des KSZE-Prozesses in Budapest gewürdigt. Dieses Kulturforum wäre ohne unseren Beitrag nicht zustande gekommen und ohne die Art, wie unsere Delegation zusammengesetzt war und wie sie dort gewirkt hat, nicht zu einer Stätte wirklicher kultureller Begegnung zwischen West und Ost geworden. Hier hat die Bundesrepublik Deutschland einen ganz entscheidenden Beitrag geleistet, auch um bewußt zu machen, daß die europäische Identität, die sich auch in unserer gemeinsamen Kultur deutlich macht, nicht nur in der Vergangenheit stärker war als Kriege, sondern daß sie heute stärker ist als Systemgrenzen. Das werden Ihnen unsere Teilnehmer aus ihren Gesprächen mit Schaffenden aus dem kulturellen Bereich aus den anderen Staaten, aus den Staaten des Warschauer Paktes, bestätigen können.Hier hat sich in Wahrheit gezeigt, daß die Bewußtseinsbildung unter den Menschen, auch den im kulturellen Bereich tätigen, heute schon wesentlich weiter ist als manche Regierung in ihrer Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Daran ist das gemeinsame Dokument gescheitert, nicht etwa an mangelnder Dialogfähigkeit der dort in den Delegationen Vertretenen. Deshalb wollen wir das zusammenhalten. Treten Sie also bitte hier nicht auf und sagen sie nicht, diese Regierung lasse es an Initiativen fehlen. Das haben wir möglich gemacht.Wenn Sie hier über die Dritte Welt reden, will ich Ihnen sagen, es ist diese Bundesregierung, die einen friedlichen Beitrag, Frau Kollegin Borgmann, zur Stabilität, zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit, zu wirtschaftlicher Gesundung in Zentralamerika leistet. Wir haben vorgeschlagen, ein Kooperationsabkommen mit allen Staaten Zentralamerikas zu schließen, damit als Voraussetzung für die Herstellung politischer Stabilität soziale Unge-
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Bundesminister Genscherrechtigkeit überwunden werden kann. Das ist unsere Politik.
Denken Sie doch einmal darüber nach, ob die von Ihnen viel gescholtene Marktwirtschaft, die Wirtschaft der offenen Märkte, nicht der beste Beitrag ist
zur Entwicklung der Dritten Welt. Ich will Ihnen etwas sagen: Wir werden — —
— Nun hören Sie doch einmal meine Gedanken an. Sie können doch hinterher reden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden die Dritte Welt nur dann wirklich aus ihrer gegenwärtigen Lage befreien können,
wenn wir unsere Märkte in den Industrieländern nicht nur für ihr Öl und für ihre Rohstoffe öffnen, sondern auch für ihre Fertigfabrikate und Halbfertigfabrikate. Da ist es die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer marktwirtschaftlichen Politik, die an der Spitze der Länder steht, die für Marktöffnung in der westlichen Welt, überhaupt in der nördlichen Halbkugel, eintreten.
Das ist ein praktischer, nicht ein ideologischer und auch kein propagandistischer Beitrag zur Hilfe für die Völker der Dritten Welt.So wie wir diese Kooperation mit den Staaten Zentralamerikas geschlossen haben, vorher mit den ASEAN-Staaten, wie wir jetzt bemüht sind, sie mit den Golfländern herzustellen, wie wir den Staaten Afrikas vorschlagen, sich auch regional zu organisieren, um ihre politische Unabhängigkeit zu stärken, um ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern, wie wir ihnen auch dort Zusammenarbeit anbieten, das ist unser Beitrag zur Herstellung gesunder wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen.
Deshalb hören Sie doch bitte auf, die Politik einer Regierung, die hier in der Europäischen Gemeinschaft und in der westlichen Welt eine führende, drängende Kraft ist und nicht mitgezogen werden muß, zu diffamieren und herabzusetzen.
Meine Damen und Herren, was den Genfer Gipfel angeht, so ist doch ganz unbestreitbar, daß die Bundesrepublik Deutschland wesentliche Beiträge dafür geleistet hat, daß dieser Gipfel so zustande kommen und so ablaufen konnte. Waren nicht wir es, die Wert darauf gelegt haben, daß der ABM-Vertrag nicht nur eingehalten, sondern auch restriktiv ausgelegt wird? Wir haben innerhalb des westlichenBündnisses zusammen mit den anderen europäischen Partnern unser Gewicht für diese richtige Auslegung in die Waagschale geworfen, und wir haben das erreicht.
Herr Kollege Vogel, das zeigt zweierlei. Es zeigt das Gewicht unseres Landes, und es zeigt die Bereitschaft der Vereinigten Staaten, darauf zu hören
und an einer gemeinsamen Politik mitzuarbeiten, die von den europäischen und den amerikanischen Verbündeten getragen werden kann.Das gleiche gilt für die Beachtung des SALT-II- Vertrages, wie das bei der Außenministerkonferenz in Lissabon geschehen ist. Ich finde, Herr Kollege Vogel, Sie sollten noch einmal überlegen, ob es der Auseinandersetzung mit der Bundesregierung in einer solchen Debatte auch gerecht wird, wenn Sie vom „vorauseilenden Gehorsam" sprechen.
Wissen Sie, Partnerschaft vollzieht sich im Austausch eines offenen Wortes und im Meinungsaustausch zwischen Partnern. Das geschieht.Ich muß Ihnen sagen: Es lohnt sich für manchen aus Ihrer Fraktion — noch stärker aus Ihrer Partei —, der sich häufig in antiamerikanischen Sentenzen ergeht, einmal das nachzulesen, was Ihr Parteivorsitzender am Sonntag im Deutschlandfunk über seine in den Vereinigten Staaten gewonnenen Eindrücke gesagt hat. Das ist ein nachlesenswertes Interview. Er hat auf die Frage, ob er in bezug auf die Politik der Vereinigten Staaten Befürchtungen habe, gesagt: Sicher würde man manche Befürchtungen zu diesem Thema heute anders formulieren als vor ein paar Jahren. — Und an anderer Stelle heißt es: Jedenfalls habe ich mich wieder gut zu Hause gefühlt in Washington. — Das ist genau die richtige Sprache, wie wir transatlantisch unter Partnern miteinander und voneinander sprechen wollen. Ich finde, Sie sollten sich in Ihrer Partei offen mit denjenigen auseinandersetzen, die diesen Weg der Partnerschaft durch andere Begriffe stören.Meine Damen und Herren, dieses Europa, in dem wir ein entscheidendes Gewicht haben, hat sein Gewicht bei der Vorbereitung des Gipfels in die Waagschale geworfen. Es muß uns doch mit Befriedigung erfüllen, daß wir jetzt feststellen können, daß über die Mittelstreckenraketen verhandelt werden soll,
und zwar unabhängig von dem Verhältnis zur Frage SDI und strategischer Waffen. Diese Verhandlungen über die Mittelstreckenraketen haben wir doch immer gewollt. Ich möchte einmal fragen, ob sich nicht alle Fraktionen — nicht nur die Regie-
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Bundesminister Genscherrungsfraktionen — dazu entschließen können, unsere Forderung, daß alle amerikanischen und alle sowjetischen Mittelstreckenraketen beseitigt werden sollen, zu unterstützen. Sie haben die NullLösung als illusionär bezeichnet.
Jetzt hören Sie einmal genau hin, was man in Genf zwischen den USA und der Sowjetunion vereinbart hat. Man will ein Interimsabkommen über die Mittelstreckenraketen haben, d. h. man will einen ersten Schritt tun, aber man will natürlich auch weiter gehen. Es muß doch unser zentrales Ziel hier in der Bundesrepublik Deutschland sein, daß alle amerikanischen und alle sowjetischen Mittelstreckenraketen verschwinden.
Unterstützen Sie das doch endlich! Das muß doch ein gemeinsames Ziel für unsere Politik sein.
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich einmal die Gespräche ansehen, die Sie über Fragen einer chemiewaffenfreien Zone in Mitteleuropa geführt haben: Wir haben Ihnen schon bei früheren Debatten gesagt, daß das Problem bei den chemischen Waffen und ihrer gänzlichen Beseitigung doch gar nicht das Zonenproblem ist, sondern daß es das Problem der Nachprüfbarkeit ist. Die wird nicht leichter, sondern komplizierter, wenn man nur für eine bestimmte Zone die chemischen Waffen beseitigen will. Hier halte ich es für einen großen Fortschritt, daß sich die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion verständigt haben, daß sie eine allgemeine Beseitigung haben wollen. Das heißt weltweite Beseitigung. Das war unsere Forderung. Damit ist das, was Sie mit der SED und mit anderen besprochen haben, überholt worden.
Ich habe eigentlich auch nie verstehen können, wie man sich für eine nur regionale Beseitigung der chemischen Waffen einsetzt.
Können wir es eigentlich verantworten, daß chemische Waffen in anderen Teilen der Welt dann weiter gelagert werden sollen? Sind es nicht gerade andere Teile der Welt, wo immer wieder chemische Waffen angewendet werden oder die Gefahr der Anwendung besteht?
Ich bin der Meinung, es ist ein großer Fortschritt und es war richtig, daß wir als Bundesregierung darauf beharrt haben, daß ein weltweites Verbot von chemischen Waffen Gegenstand der Verhandlungen ist.
Die Aufnahme dieses Punktes in die Verhandlungsvorschläge des amerikanischen Präsidenten war eine deutsche Anregung, war ein deutscher Vorschlag.
Ich glaube, wir haben allen Anlaß, den Vereinigten Staaten dafür zu danken, daß sie diese uns hier j a besonders betreffende Frage zu einem wichtigen Punkt bei dieser Verständigung gemacht haben.
Nun wollen wir doch auch festhalten, daß diese Begegnung in Genf weder von den Vereinigten Staaten noch von der Sowjetunion als eine einmalige Begegnung verstanden wurde und verstanden wird, sozusagen als eine politische Eintagsfliege, sondern — das ist eigentlich ganz ungewöhnlich — daß man sich zwischen Washington und Moskau darüber verständigt hat, daß es in den Jahren 1986 und 1987 Begegnungen geben wird. Damit ist ein Dialograhmen gesetzt. Damit ist aber auch die Notwendigkeit geschaffen, von Gipfel zu Gipfel mit Fortschritten in den Verhandlungen voranzukommen.
Das ist genau das, was wir immer wieder als Erwartung ausgesprochen haben. Das ist Teil unserer Politik.Dieser Rahmen, der von den Großmächten gesetzt worden ist, wird doch ganz offenkundig auch die Möglichkeiten der mittleren und kleineren Staaten in Europa erweitern, durch Entwicklung ihrer bilateralen Beziehungen, durch wirtschaftliche Zusammenarbeit, durch kulturellen Austausch und auch durch politischen Dialog ihren Beitrag zur Verbesserung des West-Ost-Verhältnisses zu leisten. Auch hier ist die Bundesrepublik Deutschland wieder in besonderer Weise gefordert. Da sind wir uns der Tatsache bewußt, daß die sowjetische Führung vor der Frage steht, ob sie den Schwerpunkt ihrer Anstrengungen, ob sie die Hauptkraft ihrer Bemühungen auf die Modernisierung ihres Landes konzentrieren kann oder ob es einen ungezügelten Rüstungswettlauf geben wird.Hier ist es wichtig, daß der Westen genau dieses Angebot der breiten Zusammenarbeit nicht nur in einem Bündnisbeschluß gemacht hat, sondern daß das auch der amerikanische Präsident — bis hin zu gemeinsamen technologischen Projekten — getan hat. Es entspricht unserer Auffassung, daß eine technologische Spaltung Europas eine zusätzliche Spaltung und mehr Instabilität bedeuten würde. Wir wollen weder die Sowjetunion totrüsten,
noch sind wir daran interessiert, daß die Sowjetunion im wirtschaftlichen Rückstand bleibt. Wirsind im Gegenteil der Meinung, daß eine positive
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Bundesminister Genscherwirtschaftliche Entwicklung auch in den sozialistischen Ländern der Stabilität in Europa dient und auch die materiellen Lebensbedingungen der dort lebenden Menschen verbessert, die Europäer sind wie wir auch.
Deshalb ist es so wichtig, daß wir unser Gewicht in das westliche Bündnis eingebracht haben; das sollte auch eine Opposition nicht herabsetzen. Da können wir auch damit sehr einverstanden sein, daß sowohl der amerikanische Präsident als auch der sowjetische Generalsekretär noch einmal bekräftigt haben, daß sie ein Wettrüsten im Weltraum verhindern und daß sie es auf Erden beenden wollen. Das ist ein Ziel, dem sich alle Völker verpflichtet fühlen können.
Das unterstreichen wir, und diese Politik unterstützen wir.Das werden wir um so stärker tun können, je mehr wir uns hier in Europa als Europäische Gemeinschaft entwickeln, uns auf unsere Kräfte besinnen, unser Gewicht verstärken.Da ist Eureka, von dem Sie gesagt haben, Herr Kollege Vogel, sie finde bei uns nur eine laue Unterstützung, ein wichtiger Ausdruck europäischen Selbstbehauptungswillens. Da können Sie nicht von lauer Unterstützung reden.
Eureka ist eine gemeinsame deutsch-französische Initiative. Ohne uns wäre das doch gar nicht zustande gekommen; das ist die Wahrheit darüber.
Da sollten Sie sich bitte auch nicht an der Frage aufhängen, wieviel Mittel dafür zur Verfügung stehen.
Hier ist vielleicht eine unterschiedliche Position: Wir haben ein Wirtschaftsverständnis, wir haben ein Verständnis auch für technologische Entwicklung,
das die Chancen für solche Entwicklungen nicht zu allererst in staatlichen Zuschüssen, sondern in der Eröffnung von Rahmenbedingungen sieht, indem sich Kreativität und Investitions- und Innovationsbereitschaft entwickeln können. Das ist unser Modell von Eureka.
Wir wollen uns weder an die Stelle freier Entscheidungen von Forschern setzen, noch wollen wir unsan die Stelle freier unternehmerischer Entscheidungen setzen; aber wir wollen einen größeren europäischen Rahmen bieten, damit die ganze Kraft des demokratischen Europas für unsere technologische Entwicklung eingesetzt werden kann. Das ist unsere Vorstellung von Eureka.
Meine Damen und Herren, eine andere Aufgabe von besonderem Gewicht, die uns gestellt ist, ist die Entwicklung der deutsch-deutschen Beziehungen. Darüber wird im Zusammenhang mit dem Haushalt des Kollegen Windelen noch zu sprechen sein.
Wenn je bei einem Punkt Zurückhaltung, Behutsamkeit notwendig sind, dann bei der Behandlung der deutsch-deutschen Beziehungen,
und das gilt in jeder nur möglichen Richtung. Da will ich Ihnen sagen: Was da von dem Ministerpräsidenten des Saarlandes gesagt wurde und heute von dem Vorsitzenden der Jungsozialisten an der Saar, glaube ich, über die Frage der Staatsbürgerschaft wiederholt worden ist,
das paßte nicht in diese notwendige Behutsamkeit hinein.
Wissen Sie, wir sind in dem Ausgleich dessen, den wir suchen, in der Erfüllung der Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen zu vielem bereit, und da gibt uns der Grundlagenvertrag einen breiten Raum. Wir haben ihn längst nicht ausgefüllt; da kann man noch viel tun. Nur wird man Menschen nicht dadurch zusammenführen, daß man sie juristisch auseinanderbringt.
Ich sage Ihnen als meine ganz feste Überzeugung, als jemand, der aus dem Teil unseres Landes kommt, der heute die DDR ist: Sie werden mich zu vielem und bei vielem an Ihrer Seite finden, was der Verständigung dient — da werden wir auch zu großen Opfern bereit sein —, aber Sie werden mich nie dabei finden, wenn hier ein Gesetz verabschiedet werden sollte, das aus meinen Mitbürgern in der DDR Ausländer macht in der Bundesrepublik Deutschland.
Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Genscher, aus DDR-Bürgern Ausländer machen, das will auch keiner in der SPD.
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13300 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
GanselHier haben Sie uns einiges unterstellt. Im übrigen haben wir den Eindruck gehabt, daß Sie bei manchen Ihrer Beschwörungen, die in unsere Richtung gesprochen wurden, eigentlich Unterstützung auf der rechten Seite des Hauses gesucht haben,
weil Sie wissen, daß das, was Sie an Kontinuität zu erhalten versuchen, dort in Frage gestellt ist.
und weil eigenständige Beiträge der Bundesregierung fehlen. In der offiziellen Außenpolitik unserer Bundesrepublik sind keine Prinzipien und Perspektiven mehr erkennbar. Noch schlimmer: sie hat den internationalen Stellenwert verloren, den sie unter Adenauer, Kiesinger, Brandt und Schmidt gehabt hat.Kennzeichnend dafür ist die Selbsterkenntnis Helmut Kohls, daß er der Staatengesellschaft nichts mehr zu sagen hatte, als er die UNO-Vollversammlung als Zuhörer besuchte und nicht als Sprecher für die Bundesrepublik Deutschland. Für diesen Verlust an Ansehen und an Einfluß der Bundesregierung gibt es vor allem drei Gründe: Zerstrittenheit, Unterordnung unter die Interessen der US- Administration und Verlust an moralischer Qualität.
Auf wen ist in der Außenpolitik eigentlich noch Verlaß? „Mit Minister Genscher hatten wir uns über die finanzielle Beteiligung der Bundesrepublik an Eureka geeinigt", sagte mir kürzlich ein französischer Diplomat. „Wir wissen jetzt, daß wir gleich Monsieur Stoltenberg hätten fragen sollen."Tatsächlich hat Herr Stoltenberg den Außenminister im Regen stehenlassen, als er ihm das zugesagte finanzielle Dach für Eureka entzog. Eine solche Sparsamkeit hätte Herrn Stoltenberg vielleicht angestanden, als er das unter ihm hochverschuldete Land Schleswig-Holstein verwaltete. Sie ist aber fehl am Platze, wenn es darum geht, die technologische Überlebensfähigkeit Westeuropas zu sichern.
Wenn der Außenminister nach China fährt, macht er sich groß, indem er von der „Selbstbehauptung Europas" spricht — übrigens ein Wort von Horst Ehmke. Wenn er nach Bonn zurückkehrt, muß er sich kleinmachen bis an die Grenze der europäischen Selbstverleugnung.Wer hat denn diese Bundesregierung gezwungen, ihre Forderung nach Mehrheitsentscheidungen in der Europäischen Gemeinschaft aufzugeben? Es war der bayerische Ministerpräsident, der eine Vetodemonstration in Brüssel verlangte, als ihm die Bauern aufs Fell rückten.Wie muß eigentlich dem Außenminister Genscher zumute gewesen sein, als Herr Czaja und Herr Hupka mit der in der CDU so genannten „Stahlhelm"-Fraktion die Westgrenzen Polens und der Sowjetunion in Frage stellten! Herr Genscher, wer sich gegen die „Stahlhelm"-Fraktion nicht durchsetzen kann, sollte lieber gleich den Hut nehmen. Wie muß einem Mann zumute gewesen sein, der mit Brandt und Schmidt die neue Ostpolitik realisiert hat, als sein Bundeskanzler Kohl von Vertriebenentreffen zu Vertriebenentreffen neue windelweiche Formulierungen fand, bis er auf die Grenzfragen endlich die Antwort im Artikel 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen entdeckte!Erinnern Sie sich noch an das peinliche Schauspiel, als sich die Minister der FDP, der CDU und der CSU öffentlich darüber stritten, was das Bundeskabinett eigentlich zu Südafrika beschlossen habe? Auch hier war Strauß der Regisseur.
— Wer entscheidet eigentlich über die Waffenexportpolitik? Auch der „tolle Kerl" in München? Ist es nicht so, daß der Bundessicherheitsrat Akquisitionserfolge der Rüstungslobby zu seinen Beratungsgegenständen macht, anstatt politische Vorgaben zur Kontrolle und Reduzierung zu beschließen? „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen", hat Helmut Kohl auf einem Kirchentag versprochen.Tatsächlich reist der Verteidigungsminister durch die Welt, um die Überkapazitäten einer neuentstandenen Rüstungsindustrie auslasten zu helfen. Ich weiß, Minister Genscher, daß das nicht Ihre Politik ist. Aber offenbar können Sie sie auch nicht verhindern.
Wissen Sie überhaupt, Minister Genscher, daß z. B. in Thailand Leo-II-Panzer aus Bundeswehrbeständen durch die Firma Krauss-Maffei vorgeführt und von Soldaten bedient werden, die zu diesem Zweck von der Bundeswehr beurlaubt worden sind? Haben Waffenlieferungen in Spannungsgebiete des
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13301
GanselFernen wie des Nahen Ostens nichts mehr mit Außenpolitik zu tun?
Das ist die schlimmste Nebenaußenpolitik, die von der Rüstungsindustrie betrieben wird und die sich staatlicher Stellen nur noch für Handlangerarbeiten bedient.
Eine Außenpolitik kann mehr oder weniger gut sein. Sie ist schlecht, wenn sie unberechenbar und unklar ist.
Wer bestimmt die Haltung der Bundesrepublik zu SDI? Der Außenminister, der Verteidigungsminister, der Forschungsminister, der Wirtschaftsminister,
oder ist es Staatsminister Möllemann? Wer dieses Chaos in der deutschen Außenpolitik beobachtet, könnte meinen, dafür sei Staatssekretär Schreckenberger zuständig. Tatsächlich ist es Kanzlerberater Teltschik im Bundeskanzleramt. Nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung haben aber Sie die Verantwortung, Minister Genscher. Sie wollen der SPD eine Nebenaußenpolitik zum Vorwurf machen? Sie haben in der Regierung keine Außenpolitik, Sie haben nur noch Nebenaußenpolitik.
Es ist eine Tatsache, daß unter den gegebenen Umständen Entspannungspolitik mit dem Osten nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie die Rükkendeckung der USA besitzt. Es ist aber auch eine Tatsache, daß man auf deutsche Beiträge zur Entspannungspolitik verzichtet, wenn man sich hinter dem Rücken der Amerikaner versteckt. Genau das ist aber zur typischen Verhaltensweise der bundesdeutschen Diplomatie geworden, in der Rüstungskontrollpolitik, in den Vereinten Nationen, bei den europäischen Verhandlungen in Madrid und in Stockholm. Warum erst noch mit der bundesdeutschen Delegation sprechen? Man kann doch gleich bei den Amerikanern erfahren, „was Linie ist". Das ist die Reaktion nicht nur osteuropäischer Verhandlungspartner, sondern auch der westeuropäischen Verbündeten. Konsequent!An Amerikanismus werden wir die Amerikaner nie überbieten können. Eine Partei, die dieser Illusion erliegt und jeden eigenständigen Beitrag deutscher, ja selbst europäischer Politik als Antiamerikanismus diffamiert, macht sich lächerlich, überall in der Welt und auch in Amerika.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich heute morgen gerühmt, die Vorbereitungen für den Gipfel aus nächster Nähe beobachtet zu haben. Beobachten — auch als Freund des amerikanischen Präsidenten — reicht nicht aus. Als Bundeskanzler der Bundesrepublik, des Landes, das wie kein anderes durch nukleare, chemische und konventionelle Waffenmassierungen bedroht ist, müssen Sie Ihren Beitrag dafür leisten, daß Raketen wegverhandelt und abgezogen und vor allen Dingen nicht weiter stationiert werden. Handeln Sie mit diesem Ziel, und Sie werden unsere Unterstützung finden.
Die Außenpolitik der Bundesrepublik war nie wie die Außenpolitik anderer Staaten die ausschließliche Vertretung nationaler Interessen. Adenauers Wiedergutmachungspolitik gegenüber Israel und der Élysée-Vertrag mit Frankreich, das Gewaltverzichtsangebot Erhards gegenüber den Staaten des Warschauer Paktes, der Beginn der neuen Ostpolitik unter Kiesinger und die Vollendung ihrer ersten Phase unter Brandt und Schmidt entsprachen nicht nur unseren Interessen, sondern auch unseren Lehren aus der Geschichte. Das war Außenpolitik mit moralischer Qualität.
Ist das heute alles nicht mehr nötig? Kann man sich, wie der Bundeskanzler ausgerechnet in Israel sagte, auf die „Gnade der späten Geburt" berufen und zur Tagesordnung übergehen? Herr Wörner hat zur 30-Jahr-Feier der Bundeswehr angekündigt, die teils schuldhafte Verstrickung der ehemaligen Streitkräfte in den Nationalsozialismus aus den Traditionsrichtlinien streichen zu lassen. Herr Dregger hat sich in einem Brief an amerikanische Senatoren beim Ende des Zweiten Weltkrieges nicht an die Verbrechen Hitlers und an den Überfall des Deutschen Reiches auf die Sowjetunion erinnert, sondern nur an die Verteidigung gegen Angriffe der Roten Armee. Wer sich so verhält, wird unfähig sein, aus der Geschichte zu lernen. Er muß aber damit rechnen, daß sich andere erinnern. Nichts hat unsere Beziehungen zu den gesellschaftlichen Gruppen in den USA so belastet, wie die Unempfindlichkeit Helmut Kohls über die Verletzlichkeit der Überlebenden des SS-Staates, als er, Helmut Kohl, den amerikanischen Präsidenten bei seinem Besuch im Frühjahr durch sein Programm führte.Die deutsch-französische Freundschaft ist auf das Niveau militärischer Koproduktion reduziert worden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgordneten Dr. Wörner?
Kollege Gansel, könnten Sie mir sagen, worauf sich Ihre Auffassung stützt, daß ich diese Absicht hätte, die Sie mir unterstellt haben?
Herr Minister Wörner, Sie haben dem Beirat zur Inneren Führung numerierte Exemplare für die neuen Richtlinien vorgelegt, die Sie hinterher wieder einkassiert haben, um eine öffentliche Diskussion über diese ungeheuerliche Veränderung zu verhindern. Dennoch hat es Pressebe-
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13302 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Ganselrichte darüber gegeben, und Sie haben sie nicht dementiert. Wenn Sie hier klipp und klar sagen, daß Sie diese Passage aus den Traditionsrichtlinien Apels so lassen wie sie ist, und wenn Sie begreifen, daß es zudem noch ein großer Unterschied ist, ob man etwas neu schreibt oder etwas, was vorhanden ist, wieder herausstreicht, wenn Sie hier Klarheit schaffen können, dann wäre uns für die Bundeswehr und unser internationales Ansehen geholfen.
— Wir sind darauf gespannt!
Meine Damen und Herren, im Verhältnis zu den Völkern und Regierungen des Ostens ist die Politik der Entspannung und Aussöhnung zum Stillstand gekommen, als die nukleare Hochrüstung ihre Fortsetzung zur Überlebensfrage machte.Die Beziehungen zu Israel sind durch Waffenexportgeschäfte schwer geschädigt worden.In der Entwicklungshilfe rangieren die Interessen der Exportwirtschaft vor dem Gebot der Gerechtigkeit für die Völker der Dritten Welt.Und: Hätten nicht gerade die Deutschen die Verpflichtung, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Rassismus des Apartheidsystems aufzukündigen?Ist es Zufall, daß mit diesen moralischen Verlusten die Außenpolitik der Bundesrepublik auch an realem Einfluß verloren hat? Die internationale Politik hat sich durch atomare Hochrüstung, globale Umweltzerstörung, Bevölkerungsexplosion und Hunger in der Dritten Welt verändert. Ohne die Moral der Friedfertigkeit und der Gerechtigkeit wird sie zugrundegehen. Eine Rückkehr zur Ellbogengesellschaft des 19. Jahrhunderts darf es auch in der internationalen Politik nicht geben. Die Völker müssen zusammenarbeiten. Die Regierungen dürfen nicht spalten, sie müssen zusammenführen. Sie, meine Damen und Herren von der Regierung Kohl/Bangemann, haben diese Aufgabe noch nicht einmal erkannt. Wir Sozialdemokraten arbeiten für sie.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rose.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Als Haushaltsausschußmitglied erwarten Sie von mir natürlich, daß ich mehr zum Haushalt rede. Aber ich erlaube mir trotzdem einige Bemerkungen zu den Ausführungen, die von den Vorrednern der Opposition gemacht wurden.Zum Herrn Gansel brauche ich nicht viel zu sagen. Er war so freundlich, den bayerischen Ministerpräsidenten des öfteren so zu loben, daß er zu Recht als toller Kerl bezeichnet wurde.
Zum Kollegen Voigt fällt mir nur ein, daß er eigentlich nicht zum Deutschen Bundestag gesprochen hat, weil er nur immer so dastand und linkslastig mit seiner eigenen Fraktion gesprochen hat. Es lohnt sich also nicht, auf ihn einzugehen, so wie er halt ist.Die Frau Kollgin Borgmann ist uns vom Ausschuß her als eine eigentlich recht vernünftige, nette Person bekannt. Aber das, was sie hier immer vorträgt — das letzte Mal auch im Zusammenhang mit der deutschen Sprache —, deutet darauf hin, daß das nicht von ihr sein kann. Ich weiß jetzt auch, warum sie Borgmann heißt: Sie borgt sich ihre Reden immer.
Dann bleibt vom Vormittag bloß noch der Herr Oppositionsführer Hans-Jochen Vogel übrig, der laute Klage darüber geführt hat, daß es einen angeblichen Ansehensverlust der deutschen Außenpolitik gibt. Zur Begründung hat der Herr Oppositionsführer die seiner Meinung nach bestehenden Koalitionsstreitigkeiten herangezogen.Auch wenn er jetzt nicht mehr im Saal ist, möchte ich gern auf sein Argument eingehen; denn offensichtlich ist er noch gefangen in seiner alten Politik zur Endzeit Helmut Schmidts. Damals gab es ja die großen Streitigkeiten und Zwistigkeiten — allerdings innerhalb der SPD selber, nicht innerhalb einer Koalition, in der es naturgemäß verschiedene Meinungen gibt.
Tiefer als damals kann das Ansehen in außenpolitischen Fragen sowieso nicht mehr sinken. Man weiß genau, daß seinerzeit das Wort „Zerstrittenheit" Sinnbild der Regierung und besonders der SPD war.
Meine Damen und Herren, es war damals die Zerrissenheit der Sozialdemokraten selbst und die Lust des linken Flügels, die eigene Regierung zu demontieren. Deshalb sollte heutzutage der Herr Oppositionsführer hier nicht von einer Demontage sprechen; denn die SPD hat das früher so perfekt beherrscht.
Es mag sein, daß die Opposition gerne ihre eigene hochtrabende Arroganz zur Schau stellt;
doch diese Regierung hat auch in der Außenpolitik Erfolge.Bezeichnend war j a bei Herrn Vogel wieder einmal das Anklingen einer antiamerikanischen Haltung.
Wie sonst hätte er sagen können, daß es einen „vorauseilenden Gehorsam" gibt?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13303
Dr. RoseMeine Damen und Herren von der Opposition, uns ist eine Freundschaft mit einem demokratischen Staat, wie es die USA sind, auf jeden Fall lieber als die Nebenaußenpolitik, die Sie mit Staaten betreiben, die einem Kommunismus anhängen, der auch für dieses Land nichts Gutes bringt.
Und noch eines: Herr Kollege Vogel hat ein wenig unterschwellig geäußert, daß der angebliche außenpolitische Vertrauensverlust nicht — wie heißt es? — durch forcierte Waffenexporte kompensiert werden kann. Er nannte allerdings keine Beispiele für diese forcierten Waffenexporte. Meiner Meinung nach kann er das auch nicht; Beweise hat er nämlich keine. Es sei denn, er denkt an die Vorschläge, die die GRÜNEN in ihren Änderungsanträgen haben, oder an die großen Waffenlieferungen in der SPD-Zeit zurück.Sollte er der Ansicht der GRÜNEN sein, die einen Änderungsantrag zur Streichung der Rüstungssonderhilfe an den NATO-Partner Portugal oder einen zweiten Streichungsantrag wegen der Ausstattungshilfen an zahlreiche Länder der Dritten Welt gestellt haben, so kann ich ihm eigentlich nur entgegenhalten: Er weiß nicht, was seine Kollegen im Haushaltsausschuß gemacht haben. Das waren nämlich gegen zwei Stimmen der GRÜNEN eindeutige und einstimmige Verabschiedungen im Rahmen des Einzelplans 05.
Herr Vogel kann sich also jetzt nicht hier hinstellen und so tun, als wäre er gegen diese „Rüstung".
Es gibt im übrigen gute Gründe, diese NATO-Rüstungssonderhilfe und auch die Ausstattungshilfe für die Dritte Welt zu leisten. Deshalb bin ich der Meinung, daß man das nicht von seiten einer Partei bekämpfen soll, deren eigene Leute im Ausschuß diese Dinge für gut heißen.Nun, meine Damen und Herren, von meiner Sicht aus ein paar Worte zum auswärtigen Dienst, um den wir uns sehr bemüht haben, der seit mehr als einem Jahr im Mittelpunkt der parlamentarischen Diskussion steht, der im Auswärtigen Ausschuß, aber ganz besonders im Haushaltsausschuß, eine besondere Aufmerksamkeit gefunden hat, die sich in konkreten Maßnahmen niederschlug.Wir müssen immer an die zweite Lesung im vorigen Jahr oder an die Schwierigkeiten zurückdenken, die es vorher gab, um zu erkennen, was in der Zwischenzeit geschehen ist, um den auswärtigen Dienst in eine gute Position zu heben.Nun habe ich Verständnis, daß die etwas vornehmeren Politiker des Auswärtigen Ausschusses und natürlich die Opposition gern noch mehr gehabt hätten, als wir gemacht haben. Sie haben gesagt: Es ist zu wenig; man braucht noch mehr. Sie vergleichen sich gerne mit dem Dienst im Ausland. In diesem Zusammenhang ist zweifellos zu sagen, daß so mancher andere diplomatische Dienst im Ausland besser ist.Haushaltspolitiker wie wir, die zusammenzählen müssen, wissen, wie schwer es ist, Neues zu bekommen. Ich kann nicht ohne Grund und nicht ohne Stolz feststellen, daß es selten so viele neue Maßnahmen für den auswärtigen Dienst wie im Haushalt 1986 gegeben hat.
Wir müssen das vor allen Dingen mit dem vergleichen, was in anderen Ministerien im Inland geschehen ist. Wir können sehr wohl gegenüber dem bestehen, was die SPD früher gemacht hatte. Es mußte nämlich tatsächlich erst die Wende kommen, damit endlich auch für den diplomatischen Dienst mehr geschehen konnte.
Meine Damen und Herren, Sie wissen wahrscheinlich nicht mal, was alles beschlossen wurde. Vielleicht sagt es Ihnen der Kollege Peter Würtz nachher noch. 50 neue Stellen zu bekommen ist nicht selbstverständlich, 53 Hebungen zu bekommen ist nicht selbstverständlich, und 10 neue Stellen für Hilfskräfte für die Wirtschaftsförderung zu bekommen ist alles nicht selbstverständlich. Schauen Sie sich mal andere Haushalte der einzelnen Ministerien an und dabei die Beschlußfassung, daß der Stufenplan für die nächsten Jahre durchgeführt werden muß und damit natürlich auch der gesamte diplomatische Dienst bis zum Jahre 1989 in die Lage versetzt wird, in der wir ihn uns schon lange wünschen, daß er nämlich für die Bundesrepublik Deutschland draußen in der Welt für die verschiedensten Aufgaben auch gute Arbeit leistet.
Wir wollten nicht die Ausweitung des Beamtenapparats auf Kosten der Steuerzahler, sondern wir wollten einen einsatzfähigen Dienst. Denn die neuen Stellen, die das Auswärtige Amt bekommt, sind mittelfristig im gesamten Haushalt eingefangen, so daß sich keiner Sorge zu machen braucht, daß es jetzt plötzlich viel mehr Personal gibt.Und noch eine Kritik ist angeklungen: daß immer nur „oben" etwas gemacht wird. Hier ist deutlich zu sagen, daß im Stufenplan der mittlere Dienst besonders gestärkt wird und damit auch die Reformkommission, wie sie in den 70er Jahren bestanden hat, ihre Vorstellungen endlich verwirklichen kann.
— Alles einmütig, ganz richtig. Ich bin sehr dankbar, daß da die Opposition mitgemacht hat, daß auch der Kollege Peter Würtz hier sehr staatstragend mitgemacht hat. Da können Sie ihm durchaus einen Applaus geben. Das deutet darauf hin, meine Damen und Herren, daß wir dieses Ziel in unserer Regierungszeit als wesentlich erkannt haben und daß wir diesem Ziel auch entsprechend nähergekommen sind.Wir haben aber nicht nur Stellen gesehen, sondern wir haben auch Inhalte gesehen. Herr Außenminister Genscher, ich habe es vorhin sehr nett empfunden, daß Sie jene Leute, die so sehr vom Menschen zu reden versuchen, auch einmal darauf
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13304 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Dr. Rosehingewiesen haben, was es bedeutet, wenn man vom „Apparat" spricht und wie man wirklich vom Menschen redet. Wir haben einiges gemacht, um den Mitarbeitern des auswärtigen Dienstes ihren Dienst selber etwas zu erleichtern. Denn all das, was in den vergangenen Jahren passiert ist, mit einem zu rapide angestiegenen Dollarkurs, mit den verschiedenen Sorgen bis hin zu kriminellen Schwierigkeiten, die es in vielen Städten der Welt gibt, all das muß man ja in den Griff bekommen. Wir haben den Kaufkraftausgleich verbessert, die Fortbildung ist verstärkt worden, dabei sind auch die Ehepartner einbezogen worden. Es sind Sicherheitsbaumaßnahmen getroffen worden oder werden in der Zukunft getroffen. Es gibt eine Reihe solcher Positionen, von denen wir wissen, daß wir in Zukunft einen motivierten auswärtigen Dienst bekommen, der wirklich im Sinne der Bundesrepublik Deutschland in unseren verschiedenen Vertretungen, sei es in wirtschaftlicher Hinsicht, sei es bei Rechtsfragen und Konsularfragen, bei den berühmten Asylfragen, sei es aber auch bei gewissen Gesundheitsfragen entsprechend präsent und gut in der Lage ist zu handeln.Meine Damen und Herren, ich habe große Lust, neben diesem inhaltlichen Teil der Stellen und des Geldes zwei Punkte anzuschneiden, die auch Teil unseres auswärtigen Bereichs sind, die mehr mit der auswärtigen Kulturpolitik zusammenhängen, über die wir im Rahmen der Haushaltsberatungen auch gesprochen haben. Zunächst einmal ganz kurz noch einmal zum Goethe-Institut. Das Goethe-Institut war irgendwann mal der Meinung, es geht ihm schlecht, weil die neue Regierung da ist. Die Wende hat dem Institut nicht gepaßt.
Inzwischen ist es so, daß es im Haushalt 1986 wieder sieben neue Stellen bekommt, darunter jemanden, der den überlasteten Generalsekretär entlasten soll, nämlich einen Stellvertreter für ihn. Ich hoffe, daß diese Position gut besetzt ist und daß damit auch der Generalsekretär eine vernünftige Arbeit im Sinne des Goethe-Instituts machen kann.Was mir nur komisch aufgefallen ist, war in der „Süddeutschen Zeitung" vor wenigen Tagen, daß man dort schon wieder gewußt hat: Das, was der Bundestag beschlossen hat oder was das Auswärtige Amt im Zusammenhang mit der deutschen Sprache will, kann man j a gar nicht machen, denn wir sind keine Großmacht mehr, und wir können das ja alles gar nicht so durchführen, wie die sich das vorstellen. Meine Damen und Herren, ich darf hier mal ganz klar fragen, wer behauptet denn, zumindest in den letzten 40 Jahren, daß wir Deutschen eine Großmacht sind? Wir haben uns lediglich darüber unterhalten, daß durchaus ein Interesse an der deutschen Sprache besteht.
Das Goethe-Institut widerspricht sich ja selber, weil in derselben Veranstaltung der Herr Präsident darauf hingewiesen hat, daß es Regionen mit vermehrtem Interesse an der deutschen Sprache gibt, z. B. Südkorea und Japan. Man hat auch nochmals darauf hingewiesen, daß die deutsche Sprache die lingua franca in Mittel- und Osteuropa ist. Der Herr Präsident hat zwar bloß von Osteuropa gesprochen, aber ich zähle die Tschechoslowakei oder Ungarn nicht zu Osteuropa. Das sind zentraleuropäische Länder, und dabei sollten wir auch bleiben.
Dann kam, daß man sich beim Goethe-Institut distanziert geäußert habe, daß man im Sinne der derzeitigen Regierungspolitik handeln müsse. Meine Damen und Herren, hat man denn vorher im Sinne der anderen Regierungspolitik gehandelt? Ich stelle mir diese Frage wirklich, weil immer der große Angriff aus München kommt, als müßte man sich jetzt plötzlich auf die neue Regierungspolitik einstellen. Das kann doch nichts anderes heißen, als daß man sich an liebgewordene Vorstellungen von früher gewöhnt hat und jetzt plötzlich „gewendet" wird. — Es wird dem Goethe-Institut in München sicher nicht schaden, wenn man auch hier merkt, daß ein neuer Wind weht.
Ganz kurz noch zur UNESCO. Wir haben über die Ergebnisse der 23. Generalkonferenz der UNESCO in Sofia noch nicht reden können. Ich bin froh, daß einige Kollegen dort waren und verhältnismäßig Gutes berichten konnten.Wir haben uns doch im letzten Jahr nicht ganz einig werden können: Soll es auch zu einem deutschen Austritt kommen, oder kann man noch solche Reformbewegungen einleiten, daß dieser Austritt nicht erforderlich wird? — Jedenfalls muß ich festhalten, daß wir uns gemeinsam mit den Briten überlegen müssen, wie der Weg in die Zukunft weitergehen soll. Aber einiges deutet darauf hin, daß die Reform in Sofia gut in die Wege geleitet worden ist. Allerdings berichtet auch die „Prawda", daß man mit dem Ergebnis zufrieden sei. Das macht mich natürlich wieder hellhörig. Mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitiere ich aus der „Prawda" vom 11. November, Originalton:
Das heißt also auf gut deutsch, daß man bei der Konferenz einen Schritt nach vorn gekommen ist. — Sie brauchen doch nicht so zu erschrecken: Wenn ein CSU-Politiker ein bißchen Russisch kann, kann er nicht gefährlich sein. In Zukunft werden wir auch noch Chinesisch lernen.
Meine Damen und Herren, wir wollen hier festhalten, daß die Ergebnisse von verschiedenen Seiten als Fortschritt beurteilt wurden. Auch von mir aus möchte ich trotz eines Beschlusses des CSU- Parteitags vom letzten Samstag, daß man aus der UNESCO austreten solle, sagen, daß zunächst einmal noch alle Schritte überlegt werden sollten, um die UNESCO mit Hilfe der sehr gut in verschiedene Gremien gewählten deutschen Vertreter auf eine
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13305
Dr. Roserichtige Spur zu bringen. Sollte das alles nichts nützen — dem Generaldirektor hat man schließlich nichts weggenommen, er regiert so, wie er es gewohnt ist, obwohl man den Gesamthaushalt um 25% gestutzt hat —, können wir immer noch zu Beschlüssen, die im Sinne eines gemeinsamen westlichen Verhaltens sind, kommen. Dann werden wir auch entsprechend argumentieren.
— Auch mit Ihnen, Frau Kollegin Hamm-Brücher, da bin ich ganz sicher; denn wenn es nichts nützen sollte, können Sie doch nicht so blind sein, daß Sie sagen: Egal was passiert, wir bleiben auf alle Fälle dabei. — Das kann ich mir bei Ihnen nicht vorstellen. Dafür kenne ich Sie zu gut.Ich möchte also sagen: Wir haben in diesem Haushalt 1986 dem auswärtigen Dienst zu helfen versucht. Ich hoffe, daß das auch von den Angehörigen des Dienstes anerkannt werden wird. Wir werden uns bemühen, auch in Zukunft zu helfen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Würtz.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie sind wahrscheinlich der Meinung, daß ich jetzt allgemeine politische Ausführungen machen sollte, nachdem hier der Kollege Dr. Klaus Rose geredet hat. Ich will jedoch gleich zum Haushalt reden, aber Ihnen, lieber Dr. Klaus Rose, auch deutlich sagen: Der Begriff Antiamerikanismus für das, was Sie bei den Sozialdemokraten zu verspüren gemeint haben, trifft für die Sozialdemokraten und für die Sozialdemokratische Partei nicht zu.
— Für alle. Für jeden kann ich das sagen.
Meine Damen und Herren, die zweite Lesung des Einzelplans 05 gibt Gelegenheit zur Darstellung unserer Haltung bei den Entscheidungen im Ausschuß für den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes sowie zu einer kritischen Bemerkung gegenüber der Leitung. Ich hoffe, sehr verehrter Herr Bundesminister, daß Sie aus diesen Anregungen und Vorschlägen einiges lernen und im kommenden Jahr 1986 das eine oder andere besser machen werden.Herr Bundesminister, Sie kümmern sich, so, wie ich das sehe, durch eine sehr intensive Reisediplomatie um die Außenpolitik unseres Landes. Es gibt eine große Zahl von Menschen in Deutschland, die bewundern, daß Sie so viele Strapazen, so viel — ich will einmal sagen — körperliche Unbill auf sich nehmen, von einem Ort zum anderen zu jetten. Und es gibt viele, auch Kollegen hier im Hause, die sich wundern, wo überall Sie sind.Nur: In Ihrem Hause und auch in den Auslandsvertretungen wird darüber Klage geführt, daß Sie zuwenig Zeit für Gespräche mit den Mitarbeitern und dem Personalrat finden. Daß Sie mit den Dienststellenleitern sprechen und ihnen Anweisungen erteilen, ist bekannt. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Ich möchte Sie aber wirklich fragen, ob Sie schon einmal vor Ort in den Vertretungen mit dem Personalrat und den Mitarbeitern gesprochen haben
und ob Sie dann, wenn Ihnen Sorgen und Probleme vorgetragen worden sind, für Abhilfe gesorgt haben.
— Ich finde es sehr nett, daß Sie sagen, daß wir Berichterstatter uns doch intensiver um diese Fragen kümmern.
Herr Minister, Sie haben mit Ihrer Rede hier einen guten Einstieg getan. Sie haben auf die Sorgen und Probleme aufmerksam gemacht.
Sie haben auf Schulprobleme hingewiesen, auf Schwierigkeiten, auf die jeder trifft, der sich einmal mit Familien im Ausland unterhalten hat. Das ist ein guter Ansatz. Ich möchte Ihnen für das kommende Jahr den guten Rat geben, bei Ihren vielfältigen Reisen das eine oder andere Mal an Ort und Stelle etwas über die Probleme der mittleren und einfachen Beamten zu erfragen.
Meine Damen und Herren, die Planstellensituation wird sich im kommenden Jahr verbessern — wir haben das schon vom Kollegen Rose gehört. Das ist gut so. Dem stimmt die SPD voll zu.
Nur waren im Entwurf der Bundesregierung trotz der bekannten personellen Engpässe nur 32 neue Stellen vorgesehen. Im gerade vorgelegten Bericht der Bundesregierung über den Stand der Reform des auswärtigen Dienstes heißt es zum personellen Bereich lapidar: Prüfung noch nicht abgeschlossen; weiterer Ausbau der Personalreserve wird im Laufe der nächsten Jahre erfolgen.
Es ist ein hinhaltender Bericht, der am 11. 11. dieses Jahres vorgelegt worden ist.Demgegenüber hat der Haushaltsausschuß die Notwendigkeit personeller Verbesserungen einstimmig anerkannt. 50 neue Stellen, 53 Hebungen und die Genehmigung zur Einstellung von 10 Hilfskräften für die Wirtschaftsförderung sind, glaube ich, ein guter Einstieg in einen Stufenplan für die nächsten Jahre, der dazu führen wird, daß der Dienst effektiver und leistungsfähiger werden kann.
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13306 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
WürtzMeine Damen und Herren, wir konnten uns im Ausschuß nicht der im Entwurf der Bundesregierung vorgesehenen Aufhebung der Bindung der Leiterstellen an bestimmte Planstellen anschließen, weil das der personalpolitischen Verschieberei Tür und Tor geöffnet und uns im Parlament zum untätigen Zuschauer degradiert hätte. Dagegen haben wir einvernehmlich zum erstenmal eine Verknüpfung der Stellenpläne von Zentrale und Auslandsvertretungen zugestimmt, weil dies der Flexibilität und der besseren Personalsteuerung dient. Wir werden diese Ermächtigung — hierüber besteht Einvernehmen zwischen allen Kollegen — sehr sorgfältig beobachten. Wir erwarten, daß uns innerhalb von zwei Jahren ein Bericht vorgelegt wird, wie diese neue Regelung gehandhabt wird.Den Ansatz für die humanitäre Hilfe sowie die Soforthilfe in Katastrophenfällen haben wir um 1 Million DM auf 54 Millionen DM angehoben. Dies geschah insbesondere im Hinblick auf die verheerenden Folgen der Erdbebenkatastrophe in Mexiko. Jetzt ist der Vulkanausbruch in Kolumbien mit dem grauenvollen Sterben von Tausenden hinzugekommen. Ich weiß, daß die Bundesregierung helfen wird. Ich habe nichts dagegen — das sage ich als Haushälter —, wenn notwendige Hilfe auch einmal überplanmäßige Ausgaben erfordert.Dank möchte ich an dieser Stelle den vielen Helfern sagen — zivil wie uniformiert —, die in den Katastrophengebieten uneigennützige Hilfe leisten. Weihnachten 1985 z. B. werden Soldaten des Lufttransportgeschwaders aus Landsberg ihre Einsätze in Äthiopien fliegen und dort das Fest im Wüstensand feiern.
— Herr Vorsitzender des Haushaltsausschusses, der Abgeordnete Würtz wird nicht dabei sein; denn er will
sein Fest natürlich zu Hause mit seiner Familie feiern.Ich bin der Meinung, wir sollten dafür Dank sagen, und zwar auf allen Seiten des Hauses.
Meine Damen und Herren, ein Thema, das uns und die Öffentlichkeit immer wieder beschäftigt, sind die NATO-Verteidigungshilfe und die jetzt neu eingestellte Rüstungssonderhilfe. Damit sollen drei portugiesische Fregatten auf einer deutschen Werft gebaut werden. Vorgesehen ist der neue Titel für eine Rüstungssonderhilfe mit siebenjähriger Laufzeit in Höhe von 254 Millionen DM, davon allein 41 Millionen in 1986.Auf meine Fragen im Haushaltsausschuß hat Verteidigungsminister Dr. Wörner nun geantwortet, daß auch die im Verteidigungshaushalt neu eingestellte Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 900 Millionen DM für die Türkei, die erst nach Abschluß der Verhandlungen genau quantifiziert werden könne, später dem Bundesaußenminister zur
Wird Ihr Etat dann nicht zu einem Sonderetat für Rüstungsausgaben? Müssen Sie sich nicht gegen einen Rüstungsanteil, der unter diesen Vorgaben weit mehr als 20 % des Etats des Auswärtigen Amtes ausmacht, zur Wehr setzen, oder wollen Sie zum Rüstungssonderminister werden? Herr Bundesaußenminister, ich möchte Sie herzlich bitten, die Frage der Etatisierung dieser Rüstungssonderhilfe — auch was die Türkei und was eventuell Griechenland angeht — noch einmal ernsthaft und sorgfältig zu überprüfen. Ich bin auch der Meinung, Sie sollten dem Parlament dazu eine Erklärung geben.Demgegenüber muß man das Ansteigen des Ansatzes in dem Kapitel für die auswärtige Kulturpolitik um rund 5 % positiv bewerten.
Eine Verstärkung der Auslandskulturarbeit ist damit möglich. Den Ansatz für das Sonderprogramm Südliches Afrika haben wir in diesem Zusammenhang auf 3 Millionen DM erhöht. Ich hoffe nur, daß wir die Chance haben, dieses Geld in der derzeitigen Situation in Südafrika auch sinnvoll auszugeben.Meine Damen und Herren, noch ein ganz kurzes Wort zu dem Kulturetat und zu den Schulbauten: Herr Bundesaußenminister, Sie haben vor wenigen Tagen in Rom eine neue deutsche Schule eingeweiht. Diese deutsche Schule hat mehr als 65 Millionen DM gekostet. Ich möchte Sie sehr herzlich bitte, nach den Erfahrungen, die wir mit diesem Prachtbau und mit dem in London gemacht haben, eine solche Entwicklung für die Zukunft nicht mehr zuzulassen. Ich halte das für eine sehr leichtfertige Art des Umgangs mit dem Geld der Steuerzahler. Hier muß sorgfältiger geplant und aufgepaßt werden.Ich komme zum Schluß und sage: Wir würden Ihrem Etat gerne zustimmen, Herr Bundesaußenminister, weil er, was die praktischen Dinge angeht, j a viele Verbesserungen bringt, auch für die Mitarbeiter und für den Dienst.
Da wir aber nicht ganz genau wissen, wer eigentlich die Grundlinien der Außenpolitik bestimmt, ob Herr Teltschik vom Bundeskanzleramt oder Herr Strauß aus München oder wer auch immer,
sehen wir uns nicht in der Lage, Ihrem Haushalt zuzustimmen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13307
Frau Kollegin Borgmann, Sie hatten noch zwei Minuten. Bitte, Sie haben das Wort.
Das mache ich gerne!
Ich möchte noch ganz kurz auf die Ausführungen von Herrn Außenminister Genscher eingehen, der sagte, die Kontinuität in der bundesdeutschen Ostpolitik sei gewahrt. Das sehen wir ganz anders. Während der letzten drei Jahre war die Koalition nicht in der Lage, die von den Sozialdemokraten eingeleitete Entspannungspolitik gegenüber Osteuropa aufzugreifen, geschweige denn fortzuführen. Die Grabenkämpfe innerhalb dieser Koalition haben diese nur zu oft handlungsunfähig gemacht. Wieviel Zeit hat Herr Genscher aufwenden müssen, um die Scherben von dem aufzulesen, was rechte Ideologen in der Union politisch zertrümmert haben!
Eine glaubwürdige Ostpolitik setzt zumindest zweierlei voraus: eine Akzeptierung der Folgen des letzten Krieges de facto und auch formell. Schlesien ist eben nicht länger unser. Meine Damen und Herren, das ist nun einmal eine Folge der Nazi-Herrschaft, und das müssen wir so sehen.
Zweitens ist eine intensivierte Zusammenarbeit mit den Ländern Osteuropas dringend notwendig. Helfen wir diesen Ländern, ihre Volkswirtschaften zu entwickeln; dann vermindern wir die Spannungen in Europa, betreiben Politik zum gegenseitigen Nutzen und erleichtern die Ausweitung der Freiheitsräume.
Zur Entspannungspolitik gehört auch die staatliche Anerkennung der DDR. Es wird keinen Weg darum herum geben.
Zu Herrn Rose möchte ich ganz gerne noch sagen, daß sich unterschiedliche politische Ansichten meiner Meinung nach nicht im mitmenschlichen Umgang äußern sollten.
Es täte mir leid, wenn Sie denken, daß ich Schroffheit an den Tag legen müßte, um meine unterschiedlichen politischen Ansichten deutlich zu machen.
Ich möchte gerne auch noch das mit dem „Apparat" im Auswärtigen Amt richtigstellen. Das war eine etwas unglückliche Formulierung. Ich wollte sagen, daß auch wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr dankbar für das sind, was sie leisten. Sie sind nicht verantwortlich zu machen für die Außenpolitik der Bundesregierung.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! — Wir wollen euch auch nichts ersparen. — Ein paar Bemerkungen zu den Vorrednern. Herr Kollege Voigt, machen Sie sich keine Sorgen darüber, wie kongruent die Meinungen zwischen dem Kollegen Rühe und uns sind. Wir haben da keine Schwierigkeiten miteinander.
Ich darf gleich hinzufügen: Was hier über die Kollegen Czaja und Hupka gesagt wurde, war schlicht grotesk.
Die beiden haben in dieser Frage, die hier angesprochen wurde, noch nie etwas anderes festgestellt als der Bundeskanzler
und als das, was sich mit dem Grundgesetz deckt. Wenn Sie sich davon entfernen, ist das Ihre Sache.
Verehrter Herr Kollege Gansel, Sie haben eine Rüstungslieferung an Thailand gerügt. Ich muß Ihnen sagen, es gab unter der SPD-geführten Bundesregierung Waffenlieferungen an Thailand, einfach mit der Begründung, daß es sich um einen befreundeten Staat handelt, mit dem uns gleiche Wertvorstellungen in vieler Hinsicht verbinden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Frau Präsidentin, die Zeit, die mir zur Verfügung steht, ist zu kurz.Lassen Sie mich ein paar Sätze zum auswärtigen Dienst sagen. Die Arbeitsgruppe Außenpolitik der CDU/CSU-Fraktion hat am 5. Juni des vorigen Jahres den Personalrat des Auswärtigen Amtes zu sich gebeten. Davon ging eine Initiative in den Auswärtigen Ausschuß aus, die von dem inzwischen leider verstorbenen Vorsitzenden Werner Marx aufgegriffen wurde. Aus dieser Initiative ergaben sich Große Anfragen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD- Fraktion zum Thema. Wir haben gemeinsam ein Hearing veranstaltet, sind gemeinsam zu einer ganzen Reihe von Schlüssen gekommen. Ich möchte unabhängig davon, was Frau Kollegin Huber jetzt vielleicht Kritisches anzumerken haben wird, hervorheben, mit wieviel Engagement sich Frau Kollegin Huber in diese Arbeit hineingekniet hat. Was
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Klein
immer jetzt zum Haushalt 05 gesagt werden mag, der erste Schritt, der uns hier gelungen ist, sollte nicht negativ beurteilt werden, vor allem nicht von der SPD. Sie hätten ihn ja während Ihrer Regierungszeit machen können. Der Außenminister ist seit elf Jahren der gleiche. Mit Ihnen ging nichts, mit uns geht es.
Lassen Sie mich bitte auch noch feststellen: Die große Mehrheit der Angehörigen unseres auswärtigen Dienstes, im Amt und an den Vertretungen, hat in all den zurückliegenden Jahren ihre schwieriger, umfangreicher und in manchen Ländern gefährlicher, ja, lebensgefährlich gewordene Aufgabe hervorragend erfüllt. Dafür gebührt ihnen unser aller Dank.
Lassen Sie uns bitte gemeinsam diesen Dienst wieder wirtschaftlich so ausstatten und sozial so absichern, daß seine Anziehungskraft für fähige junge Menschen bewahrt bleibt. Denn das Idealbild des modernen Diplomaten kann weder der gelangweilte Snob mit Orden, Frack und Cocktailglas am palmenbeschatteten Swimmingpool sein noch der graue gestreßte Bürokrat, der nur Pässe stempelt, Zeitungen auswertet und um die Erreichung der nächsten Besoldungsstufe besorgt ist. Eine erfolgreiche Außenpolitik — eine solche hat diese Bundesregierung in den vergangenen drei Jahren betrieben — bedarf auch eines gut strukturierten auswärtigen Dienstes.Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, lassen Sie mich ein abschließendes Wort zu dem sagen, was Sie in den letzten Monaten an Parteikontakten zu regierenden kommunistischen Parteien für richtig gehalten haben. Ich glaube, Sie tun sich, mit Sicherheit aber der Bundesrepublik Deutschland keinen Gefallen damit. Im Gegenteil, Sie handeln wider das deutsche Interesse.
Ich drücke hier ausgesprochen Respekt für Kollegen wie etwa den Kollegen Becker aus, der sich seit vielen Jahren um Aussöhnung und Verständigung mit den Polen bemüht. Das ist aber eine völlig andere Sache, als wenn Sie nun mit der SED oder mit den polnischen Kommunisten völkerrechtlich zwar irrelevante, aber bei unseren westlichen Freunden Mißtrauen und Irritation weckende Vereinbarungen treffen, die noch dazu von der weltpolitischen Entwicklung überholt werden. Herr Kollege Voigt, kommen Sie sich mit Ihrem komischen Abkommen über chemiewaffenfreie Zonen nicht lächerlich vor,
das ja selbst durch einen Vorschlag von Herrn Gorbatschow überholt ist. Der Herr Gorbatschow gingin dieser Frage ein Stück weiter als die SPD. Einähnliches Schicksal wird auch den anderen Abmachungen beschieden sein.Ich will mich hier nicht an Unzulänglichkeiten der Opposition weiden, ich möchte nur, daß Sie bitte auch bedenken, welche Wirkungen solche Aktionen für die deutschen Belange im westlichen Ausland haben.Ich bedanke mich.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die meisten Menschen, die uns innerhalb und außerhalb des Parlaments in der Haushaltswoche zuhören, finden sicher die großen politischen Auseinandersetzungen spannend, weniger aber das nackte Zahlenwerk, das wir hier beschließen. Trotzdem, glaube ich, ist es wichtig, auch einmal über den Haushalt selbst zu reden. Ich möchte das hier tun, ohne jede Polemik gegen irgendwelche Kollegen und in dem Bemühen, ein wenig deutlich zu machen, wie die sachlichen Grundlagen für das sind, was wir Außenpolitik nennen.Der Haushalt des Auswärtigen Amtes ist in diesem Jahr mit großer Spannung erwartet worden, sowohl von den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses als auch von den Bediensteten des Amtes selbst. Diese alle wissen sehr genau, Herr Rose, wer die Anträge, die nachher einstimmig verabschiedet worden sind, im Auswärtigen Ausschuß eingebracht hat.
— Dazu müssen Sie sich erst einmal hinsetzen und sie erarbeiten; das haben nicht sehr viele Leute im Auswärtigen Ausschuß getan, wir jedoch, die SPD, haben es getan.
Deswegen, denke ich, sollten Sie hier nicht solche billigen Bemerkungen machen.Die nach 13 Jahren endlich in Gang gekommene ernsthafte Diskussion über die Reform des auswärtigen Dienstes im vergangenen Jahr hat uns jetzt natürlich neugierig gemacht, wie die Haushaltsberatungen laufen. Wir haben im Frühjahr eine dreitägige Anhörung durchgeführt, zu der der Herr Minister Genscher, der diese Anhörung hier erwähnt hat, leider kein einziges Mal erschienen ist,
obwohl mindestens zwei Termine lange bekannt waren. Aber wir haben danach, am 20. Juni, hier immerhin eine Plenardebatte geführt, in der wir uns alle einig waren hinsichtlich der Einsichten und auch der Ziele. Ich fand nur, daß die zurückhaltendste Rede an diesem Abend vom Außenminister ge-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13309
Frau Huberhalten wurde. Das muß ich hier allerdings auch sagen.
Die konkrete Beseitigung der vorhandenen Defizite — so war das Ergebnis im Juni — sollte sich in Stufen, beginnend 1986, auch haushaltsmäßig niederschlagen. Personallücken, technische Schwierigkeiten und soziale Mängel sollten Zug um Zug geprüft und Schritt für Schritt beseitigt werden.Wie sieht nun das Beratungsergebnis aus? Zunächst stelle ich bei allen noch bestehenden Unzufriedenheiten fest, daß der Haushaltsausschuß mit 50 Stellen, davon 48 an Auslandsvertretungen, mehr bewilligt hat, als die Regierung beantragt hat. Dafür danken wir ihm ausdrücklich.
Die Verstärkungen mildern den uns in der Anhörung deutlich gewordenen Mangel an Wirtschaftsreferenten, aber auch die Engpässe in Rechts- und Konsularangelegenheiten.Es freut uns, daß der Haushaltsausschuß die anfängliche Kopflastigkeit zugunsten des höheren Dienstes durch die Bewilligung von mehr technischen Hausmeistern, aber auch mehr Stellen im mittleren und gehobenen Dienst beseitigt hat. Mit der Initiative der SPD, auch im mittleren Dienst noch neue Stellen einzurichten, hat dieser Dienst nunmehr dank des Haushaltsausschusses 83 Stellen von den von der Reformkommission verlangten 200 Stellen. Das ist noch nicht viel, aber immerhin ein weiterer Schritt. Auch ein zusätzlicher Regionalarzt ist noch nicht viel, aber es ist ein Arzt mehr, der sich um unsere Bediensteten kümmert. Die Personalreserve wurde um fünf Stellen aufgestockt. Das, hoffe ich, wird besonders der Aus- und Fortbildung zugute kommen.Wir begrüßen auch die Hebungen, und zwar begrüßen wir ganz besonders die Tatsache, daß von 53 Hebungen 48 unterhalb des höheren Dienstes stattfinden, 15 davon im einfachen Dienst. Über den Personalrat wissen wir, daß sich die Angehörigen des einfachen und mittleren Dienstes in Hochlohnländern auf Grund ihrer schon im vorigen Jahr bekanntgewordenen schlechten Situation fast alle mit Nebenbeschäftigungen über Wasser halten. Lesen Sie einmal die Berichte! Dann werden Sie sehen: Sie sind Taxifahrer, Kellner, Automechaniker, Musiker, Gartenarbeiter oder stützen sich auf vielfältige Betätigungen ihrer Ehefrauen, die also als Bäkkerin und Manglerin, Babysitterin und anderes mehr Geld zuverdienen, weil, wie ich voriges Jahr schon betont habe, die Lage dieser Gruppen so schlecht ist, daß sie oft unter das dortige Niveau der Sozialhilfe rutschen. Wir haben das Problem in der Anhörung sehr ernsthaft kennengelernt.Der Auswärtige Ausschuß hat mit Rücksicht auf die noch laufende Übergangsregelung die Prüfung der Frage, ob die jetzige Anpassung des Kaufkraftausgleichs ausreichend ist, auf nächstes Jahr verschoben. Ich sage Ihnen aber schon, daß man durchaus von den 200 Positionen abgehen könnte, die derWarenkorb für diese Prüfung vorsieht, und es mehr der Realität anpassen könnte. Außerdem verstehe ich überhaupt nicht, warum die Vergleichskäufe des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden geheimgehalten werden. Darauf werden wir nächstes Jahr zurückkommen.Außerordentlich betrüblich ist das Ergebnis der bisherigen Beratungen der in unserer Anhörung lange erörterten Probleme der Ehefrauen, die im auswärtigen Dienst Leistungen erbringen, ohne daß das Amt, Herr Genscher, sie wirklich zur Kenntnis nimmt. Dieses für die Gewinnung eines qualifizierten Bewerberpotentials nachteilige und vom Minister selbst für wichtig gehaltene Problem der Einstufung von Ehefrauenengagement in einer kleinen Unterposition in der Aufwandsentschädigung ihres Mannes wird vom Ministerium in dem am 11. November 1985 — also zwei Tage vor der letzten Haushaltsausschußsitzung — vorgelegten Bericht zum Beschluß des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1985 überhaupt nicht erwähnt, obwohl die fragliche Bundestagsdrucksache unter Punkt d) Auskunft verlangt und obwohl der Auswärtige Ausschuß erneut um Vorschläge zu einer besseren Lösung gebeten hat. Herr Genscher, es genügt nicht, daß Sie den Damen hier einmal im Jahr Dank abstatten. Wir erwarten konkrete Vorschläge.
Der Haushaltsausschuß hat den SPD-Antrag auf Einführung einer eigenen gleichmäßigen Entschädigung für Ehefrauen abgelehnt. Es mag sein, daß mein Vorschlag noch nicht ausreichend ausgearbeitet ist und daß wir in intensiven Beratungen zu besseren Vorschlägen kommen. Was mich an der Antwort der Bundesregierung aber gestört hat, ist der völlige Mangel an Initiative auf diesem Feld.
Unsere volle Zustimmung findet die Verknüpfung der Stellenpläne im Sinne einer neuen Flexibiliät zwischen der Zentrale des Auswärtigen Amtes und dem auswärtigen Dienst. Wir sehen darin einen ersten Schritt zu einer vernünftigen, von der Bundesregierung allerdings immer noch nicht ganz eingesehenen Verbindung der Stellenkegel, deren Vereinheitlichung wir schon voriges Jahr gefordert haben. Der auswärtige Dienst ist nun einmal keine nachgeordnete Behörde des Auswärtigen Amtes, sondern ein selbstverständlicher Bestandteil jedes Auswärtigen Amtes. Die neue Regelung wird die Effizienz des Amtes bessern. Allerdings sind wir sehr froh, daß die Planstellenbindung für die Leiter der Auslandsvertretung bleibt.Wir freuen uns auch über mehr Sachmittel und Reisekostenmittel; wirklich ausreichend sind sie noch nicht. Ich hoffe, sie dienen insbesondere der schwierigen Lage bei der Doppelakkreditierung, die wir sehr beklagt haben. Die 10%ige Erhöhung der Aufwandsentschädigung und der besonderen Entschädigung wird von uns gebilligt. Auch der außergewöhnliche Aufwand ist sicher notwendig und hing lange zurück.
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13310 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Frau HuberSeit der vertieften Diskussion über den auswärtigen Dienst hat es auch Verbesserungen im sozialen Bereich gegeben. Ich erinnere hier an die neu eingeführten Sicherheitsmaßnahmen und die Schulbeihilfen; diese sind allerdings noch nicht ausreichend. Ich finde es sehr merkwürdig, daß es für Kinder deutscher Bediensteter im Ausland keine Kindergartenbeihilfen gibt, damit die Kinder früh die fremde Sprache lernen, die sie nachher in der Schule brauchen. Es gibt aber Geld für Nachhilfestunden, und ich möchte hier fragen, ob noch niemand auf die Idee gekommen ist, daß dies eigentlich wohl falsch ist.Für Baumaßnahmen im Ausland sind nur die nötigsten Gelder bewilligt worden, Riad, Brüssel, Moskau, Istanbul, aber wir freuen uns, daß die Anmietung und der Ankauf von Grundstücken und Häusern dort weiter gefördert werden soll, wo es für die Bediensteten sehr schwer oder sehr teuer ist, sich Wohnungen zu beschaffen. Ich möchte auch ausdrücklich erwähnen, daß wir, obwohl hier keine Ansatzerhöhungen vorgesehen sind, Einvernehmen erzielt haben, daß im Bereich der Sicherheit für Leib und Leben und bei dem Heimtransport kranker Kinder keine Schwierigkeiten entstehen sollen, sondern die tatsächlichen Kosten auch bezahlt werden sollen. Die Regierung bleibt aufgefordert, hierzu zu berichten.
Zusammenfassend möchte ich zu dem Komplex bemerken, daß die in Jahren aufgewachsenen und durch neue Aufgaben auch vermehrten Defizite natürlich in zwei Haushalten nicht behoben werden können. Auch jetzt noch wird das Auswärtige Amt mit der Reserve jonglieren und weiter Beschwerden und Klagen von Mitarbeitern nach mehr Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit entgegennehmen. Aber es hat sich etwas bewegt, und dafür danken wir dem Haushaltsausschuß, insbesondere für den Satz, daß er die weitere zügige Verwirklichung des Stufenplans, wenn auch natürlich unter streng haushaltsmäßigen Gesichtspunkten, erwartet, und das erwarten wir auch.Der Haushalt des Auswärtigen Amtes hat allerdings nicht nur Personal- und Sachmittel zu enthalten. Aus Zeitgründen muß ich mich darauf beschränken, hier zu sagen, daß die Zuschüsse an einige Institutionen besser sein könnten und daß wir uns zwar über die besseren UNO-Zuschüsse freuen, daß aber alles langsam an die Frage stößt, ob es noch Sinn macht, wenn wir das Personal immer noch finanzieren und keine Projektmittel übrigbleiben. Zur UNESCO hat Frau Kollegin Hamm-Brücher das nach meiner Meinung Richtige gesagt.Ich möchte nur noch einmal auf den Punkt der NATO-Verteidigungshilfe zurückkommen. Wie in den letzten Jahren lehnen wir als SPD-Fraktion diese ab, und zwar mit derselben Begründung, nämlich bestimmten Erwartungen an die Entwicklung in der Türkei.Ich muß auch noch ein Wort zu der neuen Rüstungssonderhilfe sagen, die von der Türkei gewünscht wird. Wir haben gesehen, daß in der jetzigen Ausstattungshilfe keine Beträge außer denen sind, die im Drei-Jahres-Programm vorgesehen sind; aber wir fürchten, daß im Zusammenhang mit den neuen Verpflichtungsermächtigungen im Einzelplan 14 für 1987 die Idee entstehen könnte, die dann frei werdenden Leo 1 in die Türkei zu schikken, wenn Leo 2 neu angeschafft wird, und davor möchten wir warnen.
Wir denken, daß dies ein empfindlicher Bereich ist, wo auch alle anderen NATO-Partner adäquat berücksichtigt werden müssen, und es gibt keine neue Sicherheit an einer technisch verstärkten Ostflanke, wenn wir dadurch neue Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei bekommen.
Wir möchten das hier anmerken, sozusagen mit warnendem Zeigefinger.Wir freuen uns über mehr Geld im Kulturhaushalt.Zum Schluß möchte ich gern sagen, daß wir, wie Sie sehen, vielen Einzelpositionen zustimmen. Aber wegen der politischen Auseinandersetzung in den Grundsätzen der Außenpolitik, die heute hier deutlich geworden ist, werden wir den Haushalt 05 ablehnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge des Abgeordneten Suhr und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4300 und 10/4301.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4300 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4301 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag des Abgeordneten Suhr und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4302 ab. In diesem Antrag wird unter Ziffer 1 eine Streichung des Titels 686 23 erbeten und — ich teile Ihnen das auch gleich mit — für den Fall der Ablehnung unter Ziffer 2 eine Kürzung des Titels beantragt.Deswegen lasse ich getrennt abstimmen. Wer Ziffer 1 des Änderungsantrages zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.Wer Ziffer 2 des Änderungsantrages zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13311
Vizepräsident Frau RengerGegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 05. Wer dem Einzelplan 05 — Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 05 ist in der Ausschußfassung in zweiter Lesung angenommen.Meine Damen und Herren, ich rufe auf: Einzelplan 14Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung— Drucksachen 10/4164, 10/4180 —Berichterstatter: Abgeordnete Löher Dr. FriedmannDr. Weng Frau Seiler-Albring Frau TraupeKleinert Dr. Riedl (München)Ich rufe weiter auf: Einzelplan 35Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte— Drucksache 10/4175 —Berichterstatter:Abgeordnete Rossmanith Kleinert
Hierzu liegen Änderungsanträge des Abgeordneten Kleinert und der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4315, 10/4316, 10/4338, 10/4339, 10/4346, 10/4382, 10/4376 und 10/4379 vor.Meine Damen und Herren, auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung der Einzelpläne 14 und 35 und eine Aussprache von 120 Minuten vorgesehen. Meine Damen und Herren, sind Sie damit einverstanden?
— Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Kleinert erbeten. Aber ich mache darauf aufmerksam: Nachdem Sie 120 Minuten Gesamtredezeit für diesen Tagesordnungspunkt hier beschlossen haben, muß sich der Berichterstatter für seine Fraktion in diese 120-Minuten-Zeit einbeziehen lassen.
Unter diesem Gesichtspunkt gebe ich dem Herrn Berichterstatter das Wort.
Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter Kleinert , als Berichterstatter.
Ich habe erklärt, daß das eingerechnet wird.
Meine Damen und Herren, ich gebe dem Abgeordneten Kleinert das Wort. Ich muß ihm das Wort zur Geschäftsordnung geben.
Ich begreife die ganze Aufregung nicht, die jetzt wegen der fünf Minuten, für die ich hier das Wort gewünscht habe, entstanden ist.
Im § 29 Abs. 1 der Geschäftsordnung heißt es:
Zu einem Geschäftsordnungsantrag erteilt der Präsident vorrangig das Wort.
Im Abs. 2 steht:
Der Präsident kann die Worterteilung bei — —
— Auf jeden Fall steht im § 28 der Geschäftsordnung:
Berichterstatter können vor Beginn und nach Schluß der Aussprache das Wort verlangen. Der Berichterstatter hat das Recht, jederzeit das Wort zu ergreifen.
Dieses Recht versuche ich hier für mich in Anspruch zu nehmen.
Diesem Recht ist auch verschiedentlich im letzten Jahr entsprochen worden.
— Es kann nicht angehen, diese Zeit auf die eh kärglich bemessene Fraktionsredezeit anzurechnen.
— Nein, denn das würde das Recht des Berichterstatters, hier jederzeit das Wort zu ergreifen, einschränken.
Das würde ihn davon abhängig machen, daß die Fraktion ihn als Redner hier nominiert. Das kann aber nicht Sinn des § 28 unserer Geschäftsordnung sein, der jedem Berichterstatter das Recht zur Berichterstattung ausdrücklich einräumt.
Deswegen beantrage ich hier, mir das Recht auf Berichterstattung ohne Anrechnung auf die Redezeit für unsere Fraktion einzuräumen.
Danke schön. — Meine Damen und Herren, es gibt überhaupt gar keinen Zweifel, daß die Berichterstatter das Recht haben, als Berichterstatter das Wort zu nehmen; das hatte ich vorher bereits gesagt. Aber wenn es
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13312 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Vizepräsident Frau Rengerim Ältestenrat Vereinbarungen gibt, über eine bestimmte Zeit eine Debatte durchzuführen, dann gehe ich davon aus, daß sich die Berichterstatter in diese Zeit einreihen.
Wenn das hier nicht der Fall ist, dann sind die 120 Minuten Redezeit praktisch aufgehoben. Dennoch bin ich natürlich gehalten — das tut mir furchtbar leid —, dem Berichterstatter, wenn er darauf besteht, das Wort zu geben. Ich werde hier nicht gegen die Geschäftsordnung handeln.Sie haben das Wort zur Berichterstattung. Bitte schön.
— Gut.Meine Damen und Herren, ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß wir die Redezeit inzwischen auf 120 Minuten verteilen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Traupe.
— Es ist mir nicht gesagt worden, daß der Abgeordnete Löher als Berichterstatter das Wort nehmen möchte. Bestehen Sie darauf, Herr Kollege, als Berichterstatter zu sprechen? — Dann haben Sie — aber innerhalb der Redezeit, um das hier ganz klarzustellen — das Wort als Berichterstatter.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für den Verteidigungshaushalt 1986 ist eine Reihe von Verbesserungen im Personalbereich vorgesehen, die ich jedoch nur stichwortartig und im Telegrammstil erläutern kann.Bei den Soldaten steht ein weiterer Zuwachs an Längerdienenden um 2 500 Soldaten auf 263 000 im Vordergrund, so daß dieser Anteil in den letzten vier Jahren um 12 000 Berufs- bzw. Zeitsoldaten vergrößert werden konnte. Hinzu kommt eine Erhöhung der Zahl der Wehrübungsplätze um 500 auf 6 600, die für rund 200 000 Wehrübende durchschnittlich zwölftägige Übungen ermöglichen.
Beide Maßnahmen sind notwendig, meine Damen und Herren, um die in den 90er Jahren rückläufigen Jahrgangsstärken der Wehrpflichtigen rechtzeitig auszugleichen.Hervorheben möchte ich außerdem die für 1986 vorgesehenen strukturellen Verbesserungen. Bei den Truppenoffizieren werden im kommenden Jahr die ersten 350 Zurruhesetzungen auf Grund des neuen Personalstrukturgesetzes erfolgen. Gleichzeitig wird dann bei den Offizieren des Militärfachdienstes und bei den Unteroffizieren die Chancengerechtigkeit dieser Laufbahnen im Wege der Umwandlung von 350 Planstellen weiter verbessert. Mit beiden Maßnahmen wollen wir die beim Aufbau der Bundeswehr entstandenen strukturellen Unausgewogenheiten konsequent abbauen.Durch einen weiteren Beschluß sollen die Streitkräfte auch eine Reihe neuer Soldatenstellen erhalten, um vor allem eine laufbahngerechte Beförderung und die Übernahme von Offiziersanwärtern und Sanitärsoffizieren zu sichern, mit denen schließlich der Personalbedarf für wichtige, neue Aufgaben gedeckt werden soll, die im Zusammenhang mit internationalen Verpflichtungen und, meine Damen und Herren, der Einführung neuer Waffensysteme zwangsläufig entstehen.Ein weiterer Bereich, den ich gern erwähnen möchte und in dem 1986 spürbare Verbesserungen wirksam werden sollen, ist der Bereich Fürsorge. Hier nenne ich nur einige Punkte: Verbesserungen bei der Auslandsbesoldung, bei den Reisekosten und beim Trennungsgeld, Erhöhung der Abfindungen bei Übungen im In- und Ausland, Verbesserung des Ausgleichs für Spitzendienstzeiten.Alle diese Maßnahmen sollen helfen, die vielfältigen besonderen Belastungen erträglicher zu machen, denen die Soldaten im täglichen Dienst ausgesetzt sind, besonders durch die weit überdurchschnittliche Dienstzeitbelastung und durch häufige Versetzungen.Wir werden uns in diesem Bereich auch künftig um Verbesserungen bemühen müssen. Ich meine, das sind wir unseren Soldaten schuldig. Hierzu gehört auch im weitesten Sinne die erhebliche Verbesserung der Kampf- und Arbeitsbekleidung unserer Soldaten sowie deren Schutz vor Kälte und Nässe.Bei dieser Gelegenheit danke ich besonders unseren Kolleginnen, im Haushaltsausschuß Frau Berger, Frau Seiler-Albring und nicht zuletzt Frau Kollegin Traupe, die den Bundesminister der Verteidigung veranlaßt haben, schnelle und wirksame Konsequenzen aus den Erfahrungen eines strengen Winters zu ziehen, wie wir alle ihn Anfang dieses Jahres zu spüren bekommen haben.
Auch im Zivilbereich der Bundeswehr, der gegenüber den Streitkräften in den vergangenen Jahren oft zurückstehen mußte, sind — und das ist, meine ich, ein Durchbruch gegenüber den vergangenen Jahren — Verbesserungen vorgesehen.Ich hebe diese besonders hervor, weil die umfangreichen Unterstützungsleistungen, die die zivile Bundeswehrverwaltung für die Streitkräfte erbringen muß, oft übersehen werden. Dabei wurden ihr — wie der zivilen Verwaltung des Bundes insgesamt — in den zurückliegenden Jahren erhebliche Personaleinsparungen auferlegt, die die Aufgabenerfüllung in Teilbereichen erschwert haben. Wir werden auch in den kommenden Jahren zur zusätzlichen Hilfe bereit sein, weil das Aufgabenspektrum der Bundeswehrverwaltung sich von Jahr zu Jahr sicher erweitern wird, zumal da es uns in zunehmendem Maße darauf ankommen muß, die Truppe von administrativen Aufgaben zu entlasten, damit
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13313
Löhersie sich angesichts rückläufiger Umfänge an aktiven Soldaten auf ihren eigentlichen Verteidigungsauftrag konzentrieren kann.Deshalb empfiehlt der Haushaltsausschuß als erste Schritte ab 1986:Erstens die Bewilligung von insgesamt 56 neuen Planstellen und Stellen u. a. für die Verbesserung der Intensivmedizin in den Bundeswehrkrankenhäusern.Zweitens 300 Planstellenanhebungen im mittleren und gehobenen Dienst.Drittens einen begrenzten Planstellenaustausch zwischen der Bundeswehrverwaltung und dem Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung.Viertens 1 035 neue Stellen für Auszubildende, mit denen auch 1986 ein zeitgemäßer Beitrag zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit geleistet werden kann.
Die kurz, knapp und, wie ich hoffe, dennoch verständlich genug genannten Maßnahmen werden meines Erachtens die Personallage der Bundeswehr spürbar verbessern. Besonders werden sie zur Milderung der spezifischen strukturellen Probleme der Bundeswehr beitragen, die diese Bundesregierung frühzeitig erkannt und deren Lösung sie unverzüglich in Angriff genommen hat.Natürlich können nicht alle Wünsche auf einmal und sofort erfüllt werden. Dies verbietet schon die noch immer angespannte Haushaltslage. Man kommt jedoch auch mit kleineren, überlegten Schritten ans Ziel. Wir werden auf diesem Weg fortfahren. Ich bin sicher, der Bundeswehr damit zu dienen, auch im kommenden Jahrzehnt ihres Bestehens ihren Aufgaben gerecht zu werden.Als Berichterstatter für die Personalkapitel im Einzelplan 14 danke ich noch einmal, und zwar der Haushaltsabteilung im Bundesministerium der Verteidigung, aber auch dem Haushaltsdirektor und seinen Mitarbeitern im Bundesministerium der Finanzen, ohne die eine zügige und trotzdem gründliche Beratung der vielfältigen Personalprobleme der Bundeswehr nicht möglich gewesen wäre.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Traupe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir schätzen es außerordentlich, Herr Kollege Löher, daß Sie sich so in die Bresche schlagen für die Bundeswehr. Sie werden mir aber erlauben, daß ich Ihnen doch etwas Wasser in den Wein gieße.Wieder einmal berät der Deutsche Bundestag einen Verteidigungshaushalt, den die SPD-Fraktion ablehnen wird; denn wieder einmal ist uns ein Haushaltsentwurf präsentiert worden, der viel zu hohe Ansätze bei Beschaffung, bei Forschung und bei Technologie enthält, aber kaum Verbesserungen, Herr Kollege Löher, bei sozialen Leistungen. Wieder einmal, Herr Kollege Carstens, wird der Stellenplan der zivilen Mitarbeiter im Verteidigungsbereich als „Steinbruch" für Einsparungen von Personal auf Bundesebene genutzt, statt im Hinblick auf die personellen Probleme der 90er Jahre jetzt schon rechtzeitig neue Stellen einzurichten.Wieder einmal beweist die Bundesregierung unter diesem Bundeskanzler ihre Unfähigkeit, auf dem sensiblen Gebiet der Landesverteidigung einen breiten parlamentarischen Konsens anzustreben.
Die SPD kann dem vorgelegten Haushalt auch nach den Beratungen im Haushaltsausschuß ihre Zustimmung nicht geben, da die Bundesregierung im Verteidigungsbereich zu einer sparsamen Ausgabenpolitik nicht bereit und nicht fähig ist
und ihre Haushaltspolitiker leider nicht so viel herunternehmen durften, wie sie gern gewollt hätten. Übrigens irren Sie sich, daß es bei den Bürgern noch populär ist, möglichst viel Geld für die Verteidigung auszugeben. Uns erreichen inzwischen sogar Petitionen mit dem Hinweis, dort doch etwas sorgfältiger auf das Geld zu achten.Meine Damen und Herren der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion, am 27. November 1984 lehnten Sie unsere begründeten Kürzungsvorschläge zum Haushalt 1985 ab. Was aber sagen Sie eigentlich heute dazu, lieber Herr Kollege Biehle, daß im Haushaltsansatz 1985 für die Beschaffung von Munition von Ihnen allen sage und schreibe 2 425 000 000 DM genehmigt wurden, wir aber nun erfahren durften, daß mindestens 200 Millionen DM zuviel angesetzt worden waren? Wir Sozialdemokraten waren vorsichtig: Wir wollten eigentlich nur 135 Millionen DM kürzen.Bei dem Geldansatz für die Beschaffung von Schiffen und sonstigem Marinegerät genehmigten Sie großzügig eine Steigerung auf 840 Millionen DM. Wir wollten „nur" 790 Millionen DM genehmigen. Nun erfahren wir alle, daß ein Mittelansatz von 660 Millionen bis 700 Millionen DM gereicht hätte.Wie sehr fühlen Sie sich eigentlich von Ihrem Verteidigungsminister genarrt, wenn Sie mit anhören müssen, daß der Haushaltsausschuß Mitte Dezember 1984 die Beschaffung von sieben „Challanger"- Mittelstreckenflugzeugen genehmigte und Herr Dr. Wörner dann den Firmen noch im Jahr 1984 mehr als 100 Millionen DM Anzahlung ohne zeitgerechte Gegenleistung zukommen ließ?
Ich könnte die Beispiele beliebig fortsetzen.
Viele Stunden haben der Verteidigungs- und der Haushaltsausschuß den Haushalt 1986 beraten. Zu
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13314 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Frau TraupeProtokoll haben wir Sozialdemokraten gegeben, wo die Mittelansätze im laufenden Haushalt 1985 zu Unrecht zu hoch veranschlagt waren. Unsere damaligen Kürzungsvorschläge in der Höhe von 1,8 Milliarden DM nahmen Sie nur ablehnend zur Kenntnis. Für 1986 schlugen wir nun vor, rund 1,9 Milliarden DM bei Beschaffungen einzusparen. Aber leider haben Ihre „Hauskälter" nicht genug mitmachen dürfen.Wo aber, lieber Herr Kollege Biehle und die Herren der CDU/CSU-Verteidigungsgruppe, sind die sinnvollen Einsparungen, die Sie erbracht und die außenpolitisch gut in die Landschaft gepaßt hätten? Immerhin ist auch dem Finanzminister die Geldfülle im Verteidigungshaushalt 1984 bis 1986 nicht verborgen geblieben.
Er wollte dem Kollegen Wörner zwar eine Steigerung über der Steigerungsrate des Bundeshaushaltes zugestehen, die CDU/CSU-Kollegen haben sie aber wenigstens auf 1,8% begrenzt.Wir halten auch im Jahr 1986 eine Senkung der Verteidigungsausgaben gegenüber dem beschlossenen Verteidigungshaushalt 1985 für gerechtfertigt. Verantwortbar und belegbar sind auch unsere Kürzungsvorschläge im Haushalt 1986. Deshalb bitten wir Sie — auch auf Grund der Beispiele, die ich vorhin genannt habe —: Stimmen Sie mit.Wir bitten Sie außerdem, unserem Antrag auf Mittelaufstockung für nationale Infrastrukturmaßnahmen zuzustimmen; denn jeder von uns kennt Kasernen, Unterkünfte und Liegenschaften der Bundeswehr, bei denen Fenster, Fußböden, Außenanstriche usw. dringend erneuert werden müssen, ganz zu schweigen von geeigneten Lärmschutzmaßnahmen, besseren sanitären Einrichtungen und wohnlicheren Unterkünften für Wehrpflichtige, Mannschaften, Unteroffiziere und Offiziere.Möglicherweise haben wir auch beim TornadoTitel für 1986 noch zu wenig gekürzt. Denn was soll der grobe Unsinn, daß die Panavia den Tornado in den großen Tageszeitungen wie hier in der „Süddeutschen Zeitung" über eine halbe Seite anbietet? Offensichtlich muß das Geld doch vom Steuerzahler verdient worden sein?
Am 14. November 1985 — wir saßen leider, Herr Wörner, in einer nicht so gut vorbereiteten Bereinigungssitzung — haben Sie im Plenum behauptet, die Bundeswehrplanung 1986 beruhe „auf sorgfältigen Berechnungen" der militärischen und zivilen Mitarbeiter Ihres Ministeriums. Nun, diese Planung sah für 1986 bereits einen Erhöhungsvorschlag der Verteidigungsausgaben von 4,3 % vor. Wie seriös ist da schon Ihre Planung für das kommende Jahr gewesen? Erfahrene Bundesbeamte sprechen deshalb respektloser vom „Wunschzettel an das Christkind" und trösteten uns besorgte Haushaltsausschußmitglieder mit folgendem Hinweis: Es gilt nur die mittelfristige Finanzplanung, und darin ist dem Verteidigungsminister vom Bundesfinanzminister keine Steigerungsrate von 4,3 % für 1986 genehmigt worden, sondern eine Kürzung um 200 Millionen DM gegenüber dem vorangegangenen Finanzplan vorgesehen.Ihr Umgang mit dem Parlament im Hinblick auf die Bundeswehrplanung 1986 bis 1998 war schon eine wahre Unverfrorenheit, ja eine Unverschämtheit, die Sie sich erlaubt haben, Herr Dr. Wörner.
Am 20. Dezember 1984 lag Ihnen das Planergebnis vor. Am 14. Februar 1985 erließ der Generalinspekteur — der interessanterweise heute fehlt — den Plan.
Am 2. April 1985 wurde der Plan der Industrie auf einem wehrtechnischen Seminar von Ihren Mitarbeitern vorgestellt. Aber erst im Juni 1985 händigten Sie uns Parlamentariern die Planung aus,
nachdem wir Haushaltsausschußmitglieder geschlossen erklärt hatten, wir würden, wenn Sie uns nicht vorher diese Planung vorlegten, weder dem Waffensystem MLRS noch Patriot unsere Zustimmung geben. Dabei hat uns die Hardthöhe — da meine ich jetzt Sie alle — mit diesem Plan einen „Bärendienst" erwiesen. Denn: Die dort gewünschten Waffen sind zu dem angegebenen Preis nicht zu bekommen. Die Munitionsausgaben sind zu hoch angesetzt. Skandalös ist das Herunterrechnen der Personalkosten. Noch viel schlimmer aber ist, daß Sie mit viel zu hohen Forschungs- und Entwicklungsansätzen auf allen Gebieten die Industrie verleiten, ihre Rüstungsbereiche auszuweiten.Da sind Ihre süddeutschen Freunde ja besonders schnell. Schon 1983 gingen bereits mehr als 50 % aller militärischen Inlandsaufträge der Bundeswehr an Betriebe, die ihren Hauptsitz in den Ländern Bayern und Baden-Württemberg haben. Dort lebt aber nur knapp ein Drittel der Bevölkerung.
Nun kauft das baden-württembergische Großunternehmen Mercedes-Benz die zweite Hälfte des größten deutschen Triebwerkherstellers MTU — Hauptsitz ebenfalls Baden-Württemberg —, es kauft das Raum- und Luftfahrtunternehmen Dornier — Hauptsitz ebenfalls Baden-Württemberg — und als gute Ergänzung der Militär- und zivilen Spitzentechnologie die AEG, die ebenfalls wichtige Betriebe in Bayern und Baden-Württemberg hat.
Natürlich läßt das die Bayerischen Motorenwerke nicht ruhen. Was für den amerikanischen Großkonzern General Motors das Spitzentechnologieunternehmen Hughes Aircraft war und für Mercedes nun Dornier geworden ist, das soll für BMW bald MBB sein!
Eine gigantische Konzentration auf dem Gebiet der Militärtechnologie findet und fand im Süden
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13315
Frau Traupeder Bundesrepublik Deutschland statt. Den Appetit haben Sie mit Ihren Steigerungsraten in der Bundeswehrplanung noch geweckt!
Haben Sie, Herr Dr. Wörner, vielleicht auch die Firmenübernahmen empfohlen? Wir Sozialdemokraten mißbilligen diese Entwicklung.
Welche Chancen behalten dann andere leistungsfähige Unternehmen, wie die Wegmann-Gruppe, wie die Bodensee-Werke, Rheinmetall, Diehl, Blohm & Voss, Thyssen oder Krupp-Atlas-Elektronik? Wo bleibt die unbedingt notwendige Konkurrenz in der deutschen Rüstungsindustrie?Wie „selbstlos" und staatspolitisch verantwortbar ist vor diesem Hintergrund das Eintreten der Ministerpräsidenten Späth und Strauß für SDI?
Wer sich so intensiv, Herr Wörner, für Rüstungsausgaben und für neue militärische Forschungsprogramme interessiert, der hat natürlich im Grunde keine Zeit mehr, sich um die soziale Lage der Soldaten und der zivilen Mitarbeiter zu kümmern.
Statt den scheidenden Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, Herrn Volland, zu tadeln, hätten Sie deutlicher die Stimmung in der Truppe prüfen sollen. In Ihrer Selbstdarstellung zum 30. Geburtstag der Bundeswehr hat man wenig darüber gehört, wo die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter der Schuh drückt.Einen Beförderungsstau gibt es nicht nur bei den Offizieren. Auch viele jüngere Zeitsoldaten fragen sich, ob sie sich nicht unter falschen Voraussetzungen verpflichtet haben.
Auch viele zivile Mitarbeiter warten auf die Beförderung, die sie bei anderen Behörden schon erreicht hätten.Laut verkünden Sie, Herr Wörner, im nächsten Jahr würden 40 000 militärische Arbeitsplätze freiwerden. Außerdem wollen Sie — wogegen wir im Grunde nichts haben — die Geldansatzstärke von 260 500 auf 263 000 für Berufssoldaten und Zeitsoldaten erhöhen, um für die 90er Jahre vorzubauen.
Sie erhalten auch 537 neue Dienstposten zwischen A 7 mit Zulage und B 7, in den Besoldungsgruppen vom Oberfeldwebel bis zum Generalmajor. Nur für die Männer, die unten in der Truppe ihre Arbeit machen, für Unteroffiziere, Stabsunteroffiziere und Feldwebel in den Besoldungsgruppen A 5 bis A 7 ohne Zulage haben Sie keine Verbesserungen gefordert.
Sind die Probleme der Unteroffiziere aus dem Blickfeld der Führungsstäbe geraten?Heute sind die Planstellen A 3 und A 4 der Oberund Hauptgefreiten voll ausgeschöpft, doch ihr Aufstieg ist in vielen Einheiten nicht gegeben. Wo sind die Strukturvorschläge im Haushalt 1986, junge Männer mit einer qualifizierten Facharbeiterlehre oder einer anderen gleichwertigen Berufsausbildung gleich nach A 3 einzustufen?Sollten Sie sich nur mit der Einführung einer Verpflichtungsprämie befassen? Warum wollte uns der Generalinspekteur im Haushaltsausschuß nicht die Frage beantworten, daß die Verpflichtungsbereitschaft trotz hoher Arbeitslosenquote schon beängstigend sinkt? War es 1984 bei den Erstverpflichteten noch eine Ausschöpfungsquote von 110 %, so liegt sie 1985 bei 78 %. Bei den Weiterverpflichtungen zum SaZ 12 ist sie von 103 % in 1984 auf 87 % geschrumpft. Es hat sich nämlich herumgesprochen, daß man heute frühestens nach zwei Jahren und nicht nach 15 Monaten mehr Unteroffizier werden kann.Warum haben Sie, Herr Bundesverteidigungsminister nicht mehr Stellen vom Finanzminister in der Eingruppierung A 5 bis A 7 gefordert? Warum verschweigen Sie dem Parlament, daß Sie die Geldansatzstärke 85 nur mit 18 365 SaZ 2 erreichen, was aus vielen Gründen nicht sinnvoll ist?
Wie wollen Sie dann für 1986 bei erhöhter Geldansatzstärke eine sinnvolle Struktur hinbekommen?Unzufriedene Truppenführer auf der Kompanieebene sind kein Anreiz für interessierte Wehrpflichtige, sich als Zeitsoldaten zu bewerben.Wie lange hat es gedauert, Herr Kollege Löher, bis die Übungsgelder angehoben wurden? Im Grunde ständen sie auch im Haushalt 1986 noch nicht drin, wenn wir nicht gesagt hätten: Wehe, ihr kommt uns zum Berichterstattergespräch und habt keinen anständigen Vorschlag! Denn der Verteidigungs- und der Haushaltsausschuß hatten geschlossen dieses verlangt.Was ist mit realistischen Reisekostenansätzen im In- und Ausland? In welchem Zustand sind viele Truppenunterkünfte für Unteroffiziere und Feldwebel im Standort oder auch bei Lehrgängen? Was wissen Sie über unzureichende Wohnungen in den Standorten, die man zugewiesen bekommt und die die Soldaten „Trennungsgeldkiller" nennen? Warum werden Versetzungen immer noch zum 1.4. und 1. 10. eines Jahres vorgenommen, also während des Schuljahres, so daß die Familien mit schulpflichtigen Kindern getrennt bleiben müssen? Warum nehmen Sie unseren Vorschlag für eine Wehrsolderhöhung zum 1. Oktober 1986 um eine DM pro Tag nicht an? Die benötigten 22 Millionen DM gibt dieser Etat bei mehreren Personalpositionen schon her.Und wie gehen Sie eigentlich mit den zivilen Mitarbeitern um? Statt für die wachsenden Aufgaben qualifizierte neue Stellen zu beantragen, soll Ihr Haushalt die Hauptkürzung ziviler Stellen in 1986
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Frau Traupeerbringen. Außerdem findet eine Parteibuchwirtschaft übler Art auf der Hardthöhe, im BWB und in den Wehrbereichsverwaltungen statt.
Soll sie nun auch nicht mehr vor den Soldaten halt machen?Wenn sich jetzt schon bei einer Arbeitslosenquote von mehr als 8,6 Prozent die Erstverpflichtungen so negativ entwickeln, stimmt das helle Bild eben nicht, das Sie zum 30. Geburtstag der Bundeswehr gezeichnet haben. Es ist unzutreffend, wenn Sie heute von einer Verbesserung der Lage der Bundeswehr während Ihrer Regierungszeit gesprochen haben. Dies hätte ich dem Bundeskanzler gesagt, aber der Verteidigungshaushalt interessiert ihn nicht, weil es keine fernsehwirksame Zeit mehr ist.Die Masse der Soldaten und die zivilen Mitarbeiter bei der Bundeswehr sowie ihre Familien empfinden eben keine Verbesserung der Lage. Nein, was viel schlimmer ist: Man spricht bereits von einer Drei-Klassen-Kasino-Mentalität, die sich in die Bundeswehr einschleicht,
seitdem Sie regieren.Diese moderne Armee benötigt menschlich und fachlich qualifizierte Menschen, die dank sozialdemokratischer Verteidigungsminister früher eine gute Ausbildung bekommen haben.
Wie aber wird dies in drei Jahren aussehen, wenn das verfügbare Aufkommen an wehrpflichtigen Männern zurückgeht?
- Wir werden alle, lieber Herr Berger, flankierende personelle Maßnahmen nicht zum Spartarif bekommen.Sie aber, Herr Dr. Wörner, akzeptierten eine Bundeswehrplanung '86, die den Anteil der Personalausgaben im Vergleich zu den Rüstungsausgaben ab 1989 absenken will. Sprachen Sie nicht selbst von einer seriösen Planung?
Abschließend möchte ich allen Soldaten und zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr, aber auch den Kolleginnen und Kollegen im Haushalts- und Verteidigungsausschuß für die sachliche Zusammenarbeit im zurückliegenden Jahr danken und Sie bitten, unseren Änderungsanträgen zuzustimmen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Traupe, wir werden Ihrem Petitum, fürchte ich, nicht folgen können. Aber ich gebe selbstverständlich gern den Dank zurück. Auch die Arbeit mit der Opposition im Haushaltsausschuß war wie immer sehr ersprießlich und sehr angenehm.Liebe Frau Kollegin, Sie haben eingangs unterstellt, daß irgendwelche dunklen Mächte den Kollegen und mir verboten hätten, dort zu sparen, wo wir das wollten.
Frau Traupe, ich bin genau wie Sie eine freie Abgeordnete
und lasse mir von niemandem vorschreiben, wo ich zu sparen habe. Wenn ich einer Ausgabe zustimme oder spare, tue ich das aus Einsicht in die Notwendigkeiten.
— Ich kann Ihnen nur zustimmen, Herr Kollege Weng.Meine Damen und Herren, die Bundeswehr ist im 30. Jahr ihres Bestehens Thema einer Vielzahl von Veranstaltungen, vieler Reden, auch kritischer Reflexionen gewesen. Verteidigung, Militär, Rüstungsausgaben in einer Welt, in der Not und Hunger herrschen — dies ist ein Themenkreis, dem man sich zu Recht mit großer Ernsthaftigkeit nähert.
— Lieber Herr Kollege Walther, ich kann das Kompliment ja auch umdrehen und zurückgeben; aber ich fürchte, es wird Ihnen nicht gefallen.
Aber lassen Sie mich bitte zum Thema zurückkommen. — Dennoch aber hat in allen, auch in den distanzierten Äußerungen zum Thema Bundeswehr, in diesem Jahr ein Aspekt einen hervorragenden Stellenwert. Das ist der Dank dafür, daß unser Volk seit 40 Jahren zwar geteilt ist, aber in Frieden leben kann, und der Dank an diejenigen, die seit 30 Jahren ihren ganz wesentlichen Anteil an der Wahrung dieses Friedens haben: die Soldaten der Bundeswehr und ihre Familien.
Sie haben sich ihrer Aufgabe unter oft nicht leichten Umständen gestellt, entweder aus Überzeugung oder aus Einsicht in staatspolitische Notwendigkeiten. Ihre Familien haben die Zumutungen des Dienstes mitgetragen, und wir als Parlamentarier sind ganz besonders diesen Familien gegenüber im Wort, nicht darin nachzulassen, ihre sozialen Belange künftig besser zu regeln. Nur wenn die sozialen Rahmenbedingungen stimmen, ist die Bundeswehr auch in den vor uns liegenden schwierigen Jahren, wenn sie am Arbeitsmarkt mit anderen
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Frau Seiler-Albringkonkurriert, attraktiv genug, das benötigte qualifizierte Personal anzuwerben.
Ein 30. Geburtstag ist aber auch Anlaß zu nüchterner Standortbestimmung, zur Frage nach Qualität und Struktur der Bewaffnung, nach Personallage und Personalplanung. Lassen Sie mich hier an einen Beschluß der Freien Demokraten erinnern, der in diesem Hause bereits im Jahre 1977 diskutiert wurde. Er lautet:Die FDP fordert, daß die Fähigkeit zur Verteidigung für einen Gegner im voraus ein kalkulierbar untragbares Risiko darstellen muß. Die FDP sieht diese Forderung in der zur Zeit gültigen Bündnisstrategie erfüllt. Die zur Zeit erkennbare Schwäche des konventionellen Anteils schafft in einem etwaigen Krieg aber den Zwang zu einem frühzeitigen Einsatz der nuklearen Waffen. Dadurch wird der politische Handlungsspielraum des Bündnisses bei der Konfliktregelung empfindlich beeinträchtigt. Deshalb fordert die FDP eine Stärkung des konventionellen Anteils des Bündnisses.
Meine Damen und Herren, von dieser Konzeption haben wir uns seitdem leiten lassen. Wir bekennen uns auch in Zukunft zu einer Sicherheitspolitik, die unserem Volk die Freiheit von äußeren Pressionen gewährleistet, weil dies eine Voraussetzung für die Durchsetzung liberaler Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik in unserer Republik ist.Meine Damen und Herren, wenn wir heute feststellen können, daß die Bewaffnung der Bundeswehr im wesentlichen bedrohungsgerecht ist, so ist dies auch darauf zurückzuführen, daß während der sozialliberalen Koalition die Qualität von Bewaffnung und Ausrüstung der Bundeswehr einem Stand angenähert wurde, der keinen Vergleich zu scheuen braucht, auch im Bündnis nicht.
Es wäre zu wünschen, daß die SPD auf diesen sicherheitspolitischen Konsens zurückkommen würde
und sowohl den Soldaten in der Bundeswehr als auch der Bevölkerung die sicherheitspolitischen Wechselbäder, verordnet von allerlei Experten, von allerlei Kreisen und Kommissionen, ersparen könnte.
— Das ist damit auch nicht ausgeschlossen, liebe Frau Kollegin Fuchs!Die Bundesregierung ist entschlossen, den hohen Standard der Ausrüstung und Bewaffnung zu wahren und fortzuschreiben. Die Koalitionsfraktionen unterstützen sie darin nachdrücklich.Auch bei den diesjährigen Haushaltsverhandlungen haben wir uns von dem Gedanken leiten lassen, daß die Stärkung der konventionellen Bewaffnung in der Triade die Abhängigkeit von nuklearen Optionen reduziert.Die Berichterstatter der Koalitionsfraktionen haben, Frau Kollegin Traupe, nach eingehender und sorgfältiger Beratung und auch angesichts der Minderausgaben dieses Jahres den Ansatz um fast 400 Millionen, nämlich um 388 Millionen DM, gekürzt. Wir sind der Ansicht, daß das äußerst maßvoll ist. Wir behalten uns vor, den Haushaltsvollzug und den Mittelabfluß sehr kritisch zu begleiten.Ich glaube, ich spreche auch im Namen meines Kollegen Dr. Friedmann, wenn ich sage, daß wir zunächst zwar bereit sind, einen realistischen Mittelansatz zu unterstellen, daß wir aber nicht zögern werden, bei den nächsten Haushaltsberatungen die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, wenn wir darauf kommen, daß hier Sparkassen und Eichhörnchenvorräte vorhanden sind.
Die umfangreichen Streichaktionen unserer geschätzten Kollegin Traupe können wir bei aller Anerkennung ihrer sonstigen Kompetenz, an der es keinen Zweifel gibt, nicht nachvollziehen, da sie nach unserer Ansicht zu eklatanten Substanzverlusten führen würden, die wir nicht verantworten können.Meine Damen und Herren, die skurrilen Kürzungsvorschläge der GRÜNEN streife ich hier nur am Rande. Das auf den Pulten ausliegende sogenannte Entmilitarisierungsprogramm spricht für sich. Mir fehlt da eigentlich nur noch der Vorschlag, die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland einer Wach- und Schließgesellschaft zu übergeben; aber der kommt vielleicht noch.
Meine Damen und Herren, einen Zahlenfriedhof will ich Ihnen jetzt ersparen. Deshalb stelle ich fest, daß wir allen drei Teilstreitkräften die Mittel dafür zur Verfügung gestellt haben, die vorhandenen Waffensysteme und Ausrüstungen in optimalem Zustand zu erhalten, sinnvolle und notwendige Maßnahmen zur Kampfwerterhaltung und Kampfwertsteigerung zu ergreifen und einzuleiten und schließlich die Beschaffung der Waffensysteme der 90er Jahre vorzubereiten.Wir haben uns nicht gescheut, Frau Kollegin Traupe — das wissen Sie ganz genau —, dahinsiechenden Großprojekten das Lebenslicht auszublasen. Wir sind andererseits aber auch bereit, einer geänderten Bedrohung, z. B. der Weiterentwicklung im Bereich der elektronischen Kampfführung, durch die Bereitstellung von Mitteln für den ECR- Tornado zu entsprechen. Nur am Rande sei hier erwähnt, daß der Verteidigungsminister aufgefor-
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Frau Seiler-Albringdert wurde, zwei weitere Skyguard-Geräte zur Kontrolle des Tiefflugbetriebs zu beschaffen.In der ersten Lesung habe ich gesagt, daß ein Verteidigungshaushalt von knapp 50 Milliarden DM nur dann vermittelbar ist, wenn das Bemühen der Regierenden um Rüstungskontrolle und konkrete Abrüstungsschritte ernsthaft und spürbar ist. Ebenso muß aber der Steuerzahler erwarten können, daß jede Mark, die hier investiert, die hier ausgegeben wird, tatsächlich in ein Mehr an Sicherheit investiert und nicht fehlgeplant wird. Das heißt, meine Fraktion wird von der Forderung nach einer verbesserten Kostenkontrolle, nach einem effizienteren Kostenmanagement nicht abgehen. Wir sind sehr sicher, daß wir hier ein beachtliches Reservoir für eine Kostenminimierung haben.Meine Damen und Herren, wir haben der Personalsituation in den Streitkräften und der absehbaren demographischen Entwicklung mit ihren Konsequenzen für die Personalplanung der Bundeswehr Rechnung getragen. Wir haben nach sehr sorgfältiger ausführlicher Beratung auch den Mut gehabt, zu Entscheidungen ja zu sagen, die in der Bevölkerung eben nicht populär sind; ich nenne z. B. das Personalstrukturgesetz und die in Aussicht genommene Verlängerung des Wehrdienstes auf 18 Monate. Wir werden sehr genau verfolgen, ob die vorgezogene Zurruhesetzung bzw. die in diesem Zusammenhang erforderliche Auswahl schließlich so erfolgt, daß sie tatsächlich den beabsichtigten Zug im Kamin verursacht, oder ob sie an der Truppe vorbeigeht.Die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr hängt in erster Linie von der Qualität, der Motivation und Qualifikation unserer Soldaten ab. Die Motivation unserer Soldaten wird ganz wesentlich bestimmt von der persönlichen Befindlichkeit, vom sozialen Umfeld und von der Gewißheit, bei Leistungen sowohl ideelle als auch materielle Anerkennung zu finden.Spielt beim Wehrpflichtigen der Aspekt der Wehrgerechtigkeit eine sehr wesentliche Rolle — hier wird sich in den nächsten Jahren Entscheidendes verändern müssen —, stehen wir bei Längerdienern und Berufssoldaten vor einer breiten Palette von Forderungen zur Verbesserung der dienstlichen Gegebenheiten und des sozialen Umfeldes. Vieles wurde bereits auf den Weg gebracht. Ich nenne Verbesserungen im Bereich der Personalsituation, Fortfall der 300-km-Grenze bei Familienheimfahrten, Anpassung der Familienbeihilfe für Nachhilfeunterricht an den aktuellen Kostenstand, die Optimierung des Kälte- und Nässeschutzes — etwas, wofür wir, Herr Minister, durchaus nicht allein die Meriten für uns reklamieren; wir wissen, daß Sie hier sehr vieles getan haben.Der überproportionale Zuwachs bei den Mitteln für Bau- und Umbaumaßnahmen ist eine konjunkturpolitisch sinnvolle Maßnahme und dient vorrangig der Verbesserung der Unterbringungsqualität der Soldaten. Es ist nicht einzusehen, daß für die vernünftige Ausstattung von Kasernen und Unterkünften weniger Sorge getragen wird als für die sachgerechte Unterbringung von Gerät und Munition.
— Haben wir doch, lieber Kollege Klaus-Dieter.Durch eine Erhöhung der Bewilligungsgrenze bei den kleinen Baumaßnahmen von 500 000 auf 750 000 DM im nächsten Jahr wird ein schnelleres Reagieren auf die aktuelle Bedarfssituation vor Ort möglich sein.Wir fordern, daß die Fragen des Dienstzeitausgleichs nicht nur länger ausschließlich diskutiert, sondern endlich auch gelöst werden. Wir wissen, wie schwierig dies ist.Wir fordern die Aufgabe der restriktiven Anerkennungspraxis von Umzugshinderungsgründen. Wir fordern eine flexiblere Handhabung von Regelungen und Vorschriften bei Umzügen angesichts veränderter Marktgegebenheiten und familiärer Notwendigkeiten.
Schließlich muß nach unserer Ansicht endlich die Wiedereingliederung von Soldaten auf Zeit in das Berufsleben durch gezielte Maßnahmen unterstützt werden.
Eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Arbeitsverwaltung und dem Berufsförderungsdienst ist nur eine Möglichkeit.Meine Damen und Herren, der Verteidigungshaushalt 1986 ist nach Ansicht der Koalitionsfraktionen solide. Er setzt die Bundeswehr in die Lage, ihren Auftrag zu erfüllen und gibt ihr die Mittel an die Hand, dies auch in den vor uns liegenden Jahren zu tun.Der militärische Wert unserer Streitkräfte aber ist jedoch nicht zuletzt das Ergebnis der hohen Leistungs- und Einsatzbereitschaft der Soldaten und des zivilen Personals. Wir haben allen Anlaß, ihnen zu danken.
Das Wort hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn eine an Blockfreiheit und Entmilitarisierung orientierte Oppositionspartei wie die GRÜNEN einen Verteidigungshaushalt als größten Posten im Gesamthaushalt zu bewerten hat, dann muß dies an Hand von zwei Hauptkriterien geschehen.
— Herr Kollege Berger, wenn Sie dieses Spielchenhier mitmachen wollen, das alte Spielchen zwischenNATO-Kriterien und Einzelplan 14, dann kann ich
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LangeIhnen sagen: Ich mache dieses Spielchen nicht mit.
Wir geben für Rüstung, für Militär den größten Posten im Geamthaushalt aus. Das widerlegen Sie mir einmal; da bin ich gespannt.Maßstab Nummer eins ist die Höhe, d. h. das Setzen von Prioritäten in diesem Entwurf: Kürzung der Sozialausgaben an allen Ecken und Enden. Über 2 Millionen Arbeitslose müssen im Verhältnis zu den 60 Milliarden DM zu sehen sein, die Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, buchstäblich in totes Kapital, Rüstung genannt, zu stecken bereit sind.
Maßstab Nummer zwei ist der Denkansatz. Welcher friedens- oder sicherheitspolitische Denkansatz steckt hinter diesen Milliarden? Sind das Ausgaben, die uns mehr Sicherheit geben oder die Entwicklung von Frieden verhindern?Mit diesen beiden Kriterien möchte ich mich zunächst an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenden.Unsere Kritik ist auch, daß das BMVg falsch rechnet oder Zahlen geschönt hat. Das ist ein altes Spiel. Nur, die Frage ist: Ist das alles? Sie wollen den Verteidigungsetat, wie ich gehört habe, um etwa 1,9 Milliarden DM kürzen. Das ist gut; Sie haben unsere Zustimmung. Nur, ist das alles?Ich darf Ihren Kollegen Horn erwähnen, dessen Adern nun sicherlich gleich wieder schwellen werden. Er hat als Obmann der Sozialdemokraten im Verteidigungsausschuß bei den dort stattfindenden Haushaltsberatungen von vornherein gesagt, seine Fraktion werde keinem einzigen Kürzungsvorschlag der GRÜNEN zustimmen, weil sie sich nicht zum Instrument einer Partei machen wolle, die gegen die Bundeswehr und gegen die NATO sei.
Ich bezichtige Sie, wenn das die Mehrheitsposition der SPD ist, der Widersprüchlichkeit. Wenn Sie für die Bundeswehr und deren Einbindung in die NATO sind, dann bekommen Sie damit natürlich Stimmen. Das ist ja auch nicht zu kritisieren; Sie sind, wie Sie immer wieder sagen, Volkspartei.
Nur, wenn Sie diesen Denkansatz haben, müssen Sie aber auch exakt jene 60 Milliarden DM ausgeben, die die Regierungsparteien veranschlagt haben. Denn wenn man eine Bedrohungsanalyse wie Sie hat, wenn man glaubt, dieses Land sei militärisch zu verteidigen, wenn man sagt, es gebe für die NATO keine Alternative, dann dürfen Sie von diesem Verständnis her das Bündnis nicht schwächen. Da hat die CDU — wo sie recht hat, hat sie recht — sicherlich recht.
Was Sie nicht begreifen, ist: Abschreckungssysteme in und mit den Blöcken schließen sich, was Abrüstung anbelangt, definitiv aus.Auch der von Ihnen geprägte Begriff der Sicherheitspartnerschaft ist schlichtweg irreführend.
Er enthält eine richtige und eine falsche Komponente. Richtig ist, daß man auf das Bedrohtsein der anderen Seite zu sehen und Gespräche zu führen hat. Falsch ist aber die Assoziation, Sicherheit plus Partnerschaft in und mit Blocksystemen seien möglich; denn Blöcke haben eben nicht nur ein Sicherheitsbedürfnis vor dem anderen, sondern auch ein Machtausdehnungsinteresse gegenüber dem anderen. Mit Blöcken gibt es keine Sicherheit auf Dauer, erst recht keinen Frieden. Frieden gibt es nur gegen die Blöcke mit einer Politik aus diesen Blöcken heraus.
Solange Sie nicht tun, was die Opposition Ihnen vorwirft, nämlich eine Äquidistanz zu den Blockvormächten herzustellen, sind Sie zur Entwicklung des Friedens absolut nicht fähig.
— Wenn Sie sagen, ich sei geisteskrank, dann zeigt mir das nur, daß Sie inzwischen dieselben Denkstrukturen und dieselbe Art und Weise zu kritisieren übernommen haben, wie die CDU das hier seit Jahren praktiziert.
Sie kommen mit vor wie in einem Zug, der in den Abgrund rast, dessen Bremsen nicht mehr funktionieren und dessen Insassen, die Sie sind, sagen: Wir müssen nun innerhalb des Zuges die Weichen stellen. —(Berger [CDU/CSU]: Und Sie sind derBahnwärter!)Sie kapieren nicht, daß das eben nicht geht. Wir wollen aus diesem Zug heraus. Möglicherweise tun wir uns dabei weh, aber wir haben die Chance zu überleben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?
Wenn es nicht auf die Zeit angerechnet wird. — Herr Kollege Klejdzinski, bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege Lange, da Sie gerade einen Ausflug in die Technik machten und in Frage stellten, daß man vom Zug aus Weichen stellen könne: Dürfte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß dies heute durchaus möglich ist? Ich
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Dr. Klejdzinskibitte, in Ihre eingehenden Betrachtungen vielleicht auch einmal neuere Techniken einzubeziehen.
Herr Kollege Klejdzinski, es war ein Versäumnis meinerseits, darauf hinzuweisen, daß ich mich bei der Metapher des Zuges in Zeiten zurückversetzt hatte, wo noch die Dampflokomotive gefahren ist, denn das ist genau Ihre sicherheitspolitische Vorstellung, eine Zeit, die vorbei ist. Heute geht das nicht mehr. Insofern haben Sie recht, ich muß mein Bild etwas korrigieren.
Was wird uns, meine Damen und Herren, mit diesem Verteidigungsetat vorgelegt? Eine in Zahlen nachweisbare Aufrüstungsplanung der Bundeswehr, insbesondere durch die darin vorgesehene Schaffung einer zunächst konventionellen Option für Angriffe auf Ziele im gegnerischen Hinterland. Dies führt vor allem zu einer verstärkten Fähigkeit im Bereich offensiver, taktisch-operativer und operativer Einsätze. Diese Entwicklung steht in Übereinstimmung mit den Möglichkeiten neuer Waffentechnologien und vor allem mit der Entwicklung neuer offensiver Einsatz- und Kriegsführungskonzeptionen — Air/Land-Battle, Rogers-Plan; Sie kennen das — der USA. Solche Entwicklungen bedeuten Optionen zur Kriegsführung auf begrenzten Kriegsschauplätzen und damit mehr Instabilität und Kriegsgefahr. Deshalb fordern wir etwa die Streichung von 355 Millionen DM für die Verstärkung der Ausgaben für militärische Beschaffungen, deshalb fordern wir auch die Wegnahme der angesetzten 190 Millionen DM für Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Wartime-Host-Nation-Support-Vertrag.Die Leitlinien unserer Kürzungsvorschläge sind erstens keine neuen Verpflichtungsermächtigungen, zweitens keine Zustimmung zu Neubeschaffungen,
drittens Streichung der wehrtechnischen Forschung und Entwicklung, viertens Streichung der Ausgaben für den Wartime-Host-Nation-SupportVertrag, fünftens Senkung der Erhaltungsansätze um ein Drittel, sechstens Kürzung sämtlicher militärischen Aktivitäten um ein Drittel, siebtens Einstieg in die personelle Abrüstung durch Ablehnung neuer Stellen im militärischen und zivilen Bereich und durch Senkung des Bundeswehrstellenplans entsprechend der natürlichen Abgangsrate von 2,5% pro Jahr und durch Senkung der Zahl der Wehrpflichtigen entsprechend der demographischen Entwicklung.
Wir begrüßen es, daß immer mehr Menschen in der Friedensbewegung, in den Gewerkschaften, in den Kirchen und in vielen berufsspezifischen Gruppierungen die friedensgefährdenden Trends unserer Rüstungspolitik erkannt haben und ihre Loyalität zur Bundeswehr aufkündigen. Wir brauchen nicht die menschenunwürdigen Spektakel wie öffentliche Gelöbnisse, Zapfenstreich oder sonstige psychologische Deformationsveranstaltungen.
In diesem Zusammenhang steht auch unser Antrag zur Abschaffung der Militärseelsorge in der jetzigen Form als Seelsorge durch Bundeswehrbeamte.
Wohin das führt, ist als warnendes Beispiel im Weißbuch 1985 nachzulesen, wo das evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr dafür gesorgt hat, daß die friedensethischen Positionen der EKD in äußerst tendenziöser Weise interpretiert und entstellt werden. Dies, meine Damen und Herren, ist staatlich formulierter Mißbrauch kirchlicher Friedensarbeit und damit ein Herumtrampeln auf inneren Überzeugungen gläubiger Menschen.
In der heutigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung" ist zu lesen, daß auf der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung in Berlin ein, wie es dort heißt, epidemisches Ausmaß an Angst, Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht der jungen Generation festzustellen ist. Der Berliner Psychoanalytiker Horst Petri sprach davon, daß sich die angenommene Bedrohung durch einen Atomkrieg meßbar negativ auf das Seelenleben von Kindern und Jugendlichen auswirkt. Die Angst vor Krieg rangiert bei 72 % der Befragten weit vor Krankheit mit 29%.
56 % der Jugendlichen hoffen zu allererst auf Frieden.Was wollen Sie eigentlich, meine Damen und Herren, die Sie sich hier in Zwischenrufen ergehen, eigentlich noch für einen Beleg für das Scheitern Ihrer Sicherheitspolitik haben? Sie, die Sie immer von Sicherheit durch Abschreckung reden, mögen von Frieden und Freiheit reden, sooft Sie wollen. Wenn Ihre Bevölkerung diesen Frieden in Freiheit nicht so empfindet, dann ist das der klarste Beweis dafür, daß Ihre Sicherheits- und Friedenspolitik gescheitert ist, und zwar von Anfang an.
Im Pentagon, im US-Verteidigungsministerium, hat man längst erkannt und auch öffentlich bekannt — nur sagen Sie das hier nicht —, daß unsere Sicherheitspolitik für Europa auf Dauer nicht mehr glaubwürdig ist, weil sie den kollektiven Selbstmord als Strategie anbietet. Der Kanzler verschweigt das. Hierzulande haben 70 % unserer Jugendlichen Angst vor Krieg. Der Kanzler verdrängt das. Die Bundesregierung setzt weiter auf Abschreckung,
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LangeHochrüstung, nuklearen Ersteinsatz und Angriffsoptionen.Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, sind keine Partei der Jugend, der Hoffnung, der Perspektive. Ihre Sicherheitspolitik ist eine mit Sprengstoff gefüllte Mumie, ein Fossil lebensfeindlichen, verstaubten, deformierten Denkens.
Sie ist eine Politik des permanenten Unfriedens. Wir wollen jedenfalls von den 60 Milliarden DM für Vernichtungspotential weg. 15 Milliarden DM weniger, wie wir es fordern, sind ein konsequenter Anfang, hinter dem eine Perspektive der Hoffnung steckt, nämlich Frieden schaffen mit immer weniger Waffen.Haben Sie Dank für Ihre lebendige Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedmann.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! In diesen Tagen hat die Bundeswehr ihren 30. Geburtstag gefeiert. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, auch namens unserer Haushaltsgruppe, und sicher auch nochmals namens der Verteidigungsgruppe, der Bundeswehr zu diesem Geburtstag zu gratulieren.
Wir danken allen Verantwortlichen, voran dem Verteidigungsminister, daß dieses Ereignis landauf, landab so würdig gefeiert worden ist.Wenn man zurückdenkt, wie es damals, vor drei, vier Jahren, war, als es nicht mehr möglich war, jungen Rekruten Gelöbnisse in aller Öffentlichkeit abzunehmen, als man sich in die Kasernenhöfe zurückziehen mußte, und wenn man sieht, wie dies heute ist, so erkennt man, wie wir vorangekommen sind, wie ein Stück Wende in der Politik stattgefunden hat.
Dies ist erfreulich, dies nehmen wir dankbar zur Kenntnis,
und wir sehen uns da auf dem richtigen Weg.
Frau Kollegin Traupe, Sie haben vorhin bei Ihren Ausführungen viel an der Personalsituation der Bundeswehr kritisiert. Sie haben, ohne darauf einzugehen, beiseite geschoben, was unser Kollege Löher an Verbesserungen erwähnt hat, die wir in der Bundeswehr nicht nur in diesem, sondern auch im letzten Jahr vorgenommen haben. Ihr Kronzeuge war der inzwischen ausgeschiedene Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes, Herr Volland. Ich habeHerrn Volland bzw. dem Bundeswehr-Verband einen massiven Brief geschrieben,
weil ich seine Kritik nicht angebracht fand. Nun hat der neue Vorsitzende bzw. der Bundeswehr-Verband folgendes geantwortet, und das ist wichtig: „Der Bundeswehr-Verband distanziert sich von der Kritik seines ehemaligen Vorsitzenden".
Herr Volland hatte seine Kritik mit niemandem abgestimmt; das war ein Alleingang.
Der Bundeswehr-Verband bittet darum, daß man ihm nicht anlastet, was Herr Volland zu Unrecht in die Öffentlichkeit gesetzt hat. Bei wem ist man denn auf die Straße gegangen? Das war doch bei Ihnen und nicht bei uns.
Jetzt tun Sie doch mal nicht so, als wäre jetzt alles schlecht und vorher wäre es gut gewesen!
Wenn Sie einen Antrag bringen, den Wehrsold am 1. Oktober nächsten Jahres zu erhöhen, dann ist das ein Schaufensterantrag im Hinblick auf die nächsten Bundestagswahlen. Sie wissen ganz genau: seit Bestehen der Bundeswehr gibt es einen dreijährigen Rhythmus für Wehrsolderhöhungen.
Wir haben letztesmal, als wir zum 1. Oktober erhöhten, sogar noch früher erhöht, obwohl die Inflationsrate niedriger war, und wir werden wieder rechtzeitig Wehrsolderhöhungen beschließen. Aber Sie wissen genau, am 1. Oktober nächsten Jahres ist dieses Intervall noch lange nicht herum, und deshalb, Frau Traupe — dafür kennen Sie die Zusammenhänge viel zu gut —, ist das ein Schaufensterantrag, der recht billig auf die nächste Bundestagswahl abzielt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir hatten in der Tat Problemkreise bei der- Finanzberatung dieses Verteidigungshaushalts. Zum ersten — das ist richtig — hat der Verteidigungsminister Ende dieses Jahres etwa eine halbe Milliarde DM übrig. Das hört sich furchtbar hoch an, ist aber nur 1 % der Haushaltssumme. Insoweit ist das eine Ziellandung, wenn es so genau geklappt hat. Das wollen wir auch einmal richtig sehen. Damit keine falschen Schlußfolgerungen daraus gezogen werden, füge ich hinzu: Den allergrößten Teil dessen, was nicht abfließt, bekommt der Verteidigungsminister gar nicht. Das verwenden wir zur Senkung der Neuverschuldung. Lediglich ein Teilbetrag wird zur Anfinanzierung der Fregatten verwendet. Wem nutzt das am meisten? Den norddeutschen Abgeordneten, auch Ihrer Fraktion, die doch immer wieder darum bitten,
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Dr. Friedmanndiese Fregatten vorzufinanzieren, damit die Werften Arbeit haben.
Ein zweites. Ein Problem wird zur Zeit noch ausgekocht. Wir bereiten ein sogenanntes Rüstungsgeschäft mit der Türkei vor. Die Türken stehen in dem Ruf, ein gutes Heer zu haben, aber schlecht ausgerüstet zu sein.In anderem Zusammenhang kommt nun der Gedanke auf, den Türken 150 Leopard-Panzer I aus dem Bestand der Bundeswehr zu liefern,
diese Panzer zuvor aufzubessern, aber — wie gesagt — dorthin zu liefern. Diese Abgänge sollen dann durch neue Leopard-Panzer II bei der Bundeswehr ersetzt werden. Das Ganze kostet etwa 900 Millionen DM. Wir haben dafür Verpflichtungsermächtigungen in vollem Umfang — qualifiziert gesperrt — in dem Einzelplan 14 eingestellt.
Vorhin kam aber Frau Huber und sagte, daß Sie uns dringend davon abrät, dieses Panzergeschäft zu machen. Vorher kam Herr Würtz und sagte: Ihr dürft das aber keinesfalls als Verteidigungshilfe in den Haushalt des Auswärtigen Amts nehmen; sonst würde der Außenminister ein Ersatz-Verteidigungsminister; wir müßten dies im Verteidigungshaushalt lassen.
Und dann kommen Kollegen Ihrer Fraktion und bitten händeringend darum, mit dem Geschäft voranzumachen, damit Arbeitnehmer in ihren Ländern Arbeit finden.
Meine liebe Kollegen, das ist ein ebenso zwiespältiges Spiel, wie es die IG Metall zur Zeit gegen uns betreibt.
Ich war letzte Woche in einem Betrieb, der leichte Nutzkraftfahrzeuge herstellt und solche auch an die Bundeswehr verkauft. Als ich im Foyer wartete, lag dort die Zeitschrift der IG Metall aus, in der die Mitglieder aufgefordert wurden, gegen die Unionsabgeordneten vorzugehen, weil wir für Rüstungsexport seien.
Selbige leichte Kraftfahrzeuge werden als Rüstungsgüter definiert. Eine Etage höher wurde ich von der Geschäftsführung dringend gebeten
— in Abstimmung mit dem Betriebsrat —, ja weiterhin Aufträge zu vermitteln, damit die Leute, nämlich die Mitglieder der IG Metall, Arbeit haben. Das ist doch ein so widersinniges, ein so unfaires,ein so unkorrektes Verhalten, daß man dies mit Worten gar nicht mehr richtig beschreiben kann.
Wenn ich diese Zahlen hier als Ergebnisse vortrage, muß man gleichzeitig bedenken, daß hier intensive Beratungen auf Berichterstatterebene, auf Haushaltsausschußebene vorausgegangen sind, über alle Fraktionen hinweg. Diese Beratungen fanden zum größten Teil parallel zu Plenarsitzungen in diesem Saal statt. Während wir als Haushaltsausschuß und auch andere Ausschüsse tagten, berichteten Journalisten unter dem Motto wie etwa die „Bild-Zeitung": Sind die Abgeordneten faul? Die „Welt am Sonntag" hat dieses Argument gegen uns aufgegriffen. Wenn man dem entgegenhielt, daß parallel zum Plenum Ausschußsitzungen stattfanden, hat die Presse darüber nicht berichtet. — Ich möchte den Mann, der da oben die Fernsehkamera zu schwenken hat, bitten: Schwenken Sie die Kamera einmal auf die Pressetribüne.
Wo ist ein Journalist, wenn wir solch wichtige Dinge diskutieren?
Nichts ist so vertraulich wie das, was in diesem Plenarsaal besprochen wird, wenn Journalisten Feierabend haben.
Ich meine, daß ich in dem Punkt in Ihrer aller Namen spreche.
Ich bitte jene Journalisten, denen ich jetzt Unrecht getan habe, um Verzeihung. Aber es muß einmal der Öffentlichkeit gesagt werden, daß viele Journalisten die Öffentlichkeit nicht richtig informieren, wenn sie verschweigen, daß parallel zu Plenarsitzungen auch Sitzungen der Ausschüsse stattfinden.
Noch ein letztes: Die Bundeswehr ist ein äußerst wichtiger Auftraggeber. Sie vergibt rund 35 % ihres Finanzvolumens für Beschaffungen. Das ist in absoluten Zahlen ein Betrag von fast 18 Milliarden DM. Das muß man in seiner Auswirkung natürlich auch einmal richtig sehen. Ich möchte hier — auch in Abstimmung mit der Arbeitsgruppe Verteidigung — einige kritische Anmerkungen machen.Eine erste Anmerkung ist folgende: Unsere Flugzeugindustrie arbeitet bei vielen Projekten mit anderen Nationen zusammen. Der Airbus wird z. B. von uns gemeinsam mit Frankreich, mit Spanien, mit England hergestellt. Der Tornado wird von uns gemeinsam mit Italien und England hergestellt. Beim Kampfflugzeug der 90er Jahre pendelt sich eine ähnliche internationale Zusammenarbeit ein. Aber immer wieder stellt man fest: Die deutsche
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Dr. FriedmannFlugzeugindustrie steuert jenen Teil bei, der am wenigsten Technik erfordert, nämlich den Rumpf.
Ich möchte die deutsche Flugzeugindustrie auffordern,
sich hier mehr der Herausforderung zu stellen. Denn daß dies so ist, geschieht teilweise auf Betreiben derselben Industrie. Ich möchte den Verteidigungsminister und den Wirtschaftsminister bitten, die Flugzeugindustrie hier zu höheren technischen Leistungen herauszufordern.Ein zweites: Meine Damen und Herren, vieles in der Beschaffung geht an der mittelständischen Industrie bei uns in Deutschland vorbei. Man hat manchmal den Eindruck: Nichts kann modern genug sein, aber modern ist nur das, was aus Amerika kommt und was von einem Großkonzern dort geliefert wird.
Es wird oft übersehen, daß auch deutsche Firmen, ja daß mittelständische Firmen zumindest gleichgute und preiswerte Produkte anbieten können, ohne daß sie aber die Chance haben, sich in der Konkurrenz zu bewähren.
Verehrter Herr Verteidigungsminister — vielleicht mit Rückendeckung des Herrn Fraktionsführers, mit dem Sie gerade sprechen —, beziehen Sie bitte unsere mittelständische Industrie stärker in die Auftragsvergabe ein.
Ein dritter Punkt: Vorhin sind hier Firmenzusammenschlüsse angesprochen worden, die sich auch in Baden-Württemberg vollziehen und in Bayern vollzogen haben. Ich möchte den Verteidigungsminister bitten, dies unter einem ganz anderen Gesichtspunkt, verehrter Herr Dr. Wörner, zu verfolgen. Es kann durchaus sein, daß durch solche Firmenzusammenschlüsse Rüstungsgüter nunmehr auch in Deutschland hergestellt werden können, die wir bisher im Ausland gekauft haben. Ich möchte Sie also bitten, hier in engem Kontakt mit den entsprechenden Unternehmungen zu sein, damit wir die Ressourcen, die in der deutschen Industrie schlummern, in diesem Zusammenhang auch nutzen.
Ein vierter Punkt: Es ist nun einmal leider so, daß viele Waffen und Güter immer wieder für eine bestimmte Zeitspanne geliefert werden, daß aber ein Waffensystem mit dem letzten Tag der Auslieferung nicht kontinuierlich von der Nachfolgegeneration abgelöst wird. Da z. B. die Auslieferung des Tornados 1988 endet, das Nachfolgeflugzeug aber erst Anfang der 90er Jahre bestellt wird, klafft eineLücke bei der entsprechenden Industrie. Das kann für die einzelnen Unternehmungen gefährlich werden.
Ich bitte den Verteidigungsminister — denn ich bin sehr wohl für leistungsfähige deutsche Firmen —, hier darauf zu achten, daß Firmen durch solche Zeitlücken nicht Schwierigkeiten bekommen, die an ihre Existenz herangehen. Man kann solche Lücken auch durch Waffenexporte überbrücken.
Ich bin sehr dafür, daß der deutsche Verteidigungsminister im verbündeten Ausland für deutsche Produkte wirbt. — Wenn Sie hier demagogisch dazwischenrufen — so darf ich es wohl formulieren, ohne einen neuen Ordnungsruf zu bekommen —, dann möchte ich doch einmal feststellen:
Es ist richtig, daß man den Frieden mit Waffen gefährden kann. Aber man kann auch mit Waffen
den Frieden sichern. Ich bin sicher, daß die Russen heute nicht in Afghanistan stünden, wenn sich die Afghanen hätten wehren können.
Ich möchte daran erinnern, daß wir unsere Freiheit einem System verdanken, das ich im Ernstfall auch verteidigen kann. —
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte feststellen: Wir danken der Bundeswehr, den Soldaten aller militärischen Ränge und den Zivilbediensteten dafür, daß sie ehrlich, redlich und pflichtbewußt ihren Dienst tun. Gott sei Dank sind wir dahin gekommen, daß die Bundeswehr Bestandteil unserer Demokratie ist, daß sie nicht Staat im Staat ist.
Ich danke auch für die gute Zusammenarbeit mit den Kollegen im Verteidigungsausschuß und mit den Beamten auf der Hardthöhe. Es war eine fruchtbare Arbeit.
Ich wünsche mir, daß es so weitergeht. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Abgeordneter Kleinert, ich werde Ihnen jetzt das Wort gemäß § 28
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13324 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Vizepräsident CronenbergAbs. 2 letzter Satz unserer Geschäftsordnung geben. Ich mache Sie aber vorher darauf aufmerksam, daß dies nicht dazu führen kann, Ihnen unzulässige zusätzliche Redezeit zu verschaffen. Ich werde, Herr Abgeordneter, von meinem Recht gemäß § 37 unserer Geschäftsordnung Gebrauch machen.Der Abgeordnete Kleinert hat das Wort.
Ich bedanke mich ausdrücklich, Herr Präsident, für den Hinweis und erlaube mir, an dieser Stelle anzufügen, daß wir diesen ganzen Umstand gar nicht benötigt hätten, wenn am Anfang die Geschäftsführer so konziliant gewesen wären, wie es in der Vergangenheit in solchen Fällen immer gehandhabt worden ist.
Ich ergreife an dieser Stelle als Berichterstatter zum Einzelplan 35 das Wort, um vor dem Plenum des Deutschen Bundestages einige Eindrücke darzulegen, die aus meiner Sicht hier dargelegt werden müssen, Eindrücke, die sich mir bei dem Versuch, in diesem Bereich wenigstens einen Ansatz von parlamentarischer Kontrolle zu versuchen, aufgedrängt haben.
Es geht beim Einzelplan 35 um Kosten, die der bundesdeutsche Steuerzahler für die alliierten Truppen in der Bundesrepublik und West-Berlin zu zahlen hat.
Von besonderem Interesse dabei sind die Aufwendungen für die alliierten Streitkräfte in West-Berlin. Sie sind in Kapitel 35 02 enthalten. Vorgesehen sind für das Jahr 1986 Ausgaben in der stolzen Größenordnung von knapp 1,4 Milliarden DM,
wobei erneut eine beträchtliche Steigerungsrate von ca. 7,5% gegenüber dem Vorjahr vorgesehen ist, eine Steigerungsrate, die bei weitem über der Gesamtsteigerungsrate des Bundeshaushalts liegt. Diese 1,4 Milliarden DM sind in dem Haushaltsplan auf ganzen zwei Seiten veranschlagt und nur in wenige Einzeltitel mit Sammelbezeichnungen untergliedert. Diese Sammelbezeichnungen erlauben so, wie sie da stehen, praktisch keinen näheren Aufschluß über die Verwendungszwecke der Mittel. Ich habe bereits 1984 darauf hingewiesen, daß über die Verwendung der Mittel seit Jahrzehnten keinerlei wirkliche parlamentarische Beratung stattgefunden hat und daß schon der Versuch, näheren Aufschluß darüber zu erhalten, was mit diesen Mitteln passiert, außerordentlich schwierig ist. Ich habe 1984 bereits darauf hingewiesen, daß die Mittelansätze de facto von den zuständigen alliierten Stellen festgesetzt werden und daß auch der Rechnungshof in diesem Bereich keinerlei wirkliche Kontrollrechte besitzt.
1985 ist erstmals wenigstens im Ansatz der Versuch gemacht worden, im Parlament, d. h. im Haushaltsausschuß, diese Ansätze zu behandeln. Das kleine Stückchen größerer Transparenz, das dabei gewonnen wurde, hat allerdings nur folgenden
Sachverhalt bestätigt: Über die Einstellung der Etatansätze bei den Besatzungskosten in West-Berlin entscheiden letzten Endes nicht Vertreter oder Organe der Bundesrepublik Deutschland, sondern Vertreter ausländischer Staaten, und das Parlament vollzieht hier nur geschäftsmäßig das nach, was alliierte Stellen an Bedarf anmelden.
Das, was sie anmelden, ist nicht zu knapp. So zahlt der bundesdeutsche Steuerzahler auch noch die Hausangestellten, auf die jeder britische Offizier in West-Berlin Anspruch erhebt. Das ist nach meinem Eindruck als Berichterstatter die faktische Situation. Souverän ist nach meinem Eindruck hinsichtlich dieses Teils des Haushaltsplans offenkundig nicht das Parlament der Bundesrepublik Deutschland; souverän sind Vertreter fremder Staaten, die im wesentlichen schalten und walten können, wie sie wollen, und die sich offenkundig auch nicht gern in die Karten schauen lassen wollen und deshalb deutschen Stellen allenfalls Konsultationsrechte zubilligen. Als dem Berichterstatter zum Einzelplan 35 mußte sich mir der Eindruck aufdrängen, daß auch 40 Jahre nach Kriegsende die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland ihre Grenzen hat und daß es Bereiche gibt, wo diese auch im Haushaltsverfahren sehr deutlich spürbar werden. Als Berichterstatter glaube ich, daß hier endlich Konsequenzen gezogen werden müssen, wenn das Haushaltsverfahren mehr sein soll als ein demokratisches Feigenblatt.
Angesichts dieses Zustandes ist es mir als Berichterstatter absolut unverständlich gewesen, wieso Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN und der SPD, die einen Rechtshilfesonderfonds für WestBerliner Bürger gerade wegen dieser Problematik gefordert haben, von der Mehrheit im Haushaltsausschuß abgelehnt worden sind. Dieser Sonderfonds würde West-Berliner Bürgern überhaupt erst die Chance einräumen, gegen Planungen und Vorhaben der Alliierten, durch die sie sich in ihren Belangen verletzt sehen, den Rechtsweg einschlagen zu können, ohne dabei unermeßlichen finanziellen Risiken ausgesetzt zu sein. In der gegenwärtigen Situation bleibt den West-Berlinern in solchen Fällen allenfalls die Möglichkeit, Appellationsinstanzen in den Ländern der Westalliierten anzurufen. Dieser Zustand führt zu einer erheblichen Benachteiligung West-Berliner Bürger gegenüber Bundesbürgern.
Um dem abhelfen zu können, müßte man wenigstens kurzfristig einen solchen Rechtshilfefonds einrichten. Deswegen möchte ich Sie an dieser Stelle auffordern — es ist noch nicht zu spät, das auch zu tun —: Stimmen Sie dem entsprechenden Änderungsantrag, den die Fraktion der GRÜNEN vorgelegt hat, zu.
Herr Abgeordneter, Sie überschreiten nunmehr aber eindeutig die Grenzen. Ihre Geschicklichkeit in Ehren.
Das war notwendig.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13325
Kleinert
Ich bedanke mich, Herr Präsident.
Das Wort hat der Abgeordnete Walther.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kleinert, ich muß schon sagen, daß Sie die Großmut des Herrn Präsidenten durchaus ausgenutzt
und sich mit einem Geschäftsordnungstrick zusätzliche Redezeit ergattert haben,
die Sie sonst als Redner in der Debatte nicht bekommen hätten. Ich muß Ihnen schon sagen, Herr Kollege Kleinert: Fairneß setzt voraus, daß man nicht mit Geschäftsordnungstricks arbeitet.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert ?
Ich muß fragen, ob das auf meine Redezeit angerechnet wird.
Ich rechne das nicht auf die Redezeit an.
Dann bitte schön, Herr Kollege Kleinert.
Herr Kollege Walther, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Art und Weise, in der ich diesen Sachverhalt angesprochen habe, identisch ist mit der Art und Weise, in der ich im letzten Jahr diesen Sachverhalt im Parlament darzulegen Gelegenheit hatte, und daß es im letzten Jahr durchaus möglich war, über dieses Verfahren auf allen Seiten des Hauses Einverständnis zu erzielen, und, Herr Kollege Walther,
Herr Abgeordneter, Ihre Frage soll kurz und präzise sein.
... sind Sie weiterhin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Fraktion der GRÜNEN mit solchen Möglichkeiten bislang außerordentlich sparsam umgegangen ist?
Herr Abgeordneter, kommen Sie jetzt bitte zum Schluß Ihrer Frage.
Ich bin fertig, Herr Präsident.
Herr Präsident, wenn ich all die vielen Fragen, die der Kollege Kleinert unter willkürlicher Ausnutzung seines Fragerechts gestellt hat, beantworten wollte, hätte ich meine gesamte Redezeit beansprucht. Herr Kollege Kleinert, Sie haben Verständnis dafür, daß ich auf meine Bemerkung verweise, die ich zu Beginn gemacht habe und von der ich nichts zurückzunehmen habe, auch nicht nach Ihrer komplizierten Fragestellung.
Es trifft sich ganz gut, daß ich zum Einzelplan 35 rede; nicht weil der Kollege Kleinert das Thema angeschnitten hat, sondern weil wir eigentlich auf den Verteidigungsminister gewartet hatten. Aber er hat sich bisher nicht zu Wort gemeldet. Deshalb muß jetzt, weil die Einzelpläne 14 und 35 in verbundener Debatte behandelt werden — ich bitte, Herr Präsident, das in Zukunft zu ändern, wenn das im Ältestenrat durchzusetzen ist —, an dieser Stelle etwas zu dem Einzelplan 35 gesagt werden; denn zumindest in einem Teil ist in der Sache auch der Verteidigungsminister mit angesprochen. Für den Fall, daß er sich heute abend noch zu Wort meldet: Er kann darauf j a noch eingehen. Der Finanzminister, der an anderer Stelle angesprochen ist, ist ja durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär auch ordnungsgemäß vertreten.Es ist in der Tat richtig, daß wir hier über den Einzelplan 35 schon seit vielen Jahren überhaupt nicht mehr gesprochen haben, daß wir über dieses Thema überhaupt nicht debattiert haben. Ich gebe zu, daß das eigentlich schon früher notwendig gewesen wäre. Ich komme darauf zurück. Wir tun dies heute nicht deshalb — ich bin ganz sicher, daß wir da anderer Meinung sind, als sie der Kollege Kleinert vertritt —, weil wir eventuell irgendwelche statusrechtliche Regelungen in Frage stellen wollen. Niemand von uns will an den geltenden rechtlichen Vereinbarungen rütteln. Aber im Rahmen der vorgegebenen rechtlichen Regelungen ist es 40 Jahre nach Kriegsende an der Zeit, über manche Praktiken zu reden, die nicht mehr den Verhältnissen unter befreundeten Ländern entsprechen.
Einige Beispiele will ich hier nennen.
Unsere amerikanischen Verbündeten benutzen eine Reihe von Truppenübungsplätzen, insonderheit Grafenwöhr, Hohenfels und, Herr Kollege Dregger, Wildflecken. Niemand will die Amerikaner von dort vertreiben. Aber was die in der Umgebung der Übungsplätze wohnenden Menschen zu Recht verlangen, ist eine drastische Verminderung des von den Übungsplätzen ausgehenden Lärms, der die Gesundheit nachhaltig beeinträchtigt.
Die in der Umgebung der Übungsplätze wohnenden Menschen wissen um die wirtschaftlichen Vorteile der Plätze. Die Arbeitslosenquoten in der Oberpfalz oder, Herr Kollege Dregger, in der Röhn lägen noch erheblich höher als sowieso schon, gäbe es nicht die Arbeitsplätze bei den und durch die dort übenden Soldaten. Aber die Menschen sehen nicht ein, daß der Übungsbetrieb durch die amerikanischen Truppen dort nicht in jenen Grenzen gehalten werden kann, wie sie von der Bundeswehr für selbstverständlich gehalten werden.
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13326 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
WaltherSchieß- und zum Teil Bombenlärm rund um die Uhr und an 365 Tagen im Jahr, teilweise in ganz unmittelbarer Nähe bewohnter Ortsteile, sind nicht mehr länger hinnehmbar.
Zusätzliche Belastungen z. B. aus der Staubentwicklung und Erosionsschäden verstärken berechtigterweise den Unmut.Ich erkenne an, daß die Bundesforstverwaltung in den letzten Jahren eine Menge getan hat, z. B. durch Anpflanzungen und andere Maßnahmen des Emissionsschutzes. Aber das reicht bei weitem nicht aus. Ich erkenne auch an, daß die amerikanischen Soldaten vor Ort gutwillig sind. Aber auch sie sind an das gebunden, was auf höherer Ebene befohlen und vereinbart wird.Deshalb, Herr Bundesverteidigungsminister und alle anderen anwesenden Mitglieder der Bundesregierung, fordern wir Sie auf, mit noch größerem Nachdruck als bisher mit den amerikanischen Verbündeten dahin gehend zu verhandeln, daß die Inanspruchnahme der genannten Truppenübungsplätze so schnell wie möglich nur noch in jenem Umfange erfolgt, wie ihn die Bundeswehr ganz selbstverständlich praktiziert.
Aber das wird vermutlich nicht ausreichen. Deshalb muß die Bundesregierung dafür sorgen, daß den betroffenen Menschen durch aktive Schallschutzmaßnahmen, wie z. B. den Einbau lärmdämmender Fenster, geholfen wird. Ich weiß, daß das Geld kostet. Herr Bundesfinanzminister, ich freue mich, daß ich Sie sehe. Ich sage noch einmal in Ihre Richtung, weil Ihre Beamten an der Stelle besonders geizig sind: Ich weiß, daß das Geld kostet. Aber wer im Interesse der Sicherheit unseres Landes besondere Opfer bringen muß, kann auch erwarten, daß der Staat ihm in besonderer Weise hilft.
Herr Abgeordneter, der Herr Abgeordnete Klejdzinski möchte gern eine Zwischenfrage stellen. Sie gestatten das unter den genannten Bedingungen?
Bitte schön, Herr Kollege Klejdzinski.
Herr Kollege Walther, ist Ihnen bekannt, daß das, was Sie für die amerikanischen Truppen vorgetragen haben, auch auf Niedersachsen zutrifft, insbesondere auf den Bereich Soltau-Lüneburg, das heißt, daß die dort übenden britischen Truppen in keiner Weise eine Sommerpause einhalten, daß sie unmittelbar bis an die Wohnbebauung gehen?
Herr Abgeordneter Klejdzinski, ich würde Sie bitten, Ihre Frage kurz und präzise zu formulieren.
Herr Kollege Klejdzinski, das, was Sie hier vortragen, ist mir bekannt. Ich wäre gleich darauf zurückgekommen. Aber weil Sie schon denInhalt dessen, was ich sagen wollte, vorgetragen haben, füge ich hinzu: Auch in diese Richtung bitten wir die Bundesregierung, mit unseren britischen Verbündeten, den britischen Streitkräften zu verhandeln.
— Wenn es Holländer sind, gilt es auch in diese Richtung.Zweitens. Größere Manöver sind offenbar unvermeidlich. Das führt auch zu Belastungen der Zivilbevölkerung. Deshalb müssen solche Manöver in einem einsichtigen Rahmen gehalten werden. Von der Bundeswehr, Herr Bundesminister, das will ich gerne sagen, kann man das im großen und ganzen auch behaupten. Bei unseren Alliierten sind da schon eher Zweifel angebracht. Was insbesondere die Manöver britischer Truppen angeht, so gibt es gute Gründe für die Annahme, daß diese sich gelegentlich eher als im Feindes- als im Freundesland befindlich betrachten. Die Rücksichtslosigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung, gegenüber den Straßen und Wegen und sonstigen Infrastruktureinrichtungen führt zu berechtigter Verbitterung bei den betroffenen Menschen. Auch hier fordern wir die Bundesregierung zu entscheidenden Interventionen auf, mit der Bitte, auch hier weiterzugeben, diese Streitkräfte möchten sich ein Beispiel an der Bundeswehr nehmen; denn überzogene Manöverschäden kosten des Steuerzahlers Geld in beiden Ländern, drüben und hier.Drittens. In Berlin nutzen die Alliierten ihre Rechte aus dem Besatzungsstatut nahezu grenzenlos aus, was die Anforderungen an den Bundeshaushalt angeht.
Was der Bundeshaushalt für den rechtlich eigentlich zuständigen Berliner Senat an horrenden Beträgen leisten muß, übersteigt gelegentlich die berühmte Kuhhaut — und dies, ohne daß es eine Prüfungsmöglichkeit durch den Bundesrechnungshof gäbe.Der Kollege Kleinert hat ein paar Beispiele genannt; ich will sie noch einmal aufgreifen: Die Übernahme eines Teils der Besoldung der alliierten Soldaten oder der Kosten für das Hauspersonal britischer Offiziere sind heutzutage Anachronismen, die nur unter Berufung auf die Haager Landkriegsordnung zu erklären sind. Aber, frage ich, darf das 40 Jahre nach dem Krieg immer noch so gelten?Auch hier muß die Bundesregierung bzw. der Berliner Senat in Verhandlungen mit den alliierten Schutzmächten für Regelungen sorgen, die den Grundsätzen von Haushaltswahrheit, Haushaltsklarheit und Rechnungskontrolle Rechnung tragen.
Soweit ich sehe, gibt es zu den von mir genannten Punkten in diesem Haus auch keinen Streit. Wir, die SPD und die Koalitionsfraktionen, haben die Absicht, in der dritten Lesung dazu eine gemeinsame Entschließung zu verabschieden. Aber die
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13327
WaltherBundesregierung braucht, meinen wir, für ihre Verhandlungen dringend die Unterstützung durch das Parlament;
denn z. B. hat der US-Kongreß einseitig die Zahlung von Grundsteuern an die betroffenen deutschen Gemeinden vor einigen Jahren verboten. Die Streitkräfte halten sich daran, wodurch den deutschen Gemeinden schon jetzt rund 50 Millionen DM an Einnahmen verlorengegangen sind.
— Ja. Auch dies sollte die Bundesregierung nicht hinnehmen.Zum Schluß, meine Damen und Herren, komme ich zu einem offenbar streitigen Punkt. Die West-Berliner Bürger sind in ihren Beziehungen zu den alliierten Schutzmächten weitgehend rechtlos. Auch dieser Zustand ist 40 Jahre nach dem Krieg mehr als unbefriedigend. Wer den Versuch unternehmen will, seine Rechte gegenüber den Alliierten wahrnehmen zu wollen, muß dies auf dem Umwege über Gerichte in London, Washington oder Paris versuchen. Der Versuch scheitert in der Regel schon an dem hohen Kostenrisiko, das sich bei solch weit entfernten Gerichten zwangsläufig einstellt.
Wenn es schon nicht gelingen sollte, im Wege freiwilliger Vereinbarungen — und das geht, wenn man will — West-Berliner Bürgern im Verhältnis zu den Alliierten vor deutschen Gerichten die in einem Rechtsstaat üblichen Rechte zuzugestehen, muß der Berliner Senat in die Lage versetzt werden, mit Geldmitteln des Bundes rechtsuchenden Berliner Bürgern Kostenhilfe zu leisten, damit diese ihre Anliegen vor Gerichten in den Hauptstädten der Alliierten vortragen und gegebenenfalls durchsetzen können. Wir legen einen entsprechenden Antrag vor. Von der Zweckbestimmung unseres Antrages her — das wurde im Haushaltsausschuß von Ihnen als Besorgnis eingewandt — wird jedweder Mißbrauch ausgeschlossen.Meine Damen und Herren, wir appellieren an die Koalition, diesem Antrag zuzustimmen, damit dem Rechtsstaat auch im Verhältnis zwischen West-Berliner Bürgern und den alliierten Schutzmächten eine Gasse geschlagen wird.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema, das Herr Kollege Walther angeschnitten hat, betrifft nicht nur meinen Wahlkreis, sondern viele Wahlkreise — aber eben auch meinen. Deswegen habe ich dieses Thema aufgegriffen, als jemand, der davon überzeugt ist, daß wir auf das Bündnis mit den Vereinigten Staaten angewiesen sind, wenn wir uns mitten in Deutschland und mitten in Europa an der Grenze von Ost und West behaupten wollen — ich habe mich heute morgen dazu geäußert —, aber auch in der Überzeugung, daß die Amerikaner auf uns angewiesen sind:
Sie werden sich hier nur behaupten können, wenn wir an ihrer Seite stehen. Diese Interessenidentität ist die feste Grundlage unseres Bündnisses.
Ich habe mit dieser Grundeinstellung die Sache mit dem amerikanischen Kommandierenden General erörtert. Ich habe sie auch mit dem amerikanischen Verteidigungsminister erörtert. Ich habe dem General gesagt: Sie sind als Sieger in dieses Land gekommen. Dann wurden Sie Besatzungsarmee. Jetzt sind Sie verbündete Armee. Ich habe Sie als unseren Verbündeten begrüßt. Jetzt wollen wir einmal überlegen, wie diese Frage unter Verbündeten zu regeln ist.
Ich habe gemeint: Wenn die Bundeswehr in Kalifornien schießt, dann wird sie sich nach kalifornischen Schießzeiten richten.
Wenn unsere amerikanischen Verbündeten in Deutschland schießen, dann erwarte ich, daß sie sich nach deutschen Schießzeiten richten.
Meine Damen und Herren, das kann ein Verbündeter der Amerikaner sagen.
Er findet dort auch Zustimmung und Sympathie.
Ich kann hier dem Parlament mitteilen, daß dieses Prinzip, das ich eben angeschnitten habe, akzeptiert ist.
Das kehrt auch wieder in einem Halbsatz des Entschließungsantrags ,,... zu erreichen, daß der Übungsbetrieb der alliierten Streitkräfte dem der Bundeswehr angepaßt wird".
Das ist der Gedanke, der von mir als Abgeordneter dieses Wahlkreises, aber auch als Vorsitzender der Fraktion der CDU/CSU in die deutsch-amerikanische Diskussion eingebracht worden ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt?
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
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13328 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Herr Dregger, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir in diesem Punkt — sowohl, was die Notwendigkeit betrifft, mit den Amerikanern im Bündnis zu bleiben, als auch, was die Selbstbehauptung deutscher Interessen im Bündnis angeht — mit Ihnen übereinstimmen und bereit sind, gemeinsam mit Ihnen auf die Amerikaner einzuwirken?
Ich freue mich, daß das der Fall ist. Ich nehme das gerne zur Kenntnis.
Ich wollte noch einen zweiten Punkt nennen. Seitdem Herr Wörner Bundesverteidigungsminister ist und seitdem die CDU/CSU gemeinsam mit der FDP die Regierungsverantwortung trägt, sind meine Bemühungen um den Schießplatz in meinem Wahlkreis zum erstenmal auf Gehör und Erfolg gestoßen. Erst seitdem ist es so, daß der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Würzbach, in kürzeren Abständen auf diesem Gelände erscheint und das Gespräch geführt hat. Erst seitdem das so ist, hat der deutsche Verteidigungsminister das zum Gegenstand seiner Bemühungen gemacht. Ich kann Ihnen noch mehr sagen: Diese Bemühungen stehen kurz vor ihrem Abschluß. Deswegen hatte ich den Kollegen Walther gebeten, dieses Thema heute gar nicht öffentlich zu erörtern. Er hat es auf die Tagesordnung gebracht. Es schadet auch gar nichts. Ich habe keine Bedenken. Wir können das natürlich annehmen. Es liegt ganz im Sinne der Bemühungen, die vom Bundesverteidigungsminister und mir seit vielen Monaten laufen. Aber ich möchte mich auf diese Feststellungen beschränken.
Machen wir das so als gute und treue Verbündete der Vereinigten Staaten von Amerika
und im Interesse unserer Bevölkerung, die erwarten kann, daß sie nicht deshalb schlechter behandelt wird, weil auf diesem Schießplatz nicht die Bundeswehr, sondern eine verbündete Armee schießt! Wenn wir darin übereinstimmen, wäre es großartig.
Danke sehr.
Der Verteidigungsminister hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Zunächst einmal möchte ich das bestätigen, was eben der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hier bekanntgegeben hat.
Wir sind seit geraumer Zeit mit unseren amerikanischen und auch mit anderen Verbündeten im Gespräch, um das zu erreichen, was unser aller Ziel ist: daß unsere Alliierten, Rechtsanspruch hin, Rechtsanspruch her, sich deutschen Schießgewohnheiten in der Bundesrepublik Deutschland anpassen mögen. Ich denke, daß uns eine Meinungsäußerung des Parlaments hierbei helfen kann.Lassen Sie mich nach der herzbewegenden Klage der Frau Traupe mit einem Problem beginnen, dem ich mich sehr gerne zuwende. Frau Traupe, Sie erwecken den Eindruck, als hätten wir während dieser drei Jahre die sozialen Probleme des Soldaten und der Truppe vernachlässigt. Das Gegenteil ist richtig, und Sie wissen das.
Lassen Sie mich einmal ein paar Fragen an Sie stellen: Wer hat dem Verwendungsstau über Jahre hinweg tatenlos gegenübergestanden und nichts getan? Das waren Sie, die Regierung der SPD. Wer hat den Dienstzeitausgleich, gerade auch für die kleinen Leute, für die Unteroffiziere, für die Mannschaften, gekürzt? Das waren Sie von der SPD. Wer hat den Unteroffizieren den Spitzendienstgrad versprochen, ihn ihnen aber nie wieder gegeben? Das waren Sie von der SPD. Wer hat 8 000 Stellen für Zeitsoldaten gekürzt? Das waren Sie von der SPD. Bei wem ging der Deutsche Bundeswehrverband auf die Straße und hat gegen die Vernachlässigung der sozialen Belange protestiert? Das war bei Ihnen, unter der Regierung der SPD.Jetzt kommen Sie hierher, stellen sich hin und sagen, wir hätten die sozialen Probleme vernachlässigt. Da kann ich nur sagen: Hätten Sie das damals gesagt und Ihren damaligen Verteidigungsminister dazu gebracht, daß er gehandelt statt geredet hätte, bräuchten Sie sich heute nicht mehr hinzustellen.
Es ist den Soldaten nicht damit geholfen,
daß Sie das Herz für die Soldaten entdeckt haben, seitdem Sie in der Opposition sind.
Wir dagegen haben gehandelt.
Wir haben in den drei Jahren die Personallage einschneidend verbessert. Wir haben die Zahl der Längerdienenden gesteigert; wir haben heute die beste Unteroffizierlage seit Bestehen der Bundeswehr.
Wir haben das Problem des Verwendungsstaus bei allen Dienstgradgruppen — bei den Unteroffizieren, bei den Offizieren des militärfachlichen Dienstes, bei den Truppenoffizieren — angegangen. Wir haben in drei Jahren 3 000 Stellenhebungen durchgesetzt. Ich bedanke mich hier auch bei dem Bundesfinanzminister für sein Verständnis, das ihm bei dieser Lage der Bundesfinanzen nicht leichtgefallen ist.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13329
Dr. WörnerWir haben einen neuen Spitzendienstgrad für Unteroffiziere eingeführt. Wir haben das Reservistenkonzept durchgreifend verbessert. Wichtige soziale Probleme sind in diesen drei Jahren gelöst worden. Der Dienstzeitausgleich wurde voll wiederhergestellt. Arbeitslose wurden mit Vorrang eingestellt. Es wurden die Zeiten der Übergänge für Zeitsoldaten ins Zivil- und Berufsleben entscheidend verbessert. Die Statistik beweist unsere Erfolge.Wir haben die Nachhilfepauschale verdoppelt. Wir haben die zweite Familienheimfahrt für Trennungsgeldempfänger durchgesetzt. Wir haben die Zahl der Ausbildungsplätze gesteigert. Wir haben zum erstenmal seit Jahrzehnten die Bekleidung der Soldaten durchgreifend verbessert. Wir haben den Wehrsold erhöht. Wir haben in diesen drei Jahren mehr für die sozialen Belange getan als Sie in einem Jahrzehnt zuvor.
Seit der Regierungsübernahme im Herbst 1982 bestimmen im wesentlichen drei Aufgaben das Handeln des Bundesministers der Verteidigung:
erstens, den personellen Bestand der Bundeswehr im nächsten Jahrzehnt zu sichern, zweitens, die erkannten Schwächen unseres Verteidigungssystems abzubauen. Es gilt drittens, unsere konventionellen Abwehrmöglichkeiten unter verstärkter Ausnutzung moderner Technologie zu verbessern. Diese bis heute unveränderten Prioritäten waren auch bestimmend für die gesamtplanerische Bestandsaufnahme des vergangenen Jahres, waren bestimmend für den Bundeswehrplan 1986, mit dem wir eine im wahrsten Sinne des Wortes planlose Zeit beendet und unseren Verteidigungsanstrengungen eine klare Perspektive gegeben haben.
— Ich greife das gerne auf. Ich habe Ihre Ausführungen gelesen. Verehrte Frau Fuchs, Sie und Frau Kollegin Traupe müßten sich endlich auf Ihre Oppositionsmelodie verständigen. Die eine sagt nämlich, ich hätte zuviel Geld im Etat, die andere sagt, ich hätte zuwenig Geld im Etat. Das gleiche sagte Herr Kollege Kolbow in der letzten Debatte. Wenn Sie sich einmal auf das geeinigt haben, was Sie mir vorwerfen wollen, dann kommen Sie wieder hierher; dann können wir uns ernsthaft darüber unterhalten.
Wir reden hier nicht über Glaubensbekenntnisse, sondern über Fakten.
Allen Unkenrufen der Opposition zum Trotz zeigtsich: Unsere Bundeswehrplanung ist in ihrenGrundlinien und in ihrer Schwerpunktsetzung richtig und vernünftig. Sie beruht auch auf realistischen Finanzannahmen. Trotz knappen Geldes und mit Hilfe konsequenter Sparsamkeit konnten wir sie Jahr um Jahr umsetzen. Das ist es ja, was Sie so aufregt und ärgert, daß wir unsere Schwerpunktset' zung durchgehalten haben, daß wir sie Jahr um Jahr umgesetzt haben. Und dabei sind wir flexibel genug, sie jedes Jahr neu zu überprüfen und neuen Entwicklungen anzupassen, so etwa, um den Bau zweier Fregatten vorzuziehen. Entscheidend dabei ist, daß wir nicht wieder in die Fehler der Vergangenheit zurückfallen, d. h., daß wir durch die Konzentration auf den Bau von Großwaffensystemen nicht das Personal, den Menschen und die sogenannte Peripherie vernachlässigen.
Sie können sich darauf verlassen: Diesen Fehler machen wir nicht.
Frau Abgeordnete Fuchs, Sie sollten nicht mehr zu reden versuchen als der Redner selber, bei allem Respekt vor Zwischenrufen.
Der Haushalt weist nun nach den Kürzungen im Haushaltsplan noch eine Steigerungsrate von 2,4 % auf. Damit wird sein Volumen knapp stärker ansteigen als die Bundesausgaben insgesamt. Ich verhehle nicht, daß sich die Bundesregierung gewünscht hätte, den Ausgabenpiafond um 3,1 % zu erhöhen. Im Blick auf die kommenden Jahre sage ich ganz klar: Wir werden die Bundeswehr nur dann einsatzkräftig halten können, wenn wir reale Steigerungsraten über die Jahre hindurch erhalten.
Nur dann wird es möglich sein, das zu verwirklichen, was bis jetzt noch das Ziel aller — mit Ausnahme der GRÜNEN — in diesem Hause ist, die konventionelle Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu steigern.Frau Traupe, Sie kommen hierher und legen uns Kürzungsanträge von zusätzlich 1,4 Milliarden auf den Tisch.
Zum gleichen Zeitpunkt schreiben Sie in Ihr Parteiprogramm hinein, daß Sie sich um eine Steigerung der konventionellen Verteidigungsfähigkeit bemühen wollen. Das geht doch nicht zusammen. Ein ums andere Mal kann ich Ihnen nachweisen: Sie sind in Ihren Darlegungen nicht konsequent und damit auch nicht glaubwürdig. Deswegen sind Sie nicht berufen, uns zu kritisieren.
Wir werden dank der erfolgreichen Finanzpolitik der Bundesregierung und der sehr mäßigen Preisentwicklung das Niveau der Verteidigungsaufwendungen real zumindest halten können. Das NATO-
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13330 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Bundesminister Dr. WörnerZiel von 3 % werden wir nicht erreichen. Aber ich bin mit meinen Kollegen im Bündnis einig, daß diese Richtzahl nur einer von mehreren Bemessungsfaktoren bei der Bewertung von Verteidigungsleistungen sein kann. Die entscheidende Frage ist, wieviel Verteidigungskraft erreicht wird, also in welchem Maße es gelingt, vorhandene Ressourcen effektiv in Kampfkraft der Streitkräfte urn-zusetzen. Hier brauchen wir uns wirklich nicht zu verstecken. Ein Blick auf die Schwerpunkte des Verteidigungshaushalts macht dies deutlich.Da ist zunächst einmal die Verbesserung der Personalsituation, der wir auch im Haushalt 1986 absolute Priorität zumessen. Der Anteil der längerdienenden Soldaten am Gesamtumfang wird auch 1986 steigen, und zwar erneut um 2 500. Das heißt, wir haben jetzt in den Soll-Zahlen, in den Haushaltszahlen in drei Jahren 12 000 Längerdienende mehr als im Haushalt 82. Wir haben in Wirklichkeit 25 000 Längerdienende in den Streitkräften mehr, als wir 1982 hatten. Das ist eine stolze Erfolgsbilanz, die dazu dient, die Streitkräfte einsatzfähiger zu machen.
Wir haben erneut die Zahl der Wehrübungsplätze steigern können. Das heißt, daß wir im nächsten Jahr 200 000 Reserveübungen ermöglichen können.
Das sind 15 000 mehr als in diesem Jahr. Das ist nicht populär. Wir werden in der Wirtschaft und bei unseren Soldaten für die höhere Zahl der Wehrübungen um Verständnis werben müssen. Aber es ist unabdingbar, wenn wir die Einsatzbereitschaft unserer Streitkräfte aufrechterhalten wollen.Besonders dankbar bin ich, daß es uns gelungen ist, weitere wirksame Schritte zum Abbau des Verwendungsstaus, und zwar keineswegs nur bei Truppenoffizieren, sondern gerade bei Unteroffizieren und bei Offizieren des militärfachlichen Dienstes, im Haushalt unterzubringen. Ich schenke mir die Zahlen; sie sind bekannt.Das heißt, Ihrer Propaganda ist der Boden entzogen — längst. Die Truppe hat es gemerkt. Es wird allerdings bei Ihrem mangelnden Kontakt zur Truppe noch Jahre dauern, bis sich das in der Sozialdemokratischen Partei herumgesprochen hat.
Sie zitieren pausenlos die Stimmung in der Truppe. Alles das, was Sie sagen, läßt mich erkennen, daß Ihr wirklicher Kontakt zur Truppe nicht ausreichend ist, um die tatsächliche Situation dort beurteilen zu können.
Ich möchte noch den Beitrag hervorheben, den die Bundeswehr zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit leistet.
Wir haben in diesem Jahr weitere 1 035 Stellen für die Ausbildung in den verschiedendsten Berufen bereitgestellt, um dem Lehrstellenmangel abzuhelfen. Das heißt, die Bundeswehr stellt damit deutlich über 6 000 Ausbildungsstellen bereit.Wir haben die Zahl der Ausbildungsstellen in der Bundeswehr in drei Jahren verdoppelt. Auch auf diese Leistung, glaube ich, darf diese Regierungskoalition stolz sein.
Allerdings sind damit unsere Möglichkeiten faktisch ausgeschöpft.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Ausbildung und die Übung. Wir haben angefangen, die Ausbildung der militärischen Führer wieder auf die Praxis des Dienstes und auf den Verteidigungsauftrag hin zu orientieren. Die Einschränkungen des Übungs- und Ausbildungsbetriebs der Bundeswehr sind beseitigt. Wir haben die Betriebsstoffvorräte auf das erforderliche Niveau gebracht und die Ausgaben für Truppenübungen kontinuierlich erhöht. Die für 1986 vorgesehenen Ansätze liegen um 40 % über den Mitteln des Jahres 1982. Das heißt, die Truppe kann üben; sie kann ihre Einsatzbereitschaft verbessern.Im investiven Bereich haben wir mit unserer Politik der Forschungsförderung und ihrer Steigerung auch im Haushalt 1986 Ernst gemacht. Wir haben inzwischen die Ausgaben für Forschung seit 1983 um über 50 % gesteigert. Das heißt, wir werden imstande sein, international konkurrenzfähig zu bleiben, nachdem Sie — unter Ihrer Verantwortung — die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf einen Stand heruntergefahren hatten, der unter dem jeder vergleichbaren Industrienation lag — mit schweren Folgen für die Arbeitsplätze und die Konkurrenzfähigkeit unserer Industrie. Das haben wir repariert.
Wir kommen bei den militärischen Beschaffungen in diesem Jahr mit weniger Mitteln aus. Das hat einen ganz einfachen Grund: Der Höhepunkt des laufenden Generationswechsels ist überschritten. Für das fliegende Frühwarnsysteme AWACS fallen im nächsten Jahr keine Beschaffungskosten mehr an. Für Tornado und Panzer verringert sich der Bedarf um mehrere hundert Millionen DM. Das heißt, wir werden entsprechend unserer Bundeswehrplanung den gewonnenen finanziellen Spielraum nutzen, um Nachholbedarf abzubauen, einige neue Vorhaben zu beginnen und um konsequent die Bekleidung der Soldaten weiter zu verbessern. Munitionsversorgung, Sanitätsgerät, Arzneimittel, ABC-Schutz — das sind einige der Schwerpunkte, die wir mit diesem Mittelansatz abdecken können.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13331
Bundesminister Dr. WörnerDiese wenigen Beispiele verdeutlichen unsere Bemühungen, den Schutz der Soldaten zu verstärken und die Einsatzfähigkeit der Waffensysteme entsprechend ihren militärischen und technischen Konzipierungen sicherzustellen.Jetzt komme ich auf den letzten Punkt in diesem Haushalt, den Sie angesprochen haben, Frau Kollegin Traupe. Sie haben hier versucht, den Eindruck zu erwecken, als täten wir im militärischen Infrastrukturbereich nicht genug.
Mir brauchen Sie nicht zu erzählen, daß die Unterkünfte der Soldaten da und dort noch nicht so sind, wie wir sie alle haben wollen.
Im übrigen ist das kein neuer Zustand. Auch da könnte ich fragen: Was haben Sie eigentlich in den 13 Jahren getan, in denen Sie an der Regierung waren?
Ich kann Ihnen nur eines sagen. Im Haushalt 1986 sind 260 Millionen DM mehr vorgesehen als 1985. Das ist eine Steigerung um 12 %. Das ist die höchste Steigerungsrate des gesamten Einzelplans 14. Daraus sehen Sie klar und eindeutig: Wir werden alles daransetzen, so schnell als möglich gerade die Unterkünfte unserer Soldaten zu verbessern. Wenn Sie dem zustimmen, dann kann es uns nur freuen.
Meine Damen und Herren, die Bilanz unserer Sicherheitspolitik kann sich sehen lassen. Wir haben die Bundesrepublik wieder zu einem berechenbaren und verläßlichen Partner der Allianz gemacht.
Wir haben Vertrauen für die deutsche Sicherheitspolitik zurückgewonnen. Die Allianz ist gefestigt. Der Doppelbeschluß ist umgesetzt. Wir haben die Friedensdiskussion bestanden, nicht mit Ihrer Unterstützung, Herr Ehmke, sondern weil wir die Standfestigkeit bewiesen haben, die Ihnen abgegangen ist.
Die Bundesregierung und der Verteidigungsminister waren initiativ an wesentlichen strategischen Reformen des Bündnisses beteiligt,
so an der Verbesserung der konventionellen Verteidigung durch Infrastrukturmaßnahmen und das FOFA-Konzept, so an der Verminderung der Zahl der Nuklearwaffen und dem Abzug der Atomminen im Verfolg der Montebello-Entscheidung. Wir haben bahnbrechende Abkommen im Bereich der Zweibahnstraße beschlossen, Roland/Patriot als Stichwort. Wir haben der Zusammenarbeit mit Frankreich neue Impulse verliehen. Wir haben einen neuen Anlauf zu einer europäischen Verteidigung durch Aktivierung der Westeuropäischen Union unternommen.
Der Bundeswehr haben wir, wie ich eben dargestellt habe, neue und wichtige Impulse gegeben. Wir haben den Anteil der Verteidigungsausgaben am Haushalt wieder nach oben gefahren und von 18% auf 19% gesteigert. Das heißt, wir haben die Verteidigungskraft der Bundesrepublik Deutschland verbessert.
Der Übungsbetrieb ist voll wiederhergestellt. Die Forschungsausgaben sind erheblich gesteigert worden. Die Schwächen in unserer Verteidigungsstruktur sind konsequent angegangen worden. Mit den Beschaffungsvorhaben Mars und Patriot wird die atomare Schwelle angehoben. Auch das ist ein Ziel, über das viel geredet wurde, das diese Bundesregierung nunmehr umzusetzen beginnt.
Wir haben die Bundeswehrplanung in Ordnung gebracht und den Weg in die Zukunft programmiert. Wir haben die Ausbildung verbessert und stark auf den Verteidigungsauftrag zugeschnitten. Nicht zuletzt haben wir das soldatische Berufsverständnis gefestigt.
— Ich komme gleich noch darauf. Sie warten auf die Antwort. Wir haben — ich wiederhole das, weil Sie das so besonders ärgert — das soldatische Berufsverständnis gefestigt
und werden dabei weiterfahren.Wir haben die Darstellung der Bundeswehr in der Öffentlichkeit verbessert und werden damit weiterfahren. Wir haben die Verbindung zwischen Bürger und Bundeswehr und Soldaten gekräftigt und werden damit konsequent weiterfahren, mit der Unterstützung unserer Bevölkerung.
Jetzt komme ich zur Antwort auf das, was Sie angeschnitten haben. Lieber Herr Gansel, hören Sie doch endlich auf, hier mit Unterstellungen aus einem Ihnen nicht bekannten ersten Arbeitsentwurf eines neuen Traditionserlasses oder neuer Richtlinien zu arbeiten,
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13332 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Bundesminister Dr. Wörnereines Entwurfes, der schon längst wieder neu überarbeitet wird.
Diese Tatsache und die Art, wie Sie hier argumentieren, lieber Herr Gansel, zeigen mir, wie richtig es war, so zu verfahren. Warten Sie ab, bis ich den Entwurf vorlege, den ich nach außen zu vertreten gewillt bin; dann haben Sie das Recht, sich zustimmend oder kritisch dazu zu äußern. Dieses Recht haben Sie aber nicht bei einem Arbeitsentwurf, den Sie überhaupt nicht kennen, meine Damen und Herren.
Gestatten Sie dem Abgeordneten Gansel trotzdem eine Frage?
Bitte schön.
Herr Verteidigungsminister, stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Tradition der Bundeswehr für unsere nationale Identität, aber auch für die Kriegsverhütungsfunktion der Bundeswehr so wichtig ist, daß eine Neufassung der alten Richtlinien einer intensiven öffentlichen Diskussion bedarf und daß deshalb der Umgang mit Geheimpapieren, die numeriert, wieder eingesammelt werden, über die Indiskretionen in die Öffentlichkeit dringen, die Anlaß zu Vermutungen und vielleicht auch zu Verdächtigungen geben, mit einem demokratischen Führungsstil in einer so wichtigen Frage nichts zu tun hat?
Lieber Herr Kollege Gansel, ich stimme Ihnen in zwei Punkten ausdrücklich zu. Einmal ist das Traditionsverständnis der Bundeswehr nicht nur für die Bundeswehr, sondern für unseren ganzen Staat außerordentlich wichtig.
Weil ich es wichtig nehme, weil ich weiß, wie ernst diese Sache ist, werde ich erst dann mit einem Entwurf — das sagte ich, vielleicht hören Sie mir bitte zu — an die Öffentlichkeit gehen, wenn ich diesen Entwurf selbst für richtig und für so ausgereift halte, daß er in die öffentliche Diskussion gebracht werden kann.
Die zweite zustimmende Antwort zu Ihrer Bemerkung ist die: Selbstverständlich wird so etwas nicht in der Geheimküche ausgekocht. Aber auch Sie würden, wären Sie in einem solchen Amt, erst dann in eine öffentliche Diskussion gehen, wenn Sie dieses eigenen Entwurfs hinreichend sicher wären, daß er Ihren eigenen Anforderungen gerecht wird. Die Zeit müssen Sie mir schon gönnen; ich werde entscheiden, wann ich den Entwurf fertig habe, den ich mir vorstelle. Dann können Sie sich gerne kritisch damit auseinandersetzen; aber Sie werden mich nicht zwingen können, überstürzt an die Öffentlichkeit zu gehen. Das Timing überlassen Sie bitte mir!
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr steht im 30. Jahr ihres Bestehens national wie international besser da als seit langem. Sie wird im Inland wie im Ausland gleichermaßen geachtet und anerkannt. Die für den Verteidigungshaushalt 1986 vorgesehene Finanzausstattung zeigt die unveränderte Entschlossenheit der Bundesregierung, auch unter schwierigen Haushaltsbedingungen die Kampfkraft und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr weiter zu verbessern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jungmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, wenn Sie hier in Ihrer eigenen Art — ich würde sagen: pathetischen Art — vorgetragen und uns vorgeworfen haben, wir hätten keine Kontakte zur Truppe, dann möchte ich Sie einmal fragen,
ob Sie das, was Sie in Bergen-Hohne, was Sie beim Wehrbeauftragten gemacht haben, als ich Sie beobachten konnte, als Kontakte zur Truppe bezeichnen?
Dort werden ausgesuchte Wehrpflichtige vorgeführt, die schön die Antworten geben, die Sie erwarten. Wenn Sie Kontakte zur Truppe hätten, dann wüßten Sie über die Sorgen der Wehrpflichtigen und Soldaten Bescheid.
Lassen Sie mich, Herr Minister, noch einen Satz zum Traditionserlaß sagen: Warum ist denn die öffentliche Diskussion entbrannt? Das ist so, weil Ihre erste Aufgabe war, als Sie ins Amt kamen, zu sagen: Der von Hans Apel als Verteidigungsminister stammende Traditionserlaß wird sofort geändert. — Wir warten seit über drei Jahren auf die Änderung dieses Traditionserlasses. Es reicht nicht aus, Herr Kollege Friedmann und Herr Wörner, in Würde oder Würdigkeit das 30jährige Bestehen der Bundeswehr zu feiern. Man kann damit bestenfalls für eine Weile die Probleme überdecken, von denen die Menschen in der Bundeswehr betroffen sind. Es reicht nicht aus, Herr Minister, nur an das WirGefühl in der Truppe zu appellieren, aber die berechtigten Forderungen der Soldaten zur Verbesserung ihrer personalen Lage zu ignorieren.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13333
JungmannWenn Sie hier behaupten, Herr Minister, wir hätten in den 13 Jahren nichts getan, dann sage ich Ihnen: Die Zulage für Spitzendienstzeiten ist 1979 eingeführt worden. Sie hat damals für Wehrpflichtige steuerfrei bei 56 DM im Monat gelegen, für Berufs- und Zeitsoldaten bei 90 DM. Sie beträgt heute keinen Pfennig mehr. Sie haben hier aber behauptet, Sie hätten diese Zulage erhöht.
Ich weiß nicht, wie Ihre Planung aussehen würde, Herr Minister, wenn die Soldaten all das, was Sie ihnen, als Sie noch in der Opposition waren, versprochen haben, einklagen könnten. Sie würden sicher den Haushalt auf den Kopf stellen. Dieser Haushalt ist tatsächlich eine Nagelprobe darauf, ob Ihre eigenen Ansprüche und Ziele hier verwirklicht werden.Sie haben der Kollegin Traupe und der Kollegin Fuchs vorgeworfen, sie sollten sich erst einmal darüber einig werden, was von uns gefordert wird. Es steht fest, daß Sie heute im Haushalt 1985 — das hat der Kollege Friedmann bestätigt — zuviel Geld gehabt haben, daß Sie eine halbe Milliarde DM nicht ausgegeben haben.
Wir behaupten, daß Sie für das nächste Jahr die Ansätze zu hoch gefahren haben, um sich Polster zu bilden, damit Sie an der Bundeswehrplanung vorbei Beschaffung durchführen können.Aber dann behaupten wir, daß Sie für die 90er Jahre — das ist der Punkt; das, was die Kollegin Traupe über zuviel Geld gesagt hat, gilt für heute — eine Beschaffungsplanung aufgelegt haben, die rund 250 Milliarden DM nach heutigem Preisstand umfaßt.Aber Sie haben offenbar den Blick für die Rahmenbedingungen Ihrer Politik und das Gespür für die Probleme der Menschen in der Bundeswehr verloren. Ihre Bundeswehrplanung würde Ende der 90er Jahre mit der finanziellen Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung enden.Die große Herausforderung unserer Zeit sind die Arbeitslosigkeit, der Umweltschutz und der Hunger in der Welt. Eine Voraussetzung dafür, daß diese Überlebensprobleme gelöst werden können, ist die Überwindung des scheinbar unaufhaltsamen Anstiegs der Rüstungsausgaben. Die Milliarden, die Sie heute verplanen, werden in den 90er Jahren für Soziales und Umweltschutz fehlen. Das, was die Bundeswehr nach außen verteidigen soll, steht dann vor einer inneren Zerreißprobe.
Wer dies ignoriert und nicht schon heute beginnt, diese drängenden Fragen anzupacken, der hat seine Politik verfehlt. Wer gegen Massenarbeitslosigkeit nichts tut und nichts für Abrüstung tut, der hat den Anspruch darauf, zu regieren, verloren.Das, was diese Regierung geistig-moralische Erneuerung oder gar geistig-moralische Führung nennt, ist doch nichts anderes als ein Aneinanderreihen von Pannen. Das ist der mißglückte Versuch, mit den Rezepten der 50er Jahre die Probleme von heute zu lösen.Wer an der magischen Zahl der Präsenzstärke der Bundeswehr von 495 000 Mann festhält und damit zeigt, wie wenig ernst er es mit der Rüstungskontrolle und der Abrüstung im MBFR-Bereich meint, wer die Wehrpflicht auf 18 Monate verlängern will und dafür sogar ernsthaft eine Verkürzung der Schulzeit fordert, wer aber heute nichts für ganze Generationen von Wehrpflichtigen tut, die aus der Arbeitslosigkeit zum Grundwehrdienst eingezogen und aus der Bundeswehr in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, weil die Unternehmer das Arbeitsplatzschutzgesetz unterlaufen, wer also Tausende von jungen Menschen in ihrer beruflichen Perspektivlosigkeit alleinläßt, die ihre Dienstzeit in der Bundeswehr und ihren Dienst am Staat abgeleistet haben, der darf sich nicht über Extremismus und zunehmende Ablehnung des Staates wundern.
Es reicht nicht, meine Damen und Herren,
wenn der Bundeskanzler in Bergen-Hohne ausgesuchte Wehrpflichtige fragt,
woher sie denn kommen und ob sie einen Job haben, wenn sie aus der Bundeswehr entlassen werden. Man braucht doch nur ein bißchen mehr in die Truppe hineinzuhören — und ich war vorige Woche bei drei Einheiten der Bundeswehr —, dann weiß man über die Motivation der Soldaten Bescheid.
Man kann sich über die Situation in der Bundeswehr nicht dadurch hinwegtäuschen, daß man vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr angefertigte Studien, die meine Aussagen belegen, in den Panzerschrank verbannt, Herr Wörner.
Das ist Selbsttäuschung und wird dem Anspruch Ihrer Politik überhaupt nicht gerecht. Wer nichts für die Absicherung der arbeitslosen Zeitsoldaten tut, wer die Arbeitslosenversicherung für Zeitsoldaten auf dem Altar seiner eigenen Selbstgefälligkeit opfert, wer glaubt, nur zackig genug auftreten zu müssen, und meint, die Sorgen der Soldaten durch die Verdreifachung der öffentlichen Gelöbnisse überdecken zu können, der wird dem Anspruch an die Fürsorgepflicht, die dem Dienstherrn obliegt, nicht gerecht
und zeigt, was von dem Anspruch, den er selbst gesetzt hat: „Der Mensch steht im Mittelpunkt der Politik", wirklich zu halten ist.Die Dienstzeitbelastung habe ich schon angesprochen. Deswegen brauche ich darauf nicht mehr einzugehen.Die Fakten im Bereich der Rüstungsbeschaffung, die von Ihnen zum Teil verschleiert werden, müs-
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13334 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Jungmannsen hier auch einmal deutlich angesprochen werden. Wenn Abgeordnete im Deutschen Bundestag Fragen zur Auslastung der Rüstungsindustrie stellen, antwortet das Verteidigungsministerium lapidar: Dazu gibt es keine Statistiken. Gleichzeitig werden aber auf der Hardthöhe Planungen der Bundeswehr vorgenommen, wie die Auslastungslücke nach dem Zulauf der Waffensysteme, die Georg Leber bestellt hat, bis zur Beschaffung der neuen Waffensysteme geschlossen werden kann. Neben dieser Planung werden jetzt noch Beschaffungsmaßnahmen in Höhe von rund 7 Milliarden DM in die Beratung mit einbezogen. Das sind 40 MRCA, das sind zwei zusätzliche Fregatten, und das ist das ominöse Türkei-Geschäft, das der Kollege Friedmann vorhin schon angesprochen hat. Wenn man sich dann die Fachpresse genau durchliest, dann weiß man, daß die Wunschliste der Rüstungsindustrie noch viel weiter geht. Wir werden jedes einzelne Projekt auf seine sicherheitspolitische Notwendigkeit hin prüfen
und keines durchlassen, das nur Arbeitsbeschaffungsprobleme in der Rüstungsindustrie lösen soll.Meine Damen und Herren, wir haben hier von Herrn Wörner über die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr sehr viel gehört. Wir stimmen zu, daß die Soldaten in vielen Bereichen der Bundeswehr ihre Pflicht tun, und zwar über das normale Maß hinaus. Hier können wir uns natürlich dem Dank anschließen, den der Kollege Friedmann den Familien der Bundeswehrsoldaten, den Zivilbediensteten und allen noch einmal ausgesprochen hat, die dazu beitragen, daß die Bundeswehr ihre Einsatzfähigkeit erhalten kann.Aber, Herr Wörner, wenn Sie glauben, daß Sie das Problem der Dienstzeitbelastung allein mit der Erhöhung der Ansätze im Haushalt lösen können, dann werden Sie mit dieser Politik Schiffbruch erleiden.
Wir fordern Sie auf: Zeigen Sie den politischen Willen, die Dienstzeit in der Bundeswehr auf ein vertretbares Maß zu reduzieren, und verlangen Sie von der Bundeswehr nicht, daß sie immer noch mehr Aufgaben wahrnimmt, die überhaupt nicht zu ihrem Auftrag gehören. Treiben Sie die Bundeswehr nicht in eine Konfrontation zu der Bevölkerung, in eine Konfrontation, die die Bundeswehr nicht verdient hat.Unsere Politik richtet sich nicht gegen die Soldaten der Bundeswehr. Unsere Politik richtet sich gegen diese Bundesregierung und diesen Bundesverteidigungsminister, der sich hier am Pult mit fremden Federn geschmückt hat.Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Wimmer .
— Meine Damen und Herren, darf ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner bitten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was der Kollege Jungmann hier am Schluß gesagt hat, nämlich daß sich die Politik der Sozialdemokraten nicht gegen die Soldaten richte, ist durch die Politik eben dieser Sozialdemokraten schlagend widerlegt worden, die wir in der Regierung haben ablösen müssen, damit die Sicherheit dieses Landes wieder auf eine bessere Basis gestellt werden konnte.
Herr Kollege Jungmann, Sie haben von Problemen doch nur geredet. Sie haben in den letzten Jahren, als Sie verantwortlich waren, kein einziges Problem gelöst.
Wir müssen doch nicht nur diesem Bundesverteidigungsminister, sondern auch diesem Bundeskanzler dafür dankbar sein, daß wir endlich mit der Rederei aufgehört haben. Wir haben gehandelt. Sie haben Probleme nur bequatscht.
Es ist doch nicht so, daß wir nicht wissen, daß es da und dort Probleme gibt. Wir wissen um die Probleme der Dienstzeitbelastung. Wir wissen um die Probleme der Arbeitslosigkeit.
Und wir sind auch entschieden dafür, etwas zu tun.
Sie haben diese Probleme nur vor sich her getragen, aber beklagen sich heute. Wir haben alle Probleme, die an uns herangetragen worden sind, sachgerecht beraten. Wir haben die Lösungen entschieden. Und wir werden das auch in Zukunft und auf Dauer tun — entgegen dem, was Sie diesem Land zumuten wollen.
Es gibt doch kein typischeres Beispiel als die Verlängerung der Wehrdienstdauer auf 18 Monate. Wer hat denn gesagt, daß in Anbetracht der Verteidigungsprobleme dieses Landes die Wehrpflicht verlängert werden muß? .Das war doch Ihr Parteifreund Hans Apel. Und wer sagt heute, daß er sich all den Konsequenzen verweigert? Das sind doch Sie und Ihre Fraktion. Jeder in diesem Land kann damit darüber entscheiden, wie zuverlässig die Sozialdemokraten sind. Da ist eben nichts mehr vorhanden,
was die Sicherheit dieses Landes in die Hände der Sozialdemokraten auch nur im Ansatz legen lassen könnte.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13335
Wimmer
Sie sollten zumindest über drei Jahre ihr Gedächtnis behalten.
Sie haben doch die Soldaten der Bundeswehr der Diffamierung anheimgegeben. Wir haben dazu beigetragen — das hat sich gerade bei der 30-JahrFeier der Bundeswehr gezeigt —, daß es wieder ein Ehrendienst für dieses Land ist, Soldat in den Streitkräften zu sein, und daß wir eine Armee der Bürger für die Bürger sind.
Es ist geradezu gespenstisch, wenn man den Kollegen Jungmann hier reden hört, als seien 495 000 Mann eine Chimäre, die wir vor uns her tragen. Damit hängen existentiell für dieses Land die Frage der Vorneverteidigung und auch die Frage des deutschen Verteidigungsbeitrags zusammen.Wer dieses Land auf Dauer sichern will, wer dazu beitragen will, daß wir Herr unserer Entscheidungen bleiben, der darf in diesem Land eines nicht tun: jemals Sozialdemokraten wählen.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 14.Zuerst stimmen wir über die Änderungsanträge des Abgeordneten Kleinert und der Fraktion DIE GRÜNEN ab.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4376 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4316 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Auch dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4315 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4377 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit ist der Änderungsantrag abgelehnt.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4378 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Mit derselben Mehrheit abgelehnt.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4379 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist mit derselben Mehrheit abgelehnt worden.Wir stimmen nunmehr über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4338 und 10/4339 ab.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4338 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt worden.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4339 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt worden.Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 14 ab. Die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Wer dem Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmt oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die vorne aufgestellten Urnen zu legen.Bevor ich die Abstimmung eröffne, darf ich darauf aufmerksam machen, daß im Anschluß an diese namentliche Abstimmung weitere Abstimmungen stattfinden werden. Ich bitte daher, im Saal zu bleiben und nach Abgabe der Stimmkarte die Plätze wieder einzunehmen.Die namentliche Abstimmung ist eröffnet.Gibt es noch Abgeordnete, die an der Abstimmung teilzunehmen wünschen? — Dann bitte ich, das sofort zu tun. — Ich stelle fest, daß keiner der Abgeordneten mehr wünscht, an der Abstimmung teilzunehmen. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.*)Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 35, Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/4346 und 10/4382 Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie des Abgeordneten Kleinert und der Fraktion DIE GRÜNEN vor.Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4346 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wer dem Änderungsantrag des Abgeordneten Kleinert und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4382 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 35 ab. Wer dem Einzelplan 35 — Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —*) Ergebnis der Abstimmung, Seite 13341
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13336 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Vizepräsident WestphalWer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Einzelplan ist mit Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen.
— Ich bitte um Entschuldigung. Ich möchte gern, wenn Sie einverstanden sind, die Abstimmung wiederholen, weil mir das hier eben nicht klar gewesen ist. Zu dem Einzelplan 35 bitte ich diejenigen, die für diesen Einzelplan stimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist mit Mehrheit gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden.Ich rufe auf: Einzelplan 23Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit— Drucksachen 10/4168, 10/4180 —Berichterstatter: Abgeordnete Esters BorchertFrau Seiler-Albring SuhrHierzu liegen Änderungsanträge der Abgeordneten Suhr, Volmer und die Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4317 und 10/4318 vor. Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich setze voraus, daß wir in diesem Hause nicht erneut über die Ziele der Entwicklungspolitik streiten müssen. Der Deutsche Bundestag hat sich wiederholt zu seiner Mitverantwortung gegenüber den Ländern der Dritten Welt bekannt, und zu dieser Verantwortung stehen wir.Seit Amtsantritt des Ministers Warnke stagniert der reale Wert des Einzelplans 23.
Seine Steigerungsraten für die kommenden Jahre sind niedriger als der erwartete Anstieg des Bruttosozialprodukts.
Der Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt soll nach der Finanzplanung der Bundesregierung von 0,45% in 1984 auf 0,39 % in 1989 absinken.
Die Bundesregierung setzt damit ihre internationale Glaubwürdigkeit aufs Spiel.
Wer statt Millionen-Projekten zukünftig Millionenvon Projekten verwirklichen will, der muß sich dar-über im klaren sein, daß diese Aufgaben nicht ein Weniger an Leistungen, nicht ein Weniger an Fachkräften, nicht ein Weniger an staatlicher Planung, sondern, im Gegenteil, einen massiven Zuwachs an Personal, Kapital und Organisation, vor allem aber ein erhebliches Mehr an Solidarität auf unserer Seite erfordern.
Wenn Sie den Entwicklungsländern im Rahmen des Politikdialogs nicht nur raten wollen, sich wie Münchhausen am eigenen Zopf aus dem Sumpf zu ziehen, dann müssen Sie auch die Konsequenzen Ihrer Politik nennen und sagen, wie sie aus dem Bundeshaushalt finanziert werden sollen.Es ist kein Geheimnis, daß der zuständige Bundesminister seine entwicklungspolitischen Einsichten gegenüber dem Finanzminister nicht durchsetzen kann. Am Ende der langen Schonzeit für Minister Warnke haben wir Anlaß, seine Leistungen und Bereitschaft, sich für das als richtig Erkannte auch persönlich einzusetzen, mit Sorge zu betrachten. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit kann sich nicht auf das bequeme Verwalten einer zugeteilten Quote verlegen, wo die politische Gestaltung seines Haushalts gefordert ist.Wenn es richtig ist, daß bereits heute fast die Hälfte unserer Kapitalhilfe nicht mehr aus deutschen Steuergeldern, sondern aus den Rückzahlungen der Entwicklungsländer für früher gewährte Kredite finanziert wird, wenn es ferner richtig ist, daß einige Entwicklungsländer — ich nenne nur die Türkei und Indonesien — heute mehr an uns zurückzahlen müssen, als wir ihnen jährlich an Entwicklungshilfe geben, dann müssen wir gegen diesen unerträglichen Zustand schleunigst etwas tun,
damit der Glaube an unsere internationale Solidarität nicht gründlich zerstört wird. Es kann nicht angehen, daß wir in steigendem Maße einem Kapitaltransfer aus Schwellen- und Entwicklungsländern tatenlos zusehen. Es kann nicht sein, daß z. B. die Türkei in 1986 eine Zusage von 130 Millionen DM erhält, gleichzeitig aber in 1986 an den Bundeshaushalt 129,4 Millionen DM an Tilgungsleistungen und 73,5 Millionen DM an Zinsen abführt,
oder daß Indonesien bei einer Zusage von 100 Millionen DM 60 Millionen DM für Tilgung und 44,6 Millionen DM für Zinsen aufbringen muß und damit ebenfalls zum Nettozahler wird.Der Bundeshaushalt — dies geht in die Richtung des Finanzministers — ist keine Sparkasse, die sich auf Kosten der Entwicklungsländer schadlos halten kann;
denn in 1985 bilden Rückzahlungen der Entwicklungsländer mit rund 1,2 Milliarden DM — mit einer 20%igen Sicherheitsmarge — nach den Bundesbankgewinnen in Höhe von 12,5 Milliarden DM und den Abführungen der Bundespost in Höhe von
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Esters4,7 Milliarden DM den drittgrößten Einnahmeposten des Bundeshaushalts nach den Steuereinnahmen.
Dies ist, weiß Gott, keine gelungene Haushaltssanierung, wenn sie auf Kosten von Ländern vorgenommen wird, die unter ihrer Schuldenlast zusammenzubrechen drohen.
Aus den Erfahrungen der Weimarer Republik wissen wir, wohin eine hartherzige Gläubigerhaltung führen kann.
Wer Entwicklung, Demokratie und Frieden in der Dritten Welt fördern will, der darf nicht zulassen, daß Rückzahlungen — auch für fehlgeschlagene Projekte aus der Anfangszeit unserer Entwicklungsentwicklung — die nationalen Haushalte der Entwicklungsländer belasten, knappe Devisen abgezogen werden und zur Unzeit die notwendigen Handlungsspielräume für wirtschaftliche Reformen eingeengt werden.
Die Bundesrepublik Deutschland, die ihren eigenen Wiederaufbau ganz wesentlich der Einsicht ihrer früheren Gläubiger verdankt, kann es sich nicht leisten, auf die Ergebnisse internationaler Schuldenkonferenzen zu warten. Notwendig ist die nationale Tat, die anderen ein befreiendes Beispiel gibt.
Gefordert sind alle Demokraten, die auch anderen Ländern den Weg zur freiheitlichen Demokratie ebnen wollen. Der Herr Bundeskanzler hat mit dem ihm eigenen Instinkt erkannt, was die Stunde geschlagen hat. Wir hoffen, daß seine Gespräche vom Juli mit Ministerpräsident Özal zu konkreten Ergebnissen führen werden. Der türkische Vorschlag, einen revolvierenden Industrialisierungsfonds zu schaffen, aus dem Investitionen deutsch-türkischer Unternehmen gefördert werden können, weist einen vernünftigen Weg, das Rückzahlungsproblem in beiderseitigem Interesse zu lösen. Wir erwarten, daß dieser Vorschlag nicht durch die Uneinsichtigkeit des Finanzministers blockiert wird.
Durch die intensive Beratung dieses Problemkreises im Haushaltsausschuß soll erreicht werden, daß die entwicklungspolitische Zweckbindung alter Darlehen in vollem Umfang erhalten bleibt. Als geeignete Maßnahmen kommen sowohl die Bildung eines deutschen Entwicklungsfonds bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau als auch die Schaffung nationaler revolvierender Entwicklungsfonds in geeigneten Entwicklungsländern in Betracht, die aus Rückflüssen der bilateralen finanziellen Zusammenarbeit gespeist werden und an deren Finanzierung sich die Länder selbst in angemessenem Umfang beteiligen.Wir erwarten, daß durch diese Maßnahmen zusätzliche Wachstumsimpulse sowohl bei uns als auch in den Entwicklungsländern ausgelöst werden. Diese Impulse sind dringend nötig, und zwar aus einem zusätzlichen Grund. Ein Blick auf die Statistik der deutschen Privatinvestitionen zeigt ein niederschmetterndes Bild. Während der Anteil dieser Investitionen bis 1980 bei rund 26 % aller deutschen Auslandsinvestitionen gelegen hat, ist er 1984 auf 15 % gesunken.Aber auch auf personellem Gebiet wird es immer schwieriger. Es fehlen genügend Fachkräfte. Daher sind wir auch auf die Zusammenarbeit mit den Bundesländern und den Kommunen angewiesen. Wir kennen inzwischen Beispiele guter kommunaler Partnerschaften und erwarten, daß deutsche kommunale Betriebe in die Vorbereitung und Betreuung von Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen verstärkt einbezogen werden, die aus deutscher finanzieller Zusammenarbeit finanziert werden. Wir versprechen uns von solchen Partnerschaften eine erhebliche Verbesserung der Qualität unserer Entwicklungspolitik.So brüchig auch manche Gemeinsamkeiten in diesem Bereich geworden sind, so haben wir doch bei den Beratungen im Haushaltsausschuß großen Wert darauf gelegt, daß ein breiter Grundkonsens in der Entwicklungspolitik erhalten geblieben ist. Den besonderen Dank an meine Kollegen Mitberichterstatter aller Fraktionen für ihre intensive und verständnisvolle Zusammenarbeit möchte ich in folgende Worte kleiden: Was wir tun können, ist wenig genug; unsere Pflicht ist — das geht an den Finanzminister —,
die zu überwinden, denen selbst das zuviel ist. Wer sich ansieht, in wie starkem Maße nach der Finanzplanung der Bereich der Entwicklungspolitik von der Bundesregierung benachteiligt wird, der wird verstehen, daß wir aus diesem Grunde dem Einzelplan 23 nicht zustimmen können.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Borchert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich zu einigen Punkten des Einzelplans 23 Stellung nehme, darf ich mit Freude feststellen, Herr Kollege Esters, daß auch in diesem Jahr die Zuwachsrate des Einzelplans 23 mit 2,6 %
erheblich über der durchschnittlichen Zuwachsrate des Bundeshaushalts von 2,2 % liegt. Wenn Sie beklagen, daß die Zuwachsrate nicht deutlicher ausgefallen ist, dann muß ich sagen: Auch dieser Einzel-
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13338 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Borchertplan trägt natürlich an der Hypothek, die Sie uns überlassen haben.
Herr Kollege Walther, auf Grund der Finanzpolitik der zurückliegenden Jahre zahlen wir im nächsten Haushalt 30 Milliarden DM Zinsen. Das ist so viel, wie die Einzelpläne 06, 10, 23, 25 und 30 zusammen ausmachen. Wenn wir diese Belastung nicht hätten, wäre es natürlich sehr viel einfacher, auch im Einzelplan 23 deutlichere Zuwachsraten zu ermöglichen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Walther?
Herr Kollege Walther, bei der knappen Zeit bitte ich um Verständnis dafür, daß ich gern fortfahren möchte.
Sie wissen, daß das nicht auf die Zeit angerechnet zu werden braucht.
Dann selbstverständlich gerne, Herr Kollege.
Herr Kollege Borchert, da Sie liebenswürdigerweise auf die Gesamtsumme der aus dem Bundeshaushalt zu zahlenden Zinsen hingewiesen haben, frage ich Sie, ob Sie in der Lage sind, dem staunenden Haus mitzuteilen, wie viele dieser Zinsen auf die Schulden entfallen, die Herr Stoltenberg gemacht hat?
Herr Kollege, auch Sie wissen natürlich, bei welcher Nettokreditaufnahme wir 1982 die Regierungsverantwortung übernommen haben und in welchem Umfang wir die Neuverschuldung zurückgeführt haben. Es ist selbstverständlich, daß auch in diesen Jahren auf Grund der Kreditaufnahme Zinsen anfallen; nur tragen wir auch mit der langsamen Rückführung der Neuverschuldung die Hypothek ab, die Sie uns überlassen haben.
Herr Kollege, es geht jetzt um eine konsequente Fortsetzung der Politik der Haushaltskonsolidierung!Mit dem überdurchschnittlichen Anstieg der Ausgaben für die Entwicklungspolitik in diesem Haushalt dokumentiert die Bundesregierung den hohen Stellenwert, den sie der Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zukommen läßt, und sie verdeutlicht damit die Priorität der Aufgaben der Entwicklungshilfe und der Entwicklungspolitik.Etwa 40 % der Mittel in diesem Bereich entfallen auf die bilaterale finanzielle Zusammenarbeit. Die finanzielle Zusammenarbeit ist dem Volumen nach das bedeutendste Instrument der entwicklungspolitischen Arbeit und wird — darauf hat der Kollege Esters hingewiesen — überwiegend in Form rückzahlbarer Darlehen gewährt. Für die Entwicklungspolitik der Bundesregierung bedeuten die weiter zunehmenden Rückzahlungen aus den Entwicklungsländern, daß die Nettoleistung der öffentlichen Entwicklungshilfe nur dann zu steigern oder auch nur auf ihrer jetzigen Höhe zu halten ist, wenn die Steigerungsrate der Mittel für Entwicklungspolitik weit über dem Durchschnitt des Bundeshaushalts liegt. Ich stimme dem Kollegen Esters darin zu, daß wir daher rechtzeitig darüber nachdenken müssen, wie wir die Mittel aus Rückzahlungen von Krediten der finanziellen Zusammenarbeit entwicklungspolitisch wieder nutzbar machen, um eben zu verhindern, daß die Nettoleistung der Entwicklungshilfe in den nächsten Jahren absinkt. Ob die Einrichtung eines Sonderfonds bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau die richtige Lösung ist oder ob es bessere Alternativen gibt, bedarf sicher noch einer sorgfältigen Diskussion.Problematisch aber erscheint mir der Vorschlag, länderspezifische bilaterale Sonderfonds zu schaffen, bei denen die Rückflüsse den zahlenden Ländern ja wieder zufließen. Dieses Vorgehen würde den Entscheidungsspielraum unserer Entwicklungspolitik bei der Mittelverwendung erheblich einschränken und kann auch dazu führen, daß sich die Ungleichgewichte unter den Entwicklungsländern weiter verstärken, weil möglicherweise weniger Mittel zur Hilfe für die Ärmsten der Armen zur Verfügung stehen und ein immer größerer Teil der Mittel für Schwellenländer oder besser entwickelte Länder zur Verfügung steht.
Die schwierige Problematik der Rückflüsse läßt sich in der begrenzten Zeit, die im Rahmen der Haushaltsbedatte zur Verfügung steht, sicher nicht in der notwendigen Differenzierung diskutieren. Ich bin daher der Ansicht, daß dieses Problem unabhängig von den Haushaltsberatungen in einer Grundsatzdebatte diskutiert werden muß, um die entwicklungspolitischen, aber auch die haushaltsrechtlichen Fragen der unterschiedlichen Lösungsvorschläge sorgfältig abwägen zu können.Mit dem Haushalt 1986 setzt die Bundesregierung in der Entwicklungspolitik, setzt der Bundesminister in der Entwicklungspolitik die inhaltliche Schwerpunktbildung fort. Dieser Etat wird nicht bequem verwaltet, sondern hier werden neue Schwerpunkte gesetzt.
In der technischen und in der finanziellen Zusammenarbeit steigt der Anteil der Mittel für die integrierte ländliche Entwicklung und für Maßnahmen zur Deckung der Grundbedürfnisse.
— Von 50 % zu Ihrer Zeit auf über 70 % im Haushalt 1986, also nicht in der Theorie.Die Konzentration der Mittel ermöglicht eine verstärkte Förderung integrierter Programme zur ländlichen Entwicklung, durch Maßnahmen zur Er-
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Borchertnährungssicherung aus eigener Kraft, durch eine Unterstützung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und den Aufbau handwerklicher und kleingewerblicher Produktionsbetriebe sowie durch Maßnahmen im Gesundheits- und Bildungswesen.Die Erfahrung mit bevölkerungsorientierten Projekten der integrierten ländlichen Entwicklung zeigt, daß es sich dabei um ausgesprochene Langzeitprojekte mit einer langen Anlaufphase handelt. Eine vorschnelle Projektübergabe hat in der Vergangenheit zum Entstehen vieler Ruinen beigetragen. Es ist eine Illusion, zu glauben, mit der schnellen Projektübergabe an den Partner, meistens an den Staat, sei ein weiteres störungsfreies Funktionieren gewährleistet. Daher ist genauso wichtig wie die Diskussion über die Höhe der Mittel der Entwicklungspolitik und über die internationalen Vergleichszahlen die Diskussion über den Erfolg unserer Projekte. Wie viele Arbeitsplätze wurden neu geschaffen?
Wie hat sich das Einkommen der Kleinbauern erhöht?
Wie wurden die Arbeitsbedingungen der Frauen erleichtert? Ich bitte Sie, auch die GRÜNEN, bei ihrem nächsten Prozentvergleich dies mit zu beachten.Ich meine, es kommt darauf an, wirksame Partnerstrukturen, und zwar dezentralisiert, aufzubauen, Selbsthilfeaktivitäten und Eigeninitiativen zu unterstützen. Das geht nicht allein durch hohe Geldzuweisungen, sondern durch einen personalintensiven und partnerschaftlichen Ansatz. Hier wird mehr Personal für mehr Kleinprojekte nötig sein.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Durchführungsorganisationen der Entwicklungspolitik in der Lage sind, den Anforderungen, die daraus entstehen, gerecht zu werden. Wir haben daher im Haushaltsausschuß für zwei wichtige Durchführungsorganisationen, die DEG und die GTZ, eine Organisationsuntersuchung durch einen unabhängigen Unternehmensberater beschlossen und einen Teil der Haushaltsmittel bis zur Vergabe des Prüfungsauftrages qualifiziert gesperrt. Der Beschluß richtet sich nicht gegen die bisherige Arbeit der Institutionen, gegen die Geschäftsführung oder die Mitarbeiter der beiden Gesellschaften. Angesichts des weltweiten Wandels der Entwicklungspolitik in den letzten zehn Jahren sollte eine derartige Analyse vielmehr für alle Beteiligten ein selbstverständliches Mittel zur Überprüfung und Steigerung der Effizienz der entwicklungspolitischen Arbeit sein.
In den Industrie- und in den Entwicklungsländern ist ein Prozeß des Umdenkens nötig, um die Wirksamkeit der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zu erhöhen. Wollen wir Fortschritte auf dem Weg einer wirksamen Zusammenarbeit erzielen, dann müssen wir die Strukturen und Instrumente unserer Entwicklungshilfe überprüfen, um flexibel auf neue Anforderungen reagieren zu können. Ich hoffe, daß wir auch bei den Beratungen der nächsten Jahre den breiten Grundkonsens, den wir in diesen Fragen im Haushaltsausschuß hatten, erhalten können. Um den Entwicklungsländern bei ihren notwendigen Reformen helfen zu können, brauchen wir diesen Grundkonsens. Wir brauchen dabei Realitätssinn und Pragmatismus statt Ideologie und Weltverbesserungsträumerei.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich kurz sechs Punkte anführen, weshalb man den Einzelplan 23 ablehnen muß.Erstens: das Frauenproblem. In der entwicklungspolitischen Debatte hat sich mittlerweile herumgesprochen, daß die Frauen in besonderem Ausmaße von der Verelendung der Dritten Welt betroffen sind. Das bezieht sich genauso auf die Problematik des Hungers wie auf die Problematik der Verschuldung.
Deshalb hat der AWZ auf unseren Antrag hin angeregt, daß beim BMZ ein Frauenreferat eingerichtet wird.
Leider hat der Haushaltsausschuß diesen einmütigen Beschluß wieder revidiert. Das Referat wird nicht eingeführt. Wir legen diesen Antrag heute wieder vor, und wir hoffen, daß sich das Plenum auf die Seite des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit schlägt und den Haushältern in diesem Punkte eine Abfuhr erteilt.
Die Haushälter sind nicht so sensibel für entwicklungspolitische Fragen, wie uns das Herr Esters vorhin zu erklären versucht hat.Zweiter Punkt: Entschuldungsprogramme. Wir haben auch bei den Haushaltsberatungen den Vorschlag gemacht, den Ländern südlich der Sahara und den ärmsten Ländern die Schulden zu erlassen.
Dieser Antrag wurde im Ausschuß abgelehnt.Jetzt legt die SPD in dritter Lesung einen Entschließungsantrag vor, den ich für absolut unseriös halte.
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VolmerDie in dem Antrag gegebene Begründung ist absolut sinnlos, denn dort werden die weitere Integration in den Weltmarkt und weiteres Wachstum als Ausweg aus der Misere gefordert. Es wird also genau das als Ausweg vorgeschlagen, was unseres Erachtens Ursache der Problematik ist. Von daher kann dies überhaupt keine Lösung bedeuten.Auch die Formulierung des Antrages ist ziemlich billig, denn Sie fordern dort genau das, was ohnehin schon geschieht, nämlich, daß das BMZ den Fondsgedanken, den wir in die Debatte gebracht haben, überprüft. Das geschieht bereits im BMZ. Wir haben vor einiger Zeit einen Antrag eingebracht, in dem die Entschuldung gefordert wird; darüber hinaus sollen die zurückgezahlten Gelder in nationale revolvierende Entwicklungsfonds eingezahlt werden. Das haben Sie wörtlich von uns abgeschrieben. Über diesen Antrag wird hoffentlich noch in diesem Jahr hier im Plenum Beschluß gefaßt. Dann können Sie hier eindeutig Farbe bekennen, statt hier irgendwelche halbgaren Prüfungsaufträge loszuwerden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Esters?
Bitte.
Herr Kollege, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß diese Fonds-Gedanken bereits seit 1981 im Haushaltsausschuß diskutiert werden? Meines Wissens gab es zu dieser Zeit noch keinen GRÜNEN, weder im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit noch im Haushaltsausschuß.
Herr Esters, wir haben diesen Gedanken in die offizielle entwicklungspolitische Debatte im Ausschuß eingeführt.
Wir haben festgestellt, daß Ihre Fraktion Bauklötze gestaunt hat. Wir haben weiterhin festgestellt, daß Sie sich verzweifelt bemühen, einer Diskussion hinterherzuhasten, die Ihnen schon längst entglitten ist.
Dies ist der Grund, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen werden. Wir werden um so vehementer unseren ausgereiften Antrag vertreten, über den hier demnächst debattiert wird.
Dritter Punkt: Ernährungssicherungsprogramm. Im Haushalt des BMZ ist ein Titel enthalten, der die Ernährungssicherung in den ärmsten und von der Hungerkrise am meisten betroffenen Ländern sicherstellen soll. Hauptkritikpunkt war bisher zu Recht, daß damit im wesentlichen EG-Überschüsse aufgekauft werden, die dann nach Afrika transferiert werden, wo sie die einheimischen Produktionsstrukturen kaputtmachen. Bisher hat man immer argumentiert, in Afrika würden nicht genug Nahrungsmittel produziert. In diesem Jahr steht Afrika vor einer Rekordernte. Wir fordern hier, daß die
Mittel für die Ernährungssicherung dazu genutzt werden, die selbstproduzierten Bestände auf dem afrikanischen Markt aufzukaufen und, Herr Pinger, durch eine Förderung der dortigen Vermarktung der Bevölkerung zuzuführen. Entwicklungshilfemittel dürfen nicht genutzt werden, um EG-Überschüsse abzubauen.
Vierter Punkt: die multilaterale Ebene. In den Erläuterungen zu den Titeln über den Afrikanischen Entwicklungsfonds, die Afrikanische Entwicklungsbank und die International Development Association, die IDA, stehen Formulierungen, die es der Bundesregierung erlauben, sich von ihrem Engagement zurückzuziehen, wenn die USA ebenfalls Rückzieher machen. Das war zumindest unsere Vermutung, die von der Regierung bestritten wurde.
Nun sehen wir aber, daß der Haushaltsausschuß die Mittel für die IDA gekürzt hat. Das ist meiner Meinung nach ein Beleg dafür, daß hier eine Bilateralisierung der Entwicklungspolitik stattfindet, genauso wie sie von den Amerikanern in die Debatte gebracht worden ist. Mit den Mitteln werden die Titel für die finanzielle Zusammenarbeit aufgestockt, die politisch viel stärker gesteuert werden können als die Mittel auf multilateraler Ebene, insbesondere der IDA, die, wie Sie alle wissen, die zinsgünstigsten Kredite vor allen Dingen für die ärmsten der armen Länder gibt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Borchert?
Herr Kollege, darf ich Sie fragen, ob Ihr Kollege, der an den Berichterstattergesprächen und Beratungen im Haushaltsausschuß teilgenommen hat, Sie darüber informiert hat, daß die Kürzung der Mittel für die IDA auf Grund von Währungsveränderungen vorgenommen worden ist?
So wurde schon wenige Wochen vorher im Ausschuß argumentiert. Da wurden diese Kürzungen nicht auf den Tisch gelegt. Mir bleibt bis zum Beweise des Gegenteils nichts anderes übrig, als genau diese politische Schlußfolgerung zu ziehen, die ich angesprochen habe.
Die Verstärkung der bilateralen Hilfe führt dazu, daß mehr Gelder für eine Politik der Bundesregierung zur Verfügung gestellt werden, die in den letzten Jahren von nationaler und internationaler Seite ganz massiv — und zwar zu Recht — kritisiert wurde. Sie werden bereitgestellt, um weiterhin über die Mechanismen der Reprogrammierung und der Mischfinanzierung eine Projektpolitik zu betreiben, die weit jenseits des Rahmenplanes liegt, den das Parlament ja beschlossen hat. Die AWZ-Beratungen über diese beiden Titel waren Makulatur, waren Farce. Deshalb haben wir uns an den Detailbera-
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Volmertungen gar nicht beteiligt. Man kann davon ausgehen, daß die Bundesregierung ohnehin daran vorbeimanövriert, wie wir in mehreren Dokumentationen mittlerweile nachgewiesen haben.Wir haben dies allerdings an einem Punkt getan, bei dem es um die Länderquoten für zentralamerikanische Länder geht. Dort finden wir die Neuerung, daß Entwicklungshilfemittel für El Salvador und Guatemala in Aussicht gestellt werden, die nach Ihrer Lesart auf dem Weg zur Demokratie sind.
— Nun, Herr Pinger, Sie waren da; wir waren da. Wir haben entdeckt und gesehen, daß die Prozesse dort mit Demokratisierung sehr wenig zu tun haben, daß vielmehr der Terror erheblich subtiler geworden ist. Ein Beispiel nur dazu: Wer versucht, in einem Slum in El Salvador in Eigenhilfe Abflußrinnen zu graben, damit das Abwasser der Slums durch die Rinnen statt über die Straße fließt, muß damit rechnen, umgebracht zu werden. Wir haben Leute gesprochen, die eingebuchtet, die gefoltert worden sind und deren Angehörige aus solchen Gründen ermordet worden sind. Es ist ein Hohn, daß gerade eine Partei, die den Gedanken der Selbsthilfe und den Gedanken der Subsidiarität für sich reklamiert, ein Land für demokratisch erklären will, wo jeder Selbsthilfegedanke mit dem Tode bestraft wird, und ein solches Land auch noch mit Entwicklungshilfe belohnt.
Unseres Erachtens sind die Länder El Salvador und Guatemala nicht reif für Entwicklungshilfe, weil es keine Rahmenplanung gibt, die gewährleisten kann, daß die Hilfe tatsächlich den armen Bevölkerungsschichten zugute kommt. Die Menschenrechtssituation ist nach wie vor desolat.Statt dessen fordern wir, daß diese Gelder dem Nachbarland Nicaragua überschrieben werden, das trotz einiger Fehler nach wie vor die Gewähr bietet, daß die Wirtschaftsentwicklung tatsächlich der Bevölkerungsmehrheit zugute kommt. Nicaragua ist ein fördernswertes Modell für die gesamte Dritte Welt, während die Umliegerstaaten nach wie vor alles vermissen lassen, was auf eine grundlegende Humanisierung deutet.
Aus all diesen Erwägungen kann ich nur den Schluß ziehen, daß der Einzelplan 23 die alte Politik ungebrochen fortsetzt, auch wenn Sie auf Ihrer Entwicklungsausschußsitzung am letzten Wochenende, Herr Pinger, einige Formulierungen gefunden und auch parteiintern beschlossen haben, die anderes anzudeuten scheinen. Die Praxis der Entwicklungspolitik der Bundesregierung läuft allem Gerede von Grundbedürfnisorientierung und Kleinprojekten nach wie vor entgegen. Subventionierung der Exportindustrie ist nach wie vor der sogenannte entwicklungspolitische Schlager dieser Bundesregierung. Darauf ist der gesamte Einzelplan 23 aufgebaut. Dort, wo über Länderquoten gesteuert wird, werden nicht die fortschrittlichen Regierungen, nicht die hoffnungsvollen Länder dieser Erde gefördert, sondern Regime, die aus einer brutalen Finsternis kommen und noch keine entscheidenden Schritte unternommen haben, um endlich das Licht von Humanität und Demokratie zu erblicken. Deshalb kann man diesem Haushaltsvorschlag überhaupt nicht zustimmen. Man müßte ihn den Verantwortlichen eher um die Ohren hauen.
Bevor ich das Wort weiter gebe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Einzelplan 14 — auf Drucksachen 10/4164 und 10/4180 bekanntgeben. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 380 ihre Stimme abgegeben. Es gab keine ungültigen Stimmen. Mit ja haben gestimmt 223, mit nein 157. Enthaltungen hat es keine gegeben. Von den 17 Berliner Abgeordneten, die ihre Stimme abgegeben haben, war keine ungültig. Mit ja haben 10 gestimmt, mit nein 7. Enthaltungen hat es nicht gegeben.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 380 und 17 Berliner Abgeordnete; davonja: 223 und 10 Berliner Abgeordnetenein: 157 und 7 Berliner AbgeordneteJaCDU/CSUDr. AbeleinAustermannBayhaDr. Becker BergerBiehleDr. BlankDr. BlümDr. BötschBohlBohlsen BorchertBraun BrollBrunnerBühler
Dr. BuglCarstens Carstensen (Nordstrand) ClemensDr. CzajaDr. DanielsDawekeFrau DempwolfDeres DörflingerDossDr. DreggerEchternachEigen EngelsbergerErhard
EylmannFellnerFrau FischerFischer Dr. FriedmannFunkGanz Frau GeigerDr. von GeldernGerlach GersteinGerster
GlosDr. GöhnerDr. GötzGötzerGünthervon Hammerstein Hanz
HaungsHauser HedrichFreiherr Heeremanvon Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHerkenrathHinskenHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann
Dr. HornhuesHornungFrau HürlandJagodaDr. Jahn
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13342 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Vizepräsident WestphalDr. JenningerDr. JobstJung
Dr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKlein
Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) KolbKrausKreyKroll-SchlüterDr. KronenbergDr. LammertDr. Langner Lattmann Dr. Laufs LenzerLink
Link Linsmeier LintnerDr. Lippold LöherLohmann LouvenLowackMaaßFrau MännleMaginMarschewskiMetzDr. Meyer zu Bentrup Dr. MiltnerMilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtFrau Pack Pfeffermann PfeiferDr. Pinger PöpplPohlmannDr. PohlmeierDr. Probst RaweReddemann RepnikDr. RiesenhuberRode
Frau Roitzsch
Dr. Rose Rossmanith Roth
RufSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen)Dr. Schäuble Scharrenbroich Schemken ScheuSchlottmann SchmidbauerSchmitz
von SchmudeSchneider
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder
Schulhoff Dr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schwarz
Dr. SchwörerSeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSpranger Dr. SprungDr. Stark Dr. Stercken StockhausenDr. StoltenbergStommelStrubeStücklenStutzerSussetUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeißWerner
Frau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannDr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Dr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteFrau Berger BoroffkaBuschbom DolataDr. Hackel Kittelmann Dr. h. c. LorenzSchulze StraßmeirFDPBeckmannCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardDr. FeldmannGenscher Grünbeck GrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. HirschKleinert
KohnDr. Graf Lambsdorff Möllemann NeuhausenPaintnerRonneburger Dr. Rumpf Schäfer
Frau Dr. SegallFrau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)Berliner Abgeordneter HoppeNeinSPDAmlingAntretter BambergBecker Frau BlunckBrückBuckpesch Büchler
Dr. von Bülow Catenhusen ConradiDr. Corterier CurdtDaubertshäuser DelormeDreßlerDr. Ehmke
Dr. Ehrenberg EickmeyerDr. EmmerlichDr. Enders EstersEwenFiebigFischer Fischer (Osthofen) Frau Fuchs (Verl) GanselGerstl
GilgesGlombigGrunenberg HaarHaase
HaehserHansen Frau Dr. Hartenstein Dr. HauchlerHauckHeistermannHettlingHiller
Dr. Holtz HornHuonkerIbrüggerImmer Jahn (Marburg) JansenJungmann KiehmKirschner Kisslinger Klein
Dr. KlejdzinskiKolbowKretkowski Dr. KüblerKühbacher KuhlweinLambinusFrau Dr. Lepsius LiedtkeLohmann
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausMüller MünteferingNehmNeumann Dr. NöbelFrau Odendahl PauliDr. Penner Peter PfuhlPorznerPurpsRankerReimannReschkeReuschenbach ReuterRohde
RothSanderSchäfer SchanzDr. ScheerSchluckebier Frau Schmedt
Dr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmitt (Wiesbaden)Dr. Schmude Dr. Schöfberger SchreinerSchröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna) SielaffSielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. Sperling Dr. SpöriStahl
Frau SteinhauerStieglerStockleben Dr. StruckFrau Terborg TietjenFrau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe UrbaniakVahlbergVoigt
VosenWaltemathe WaltherWeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphalFrau Weyel Dr. WieczorekWieczorek von der Wiesche Wimmer (Neuötting) WischnewskiDr. de With
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13343
Vizepräsident WestphalWolfram WürtzZanderZeitlerFrau ZuttBerliner AbgeordneteDr. Diederich LöfflerFrau LuukDr. Mitzscherling StobbeDr. VogelDIE GRÜNENFrau Dann Frau HönesKleinert LangeMannDr. Müller RuscheSchily
Schulte SenfftSuhrTatge TischerVogel VolmerBerliner Abgeordneter StröbeleDamit ist der Einzelplan 14 angenommen.Wir fahren in unserer Debatte fort. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Volmer, Ihren „schlagenden" Argumenten möchte ich nichts hinzufügen. Nur Ihr Engagement für ein Frauenreferat irritiert mich etwas, weil im Haushaltsausschuß davon keine Rede war. Es ist auch keine Rede davon, daß wir es angenommen hätten. Aber ebenso wurde auch die Fondslösung von Ihnen nicht problematisiert. Das tat der Herr Kollege Esters.
Herr Kollege Esters, in Ihrem engagierten Vortrag vorhin gab es nach meinem Dafürhalten einen kleinen Schönheitsfehler, nämlich den, daß Sie aus Ihrer Rede nicht die Konsequenz gezogen und dem Einzelplan schließlich auch noch zugestimmt haben. Schade!
Sie sagten eingangs Ihrer Rede, daß es in diesem Hause zwischen den Parteien eigentlich keinen Dissens über die Ziele der Entwicklungspolitik mehr gebe. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen uns damit auseinandersetzen, daß die Ziele unserer Entwicklungspolitik wieder ins Gerede gekommen sind. Unsere Entwicklungspolitik muß sich dem Vorwurf stellen, kontraproduktiv zu sein, daß heißt, die Kluft zwischen den Blöcken zu erweitern, statt sie zu schließen, undemokratische Herrschaftsstrukturen zu zementieren, die Armen elender und die Besitzenden reicher zu machen.Wir müssen uns diesen Fragen stellen, nicht nur weil wir für eine effiziente Verteilung der Steuergelder Sorge tragen müssen, sondern auch und vor allem, um nicht mitschuldig zu werden, sollten diese Vorwürfe zutreffen.
Deshalb sind wir aufgefordert, die Grundsätze unserer Entwicklungspolitik ständig an ihren Ergebnissen zu prüfen und die Instrumentarien gegebenenfalls zu optimieren, um das Wort von der „Hilfe zur Selbsthilfe" nicht lediglich zur rituellen Beschwörung im wohlgemeinten Reden erstarren zu lassen.
Entwicklungshilfe entspringt im wesentlichen zwei Überlegungen, zum einen einer moralischen Verantwortung, sei es aus einer geschichtlich-kolonialen Verbindung, sei es aus einem christlich-ethischen Selbstverständnis der Verpflichtung der Wohlhabenden gegenüber den Notleidenden, zum anderen aber der Einsicht in global-politische Zusammenhänge und Notwendigkeiten. Wir haben ein vitales Eigeninteresse — das muß man so sehen — an einer erfolgreichen Entwicklungspolitik. Die mangelnde Verteilungsgerechtigkeit in vielen Entwicklungsländern bewirkt erhebliche soziale Spannungen, die — zusammen mit der politisch nicht gefestigten Situation in vielen Ländern — zur Instabilität ganzer Regionen und damit zu einer latenten Gefährdung des Friedens führen können. Dieses festzustellen darf und kann aber nicht heißen, daß wir versuchen sollten, Entwicklungshilfe als Disziplinierungsinstrument oder — schlimmer — als Mittel der Erpressung zugunsten der Durchsetzung bestimmter gesellschaftspolitischer oder wirtschaftspolitischer Prioritäten zu mißbrauchen.
Dieses wiederum kann nicht bedeuten, daß wir darauf verzichten würden, Herr Kollege Ströbele, der Durchsetzung und Praktizierung der Menschenrechte einen hervorragenden Stellenwert zu geben. Nur kann nach unserer Auffassung in vielen Fällen erst eine behutsame und grundbedürfnisorientierte Entwicklungspolitik die Voraussetzung für die Verwirklichung der Menschenrechte schaffen.Wir unterstützen das Bestreben der Länder der Dritten Welt nach verstärkter regionaler Zusammenarbeit und Integration als einen erfolgversprechenden Ansatz, zu politischer und wirtschaftlicher Unabhängigkeit von kolonialer und hegemonialer Herrschaft zu gelangen.Wenn wir heute einen entwicklungspolitischen Haushalt mit einem Volumen von fast 6,8 Milliarden DM beschließen, müssen wir uns die Frage stellen: Was bringt unsere Hilfe den Menschen in der Dritten Welt? Nützen die von uns angewandten Methoden und Rezepte? Oder schaden sie, weil sie unerwartet unerwünschte Wirkungen nach sich zogen? Was passiert eigentlich mit all den vielen Geldern, die für die Hungernden in Äthiopien und anderswo gesammelt wurden?
Sind die Regierungen der Nehmerländer sowie ihre Bürokratie bereit und in der Lage, unsere Leistungen effektiv umzusetzen? Warum wird die Verschuldung gerade in den entwickelsten Ländern immer größer, warum sind generell so wenig Erfolge in der Entwicklungspolitik vorzuweisen? Ist unsere
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Frau Seiler-AlbringEntwicklungspolitik, wie manche Kritiker behaupten, insgesamt verfehlt, und müßte man daraus nicht die Konsequenz ziehen, am besten mit der Entwicklungshilfe, zumindest der öffentlichen Hilfe, ganz aufzuhören?
Entwicklungshilfe ist vor neue Herausforderungen gestellt — national wie international.Wir müssen die bisher gemachten Erfahrungen sorgfältig analysieren und aus den Fehlern lernen. Deshalb ist es zu begrüßen, daß der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ein Hearing beschlossen hat, das im März nächsten Jahres zum Thema Entwicklungspolitik stattfinden wird. Ohne dem Ergebnis des Hearings vorgreifen zu wollen: Für die FDP-Bundestagsfraktion steht fest, daß unsere Entwicklungspolitik besser, effektiver werden muß. Sie soll mehr als bisher den einzelnen Menschen in der Dritten Welt zugute kommen, und zwar in allen Überlegungen, in allen Programmen und in allen Projekten.Wir müssen uns bei unseren Entscheidungen von folgenden Grundüberlegungen leiten lassen. Erstens: Erfolg oder Mißerfolg eines Projektes hängt entscheidend davon ab, ob soziokulturelle Bezüge beachtet worden sind, ob geplante Vorhaben mit den Interessen und Vorstellungen der betroffenen Zielgruppen in Übereinstimmung stehen.Zweitens: Umfang und technologische Ausstattung von Projekten müssen den Durchführungs- und Wartungskapazitäten des Entwicklungslandes entsprechen. Folgekosten müssen überschaubar und langfristig tragbar sein.Nach Ansicht unserer Fraktion muß eine Qualitätsverbesserung der Entwicklungshilfe vorrangig die Förderung der ländlichen Entwicklung einschließlich der Unterstützung und des Aufbaus von Handwerk und Kleingewerbe zur Deckung der Grundbedürfnisse sowie eine stärkere Berücksichtigung der ökologischen Dimensionen zum Ziel haben, Bildung und Ausbildung verstärken.Entwicklungshilfe heißt auch, wie bisher in konkreten, nicht vorher absehbaren Notsituationen rasch und effektiv zu helfen. Nahrungsmittelhilfe darf — darin sind wir uns sicherlich einig —, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht zu einer Dauereinrichtung für bestimmmte Länder oder Gebiete werden.Wir müssen darauf achten, in den nächsten Jahren zu einer stärkeren Schwerpunktbildung bei der Mittelvergabe hinsichtlich der verstärkten Förderung der Bereiche Ernährungssicherung, personelle Zusammenarbeit, Aus- und Fortbildung sowie der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen zu kommen.Wir müssen aber darauf bestehen, daß in der Entwicklungszusammenarbeit Mindestbedingungen erfüllt werden, daß zu unseren Programmen und Projekten in der Dritten Welt in diesen Ländern gleichgerichtete Eigenleistungen unternommen werden; sonst wird jede Hilfe sinnlos bleiben.Die Koalitionsfraktionen haben einen Antrag zur Verbesserung der Rahmenbedingungen als Voraussetzung für Selbsthilfe in der Dritten Welt erarbeitet. In diesen Zusammenhang gehört auch eine bessere Kooperation und Koordination mit allen Beteiligten auf der Geberseite.Meine Damen und Herren, wir stimmen dem Einzelplan 23 zu. Wir fordern Sie, Herr Minister, und Ihr Haus auf, dieses Geld so einzusetzen, daß die Bundesrepublik Deutschland auch weiterhin als ehrlicher und zuverlässiger Partner im Nord-SüdDialog bestehen kann.
Sie, Herr Minister, und Ihre Mitarbeiter haben unsere Unterstützung dabei.
Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Sechs Feststellungen zu Beginn:
Erstens. Im dritten Jahr hintereinander steigt der Entwicklungshilfehaushalt stärker als der Durchschnitt des Gesamthaushalts.
Zweitens. Mit unserem Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt belegen wir einen Spitzenplatz unter den großen Gebernationen, in der Tat übertroffen allein von Frankreich, bei dem die Verhältnisse in bezug auf die Dritte Welt j a nun wirklich anders sind als bei uns.
Drittens. Bei den Leistungen für die am wenigsten entwickelten Länder übertreffen wir die durchschnittlichen Leistungen aller anderen Geber zusammengenommen um mehr als die Hälfte hinsichtlich unseres Prozentsatzes am Bruttosozialprodukt.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?
Ich möchte die sechs Punkte zu Ende führen, dann gerne, Herr Präsident.Viertens. Wir haben den am wenigsten entwickelten Ländern Schulden in Höhe von 4,2 Milliarden DM erlassen. Das sind nahezu zwei Drittel der weltweit insgesamt erlassenen Entwicklungshilfeschulden. Damit sind wir beim Schuldenerlaß mit Abstand der Spitzenreiter unter den Entwicklungshilfegebern.Fünftens. Auch bei den Zuschüssen an nichtstaatliche Organisationen der Entwicklungshilfe
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Bundesminister Dr. Warnkeliegen wir im Spitzenfeld der Gebernationen. Wir werden unsere Leistungen im kommenden Jahr absolut und im Verhältnis zum Gesamthaushalt nochmals erheblich steigern. Sie belaufen sich insgesamt auf eine halbe Milliarde DM.Sechstens. Der Haushalt 1986 ist eine feste Grundlage auch für die Zukunft. Wir haben unsere Ankündigung wahrgemacht: Nach der notwendigen Konsolidierung, von der die Entwicklungshilfe nicht ausgenommen werden konnte, haben wir nunmehr die Verpflichtungsermächtigungen als Grundlage für die zukünftige Kapitalhilfe und Technische Hilfe im Jahre 1986 um 10 % gesteigert. Sie werden damit mit einem Gesamtumfang von dreieinhalb Milliarden DM wieder über den Baransätzen liegen.Nun, meine Damen und Herren von der SPD, diesen Haushalt mit diesen sechs Punkten — Spitzenwerte im Weltvergleich — wollen Sie ablehnen,
und zwar ohne irgendeinen Änderungsantrag, ohne irgendeinen Erhöhungsantrag hier gestellt zu haben? Es bleibt Ihr Geheimnis, wie Sie Elend und Arbeitslosigkeit in der Dritten Welt mit Verweigerung bekämpfen wollen.
— Ihnen bleibt unbenommen, das Plenum zu nutzen, wenn Sie dokumentieren wollen, daß Sie mehr können, als die Zustimmung zum Entwicklungshilfehaushalt zu verweigern. —Was die Einlassung der GRÜNEN anlangt, daß der Haushalt den Verantwortlichen um die Ohren geschlagen werden sollte,
so kann ich nur sagen: Dies war bis jetzt nicht parlamentarischer Brauch. Sollte es allerdings, Herr Kollege Volmer, eine Übung bei der Fraktion DIE GRÜNEN sein, dann würde mir das erklären, warum Sie sich eine ohrenschonende Haartracht gewählt haben.
Ich bin sehr dankbar, daß die SPD-Fraktion ebenso wie die Koalitionsfraktionen ein Problem angesprochen hat, das uns auf Jahre begleiten wird, nämlich die Tatsache, daß es heute schon Länder gibt, die mehr an Entwicklungshilfe-Rückzahlungen und -Zinszahlungen leisten, als sie von uns bekommen.
Nun, Herr Kollege Esters, darin sind nicht nur Rückzahlungen enthalten, sondern auch jene Zinszahlungen enthalten, die normale Leistungsentgelte sind.Ich habe natürlich mit Bewegung zur Kenntnis genommen, daß Sie — und die SPD-Fraktion — Ihr Herz für die Türkei Özals und Evrens entdeckt haben.
Aber, meine sehr verehrten Herren und Damen von der Opposition, wenn Sie in der Tat hier am Beispiel der Türkei die Notwendigkeit von höheren Zahlungen begründen,
dann bitte ich Sie doch: Sorgen Sie dafür, daß wie Sie es formuliert haben, Herr Kollege Esters, die freiheitliche Tat den anderen ein freiheitliches Beispiel gibt und daß Ihre sozialistischen Genossen im Europäischen Parlament endlich die Blockade der Entwicklungshilfe für die Türkei aufheben!
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Holtz?
Sehr gern.
Bitte schön.
Herr Minister, bedeuten Ihre Ausführungen zu unserem Antrag, daß Sie diesem Antrag zustimmen werden?
Lieber Herr Kollege Holtz, ich habe hier eben gesagt: Ich habe hier unter dem, was Sie zu diesem Haushalt eingebracht haben, keinen Antrag entdeckt.
— Ich habe mal die Unterlagen für die zweite Lesung angesehen. Da ist ein Entschließungsantrag; mehr nicht.
— Was zustimmungsfähig ist und was nicht, wird sich zeigen, wenn Sie es vorlegen. Blankoschecks stellen wir nicht aus. Das ist nicht die Art dieser Regierung.
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In der Tat haben auch wir von der Bundesregierung die Notwendigkeit erkannt, daß wir die über geleistete Neuzulagen überschießenden Zahlungen ansprechen und mit Ihnen im Haushaltsausschuß beraten werden. Wir begrüßen es, daß der Haushaltsausschuß im kommenden Frühjahr diesem Thema eine Sondersitzung widmen will.Als eine besondere politische Wirkung des Haushalts 1986 möchte ich auch die Hilfe für Zentralamerika
in Verknüpfung mit dem Abkommen der Europäischen Gemeinschaft mit den Ländern Zentralamerikas herausstellen. Wir haben hier in der Tat die Gelegenheit genutzt, Entwicklungshilfe mit dem Ziel einzusetzen, einen Beitrag
zur Beendigung von Gewalt und Instabilität in Mittelamerika zu leisten,
zur Wahrung der Menschenrechte und der demokratischen Freiheiten, zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung einer Region.
Es ist auf Initiative der Bundesregierung geschehen, daß die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und die Kommission in einer besonderen Erklärung darauf hingewiesen haben, daß diese Ziele auch bei der Durchführung des Abkommens und der auf dem Abkommen beruhenden Entwicklungshilfemaßnahmen berücksichtigt werden müssen.
Das gilt auch für die Mittelvergabe.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Volmer?
Bitte sehr, Herr Präsident.
Bitte schön.
Herr Minister, würden Sir mir in der Einschätzung zustimmen, daß Sie Ihre Ohren nur deshalb haben, damit Ihnen, bezogen auf Mittelamerika, der Hut nicht noch weiter über die Augen rutscht?
Also, Herr Kollege Volmer.
Herr Kollege Volmer, Sie müssen die Antwort wenigstens noch anhören.
Ich komme gern auf Mittelamerika und die GRÜNEN zu sprechen. Eine Delegation der GRÜNEN ist nach Guatemala gereist.
Sie hat von Anfang an erklärt: Das Ziel ihrer Reise ist,
der Meinung entgegenzutreten,
in diesem Land seien Fortschritte im Demokratisierungsprozeß erzielt worden.
Sie haben vor der Presse bei Abreise aus diesem Land nach einem Bericht unserer Botschaft nahezu wortgleich die gleiche Erklärung wie bei der Ankunft in dem Land abgegeben.
Wenn das der Sinn einer Informationsreise ist, daß Sie dort nur Ihre Vorurteile bestätigen wollen, dann ist es schade um die Steuergelder, mit denen Sie diese Informationsreise getätigt haben.
Ein ganzer Kontinent beglückwünscht heute Guatemala zu dem Fortschritt, den es durch die letzten
Wahlen auf dem Weg zur Demokratie gemacht hat.
Nur die Fraktion DIE GRÜNEN hält ihre Augen fest vor der Wirklichkeit verschlossen und bildet ihre Meinung nach vorgefertigter Ideologie.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?
Ich bedaure, Herr Präsident.Ich meine in der Tat, daß Fortschritte in Zentralamerika möglich sind. Aber sie sind nur dann möglich, wenn wir auf das abstellen, was nach Meinung aller am zentralamerikanischen Entspannungsprozeß Beteiligten das entscheidende ist: Solange es in Nicaragua keine freiheitlichen Regierungsverhältnisse gibt, so lange wird der Frieden in der Region nicht gewährleistet werden können.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13347
Bundesminister Dr. WarnkeDeshalb haben wir von Neuzusagen für Nicaragua abgesehen und die demokratischen Entwicklungen in El Salvador und in Guatemala durch Entwicklungshilfe unsererseits ermutigt.
Weder haben wir die Aufgabe, noch liegt es in unserer Macht, mit deutscher Entwicklungshilfe alle Probleme der Dritten Welt zu lösen. Frau Kollegin Seiler-Albring, ich stimme Ihnen zu: Es fehlt an Verteilungsgerechtigkeit bei vielen der Entwicklungshilfeempfänger, auch unserer deutschen Entwicklungshilfe. Wir können nur vorsehen, daß unsere Mittel so eingesetzt werden, daß sie einem möglichst breiten Kreis der Bevölkerung zum sozialen Ausgleich zugute kommen.Das Ziel, das wir mit unserer Entwicklungshilfe verfolgen, ist nicht die perfekte Regelung innerstaatlicher Verhältnisse in der Dritten Welt. Das können und wollen wir nicht erreichen. Unser Ziel ist bescheidener und dennoch zugleich anspruchsvoller. Es lautet: mit deutscher Entwicklungshilfe Hilfe zur Selbsthilfe geben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Abgeordneten Suhr, Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4317 und 10/4318.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4317 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —
Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4318 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Meine Damen und Herren, es ist nicht unbedingt sehr hilfreich für uns alle, so kurz nach dem Ankommen hier schon Bemerkungen über die Menge der Abgeordneten zu machen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 23. Wer dem Einzelplan 23, Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Der Abgeordnete Ströbele hat zu einer persönlichen Erklärung um das Wort gewünscht. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Der Herr Minister Warnke hat es für richtig gehalten, eine Reise der Fraktion DIE GRÜNEN gemeinsam mit der Partei DIE GRÜNEN nach Mittelamerika anzusprechen und vor dem Deutschen Bundestag die Unwahrheit zu sagen über das, was wir — ich habe an dieser Reise teilgenommen — anläßlich dieser Reise in Guatemala und in Mittelamerika erzählt haben.Zunächst ist es ganz einfach falsch, daß wir bei der Einreise oder zu Beginn unserer Reise in Guatemala eine Erklärung abgegeben haben.
Wir haben überhaupt keine Erklärung abgegeben, weder gegenüber der Presse noch sonst in der Öffentlichkeit.
Richtig ist, daß wir eine Erklärung abgegeben haben, bevor wir aus Guatemala abgereist sind.
Da wir vorher in Guatemala überhaupt keine Erklärung abgegeben haben, kann es auch keine Übereinstimmung geben zwischen der Erklärung, die wir bei der Einreise nach Guatemala abgegeben haben, und der bei der Abreise. Wir haben eine Presseerklärung gehabt und haben in der Tat nach dreitägigen Gesprächen in Guatemala mit Vertretern nahezu aller Parteien, die sich an den Wahlen beteiligen, mit Vertretern der Kirche, u. a. dem Erzbischof und dem Nuntius,
sowie mit Vertretern der Gewerkschaften dort eine Erklärung abgegeben und darin die Zustände in Guatemala, wie sie jetzt nach wie vor bestehen, sehr heftig kritisiert. Diese Erklärung stimmt in weiten Teilen mit einer ähnlichen Erklärung überein,
die die angesehene US-amerikanische Organisation „American Watch" zu den Wahlen in Guatemala eine Woche später ebenfalls abgegeben hat. Diese Erklärung stimmt darüber hinaus überein mit den Feststellungen von amnesty international über die Zustände in Guatemala in den letzten Monaten und heute.
Nach diesen Erfahrungen, nach diesen Erkenntnissen auch dieser Organisation und dieser Delegation der GRÜNEN ist es keineswegs so, daß demokratische Wahlen in Guatemala zu einem Demokratisierungsprozeß geführt haben, sondern es ist so,
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13348 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Ströbeledaß die Menschenrechtsverletzungen weiterhin stattfinden. Nicht von ungefähr mußten, zwei Tage nachdem wir Guatemala verlassen hatten, von der dortigen Organisation der Mütter der Verschwundenen
— da sollten Sie einen Augenblick zuhören — die Kirchen in Guatemala besetzt werden,
um auf diese Menschenrechtsverletzungen und auf das nicht aufgeklärte Schicksal der Menschen in Guatemala, der Verschwundenen in Guatemala aufmerksam zu machen.
Es ist deshalb eine Unverschämtheit, sich hier im Bundestag hinzustellen und die Unwahrheit vor der deutschen Bevölkerung zu verbreiten.
Herr Abgeordneter, dies war eine nicht eindeutig vorher geklärte Geschäftsordnungsbestimmung, die Sie benutzt haben. Ich stelle fest, Sie haben zu § 30 eine Erklärung abgegeben, und da sind Sie hart an der Grenze dessen gewesen, was die Geschäftsordnung ermöglicht. Ich möchte das hier nur feststellen.
Wir sind nach Ende der Abstimmung — —
— Wir sind nach Ende der Abstimmung und nach Ende der Debatte.
Ich gebe dem Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit das Wort zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gemäß § 30 der Geschäftsordnung zitiere ich hier zur Richtigstellung von falschen Angaben aus dem Bericht der deutschen Botschaft in Guatemala vom 31. Oktober 1985:
Die Delegation der GRÜNEN wurde bei Ankunft am Flugplatz von meinem Vertreter empfangen. In der Diskussion in der Residenz ergab sich, daß die Delegation bereits mit einer feststehenden, vorgefaßten Meinung angereist war. Weder mir und meinen Mitarbeitern noch allen weiteren Gesprächspartnern gelang es, dieses Schwarz-Weiß-Bild zu differenzieren.
In der bei Abschluß des Besuchs von der Delegation gegebenen Pressekonferenz wiederholten sie zum Teil wörtlich dieselben Positionen, die sie bereits im Einführungsgespräch mit mir vorgebracht hatten.
Ich weise den Vorwurf der Unwahrheit gegenüber der Erklärung der Bundesregierung mit Nachdruck zurück.
Ich rufe auf: Einzelplan 27
Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen
— Drucksachen 10/4170, 10/4180 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Diederich Frau Berger (Berlin)
Kleinert
Hierzu liegen Änderungsanträge des Abgeordneten Dr. Schierholz und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4320 bis 10/4322 und 10/4329 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. — Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Diederich.
Lieber Herr Kollege Ströbele, Sie haben hier eben von Herstellung der Öffentlichkeit gesprochen. Man kann nur sagen, daß hier von Öffentlichkeit nicht sehr viel zu sehen ist. Im Jahre 1907 sind die Journalisten mal aus dem Reichstag ausgezogen, weil ein Zentrumsabgeordneter sie Saubengel geschimpft hatte. — Ich fürchte, wenn ich hier heute sagte: Die Saubengels sind nicht da, nähme das überhaupt kein Journalist wahr. Ausziehen könnte sowieso keiner.
Meine Damen und Herren, die Deutschlandpolitik ist das Feld, auf dem sich die Abgeordneten der Regierung und der Opposition so lange wie nur möglich um Gemeinsamkeit zu bemühen haben. Hierzu verpflichtet uns der Auftrag des Grundgesetzes, hierzu verpflichtet uns unsere eigene Ge-
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Dr. Diederich
schichte, und hierzu verpflichtet uns die Sorge um das Schicksal der Menschen in Mitteleuropa. Sozialdemokraten stehen trotz aller Widrigkeiten zu diesen Verpflichtungen.Ich möchte zu Eingang meiner Bemerkungen Gelegenheit nehmen, mich bei den Mitarbeitern des Ministeriums für die Zusammenarbeit mit den Haushaltsberichterstattern zu bedanken. Ich deute das als Zeichen, daß über alle politischen Meinungsunterschiede hinweg die gemeinsame. Aufgabe im Vordergrund steht.Ich stehe auch nicht an, die Aufstockung der besonderen Hilfsmaßnahmen im humanitären Bereich um immerhin fast 123 Millionen DM zu begrüßen. Die Fraktion der GRÜNEN möchte diesen Titel qualifiziert sperren um, wie es so schön heißt, Transparenz herzustellen.
— Mein lieber Kollege Schierholz, Sie hätten mal mit dem Kollegen Kleinert sprechen sollen. Dann hätte er Ihnen wahrscheinlich erzählt, daß die Berichterstatter in ihren Gesprächen mit dem Ministerium jede für die Beurteilung des Titels notwendige Auskunft erhalten haben. Ich denke, daß der Herr Kollege Kleinert das bestätigen wird, nachdem er fast einen halben Tag mit dem Staatssekretär darüber gesprochen hat.
Wir sollten uns einig sein, daß sich gerade dieser Bereich nicht dazu eignet, auf dem offenen Markt behandelt zu werden.Ich stelle fest: Die Beamten im Bundesministerium leisten ihre Arbeit ohne Ansehen der Person, wie sie es ihrem Beamteneid schuldig sind, also anders, als Sie es in Ihrem Antrag darstellen. Unterschiedlich schnellen Erfolg der Bemühungen um Übersiedlung unseren Beamten anzulasten grenzt für mich an Zynismus. Wir alle wissen, daß die Ursachen für die Verzögerungen in der Umsiedlung nicht im Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung liegen.
Im übrigen darf ich Ihnen sagen: Viele Bürger nehmen die Gelegenheit wahr, sich an die Abgeordneten zu wenden, und jeder Abgeordnete kann mit dem Ministerium über jeden Einzelfall sprechen. Wir brauchen deshalb keine dazwischengeschaltete Kontrollkommission, wie Sie es wollen. Das Parlament kontrolliert hier.
Meine Damen und Herren, ich möchte die Bemühungen des Ministeriums um eine Verstärkung der deutschlandpolitischen Forschung ausdrücklich honorieren. Ich freue mich, daß es den gemeinsamen Bemühungen der Berichterstatter gelungen ist, die Mittel für die Informationsreisen nach Berlin wenigstens in bescheidenem Maße zusätzlich aufzustocken.Meine Damen und Herren, ich möchte auf ein Problem hinweisen, das eigentlich einer ausführlicheren Behandlung bedürfte, nämlich das des RIAS Berlin. Sie wissen, daß dieser Sender besondere Aufgaben hat, nämlich das Informationsangebot für Deutsche in Ost und West zu liefern. Dazu gehört übrigens — das muß betont werden —, daß die innere Unabhängigkeit der Journalisten dort gewahrt bleibt. Wir lehnen den Antrag der GRÜNEN, die Mittel für den RIAS zu streichen, ab.Der Ausschuß hat Mittel für die Vorbereitung eines Fernsehprogramms bewilligt. Das wird auf lange Frist eine Verdoppelung der Zuschüsse bedeuten.Ich möchte hier namens meiner Fraktion feststellen: Eine Verwirklichung der Pläne sollte auf zwei Grundsätzen aufbauen. Erstens. Bei der Programmgestaltung muß gewährleistet sein, daß weder RIAS Fernsehen ein Transportmittel für kommerzielle Bestrebungen wird, noch daß hier ein Instrument für platte Propagandasendungen geschaffen wird oder gar ein Regierungsrundfunk Adenauerscher Konzeption.
Zweitens. Wie jede Anstalt, die mit öffentlichen Mitteln gefördert wird, muß RIAS eine zweckmäßige Kontrollstruktur erhalten, die demokratisch legitimiert wird. Ich möchte die Bundesregierung ausdrücklich auffordern, ihre Autorität gegenüber unserem Bündnispartner, den Vereinigten Staaten von Amerika — wir sollten, das wurde heute schon mehrfach festgestellt, zuerst vom Kollegen Walther, wie Bündnispartner und nicht wie Besetzte und Besetzer miteinander umgehen —, einzusetzen und zu verlangen, diese Minimalvoraussetzung, die ich geschildert habe, durch Abmachung abzusichern.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf die eigentlichen Konfliktfelder der Deutschlandpolitik zu sprechen kommen. Wir Sozialdemokraten bedauern das Scheitern der gemeinsamen deutschlandpolitischen Entschließung zur Lage der Nation. Aber wir alle, die hier in diesem Hause anwesend sind, wissen, daß dies nicht die Schuld der drei Kollegen aus dem Innerdeutschen Ausschuß war, sondern daß hier der Traditionszug aus der Ostlandreiterstaffel in der Union das Heft in die Hand genommen hat. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten wird leider von bestimmten Kräften in Ihrer Partei, in der Union, gestört und zerstört. Mit Sorge haben wir alle die Entwicklung im Rahmen der Erinnerungsveranstaltung „40 Jahre nach der Vertreibung" und die Vorgänge um die Zeitschrift „Der Schlesier" zur Kenntnis genommen.Die Vertriebenenverbände haben — lassen Sie mich das betonen — nach 1945 einen wichtigen Beitrag zur Eingliederung der Flüchtlinge in das wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Leben der Bundesrepublik geleistet. Die Vertriebenenverbände haben eine wichtige Aufgabe in der Pflege der kulturellen Tradition und der Bewahrung kultureller Werte. Wir folgen daher nicht dem Kahlschlagantrag der GRÜNEN.
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13350 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Dr. Diederich
Es erfüllt uns jedoch zunehmend mit Sorge, wenn die Bundesregierung Jahr für Jahr erhebliche Steigerungen der Beträge für die politische Arbeit jener Kräfte vorsieht, die gewollt oder ungewollt den Keim für einen neuen Revanchismus in unserer Gesellschaft legen.
Ich möchte von Ihnen eine klare Antwort darauf, wie sich die Regierung gegenüber den ständigen Provokationen des Vertriebenenpräsidenten, Herrn Czajas, verhält. Ende September erklärte Herr Genscher auf der Akademie in Loccum anläßlich des 20. Jahrestages der EKD-Denkschrift zur Lage der Vertriebenen, daß wir „diese Grenze nicht in Frage stellen, weder heute noch morgen". Herr Czaja spricht daraufhin von polnischen Annexionsversuchen und wirft Herrn Genscher vor, er versuche das Vertragswerk zum Schaden ganz Deutschlands nachzubessern. Herr Rühe hat vor einigen Tagen sinngemäß dasselbe wie Herr Genscher erklärt, nämlich: Im Warschauer Vertrag hätten sich die Bundesrepublik und Polen gegenseitig zur uneingeschränkten Achtung ihrer territorialen Integrität verpflichtet. Herr Czaja bestreitet dies wiederum. Morgen wird man wahrscheinlich in den Zeitungen lesen, daß er auch das tadelt, was der Herr Rühe heute auf diesem Podium erklärt hat.Wann endlich, Herr Minister, hört man eine klare Stellungnahme von Ihnen gegen diesen militanten Revisionismus? Sie sind aufgefordert, hier etwas zu sagen. Durch Verschweigen ist dieser Widerspruch nicht zu lösen.
Meine Damen und Herren, ich möchte eine weitere Frage stellen. Was tut die Bundesregierung eigentlich, um ' die unglaubliche Äußerung des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Herrn Pfahls, zurückzuweisen, mit der er den Übersiedlern aus der DDR unterstellt, viele von ihnen seien Ostagenten?
Inzwischen hat es zwar, wie ich in der „Bild-Zeitung" gelesen habe, eine Relativierung gegeben, aber im Grunde genommen ist die Äußerung damit eher bekräftigt worden. Ich denke, die Geheimdienste sollten ihre Arbeit tun und ansonsten schweigen, statt zu politisieren und ganze Bevölkerungsgruppen zu diskriminieren.
Denn wer will es einem Arbeitgeber verdenken, wenn er auf eine solche Äußerung hin sagt: „Einen DDR-Übersiedler stelle ich erst gar nicht ein"? Herr Minister, was tun Sie, um den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Ordnung zu rufen?
Das ist Ihre Aufgabe in der Bundesregierung.Meine Damen und Herren, das Genfer Gipfelgespräch hat für uns alle neue Hoffnungen geweckt, Hoffnungen darauf,
daß es endlich gelingt, die Sicherheit der Menschen nicht nur in Europa auf der Grundlage partnerschaftlicher Abmachungen und gegenseitigen Vertrauens zu gewährleisten. Wir möchten die Bundesregierung jetzt auffordern, endlich wieder einen eigenen deutschen Beitrag für eine zweite Phase der Entspannungspolitik nach Genf zu leisten.
Wir Sozialdemokraten haben auf diesem Gebiet unsere Schularbeiten gemacht, wir haben Vorarbeiten geleistet, und wir verstehen unsere Kontakte und Bemühungen als flankierende Maßnahmen für eine Politik der Bundesregierung, die endlich selbst wieder aktiv werden muß.
Herr Minister, wir fordern daher die Bundesregierung auf, jede Anstrengung zu unternehmen, um mit den Verantwortlichen der DDR die sich aus der Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen ergebenden Aufgaben in der Mitte Europas endlich wahrzunehmen und einen aktiven deutschen Beitrag zur Sicherheit in Europa und zu einer neuen europäischen Friedensordnung zu leisten. Ich möchte Sie bitten: Machen Sie — vielleicht in Anknüpfung an die gemeinsame Entschließung — wenigstens den Versuch, zu den notwendigen Gemeinsamkeiten zurückzukehren; dann werden wir künftig auch wieder dem innerdeutschen Etat zustimmen können, den wir heute leider ablehnen müssen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Berger .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Diederich, ich muß Ihnen offen gestehen, daß mir die Begründung, die Sie soeben für die Ablehnung des Einzelplans 27 vorgetragen haben, etwas — wie man in Berlin sagt — dünn vorkommt. Sie paßt im Grunde genommen auch nicht in das Bild, das sich nach unseren Berichterstattergesprächen und nach den Beratungen im Haushaltsausschuß ergibt, wo wir ja festgestellt haben, daß wir beide zwar an verschiedenen Seiten der Deichsel, aber immerhin doch am selben Karren ziehen.
— Entschuldigen Sie, Herr Schierholz, im Gegensatz zu Ihnen haben wir, der Herr Kollege Diederich und ich, den Karren in der Tat in die gleiche Richtung zu ziehen versucht, nämlich nach vorne. Gerade vor diesem Hintergrund betrübt mich natürlich die angekündigte Ablehnung des Haushalts des innerdeutschen Ministeriums.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13351
Frau Berger
Herr Kollege Diederich, erlauben Sie mir, noch eines zu sagen: Ich habe eben noch einmal in den Haushalt geschaut und habe mir den Titel 685 02 — Förderung der deutschlandpolitischen Arbeit —, in dem j a die Mittel für die Vertriebenenverbände eingestellt sind, angesehen. Da ist doch von einer unvertretbaren Erhöhung überhaupt nicht die Rede! In der Zeit von Minister Franke ist dieser Titel ständig stark reduziert worden, und bei uns ist er wieder ein bißchen angehoben worden. Im vorigen Jahr haben wir aus Anlaß des 40. Jahrestages der Vertreibung 740 000 DM draufgelegt und sie als „künftig wegfallend" bezeichnet, und für den Haushalt 1986 haben wir bis auf einen geringfügigen Betrag von etwa 250 000 DM den Titel praktisch überrollt.Nun meine ich wirklich, liebe Kollegen, daß man sich schon einmal über den einen oder anderen Kollegen ärgern kann. Sie haben Herrn Czaja genannt, aber vielleicht auch jemand anderen gemeint. Ich nehme Ihnen das so nicht ab. Ich möchte aber fragen: Muß man denn, auch wenn man sich einmal über einen oder über fünf oder über zehn Kollegen ärgert, eigentlich mehr als 10 Millionen Menschen in unserem Lande, die ein schweres Schicksal hinter sich gebracht haben und denen wir viel Dank für die Aufbauleistung schulden, die sie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland vollbracht haben, ebenfalls verärgern?
— Wissen Sie, ich wollte mich eigentlich angesichts der knappen Zeit, die mir zur Verfügung steht, mit Ihnen gar nicht beschäftigen. Erst einmal sind Sie zu Beginn dieser Wahlperiode mit dem vollmundigen Versprechen angetreten, daß Sie es uns schon zeigen würden. Sie würden immer da sein, auch zu später Stunde. Jetzt sind Sie zu dritt, und das Allerfeinste ist: der Berichterstatter zum Einzelplan 27, der j a auch an dem Berichterstattergespräch nicht teilgenommen hat — er hat sich nachher wenigstens im Ministerium erkundigt —, ist jetzt auch nicht da. Das wollen wir festhalten.
Wer im Berichterstattergespräch nicht da ist, wer im Innerdeutschen Ausschuß nicht mitredet, der soll dann hier im Plenum kleinere Brötchen backen. So halten wir das in Berlin.
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, in diesen Tagen blickten die Menschen in West und Ost mit Spannung nach Genf, wo Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow einen neuen Dialog begonnen und weitere Zusammenarbeit vereinbart haben. Die gemeinsame Abschlußerklärung vom 21. November 1985 bedeutet sicher auch eine Weichenstellung für die innerdeutschen Beziehungen. Die Ergebnisse kennen Sie: Humanitäre Fälle sollen im Geiste der Zusammenarbeit gelöst werden; es soll mehr Reisen und damit auch mehr menschliche Kontakte geben.Wir hoffen und wünschen, daß diese Absichtserklärungen auch für uns Deutsche bald unmittelbare praktische Verbesserungen bringen werden. Wer denn anders als wir Deutsche könnte dieses in besonderer Weise hoffen und wünschen!Die positive Entwicklung, die wir in den letzten Jahren in der Deutschlandpolitik zu verzeichnen haben, hat damit gute Chancen einer Fortsetzung. Im Einzelplan 27 sind dafür seit 1983 die entsprechenden haushaltsmäßigen Voraussetzungen geschaffen worden. Wir wollen auch künftig deutlich machen, Herr Kollege Diederich, daß die Aufgabe, der Einheit der Nation zu dienen, den Zusammenhalt des deutschen Volkes zu stärken, die Beziehungen der beiden Staaten in Deutschland zu fördern und die deutschlandpolitische Verantwortung wahrzunehmen, an hervorragender Stelle in der Arbeit des Bundestages und der Bundesregierung steht.Das Haushaltsjahr 1986 ist für den Einzelplan 27 jetzt das vierte Jahr der Konsolidierung durch die Koalition von CDU/CSU und FDP. Bei der Regierungsübernahme — nun will ich doch einmal auf das zurückkommen, was wir hier des öfteren als Erblast bezeichnen — haben wir einen Haushalt vorgefunden, der in der Zeit unter Bundesminister Franke stark vernachlässigt worden war. Während z. B. der Gesamthaushalt 1980 bis 1982 um 5,5, 7,8 bzw. 6,6% gestiegen ist, wurde der Einzelplan 27, dessen Aufgaben ich geschildert habe, die auch von Herrn Kollegen Diederich geschildert wurden, im Jahre 1980 nur um 0,8% angehoben und in den Jahren 1981 und 1982 sogar um 1 % bzw. 5,6 % gekürzt.
Das Haushaltsjahr 1982 brachte mit 439 Millionen DM den absoluten Tiefpunkt im Einzelplan 27. Herr Kollege Ehmke, Bundesminister Dr. Barzel hat damals ein Haus übernommen, um das es wahrlich nicht gut bestellt gewesen ist.Die Bundesregierung hat in den Haushaltsjahren 1983 bis zum vorliegenden Haushalt 1986 eine Wende vollzogen und neue Prioritäten gesetzt, die ich aufzählen könnte und die ich Ihnen gerne schriftlich gebe.Der Einzelplan 27 ist von der Bundesregierung für 1986 mit einem Volumen von 759,8 Millionen DM vorgelegt worden.
— Herr Kollege, ich habe doch gerade gesagt, daß es Minister Franke im Jahre 1982 auf ein Jahresvolumen von 439 Millionen DM gebracht hat und daß wir jetzt 1986 auf ein Volumen von 759,8 Millionen DM kommen. Das muß Ihnen doch etwas sagen, wenn Sie wenigstens ein bißchen rechnen und nachdenken können.Die Berichterstatter haben einige Umschichtungen und eine Verstärkung um 9,2 Millionen DM auf 769,1 Millionen DM vorgenommen. Dabei wurden auch die besonderen Bemühungen der Bundesregierung um menschliche Erleichterungen — ein
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13352 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Frau Berger
ausgesprochen schwieriges Gebiet — berücksichtigt. Dies kommt in dem erhöhten Plafond des Einzelplans 27 zum Ausdruck. Es gibt hier, wie der Kollege Diederich schon ausgeführt hat, keine Geheimniskrämerei mehr. Bundesminister Windelen hat entschieden, daß diese Dinge in den Berichterstattergesprächen, in den Ausschüssen und auch hier im Deutschen Bundestag in angemessener Weise beraten werden können. Hierfür möchte ich ausdrücklich danken. Das war nicht immer so.Vor dem Regierungswechsel hatten wir gelegentlich Schwierigkeiten, unser Recht auf parlamentarische Kontrolle durchzusetzen.
— Herr Kollege, Sie wollen es so haben; Sie können es also auch bekommen. Herr Kollege Jungmann, ich denke dabei an so manche Schwierigkeiten, die wir in dem früheren Dreier-Ausschuß hatten.
— Nein, wir lassen es jetzt einmal nicht. — Das war ein Unterausschuß des Haushaltsausschusses, der die für humanitäre Zwecke ausgegebenen Gelder zu kontrollieren hatte.Eine Nachwirkung davon ist das Strafverfahren, das gegen Bundesminister a. D. Egon Franke und seinen früheren Ministerialdirektor Hirt zur Zeit beim Bonner Landgericht anhängig ist.
Ich möchte zu diesem Verfahren nicht Stellung nehmen.
— Ich möchte im Gegensatz zu Ihrem Fraktionsvorsitzenden und zu einem anderen Kollegen Ihrer Fraktion, die dies im Pressedienst Ihrer Partei getan haben, zu diesem Verfahren nicht Stellung nehmen. Ich möchte hier weder eine Vorverurteilung noch einen Vorfreispruch aussprechen. Ich halte es nun aber für angebracht, aus der Abschlußerklärung des Dreier-Ausschusses vom 11. Februar 1983, die nach Abschluß unserer gemeinsamen Beratungen mit dem Bundesrechungshof von den Kollegen Hans-Günter Hoppe, Albert Nehm und von mir unterzeichnet worden ist, zu zitieren:Die behauptete Verwendung von Haushaltsmitteln, die durch grobe Haushaltsverstöße verfügbar gemacht und der Kontrolle durch das Parlament entzogen worden waren, ist weiterhin unklar geblieben. Soweit für die Ausgabe der Mittel Angaben gemacht wurden, sind sie für die Ausschußmitglieder nicht zureichend glaubhaft gemacht worden.Da es für die in Rede stehenden Geldbewegungen keinerlei Aufzeichnungen und Belege gibt, sieht sich der Ausschuß gehindert, den Sachverhalt aufzuklären.Er empfiehlt deshalb, den Bundesdisziplinaranwalt und die Staatsanwaltschaft über den Tatbestand zu unterrichten.Mögliche — aus den Haushaltsverstößen resultierende — Schadenersatzansprüche sind geltend zu machen.Die Vorgänge, mit denen sich der Ausschuß zu befassen hatte, haben sich nicht auf die besonderen Bemühungen der Bundesregierung im humanitären Bereich mit der DDR bezogen.Ich wiederhole den letzten Satz:Die Vorgänge, mit denen sich der Ausschuß zu befassen hatte, haben sich nicht auf die besonderen Bemühungen der Bundesregierung im humanitären Bereich mit der DDR bezogen.Ich wiederhole den letzten Satz im Klartext: Das Geld, nach dem gesucht wird, wird also nicht in der DDR zu finden sein.Es steht fest, daß im vorliegenden Fall gegen haushaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen worden ist und daß die Mittelverwendung unter Ausschaltung der Haushaltsabteilung des Ministeriums, des Bundesrechnungshofes und schließlich auch des Bundestages erfolgt ist.Ich wünsche mir — damit will ich zum Ende kommen —, daß der Prozeß möglichst schnell beendet werden kann. Dies liegt sowohl im Interesse der Demokratie als auch im Interesse Egon Frankes, dessen Verdienste um die deutsche Demokratie unbestritten sind und der mein menschliches Mitgefühl hat.
— Herr Kollege Büchler, an Ihrer Stelle würde ich mich für die Bemerkung, die Sie soeben gemacht haben, in Grund und Boden schämen.
Lassen Sie mich nun einige Punkte zum Einzelplan 27 vortragen.Erstens. Die Zahl der Deutschen, die Deutschland als politische Einheit erlebt haben, wird ständig kleiner. Deshalb bedarf es der Information, der Aufklärung und der Argumente gerade bei der nachwachsenden Generation. Die Zahl der Deutschen, die wissen, daß Rügen nicht nur Tadeln bedeutet, sondern eine Insel ist — nämlich die schönste in der Ostsee —, darf nicht kleiner werden. Deshalb bedarf es, wie ich soeben sagte, der besseren Information.Im Vorjahr habe ich gefordert, das Bücherpaket, das für Lehrer und Schüler über das Gesamtdeutsche Institut zur Verfügung gestellt wird, zu durchforsten, zu straffen und zu aktualisieren. Ich stelle fest, daß erste Fortschritte erzielt sind; weitere sind denkbar und nach meiner Ansicht auch nötig.Zweitens. Vor einem Jahr habe ich hier im Deutschen Bundestag angeregt, eine Zeitschrift für die Jugend herauszugeben, die neben der inhaltlichen Akzentuierung der deutschen Frage entscheidend auch nach Aufmachung und Sprache für die Jugend geschaffen werden sollte. Sie sollte Pep haben und
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13353
Frau Berger
in der Sprache der Jugend getrost frech und kess aufgemacht werden, also in einem ganz und gar unamtlichen Stil. Ich kann auch hierzu feststellen, daß meine Anregung in die Tat umgesetzt worden ist. Im September 1985 ist die Zeitschrift „Wir in Ost und West" mit der ersten Titelnummer „Was ist der Deutschen Vaterland" erschienen.
Mir persönlich ist diese Zeitschrift für die Jugend zwar noch etwas zu steif. Ich denke aber, das wird sich ändern lassen. Wie ich erfahren habe, ist das Echo aus Jugendorganisationen und Schulen bisher erfreulich positiv. Bis zum heutigen Tage sind mehr als 100 positive Zuschriften von Jugendorganisationen und Institutionen der politischen Bildung eingegangen.Drittens. Die Angebote an Förderungsmitteln für Reisen nach Berlin, an die Grenze zur DDR und in die DDR selbst sind weiter verstärkt worden. Die Berichterstatter, der Kollege Diederich und ich, haben gemeinsam versucht, den Regierungsansatz von 29 Millionen DM noch einmal zu verstärken. Es ist uns durch Umschichtung gelungen, wenigstens 250 000 DM für die Förderung von Schülerreisen nach Berlin zuzulegen, sozusagen zusammenzukratzen. Damit können aber immerhin 5 000 Jugendliche zusätzlich Förderungsmittel für eine Berlin-Fahrt erhalten.
Leider war es auch im Haushalt 1986 noch nicht möglich, die Zuschüsse für die Jugendfahrten von zur Zeit 5 DM je Tag und Teilnehmer und den Zuschuß von 80 % der Omnibuskosten anzuheben. Die Eltern müssen also weiterhin einen ganz erheblichen Eigenbeitrag leisten, damit z. B. eine Klassenfahrt nach Berlin oder in die DDR zustande kommt. Diesen Eltern gilt unser besonderer Dank.Viertens. Der Ansatz für die deutschlandpolitische Forschung, für die 1984 3,7 Millionen DM zur Verfügung standen, wird auf 5,9 Millionen DM erhöht. Wir sind uns im klaren darüber, daß die deutschlandpolitische Forschung, für die wir den wissenschaftlichen Nachwuchs an den Hochschulen gewinnen wollen, verstärkt werden muß.Fünftens. Die Förderung des Zonenrandgebiets bleibt ein fester Bestandteil und besonderer Schwerpunkt des Einzelplans 27.Sechstens. Wir haben alle erkannt, daß der Informationsarbeit im Ausland über die deutsche Frage mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muß. Uns liegt daran, daß Beamte aus dem Innerdeutschen Ministerium oder andere Fachleute an zwischenstaatlichen und nichtstaatlichen Konferenzen und Kommissionen mit deutschlandpolitischer Thematik teilnehmen können. Für Auslandsreisen hatte der Einzelplan 27 im Jahre 1982 ganze 5 000 DM vorgesehen. Wir haben diesen Ansatz für 1986 auf zunächst 135 000 DM erhöht.Ich hoffe und wünsche, Herr Minister Windelen, daß Sie Ihre Arbeit so erfolgreich wie bisher fortsetzen werden. Im Bereich des Haushalts des innerdeutschen Ministeriums ist unter Ihrer Federführung gute Arbeit geleistet worden. Die innerdeutschen Aufgaben liegen bei Ihnen, bei Ihren Staatssekretären und bei Ihren Mitarbeitern in guten Händen.Die Fraktion der CDU/CSU stimmt dem Einzelplan 27 zu.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.
Herr Präsident! Meine wenigen verbliebenen Damen und Herren! Liebe Frau Berger, es kann doch wohl nicht angehen, daß hier nur Berichterstatter das Wort ergreifen dürfen. Ich darf daran erinnern, daß heute morgen der Herr Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU zuerst über Deutschlandpolitik geredet hat.
Formal finde ich das gut. Inhaltlich hätte ich bei dem, was er im Kontext von Außen- und Militärpolitik erzählt hat, allerdings sehr viel Veranlassung, Ihnen schon jetzt eine gute Nacht zu wünschen. Denn die Deutschlandpolitik der Koalition ist doch eindeutig
— Sie können das gern, Herr Gerster — gekennzeichnet von einer — wenn man es einmal vorsichtig ausdrückt — Hängepartie, von Unausgegorenheiten bis hin zur politischen Lähmung, wenn man Klartext reden will.Diese politische Lähmung der Regierungskoalition wurde gerade jüngst bei der Aktuellen Stunde zum Entschließungsentwurf zum Bericht zur Lage der Nation erschreckend deutlich. Daß eine Bundestagsentschließung dazu ausgerechnet an der Verweigerung eines eindeutigen Bekenntnisses zu den bestehenden Grenzen in Europa scheitert, mutet geradezu gespenstisch an, wenn berücksichtigt wird, daß die territoriale Nachkriegsordnung ein Resultat des kriegerischen Größenwahnsinns deutscher Politiker und Armeen gewesen ist. Glauben Sie denn wirklich, meine Damen und Herren von der Koalition, daß ein Abbau der Blockkonfrontation, eine Überwindung der Spaltung Europas in zwei Blöcke ernsthaft möglich sei, ohne daß von bundesdeutscher Seite ein eindeutiges Bekenntnis zum gegenwärtigen territorialen Status quo ausgesprochen wird? Jeder Mensch, der die friedenspolitische Verantwortung in beiden deutschen Staaten mit Inhalt füllen will, der kalkulierte einseitige, aber auch multilateriale Initiativen zur Abrüstung in Europa und besonders in Mitteleuropa zu erreichen wünscht, muß die Oder-Neiße-Grenze und die DDR verbindlich anerkennen.
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13354 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Dr. SchierholzDas bedeutet natürlich auch eine klare Antwort in der Staatsbürgerschaftsfrage.
Es gab kürzlich wieder mächtig viel Aufregung über die Feststellung des saarländischen Ministerpräsidenten Lafontaine, daß die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft langfristig nicht zu umgehen sei, und es wird Sie nicht wundern, meine Herren und Damen auf der linken Seite: Wir stimmen dem zu. Weshalb also die aufgebrachten Reden?
— Jetzt lachen Sie!
Warum dann das Getöse nach den Äußerungen von Herrn Lafontaine? Weshalb diese aufgeregten Kommentare, wenn der Mann zu Recht darauf hinweist, daß das fossile Relikt einer deutschen — sprich gesamtdeutschen — Staatsangehörigkeit des mit allen juristischen Winkelzügen künstlich erhaltenen Deutschen Reiches als Ballast für zwischengesellschaftliche Beziehungen abgeworfen werden soll?
Es geht eigentlich, Herr Reddemann, nicht um die DDR-Staatsbürgerschaft, da es einen Staat ohne Staatsbürger wohl kaum geben kann. Im Kern geht es — das wird bei den Diskussionen über Respektierung oder Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft in der Regel verschwiegen —, um die Tatsache, daß die Bundesrepublik keine eigene Staatsbürgerschaft besitzt, sondern für sich als selbsternannter legitimer Teil des für sie immer noch existierenden Deutschen Reiches in Anspruch nimmt, für alle Deutschen in den Grenzen von 1937 als Souverän zu fungieren. Das ist der Schrott des Kalten Krieges, der weggeräumt werden muß.
Mir ist dabei klar — ich spreche jetzt die nicht anwesenden Damen und Herren in der Mitte an —, daß für West-Berlin darin ein großes Problem liegt. Das ist völlig klar; nur sollte die Bundesregierung das einmal nutzen, dort politische Initiativen — auch gegenüber den Allierten — zu ergreifen, um dieses Problem einer Lösung zuzuführen.
Zum Stichpunkt „Ballast": Unser Entschließungsantrag zur Auflösung des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen steht in diesem Kontext, nämlich Ballast abzuwerfen, um für die Menschen und den Frieden neue Wege zu eröffnen. Das BMB symbolisiert gegenwärtig einzig den anachronistischen Anspruch der Bundesrepublik, alle Deutschen in den Grenzen von 1937 als Staatsmacht zu vertreten und zu repräsentieren, bis der gewünschte deutsche Nationalstaat, der bei Ihnen im Hintergrund steht, mit der Bundesrepublik als bestimmender Kern wieder errichtet werden kann, und den wollen wir nicht.
Statt dessen — Herr Werner, vielleicht lassen Sie mich ausreden; vielleicht kommen Sie ja auch noch dran — sollte die Deutschlandpolitik zu einer Selbstanerkennung der Bundesrepublik als eines normalen westlichen Staates führen, zu einer Befreiung der bundesdeutschen Gesellschaft und ihres Staates vom Provisorischen.
Der Antrag auf Auflösung des Ministeriums bedeutet nicht die Streichung der in ihm versammelten Abteilungen und Aufgaben, die, sofern sie die Beziehungen zur DDR betreffen, ins Auswärtige Amt oder ins Bundeskanzleramt verlagert werden sollen. Deshalb haben wir auch als einzige Fraktion in diesem Hause Änderungsanträge zu Einzelplan 27 gestellt.Zum Schluß möchte ich — Frau Berger, vielleicht hören Sie einen Moment zu —
auch noch zu dem Punkt Hilfsmaßnahmen gesamtdeutschen Charakters von meiner Seite aus etwas sagen, damit da keine Mißverständnisse entstehen. Wir sind uns durchaus über die Problematik im klaren, die darin steckt; solange das Verhältnis der beiden deutschen Staaten so verkniffen ist, dürfte es kaum eine andere Möglichkeit geben, die humanitären Anliegen der betroffenen Menschen zu verfolgen. Nur, wenn man sich einmal die Sprünge ansieht, die vom Haushalt des Jahres 1983 bis zum jetzigen Entwurf zu erkennen sind, dann sind wir schon der Meinung, daß hier eine stärkere parlamentarische Kontrolle erfolgen muß. Das ist keineswegs — ich sage das ausdrücklich — ein Mißtrauen gegen das BMB und gegen seine Beamten, die uns dankenswerterweise mit allen Auskünften zur Verfügung gestanden haben.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Die Redezeit ist vorüber.
Lesen Sie doch bitte einmal unsere Änderungsanträge. Da steht „qualifizierte Sperre" und sonst nichts.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13355
Dr. SchierholzWir haben einige Fälle vorliegen, die uns eine stärkere parlamentarische Kontrolle angezeigt sein lassen.
Herr Abgeordneter, ich hatte Sie gebeten, zum Schluß zu kommen. Ihre Redezeit ist weit überschritten.
Darf ich den letzten Satz noch sagen: Die Politik zwischen den deutschen Staaten, die für uns immer in ein Konzept zur europäischen Friedensordnung, d. h. zum Abbau der Militärblöcke, eingebunden sein muß, braucht eine verläßliche Grundlage. Diese ist bei der Koalition nicht zu erkennen. Deswegen lehnen wir den Haushalt ab.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegin Frau Berger hat es mir — wie auch bereits in den vergangenen Jahren bei dieser Gelegenheit — bereits abgenommen, Einzelheiten aus dem Haushalt, Entwicklungen aus diesem Einzelplan vorzutragen. Ich kann mich deswegen auf einige mehr politische Fragen konzentrieren und kann Ihnen, Frau Berger, nur sagen: Ich stimme Ihnen in dem, was Sie zum Einzelplan, zu seinen Einzelpositionen gesagt haben, auch im Namen meiner Fraktion zu. Ich stimme Ihnen auch in einem anderen Punkt zu. Allerdings gehe ich da einen Schritt weiter. Sie haben gesagt, daß Sie den ehemaligen Bundesminister Franke Ihrer persönlichen Anteilnahme versicherten. Ich würde an dieser Stelle gern sagen, daß ich darüber hinausgehe und hier ausdrücklich als meine persönliche Überzeugung ausspreche, daß vielleicht haushaltsrechtliche und andere Bestimmungen verletzt worden sind, daß ich aber keinerlei Grund sehe, anzunehmen, es handele sich um irgendeinen Fall, der Herrn Franke persönlich belasten werde.
— Ich kann ja wohl meine persönliche Meinung hier genauso sagen, wie Sie sich jederzeit das Recht nehmen, Herr Ströbele, auch Ihre persönliche Meinung hier ohne jeden Vorbehalt und wiederholt auszusprechen. Dieses Recht werden Sie mir nicht absprechen können.
Nun zu den mehr politischen Fragen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben. Ich komme zunächst zu der Tatsache, daß wir uns deutschlandpolitisch im Augenblick in einer etwas merkwürdigen Situation befinden. Ich will auf das, was der Kollege Dr. Schierholz gesagt hat — und was, Herr Kollege, in diesem Hause nun niemanden mehr überrascht hat —, nur mit einigen wenigen Bemerkungen zu sprechen kommen. Sie haben einen Entschließungsantrag zur Auflösung des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen vorgelegt. Sie haben auch versucht, diesen Antrag zu begründen.Ich will aus der schriftlichen Begründung nur einiges zitieren, um Ihnen einmal zu sagen: Man muß auch ein wenig von Deutschlandpolitik verstehen, ehe man sich dazu äußert.
Dort heißt es:
Nachhaltige Verbesserungen zwischen den Menschen in beiden Staaten werden nur erreichbar sein, wenn beide Seiten auf zwischenstaatlicher Ebene die Gleichberechtigung des jeweils anderen ohne Vorbehalte und nach völkerrechtlichen Grundsätzen akzeptieren.Vielleicht lesen Sie gelegentlich einmal den Grundlagenvertrag. In diesem Vertrag steht nämlich, daß die beiden Staaten sich gegenseitig ihrer Souveränität versichern und sich gegenseitig verpflichten, nicht in die inneren Angelegenheiten des anderen hineinzuwirken.Aber eines, Herr Kollege Dr. Schierholz, werden Sie mit uns gemeinsam nicht machen können. Ich glaube, ich darf dies auch mit für die SPD-Fraktion dieses Hauses sagen. Sie können mit uns — jedenfalls gilt das, so hoffe ich doch, für die überwiegende Mehrheit — folgendes nicht machen, nämlich die besonderen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten, die sich einfach aus der Tatsache ergeben, daß in diesen beiden Staaten Deutsche leben und daß beide Staaten ihren eigenen Status nur dadurch nachzuweisen in der Lage sind, indem sie sich nach wie vor deutsch nennen, durch völkerrechtliche Grundsätze zu ersetzen. Das werden Sie mit uns nicht erreichen.Wenn wir denn schon über die Staatsbürgerschaft reden, könnte Ihnen vielleicht gelegentlich beim Nachlesen von Geschichtsbüchern auffallen, daß beide deutsche Staaten mit einer jeweils eigenen Verfassung begonnen haben und beide Verfassungen — auch die DDR mit ihrer ersten Fassung — die eine deutsche Staatsbürgerschaft kannten und nichts anderes.
Nicht wir in der Bundesrepublik Deutschland sind von diesem damals gemeinsamen Grundsatz abgewichen, sondern die DDR ist abgewichen.Für eines bin ich Ihnen allerdings dankbar bei dem Gespräch um die Staatsbürgerschaft, daß Sie endlich einmal die nebulöse Formel von der Anerkennung einer DDR-Staatsbürgerschaft aufgegeben und schlicht und klar erklärt haben, es gehe ja gar nicht um die DDR-Staatsbürgerschaft, sondern um die Änderung unserer Verfassung und damit um das, was der Bundesaußenminister heute hier sehr deutlich und eindringlich gesagt hat, daß es eben nicht machbar und mit unseren Grundsätzen nicht vereinbar ist, daß wir aus den Deutschen in der DDR Ausländer machen. Sie werden uns — mit
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13356 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Ronneburgerwelchem Antrag auch immer — zu einer solchen Regelung allerdings nicht bekommen.
Deswegen bedarf es im Grunde genommen keiner besonderen Bemerkung, daß dieser Antrag abgelehnt wird. Es bedarf nur der Feststellung, daß hier ein Grunddissens zwischen Ihnen und jedenfalls der Koalition besteht.
Wie gesagt, Herr Kollege Dr. Vogel, ich hoffe doch, in dieser Frage auch die alte Gemeinsamkeit der Deutschlandpolitik der verfassungtragenden Fraktionen dieses Hauses nach wie vor feststellen zu können.
Was der Kollege Dr. Schierholz heute gesagt hat, verstößt eindeutig gegen die Verfassung, auf die auch die Abgeordneten der GRÜNEN als Abgeordnete des Deutschen Bundestages verpflichtet sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz?
Ja, bitte sehr. Vizepräsident Westphal: Bitte schön.
Da das in der Tat ein sehr massiver Dissens ist, Herr Ronneburger, und da ich auch im Gegensatz zu den Behauptungen, die mir gerade von links entgegengeschallt sind, die Entstehungsgeschichte von Art. 16 und 116 sehr genau verfolgt habe, möchte ich Sie fragen, ob Sie mir zustimmen, daß in der Kommentierung zu Art. 16 und 116, wo es um die Staatsbürgerschaft geht, bereits in der bundesdeutschen Rechtswissenschaft durchaus sehr unterschiedliche Auffassungen vorhanden sind?
Hier geht es mir erstens um die Feststellung, daß wir uns an die Verfassung gebunden fühlen, und zweitens um die Feststellung, daß wir einen klaren politischen Willen in dieser Frage haben: Verfassung ja, politischer Wille ebenso ja. Das ist unsere Auffassung.
Deswegen sage ich Ihnen, Herr Kollege Dr. Schierholz, noch etwas weiteres: Sie haben eben von einer Befreiung der Bundesrepublik vom Provisorischen gesprochen. Ich möchte gerne, daß Sie sich einmal etwas mehr Sorgen darum machten, ob die 17 Millionen Deutschen auf der anderen Seite der Grenze eigentlich ebenso frei über ihre Verfassung reden können, wie Sie hier über unsere reden. Ich frage mich, ob Ihnen das jemals Anlaß zum Nachdenken über diesen Unterschied gewesen ist.
— Wer hat denn das gesagt, Herr Ströbele? Unterstellen Sie mir doch nichts, was ich nie erklärt und an keiner Stelle gesagt habe. Das Wort von der Befreiung hat Ihr Kollege gesprochen.
Wir wollen einen Zustand des Friedens in Europa erreichen, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Dies ist unser Grundsatz. Dies bedeutet allerdings, daß dann auch in den beiden Staaten gleiche Freiheitsrechte gelten müssen, wie wir sie hier und wie auch Sie sie jeden Tag so eindeutig in Anspruch nehmen.Gestatten Sie mir aber auch, auf einen anderen Punkt zu sprechen zu kommen, der mich im Grunde genommen sehr bedrückt: Wir betreiben nach wie vor eine kontinuierliche Deutschlandpolitik. Ich bin Ihnen, Herr Minister Windelen, dankbar, daß ich das hier so unbefangen und mit aller Deutlichkeit und Überzeugung aussprechen kann. Und doch gibt es in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland und auch hier im Hohen Hause auf einmal Debatten darüber, wie denn eigentlich die Grundsätze auszusehen haben, nach denen wir diese Deutschlandpolitik betreiben.Ich erinnere einmal — Herr Professor Diederich hat es schon getan — an die gescheiterte Gemeinsame Erklärung. Aber ich erinnere auch an Debatten und Auseinandersetzungen der letzten Zeit, etwa über die Frage, ob die Forderungen von Gera eigentlich einen Anlaß für uns sein können, sie ständig in die öffentliche Debatte wieder einzuführen. Forderungen, meine Damen und Herren: Staatsbürgerschaft, Ständige Vertretung, Elbgrenze, zentrale Erfassungsstelle Salzgitter, um die vier herausragenden zu nennen. Alles Forderungen, die seinerzeit von Honecker erhoben worden sind, um Abgrenzung zu markieren. Hat Honecker nicht selbst gesagt, wir sollten uns über das zwischen den beiden deutschen Staaten unterhalten, wo Einigung möglich ist, und nicht über das, wo die Gegensätze im Grundsätzlichen so aufeinanderprallen, daß diese Einigung nicht erreichbar ist?Deswegen verstehe ich nicht, warum, wie auch jetzt, durch Herrn Lafontaine in Ost-Berlin die Frage Staatsbürgerschaft mit dieser merkwürdigen Formel Anerkennung der Staatsbürgerschaft wieder aufgegriffen worden ist,
ohne daß Herr Lafontaine, Herr Kollege Dr. Vogel, offenbar bedacht hat, was seine Formulierung von der Anerkennung der Staatsbürgerschaft, wie auch immer er sie sich vorstellt, für West-Berlin bedeutet.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13357
RonneburgerSprechen Sie doch bitte mit dem Herrn Minister über seine Äußerungen. Ich nehme an, er wird Ihnen Rede und Antwort stehen.
Verlangen Sie nicht, daß ich meine Redezeit, ohnehin kurz bemessen, dafür verwenden muß.Was mir am Herzen liegt, ist, daß wir nicht nur bereit sind, gemeinsame Deutschlandpolitik zu betreiben, sondern auch nach außen hin bereit sind, diese Deutschlandpolitik mit einheitlichen Grundsätzen zu vertreten.
Das ist es, worauf es im Grunde genommen ankommt und worauf viele Erfolge der Deutschlandpolitik in der Vergangenheit zurückzuführen sind. Es geht nicht an, daß wir Argumente übernehmen, die unseren Standpunkt schwieriger machen, als er vorher war. Es geht nicht an, daß wir uns von dem abkehren, was uns in dieser Frage gemeinsam bewegt und treibt.Das ist mein Appell: Lassen Sie uns auch einheitlich sprechen und nicht nur einheitlich handeln. Damit täten wir der deutschen Sache einen guten Dienst.Herr Minister Windelen, wir haben keine Änderungsanträge gestellt. Sie sehen schon daran, daß wir Ihrem Haushalt zustimmen. Gleichzeitig verbinde ich diese Zustimmung mit der Zusicherung, daß wir bereit sind, mit Ihnen gemeinsam wie bisher Deutschlandpolitik im alten Sinne zu betreiben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hiller.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich die Reden von Frau Kollegin Berger und von Herrn Kollegen Ronneburger verfolge, dann muß ich feststellen, daß sich beide fast ausschließlich nicht mit der eigenen Politik beschäftigt, sondern kritisiert haben, was ansonsten noch in der deutschlandpolitischen Diskussion vorhanden ist. Daraus wird deutlich, daß die Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung auf der Stelle tritt. Die Konzeptionslosigkeit ist exemplarisch an diesen beiden Reden erkennbar gewesen.
Jegliche eigene Darstellung der Politik der Bundesregierung ist hier nicht verfolgt worden.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte nicht auf die verschiedenen Debatten zur Deutschlandpolitik zurückkommen, die wir in der Vergangenheit gehabt haben. Schaut man sich die Verlautbarungen und Texte dieser Bundesregierung an, so findet man nach wie vor sehr viele Aussagen, die unsere Zustimmung verdienen, z. B. die Aussage, daß die beiden deutschen Staaten eine Verantwortungsgemeinschaft für den Frieden eingehen müssen, und dann die Aussage, daß die Linderung der Teilungsfolgen für die Menschen eine wichtige Aufgabe der Deutschlandpolitik sei. Wir stimmen Ihnen auch zu, wenn Sie sagen, daß zwischen beiden deutschen Staaten Kontakte auf allen Ebenen gepflegt werden müssen. Das sind Ihre Worte! Nun frage ich mich: Wo bleiben Ihre Taten? Wo bleibt z. B. Ihr aktiver Beitrag zur Friedenspolitik der beiden deutschen Staaten? Wann hat die Bundesregierung mit der DDR über diese Fragen geredet?Viel mehr wurde in der Union selber über Grenzen diskutiert. Aber ich bin der Auffassung, daß der Grundlagenvertrag die beiden deutschen Staaten geradezu verpflichtet, über diese Fragen ständig im Gespräch zu sein.
Ist es, meine Damen und Herren, nicht vielmehr so, daß Sie im September letzten Jahres noch nicht einmal das Wort Gewaltverzicht, welches Grundlage sozialdemokratischer Vertragspolitik ist, in ein Kommuniqué schreiben wollten? Und sollte die Antwort des Bundeskanzlers auf den Brief Honeckers und des tschechoslowakischen Ministerpräsidenten Strougal nicht Gespräche über eine chemiewaffenfreie Zone geradezu verhindern?Meine Damen und Herren, den Art. 5 des Grundlagenvertrages beachten Sie in Ihrer Politik nicht. Deshalb sind Sie in diesem Fall in Ihrer Politik zu kritisieren.
Deshalb ist die Formel der Verantwortungsgemeinschaft für Sie nur eine Phrase, weil den Worten eben keine Taten gefolgt sind.Die Tatsache, daß wir in eine zweite Phase der Entspannungspolitik eintreten müssen, die aus der Überlegungsgemeinschaft Sicherheitspartnerschaft macht, wird von Ihnen ignoriert. Das bedauere ich besonders nach den Ansätzen, die wir aus Genf erfahren haben. Deutschlandpolitik ist für Sozialdemokraten Friedenspolitik.
Daran haben Sie keinerlei Verdienst. Ihre Bundesregierung steht in dieser Sache tatenlos beiseite.
Meine Damen und Herren, es ist noch schlimmer. Ich will Ihnen das gerne belegen. Diese Bundesregierung stört den Friedensprozeß mit Zitaten wie dem folgenden des Parlamentarischen Staatssekretärs Hennig. Ich zitiere aus einem Vortrag, den er einen Tag nach Genf in San Francisco gehalten hat. Hören Sie gut zu! Es wird Sie vielleicht auch überraschen, wenn Sie es noch nicht kennen; denn kurioserweise ist dieser Text nur in Englisch verteilt worden.
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13358 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Hiller
Vielleicht schämen Sie sich darüber, solche Texte in der Übersetzung hier verteilen zu lassen. Ich meine, Sie sollten sich schämen, aber hören Sie sich erst einmal das Zitat an:
Jetzt sprechen sie von Abrüstung. Aber das ist kein Grund, zu glauben, daß Moskau seine ursprünglichen Absichten und Ziele aufgegeben habe. Genau wie ein Hund nicht freiwillig die Hälfte des Fleisches, das er verzehrt, loslassen wird, wird auch die Sowjetunion keinen Grund haben, sich mit der Beherrschung des kleineren Teils von Deutschland zufriedenzugeben. Wenn sich ihr eine Gelegenheit bietet, wird sie auch den größeren Teil verschlucken.
Meine Damen und Herren, das einen Tag nach der Erklärung von Genf; das ist für mich die Sprache des Kalten Krieges, die wieder hochgekommen ist!
Meine Damen und Herren, es ist ein Denkmuster, das Aussöhnung, Entspannung und gutnachbarliche Beziehungen unmöglich macht.
Das alles sind Ziele, zu denen wir uns erst sehr spät, nämlich 26 Jahre nach dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion, im Moskauer Vertrag verpflichtet haben.Meine Damen und Herren oder Herr Staatssekretär, welche Reaktionen erwarten Sie auf Ihre Zitate im Osten?Ich bin der Auffassung, diese Sprache stört den Entspannungsprozeß. Es wird Zeit, daß sich die Bundesregierung auf das einstellt, was in Genf geschehen ist. Das ist Ihre Aufgabe.
Meine Damen und Herren, ich möchte zu einem weiteren Punkt kommen.
Es geht um Ihre dogmatische Maximalposition zu dem umstrittenen Abschnitt der Elbegrenze. Sie verhindern die zusätzliche Linderung von Teilungsfolgen. Jedermann weiß, daß die Existenz der Ostseefischer wirtschaftlich gefährdet ist. Dies ist eine Folge der Teilung Deutschlands. Jedermann weiß, daß man mit der DDR über dieses Problem sprechen sollte, um eine Linderung der Teilungsfolgen herbeizuführen. Im Gegensatz zu Ihren Worten ist Ihre dogmatische Maximalposition wichtiger als die Chance, die Teilungsfolgen zu lindern.Meine Damen und Herren, der nächste Punkt betrifft den Jugendaustausch, der Gott sei Dank — das begrüßen wir sicherlich alle hier im Hause — wieder in Gang kommt,
nachdem ein Verfassungsschutzbericht dieser Regierung dessen Einstellung zur Folge hatte. Auchhier können wir feststellen: Was der eine vollmundig fordert, haut der andere mit wenigen Federstrichen im Verfassungsschutzbericht wieder kaputt. Das sind genau die mangelnde Koordination und die Konzeptionslosigkeit, die auch in den Beiträgen meiner beiden Vorredner hier schon zum Ausdruck gekommen ist, und nichts anderes.Meine Damen und Herren, diese mangelnde Koordination drückt sich auch darin aus, daß immer noch keine Klarheit besteht, wie die Aufnahme der offiziellen Beziehungen des Bundestages zur Volkskammer der DDR vonstatten gehen soll. Hat bei Ihnen noch die Stahlhelm-Fraktion das Sagen, oder können wir hier mit einer anderen Position rechnen?
Wenn ich Bilanz ziehe, dann ist das Ergebnis Ihrer Politik, daß Sie für die Deutschlandpolitik wesentlich mehr Geld ausgeben als wir und trotzdem Nachteile der Berliner im Vergleich zu den Bundesbürgern in Kauf nehmen mußten. So etwas hat es bei einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung nicht gegeben.Herr Reddemann, Sie widersprechen ständig. Ihnen sind Sensationen viel wichtiger als Sachlichkeit. Sonst hätten Sie diese Aussage über die Aussetzung des Schießbefehls nicht gemacht. Ihnen ist es wichtiger gewesen, in die Springer-Presse zu kommen, wie ich überhaupt feststellen kann, daß seitdem Sie regieren, die Springer-Presse häufiger über sensible Fragen der Deutschlandpolitik berichtete, als das während unserer Regierungszeit der Fall war. Das kann nicht den Menschen in beiden deutschen Staaten dienen.
Meine Damen und Herren, es wäre nützlich, wenn den vielen Worten über Gemeinsamkeit in der Deutschlandpolitik — und, Herr Kollege Ronneburger, hier stimme ich Ihnen ausdrücklich zu — auch Taten folgen würden.
Diese Taten können herbeigeführt werden, indem Sie dem ursprünglich beschlossenen gemeinsamen Konzept aller drei Fraktionen noch Ihre Zustimmung geben.Schönen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte zunächst sehr herzlich danken für faire und sachgerechte Beratung meines Einzelplans sowohl im Haushalts- als auch im innerdeutschen Ausschuß. Mein besonderer Dank gilt den Berichterstattern, dem Kollegen Diederich und der Kollegin Frau Berger. Ich gebe
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13359
Bundesminister Windelengern, Herr Kollege Diederich, Ihren verdienten Dank an meine Mitarbeiter weiter.
Ich begrüße die Aufstockung der Mittel für Schüler- und Jugendreisen in die DDR, nach Berlin und an die innerdeutsche Grenze ebenso wie die Aufstockung der Mittel für die deutschlandpolitische Forschung.Herr Kollege Dr. Diederich, Sie haben sich kritisch zur Förderung der Arbeit der Vertriebenenverbände geäußert. Die Mittel für diese Arbeit werden nach klaren Richtlinien vergeben. Die Einhaltung dieser Richtlinien wird überwacht. Aber die Bundesregierung lehnt es ausdrücklich ab, die Vergabe solcher Mittel vom Wohlverhalten einzelner Abgeordneter abhängig zu machen, sozusagen als Disziplinierungsmittel einzusetzen.
Das tut sie im übrigen auch nicht bei der Vergabe der Mittel an die Stiftungen der Parteien. Auch hier denken wir nicht daran, die Zuweisung dieser Mittel etwa von Äußerungen von Abgeordneten der SPD oder von Herrn Schierholz abhängig zu machen. Der Kollege Czaja mag Ihnen unbequem sein. Er ist ein untadeliger Demokrat, der für seine Überzeugungen eintritt.
Herr Kollege Diederich hat mit Recht Äußerungen des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz kritisiert. Ich habe mich wiederholt öffentlich gegen eine pauschale Diffamierung von Zuwanderern aus der DDR gewandt, und ich tue das hier erneut.
Auch in der abgeschwächten Form halte ich eine solche generalisierende Bemerkung für unvertretbar und herzlos.
Herr Kollege Hiller, Sie haben sich hier und an anderer Stelle zusammen mit anderen Kollegen öffentlich zur Elbegrenze geäußert. Die Elbegrenze ist Gegenstand von Verhandlungen mit der anderen Seite. Ich bitte Sie, uns diese Verhandlungen nicht dadurch zu erschweren, daß Sie sich laufend als Anwalt für SED-Positionen betätigen.
Der Fraktionsvorsitzende der SPD hielt es heute vormittag für notwendig, mich an die Rechtslage Berlins zu erinnern.
Bisher, Herr Kollege Vogel, bin ich allenfalls vonIhnen kritisiert worden, weil ich nicht bereit war,Rechtspositionen als Formelkram abzutun. DieseKritik war aber auch unnötig. Sie sollten sich doch, Herr Kollege Vogel, lieber um Ihre eigenen Kollegen kümmern, die immer unverhohlener Rechtspositionen des Grundgesetzes in Frage stellen.
— Herr Kollege Vogel, ich werde mich zu meinen Äußerungen hier erklären, und ich werde diese Äußerungen auch hier wiederholen. Sie brauchen also keine Sorge zu haben. Ich entziehe mich dieser Diskussion nicht. Ich habe auch keinen Anlaß dazu.Was gab Ihnen, Herr Kollege Vogel, denn Anlaß zu Ihren unbegründeten Vorwürfen? Am 18. November dieses Jahres um 6.45 Uhr gab ich dem Deutschlandfunk ein Interview zu aktuellen innerdeutschen Fragen.
Es ging vor allem um die leichtfertigen Äußerungen von Herrn Lafontaine zur deutschen Staatsangehörigkeit. Dazu führte ich dann u. a. wörtlich folgendes aus:Das Grundgesetz sagt völlig eindeutig, daß die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden darf, und wer damit spekuliert, ist ahnungslos oder opportunistisch. Es ist überhaupt in keiner Weise gesichert, daß damit volle Freizügigkeit erzielt würde; aber selbst wenn dies der Fall wäre, steht dies nicht zu unserer Disposition, das steht nicht zur Disposition von Herrn Lafontaine, nicht von Herrn Egert und auch nicht zur Disposition von Willy Brandt.Die Zwischenfrage des Interviewers, Herrn Schwarz, lautete:Egert hat gesagt, das wäre ein obsoleter Rechtstitel?Meine Antwort lautete:Ja, dann hat er keine Ahnung davon. Dieser Rechtstitel ist ausdrücklich im Grundgesetz festgehalten. Er ist durch das Bundesverfassungsgericht nachdrücklich bekräftigt worden. Und die Bundesregierung wird keinen Deutschen ausbürgern, das kommt für uns überhaupt nicht in Frage, und Sie wissen, daß dies j a auch weitreichende Folgen hätte, vor allen Dingen für Herrn Egert und für die Berliner; sie würden von heute auf morgen entweder staatenlos werden oder Bürger eines selbständigen West-Berlins. Das kann überhaupt nicht in Betracht kommen.
Zwischenfrage von Herrn Schwarz:Können Sie das ein bißchen weiter ausführen? Meine Antwort:Das ist sehr einfach. Wenn die Bundesrepublik Deutschland die gemeinsame deutsche Staatsbürgerschaft aufgeben würde, dann gäbe es also eine Staatsangehörigkeit für die DDR, eine
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13360 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Bundesminister WindelenStaatsangehörigkeit für die Bundesrepublik Deutschland, und da Berlin rechtlich und formal nicht zur Bundesrepublik gehört und nicht von ihr regiert wird,
wären sie entweder staatenlos oder sie hätten eine eigenständige West-Berliner Staatsangehörigkeit. Wer das will, soll das sagen!Ich stelle hier, Herr Kollege Vogel, klar und eindeutig fest:
Für uns ist Berlin ein Land der Bundesrepublik Deutschland, und das Grundgesetz gilt in und für Berlin, soweit nicht — —
— Herr Kollege Vogel, sonst regen Sie sich immer künstlich über laufende Störungen von Reden auf.
Dann lassen Sie doch das auch gegen sich gelten.
Sie setzen ständig hohe Maßstäbe für andere. Richten Sie sich ein wenig nach Ihren eigenen Maßstäben,
und üben Sie ein wenig Selbstzucht, und hören mir wenigstens zu!
Ich wiederhole, daß ich klar und eindeutig feststelle: Für uns ist Berlin ein Land der Bundesrepublik Deutschland, und das Grundgesetz gilt in und für Berlin, soweit nicht Anordnungen der Alliierten seine Anwendung beschränken. Das Bundesverfassungsgericht hat in den Leitsätzen seines Beschlusses vom 21. Mai 1957 über die Geltung des Grundgesetzes für Berlin folgendes erklärt:1. Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland.2. Das Grundgesetz gilt in und für Berlin, soweit nicht aus der Besatzungszeit stammende und noch heute aufrechterhaltene Maßnahmen der Drei Mächte seine Anwendung beschränken.3. Durch den Vorbehalt der Militärgouverneure bei der Genehmigung des Grundgesetzes ist ausgeschlossen, daß Bundesorgane unmittelbar Staatsgewalt in weiterem Sinne einschließlich Gerichtsbarkeit über Berlin ausüben, soweit die Drei Mächte dies nicht für einzelne Bereiche zugelassen haben.
— Herr Büchler, auch Sie können es wieder nicht erwarten.
Nur auf diesen Zusammenhang bezog sich mein Hinweis. Für jeden nicht böswilligen Beurteiler war dies im übrigen auch klar erkennbar.
Nein, Herr Vogel, Ihnen ging es nicht um Rechtspositionen Berlins. Sie wollten nur davon ablenken, daß sich immer mehr sozialdemokratische Politiker vom Grundgesetz entfernen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Vogel?
Nein, Herr Präsident, das ist mir nun nicht mehr zuzumuten.
Herr Kollege Vogel, wenn Sie mich genauso angehört hätten, wie ich Sie angehört habe, dann würde ich eine Zwischenfrage zulassen.
Ich sehe dazu jetzt aber keinen Anlaß mehr.
Herrn Vogel ging es nämlich gar nicht um die Rechtsposition Berlins.
Er wollte nur davon ablenken,
daß sich immer mehr sozialdemokratische Politiker vom Grundgesetz entfernen.
Herr Vogel, kümmern Sie sich doch lieber um Ihre Genossen im Frankfurter Kreis, die auf die staatliche Einheit verzichten wollen, obschon uns das Grundgesetz ausdrücklich aufgibt, die nationale und staatliche Einheit zu wahren.
Herr Vogel, rufen Sie doch lieber Herrn Lafontaine zur Ordnung, der wiederholt erklärte: Auf längere Sicht muß eine eigene DDR-Staatsbürgerschaft anerkannt werden. Vielleicht äußern Sie sich auch zu der Erklärung von Willy Brandt, der sagte, es handle sich hier um ein Scheinthema.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13361
Bundesminister WindelenWarum entrüsten Sie sich, Herr Vogel, nicht über die Erklärung des Berliner Landesvorsitzenden Egert, es handle sich bei der Staatsangehörigkeitsfrage um obsolete Rechtstitel, und zu den Positionen des ehemaligen Bürgermeisters Klose, der sich Herrn Egert angeschlossen hat?
Erst heute wieder fordert der Lafontaine-Zögling Peter Gillo,
Juso-Chef des Saarlandes, die volle Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft. Er fügte hinzu, das starre Festhalten an einem vollkommen irrealen Gebot der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten wirke schädlich auf den Entspannungsprozeß. Eine wirklich offene deutsche Frage stelle sich für die saarländischen Jungsozialisten als SPD- Nachwuchsorganisation nicht mehr.Hier, Herr Vogel, hätten Sie genug zu tun! Über die Haltung der Bundesregierung und des innerdeutschen Ministers brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Deren Haltung ist klar und eindeutig,
und die Berliner wissen das.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehmke?
Nein.
Ich mache darauf aufmerksam, daß wir schon zwei Minuten über der vereinbarten Zeit sind.
Ja, ich wollte zum Ende kommen, weil auch das rote Licht aufleuchtet.
Ich hätte an dieser Stelle gern noch etwas über die Zwischenbilanz unserer innerdeutschen Politik vorgetragen. Dazu bleibt mir nun keine Zeit mehr. Deswegen kann ich Sie nur noch bitten, dem Einzelplan 27 Ihre Zustimmung zu geben, damit die Bundesregierung ihre vernünftige und erfolgreiche Deutschlandpolitik fortsetzen kann.
Ich habe eine Wortmeldung des Abgeordneten Dr. Vogel vorliegen. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Schüler Reddemann, Sie sind auch kurz vor Mitternacht nicht zu brauchen, aber das ist keine Neuigkeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist Ihr selbstverständliches Recht, sich mit Äußerungen auseinanderzusetzen, die Ihnen kritikwürdig erscheinen. Von diesem Recht haben Sie, Herr Bundesminister, hier Gebrauch gemacht, und niemand wird Ihnen dieses Recht bestreiten.
Es ist die Aufgabe dieses Parlaments, und es ist die Aufgabe der einzelnen Abgeordneten, die Bundesregierung zu kontrollieren, und nachdem wir Ihren Haushalt erörtern und beraten, ist es unsere Aufgabe, Ihre Amtsführung zu kontrollieren.
Sie, Herr Bundesminister, haben zu der angegebenen Zeit wörtlich erklärt, Berlin gehöre rechtlich nicht zur Bundesrepublik. Ich fordere Sie auf, ohne lange Umschweife zu erklären, ob Sie an dieser Auffassung festhalten oder diese Auffassung als irrtümlich widerrufen.
Es ist nicht angängig, daß Sie diese klare Frage mit langen und umständlichen Erklärungen beantworten. Ich fordere Sie auf, für die Bundesregierung zu erklären, ob es die Meinung der Bundesregierung und Ihre Meinung ist, Berlin gehöre rechtlich nicht zur Bundesrepublik, oder ob Sie diese Auffassung als irrtümlich widerrufen.
Niemand in diesem Hause wird es Ihnen verübeln, wenn Sie sich bei einem Inverview in der Wortwahl vergreifen, aber es wird Ihnen nachdrücklich verübelt, wenn Sie nicht die Kraft aufbringen, einen solchen unglaublichen Satz klar und eindeutig zu widerrufen.
Das Wort hat der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe hier völlig klar und eindeutig festgestellt,
Herr Kollege Vogel: Für uns ist Berlin ein Land der Bundesrepublik Deutschland, und das Grundgesetz gilt in und für Berlin, soweit nicht Anordnungen der Alliierten seine Anwendung beschränken.
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13362 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985
Bundesminister Windelen— Sie können wieder nicht abwarten, bis ich zu Ende gesprochen habe!
Ich habe vorhin erklärt, daß sich meine Antwort an Herrn Schwarz ausdrücklich nur auf die Staatsangehörigkeit bezog.
Herr Kollege Vogel, dies wäre deutlicher zum Ausdruck gekommen — —
— Ja, dann lassen Sie mich doch endlich einmal ausreden! Ich versuche, das jetzt noch einmal zu sagen.
Dies wäre sicher noch eindeutiger zum Ausdruck gekommen, wenn ich in diesem frei formulierten Interview gesagt hätte, „wenn die Bundesrepublik Deutschland die gemeinsame deutsche Staatsbürgerschaft aufgeben würde, gäbe es dann eine Staatsangehörigkeit für die DDR, eine Staatsangehörigkeit für die Bundesrepublik Deutschland, und da Berlin" und hier hätte stehen müssen: „insoweit rechtlich und formal nicht zur Bundesrepublik gehört ..."
Das heißt, ich schränke meine Aussage ausdrücklich auf diese Position ein. Ich stehe nicht an, dies hier zu erklären,
daß eine Präzisierung durch „insoweit" Mißverständnisse hätte ausräumen können.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 27, und zwar zuerst über die Änderungsanträge des Abgeordneten Dr. Schierholz und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4320 bis 10/4322 und 10/4329.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4320 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4321 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch dieser Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4322 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist gegen eine Stimme abgelehnt.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4329 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Einzelplan 27. Wer dem Einzelplan 27 — Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.Nun bitte ich noch um einen Moment Geduld. Wir haben noch einige Abstimmungen.Ich rufe auf:Einzelplan 01Bundespräsident und Bundespräsidialamt— Drucksachen 10/4151, 10/4180 —Berichterstatter: Abgeordnete Deres SuhrWird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?— Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 01 — Bundespräsident und Bundespräsidialamt — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist gegen eine Stimme bei mehreren Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe auf:Einzelplan 02 Deutscher Bundestag— Drucksachen 10/4152, 10/4180, 10/4327 —Berichterstatter:Abgeordnete Echternach Frau Seiler-AlbringEstersKleinert
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?— Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 02 — Deutscher Bundestag — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist mit großer Mehrheit angenommen gegen eine Stimme bei einigen Enthaltungen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13363
Einzelplan 03 Bundesrat
— Drucksachen 10/4153, 10/4180 —
Berichterstatter:
Abgeordnete von Hammerstein Waltemathe
Dr. Müller
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 03 — Bundesrat — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung ist der Einzelplan angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 27. November 1985, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.