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ID1017600200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/176 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 176. Sitzung Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Ronneburger 13229 A Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1986 (Haushaltsgesetz 1986) — Drucksachen 10/3700, 10/4101 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksachen 10/4154, 10/4180 — Dr. Vogel SPD 13229 B Dr. Dregger CDU/CSU 13241A Schmidt (Hamburg-Neustadt) GRÜNE 13248 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 13252 D Dr. Kohl, Bundeskanzler 13259 D Schröder (Hannover) SPD 13269 B Mischnick FDP 13275A Rühe CDU/CSU 13278 C Vizepräsident Stücklen . . . . 13279A, 13282A Namentliche Abstimmung 13282 A Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksachen 10/4155, 10/4180 Voigt (Frankfurt) SPD 13284 A Dr. Stercken CDU/CSU 13287 C Frau Borgmann GRÜNE . . . . 13290A, 13307A Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 13292 B Genscher, Bundesminister AA 13294 D Gansel SPD 13299 D Dr. Rose CDU/CSU 13302 B Würtz SPD 13305 A Klein (München) CDU/CSU 13307 C Frau Huber SPD 13308 C Vizepräsident Stücklen 13286 A Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksachen 10/4164, 10/4180 — in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 10/4175 — Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) . 13311C Löher CDU/CSU 13312 B Frau Traupe SPD 13313 B Frau Seiler-Albring FDP 13316 C Lange GRÜNE 13318 D Dr. Friedmann CDU/CSU 13321 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 13324A Walther SPD 13325 A II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 Dr. Dregger CDU/CSU 13327 B Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 13328 B Jungmann SPD 13332 C Wimmer (Neuss) CDU/CSU 13334 C Namentliche Abstimmung 13335 D Ergebnis 13341 C Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksachen 10/4170, 10/4180 — Esters SPD 13336 B Borchert CDU/CSU 13337 D Volmer GRÜNE 13339 C Frau Seiler-Albring FDP 13343 A Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 13344 C Ströbele GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 13347 C Dr. Warnke, Bundesminister BMZ (Erklärung nach § 30 GO) 13348 B Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksachen 10/4170, 10/4180 — Dr. Diederich (Berlin) SPD 13348 D Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 13350 D Dr. Schierholz GRÜNE 13353 C Ronneburger FDP 13355 A Hiller (Lübeck) SPD 13357 B Windelen, Bundesminister BMB . . . 13358 D Dr. Vogel SPD 13361 C Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksachen 10/4151, 10/4180 — . . . 13362 C Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksachen 10/4152, 10/4180, 10/4327 — 13362 D Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksachen 10/4153, 10/4180 — . . 13363A Nächste Sitzung 13363 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 13364* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1985 13229 176. Sitzung Bonn, den 26. November 1985 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 28. 11. Böhm (Melsungen) 26. 11. Bueb 29. 11. Büchner (Speyer) * 29. 11. Collet 29. 11. Egert 26. 11. Frau Eid 29. 11. Ertl 29. 11. Gallus 26. 11. Dr. Haack 27. 11. Höffkes 27. 11. Dr. Hupka 26. 11. Jäger (Wangen) * 29. 11. Jung (Düsseldorf) 26. 11. Junghans 29. 11. Kalisch 26. 11. Kastning 26. 11. Kittelmann * 29. 11. Klose 29. 11. Dr. Kreile 29. 11. Leonhart 29. 11. Lutz 26. 11. Michels 26. 11. Dr. Müller * 29. 11. Nagel 29. 11. Dr. Olderog 29. 11. Oostergetelo 26. 11. Petersen 26. 11. Rappe (Hildesheim) 26. 11. Frau Rönsch 26. 11. Rühe 28. 11. Schlaga 29. 11. Frau Schmidt (Nürnberg) 29. 11. Schmidt (Wattenscheid) 29. 11. Dr. Schwenk (Stade) 27. 11. Dr. Todenhöfer 29. 11. Voigt (Sonthofen) 26. 11. Frau Wagner 28. 11. Werner (Dierstorf) 29. 11. Frau Dr. Wex 29. 11. Zierer 29. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Darstellung der unterschiedlichen Auffassungen von Regierung und Opposition in Einzelfragen gibt es im Laufe des parlamentarischen Jahres viele Gelegenheiten. Die zweite Lesung des Einzelplanes 04, also des Einzelplans des Bundeskanzleramtes, bietet hingegen nach gutem parlamentarischen Brauch Anlaß, eine umfassende Zwischenbilanz der Regierungspolitik zu ziehen und dieser Politik die umfassenden Alternativen der Opposition gegenüberzustellen. Unser Volk erwartet, insbesondere die Jüngeren in unserem Volk erwarten, daß dies in einer deutlichen, aber fairen Auseinandersetzung geschieht,

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    in einer Diskussion, die sich auf Fakten stützt, die Argument gegen Argument setzt, die nichts beschönigt und nichts verschweigt, die aber dem Gegner seine Würde läßt, die den Gegner überzeugen, nicht aber ihn ausgrenzen oder ihn gar vernichten will.

    (Beifall bei der SPD)

    Dieser Erwartung widerspricht es — lassen Sie mich das mit Ernst sagen —, daß Sie, Herr Bundeskanzler, in letzter Zeit immer häufiger versuchen, tote Sozialdemokraten gegen deren eigene Partei auszuspielen.

    (Lachen und Widerspruch bei der CDU/ CSU)

    Manche von denen, auf die Sie sich berufen, meine Damen und Herren, würden sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen, wenn sie wüßten, wofür sie da von Ihnen in Anspruch genommen werden,

    (Beifall bei der SPD)

    Friedrich Ebert zum Beispiel, den Weimarer Exponenten von Auffassungen, die leider auch noch heute in Ihrem Lager zu finden sind, mit dem Vorwurf, ein Verzichtspolitiker, ja ein Landesverräter zu sein, förmlich zu Tode gehetzt haben.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ist das die neue Sachlichkeit von Ihnen? — Seiters [CDU/CSU]: „Fair und sachlich"! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir wollen Ihnen auf dieses Feld nicht folgen. Wir wollen uns der Sache zuwenden,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Machen Sie einmal!)




    Dr. Vogel
    wir wollen die wirklichen Fragen stellen.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Dann mal los!)

    Und deshalb fragen wir: Welche Fakten und welche Entwicklungen kennzeichnen die gegenwärtige Situation unseres Volkes? Wir fragen: Gibt es Übereinstimmungen in der Beurteilung unserer Situation? Wo liegen die Gegensätze? Wo haben wir als Bundesrepublik Spielräume für die eigene Gestaltung? Wo sind wir von Faktoren abhängig, die sich unserem Einfluß entziehen? Und wir fragen schließlich: Welches sind die großen Themen unserer Zeit, die Themen, an denen sich die geistige Führung und die geistige Orientierung bewähren müssen? Wo sind die Themen, um die zu ringen sich wirklich lohnt?
    Ich stelle zwei große Themen an den Anfang, weil konkrete Entscheidungen, die wir zu treffen haben, in einem engen Zusammenhang mit diesen Themen stehen.
    Hans Jonas, ein eher konservativer Gelehrter, den manche für einen der scharfsinnigsten Philosophen der Gegenwart halten, hat das zentrale Thema unserer Epoche in einem Satz zusammengefaßt, in dem Satz:
    Die Macht der Menschen, etwas zu tun und in Raum und Zeit hineinzuwirken, ist in gewaltiger, ja in erschreckender Weise über ihre Fähigkeiten und ihre Bereitschaft hinausgewachsen, Entwicklungen vorherzusehen, die möglichen Folgen unserer Handlungen im voraus zu werten und die immer rascher wechselnden Zusammenhänge zu beurteilen.
    Dieser Satz findet eine immer breitere Zustimmung. Aber auch die, die ihn bezweifeln, können drei Fakten nicht bestreiten: Ob es uns gefällt oder nicht, es ist eine Tatsache, daß unserer Generation erstmals in der Menschheitsgeschichte eine Fähigkeit zugewachsen ist, die vor ihr keine andere Generation seit Anbeginn der Menschheit besaß, die furchtbare Fähigkeit nämlich, das Leben auf unserem Planeten auszurotten und der Menschheit selbst ein Ende zu setzen.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Ganz neuer Gedanke!)

    Es ist eine Tatsache, daß sich der Mensch erstmals in unserer Generation zum Herrn der natürlichen Evolution aufgeschwungen hat, daß er vom Objekt zum Subjekt der Evolution wurde, daß die Verantwortung für die Existenz und die Entwicklung der Erde in seine Hand, in die Hand des Menschen, übergegangen ist. Und es ist eine Tatsache, daß die Welt niemals schneller geschrumpft, daß die gegenseitige Verflechtung und damit auch die gegenseitige Abhängigkeit der Völker und Kontinente niemals rascher vorangeschritten ist als in unserer Zeit.
    Daraus folgt — und ich halte es für denkbar, daß wir uns darüber verständigen —: Unsere Verantwortung ist im Vergleich zu früheren Generationen in einem ungeheuren Maß gewachsen: gegenüber der Natur, gegenüber der gegenwärtigen Menschheit insgesamt und vor allem gegenüber den künftigen Generationen. Denn was wir in Gang setzen, was wir geschehen lassen, was wir tun, reicht mit seinen Folgen und Wirkungen viel tiefer und viel weiter, als das Tun und Lassen früherer Generationen, und es ist, wenn überhaupt, viel schwerer umkehrbar oder rückholbar oder korrigierbar.
    Ist das so — und es ist so —, dann müssen wir viel mehr Kraft als bisher darauf verwenden, daß wir diese Verantwortung erkennen und konkrete Maßstäbe für ihre Wahrnehmung entwickeln. Es geht um die Entwicklung einer Zukunftsethik, die die humanen Grenzen des technisch Machbaren deutlich werden läßt und die uns dort die Kraft zum bewußten Verzicht gibt, wo die sich selbst überlassene Entwicklung sonst die Substanz eines menschenwürdigen Daseins in Frage stellen würde.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer sich — wie wir — derart zum Herrn der Natur aufschwingt, daß er die natürlichen Schutz- und Regenerationsmechanismen außer Wirksamkeit setzt, der muß selber neue, vom Menschengeist getragene Schutz- und Regenerationsmechanismen schaffen.
    Manche, gerade in Ihren Reihen, verspotten solche Gedankengänge als Askese oder diskreditieren sie als Kulturpessimismus. Das ist abwegig. In Wahrheit sind diese Gedankengänge Ausdruck der Zuversicht, nicht eines glatten und oberflächlichen Zweckoptimismus, sondern einer von Hoffnung getragenen ernsthaften Zuversicht.

    (Beifall bei der SPD)

    Denn diesen Gedankengängen liegt die Überzeugung zugrunde, daß es Wege aus der Gefahr gibt, daß die Gefahr gebannt, daß das Unheil abgewendet, daß der Frieden gesichert, die Freiheit ausgebreitet, die Gerechtigkeit gestärkt und die Menschenwürde als oberster Wert, auch angesichts der gegenwärtigen und absehbaren technologischen Entwicklung, gewahrt werden kann, wenn wir uns nur über die Gefahren Klarheit verschaffen und ihnen tätig entgegenwirken.
    Für Sozialdemokraten sind diese Einsichten nicht neu. Wir haben den technischen Fortschritt stets bejaht, aber wir wußten und wissen, daß die kapitalistische Nutzung der Technologie nicht dem Selbstlauf überlassen bleiben kann, sondern der sozialen Kontrolle und der sozialen Korrektur durch die Betroffenen bedarf,

    (Beifall bei der SPD)

    wenn sie nicht zerstörerische Wirkungen entfalten soll.
    Wir haben gelernt, daß auch ökologische und humane Eingrenzungen und Korrekturen dieser Entwicklung notwendig sind.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Wie bei der Neuen Heimat! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Wir teilen — ungeachtet Ihrer dümmlichen, Sie selbst charakterisierenden Zwischenrufe —

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Vogel
    diese Einsichten mit einer wachsenden Zahl gesellschaftlicher Kräfte, mit den Kirchen beispielsweise, mit den Gewerkschaften, mit wichtigen Teilen der Wissenschaft, mit nicht wenigen in den neuen Bewegungen. Wir teilen sie aber auch mit den Klügeren, den Nachdenklicheren

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gibt es das?)

    unter den Konservativen. Wir teilen diese Einsichten mit all denen, die fragen, ob unser gegenwärtiges System wirklich mehr auf die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse als auf die Instrumentalisierung dieser Bedürfnisse zum Zwecke der Gewinnmaximierung angelegt sei, mit denen, die fragen, ob die Bedürfnisse das Ziel oder ob sie nur Instrument und Mittel zum Zweck seien,

    (Beifall bei der SPD)

    mit denen, die fragen, ob eine Ordnung wirklich von Dauer sein könne, die nicht den Kreislauf, sondern das unendliche und unbegrenzte Wachstum zu ihrer Grundvoraussetzung erklärt.
    Die Diskussion darüber ist doch außerhalb dieses Saales längst im Gang. Warum geben wir dieser Diskussion nicht auch im Plenum des Deutschen Bundestags breiteren Raum? Die beiden EnqueteKommissionen „Technologiefolgenabschätzung" und „Chancen und Risiken der Gentechnologie", auf die wir uns verständigt haben, sind immerhin ein erster Ansatz.
    Meine Damen und Herren, es ist viel vom Grundkonsens der Demokraten die Rede, oft auch in Angelegenheiten, die eher nebensächlich sind. Hier, in den Grundfragen, in den Überlebensfragen, müßte dieser Konsens der Demokraten wirklich gesucht werden. Wir sind dazu bereit.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir halten diesen Konsens für möglich. Wir sollten uns gemeinsam um diesen Grundkonsens in diesen Fragen bemühen.
    Ein anderes großes Thema ist das unserer Geschichte und unserer nationalen Identität. Im schrillen Lärm der täglichen Erklärungen könnte es scheinen, als ob hier gravierende Gegensätze bestünden. Dem ist nicht so. Eine breite Mehrheit unseres Volkes findet sich in dem zusammen, was der Herr Bundespräsident dazu am 8. Mai 1985 von dieser Stelle aus und am 8. Juni 1985 vor dem Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf gesagt hat. Unser Volk findet sich in seiner breiten Mehrheit wieder in Sätzen wie diesen:
    Wir Deutschen sind ein Volk und eine Nation. Wir fühlen uns zusammengehörig, weil wir dieselbe Geschichte durchlebt haben ... Wir fühlen uns zusammengehörig in unserem Willen zum Frieden.
    Oder, so gesagt in Düsseldorf vor dem Evangelischen Kirchentag:
    Wir sind mitverantwortlich, unserem Deutschsein einen Inhalt zu geben, mit dem wir uns und unseren Nachbarn verständlich sind und in dem wir uns selbst zu Hause fühlen, unserem
    Nachbarn erträglich und willkommen sind und vor unseren Nachkommen bestehen können.
    Oder ein Kernsatz der Rede, aus der ich zitiere:
    Die Substanz — des Themas der Einheit — sind nicht wie früher nationale Grenz- und Gebietsfragen. Es geht nicht darum, Grenzen zu verschieben, sondern Grenzen den trennenden Charakter für die Menschen (beiderseits der Grenzen) zu nehmen.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Ronneburger [FDP])

    Wenn man von einer Handvoll Rechtskonservativer, deren Einfluß leider weit größer ist als ihre Zahl in Ihren Reihen, und einem Teil der GRÜNEN absieht, dann existiert darüber ein breiter Konsens.
    Auf dieser Grundlage und der Grundlage der von mir erwähnten Reden des Bundespräsidenten müßte nach einer breiten öffentlichen Diskussion auch ein Konsens über die Konzepte eines nationalen Mahnmals, eines Museums der deutschen Geschichte in Berlin und eines Hauses der Geschichte in Bonn möglich sein, ein Konsens über Konzepte, die dann unter der Obhut des Bundespräsidenten von allen Verfassungsorganen gemeinsam getragen werden.

    (Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Sehr wahr!)

    Nichts wäre schlimmer, meine Damen und Herren, als wenn die Exekutive versuchen wollte, sich dieser Projekte unter Aspekten der gegenwärtigen Koalitionsmehrheiten zu bemächtigen oder gar vollendete Tatsachen zu schaffen,

    (Beifall bei der SPD)

    etwa durch Festlegung auf bestimmte Geschichtsinterpretationen oder durch personelle Vorentscheidungen. Auch hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, gilt: Unsere Geschichte und unsere nationalen Symbole gehören nicht der Regierung und erst recht nicht einer Partei, sie gehören dem ganzen Volk ohne Ausnahme.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Erinnerung an den zerstörerischen Flaggenstreit der Weimarer Republik, an den Streit zwischen schwarz-rot-gold und schwarz-weiß-rot sollte uns Mahnung sein.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Vor dem Hintergrund solcher Fragen geht es uns unverändert um die Sicherung des Friedens, um die Überwindung der Arbeitslosigkeit, um den sozialen Frieden und um den Schutz und die Wiederherstellung unserer Umwelt.
    Die beiden mächtigsten Männer der Welt, Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow, haben sich vor knapp einer Woche in Genf getroffen. Das Ergebnis ihrer Gespräche ist ermutigend, und die Bereitschaft, diese Gespräche fortzusetzen, ist für sich allein schon ein Erfolg.

    (Widerspruch bei den GRÜNEN)




    Dr. Vogel
    Der von uns entwickelte

    (Zurufe von der CDU/CSU und den GRÜNEN)

    und von Ihnen, meine Damen und Herren, immer wieder bekämpfte Gedanke, daß Sicherheit, daß das Überleben nur durch partnerschaftliche Zusammenarbeit gewährleistet werden kann, hat in Genf konkrete Formen angenommen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU und den GRÜNEN)

    Und auch andere der von uns seit langem vertretenen Positionen findet sich in den dortigen Erklärungen. Etwa die Feststellung, daß nukleare Kriege in unserer Zeit nicht mehr zu gewinnen sind und deshalb unter gar keinen Umständen geführt werden dürfen, oder die Feststellung, daß keine Seite militärische Überlegenheit anstreben dürfe.

    (Rühe [CDU/CSU]: Es ist wirklich geschmacklos, seine Parteiposition darzustellen!)

    Das läßt hoffen, daß die Zeit der gegenseitigen Verteufelung der Vergangenheit angehört und daß sich der Begriff der Entspannung, der lange aus der politischen Diskussion verdrängt wurde, endlich wieder mit Leben erfüllt.

    (Beifall bei der SPD)

    Es wäre gut gewesen, die Begegnung hätte schon vor drei Jahren, also vor der letzten großen Umdrehung der Rüstungsschraube, stattgefunden; denn bei aller Freude über Genf darf nicht übersehen werden: Auch nach Genf geht der Rüstungswettlauf weiter. Die Gefahr seiner Ausdehnung auf den Weltraum ist keineswegs gebannt.

    (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Im Gegenteil!)

    Die strikte Einhaltung und die volle Anwendung des ABM-Vertrages und der SALT-II-Vereinbarung ist keineswegs gewährleistet. Auf diesen entscheidenden Feldern steht die Bewährungsprobe des Genfer Gipfels noch bevor. Hier müssen den Worten jetzt auch Taten folgen.

    (Beifall bei der SPD)

    Der weltweite Druck auf die Supermächte, dem Wahnwitz weiterer Aufrüstung ein Ende zu machen, darf jetzt nicht nachlassen. Dieser Druck muß sich verstärken.
    In dieser Situation bekräftigen wir unsere Positionen. Sie lauten:
    Erstens. Wir bejahen das Atlantische Bündnis und die Bundeswehr als Instrumente der Kriegsverhütung. Ein deutscher Sonderweg außerhalb des Bündnisses würde unsere Nachbarn insgesamt beunruhigen, die Mitte unseres Kontinents destabilisieren und unsere Sicherheit nicht stärken.

    (Rühe [CDU/CSU]: Was soll dann die Neben-Außenpolitik?)

    Er würde auch nicht zu einer umfassenden europäischen Friedensordnung führen. Wir lehnen einen solchen Sonderweg ab.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens. Wir sind gegen jede weitere Fortsetzung des Rüstungswettlaufs und insbesondere gegen seine Ausdehnung in den Weltraum. Die Beteiligung der Bundesrepublik an SDI ist nach Genf noch bedenklicher und noch stärker abzulehnen als vorher.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Ohne SDI hätte Genf nicht stattgefunden!)

    Das weitere Auftürmen nuklearer Vernichtungswaffen erhöht die Sicherheit nicht, sondern vermindert sie. Außerdem läßt der Rüstungswettlauf schon jetzt Menschen in großer Zahl zu Tode kommen, weil er die Ressourcen verschwendet, mit deren Hilfe Not und Elend in der Dritten Welt gelindert und gebessert werden könnten.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Drittens. Wir sind für konkrete Schritte zur Rüstungskontrolle auch im regionalen Maßstab. Wenn die weltweite Abrüstung auf einen Schlag nicht zu erreichen ist, dann ist die regionale Abrüstung immer noch besser als gar keine Abrüstung.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Unsere von der DDR-Führung bejahten Vorschläge bieten einen Ansatz für die Entfernung chemischer Waffen zunächst aus beiden deutschen Staaten und dann aus Zentraleuropa. Sie versichern uns immer wieder, daß die USA ihre chemischen Waffen alsbald aus der Bundesrepublik ersatzlos abziehen wollen. Das heißt, die Bundesrepublik soll alsbald — und wir begrüßen das — eine chemiewaffenfreie Zone werden. Wenn das so ist, warum greifen Sie dann eigentlich nicht den Vorschlag auf, der auch den Abzug der sowjetischen Giftgasvorräte aus der DDR und aus der Tschechoslowakei zum Ziel hat? Nehmen Sie denn wirklich lieber den einseitigen Verbleib sowjetischen Giftgases in unserer nächsten Nachbarschaft in Kauf, als einen von uns gewiesenen gangbaren Weg zu beschreiten?

    (Beifall bei der SPD)

    Ja, warum lehnen Sie denn sogar die von den Führungen der DDR und der Tschechoslowakei angebotenen Konsultationen über einen Vorschlag, der die Räumung dieser Giftgasvorräte zum Gegenstand hat, nur deshalb ab, weil wir diesen Prozeß in Gang gebracht haben? Ich weigere mich vorläufig, zu glauben, daß Sie Ihre Rüstungskontrollpolitik derartig engstirnig und parteipolitisch betreiben.

    (Beifall bei der SPD)

    Viertens. Die Kriegsverhütungsfähigkeit der Bundeswehr muß gewährleistet sein. Sie kann nach dem Ergebnis der gerade auf diesem Gebiet sehr intensiven und sehr sachlichen Haushaltsberatungen mit einem geringeren als dem von der Mehrheit des Haushaltsausschusses gebilligten finanziellen Aufwand geleistet werden. Sie haben sich einem Teil unserer Kürzungsvorschläge angeschlossen. Wir halten darüber hinaus Kürzungen in Höhe von insgesamt 1,8 Milliarden DM ohne Gefährdung der Kriegsverhütungsfähigkeit für vertretbar. Dann hätte der Verteidigungshaushalt am Gesamthaushalt immer noch einen Anteil von über



    Dr. Vogel
    18%. Die dadurch frei werdende Summe wollen wir für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Behebung besonders gravierender sozialer Ungerechtigkeiten verwenden. Auch dies ist ein Beitrag zur Sicherheit unserer Bundesrepublik und unseres Landes.

    (Beifall bei der SPD)

    Fünftens. Wir bedauern den Gewichts- und Ansehensverlust der deutschen Außenpolitik.

    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Seine Ursachen liegen in den andauernden Koalitionsstreitigkeiten über wichtige außenpolitische Fragen, so etwa im Streit über die Haltung zu SDI, der in den letzten Tagen und Wochen geradezu groteske Formen angenommen hat, im Streit über Eureka, im Streit über die Südafrikapolitik. Diese Streitereien lassen Ihre Außenpolitik unberechenbar erscheinen.

    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Äußerst schwach!)

    Das Gewicht der Bundesrepublik wird auch durch die wachsende Neigung zu einem vorauseilenden Gehorsam gegenüber der gegenwärtigen amerikanischen Administration gemindert, und zwar nicht nur in Osteuropa, sondern gerade auch in den Vereinigten Staaten selbst.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Leider spielen bei diesem Gewichts- und Ansehensverlust auch persönliche Unzulänglichkeiten eine Rolle. Hier, in diesen drei Punkten, müssen die Korrekturen einsetzen. Lassen Sie mich hinzufügen: Durch forcierte Waffenexporte wird unser Land den so verlorenen Einfluß nicht zurückgewinnen.

    (Beifall bei der SPD)

    Im Gegenteil: Unser Land würde dadurch in Spannungen verstrickt, an deren Überwindung, nicht an deren Vertiefung wir als Bundesrepublik mitwirken sollten.

    (Beifall bei der SPD)

    Sechstens. Die Ost- und Deutschlandpolitik muß fortgesetzt und belebt werden. Das ist durch die Ergebnisse des Genfer Gipfels erleichtert worden. Der Besuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR könnte diese Entwicklung ebenfalls fördern. Ich warne allerdings, ihn schon wieder im Vorfeld durch kleinliche und profilsüchtige Diskussionen zu zerreden.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Lafontaine!)

    Ein Störfaktor

    (Feilcke [CDU/CSU]: Ist Herr Lafontaine!)

    für eine konstruktive Ost- und Deutschlandpolitik bleibt die von rechtskonservativen Kräften neu belebte Diskussion über die politische Endgültigkeit der in den Verträgen anerkannten Grenzen. Nicht zuletzt dieser Streit hat es der Union unmöglich gemacht, der von ihren Unterhändlern gebilligten Fassung der deutschlandpolitischen Entschließung
    zuzustimmen. Herr Kollege Rühe hat das in der Aktuellen Stunde vom 23. Oktober 1985 indirekt bestätigt, indem er wörtlich ausführte:
    Ich stehe zu dem, was ich am 6. Februar
    — gemeint war die politische Bindungswirkung der Verträge —
    gesagt habe. Ich halte das politisch für vernünfgig und rechtlich für völlig einwandfrei. Aber ich muß auch sagen
    — es ehrt Sie, daß Sie das hinzugefügt haben —,
    daß diese Rede eben nicht zu den unumstrittenen Grundlagen unserer Politik gehört.
    Das ist ein bemerkenswertes, den Redner ehrendes Zeugnis aus der Mitte der Union über ihre Gespaltenheit in dieser Frage.

    (Beifall bei der SPD — Rühe [CDU/CSU]: Jetzt müssen Sie aber hinzufügen, was unumstritten ist! Das ist die Regierungserklärung des Bundeskanzlers! — Feilcke [CDU/CSU]: Können Sie die ganze Rede von Herrn Rühe vorlesen?)

    Herr Czaja hat Sie, Herr Kollege Rühe, in diesem Zusammenhang erst gestern wieder öffentlich angegriffen und sich dabei zu der erstaunlichen Äußerung verstiegen, es seien die Polen, die jetzt uns gegenüber Gebietsansprüche erheben. Herr Bundeskanzler, bringen Sie diese unmögliche Äußerung so rasch wie möglich vom Tisch, bevor sie mehr Schaden anrichtet!

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Zuruf von der SPD: Das darf er doch nicht!)

    Meine Damen und Herren, wir stehen unverändert zu allen Teilen dieser Entschließung. Wir stehen auch zu der vom Grundgesetz normierten Fortdauer der deutschen Staatsangehörigkeit, die wir niemandem aufnötigen, aber auch niemandem entziehen.
    Um so unverständlicher sind uns die Äußerungen des Herrn Bundesministers Windelen über das Verhältnis zwischen Berlin und der Bundesrepublik. Herr Windelen hat in einem Interview vor einer Woche ausgeführt, Berlin gehöre rechtlich nicht zur Bundesrepublik und werde nicht von der Bundesrepublik regiert. Richtig ist, daß Berlin infolge der besonderen Situation der Stadt und der besonderen Rechte der Alliierten nicht vom Bund regiert werden kann. Ich sage Ihnen, Herr Kollege Windelen, aber klipp und klar: Unannehmbar ist die apodiktische Feststellung aus dem Munde eines Bundesministers, daß Berlin rechtlich nicht zur Bundesrepublik gehört. Das steht in klarem Widerspruch zur Verfassung und zur Auffassung des Bundesverfassungsgerichts!

    (Beifall bei der SPD)

    Ich möchte wissen, welcher Sturm des Protestes
    sich erhoben hätte, wenn irgendein Sozialdemokrat
    und nicht ein amtierender Bundesminister in Ber-



    Dr. Vogel
    lin oder hier eine derartig unglaubliche Äußerung gemacht hätte.

    (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Hören Sie doch mit Ihrer Heuchelei auf! Kohle gegen Menschenrechte! Das ist Ihre Politik!)

    — Meine Damen und Herren, dieser Zuruf ist kennzeichnend für das Diskussionsniveau einiger aus Ihren Reihen. Wenn ich hier über eine ernste Sorge wegen einer Äußerung eines amtierenden Bundesministers spreche, dann ist der Kommentar dieser Herren „Heuchelei". Sie reden über Lafontaine; kümmern Sie sich lieber um Herrn Windelen und seine Äußerungen!

    (Beifall bei der SPD — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU — Dr.-Ing. Kansy [CDU/ CSU]: Das ist ja eine Büttenrede!)

    Herr Bundeskanzler, ich habe Sie gebeten, die Äußerung von Herrn Czaja in Ordnung zu bringen; ich muß Sie als Bundeskanzler noch dringender bitten, von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen und Herrn Bundesminister Windelen die rechtliche Situation Berlins klarzumachen.
    Wir haben auch die Aussöhnung mit Polen durch das gestern veröffentlichte gemeinsame Papier wieder ein Stück vorangebracht und damit den Worten von Genf im Rahmen unserer Möglichkeiten konkrete Taten folgen lassen. Nichts in diesem Papier, Herr Kollege Rühe, verstößt gegen Bündnispflichten, aber alles in diesem Papier hat ein Ziel im Auge — und das sollte ein gemeinsames Ziel sein —, nämlich Mißtrauen abzubauen, auch konventionelle Konflikte weniger wahrscheinlich zu machen und die Lage in Zentraleuropa durch konkrete, wenn auch kleine Schritte zu stabilisieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich muß fragen: Wo bleibt demgegenüber eigentlich Ihre Polen-Politik? Vernünftige, konstruktive Beiträge insbesondere von Herrn Rühe, aber auch von einzelnen anderen beispielsweise auf dem Forum in Krakau sind leider nicht repräsentativ für Ihre konkrete Haltung gegenüber dem polnischen Volk. Ich wiederhole: Die Aussöhnung mit Polen muß für uns denselben Rang haben wie die Aussöhnung mit Frankreich, die wir im letzten Vierteljahrhundert Gott sei Dank zustande gebracht haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Siebtens. Wir treten unverändert für den raschen Fortgang der europäischen Einigung und für eine stärkere Selbstbehauptung Europas ein. Wir sehen mit Sorge, daß die großen europäischen Ankündigungen und Versprechungen, insbesondere die Ihren, nach und während des Stuttgarter Gipfels im Jahre 1983 immer blasser werden, je näher der Gipfel in Luxemburg heranrückt. Schon seit geraumer Zeit — und ich sage das mit Bedauern — gehört die Bundesrepublik nicht mehr zur Spitzengruppe der auf die Einigung Europas drängenden Kräfte. Seit dem Sündenfall des Getreidepreisvetos zählt die Bundesrepublik bestenfalls noch zum Mittelfeld. Mit diesem Veto, mit der lauwarmen, unentschiedenen Haltung zum Eureka-Projekt, auch mit der Ablehnung eines europäischen wetterunabhängigen Rüstungskontroll- und Aufklärungssatelliten werden wichtige Chancen vertan.
    Wer die Europäische Union will, wer wie wir davon überzeugt ist, daß Europa nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft hat, wer überzeugt ist, daß Europa nicht nur das Feld sein soll, auf dem andere ihre Interessengegensätze austragen, der muß deshalb mit uns gemeinsam zunächst einmal die Bundesregierung zu einer entschiedeneren und konstruktiveren Haltung in europäischen Fragen drängen.

    (Beifall bei der SPD)

    Insgesamt, Herr Bundeskanzler und meine Damen und Herren von der Union: Hören Sie auf, uns eine Nebenaußenpolitik vorzuwerfen! Machen Sie endlich selbst eine klare Außenpolitik und passen Sie auf, daß Sie den Überblick über Ihre verschiedenen Haupt- und Nebenaußenminister, über die Herren Strauß, Teltschik, Czaja und Genscher, nicht verlieren!

    (Beifall bei der SPD)

    Innenpolitisch ist für uns nach wie vor die Überwindung der Arbeitslosigkeit die wichtigste Aufgabe. Natürlich sind unsere wirtschaftlichen Daten heute günstiger als im Jahre 1982.

    (Seiters [CDU/CSU]: Warum wohl? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Das ist nicht nur bei uns, das ist weltweit so. Wir freuen uns darüber um so unbefangener, weil wir zur Zeit unserer Regierungsverantwortung im weltweiten Vergleich der Industrienationen

    (Seiters [CDU/CSU]: Schlechtere Zahlen hatten!)

    in keiner Hinsicht schlechter dastanden, als die Bundesrepublik das heute tut. Bei der Preisentwicklung z. B.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    hatten wir 1981 im internationalen Vergleich zusammen mit Japan die geringste Preissteigerungsrate aller Industrieländer. Großbritannien, USA und Frankreich hatten damals doppelt so hohe Raten wie wir. Sie stehen heute im internationalen Vergleich nicht um einen Deut besser da, als dies während unserer Regierungszeit der Fall war.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU — Kolb [CDU/CSU]: Der große Mathematiker!)

    Wir freuen uns über diese günstigeren wirtschaftlichen Daten, obwohl wir doch alle wissen, daß das gigantische Haushaltsdefizit der USA und ihr ebenso gigantisches Leistungsbilanzdefizit wie eine dunkle Wolke über der weltwirtschaftlichen Landschaft liegt.
    Aber in einer Zeit günstiger wirtschaftlicher Daten ist die Massenarbeitslosigkeit, ist die Dauerarbeitslosigkeit,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die Sie verursacht haben!)




    Dr. Vogel
    ist die Jugendarbeitslosigkeit doch noch unerträglicher als in Zeiten allgemeiner wirtschaftlicher Schwierigkeiten.

    (Beifall bei der SPD)

    Entgegen allen Ankündigungen und Kampagnen bewegt sich die Arbeitslosigkeit eben leider nicht. Im Gegenteil, seit Anfang des Jahres verharrt sie nach den Mitteilungen von Herrn Präsidenten Franke von der Bundesanstalt für Arbeit von Monatsende zu Monatsende auf dem jeweils höchsten Stand seit der Währungsreform. Die Zahl der Dauerarbeitslosen und die Zahl der arbeitslosen Frauen nimmt sogar wieder zu. Alle Prognosen, auch die des Sachverständigenrates, sagen — einige dieser Prognosen übrigens mit einer geschäftsmäßigen Kühle, die den betroffenen Arbeitslosen geradezu unbarmherzig erscheinen muß —

    (Beifall bei der SPD)

    voraus, daß dies bei Fortsetzung Ihrer Politik bis in die 90er Jahre im wesentlichen so bleiben wird.
    Wir wissen, daß auch wir in der Regierungsverantwortung die Arbeitslosigkeit nicht in kurzer Zeit auf Null bringen könnten.

    (Seiters [CDU/CSU]: Ihr habt sie ja gemacht! Unglaublich! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Meine Damen und Herren, Sie haben noch nicht einmal eine gewisse Koordinierung in dem Geschrei, das Sie hier veranstalten. Infolgedessen ist schon die akustische Wahrnehmung schwierig. Aber ich fürchte, daß auch die inhaltliche Wahrnehmung gar nicht lohnen würde, wenn Sie sich in dieser Art und Weise äußern. —

    (Beifall bei der SPD — Dr. Waigel [CDU/ CSU]: Sie sind sogar beim Schreien langweilig!)

    Vollbeschäftigung in einem Lande, das kann heute keine verantwortungsbewußte Staatsführung mehr versprechen. Aber wir sind kräftig und wohlhabend genug in dieser Bundesrepublik des Jahres 1985, um die Arbeitslosigkeit, um vor allem die Jugendarbeitslosigkeit fühlbar zu vermindern. Was hier fehlt, ist nicht die objektive Bereitschaft und die Kraft unseres Volkes, was fehlt, ist der politische Wille, ist Ihr Wille, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als Gemeinschaftsaufgabe Nummer eins zu formulieren und ihr die höchste Priorität einräumen. Das fehlt!

    (Beifall bei der SPD)

    Es gab in der jüngeren Vergangenheit unserer Republik andere große Aufgaben, die wir gelöst haben, weil wir als Volk unter Verantwortung und Führung der jeweiligen Bundesregierungen die Kräfte der einzelnen und die Kräfte der gesellschaftlichen Gruppen und der öffentlichen Hände, also auch die Kräfte der Gemeinden, der Länder und des Bundes, konzentriert und zusammengefaßt haben, etwa die Behebung der Wohnungsnot, für die wir in einer Zeit, in der wir viel ärmer waren, als wir es heute sind, hohe Milliardensummen an öffentlichen Mitteln ausgegeben haben. Oder die Erhaltung der Landwirtschaft, meine Damen und
    Herren, die uns allein 1985 weit über 20 Milliarden DM an öffentlichen Mitteln wert ist.
    Ich frage: Kann denn die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht den gleichen Rang beanspruchen wie seinerzeit die Behebung der Wohnungsnot oder heute die Erhaltung und Bewahrung unserer Landwirtschaft?

    (Beifall bei der SPD)

    Was für 1,6 Millionen Landwirte und ihre Angehörigen recht ist, das muß doch für über 2 Millionen Arbeitslose und ihre Angehörigen billig sein. Das erfordert das gleiche Maß an gemeinschaftlicher Anstrengung.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Wiederherstellung der bereits zerstörten Teile der Umwelt und der Schutz der intakten Umwelt sind doch nicht minder wichtig. Unser Projekt „Arbeit und Umwelt" zieht daraus die Konsequenzen. Es gibt beiden Aufgaben, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und dem Schutz der Umwelt, endlich den Rang, der ihnen zukommt; und es finanziert die dafür vorgesehenen 20 Milliarden DM — es sind ebenso 20 Milliarden DM wie in dem anderen Fall — ohne eine Steigerung der öffentlichen Verschuldung. Angesehene Institute wie das IfoInstitut für Wirtschaftsforschung in München, auf das Sie sich j a Ihrerseits so oft berufen, haben sich erst kürzlich positiv und zustimmend zu diesem Programm geäußert.
    Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Fragen vielleicht nicht nur durch unartikulierte Rufe, sondern durch zusammenhängende Darlegungen beantworten wollen: Warum sperren Sie sich eigentlich gegen eine solche gemeinsame Initiative? Warum sperren Sie sich gegen eine weitere kontinuierliche Verkürzung der Arbeitszeit? Warum sperren Sie sich gegen die von uns vorgeschlagenen steuerlichen Hilfen für die kleinen und mittleren Unternehmen, da wir doch alle wissen, daß die kleinen und mittleren Unternehmen bei der Bereitstellung weiterer Arbeitsplätze eine Schlüsselrolle in unserer Wirtschaft einnehmen?

    (Beifall bei der SPD)

    An die Sozialpolitiker und Finanzpolitiker in Ihren Reihen: Warum sperren Sie sich gegen eine Reform der Bemessungsgrundlagen für die Arbeitgeberbeiträge, die die lohnintensiven Betriebe entlasten, die kapitalintensiven aber stärker heranziehen würde? Ist die Entlastung der Arbeit nicht ein dringendes Gebot der Stunde?
    Meistens disqualifizieren Sie unser Projekt „Arbeit und Umwelt" als Beschäftigungsprogramm, das nur ein Strohfeuer bewirke.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Weniger!)

    Das klingt so, als ob wir Geld für sinnlose und überflüssige Tätigkeiten ausgeben wollten,

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    so wie man Kinder beschäftigt, damit sie sich nicht
    langweilen oder auf dumme Gedanken kommen.
    Ich bezweifle, daß — abgesehen von den Übereifri-



    Dr. Vogel
    gen — Sie selber diesen Einwand ernsthaft glauben. Oder meinen Sie wirklich, die Wiederherstellung zerstörter Umwelt, z. B. die Sanierung Tausender von Altdeponien oder die Entgiftung unserer Böden, oder die Rettung vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten oder die Bekämpfung des Waldsterbens sei nur eine Beschäftigung, die genausogut unterbleiben könne und im Grunde überflüssig sei? Jeder weiß doch, daß es sich dabei um eine strukturelle Aufgabe höchster Dringlichkeit handelt, die uns auf viele Jahre, wenn nicht auf Jahrzehnte in ähnlicher Weise in Anspruch nehmen wird wie — ich wiederhole es — seinerzeit die Behebung der Wohnungsnot.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn Sie es volkswirtschaftlich betrachten: Es handelt sich beim Programm „Arbeit und Umwelt" doch um Investitionen, die rentabel sind,

    (Kolb [CDU/CSU]: Wie bitte?)

    die schon deshalb rentabel sind, weil sie hohe und ständig wachsende volkswirtschaftliche Schäden und Verluste verhindern; sie sind also auch volkswirtschaftlich sinnvoll.

    (Beifall bei der SPD)

    Nicht umsonst bricht sich diese Erkenntnis auch in der Wirtschaft mehr und mehr Bahn. Nicht irgendein Phantast, sondern ein Vorstandsmitglied der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke — RWE —, also des größten Energieversorgungsunternehmens der Bundesrepublik, hat vor wenigen Tagen gesagt:
    Die natürlichen Ressourcen, wie Luft, Wasser und Boden, sind zu einem dritten Produktionsfaktor geworden, der in direkte Konkurrenz zu den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital getreten ist. Ich kann mir vorstellen, daß sich das über kurz oder lang auch in einer Neufassung unserer Wirtschaftsordnung — etwa in der Konzeption einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft — niederschlägt.

    (Beifall bei der SPD)

    Eine bemerkenswerte Äußerung aus den Reihen der Wirtschaft!
    Im übrigen ist die Abwertung der gemeinsamen Programme aus unserer Zeit, meine Herrschaften von der FDP, denen Sie allen zugestimmt haben und die in den meisten Fällen auch Strukturprogramme waren, ganz ungerechtfertigt. Ich weiß nicht, warum Sie im nachhinein das, was Sie selber mitgetragen haben, solcher Kritik aussetzen. Allein zwischen 1977 und 1980 wurden u. a. durch die Auswirkungen des Zukunftsinvestitionsprogramms, das der Kollege Genscher als damaliger Vorsitzender der FDP ganz besonders gerühmt und begrüßt hat, 750 000 — eine dreiviertel Million! — Mitbürgerinnen und Mitbürger und ihre Familien vor Arbeitslosigkeit bewahrt, und es wurden den öffentlichen Händen — auch darauf hat gerade Kollege Genscher damals hingewiesen — dadurch, daß 750 000 Menschen zusätzlich in Arbeit waren, rund 13 Milliarden DM — 13 Milliarden! — an Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe, aber auch an
    Steuer- und Beitragsausfällen erspart. Bei einem Aufwand von 16 Milliarden DM für das gesamte Programm ist ein Ertrag von 13 Milliarden DM und die Verhinderung von Arbeitslosigkeit von 750 000 Menschen über Jahre ein durchaus diskutables Ergebnis.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie mögen sich von diesem Ergebnis distanzieren. Wir stehen zu diesem Ergebnis. Es sind Ergebnisse, die Sie nicht mißachten, die Sie in dieser Größenordnung erst einmal erreichen sollten.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich wiederhole deshalb den Appell zu einer großen gemeinschaftlichen Anstrengung, der den Anstrengungen zur Behebung der Wohnungsnot, den Anstrengungen zur Erhaltung der Landwirtschaft ebenbürtig ist. Ich wiederhole den Appell zu einer Anstrengung der praktischen Solidarität der in Arbeit Stehenden mit den Arbeitslosen und ihren Familien, der praktischen Solidarität der Stärkeren mit den Schwächeren. Ich wiederhole den Appell zu einer gemeinschaftlichen Anstrengung, die jetzt unternommen wird, also in einer Phase der konjunkturellen Besserung, damit wir in den nächsten Abschwung nicht mit einem Sockel von rund 2 Millionen Arbeitslosen eintreten und dann englische Zahlen erreichen. Es muß unser gemeinsames Interesse sein, dies durch eine gemeinsame Anstrengung zu verhindern und unmöglich zu machen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Massenarbeitslosigkeit bedeutet für sich schon eine Gefährdung des sozialen Friedens und eine Belastung des sozialen Konsenses; kein Ernsthafter wird das bestreiten. Aber viele Maßnahmen, die von Ihnen seit 1983 getroffen worden sind, haben die Gefährdung erhöht und die Belastung des sozialen Konsenses verstärkt. Nicht, daß gespart wurde, daß Einschränkungen vorgenommen worden sind, hat diese schlimmen Wirkungen. Auch wir — ich habe das oft genug gesagt — hätten in der Phase des weltweiten Abschwungs nicht darauf verzichten können, von unserem Volk Opfer zu verlangen. Daß Sie es einseitig getan haben, daß Sie die Schwachen ohne Barmherzigkeit belastet und die Reichen geschont, j a ihnen noch gegeben haben,

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    daß Sie das Gerechtigkeitsgefühl verletzt haben,

    (Feilcke [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selbst nicht, was Sie sagen!)

    daß Sie die Massenarbeitslosigkeit als Vorwand genommen haben, um Arbeitnehmerrechte nicht nur in Frage zu stellen, sondern abzubauen, Arbeitnehmerrechte, um die jahrzehntelang gerungen worden ist, das erschüttert den sozialen Frieden.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir Sozialdemokraten wollen den sozialen Frieden wiederherstellen und aufs neue festigen. Zu



    Dr. Vogel
    diesem Zweck müssen die schlimmsten sozialen Ungerechtigkeiten beseitigt werden.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Was sagt Rau dazu?)

    Zu diesen Ungerechtigkeiten gehören die BAföG-Kürzungen, die Verschlechterungen beim Kündigungsschutz für Mütter, die Selbstbeteiligung bei der Beförderung von Behinderten und die Selbstbeteiligung bei der Krankenhausbehandlung.

    (Breuer [CDU/CSU]: Wer hat die denn eingeführt?)

    Die Mütter, die ihre Kinder in den Kriegs- und Nachkriegsjahren geboren und aufgezogen haben, die Mütter, die Frauen, die heute über 65 Jahre alt sind, müssen ebenso für jedes Kind ein beitragsfreies Versicherungsjahr angerechnet bekommen wie die jüngeren Mütter, die diese Zeiten nicht miterlebt haben.

    (Beifall bei der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: Sie wollten den Müttern gar nichts geben, Herr Vogel! — Zuruf von der CDU/CSU: Warum habt ihr es denn nicht gemacht? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Meine Herrschaften, der Lautpegel Ihrer schreienden Stellungnahme zeigt immer, wie sehr Sie von den jeweiligen Bemerkungen getroffen worden sind.

    (Beifall bei der SPD)

    Daß Sie sich hier besonders exponieren, ist ein Beweis dafür.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Alles heiße Luft! — Hornung [CDU/CSU]: Wem haben Sie etwas gegeben? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Daß Sie , den älteren Frauen, den Müttern der Kriegs- und Nachkriegszeit diese Anrechnung vorenthalten haben, ist übrigens einmal mehr eine Entscheidung gegen die Schwächeren, gegen die Altgewordenen, die sich nicht mehr mit der gleichen Kraft wehren können wie die Jüngeren und deshalb leer ausgehen. Das ist der Hintergrund.

    (Beifall bei der SPD)

    Im Interesse des sozialen Friedens muß eine Steuerreform in Angriff genommen werden, die diesen Namen wirklich verdient, nicht eine Reform, die die Spitzenverdiener begünstigt, sondern eine Reform, die damit Schluß macht, daß Familien und Alleinstehende, denen weniger als der Sozialhilfesatz bleibt, auch noch Lohnsteuer zahlen müssen. Dies und. nicht die Spitzenbelastung ist der eigentliche Skandal unseres Steuerrechts.

    (Beifall bei der SPD — Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Klassenkampf, Herr Vogel!)

    Es muß eine Reform sein, die finanzierbar bleibt und nicht mit gänzlich irrealen Volumen von 35 oder sogar von 40 Milliarden DM und mit ebenso irrealen Deckungsvorschlägen jongliert. Ein Bundeswirtschaftsminister, Herr Kollege Bangemann, der ernstgenommen werden will, sollte sich für derartige Wahlmanöver durch derartige Zahlenkunststücke zu schade sein.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Der soziale Friede erfordert weiter, daß die Gewerkschaften ihre Funktionen ungehindert wahrnehmen können. Wer — wie Sie — durch die Zulassung von Splittervertretungen in den Betriebs- und Aufsichtsräten die Gewerkschaften schwächen und durch die Änderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes kampfunfähig machen will, wer nicht zur Kenntnis nimmt, daß es seit Jahr und Tag eine vernünftige Regelung der Frage gibt, wann bei vorübergehenden Stillegungen einzelner Betriebe durch die Unternehmensleitungen Kurzarbeitsgeld zu zahlen ist und wann nicht — eine Regelung übrigens, der wiederum die FDP damals in der Regierung voll zugestimmt hat —, wer dies alles nicht zur Kenntnis nimmt und trotzdem diese Änderung will, der will nicht Frieden und Konsens. Der will die Vereinzelung der Arbeitnehmer, weil er glaubt, mit den einzelnen leichter fertigzuwerden als mit dem Zusammenschluß der vielen. Das ist die Philosophie hinter diesen Aktivitäten.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer dies tut, der will Konflikt und Abbau von Arbeitnehmerrechten; der nimmt Arbeitnehmern — und dies ist ein Sachverhalt, den wir den Menschen klarzumachen nicht müde werden —, die an dem jeweiligen Konflikt überhaupt nicht beteiligt sind, den Lohn und den Versicherungsschutz. Er nimmt ihn auch denen, die selber gar keiner Gewerkschaft angehören. Der zerstört mit der Chancengleichheit von Arbeit und Kapital bei der Aushandlung der Tarife und Arbeitsbedingungen das Fundament eines Tarifsystems, um das uns die ganze Welt beneidet.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Wer das will, der will offenbar englische Verhältnisse — Verhältnisse, in denen die Auseinandersetzungen nicht unterbleiben, sondern geradezu verbissen, ja brutal geführt werden.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Schwacher Beifall bei der SPD!)

    Wir wollen das nicht. Wir wollen nicht spalten, sondern zusammenführen. Wir wollen den sozialen Frieden bewahren; denn der soziale Friede ist eine der Voraussetzungen, denen wir nicht nur unseren wirtschaftlichen Aufstieg nach dem Krieg, sondern auch die Stabilität unserer Gesellschaft verdanken.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Darum haben wir Verständnis dafür, daß sich die Gewerkschaften den Forderungen der Arbeitgeberverbände nach einer solchen Gesetzesänderung entschieden entgegenstellen. Darum werden wir einer solchen Gesetzesänderung hartnäckigen Widerstand entgegensetzen. Wenn Sie für Ihre Vorlage wirklich eine Mehrheit bekommen, wenn die Gewerkschafter in Ihren Reihen, wenn die Herren Scharrenbroich und Müller (Remscheid), wenn der



    Dr. Vogel
    Gewerkschaftskollege Norbert Blüm das Hand in Hand mit Graf Lambsdorff und anderen Protagonisten eines Klassenkampfes von oben wirklich beschließen,

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Pfui-Rufe und weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

    wenn Sie das — ich wiederhole es — Hand in Hand mit Protagonisten eines Klassenkampfes von oben wirklich beschließen,

    (Zurufe von der FDP)

    dann werden wir diese Kampf- und Konfliktgesetze wieder aufheben, sobald wir dafür eine Mehrheit haben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Davon träumen Sie doch nur! — Zurufe von der FDP)

    Der soziale Friede erfordert weiter nicht weniger, sondern mehr Mitbestimmung. Dieser Prozeß ist genauso zwangsläufig und unumkehrbar wie der Prozeß, der im staatlichen Bereich von der absoluten Monarchie über die konstitutionelle Monarchie zur Demokratie geführt hat. Die konservativen Kräfte haben gegen diese Entwicklung über Jahrhunderte mit den gleichen Argumenten gekämpft, die Sie heute gegen die Mitbestimmung ins Feld führen. Die Geschichte ist darüber hinweggegangen. Sie wird, meine Damen und Herren, auch Ihre Einwände gegen die Ausdehnung der Mitbestimmung zu den Akten legen.

    (Beifall bei der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: Herr Vogel ist ein richtiger Arbeiterführer! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Der soziale Friede fordert schließlich die langfristige Stabilisierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Wir haben ein konkretes Konzept zur Sicherung der Renten vorgelegt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?)

    Ich fordere Sie auf, in eine konstruktive Diskussion über diese Vorschläge einzutreten und Ihre konkreten Gegenvorschläge auf den Tisch zu legen. Wenn irgendwo im sozialen Bereich, dann müssen wir hier nach einem Konsens suchen. Die Älteren, die ein Leben lang gearbeitet haben, die auf die Rente angewiesen sind, wollen nicht den verbissenen Streit, der auf ihrem Rücken ausgetragen wird, sie wollen Klarheit und vor allem Sicherheit. Wir bieten unsere Mitwirkung an, ihnen diese Klarheit und Sicherheit zu geben.

    (Beifall bei der SPD)

    Ähnliches gilt für die Krankenversicherung. Hier stehen drastische Beitragserhöhungen bevor. Wir halten das für den verkehrten Weg. Unser Gesundheitswesen krankt nicht an zu geringen Beiträgen, es krankt an zu hohen und immer weiter wachsenden Kosten. Wir wollen diese Kosten unter Kontrolle bringen und senken, indem wir die Stellung der Versicherten und ihrer Krankenkassen stärken, weil sie letzten Endes die Mittel aufbringen.
    In diesem Zusammenhang ein klares Wort zu den skandalösen Aktivitäten einiger Zahnarzt-Funktionäre. Was sich hier abspielt, ist ein sozialer Amoklauf. Das ist rücksichtsloser Egoismus der Starken, das ist Egoismus von Leuten, die im Durchschnitt mehr als 200 000 Mark im Jahr verdienen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Es ist gut, Herr Kollege Blüm — und ich danke ihm —, daß Sie diesem Treiben entgegengetreten sind. Aber Sie sehen, wohin Sie mit Ihren Parolen von der Leistung, die sich wieder lohnen müsse, wohin Sie mit dem Gerede vom Neid der Arbeitslosen gegenüber den Hochverdienenden gekommen sind. Was sich hier zeigt, ist die Ellenbogen-Gesellschaft in Reinkultur. Hier sind Geister am Werk, die Sie mit Ihren Sprüchen und Redensarten gerufen und ermutigt haben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Jung [Lörrach] [CDU/ CSU]: Sie sind ein Klassenkämpfer, Herr Vogel! — Feilcke [CDU/CSU]: Das glauben Sie ja selber nicht!)

    In der Finanzpolitik brüsten Sie sich gerne damit, daß Sie sparsamer seien, als Helmut Schmidt und seine Finanzminister es gewesen sind. Sie hätten die Deckungslücken reduziert — so behaupten Sie. Und Sie wollen sich dafür feiern lassen oder feiern sich vorsorglich selbst dafür.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Diese Behauptung ist unzutreffend, diese Behauptung ist irreführend. Die Zahlen und Fakten zeigen nämlich ein gänzlich anderes Bild, ein Bild, das zu der Stoltenberg-Legende, an der eifrig gestrickt wird, gar nicht passen will. Das Bild sieht so aus: 1970, als Herr Stoltenberg sein Amt als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein antrat, betrug die Pro-Kopf-Verschuldung in seinem Lande 580 DM.

    (Seiters [CDU/CSU]: Nicht einmal die Zahlen stimmen!)

    1982, als er Schleswig-Holstein verließ, war die ProKopf-Verschuldung unter seiner Verantwortung auf 3 966 DM gestiegen.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Damit hatte das Musterland dieses Musterfinanzpolitikers

    (Stockhausen [CDU/CSU]: Hören Sie doch auf damit! Sie können ihm doch nicht das Wasser reichen!)

    im Vergleich der Flächenländer die zweithöchsten Schulden pro Einwohner — schlechter stand 1982 nur das damals noch von Ihren Parteifreunden im 24. Jahr regierte Saarland —, und das, obwohl dem Herrn Stoltenberg in der gleichen Zeit im Länderfinanzausgleich — im übrigen überwiegend von SPD- regierten Ländern — fast 4 Milliarden DM und an Bundesergänzungszuweisungen etwa noch einmal 1,7 Milliarden DM zugeflossen sind. Es wird Zeit,



    Dr. Vogel
    daß wir die Wahrheit über die Finanzpolitik unter die Leute bringen.

    (Beifall bei der SPD — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Aber weiter: Wir hatten in der Zeit — —

    (Unruhe bei der CDU/CSU — Stockhausen [CDU/CSU]: Billiger geht's nicht mehr! — Weitere Zurufe der CDU/CSU)

    — Meine Damen und Herren, die Sie draußen zusehen: Sie haben hier wieder ein Beispiel. Der Lärmpegel bei der Union steigt. Sie ist an einer empfindlichen Stelle getroffen.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Büttenrede! — Weitere Zurufe der CDU/ CSU)

    — Sie werden noch mehr Stoff für Aufregung bekommen.
    Wir hatten in der Zeit des weltweiten Abschwungs auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sie sind furchterregend!)

    in den Jahren 1980 bis 1982 im Bundeshaushalt eine Finanzierungslücke von 114,5 Milliarden DM zu decken, die mit Kreditaufnahmen und — damals sehr geringfügigen — Bundesbankgewinnen geschlossen werden mußte.

    (Hornung [CDU/CSU]: Jedes Jahr mehr!)

    Ihre Finanzierungslücke, Herr Stoltenberg, beläuft
    sich für die Jahre 1983 bis 1985 — und das sind doch
    die Jahre, die Sie als Aufschwungjahre bezeichnen
    — auf 120 Milliarden DM. Und sie wäre noch um 10 Milliarden höher, betrüge also 130 Milliarden, wenn Sie ehrlicherweise erwähnen würden, daß Sie in der gleichen Zeit die Schwankungsreserven der Rentenversicherung auf ein Minimum herabgedrückt und daraus etwa 10 Milliarden für den Bundeshaushalt verwendbar gemacht haben.

    (Beifall bei der SPD)

    114 Milliarden Deckungslücke in drei Jahren des Abschwungs, 131 Milliarden Deckungslücke in drei Jahren des Aufschwungs! Ihre Finanzierungslükken sind also im Aufschwung höher, als es die unseren im weltwirtschaftlichen Abschwung waren.
    Hören Sie deshalb auf, auf andere beschuldigend mit dem Finger zu zeigen! Bleiben Sie bei der Wahrheit! Sagen Sie unserem Volk, daß Sie aus Ihren Gründen größere Finanzierungslücken in Kauf nehmen, als wir es getan haben!

    (Hornung [CDU/CSU]: Die Erblast!)

    Wir tadeln Sie nicht wegen Ihrer Finanzierungslücken. Wir halten sie für vertretbar. Hören Sie umgekehrt endlich auf, die Finanzierungslücken unserer Zeit zu verteufeln! Das ist ein Gebot der Redlichkeit und der parlamentarischen Hygiene.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Jung [Lörrach] [CDU/CSU])

    Ich habe schon dargelegt, daß wir neben der Sicherung des Friedens, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Wiederherstellung des sozialen Friedens den Schutz unserer Umwelt für die wichtigste Gemeinschaftsaufgabe unserer Zeit halten. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, bedarf es vielfacher Anstrengungen. Wir haben dazu außer unserem Projekt „Arbeit und Umwelt" viele konkrete Vorschläge gemacht.

    (Stockhausen [CDU/CSU]: Waren die immer gut, Ihre Vorschläge?)

    Wer Frieden mit der Natur will, muß übrigens auch aus diesem Grund die Agrarpolitik ändern.

    (Beifall des Abg. Mann [GRÜNE])

    Die gegenwärtige Agrarpolitik ist wirtschaftlich unsinnig und sozial ungerecht.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Von den Milliarden, die wir, d. h. die deutschen Steuerzahler, für diesen Zweck aufwenden, erreicht nur ein kleiner Teil diejenigen, denen wir helfen wollen, nämlich die bäuerlichen Familienbetriebe. Die Agrarausgaben der EG sind in der Zeit von 1981 bis 1984 um 67 % gestiegen. Wir haben wesentlich dazu beitragen müssen. Die Einkommen der deutschen Landwirtschaft sind in derselben Zeit, in der diese Ausgaben um 67 % gestiegen sind, um 8 % gesunken.
    Gleichzeitig werden die Landwirte gezwungen, mit immer mehr Chemikalien immer höhere Überschüsse zu produzieren, die dann mit immer höheren Zuschüssen auf dem Weltmarkt immer schwerer abzusetzen sind. Das ist ein Teufelskreis, der nicht durch Schuld der Landwirte, sondern durch Schuld der Politik zu einem aggressiven Umgang mit den Feldern und Wiesen und zu einem immer schlimmeren Raubbau an der Natur führt.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Vielleicht können wir uns wenigstens verständigen, daß es ein Gebot der Vernunft ist, die Landwirtschaft vom Zwang zu sinnloser, ja schädlicher Überproduktion zu befreien

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    und ihr statt dessen die Leistungen zu vergüten, die wir von ihr dringend benötigen, nämlich die Erhaltung und Pflege von Landschaft und Natur. Das ist die Leistung, für die wir auf die Landwirtschaft angewiesen sind.

    (Beifall bei der SPD)

    Also flächenbezogene Hilfen an Stelle des widersinnigen Versuchs, auf einem Markt, der hoffnungslos an Überangeboten leidet, mit Mitteln der Zwangswirtschaft und der Quotierung Preissteigerungen entgegen der primitivsten Logik von Angebot und Nachfrage durchsetzen zu wollen. Es ist erstaunlich, daß man das so erklärten Marktwirtschaftlern in dieser Art und Weise darlegen und erläutern muß.

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Vogel
    Hier besteht eine Chance, unserer Landwirtschaft, die wir brauchen, mit breiter Unterstützung der öffentlichen Meinung wieder eine Perspektive zu geben. Wir sollten sie gemeinsam nutzen.
    Eine andere Chance, die Umwelt zu schützen, insbesondere unseren Wäldern zu helfen, haben Sie in der letzten Woche leider vertan. Ich meine die Einführung eines Tempolimits auf den Autobahnen und einer verminderten Höchstgeschwindigkeit auf den Landstraßen. Was Sie zur Rechtfertigung Ihrer Entscheidung vortragen, ist schon von Ihren eigenen Argumenten her sehr anfechtbar; etwa der erneute Versuch, Arbeitsplätze und Umweltschutz gegeneinander auszupielen, oder die fadenscheinige Begründung dafür, daß der Versuch nicht auf Landstraßen ausgedehnt worden ist.
    Besonders befremdlich ist aber Ihre Argumentation, die Schadstoffverminderung sei schon deshalb geringfügig, weil sich nur 30 % der Kraftfahrer an die Geschwindigkeitsbeschränkungen halten würden. Meine Damen und Herren — da spreche ich vor allem die Verkehrs- und die Rechtspolitiker an —, mit dem gleichen Argument hätte man auch die Gurtanlegepflicht ablehnen müssen. Auch hier ist die Zahl derer, die sich an diese Pflicht hielten, erst auf Grund der Bußgelddrohungen und verschärfter Kontrollen jetzt auf 90 % gestiegen. Diese Pflicht ist jetzt allgemein akzeptiert.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Außerdem: Sind Sie sich eigentlich im klaren darüber, daß diese Argumentation auf eine Ermunterung zur Mißachtung der Gesetze, j a zum Rechtsbruch hinausläuft?

    (Beifall bei der SPD)

    Ausgerechnet diejenigem in diesem Hause, die sonst ständig nach der Verschärfung von Strafen und nach neuen Straftatbeständen rufen, die sonst die mangelnde Befolgung von Gesetzen lautstark beklagen, wollen hier keinen Finger rühren, sondern kapitulieren binnen 48 Stunden sang- und klanglos vor der Parole, freie Bürger hielten sich halt nicht an Gesetze, und das müsse man hinnehmen. Ich sage Ihnen voraus: Dieses Argument ist ein Bumerang und wird Ihnen in der rechtspolitischen Debatte von anderer Seite immer wieder vorgehalten werden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Zurufe von der CDU/ CSU)

    Das ist schlimm. Schlimmer noch aber ist in unseren Augen, daß Sie den guten Willen der großen Mehrheit unseres Volkes, der großen Mehrheit, die für den Schutz der Umwelt und der Wälder auch Opfer zu bringen bereit ist, enttäuscht haben,

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    weil Sie einer Führungsentscheidung ausgewichen sind, die im Verhältnis zur Umweltorientierung eine Signalwirkung ausgelöst hätte, die deutlich gemacht hätte, wie wichtig der Bundesregierung die Erhaltung unserer Wälder ist und daß sie dafür
    auch den Preis vorübergehender Unpopularität zu zahlen bereit ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Das Unbehagen darüber reicht ja bis in Ihre eigenen Reihen — etwa Baden-Württemberg —, auch das Unbehagen darüber, daß Sie einmal mehr für die Stärkeren Partei ergriffen haben, für diejenigen, die Sie für die Stärkeren halten. Die Bäume und der Wald sind für Sie offenbar die Schwächeren im Vergleich zu denen, die seit Wochen und Monaten mit dem Ellenbogenslogan „Freie Fahrt für freie Bürger" trommeln und Sie zu dieser Entscheidung getrieben haben.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das ist doch gar nicht wahr!)

    Wir werden bald erleben, daß Sie sich geirrt haben, daß die Bäume, daß der Wald nicht schweigend sterben, sondern einen hohen Preis für diese Fehlentscheidung fordern,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eine blumige Sprache!)

    einen Preis, den wir alle bezahlen, nicht nur mit unserem Geld, sondern auch mit Gesundheit.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Sie sind heute ein Langweiler!)

    In diesem Sinn ist die Tempoentscheidung nicht zufällig, sondern symptomatisch. Sie ist kennzeichnend für eine Politik, die wir ablehnen, der wir unsere Antwort und unsere Alternative entgegensetzen.
    Unsere Alternative, das ist die Hilfe für die Schwächeren. Und es ist kennzeichnend, daß Sie dies als eine Politik rückwärts bezeichnen. Offenbar ist Hilfe für die Schwächeren für christliche Demokraten etwas, was der Vergangenheit angehört. Sonst macht Ihr Zwischenruf keinen Sinn.

    (Beifall bei der SPD)

    Unsere Alternative ist Menschlichkeit, Vertrauen und Glaubwürdigkeit statt Egoismus, Ellbogenmentalität und kühl kalkuliertes Hantieren mit Vorurteilen und Emotionen. Unsere Alternative, das ist Zusammenführen, nicht Gegeneinander-Ausspielen von Lebensbereichen und Gruppen,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    also das Zusammenführen von Technik und Lebensqualität, von Arbeit und Umwelt, von Ökologie und Ökonomie, von Stärkeren und Schwächeren. Unsere Antwort, das ist das solidarische Füreinander-Einstehen, das ist die Bündelung der Kräfte zur gemeinschaftlichen Anstrengung. Unsere Devise ist Gerechtigkeit statt Egoismus, Anteilnahme und Mitmenschlichkeit statt rücksichtsloser Durchsetzung eigener Interessen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Unser Ziel ist der Frieden, der äußere Frieden, der innere, der soziale Frieden, der Frieden mit der Natur. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht unser Volk weit in die Zukunft reichende Perspektiven, braucht es den breiten Dialog und die breite Zusam-



    Dr. Vogel
    menarbeit, braucht es aber vor allem politische Führung. Das sind Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre Koalition unserem Volk schuldig geblieben. Deshalb stimmen wir gegen Sie, deshalb lehnen wir Ihren Haushalt ab. Aber dieses Nein ist zugleich ein Ja, ein Ja zu unserer Alternative,

    (Seiters [CDU/CSU]: Wo denn? — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Mein Gott, wie schwach! — Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/ CSU)

    zu der Alternative, die unser Volk zu einem Bündnis der Vernunft zusammenschließt und zu einer großen gemeinschaftlichen Anstrengung vereinigt.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Dr. Kansy hat während eines Zwischenrufs den Ausdruck „Heuchelei" benützt. Ich weise diesen Ausdruck als unparlamentarisch zurück.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Dregger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Vogel, es tut mir leid, Ihre Rede war nicht nur lang, sie war auch schwach.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben Heiterkeitserfolge erzielt. Wenn ein so humorloser Mann wie Sie Heiterkeitserfolge erzielt, dann ist es schlimm. In dem ersten Teil Ihrer Rede sind Sie in allgemeine Erwägungen ausgewichen, die als philosophisch zu bezeichnen eine maßlose Übertreibung wäre.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Danach haben Sie den krampfhaften und hilflosen Versuch gemacht, über die Wirklichkeit hinwegzureden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Herr Kollege Vogel, Sie können doch nicht bestreiten, daß diese Regierung in den drei Jahren ihrer Amtsführung ungewöhnliche Erfolge erzielt hat.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Mann [GRÜNE]: Herr Dregger, Hochmut kommt vor dem Fall!)

    Das wird um so deutlicher, wenn man sie an den Mißerfolgen mißt, die Sie als Regierungspartei zuvor produziert haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich nenne fünf Errungenschaften dieser Politik von nur drei Jahren.
    Die erste: Wir haben wieder stabiles Geld.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, wir sind wieder Weltmeister in Geldwertstabilität.

    (Zuruf von der SPD: In Arbeitslosigkeit!)

    1981 betrug die Entwertungsrate noch 6,3%,

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    jetzt sind es 1,8%. Und der Sachverständigenrat hält für das nächste Jahr 1,5 % für erreichbar.
    Meine Damen und Herren, es gibt keine größere soziale Errungenschaft als stabiles Geld.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Was nutzen nominale Lohn- und Rentenerhöhungen, wenn sie, wie zu SPD-Zeiten, durch die Geldentwertung wieder aufgefressen werden?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Daß die D-Mark wieder stabil ist, verdanken wir der Bundesregierung, der Koalition aus CDU/CSU und FDP, der Deutschen Bundesbank und Tarifabschlüssen der Gewerkschaften und der Arbeitgeber, die sich der allgemeinen Lage angepaßt hatten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich bin sicher, daß Bundesregierung, Koalition und Bundesbank ihren erfolgreichen Kurs fortsetzen werden. Ich hoffe, daß das auch für die Gewerkschaften und ihre Tarifpartner gilt. Der Sachverständigenrat empfiehlt, bei Lohn- und Gehaltserhöhungen vom Produktivitätszuwachs auszugehen und es zu vermeiden, daß sich die Lohnstückkosten erhöhen. In der Tat, wenn noch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, als wir es zur Zeit erreichen, dürfen die Lohnstückkosten nicht steigen.
    Zweite Errungenschaft: Wir haben wieder steigende Realeinkommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Als wir 1982 die Regierung übernahmen, waren sie rückläufig.

    (Hornung [CDU/CSU]: Rote Zahlen!) Jetzt steigen sie wieder.


    (Dr. Emmerlich [SPD]: Bei den Unternehmern!)

    Im nächsten Jahr werden sie einen Sprung nach oben machen. Der Sachverständigenrat rechnet mit einem Anstieg der Realeinkommen um 5%. Da kommt vieles zusammen: Geldwertstabilität, Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer, Hilfen für Familien und für Alleinstehende mit Kindern, Wohngelderhöhungen und Sozialhilfeerhöhungen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Und höhere Krankenversicherungsbeiträge!)

    Meine Damen und Herren, diese Traumkombination, die erreicht worden ist, ist das Ergebnis unserer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mit der Ihren, mit Schuldenmacherei, ständigem Drehen an der Steuer- und Abgabenschraube, mit immer neuen Tests der Belastungsfähigkeit der Wirtschaft, wären diese Ergebnisse nicht erreichbar gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Dr. Dregger
    Die dritte Errungenschaft: Wir haben wieder solide Staatsfinanzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben dafür gesorgt, daß die Staatsausgaben langsamer steigen als das Bruttosozialprodukt. Wenn Sie, meine Damen und Herren, in Ihrer Verantwortung so solide gewirtschaftet hätten wie wir, brauchten wir entweder gar keine neuen Schulden aufzunehmen — denn die Schulden, die wir aufnehmen, dienen doch nur noch dazu, einen Teil der Zinsen für die Schulden zu bezahlen, die Sie gemacht haben —

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: So ein Unsinn!)

    oder uns stünden in dieser Legislaturperiode über 100 Milliarden DM zur Verfügung, die wir für bessere Zwecke als für Zinszahlungen an unsere Gläubiger verwenden könnten. Aber, meine Damen und Herren der SPD, an so etwas haben Sie nie gedacht.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Die können nicht rechnen!)

    In Ihren Überlegungen kommen die Begriffe Kosten und Schulden überhaupt nicht vor. Sie waren und Sie sind in Ihrer Politik unsolide.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das Wichtigste: Wir haben die Arbeitslosenrakete, die Sie, meine Damen und Herren, gezündet hatten, gestoppt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    1982, beim Regierungswechsel, ging die Arbeitslosenzahl raketenartig nach oben. Allein 1981/1982 stieg sie um 106 %, bei uns schneller als in jedem anderen Land der Europäischen Gemeinschaft.

    (Suhr [GRÜNE]: Das ist schlimm!)

    Damals waren wir auf dem Arbeitsmarkt die Schlechtesten. Heute sind wir zusammen mit Dänemark die Besten, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist nicht wahr! Eindeutig falsch! Sie sollten sich einmal die Zahlen angucken!)

    Die Beschäftigtenzahl steigt, in diesem Jahr laut Bundesbank um 200 000. Der Sachverständigenrat rechnet für das kommende Jahr mit einem weiteren Anstieg um 300 000 Arbeitsplätze. Warum nehmen Sie das nicht zur Kenntnis, meine Damen und Herren? Paßt Ihnen das vielleicht nicht?

    (Feilcke [CDU/CSU]: Genau!)

    Warum wollen Sie den Menschen den Mut nehmen, den sie zu einer verstärkten Wirtschaftstätigkeit brauchen, zum Verbrauch und damit zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung, die es in Deutschland gab, bevor Sie die Regierung übernahmen?

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich fasse zusammen. Was Sie verspielt hatten, haben wir wiedergewonnen:

    (Mann [GRÜNE]: Das war nun wirklich schwach!)

    solide Staatsfinanzen, stabiles Geld, wachsende Realeinkommen und wachsende Beschäftigung.

    (Mann [GRÜNE]: Das ist Gesundbeten!)

    Ein Blick auf EUROSTAT, die amtliche Statistik der Europäischen Gemeinschaft, zeigt: Die Regierung Kohl ist die erfolgreichste Regierung in der Europäischen Gemeinschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Suhr [GRÜNE]: Bei der Vernichtung der Umwelt!)

    Im Umweltschutz sind wir Vorreiter in Europa. Die Europäische Gemeinschaft hat uns gebremst. Autonom hätten wir noch schärfere Schadstoffgrenzen eingeführt, als wir sie europäisch durchsetzen konnten. Aber die Europäische Gemeinschaft hat uns auch geholfen. Ohne Europäische Gemeinschaft würden die Schadstoffgrenzen bei unseren Nachbarn nicht eingeführt worden sein. Da die Hälfte des Drecks von außen hereingeweht wird, ist auch das eine Hilfe für uns, für die Entlastung unserer Wälder.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nun bleibt Ihnen, meine Damen und Herren, nur noch die Beschäftigung mit dem Tempolimit. Wenn Sie sich zusammen mit den GRÜNEN daran delektieren wollen, dann wünschen wir Ihnen viel Vergnügen.

    (Mann [GRÜNE]: Das ist keine Delektion!)

    Wir setzen nicht auf Verbote, die, wenn sie nicht einsichtig sind, ohnehin nicht eingehalten werden. Wir setzen auf technischen Fortschritt. Wir setzen auf Schadstoffbegrenzungen durch Technik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lange [GRÜNE]: Haben wir hier eine ADAC-Hauptversammlung? — Suhr [GRÜNE]: Tausend Verkehrstote sind Ihnen egal!)

    Mit dem Katalysatorauto, dem bleifreien Benzin, der TA Luft und der Großfeuerungsanlagen-Verordnung haben wir schon jetzt in drei Jahren für den Schutz des Waldes mehr getan, als Sie es in dreizehn Jahren getan haben. Sie haben nämlich gar nichts getan.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Mann [GRÜNE]: Sagen Sie etwas zu Herrn Boenisch, Herr Dregger!)

    Wir werden mit unserem Kurs fortfahren. Herr Kollege Vogel, falls Sie das bezweifeln sollten, möchte ich Ihnen empfehlen, den „Vorwärts" sorgfältiger zu lesen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Danke schön!)

    Dort schreibt Rolf Dietrich Schwartz am 8. Dezember 1984 folgendes:
    Auf kaum einem anderen Gebiet wiegen die
    historischen Versäumnisse sozialdemokrati-



    Dr. Dregger
    scher Regierungsverantwortung so schwer wie gerade auf dem Bereich des Umweltschutzes.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    ... Die Aktion Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" ist — so gesehen — nicht nur ein Dokument für verlorene Regierungsfähigkeit, sondern auch für verlorene Oppositionsfähigkeit.
    — Der SPD.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    — Die GRÜNEN stimmen zu.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Ziemlich dümmlich, was Sie da von sich geben!)

    So ist es, meine Damen und Herren, und damit bin ich bei Ihnen, bei der SPD. Auch die Opposition hat eine wichtige Aufgabe.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Aber die nimmt sie nicht wahr!)

    Deshalb ist die kritische Sonde nicht nur an die Regierung, sondern auch an die Opposition zu legen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Ich behaupte: Die SPD ist in ihrer gegenwärtigen Verfassung ohne klares Profil.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie ist auf allen Feldern der Politik in hohem Maße unglaubwürdig. Sie hat, wie Rolf Dietrich Schwartz im „Vorwärts" schreibt, beides verloren: die Regierungs- und die Oppositionsfähigkeit.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Stimmen Sie immer zu, wenn Herr Schwartz etwas schreibt? Ich schicke Ihnen einmal Artikel!)

    In der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ist die Glaubwürdigkeitslücke der SPD an niemandem besser zu verdeutlichen als an ihrem designierten Kanzlerkandidaten Johannes Rau.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist er?)

    Meine Damen und Herren, er glänzt durch Abwesenheit!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zwei halbe Vorsitzende! — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Es wäre auch eine Zumutung, Ihnen zuzuhören!)

    Er kann jederzeit hier auf der Bundesratsbank Platz nehmen. Er kann jederzeit von diesem Pult aus sprechen. Gerhard Stoltenberg hat ihn in der letzten Debatte dazu eingeladen. Aber er kneift, er kommt nicht. Meine Damen und Herren, das sagt alles!

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Feilcke [CDU/CSU]: Er möchte Herrn Vogel nicht zuhören!)

    Wenn man das berühmte „Express"-Interview von Rau zur Kenntnis nimmt, von dem er unter dem Druck der öffentlichen Meinung selbst abrücken mußte, fragt man sich, ob Herr Rau nur lesen läßt oder selbst liest.

    (Bohl [CDU/CSU]: Er läßt sprechen!)

    Meine Damen und Herren, entweder ist seine Unkenntnis erschreckend groß,

    (Dr. Möller [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

    oder, was schlimmer wäre, er macht den Leuten bewußt etwas vor.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Beides!)

    In seinem „Express"-Interview verkündete er, wenn er Kanzler werde, wolle er alle Ausgabenbegrenzungen im Sozialbereich rückgängig machen.

    (Schmidt [Hamburg-Neustadt] [GRÜNE]: Das haben wir schon einmal gehört!)

    In seinem eigenen Land Nordrhein-Westfalen hat er soziale Leistungen — als Stichworte nenne ich nur: Familienerholung, Altenhilfe, Ausbildungsförderung, Behinderteneinrichtungen — rigoros gekürzt.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Wer sich so verhält, kann sich vor der deutschen Öffentlichkeit nicht als sozialpolitischer Wundertäter aufspielen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer das Manna unbezahlbarer Wohltaten vom Himmel regnen läßt, meine Damen und Herren, ist nicht überzeugend!

    (Feilcke [CDU/CSU]: Rau ist unbarmherzig!)

    Herr Rau ist aber nicht nur sozialpolitisch unglaubwürdig. Für seine Finanzpolitik gilt dasselbe. Sein eigener Finanzminister hat ihm den Bankrott vorausgesagt, falls er, Rau, so weitermacht. In dem berühmten Posser-Brief heißt es, Nordrhein-Westfalen habe sich in den letzten Jahren Jahr für Jahr um 3 bis 4 Milliarden DM übernommen. Dazu Posser wörtlich:
    Es liegt auf der Hand, daß sich eine solche Verschuldungspolitik nur wenige Jahre durchhalten läßt, weil die dramatisch steigenden Zinslasten den Haushalt sonst in Kürze geradezu erdrosseln würden, wie am abschreckenden Beispiel anderer hochverschuldeter Länder ...

    (Zuruf von der CDU/CSU: Bremen!)

    — dann kommt ein Klammerzusatz: Brasilien, Mexiko, Polen, aber auch Bremen und das Saarland —
    zu studieren ist.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Herr Kollege Vogel, wollen Sie die Erdrosselungspolitik des Herrn Rau auf die Bundesrepublik Deutschland wirklich übertragen sehen? Das kann doch wohl nicht wahr sein!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Dr. Dregger
    Es ist eine beklemmende Vorstellung,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Für Sie vielleicht! Für Sie allein!)

    daß dieser Mann die mühsam erreichte Stabilisierung unseres Wirtschafts-, Finanz- und Sozialsystems wieder in Frage stellen könnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Am schlimmsten ist die Glaubwürdigkeitslücke der SPD in der Sicherheitspolitik. Im Hinblick auf die exponierte und damit immer gefährdete Lage unseres Landes ist sie gerade auf diesem Felde besonders schlimm.

    (Lange [GRÜNE]: Sie machen es doch gefährdet!)

    Erster Punkt: Wie steht die SPD zur Bundeswehr und zur Landesverteidigung?

    (Zuruf von der SPD: Gut!)

    An Glückwunschadressen der SPD-Spitze zum Bundeswehrjubiläum hat es nicht gefehlt. Wie aber, Herr Kollege Vogel, läßt sich das mit der Erklärung Ihres Präsidiumsmitglieds — immerhin Ministerpräsident — Lafontaine, Wehrdienstverweigerung sei geradezu eine moralische Pflicht, vereinbaren?

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN) So Ministerpräsident Lafontaine.


    (Suhr [GRÜNE]: Wo er recht hat, hat er recht! — Zuruf der Abg. Frau Traupe [SPD])

    Das ist von Ihrer Partei noch nie zurückgewiesen worden. Wie können Sie es zulassen, daß unsere jungen Wehrpflichtigen, die das tun, was wir durch unsere Gesetze von ihnen verlangen,

    (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    in dieser unglaublichen Weise moralisch abqualifiziert werden?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Beschaffen Sie denen lieber einen Arbeitsplatz, das ist wichtiger!)

    Zweites Beispiel: Manöverbehinderungen. Junge Soldaten wurden bei den Manövern durch Aktionen der sogenannten Friedensbewegung tätlich

    (Ströbele [GRÜNE]: Was heißt hier „sogenannte"?)

    — weil sie unfriedlich ist, weil sie nicht den Frieden bewirkt, sondern das Gegenteil — angegriffen und als Faschisten und Hitler-Söhne beschimpft.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)

    Sie, Herr Brandt und Herr Vogel, haben nicht diese Exzesse, aber Sie haben die Aktionen derer unterstützt, von denen diese Exzesse ausgegangen sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie haben sie politisch und finanziell unterstützt. Auch wenn es nicht zu diesen Exzessen gekommen wäre, wäre es völlig unvertretbar gewesen, daß eine demokratische Partei Manöverbehinderungen der
    Bundeswehr, der Armee des ganzen Volkes, unterstützt.

    (Suhr [GRÜNE]: Da waren doch auch CDUMitglieder! — Lange [GRÜNE]: Ein Manöver ist ein Exzeß!)

    Nachdem diese Exzesse passiert waren, wäre eine scharfe Reaktion von seiten der SPD-Führung fällig gewesen. Sie unterblieb. Erst als wir Sie in einer Aktuellen Stunde hier in diesem Hause gestellt haben, kam es von Ihrer Seite zu verlegenen Ausreden.

    (Suhr [GRÜNE]: Friedensbewegung ist Christenpflicht!)

    Zu Zeiten der beiden Männer Helmut Schmidt und Georg Leber, die Gott sei Dank noch zu den Lebenden gehören — ich erinnere mich an das, was Sie zu Beginn Ihrer Rede gesagt haben, Herr Kollege Vogel —, Sozialdemokraten, wäre so etwas nicht denkbar gewesen. Aber heute bestimmen nicht mehr Helmut Schmidt und Georg Leber den Kurs der SPD, sondern Lafontaine und Eppler,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Mann [GRÜNE]: Das wäre schön!)

    und das ist das Unglück der SPD.
    Zweite Frage: Wie steht die SPD zur Allianz? Ihr designierter Kanzlerkandidat hat erklärt, er würde alles daransetzen, den NATO-Doppelbeschluß rückgängig zu machen.

    (Vereinzelter Beifall bei der SPD)

    Initiiert wurde dieser Beschluß innerhalb der NATO durch den damals von Ihnen gestellten Bundeskanzler, durch Helmut Schmidt. Professor Karl Kaiser, auch ein lebender Sozialdemokrat und außerdem Direktor der außenpolitischen Gesellschaft, hat am 13. Oktober 1983 — übrigens auch im „Vorwärts" — erläutert, was dieser NATO-Doppelbeschluß bedeutet. Ich zitiere Karl Kaiser:
    Beim Doppelbeschluß geht es im Kern um die Frage, ob sich die Bundesrepublik Deutschland im Einvernehmen mit ihren Verbündeten einem sich abzeichnenden Vormachtanspruch der Sowjetunion über Westeuropa entgegenstemmt oder nicht. Dies ist eine entscheidende Frage nationalen Interesses, nämlich der Selbstbestimmung der Bundesrepublik Deutschland, bei der man nicht kampflos sowjetische Positionen übernehmen
    — Herr Kollege Vogel —
    oder dagegen gerichtete Bemühungen innenpolitisch untergraben darf.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Recht hat er!)

    So der Sozialdemokrat und außenpolitische Experte Karl Kaiser. Sie haben diese Warnungen in den Wind geschlagen.
    Die Frage, aus welchen Motiven, beantwortet Frau Professorin Gesine Schwan — auch eine Lebende, Gott sei Dank —, Mitglied Ihrer Partei, zeitweise Mitglied der Grundwertekommission der SPD. Gesine Schwan schrieb, die Systemfrage, d. h. die Bedrohung der westlichen Freiheit, werde von



    Dr. Dregger
    der SPD nicht mehr gestellt. Nur wer darauf verzichte und die Augen vor der sowjetischen Bedrohung verschließe, könne den Doppelbeschluß bekämpfen.
    Meine Damen und Herren, Frau Schwan fügte hinzu — ich zitiere —:
    Wer sich so verhält, dem bedeutet die Erhaltung der westlichen Freiheit nicht viel.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Herr Rau — man muß schon fast sagen: dieser Unglücksrabe —

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    hat mit seiner unverantwortlichen Ankündigung, er wolle als Kanzler den Doppelbeschluß rückgängig machen, das Urteil Gesine Schwans nur bestätigt. Und da behaupten Sie, Herr Kollege Vogel, die SPD bekenne sich zum Bündnis und zu dessen ideellen und moralischen Fundamenten. Das ist doch absolut unglaubwürdig.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Eine Glaubwürdigkeitslücke der SPD gibt es auch in der Deutschlandpolitik. Im Godesberger Programm, das Sie nach langer Zeit einmal wieder lesen sollten, heißt es noch — ich zitiere —:
    Sie
    — die SPD —
    steht zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

    (Lambinus [SPD]: Ein gefährlicher Schwätzer sind Sie!)

    In seinem Sinne erstrebt sie die Einheit Deutschlands in gesicherter Freiheit.
    Die Spaltung Deutschlands bedroht den Frieden. Ihre Überwindung ist lebensnotwendig für das deutsche Volk.
    Erst in einem wiedervereinigten Deutschland wird das ganze Volk in freier Selbstbestimmung Inhalt und Form von Staat und Gesellschaft gestalten können.
    So das Godesberger Programm.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich kann diese alten Positionen der SPD Wort für Wort unterschreiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Ich schicke Ihnen einen Aufnahmeschein! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Nur, Sie können es nicht mehr.

    (Erneute Zurufe von der SPD)

    In der SPD sind diese Aussagen nicht mehr mehrheitsfähig; sonst hätte Herr Rau die bedauerliche Äußerung des italienischen Außenministers Andreotti zur deutschen Frage nicht mit unverhohlener Genugtuung kommentiert, und sonst hätte Herr Apel — damals ausgerechnet auch noch als Bürgermeisterkandidat für Berlin — nicht gesagt, die deutsche Frage sei nicht mehr offen, und sonst hätte Herr Lafontaine nicht die gemeinsame Staatsbürgerschaft der Deutschen — wie jetzt in Ost-Berlin — in Frage gestellt.

    (Dr. Vogel [SPD]: Herr Windelen die Zugehörigkeit Berlins! — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Was macht Herr Windelen?)

    Herr Brandt hat sich von Herrn Lafontaine distanziert! Ich frage: Für wie lange und aus welchen Motiven? Herr Vogel hat diese Äußerungen zunächst interpretiert. Meine Damen und Herren, dieses unwürdige Hin und Her der SPD ausgerechnet dann, wenn es um Deutschland geht

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Beifall! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    — Deutschland bedeutet Ihnen von den GRÜNEN gar nichts, das weiß ich; das unterscheidet uns —, zeigt, welche Kluft sich zwischen der SPD des Godesberger Programms und der heutigen SPD aufgetan hat.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Wenn Sie einen Stahlhelm aufhätten, wären Sie noch überzeugender!)