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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/176 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 176. Sitzung Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Ronneburger 13229 A Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1986 (Haushaltsgesetz 1986) — Drucksachen 10/3700, 10/4101 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksachen 10/4154, 10/4180 — Dr. Vogel SPD 13229 B Dr. Dregger CDU/CSU 13241A Schmidt (Hamburg-Neustadt) GRÜNE 13248 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 13252 D Dr. Kohl, Bundeskanzler 13259 D Schröder (Hannover) SPD 13269 B Mischnick FDP 13275A Rühe CDU/CSU 13278 C Vizepräsident Stücklen . . . . 13279A, 13282A Namentliche Abstimmung 13282 A Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksachen 10/4155, 10/4180 Voigt (Frankfurt) SPD 13284 A Dr. Stercken CDU/CSU 13287 C Frau Borgmann GRÜNE . . . . 13290A, 13307A Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 13292 B Genscher, Bundesminister AA 13294 D Gansel SPD 13299 D Dr. Rose CDU/CSU 13302 B Würtz SPD 13305 A Klein (München) CDU/CSU 13307 C Frau Huber SPD 13308 C Vizepräsident Stücklen 13286 A Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksachen 10/4164, 10/4180 — in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 10/4175 — Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) . 13311C Löher CDU/CSU 13312 B Frau Traupe SPD 13313 B Frau Seiler-Albring FDP 13316 C Lange GRÜNE 13318 D Dr. Friedmann CDU/CSU 13321 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 13324A Walther SPD 13325 A II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 Dr. Dregger CDU/CSU 13327 B Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 13328 B Jungmann SPD 13332 C Wimmer (Neuss) CDU/CSU 13334 C Namentliche Abstimmung 13335 D Ergebnis 13341 C Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksachen 10/4170, 10/4180 — Esters SPD 13336 B Borchert CDU/CSU 13337 D Volmer GRÜNE 13339 C Frau Seiler-Albring FDP 13343 A Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 13344 C Ströbele GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 13347 C Dr. Warnke, Bundesminister BMZ (Erklärung nach § 30 GO) 13348 B Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksachen 10/4170, 10/4180 — Dr. Diederich (Berlin) SPD 13348 D Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 13350 D Dr. Schierholz GRÜNE 13353 C Ronneburger FDP 13355 A Hiller (Lübeck) SPD 13357 B Windelen, Bundesminister BMB . . . 13358 D Dr. Vogel SPD 13361 C Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksachen 10/4151, 10/4180 — . . . 13362 C Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksachen 10/4152, 10/4180, 10/4327 — 13362 D Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksachen 10/4153, 10/4180 — . . 13363A Nächste Sitzung 13363 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 13364* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13229 176. Sitzung Bonn, den 26. November 1985 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 28. 11. Böhm (Melsungen) 26. 11. Bueb 29. 11. Büchner (Speyer) * 29. 11. Collet 29. 11. Egert 26. 11. Frau Eid 29. 11. Ertl 29. 11. Gallus 26. 11. Dr. Haack 27. 11. Höffkes 27. 11. Dr. Hupka 26. 11. Jäger (Wangen) * 29. 11. Jung (Düsseldorf) 26. 11. Junghans 29. 11. Kalisch 26. 11. Kastning 26. 11. Kittelmann * 29. 11. Klose 29. 11. Dr. Kreile 29. 11. Leonhart 29. 11. Lutz 26. 11. Michels 26. 11. Dr. Müller * 29. 11. Nagel 29. 11. Dr. Olderog 29. 11. Oostergetelo 26. 11. Petersen 26. 11. Rappe (Hildesheim) 26. 11. Frau Rönsch 26. 11. Rühe 28. 11. Schlaga 29. 11. Frau Schmidt (Nürnberg) 29. 11. Schmidt (Wattenscheid) 29. 11. Dr. Schwenk (Stade) 27. 11. Dr. Todenhöfer 29. 11. Voigt (Sonthofen) 26. 11. Frau Wagner 28. 11. Werner (Dierstorf) 29. 11. Frau Dr. Wex 29. 11. Zierer 29. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Dieter-Julius Cronenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt (Hamburg).

    (Feilcke [CDU/CSU]: Aber nicht Schmidt [Bergedorf]! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Schmidt (Hamburg-Neustadt) (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit keine Verwechselungen aufkommen: Schmidt (HamburgNeustadt) von den GRÜNEN, nicht Schmidt (Bergedorf).

    (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN — Hornung [CDU/CSU]: Nicht überheblich werden!)

    Die Probleme der Menschen hier unten auf der Erde haben momentan eine schlechte Konjunktur in den Medien. Hochkonjunktur haben derzeit die Themen, die sich weiter oben abspielen: auf dem Gipfel von Genf, die Deutschen im Weltraum und der Aufschwung mit Eureka und SDI.
    Über den Genfer Gipfel ist so phantasiereich geredet worden, so fundamental optimistisch, daß es schwerfällt, in diesem Fall Realpolitiker zu bleiben.

    (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

    Weil es nirgends so wichtig ist wie in der Rüstungspolitik, Realpolitiker zu bleiben, müssen wir auf die
    Ergebnisse von Genf in der Sache zurückkommen.
    Zur Sache gehört, daß sich in Genf zwei Männer getroffen haben, von denen jeder über 25 000 Atomraketen verfügt, mit denen er das jeweils andere Land, aber auch uns alle mehrfach auslöschen kann. Weil beide Seiten dies wissen, wissen sie auch, daß die Vernichtung des Gegners unweigerlich die eigene Vernichtung bedeutet.
    Die sogenannte Sicherheitspolitik beruht auf der absurden Vermutung, daß der Frieden um so siche-



    Schmidt (Hamburg-Neustadt)

    rer ist, je sicherer die Vernichtung beider Seiten wird. In dieser Situation nun sind die Amerikaner dabei, ein Raketenabwehrsystem aufzurichten, das es ihnen ermöglicht, der Vernichtung zu entgehen. Alle Experten sagen, daß der UdSSR in dieser Situation nichts anderes übrigbleibt, als ihrerseits aufzurüsten und so viele Raketen zu installieren, daß der Abwehrschirm nicht mehr alle schlucken kann.
    Worum es also in Genf ging, war der Versuch, eine Situation herzustellen, in der SDI nicht installiert wird und damit die nächste Aufrüstungsrunde verhindert werden kann. In dieser Hinsicht ist nichts, aber auch gar nichts in Genf erreicht worden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wenn alle Seiten von Erfolg sprechen, sollten Sie wenigstens darin übereinstimmen, was der Erfolg war. Herr Vogel, Sie haben heute morgen gesagt: Der Erfolg war,' daß über künftige Gespräche die Möglichkeit gegeben sei, daß Taten folgen. Sie meinten damit die Abschaffung von SDI.
    Dazu muß ich Ihnen sagen: Ich begrüße es, daß die SPD hier erklärt, sie ist gegen SDI. Dann verstehen wir es aber nicht, warum Ihre Mitglieder in der Nordatlantischen Versammlung nicht gegen SDI gestimmt haben, sondern sich vor wenigen Wochen in San Francisco der Stimmen enthalten haben.

    (Beifall des Abg. Lange [GRÜNE])

    Herr Dregger und die CDU sagen im Grund das genaue Gegenteil, warum Genf ein Erfolg gewesen sei. Sie sagen, es war ein Erfolg, daß über die Installierung von Pershing II die Sowjets an den Verhandlungstisch gezwungen wurden und daß die Forderung der Sowjetunion nach Aufgabe von SDI vom Tisch sei. Sie behaupten also, Herr Vogel, es sei ein Erfolg in Richtung Abrüstung. Herr Dregger sagt, es sei ein Erfolg in Richtung Aufrüstung.

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    Weil das so ist, halten wir daran fest, daß für die Friedensbewegung Genf ein Mißerfolg war.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Daß es so ist, belegen auch die Agenturmeldungen nach Genf. Da lesen wir z. B., daß der Chef der Forschung für SDI, ein General Abrahamson nach dem Gipfel geäußert hat, er erwarte jetzt die unmittelbare Anweisung von Präsident Reagan, noch „sehr viel schneller und effektiver" mit seinen Forschungen in Sachen SDI fortzufahren.
    Dieses Ergebnis deckt sich ja auch mit dem, was bei früheren Abrüstungsverhandlungen herausgekommen ist. Dabei ist jeweils nur das vereinbart worden, was technologisch überflüssig geworden war. 1963 wurde ein Stopp von Atomtests in der Atmosphäre vereinbart, in einer Zeit, als beide Supermächte dazu übergegangen waren, diese Tests unterirdisch fortzuführen. 1972 unterzeichneten Nixon und Breschnew den SALT-I-Vertrag, der die Zahl der Atomraketen begrenzte, weil beide Seiten dazu übergegangen waren, Mehrfachsprengköpfe zu installieren. 1974 wurde der ABM-Vertrag unterzeichnet, der absurderweise beiden Supermächten untersagte, sich mit dem System der Raketenabwehr zu schützen, ihnen aber freie Hand bei der Aufstellung von Angriffswaffen gab, was damals Priorität hatte.
    Zu den chemischen Waffen, Herr Dregger, ist zu sagen: Das älteste Dokument von Abrüstungsverhandlungen ist das Genfer Protokoll von 1925. Darin wird die Produktion chemischer Waffen verboten. Heute, 60 Jahre später, stellen wir fest: Noch nie hat es so viele chemische Waffen auf der Welt gegeben wie jetzt, und jetzt sind die Amerikaner dabei, neue Binärwaffen zu entwickeln. Das zeigt, daß Ihr Gerede, Herr Dregger, von der chemischen Abrüstung eben nur Gerede ist und nichts dabei herauskommen wird, wenn Sie in Moskau darüber Gespräche führen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die wesentliche Schlußfolgerung, die wir ziehen müssen, ist die, daß Abrüstungen deshalb unmöglich sind, weil die Politiker beider Seiten entschlossen sind, die Aufrüstung fortzusetzen,

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Quatsch!)

    und weil dies durch eine technologische Entwicklung diktiert wird, die in den großen Rüstungskonzernen vor allem im kapitalistischen Westen vorbereitet und vorangetrieben wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!)

    Weil das so ist, dürfen wir nicht nur, Herr Vogel, auf SDI starren und auf die Apokalypse, die von daher droht. Wir müssen auch angucken, was in Europa an einem neuen industriellen Komplex zusammenwächst, der dreierlei vereinigt: Hochtechnologie, Weltraum und Rüstungskonzerne.
    Eureka — sagen Sie — ist die friedliche Alternative zu SDI. Wir weisen darauf hin, daß Ihre eigenen Parteifreunde in Frankreich, die französischen Sozialisten, durchaus offen sagen, sie verfolgten mit Eureka, mit der europäischen Weltraumfahrt und mit der europäischen Verteidigungsinitiative u. a. auch ein europäisches Abwehrsystem im Weltraum wie SDI.

    (Hört! Hört! bei den GRÜNEN)

    Zuletzt hat das Präsident Mitterrand am Abend von Genf in einer Pressekonferenz so bekräftigt.
    Bei Eureka war zunächst das Bemerkenswerte, daß der Begriff erfunden war, lange bevor das Produkt feststand.

    (Mann [GRÜNE]: Das steht ja heute noch nicht fest!)

    Es war bemerkenswert, daß sofort alle Staatsmänner in Westeuropa sagten, Eureka sei eine hervorragende Idee, obwohl niemand wußte, was Eureka eigentlich ist. Die Beamten im Forschungsministerium haben wochenlang Überstunden machen müssen, um herauszufinden, was Eureka sein könnte. Das war also wirklich modernstes Management: zu-



    Schmidt (Hamburg-Neustadt)

    nächst einmal die Werbekampagne und dann die Suche nach dem Produkt.

    (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

    Seit Anfang November gibt es nun eine EurekaGrundsatzerklärung. Darin steht — ich zitiere:
    Ziel von Eureka ist, durch verstärkte Zusammenarbeit von Unternehmen und Forschungsinstituten auf dem Gebiet der Hochtechnologien die ... Wettbewerbsfähigkeit der Industrien ... Europas auf dem Weltmarkt zu steigern .. .
    Die dazu vorgesehenen Projekte — Computer, Roboter, Laser usw. — sind nicht neu. Sie erhalten jetzt nur das Gütesiegel „Eureka".
    Wichtiger aber ist der Beschluß — ich zitiere —,
    daß Eureka zu einer Beschleunigung der laufenden Bemühungen führen sollte, um ... gemeinsame Industrie-Normen auszuarbeiten; ... Handelshemmnisse ... zu beseitigen; das öffentliche Beschaffungswesen zu öffnen.
    In der Summe heißt das zweierlei: Die Forschungsförderungen für Großprojekte werden weiterhin aufgestockt; es gibt noch mehr Subventionen. Zweitens soll für bestimmte Industriezweige der westeuropäische Markt geöffnet werden. Hauptnutznießer sind die Elektronikkonzerne, die am Tropf staatlicher Aufträge hängen. Musterfall ist bei uns in der Bundesrepublik Siemens, das heute nicht nur der größte Hauptauftragnehmer bei der Bundespost ist; bei einer Gesamtauftragssumme von 15 Milliarden DM. Siemens ist auch der Hauptauftragnehmer bei den militärischen Beschaffungen der Bundeswehr in derselben Größenordnung.

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    Wenn jetzt die europäischen Märkte für Siemens, SEL, AEG, Philips usw. geöffnet werden, dann hat das das Ziel, in Westeuropa Konzerne zu schaffen, die über einen Markt vergleichbar dem amerikanischen verfügen. Damit sollen also Superkonzerne gebildet werden, die auch hinsichtlich Forschung und Rüstung den amerikanischen gleichrangig sind.
    Dabei ist richtig, daß Eureka kein erklärtes Militärprogramm ist. Es orientiert sich aber an denselben Großtechnologien, und es wendet sich an die Konzerne, die nicht zufällig Weltraumtechnik, Großtechnologien allgemein und Rüstung unter einem Dach verbinden. Insgesamt werden hier also die industriellen Grundlagen dafür geschaffen, daß es Westeuropa möglich wird, in den 90er Jahren mit SDI gleichzuziehen und dieselbe Aufrüstungspolitik zu betreiben, die die USA heute planen.
    Nun hören wir immer wieder, daß die Förderung von Hochtechnologien die einzige Möglichkeit sei, die Wirtschaft in Schwung zu bringen und die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Halten wir deshalb zunächst fest, daß die beiden Staaten, die am meisten für Hochtechnologien an Milliarden ausgeben, die USA und Frankreich — die USA betreiben heute zu über 50% ihrer Forschungspolitik im militärischen Bereich —, in der industriellen Massenfertigung immer mehr zurückfallen und absolut zweitrangig werden.
    Zweitens, Bei der Frage nach dem wirtschaftlichen Nutzen ist es interessant, zu lesen und zu hören, wie der Nutzen der Weltraumfahrt ist. Wenige Tage nach dem ersten deutschen Raumfahrtunternehmen D 1 fand im Ausschuß für Forschung und Technologie eine Anhörung mit Experten dazu statt. Da wurde erstens gesagt, daß wir den Astronauten dafür danken, daß sie heil wieder auf die Erde gekommen sind. Dem kann man sich so weit anschließen. Denn das ist wahrlich ein erfreulicheres Ergebnis modernster Verkehrspolitik als das, was wir Woche für Woche auf deutschen Autobahnen erleben.

    (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

    Das erlaubt einen Schlenker zur Problematik des Tempolimits.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    — Ja, das ist ein wichtiger Schlenker. Es ist ein Wahnsinn, darüber froh zu sein, daß ein halbes Dutzend Astronauten heil zurückgekehrt sind und dieses Problem verkehrspolitisch gelöst ist, zugleich aber die totale Unfähigkeit besteht, die Probleme des Massenverkehrs auf der Erde zu lösen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Dazu ist das Tempolimit eine wichtige und notwendige Maßnahme. Wenn es nur dazu käme, daß über das Tempolimit erreicht würde, daß von den vielen Tausenden von Verkehrstoten im Jahr einige wenige gerettet würden, dann wäre das allein schon eine tausendfache Begründung für die Berechtigung von Tempo 100 auf den Autobahnen und von Tempo 80 auf den Landstraßen. Aber es geht auch darum, die ökologischen Schäden über ein Tempolimit zu reduzieren. Was da zur Auswertung des Großversuchs von Regierungsseite gesagt wurde, ist wirklich hanebüchen. Herr Zimmermann hatte die Stirn, zu sagen: erstens bringt das Tempolimit nichts in Sachen Schadensminderung, und

    (Zuruf von den GRÜNEN: Verdummung!)

    zweitens wird es nicht befolgt. Herr Zimmermann, umgekehrt wird ein Schuh draus. Wenn das Tempolimit flächendeckend eingeführt wird und die Regierung dafür sorgt, daß es befolgt wird, dann ist es auch möglich, die Schadensminderung in einem Umfang zu betreiben, daß der Wald wenigstens eine Chance hat weiterzuleben.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Zurück zur D-1-Mission und zum wirtschaftlichen Nutzen der Weltraumfahrt. Wir haben in der Anhörung im Ausschuß gehört, daß die bisherige Bilanz so aussieht, daß 13 Jahre Weltraumförderung mit 10 Milliarden DM Aufwand betrieben worden ist, und wir haben gehört, über diese Politik sind gerade mal ein paar tausend Arbeitsplätze gesichert worden. Das ist dieselbe Politik wie bei der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, wo ebenfalls 10 Milliarden DM investiert werden und, wie wir hörten, 1 600 Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir wollen über einen wirtschaftlichen Nutzen



    Schmidt (Hamburg-Neustadt)

    der Weltraumfahrt nicht streiten, nämlich darüber, daß es möglich ist, Geschäfte zu machen über die Vermietung von Wetter- und Fernsehsatelliten. Dafür haben wir dann zwar kein besseres Wetter, können aber jeden Abend im Fernsehen über Weltraumfotos sehen, warum es schlecht ist, und können uns anschließend im privaten Fernsehen aus dem Weltraum ansehen, was die Werbung an neuen Dummheiten zu bieten hat. Das Ganze, wie gesagt, mit 10 Milliarden DM Aufwand.
    Wie sieht es mit dem künftigen wirtschaftlichen Nutzen der Weltraumfahrt aus? Dazu will ich zitieren, was ein führender Unternehmensberater bei der Anhörung in Sachen High Tech geäußert hat:
    Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Weltraumtechnik und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit ist offensichtlich viel geringer als dargestellt. Die Computerentwicklung erfolgt inzwischen unabhängig von der Entwicklung der Weltraumfahrt.
    Und ein Technologietransfer aus der Weltraumtechnik in die allgemeine Wirtschaft sei ganz offensichtlich schwer zu beweisen. — Und abschließend kritisiert er:
    Hier werden Großprojekte in Angriff genommen, ohne daß ihr gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Nutzen geklärt ist.
    Das sagt, wohlgemerkt, kein grüner Industriefeind, das sagt ein Mann, der sein Geld damit verdient, der Industrie Tips zu geben, mit welchen neuen Technologien sie Gewinne machen kann.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Von dem möchte ich keinen Tip haben!)

    Und dieser Mann sagt: Raumfahrt ist wirtschaftlich uninteressant, und ein Technologietransfer findet nicht statt.
    Die Erklärung, warum das so ist, ist sehr einfach. Weltraumtechnologien haben nämlich die Eigenschaft, daß sie nur im Weltraum selbst von Nutzen sind, nur für die Weltraumindustrie, aber keinen Nutzen im Hinblick auf die Probleme bringen, die uns auf der Welt bedrücken.

    (Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Auch das stimmt überhaupt nicht, Herr Schmidt!)

    — Dies stimmt absolut; denn das ist bei der Anhörung von Experten, die wirklich kein Interesse daran haben, die Bundesregierung von links zu kritisieren, so betont worden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nichts ist absolut!)

    Es lohnt sich zweifellos für die paar Raumfahrtunternehmen, die die Millionen-Aufträge bekommen. Dem hat auch entsprochen, daß die Regierung nichts Besseres wußte, als die Vertreter von MBB, von SEL, von MAN, von der AEG, von Dornier usw. als Gutachter zu dem Hearing einzuladen. Die haben natürlich Stein und Bein geschworen, daß Weltraumfahrt ein absolut lohnendes Geschäft sei. Dabei haben sie auch nicht gelogen. Für sie ist es ein Geschäft.

    (Heiterkeit bei den GRÜNEN) Nur, nach derselben Methode könnte man zur Klärung der Frage, ob denn Parteispenden eine gesellschaftlich nützliche Sache seien, die Herren Flick und Brauchitsch und die Herren Lambsdorff und Friderichs einladen. Natürlich würden auch die beeiden, daß Parteispenden, die sie einkassieren, eine gesellschaftlich nützliche Sache sind. Da würden sie nicht einmal Falschaussagen machen müssen.


    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie finanzieren sich zu 70 % aus Steuergeldern! — Gegenruf von den GRÜNEN: 50 %! — Zuruf von der CDU/ CSU: Das sind 50 % zuviel!)

    Zweitens müssen wir erkennen, daß jede Art von Weltraumforschung im Zusammenhang mit bemannter Weltraumfahrt einen sehr präzisen militärischen Nutzen hat; denn die Produkte, die auf der Erde nicht gebraucht werden, werden benötigt, um eben solche militärischen Systeme wie SDI, wie die Raketenabwehr im Weltraum, aufzubauen.
    Wer also sagt: Weltraumrüstung, klar, dafür sind wir, sie darf aber nur nicht zu militärischen Zwecken mißbraucht werden, der ist ungefähr so logisch wie jemand, der sagt: Für die Zigarettenindustrie, klar, da sind wir, die Zigaretten dürfen nur nicht zum Rauchen mißbraucht werden.
    Das Weltraumabenteuer wird heute auch ideologisch mißbraucht. Ich habe von den vielen Berichten über das D-1-Abenteuer den am schönsten gefunden, der in der „Quick" stand. In der „Quick" waren zwei große Reportagen. In der ersten Reportage wurden die tüchtigen deutschen Astronauten im Weltraum gefeiert, und Franz Josef Strauß wurde mit den Worten zitiert - ich zitiere meinerseits —:
    Die bescheidenen öffentlichen Mittel für den deutschen Raumflug — er sprach von 400 Millionen DM — zahlen sich für unsere Industrie um ein Vielfaches aus. Das ist ein riesiger Erfolg für die Menschheit auf dem Weg nach oben in eine bessere Zukunft.
    In der zweiten Reportage stellt die „Quick" dar, was hier unten auf der Erde den Weg nach oben behindert — ich zitiere wiederum —:
    Rund 2,15 Millionen Arbeitslose gibt es heute in der Bundesrepublik. Fragen Sie nicht auch manchmal, wie viele davon Drückeberger sind?
    In dieser Serie über Mißstände bringt „Quick" alarmierendes Material über falsche Arbeitslose und Drückeberger.
    Das ist eine Stimmungsmache, die sich nahtlos in die Regierungspolitik einfügt. Denn auch in der Regierungspolitik wird in diesem Jahr wieder Jagd auf sogenannte Drückeberger gemacht. Mit der Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes sind ehemalige Lehrlinge herabgestuft worden, erhalten Erwerbslose Arbeitslosenhilfe nur noch nach der Arbeitsmarktlage, nicht mehr nach der Qualifikation, und neuerdings beginnt die Regierung auch in die Privatverhältnisse hineinzuschnüffeln, indem sie



    Schmidt (Hamburg-Neustadt)

    untersuchen läßt, wo Leute, die zusammen wohnen, eine eheähnliche Beziehung haben, um dann deren Arbeitslosenhilfe zu kürzen, wenn sich herausstellt, daß ein eheähnliches Verhältnis besteht. Das ist bemerkenswert, weil hier die Regierung erstmalig die Gleichstellung von normalen Partnerschaften mit Ehen praktiziert, aber natürlich nur, um ihren Sozialabbau besser fortsetzen zu können.

    (Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Quatsch!)

    Die schlimmste sozialpolitische Maßnahme, die die Regierung plant, ist die Änderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes, zu der Herr Dregger heute bemerkenswerterweise nichts gesagt hat. Wir sagen dazu: Es ist eine schamlose Lüge zu behaupten, daß die Änderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes deshalb geplant wird, weil die Streiks der Metaller im letzten Jahr dieses notwendig machen. Wir haben letzte Woche gelesen, daß die Metallindustrie in diesem Jahr wie die Teufel investiert, daß sie 200 000 Neueinstellungen vorgenommen und daß sie Erweiterungsinvestitionen in jeder Höhe gemacht hat. Das ist nur ein Beleg dafür, daß die 38,5-Stunden-Woche für die Metallindustrie ein großes Geschäft gewesen ist,
    Worum es bei der Änderung des § 116 in Wirklichkeit geht, ist, die Streikfähigkeit in den Großbetrieben einzuschränken und abzuschaffen.

    (Vogel [München] [GRÜNE]: Richtig!)

    Denn dort werden in aller Regel die Schwerpunktstreiks begonnen und durchgeführt. Wenn dort aber gestreikt wird und den Arbeitgebern erlaubt wird, die Arbeitnehmer der Zuliefer- und Abnehmerbetriebe auszusperren, und der Bundesanstalt verboten wird, Kurzarbeitergeld zu zahlen, dann ist kein Schwerpunktstreik mehr durchhaltbar. Wenn damit die Großbetriebe für Tarifkämpfe neutralisiert werden, dann bricht die ganze tarifpolitische Solidargemeinschaft der Arbeitnehmer und des DGB auseinander. Dann ist die Politik möglich, die Herr Bangemann hier seit Monaten propagiert. Dann ist es möglich, die unteren Lohngruppen weiter nach unten zu „flexibilisieren" und die Löhne in den strukturschwachen Branchen nach unten zu bringen.
    Deswegen sagen die GRÜNEN: Erstens. Wir lehnen jede Änderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes entschieden ab.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Zweitens. Wer Aufklärung dafür benötigt, wohin die Änderung des § 116 führen wird, der soll sich angukken, was in den USA los ist. Dort stehen Woche für Woche vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer vor den Fürsorgestellen in Schlangen, um sich Lebensmittelzuteilungen abzuholen, weil der Lohn so niedrig ist, daß sie allein davon nicht leben können. Sollte die CDU diesen Paragraphen ändern, sagen wir schon jetzt voraus: Wir werden im Wahlkampf gerade die Arbeitnehmer darauf aufmerksam machen, daß sich jeder, der überlegt, CDU/CSU oder FDP zu wählen, vorher ansehen sollte, was in den USA heute vor den Fürsorgeämtern los ist: 35 Millionen Arbeitnehmer, die ganztags arbeiten, müssen trotzdem von der Sozialfürsorge leben.
    Um zu begreifen, worum es geht, muß man sich anhören, was die Kriegsberichterstatter der Arbeitgeberseite zur Änderung des § 116 schreiben. Ich zitiere einen Herrn Mundorf, der im „Handelsblatt" vor wenigen Tagen über Schwerpunktstreiks geschrieben hat:
    In diesen Stellvertreter-Kriegen gibt es keine Neutralen. Auch die Arbeitnehmer, die streikbedingt in anderen Tarifgebieten kurzarbeiten müssen, sind Kombattanten, sind sie doch auch am Kriegsgewinn beteiligt.
    Genau darum geht es aber der Regierung: das Tarifrecht in ein Kriegsrecht umzuwandeln, damit die Arbeitnehmer dann geschlagen werden können.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU: Eine unglaubliche Formulierung! — So ein Mist! — Wüste Hetze ist das!)

    Ich habe eingangs gesagt: Das, was momentan in der Öffentlichkeit diskutiert wird, ist sehr nach oben gerichtet, blickt in die Sterne und vernachlässigt die Probleme hier unten. Es gibt neben der Bejahung der NATO und der Marktwirtschaft, in der alle sich einig sind, eine neue einheitliche Staatsideologie, und das ist die Bejahung der Hochtechnologie.


Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Abgeordneter Schmidt (Hamburg-Neustadt), ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie Ihre Redezeit schon deutlich überschritten haben.
Schmidt (Hamburg-Neustadt) (GRÜNE): Gestatten Sie mir trotzdem eine Schlußbemerkung, Herr Präsident.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Es wird auch immer schlechter! Er sollte aufhören!)

Die GRÜNEN werden auch in dieser Haushaltsdebatte die schwierige Aufgabe übernehmen, zu sagen, daß nur eine Absage an Hochtechnologien die Probleme lösen hilft, um die es uns GRÜNEN geht: die Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit und die Bekämpfung der Naturzerstörung.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dieter-Julius Cronenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.