Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie bitte Platz .Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie alle herzlich zu unserer ersten planmäßigenSitzungswoche nach der zweimal unterbrochenen parla-mentarischen Sommerpause, in der wir traditionsgemäßin die Beratung des Haushaltsentwurfs für das Jahr 2016eintreten, bevor wir das in den Ausschussberatungendann im Einzelnen vertiefen .Heute hat der Kollege Wolfgang Gehrcke seinen 72 .Geburtstag, dem ich im Namen des ganzen Hauses herz-lich gratulieren möchte .
Ich nutze die Gelegenheit gerne, die guten Wünschefür ihn und sein neues Lebensjahr zu verbinden mitähnlich guten Wünschen für den Bundesminister GerdMüller, die Kollegin Anette Hübinger, den KollegenArnold Vaatz und den Kollegen Kees de Vries, die vorwenigen Tagen ihren 60 . Geburtstag begangen haben,die Kollegin Gerda Hasselfeldt, den Kollegen JosefGöppel und den Kollegen Manfred Zöllmer, die 65 Jah-re alt geworden sind, und den Kollegen Hans-Peter Uhlsowie die Kollegin Erika Steinbach, die diese stolzeZahl sogar noch leicht überboten haben . Ihnen allen ganzherzliche Glückwünsche!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit unserer letztenPlenarsitzung haben die nach Deutschland kommen-den Flüchtlinge sowie die Reaktionen auf ihre Nöte dieöffentliche Diskussion bestimmt . Wir sehen verzweifelteMenschen auf ihrem Fluchtweg nach und durch Europaund erschütternde, kaum erträgliche Bilder derer, die die-sen Weg mit dem Leben bezahlt haben – darunter auchviele Kinder .In unser Mitgefühl und unsere Trauer mischen sichberechtigte Sorgen, wie wir mit dem weiter anhaltendenZustrom in unseren Kommunen fertig werden und dieKontrolle über das eigene Land, seine Grenzen und sei-ne Rechtsordnung behaupten können . Wir sprechen jetztin Deutschland und in Europa über unseren Umgang mitdiesem humanitären Ausnahmezustand . Wir dürfen undmüssen, auch in der Haushaltsdebatte, gewiss streitenüber nötige und mögliche Maßnahmen, über rechtlicheund finanzielle Rahmenbedingungen, über vorrangigeund nachrangige Aufgaben .Dass heute Menschen in Not in unserem Land, inDeutschland, den freien und sicheren Ort erkennen, derihnen Schutz und Hilfe gewährt, ist angesichts unsererGeschichte ebenso erstaunlich wie ermutigend . Ein wirk-licher Grund, stolz zu sein, ist die imponierende Bereit-schaft der heute in Deutschland lebenden Menschen, die-se humanitäre Herausforderung anzunehmen .
Viele Bürgerinnen und Bürger helfen spontan, freiwil-lig, ehrenamtlich, häufig mit bewundernswertem Einsatzan Zeit und Geld . Sie ermöglichen Sprachunterricht, siegeben Nachhilfestunden, sie helfen im Umgang mit Be-hörden und bei Arztbesuchen, sie übernehmen Vormund-schaften für unbegleitete Kinder, die in Deutschlandbuchstäblich gestrandet sind, sie laden zu Nachbarschaft-streffen und Ausflügen ein; manche leisten Bürgschaftenund bieten die Unterbringung von Flüchtlingen in dereigenen Wohnung an . Diesen vielen Tausend haupt- undehrenamtlichen Helfern überall in Deutschland möchteich im Namen aller Mitglieder des Bundestages aus-drücklich danken und unseren Respekt bezeugen .
Ihr Engagement ist die überzeugendste Antwort aufdumpfe Vorbehalte und offenen Fremdenhass, die undden es auch gibt .Auch das gehört leider zur Realität unseres Lan-des: beschämende gewalttätige Ausschreitungen gegenFlüchtlinge, Unterkünfte und Polizisten, verübt von ei-ner kleinen lautstarken Minderheit, um eine Atmosphäreder Angst und Einschüchterung zu schüren . Nicht seltenwerden auch diejenigen unter Druck gesetzt, die sich vorOrt um eine Willkommenskultur bemühen .Ja, es gehört zur Freiheit dieses Landes, auch gegenpolitische Entscheidungen zu protestieren und zu de-monstrieren, die man falsch oder gar unzumutbar findet.
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Aber es darf keine Toleranz geben für Pöbeleien, per-sönliche Beleidigungen, anonyme Hass-Mails oder gartätliche Angriffe .
Dies ist die gemeinsame, unmissverständliche Positi-on aller im Parlament vertretenen Parteien und ihrer Ab-geordneten . Das Asylrecht ist und bleibt die unantastbareSelbstverpflichtung unserer Verfassung und unserer Ge-schichte, und die Menschenwürde gilt ausnahmslos füralle, die hier leben, unabhängig davon, wie lange sie hiersind und wie lange sie bleiben können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa kann wederdie Grenzen für alle öffnen noch seine Grenzen herme-tisch abriegeln . Es ist ein Gebot der Redlichkeit, auchdeutlich zu machen: Nicht alle, die aus ihrer Heimat vorNot und Armut flüchten, werden nach Deutschland kom-men oder in Deutschland bleiben können . Zur Redlich-keit gehört im Übrigen auch, deutlich zu sagen, dass diehumanitäre Herausforderung, vor der wir aktuell stehen,keine schnell vorübergehende Aufgabe ist . Das hat dieBundeskanzlerin wie viele andere in den letzten Tagenaus guten Gründen immer wieder als große gemeinsamenationale Aufgabe beschrieben . Dabei werden wir nichtnur staatlichen Behörden und gesellschaftlichen Einrich-tungen in den nächsten Monaten einiges abverlangenmüssen, sondern auch den Flüchtlingen, wenn die Inte-gration gelingen soll .Vorrangig bedarf es einer gemeinsamen politischen An-strengung von Bund, Ländern und Kommunen, um soflexibel wie möglich und so zügig wie nötig eine men-schenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge sicherzu-stellen . Aber es braucht auch eine verbindliche europä-ische Lösung . Wir müssen von allen, ausnahmslos allen,Mitgliedstaaten der Europäischen Union erwarten, dasssie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten daran beteili-gen – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger .
Das haben auch die europäischen Parlamentspräsidentenaus den G-7-Staaten bei ihrer Konferenz am vergangenenSamstag in Leipzig einvernehmlich festgestellt .Diese große humanitäre, politische und kulturelleHerausforderung wird Deutschland verändern . Ich binsicher, dass dies letztlich zum Vorteil unseres Landesgeschieht, wenn wir so mutig und entschlossen handeln,wie das auch bei anderen großen Herausforderungen wiezuletzt der Finanz- und Bankenkrise geschehen ist .
Dieses Bewusstsein sollte unsere Debatte in dieserWoche prägen, vor allem aber unser weiteres gemeinsa-mes Handeln in Staat und Gesellschaft .
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2016
Drucksache 18/5500Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungFinanzplan des Bundes 2015 bis 2019Drucksache 18/5501Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind imRahmen der Haushaltsberatung für die heutige Aus-sprache im Anschluss an die 40minütige Einbringungdes Haushalts durch den Bundesminister der Finan-zen 6 Stunden und 24 Minuten, für die Aussprache amMittwoch 8 Stunden und 32 Minuten, am Donnerstag8 Stunden und 29 Minuten und am Freitag 4 Stunden und48 Minuten vorgesehen . Das wird am Ende vermutlicheher ein bisschen mehr als weniger werden, aber es wäreschon gut, wenn wir uns an diese zeitlichen Vereinbarun-gen hielten, wenn wir sie denn jetzt gleich anschließendbeschließen . – Ich sehe jedenfalls dazu keinen Wider-spruch . Dann ist der Zeitplan damit so beschlossen .Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der Bun-desminister der Finanzen, Dr . Wolfgang Schäuble .
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie,Herr Präsident, eben schon eindrucksvoll gesagt haben,steht auch diese Haushaltsdebatte im Zeichen der aktu-ellen Flüchtlingssituation . Sie ist eine Bewährungsprobefür Deutschland und für Europa, und sie stellt uns alle,Staat und Gesellschaft, vor die größte Herausforderungseit langer Zeit . Deshalb hat die Bewältigung dieser an-spruchsvollen Aufgabe absolute Priorität . Die Aufgabestellt sich jetzt, und wir werden sie jetzt bewältigen, undwir müssen sie auch jetzt finanzieren – wenn möglich,ohne neue Schulden . Dem haben sich dann andere Aus-gabenwünsche unterzuordnen .
Es kommt jetzt darauf an, die Flüchtlingssituationdurch eine enge Zusammenarbeit aller staatlichen Ebe-nen zu meistern . Wir brauchen passgenaue Antworten,die allen Beteiligten gerecht werden, und danach ent-scheidet sich, welche staatliche Ebene welche Aufgabewahrnehmen soll . Aus den Antworten darauf muss sichdie Finanzierung ableiten und nicht umgekehrt .Wir haben uns im Koalitionsausschuss am Sonntag-abend auf ein umfassendes Paket verständigt . Auf demFlüchtlingsgipfel mit den Regierungschefs der Länderam 24 . September sollen die Maßnahmen dieses Paketsabschließend besprochen werden . Deswegen macht esjetzt wenig Sinn, in einen Überbietungswettbewerb ein-zutreten, wer wie viel konkret bezahlen soll, bevor nichtPräsident Dr . Norbert Lammert
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abschließend geklärt ist, wer was konkret tun soll . Einsolcher Streit um Milliardenbeträge würde im Ergebnisauch nur schaden . Er würde die öffentliche Akzeptanzder Flüchtlingssituation nicht verbessern, sondern ge-fährden .Wir werden dieser Aufgabe nur gerecht, wenn wir unsauf die drei wesentlichen Punkte konzentrieren:Erstens: die Aufnahme der Flüchtlinge . Jetzt geht esdarum, die Zahl der Erstaufnahmeplätze auszubauen .Der Bund wird Länder und Kommunen beim Ausbau vonrund 150 000 winterfesten Plätzen in Erstaufnahmeein-richtungen unterstützen .Zweitens: die zügige Klärung des Duldungsanspruchsund gegebenenfalls die Rückführung in das Heimatland .Asylbewerber sollen so lange in den Erstaufnahmeein-richtungen bleiben, bis über ihren Antrag entschiedenworden ist . Wenn der Antrag abgelehnt wird, soll dieRückführung direkt aus der Erstaufnahmeeinrichtungerfolgen . Das wäre für die Kommunen eine große Ent-lastung .Drittens: die Integration der Flüchtlinge mit einerBleibeperspektive . Wir werden die Integrationskurseund die Programme zum Spracherwerb weiter ausbau-en . Wir müssen die Menschen so schnell wie möglich indie Lage versetzen, Arbeit aufzunehmen, ihre Kinder indie Schule zu schicken, ihren Unterhalt selbst zu bestrei-ten . Wir werden auch mehr Bundesfreiwillige und mehrHauptamtliche in die Flüchtlingshilfe einbeziehen . Wirhaben verabredet, beim Freiwilligendienst des Bundesbis zu 10 000 zusätzliche Stellen einzurichten .
Übrigens hat der Bund schon zuvor einiges auf denWeg gebracht, um die Situation zu verbessern . Länderund Kommunen erhalten in diesem Jahr pauschal 1 Milli-arde Euro zusätzlich . Wir werden diese Mittel angesichtsder steigenden Zahl der Flüchtlinge natürlich erheblichaufstocken müssen .Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben hat schonrund 190 Liegenschaften mit rund 38 000 Unterbrin-gungsmöglichkeiten für Flüchtlinge und Asylsuchendezur Verfügung gestellt, und das mietzinsfrei . Der Bundist auch bereit, die für die Herrichtung von Bestands-gebäuden notwendigen Kosten und die erforderlichenErschließungskosten für diese Gebäude zu überneh-men, und zwar rückwirkend ab dem 1 . Januar 2015 . Wirwerden das auf alle verfügbaren Bundesliegenschaftenausweiten . Damit werden übrigens nicht nur Länder undKommunen unterstützt, die die erste Anlaufstelle für dieFlüchtlinge sind, sondern wir helfen vor allem den Men-schen selbst, die nach teilweise lebensbedrohlicher Reisehier vor Ort eine feste Unterkunft benötigen .Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhältzur schnelleren Bearbeitung der Asylverfahren 2 000 zu-sätzliche Stellen . Für die Integrationskurse werden dieMittel entsprechend dem gestiegenen Bedarf erhöht . Inanderen Bereichen der Bundesverwaltung soll das Perso-nal so flexibel wie möglich eingesetzt werden. Man musssich immer im Klaren sein: Zusätzliche Stellen heißtnoch nicht, dass man schon die Menschen hat, die dieStellen auch ausfüllen können. Erst muss man sie finden,und dann muss man sie oft auch noch ausbilden . Deswe-gen werden geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterdes Zolls übergangsweise das Bundesamt für Migrationund Flüchtlinge sowie die Bundespolizei unterstützen .Ich kann mit großem Respekt vor den Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern der Zollverwaltung sagen, dass dorteine große Bereitschaft vorhanden ist, sich freiwillig fürdiese Aufgaben zur Verfügung zu stellen .
Wir wollen übrigens die zusätzlichen Stellen für dieMindestlohnkontrolle, die wir verabredet haben, prag-matisch dazu nutzen, die derzeitige Situation kurzfristigzu bewältigen . Das bedeutet natürlich – das muss manklar sagen –, dass wir das für den Ausbau der Mindest-lohnkontrollen durch den Zoll ursprünglich vorgeseheneTempo verlangsamen werden .
- Ja, so ist das mit dem Bundesarbeitsministerium ver-abredet .
Wir haben im Übrigen verabredet, bei der Bundespoli-zei in den nächsten drei Jahren 3 000 zusätzliche Stellenzu schaffen .Wir haben schon im Haushaltsentwurf und im Ent-wurf für die mittelfristige Finanzplanung die Mittel fürdie öffentliche Entwicklungszusammenarbeit beträcht-lich erhöht . Damit können und sollen die Fluchtursachenin den wichtigsten Herkunftsländern zusätzlich bekämpftwerden . Auch im Haushalt des Auswärtigen Amtes sol-len die Unterstützungsmittel für die Versorgung und Be-treuung von Flüchtlingslagern in den Krisenregionen undfür die Stabilisierung von Herkunfts- und Transitländernum 400 Millionen Euro aufgestockt werden .Die Integration von Menschen aus unterschiedlichenEthnien, mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen,mit unterschiedlichen, teils auch traumatischen Erfah-rungen wird ein Kraftakt für unser Land und unsere Ge-sellschaft sein; das sollte niemand kleinreden. Aber wirsollten diese Situation auch als Chance für uns selbst be-greifen . Wir dürfen Flüchtlinge und Asylsuchende nichtnur unter Kostengesichtspunkten betrachten .
Wir sehen in diesen Tagen: Manchmal sind große Teileder Bevölkerung weiter als die verfasste Politik . Auch dieWiedervereinigung vor 25 Jahren ist ein Beispiel dafür,was Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Verwaltungschaffen können, wenn es wirklich darauf ankommt . Diezur Bewältigung der Flüchtlingssituation diskutiertenÄnderungen etwa im Bau- oder Vergaberecht sind Bei-spiele dafür, wie Deutschland seine Anpassungsfähigkeitverstärken muss . Wir erhalten dadurch in diesen Rechts-bereichen eine Flexibilität, mit der wir uns bisher sehrschwertun, die wir aber dringend brauchen . Auch darinliegt eine Chance zur Erneuerung und Fortentwicklunginsgesamt für uns .Bundesminister Dr . Wolfgang Schäuble
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Wir können diese Herausforderung meistern . UnserLand hat die Kraft dazu . Unsere wirtschaftliche Lageist gut, nicht zuletzt aufgrund unserer Finanz- und Wirt-schaftspolitik in den letzten Jahren . Das spiegelt sichübrigens in den Haushalten von Bund, Ländern und Ge-meinden . Vor ein paar Wochen war von hohen gesamt-staatlichen Überschüssen im ersten Halbjahr die Rede .Es handelt sich dabei nicht um Haushaltszahlen, undHalbjahreszahlen sagen nicht allzu viel aus; außerdemwurden gesamtstaatliche Zahlen, also von Bund, Län-dern, Gemeinden und Sozialversicherungen, errechnet .Aber immerhin: Angesichts unserer guten wirtschaftli-chen Entwicklung haben wir eine gute Entwicklung beiden Steuereinnahmen . Die Zinsbelastungen der öffent-lichen Haushalte sind weiterhin niedrig . Das gilt, wasman angesichts der öffentlichen Debatte gelegentlich garnicht glauben mag, für den Bund gleichermaßen wie fürLänder und Gemeinden .Im Bund gewinnen wir in diesem Jahr zusätzlichenHandlungsspielraum . Den können und müssen wir zurBewältigung der großen Aufgabe nutzen . Diesen Hand-lungsspielraum sollten wir gegebenenfalls mit einemNachtragshaushalt auch für die nächsten Jahre erschlie-ßen, damit wir ihn in den nächsten Jahren ebenfalls nut-zen können . Wir haben in der Koalition am Sonntagabendverabredet, dass wir zur Bewältigung dieser prioritärenAufgabe die Ansätze im Bundeshaushalt, wie er im Ent-wurf vorliegt, um insgesamt 3 Milliarden Euro erhöhenund zugleich Ländern und Kommunen die gleiche Sum-me zur Bewältigung ihres Anteils an den Aufgaben zurVerfügung stellen werden . Wir wollen das ohne neueSchulden schaffen . Die Rechnung für die Aufgaben, diesich uns jetzt stellen, sollten wir nämlich nicht an kom-mende Generationen weiterreichen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind in der Lage,jetzt auf diese große Herausforderung angemessen zureagieren, weil wir uns in den letzten Jahren finanzielleHandlungsfähigkeit erarbeitet haben . Das darf man, weildas so oft kritisiert worden ist, auch einmal sagen . Dasist das Resultat der konsequenten Sanierung des Bundes-haushalts .
Wie wichtig es ist, dass wir diese Handlungsfähigkeitzurückgewonnen haben, hat sich übrigens schon bei derUmsetzung der im Koalitionsvertrag beschlossenen pri-oritären Maßnahmen, bei der weiteren Stärkung von In-vestitionen des Bundes und der Kommunen und bei derFinanzierung der Energiewende gezeigt .Unsere erfolgreiche Finanz- und Haushaltspolitik hatim Übrigen maßgeblich dazu beigetragen, dass es unswirtschaftlich gut geht . Unsere Wirtschaft wächst seit2010, dem Startjahr der Schuldenbremse, zuletzt um1,6 Prozent in 2014 . Wir haben eine robuste Konjunk-tur, trotz aller Risiken im weltwirtschaftlichen Umfeld .Dieses und nächstes Jahr ist weiterhin mit gutem Wachs-tum zu rechnen, übrigens vor allem getragen durch diehohe Inlandsnachfrage, und diese gründet maßgeblichauf Vertrauen in die Nachhaltigkeit unserer Politik . Derpsychologische Faktor in der Wirtschaftspolitik wird jagelegentlich unterschätzt, insbesondere international;aber man sollte ihn nicht unterschätzen . Ohne Vertrauengehen Investitionen wie Konsumnachfrage schnell zu-rück . Die Europäische Kommission sagt übrigens auchfür den Euro-Raum für dieses und die beiden folgendenJahre ein Wachstum von 1,5 bis 2 Prozent voraus . Das istnicht überragend hoch, aber es ist solide . In Deutschlandhat die Zahl der Erwerbstätigen in diesem Jahr mit fast43 Millionen erneut ein Rekordhoch erreicht . Das zeigt,dass es uns in den letzten Jahren gelungen ist, eine Reihezusätzlicher Arbeitskräfte in den deutschen Arbeitsmarktzu integrieren. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigBeschäftigten erhöht sich weiter, und die Reallöhne sindseit 2010 deutlich gestiegen, allein im vergangenen Jahrim Durchschnitt um 1,7 Prozent . Vermutlich steigen siein diesem Jahr noch stärker . Dies sind reale Steigerun-gen, nicht nominale . Sie kommen den Menschen zugute .Das stärkt nicht nur die Inlandsnachfrage, sondern auchden Wohlstand der Bevölkerung in unserem Lande . Auchdas ist unserer Haushaltspolitik geschuldet .Die Finanz- und Wirtschaftskrisen seit den 80er-Jahr-en haben doch vor allem eins gezeigt: Ein zu stark aufKrediten, also privaten und öffentlichen Schulden, be-ruhendes Wachstum ist niemals nachhaltig . Zu starkesKreditwachstum löst keine strukturellen Probleme, son-dern führt zu Finanz- und Schuldenkrisen . GeldpolitischeMaßnahmen der Zentralbanken können daran übrigensauf Dauer wenig ändern . Heftige Finanzkrisen verringernnicht nur das aktuelle Wachstum, sondern eben auch dielangfristigen Wachstumsmöglichkeiten, weil heftige Kri-sen die Erwartungen von Investoren und Konsumentenverschlechtern und die Investitions- und Konsumbereit-schaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern verringern .Eine stetige Finanz- und Wirtschaftspolitik, die nichtdarauf aus ist, kurzfristiges Wachstum mit Gewalt er-zwingen zu wollen, sondern die sich daran orientiert,die Chancen für nachhaltiges Wachstum zu verbessern,ist der gesündere und erfolgreichere Ansatz . Indem wirin Deutschland für solides und nachhaltiges Wachstumsorgen, kommen wir auch unseren Verpflichtungen ge-genüber Europa und gegenüber der Weltwirtschaft nach .Welche Lage hätten wir eigentlich in Europa und außer-halb, wenn auch Deutschland nicht für Stabilität stehenwürde?
Im internationalen Rahmen hat endlich eine Diskus-sion über die Frage begonnen, warum eigentlich in denletzten 30 Jahren – so lange geht das – trotz stark steigen-der Schulden das Wachstum in den entwickelten Volks-wirtschaften so mäßig ausfällt und langfristig immerstärker zurückgeht . Es wird international immer klarer,dass nachhaltiges Wachstum auch nachhaltige Finanzenvoraussetzt .So werden auch in den internationalen Debatten dieStimmen lauter, die dafür stehen, dass das ÜbergewichtBundesminister Dr . Wolfgang Schäuble
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des Finanzsektors gegenüber der Realwirtschaft, verur-sacht insbesondere durch die immens hohen kurzfristi-gen Gewinnchancen, eine Gefahr für nachhaltiges globa-les Wachstum ist .
Es ist unbestritten, dass weltweit hohe Liquidität undVerschuldung die Risikobereitschaft im Finanzsektorund die Gefahr neuer Blasen fördern, weitere Verschul-dungen erleichtern und zu Fehlinvestitionen führen . Dassteigende Verschuldungstempo verringert gleichzeitigden Glauben der Anleger an die dauerhafte Tragfähigkeitder Schulden . Auch da kommt wieder der psychologi-sche Faktor ins Spiel, der, wie gesagt, leider oft unter-schätzt wird .So ist es übrigens auch nicht verwunderlich, dass wiruns womöglich auf eine noch längere Phase niedrigerZinsen einstellen müssen, auch wenn natürlich das Zielbleiben muss, die weltweit außergewöhnlich expansiveGeldpolitik der Notenbanken schrittweise abzubauen .
Wir arbeiten im Rahmen unserer – allerdings begrenz-ten – Möglichkeiten daran, dass Sparer und Unternehmerin Deutschland mit der Niedrigzinsphase zurechtkom-men können . Wir haben mit dem Lebensversicherungs-reformgesetz einen fairen Ausgleich zwischen den In-teressen verschiedener Kundengruppen geschaffen . Wirbereiten aktuell ein Gesetz vor, mit dem den Bauspar-kassen mehr Spielräume, etwa in der Immobilienfinan-zierung, ermöglicht werden sollen, um diese bewährteSparform auch unter den veränderten Zinsbedingungenzukunftsfest zu machen . Ferner suchen wir gemeinsamfür die betriebliche Alterssicherung nach Lösungen . Esgeht bei alldem darum, in einem schwierigen ZinsumfeldStabilität zu wahren .Was wir in Deutschland machen und was wir in Eu-ropa wollen, ist, dass die Schuldenstände sich an diewirtschaftliche Leistungsfähigkeit des jeweiligen Landesanpassen . Dabei dürfen die Schulden im Verhältnis zurWirtschaftsleistung nicht wachsen . Sie sollen vielmehr,abhängig vom Schuldenprofil, schrittweise zurück-geführt werden . So haben wir das zuletzt wieder beimG-20-Finanzministertreffen in Ankara formuliert, und sosteht es in allen europäischen Regeln . Das ist auch nichtzu viel verlangt, und es liegt im Interesse jedes einzel-nen Landes . Es hat rein gar nichts mit sogenannter Aus-teritätspolitik zu tun . Deutschland muss sich nicht dafürrechtfertigen, dass es sich selbst – wenn auch leider imGegensatz zu manch anderem – an die auf globaler undeuropäischer Ebene gemeinsam getroffenen Vereinba-rungen hält, zumal wenn diese von allen Beteiligten fürrichtig gehalten werden .Die Ökonomen im In- und Ausland – eigentlich eherPolitiker und Journalisten als Ökonomen –, die, dieNachfrage in Deutschland jetzt schuldenfinanziert nochweiter steigern wollen und sich dabei natürlich auf Key-nes berufen, den sie, wie ich vermute, alle nicht gelesenhaben, möchte ich dann doch darauf hinweisen, dass manKeynes nur verstanden hat, wenn man in konjunkturellguten Zeiten keine neuen Schulden macht .
Wahrscheinlich liegen wir in Deutschland viel näheran John Maynard Keynes als so mancher sogenannteStarökonom auf internationalem Parkett .
In nahezu jeder wirtschaftlichen Lage – es ist jamanchmal schon langweilig –, ob sie nun gerade besseroder schlechter ist, für immer mehr Schulden und für eineweitere Flutung der Märkte mit Geld der Notenbankenzu sein, ist weder originell noch seriös . Ich würde mirmanchmal schon mehr Substanz in diesen Diskussionenwünschen . Zumal sich genau dies in den vergangenenJahren eben nicht als besonders erfolgreiche Wirtschafts-politik erwiesen hat .Die Frage, die uns wirklich umtreiben sollte, ist: Wiebekommen wir Europa wieder in Form – wirtschaftlichwie politisch? Die institutionellen Regeln und Verfah-ren in Europa – das haben wir in den letzten Jahren undMonaten genügend erlebt – sind dafür noch nicht aus-reichend . Die Entscheidungsfähigkeit Europas muss ver-bessert werden .Ein starkes Europa lebt von Vertrauen und Solidarität:Vertrauen darauf, dass die Mitgliedstaaten die gemein-sam vereinbarten Regeln auch einhalten, gepaart mit So-lidarität bei nichtvorhersehbaren Herausforderungen .Wir hatten als Reaktion auf die Krisen der letzten Jah-re die Wirtschafts- und Währungsunion Schritt für Schrittstabiler gemacht . Wir werden diesen Weg weitergehen,ohne Europa zu überfordern . Der Bericht der fünf Prä-sidenten von Kommission, Zentralbank, Euro-Gruppe,Europäischem Rat und Parlament zur Weiterentwicklungder Wirtschafts- und Währungsunion bietet dazu Gele-genheit . Es ist richtig, jetzt die Debatte über eine stärke-re europäische Integration zu führen, aber solange Mit-gliedstaaten nicht in der Lage sind, europäische Regelneinzuhalten –
- Wir halten uns daran . Ich habe gerade erläutert, dass wiruns im Gegensatz zu anderen an die Regeln des europä-ischen Stabilitäts- und Wachstumspakts halten und dasswir uns dafür auch nicht kritisieren lassen, sondern unsgegen solche Kritik wehren .
Ich will Ihnen ein anderes Beispiel nennen . Wir allesind der Überzeugung, dass eine Bankenunion zur wei-teren Stabilisierung der Währungsunion jetzt ganz zwin-gend ist . Deswegen haben wir mit großem Hochdruckan der Bankenrestrukturierungsrichtlinie gearbeitet . Wirhaben verabredet – das wurde auch so festgeschrieben –,dass sie spätestens zum 1 . Januar 2015 in nationalesRecht umzusetzen ist . Es gibt aber elf Mitgliedsländer,Bundesminister Dr . Wolfgang Schäuble
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die sie bis heute nicht umgesetzt haben . Es wären zwölf,wenn wir Griechenland nicht gezwungen hätten, sie als„Prior Action“ umzusetzen . Solange wir solche Regelnnicht rechtzeitig in nationales Recht umsetzen, so langesollten wir nicht über neue Ansätze zur weiteren Verge-meinschaftung von Risiken reden . Wir dürfen den zwei-ten Schritt nicht vor dem ersten tun . Jeder muss seinenersten Schritt gehen .
Das ist keine legalistische Petitesse; ich werde es demZwischenrufer gleich noch einmal erklären . Nur wenndas Regelwerk zur Bankenabwicklung im nationalenRecht jedes Mitgliedstaats verankert ist, können die Ei-gentümer und Gläubiger der Banken im Falle einer Plei-te auch zur Kasse gebeten werden . Das haben wir dochalle in großen Reden seit 2008 immer gesagt: Die sollenselber haften und nicht die Steuerzahler . – Dazu brauchtman aber die Umsetzung der Bankenrestrukturierungs-richtlinie . Es reicht nicht, wenn wir sie nur beschließenund große Reden halten . Vielmehr müssen wir sie umset-zen und anwenden .Ich sagte schon: Elf Mitgliedstaaten – ich sage nichtwelche; aber das kann man nachlesen – haben sie bishernoch nicht umgesetzt . Dem Argument, die Steuerzahlersollten nicht für das Risiko der Banken haften, stimmenalle zu . Aber es ist eben kein Argument, das Risiko vomSteuerzahler eines Landes auf die Steuerzahler andererLänder zu verschieben, was zu viele unter dem Stichwort„Vergemeinschaftung“ verstehen .
Wenn man also über die Vergemeinschaftung vonnationalen Systemen redet, dann muss man zuerst dievereinbarten nationalen Systeme ausbauen und den Ban-kenrestrukturierungsfonds aufbauen . Ich habe eine Über-sicht angefordert, wer eigentlich schon eingezahlt hat .Die deutschen Banken zahlen seit 2011 in einen solchenRestrukturierungsfonds ein . Bevor wir solche Fonds ver-gemeinschaften, sollten bitte auch die anderen erst ein-mal anfangen, ein bisschen einzuzahlen . Sonst untergräbtman Vertrauen in die Verlässlichkeit . Verlässlichkeit istaber die Grundlage für Solidarität .
Es kann übrigens auch nicht sein, dass manche in Eu-ropa meinen – und dies auch noch in deutschen Zeitun-gen sagen –, sie würden die in ihrem Land notwendigenReformen für uns in Deutschland machen, und deswegensollen wir bezahlen, wenn sie solche Reformen durch-führen .
Ich finde, jedes Land muss die notwendigen Reformenim Eigeninteresse machen . Dass die wirtschaftlich Stär-keren im Interesse eines starken Europas mehr als anderebezahlen müssen, ist klar . Dass Solidarität eine Selbst-verständlichkeit ist, ist auch wahr . Aber es darf eben kei-ne Ausrede geben . Man muss auch selbst das Notwendi-ge tun . Ein jeder muss insofern vor seiner eigenen Türkehren .Von Deutschland wird zu Recht erwartet, dass es Eu-ropa voranbringt . Damit wir das tun können, müssen wirselbst dauerhaft stark sein und stark bleiben . Dafür istes notwendig, dass wir gezielt in die Zukunft investie-ren . Das klingt fast schon banal . Aber, meine Damen undHerren, es ist eben doch nicht banal, dass die Mittel desBundesministeriums für Bildung und Forschung gegen-über dem Vorjahr wieder um gut 1,1 Milliarden Euro aufknapp 16,4 Milliarden Euro erhöht werden . Seit dem Be-ginn meiner Zeit als Finanzminister sind die Mittel imHaushalt für Bildung und Forschung damit um 60 Pro-zent gesteigert worden .
Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben Deutsch-lands haben bereits 2012 das EU-Ziel von 3 Prozent desBruttoinlandsprodukts erreicht . Wir liegen damit welt-weit auf dem fünften Platz, vor den Vereinigten Staatenvon Amerika und weit vor Frankreich oder Großbritan-nien .Natürlich beruhigt es in diesem Zusammenhang be-sonders, Herr Kollege Gabriel, dass sogar das DeutscheInstitut für Wirtschaftsforschung in Berlin festge-stellt hat, dass die seit 2007 steigenden Forschungsaus-gaben vor allem an den gestiegenen öffentlichen Inves-titionen liegen .Aber natürlich sind neben Investitionen in Bildungauch Investitionen in klassische Infrastruktur notwen-dig, um Deutschlands wirtschaftliche Stärke zu sichern .Folgerichtig liegen die Ausgaben im Einzelplan des Bun-desministeriums für Verkehr und digitale Infrastrukturim Haushalt für 2016 mit rund 24,4 Milliarden Euro um1,1 Milliarden Euro über denen des Vorjahrs . Dieser Aus-gabenanstieg spiegelt in erster Linie die Ausweitung derVerkehrsinvestitionen .Andererseits wird auch im Bundeshaushalt 2016 gutjeder zweite Euro für soziale Leistungen ausgegeben,und das trotz der guten Arbeitsmarktlage . Ich sage es injeder Haushaltsdebatte: Wir müssen mittelfristig über dierichtige Ausrichtung und Prioritätensetzung in unserenHaushalten verstärkt nachdenken .
Die Leistungen des Bundes an die gesetzliche Ren-tenversicherung stellen nach wie vor den größten Aus-gabenblock im Bundeshaushalt dar . Sie erhöhen sichgegenüber dem Vorjahr um rund 2,3 Milliarden Euround belaufen sich in 2016 auf insgesamt 86,6 Milliar-den Euro . Auch der Bundeszuschuss für die gesetzlicheKrankenversicherung bleibt mit 14 Milliarden Euro aufeinem hohen Niveau .Der Bund unterstützt die Kommunen trotz der grund-gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung, nach der die Län-der für die Kommunen zuständig sind, seit der letztenLegislaturperiode so stark wie nie zuvor . Bei sozialenLeistungen entlastet der Bund die Kommunen um mehrBundesminister Dr . Wolfgang Schäuble
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als 42 Milliarden Euro in den Jahren 2011 bis 2017 . BeimAusbau der Kindertagesbetreuung für unter Dreijährigehat der Bund allein bis 2014 5,4 Milliarden Euro über-nommen, und er unterstützt die Kommunen auch bei denlaufenden Betriebskosten .Wenn die Kommunen vom Bund zur Bewältigungder Flüchtlingssituation nun weitere Mittel erhalten wer-den, so kann ein Teil dieser Mittel für die Bereitstellungvon zusätzlichen Kitaplätzen verwendet werden . Da derBund die Länder und Kommunen bei der Bewältigungder gestiegenen Asylbewerberleistungen so massiv, wiees die Koalition beschlossen hat, unterstützt, ist der Streitdarüber, wie die Mittel für die Betreuung unserer Kinderverwendet werden sollen, wirklich müßig .Im Übrigen bleibt es bei der Zusage, dass die Kommu-nen ab dem Jahr 2018 jährlich um weitere 5 MilliardenEuro entlastet werden . Im Vorgriff darauf erhalten sievon 2015 bis 2017 bereits 4,5 Milliarden Euro zusätz-lich . Diese Mittel sind in der mittelfristigen Finanzpla-nung enthalten .Die Konsolidierung nützt im Übrigen auch den Bür-gerinnen und Bürgern . Der Abbau der kalten Progressi-on – auch bei geringerer Preissteigerungsrate – und dieAnhebung von Kindergeld, Kinderfreibetrag und Kin-derzuschlag sowie des Entlastungsbetrages für Allein-erziehende führen zu einer dauerhaften Entlastung derArbeitnehmer und ihrer Familien von immerhin mehr als5 Milliarden Euro pro Jahr .Trotz der Gesamtausgaben des Bundes in Höhe von312 Milliarden Euro in 2016 bleibt es bei der schwarzenNull, und zwar nicht nur im kommenden Jahr, sondernauch in den Folgejahren . Wir wollen nicht mehr ausge-ben, als wir einnehmen . Der Ausgabenanstieg wird imVerhältnis zur Entwicklung der Wirtschaftskraft moderatbleiben, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart ha-ben .Wir verschieben bei den Ausgaben den Fokus ver-stärkt auf die Investitionen. Das ist notwendig; denn dasProduktivitätswachstum hat sich in den letzten Jahren invielen Industrieländern deutlich verlangsamt . Am wich-tigsten für Produktionsfortschritte ist langfristig der tech-nische Fortschritt, also Innovationen . Innovationen kannaber eben niemand wirklich planen . Aber in der begrün-deten Erwartung und Hoffnung, dass Investitionen undInnovationen Hand in Hand gehen werden, können wiröffentliche Investitionen erhöhen und private Investitio-nen fördern .Bei aller Notwenigkeit öffentlicher Investitionendürfen wir nie vergessen, dass private Investitionen fürunser Wachstum entscheidend sind . Die Bruttoanlag-einvestitionen in Deutschland betragen circa 20 Prozentdes Volkseinkommens, also rund 600 Milliarden Euro .Im Vergleich dazu sieht der Bundeshaushalt, wie gesagt,Gesamtausgaben von 312 Milliarden Euro vor . PrivateInvestitionen sind also von einer viel größeren volkswirt-schaftlichen Bedeutung . Deswegen ist es wichtig, neueWege zu gehen, um mehr privates Kapital zu mobilisie-ren – auch privates Kapital für die Finanzierung öffentli-cher Infrastrukturprojekte .
Die Europäische Kommission hat eine Investitions-offensive gestartet, bei der die Europäische Investitions-bank durch die Bereitstellung von Risikokapital in dennächsten drei Jahren öffentliche und private Investitionenvon über 300 Milliarden Euro freisetzen soll .Damit Investitionen Wirkungen zeigen, müssen wirübrigens typische Fehler vermeiden . Wir sollten nichtprozyklisch und flächendeckend in die öffentliche Infra-struktur investieren, sondern stetig und vor allem ziel-genau .Um die Wirkungsorientierung des Haushalts zu ver-bessern, wird das Haushaltsaufstellungsverfahren erst-mals um einnahme- und ausgabeseitige Haushaltsana-lysen in ausgewählten Politikbereichen – sogenannteSpending Reviews – ergänzt .Mit der Einführung der Schuldenbremse sind wir zueinem Top-down-Verfahren übergegangen, das sich sehrbewährt hat . Mit der Festlegung von Haushaltseckwertenim März erhält jedes Ressort sein Budget, das es weitge-hend selbstständig ausgestalten kann . Das erfordert abernatürlich, dass wir von Zeit zu Zeit gemeinsam analy-sieren, ob die einzelnen Teilbudgets auch die angedachteWirkung entfalten .Bis zum März kommenden Jahres sollen nun zu denThemen „Förderung des kombinierten Verkehrs“ und„Förderung der beruflichen Mobilität von ausbildungs-orientierten Jugendlichen aus Europa“ erste Reviewsdieser Art durchgeführt werden, damit wir einmal sehen,ob durch die Mittel auch das gewünschte Ziel erreichtwerden kann . Danach kann entschieden werden, ob eineMittelumschichtung notwendig und sinnvoll ist .Wenn sich dieses Verfahren der Spending Reviewsbewähren sollte, werden wir es natürlich auch bei der In-frastrukturplanung einsetzen . Wir schaffen mit SpendingReviews ein regelgebundenes Verfahren, um die Quali-tät unserer öffentlichen Ausgaben besser überprüfen zukönnen .Übrigens wird auch der von meinem KollegenDobrindt geplante Infrastrukturbericht helfen, die Dis-kussion um Infrastrukturinvestitionen zu versachlichen .Dazu könnte auch eine privatrechtlich organisierte Infra-strukturgesellschaft für Bundesfernstraßen beitragen, anderen Konzept die Bundesregierung arbeitet .
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich willnoch eine Bemerkung zur Neuordnung der Bund-Län-der-Finanzbeziehungen machen . Sie kann nur als füralle Beteiligten tragfähige Lösung gelingen . Dafür müs-sen Bund und Länder konstruktiv zusammenarbeiten .Die Bundesregierung hat Vorschläge vorgelegt, um denBund-Länder-Finanzausgleich transparenter zu machenund die Gestaltungsspielräume sowohl von Zahler- alsauch von Empfängerländern zu verbessern . Wenn wir unsnicht einigen sollten, ist die wahrscheinlichste Lösung,dass wir den Status quo, der bis 2019 gilt, fortschreibenBundesminister Dr . Wolfgang Schäuble
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müssen . Aber das wäre nicht gerade ein Ruhmesblatt fürunseren Föderalismus .Es ist sowohl bei der Flüchtlingshilfe als auch bei derNeuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen wich-tig, Fehlanreize zu vermeiden und starke Anreize für einewirtschaftliche und effiziente Aufgabenwahrnehmung zusetzen . Wo Aufgaben vor Ort diskretionär wahrgenom-men werden können, sollte eine Abweichungsmöglich-keit für dezentrale Gestaltung möglich sein . Umgekehrtfördert eine Beteiligung an der Finanzierung durch dieEbene, die die Aufgaben erfüllt, nach aller Erfahrungeine eher sparsame Mittelverwendung . Oder um es ein-facher zu sagen: Die Schwaben sind nur bei der Verwen-dung eigenen Geldes sparsam . Mit anderer Leute Geldsind sie viel großzügiger .
Um das zu ermöglichen, brauchen wir über die erwähnteInfrastrukturgesellschaft hinaus begrenzte Anpassungenunseres Grundgesetzes .Das Angebot des Bundes steht . Jetzt sind die Länderam Zug, untereinander zu einer Einigung zu kommen .Aber vielleicht verbessern die aktuellen Gespräche überdie Flüchtlingsproblematik auch die Chancen für einegrundsätzliche Einigung im Bund-Länder-Verhältnis .Damit könnten wir dann endlich auch Klarheit über dieweiteren Regionalisierungsmittel für den ÖPNV schaf-fen, die dringend notwendig ist, damit die notwendigenInfrastrukturprojekte keine Verzögerungen erleiden müs-sen .Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich willzusammenfassen: Die aktuelle Flüchtlingssituation stelltuns in Deutschland vor große politische, aber vor allemauch gesellschaftliche Herausforderungen . Wir kön-nen sie meistern: Bürgerinnen und Bürger, Gemeinden,Länder, Bund, auch die Flüchtlinge selbst . Gemeinsamschaffen wir das! Wir müssen auf europäischer Ebene zudauerhaft tragfähigen Lösungen kommen . Dann könnenwir die schwierige Lage zum Guten wenden – für die zuuns Kommenden wie für uns selbst .Unsere Haushaltspolitik in den vergangenen Jahrenhat dazu beigetragen, dass wir diese Probleme jetzt be-wältigen können . Das ist das, was ich immer zu sagenversucht habe: Unsere Haushaltspolitik eröffnet Hand-lungsspielräume, um auf unerwartete, drängende, neueHerausforderungen reagieren zu können, ohne dass wirdie langfristigen Prioritäten, mehr Investitionen in Bil-dung, Forschung und Infrastruktur, vernachlässigenmüssen, und ohne neue Schulden zu machen . Genau dassetzen wir mit dem Haushalt 2016 konsequent fort: Wirsteigern die Zukunftsinvestitionen kontinuierlich wei-ter, entlasten zugleich die Kommunen in beispiellosemAusmaß, damit sie ihre wichtigen Aufgaben gut erfüllenkönnen .Diese Politik für Wachstum ohne Neuverschuldungmacht uns widerstandsfähiger, auch gegen etwaige Ein-trübungen der wirtschaftlichen Lage, mit der wir ja im-mer rechnen müssen . Weniger Schulden, weniger Krisen,mehr nachhaltiges Wachstum, Herr Präsident, verehrteKolleginnen und Kollegen: Das ist die beste Politik, diewir in diesen Zeiten machen können .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LassenSie mich zunächst Gelegenheit nehmen, um Ihnen, HerrBundestagspräsident, ganz herzlich für Ihre Worte zu Be-ginn zu danken, mit denen Sie es ja geschafft haben, dasgesamte Haus zu einen . Herzlichen Dank dafür!
Ich will auch die Gelegenheit nutzen, um noch ein-mal den vielen ehrenamtlich Engagierten, den vielenKommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern –im Übrigen parteiübergreifend –, aber auch den vielenMitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Behörden aus-drücklich zu danken, die Hervorragendes leisten . Ichfinde es übrigens auch richtig, dass beim Bundesamt fürMigration und Flüchtlinge 2 000 weitere Stellengeschaffen werden . Herzlichen Dank dafür! Wir könnenstolz sein, was in unserem Land geschieht .
Herr Schäuble, ich will auch sagen, dass Sie derFlüchtlingsproblematik hier zu Recht eine große Auf-merksamkeit eingeräumt haben . Es ist richtig: Flücht-linge sind Herausforderung, aber Flüchtlinge sind ebenauch Chance für uns .
Ich will in dieser Debatte aber den Fokus auf die Fra-ge richten: Warum hatten wir eigentlich vor zehn Jah-ren oder vor drei Jahren nicht so viele Flüchtlinge? DieFlüchtlinge sind Botschafter des schreienden Unrechtsund der Kriege in dieser Welt, meine Damen und Herren .
Schauen wir uns das einmal konkret an .Libyen . Was ist denn das Ergebnis des Engagementsder sogenannten Koalition der Vernunft? Gaddafi ist weg.Jetzt haben wir einen fürchterlichen Bürgerkrieg . VonLibyen aus starten die Schiffe mit Flüchtlingen, teilwei-se auf drei Etagen verteilt . Wer das einmal gesehen hat,weiß: Das ist eine Katastrophe als Ergebnis von Politik .Afghanistan . Seit 13 Jahren engagieren wir uns – jetztGott sei Dank auch mehr zivil – vor allen Dingen mi-litärisch . Was ist das Ergebnis? Die Flüchtlingszahlensteigen .Syrien . Für die Menschen in Syrien ist es völlig egal,ob sie unter dem Terror des IS, von Assad oder vonBundesminister Dr . Wolfgang Schäuble
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al-Nusra leiden . Es ist eine Schande, dass die Weltge-meinschaft da zusieht . Ich war mit Kollegen in Flücht-lingslagern in Jordanien . Da leben 85 000 Menschen . DieZustände sind katastrophal . Wer ein Zelt hat, ist schonprivilegiert .Der Irak ist nach der USA-Intervention ein zerfallen-des Land . All das ist Ergebnis von Politik, meine Damenund Herren . Es ist auch Ergebnis des Versagens der Au-ßenpolitik Europas und auch der deutschen Außenpolitik .
Ein wesentliches Element, meine Damen und Her-ren, sind eben auch die Waffenexporte. Im Gebiet des ISwerden überhaupt keine Waffen produziert . Es gibt dortWaffen aus China, Russland und den USA, aber ebenauch unsere Waffen . Im Übrigen produzieren die Waffen-exporte von heute die Flüchtlinge von morgen. GuckenSie sich doch einmal an, was Saudi-Arabien im Jementut: Das ist eine Intervention . Dazu gibt es aber kein Wortder Bundesregierung . Und natürlich werden als NächstesMenschen von dort zu uns kommen . Auch was die Türkeimit den Kurden macht, ist doch völlig inakzeptabel .
Es muss Schluss sein mit Waffenexporten in diese Re-gion, meine Damen und Herren .Eine Bemerkung zu Europa . Europäische Lösung –d’accord . Während der Finanzkrise aber gab es Gipfelauf Gipfel . Mir ist nicht bekannt, dass die Kanzlerin undauch Sie, Herr Schäuble, Ihren Einfluss für eine mo-derne europäische Flüchtlings- und Asylpolitik mit derHartnäckigkeit geltend gemacht haben, wie es bei denGriechenland-Hilfen der Fall war . Das ist aber notwen-dig . Hier sollte Deutschland Führungsstärke zeigen unddas mit den Mitteln durchsetzen, die uns zur Verfügungstehen .
In diesem Zusammenhang sei mir eine Bemerkungauch zu Ungarn gestattet . Sitzen Sie nicht mit den An-gehörigen der Partei von Herrn Orban im EuropäischenParlament in einer Fraktion? Können Sie da nicht aucheinmal deutlichere Worte finden?
Was da geschieht, ist doch in Mitteleuropa inakzepta-bel, meine Damen und Herren .
Zuletzt müssen sich diese Punkte doch auch im Haus-halt widerspiegeln . Seit Jahren reden wir darüber, dass derAnteil für Entwicklungspolitik am Bruttoinlandsprodukt0,7 Prozent betragen soll . Was tun Sie denn konkret? Esgibt minimale Erhöhungen . Jetzt wäre doch Zeit, zu han-deln . Wir haben mit der Gesellschaft für InternationaleZusammenarbeit eine Organisation, die das auchkönnte . Wir müssen dort mehr tun, wenn wir wirklichFluchtursachen bekämpfen wollen . Das wäre notwendig .
Ein weiterer Punkt, der den Haushalt betrifft: HerrSchäuble, Sie haben zu Recht gesagt, es dürfe jetzt kei-nen Überbietungswettbewerb geben . Aber was es auchnicht geben darf, ist ein unwürdiges Gezerre um dasGeld zwischen Ländern, Kommunen und dem Bund . DerBund sollte die Leistungen für Asylsuchende vollständigübernehmen, bis der Antrag auf Asyl jeweils rechtskräf-tig entschieden ist . Das wäre eine klare Aussage . Daswürde zu einer Entlastung führen .
Lassen Sie mich zum Haushalt wenige Bemerkun-gen machen . Sie haben zum Schluss von „bester Poli-tik“ und „erfolgreicher Wirtschafts- und Finanzpolitik“gesprochen. Ich bin bei so etwas biografisch bedingt einbisschen allergisch . Ich kann dazu nur feststellen: In derÜberschrift Ihres Koalitionsvertrages heißt es „Deutsch-lands Zukunft gestalten“ . Wo sind denn die großen Re-formvorhaben? Das bewegt sich alles auf dem Niveauder Maut, bei der es so kommen wird, dass die Aussageder Kanzlerin „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben“doch stimmt, oder des Betreuungsgeldes, das das Bun-desverfassungsgericht kassiert hat . Es gibt keine großenReformvorhaben . Sie verwalten, statt zu gestalten, unddas angesichts einer problematischen Weltlage . Das istdie Situation .Wenn Sie das DIW zitieren, dann will ich das aucheinmal machen . Das DIW sagt, dass Deutschland „er-hebliche Wachstumschancen verpasst“ hat . Und genaudas setzen Sie fort . Das ist de facto eine Haushaltspolitikohne Kreativität .Wir fordern: Kein Weiter-so und kein Sonnen in derschwarzen Null . Denn wir sind doch diejenigen, dieaktuell vom niedrigen Kurs des Euro, von den extremniedrigen Zinsen und den niedrigen Rohstoffpreisen pro-fitieren. Das sind die Ursachen der schwarzen Null, abernicht die tolle Politik, die Sie machen .
Der DIHK-Hauptgeschäftsführer spricht von einemgeliehenen Aufschwung . Das ist die Wahrheit . Es ist eingeliehener Aufschwung .Wenn es so ist, dass Haushaltsfragen Zukunftsfragensind, dann muss die Investitionsquote erhöht werden, unddann hilft auch kein Verweis auf Starökonomen . Einerder Autoren von Herrn Gabriels Studie zur Investitions-müdigkeit sagt: Wir brauchen zusätzlich zu den jetzigenMitteln einen zweistelligen Milliardenbetrag für Investi-tionen in Breitbandausbau, Bildung, Energiewende undden ökologischen Umbau .Sie machen keine Schulden gegenüber den Finanz-märkten, aber Sie machen Schulden gegenüber denBundesbürgern, insbesondere gegenüber den jüngeren,meine Damen und Herren, weil Sie viel zu wenig in dieZukunft investieren .
Dr . Dietmar Bartsch
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Das könnten Sie übrigens, wenn Sie den Mut hätten,die ungleiche Einkommens- und Vermögensentwicklungin Deutschland nicht nur zu thematisieren, sondern auchSchlussfolgerungen daraus zu ziehen . Es ist doch inak-zeptabel, dass 0,1 Prozent der Bevölkerung in Deutsch-land über 17,3 Prozent des Vermögens und die Hälfte derBevölkerung in Deutschland nur über 2,5 Prozent ver-fügen .
Wann zeigen Sie endlich die Bereitschaft, hier etwasabzuholen? Wir brauchen eine Reform der Erbschaft-steuer, um höhere Einnahmen zu generieren . Wir brau-chen eine Vermögensteuer in Form einer Millionärsteuer .
Das wäre notwendig, wenn wir die Aufgaben der Zu-kunft wirklich realisieren wollen . Ich freue mich, dasses einen Nachtragshaushalt gibt . Aber dabei sollten Siegenau diese Fragen mit ansprechen, damit wir die vor unsliegenden Aufgaben im Hinblick auf die Flüchtlinge unddie Gestaltung unseres Landes und Europas realisierenkönnen .Herzlichen Dank .
Carsten Schneider ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esist eine ungewöhnliche Haushaltsdebatte . Denn die Bun-desregierung hat durch Bundesfinanzminister Schäubleeinen Haushalt eingebracht, der jedenfalls so nicht Be-stand haben wird . So ist jetzt schon klar – wir Parlamen-tarier behalten uns natürlich generell vor, Änderungenvorzunehmen –, dass wir es in einer Größenordnung voneinigen Milliarden Euro mit neuen Herausforderungenzu tun haben, die zu meistern sind .Es ist richtig: Die ökonomische Lage in Deutschlandist gut . Für Europa würde ich das nicht sagen, aber zu-mindest für Deutschland gilt dies . Das hat es uns ermög-licht, in den vergangenen Jahren darauf verzichten zukönnen, Haushalte aufzustellen, die eine Schuldenauf-nahme vorgesehen haben .Deswegen war es auch klug, dass wir in den vergange-nen Jahren umsichtig gewirtschaftet und Reserven gebil-det haben, die wir jetzt in einer Situation nutzen können,in der wir uns aufgrund der bereits von vielen Kollegin-nen und Kollegen genannten Flüchtlingskrise besonde-ren Herausforderungen, aber auch besonderen Chancengegenübersehen . Und diese Chancen werden wir nutzen .Ich werde noch im Einzelnen darauf eingehen .Über die Lage des Landes und die Frage, welchenEinfluss die Finanzpolitik darauf hat, gibt es, glaube ich,unterschiedliche Analysen und Antworten, Herr MinisterSchäuble . Sie haben vorhin sehr stark darauf abgehoben,dass die solide Finanzpolitik, die wir machen, Vertrau-en schafft und dies die Grundlage des wirtschaftlichenErfolgs sei . Ich bin der Meinung, dass sie ein Teil desErfolgs ist, aber der kleinere . Sie haben bestimmt zehnMinuten Ihrer Redezeit damit verbracht, mehr oder we-niger verklausuliert die Notenbanken – die EuropäischeZentralbank, die amerikanische Zentralbank, Fed, unddie Bank of England – wegen ihrer expansiven Geldpoli-tik zu kritisieren . Das hat mich sehr an das erinnert, wasFrau Wagenknecht hier immer vorträgt .
- Lieber Michael Grosse-Brömer, das, was Herr Schäublehier vorgetragen hat, war in Teilen der Analyse sehr ähn-lich, insbesondere in der Antwort auf die Frage nach derEntsparung der deutschen Sparer .Ich will dem klar entgegenhalten: Ohne die expansiveGeldpolitik der Notenbanken, ohne die Tatsache, dass dieEZB agiert hat und in großem Maße in die Finanzmärkteeingegriffen hat, ohne die Interventionen der Notenban-ken weltweit hätten wir die Finanz- und Wirtschaftskriseniemals bewältigt .
Diese Interventionen waren Grundvoraussetzung zurKrisenbewältigung, weil wir als Staatengemeinschaftgar nicht handlungsfähig waren und weil uns auf euro-päischer Ebene die Instrumente, die es uns ermöglichten,gezielt, schnell und handlungsstark zu agieren, fehlten .Das ist ein Grundfehler der Euro-Politik . Wir werdenvielleicht nicht in den nächsten Wochen, wohl aber inden nächsten Monaten Antworten auf die Frage zu ge-ben haben, wie die Zukunft der Euro-Zone aussehen soll:Wird es eine stärkere Zusammenarbeit geben, oder wirddie Euro-Zone wieder in kleinere Nationalstaaten ausei-nanderfallen?Zu unserem Haushalt . Warum ist er ausgeglichen? Da-für gibt es zwei Ursachen . Er ist nicht ausgeglichen, weilwir so rigide gespart haben . Das ist nicht der Fall .
Die erste Ursache ist der extrem gute Arbeitsmarktbzw. die gute Wirtschaftslage; das ist das Allerwich-tigste . Hier ist vor allem die starke Binnennachfrage zunennen . Herr Minister, Sie haben bereits auf die Realloh-nentwicklung hingewiesen . Diese ist absolut positiv . DieArbeitnehmer werden in diesem Jahr aufgrund der nied-rigen Inflation und der durch die Gewerkschaften endlicherzielten höheren Lohnabschlüsse in die Lage versetzt,mehr Geld in der Tasche zu haben und mehr konsumierenzu können . Das sehen wir an den Lohnsteuereinnahmen,die um 7,5 Prozent steigen, und an den Umsatzsteuerein-nahmen, die um 2,5 Prozent steigen . Das heißt, wir ha-ben es mit einem binnenmarktgetriebenen Aufschwungzu tun .Dr . Dietmar Bartsch
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Wir erfahren aber auch an anderer Stelle eine enormeEntlastung, nämlich bei den Zinsen . Allein 20 MilliardenEuro an Zinsen sparen wir in diesem Jahr im Vergleich zudem, was Sie in den Jahren 2010 und 2011 geplant hat-ten. Das ist ein implizierter Windfall Profit. Aber wir hät-ten einen Haushalt ohne Neuverschuldung niemals alleindurch andere Maßnahmen erreichen können . Das ist einTeil dessen, was uns die Notenbanken quasi geschenkthaben . Daher ist es ein bisschen wohlfeil, zu sagen: „Diesind schuld“, wenn man selbst Profiteur dieser Entwick-lungen ist . Das wird dem nicht gerecht . Es ist eigentlichguter Brauch, dass sich der Finanzminister als Exekutivevor dem Bundestag nicht explizit zur Notenbankpolitikäußert; denn so wird die Unabhängigkeit der Zentralban-ken angegriffen . Ich dachte, es wäre Konsens, dass dieUnabhängigkeit der Zentralbanken unabdingbar ist, umklug zu agieren .
Eine weitere Frage, auf die wir im Haushalt eine Ant-wort geben wollen, lautet – hier wird sich die Koalitiontrotz unterschiedlicher Auffassungen einigen müssen :Woher kommt das Wachstum noch? Wie ich bereits aus-geführt habe, ist die eine Ursache die binnenmarktgetrie-bene Entwicklung, die zu höheren Löhnen geführt hat .Ein großer Erfolg der SPD ist in diesem Zusammenhang,den Mindestlohn durchgesetzt zu haben .
Inzwischen besagen auch Studien arbeitgebernaherInstitute, dass es durch den Mindestlohn keine Verdrän-gungseffekte gibt . Im Gegenteil: Wir haben höhere Lohn-abschlüsse zu verzeichnen . So verdienen 30 Prozent derBevölkerung in Erfurt mehr . Was Thomas Oppermannzur Einführung des Mindestlohns gesagt hat, stimmt:Das ist die größte Lohnerhöhung aller Zeiten . Des Wei-teren haben wir eine Umwandlung von Minijobs in sozi-alversicherungspflichtige Beschäftigung zu verzeichnen.Angesichts dessen war es richtig, hier ordnungspolitischeinzugreifen . Ich bin froh, dass an dieser Stelle die Poli-tik der SPD und der Gewerkschaften wirkt und dass wirdafür ausreichend Unterstützung haben .
Ich wüsste nicht, wie es um die Aufnahmebereitschaftder deutschen Bevölkerung bestellt wäre, wenn es kei-nen Mindestlohn gäbe . Denn eines ist klar: Die Flücht-linge, die nun auf unseren Arbeitsmarkt kommen und diewir schon unter demografischen Gesichtspunkten benö-tigen, werden – weil ihr Bildungsniveau nicht unserenAbschlüssen entspricht – vor allen Dingen im unterenEinkommensbereich einen Verdrängungswettbewerbauslösen . Ohne den Mindestlohn ginge der Trend ehernach unten . Deswegen ist es auch für die Akzeptanz inder deutschen Bevölkerung umso wichtiger, dass wireine Lohnuntergrenze eingeführt haben .
Dank der Notenbanken haben wir im Vergleich zumDollar einen extrem niedrigen Euro-Kurs. Das machtdie Exporte billig, und das schafft Raum für zusätzlichesWachstum . Außerdem sorgen die Ölpreise dafür, dass dieKaufkraft steigt . Das alles sind Außenfaktoren, die wirnicht direkt beeinflussen können.Jetzt ist die Frage, wie wir als Bundestag, als Haus-haltsgesetzgeber, darauf finanzpolitisch reagieren. So-wohl was die Bekämpfung der europäischen Krise alsauch was die Konjunkturstimulierung betrifft – da bin ichIhrer Auffassung; man sollte investieren, wenn man imAbschwung ist, nicht im Aufschwung –, sind wir zurück-haltend. Ich bin froh, dass jetzt auch im Bundesfinanz-ministerium klar ist, dass wir in Deutschland einen In-vestitionsnachholbedarf haben . Das war im vorigen Jahrnoch nicht so . Da haben wir als Sozialdemokraten immerwieder gesagt, dass Investitionsnachholbedarf besteht .Sigmar Gabriel hat die Expertenkommission „Stärkungvon Investitionen in Deutschland“ unter Leitung desDIW-Präsidenten Fratzscher ins Leben gerufen . Damithat er das Thema gesetzt .Es ist vollkommen richtig: Wir brauchen auch mehrprivate Investitionen . Ob sie dann allerdings in den Stra-ßenbau fließen, wie es in Österreich der Fall ist, oder obes nicht klüger ist, dafür öffentliche Mittel einzusetzen,das wird noch zu entscheiden sein . Das wird vor allemeine Frage der Effizienz sein. Zumindest bisher sind ineinigen Bereichen die Antworten noch nicht schlüssig .Der entscheidende Punkt wird sein, das anzugehen,worauf ein Zuruf abzielte, der hier eben von einem Abge-ordneten der Grünenfraktion gemacht wurde . Darin wur-de behauptet, Deutschland halte sich nicht an die Regeln .Herr Minister Schäuble hat gesagt: Alle müssen sich andie Regeln halten; dann können wir weitere Vertiefungs-schritte in der Europäischen Union vollziehen . – Wirhalten uns an die Regeln, was die Verschuldung betrifft .Aber wir haben uns neue Vorgaben im Rahmen des soge-nannten Six-Pack gesetzt.Dabei geht es auch um die Frage des Leistungsbilan-züberschusses . Wir haben in Deutschland einen Leis-tungsbilanzüberschuss von über 8 Prozent . Wir habenuns dazu verpflichtet, dass er bei maximal 6 Prozent imDreijahresdurchschnitt liegen soll . Es geht darum, dasswir hier in Deutschland mehr produzieren und verkau-fen und weniger importieren . Auf Dauer geht das nichtgut . Was passiert nämlich, wenn es so weitergeht? Danngeschieht eins: Wir exportieren Waren und bekommendafür Schuldscheine, und irgendwann platzt die damitverbundene Blase, weil die meisten nicht bezahlen kön-nen . Folglich kommt es zu immer mehr Abschreibungen,und es müssen wieder Banken gerettet werden . So wardie Situation ab dem Jahr 2007 .Daher ist es nur klug, sich auch diesem Aspekt zuwidmen und ihn nicht auszublenden . Das ist das, wasinsbesondere US-amerikanische Ökonomen und anderebemängeln. Ich finde, wir sind klug beraten, da auch dieVorschläge der Europäischen Kommission ernst zu neh-men . Das hat ein bisschen etwas mit unseren Ausgabenzu tun .
Carsten Schneider
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Welche sind das? Herr Minister Schäuble hat gesagt:Wir haben jetzt eine Priorität – die Flüchtlingshilfefinan-zierung. Das war’s; mehr Neues gibt es nicht. – Nein,dieser Drops ist noch nicht gelutscht . Das gilt insbeson-dere vor dem Hintergrund, dass wir noch einen enormenBedarf an Infrastrukturinvestitionen haben . Insgesamterhöhen wir diese Investitionen zwar um 10 MilliardenEuro, erhöhten Investitionsbedarf gibt es aber auch imBereich Kitaausbau, also bei der Betreuung von Klein-kindern . Hier gibt es einen enormen Nachholbedarf .
Die Europäische Kommission, der InternationaleWährungsfonds, all diese Institutionen schreiben uns insStammbuch, dass wir dort mehr machen müssen .Ich bin froh darüber, dass das Verfassungsgericht dasBetreuungsgeld gekippt hat .
Im Jahre 2018 haben wir zusätzlich 1 Milliarde Eurozur Verfügung . Es ist so, dass es nicht nur in hohem Maßeintegrativ wirkt, in einer Kita zu sein, die Landessprachezu lernen etc ., sondern der Kitaausbau ist auch ökono-misch klug, weil damit die Frauen- und auch die Männer-erwerbstätigkeit verbessern werden können . Deswegensollten wir hier nicht so apodiktisch sein und einfach nursagen: „Die Kommunen bekommen jetzt von uns 3 Mil-liarden Euro, und das war’s“; denn das würde diesemBereich nicht gerecht . Diese Mittel würden nicht ausrei-chen, um alle damit einhergehenden Kosten zu decken .Eine Kürzung der Mittel in den jeweiligen Kommunenund Ländern für Kitas und anderes, um die Notsituati-on von Flüchtlingen zu lindern, würde deren Akzeptanznicht fördern . Deswegen sage ich ganz klar: Wir wollen,dass insbesondere die direkten Transfers zugunsten desAusbaus der Kinderbetreuung in Deutschland verstärktwerden .
Vor uns liegen in den nächsten drei Monaten sehrspannende Beratungen, auch vor dem Hintergrund einereventuellen Einigung über den Länderfinanzausgleich.Ich sehe ihnen trotz der Herausforderung, die vor unssteht, optimistisch entgegen . Wir haben gezeigt: DieseKoalition wird hier handeln . Auch wenn wir das eineoder andere Mal anderer Auffassung sind, werden wiruns im Endeffekt einigen . Ich glaube, dass Deutschlandstark genug ist, diese Herausforderung anzunehmen unddaraus auch eine Chance für dieses Land zu machen .Vielen Dank .
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatnun der Kollege Kindler das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es stimmt – das wurde schon gesagt -: Es gibteinen Überschuss 2015 . Kurzfristig scheint es ganz gutauszusehen für den Bundeshaushalt; ich will das hierauch gar nicht kleinreden . Aber ich will einmal die Fragestellen: Woher kommt eigentlich dieser Überschuss? Esgibt historisch niedrige Zinsen, einen stabilen Arbeits-markt, eine gute Konjunktur . Das alles hat eigentlich eherweniger mit dieser Bundesregierung zu tun, eher wenigerauch mit der Haushaltspolitik . Das ist keine große Leis-tung, die da erbracht wurde .
Deswegen, finde ich, sollte man in dieser Debatteernsthaft diskutieren, wie es mit der Haushaltspolitikweitergeht . Da sollte man sich nicht feiern . Da wünscheich mir weniger Selbstlob und mehr Zukunftsorientie-rung, mehr Blick nach vorn . Das wäre angebracht .
Wenn man in die Zukunft schaut, wenn man sich dienächsten Jahre anschaut und wenn man die Risiken indiesem Haushalt betrachtet, dann sieht man, dass die Re-gierung, ohne etwas gegen Altersarmut zu tun, die Ren-tenkasse geleert hat . Das wird teuer werden . Man sieht,dass die Investitionen weiterhin zu gering sind . Das wirdfür uns teuer werden . Man sieht, dass es Milliarden-risiken bei den Zinsen gibt . Die Klimakrise wird nichtangegangen; sie verschärft sich weiterhin. Es gibt einegroße Spaltung zwischen Arm und Reich in Deutsch-land und in der Welt . Das alles sind große Risiken fürdiesen Haushalt . Sie werden mit diesem Entwurf leidernicht angegangen . Hier wird leider nur mutlos verwaltet,obwohl man eine so große Mehrheit hat . Eine 80-Pro-zent-Mehrheit verwaltet nur mutlos, statt zu gestalten,statt jetzt wirklich in die Zukunft zu investieren und dasanzupacken .
Auch in der Flüchtlingspolitik sieht man das: keinegroße Idee, kein großes Konzept, nur Kurzsichtigkeit .Sie haben die letzten Jahre einfach verschlafen . Dabeiwar schon absehbar, dass viele Flüchtlinge zu uns kom-men, zum Glück, und mit Recht auch hier bleiben wer-den, weil es nämlich viele Kriege und viel Gewalt in derWelt gibt . Diese Kriege werden nicht einfach aus derWelt verschwinden . Deswegen werden auch noch mehrFlüchtlinge kommen . Man hätte Vorsorge treffen müs-sen, weil man schon seit vier Jahren weiß, dass es einenblutigen, schrecklichen Krieg in Syrien gibt .
Carsten Schneider
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Deswegen, finde ich, muss endlich Schluss sein mitden Notoperationen, mit den Einmaleffekten . Jetzt musses endlich einen großen Wurf geben . Dieses kurzfristigechaotische Krisenmanagement der Bundesregierung beider Flüchtlingspolitik muss aufhören .
Es braucht einen großen Wurf für die menschenwür-dige Aufnahme und auch für die Integration, damit wirnicht die Fehler wiederholen, die wir bei den Gastar-beitern gemacht haben . Das heißt, man muss jetzt imHaushalt die Voraussetzungen dafür schaffen . Bei denJobcentern, bei Integrationskursen, beim sozialen Woh-nungsbau, bei Bildung und Ausbildung, bei der Integrati-on in die Krankenversicherung darf man nicht kleckern;da muss man jetzt klotzen, da muss man jetzt vernünftigGeld bereitstellen . Das wäre jetzt notwendig, und zwarschnell .
Ich finde, man darf nicht wieder nur Einmaleffektebewirken . Man muss jetzt die Kommunen strukturellund dauerhaft entlasten . Wenn man sich das Paket vomSonntag anguckt, sieht man: Darin stehen 3 MilliardenEuro für 2016, aber nichts ist dauerhaft und strukturellangelegt . Wir wissen doch eigentlich schon jetzt: DasGeld wird nicht ausreichen . Mindestens 5 MilliardenEuro sind zur strukturellen Entlastung notwendig, unddie Entlastung muss jetzt schnell kommen und dauerhaftangelegt sein .Ein guter Schritt wäre zum Beispiel die Abschaffungdes Asylbewerberleistungsgesetzes und die Integrationvon Flüchtlingen in das soziale Sicherungssystem . MitNotoperationen und Einmaleffekten werden die Kommu-nen nicht aus der Krise kommen . Die Kommunen müssenjetzt endlich strukturell und dauerhaft entlastet werden .
Noch einen Satz zum Paket vom Sonntag. Ich finde, esgibt einige gute Punkte; das will ich gar nicht wegreden.Ich finde es auch ausdrücklich richtig, dass die Bundesre-gierung am Wochenende die Flüchtlinge aus Ungarn auf-genommen hat; das war richtig. Aber man muss natürlichauch sehen, dass massive Verschärfungen in dem Paketenthalten sind, dass die Union an vielen Stellen leiderwieder ihre berühmte Giftliste durchgedrückt hat . DieSPD ist eingeknickt . In dem Paket stehen verfassungs-widriger Bargeldentzug, Asylrechtseinschränkung durchFestlegung sogenannter sicherer Drittstaaten, Verschär-fungen für Geduldete, Zwangsaufenthalte in Erstaufnah-meeinrichtungen .Wir brauchen jetzt schnelle und unbürokratische Hilfefür Flüchtlinge und Unterstützung für die Kommunen .Diese sollte man aber nicht mit Repressionen und derAbwehr von Flüchtlingen koppeln. Das finde ich unred-lich . Das sollte man nicht machen .
Mit diesem Haushalt sollten auch Mittel bereitge-stellt werden, um die Fluchtursachen anzugehen . Es istrichtig, dass die Ausgaben für die Entwicklungszusam-menarbeit steigen . Aber insgesamt bleibt die Quote fürEntwicklungszusammenarbeit bei 0,4 Prozent stabil . Siesteigt nicht, wie es eigentlich notwendig wäre . 0,7 Pro-zent wurden schon 1970 versprochen . Das ist 45 Jahreher. Ich finde, jetzt ist endlich die Zeit gekommen, auchinternational Versprechen einzulösen: beim internationa-len Klimaschutz, bei der Entwicklungszusammenarbeit .Deswegen werden wir Grüne in den Haushaltsberatun-gen einen Aufholplan vorlegen, damit die Versprechenbeim Klimaschutz und der Entwicklungszusammenar-beit eingehalten werden können . Das ist jetzt notwendig .Wir müssen die Versprechen einhalten und dürfen sienicht wieder brechen .
Durch Umschichtungen und Einnahmeverbesserun-gen können wir die Gengenfinanzierung gestalten. Wirmüssen dafür sorgen, dass es endlich ein vernünftigesControlling im Bundeshaushalt gibt . Es kann nicht sein,dass sich Herr Schäuble in zentralen Investitionshaus-halten daran gewöhnt hat, dass es Kostensteigerungen inMilliardenhöhe gibt, beispielsweise im Rüstungsbereichoder bei der Großbaustelle BER oder bei neuen Autobah-nen . Das ist nicht akzeptabel . Wir brauchen Good Go-vernance, gute Regierungsführung, gutes Controlling imHaushalt. Ich finde, Herr Schäuble, hier kann man sichnicht immer wegducken . Hier muss man handeln . Manmuss dafür sorgen, dass die Verschwendungen, die Kos-tensteigerungen im Haushalt aufhören .
Auch beim Subventionsabbau kann man viel Geld ein-sparen . Da muss man handeln, da muss man anpacken .Jedes Jahr werden über 52 Milliarden Euro für klima-schädliche Subventionen ausgegeben: im Flugverkehr,bei Dienstwagen, bei Atom, bei Kohle und bei Öl . Hierist ganz viel zu holen; kurzfristig kann man mindestens10 Milliarden Euro einsparen . Natürlich weiß ich, dass esanstrengend ist, dass es nervig ist, dass man sich mit Lob-bys anlegen muss . Aber darum geht es im Haushalt . Manmuss anpacken, man muss kämpfen, man muss gestalten,man muss umbauen. Ich finde, das ist notwendig. Mansollte nicht wieder mutlos verwalten und ein bisschenGeld verteilen, sondern man sollte Strukturen verändern,damit der Haushalt in Zukunft gut aufgestellt ist .
Dann hat man auch Geld, um Investitionen zu finan-zieren . Beim Thema Investitionen muss man sagen: nullKonzept, null Idee . Obwohl die Ausgaben im Finanzplanbis 2019 auf 333 Milliarden Euro kräftig steigen, sinktdie Investitionsquote . Die Ausgaben verharren nominalbei 30 Milliarden Euro . Das ist ein echtes Zukunftsrisikofür diesen Haushalt . Nachfolgende Generationen werdendas teuer bezahlen, wenn die Infrastruktur nicht stimmt,wenn nicht in die Zukunft investiert wird . Das verstößtSven-Christian Kindler
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unserer Ansicht nach gegen die Generationengerechtig-keit .
Das ist auch ein Werteverzehr . Wir haben gesehen,dass sich in den letzten 20 Jahren das private Nettover-mögen gerade bei den obersten 10 Prozent auf 10 Billio-nen Euro verdoppelt hat . Das staatliche Nettovermögenist von 800 Milliarden Euro auf nahezu null geschrumpft .Das muss jetzt gestoppt werden . Deswegen muss manauch haushaltspolitisch handeln . Wir Grüne schlagendeshalb vor, die Schuldenbremse durch eine ehrliche Bi-lanzierung in den zentralen Investitionshaushalten zu er-gänzen . Wir wollen eine Investitionsregel, die klarmacht,dass man nicht weiter öffentliches Vermögen abschmel-zen kann, dass Werte erhalten bleiben, dass im Haushaltgut gewirtschaftet wird, dass wir für die Zukunft vorsor-gen . Darum muss es jetzt gehen .
Die Frage ist: Wie soll diese Gesellschaft in fünf,zehn oder fünfzehn Jahren aussehen? Was muss mandafür jetzt machen? Wenn man nicht jetzt, in diesengünstigen Zeiten, mit den glücklichen Umständen imHaushalt, wirklich gestaltet, anpackt und Veränderun-gen vorantreibt, dann wird man nachher große Problemehaben . Deswegen darf man nicht nur mutlos verwaltenund kurzsichtig agieren, sondern man muss jetzt dafürsorgen, dass man anpackt, in den Haushaltsberatungenfür die Zukunft sorgt und Änderungen an dem Entwurfvornimmt . Hier werden wir uns ganz kräftig einbringen .Wir hoffen, dass Sie, wenn Sie selbst keine Idee haben,sich von unseren Ideen inspirieren lassen .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Ralph Brinkhaus für die
CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gesterntitelte eine große deutsche Tageszeitung in ihrer On-lineausgabe: Politik im permanenten Ausnahmezustand .Lassen wir einmal die vergangenen sieben Jahre Re-vue passieren: 2008 die Bankenkrise, anschließend dieKonjunkturkrise, daran anschließend Haushaltsentwürfemit einer Verschuldung von 80 Milliarden Euro . Dannging es weiter mit der großen Euro-Krise: erst Grie-chenland, dann Portugal, dann Irland, dann Spanien unddann Zypern . Dabei wurde uns prophezeit, dass der Euroauseinanderbrechen werde . Dann ging es weiter mit denschrecklichen Ereignissen in der Ukraine, mit dem Kriegan der dortigen Ostgrenze, der fürchterliches Leid fürdie Menschen bedeutete . Großes Leid für die Menschenbedeuteten aber auch die Sanktionen . Sie brachten gro-ße Einbußen für die deutsche Wirtschaft, insbesonderefür die Landwirtschaft, mit sich . Wir haben das gesternanhand des Protestes gesehen . Dann wiederholte sichdie Griechenland-Krise ein zweites und ein drittes Mal .Jetzt sind wir wieder in einem permanenten Ausnahme-zustand, weil viele Menschen vor unseren Türen stehen,die zu uns wollen . Sie möchten an unserer Freiheit, anunserem Rechtsstaat, aber auch an unserem Sozialstaatund an unserem Wohlstand partizipieren . Wenn man dasalles betrachtet, kann man sagen: Politik im permanentenAusnahmezustand .Obwohl wir uns seit sieben Jahren im Ausnahmezu-stand befinden, brummt die Wirtschaft in Deutschlandwie nie zuvor . Die Wirtschaftskraft ist groß . Das Wachs-tum ist gut . Wir erzielen hohe Steuereinnahmen . Wir ha-ben vor allen Dingen – und das ist das allerwichtigste –gute Beschäftigungsdaten .Meine Damen und Herren, das alles schlägt sich auchim Haushaltsentwurf 2016 nieder . Das schlägt sich inso-fern nieder, als dass das nicht nur, wie es die Oppositiongesagt hat, wie es auch Herr Schneider gesagt hat, demZufall äußerer Umstände geschuldet ist . Da Sie mich an-getriggert haben, kann ich es Ihnen und auch dem Kol-legen Kahrs nicht ersparen, darauf hinzuweisen, dass fürdie Landesregierung in Nordrhein-Westfalen dieselbengünstigen Umstände gelten wie für uns . Auch dort gibtes niedrige Zinsen und hohe Steuereinnahmen . Trotzdemschafft sie es nicht, einen ausgeglichenen Haushalt zu er-reichen,
wie wir es seit 2014 schaffen . 2014 hatten wir im Haus-haltsvollzug einen ausgeglichenen Haushalt . Wir hatten2015 einen ausgeglichenen Haushalt . Nach der Planungfür 2016 haben wir auch im Jahr 2016 einen ausgegliche-nen Haushalt .Wir haben das geschafft, obwohl – oder vielleichtauch weil – wir die Steuern nicht erhöht und keine neu-en Steuern auf den Weg gebracht haben . Wir haben dasgeschafft, obwohl und weil – der Bundesfinanzministerhat es erläutert – wir Investitionen auf den Weg gebrachthaben, übrigens nicht nur beim Bund mit dem 10-Milli-arden-Euro-Paket, sondern auch bei den Kommunen mitdem 3,5-Milliarden-Euro-Paket, das im kommenden Jahrtatsächlich Wirkung entfalten wird .Wir haben das geschafft – der Bundesfinanzministerhat auch das erläutert –, obwohl und weil wir die Aus-gaben für Bildung und Forschung in einem bisher niegekannten Ausmaß gesteigert haben . Wir haben das ge-schafft, obwohl und weil wir Steuererleichterungen aufden Weg bringen wollen, wir die kalte Progression an-gehen und den Kinderfreibetrag und das Kindergeld an-heben .Wir haben dies geschafft, obwohl und weil wir keineKürzungen im Sozialbereich vorgenommen haben . ImGegenteil: Wir haben Mehrausgaben im Familienbereichund im Bereich der sozialen Sicherungssysteme . Das al-les passt zusammen .
Sven-Christian Kindler
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Nichtsdestotrotz stehen wir vor einer großen Heraus-forderung . Das ist auch in allen Reden zuvor angeklun-gen . Als dieser Bundeshaushaltsentwurf im Frühling undim Sommer dieses Jahres im Bundesfinanzministeriumaufgestellt worden ist, konnten wir uns alle nicht vorstel-len, dass Hunderttausende von Menschen und vielleichtüber Jahre hinweg Millionen von Menschen zu uns nachDeutschland kommen werden .Deswegen werden diese Haushaltsberatungen sehrschwierige Haushaltsberatungen werden . Es ist jetztleicht zu sagen, dass wir das lösen, indem wir das auf-geben, was wir erreicht haben, wie zum Beispiel dieschwarze Null und die Nichtkürzung in anderen Berei-chen . Das kann aber nicht unser Ziel sein .Unser Ziel muss es sein, diesen Haushalt ausgeglichenhinzubekommen, obwohl wir sehr viele Mittel aufwen-den müssen, um die Menschen, die zu uns kommen, nichtnur zu beherbergen, ihnen nicht nur eine medizinischeVersorgung zu bieten, sondern sie auch zu integrieren .Meine Damen und Herren, momentan gibt es bei unsin Deutschland wunderbare Bilder . Menschen stehen mitLuftballons an Bahnhöfen . Die Spendenbereitschaft fürErstaufnahmeeinrichtungen ist groß . Zur Ehrlichkeit ge-hört aber auch, zu sagen, dass das die ersten zehn Metereines Marathonlaufs sind, und dieser Marathonlauf wirdfür uns alle verdammt lang und für uns Haushälter einesehr große Herausforderung werden .
Ich möchte hier etwas sagen, was Haushälter an die-ser Stelle immer sagen und wozu die Kollegen aus deneinzelnen Fachressorts sagen: „Das ist doch irgendwielangweilig“ und „Das ist kalter Kaffee“ . Ich bin jetzt fastversucht, zu sagen: „So wie die sich alljährlich wiederho-lenden Reden vom Kollegen Kindler“; aber das wäre et-was polemisch . Die Geschichte ist folgende – es ist nichtlangweilig, was ich jetzt sage; es ist bitterer Ernst -: Wirhaben in diesem Haushalt keinen Raum für zusätzlicheWünsche, für gute Ideen und für Dinge, die man immermal tun wollte . Wir müssen uns wirklich darauf konzent-rieren, die Dinge zu priorisieren . Wichtig ist, dass wir mitden Hunderttausenden von Menschen, die zu uns kom-men, anständig umgehen und sie so integrieren, dass sievielleicht tatsächlich eine Chance für diese Gesellschaftsind, weil sie dann auch zur Wirtschaftskraft dieses Lan-des beitragen . Deswegen meine dringende Bitte an alleKolleginnen und Kollegen – wir Haushälter wissen, werbei uns vor der Tür steht, wenn es ernst wird und zurBereinigungssitzung geht -: Wir müssen priorisieren, undPriorisierung heißt, dass wir jetzt die wichtigsten Dingezuerst machen . Dementsprechend müssen wir den einenoder anderen Wunsch zurückstellen .Meine Damen und Herren, das ist das Tagesgeschäft .Der Kollege Kindler hat zu Recht angesprochen, dasswir über den Tag hinaus denken müssen . Wir müssen unsauch mit den strukturellen Fragen im Haushalt beschäf-tigen . Wir können uns nicht darauf verlassen, dass wirirgendwann einmal aus diesem Alarm- und Krisenmodusherauskommen, der die letzten sieben Jahre angehaltenhat . Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir das aufgrei-fen, was der Bundesfinanzminister gesagt hat: Über 50Prozent der Mittel des Bundeshaushalts fließen in die So-zialsysteme, der größte Teil davon im Übrigen in die so-zialen Sicherungssysteme . Das wird mehr werden . Dem-jenigen, der wieder eine Idee hat, wie man die BereicheRente, Krankenversicherung usw . kostenmäßig aufbla-sen kann, sage ich: Das geht nicht . Wir müssen gucken,dass wir die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähigmachen . Wir müssen sie nachhaltig gestalten . Da gibt eskeinen Platz mehr für zusätzliche Wünsche . Wir müssenan dieser Stelle konsolidieren .
Eine weitere Strukturfrage, die wir uns stellen müssen,ist die der Investitionen . Wir haben zu Recht angespro-chen, dass wir ab 2016 ein 10-Milliarden-Paket auf denWeg bringen . Es ist zu Recht angesprochen worden, dasswir die Kommunen unterstützen . Wir erleben als Haus-hälter aber momentan auch eines – die Verkehrspolitikerkönnen das sicherlich bestätigen -: Wir stoßen langsaman die Grenzen, wenn es darum geht, das Geld auszuge-ben . Wenn wir in einigen Bundesländern nicht genügendplanfestgestellte Straßenverkehrsprojekte und kein Bau-recht haben, dann können wir dort auch nicht bauen .
Deswegen reicht es nicht, nur Geld zur Verfügung zustellen . Wir müssen auch die entsprechenden Ressourcenschaffen . Es ist insbesondere Aufgabe der Bundesländer,dass dieses Geld auch verbaut werden und somit nütz-liche Effekte für unsere Volkswirtschaft entfalten kann .Wir müssen uns auch die Tatsache vor Augen halten,dass wir aufgrund der günstigen wirtschaftlichen Situati-on momentan Steuereinnahmen haben wie nie . Es ist abernicht garantiert, dass dies so bleibt; das ist auch schonmehrfach gesagt worden . Vielleicht hat der eine oderandere aufgrund dessen, was in den letzten Wochen inChina passiert ist, eine ungefähre Vorstellung davon ent-wickelt, wie dünn das Eis ist, auf dem unsere Wirtschaftmomentan steht . Wir müssen daher Vorsorge treffen . Wirmüssen damit rechnen, dass die Steuereinnahmen wiedersinken . Wir müssen auf der anderen Seite aber auch allesdafür tun, dass diese Wirtschaft, die die Steuereinnahmengeneriert, funktioniert und dass die Steuereinnahmen, dievon Menschen durch ihre Beschäftigung generiert wer-den und die wir dann für viele Zwecke aufwenden, aucherwirtschaftet werden können . Ich würde mir wünschen,Herr Kindler, dass wir in dieser Haushaltsdebatte einbisschen mehr über das Erwirtschaften unserer Steuer-einnahmen und unseres Wohlstandes und nicht nur überdas Ausgeben sprechen .
Der Bundesfinanzminister hat noch ein weiteres Pro-jekt angesprochen; er hat es „Spending Review“ genannt.Es gibt verschiedene andere englische Begriffe dafür,zum Beispiel „More Value for Money“ . Es geht einfachdarum – das ist an dieser Stelle auch schon gesagt wor-den –, dass wir aus jedem Euro, den wir im Bundeshaus-halt ausgeben, ein Stückchen mehr herausholen, als dasin der Vergangenheit der Fall war . Wenn wir 10 Prozenteffektiver bauen und wenn wir die Leistungen, die wirfür Langzeitarbeitslose aufwenden, und die Sozialaus-Ralph Brinkhaus
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gaben mit einem um 10 Prozent höheren Wirkungsgradeinsetzen könnten, dann hätten wir schon sehr viele Pro-bleme gelöst . Deswegen geht es auch darum, dass wiruns in den Haushaltsberatungen nicht nur mit der Quan-tität der Ausgaben, der Menge, den Zahlen beschäftigen,sondern uns auch viel mehr damit beschäftigen, wie wirdieses Geld effizient oder zumindest effektiver ausgebenkönnen . Auch das gehört zur Haushaltspolitik .
Ich schließe und fasse zusammen: Erstens . Wir sindnatürlich im Ausnahmezustand, aber ich glaube, wirhaben gelernt, damit umzugehen . Zweitens . Der Haus-haltsplan ist gut, es gibt das dritte Mal hintereinanderdie schwarze Null . Drittens . Das Ziel, die zusätzlichenBelastungen in diesen Haushaltsplan einzubauen, istsehr ambitioniert . Dabei müssen wir uns alle anstrengen .Viertens . Wir müssen an die Strukturen denken und nichtnur an das Tagesgeschäft . Fünftens – und hier fand ichIhre Bemerkung, Herr Bundesfinanzminister, sehr wich-tig –: Die Bewältigung dieser momentanen Herausfor-derung im Zusammenhang mit den Flüchtlingen ist dieAufgabe unserer Generation . Wir dürfen sie nicht durchSchulden auf die nächsten Generationen übertragen, weildie nächsten Generationen wieder vor neuen Herausfor-derungen und Aufgaben stehen werden, denen sie sichdann stellen müssen . Das sollte der Maßstab für unsereHaushaltsberatungen sein .Danke schön .
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Eckhardt
Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Stellen wir uns einmal die Herausforderung des Jahres2015 zurückverlegt in das Jahr 2010 vor, als der Bundes-haushalt mit Schulden in Höhe von 86 Milliarden Euroim Soll war und die Konjunktur sich nur langsam erhol-te . Was wäre gewesen, wenn wir vor der gleichen Her-ausforderung wie heute gestanden hätten? Wir hier imDeutschen Bundestag sind für den Haushalt zuständig .Wir sollten einmal Revue passieren lassen, was in denletzten fünf Jahren passiert ist, und den Blick auf diesesJahrzehnt werfen .Erste Bemerkung: In dieser Zeit, vereinbart bis 2019und teilweise schon vollzogen, gab es finanzielle Zu-geständnisse des Bundes an Länder und Kommunen inHöhe von 150 Milliarden Euro . Dabei war die Grundsi-cherung im Alter der größte Brocken . Hinzu kamen diekomplette Übernahme des BAföG, der Kitaausbau – derBundesfinanzminister hat die Summe von 5,4 MilliardenEuro genannt –, der Hochschulpakt usw .Kollege Schneider, ich wäre ein bisschen vorsichtig,ständig das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zumBetreuungsgeld zu zitieren . Der Bund ist auch nicht zu-ständig für Kitas und auch nicht für Schulen . Der Bundist auch nicht zuständig für Hochschulen, liebe Kollegin-nen und Kollegen .
Wir müssen uns fragen: Wofür sind wir zuständig, undwas tun wir politisch? Stichwort „Steuereinnahmen“:Wir werden in diesem Jahrzehnt gesamtstaatlich rund224 Milliarden Euro an Steuermehreinnahmen haben .Davon entfallen auf den Bund rund 97 Milliarden Euro,auf die Länder 92 Milliarden Euro und auf die Kommu-nen etwa 34,4 Milliarden Euro .Eines hat mich wirklich geärgert, Kollege Bartsch,nämlich wenn man sagt, dies sei alles ein Gezerre . Es be-darf doch erst einmal einer Definition dessen, was struk-turell getan werden muss, um das Problem der Flücht-linge und der Asylbewerber in den Griff zu bekommen,und welche finanziellen Mittel in einem ersten Schritt zurVerfügung gestellt werden müssen .Im Gegensatz zu meinem Heimatland Mecklen-burg-Vorpommern, das nicht das strukturstärkste ist, indem die Kommunen jedoch die Kosten für die Flücht-linge in voller Höhe ersetzt kriegen, und zwar spitzabgerechnet, sagen jetzt schon die ersten Länder, zumBeispiel der Innenminister aus Nordrhein-Westfalen:Das alles ist viel zu wenig . Dort klagen die Kommunen,dass sie auf 70 Prozent der Kosten sitzen bleiben . Dazukann ich nur sagen: Wenn wir das Thema Flüchtlinge alsgesamtstaatliche Aufgabe ansehen, dann muss auch ent-sprechend gehandelt werden .
Ich sage dies auch noch aus einem anderen Grund:Auch das Land Nordrhein-Westfalen – und ich könntenoch andere Länder nennen; das ist jetzt überhaupt nichtmein Thema –
hat in den letzten 18 Monaten 3 Milliarden Euro anSteuermehreinnahmen gehabt . Im letzten Jahr waren es1,7 Milliarden Euro, im ersten Halbjahr dieses Jahres wa-ren es 1,3 Milliarden Euro . Daher lautet meine Botschaftan dieser Stelle gerade zu diesem Thema: Wir sollten fairmiteinander umgehen .Ein zweiter Punkt – und hier sind wir alle gefordert;ich sage das nicht zum ersten Mal von dieser Stelle aus :Ich finde es richtig, dass sich die Bundesbauministe-rin Gedanken um das Thema „sozialer Wohnungsbau“macht. Nicht richtig finde ich aber Folgendes: In den Ent-flechtungsmitteln sind 518 Millionen Euro für die sozialeWohnraumförderung enthalten . Diese Summe steht denLändern frei zur Verfügung . Gucken Sie sich aber einmalan, welches Bundesland wirklich den kompletten Betragaus der alten Verwaltungsvereinbarung für den sozialenWohnungsbau einsetzt . Wir wären miteinander gesamt-staatlich mehrere Meilen weiter, wenn die Länder dieRalph Brinkhaus
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Mittel wirklich für den Zweck vereinnahmten und an dieKommunen weitergäben, den wir politisch miteinandervereinbart haben .
Deswegen ist es ganz wichtig, liebe Kolleginnen undKollegen, dass wir, wenn wir am 24 . September mit denLändern und Kommunen die Bereitstellung von Mittelnpolitisch vereinbaren und danach die entsprechendenDinge im Bundestag umsetzen – struktureller Nachtrags-haushalt und dann Ausfinanzierung im Haushalt 2016 –,wirklich Mechanismen einfügen, die sicherstellen, dassdie Mittel für den vereinbarten Zweck vor Ort ankom-men . Ansonsten wird es in einem halben Jahr oder ineinem Jahr, auch wenn das Geld auskömmlich zur Ver-fügung steht, über die Parteigrenzen hinweg heißen – wirhaben ganz unterschiedliche politische Farben in denLändern -: Der Bund stellt nicht genug zur Verfügung . –Wir alle miteinander in diesem Deutschen Bundestaghaben nichts gekonnt, wenn das Geld für Flüchtlingeund Asylbewerber, das politisch vereinbart worden ist,nicht für den Zweck vor Ort ankommt, den wir miteinan-der vereinbart haben . Dass es dort ankommt, muss eineGrundbedingung für die Verhandlungen am 24 . Septem-ber sein .
Meine Priorität ist, dass das Elterngeld vernünftig ausfi-nanziert wird . Wir haben steigende Nominaleinkommen,wir haben verbesserte gesetzliche Leistungen, und des-wegen sollten wir erst mal die Etats ausfinanzieren, ehewir dann über neue Projekte reden, für die der Bund zu-dem nicht zuständig ist .
Auch der Vorwurf, dass wir für Forschung und Ent-wicklung nicht genug Geld ausgegeben haben, trifftnicht . Seitdem Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, hatsich der Etat des Einzelplanes 30, der Etat für Bildungund Forschung, schlichtweg verdoppelt . Die Renditenfahren wir mittlerweile ein: Wissenschaftler aus der gan-zen Welt kommen nach Deutschland, die Zahl der Pa-tente nimmt zu, und die Forschungs- und Bildungsland-schaft blüht wirklich . Hier hat der Bund – nehmen wirden Hochschulpakt, den Qualitätspakt Lehre, den Paktfür Forschung und Innovation – keine unmittelbare Zu-ständigkeit . Ich will jetzt gar nicht davon reden, was daseine oder andere Land mit den Mitteln aus dem Hoch-schulpakt macht . Aber wenn der Bund hier nicht massiveingestiegen wäre, dann wären wir im Forschungs- undBildungsbereich nicht so weit, wie wir heute sind .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mit demKollegen Kahrs völlig einer Meinung
- bei dem, was du, lieber Johannes, heute in der Welt hastverlauten lassen -: Wir werden keine neuen Schuldenmachen . – Das hat nichts mit einem Fetisch zu tun, miteinem Hobby von irgendwem . Keine neuen Schulden –das ist Generationengerechtigkeit, das ist Basis für dieZukunft, für zukünftige Generationen in Deutschland .
In dieser Hinsicht gab es einen Tabubruch in der GroßenKoalition zwischen 2005 und 2009 . 2009 wurde dann dieSchuldenbremse vereinbart . Die sollten wir wirklich ein-halten und nicht nach dem Motto verfahren, das in denvergangenen Jahrzehnten galt: Es ist uns wurschtegal,wie viele Schulden wir aktuell machen, die nachfolgen-Eckhardt Rehberg
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den Generationen werden sie schon abbezahlen . – Das istder Tabubruch, den wir begangen haben .Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Flüchtlings-problematik werden lösen können, und zwar ohne neueSteuern und neue Abgaben . Wir dürfen keine neue Steue-rerhöhungsdebatte anfangen . Herr Ramelow fordert jetzt,dass die Einnahmen aus dem Soli, rund 20 MilliardenEuro jährlich, umgewidmet werden sollen . Die Hälfteder Einnahmen aus dem Soli soll in die Bund-Länder-Fi-nanzbeziehungen gesteckt und die andere Hälfte für dieFlüchtlinge ausgeben werden, dann sei man bei null . Ichkann dazu nur sagen: Kollege Ramelow, so macht manvielleicht in Thüringen Haushaltspolitik, aber nicht imDeutschen Bundestag .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es darf keine Ab-striche bei den vereinbarten politischen Leistungenim Infrastrukturbereich geben . Ich sage auch ganz klarund deutlich: Wir werden die Bürgerinnen und Bürgerweiterhin entlasten, vor allem die Familien, Stichworte:Kinderfreibetrag, Kindergeld, Kinderzuschlag und kalteProgression . Ich glaube, mit dem Dreiklang – keine neu-en Schulden machen trotz der Herausforderungen durchdie Flüchtlingsproblematik, politische Zusagen einhaltenund Bürger entlasten – sind wir gut aufgestellt .Herzlichen Dank .
Das Wort erhält nun die Kollegin Gesine Lötzsch für
die Fraktion Die Linke .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ichmöchte mich zuerst im Namen meiner Fraktion bei allenMenschen bedanken, die geholfen haben, Flüchtlinge inDeutschland menschenwürdig aufzunehmen .
Wir haben eine Welle der Hilfsbereitschaft der Anständi-gen erlebt von Bürgerinnen und Bürgern, die der Über-zeugung sind, dass man Flüchtlinge wie Menschen be-handeln muss .Da der Name Ramelow fiel, möchte ich ihn hier aus-drücklich loben und hervorheben, dass er als Minister-präsident persönlich auf die Flüchtlinge zugegangen istund dass er sich persönlich für sie eingesetzt hat. Ich fin-de, das verdient unser aller Hochachtung .
Gleichzeitig haben wir wieder erleben müssen, dassdie Zuständigen in der Bundesregierung sehr lange ver-sagt haben . Sie haben die Städte und Gemeinden sehrlange allein gelassen und damit Chaos produziert . AberAbschreckung funktioniert nicht . Flüchtlinge, die ausKrisengebieten kommen, lassen sich nicht von überfüll-ten Heimen und auch nicht von „Sachleistung statt Geld“abschrecken . Das sollten Sie endlich zur Kenntnis neh-men .
Es ist gut, dass auf dem Koalitionstreffen vom Wo-chenende 6 Milliarden Euro zusätzlich für die Flücht-lingshilfe versprochen wurden . Allerdings wissen wir,dass damit längst noch nicht alle Probleme gelöst sind .Viele der zuständigen Verwaltungen sind personell hoff-nungslos überfordert . Nur ein Beispiel: Hier in Berlinlässt der zuständige CDU-Senator Hotelgutscheine fürFlüchtlinge ausgeben . Die Hotels nehmen aber keineFlüchtlinge mehr auf, weil der Senat über Monate dieRechnungen nicht bezahlt hat . Es fehlte einfach Perso-nal, das die Rechnungen bearbeitet . Das darf so nichtweitergehen .
Die Kürzungspolitik der vergangenen Jahre hat zueinem drastischen Stellenabbau im Bereich der bürger-nahen Verwaltung geführt . Der öffentliche Dienst ist invielen Bereichen nicht mehr in der Lage, seine gesetzli-chen Aufgaben zu erfüllen . Dazu kommt noch die Priva-tisierungspolitik in vielen Bereichen .In Krisensituationen wie dieser wird besonders deut-lich, wie falsch es ist, staatliche Aufgaben zu privatisierenund öffentliches Eigentum zu verkaufen . Jetzt müssen fürviel Geld Grundstücke gemietet oder zurückgekauft bzw .Dienstleistungen eingekauft werden . Es gibt leider aucheinige windige Geschäftemacher, die sich am Elend derFlüchtlinge bereichern wollen . Ich sage ganz deutlich: Eswird Zeit, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben endlichwieder von der öffentlichen Hand übernommen werden .
Ungeplante Ereignisse sind in dem Haushaltsentwurf,so wie er jetzt vorliegt, nicht vorgesehen . Alles ist aufKante genäht . Alles wird der schwarzen Null untergeord-net . Das führt in eine Sackgasse .Wir wissen alle, dass die Flüchtlingshilfe nur ein ers-ter kleiner Schritt ist . Die Integration der Menschen inunsere Gesellschaft wird uns mehr abverlangen . Ich sagees ganz deutlich – wir als Linke sind davon überzeugt:Als eines der reichsten Länder Europas können wir dieseAufgabe auch erfüllen .
Darum schlage ich vor, dass wir ein Integrationskon-junkturprogramm auflegen. Das wäre nämlich für allegut . Es geht ja nicht nur um fehlende sanitäre Einrich-tungen und Sprachkurse . Wir müssen in Kitas, Schulen,Wohnungen und Krankenhäuser investieren . Mit solcheinem Programm könnten Tausende Arbeitsplätze ge-schaffen werden, auch für Langzeitarbeitslose .Eckhardt Rehberg
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Wäre es nicht an der Zeit, dass der Wirtschaftsministerdie Unternehmensverbände an den Tisch holt? Am Wo-chenende sagte der Chef von Porsche, Herr Müller, dassdie Wirtschaft mehr Verantwortung übernehmen müsse .Ich finde, das klingt nach einem Angebot, und das mussman aufgreifen . Wer in Zukunft Fachkräfte braucht, dermuss sich jetzt um Integrationsprogramme kümmern .Man kann nicht alles den Steuerzahlern überlassen . Hiersind auch die Unternehmen gefragt .
Wäre es nicht an der Zeit, dass sich die Arbeitsminis-terin dafür einsetzt, dass Flüchtlinge, wie es in Schwedender Fall ist, ab dem ersten Tag arbeiten dürfen und nichtdrei Monate warten müssen?
Ich könnte hier für jeden Minister eine sinnvolle Auf-gabe im Rahmen eines solchen Integrationskonjunk-turprogramms nennen . Ich setze mich dafür ein, dasswir während der Haushaltsberatungen die finanziellenGrundlagen für ein solches sinnvolles Programm schaf-fen .Meine Damen und Herren aus der Koalition: Sie wol-len doch keinen Nach-mir-die-Sintflut-Haushalt, keinTestament vorlegen . Wir müssen jetzt an einem Zu-kunftspaket arbeiten . Die Linke ist dazu bereit .Vielen Dank .
auch ohne euch!)
Johannes Kahrs ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich habe in den letzten Tagen in Hamburg Er-staunliches erlebt – viele werden das bei sich zu Hauseauch erlebt haben : Gute Freunde von mir haben sich eineWoche Urlaub genommen, sind in die Messehallen ge-gangen und haben geholfen . Es gibt lange Schlangen vonMenschen, die sich freiwillig melden . Andere haben ihreKleiderschränke ausgeräumt .Wenn große Teile der Bevölkerung nicht nur reden,sondern auch tun, dann ist es gut, dass die Bundesregie-rung, Frau Merkel, Sigmar Gabriel und all die anderen,am Wochenende Beschlüsse gefasst haben, von denenwir alle gehofft haben, dass sie kommen . Das ist eineAnsage: 6 Milliarden Euro sind auch in einem Bundes-haushalt viel Geld . Wenn man sich anschaut, dass auch3 000 neue Stellen für die Bundespolizei, Stellen für dasBAMF und 10 000 Stellen für den Bundesfreiwilligen-dienst, für die Bufdis, vorgesehen sind, dann erkenntman, dass Bevölkerung, Regierung, die Parteien, dassalle an einem Strang ziehen . Ich glaube, dass das wichtigist . Der Kollege Brinkhaus hatte recht, als er gesagt hat:Das ist jetzt kein kurzer Sprint, sondern das sind die ers-ten Schritte bei einem Marathon, und der wird dauern .Deswegen ist es wichtig, dass wir hier einen Haus-halt vorlegen, mit dem nicht nur für das kommende Jahrdie Weichen gestellt werden, sondern auch langfristig .Schauen wir uns an, was das für die Bundespolizei be-deutet: Die ersten Polizisten, die über dieses Programmeingestellt werden, stehen nach ihrer Ausbildung, also indrei Jahren, zur Verfügung . Das heißt, in der Zwischen-zeit muss man Arbeiter einstellen, die einfache Arbeitenübernehmen, für die man nicht lange ausgebildet wer-den muss . Man wird Kompromisse machen müssen . Wirwerden an Regelwerke herangehen müssen . Auch beimBauen und in anderen Bereichen müssen wir schauen,wie wir das hinbekommen . Die deutsche Gesellschaftist sehr gut organisiert, einen Hauch überbürokratisiertund manchmal auch ein bisschen behäbig . Ich glaube,dieser Aufbruch, dieser Schwung muss alle erfassen unddarf nicht an Verwaltungsvorschriften, an Bürokratie zer-schellen . Man muss gemeinsam etwas tun .Es ist wichtig, dass auch wir Abgeordnete unseren Teildazutun . Wir Haushälter sind ja manchmal nicht nah anden Inhalten . Wir fragen immer erst einmal: Was soll daskosten? Die Kollegen kriegen deswegen oft die Krise,wenn wir um die Ecke kommen . Und dann fragen wirauch noch: Wer soll das bezahlen? Das macht es nichtbesser . Ich glaube, in dieser Situation muss man die Ver-hältnisse umdrehen . Man muss fragen: Was ist notwen-dig? Und dann muss man das tun . Bezahlt bekommen wirdas schon . Ich glaube, das ist die Einstellung der Bun-desregierung, die diesen Haushaltsentwurf vorgelegt hat .Mit den Überschüssen, die in diesem Jahr erzielt werden,wird hoffentlich Vorsorge dafür getroffen, dass wir imnächsten Jahr alles bezahlen können . Ich glaube, das istdie eine wichtige Botschaft, die aus dieser Debatte her-ausgehen muss .Eine andere Botschaft muss aber sein, dass wir trotzall dieser Anstrengungen für Flüchtlinge die Aufgaben,die wir sonst in diesem Land haben, auf jeden Fall weitererledigen, dass wir nicht eine Gruppe gegen eine andereausspielen,
sondern weiterhin helfen, weiterhin investieren und wei-ter unsere normalen Hausaufgaben machen, damit dieserStaat weiter funktioniert und so erfolgreich bleibt .Herr Schäuble hat es ja gesagt . Er hat aufgezeigt,wie es um die Haushaltslage in Deutschland bestellt ist .Das liegt eben daran, dass wir – im Gegensatz zu vielenanderen europäischen Ländern – vor vielen Jahren un-sere Hausaufgaben gemacht haben . Ich hatte die großeFreude, seit 1998 dabei zu sein . Gerhard Schröder undRot-Grün haben die Grundlagen geschaffen . Wir habenzurzeit Wirtschaftswachstum . Wir haben niedrige Zin-sen . Wir haben Steuermehreinnahmen . Wir haben mehrMenschen in Arbeit . Deutschland sieht gut aus . Das istaber auch die Voraussetzung dafür, dass wir helfen kön-Dr . Gesine Lötzsch
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nen . Helfen kann man nur, wenn es einem gut geht, wennman in der Lage dazu ist . Wir sind dazu in der Lage . Des-wegen tun wir das . Wir dürfen aber alles andere nichtvergessen .Man möge mir verzeihen, wenn ich die eine oder an-dere Anmerkung zu dem mache, was weiterhin diskutiertworden ist . Ich hätte mich gefreut, wenn am Wochenendeauch die Bereitstellung von 500 Millionen Euro für densozialen Wohnungsbau beschlossen worden wäre .
Ich glaube, dass das gerade in den Großstädten, in denBallungszentren – bei mir in Hamburg oder anderswo –wichtig sein wird, wenn die Flüchtlinge, die irgendwanndie Einrichtungen verlassen und Wohnungen suchen, aufdie Einwohner treffen, die auch Wohnungen suchen . Dadarf es nicht zu einem Wettbewerb, zu einem Gegenei-nander kommen, sondern man muss gucken, dass mandas entzerrt .
Ich glaube weiterhin, dass wir das Geld, das wir überdas Betreuungsgeld freibekommen haben, in die Verbes-serung der Qualität von Kitas investieren sollten .
Da muss man den Kommunen jetzt unter die Arme grei-fen . Dieser Kitastreik muss beendet werden . Das könnenviele Eltern nicht mehr ab . Ein Kompromiss kann sein,dass man in Qualitätsverbesserung investiert, in kleineGruppen . Ich glaube, da das Geld ja für Familien vor-gesehen war, ist es keine Mehrausgabe; vielmehr wirdes umgeschichtet und dem Zweck zugeführt . Das sollendie Bundesländer dann individuell für sich entscheiden .Aber ich würde es zumindest für wichtig halten .Wenn wir uns den Bereich Flüchtlinge angucken,dann ist es so, dass wir nicht nur im Wohnungsbau etwastun müssen, sondern insbesondere für die Integration ar-beiten müssen . Da ist es mir jedenfalls sehr wichtig, dassman viel Geld in Sprachkurse investiert .
Ich habe es erlebt: Wer in Deutschland kein Deutschspricht, der hat Probleme, eine Ausbildung zu machen,zu studieren und zu arbeiten . Ich glaube, dass hierfür dieBeseitigung der strukturellen Unterfinanzierung bei denC1-Sprachkursen, die seit längerem vorhanden ist unddie wir auch durch den Nachtragshaushalt nicht ganzhaben beheben können, wichtig ist . Akademiker, Ärzteund andere Fachleute, etwa Ingenieure, müssen Deutschkönnen . Nur wenn sie Deutsch können, können sie arbei-ten . Deswegen war es gut, dass wir im NachtragshaushaltGeld für C1-Sprachkurse zur Verfügung gestellt haben .Nur ist das Geld schon wieder alle . Die Nachfrage ist un-endlich groß . Es sollte uns freuen, dass die Nachfrageso groß ist; denn das ist etwas, mit dem wir auch für unsselber etwas tun,
weil Menschen, die hier arbeiten, sich besser integrieren .Das ist auch für uns alle am Ende gut .Wenn wir uns das alles angucken, glaube ich, dassdieser Haushalt mit all dem, was vorliegt, viele wirk-lich gute Akzente setzt . Ich glaube, dass es gut ist, dasswir mehr Geld für das BMZ ausgeben . Ich glaube aberauch, dass die Gelder, die über das hinausgehen, was inder mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen war – dassind bei 880 Millionen Euro mehr immerhin 560 Milli-onen Euro –, in den Ländern eingesetzt werden sollten,aus denen die Flüchtlinge kommen, oder in den Nach-barländern, um denjenigen zu helfen, die vor Ort bleibenwollen, damit diese da eine Zukunft haben .
Deswegen glaube ich, muss man auch beim BMZ um-schichten . Da muss man Schwerpunkte setzen . Da kannman nicht business as usual machen, sondern da mussauch der Minister Müller – er hat das ja angekündigt –Mittel konzentrieren, und da muss man dann auch helfen .Ich bin sicher, wir kriegen das im Haushaltsausschussgemeinsam hin . Dann, glaube ich, werden wir alle aucheine gute Chance bekommen .Zum Schluss möchte ich auf jeden Fall noch einmaldem Kollegen Rehberg danken, nicht nur für die gute Zu-sammenarbeit, sondern auch für das, was er eben gesagthat: Wir werden auf der einen Seite, was die Flüchtlingeangeht, alles Notwendige tun . Ich hoffe auch, dass es beiden Ländern nicht länger dieses ewige Hin und Her gibt .Die einen haben ja schon über NRW geredet . Ich könntejetzt lange über Herrn Bouffier reden, der schon gesagthat, dass das, was der Bund macht, nicht reicht . AllesKindergarten! Ich glaube, wir werden es gemeinschaft-lich hinbekommen, das Geld zur Verfügung zu stellen .Gleichzeitig müssen wir aber auch unseren normalenBetrieb, also das, was wir sonst machen, hinbekommen .An dieser Stelle kann man vielleicht einfach einmal er-wähnen, dass es Dinge gibt, die wir zugesagt haben . DasBundesteilhabegesetz ist eines davon .
Die Kollegin Nahles ist damit befasst . Es wird gerade aneinem Gesetzentwurf gearbeitet . Das Bundesteilhabe-gesetz ist für Behinderte wichtig . Dieses Vorhaben darfjetzt nicht, weil wir andere Schwerpunkte haben, denBach runtergehen, sondern muss energisch fortgeführtwerden . Auch das wird nicht umsonst sein .
Der nächste Punkt – da hat der Kollege Rehberg michrichtig zitiert und natürlich auch recht – ist: Generatio-nengerechtigkeit bedeutet, dass wir diesen Haushalt soaufstellen, dass wir keine neuen Schulden machen . WirJohannes Kahrs
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Sozialdemokraten haben in der letzten Großen Koali-tion mit der CDU die Einführung der Schuldenbremsedurchgesetzt . Wir waren und sind in der Lage, sie in 2014und 2015 einzuhalten . Ich bin mir sicher, dass wir dasauch in 2016 und in den folgenden Jahren hinbekommen .Ich glaube, dass das auch das Markenzeichen von HerrnSchäuble in dieser Großen Koalition ist: keine neuenSchulden . Daran soll man uns messen .Vielen Dank .
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen hat der
Kollege Tobias Lindner das Wort .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Überraschungder Kollegen der Unionsfraktion über die Betonung derHarmonie seitens des Kollegen Kahrs will ich direktaufgreifen. Lieber Johannes, wenn du Volker Bouffierzitierst und darauf hinweist, dass er gesagt hat, dass das,was am Sonntagabend beschlossen wurde, nicht reicht,dann will ich nur entgegenhalten: Hannelore Kraft sagtdas auch. Wenn sich Volker Bouffier, Hannelore Kraftund Winfried Kretschmann in diesem Land einig sind,dann mag da ein wahrer Kern drin sein .
Ich will nicht in Abrede stellen, dass 6 Milliarden Euronicht nichts sind . Darum geht es nicht . Es geht auch nichtum Überbietungswettbewerbe, was die Zahlen betrifft .Was am Sonntagabend an Finanziellem beschlossen wur-de – daran haben wir viel zu kritisieren; Kollege Kindlerist darauf eingegangen –, war zwingend notwendig, aberwenn Sie mich dazu befragen, sage auch ich, dass es beiweitem nicht ausreichend ist . Wir brauchen am 24 . Sep-tember Fortschritte .Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir ste-hen, liegen die Mühen der Ebenen erst noch vor uns . ImMoment leisten wir Nothilfe . Wenn wir über die Mühender Ebenen reden, wenn wir über das reden, was mittel-fristig und langfristig notwendig sein wird – die Stich-worte sind hier genannt worden –, dann braucht es nichtnur die richtigen Konzepte, sondern auch eine Versteti-gung der Mittel, dann braucht es Verbindlichkeiten derHaushaltsplanung des Bundes und mehr als einzelne Pa-kete zur Entlastung der Kommunen,
dann braucht es endlich auch einen fairen und vernünf-tigen Durchbruch bei den Bund-Länder-Finanzbeziehun-gen und eine dauerhaft auskömmliche Ausstattung derKommunen . All dies ist angesichts der Herausforderun-gen, vor denen wir in diesem Land stehen, notwendig .
Es war ja für Haushaltsberatungen bisher eine span-nende Debatte . Sie war deshalb spannend, weil Sie, HerrSchneider und Herr Schäuble, sich vielfach über die Po-litik von Notenbanken ausgetauscht haben und eher we-niger zum Haushaltsentwurf gesagt haben . Überraschendwar auch, Herr Minister, dass Sie auf John Maynard Keynes eingegangen sind . Ja, als Wirtschaftswissenschaftlerhabe ich Keynes gelesen . Ich teile vieles von dem, was ersagt, aber bei weitem nicht alles . Wenn Sie weitergelesenhätten, dann hätten Sie gemerkt, dass er nicht nur Aus-sagen zur Staatsverschuldung macht, sondern auch zuder Frage, wie man strukturell und wirtschaftspolitischmit einem Staatshaushalt umgeht . Wenn Sie auf Keyneshören würden, dann würde er Ihnen raten, gerade in die-sen Zeiten, in denen wir Mehreinnahmen haben, geradein diesen Zeiten, in denen Staatsverschuldung nicht dasRestringierende ist, in denen wir am Ende kein Problemmit dem Summenstrich haben, auch einmal den Haushaltdurchzukehren, saubere strukturelle Weichenstellungenzu treffen und an einzelnen Punkten auch zu sagen: Hierkönnen Mittel gekürzt werden, hier kann Geld umge-schichtet werden, und hier braucht es mehr Geld .
Was haben die Rednerinnen und Redner der Koaliti-on stattdessen gemacht? Sie haben vor allem zurückge-blickt, sich gefeiert und sich gelobt .
Ich glaube, Sie können die schwarze Null immer nochnicht ganz begreifen und verkraften . Aber, um ehrlichzu sein, Sie müssen nach vorne blicken . Ja, es ist rich-tig, lieber Eckhardt Rehberg, dass die Ausgaben im Bil-dungsbereich gestiegen sind . Aber gucken wir doch – wirleben in Zeiten der Globalisierung – einmal auf andereLänder auf diesem Planeten, die schon längst begriffenhaben, dass Bildung, Ausbildung, Qualifikation, Wissenund Forschung der Rohstoff der Zukunft sein werden . Esreicht eben nicht, nach hinten zu blicken und sich auf dieSchulter zu klopfen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Siemüssen nach vorne blicken und überlegen, wie wir hiernoch mehr Anstrengungen unternehmen können .
Ich habe Ihnen zum Abschluss etwas mitgebracht .
Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an dieses Bild erinnern .
Das ist die Arbeitsgruppe der CDU/CSU vor einer gro-ßen schwarzen Null – so groß, dass der Kollege Körberfast dahinter verschwunden ist .
Johannes Kahrs
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Da haben Sie sich im letzten Jahr gefeiert .
Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass im Vorfeld die-ser Haushaltsberatungen viele in ihrem Büro saßen, diesepappschwarze Null angeblickt, die Füße auf den Tischgelegt und gedacht haben: Na ja, es ist ja vieles gut .
Ich kann Sie nur zu einem auffordern: Packen Sie diesesschwarze Pappteil in Ihren Schrank,
nehmen Sie sich den Haushaltsentwurf vor, und guckenSie sich die Vorschläge an, die wir machen werden, umdiesen Entwurf wirklich zukunftsfähig und in Anbetrachtder Herausforderungen, die vor uns liegen, angemessenzu gestalten .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächstes erhält der Kollege
Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Kollege Dr . Lindner, wir können Sie ja das nächs-te Mal einladen und Sie mit auf das Bild nehmen .
Vielleicht strahlen Sie dann genauso gut und macheneinen genauso guten Eindruck .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlichwerden diese Haushaltsdebatte und die anstehende Haus-haltsberatung in besonderer Weise vor dem Hintergrundder Bewältigung der Flüchtlingszahlen und der Asylpro-blematik stattfinden. Es ist ja heute schon fast alles Wich-tige gesagt worden . Aber, Kollege Dr . Lindner, wenn Siejetzt Frau Kraft, Herrn Bouffier und Herrn Kretschmannanführen und darauf verweisen, dass die alle meinen, das,was wir tun, würde nicht reichen, dann sage ich nur: Ichglaube, die Koalition hat am Sonntagabend einen wirk-lich wegweisenden Beschluss gefasst und eine Basis ge-legt, auf der man gut arbeiten kann . Jetzt sollte man nichtwieder als Erstes herumkritisieren und herummäkeln,sondern man sollte jetzt gemeinsam die Ärmel aufkrem-peln und das tun, was viele Menschen in diesem Landetun: die Probleme gemeinsam angehen . Ich bin über-zeugt, dann wird das gelingen . Sollten irgendwann wei-tere Maßnahmen erforderlich werden – keiner von unskann im Moment sagen, wie sich die Entwicklung imnächsten und übernächsten Jahr darstellen wird –, dannwerden wir wieder gesamtstaatliche Antworten geben .Aber jetzt sollte mit diesem Klein-Klein Schluss gemachtwerden .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will einpaar andere Aspekte ansprechen . Vor wenigen Tagen istvon europäischer Seite bzw . von einem Repräsentanteneines anderen europäischen Landes kritisiert worden,Deutschland würde die strukturellen Probleme, die Haus-haltsprobleme und die Wirtschaftsprobleme in Europa zusehr mit der Mentalität eines Buchhalters angehen . Dassollte natürlich eine Kritik sein . Ich sage: Das ist eher einLob . Als Kaufmann weiß man: Wenn die Buchhaltungnicht in Ordnung ist, dann ist der ganze Betrieb nicht inOrdnung, und das Ende ist absehbar .
Wir glauben, dass ordentliche Haushalts- und Finanz-politik die Grundvoraussetzung dafür ist, dass es uns inDeutschland und uns in Europa gut geht und gut gehenkann .Herr Kindler hat gesagt, wir würden nur ideenlos ver-walten .
Nein, nein! Das Geld muss gut verwaltet werden .
Es ist das Geld der Steuerzahler, das wir treuhänderischverwalten . Nur ein sparsamer Umgang mit den Finan-zen, ein sparsamer Umgang mit Geld hat uns auch in derVergangenheit ermöglicht, die Spielräume zu schaffen,die wir brauchen, um Zukunftsinvestitionen zu tätigen –dazu ist bereits viel gesagt worden – und die soziale Si-cherung zu gewährleisten . Eine solide Haushaltspolitikund die notwendigen Reformen – auch davon wurde be-reits gesprochen – sind die Grundlage des Erfolgs . DiesePolitik ist richtig . Sie gilt für Deutschland, sie gilt aberauch in Europa . Auch die Länder, die Krisen zu bewälti-gen hatten, beweisen, dass dieser Weg ein Erfolgsweg ist .Schauen Sie nach Irland, nach Portugal und nach Spani-en! Es wäre auch gut gewesen, Griechenland hätte diesenWeg konsequent fortgesetzt . Wir hoffen, dass dieser Kursdort wieder eingeschlagen wird .Deutschland ist nicht Buchhalter in einem engstirni-gen Sinne, sondern Deutschland ist für Europa Ideenge-ber, Ratgeber, Impulsgeber, in vielen Fällen Motor undgelegentlich auch Lastesel . Unser Wohlstand hängt aberganz wesentlich davon ab, dass Europa zusammenhält,hängt von der Stabilität und dem Zusammenhalt in Eu-Dr . Tobias Lindner
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ropa ab, und damit meine ich nicht nur den Euro im en-geren Sinne .Wenn wir uns die aktuelle Entwicklung vor Augenführen – die Flüchtlingsproblematik, eine neue politi-sche Entwicklung in der Türkei, die Ukraine-Krise, dieVorgänge in Asien, insbesondere auch die wirtschaftlicheEntwicklung in China und anderen Teilen dort, einigeWolken, die am Horizont der Weltwirtschaft aufziehen,und die anderen bekannten Krisenherde –, dann sehenwir, dass Europa gut beraten ist, jetzt enger und fester zu-sammenzurücken und nicht der Versuchung zu erliegen,die Dinge auseinanderdriften zu lassen .
Deutschland hat eine Führungsverantwortung . Es istdas stärkste Land in Europa . Diese Führungsverantwor-tung wird von unserer Bundesregierung in ausgezeichne-ter Weise wahrgenommen, und wir müssen dieser Ver-antwortung natürlich auch gerecht werden .Deutschland steht gut da; das ist sogar von Oppositi-onsrednern zum Teil bestätigt worden . Im Moment ha-ben wir 42,8 Millionen Erwerbstätige – ein Spitzenwertin der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland . Auchbei den sogenannten sozialversicherungspflichtigen Be-schäftigungsverhältnissen haben wir einen Spitzenwerterreicht . Ich denke, das kann sich sehen lassen . Weil ausehemaligen Unterstützungsempfängern Beitragszahlergeworden sind, können unsere sozialen Sicherungssys-teme finanziell gut dastehen, und sind die Steuereinnah-men bei Bund, Ländern und Gemeinden gut . Wir müssenWert darauf legen, dass diese Entwicklung nachhaltig istund auf Dauerhaftigkeit angelegt ist .Wenn gelegentlich kritisiert wird, wir würden zuwenig für Soziales tun, muss darauf hingewiesen wer-den, dass der Bund mit 158 Milliarden Euro bei einemGesamthaushalt von 312 Milliarden Euro mehr als dieHälfte für Soziales ausgibt . Ich glaube, damit unterstrei-chen wir, dass wir auch ein Sozialstaat sind und dass wirwissen, wo die Menschen draußen im Lande der Schuhdrückt und was die Nöte und Sorgen der Menschen sind .Wir müssen haushaltspolitisch aber auch Vorsorgetreffen . Wir dürfen nicht glauben, dass wir großzügigwerden und leichtfertig Geld einsetzen können, wenn wireine gute Einnahmesituation haben . Wir wissen, dass diewirtschaftliche Entwicklung und damit auch die Einnah-mesituation der öffentlichen Kassen in Zyklen verlaufen .Deswegen müssen wir natürlich in besonderer Weisesparsam mit dem Geld umgehen und haushalten . DieseAufgaben haben wir auch unabhängig von den aktuellenHerausforderungen im Hinblick auf die Bewältigung derFlüchtlingskrise aufgrund unserer Verantwortung gegen-über den jungen Menschen – Stichwort: demografischeEntwicklung . Das gebietet es geradezu, dass wir für dielaufende Finanzierung keine Schulden aufnehmen, son-dern ausgeglichene Haushalte haben, mit dem Geld, daswir einnehmen, also auskommen .Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bindavon überzeugt, dass es uns bei den anstehenden Be-ratungen trotz aller zusätzlichen Herausforderungen undAnforderungen – 6 Milliarden Euro sind keine Kleinig-keit – gelingen wird, auch für das Jahr 2016 einen ausge-glichenen Bundeshaushalt vorzulegen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner für die SPD-Fraktion
ist der Kollege Lothar Binding .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben von denKollegen des Haushaltsausschusses schon sehr viel ge-hört . Sie sind für die Ausgaben im Staat zuständig . Des-halb ist das auch so eine dicke Drucksache . Ich bin imFinanzausschuss . Wir im Finanzausschuss kümmern unsum die Einnahmen . Diese machen in der Drucksachezum Haushalt nur ganz wenige Seiten aus . Darin steht,wie viele Steuern wir einnehmen .Immerhin nehmen wir 312 Milliarden Euro im Bundund 640 Milliarden Euro im Gesamtstaat ein . Die Ein-nahmen des Staates setzen sich aus denen des Bundes,der Länder, der Kommunen, also aller Städte, und derSozialkassen zusammen . Ich möchte hier nun denen dan-ken, die das alles zahlen . Das sind nämlich unsere Bürger .
Egal wie viel und wen wir jetzt auch immer kritisieren:Die Bürger, die das gezahlt haben, haben sich wirklichangestrengt, das Gemeinwesen zu unterstützen . Das isteine große Leistung .
Minister Schäuble hat gesagt: Die Inlandsnachfra-ge ist eine der Hauptursachen dafür, dass der Haushaltgut dasteht . – Das stimmt . Er erklärte außerdem: DieInlandsnachfrage gründet auf Vertrauen . – Auch dasstimmt . Carsten Schneider hat angeführt, dass es nichtnur das Vertrauen ist, und auf die günstigen Energiekos-ten verwiesen, auf die gegenwärtigen Wachstumsimpul-se, auf die Beschäftigung, auf die Reallohnentwicklungund ihre Auswirkungen auf die Binnennachfrage, auf dieZinslage – für die Geldversorgung –, auf den Wechsel-kurs – zur Stärkung des Exports –, aber in diesem Zu-sammenhang auch auf die immensen Zinsersparnisse inunserem Haushalt .Wenn wir all die Effekte dieser günstigen Bedingun-gen herausrechnen, dann wissen wir: Steuerpolitik könn-te noch einmal wichtig werden; denn zukunftsfähig istder Haushalt ja nur, wenn die Struktur der Einnahmenund die Einnahmen auch dann tragen, wenn wir diese Ef-fekte nicht mehr haben .
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Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis in Bezug auf dieZukunftsfähigkeit des Haushalts . Deshalb stelle ich mitBlick auf die 640 Milliarden Euro, die ich erwähnt habeund die auch Sie, unsere Gäste auf der Tribüne, zahlen,zunächst einmal fest, dass wir ein gutes Steuersystem ha-ben. Unser Steuersystem ist manchmal recht komplex;das stimmt . Das liegt daran, dass wir alles sehr genaumachen und unsere Bürger in komplexen Verhältnissenleben . Aber wir haben einen sehr guten Vollzug . Ich spre-che jetzt von unseren Finanzbeamten . In unseren Ämternarbeiten sehr gute Leute, die es offensichtlich schaffen,600 Milliarden Euro von motivierten Bürgern einzuneh-men .
- Die Kollegin Finanzbeamtin klatscht, und zwar ver-dient . – Warum erwähne ich all das? Der Grund dafürist: Wer unser Land mit dem benachbarten Ausland ver-gleicht, der weiß die Arbeit unserer Beamten sehr zuschätzen . Deshalb will ich unseren Finanzbeamten aus-drücklich danken .
Allerdings möchte ich jetzt eine politische Aussagemachen – jetzt komme ich vielleicht zu kleinen Disso-nanzen zwischen der CDU/CSU und uns –:
Man muss natürlich die Steuereinnahmen, die man habenkann, auch haben wollen .
Es ist schon toll, wenn man die Möglichkeiten, die manhat, tatsächlich nutzt . Damit das nicht nur an der CDU/CSU hängen bleibt, will ich von dem Sonderermittler-ausschuss TAXE zu staatlich organisiertem Steuerdum-ping in der EU erzählen .Die Kollegen im Europäischen Parlament haben dazueinen Abschlussbericht vorgelegt . Da kann man sehen,dass staatlich organisierte Steuervermeidung kein Verse-hen war, sondern ein Geschäftsmodell; das steht explizitin diesem Bericht . Das ist kein Einzelfall, sondern das istdie Regel . Dabei ist das Unrechtsbewusstsein übrigensnur sehr mager entwickelt . Daran könnte man sicherlichnoch etwas arbeiten . In diesem Abschlussbericht wirdgefordert, effektive Regeln gegen solche Auswüchse, soPeter Simon, einzuführen .Also, wir brauchen in Europa einen effektiven Rechtsrah-men, mit dem diese Gestaltungsmöglichkeiten, die vonStaaten bewusst eingerichtet wurden, beendet werden .Was passiert eigentlich, wenn das kurzfristige Interesseeinzelner Staaten, nur marginale, also lächerlich nied-rige, Steuern zu erheben, mit dem Interesse bestimmterUnternehmen, keine oder geringe Steuern zu zahlen, zu-sammenfällt? Dann werden die Privaten immer reicherund die Staaten, also die Gesellschaften, immer ärmer .Wenn das noch eine Weile so geht, dann können wir al-les das, was wir Sozialstaat, soziale Marktwirtschaft undInfrastruktur nennen, vergessen, weil dann die Grundlageunseres Systems in der Praxis zusammenbricht. Das willnatürlich keiner . Deshalb muss man sich schon noch Ge-danken machen .Wir haben ein paar Vorschläge gemacht . Ich will ei-nen nennen: Wir wollen in Europa eine einheitlicheBemessungsgrundlage; denn im Moment vergleichenwir immer auf diese Weise: In Irland werden 12,5 Pro-zent Körperschaftsteuer gezahlt, in Deutschland sind es15 Prozent . Da denkt jeder, bei uns ist sie höher und beidenen niedriger . Aber keiner weiß, ob es vergleichbar ist,weil keiner weiß, worauf die Steuer bezahlt wird . Denndie Bemessungsgrundlage ist sehr unterschiedlich undnicht vergleichbar .Es gibt einen zweiten Vorschlag, ein Zauberwort,nämlich Transparenz: Wer zahlt wo unter welchen Be-dingungen wie viel Steuern in welchem Land? Wenn wirdas genau wüssten, dann könnten wir eine noch besserePolitik machen bzw . unsere Steuerpolitik daran orientie-ren .
Ich habe jetzt viel gelobt und auch ein bisschen geta-delt . Da, wo Tricks angewendet werden, haben wir eineRiesenherausforderung . Und zwar besteht diese in derGewährleistung einer gewissen Gerechtigkeit . Wir sagen:Die Steuerlast – das, was der Bürger zahlt – soll nach derwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bemessen werden .Jetzt merken wir plötzlich, dass da gewisse Dinge nichtstimmen . Schauen Sie sich einmal das Durchschnittsein-kommen an . Es beträgt im Land 30 000 Euro im Jahr .Viele Rentnerinnen und Rentner haben sehr, sehr, sehrviel weniger . Aber es gibt auch Leute, die verdienen46 000 Euro am Tag . Jetzt merkt man, dass man da eineSteuerpolitik machen muss, die nicht ganz leicht ist .Es gibt auch Leute – in diesem Fall aus der Brancheder Reiseanbieter –, die zu uns kommen und sagen, siekönnten die Steuern nicht mehr bezahlen . Es sei allesganz schwierig, und sie würden dann in den Ruin getrie-ben . Wenn man einmal genauer nachguckt, sieht man: Indieser Branche gibt es Gehälter in Höhe von 17 Millio-nen Euro im Jahr . Das heißt, wenn zwei Manager ent-lassen würden, hätte man schon so viel Geld übrig, wieheute überhaupt an Steuern bezahlt wird .
Da merkt man: Es gibt eine Asymmetrie der Wahrneh-mung in Bezug darauf, was gezahlt wird und worin dieAufgabe besteht .Ich will das, was unsere Aufgabe ist, ins Positivewenden . In Schweden heißt Steuer „skatt“ . „Skatt“ heißt„Schatz des Volkes“ . Die schwedischen Steuerpolitikersehen ihre Aufgabe darin, allen Bürgern möglichst guteGelegenheiten zu geben, sich am Schatz des Volkes zubeteiligen. Denn das, was ich an Steuern zahle, finde ichals Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben wieder . Das istüberall in der Welt so . Darauf kann ich zurückgreifen .Manchmal kann ich darauf fahren; manchmal kann ichmeine Kinder in die Schule schicken . Das sind wichtigeLothar Binding
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Dinge, die die Gemeinschaft braucht . Und dafür lohnt essich, Steuern zu zahlen . Das ist auch sehr wichtig!
Ich will abschließend ein Beispiel dafür nennen, wowir noch nicht so richtig zusammenkommen . Die Ver-mögensverteilung in Deutschland befindet sich in exor-bitanter Schieflage. Gott sei Dank haben wir die Erb-schaftsteuer in der Diskussion . Wir versuchen ja, dievom Verfassungsgericht bestätigte Überprivilegierungder Unternehmen zu kompensieren .Ich will jetzt ein Beispiel bringen, damit Sie merken,worin ich den CDU-Kollegen nicht folge . Christian vonStetten sagt, ich soll mir einmal
– ein sehr guter Mann, aber leider an dieser Stelle miteiner schlechten Überlegung; trotzdem ist es aber einnetter Mann – einen Studenten vorstellen, der nichtshat und den man deswegen bedauert . Plötzlich erbt der100 Millionen Euro . Ab dann hat er ein Riesenproblem . –Christian von Stetten erklärt mir dann immer, warum derStudent ein Problem hat . Ich meine, viele andere Bürgerwürden sich solche Probleme wünschen .
Deshalb müssen wir Steuerpolitik machen, mit der wirauf dem Pfad der Gerechtigkeit gehen . Da wäre es toll,wenn ihr uns dabei ein bisschen stärker helfen würdet .
Alles Gute und noch einen schönen Tag!
Vielen Dank . – Als Nächste hat jetzt die Kollegin
Antje Tillmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Debatte hat heute nachvollziehbar sehr unter demEindruck der wachsenden Asylbewerberzahlen gestan-den . Es ist wichtig, dass wir darüber sprechen . Ich würdein meinem Beitrag aber gerne wieder auf die Menschenzurückkommen, die auch schon gestern hier gelebt ha-ben, auch gestern hier Steuern gezahlt haben, auf Fa-milien, die hier leben und ihre Kinder großziehen, aufMenschen, die hier die Hochschulen besuchen, und aufMenschen, die in Deutschland alt werden wollen . Dennfür all diese Menschen, die auch jetzt schon in Deutsch-land leben, ist das ein guter Haushaltsentwurf . Es ist einEntwurf für den Haushalt 2016 – das Jahr, wo die Schul-denbremse das erste Mal tatsächlich ziehen würde .Ich bin sehr dankbar, dass unser Finanzminister diesesThema schon vor zwei Jahren abgeräumt hat . Wir habendie schwarze Null, die mal positiv, mal negativ diskutiertwird . Das ist ein Beitrag zur Gerechtigkeit für künftigeGenerationen . Das erlaubt es uns, mit der derzeit schwie-rigen Situation einer wachsenden Zahl von Zuwanderernumzugehen .Dieser Entwurf ist gut für die Steuerzahlerinnen undSteuerzahler . Einig bin ich mit meinem Kollegen LotharBinding in dem Dank dafür, dass diese Menschen – Siebzw . wir alle – jeden Morgen aufstehen und diesen Staatdadurch am Laufen halten, dass wir uns bemühen, unsereLöhne und Gehälter zu verdienen, und einen wesentli-chen Teil davon an den Staat abgeben .Diese Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlastenwir mit dem Entwurf zum ersten Mal in dieser Legisla-turperiode um eine sehr große Summe, nämlich um 5,5Milliarden Euro . Lohnerhöhungen, die es Gott sei Dankwieder in nennenswertem Umfang gibt, sollen nicht weg-besteuert werden, sondern man soll diese Lohnerhöhun-gen tatsächlich spüren . Deshalb werden wir einen erstenSchritt in Höhe dieser großen Summe unter anderem beider kalten Progression machen .
Dieser Entwurf ist gut für Steuerzahlerinnen undSteuerzahler, weil wir den Grundfreibetrag erhöhen . DerGrundfreibetrag, der das Existenzminimum sicherstellt –das gilt erst dann, wenn man überhaupt Steuern zahlenmuss –, wird im kommenden Jahr auf 8652 Euro erhöht .Auf Einkommen unterhalb dieser Grenze zahlt man kei-ne Steuern; damit kann man sich auf seinen eigenen Le-bensunterhalt konzentrieren .Der Gesetzentwurf ist aber auch gut, lieber LotharBinding, weil es keine andere Regierung gibt, die mehrfür internationale Steuergerechtigkeit getan hat als die-se . Dank dem automatischen Informationsaustausch, derVerschärfung der strafbefreienden Selbstanzeige, dankBEPS, den internationalen Standards zur Besteuerung,und der Transparenz bei Steuergestaltungen sind in die-sem Haushalt auch Einnahmen derjenigen enthalten, diebisher versucht haben, sich davor zu drücken: ehemaligeSteuerhinterzieher, die Gott sei Dank auf den Weg derTugend zurückkommen .
Ein Teil der Einnahmen ist auch denen zuzuschreiben .Auch das ist ein guter Schritt für die Steuerzahlerin-nen und Steuerzahler, die immer schon ordentlich ihrenPflichten nachgekommen sind.
Dieser Haushaltsentwurf ist aber auch gut für Steu-erzahlerinnen und Steuerzahler, weil bestimmte Dingenicht drinstehen, zum Beispiel Zahlungen für Bankenund Hilfen für andere Staaten . Denn wir haben im Rah-men der Bankenunion viele Risiken in den nächstenJahren abgefedert, die uns in der Vergangenheit Proble-me bereitet haben . Die Krisen in Griechenland, Portu-gal, Spanien und Zypern waren ganz extrem auch mitSchwierigkeiten von Banken verbunden . Wir haben überLothar Binding
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eine gemeinsame Bankenaufsicht, über einen Rettungs-schirm, den ESM, über eine Regelung zur Abwicklungvon Banken und über den Abwicklungsfonds für BankenGelder – und zwar Gelder der Eigentümer – zur Verfü-gung gestellt, sodass Steuerzahlerinnen und Steuerzah-ler künftig in weitestgehendem Umfang nicht mehr fürBanken aufkommen müssen . Das tun die Banken bzw .die Eigentümer und Gläubige demnächst selbst . Darinsind wir in Europa Vorreiter . Finanzminister Schäublehat schon darauf hingewiesen, dass nicht jeder dabei sogut und so weit vorangeschritten ist wie wir . Wir werdenin der nächsten Sitzungswoche mit dem Abwicklungs-mechanismusgesetz das Ganze abrunden, sodass wirziemlich optimistisch sind, dass Banken uns im Haushaltnicht mehr belasten werden, weil wir Vorsorge getroffenhaben .
Dieser Haushalt ist aber auch gut für Steuerzahlerinnenund Steuerzahler, weil wir auf europäischer Ebene etwasÄhnliches wie die deutsche Schuldenbremse durchge-setzt haben, nämlich den Fiskalvertrag . Der Fiskalvertragbesagt, dass alle europäischen Länder, insbesondere auchdie der Euro-Zone, Schuldenbremsen in ihrer Verfassungeinführen und auch umsetzen müssen, sodass das, wasuns mit Griechenland, Portugal und Spanien passiert ist,hoffentlich nicht wieder passiert .Wir sind auf dem Weg zur Einhaltung des Fiskalver-trags, also nie mehr als 60 Prozent Schulden, gemessenam BIP, zu machen, ein gutes Stück weiter als andere .Wir haben unsere Verschuldung im Verhältnis zum BIPerheblich abgebaut, und alle, die meinen, wir müsstendie schwarze Null nicht so ernst nehmen, sollten sichdaran erinnern, dass wir Verträge unterschrieben haben .Es ist immer leicht, auf andere europäische Partner zuzeigen und zu sagen: „Ihr haltet die Verträge nicht ein“;wir selber sollten das aber auch tun . Deswegen ist dieserHaushaltsentwurf ein Weg hin zur Erfüllung des Fiskal-vertrags und ist deshalb gut .
Dieser Haushaltsentwurf ist aber auch gut für Famili-en, die hier leben und ihre Kinder erziehen . Ich füge inKlammern hinzu: Wer weiß, was ein unbetreuter minder-jähriger Asylbewerber an Kosten verursacht, der danktvielleicht endlich einmal den Familien für die Leistun-gen, die sie bei ihren Kindern erbringen: dass sie siepünktlich in die Schule schicken, sie kleiden und ihneneine Leistungsbereitschaft mit auf den Weg geben . Herz-lichen Dank an alle Eltern, die das tun! Jeder, der dasin Zweifel zieht und meint, Familien könnte man durchSozialarbeiter und andere Einrichtungen ersetzen, liegtfalsch. Das ist finanziell nicht zu schultern, und deshalbsage ich an der Stelle neben den Steuerzahlern auch einRiesendankeschön den Eltern, die ihre Kinder zu verant-wortungsbewussten Bürgern machen und damit auch denStaatshaushalt entlasten .
Wir geben einen kleinen Teil dieser Leistungen zurück,indem wir den Freibetrag für Kinder und das Kindergeldsogar zweimal nacheinander erhöhen . Wir erhöhen zu-dem den Alleinerziehendenentlastungsbetrag in erhebli-chem Umfang, weil Mütter und Väter mit Kindern alleinweniger leistungsfähig sind als beide Elternteile zusam-men . Wir werden ab 1 . Juli 2016 den Kinderzuschlag er-höhen . Diesen bekommen Eltern, die zwar ihren eigenenBedarf decken können, nicht aber den ihrer Kinder .Wir haben schon lange mit Programmen für Spra-chintegration und frühkindliche Sprachförderung begon-nen, weil auch deutsche Kinder teilweise Defizite beider deutschen Sprache haben. Auch hier finanziert derBund in erheblichem Umfang mit . Diese Mittel werdennoch einmal aufgestockt, sodass Logopäden halbtags invielen Kindereinrichtungen dieses Landes auf Kostendes Bundes Kindern die deutsche Sprache nahebringenkönnen . Wir haben außerdem die Mittel für Bildung undForschung noch einmal um 1 Milliarde Euro erhöht . Dasist gut für junge Menschen, die in Deutschland studierenwollen .
Neben den Steuerzahlern und den Familien ist der vor-liegende Haushaltsentwurf gut für Länder und Kommu-nen . In erheblichem Umfang erledigen wir als Bund Auf-gaben, die Länder und Kommunen eigentlich erfüllenmüssten, wozu sie sich aber nicht in der Lage sehen . Wirerhöhen die Investitionen in die öffentliche Infrastruk-tur und übernehmen den Finanzierungsanteil der Länderbeim BAföG, sodass ihnen jährlich 1,2 Milliarden Euromehr zur Verfügung stehen, die beispielsweise dazu ver-wendet werden können, sich schulischen Aufgaben zuwidmen .Wir finanzieren zudem Mehrgenerationenhäuser inden Kommunen . Wir haben in den letzten Jahren dieKommunen, Herr Kollege Kindler, strukturell und dau-erhaft um insgesamt 145 Milliarden Euro entlastet, in-dem wir als Bund beispielsweise die Finanzierung derGrundsicherung im Alter übernehmen und die Kinderta-gesbetreuung mitfinanzieren. Wir stehen den Kommunenauch bei den Kosten der Versorgung der Asylbewerberzur Seite . Wir sind die Regierung – das gilt auch für dieKoalition in der letzten Legislaturperiode –, die die Kom-munen am meisten entlastet hat . Die kommunalen Spit-zenverbände wissen trotz all der Probleme, die sie nochimmer an uns herantragen, sehr genau, dass wir als Re-gierung berücksichtigen, dass die Bürgerinnen und Bür-ger auf kommunaler Ebene am ehesten merken, wenn esfinanzielle Sorgen gibt. Auch hier stehen wir zu unseremWort .Der nun zur Diskussion stehende Haushaltsplanent-wurf ist also gut für alle Generationen, auch für die jün-gere Generation, weil wir den Haushalt ohne neue Schul-den finanzieren. Das haben wir uns in den letzten Jahrenzusammen mit dem Finanzminister sowie den Kollegin-nen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss erarbei-tet . Wir aus dem Finanzausschuss geben uns Mühe, dazuAntje Tillmann
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beizutragen . Ich bin sicher, dass es in den Beratungennoch die eine oder andere Nachbesserung geben wird .Aber insgesamt stellt dieser Haushaltsentwurf eine guteGrundlage dar, um die Haushaltsberatungen für das Jahr2016 fortzusetzen . Die Länder sollten unserem Beispielfolgen und nicht wie Thüringen als Erstes nach Steuer-mehreinnahmen und Steuererhöhungen schreien .
Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger mit diesemHaushalt entlasten . Das haben sie angesichts der An-strengungen in den letzten Jahren auch verdient .Ich danke Ihnen .
Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist die Kollegin
Kerstin Radomski, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Als ich die Vorredner von der Opposition ge-hört habe, war ich enttäuscht .
In einer meiner letzten Reden habe ich Sie aufgefordert,sich doch einmal mit uns über ein Ende der Neuverschul-dung in den letzten beiden Haushalten zu freuen . Nunmuss ich aber erleben, dass der Kollege Tobias Lindnerhier ein Foto der Haushalts-AG der CDU/CSU-Fraktionzeigt, auf dem eine von mir gezeichnete schwarze Nullzu sehen ist . Herr Bartsch sitzt, nachdem ihm das Fotovon Tobias Lindner übergeben wurde, da und schaut essich an . Das scheint bei Ihnen noch nicht angekommenzu sein .
[SPD]: Das ist ein Missverständ-
Sie haben offensichtlich noch immer nicht verstanden,dass wir es zum ersten Mal seit Jahrzehnten im Bund ge-schafft haben, ein Ende der Neuverschuldung herbeizu-führen . Vielleicht sind wir so schnell, dass der eine oderandere nicht mehr Schritt halten kann; denn wir erwartennun sogar ein Haushaltsplus in Milliardenhöhe . Das liegtnatürlich an der guten Konjunktur und der guten Be-schäftigungslage in unserem Land .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Oppositi-on, wenn wir auf unsere Nachbarländer schauen, dannstellen wir fest, dass diese uns um die Entwicklungen inDeutschland beneiden, um unsere wirtschaftliche Stärkeund unsere soliden Finanzen und darum, dass wir das al-les trotz sehr bewegter Zeiten haben . Unser Garant fürdiese Finanzpolitik und das Augenmaß, das dieser Politikzugrunde liegt, und auch für das unbedingte Pochen aufReformen in Griechenland ist Wolfgang Schäuble, unserFinanzminister, dem dafür unser Dank gilt .
Gerade angesichts eines Haushaltsplus in Milliarden-höhe kommt es jetzt darauf an, Augenmaß zu bewah-ren und sich nicht in ideologische Verteilungskämpfezu versteigen; denn in diesen Wochen erleben wir eineSituation, die keiner von uns erwartet hat und die unsals verantwortliche Politiker vor enorme, vor allem auchfinanzielle Herausforderungen stellt. Ich möchte michheute in dieser Debatte deshalb auch dem Flüchtlingsthe-ma und seiner Finanzierung zuwenden .Hunderttausende Flüchtlinge kommen derzeit in unserLand, von denen viele auch dauerhaft bleiben werden .Angesichts dieses Ausmaßes brauchen wir gemeinsameLösungen statt Streit und parteipolitische Grabenkämp-fe . Die Beschlüsse der Koalition vom Sonntagabend sindwegweisend für die kommenden Wochen und die zu er-wartenden Mehrkosten; denn die Bundesarbeitsministe-rin hat gegenüber dem Finanzminister für das kommendeJahr schon einen Mehrbedarf von 3,3 Milliarden Euroangemeldet . Wir wissen alle, dass dies auch andere Res-sorts betreffen wird .Für die Flüchtlinge, die kommen, geht es um viel,etwa um Sprachkurse oder Maßnahmen zur Aufnahmeeiner Arbeit . Viele Menschen, die in diesen Wochen an-kommen, hatten bisher nicht das Lebensziel, ihre Heimatzu verlassen . Sie waren Ladenbesitzer, Ärzte, Handwer-ker; aber ihre Heimat ist zerstört. Diese Menschen be-nötigen unsere Hilfe . Liebe Kolleginnen und Kollegen,wir wissen, dass das nicht leicht wird und auch unsereBevölkerung vor Herausforderungen stellt . Dennoch –das möchte ich auch in einer Debatte wie dieser sagen, inder es eher um große Zahlen als um einzelne Schicksalegeht – nehmen wir Flüchtlinge auf, die vor Krieg undTerror fliehen und bei uns Schutz suchen, und wir heißensie auch willkommen .
Wir nehmen ebenso die Sorgen von Teilen der Bevölke-rung angesichts der neuen Situation ernst; aber dumpfeVorurteile gegen Flüchtlinge bringen niemanden weiter .Lassen Sie mich im Rahmen dieser Beratungen einigeBeispiele dafür nennen, dass der Bund deutlich mehr leis-tet als bisher . Im Bundeshaushalt 2016 wurden die Mitteldes Bundesinnenministeriums für Integrationskurse um40 Millionen Euro auf 309 Millionen Euro erhöht . Imvergangenen Jahr haben rund 700 000 Menschen einenIntegrationskurs erfolgreich abgeschlossen . Natürlichwissen wir alle: Die Teilnehmerzahlen werden noch stei-gen . Die Bundesregierung plant, Integrationskurse auchfür geduldete Asylbewerber mit guter Bleibeperspektivezu öffnen . Zudem gibt es in den Städten Berlin, Dort-mund, Duisburg und München ein Modellprojekt, vomAntje Tillmann
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Bund finanziert, mit sozialpädagogischer Betreuung derKursteilnehmer .Wir wissen alle: Der Erwerb von Deutschkenntnissenist eine, wenn nicht sogar die entscheidende Grundvor-aussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Lebenin unserem Land . In den rund 600 Stunden umfassendenSprachkursen lernen die Teilnehmer Deutsch, aber auchwichtige Themen des alltäglichen Lebens, wie zum Bei-spiel „Arbeit und Beruf“ oder „Ausbildung und Erzie-hung“ .In diesem Zusammenhang möchte ich einer Forde-rung nach der Aussetzung der Schulpflicht für Kindervon Asylbewerbern, die vor einigen Tagen zu hören war,eine klare Absage erteilen .
Wir dürfen die Jüngsten – und das ist fast ein Drittel de-rer, die um Asyl bitten – nicht im Stich lassen, sondernmüssen ihnen ein Fundament der Bildung und Berufsper-spektive geben .
Deshalb ist es richtig, dass das Bundeskabinett unterLeitung von Angela Merkel vor kurzem beschlossen hat,dass die Bundesagentur für Arbeit nicht länger zustim-men muss, wenn es um Praktika zur Berufsorientierungfür Geduldete und Asylbewerber geht . Das Bundespro-gramm für junge Flüchtlinge „Willkommen bei Freun-den“ wird von vielen zusätzlichen Maßnahmen begleitet,darunter die kindgerechte Ausstattung von Flüchtlings-unterkünften, die Förderung von Müttern mit Migrati-onshintergrund und eine gezielte Unterstützung jungerMigranten . Es gibt unzählige weitere Maßnahmen, zumBeispiel die Möglichkeit, in Zukunft auch BAföG undBerufsbildungsbeihilfe zu beantragen oder an der assis-tierten Ausbildung teilzuhaben, die verhindern soll, dasses zu Ausbildungsabbrüchen kommt .Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch am heutigenTag gilt es, festzuhalten, dass der Bund seiner Verantwor-tung nachkommt und die notwendigen finanziellen Mit-tel zur Verfügung stellt .Aber wenn man jüngsten Zahlen des Kinderhilfs-werks der Vereinten Nationen hört, dann wird einemanders: Derzeit können vier von zehn Kindern in denKonfliktländern Syrien, Libyen, Irak, Jemen und Sudannicht zur Schule gehen . Das sind nicht weniger als rund14 Millionen junge Menschen, die ihrer Bildungspers-pektive beraubt sind .Dabei ist mit Blick auf den Bundeshaushalt auch nichtzu vergessen, dass Deutschland allein seit Ausbruch desBürgerkriegs in Syrien mit mehr als 1 Milliarde Euro vorOrt geholfen hat . Wir können nicht von heute auf morgenalles ändern; aber die eben genannten Maßnahmen sindein erster Schritt, die Situation zu verbessern .Doch auch ohne Fokussierung auf die aktuelle Flücht-lingsthematik ist es eine Tatsache, dass wir in unseremLand generell mehr Lehrer, Erzieher und Sozialarbeiterbenötigen . Beim jüngst veröffentlichten ifo-Bildungsba-rometer 2015 bestätigten rund drei Viertel der Befragten,dass die Schul- und Bildungspolitik ein zentrales The-ma für die Menschen in unserem Land ist und dass die-ses Thema auch für ihre persönliche Wahlentscheidungwichtig ist .So möchte ich zumindest kurz noch darauf eingehen,dass der Bund auch in anderen Bildungsbereichen stär-ker tätig wird, zum Beispiel bei der Modernisierung undStärkung der beruflichen Bildung. Die Ausgaben hierfürwerden um 7 Prozent erhöht . Die Ausgaben für den in-ternationalen Austausch und die Zusammenarbeit in derberuflichen Bildung werden um 15,6 Prozent gesteigert.Und nicht zuletzt: Das BAföG für Studierende wird imkommenden Jahr um 5,5 Prozent erhöht .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aufwüchse indiesen Zukunftsfeldern sind wichtig für unser Land . Fürden Gesamtetat betone ich zum Abschluss noch einmal:Halten wir trotz des Haushaltsplus Maß, um die notwen-digen Ausgaben für die Zukunft tätigen zu können! Somüssen natürlich zunächst einmal die konkreten Kostender Flüchtlingshilfen betrachtet werden und muss dieSteuerschätzung im Herbst abgewartet werden .
Begeben wir uns angesichts der jüngsten Entwicklungennicht in parteipolitische Grabenkämpfe, sondern wendenwir uns gemeinsam der Verantwortung zu und werdendieser auch gerecht! Die Menschen, die unsere Hilfebenötigen, haben dies verdient – und natürlich auch dasdeutsche Volk .Danke schön .
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, es
liegen keine weiteren Wortmeldungen zur allgemeinen
Finanzdebatte vor .
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15 .
Es wäre schön, wenn Sie jetzt zügig Ihre Plätze ein-
nehmen würden . Dann hätte nämlich der Bundesminister
Hermann Gröhe, dem ich jetzt das Wort für die Bundes-
regierung gebe, die notwendige Aufmerksamkeit .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Die Menschen in unserem Land vertrauen dem Gesund-heitswesen, geben ihm in Umfragen immer wieder Best-noten . Sie wissen: Im Falle von Unfall, von Krankheit,von Pflegebedürftigkeit können sie sich in diesem Landwie nur in ganz wenigen Ländern der Welt darauf verlas-sen, dass sie die erforderliche Hilfe erhalten . 5 MillionenMenschen geben in diesem Land in den unterschiedlichs-ten Bereichen unseres Gesundheitswesens ihr Bestes, da-mit es anderen besser geht .Kerstin Radomski
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Zugleich wissen die Menschen aber auch, dass un-ser Gesundheitswesen vor großen Herausforderungensteht . Die erfreulicherweise ansteigende Lebenserwar-tung, auch das Ergebnis einer gesünderen Lebens- undArbeitsweise sowie des medizinischen Fortschritts, führtzu einer steigenden Zahl hochbetagter, mehrfach undchronisch erkrankter pflegebedürftiger Menschen. Bei-spielhaft sei die wachsende Zahl demenziell Erkrankterin unserem Land genannt .Die deutlich abnehmende Zahl erwerbstätiger Menschenund ein zum Teil massiver Bevölkerungsrückgang in ein-zelnen ländlichen Regionen werfen weitere Fragen auf:Wie steht es um eine gute medizinische und pflegerischeVersorgung im ländlichen Raum? Wie stellen wir ange-sichts schon jetzt fehlender Fachkräfte beispielsweise imPflegebereich den wachsenden Fachkräftebedarf im Ge-sundheitswesen sicher? So sorgen innovative Therapien,Arzneimittel und Medizinprodukte für Hoffnung bei Er-krankten, weisen uns aber auch auf die Herausforderunghin, auch weiterhin alle Menschen in unserem Land ammedizinischen Fortschritt in guter Weise teilhaben zu las-sen . Die Bürger erwarten zu Recht, dass wir uns diesenFragen stellen, und wir tun das .
Bei den zahlreichen Gesetzgebungsvorhaben imGesundheitsbereich gilt: Stets verbinden wir die pati-entenorientierte Ausgestaltung der Leistungen für Pfle-gebedürftige und Kranke mit Maßnahmen und Regeln,die zeigen, dass wir die nachhaltige Leistungsfähigkeitunseres Gesundheitswesens im Blick haben und stärken .In dieser Haushaltsberatung will ich mit der nachhalti-gen Finanzierung unseres Gesundheitswesens beginnen .Unsere leistungsstarke gesetzliche Krankenversicherungist finanziell solide aufgestellt.
In der Jahresmitte 2015 gab es bei Gesundheitsfonds undgesetzlicher Krankenversicherung Reserven von rund24 Milliarden Euro . 20 Millionen Menschen in diesemLand konnten zu Jahresbeginn von niedrigeren Kranken-versicherungsbeiträgen profitieren, gemessen an der frü-heren Beitragsvorgabe . Diese gute Lage ist das Resultatsowohl gesundheitspolitischer Weichenstellung als auchder guten wirtschaftlichen Lage in unserem Land .Ein leistungsstarkes solidarisches Gesundheitswesenbraucht eine starke Wirtschaft und eine gute Entwicklungauf dem Arbeitsmarkt . Richtig war es deshalb, dass wirin den Jahren 2014 und 2015 durch eine vorübergehen-de Absenkung des Bundeszuschusses einen Beitrag zurHaushaltskonsolidierung und damit zur Wachstumsför-derung in unserem Land geleistet haben . Nun halten wirWort . Im Jahr 2016 wird dieser Bundeszuschuss 14 Mil-liarden Euro, ab dem Jahr 2017 dauerhaft 14,5 MilliardenEuro betragen . Deshalb ist es richtig, dass sich die Koa-litionspartner darauf verständigt haben, den Arbeitgeber-beitrag einzufrieren . Mit einer Politik für sichere und gutbezahlte Arbeitsplätze stärken wir die Grundlagen unse-rer sozialen Sicherheit .
Zugleich ist klar: Damit Leistungsausweitungen mitAugenmaß möglich sind, muss die Effektivität im Sys-tem, wo immer vertretbar, erhöht werden . Deshalb zieltebereits das erste Gesetz dieser Koalition auf die Verlän-gerung des Preismoratoriums bei den Arzneimitteln unddie Erhöhung des Herstellerabschlags . Das sind Maß-nahmen, die die gesetzliche Krankenversicherung umjährlich 650 Millionen Euro entlastet haben . Die Verbin-dung von konkreten Leistungsverbesserungen für unserePatientinnen und Patienten einerseits und die Stärkungstruktureller Nachhaltigkeit des Gesundheitswesens an-dererseits prägen alle unsere Gesetzesvorhaben .
Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz stärken wir dieVersorgung im ländlichen Raum, indem wir beispiels-weise den Kassenärztlichen Vereinigungen die Mög-lichkeit geben, mit konkreten Niederlassungsanreizenrechtzeitig die Weichen für eine Sicherstellung des An-gebots zu stellen . Wir stärken die Allgemeinmedizin,aber auch die Weiterbildung in den grundversorgendenFacharztdisziplinen . Zugleich schaffen wir mit einemneuen Innovationsfonds – pro Jahr 300 Millionen Euroin den nächsten vier Jahren – die Voraussetzung, sektor-übergreifende Versorgungsformen zu erproben, um siealsbald in die Regelversorgung einzuführen . Wir habenlange genug Mauern zwischen den Sektoren gebaut . Mitdiesem Innovationsfonds bauen wir Brücken für die Pati-entinnen und Patienten .
Zugleich erhöhen wir damit auch die Wirtschaftlichkeitder Leistungserbringung im Gesundheitswesen .Mit der Krankenhausreform sichern wir gut erreich-bare Krankenhausversorgung und machen im Interesseder Patientinnen und Patienten die Qualität der Kran-kenhausleistung zum entscheidenden Maßstab künftigerKrankenhausplanung . Wir verbinden die Sicherstellungortsnaher Grund- und Regelversorgung mit besserer Fi-nanzierung der besonderen Aufgaben von Zentren, etwain den Hochschulkliniken oder im Bereich der Notfall-versorgung, aber auch mit dem Abbau von Überversor-gung und mit einem strukturierten Zweitmeinungsver-fahren, um überflüssige Operationen zu vermeiden. Dasist im Interesse der Patientinnen und Patienten und stei-gert die nachhaltige Leistungsfähigkeit unseres Gesund-heitswesens .
Der Forderung eines selbstbestimmten Lebens geradeälterer Patientinnen und Patienten – dabei denke ich bei-spielsweise an die Arzneimitteltherapiesicherheit, an denMedikationsplan sowie an eine bessere Zusammenarbeitzwischen den unterschiedlichen Leistungserbringern, aufdie gerade mehrfach und chronisch erkrankte Menschenangewiesen sind – dient unser Gesetz für die sichere di-gitale Kommunikation und Anwendung im Gesundheits-wesen, kurz E-Health-Gesetz . Zugleich stärkt es den Da-tenschutz in diesem wichtigen Bereich .Bundesminister Hermann Gröhe
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Mit dem Präventionsgesetz haben wir eine jahrelan-ge Debatte zu einem guten Ergebnis geführt . Wir stärkendie Gesundheitsförderung in allen Lebensbereichen, vonder Kita über die Schulen und den Arbeitsplatz bis hinzur Altenpflege. Dies dient der Lebensqualität der Men-schen, da lebensstilbedingte Krankheiten vermieden oderin ihrem Verlauf günstig beeinflusst werden können. Dasdient aber auch der nachhaltigen Leistungsfähigkeit un-seres Gesundheitssystems .
Im Haushalt unterstützen wir die Ziele des Präventions-gesetzes beispielsweise mit 3 Millionen Euro für Infor-mationskampagnen zur Erhöhung der Impfrate, aberauch erstmals mit 3 Millionen Euro für Projekte zur Ver-meidung von Diabetes mellitus .Meine Damen, meine Herren, einen echten Kraftaktstemmen wir bei der umfangreichen Stärkung der Pflegein Deutschland. Jahrelang wurde über den neuen Pflege-bedürftigkeitsbegriff diskutiert . Jetzt kommt er .
Damit erhalten demenziell erkrankte Menschen erstmalseinen gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen derPflegeversicherung. Damit wird sich die Pflege künftigstärker an der individuellen Bedürftigkeit, aber auch anden individuellen Möglichkeiten der Pflegebedürftigenoder des Pflegebedürftigen ausrichten. IndividuellerePflege ist unser Ziel. Bereits zum 1. Januar dieses Jahreshaben wir mit einer umfassenden Leistungsverbesserungnicht zuletzt die Situation von demenziell erkranktenPflegebedürftigen und deren Angehörigen verbessert undden Grundsatz „ambulant vor stationär“ gestärkt, der demWunsch der allermeisten Menschen entspricht, möglichstlange, auch pflegebedürftig, zu Hause leben zu können.Wenn wir jetzt den Grundsatz „Reha vor Pflege“ mitLeben füllen wollen, dann dient auch dies der Lebens-qualität des Einzelnen, da wir Pflegebedürftigkeit verhin-dern, hinauszögern oder im Verlauf günstig beeinflussen.Es dient aber auch der Nachhaltigkeit unserer Strukturzur Absicherung im Falle von Pflegebedürftigkeit.Diese umfassende Leistungsverbesserung von unge-fähr 20 Prozent wird durch eine Beitragserhöhung von0,5 Prozent paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitneh-mern aufgebracht . Dies ist unserer Überzeugung nachgut angelegtes Geld . Wir wissen, dass die überwältigen-de Mehrheit der Menschen in diesem Land diese Bei-tragserhöhung bejaht, weil gute Pflege ein Ausdruck derMenschlichkeit in unserer Gesellschaft ist .
Zugleich gibt es wohl kaum einen Bereich, in demHilfe des Sozialstaats in dieser Weise Hilfe zur Selbsthil-fe ist . Vergegenwärtigen wir uns einmal, dass ganz vielepflegebedürftige ältere Menschen von selbst in hohemAlter befindlichen Pflegepersonen bzw. Partnerinnen undPartnern gepflegt werden. Diese haben wahrlich unsereUnterstützung verdient. Mit dem Pflegevorsorgefondssorgen wir zugleich dafür, dass dieser Leistungsausbauin generationengerechter Weise gestaltet wird .Dankbar bin ich für den großen Konsens, der in die-sem Haus herrscht im Hinblick auf die Verbesserung inder Palliativ- und Hospizversorgung . Was wir an gutermedizinischer, pflegerischer und menschlicher Beglei-tung Schwerstkranker und Sterbender heute leisten kön-nen, muss auch überall in diesem Land angeboten wer-den .
Ich danke in diesem Zusammenhang den rund 100 000Menschen, die ehrenamtlich im Bereich der Hospizver-sorgung tätig sind .Die Frage einer guten medizinischen Versorgung istzunächst eine lokale Frage, also die Frage nach dem An-gebot bei mir vor Ort . Und doch hat uns der Ebolaaus-bruch im vergangenen Jahr erneut in eindringlicher Weisegezeigt, dass eine gute Gesundheitsversorgung auch eineinternationale Dimension hat . Deshalb stand in diesemJahr die globale Gesundheitspolitik in besonderer Wei-se im Zentrum des Handelns der Bundesregierung . Ichnenne die deutsche Gastgeberrolle bei der internationa-len Impfallianz im Januar dieses Jahres, die gemeinsameReise mit Bundesminister Gerd Müller nach Westafrikamit dem Ziel, den dort Aktiven bei der Hilfe der LänderWestafrikas Dank zu sagen, aber auch zu unterstreichen,dass wir Lehren aus diesen Vorgängen ziehen wollen,die Rede der Bundeskanzlerin vor der Jahreshauptver-sammlung der Weltgesundheitsorganisation, aber auchdie herausragende Rolle, die die Gesundheitsthemenbeim G-7-Gipfel im bayerischen Elmau gespielt haben .In wenigen Wochen werde ich die Gesundheitsministerder G-7-Staaten, die Generaldirektorin der WHO undweitere internationale Repräsentanten in Berlin begrü-ßen, damit wir diesen Prozess vorantreiben, Lehren ausder Ebolakrise ziehen und die WHO stärken . Ich dankedem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeitdafür, dass wir im Zusammenwirken freiwillig Beiträgefür die WHO in Höhe von 6 Millionen Euro vorsehen,um die Stärkung und den Reformprozess in der WHOvoranzubringen .
Zu der gesundheitspolitischen Dimension internatio-naler Entwicklung gehört auch eine gute und angemesse-ne Versorgung der Flüchtlinge in unserem Land .
Ich habe vor wenigen Tagen entsprechende Einrichtun-gen in Lebach und St . Wendel im Saarland besucht undkann nur sagen: Was dort von Haupt- und Ehrenamtli-chen für eine gute Versorgung der ankommenden Flücht-linge geleistet wird, verdient höchste Anerkennung undjede Unterstützung .
Bundesminister Hermann Gröhe
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Die Verabredung der Ministerpräsidenten und Minis-terpräsidentinnen mit der Bundeskanzlerin und den Res-sorts der Bundesregierung sowie die Beschlüsse der Ko-alition vom Sonntag sind eine gute Grundlage, die großeHerausforderung, zum Beispiel der Erstuntersuchun-gen, gemeinsam zu meistern . Dazu führen wir intensiveGespräche mit den Ländern . Ich nenne als Stichwortenur die Nutzung medizinischen Sachverstands bei denFlüchtlingen selbst und die Frage, wie wir die Erstunter-suchung schnell und zeitnah umsetzen können .Dies alles ist nur zu leisten, weil viele Menschen dasihnen Mögliche für eine bestmögliche Versorgung tun .Dafür bin ich dankbar . Ich freue mich auf die vor unsliegenden Haushaltsberatungen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächste hat die Kollegin Dr .
Gesine Lötzsch das Wort für die Fraktion Die Linke .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Zuschauer auf den Tribünen!Ich habe mich in der vergangenen Woche mit Geschäfts-führern mehrerer Krankenhäuser unterhalten . Alle be-richteten gleichermaßen von großen finanziellen Proble-men bei der Reparatur und Instandhaltung ihrer Häuser .Es fehlt seit Jahren an Investitionsmitteln . Das darf sonicht weitergehen .
Was machen die Krankenhäuser in ihrer Not? Sie redu-zieren Personalmittel, um die notwendigsten Reparatu-ren bezahlen zu können . Das ist natürlich fatal angesichts214 000 fehlender Pflegekräfte in den nächsten zehn Jah-ren, wie es das DIW berechnet hat .Diese Gespräche haben für mich noch einmal ein-drucksvoll belegt, was wir durch die Statistiken schonlange wissen: Im Vergleich zum Jahr 1991 sanken dieFördermittel für die Krankenhäuser bis 2012 um mehrals 28 Prozent, und die Kosten der Krankenhäuser habensich mehr als verdoppelt . Das ist eine Politik gegen diePatienten, und die muss endlich beendet werden .
Gestern fand – das zum Zwischenruf „Länder“ – hierim Bundestag eine außergewöhnlich gut besuchte Anhö-rung zum Krankenhausstrukturgesetz statt . Aus vielenStellungnahmen der Anzuhörenden lässt sich der Schlussziehen, dass die Bundesregierung mit diesem Gesetznicht eine bessere gesundheitliche Versorgung erreichenmöchte, sondern augenscheinlich öffentliche Kranken-häuser schließen will . Das ist mit uns nicht zu machen .
Für das Jahr 2017 sieht die Bundesregierung für alleKrankenhäuser eine Kürzung von 1 Milliarde Euro vor,und der Versorgungszuschlag, der 500 Millionen Euroausmacht, soll vollständig wegfallen . Wenn ich diesallein auf mein Land, auf Berlin, umrechne, so wärendadurch 500 Pflegestellen gefährdet. Absurder geht esnicht .
Wie passen diese Kürzungen mit der Forderung nachmehr Qualität zusammen? Ich sage: überhaupt nicht .Wenn es nach der Bundesregierung geht, soll die Qualitätder Krankenhäuser über ihre Existenz entscheiden. Dasklingt vernünftig, ist es aber nicht . Wir als Linke möch-ten die beste Versorgung aller Patienten und Patientinnensichern, unabhängig davon, ob sie gesetzlich oder privatversichert sind .
Doch mehr Qualität gibt es nicht, wenn man den Geld-hahn immer wieder zudreht . Darum fordern wir für denHaushalt 2016 wie auch in den vergangenen Jahren In-vestitionen in die Krankenhäuser . In den vergangenenJahren haben Sie von der Koalition diese Forderung lei-der immer wieder abgelehnt . Das war eine falsche Ent-scheidung . Ich hoffe, dass Sie diese Entscheidung in die-sem Jahr korrigieren .
Immer wieder wird davon gesprochen, dass die Bun-desregierung der nächsten Generation keine neuen Schul-den aufbürden möchte . Das klingt gut . Doch Sie müssender nächsten Generation auch sagen, dass sie dafür eineverschlissene Infrastruktur aufgebürdet bekommt .
Jeden Euro, den wir heute nicht in kaputte Schulen,Brücken und Krankenhäuser investieren, muss die nach-folgende Generation aufbringen, und das wird nicht rei-chen; denn sie muss ein Vielfaches aufbringen, um denheutigen Standard wiederherzustellen .
Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass eseinen weiteren Grund für Ihren Investitionsstreik gibt .
Mit Ihrer dauerhaften Verweigerungshaltung wollen Sieden Weg für kommerzielle Kliniken freimachen . Wäh-rend die Anzahl der Krankenhäuser insgesamt abnimmt –im Jahr 2011 gab es 152 Krankenhäuser weniger als imJahr 2003 –, steigt die Anzahl der kommerziellen Kli-niken, die wesentlich in der Hand von vier Konzernenliegen . Die Bundesregierung hilft also bei der Marktbe-reinigung im Gesundheitswesen, und das darf wirklichnicht wahr sein .
Keiner sollte glauben, dass durch die kommerziellenKliniken Qualität und Effizienz gesteigert werden. ImBundesminister Hermann Gröhe
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Gegenteil: Für die Patienten wird es auf alle Fälle teurer .Der Trend ist schon jetzt deutlich zu erkennen . Auch dieöffentlichen, die kommunalen Krankenhäuser werdenmit den Fallpauschalen auf Profit getrimmt. Ich denkenicht, dass wir eine Entwicklung haben wollen, die es inanderen Ländern schon gibt . Ich nenne ein Beispiel: DieAnzahl der Kaiserschnitte ist in Deutschland seit 2005um 27 Prozent gestiegen . Je 1 000 Geburten wurden 314Kaiserschnitte durchgeführt .
Es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis Kliniken nur Ge-burten per Kaiserschnitt anbieten werden, weil ihnen daseinfach mehr Geld einbringt .
Das ist nämlich die Wahrheit . Diesen Weg wollen wirdoch nicht beschreiten .
Wir von der Linken wollen eine solidarische Kranken-versorgung, die aus Ärzten keine gewinnmaximierendenGeschäftsleute und aus Krankenschwestern keine Fließ-bandarbeiterinnen macht . Investitionen in das Gesund-heitswesen sind gut angelegtes Geld . Alles andere wirdin der Zukunft teurer .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Dr . Karl
Lauterbach, SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Zunächst einmal will ich auf das aktuelle The-ma eingehen, nämlich die Flüchtlingskrise, die uns na-türlich alle bewegt, und hier für unsere Fraktion ganzklar in den Vordergrund stellen, dass es nicht sein kann,dass Menschen den riskanten, langen, gewagten Wegnach Deutschland auf sich nehmen und ihn schaffen, hierwillkommen sind, aber dann durch vermeidbare Kompli-kationen von bestehenden Krankheiten ihre Gesundheiterneut aufs Spiel setzen und vielleicht sogar versterben .
Daher werden wir im Gesundheitssystem dafür sorgen,dass der schnelle Zugang zu den Leistungen, die benötigtwerden, gegeben ist . Wir setzen uns dafür ein, dass dieGesundheitskarte für Flüchtlinge zur Verfügung steht,
und zwar in einer Art und Weise, die den Zugang zumSystem beschleunigt, ohne dass den Krankenkassen –nicht dass dieser Vorschlag missverstanden wird! – dabeiKosten entstehen; diese Kosten sind selbstverständlichvom Steuerzahler zu übernehmen .Die oft vorgetragene Befürchtung, das zöge Menschenerst an, nach Deutschland zu kommen, halte ich für ab-wegig .
Es ist nicht so, dass ein Mensch nach Deutschland odernach Europa flieht,
weil er glaubt, für ein paar Monate in den Genuss einerKrankenversicherung zu kommen, die er sowieso wie-der verlöre, wenn er hier nicht bleiben könnte, und dieer sowieso bekäme, wenn er bleiben könnte . Von dahergeht es sozusagen um einen Übergang für wenige Mo-nate . Das ist aber ein Übergang, der gerade für Kinder,für traumatisierte Menschen lebenswichtig sein kann . Dakönnen wir uns nicht aus ideologischen Gründen einerunbürokratischen Lösung versperren . Daran werden wirgemeinsam arbeiten .
Wir schaffen in dieser Legislaturperiode vier wichtigeGesetze; wir schaffen auch ein paar kleine Gesetze, aberich gehe auf vier Gesetze in der gebotenen Kürze ein . Ichwill einmal versuchen, es zu strukturieren: Beim erstenGesetz steht sehr stark die Modernisierung unseres Ge-sundheitssystems im Vordergrund . Beim zweiten Gesetzsteht sehr stark die Verbesserung der Qualität im Vorder-grund . Beim dritten Gesetz steht die Humanisierung imVordergrund und beim vierten Gesetz der Ausbau desSystems . Das ist die Zusammenfassung .Bei der Modernisierung geht es im Wesentlichen umdas Gesetz, das wir als E-Health-Gesetz bezeichnen unddiesen Namen durchaus verdient . Wir haben in Deutsch-land bisher keine gute Infrastruktur im Gesundheits-system, was die Vernetzung angeht . Die elektronischeVernetzung unseres Gesundheitssystems ist kein unwich-tiger Bereich; das ist nichts Technokratisches. Es bestehtlangfristig die dringende Notwendigkeit, in den Berei-chen, in denen wir eine flächendeckende Versorgungnicht mehr gut darstellen können, zur interdisziplinärenZusammenarbeit von Ärzten zu kommen und telemedi-zinische Leistungen stärker zu nutzen . Das werden wirohne die Schaffung dieser Infrastruktur niemals schaf-fen . Wir brauchen das EHealth-Gesetz, um bei der Zu-sammenarbeit von Ärzten und bei der flächendeckendenVersorgung mit Telemedizin überhaupt voranzukommen .
Hier geht es nicht um Kleinigkeiten . Zum Beispiel istes heute so, dass Ärzte oft nicht wissen, welche Medi-kamente Menschen nehmen . Wenn jemand eine geisti-ge Einschränkung hat – beispielsweise ein behinderterMensch –, kann er nicht einfach aufzählen, welches Me-Dr . Gesine Lötzsch
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dikament er in welcher Dosierung gerade einnimmt . Da-her kommt es nicht nur zu vermeidbaren Nebenwirkun-gen; es wird auch oft etwas eingesetzt, was gar keinenSinn macht, weil der Patient es schon in einer anderenForm bekommt oder bekommen hat und es nie gewirkthat . Daher brauchen wir elektronisch verfügbare Me-dikationspläne als ersten Schritt auf dem Weg zu einerkomplett elektronischen Patientenakte . Sie muss natür-lich den modernsten Sicherheitsstandards mit doppelterVerschlüsselung entsprechen . Aber diese Aufgabe istlösbar . Sie ist keine Kleinigkeit: Hier geht es um dieVernetzung von 200 000 Ärzten, 2 000 Krankenhäusern,20 000 Apotheken . Es ist also eine riesige Aufgabe . Aberwenn wir dies schaffen, dann haben wir einen wesent-lichen, notwendigen Schritt zur Modernisierung unseresGesundheitssystems getan .
– Hier wird gelacht . Ich bin sehr zuversichtlich, dass wirdas schaffen werden .
Ich kann jetzt nicht das konkrete Gesetz vortragen;aber das konkrete Gesetz enthält aus meiner Sicht wich-tige Schritte, setzt Fristen und macht entsprechendenDruck auf die Selbstverwaltung . Hier kommt es aus mei-ner Sicht zu einer technisch gut vorbereiteten Lösung, dieder Selbstverwaltung die notwendigen Anreize bietet, diein der Vergangenheit oft gefehlt haben, um hier voranzu-kommen .Bei der Humanisierung des Gesundheitssystems den-ke ich natürlich im Wesentlichen an unser Gesetz zurHospiz- und Palliativversorgung . Es ist ganz klar: DerAspekt, wie das Lebensende von einem Menschen erlebtwird, wie er auf das Lebensende vorbereitet wird, was ererwarten kann, wie er es selbst erlebt, wie die Angehöri-gen es erleben, wenn ein Mensch stirbt, aus dem Lebenscheidet, ist ganz wesentlich, wenn es darum geht, wiemenschlich ein Gesundheitssystem ist . Da haben wir inder Vergangenheit nicht genug gemacht; das muss manklar sagen .Aber wir haben in den letzten Jahren viel erreicht . Wirhaben unser System der Palliativ- und Hospizversorgungausgebaut . Jetzt gehen wir den nächsten Schritt, bei demes im Wesentlichen darum geht, dass wir die ärztlichenund die pflegerischen Leistungen in der Hospiz- undauch in der Palliativversorgung besser vergüten, dass wirRechtsansprüche schaffen, dass wir in den Bereichen, indenen es trotz langer Verhandlungen noch keine Verträ-ge gibt, die Verträge durch ein Schiedsverfahren auf denWeg bringen, damit es endlich eine flächendeckende Ver-sorgung gibt .Wir wollen die Hospizversorgung in Krankenhäusern,aber auch die ambulante Hospizversorgung in Pflegeein-richtungen und in den Pflegediensten deutlich verbes-sern. Wir flexibilisieren so die Hospizversorgung undstärken insbesondere die ambulante Hospizversorgung .Neben höheren Sachkostenbeiträgen ist auch eine höhe-re Abdeckung der geleisteten Zuschüsse vorgesehen; dieEinzelheiten werden wir hier noch breit diskutieren . Ausmeiner Sicht sind das sehr wichtige Schritte . Das Zielmuss sein, dass wir im Bereich der Palliativmedizin undin der Hospizversorgung vorbildlich sind .
Wir haben in diesem Bereich schnell Fuß gefasst, aber wirmüssen sowohl auf europäischer Ebene als auch weltweitVorbild sein . Daran wollen wir uns messen lassen .Mit dem Krankenhausstrukturgesetz soll die Qualitätin den Krankenhäusern gesteigert werden . Frau Lötzsch,Sie haben vorgetragen, es gebe keine Anreize für dieSteigerung der Qualität . Sie befürchten, dass sich dieQualität verschlechtert .
– Die Anhörung ist sehr kompliziert gewesen . Es gabsehr differenzierte Meinungen, die Sie hier auf zwei, dreikritische Punkte reduziert haben .
Das ist nicht angemessen . Ich bringe ein paar Beispiele,die zeigen, dass Sie die Entwicklung in den Ländern, indenen Sie mitregieren, selbst in der Hand haben .Wir erlauben es den Ländern zum Beispiel, den As-pekt Qualität bei der Krankenhausplanung zu berück-sichtigen . Das war bisher nicht erlaubt . Qualitätsaspektekonnten in der Krankenhausplanung bisher – ich sageeinmal: absurderweise – nicht berücksichtigt werden . Ichhoffe, dass Sie es den Ländern, in denen Sie mitregieren,zutrauen, die qualitätssteigernde Möglichkeit zu nutzen;um Ihnen ein Beispiel zu nennen, wie wir durch diesesGesetz Qualität schaffen .Ich bringe ein weiteres Beispiel . Bei guter Qualitätgibt es demnächst Zuschläge . Wenn es stimmt, was Sievortragen, also dass die nichtkommerziellen Anbieter inder Qualität besser sind, dann gehen diese Zuschläge fastausschließlich an die kommunalen Häuser . Dann hättenSie die Entwicklung, die Sie wünschen . Zu sagen, dasswir keine entsprechenden Anreize setzen, würde bedeu-ten, dass wir das System verknappen . Aber da hören Siedoch nur auf die Krankenkassen, denen Sie, wie auchwir, in vielen Bereichen nahestehen . Es ist ganz klar: DieKrankenkassen beklagen in diesem Bereich Mehraus-gaben von mehreren Milliarden Euro . Wenn man Ihnenzugehört hat, dann hätte man den Eindruck gewinnenkönnen, dass wir die Mittel verknappen . Aber wir habenMehrausgaben, die bereits so hoch sind, dass wir voneiner Beitragssatzerhöhung ausgehen müssen . Sie selbsthaben bereits die zu erwartenden Zusatzbeiträge beklagtund gefragt: Wo geht denn das Geld hin? – Entweder esist richtig, dass wir mehr Geld ausgeben und dass wirmehr Finanzierung im paritätischen Sinne benötigen –auch ich glaube, dass wir das Gesundheitssystem lang-fristig wieder paritätisch finanzieren müssen –Dr . Karl Lauterbach
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oder wir verknappen die Mittel . Aber beides kann nichtstimmen .Ich komme zum Schluss . Das Gesetz zum Ausbau derPflegeversicherung hat Gesundheitsminister Gröhe breitdargestellt. Der Ausbau der Pflegeversicherung ist groß-artig . Das ist etwas, was in der jetzigen Zeit unbedingtgemacht werden muss . Wir können uns dies leisten . Diegute wirtschaftliche Lage hat das möglich gemacht . Dasist paritätisch finanziert. Ich bin fest davon überzeugt,dass die Umstellung des Systems auf Pflegegrade einerindividualisierten, am Menschen ausgerichteten besserenPflege den Weg ebnen wird. Ich bin zuversichtlich, dasswir in diesem Bereich einiges erreichen werden .Wir haben sehr viel vor in dieser Legislaturperiode .Ich darf mich ganz herzlich für die vorzügliche Zusam-menarbeit in der letzten Runde bedanken und freue michauf die Arbeit .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat die Kollegin KordulaSchulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ange-sichts der bewegenden Bilder von völlig erschöpftenMenschen, die nach langer und kräftezehrender Fluchtbei uns ankommen und mit offenen Armen und über-ragenden Hilfen von sehr vielen Freiwilligen begrüßtwerden, müssen wir hier darüber reden, wie wir schnell,unbürokratisch und vor allem solidarisch und langfristighelfen können .
Dabei kann Ihr gestriges, mit heißer Nadel gestricktesMaßnahmenpaket höchstens ein Anfang sein .Lassen Sie mich an dieser Stelle, auch wegen derZwischenrufe von eben, an die Adresse der Damen undHerren von der CDU/CSU, die regelmäßig meinen, dieGesundheitskarte für Asylsuchende würde falsche Anrei-ze schaffen, Folgendes sagen: Wir reden hier von Men-schen, die auf der Flucht vor Krieg, vor Misshandlung,vor Vergewaltigung, vor höchster Lebensgefahr drama-tischen Erlebnissen ausgesetzt waren, die auf der Fluchtphysisch und psychisch verletzt wurden . Es ist unserePflicht, ihnen zu helfen. Es geht um menschenwürdigeGesundheitsversorgung hier in Deutschland, vom erstenMoment an .
Die 6 Milliarden Euro für zusätzliche Hilfen fürFlüchtlinge werden nicht darüber hinwegtäuschen, dassSie keine Probleme lösen . Dabei haben Sie, Herr Mi-nister Gröhe, und Ihr Haus schon seit Herbst 2014, alsoseit gut einem Jahr, durch die Einigung mit den Län-dern den Auftrag, die flächendeckende Einführung einerGesundheitskarte für Asylsuchende zu prüfen und dieKostenübernahme durch den Bund sicherzustellen . HerrMinister Gröhe, das vorbildliche Vorgehen der Landesre-gierung von Nordrhein-Westfalen führt, wie zuvor schonin Hamburg und Bremen, zu einer rettenden Verbesse-rung; denn die Menschen können im Krankheitsfall nundirekt und ohne bürokratische Hürden einen Arzt aufsu-chen .
Herr Minister Gröhe, Ihre Aufgabe und Ihre Pflicht istes, für eine gute und diskriminierungsfreie gesundheitli-che Versorgung aller Flüchtlinge zu sorgen . Ich fordereSie hier und heute auf, den notwendigen Gesetzentwurffür eine bundesweite Gesundheitskarte bis zum 24 . Sep-tember 2015 vorzulegen, das heißt, bevor der zweiteFlüchtlingsgipfel beginnt .
Angesichts der Äußerungen von Herrn Dr . Lauterbachbin ich guter Dinge, dass man hier doch noch zur Ver-nunft kommt .
– Danke schön .Natürlich gibt es noch weitere ungelöste Probleme, soden eklatanten Mangel an Dolmetschern und die unzurei-chende psychotherapeutische Versorgung, um nur zweiBeispiele zu nennen . Wir wissen aus vielen Untersuchun-gen, dass ein Großteil von schwer traumatisierten Men-schen große Schwierigkeiten hat, ihren Gesundheitszu-stand zu verbessern oder sich zu integrieren .Herr Gröhe, wo sind Ihre Antworten auf diese Proble-me? Sie werden als Gesundheitsminister zum Synonymfür Ideen- und Mutlosigkeit, und das nicht nur beim The-ma Flüchtlinge . Ihnen fehlt der Mut für eine gute Ge-sundheitspolitik für alle Menschen, die in Deutschlandleben . Wie soll die Gesundheitsversorgung der Zukunftaussehen, und vor allem, wie kann sie solidarisch finan-ziert werden? Die Zeichen des demografischen Wandelssind deutlich; aber Sie halten stur Abstand von kon-fliktträchtigen Reformen, von einer stabilen und gerech-ten Finanzierung, von der flächendeckenden integriertenVersorgung in allen Regionen, von einer besseren Aufga-benverteilung in den Gesundheitsberufen .
Nur für die verschiedenen Besitzstandswahrer haben Sieoffene Ohren . Einige Akteure im Gesundheitswesen wer-den mit Geschenken und kleinen Detailverbesserungenbei Laune gehalten, aber die notwendigen Strukturre-formen bleiben aus . Bezahlen müssen das am Ende dieVersicherten . Sie werden die gesetzlich Versicherten2016 erneut zur Kasse bitten . Die Zusatzbeiträge werdensteigen . Die Versicherten werden somit den absehbarenKostenanstieg im Gesundheitswesen alleine stemmenmüssen .Dr . Karl Lauterbach
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Wir Grünen fordern, dass die paritätische Finanzierungdurch Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der gesetzlichenKrankenversicherung vollständig wiederhergestellt wird .
Herr Kollege Lauterbach, ich nehme Sie beim Wort .Kommen Sie zurück zur Parität, kommen Sie zurück zumehr Gerechtigkeit!
Nun zu einer anderen Marotte der Bundesregierung,zum Ausgeben des Geldes der gesetzlich Versichertenfür staatliche Aufgaben und Zwecke . Das Beispiel: dieBundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, eineBundesbehörde . Dort wird das Personal jetzt mithilfevon Mitteln aus der gesetzlichen Krankenversicherungaufgestockt . Wir sagen dazu ganz klar, meine Damen undHerren: Gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssen ausdem Bundeshaushalt finanziert werden; die Mittel dafürdürfen nicht der Solidargemeinschaft der Versichertenentzogen werden .
Das i-Tüpfelchen Ihrer versicherten- und patienten-feindlichen Politik ist die Vergabe der UnabhängigenPatientenberatung an ein privates Unternehmen mit Pro-fitinteressen. Damit wird die Unabhängige Patientenbe-ratung – die den Patienten vor Ort übrigens durch Gesetzgarantiert wird – als wichtige Institution zur Verankerungvon Patienten- und Versichertenrechten zu Grabe getra-gen . Zukünftig steht Patienten nur noch ein Callcenterzur Verfügung, ein Callcenter, welches im Kern einDienstleister für Krankenkassen und Leistungserbringerist, aber nicht für die Patienten und ihre unabhängige Be-ratung . Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht . Undwas machen Sie, Herr Minister Gröhe? Sie schweigensich aus . Angesichts der großen Herausforderungen, vordenen wir alle stehen, ist ein schweigsamer Minister, derdie großen Konflikte scheut, jedoch fatal. Auf bestimmteInteressengruppen ausgerichtete Politik ist weder nach-haltig noch generationengerecht . Stellen Sie endlich dieMenschen, die Patienten, die Versicherten in den Mit-telpunkt, und zwar nicht nur in Sonntagsreden, sondernendlich auch im konkreten Handeln .Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion ist der Kollege Dr . Georg Nüßlein .
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Eine
Haushaltsdebatte mitten in der Legislaturperiode ist na-
türlich die Gelegenheit, eine Halbzeitbilanz zu ziehen .
Ich meine, der Herr Bundesgesundheitsminister hat eine
gute Halbzeitbilanz gezogen, und er hat es auch zu Recht
getan .
Ich weiß natürlich, dass es für die Opposition gera-
dezu konstitutiv ist, dass sie das kritisiert . Aber, Frau
Schulz-Asche, so wie Sie das gerade eben gemacht
haben, nämlich bis hin zu dem Vorwurf der Patienten-
feindlichkeit, halte ich es für absolut unangemessen . Das
Beispiel mit der Ausschreibung der Patientenberatung,
das Sie gebracht haben, ist kein gutes Beispiel . Dieses
Thema wurde ausgeschrieben . Es gab ein Vergabeverfah-
ren dazu, das eine Seite gewonnen hat . Meine Damen,
meine Herren, so ist es eben, wenn man solche Dinge
ausschreibt .
Da gibt es keinen Anspruch desjenigen, der das vor-
her gemacht hat, dass er das in Zukunft weitermachen
darf . Wenn es umgekehrt gewesen wäre, wenn es vor-
her ein Wirtschaftsunternehmen gehabt hätte, dann hät-
ten Sie doch auch nicht darauf bestanden, dass die das
in Zukunft so weitermachen dürfen und ihre Angebote
so lange nachbessern dürfen, bis sie das beste Angebot
abgeben .
Herr Kollege, –
Gleich am Anfang?
– gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Schulz-Asche?
Gern .
Bitte schön .
Herzlichen Dank . – Ich wollte, weil Sie mich jetztpersönlich angesprochen haben, einfach nur noch einmalfragen, ob Ihnen aufgefallen ist, dass sowohl beim The-ma Unabhängige Patientenberatung als auch beim The-ma Gesundheitskarte der Kollege Dr . Lauterbach vonIhrem Koalitionspartner die gleiche Position vertretenhat wie ich .Danke schön .
Kordula Schulz-Asche
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Frau Kollegin, auf diesen Punkt werde ich gleich noch
zusätzlich eingehen . Ich möchte Sie zunächst nur darauf
hinweisen, dass hier ein erstinstanzliches Urteil da ist,
nach dem ganz klar ist, dass man die Unabhängigkeit ge-
prüft hat, sodass es von dieser Seite aus gar kein Problem
gibt . Der Kollege Lauterbach wird das wahrscheinlich
anschließend noch selber klären .
Um auf das Thema Gesundheitskarte zu kommen: Ja,
natürlich ist es so, meine Damen und Herren, dass es in
einer Großen Koalition an dem einen oder anderen Punkt
unterschiedliche Auffassungen gibt . Gerade beim The-
ma Gesundheitskarte werden wir noch an verschiedenen
Stellen diskutieren müssen . Erstens befürchtet die CDU/
CSU-Fraktion – aus meiner Sicht nicht zu Unrecht – ei-
nen gewissen Pull-Effekt, nicht in Bezug auf die Flücht-
linge, die zu Recht hier herkommen, sondern in Bezug
auf die, die aus anderen, insbesondere ökonomischen
Erwägungen versuchen, hier Asyl zu bekommen und
dann irgendwann mit Zeitverzögerung zurückgeschickt
werden . Zweitens stellt sich für uns die Frage, wie abge-
grenzt wird, dass diese Flüchtlinge nur Leistungen nach
dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen . Auch das
muss klargestellt werden .
Das müssen wir noch klären . Ansonsten gibt es an dieser
Stelle bei der CDU/CSU-Fraktion noch ganz klar ausge-
prägte Skepsis, über die wir im Fortgang des Verfahrens
noch reden werden .
Herr Kollege Nüßlein, auch der Kollege Lauterbach
möchte Ihnen eine Frage stellen, ehe Sie nachher in Ihrer
Rede noch auf ihn eingehen, wenn Sie dies gestatten . –
Bitte schön, Herr Kollege Lauterbach .
Vielen Dank . – Kollege Nüßlein, Sie stimmen mir
doch hoffentlich zu, dass ich zur UPD in meinem Beitrag
gar nichts gesagt habe
und die Kollegin Schulz-Asche mich daher in meiner
Rede wahrscheinlich missverstanden hat?
Ich gehe sogar davon aus, dass Sie noch besser als ichwissen, wozu Sie gar nichts gesagt haben, Herr Kollege .
Meine Damen, meine Herren, ich möchte, nachdemes an dem einen oder anderen Punkt durchaus Meinungs-verschiedenheiten in der Großen Koalition gibt, noch aufeine andere Diskussion eingehen, nämlich die über dieBeitragsentwicklung; darüber wurde in den vergangenenheißen Tagen diskutiert . Auch da tut Aufklärung not . Ichweiß nicht, ob Kollege Lauterbach anschließend wiederStellung nimmt, ob er etwas bzw . was genau er dazugesagt hat . Ich will deutlich betonen: Die GKV hat seitJahren stabile Beiträge und hohe Rücklagen . Das bleibtauch so, wenn die Wirtschaft weiter floriert. Das wieder-um hängt von vielem ab, unter anderem aber auch davon,ob wir unnötige verunsichernde Debatten über die Anhe-bung von Lohnnebenkosten führen .
– Ich komme gleich dazu .Die diskussionsgegenständlichen Defizite liegen ganzbesonders an zu niedrig angesetzten Zusatzbeiträgen .Gegen jeden Rat 0,83 Prozent statt 0,9 Prozent als Zu-satzbeitrag zu verlangen und dann nachher zu lamentie-ren, dass das Geld nicht reicht, ist nicht besonders klug .
Das muss man einmal in der Klarheit formulieren . Esgeht also um ein hausgemachtes kassenindividuellesProblem . Wir lassen uns an dieser Stelle keine Beitrags-diskussion allgemeiner Art aufdrängen und – das sage ichganz ausdrücklich – auch keine parteipolitisch motivierteDiskussion über die paritätische Finanzierung der Bei-träge .SPD und CDU/CSU haben sich im Koalitionsvertragaus gutem Grund und wohlüberlegt, wie ich meine, aufdie Festschreibung des Arbeitgeberbeitrages verständigt .Frau Schulz-Asche, SPD und Grüne müssen davon schonfrüher, nämlich im Jahr 2003, überzeugt gewesen sein . Eswar nämlich die rot-grüne Bundesregierung, die damalsvon einer vollparitätischen Finanzierung abgewichen ist .
Zur historischen Wahrheit gehört also auch, dass Sie da-mit angefangen haben .
Vermutlich haben Sie sich seinerzeit etwas dabei gedacht .Wenn das in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Sinn ge-macht hat, dann macht es auch Sinn, das so fortzufüh-ren, um nicht in schwierige Situationen zu kommen . Ichweiß, dass das natürlich auch an die SPD geht, die sichab und zu nicht gern an die eigenen Taten oder Schand-taten – je nachdem, wie Sie es sehen wollen – erinnert .
Teil unserer Agenda – dieses Wort wollte ich in die-sem Zusammenhang eigentlich nicht verwenden; aberich bleibe dabei –, unserer gesundheitspolitischen Agen-da müssen natürlich Sparen in guten Tagen und Investie-ren in qualitative und strukturelle Verbesserungen sein .Das kostet zunächst einmal Geld, aber bringt mittelfristigauch wirtschaftliche Verbesserungen . Auch da tragen dieKassen ihre eigene Finanzverantwortung . Das möchteich an dieser Stelle deutlich machen .Kordula Schulz-Asche
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Selbst wenn Sie es jetzt als populistisch auffassen,es gibt einen Grund, warum ich das sage: Ich habe keinVerständnis für fragwürdige Werbeaktionen, also fürWohlfühlreisen mit Nordic Walking, Aquafitness oderHatha-Yoga-Kurse . Die Tatsache, dass ich gar nicht ge-nau weiß, was ein Hatha-Yoga-Kurs ist, ist ein Hinweisdarauf, dass das nicht mir eingefallen ist, sondern dassich das der Rüge des Bundesversicherungsamtes ent-nommen habe und diese Rügen berechtigt sind .
Meine Damen und Herren, wir haben vor der Som-merpause das Präventionsgesetz verabschiedet,
um einen wichtigen Teil, nämlich die Gesundheitsvorsor-ge, aus dem Kassenmarketing herauszuziehen . Ich sagedas deshalb, weil ich glaube, dass wir als Große Koaliti-on – um mit den Kollegen von der SPD wieder Friedenzu schließen – hier Großartiges geleistet haben .
Mehrere Bundesregierungen haben sich an diesem Ge-setz die Zähne ausgebissen . Wir haben es streitfrei be-schlossen, die Mittel aufgestockt, die Gesundheitsför-derung verbessert: in Arztpraxen, Betrieben und in denLebenswelten .Dass dabei das Impfen eine besondere Gewichtunghatte und eine besondere Rolle gespielt hat, halte ich per-sönlich für ausgesprochen wichtig . Auch diese Randnotizsei mir erlaubt: Es wird angesichts der Flüchtlingsströ-me, die zu uns kommen, noch sehr viel wichtiger wer-den, weil plötzlich wieder Krankheitsbilder in Deutsch-land auftauchen, die es hier bisher so nicht gab . Deshalb,sehr geehrter Herr Gesundheitsminister, ist das, was dortpassiert, für uns natürlich eine grandiose, große Heraus-forderung . Es geht darum, wie man gesundheitspolitischmit dieser Thematik umgeht .
Das ebenfalls vor der Sommerpause verabschiedeteVersorgungsstärkungsgesetz bietet Ansatzpunkte, umdem Ärztemangel im ländlichen Raum entgegenzuwir-ken . Ich sage ganz bewusst „Ansatzpunkte“ . Die Um-setzung liegt jetzt an der Selbstverwaltung . Das ist keinSelbstläufer, sondern die Selbstverwaltung wird das um-setzen müssen . Auch da sei mir ein Seitenhieb gestattet:Die Vorstände der KVen sollten sich, meine ich, eher aufdiese Aufgabe statt auf sich selbst konzentrieren . DieBerichterstattung der letzten Tage ist jedenfalls keine Ei-genwerbung für die KVen .
Ich will den Blick nach vorn richten und das Kran-kenhausstrukturgesetz erwähnen . Im Vorfeld gab es eineBund-Länder-Arbeitsgruppe . Ich sage ganz offen: Nach13 Jahren im Parlament und angesichts all dessen, wasich bei solchen Vorabstimmungen bisher erlebt habe,werde ich immer kritischer . Es ist immer dasselbe: DieLänder kommen und verhandeln mit uns . Dann gehen sieraus und tun – bis hin zur Selbstverleugnung – so, als obsie gar nicht dabei gewesen wären; sie sind dann plötz-lich unschuldig und unbeteiligt . Das ärgert mich . Manmuss nicht das Vermittlungsverfahren nach vorne legen,um anschließend ein zweites am Ende durchzuführen .Ich sage das auch an die Adresse der eigenen Länder .Ich bedanke mich ausdrücklich beim BMG . Der HerrBundesgesundheitsminister hat sich selber die Mühe ge-macht, die Wortwahl und die Formulierungen abzustim-men . Trotzdem wissen die Länder nicht so genau, ob undwie sie sich dazu verhalten sollen . Meine liebe KolleginFrau Lötzsch, wenn es um die Zuständigkeit der Ländergeht, können Sie sich nicht einmal daran erinnern, dasseigentlich sie für die Investitionen verantwortlich sind .
Ich hätte von Ihnen als Haushälterin vorhin erwartet, dassSie das richtig zuordnen, dass Sie sagen, für die Investiti-onen in die Häuser vor Ort sind die Länder zuständig undnicht der Bund, und nicht so tun, als ob wir daran etwasändern könnten .
Nun gibt es eine Menge Kritik an diesem Gesetz; sieist sehr breit gespannt . Die GKV sagt, das würde sie6-Milliarden Euro mehr kosten, die Deutsche Kranken-hausgesellschaft rechnet mit 1 Milliarde Euro Verlust –und da sollen wir jetzt wissen, wo dazwischen die Wahr-heit liegt . Wahr ist, dass vermutlich die eine Seite nur dieAbschläge und die andere Seite nur die Zuschläge gese-hen hat . Man muss das schon insgesamt richtig sehen .Wir werden bei der Mengensteuerung etwas tun müs-sen . Ich glaube auch, meine Damen und Herren, wir wer-den beim Thema der Notfallversorgung nachjustierenmüssen . Die ambulante Notfallversorgung in den Kran-kenhäusern macht allen – landauf, landab – Schwierig-keiten . Es ist nun einmal Fakt, dass Ärzte Notfallpatien-ten ins Krankenhaus schicken, insbesondere abends undam Wochenende, und dass dort die diagnostischen Mög-lichkeiten andere sind; auch die Kosten, die sich darausergeben, sind andere . Hier müssen wir etwas dafür tun,dass das so abgefangen wird, dass die Patientinnen undPatienten im Notfall richtig und gut versorgt werden unddie Krankenhäuser nicht draufzahlen . Denn am Schlussist der Maßstab, dass diejenigen, die ihre Hausaufgabenschon längst gemacht haben, die gut aufgestellt sind underreichbare Krankenhäuser haben, nicht in Schwierig-keiten kommen, dass aber auch diejenigen, die das nichtgemacht haben, die zu viele Krankenhäuser haben – auchda bin ich im Übrigen wieder bei Nordrhein-Westfalen –,einen Weg gewiesen bekommen, um diese Strukturen zubereinigen .Da kann die Linke noch so sehr schimpfen .
Herr Kollege NüßleinDr . Georg Nüßlein
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Es ist notwendig, die Strukturen anzupassen . Diesen
Weg werden wir gemeinsam gehen .
Vielen herzlichen Dank .
Danke . – Nächster Redner ist der Kollege Harald
Weinberg, Die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Ich möchte mit drei kurzenVorbemerkungen beginnen:Erste Vorbemerkung . Herr Nüßlein, die Kassen aufder einen Seite in den Markt und in den Wettbewerb zuschicken und auf der anderen Seite hier, von diesem Pultaus, die Folgen zu beklagen, ist schofel; das muss ichehrlich sagen .
Die zweite Vorbemerkung geht auch an Ihre Adresse:Sie müssten unseren Antrag zur Kofinanzierung wirklichlesen . Wir schlagen darin vor, dass wir den Ländern ei-nen Anreiz bieten sollten, den gleichen Betrag obendraufzu legen . Das hat es schon einmal gegeben, und das hatauch gewirkt . Insofern ist dies durchaus eine Sache, diezwischen dem Bund und den Ländern geklärt und orga-nisiert werden kann .
Dritte Vorbemerkung . Zu dem Thema Flüchtlinge nurein paar kurze Sätze: Ich denke, der diskriminierungs-freie Zugang zur allgemeinen Gesundheitsversorgungund nicht zu der eingeschränkten Gesundheitsversorgungnach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist ein sozialesMenschenrecht . Darüber reden wir .
Unser Antrag zur Gesundheitskarte ist im Verfahren .Lassen Sie ihn uns einfach zur Grundlage für die weite-re Diskussion machen, und lassen Sie uns dafür sorgen,dass daraus etwas Vernünftiges wird . Ich würde mich aufjeden Fall darüber freuen .
Die Haushaltsdebatte bietet immer auch Gelegenheit,Bilanz hinsichtlich der Gesundheitspolitik zu ziehen; dasist ja schon einmal gesagt worden . Sehr geehrter Minis-ter, einen Vorwurf kann man Ihnen gewiss nicht machen,nämlich den des Aussitzens . Ihr Ministerium hat geliefertund hält das Parlament in einer hohen Frequenz mit Ge-setzentwürfen auf Trab .Dass die Lieferungen aus unserer Sicht ganz über-wiegend in die falsche Richtung gehen, ist eine andereFrage . Sie arbeiten den Koalitionsvertrag mit seinenteilweise sehr detailreichen Vereinbarungen ab: Arz-neimittelreform, Finanzreform, ambulante Versorgung,E- Health-Gesetz, Prävention, Krankenhausversorgung –das ist derzeit im Verfahren –, Pflegepolitik Teil 1 unddemnächst Pflegepolitik Teil 2.
Die Grundausrichtung der Koalitionsvereinbarungim Gesundheitsbereich haben wir bereits mehrmals kri-tisiert . Sie entfernen sich von einer Gemeinwohlorien-tierung des Sozialstaatsgebotes des Grundgesetzes undbauen das Gesundheitswesen in Deutschland mit immermehr Wettbewerbselementen marktwirtschaftlich um .Sie entlasten die Arbeitgeber und belasten die Versicher-ten einseitig .
Wir haben das alte Problem, dass die Ausgaben in dergesetzlichen Krankenversicherung noch immer stärkerwachsen als die Einnahmen . Diese Koalition hat zu ver-antworten, dass alleine die Versicherten den finanziellenMehrbedarf, den Aufwuchs, per Zusatzbeitrag zahlenmüssen .Hier beginnt Ihr Problem, Herr Gröhe . Dabei ist esrelativ unbedeutend, dass die SPD nun in Bezug auf dieparitätische Finanzierung aufmuckt . Die SPD hat das mitIhnen ja schriftlich vereinbart . Darauf können Sie rechtbequem verweisen, und das tun Sie ja auch immer wie-der . Ihr Problem sind aber die Menschen in diesem Land .Sie werden noch vor der nächsten Wahl merken, dasssie für dieselbe Leistung immer mehr zur Kasse gebe-ten werden . Es wird für Sie schwierig, das zu erklären .Mit dem üblichen Verweis auf die angeblichen Nöte derArbeitgeber dürfen Sie hier nicht auf das Verständnis derWählerinnen und Wähler hoffen .
Ich empfehle Ihnen daher im eigenen Interesse: Sor-gen Sie dafür, dass die Arbeitgeber wieder zur Hälfte ander Beitragszahlung beteiligt werden . Das wäre ein gro-ßes neues Projekt, für das Sie Respekt erhalten könntenund für das Ihnen auch die Stimmen der Opposition si-cher wären .
Nun weiter zur Bilanz: Was uns die Große Koalitionbisher an Gesundheitspolitik geboten hat, war mehr oderweniger eine Fortsetzung der Politik der Vorgängerregie-rungen .
Sie haben der Gesundheitspolitik keine neue Richtunggegeben . Sie haben es fortgesetzt, immer mehr Wettbe-werbselemente in diesen Teil des Sozialstaates einzufüh-ren, und Sie haben das Unwesen fortgesetzt, den Lobbysder Leistungserbringer mehr entgegenzukommen als denberechtigten Interessen der Versicherten .Früher konnte man ja meinen, dass die FDP der Motorfür diese Art von Neoliberalisierung gewesen ist .
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Nun ist die FDP aber weg, und die Grundrichtung hatsich nicht geändert, auch nicht durch den Eintritt der SPDin die Große Koalition .
Im letzten Jahr gab es zum Beispiel das GKV-Versor-gungsstärkungsgesetz . Damit wollten Sie die Ärztinnenund Ärzte zwingen, ihre Praxen dort zu eröffnen, wo siegebraucht werden, und nicht dort, wo sie am meistenPrivatpatienten vorfinden. Sie hatten hier ursprünglicheine Regelung vorgesehen, die schon recht harmlos war;denn nur in Gebieten, die schon zu 110 Prozent versorgtsind, sollte – so Ihr Gesetzentwurf – der zuständige Aus-schuss aus Ärzteschaft und Krankenkassen gemeinsamentscheiden, dass eine Praxis, deren Inhaber aus Alters-gründen ausscheidet, nicht nachbesetzt wird .Darin sind schon drei Bedingungen enthalten: Erstens .Die Region muss überversorgt sein . Zweitens . Die Ärztemüssen zustimmen, dass diese Praxis tatsächlich nichtgebraucht wird . Drittens . Diese Regelungen treffen kei-nen einzigen aktiven Arzt, weil sie nur im Falle einesEintritts in den Ruhestand zur Geltung kommen .Die Ärzteschaft hat dann ihre ganze Lobbykampfkraftmobilisiert, und Sie haben tatsächlich nachgegeben . Nunhat die Regelung gar keine Zähne mehr, weil sie nur nochdort gilt, wo ein Versorgungsgrad von 150 Prozent undmehr erreicht ist, also nur noch in ganz wenigen Regi-onen .
So werden wir nie eine gute Versorgung auf dem Landoder in vernachlässigten innerstädtischen Gebieten ha-ben .Noch ein Beispiel . Mit der gerade laufenden Gesetz-gebung zur Krankenhausreform werden die drängendenProbleme nicht gelöst .
Es werden keine Anreize gesetzt, damit die Länder ihrenInvestitionsverpflichtungen gegenüber den Krankenhäu-sern nachkommen .
Als Versicherter muss man weiterhin befürchten, zur Ver-besserung der wirtschaftlichen Situation des Kranken-hauses operiert zu werden und nicht aus medizinischenGründen .Das, was Sie in Sachen Pflegenotstand machen, istnicht einmal Homöopathie . Der Kern des Gesetzes,die qualitätsorientierte Vergütung, wird vermutlich niefunktionieren, wie Ihnen gestern bei der Anhörung so-gar die Institution ins Stammbuch geschrieben hat, diedamit beauftragt werden soll, der Gemeinsame Bundes-ausschuss . Der Weg in den simulierten Wettbewerb wirdfortgesetzt . Dabei wird manches Krankenhaus, das fürdie Versorgung eigentlich notwendig wäre, geschlossenoder der Privatisierung anheimgestellt . Wir meinen: Dasdarf nicht sein .
Wir brauchen auch hier eine Neuausrichtung: wegvom Fetisch des Wettbewerbs hin zu einer gemeinwohl-orientierten und sektorübergreifenden Gesundheitsver-sorgung . Das wird aber mit dieser Koalition nicht zumachen sein . Dafür braucht es in diesem Lande größereVeränderungen, vor allen Dingen eine stärkere Linke .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächste Rednerin für die SPD-Frakti-
on ist die Kollegin Petra Hinz .
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! Bevor ich zumeiner eigentlichen Rede komme, möchte ich ein Wortzu Ihnen sagen, Herr Dr . Nüßlein . Sie haben beim ThemaParität erklärt, dass wir an der Gesetzgebung zu diesemThema beteiligt gewesen wären, die CDU/CSU hingegennicht . – Nein, das stimmt so nicht . Wer bei der Gesetzge-bung zu diesem Thema immer dabei war, war die CDU/CSU . Als wir mit Rot-Grün in der Regierungsverantwor-tung waren, war die Frage, wie wir die Unterstützung desBundesrates zur Änderung der vollparitätischen Finan-zierung bekommen . Sie waren also auch beteiligt . Siewaren also immer mit im Boot, als es um die Frage derParität ging .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden heute überden dritten Haushalt der Großen Koalition . Ich muss sa-gen: Ich fand es sehr interessant, was die Fachkollegin-nen und Fachkollegen gesagt haben . Das, was Sie imzurückliegenden Jahr – ich rede nicht von den letztenzwei Jahren, sondern in der Tat vom zurückliegendenJahr – hier an Gesetzen verabschiedet und umgesetzthaben, was eine Anhörung und Beratung im Ausschussvoraussetzt, ist eine großartige Leistung . Egal wie Sie ab-gestimmt haben: Unter dem Strich haben Sie sich mit dergesamten Thematik des Gesundheitswesens beschäftigt .Als Haushälter muss man einfach einmal sagen: Das isteine großartige Leistung .
In den zurückliegenden Haushalten haben wir uns, alszum Beispiel der Haushalt 2014 eingebracht worden ist,die Frage gestellt: Wie gehen wir mit der Finanzierungder AIDS-Stiftung um? Dieser Herausforderung habenwir im Haushalt Rechnung getragen . Nichtsdestotrotzbleibt das Thema auf der Tagesordnung . Wie wird eshier in der Perspektive langfristig weitergehen? In denHarald Weinberg
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Haushaltsberatungen stellt sich also die Frage: WelcheGespräche haben Sie dazu geführt?Erinnern wir uns – auch das hat gerade der Gesundheits-minister, Herr Gröhe, angesprochen – an das Thema Ebo-la . Im Rahmen der Beratungen zum Haushalt 2015 habenwir uns in wirklich jeder Sitzung des Haushaltsausschus-ses, aber haben auch Sie sich in den Fachausschüssenmit dem Thema Ebola beschäftigt . Jetzt hört man nichtsmehr, sehr wenig oder nur noch punktuell davon, wennman nachfragt . Was ist aus diesem Thema geworden?Steht jetzt nur noch die Flüchtlingshilfe im Vordergrund?Gibt es das Problem Ebola jetzt nicht mehr? Was passiertin den Krisenregionen? Was ist aus den Maßnahmen ge-worden, die wir angeschoben haben? Das sind Fragen,die wir im Rahmen der Haushaltsberatungen auf jedenFall stellen werden .Da müssen wir auch noch einmal darauf sehen, ob das,was wir in der Krisensituation geleistet haben, tatsäch-lich auch Bestand für andere Zeiten – über diesen Haus-halt hinaus – hat .Haushalt 2016: Heute ist der erste Tag der Haushalts-beratung mit der Einbringung des Haushaltes . Ich glau-be, jeder Rednerin und jedem Redner ist es wirklich einHerzensanliegen, noch einmal die Situation der Flücht-linge – der Menschen, die aus der Krise herauskommen –deutlich zu machen und auch deutlich zu machen, wiestark uns das bewegt . Dabei wird jeder sicherlich ganzunterschiedliche Schwerpunkte mit ganz unterschiedli-chen Ausrichtungen haben . Unterm Strich aber beschäf-tigt es uns sehr, und es liegt uns allen insgesamt am Her-zen . Das ist vor allem so, wenn man die Kinder sieht,die ohne Familie, ohne Eltern bzw. Erwachsene flüchten,hier stranden und mit ihren Sorgen und Nöten – das gehtbis hin zu Traumata – fertig werden müssen . Damit müs-sen wir umgehen .Dieses Umgehen heißt für uns auch, in Bezug auf denEinzelplan 15 des Haushalts – er betrifft den Gesundheits-bereich – zu fragen: Wie gehen wir mit den Menschenum, die nach Flucht und Vertreibung aus Krisenregionenhierher kommen? Das sind nicht nur Wirtschaftsflücht-linge . Vielmehr ist es so, dass sich die Menschen – dasmuss man sich einfach noch einmal bewusst machen –in ein Gummiboot setzen, dann über Stunden und Tagehinweg über das offene Meer fahren, um irgendwo zulanden, wo sie Frieden und Sicherheit haben . Da ist dieFrage: Wie nehmen wir diese Menschen auf?
Also, für mich stellt sich in Bezug auf unseren Gesund-heitsetat schon die Frage: Wie viel von den 6 MilliardenEuro bleibt denn tatsächlich bei uns im Gesundheitsetathängen? Wie werden wir das in unserem Etat wiederfin-den? Das heißt, dass schon deutlich gesagt werden muss,dass es nicht nur um die Frage des Durchimpfens geht .Auch geht es nicht nur um die Frage, dass wir ihnen – dasist natürlich so – Schutz und im Notfall eine Versorgungbieten . Für mich stellt sich aber – so wie es mein Kollegegerade deutlich gemacht hat – auch die Frage: Was ist mitder Gesundheitskarte? Wir müssen doch eine Antwortauf diese Frage finden.
Insofern hoffe ich auch, dass im Rahmen des Bund-Län-der-Gipfels ein entscheidender Durchbruch kommt . Wirfordern eindeutig, dass es hier eine klare Positionierungzur Gesundheitskarte geben wird .
Das waren – erst einmal grob dargestellt – die Themenallgemein . Der Haushalt beschäftigt sich aber auch nochmit vielen anderen Dingen . Das haben Sie, liebe Fach-kolleginnen und Fachkollegen, in dem zurückliegendenJahr auch sehr deutlich gemacht .Was die Größe des Haushalts anbelangt: Wir reden inder Tat nicht über den größten Haushalt, aber über einen,der die Menschen insgesamt betrifft . Gesundheit, Krank-heit und Pflege gehen uns alle an. Auch Vorsorge undPrävention sind Themen, die uns insgesamt beschäfti-gen . Insofern geht es nicht um die Größe des Haushaltes,sondern um die Fragen: Was machen wir mit dem, wasuns zur Verfügung steht? Und setzen wir in der Tat da dierichtigen Prioritäten?Wir haben im Haushalt 86,4 Millionen Euro in Bezugauf die Setzung von Schwerpunkten erstens im Bereichvon Prävention und Aufklärung bzw . zweitens der Or-ganspendekampagne . Auch da wird noch einmal kritischnachgefragt werden . Wir haben im Jahr 2014 – als es inden Krankenhäusern den einen oder anderen Missstandim Rahmen der Organvergabe gab – dieses Geld nocheinmal aufgestockt . Was ist in der Zwischenzeit gesche-hen? Dabei ging es – drittens – um die Aids- und Droge-naufklärung sowie – viertens – um die Bekämpfung vonDiabetes . In diesem Zusammenhang rede ich nicht nurüber den Diabetes Typ 2, Altersdiabetes, sondern, was javiel schlimmer ist, über Diabetes bei jungen Menschenbzw . Kindern, die aufgrund falscher Ernährung und nichtvorhandener Aktivitäten im Sportbereich – nicht vorhan-dener Aktivitäten überhaupt – krank werden . Was die Be-kämpfung von Diabetes angeht, ist auch der Aspekt vonMigration und Integration diesmal im Haushalt nachzu-lesen .Fünftens geht es um die Förderung von Maßnahmenim Bereich der Kindergesundheit und sechstens im Be-reich der Pflege bzw. Pflegeberufe. Da haben wir – ha-ben Sie –, denke ich, eine ganze Menge auf den Weggebracht . Das ist so, wenn ich sehe, wie jetzt die Fragenvon Pflege und Demenz angegangen werden. Das warlängst überfällig und ist jetzt, denke ich, auch zu Rechtauf den Weg gebracht worden . Nichtsdestotrotz werdenwir auch da nachfragen: Ist das, was mit dem Gesetz aufden Weg gebracht worden ist, das Einzige? Und was istdarüber hinaus noch im Haushalt zu finden? Gibt es daÜberschneidungen? Gibt es da möglicherweise Dinge,die verändert werden müssen?Siebtens geht es um die Frage der internationalen Zu-sammenarbeit . Auch die haben wir immer wieder sehrdeutlich und sehr intensiv diskutiert, wenn es um die Fra-ge ging: Leisten wir genug, wenn wir einen Pflichtbei-trag leisten? Oder soll es darüber hinaus auch freiwilligePetra Hinz
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Maßnahmen geben? Das wird sicherlich auch noch ein-mal ein Thema dieser Haushaltsberatungen sein .
Ich möchte gerne bezüglich des Haushaltes noch zweioder drei Punkte aufgreifen . Einmal geht es um Präven-tion und Kindergesundheit . Das liegt, denke ich, allenGesundheitspolitikern gerade in dieser Legislatur sehram Herzen . Wir haben in diesem Bereich den Titel „Kin-derprävention“ der letzten Koalition, der eigentlich aus-gelaufen wäre, reaktiviert . Wir haben ihn wieder neu mitGeld versehen . Das soll in dieser Form verstetigt werden .Ich möchte zum Thema Prävention und Kinderge-sundheit hervorheben, dass die Drogenbeauftragte, FrauMortler, in der Sommerpause Schulklassen bereist hat,die an dem Programm Klasse 2000 teilnehmen . Unteranderem war sie auch in meinem Wahlkreis . Wir habenuns angesehen, was unter dem Stichwort „Klasse 2000“umgesetzt wird . Ich muss sagen: Großartiges .Die Grundschule in meinem Wahlkreis hat uns in ganzgroßartiger Weise gezeigt, wie wichtig das für die Kindervon der ersten bis zur vierten Klasse ist . Ich weiß, dass esauch im Kitabereich Projekte gibt . Aber was ist mit denjungen Erwachsenen danach, wenn sie zur weiterführen-den Schule gehen und Fragen im Zusammenhang mit derPubertät usw . dazukommen?Es gibt also noch eine ganze Menge Punkte, wo wirim Rahmen der Haushaltsberatungen genau hinsehenwerden . Den Punkt Suchthilfe, Methadontherapie undsonstige Programme will ich aus Zeitgründen nicht an-sprechen .Ein weiterer Schwerpunkt, der mir auch sehr am Her-zen liegt, sind Menschen mit Behinderung .
Wenn man als gesunder Mensch krank wird, ist dasschon schlimm . Aber wenn man behindert ist, ist dasnoch eine sehr viel größere Herausforderung, der wir unsstellen . Wir haben in dem aktuellen Haushalt für 2015Gelder für den Bereich Special Olympics bereitgestellt .Ich habe in diesem Zusammenhang genauer hingesehenund auch mit Ärzten gesprochen . Dabei habe ich gelernt,dass intellektuell behinderte Menschen bzw . Menschenmit Downsyndrom fast nie einer Augenuntersuchungunterzogen werden . 80 Prozent der Kinder und jungenErwachsenen unter den Menschen mit intellektuellerBehinderung werden gar nicht untersucht . Das heißt, siekönnen teilweise nicht etwa deshalb nicht arbeiten, weilsie nicht arbeiten könnten, sondern weil sie nicht gut se-hen .Im Rahmen der Special Olympics sind täglich 250Athletinnen und Athleten untersucht worden . Rund 100Brillen sind jeden Tag angefertigt worden . Das sollte unsauf jeden Fall interessieren, und da sollten wir genauerhinsehen .
Ich möchte gerne noch einen anderen Punkt anspre-chen, und zwar die Pflege im Umgang mit behindertenMenschen, die ins Krankenhaus kommen . Das gilt fürKinder wie für ältere Menschen, aber nehmen wir zu-nächst die Kinder, weil sie unseren besonderen Schutzbenötigen . Zurzeit fehlt es noch an Assistenz . Die jungenEltern können nicht jeden Tag der Arbeit fernbleiben,um beim Kind zu sein . Die Eltern müssen sicher sein,dass sie in diesem Bereich auf jeden Fall eine Assistenzhaben, die dann, wenn sie zur Arbeit gehen oder ande-ren Aktivitäten nachgehen müssen, dafür sorgt, dass dasKind oder auch der ältere Mensch gut versorgt ist .
All dies sind Themen, die wir im Rahmen dieser Haus-haltsberatungen sicherlich aufgreifen werden .Zum Schluss möchte ich unserer StaatsministerinAydan Özoğuz ganz herzlich danken, die im Frühjahrdieses Jahres ins Kanzleramt eingeladen und dazu auf-gerufen hat, die Charta der Vielfalt zu unterzeichnen . ImRahmen dieser Veranstaltung sind sehr viele Maßnah-men gerade im Bereich der Migration und Integration be-sprochen worden, die wir jetzt in diesem Haushalt suchenwerden . Wir werden darauf achten, ob sie tatsächlich indieser Form umgesetzt werden .Ich komme zum Schluss, liebe Kolleginnen undKollegen, liebe Frau Präsidentin . Mein Kollege DirkHeidenblut und ich haben in der zurückliegenden Wochedas Thema Hospiz und Palliativversorgung in unserenWahlkreisen angesprochen . Es war eine großartige Ver-anstaltung, aber ganz zum Schluss hat uns eine Palliativ-medizinerin mit auf den Weg gegeben: Wir müssen hiervor Ort in Berlin im Rahmen unserer politischen Aufga-be und Verantwortung darüber diskutieren, was uns derMensch insgesamt im Bereich der Gesundheit und derPflege wert ist. Es geht nicht darum, was es uns kostet,sondern darum, was uns Gesundheit und Pflege wert sind.
Vor diesem Hintergrund werden wir insgesamt dieHaushaltsberatungen durchführen, und ich möchte Sie,liebe Fachkolleginnen und Fachkollegen, dazu aufrufen,uns als Haushälterinnen und Haushälter in dieser Fragezu unterstützen .Ganz herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächste hat Elisabeth Scharfenberg,Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister Gröhe!Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehr-te Damen und Herren! Die Binsenweisheit „Viel hilftviel“ mag auf einiges zutreffen, aber sie wird nicht aufdie Pflege und die Pflegepolitik zutreffen. Viel hilft viel?Zwei Pflegestärkungsgesetze, das Krankenhausstruktur-gesetz, das Hospiz- und Palliativgesetz und die Reformder Pflegeausbildung sollen dieses Jahr noch kommen,Petra Hinz
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und diese Regierung tut so, als würde sie keine Kostenund Mühen scheuen . Ja, es wird viel Geld ausgegeben .Dass dieses Geld das Geld der Versicherten ist, das ver-schweigen Sie ganz geflissentlich.Also: Viel hilft viel, und das viele auch noch ganzschnell . Aber Masse ist eben nicht automatisch Klasse .Da ist das Pflegestärkungsgesetz II. Damit soll endlichder neue Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt werden.Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff machen Sienun schon seit Wochen einen auf ganz dicke Hose . Siekönnen vor Kraft fast nicht laufen, und das, obwohl derentsprechende Gesetzentwurf noch nicht einmal einge-bracht wurde . Mit diesem Gesetz soll mehr Geld in diePflegeversicherung fließen. Das ist lange überfällig. Aberdadurch allein wird Pflege nicht besser. Für die Verbesse-rung der Pflege brauchen wir auf jeden Fall mehr qualifi-ziertes Personal . Dazu müssen sich dringend die Arbeits-bedingungen der Pflegekräfte verbessern.
Zum Teil sind diese Arbeitsbedingungen himmelschrei-end. Wir alle wollen, dass die Pflegeberufe attraktiverwerden und dass Pflegekräfte mehr Anerkennung be-kommen .
Sie, lieber Herr Laumann, sagen immer gerne: Geldpflegt nicht. – Das stimmt. Das ist ein schöner Satz, unddamit haben Sie vollkommen recht . Allerdings, HerrLaumann, kann ich Ihnen nicht mehr so wirklich glau-ben . Seit Sie Patientenbeauftragter sind, haben Sie dieunabhängige Patientenberatung faktisch kaputtgemacht .Auf Ihr Wort, Herr Laumann, sollten sich die Pflegekräf-te zukünftig lieber nicht verlassen . Sie haben zwar miteinem Gutachten belegt, wie unterschiedlich die Bezah-lung von Pflegekräften in der Bundesrepublik ist. Gepol-tert haben Sie auf jeder Veranstaltung, auf der ich Sie ge-sehen habe . Aber Sie ändern nichts . Was folgt, sind reineAlibiaktionen .
Da ist das Pflegestellenförderprogamm in Kranken-häusern . Das hat in der gestrigen Anhörung zur Kran-kenhausreform zu Recht vernichtende Kritiken erfahren .Personalbemessungsverfahren? Ja, wir lesen im zweitenPflegestärkungsgesetz etwas von einem Personalbemes-sungsverfahren; das fordern wir Grüne seit Jahren. Aberdas soll bis Mitte 2020 gerade einmal entwickelt und er-probt werden . Sie hören richtig: entwickelt und erprobt,nicht etwa eingeführt! Das dauert doch viel zu lange .
Dann wollen Sie die drei Pflegeberufe zusammenführen.Sie sagen, das werde den Pflegeberuf aufwerten. Es tutmir leid, aber das ist keine Aufwertung, sondern eherWahnsinn . Das genaue Gegenteil werden Sie letztendlichdamit erreichen .Schwarz-Rot redet auch viel von den Belastungenpflegender Angehöriger. Aber Reden alleine genügtnicht. Das hilft keinem einzigen pflegenden Angehöri-gen . Ihr Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie,Pflege und Beruf, also die neue Pflegezeit und die neueFamilienpflegezeit, ist wirklich nicht der große Wurf.Dieses Gesetz ist – das muss man so ehrlich sagen – eherein Rohrkrepierer . Ich weiß, Herr Gröhe, dass das nichtIhr Ressort ist . Es ist aber Ihre Regierung, die dieses Ge-setz verabschiedet hat . Offensichtlich haben Sie diesesunsinnige Gesetz einfach abgenickt und durchgewunken .Dieses Gesetz ist ein Witz . Es lädt alle Last auf den An-gehörigen ab . Es hilft nur denjenigen, die es sich leistenkönnen, ihre Auszeit selbst zu finanzieren. Dieses Ge-setz deckt nicht einmal alle Betriebe ab . So gut wie keinMensch nimmt dieses Angebot wahr . Das sage nicht ich,sondern das sind aktuelle Informationen Ihrer Regierungauf unsere diesbezügliche Kleine Anfrage .Zum Schluss noch zur Finanzierung . Schließlich re-den wir heute auch über gute Haushaltsführung . Sieverplanen hier Milliarden von Versichertengeldern, undselbst haben Sie keine Idee für ein nachhaltiges Finanzie-rungskonzept . Das ist mehr als unverantwortlich .
Bis maximal 2022 wird das Geld der Pflegeversicherungreichen. Und was dann? Der völlig unsinnige Pflegevor-sorgefonds, den Sie uns aufgedrückt haben, bringt jeden-falls überhaupt nichts; das wissen wir alle doch hier imRaum . Langfristig führt kein Weg an der Bürgerversiche-rung vorbei; auch das wissen Sie genau.
Alle Bürgerinnen und Bürger sowie alle Einkommens-arten müssen in diese Versicherung einbezogen werden .Das ist gerecht . Das ist solidarisch, und das ist nachhal-tig . Das sieht die SPD im Übrigen genauso, oder, HerrLauterbach? Ich denke, darin sind wir uns einig . Darübersprechen Sie aber nicht, sondern darüber schreiben Sienur in dem SPD-Positionspapier zur Pflege.
Dort wird das Problem der Personalbemessung ange-sprochen, und dort fordern Sie sogar die Einführung derBürgerversicherung, und das in einer Zeit, in der Sie einanderes Gesetz einbringen .
Ehrlich gesagt ist das nichts anderes als eine Bankrotter-klärung der SPD-Beteiligung in der Gesundheitspolitikund der Pflegepolitik.
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat die Kollegin MariaMichalk, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
Elisabeth Scharfenberg
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Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-ten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Be-vor ich mit meiner Rede beginne, möchte ich zunächsteinmal Frau Scharfenberg etwas sagen . Als SprecherinIhrer Fraktion für die Pflege sollten Sie zumindest ein-mal öffentlich anerkennen, was für Pakete wir in dieserLegislaturperiode für die Pflegebedürftigen, ihre pflegen-den Angehörigen und die, die sich in Heimen um Pflege-bedürftige kümmern, auf den Weg gebracht haben .
Sie ignorieren einfach Tatsachen, die vorher niemand indieser Kompaktheit geschaffen hat .
Deshalb gilt unserem Bundesminister und natürlich auchdem Beauftragten der Bundesregierung für die Belangeder Patientinnen und Patienten und Bevollmächtigten fürPflege ein großes Dankeschön . Es ist eine hervorragen-de Vorleistung, was wir hier im Parlament beraten ha-ben und beim nächsten Gesetzentwurf auch noch beratenwerden . Danke schön!
Eins geht gar nicht: dass Sie unseren Patientenbeauf-tragten mit Ihren Vorwürfen rund um die UPD-Vergabedermaßen öffentlich diskreditieren; das können wir sonicht stehen lassen . Denn in der Zwischenzeit müsstenauch Sie über den Gesundheitsausschuss die Drucksachemit der Stellungnahme der Vergabekammer zum abge-laufenen Vergabeverfahren erhalten haben . Darin sindalle Kritikpunkte im Einzelnen dezidiert entkräftet . Des-halb bitte ich einfach, in der Realität anzukommen .
Ich kann mich eigentlich nur der Kollegin Hinz an-schließen, die als Haushälterin einfach noch einmal be-kräftigt hat, dass in diesem Gesundheitsausschuss bisherein riesengroßes Paket zugunsten der Versicherten in derKooperation mit der Selbstverwaltung, mit den Leis-tungserbringern geschnürt worden ist, um unser Gesund-heitswesen insgesamt zu verbessern . Diese Arbeitsinten-sität gibt es wohl kaum in einem anderen Ausschuss alsim Haushaltsausschuss . Vielen Dank für Ihr Lob, FrauHinz!Ich möchte an dieser Stelle Herrn Weinberg sagen: Siewaren derjenige Ihrer Fraktion, der öffentlich noch ein-mal erklärt hat, dass die Deckung der Kosten für Investi-tionen in Krankenhäuser in die Länderzuständigkeit fällt .Dies steht im Gegensatz zu Ihrer Kollegin Lötzsch, die esandersherum bewertet hat .
Aber die Frage ist doch: Wenn wir als sehende Poli-tiker den Bedarf, in Krankenhäuser zu investieren, jetztinsofern angehen, als dass wir Lösungen suchen
wobei wir die Länder übrigens nicht aus der Verantwor-tung entlassen; vielmehr gilt der im Bundesgesetz ver-ankerte jeweilige Länderanteil – dann ist das ein ersterSchritt in die richtige Richtung . Denn den drohenden undin vielen Häusern bestehenden Investitionsbedarf könnenwir nicht unberücksichtigt lassen .
Frau Lötzsch, von daher ist Ihre Kritik absolut unberech-tigt gewesen .
Was aber überhaupt nicht stimmt, Herr Weinberg,ist, dass in Zukunft die Versicherten für ein und diesel-be Leistung immer tiefer in die eigene Tasche greifenmüssen . Sie wissen ganz genau, dass wir bei unsererBeschlussfassung zur Finanzierung des gesetzlichen Ge-sundheitswesens die Krankenkassen ermächtigt haben,über Satzungsleistungen besondere Leistungen für ihreVersicherten anzubieten . Sie haben die Möglichkeit, die-ses Leistungsspektrum durch Zusatzbeiträge zu finanzie-ren . Es bleibt in der Zuständigkeit einer jeden Kasse, dasso zu regeln, dass sie für ihre Versicherten das Optimumanbieten, und die Versicherten haben die Wahlfreiheit .Was, bitte schön, spricht dagegen? Das wird von vielenVersicherten genutzt, wie die Anzahl der Krankenkassen-wechsel zeigt .Auch wir finden, dass die gleiche Leistung nicht dasGleiche kostet . Sie verkennen daran, dass wir im Grun-de genommen permanent auch über die Forschung, auchüber die hervorragenden medizinischen Erkenntnisse unddie Fertigkeiten der Leistungserbringer immer besser indie Lage versetzt wurden, operieren zu können, nachMethoden, die vielleicht nicht so einen extremen Eingrifffür den Patienten bedeuten, die unterm Strich auch in derNachsorge günstiger sind . Sie müssen das Ganze schonin seiner Komplexität sehen.Da wir das als Politiker hier in unserem öffentlichenHaus nicht selber entscheiden können, arbeiten wir ganzdezidiert mit der Selbstverwaltung zusammen . Dortsitzen die Experten. Dort werden die Richtlinien undDurchführungsbestimmungen gemacht . Wenn uns etwasnicht klar ist, dann haben wir immer das Recht, nach-zufragen, und das tun wir auch . Neuerdings gehen wirsogar dazu über, auch Fristen zu setzen . Ich will damitsagen: Da ist ein guter Weg eingeschlagen worden, undauf dem wollen wir weitergehen .
Ich möchte Ihnen, Frau Schulz-Asche, die Sie kriti-siert haben, dass wir mit unserem Bundeshaushalt klein-lich sind und die Bundeszentrale für gesundheitlicheAufklärung stiefmütterlich behandeln,
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einfach noch einmal einen kleinen Punkt in Erinnerungrufen, nämlich dass wir jetzt zusätzlich drei Stellen, steu-erfinanziert, im Haushalt haben. Sie können also nichtso tun, als wenn wir nicht reagieren . Das ist ein kleinerPunkt, aber ein wichtiger Punkt, ein Signal .
– Doch! Ich komme gleich noch zu dem Präventionsge-setz .Es gab viele Kritikpunkte . Ich habe versucht, das inder Summe klarzustellen . Ich will jetzt sagen: Das deut-sche Gesundheitssystem genießt weltweit große An-erkennung . Wir haben noch nie so stabile Verhältnissegehabt wie jetzt . Das muss man auch einmal anerken-nen . Es gibt hier diese Kombination von ambulanterund stationärer Versorgung mit Rehabilitation, Vorsorge,Prävention, medizinisch-technischem Fortschritt, immerbesseren Erkenntnissen . Der Austausch mit Gesundheits-systemen innerhalb Europas und in der Welt, wie wirschon gehört haben, zeigt, dass wir da an der Spitze derBewegung sind und viele Länder dieser Welt uns um un-seren Mut, um unsere Konsequenz und manchmal auchum unsere Gründlichkeit beneiden . Deshalb gilt unseremGesundheitsminister, der die Vorlagen macht, ein herzli-ches Dankeschön .
Ich will auch noch auf einen Punkt eingehen, der hiermit Blick auf die Gesundheitskarten für Flüchtlinge eineRolle gespielt hat . Alle in diesem Haus wissen, dass wirim Grunde genommen jetzt die Regelung haben, dass dieLänder auf freiwilliger Basis mit den Krankenkassen Ver-einbarungen treffen können . Dass das funktioniert, sehenwir in Hamburg, Bremen und jetzt Nordrhein-Westfalen .Dass es weitere Länder gibt, die dies auch gern wollen,wo aber die Kassen es nicht möchten oder sich zumin-dest jetzt noch verschließen, wie auch immer, gehört zumSystem . Das kann uns aber nicht den Vorwurf einbrin-gen, dass wir die Menschenwürde nicht achten, wie HerrWeinberg ihn gemacht hat . Auch uns als Union liegt diegute medizinische Versorgung für alle Menschen, vor al-len Dingen für die, die aus den Kriegsgebieten zu unskommen, am Herzen . Wir wollen, dass die medizinischeVersorgung weiterhin im Grunde genommen auf der Ba-sis der jetzt geltenden Gesetze erfolgt . Wenn wir abersehen, dass es durch die Menge, durch die Fülle, durchden riesigen Arbeitsaufwand, der jetzt vor allen Dingenauf die Landkreise und auf die Gesundheitsämter vor Ortzukommt, neue Probleme oder ungeklärte Fragen gibt,dann ist es legitim, dass wir auch innerhalb der Koalitiondie Ausgestaltung noch einmal ganz genau diskutieren .Darum geht es bei dieser Frage innerhalb der Koalition .
– Lassen Sie uns doch diskutieren!
Wir müssen schon auch die Punkte auf den Tisch brin-gen, weil wir gerade bei dieser Frage nicht permanentNachbesserungen vornehmen können . Wir haben unsjetzt angeschaut, was in den Ländern funktioniert undwas nicht, und daraus werden wir unsere Konsequenzenziehen . Ohne Diskussion wird das nicht gehen . In derZwischenzeit werden die Flüchtlinge weiterhin versorgt .Deshalb gilt unser herzlicher Dank auch gerade den Mit-arbeitern, den Ärzten, den Schwestern, den freiwilligenHelfern, die sich in den Gesundheitsämtern, in den Ein-richtungen für eine gute medizinische Versorgung derFlüchtlinge einsetzen . Herzlichen Dank!
Das Präventionsgesetz ist jetzt schon von mehreren an-gesprochen worden . Ich möchte es unbedingt erwähnen,weil dieses Paket mit der Maßgabe, 7 Euro pro Versicher-ten jährlich einzusetzen, und der Verpflichtung, davon 2Euro für die Kindergesundheit und 2 Euro für die betrieb-liche Gesundheitsversorgung einzusetzen, ein klarer Be-schluss dieses Hauses ist . Für uns ist klar: Die Gesund-heit unserer Kinder steht an vorderster Stelle . Sie sindunsere Zukunft . Die betriebliche Gesundheitsversorgungmuss vor allen Dingen auch in die mittelständischen Un-ternehmen einziehen . Dafür haben wir jetzt die rechtli-chen Möglichkeiten und die finanzielle Unterstützunggeschaffen . Das ist wichtig . Ich bitte uns alle – nach demMotto „Wiederholung ist die Mutter des Erfolgs“ –, dasimmer wieder zu thematisieren; denn das Gesetz ist daseine und die Umsetzung das andere . Wir sind schlechtberaten, wenn wir meinen, dass sich das dann schon ein-plätschern wird .Ich möchte zum Schluss meiner Rede – das erlaubeich mir jetzt – auf Folgendes hinweisen: Ende August vor25 Jahren haben wir in der frei gewählten Volkskammerentschieden, das staatlich orientierte Gesundheitssystemin ein gegliedertes Gesundheitssystem umzuwandeln .Wer von Ihnen weiß noch, dass wir am 31 . August 1990das Krankenkassen-Vertragsgesetz in die Volkskammereingebracht, am gleichen Tag mit acht Änderungen imSchnelltempo im Ausschuss diskutiert und dann ver-abschiedet haben? Den Erbringern vor Ort, sprich: denÄrzten, den Apothekern, den Tierärzten und allen Leis-tungserbringern, haben wir im Gesetz zur Umstruktu-rierung des staatlichen ambulanten Gesundheitswesensaufgegeben, ihre Angebote zu machen, um die Räume, indenen sie bisher praktiziert hatten, pachten oder kaufenzu können . Diese Entscheidung – auch das stand im Ge-setz – musste innerhalb von vier Wochen gefällt werden .Weshalb führe ich dieses Beispiel an? Es ist eine un-geheure Aufbauleistung erbracht worden, nicht nur inpersoneller, sondern auch in finanzieller Hinsicht, diezu dem heutigen gesamtstaatlichen deutschen Gesund-heitswesen geführt hat, und zwar mit Fristen, die ich mirmanchmal auch für unsere heutige Arbeit wünsche . Wirwerden im nächsten Vierteljahr viele Sitzungen gemein-sam verbringen, in denen weitere Gesetze beschlossenwerden . Ich hoffe, dass die kurzen Fristen, die dabei not-wendig sind, nicht auf Unmut stoßen . Ich freue mich aufdie Beratungen .Maria Michalk
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Vielen Dank .
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Burkhard Blienert .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Haushaltsreden; die erste Lesung des Regierungsent-wurfs zum Einzelplan 15, zum Gesundheitsetat, steht an .Die Beiträge, auch der letzte Beitrag, zeigen eine deutli-che Tendenz: Es geht, wie so oft bei der Beurteilung vonRegierungsvorlagen, um die Einschätzung, ob das Glashalb leer oder halb voll ist . Ich bin der Meinung, dieserEtatentwurf ist eine sehr gute Beratungsgrundlage für dienächsten Wochen . Letztendlich wird ein schlüssiges Ge-samtwerk zur Verabschiedung stehen .Schauen wir uns einmal die einzelnen Positionen an .Das Finanzpolster ist gut; wir müssen es im Auge be-halten . Die Finanzreserven von Krankenkassen und Ge-sundheitsfonds betragen zurzeit geschätzte 24 MilliardenEuro . Die Abschaffung der Kopfpauschale im Rahmendes FQWG und die gleichzeitige Einführung der einkom-mensabhängigen Zusatzbeiträge haben das System sozialgerechter und wettbewerbsfähiger gemacht, und das beisteigenden Leistungen im Gesundheitsbereich . Sie sollennach dem Etatentwurf verstetigt und an wichtigen Stellenintensiviert werden . 14 Milliarden Euro werden seitensdes Bundes für den Gesundheitsfonds eingestellt, wieseit der Regierungsübernahme zugesagt . Insgesamt gibtes im Einzelplan einen Ausgabenzuwachs von zwölf Pro-zent im Vergleich zum Vorjahr . Neben dem Gesundheits-fonds gibt es bei den disponiblen Positionen 7 MillionenEuro mehr als 2015 . Die Koalition geht ihren Weg in derGesundheitspolitik somit unbeirrt weiter .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben dochwirklich einiges in unserem Bereich vorzuweisen . MeineVorrednerinnen und Vorredner haben sehr ausgiebig dar-gelegt, wie intensiv der Gesundheitsausschuss getagt undgearbeitet hat .
Zu Beginn des Jahres trat die erste Stufe der Pflege-reform in Kraft, die wir im Koalitionsvertrag beschlos-sen haben . Bereits in wenigen Monaten folgt die zweiteStufe . Diese Reformschritte sind dringend notwendig an-gesichts der drängenden Herausforderungen durch eineälter werdende Bevölkerung und die steigende Belastungder Pflegekräfte, und wir setzen damit den Pflegebedürf-tigkeitsbegriff um .Es ist nur wenige Wochen her, dass wir mit dem Ver-sorgungsstärkungsgesetz wichtige Weichenstellungenfür eine bessere wohnortnahe und patientenorientierteVersorgung getroffen haben . Fast zeitgleich hat, nach-dem wir viele Jahre darauf gewartet haben, es diese Ko-alition geschafft, endlich ein Präventionsgesetz zu ver-abschieden . Noch kurz vor der Sommerpause waren wirin erster Lesung mit dem Gesetzentwurf zur Digitalisie-rung des Gesundheitswesens und mit der Krankenhaus-reform befasst . Wir wollen die Arbeitsbedingungen fürdie Beschäftigten in den Krankenhäusern, insbesondereim nichtärztlichen Dienst, verbessern . Das ist eines derwichtigsten Ziele, die die SPD verfolgt .
Das alles sind keine Kleinigkeiten, sondern das sindEntscheidungen mit großer Wirkung, die getroffen wur-den . In den kommenden Monaten wird es noch einigeweitere wichtige Entscheidungen geben müssen . Nichtzuletzt die aktuellen politischen Entwicklungen fordernvon uns wichtige Entscheidungen, auch im Gesundheits-bereich .Mich freut es daher, dass wir auch im Einzelplan 15Mittel für Aspekte der Migration und der Integration ein-gestellt haben . Außerdem freue ich mich darüber, dassnun auch NRW einen unbürokratischen Weg für die Ein-führung einer Gesundheitskarte für Asylsuchende gefun-den und frei gemacht hat .
Wichtig ist – deshalb heiße ich es auch gut – der Sach-verhalt, dass im Etatentwurf der Ressortforschung mehrGewicht beigemessen wird . Knapp 2,5 Millionen EuroZuwachs im Vergleich zu 2015 sind ein richtiger Schritt .Profitieren wird hiervon zum Beispiel der zu entwickeln-de Masterplan Medizinstudium 2020 .Lassen Sie mich noch einige Aspekte zum Drogen-und Suchtbereich nennen, da dieser ein wichtiger Be-standteil der Präventionsarbeit und der gesundheitlichenAufklärung ist . In der Sommerpause schlugen die Wellenim Drogen- und Suchtbereich wieder hoch . Nicht zuletztdurch die Sicherstellung einer Rekordmenge CrystalMeth in Berlin wird deutlich, dass sich diese Gefahr aus-breitet und durchaus leider auch außerhalb Sachsens undBayerns angekommen ist .Auch die Entwicklungen im Bereich der „LegalHighs“, dieser oftmals todbringenden Kräutermischun-gen, mahnen uns, vorhandene Modellmaßnahmen aus-kömmlich zu finanzieren. Der im Entwurf enthalteneAufwuchs ist ein Schritt in die richtige Richtung .An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dassnicht alle sinnvollen Maßnahmen im Bereich der Dro-gen- und Suchtpolitik Geld kosten müssen . Vor einemJahr habe ich in der Haushaltsdebatte Stellung bezogenzu der Frage des Kinder- und Jugendschutzes im Zusam-menhang mit E-Zigaretten und E-Shishas . Ich bin durch-aus damit einverstanden, dass sich nun auch die Bun-desregierung mit Familienministerin Manuela Schwesighierfür starkgemacht hat und jetzt Klarheit geschaffenwird .Als Gesundheitspolitiker plädiere ich in Bezug aufE-Zigaretten allerdings für noch weiter gehende Maß-nahmen . Es kann doch nicht sein, dass alle anderentechnischen Geräte, bevor sie in den Verkauf kommen,Maria Michalk
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auf Herz und Nieren geprüft werden müssen, um etwa-ige Gefahren für Anwender zu minimieren, dies bei derE-Zigarette aber nicht der Fall ist . Zahlreiche Fragestel-lungen in Bezug auf mögliche Gesundheitsgefahren undden Verbraucherschutz bleiben nahezu offen, zum Bei-spiel: Wie hoch ist die krebserregende Konzentration derLiquids? Wie gesundheitsgefährdend ist Passivdampf inabgeschlossenen Räumen? Wie verhalten sich die Stoff-zusammensetzungen, wenn die Akkuleistung absinkt unddie Verbrennungstemperatur sinkt?Daher gehört für mich die E-Zigarette aus gesund-heitspolitischer Sicht zumindest auch den Regelungender Tabakprodukt-Richtlinie unterworfen . Sie gehörtnicht in Kinderhand, und nichtrauchende Bürgerinnenund Bürger müssen vor Passivdampf genauso geschütztwerden wie vor Passivrauch .
Die gleiche Entschlossenheit fordere ich beim The-ma Tabak . Lassen Sie uns endlich das längst überfälligeWerbeverbot für Tabakprodukte umsetzen!
Perspektivisch sollte auch die Werbewirkung von Verpa-ckungen weiter beschränkt werden .Ein letzter Punkt . Wichtig vor dem Hintergrund deraktuellen Zahlen über HIV-Neuinfektionen sind die ver-stetigten Haushaltsmittel im Bereich Aids . Es wäre fatal,auf diesem Gebiet die Präventionsarbeit bzw . die For-schung einzuschränken . Es zeigt sich, dass manche dieAnsicht vertreten, dass wir diese Krankheitsgefahr über-wunden hätten . Wir dürfen daher nicht in der Aufklärungüber Ansteckungsgefahren nachlassen . Vielmehr müssenwir die Forschung an Heilungsmethoden fortsetzen .
Meine Kollegin Petra Hinz hat bereits darauf hingewie-sen, wie wichtig uns dieser Punkt ist .Alles in allem liegt uns ein guter Entwurf vor . Nachdem vielzitierten Struck‘schen Gesetz werden wir inintensiven Beratungen die Ansätze bewerten und wei-terentwickeln . Ich bin sicher, dass wir dies ähnlich gutmachen werden wie in den vorangegangenen Haushalts-beratungen und am Ende einen guten Haushaltsbeschlussfassen können .Ich freue mich auf die Diskussionen und danke für dieAufmerksamkeit .
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Helmut Heiderich von der CDU/CSU .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn man als Haushälter am Ende dieser langen Debattedie Dinge betrachtet, dann ist man eigentlich wieder da,wo der Minister einleitend begonnen hat,
nämlich bei der Erkenntnis, dass das deutsche Gesund-heitssystem leistungsstark und nach wie vor unter denführenden Systemen weltweit ist .Der Vorwurf, der vorhin vonseiten der Grünen kam,die Patienten würden nicht im Mittelpunkt unserer Arbeitstehen, ist eine ziemlich heftige Unterstellung .
Sagen Sie mir: Wo auf der Welt steht der normale Pati-ent, der normale Versicherte so sehr im Mittelpunkt einesGesundheitssystems? Wo, wie hier bei uns, in unseremLand, hat er noch die Möglichkeit, die gesamten Leis-tungen in Anspruch zu nehmen? Das muss man an dieserStelle einmal festhalten .
Wir haben eben schon gehört, dass der Minister in die-sen beiden Jahren in dichter Folge neue Gesetzentwürfevorgelegt hat; der Kollege Weinberg war so freundlich,sie hier alle vorzutragen, sodass ich das nicht zu wieder-holen brauche .
Die Fachpolitiker haben diese in intensiver Arbeit um-gesetzt . Deswegen glaube ich, dass wir sagen können:Von uns ist im Gesundheitsbereich in den letzten Jahrenordentlich geliefert worden . Es ist sachlich fundiert ge-liefert worden . Die Dinge sind inhaltlich gut abgesichertund strukturell zukunftsorientiert entschieden worden .Auch das ist eine Leistung, die diese Koalition gebrachthat . Wir dürfen stolz darauf sein, dass wir das in dieserkurzen Zeit geschafft haben .
Das, was die Opposition hier immer als Generalvor-wurf benutzt, widerlegt sich eigentlich von selbst . Ichmöchte einmal ein Beispiel nennen . Im vergangenen Jahrwurde im Rahmen der Haushaltsdebatte vonseiten derGrünen Folgendes gesagt:Es bleibt dabei, dass wichtige Vorhaben auf denSankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden, wiedie Einführung des neuen Pflegebegriffs, eine Kran-kenhausreform oder das Präventionsgesetz .Ich glaube, die Entwicklung zeigt, wie weltfern dieGrünen mit ihren Behauptungen sind . Denn das Präven-tionsgesetz ist in Kraft .
Burkhard Blienert
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Selbst die Länder haben im Sommer mit Beteiligung derGrünen diesem Gesetz zugestimmt . Zur Krankenhaus-reform wurde gestern eine Anhörung durchgeführt . Derneue Pflegebegriff ist in der praktischen Anwendung,und der Minister hat bereits darauf hingewiesen, dassdieser neue Pflegebegriff kommt. Das also, was Sie imvorigen Jahr auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschobenhaben, haben wir innerhalb eines Jahres geschafft . Dasist eine Leistung dieser Koalition .
Lassen Sie mich noch einmal auf das Thema der Prä-vention zurückkommen . Für mich ist das eines der we-sentlichen und wichtigsten Themen der Zukunft . Dennfür mich beginnt Solidarität im Gesundheitswesen nichterst dann, wenn man die Leistungen in Anspruch nehmenmuss, sondern sie beginnt schon dann, wenn man eigen-verantwortlich dafür sorgt, möglichst wenige Leistungenin Anspruch nehmen zu müssen, und zwar indem mandurch gesundheitsbewusstes Verhalten einer Inanspruch-nahme vorbeugt . Deshalb unterstütze ich gerne alle Ini-tiativen dieser Art, auch die, die nicht aus diesem Hause,sondern aus dem Privatbereich kommen .Ich möchte einmal auf eine solche Initiative eingehen .Wir alle haben für die nächste Sitzungswoche die Einla-dung einer Privatinitiative bekommen, die seit dem Jahr2003 unter dem Titel „Deutschland bewegt sich!“ fir-miert und versucht, die Bürger für Prävention in diesemBereich zu begeistern . ZDF, BARMER GEK und Bildam Sonntag haben sich dafür auf der Grundlage einergemeinsamen Orientierung zusammengetan . Diese Initi-ative hat es sich wörtlich zum Ziel gesetzt, „zu eigenver-antwortlichem und gesundheitsförderndem Verhalten zumotivieren“ .Das ist ein Ansatz, den wir gar nicht genügend un-terstützen können . Ich denke, wir brauchen noch vieleweitere Initiativen dieser Art und noch viele weitere Mit-bürger, die wir für diese Entwicklung gewinnen können .Gerade das Gesundheitsverhalten der jungen Generati-on – darauf wurde schon mehrfach eingegangen – wirdimmer problematischer . Ein steigendes Körpergewichtund die steigende Anfälligkeit für Diabetes – KollegeMonstadt arbeitet in besonderer Weise in diesem Be-reich – zeigen, dass wir viel zu tun haben . Deswegen istes gut – Frau Hinz hat schon darauf hingewiesen –, dasswir jetzt im Haushalt einen Ansatz für diesen Bereich ha-ben . Hier sollten wir weiter Unterstützung leisten . DieseArt der Prävention und der Förderung der Gesundheit istein ganz entscheidendes Thema .
Lassen Sie mich noch kurz ein zweites Thema anspre-chen, das ich heute ganz vermisst habe . In den Debat-ten der letzten beiden Jahre haben wir uns vonseiten derOpposition ständig dem Vorwurf aussetzen müssen, wirhätten den Gesundheitsfonds für den Haushalt verändert .
Es gab Vorwürfe, wir griffen mit vollen Händen in dieSozialkassen und finanzierten dies auf dem Rücken derBeitragszahler, die Beiträge würden steigen, und es wür-de wer weiß was passieren . Heute habe ich darüber keinWort mehr gehört .
Das zeigt, dass die Vorwürfe, die Sie erhoben haben,nicht sehr fundiert waren .
In dem gesamten Zeitraum der letzten drei Jahre ist nichtein einziger Beitrag gestiegen . Jetzt, da wir zurückgehenund wieder die vollen Leistungen in den Gesundheits-fonds einzahlen, sagen Sie kein Wort zu diesem Thema .
Ich denke, wir als Haushälter sollten durchaus im Augebehalten, den Gesundheitsfonds auch in den kommendenJahren weiter aufzustocken .
Ich hätte diese Forderung von Ihrer Seite erwartet .Wir behalten aber in Erinnerung: Der Gesundheits-fonds ist für uns eine wesentliche Quelle zur Finanzie-rung des Gesundheitssystems, und wir wollen die Mittelin diesem Zusammenhang entsprechend wieder einbrin-gen .Ein drittes Thema, das auch schon angesprochen wur-de und das ein wesentliches Zukunftsthema ist, ist dieärztliche Versorgung im ländlichen Raum . Wir habenhier gemeinsam in den letzten Jahren schon eine ganzeReihe von Entscheidungen getroffen . Wir sind da langenoch nicht am Ziel; das wissen wir alle. Ich will aber einBeispiel dafür liefern, dass die Schritte, die wir gemachthaben, durchaus schon Erfolg zeigen . Ich selbst habe ei-nen Wahlkreis im ländlichen Raum und weiß, worüberich hier rede .
Wir haben es mit diesen Maßnahmen geschafft, in denletzten beiden Jahren in meinem Wahlkreis 15 Arztsitzeentweder neu zu besetzen oder aber fortzuführen . Dasheißt, unsere Projekte, Maßnahmen und Beschlüsse sindnicht so weltfremd, wie es von der Opposition immerversucht wird darzustellen, sondern sie sind hilfreich aufdem Weg, die Gesundheitsversorgung flächendeckend zuerhalten . Das wollen wir weiterentwickeln, aber wir sindhier schon einen ganz ordentlichen Schritt vorangekom-men .Wir haben in Hessen gemeinsam mit der Landesregie-rung auch dafür Sorge getragen, dass junge angehendeMediziner im Medizinstudium unterstützt werden imBereich der Allgemeinausbildung und bei der Weiterbil-dung im Bereich Allgemeinmedizin .
Diese jungen Leute bekommen einen Zuschuss pro Se-mester, und es zeigt sich, dass wir auch hier erfolgreichHelmut Heiderich
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sind und dass bereits eine große Zahl von Studenten indiesen Bereich wechseln . Wir können Hoffnung haben,dass wir da auch in der Zukunft weitere Leistungen er-reichen können .Wir haben in der Zusammenarbeit der einzelnen Ge-sundheitsbereiche – der Kassen, der Ärzte, der Kranken-häuser, aber auch der Rehaeinrichtungen – Effekte, diewir vorher nicht hatten, und Verbesserungen erreichenkönnen . Deshalb glaube ich, dass die medizinischen Ver-sorgungszentren weiterhin stark in diese Entwicklungeingebunden werden müssen, damit wir entsprechendeVorteile für die Zukunft gewinnen können .
Ein letzter Punkt ist die internationale Verantwortung .Es ist eben schon darauf hingewiesen worden, dass sichDeutschland im Bereich der Ebolabekämpfung stark ein-gebracht hat . Wir sind auch international für unsere tech-nische Hilfe anerkannt worden; wir haben große Zustim-mung erhalten . Aber wir sind auch gebeten worden – ichnenne das Stichwort Antibiotikaresistenz –, uns stärkerbei der WHO zu engagieren . Deswegen freue ich mich,dass es mit diesem Haushalt möglich wird – im Zusam-menhang mit dem BMZ wurde darauf schon hingewie-sen –, mit freiwilligen Leistungen bei der WHO einzu-steigen . Was heißt „freiwillige Leistungen“? Wir habendamit die Möglichkeit, in die programmatische und diestrukturelle Weiterentwicklung der WHO einzugreifen,uns zu beteiligen, mit eigenem Personal Unterstützungzu leisten und somit die Zukunftsentwicklung der WHOpositiv zu beeinflussen. Das ist für uns ein großes Thema.Es wurde schon gesagt: Die Generaldirektorin der WHOwird hier nach Berlin kommen . Frau Bundeskanzlerinhat sich bei der Generalversammlung persönlich dafürausgesprochen . Ich glaube, es steht uns sehr gut an, mitdiesem Haushalt auch Unterstützung für die Zukunfts-entwicklung der WHO zu leisten .Ich freue mich auf die Beratungen und auf die Verstär-kungen, die wir an der einen oder anderen Stelle nocherreichen können . Wir bleiben auf dem Weg . Deutsch-land hat ein leistungsstarkes Gesundheitssystem, und wirwollen es weiter verbessern, damit wir im weltweitenWettbewerb vorne bleiben .Vielen Dank .
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegenmir nicht vor . Deshalb verlassen wir den Geschäftsbe-reich des Bundesministeriums für Gesundheit .Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums der Justiz und für Verbraucher-schutz, Einzelplan 07 .Darf ich die Kolleginnen und Kollegen, die sich an derAussprache zu Justiz und Verbraucherschutz beteiligenwerden, bitten, die Plätze einzunehmen? – Dann kön-nen wir jetzt beginnen . Als erstem Redner erteile ich dasWort dem Bundesminister Heiko Maas .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Es ist ein guter Brauch, dass dieBundesregierung die Haushaltsdebatte nutzt, um nichtnur die Zahlen des Einzelplans zu diskutieren, sondernauch noch einmal die Vorhaben zu definieren, die in die-ser Legislaturperiode und vor allen Dingen im nächstenHaushaltsjahr anstehen . Diese Möglichkeit will ich heutehier auch ergreifen .Es gibt Gesetzentwürfe und Vorhaben, über die esbreite Diskussionen und Debatten in der Öffentlichkeitgibt . Es gibt andere, bei denen dies nicht der Fall ist, dieaber dennoch rechts- und verbraucherschutzpolitisch au-ßerordentlich wichtig sind . Insofern will ich einige Vor-haben völlig unabhängig von der Frage, wie sie öffent-lich debattiert werden, hier in Erinnerung rufen und nocheinmal vortragen, was wir dort vorhaben .Bei dem Thema Freiheit und Grundrechte und der Fra-ge, wie wir diese besser schützen, geht es auch um eineReform der strafrechtlichen Psychiatrieunterbringung;denn die Unterbringung ist ein tiefer Eingriff in die per-sönliche Freiheit . All diejenigen, die in der Rechtspolitikunterwegs sind, wissen, dass wir darüber schon seit ei-niger Zeit sehr intensiv diskutieren . Wir werden die ent-sprechenden Maßnahmen auf wirklich gravierende Fäl-le beschränken . Außerdem sollen die Fälle in kürzerenAbständen überprüft werden . Darüber ist lange diskutiertworden, aber auch darüber, dass es notwendig ist, diesmit wechselnden Gutachtern zu tun . Diese Reform wirdinsbesondere das Vertrauen in die Justiz stärken . Wir allewissen, dass es in der Vergangenheit gerade durch denFall Mollath eine sehr intensive Diskussion gegeben hat .Meine Damen und Herren, wir werden im StrafrechtGerechtigkeitslücken schließen . Korruption im Gesund-heitswesen schadet den Krankenkassen, dem Wettbe-werb und dem Vertrauen in unser Gesundheitssysteminsgesamt . Bislang kann korruptes Verhalten nicht in al-len Fällen bestraft werden . Das ist nicht gerecht, und des-halb werden wir auch das ändern . Dazu werden wir demBundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf, den wirbereits angekündigt haben, vorlegen .Wir wollen außerdem sicherstellen, dass Frauen vorsexueller Gewalt besser geschützt werden. Deshalbschlagen wir vor, sexuelle Handlungen unter Strafe zustellen, bei denen der Täter einen Überraschungsmomentoder die Furcht des Opfers ausnutzt . Bislang gab es hiereine Lücke im Recht . Das konnte vor Gericht nicht ge-ahndet werden . Wir haben Verurteilungsquoten von etwa10 Prozent, und das ist alles andere als zufriedenstellend .Es ist also überfällig, diese Lücke im Strafrecht zu schlie-ßen .
Wir werden in den kommenden Wochen den Entwurfdes Anti-Doping-Gesetzes und eines Gesetzes gegenHelmut Heiderich
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Spielmanipulation hier im Parlament diskutieren . Das istnotwendig . Spätestens nach den Enthüllungen, die es inden letzten Wochen gegeben hat, wurde klar, dass in deninternationalen Verbänden, zum Beispiel im Leichtath-letik-Verband, nichts getan worden ist, was im Kampfgegen Doping als ausreichend angesehen werden kann .Deshalb ist es richtig: Auch der Staat muss eine Rolleim Kampf gegen Doping einnehmen . Das wollen wir mitdem Anti-Doping-Gesetz tun .
Wir wollen den Zugang zum Recht erleichtern . ImDurchschnitt sind Menschen erst dann bereit, vor Gerichtzu ziehen, wenn der Streitwert bei etwa 2 000 Euro liegt .Damit Verbraucher auch bei kleinen Schäden zu ihremRecht kommen, werden wir die außergerichtliche Streit-beilegung ausbauen . Wenn es Ärger mit dem neu gekauf-ten Computer oder der Reparatur am Auto gibt, dannmuss man künftig nicht gleich vor Gericht ziehen . Wirschlagen vor, flächendeckend Stellen zu schaffen, diedafür sorgen, dass Streitigkeiten zwischen Verbrauchernund Unternehmen beigelegt werden können, und zwarschnell, unbürokratisch und ohne große Kosten .Ich komme auf einen weiteren Punkt zu sprechen, derauf politischer Ebene schon lange diskutiert wird undden wir angehen werden . Wir werden Vorschläge zurModernisierung des Urheberrechtes vorlegen . In diesemBereich, sicherlich ein außerordentlich komplexer undschwieriger Bereich, sind bereits viele große Reformenangekündigt worden, geschehen hingegen ist relativ we-nig . Deshalb wollen wir auch gar keine unerfüllbaren Er-wartungen wecken, sondern wir wollen Vorschläge fürganz konkrete Schritte vorlegen .Wir werden zunächst das Recht der Verwertungsge-sellschaften reformieren . Dazu gibt es bereits einen Ge-setzentwurf . Der zweite Schritt wird dann eine Reformdes Urhebervertragsrechtes sein . Auch dazu werden wirin Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem wir ins-besondere die Kreativen und die Urheber stärken wollen .Wir wollen sicherstellen, dass sie für ihre Leistungentatsächlich eine angemessene Vergütung erhalten, so wiedas eigentlich auch gesetzlich vereinbart ist . Für Teileder Kulturwirtschaft steht das zurzeit bedauerlicherweiseviel zu häufig nur auf dem Papier. Ein Recht, das manhat, nutzt nur dann, wenn man es auch durchsetzen kann .
Wir werden Mieter, Bankkunden und alle, die sichzum Beispiel im Internet bewegen, besser schützen .Nach der Mietpreisbremse geht die Reform weiter . In ei-nem zweiten Schritt werden wir darüber reden, wie wirMieter davor schützen, dass sie nach Modernisierung ih-rer Wohnung finanziell überfordert werden.
Damit das Girokonto nicht zur Schuldenfalle wird,wollen wir mehr Transparenz bei den Dispozinsen schaf-fen . In Zukunft sollen Banken offenlegen, wie hoch dieZinsen bei ihnen wirklich sind .
Wir wollen die Verbraucherzentralen stärken durchmehr Personal, mehr Geld und vor allen Dingen durchdie neuen Marktwächter . Sie haben den Finanzmarkt unddie digitale Welt im Visier, und sie werden den Verbrau-cherinnen und Verbrauchern helfen, den Durchblick zubehalten .
Meine Damen und Herren, über all diese Vorhabenwerden wir in den kommenden Wochen und Monaten inaller Ausführlichkeit debattieren . Aber die größte Her-ausforderung derzeit – das hat die Debatte heute Morgenschon gezeigt – ist ganz sicherlich die Hilfe für Flüchtlin-ge . Auch das ist ein Thema, das die Rechtspolitik angeht .Recht ist der Wille zur Gerechtigkeit, und die Gerechtig-keit verlangt ein menschenwürdiges Dasein für alle Men-schen, unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe . DieWürde der Menschen wird in diesen Tagen bedroht, undsie ist auch schon verletzt worden . Wenn sich Menschenin Not gewissenlosen Schleppern anvertrauen, wenn ihrLeben auf dem Mittelmeer in Gefahr gerät oder wenn siein einem Lastwagen qualvoll ersticken, dann bleibt dieWürde der Menschen auf der Strecke . Wenn Familienmit kleinen Kindern über Wochen und Monate auf derFlucht sind und unter freiem Himmel schlafen müssen,wird ihre Würde verletzt . Und wenn Rechtradikale beiuns Stimmung machen gegen Menschen, die gerade al-les verloren haben, wenn sie Flüchtlinge anpöbeln oderBrandsätze schmeißen, dann sind das Angriffe auf dieWürde der Schwächsten, die unerträglich sind .
Deshalb haben wir die Verpflichtung, wie auch HerrSchäuble das heute Morgen ausgeführt hat – er hat diePrioritäten klar benannt –, Flüchtlinge menschenwürdigzu versorgen. Ich weiß, das ist manchmal schwer; aberwie leicht wiegen unsere Probleme im Vergleich mit denProblemen dieser Menschen . Deshalb bin ich froh unddankbar, dass gerade jetzt, auch als Reaktion auf das, wasin den letzten Wochen und Monaten geschehen ist, soviele Menschen helfen: in den Kommunen, in den Hilfs-organisationen, bei der Polizei und auch bei der Bundes-wehr . Ich bin auch dankbar dafür, dass viele Menschendem Hass und der Hetze gegen Flüchtlinge deutlich ent-gegentreten . Davor habe ich großen Respekt .Dabei ist aber auch die Rechtspolitik gefordert . DasWort von der ganzen Härte des Rechtsstaats, die rechteTäter spüren müssen, darf keine leere Drohung bleiben .
Das ist ein Grund gewesen, warum wir das Strafgesetz-buch geändert haben . Rassistische, fremdenfeindlicheoder sonstige menschenverachtende Motive eines Täterskönnen bei der Strafzumessung jetzt ausdrücklich be-rücksichtigt werden . Seit dem 1 . August 2015 ist dieseBundesminister Heiko Maas
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Regelung in Kraft, und ich bin mir sicher, dass unsereGerichte sie sehr konsequent anwenden werden .Mit diesem Bundeshaushalt werden wir die Bundes-anwaltschaft so ausstatten, dass sie bei rechtsradikalenTaten künftig früher eingreifen kann . Dafür gibt es mehrPlanstellen, und dafür gibt es auch mehr Geld . Es warrichtig, dass die Bundesanwaltschaft nach dem Brandan-schlag auf eine Unterkunft für Asylbewerber in Salzhem-mendorf sofort aktiv geworden ist .Aber wir wollen nicht nur Gewalttäter verfolgen undbestrafen, sondern wir müssen auch verhindern, dass eszu solchen Verbrechen überhaupt erst kommt . Deshalbdürfen wir zum Beispiel nicht zulassen, dass das Internetzu einem Ort wird, an dem Hass und Hetze unkontrolliertverbreitet werden .
In der vergangenen Woche ist das Bild des toten AylanKurdi um die Welt gegangen . Das Bild des ertrunkenenKindes am Strand von Bodrum hat Millionen Menschenauf der ganzen Welt tief erschüttert . Aber es gab auchExtremisten, die keine Skrupel hatten, den Tod eines un-schuldigen Kindes zu bejubeln . In diesem Fall haben Po-lizei und Justiz schnell gehandelt .
Ich kann aber nicht verstehen, dass man sich dort, wosolche Dinge veröffentlicht worden sind, wie etwa beiFacebook, erneut sehr schwergetan hat, rasch und ent-schlossen gegen solche Hetze vorzugehen .
Ich finde, das ist ein Thema, über das wir reden müs-sen . 12 Millionen Menschen in unserem Land haben eineTageszeitung abonniert, aber 28 Millionen Menschen ausDeutschland sind auf Facebook aktiv . Heute prägt auchdas Internet die Debattenkultur und das gesellschaftlicheKlima . Deshalb sollte niemand ignorieren, was dort vorsich geht. Die Justiz darf das nicht; diejenigen, die mitdem Internet Geld verdienen, dürfen das aber auch nicht .Deshalb bin ich mit Facebook im Gespräch . Das hat demUnternehmen sicherlich deutlich gezeigt, dass wir diesesThema ernst nehmen . Wenn es Beschwerden über rassis-tische Einträge oder Aufrufe zur Gewalt gibt, dann mussman dort reagieren und solche Posts rasch löschen . DasInternet ist kein rechtsfreier Raum, und Facebook darfkein Forum für Neonazis sein .
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen jährt sichder Beginn des Zweiten Weltkrieges . Vor einem Men-schenalter hat Deutschland Krieg, Hass und Elend überdie Welt gebracht . Heute sind wir ein Land der Freiheit,des Rechts und des Wohlstands . Das Grundrecht aufAsyl war eine Lehre aus unserer eigenen Vergangenheit .Niemand verlässt leichtfertig seine Heimat . Für vieleMenschen aus Syrien, Irak oder Eritrea ist Deutschlandheute ein Ort der Hoffnungen und Chancen, aber auchganz einfach ein Ort der Rettung . Ich meine, auf diesenZuspruch für unser Land sollten wir nicht mit Angstund Ablehnung reagieren . Ganz im Gegenteil: Es ist einGrund, stolz zu sein auf das, was viele Menschen dazu inDeutschland beigetragen haben .
Viele Flüchtlinge werden dauerhaft bei uns bleiben .Wir dürfen uns deshalb nicht wieder der Illusion hinge-ben, die beim Wort von den Gastarbeitern mitschwang .Wir dürfen die Fehler der Vergangenheit bei der Integra-tion nicht wiederholen, und wir sollten uns klarmachen:Ja, wir müssen aus Flüchtlingen möglichst rasch Bürgermachen, meine sehr verehrten Damen und Herren .
Die Vielfalt der Kulturen, der Religionen und der Tra-ditionen ist manchmal anstrengend – wir erleben es heu-te schon –, und sie wird in einer Einwanderungsgesell-schaft, die wir sind und die wir noch mehr werden, auchnicht weniger werden . Wir haben aber die beste Grund-lage, meine Damen und Herren, die man sich vorstellenkann, um ein gutes Zusammenleben zu organisieren: Dasist unser Grundgesetz . Es bietet die Freiheit, verschiedenzu sein, und es garantiert die Gleichberechtigung trotz al-ler Unterschiede . Es gibt den Freiraum, so zu leben, wieman möchte . Aber es stellt klar, dass an den Grundrech-ten nicht gerüttelt wird, zum Beispiel dass Frauen undMädchen die gleichen Rechte haben, dass jeder selbstentscheidet über seine Religion und auch über seine Art,zu leben .Meine Damen und Herren, wir brauchen in den nächs-ten Wochen und Monaten große Anstrengungen auf allenEbenen . Alle anderen Politikbereiche verlieren nicht anBedeutung . Auch die Rechtspolitik wird dabei gefordertsein . Die Debatte über ein Einwanderungsgesetz oder da-rüber, wie wir Einwanderung organisieren, wird weiter-gehen, und wir werden die Strafvorschriften gegen denMenschenhandel ausbauen . Ich bin überzeugt, dass wirbeides brauchen: legale Möglichkeiten der Einwande-rung und die Verfolgung von gewissenlosen Schleppern .Beides zusammen kann mithelfen, Menschenleben zuretten . Meine Damen und Herren, das ist gerade in diesenTagen die größte Aufgabe in Europa, aber auch bei unsin Deutschland .Herzlichen Dank .
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege
Roland Claus .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bun-desminister Maas, ich fasse Ihre Rede einmal kurz zu-sammen und komme zu dem Schluss: Biete viel Rechts-staatlichkeit für relativ wenig Geld . – Das wäre dieBundesminister Heiko Maas
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Chance für die Koalition zum Beifall gewesen . Relativwenig Geld: Das stimmt in der Tat; denn die Steuerzahlerkostet jeder Euro für das Ministerium von Heiko Maasnur 25 Cent . Das hängt mit den hohen Einnahmen dortzusammen .Herr Bundesminister, Sie haben Anfang dieses Jahreszu einer denkwürdigen Begegnung eingeladen; so kannman Neujahrsempfänge auch bezeichnen . Als Haupt-rednerin hatten Sie die Intendantin des Berliner Ma-xim-Gorki-Theaters Shermin Langhoff eingeladen. FrauLanghoff hat eine sehr bemerkenswerte Rede gehaltenund dort gefragt – ich zitiere :Sind die Unzumutbarkeiten . . . des . . . Zuwande-rungs- und Einbürgerungsrechts mit unseren Idea-len von Freiheit und demokratischer Teilhabe ver-einbar? . . . Wie lange wollen wir noch Migration ausnationalstaatlicher Perspektive betrachten, ohne die . . . Schicksale der von Flucht betroffenen Menschenzum entscheidenden Faktor zu machen?Ich glaube, sie hat die wichtigen und entscheidendenFragen gestellt . Sie hat diese Fragen in Ihrem Hause,Herr Bundesminister, aber auch deshalb gestellt, weil sieAntworten von Ihnen, von uns will . Die Antworten ste-hen noch aus, und das, finde ich, darf nicht so bleiben,meine Damen und Herren .
Deshalb müssen wir sehr wohl über die neue Rolle vonJustiz und Rechtspolitik in der Flüchtlingspolitik reden .Ja, wir erleben doch einerseits offene Arme, offene Her-zen von zahlreichen Menschen, die Flüchtlingen in Nothelfen, und andererseits wie noch nie zuvor öffentlich ar-tikulierten Hass . So eine Polarisierung im Rechtsstaats-verständnis gab es seit vielen Jahren nicht mehr . Dasmeine ich mit dieser neuen Herausforderung an die Justizauf allen Ebenen . Da haben wir es natürlich damit zu tun,dass in Deutschland die Justiz wegen fehlender radikalerReformen vorwiegend an sich selbst erstickt. Ich finde,da kann auch das Bundesjustizministerium nicht stillhal-ten . Diese radikalen Reformen müssen endlich auf denTisch .
Herr Bundesminister, Sie haben sich an Facebook ge-wandt und auch zu Twitter Ihren Kommentar abgegeben .Das finden wir in Ordnung. Richtig ist: Wir alle wollenkeine digitale Hasswelt .
Aber, Herr Minister, es geht nicht nur darum, den Mundzu spitzen, Sie müssen auch pfeifen, und zwar laut undmit Konsequenzen .
– Die Konsequenzen sehe ich noch nicht .Sie haben mit der CSU einen Koalitionspartner, dersich gegenwärtig dafür abfeiert, bei den Koalitionsver-handlungen das Prinzip „Sachleistungen statt Geldleis-tungen“ für Flüchtlinge durchgesetzt zu haben .
Diese Entscheidung bedeutet eine Freiheitseinschrän-kung .
Da muss ein Justizministerium einschreiten . Übrigens,die Weltmeister beim Prinzip „Sachleistungen statt Geld-leistungen“ kommen aus Nordkorea .
Herr Bundesminister, ich darf Sie zitieren, weil Sie inIhrer Rede zu dem Thema nichts gesagt haben . Im De-zember 2014 haben Sie den Satz veröffentlicht: Vorrats-datenspeicherung lehne ich entschieden ab; sie verstößtgegen das Recht auf Privatheit und den Datenschutz . –Ich kann Ihnen natürlich nicht ersparen, an jenen denk-würdigen SPD-Konvent im Frühsommer dieses Jahres zuerinnern . Zuvor waren Sie von Ihrem Parteivorsitzendenöffentlich regelrecht genötigt worden, Ihre Position zuverändern . Dann kam es noch dicker . Sie sollten demKonvent erklären, dass man jetzt zustimmen muss . Siehaben das gemacht, Herr Maas . Angesichts des knappenErgebnisses habe ich mich gefragt: Hätte Maas vielleichtnur geschwiegen, wäre dann das Ergebnis ein anderesgewesen?
Wir hatten im Sommer auch den Skandal um die Er-mittlungen wegen – man höre und staune – Landesverra-tes gegen das Portal netzpolitik .org . Danach musste derGeneralbundesanwalt gehen . Die Vorratsdatenspeiche-rung aber soll bleiben . Ich sage Ihnen: Die richtige Lehreaus diesem Skandal des Sommers wäre gewesen, jetztauch die Vorratsdatenspeicherung zu beerdigen, HerrBundesminister .
Deshalb sage ich Ihnen: Ehe Ihre von mir mit „vielRechtstaatlichkeit für relativ wenig Geld“ kurz zusam-mengefasste Ansage haushaltspolitische Wahrheit wird,müssen Sie noch sehr viele Vorschläge der Oppositionannehmen . Das Gute daran ist: Die Opposition will hel-fen . Die Opposition kann das auch, liebe Kollegen vonder Koalition .
Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass wir alleeine lebendige Parlamentsdebatte wollen . Bundesminis-ter Schäuble hat heute Morgen gesagt, die Spielräumeim Haushalt seien jetzt erschöpft . Es hat nur noch ge-fehlt, dass er dann „Basta!“ gesagt hätte . Was heißt esdenn, dass die Spielräume erschöpft sind? Das heißt dochnichts anderes, als dass Regierung und Parteivorsitzen-de entschieden haben, das Parlament solle abnicken undsich allenfalls vor der schwarzen Null verneigen . DazuRoland Claus
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sagen wir: Mit uns nicht . Wir wollen eine lebendigeHaushaltsdebatte . Diese werden wir auch haben .
Der Kollege Dr . Patrick Sensburg spricht jetzt für die
CDU/CSU .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Ich teile die Zu-sammenfassung der Rede des Ministers durch meinenVorredner nicht . Der Minister hat deutlich mehr ausge-führt . Herr Kollege Claus, Sie haben in Ihren sechs Mi-nuten Redezeit so gut wie gar nichts zur Rechtspolitikund zur Verbraucherpolitik gesagt . Sie hätten die Zeitbesser nutzen können . Von daher haben Sie Ihr Angebot,dass die Opposition konstruktiv mitarbeiten kann, durchIhre Rede schon widerlegt . Schade eigentlich .
Das Einzige, worin ich Ihnen zustimme, Herr KollegeClaus, ist die Analyse, dass der Haushalt des Einzelplans07 in der Gesamtheit und im Volumen – es ist einer derkleinsten Haushalte – eine exzellente Rechtspolitik ge-währleistet . Das hat der Einzelplan 07 schon in den letz-ten Jahren getan . Die Haushälter und der Minister habenauch diesmal wieder bewiesen, dass man mit wenig Geld,736 Millionen Euro, und mit einer guten Deckungsquo-te, 525 Millionen Euro, Arbeit machen kann, die auch inanderen Ressorts als wichtig wahrgenommen wird . Wirhaben eine Deckungsquote von 72 Prozent . Das ist et-was weniger als in den vorherigen Jahren . Da hatten wirDeckungsquoten von rund 83, 85 und 87 Prozent . DieHaushälter werden sicherlich noch ausführen, woran dasvielleicht liegen mag . Aber man kann sagen: Der Justiz-haushalt und jetzt auch der Verbraucherschutzhaushalt –daran müssen wir Juristen uns erst gewöhnen – leistetfür alle Ressorts übergreifend eine wesentliche und ex-zellente Arbeit .In der zweiten und dritten Lesung – das debattierenwir heute nicht – werden wir auch den Haushalt des Ein-zelplans 19 beschließen, den des Bundesverfassungsge-richts . Auch da zeigt sich die große Anerkennung für denBeitrag, den die Rechtspolitik und die Institutionen derJustiz leisten . Das Vertrauen in den Rechtsstaat ist ganzwichtig . Deswegen ist auch das Vertrauen in die Institu-tionen so wichtig .Herr Kollege Claus, Sie haben eben die Diskussionum den Generalbundesanwalt angesprochen . Daraufmöchte ich jetzt nicht näher eingehen .
Ich glaube, wir müssen aber darüber nachdenken
– das können Sie ja gleich noch machen –, ob wir bei-spielsweise das Thema Weisungsrecht für beide Seitenverklaren
und zum Beispiel die schriftliche Weisung regeln . Ichglaube, das täte beiden Seiten, Angewiesenem und An-weisendem, gut . Darüber sollten wir in der Justizpolitikeinmal nachdenken .
Um zum Inhalt zu kommen: Die Syndikusanwältesind ein Thema, das uns in dieser Legislaturperiode in-tensiv beschäftigt hat und uns auch weiter beschäftigensollte . Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichtsaus dem Jahre 2014 haben wir in der ersten Lesung imJuni dieses Jahres breit darüber debattiert . Wir haben am1 . Juli 2015 eine Anhörung durchgeführt . Es gibt abernoch viele offene Fragen, die beantwortet werden müs-sen. Dabei geht es um die Haftpflichtversicherung, dieGleichstellung der Syndikusanwälte mit anderen Rechts-anwälten und um die Frage: Greift die Berufshaftpflicht,oder greift möglicherweise die Firmenhaftpflicht? Alldas muss geklärt werden . Ich glaube, hier eilt die Zeit .Die Rechtsanwälte befinden sich seit inzwischen übereinem Jahr in einem unklaren Zustand . Hier müssen wirsehr zeitnah Lösungen finden. Herr Minister, lassen Siesich nicht ausschließlich von Ihrem Ministerium beraten,sondern gehen Sie voran, und lösen Sie dieses Problemgemeinsam mit uns . Die Anwälte in unserem Land wer-den es Ihnen danken .
Wir kommen zum Thema StPO-Reform . Ein wesent-licher Baustein in dieser Legislaturperiode wird die Re-form der Strafprozessordnung sein . Ich glaube, das isteines der großen Vorhaben dieser Regierungszeit . Wirwollen die StPO reformieren: vom Ermittlungsverfahrenüber das Zwischenverfahren bis zum Hauptverfahren .Das Rechtsmittelverfahren und das Vollstreckungsver-fahren sollen eingeschlossen sein . Wir wollen also einengroßen Wurf .
Man hört aber aus der Kommission, die beim Bun-desjustizministerium arbeitet, dass viele Dinge gar nichtmehr eingeschlossen werden sollen, beispielsweise dasThema Berufung . Ich würde mir wünschen – die Län-der haben hier ja Vorschläge gemacht –, dass es derKommission gelingt, dort, wo keine eigenen Vorschlägeeingebracht werden, zum Beispiel im Hinblick auf dieBerufung, nichts auszuklammern . Wir sollten weiterhinversuchen, bei der StPO-Reform ein umfangreiches Pa-Roland Claus
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ket zu schnüren und dieses auch zu verabschieden . Zielsollte die Effizienzsteigerung im Bereich der Strafpro-zessordnung sein . Nach allem, was man von der Arbeitder Kommission hört, habe ich aber den Eindruck, dasscheint nicht mehr gänzlich zu gelingen . Ich nenne dreiBeispiele, von denen wir gehört haben .Bei der Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung solles schon im Ermittlungsverfahren Videoaufzeichnungengeben . Ich glaube, das kann als Ziel so nicht bestehenbleiben . Wenn dies der Fall wäre, würde das zu mehrArbeit und zu der Verpflichtung der Richter führen, sichspäter alle Videoaufzeichnungen anzusehen .Auch in der Hauptverhandlung soll es umfassende Vi-deodokumentationen geben . Videodokumentationen sindnichts Falsches; in vielen Bereichen, in denen sie Sinnergeben, kennen wir sie schon . Aber umfangreiche Vi-deodokumentationen halte ich für überflüssig.Es muss auch nicht so sein, dass der Pflichtverteidigerimmer schon ab der ersten Beschuldigtenvernehmungbestellt wird, und zwar auch dann, wenn das nicht ge-wollt ist . Auch dies würde zu mehr Aufwand führen .Das sind Dinge, die man aus der Kommission hört .Darüber müssen wir, wenn es so weit ist, noch einmalintensiv sprechen .
Herr Kollege Dr . Sensburg, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Ströbele?
Ja, die hat er eben schon angekündigt . Ich weiß jetzt
zwar nicht, zu welchem Punkt – es hat ein bisschen ge-
dauert, bis die Frage kam –, aber Kollege Ströbele darf
immer fragen .
– Bei anderen überlege ich es mir manchmal . Sie, Frau
Kollegin Högl, dürfen auch immer fragen .
Danke, Herr Kollege Sensburg . – Sie sagen das in fast
jeder Rede, die Sie hier im Bundestag zur Rechtspoli-
tik halten, und das sind ja nicht wenige . Können Sie ein
bisschen konkreter sagen, wie Ihre Auffassung und die
Auffassung der Union zur Reform der StPO ist? Sie ha-
ben zwar einige Punkte erwähnt . Aber sind Sie nun dafür,
dass sich da etwas ändert, oder wird in den Gerichtssä-
len weiter so wie bisher protokolliert, dass also von ei-
ner Mitarbeiterin, einer Protokollführerin oder einem
Protokollführer alle Viertelstunde ein halber Satz aufge-
schrieben wird? Oder neigen Sie auch dem zu, dass man
Hauptverhandlungen etwas vollständiger nachvollziehen
können sollte, was gerade bei großen, langandauernden
Prozessen von eminenter Bedeutung ist?
Herzlichen Dank, Herr Kollege Ströbele, für die Fra-ge . – Der entscheidende Punkt ist – so lange debattierenwir das ja noch gar nicht; denn das ist das Kernthemadieser Legislaturperiode –,
dass wir das gesamte Strafverfahren wieder konsistentgestalten . Sie kennen die vielen Änderungen, die es seitder großen Reform in der Strafprozessordnung über dieJahre gab . Dort sind bestimmte punktuelle Stückwerkeentstanden .Das Strafverfahren beginnt gemäß der Strafprozes-sordnung beim Ermittlungsverfahren und endet beimStrafvollzug . Daran erkennen wir die Brüche, die überdie Jahre entstanden sind . Deswegen ist es das ersteZiel – das haben wir mit dem Koalitionsvertrag, in demdie StPO-Reform enthalten ist, ebenfalls verfolgt –, Kon-sistenz und Effektivität zu erreichen . Ich hatte die Punkteangesprochen, die mir Sorgen machen und die nicht zurEffektivität beitragen, weil sie nur punktuelle Regelun-gen sind .Konsistenz und Effektivität sind also der Oberbe-griff. Darum gibt es ja auch die Expertenkommissionbeim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher-schutz . Sie ist aus sehr guten Leuten zusammengesetztund hat sich sehr viel Zeit genommen, um zu schauen,wo die Brüche in der Strafprozessordnung sind . Diese zubeheben, ist also das Ziel; das ist der gute Teil.Jetzt hören wir aber – das werden Sie vielleicht auchgehört haben –, dass die Länder zum Beispiel Vorschlä-ge zum Berufungsverfahren gemacht haben, die von derKommission aber abgelehnt worden sind . Die Kommissi-on scheint nicht genügend Zeit zu haben, um hier eigeneVorschläge zu entwickeln und einzubringen . Das würdeich mir aber wünschen; denn wenn bestimmte Bereichevom Ermittlungsverfahren bis hin zum Berufungs- undRevisionsverfahren ausgeklammert werden, dann errei-chen wir diese Konsistenz und Effektivität nicht mehr .Das ist aber unser Kernziel . Sobald die Kommissionihre Vorschläge vorlegt, werden wir sie uns im Rechts-ausschuss sicherlich anschauen, darüber eine Diskussionführen und Verbesserungsvorschläge machen .Sie kennen den Spruch: Kein Gesetz verlässt denDeutschen Bundestag so, wie es die Bundesregierungeingebracht hat . – Das hat sich gerade im Bereich derJustizpolitik in den letzten Jahren öfters gezeigt . Ichdenke, gemeinsam können wir uns eine Effektivierungdieses Gesetzentwurfs und der Arbeit der Kommissionvorstellen . – Danke schön, Herr Kollege Ströbele .
Ich komme zu einem weiteren Bereich, der uns beson-ders wichtig ist, nämlich zum Thema „Scharia-Recht“ .Wir haben uns das – Herr Kollege Ströbele, das habeich wirklich sehr oft angesprochen; auch in der letztenDr . Patrick Sensburg
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Legislaturperiode – genau angeschaut und festgestellt,dass es in manchen Bereichen wirklich einen eigenenRechtsraum gibt, in dem versucht wird, eine andereRechtskultur zu pflegen, wo also keine Gerichte, keineSchlichtungsstellen, keine Schiedsgerichtsbarkeiten undkeine Mediationen genutzt werden, sondern wo sich et-was parallel entwickelt . Man spricht dementsprechendauch von Paralleljustiz .Wir haben darüber öfters beraten . Auch im Justizmi-nisterium prüft eine eigene Stelle, wie die Situation aus-sieht . Ich glaube, wir müssen einmal schauen, ob es hiergenügend Anhaltspunkte gibt, um rechtspolitisch tätig zuwerden . Wenn ja, dann sollten wir das auch tun . Wennes die aber nicht gibt, dann müssen wir das auch offensagen . Deswegen ist es gut, dass das Bundesministeriumder Justiz und für Verbraucherschutz diesen Bereich inden Fokus nimmt und hier Klarheit schafft . Wir würdenuns wünschen, diese Ergebnisse gemeinsam zu diskutie-ren .Weitere wichtige Themen sind die organisierte Kri-minalität und die Gewinnabschöpfung . Das haben wirauch schon diskutiert, als es um das Scharia-Recht ging .Ich glaube, durch das Abschöpfen der Gewinne werdenwir vielen das Wasser abgraben und die Problemberei-che austrocknen . Wir müssen darüber nachdenken, obdie Gewinnabschöpfung so geregelt werden kann, dasswir die treffen, die wir treffen wollen, und dass wir dieBereiche, die möglicherweise im Verdacht sind, nicht un-ter einen Generalverdacht stellen . Deswegen müssen wirgenau hinschauen, ob uns bei der Gewinnabschöpfungdie Beweislastumkehr weiterhilft, um die Bereiche aus-trocknen zu können, die innerhalb der organisierten Kri-minalität tätig sind und hohe Gewinne machen . Dadurchkönnen wir einen Beitrag dazu leisten, die organisierteKriminalität einzudämmen .Der nächste Bereich, den ich ansprechen möchte, istdie Cyberkriminalität . Herr Bundesminister, Sie habendiesen Bereich auch schon angesprochen und gesagt:„Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“, was ichfür richtig halte . Wir erleben, dass viele Delikte speziellim Internet stattfinden. Dort sind bestimmte Gruppen tä-tig . Daneben gibt es Delikte, die es auch im alltäglichenLeben gibt und speziell mithilfe des Internets verübt wer-den .Wir haben das IT-Sicherheitsgesetz umzusetzen . Daswird uns schon viel bringen, aber es wird nicht der letzteSchritt sein, den wir machen müssen . Wir müssen dasBSI stärken . Wir müssen auch die anderen Ämter stär-ken, die auf diesem Gebiet tätig sind . 50 Milliarden Eurobeträgt der jährliche Schaden durch das Ausspähen un-serer Wirtschaft im Bereich der Cyberkriminalität; dasist noch sehr zurückhaltend geschätzt . Ich glaube, dasses ganz wichtig ist, rechtspolitisch und unter Wahrungrechtsstaatlicher Ansätze auch hier einen Beitrag zu leis-ten. Wir haben einen Beitrag geleistet; auch das habenSie angesprochen, Herr Minister .Das Thema Mindestspeicherfristen ist kein leichtesThema; das wissen wir. Über dieses Thema haben wirsehr oft debattiert und diskutiert . Im Rahmen der Anhö-rung am 21 . September 2015 – ich freue mich, dass dieBerichterstatter aller Fraktionen intensiv arbeiten, für unsist das der Kollege Dr . Ullrich – werden wir eine Lösungfinden, die den Ansprüchen des Bundesverfassungsge-richts an Verfassungskonformität, aber auch den Ansprü-chen des Europäischen Gerichtshofs Rechnung trägt .Ich habe Ihnen das aktuelle Heft des BusinessMaga-zins BERLINboxx mitgebracht. Ich freue mich, dass derJustizsenator von Berlin mit der Überschrift zitiert wird:„Ich bin Verfechter der Verkehrsdatenspeicherung .“ Dasganze Heft ist mit „Industrie 4 .0“ überschrieben . Es gehtum Standortperspektiven . Wenn wir nicht erkennen, dassSicherheit im Internet – dazu gehören auch Mindest-speicherfristen – mit Datenschutz und Offenheit gegen-über Medien einhergeht, dann werden wir den StandortDeutschland nicht sichern . Deshalb sind Mindestspei-cherfristen nach meiner Meinung ein wesentlicher Be-standteil für den Industrie- und Internetstandort Deutsch-land .
Lassen Sie mich noch zu zwei Punkten kommen, diemir wichtig sind .
Das eine Thema ist die außergerichtliche Streitbeile-gung; das ist hier angesprochen worden. Ich glaube, wirhaben gute Ansätze im Bereich des Verbraucherschutzesbei der Umsetzung zweier Gesetzgebungsakte aus Euro-pa, der sogenannten ADR-Richtlinie und der sogenann-ten ODR-Verordnung . Es geht darum, Regelungen zuschaffen, mit denen Verbrauchern ein leichter Zugang zuaußergerichtlicher Streitbeilegung ermöglicht wird . Esmuss aber auch gelingen, die Wirtschaft mit den Kostendieser Verfahren nicht allein zu lassen .Vielleicht wäre es hier klug, einmal auf Bundesebenein der Art einer allgemeinen Schlichtungs- und Media-tionsstelle ein Pilotprojekt zu initiieren – dazu müsstenwir allerdings Gelder in den Haushalt einstellen – unddadurch eine Stelle zu etablieren . Voraussichtlich ist mitrund 12 000 Fällen zu rechnen . Das wird ein Kostenvo-lumen von 2,4 Millionen Euro haben . Das lässt sich ausdem derzeitigen Haushaltsplan nicht finanzieren. Von da-her müssen wir in den Beratungen diskutieren, ob hiernicht ein weiterer Ansatz für eine allgemeine bundesweittätige Schlichtungs- und Mediationsstelle möglich ist .Ich sage extra „Mediationsstelle“, weil wir in der letz-ten Legislaturperiode das Mediationsgesetz verabschie-det haben und ich mir wünsche, dass diese Gesetze auf-einander abgestimmt werden, sodass wir in Deutschlandneben Gerichtsbarkeit, Schiedsgerichtsbarkeit, Schlich-tungsverfahren und Mediation nicht ein neues Verfahrenmit Stellen etablieren, sondern dass wir hier Konsistenzerreichen . Darüber wird es noch Diskussionen geben .Aber ich glaube, dass sowohl das Ministerium als auchwir Abgeordnete aller Fraktionen im Deutschen Bundes-tag auf einem guten Weg sind .Das letzte Thema, das mir wichtig ist – ich reiße es nurkurz an –, ist das Thema Insolvenzrecht . Es gibt hier dreiDr . Patrick Sensburg
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große Bereiche: Delisting, Pensionsrückstellungen undInsolvenzanfechtungen . Hier wünsche ich mir, dass gera-de im Bereich der Insolvenzanfechtungen, der für unsereWirtschaft sehr wichtig ist, nicht darauf gewartet wird,ob sich die Rechtsprechung noch in eine andere Richtungentwickelt – die Firmen leiden tagtäglich unter dieser Si-tuation –, sondern dass wir vonseiten der Politik gemein-sam mit Ihnen, Herr Minister, die Dinge anpacken . Un-ser Berichterstatter, Herr Kollege Hirte, hat hierzu vieleVorschläge gemacht . Ich wünsche mir, dass wir sie in denaktuellen Beratungen aufnehmen .Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit für so vie-le Themen . Herr Claus, Sie sehen, man kann sehr vielerechts- und verbraucherpolitische Themen ansprechen .
Ich wünsche mir jetzt eine konsensorientierte Beratungund ein gutes Ergebnis .Danke schön .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul für
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Maas, so als Zuhörerinwundert man sich doch ein bisschen, dass der KollegeSensburg betont, dass die StPO-Reform das Kernpro-jekt dieser Legislaturperiode ist, während Sie sie in Ih-rer Rede gar nicht erwähnt haben . Vielleicht könnten Siesich in der Koalition über Ihre Schwerpunkte noch ein-mal abstimmen .
Fast wäre es in der Sommerpause zwischen zwei Son-dersitzungen einmal etwas ruhiger geworden, wenn danicht der Generalbundesanwalt gewesen wäre .Es wird Sie nicht überraschen, dass das Thema hier jetztnoch einmal zur Sprache kommt .
Ja, die Entlassung war unvermeidlich, das sehen wir auchso . Das Management war trotzdem suboptimal .Nach unserer letzten Ausschusssitzung steht jetzt Aus-sage gegen Aussage . Der Generalbundesanwalt behaup-tet, er sei geradezu erpresst worden . Wer die Wahrheitsagt, werden wir nicht mehr ermitteln können, weil diegesamte Kommunikation zwischen Ihrem Ministeriumund dem Generalbundesanwalt informell und telefonischablief . Warum haben Sie den GBA denn nicht frühzeitigum einen Bericht bzw . ein Rechtsgespräch gebeten undsich seine Rechtsauffassung einmal darlegen lassen? Be-sonders die Frage nach dem subjektiven Tatbestand derSchädigungsabsicht wäre doch interessant gewesen .Ich wage nicht, zu spekulieren, ob dieses Gesprächbei Herrn Range zu weiteren Erkenntnissen geführt hät-te . Auf jeden Fall hätten Sie uns Parlamentariern einennachvollziehbaren und dokumentierten Ablauf vorlegenkönnen, statt uns auf Auszüge aus der Ermittlungsakte inder Geheimschutzstelle zu verweisen .
Warum diese Unterlagen überhaupt in der Geheimschutz-stelle liegen, obwohl sie gar nicht Geheim, sondern nurVS-Vertraulich eingestuft sind, verstehe ich bis heutenicht . Dass die Einschätzungen des Innenministeriumsund des Justizministeriums in diesem Kabinett völligquer zueinanderstehen, ist nun weiß Gott kein Staatsge-heimnis . – So weit zu den aktuellen Vorkommnissen .Jetzt aber will ich die Haushaltsdebatte zur Legisla-turhalbzeit nutzen, um einige grundsätzliche Dinge zubesprechen . Der Justizhaushalt selbst betrifft ja bekannt-lich das kleinste Ressort im Bundeshaushalt, was aberkeinesfalls Rückschlüsse auf die Bedeutung der Justizin unserem Rechtsstaat zulässt . Pro Einwohner kostetuns die gesamte Justiz in Bund und Ländern gerade ein-mal 53 Euro . Im Vergleich dazu kostet uns die militäri-sche Verteidigung 400 Euro pro Person . Aber auch derRechtsfrieden will verteidigt werden . Schließlich stehtund fällt der Frieden im Inneren mit einem funktionie-renden Rechtswesen . Das Preis-Leistungs-Verhältnis istbei uns immer noch besser als in vielen unserer Nachbar-staaten . Das bleibt aber nicht von alleine so . MangelndeWertschätzung oder gar Vernachlässigung sind eine echteGefahr .Das Verfassungsgericht hatte gerade erst das zweifel-hafte Vergnügen, über die rechtsstaatlichen Untergrenzender Richterbesoldung entscheiden zu dürfen . Wie konn-te es eigentlich so weit kommen? Warum liegen jungeRichterinnen und Richter, die eine hochqualifizierte undinternational anerkannte Ausbildung absolviert haben,unter dem deutschen Durchschnittseinkommen?
Wollen wir wirklich, dass künftig gerade die Richterin-nen und Richter Karriere machen, die auf Schnelligkeitund Fallzahlen statt auf Gründlichkeit fixiert sind? Dassdiese Frage nicht einfach durch Bundesgesetzgebung ge-löst werden kann, ist mir schon klar, Herr Kollege . Wirkönnen es aber auch nicht einfach so laufen lassen . Hiergibt es ein übergeordnetes Interesse aller und eine großeAufgabe auch für einen Bundesjustizminister .
Unmittelbar zuständig jetzt wiederum sind Sie für dieBundesrichterwahlen und die Richterwahlausschüsse .Auch hier muss sich einiges ändern . Selbst der weißeRauch bei einer Papstwahl ist transparenter als das der-zeitige Verfahren .Dr . Patrick Sensburg
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Ich bin der Meinung, dass es für Richterinnen undRichter wenigstens die Möglichkeit geben muss, sich fürdie Vorschlagsliste zur Bundesrichterwahl zu bewerben .Die zunehmende Zahl von Konkurrentenklagen bei derBesetzung oberster Bundesgerichte ist eine Belastung füralle Beteiligten .
Wichtig – um nicht zu sagen: existenziell – für einfunktionierendes Rechtswesen ist der Zugang zum Rechtfür alle . Und auch hier droht Gefahr . Wenn die Amtsge-richte in der Fläche verschwinden, wie es jetzt in Meck-lenburg-Vorpommern passiert, ist das offensichtlich .Aber auch die Anwaltschaft bedarf dringend höhererWertschätzung, wenn der Zugang zum Recht für alle er-halten werden soll . Ich rede jetzt ausnahmsweise einmalnicht von den Syndikusanwälten in den Großkanzleien,sondern von den Anwälten vor Ort, die als Mittler undÜbersetzer den Menschen den Zugang zum Recht ge-währen, ob es um Ärger mit dem Chef, dem Vermieteroder in der Familie geht .Der Jahresbruttogewinn der Einzelanwälte beträgt seitüber einem Jahrzehnt unverändert 40 000 Euro . Geradeerst haben alle Post von ihren Kammern bekommen, dasssie sich ein elektronisches Postfach zulegen sollen, weilwir als Gesetzgeber beschlossen haben, ab 2022 nur nochmit der elektronischen Akte zu arbeiten .Ich habe in der Sommerpause mit etlichen Kollegin-nen und Kollegen gesprochen . Sie scheuen keine Müheund Kosten, um die Umstellung der Software sowie dieAufrüstung von Hardware zu bewältigen, auch wenndas – gerade für die Einzelanwälte – teilweise existen-zielle Ausmaße annimmt .Nun stellen sich beim elektronischen Rechtsverkehrnoch andere Fragen als die der Kosten für die Anwalt-schaft . Wir wissen seit Snowden bestens, dass es eine ab-solute Sicherheit für elektronische Daten gar nicht gebenkann . Mit welchem Recht will der Staat den Anwältenverbieten, dem Mandanten einen sicheren und gegebe-nenfalls auch analogen Umgang mit ihren Daten anzu-bieten? Warum soll ich gerade einen sensiblen Schrift-satz nicht persönlich in den Briefkasten des Gerichteseinwerfen dürfen? Bei Atomkraftwerken zum Beispieldurfte noch nie digitale, sondern darf ausschließlich ana-loge Technik verarbeitet werden . Warum sollten wir beisensiblen Mandantendaten diesen Schutz nicht gewährendürfen?
Auch der Gesetzgeber kann neue Erkenntnisse durch-aus dazu nutzen, alte Entscheidungen noch einmal zuüberdenken . Der elektronische Rechtsverkehr sollte imInteresse der Rechtssuchenden eine freiwillige Optionbleiben .Aber zurück zu den Amtsgerichten: Hier wird denBürgerinnen und Bürgern heute auch bei geringenStreitwerten ein ordentliches Verfahren gewährt, das imDurchschnitt weniger als fünf Monate dauert . Mit IhremEntwurf zur Verbraucherschlichtung könnten die Bürgerkünftig an die privaten Schlichtungsstellen verwiesenwerden, und das auch noch per AGB, was nur dann güns-tiger für sie ist, wenn sie sich nicht anwaltlich vertretenlassen . Prozesskostenhilfe ist jedenfalls nicht vorgese-hen .Ein geeigneter Schlichter ohne Befähigung zum Rich-teramt soll dann nach Billigkeit im schriftlichen Verfah-ren entscheiden . Diese Entscheidung wird weder veröf-fentlicht, noch ergeht sie im Namen des Volkes, kann abervom Gerichtsvollzieher vollstreckt werden . Ich frage Sie:Wo bleiben die Vorhersehbarkeit der Entscheidung, dieVerlässlichkeit und die Rechtsfortbildung?Bei der Umsetzung dieser EU-Richtlinie ist beson-deres Augenmaß angesagt, um das Kind nicht mit demBade auszuschütten . Freiwillige Schlichtung ja, aberkeine Paralleljustiz . Was wir brauchen, ist vielmehreine Rechtsstaatsinitiative für Deutschland, damit unserRechtswesen funktionsfähig bleibt .Vielen Dank .
Als Nächster spricht der Kollege Dennis Rohde für die
SPD .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Bundesaußenminister Frank-WalterSteinmeier hat mit seinem Ausspruch, dass die Welt ausden Fugen geraten sei, die, wie ich finde, prägnantesteZusammenfassung der momentanen Situation, der wirgegenüberstehen, gegeben. Ich finde, diese Formulierunglässt uns gleichzeitig erahnen, vor welchen Herausforde-rungen wir heute und in den kommenden Jahren stehenbzw . stehen werden .Natürlich bringt die veränderte globale Lage auch einebesondere Verantwortung für unseren Rechtsstaat mitsich . Es gibt zweifellos neue Herausforderungen, auchim Bereich der inneren Sicherheit, die wir werden meis-tern müssen .So hat zum Beispiel der Generalbundesanwalt alsoberster Staatsanwalt unseres Landes die Aufgabe, ge-waltsamen Extremismus – gleich welcher Couleur – zuverfolgen und so zur Sicherheit der Bürgerinnen undBürger beizutragen . Ich will deshalb zwei Beispiele nen-nen, wie wir auch die Justiz im Lichte dieser Herausfor-derungen im Haushaltsjahr 2016 unterstützen werden:Zunächst ist das Thema Rechtsextremismus zu nen-nen, das natürlich nicht mit dem Prozess gegen dieRechtsterroristen des NSU abgeschlossen ist . Das Jahrhat gezeigt, dass Rassismus und rechte Gewalt am Randeder Gesellschaft fortleben, dass sie auch in einer offenen,Katja Keul
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demokratischen Gesellschaft existieren. Und ich sage:Angriffe auf Flüchtlingsheime, auf Menschen, die zu unskommen, weil sie Schutz und Frieden suchen, und men-schenverachtende Aufmärsche – sie sollten, sie müssenuns alle beschämen .
Vor dem Hintergrund der fortwährenden Herausforde-rung durch Hass und Gewalt gegen Flüchtlinge und sogargegen die Menschen, die sich in der Hilfe engagieren,ist es umso wichtiger, dass die Justiz die notwendigenRessourcen erhält, um mit allen Mitteln des Rechtsstaa-tes konsequent gegen rechtsextreme Gewalt vorgehen zukönnen . Auch deswegen setzen wir die Empfehlungendes NSU-Untersuchungsausschusses weiter und nach-haltig um . Denn wir wissen: Der Generalbundesanwaltnimmt zunehmend eine Rolle als koordinierende Instanzund Schnittstelle zwischen den Ermittlungsbehördenwahr . Die personelle Ausstattung für diesen gewachse-nen Aufgabenbereich muss dieser Rolle entsprechen .
Im Haushaltsentwurf sind deswegen für den GBA auchweitere Stellen zur Bekämpfung von Rechtsextremismusvorgesehen. Ich finde, das ist gerade in Anbetracht derZeichen der Zeit eine immens wichtige Maßnahme .Eine ähnliche Schnittstellenfunktion erfüllt der Gene-ralbundesanwalt beim Thema islamistischer Terrorismus .Hier sehen wir zunehmend die Herausforderung der so-genannten Rückkehrer, also Dschihadisten, die aus denvon der Terrormiliz „Islamischer Staat“ besetzten Ge-bieten in Syrien und im Irak zurück nach Deutschlandkommen .Wir müssen alles daransetzen, dass die Personen, dieTod und Leid über so viele Menschen gebracht haben,hier in Deutschland die gesamte Härte unseres Rechts-staates zu spüren bekommen .
Genau daran arbeitet der Generalbundesanwalt . Mittler-weile sind dort über 300 Prüfvorgänge anhängig . Darumkorrigieren wir auch hier den Stellenplan für eine ange-messene Amtsausstattung .Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn dieFlüchtlingssituation mit ihren unfassbaren Bildern mo-mentan die gesellschaftliche und politische Debatte be-herrscht, möchte ich noch weitere Schwerpunkte ausdem Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und fürVerbraucherschutz ansprechen .So schreibt der Regierungsentwurf zum Haushalt2016 das fort, was wir mit dem Haushalt 2015 begonnenhaben, nämlich eine massive Stärkung des Deutschen Pa-tent- und Markenamtes als Investition in Innovation undFortschritt .Mit Verabschiedung dieses Bundeshaushalts werdenwir seit Regierungsübernahme Stellen für weit über 100neue Patentprüferinnen und Patentprüfer ausgebracht ha-ben . Weitere Stellen werden nicht – wie eigentlich vorge-sehen – wegfallen, sondern zur Abarbeitung des uns allenbekannten Antragsstaus verwandt werden . Die personel-le Entwicklung beim DPMA ist mit Sicherheit eine derpositivsten seit vielen Jahren . Lange wurde nicht mehr soviel für dieses Amt getan .
Die Große Koalition stärkt das Patent- und Marken-wesen . Sie stärkt damit die deutsche Wirtschaft, indemsie denen, die erfinden und Ideen haben, die benötigteRechtssicherheit gibt, um aus einem Patent auch wirt-schaftlichen Erfolg werden zu lassen .
Ich sage Ihnen – das klang vorhin schon an –: Das istauch gut für unseren Bundeshaushalt . Ein Einnahmeplusvon 20 Millionen Euro beim DPMA im Vergleich zu2014 sorgt mit dafür, dass der Haushalt des Justizmi-nisteriums auch zukünftig eine hervorragende ressort-führende Deckungsquote haben wird; denn verantwor-tungsvolle Haushaltspolitik bedeutet eben nicht nur, deneffizientesten Einsatz von Finanzen zu fördern und Ein-sparmöglichkeiten durchzusetzen . VerantwortungsvolleHaushaltspolitik bedeutet eben auch, einmal genau nach-zusehen, wo die Einnahmeseite sinnvoll und nachhaltigverstärkt werden kann .
Abschließend ein paar Worte zum Thema Verbrau-cherschutz; meine Kollegin Elvira Drobinski-Weiß wirdgleich noch genauer auf das Thema eingehen . Wir wis-sen, dass die heutigen Märkte oft komplex oder sogarunübersichtlich sind, dass viele der alten Gewissheitenim Konsumverhalten heute nicht mehr gelten . Wir set-zen konsequent und mit Nachdruck auf Transparenz undInformation der Verbraucherinnen und Verbraucher, da-mit jeder auf den Märkten nicht nur die beste Kaffeema-schine, sondern auch die für ihn passende Altersvorsorgeoder das richtige Bankkonto finden kann. Ich freue michdaher, dass wir den guten Weg der letzten Jahre fortset-zen . Der Ansatz für den Verbraucherschutz beläuft sichauf 35,8 Millionen Euro . Das sind 4,7 Millionen Euromehr als 2015 und 11,6 Millionen Euro mehr als 2014 .Ich finde, dass das sinnvolle Aufwüchse sind. Sie zeigen,dass wir es ernst meinen mit der Information und demSchutz der Verbraucherinnen und Verbraucher .
In den kommenden Haushaltsverhandlungen werdensicherlich die Herausforderungen und die Chancen desmomentanen Flüchtlingsstroms im Mittelpunkt – auchder medialen Wahrnehmung – stehen . Wir als für denEinzelplan des Bundesministers der Justiz und für Ver-braucherschutz zuständige Haushälter werden sicherstel-len, dass die rechts- und verbraucherpolitischen Themenam Ende nicht herunterfallen werden .Vielen Dank .
Dennis Rohde
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Der Kollege Harald Petzold, Die Linke, spricht als
Nächster .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister, für die lin-ke Opposition bleibt es dabei: Der Einzelplan des Bun-desministeriums der Justiz und für Verbraucherschutzwird den Anforderungen, vor denen wir aktuell in derJustiz- und Verbraucherpolitik stehen, nicht gerecht .
Zuspitzend möchte ich sagen: Zum Leben zu wenig, zumSterben zu viel . Ich werde Ihnen das an zwei Beispielenerläutern . Daran ändern auch zahlenakrobatische Spielevom Kollegen Dr . Sensburg nichts, der uns in atemberau-bender Logik vorgerechnet hat – eigentlich hätte er dasin Zahlen viel kürzer sagen können –, um wie viel derHaushalt angewachsen ist .
Natürlich haben wir das nicht übersehen . Aber ich willIhnen anhand meiner Beispiele deutlich machen, dass esin zentralen Punkten dieses Haushalts keine herausforde-rungsgerechte Ausfinanzierung gibt.Ich beginne mit der Nationalen Stelle zur Verhütungvon Folter in Wiesbaden, die Deutschland auf der Basisdes Zusatzprotokolls zum Übereinkommen der VereintenNationen gegen Folter und andere grausame, unmensch-liche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe errich-tet hat . Folter ist ein Grund, warum Menschen aus vielenLändern nach Deutschland flüchten. Deswegen ist es gut,dass wir die Nationale Stelle haben . Es handelt sich umeine unabhängige nationale Einrichtung zur Präventionvon Folter und Misshandlung . Sie erfüllt sehr wichtigeAufgaben und soll regelmäßig Orte des Freiheitsentzugsaufsuchen, um dort zu überprüfen, inwieweit Menschen-rechte eingehalten werden bzw . erniedrigende Behand-lung von Menschen stattfindet. Sie soll auf Missständeaufmerksam machen, Verbesserungsvorschläge unter-breiten und darüber unter anderem hier im DeutschenBundestag berichten . Diese Stelle müsste eigentlich un-angemeldet die entsprechenden Einrichtungen besuchen .Aber das kann sie aufgrund der personellen Ausstattungleider nicht tun .An dieser Stelle sage ich: Für uns ist es nicht hin-nehmbar, dass diese Nationale Stelle in finanzieller Hin-sicht nicht aufgabengerecht ausgestattet wird . Sie habensich im vergangenen Jahr, Herr Bundesminister, feiernlassen, als Sie uns erklärten, dass der Bundesanteil auf180 000 Euro aufgestockt werden soll . Sie legen uns nunerneut einen Haushalt vor, der diese Aufstockung nichtnachvollzieht . Das ermöglicht den Ländern die Ausrede,ihren Anteil nicht aufzustocken . Dabei ist gesetzlich vor-geschrieben, wie die Aufstockung zu erfolgen hat .Somit ist die Nationale Stelle zur Verhütung von Foltermit Sitz in Wiesbaden eben nicht ausreichend ausgestat-tet, und das ist für die Linke nicht akzeptabel . Wir wer-den beantragen, das zu ändern . Deutschland kritisierenim Übrigen auch die Vereinten Nationen, die in ihrer letz-ten Überprüfung auf diese finanzielle Ausstattung hinge-wiesen haben .Der zweite Punkt, auf den ich aufmerksam machenmöchte, ist der Umgang mit Stiftungen . Es gibt in Bonndie Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zu-sammenarbeit, IRZ. Es ist gut, dass es diese Stiftung gibt;denn diese Stiftung berät unter anderem osteuropäischeund südosteuropäische Länder in Sachen Demokratieund in Sachen Marktwirtschaft . Ich sage, auch dabei gehtes darum, dass Menschen auf der Flucht nach Deutsch-land sind, und deswegen brauchen wir diese Beratung .Insofern ist es gut, dass diese Stiftung von der Bundes-regierung mit Beträgen in Millionenhöhe gefördert wirdund dass es im nächsten Jahr sogar eine Aufstockung derFinanzen dieser Stiftung auf 5,5 Millionen Euro gebenwird .Im Gegensatz dazu steht zum Beispiel die Arbeit derBundesstiftung Magnus Hirschfeld . Diese Stiftung ist2011 gegründet worden und finanziert sich lediglich ausden Erlösen des Stiftungskapitals . Die Zinsen sind imMoment so niedrig, dass die Erlöse, die die Stiftung er-zielt, nicht einmal ansatzweise ausreichen, um die vielenAufgaben, die die Stiftung erfüllt, finanzieren zu können.Es ist wichtig und sehr gut, dass wir diese Stiftung ha-ben; denn nichtheterosexuelle Orientierung, nichthetero-sexuelle Identität stehen in Ländern wie Afghanistan, Irakoder Syrien entweder unter Strafe oder unter erheblichergesellschaftlicher Ächtung und sind daher Fluchtgründe .Deswegen ist es gut, dass wir eine Stiftung haben, diesich um die Schaffung von Akzeptanz von Menschen miteiner nichtheterosexuellen Orientierung kümmert.Die Projekte, die diese Stiftung umsetzt, sind unteranderem das Archiv der anderen Erinnerungen, wo dasUnrecht durch Verurteilung nach § 175 StGB aufgear-beitet werden soll, zahlreiche Projekte zur Akzeptanz ge-schlechtlicher und sexueller Diversität sowie die aktiveBekämpfung von Homophobie, beispielsweise im Sport .Das Projekt „Fußball für Vielfalt“ will ich hier nennen .Bekannter Botschafter dieses Projekts ist etwa der ehe-malige Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger .Hinzu kommen Hirschfeld-Tage und umfangreiche Pu-blikationen, durch die Bildungs- und Aufklärungsarbeitgeleistet wird . Diese Liste ließe sich fortsetzen .Die Arbeit dieser Stiftung wird lediglich mit einemGeschäftsführer und gegenwärtig drei halben Referen-ten- bzw . Sachbearbeiterstellen geleistet . Der Rest istEhrenamt. Ich finde, das ist eine Ungleichbehandlung,die wir nicht akzeptieren können .
Ich sage deutlich: Ich neide der IRZ überhaupt nicht dieihr zur Verfügung stehen Millionen, im Gegenteil . MeineFraktionskollegin Frau Dr . Lötzsch, die im Kuratoriumder IRZ sitzt, würde mir den Kopf abreißen, wenn ich andieser Stelle etwas anderes sagen würde . Aber ich ver-
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lange eine Gleichbehandlung dieser Stiftung und damitentweder eine erhebliche Erhöhung des Stiftungskapitalsfür die Magnus-Hirschfeld-Stiftung oder eine auskömm-liche institutionelle Förderung .Erlauben Sie mir, dass ich abschließend dem Ge-schäftsführer der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld,Herrn Litwinschuh, und seinen Mitarbeiterinnen undMitarbeitern sehr herzlich für diese umfangreiche Arbeitfür so wenig Geld danke . Ich denke, auch das ist einmaleinen Beifall dieses Hauses wert .
– Da kann sogar die Union klatschen . – Denn im Kura-torium dieser Stiftung sitzen sehr aktive und engagierteMitarbeiter .Last, but not least: Zum Leben zu wenig, zum Ster-ben zu viel . Der Einzelplan 07 wird aus unserer Sicht denAnforderungen nicht gerecht . Die Linke wird in den Aus-schüssen entsprechende Änderungsanträge unterbreiten .Vielen Dank .
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Mechthild
Heil .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Gute Politik muss nicht immer viel kosten .Mit rund 736 Millionen Euro hat das Bundesministeriumder Justiz und für Verbraucherschutz den kleinsten Etataller Ministerien. Ich sage „klein, aber fein“; denn guteVerbraucherpolitik hängt nicht immer von einem großenBudget ab . Sie hängt ab von einer guten Gesetzgebung –klar, gute Gesetzgebung; das hilft immer –; aber wir ha-ben auch andere Mittel, um die Position der Verbraucherin Deutschland zu stärken . Das tun wir im Verbund mitvielen Initiativen aus der Zivilgesellschaft, von Verbän-den und der Wirtschaft . Gemeinsam kommen wir da eingutes Stück voran . Deswegen an dieser Stelle ihnen al-len, die sie dabei helfen, einmal ein herzliches Danke-schön für ihre Arbeit und die wichtigen Beiträge, die sieuns im Bereich der Verbraucherpolitik liefern .
Aber: Schuster, bleib bei deinem Leisten . – Wie siehtes mit unseren Aufgaben aus? Als Gesetzgeber haben wirdie Weichen für mehr Verbraucherschutz gestellt . Wirhaben die Marktwächter eingeführt, digitalen und finan-ziellen Verbraucherschutz damit auf den Weg gebracht .Das haben wir im Koalitionsvertrag so festgeschrieben,und so haben wir das auch umgesetzt . Heute stehen imHaushaltsplan dafür immerhin 10 Millionen Euro zurVerfügung . Und: Das Kleinanlegerschutzgesetz habenwir schon verabschiedet . Praktiken, wie sie Prokon inder Öffentlichkeit betrieben hat, wollen wir nicht mehrsehen . Auf manchen Märkten müssen Verbraucher haltmehr geschützt werden als auf anderen Märkten .Die Umsetzung der ADR-Richtlinie – das Schlich-tungsverfahren in Verbraucherangelegenheiten – stehtnoch vor uns . Mit der außergerichtlichen Streit-schlichtung wollen wir aufwendige Rechtsstreitigkeitenzwischen Unternehmen und Verbrauchern vermeiden .Gerichte werden entlastet, und Kunden kommen unbü-rokratisch und kostengünstig zu ihrem Recht . Der Auf-bau und der Betrieb der Schlichtungsstellen ist Sache derLänder . Inwieweit der Bund an dieser Stelle koordinie-rend eingreifen sollte, werden wir im weiteren Verfahrenzu diskutieren haben . Mir liegt daran, im Sinne der Ver-braucher bundesweit einheitliche Strukturen zu schaffenund die Schlichtungsstellen so schnell wie möglich undauch so flächendeckend, wie es irgend geht, ans Arbeitenzu bringen .Welche Themen sind derzeit für Verbraucher interes-sant? Ich möchte Ihnen vier Themen nennen, die aktuellauch auf meiner Agenda stehen:Da wäre zunächst einmal die Tachomanipulation zunennen, die Tachomanipulation auf dem Gebrauchtwa-genmarkt . Nach Schätzungen vom ADAC ist jeder dritteTacho manipuliert . Der dadurch entstandene Schaden be-läuft sich jährlich auf rund 8 Milliarden Euro – 8 Milliar-den Euro, die die Kunden zu viel bezahlen .Was können wir dagegen unternehmen? Wie könnenwir die Verbraucher vor dieser offenbar weitverbreitetenPraxis besser schützen? Ich habe dazu die verschiedenenAkteure – Hersteller, Werkstätten, TÜV, Dekra und vieleandere mehr – zu einem runden Tisch eingeladen, undgemeinsam haben wir darüber diskutiert und auch Maß-nahmen erarbeitet .An erster Stelle zu nennen sind härtere Strafen für dieManipulierer, aber auch eine Verpflichtung der Herstel-ler, sichere Chips einzubauen . Die Hersteller könntendas, aber seit Jahren und Jahrzehnten tun sie es nicht .Das wichtigste Instrument: die Einführung einer Da-tenbank für die Laufleistung der Autos auf freiwilligerBasis . In Ländern wie Belgien oder den USA hat sichdie Zahl der Missbrauchsfälle dadurch deutlich reduziert .Wie soll das genau funktionieren? Sobald man in eineWerkstatt fährt, zum TÜV, zur ASU, die Reifen wechselnlässt, eine Scheibe reparieren lässt, abgeschleppt wird,eine Panne hat, sich bei der Versicherung meldet oderwas auch immer mit seinem Auto macht: Der Kilometer-stand wird erfasst, und es wird freiwillig der Lebenslaufdes Wagens gespeichert . Wenn der Wagen dann verkauftwerden soll, hat man eine lückenlose Dokumentation .Eine Manipulation am Kilometerzähler wird deutlich er-schwert .Die CDU/CSU-Arbeitsgruppe Verkehr erarbeitet des-halb aktuell einen Gesetzentwurf oder eine Gesetzesän-derung . Da kann ich als verbraucherpolitische Sprecherinnur sagen: Das ist eine klasse Zusammenarbeit mit denKollegen . Vielen Dank dafür! Es ist auch wirklich einegute Verbraucherpolitik, die wir da machen . Sie hilft denVerbrauchern direkt . Sie hilft den redlichen Händlern,Harald Petzold
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sorgt für einen fairen Wettbewerb und verhindert natür-lich auch Schäden an der Volkswirtschaft .
Ich bin deswegen auch wirklich zuversichtlich, dass soden Käufern von Gebrauchtwagen oder Nutzern vonLeasingfahrzeugen – in dem Bereich ist das auch ein gro-ßes Problem – konkret geholfen werden kann .Ein weiteres Thema, das mich umtreibt, möchte ichgern ansprechen: die mangelnde Augenhöhe zwischenAnbietern und Kunden im Finanzmarkt . Wir haben inden letzten Jahren viele Maßnahmen ergriffen, um fürdie Verbraucher Licht ins Dunkel der Finanzanlagen zubringen . Wir haben Informations- und Dokumentations-pflichten für Unternehmen eingeführt. Wir haben überderen Haftung gesprochen . Das ging hin bis zur Einfüh-rung des Finanzmarktwächters oder des Kleinanleger-schutzgesetzes .Ich möchte auf diesem Weg weitergehen, aber an eineranderen Stelle ansetzen, nämlich einen Schritt vorher,beim Verbraucher selbst . Die Altersvorsorge und siche-re Geldanlagen sind von zentraler Bedeutung für jedenVerbraucher . Damit jeder Verbraucher entscheiden kann,was für ihn eine gute und sinnvolle Geldanlage oder Al-tersvorsorge ist, benötigt er gute und strukturierte Infor-mationen .Aber er muss auch mit den Informationen umgehenkönnen, er muss sie verstehen und bewerten können .Verbraucherfinanzbildung – so möchte ich es einmalnennen – wird in den kommenden Jahren ein wichtigesThema sein . Es gibt bereits viele Initiativen: von Finan-zinstituten über Präventionsnetzwerke bis zu Schuldner-hilfen, die die Kompetenz der Verbraucher, insbesondereder jungen Verbraucher, stärken sollen und wollen . Dasfinde ich toll. Aber wer findet sich bei diesen ganzen Ini-tiativen noch zurecht? Ich möchte deshalb – dafür werbeich an dieser Stelle – eine zentrale Anlaufstelle im Inter-net schaffen, auf der man auf einen Blick die für seineAltersgruppe oder Lebensphase relevanten und vorhan-denen Angebote finden kann. Das Ganze könnte FiWiKoheißen: Bundesnetzwerk Finanz- und Wirtschaftskompe-tenz . Wer könnte ein solches Portal betreiben? Ich denke,die Stiftung Warentest, Finanztest, wäre hierfür ein guterOrt, und ich finde, die Haushaltsberatungen sind einegute Stelle, darüber zu diskutieren und nachzudenken .Die Idee hat auch Einzug in ein Papier der CDU, indas Papier der Kommission für Nachhaltigkeit, gefun-den . Unter der Leitung von Julia Klöckner wurde es er-arbeitet und soll im Dezember auf dem Bundesparteitagverabschiedet werden . Ich hoffe, dass es so beschlossenwird .
Ich möchte Ihnen einen dritten Bereich in der Verbrau-cherpolitik nennen, der mir wichtig ist . Er gehört zwarnicht direkt zum Einzelplan 07, ist aber Kern der Ver-braucherpolitik . Das ist die Ernährungspolitik . Ich hattevorhin gesagt, dass sich gute Politik nicht an der Höheder Haushaltsmittel bemessen lässt . Gute Politik bestehtauch nicht nur darin, Gesetze zu machen . Ich stimmedeshalb Bundesernährungsminister Christian Schmidtzu, wenn er sagt, er wolle den Teller nicht mit Gesetzenvollpacken .
Wir können unsere ernährungs- und gesundheitspoli-tischen Herausforderungen nicht nur mit Gesetzen undVerboten lösen . Werbeverbote, sei es für Kindernahrungoder für Genussmittel, sind für mich eindeutig der falscheWeg . Stattdessen wollen wir die Ernährungskompetenzstärken . Bundesminister Schmidt hat angekündigt, seineBildungsinitiative im Bereich Ernährung für Kinder undJugendliche auszubauen . Nur so können wir sie zu einemgesunden Lebensstil motivieren .
Als vierten und letzten Bereich möchte ich den BereichDigitalisierung ansprechen . Die Digitalisierung schreitetvoran . Wir sehen einen Trend weg vom Eigentum hin zurNutzung . Es wird verliehen, geteilt und wieder verkauft .Der Bereich der Share Economy wächst . Das Internetmacht das Zusammentreffen von Anbietern und Nach-fragern so leicht wie nie zuvor . So sind Carsharing oderUnterkunftsbörsen Modelle, die bereits heute von vielenMenschen genutzt werden . Das bringt viele Vorteile mitsich . So habe ich heute mehr Wahlmöglichkeiten, um vonA nach B zu kommen . Aber es birgt auch Risiken . Uberund Co . stellen uns vor neue Fragen: Ist der Nachweisvon Ortskenntnis notwendig, wenn ich ein Navigations-gerät habe? Wie muss der Sachkundenachweis gestaltetwerden? Wie sind die Insassen im Schadensfall abgesi-chert? Wem gehören die erfassten Daten, und wie wer-den sie genutzt? Ganz neue Fragen stellen sich auch beiden Unterkunftsbörsen, die sich neben den traditionellenHotels und Jugendherbergen etabliert haben: Ab wannhandelt es sich um eine gewerbliche Nutzung? Wie siehtes im Schadensfall mit der Versicherung aus? – Uns alsCDU/CSU-Fraktion sind diese Fragen wichtig . Sie müs-sen immer im Ausgleich der Interessen von Verbrauchernund Wirtschaft gelöst werden .Meine sehr verehrten Damen und Herren, an den vonmir genannten vier Beispielen können Sie sehen: DieBereiche, die Verbraucherpolitik im 21 . Jahrhundert um-fasst, sind sehr vielfältig . Es gibt Themen, an die wir voreinigen Jahren überhaupt noch nicht gedacht haben . Sobefindet sich unsere Verbraucherpolitik in einem stetigenWandel, bei dem wir immer abwägen müssen, wo Regu-lierung sinnvoll und notwendig ist und wo die Freiheits-rechte des Einzelnen zu stark beschränkt werden . Dasgilt im Finanzmarkt genauso wie im Ernährungsbereich .Gute Verbraucherpolitik ist mehr als nur Verordnung,Gesetz und Haushaltsmittel . Es gibt verschiedene Mög-lichkeiten, die Verbraucher und ihre Rechte zu stärken .Wir nutzen all diese Möglichkeiten . Wir nutzen sie er-folgreich . So sieht nachhaltige Verbraucherpolitik aus .Vielen Dank .
Mechthild Heil
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Maisch für
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! HerrMinister! Frau Heil, ich finde es schon eigenartig, dassoffensichtlich selbst die Union glaubt, dass Herr Maas alsVerbraucherschutzminister nun auch Ernährungsthemenbehandeln muss. Ich finde, das soll man ihm nicht auchnoch aufbürden . Da könnte Herr Schmidt doch auch ein-mal selbst aktiv werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ansonsten habenSie sich kräftig auf die eigene Schulter geklopft . Zuletzthat dies der Kollege Rohde getan, als er die Erhöhungder Mittel für die Information der Verbraucherinnenund Verbraucher um 4 Millionen Euro gelobt hat . Manmuss sagen, eine Erhöhung klingt zunächst einmal nichtschlecht . Wenn man sich dann aber einmal genau an-schaut, was Sie alles in diesen armen kleinen Haushalts-titel gequetscht haben, dann sieht das doch gleich vielweniger üppig aus .
10 Millionen Euro von diesen 16 Millionen Euro sindallein für die Marktwächter Finanzen und Digitales ver-anschlagt . Wir müssen sagen: Das sind gut investierte10 Millionen Euro . Die Grünen haben diese Idee schonseit Jahren . 2008, als die SPD konzeptionell noch am„Münte-TÜV“ festgehalten hat, haben wir schon denMarktwächter gefordert . Nun wird er eingeführt . Das istgut, aber das kann es nicht gewesen sein beim ThemaVerbraucherinformation .
Schauen wir uns einmal an, wie viel für alle anderenProjekte zur Verbraucherinformation und -aufklärungübrig ist – für Gesundheit, für nachhaltigen Konsum,für Telekommunikation außerhalb des Internets –, dannstellen wir fest, dass das nur noch 6,8 Millionen Eurosind . Das ist wirklich zu wenig, liebe Kolleginnen undKollegen .
Als wir noch gemeinsam in der Opposition saßen, wares immer unsere gemeinsame Position, dass die Markt-wächter als zusätzliche Struktur anzusehen sind . Wirfinden, diese Zusätzlichkeit, dieses zusätzliche Angebotan die Verbraucherinnen und Verbraucher muss sich auchim Haushalt widerspiegeln .
Da wir gerade bei den Marktwächtern sind: Ich finde,wenn man eine so gute Idee hat und diese dann auch inden Koalitionsvertrag hineinboxt, dann muss man diesegute Idee auch richtig umsetzen . Was den Haushalt an-geht, bedeutet das, dass wir kein befristetes Projekt, son-dern eine institutionelle Förderung brauchen .Die Befristung, die von Ihnen immer wieder so ange-legt wird, zeigt doch, dass die Union nur darauf wartet,die Marktwächter wieder loszuwerden . Sie wollten sienie . Ich glaube, der Hintergedanke ist, dass man diesemöglichst schnell wieder loswerden will .Verlässliche Mittel sind aber leider nicht das einzige,was den Marktwächtern in der schwarz-roten Versionnoch fehlt . Wir brauchen dringend ein institutionellesBindeglied zwischen der Finanzaufsicht und den Markt-wächtern . Wir wissen, in einem Rechtsstaat kann derWachhund nur bellen . Beißen muss die Aufsicht . Es fehltjedoch an einer institutionellen Verzahnung . Hier solltenSie nacharbeiten, damit die 10 Millionen Euro auch wirk-lich wirksam werden .
Wir haben mit dem Kleinanlegerschutzgesetz mit Ih-rer Mehrheit ein neues Aufsichtsziel bei der BaFin etab-liert . Das haben wir immer unterstützt . Das müssen Siejetzt aber auch strukturell mit Leben füllen . Das darfnicht irgendwie als Querschnittsaufgabe miterledigt wer-den, sondern es bedarf angemessener Ressourcen undhochrangigen Personals in der Behörde, damit das nichtnur auf dem Papier steht, sondern auch in der Behörden-wirklichkeit gelebt wird .
Die Kollegin Heil hat mit ihren interessanten Ausfüh-rungen zum Thema „manipulierte Tachos“ ein gesell-schaftliches Großthema angesprochen . Ich möchte daherauch noch erwähnen, was wir als verbraucherpolitischeGroßthemen ansehen, bei denen wir finden, dass Sie dazubisher nicht viel vorzuweisen haben .
Sie haben etwas zum Thema Finanzmarkt unternom-men . Das sehen wir auch . Man kann sich vielleicht nochdarüber streiten, wie man es besser machen kann . Es gibtaber drei Themen, die Sie bisher gar nicht beackert ha-ben .Dies betrifft zunächst den nachhaltigen Konsum . Da-bei ist seit vielen Jahren, eigentlich seitdem Renate auf-grund blöder Mehrheiten leider etwas anderes machenmuss, wirklich nichts mehr passiert .
Wo sind denn Ihre Ansätze zur Eindämmung der Sie-gelflut? Was haben Sie denn zum Thema „geplante Ob-soleszenz“ zu sagen?
– Offensichtlich regt Sie das furchtbar auf . Sie könntenaber auch einmal antworten . Was haben Sie denn zumThema „geplante Obsoleszenz“ zu sagen?
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– Das habe ich auch nicht gemacht . Stellen Sie doch eineZwischenfrage und pöbeln Sie nicht . Das wäre doch einangemessener Umgang .
Wie schätzen Sie denn das Potenzial grüner Geldan-lagen für die Transformation unserer Wirtschaft ein? Wosind Ihre Antworten darauf? Dazu haben wir seit vielenJahren keine Antwort von Ihnen gehört .
Wir finden, wenn Sie sich mit dem Thema Verhaltens-ökonomie befassen, müssen Sie auch die Frage beant-worten, was diese für nachhaltige Konsummuster leistenkönnen muss . Die Umwelt ist eine große Leerstelle in dersozialdemokratischen Politik in dieser Legislaturperiode .Das gilt leider nicht nur für das Verbraucherschutzminis-terium, sondern auch für andere Ressorts .
Ein weiterer Punkt, den ich wichtig finde und den einVerbraucherschutz- und Justizminister meines Erachtensbearbeiten müsste, bezieht sich auf Big Data . Natürlichist es schwer, wenn man gerade die Vorratsdatenspei-cherung und damit quasi staatliches Schnüffeln etablierthat, sich dann Gedanken zu machen, wie man die Bürgerdavor schützen kann, seitens der Privatwirtschaft ausge-schnüffelt zu werden . Trotzdem erwarte ich von diesemMinister, dass er sich Gedanken macht und dass er Vor-schläge macht, wie wir mit dieser allumfassenden Da-tensammlung über unser persönliches Leben umgehen .Das fängt ja an bei den smarten kleinen Armbändern,die Herzschlag, Bewegung, Kalorienverbrauch und allesMögliche messen . Was passiert mit diesen Daten?
Welche Versicherungskonzerne interessieren sich dafür?Wer hat Interesse an diesen Daten? Sie glauben dochselbst nicht, dass die einfach auf Jahre hin ungenutzt beiden Konzernen liegen . Wenn Sie das doch glauben, zeigtdas, dass in diesem Bereich bei der Union offensichtlicheine Leerstelle an Diskurs besteht .
Ein Punkt, bei dem Frau Heil und ich uns vielleichtsogar einig sind, ist, dass, wie wir beide finden, die neueRolle der Verbraucherinnen und Verbraucher in der Sha-ring Economy diskutiert werden muss . Wenn Sie abersagen: „Das ist uns sehr wichtig . Wir haben uns darüberGedanken gemacht“, dann frage ich mich schon, warumwir diese ganzen guten Gedanken nicht kennen . Die Le-gislatur läuft nicht erst seit gestern, und so könnte manallmählich einmal damit anfangen, konkrete Projekte zudiskutieren .
Es gibt das Kleinanlegerschutzgesetz . Da hat man einenersten Schritt getan und sich überlegt, was man beimThema Crowdfunding regulieren kann . Man könnte daganz konkret in die politische Debatte einsteigen . AußerÜberschriften habe ich aber von Ihnen nichts gehört . Da-bei sind Sie ja auch nicht erst seit gestern verbraucherpo-litische Sprecherin .All das ist, wie wir finden, ein bisschen dürftig. Beiden Zukunftsthemen, bei den wirklich großen Debatten –Big Data, Sharing Economy, nachhaltiger Konsum –,da sind Sie blank ohne Ende, und das finde ich ziemlichtraurig .
Vielleicht ein letzter Wunsch: Das mit den Tachos fin-de ich super, aber Big Data, Sharing Economy, nachhalti-ger Konsum fänden wir noch ein bisschen wichtiger .
Vielen Dank .
Nächster Redner ist der Kollege Dr . Johannes Fechner
für die SPD .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ZurHalbzeit der Legislaturperiode können wir festhalten,dass die Große Koalition in der Rechtspolitik enorm vielgeleistet hat, viele wichtige Gesetze beschlossen hat, dievon den Bürgerinnen und Bürgern angenommen werdenund die ihnen unmittelbare Vorteile bringen .
Ein erstes Beispiel ist die Änderung des Maklerrech-tes . Nun hat der Besteller den Makler zu bezahlen .
Mit der Mietpreisbremse bewahren wir die Mieterinnenund Mieter vor explodierenden Mieten. Wir haben mitder Frauenquote ein wichtiges Stück Gleichberechtigungin der Privatwirtschaft geschaffen,Nicole Maisch
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und im Strafrecht haben wir Strafbarkeitslücken ge-schlossen, um Kinder und Jugendliche besser vor Miss-brauch zu schützen .Zur Halbzeit der Legislaturperiode ist also festzuhal-ten: Wir haben in diesen beiden Jahren viel erreicht fürdie Bürgerinnen und Bürger . Mein Dank geht an unserenäußerst aktiven Justizminister
und an alle, die intensiv an diesen Gesetzgebungsprozes-sen mitgewirkt haben . Es waren zwei gute und erfolgrei-che Jahre für die Rechtspolitik,
und wir haben weiterhin viel vor .Ich will aber nicht verschweigen, dass die SPD-Frakti-on in einigen Bereichen auch gerne mehr getan hätte . Wirhätten gerne die Ehe für alle eingeführt,
wir hätten gerne die Mietpreisbremse umfangreicher ge-staltet, und wir hätten im Verbraucherschutz gerne einengesetzlichen Deckel für die teilweise astronomisch ge-stiegenen Dispozinsen geschaffen .
Aber diese Regelungen hier sind sinnvoll und wichtig .Deswegen werden wir bei diesen Themen weiter am Ballbleiben .
Wir haben auch in der zweiten Halbzeit dieser Legis-laturperiode noch viel vor . Wir wollen mit den Kollegenvom Sport ein Anti-Doping-Gesetz verabschieden, mitdem wir den Betrug im Sport endlich auch in Deutsch-land effektiv bekämpfen können . Wir wollen noch mehrfür Mieterinnen und Mieter tun, indem wir die Berech-nung der Mietspiegel auf eine breitere Basis stellen . Undwir wollen die kleinen und mittleren Handwerksbetriebeentlasten und ihnen helfen bzw . sie unterstützen, indemwir den sogenannten Handwerkerregress regeln, damitHandwerker, wenn sie mangelhaftes Material einbauen,nicht auf den hohen Schäden sitzen bleiben, die sie nichtverursacht haben .
Handeln müssen wir auch, wenn es darum geht, Men-schen zu schützen, die in einer wehrlosen Lage sind, dieausgebeutet werden . Wenn bei uns in Deutschland Men-schen ausgebeutet werden, etwa durch Zwangsprostituti-on, dann müssen wir handeln . Ich hoffe, dass wir schonbald eine sinnvolle strafrechtliche Regelung für dieseFälle beschließen, und zwar für alle Fälle unmenschlicherAusbeutung: Menschenhandel, Zwangsprostitution undAusbeutung jeglicher Art darf es in Deutschland nichtgeben . Jeder, der dies tut, muss hart bestraft werden . Wirschaffen dafür die strafrechtlichen Voraussetzungen .
Allerdings helfen bekanntlich die besten Gesetzenichts, wenn wir zu wenig Personal zu ihrer Umsetzunghaben . Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass auf un-seren Vorschlag hin 3 000 Stellen bei der Bundespolizeiund weitere 1 000 Stellen beim Bundesamt für Migrationund Flüchtlinge geschaffen werden .
Angesichts der zunehmenden Ermittlungsverfahren imBereich des islamistischen Terrorismus – Kollege Rohdehat schon darauf hingewiesen – ist auch wichtig, dass imHaushalt neue Stellen für den Generalbundesanwalt be-willigt wurden .Und wir stärken den Verbraucherschutz durch 15 Stel-len bei der Verbraucherzentrale . Zudem stärken wir denInnovationsstandort Deutschland, indem wir 56 neueStellen beim Deutschen Patent- und Markenamt schaf-fen . Das alles zeigt, dass wir bei diesen Behörden fürmehr Personal sorgen, damit diese ihre wichtigen Aufga-ben effektiv wahrnehmen können .Nicht ausreichend ist aus meiner Sicht die Personal-ausstattung beim Bundesgerichtshof, und zwar einerseitsbei den Zivilsenaten aufgrund einer deutlichen Erhöhungder Anzahl der Verfahren durch die ZPO-Reform undandererseits bei den Ermittlungsrichtern, weil die Ein-gangszahlen bei Verfahren im Bereich des islamistischenTerrorismus deutlich angestiegen sind . Hier besteht inden Haushaltsberatungen Handlungsbedarf .Zum Schluss: Zu Recht steht im Mittelpunkt der po-litischen Diskussion derzeit die große Zahl an Flüchtlin-gen . Ein ausdrückliches Lob an den Justizminister, der indieser Frage immer klar und deutlich Stellung bezogenhat gegen Fremdenfeindlichkeit . Ich fand, das war vor-bildlich . Vielen Dank hierfür .
Leider kam und kommt es in Deutschland zu häufigzu fremdenfeindlichen Aktionen gegen Flüchtlinge . Ichglaube, es war richtig, dass wir eine härtere Bestrafungdieser Hasskriminalität ermöglicht haben durch einenneuen Strafzumessungsgrund, damit Rassisten stärkerbestraft werden können, wenn sie Flüchtlinge angreifen,Unterkünfte in Brand stecken oder in diesem unsägli-chen Umfang, wie wir ihn leider in Onlineforen erleben,menschenverachtende Hetze verbreiten . Das können wirnicht dulden, und es war richtig, hier das Strafgesetzbuchzu verschärfen und entsprechend abzuändern .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Dr . Johannes Fechner
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Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr . Volker
Ullrich .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren!
Die Debatte um die Rechtspolitik steht im Mittelpunktder Diskussion um den Einzelplan 07, und sie ist auchstets eine Standortbestimmung in der Frage: Welche De-fizite haben wir in der Rechtsetzung, und wo muss derwertgebundene und wehrhafte Rechtsstaat nachsteuern,um ein wesentliches Ordnungsmerkmal unserer freiheit-lich-demokratischen Grundordnung zu bewahren, näm-lich Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten? Dazu gehört,dass wir in der nächsten Sitzungswoche bereits den Ge-setzentwurf über die Speicherung von Verbindungsdatenverabschieden .
Wir haben stets darauf hingewiesen, dass zur Aufklä-rung schwerer und schwerster Straftaten der wehrhafteRechtsstaat Ermittlungsansätze nutzen muss, die sich inder digitalen Sphäre befinden, weil oftmals digitale Spu-ren der einzige Ermittlungsansatz sind und wir den Straf-verfolgungsbehörden zumindest Waffengleichheit mitden Straftätern und damit Chancengleichheit zugestehenmüssen . Das ist eine wesentliche Kernforderung unsererJustizpolitik .
Die Debatte darf aber auch heute nicht geführt wer-den, ohne auf die Vorkommnisse der letzten Wochenund Monate hinzuweisen . Es ist in vielerlei Umständenzu unerträglichen Ausschreitungen und Äußerungen vonHass, zu Hetze und zu Gewaltaufrufen gekommen . Es istrichtig – und da sind wir uns hier in diesem Hohen Hauseeinig –, dass der wehrhafte Rechtsstaat, alle demokrati-schen Parteien in diesem Bundestag, Gewalt, Hetze undHass gegen Schwache und Verstöße gegen die Würde desMenschen auf das Schärfste verurteilen . Dazu gibt unddarf es keine Alternative geben .
Wir haben im Frühjahr dieses Jahres den § 46 desStrafgesetzbuches reformiert und deutlich gemacht, dassrassistische, fremdenfeindliche und sonstige menschen-verachtende Beweggründe strafschärfend zu berücksich-tigen sind . Einige haben damals angeführt, das sei dochnur Symbolpolitik, man bräuchte diese Regelung garnicht .
Aber die Ereignisse der letzten Tage und Wochen habenbewiesen, dass der wehrhafte Rechtsstaat auch dieseStrafzumessungsvorschriften braucht, weil er damit einklares Signal aussendet, dass wir diese Umtriebe in die-sem Land nicht dulden .
In diesem Zusammenhang darf ich Ihnen, Herr Bun-desminister Maas, für unsere Fraktion die vollste Unter-stützung zusagen, wenn es darum geht, gegenüber Face-book, Twitter und anderen sozialen Netzwerken klar unddeutlich zu sagen, dass Hass und Hetze sowie Aufrufe zuGewalt in diesem Bereich nichts verloren haben .
Sicherlich ist festzustellen, dass die Meinungsfreiheitein hohes Gut ist und dass es auch in diesem Land er-laubt sein mag, unsinnige oder gar absurde Meinungenzu äußern. Aber die Meinungsfreiheit findet ihre Gren-zen im Recht des anderen, dort, wo die Ehre, die Wür-de des Menschen durch Straftatbestände verletzt sind .Soziale Netzwerke mögen in einem anderen Land, auseinem anderen Rechtskreis heraus betrieben werden; siestehen aber nicht außerhalb des Rechts, sondern müssensich an das halten, was sie selbst in ihren AllgemeinenGeschäftsbedingungen vorschreiben und was letzten En-des der Anstand gebietet: dass diese Kommentare ohneweitere Umstände gelöscht werden und dass das Internetkein Raum sein darf, in dem Hass und Gewaltfantasienausgelebt werden .Wir dürfen es aber nicht bei Appellen belassen . Wirdürfen nicht nur die sozialen Netzwerke bitten, entspre-chende Stellen zu löschen, sondern müssen auch dafürSorge tragen, dass die Strafverfolgungsbehörden ent-sprechenden Hinweisen nachgehen können, dass in denLändern bei Polizei und Justiz eine ordentliche Ausstat-tung vorhanden ist, um diese Umtriebe zu verfolgen undabzustellen . Auch das gebietet der wehrhafte Rechtsstaat .Ich glaube, wir müssen noch weiter gehen . Aus mei-ner Sicht brauchen wir auch die Wiedereinführung derStrafbarkeit der Sympathiewerbung für Terrororganisa-tionen . Diese Strafvorschrift ist vor 13 Jahren aus demStrafgesetzbuch getilgt worden .
Man muss aber feststellen, dass die Umstände dieser Til-gung möglicherweise nicht mehr in dem Maße tragen,dass wir sie auch heute als notwendig ansehen müssen .Meine Damen und Herren, Menschen strömen zu uns,weil sie vor dem „Islamischen Staat“ fliehen. Diese Men-schen sollten nicht in ein Land kommen, welches Sym-pathiewerbung für diese Terrorbande nicht bestraft .
Wer Werbung für terroristische Organisationen betreibt,soll zukünftig wieder mit dem Staatsanwalt zu tun be-kommen .Wichtig ist für uns auch der Kampf gegen die Schleu-serkriminalität .
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 119 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 08 . September 2015 11577
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Allein in Bayern sind 2 500 entsprechende Ermittlungs-verfahren anhängig . Fast 700 Tatverdächtige in SachenSchleuserkriminalität befinden sich in Haft.
Wir haben einen überproportionalen Anstieg von Vor-fällen, der zwischen 2010 und 2015 mittlerweile 250Prozent beträgt . Der wehrhafte Rechtsstaat muss sichfragen: Wie gehen wir mit einem Kriminalitätsfeld um,welches mittlerweile zu Recht in die Nähe organisierterKriminalität wie Drogenhandel, Waffenhandel und Men-schenhandel gerückt wird? Wie gehen wir mit skrupello-sen Banden um, die ihre Geschäfte auf dem Rücken derärmsten Menschen machen?
Es ist ein richtiges Signal, wenn man fordert – –
Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Wawzyniak?
Ja .
Keine Angst, ich frage nicht nach dem Tacho, sondern
ich frage etwas zu dem Punkt, den Sie gerade angespro-
chen haben, nämlich zur Schleuserkriminalität . Sehen
Sie es möglicherweise so, dass man den Schleusern das
Geschäftsfeld entziehen könnte, indem man legale Zu-
gangswege für Geflüchtete nach Deutschland schafft?
Frau Kollegin Wawzyniak, wir bekämpfen diese ter-
roristischen Gruppen, die mit den Ängsten und mit den
Nöten der Menschen ein Geschäft machen . Wir kämpfen
gegen die Menschen, die für viele Tausend Euros und
Dollars die Ärmsten in Lastwagen sperren und über die
Grenzen bringen oder Menschen auf Booten über das
Mittelmeer schicken .
Deswegen brauchen wir eine Strafschärfung in diesem
Bereich . § 96 des Aufenthaltsgesetzes sieht als Mindest-
strafe lediglich eine Geldstrafe oder eine Strafe von ei-
nem Monat Freiheitsentzug vor . Das ist viel zu wenig .
Wir brauchen ein deutliches rechtspolitisches Signal,
dass Schleuserkriminalität zur Schwerkriminalität ge-
hört . Deswegen brauchen wir hier eine klare und deutli-
che Strafschärfung .
Herr Kollege, Frau Kollegin Maisch möchte ebenfalls
eine Zwischenfrage stellen .
Danke, Herr Kollege, dass Sie meine Zwischenfra-
ge zulassen . – Ich würde gerne die Frage der Kollegin
Wawzyniak wiederholen, weil ich glaube, dass sie nicht
beantwortet wurde .
Was sagen Sie denn zu der Alternative zum Schleu-
serunwesen, indem man legale Zuwege für die schafft,
die nach Deutschland flüchten wollen?
Frau Kollegin Maisch, man geht davon aus, dass die-ses Jahr etwa 800 000 Menschen zu uns kommen, bei unsZuflucht finden und bei uns aufgenommen werden, undzwar in einer Art und Weise, wie das kein anderes Landauf dieser Welt tut .
Die Menschen können über die Blaue Karte oder überdie Beschäftigungsverordnung zu uns kommen . Wir ge-währen Hunderttausenden Menschen Asyl und Schutznach der Genfer Flüchtlingskonvention . Es gibt genü-gend legale Wege, nach Deutschland, nach Europa zukommen .
Was wir nicht brauchen, sind die Auswüchse des Schleu-serunwesens . Wir bekämpfen diese Kriminalität, weilwir die Menschen schützen wollen .
Dr . Volker Ullrich
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Ich möchte auf den Umgang mit dem Thema „Asylund Migration“ aus rechtspolitischer Sicht zu sprechenkommen . Das Grundrecht auf Asyl steht vor dem Hin-tergrund unserer Geschichte, vor dem Hintergrund derchristlichen Nächstenliebe und Humanität in keiner Wei-se zur Disposition .
Wer aus politischen Gründen, aus rassischen Gründenoder aus religiösen Gründen verfolgt wird, der kann zuuns kommen, und er bekommt Schutz und Aufnahme .
Die Wahrheit ist allerdings auch, dass nicht jeder, derzu uns kommen möchte, auch zu uns kommen kann .Nicht jeder, der bei uns ist, wird auf Dauer ein Bleibe-recht haben . Wir müssen die rechtlichen Regelungen inBezug auf den Aufenthalt und die Gewährung von Asylund Zuflucht auf den Prüfstand stellen und dafür sorgen,dass unser Land genügend Kapazitäten hat, um den wirk-lich Schutzbedürftigen und den Menschen mit Bleibe-perspektive zu helfen . Das heißt auch, dass wir diejeni-gen, die keine Bleibeperspektive und keinen Asylgrundhaben, bitten, in ihre Heimat zurückzukehren . Nur sokönnen wir das Grundrecht auf Asyl auf Dauer aufrecht-erhalten . Das ist die Kehrseite der Medaille .
Deutschland ist im Augenblick für viele Menschen aufder Welt ein Sehnsuchtsort und ein Ort der Hoffnung, einOrt der Weltoffenheit und der Toleranz . Dazu trägt auchunsere Verfassungsordnung bei, der ein freiheitlicherGedanke zugrunde liegt, die Menschen akzeptiert, ihnenWürde und Mitgestaltung bietet, die aber auch durch einhohes Maß an Rechtsstaatlichkeit geprägt ist . Es ist unse-re Aufgabe, diese Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhaltenund mit den notwendigen Maßnahmen zukunftsfest zumachen .Vielen Dank .
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß .
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Herr Minister Maas! Uns alle beschäftigen in diesenTagen die Bilder von Asylsuchenden in vollgestopftenZügen, von Asylsuchenden, die, untergebracht in Hallenoder anderen Notunterkünften, auf ihre Registrierungwarten . Wir erleben, dass die deutschen Erstaufnahmes-trukturen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen .Die EU-Länder diskutieren verstärkt darüber, wie sie mitden Flüchtlingen umgehen sollen . Ich denke, eine füralle befriedigende Lösung wird es wahrscheinlich – lei-der – so schnell nicht geben können . Ich bin deshalb frohdarüber, dass sich viele Menschen engagiert in privatenInitiativen, in den Kommunen oder beim TechnischenHilfswerk um die Erstversorgung dieser Menschen küm-mern . Oft tun sie sogar mehr als das .Doch wie geht es für die Asylsuchenden danach wei-ter? Wie sieht es mit Unterbringung, finanzieller Un-terstützung, Zugang zu Arbeit und Bildung aus? DieseFragen müssen möglichst schnell geklärt werden . Einganz zentraler Punkt dabei ist – das ist oft die Voraus-setzung für eine Teilnahme am öffentlichen Leben – derZugang zu einem Girokonto, der für uns ganz selbstver-ständlich ist . Das Bundesministerium der Justiz und fürVerbraucherschutz und das Finanzministerium haben imSommer einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der euro-päischen Zahlungskontorichtlinien vorgelegt, um finan-ziell schwachen Verbraucherinnen und Verbrauchern,aber auch Menschen ohne einen festen Wohnsitz künf-tig den Zugang zu einem Konto zu ermöglichen . Das istdringend notwendig . Ich begrüße, dass die BaFin bereitsjetzt die Vorgaben für Dokumente gelockert hat, um dieAuszahlung von Sozialleistungen zu ermöglichen, ebenauch an Asylsuchende .So flexibel und kreativ wie die BaFin in dem Fall re-agiert hat, müssen wir sein, um auch in anderen Lebens-bereichen Lösungen zu finden. Viele der Flüchtlinge sindder deutschen Sprache nicht oder noch nicht mächtig undschon allein deswegen verletzliche Verbraucher . Sie wis-sen, dass wir von der SPD ein differenzierteres Bild vonder Verbraucherin oder dem Verbraucher haben .Stichpunkt Verbraucherinformation . Die Bundesre-gierung will auch 2016 viel Geld in die Hand nehmen,um die Position der Verbraucherinnen und Verbraucherzu stärken. Ein Großteil der Gelder fließt, wie von unsgefordert, in den Verbraucherzentrale Bundesverbandfür den Marktwächter Digitale Welt und für den Finanz-marktwächter, der bereits einige Male genannt wordenist .Neben anderen Projekten ist der Verbraucherschutzvon Migranten, insbesondere in der digitalen Welt, einProjekt im Titel „Information der Verbraucherinnen undVerbraucher“ . Bis zur zweiten und dritten Lesung desHaushaltsgesetzes müssen wir aber kritisch prüfen, obdie geplanten Gelder ausreichend hoch sind, ob die Pro-jekte und Maßnahmen ausreichend informativ und trans-parent sind .Stichpunkt Verbraucherbildung . Die Zuwanderer müs-sen sich jetzt mit unserer Kultur auseinandersetzen undviele Kaufentscheidungen treffen . Fragen Sie sich ein-mal, wie Sie Ihre Entscheidungen treffen . Wahrscheinlichoftmals auf Empfehlung aus dem Freundes- oder Famili-enkreis . Da die Zuwanderer solche familiären Netzwerkehier nicht haben, müssen sie sich auch diesbezüglich neuorientierten. Das heißt, wir müssen Wege finden, dieseVerbrauchergruppe zu unterstützen und zum Beispiel zuvermitteln, was bei Vertragsabschlüssen zu beachten ist .Dr . Volker Ullrich
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 119 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 08 . September 2015 11579
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Neben der Flüchtlingsthematik treten andere verbrau-cherpolitische Themen – einige sind bereits angespro-chen worden – in den Hintergrund:Eine positive Meldung lautete in der vergangenen Wo-che: Mietpreisbremse in Berlin wirkt .Der Aufbau der Marktwächter funktioniert gut, aberlautlos . Die Marktwächter haben ihre Arbeit aufgenom-men . Die Finanzmarktwächter sollen im BesonderenKleinanleger sowie Kredit- und Versicherungsnehmerbesser vor unseriösen Anbietern und riskanten Finanz-produkten schützen. Das ist richtig; denn bei dem großenAngebot an Finanzprodukten verliert man schnell denÜberblick .Thema Transparenz: Die Umsetzung der sogenanntenWohnimmobilienkreditrichtlinie steht an . Viele wichtigePunkte wie zum Beispiel eine Verpflichtung der Bankenzu Warnhinweisen beim Übertritt in den Dispositionskre-dit, eine Verpflichtung zum Angebot kostengünstiger Al-ternativen oder die Verpflichtung der Banken, die Höheder Dispozinsen auf ihrer Webseite deutlich sichtbardarzustellen, finden wir in dem Referentenentwurf. Ichhoffe, er erreicht bald als Gesetzentwurf den Bundestag .Nicht akzeptabel ist allerdings, dass einige Bankensich die entgangenen Gewinne jetzt beispielsweise durchdie Erhöhung der Gebühren an Geldautomaten für soge-nannte Fremdabheber zurückholen wollen . Ich denke,Abhebegebühren in Höhe von 4,50 Euro sind einfachunanständig für einen technischen Vorgang, der wenigerals 1 Euro kostet .
Deshalb ist es wichtig, dass wir hier deckeln . DieDeckelung soll zukünftig verhindern, dass die Verbrau-cherinnen und Verbraucher, wenn sie denn plötzlich imländlichen Raum Geld brauchen und ihre Sparkasse, ihreBank nicht finden, aber eben auch auf Reisen, an Flug-häfen und auf Bahnhöfen nicht im Übermaß zur Kassegebeten werden .Die Verbraucherpolitik, sehr geehrte Kolleginnen undKollegen, –
Frau Kollegin, Stichwort „Übermaß“ – ein Blick auf
die Uhr, bitte .
– steht nicht nur, aber insbesondere in Anbetracht der
besonderen aktuellen politischen und gesellschaftlichen
Situation vor Herausforderungen; sie sind einfach da.
Diese müssen wir hier berücksichtigen . – Sie haben mich
hier jetzt etwas irritiert, Herr Präsident .
Lassen Sie uns deshalb gemeinsam prüfen, welche
Verbesserungen wir für die zweite und dritte Lesung des
Haushaltsgesetzes noch erreichen können .
Danke für Ihre Aufmerksamkeit . – Herr Präsident,
vielen Dank .
Als letztem Redner zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
erteile ich das Wort dem Abgeordneten Klaus-Dieter
Gröhler, CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-ehrter Herr Bundesminister! Bevor ich als letzter Rednerauf die ganz schlichten Zahlen des Einzelplans eingehe,lassen Sie mich mit einem Zitat aus einer Veröffentli-chung der Bundeszentrale für politische Bildung begin-nen . Da heißt es:Das Recht sichert Frieden und gewährleistet Freiheit .Es verbietet Vergeltung und Faustrecht und dient soder Vorbeugung von Konflikten. Die Rechtsordnungsorgt dafür, dass Streitigkeiten friedlich in einemgeregelten Verfahren ausgetragen werden .In der Bundesrepublik Deutschland leben die Men-schen friedlich zusammen . Es herrschen Recht undGesetz, wenn es auch keine perfekte Sicherheit vordem Verbrechen gibt .Das ist keineswegs selbstverständlich . In vielenLändern der Welt herrschen keine rechtsstaatlichenVerhältnisse . In einigen Staaten hat sich die Rechts-ordnung förmlich aufgelöst . In sinnlosen Kriegenwird keine Rücksicht auf die wehrlose Zivilbevöl-kerung genommen .Der Text ist von der Bundeszentrale für politische Bil-dung 2009 veröffentlicht worden . Aber ich glaube, er istheute so aktuell wie eigentlich nie zuvor, heute, wo wirfeststellen müssen, dass viele Menschen zu uns kommen,nicht nur weil sie den Wohlstand suchen, sondern weilsie eben auch in Frieden und Freiheit und in einer rechts-staatlichen Ordnung leben wollen .Übrigens sollten wir uns an der Stelle daran erinnern,dass vor 80 Jahren Menschen dieses Land verlassen ha-ben, um überleben zu können, und dass noch vor 30 Jah-ren Menschen von dem einen Teil Berlins in den ande-ren flüchten mussten, um in Freiheit zu leben. Vielleichtsollte der eine oder andere, der heute meint, er müsseirgendwo protestieren, darüber einen ganz kleinen Mo-ment nachdenken .
Die aktuelle Flüchtlingssituation, meine Damen undHerren, führt uns vielleicht auch wieder dahin, dass wiruns darüber klar werden, welche Qualität diese Rechts-staatlichkeit eigentlich hat . Keiner von uns hat ja heuteAngst vor staatlicher Willkür . Das ist auch ein angeneh-mes Stück Lebensqualität . Das ist natürlich auch eineSituation, die dazu beiträgt, dass dieses Land so erfolg-reich ist . Dass dafür gesorgt wird, dass bei uns eben nichtdas Recht des Stärkeren und kein religiös hergeleitetesRecht gilt, sondern dass wir der Gesetzgeber sind, dassdie Rechtsprechung das Recht formt und die Staatsan-waltschaft dafür sorgt, dass dieses Recht notfalls auchElvira Drobinski-Weiß
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mithilfe der Polizei durchgesetzt wird, das ist, glaubeich, etwas, worüber sich – wenn ich das einmal so sagendarf – Otto Normalverbraucher manchmal nicht genugGedanken macht .Die Situation, in der wir im Moment sind, führt viel-leicht auch dazu, dass man für einen kleinen Momentwieder darauf zurückgeführt wird, dass dieser Satz„Recht sichert Freiheit; Gerechtigkeit schafft Frieden“für jeden Einzelnen von uns auch eine ganz wesentlicheBasis ist .Ich glaube, wir werden auch gut daran tun – das wirdeine sehr wesentliche Integrationsaufgabe sein –, dieje-nigen, die zu uns kommen und die bisher nicht in einerrechtsstaatlichen Situation gelebt haben, und diejeni-gen, die möglicherweise mit unserer Rechtsordnung garnicht klarkommen, davon zu überzeugen, dass sie dieseRechtsordnung annehmen und dass sie sie am Ende desTages auch aktiv mit uns leben müssen, wenn sie bei unsleben wollen .Wir werden auch denen, meine Damen und Herren, diemeinen, Gewalt gegen Menschen oder Flüchtlingsunter-künfte verüben zu müssen, zeigen, dass der Rechtsstaatsich wehren kann und dass er es auch tun wird . Dass dasGeld kostet, ist klar . Der Entwurf der Bundesregierungsetzt in dieser Situation, wie ich finde, richtige Schwer-punkte und wird auch einer Sondersituation gerecht .Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass die Ge-neralbundesanwaltschaft im Haushaltsentwurf 16 neuePlanstellen bekommt, nachdem wir 2015 bereits 6 Stel-len zugebilligt hatten . Es wird auch zusätzliches Geldfließen. Ich war vor der Sommerpause zusammen mitdem Kollegen Dr . Lindner in Karlsruhe und habe michüber die Arbeitssituation beim Generalbundesanwalt undbei den Strafsenaten informieren können . Ich muss sa-gen – wenn ein Haushälter dies sagt, bedeutet das etwas–: Ich bin nicht sicher, ob diese Zahl an zusätzlichen Stel-len wirklich ausreicht . Das werden wir uns in aller Ruheanschauen müssen . Die Arbeitsbelastung, die ich dortwahrgenommen habe, ist immens . Die Anzahl der Ver-nehmungen und der Vorführungen hat sich dramatischgesteigert . Es gibt eine Verdreifachung der Haftbefehlein 2014 gegenüber 2013 und noch einmal eine Verdoppe-lung in 2015 gegenüber 2014 . Die Zahlen muss man sicheinmal sehr deutlich anschauen .Uns darf nicht passieren, dass jemand, der in den Na-hen Osten gegangen ist und für IS gekämpft hat oder ihnunterstützt hat, nach Deutschland zurückkommt und wiraufgrund personeller Unterausstattung nicht in der Lagesind, diese Person zu verfolgen . Diese Leute müssen diegesamte Härte des Rechtsstaats erfahren . Dafür brauchenwir eine vernünftige personelle und finanzielle Ausstat-tung sowohl des Generalbundesanwalts als auch derStrafsenate beim BGH .
In diesen Kontext passt auch – darauf ist vorhin aus-nahmsweise zu Recht von der Opposition, Herr Petzold,hingewiesen worden –, dass die Mittel für die Stiftungfür internationale rechtliche Zusammenarbeit um 20 Pro-zent gesteigert werden und sieben neue Stellen entstehen,Stichwort Export von Recht made in Germany. Das istauch eine Bekämpfung von Fluchtursachen . Wir werdenin den weiteren Beratungen schauen müssen, Herr Bun-desminister, ob man an der Stelle nicht noch einmal einStück drauflegen sollte. Denn ich glaube, dieses Geld istgut investiert .Mein Koalitionskollege Dennis Rohde hat, wie ichfinde, zu Recht darauf hingewiesen, dass es in diesenZeiten aber noch andere Themen gibt und nicht nur dieFlüchtlingsproblematik . Zu Recht hat er angesprochen,dass wir noch einmal Stellen beim Bundespatentamt auf-satteln, wenn ich das einmal so flapsig sagen darf. Es gibt56 zusätzliche Stellen in 2016, nachdem wir ein Jahr zu-vor im Haushalt 2015 schon 58 aufgesattelt haben .Damit sichern wir die Früchte des Wissenschafts-standortes Deutschland . Wir haben ja vorhin gehört, dasssich die Ausgaben für Bildung und Forschung unter derKanzlerschaft von Angela Merkel verdoppelt haben .Dementsprechend gibt es auch mehr Innovationen undmehr Patentanmeldungen . Aber eines müssen wir auchsehen: Dieser zusätzliche Aufwuchs an Personal führtgerade einmal dazu, dass die neuen Patentanmeldungenabgearbeitet werden können; das heißt, es gibt keinenAbbau des Rückstandes . Auch darüber werden wir unsnoch einmal sehr intensiv unterhalten müssen .Ein Wort noch zum Verbraucherschutz . 36 MillionenEuro stehen im Haushalt – das haben die Kollegen ge-lobt; natürlich haben wir im Koalitionsvertrag hier einenSchwerpunkt gesetzt –, das sind fast 5 Millionen Euromehr als in 2015 . Der Verbraucherzentrale Bundesver-band bekommt noch einmal fast 16 Stellen dazu . Damitwird der Verbraucherschutz noch ein Stück wirksamer .Dieses zarte Pflänzchen, das einmal unter Ludwig Erhardeingeführt wurde – 1964 wurde die Stiftung Warentestals erste Verbraucherschutzmaßnahme gegründet; es sollkeiner sagen: Verbraucherschutz ist kein Herzensanlie-gen von CDU/CSU –, ist inzwischen zu einem üppigenBaum geworden .Aber eines will ich als Haushälter an dieser Stelledeutlich sagen: Ich glaube, wir werden im Frühjahr 2016,Herr Minister, eine Evaluierung vornehmen müssen .Wir haben jetzt zwei Jahre lang sehr intensiv Geld undStellen in das Thema Verbraucherschutz gelenkt . Das istokay; das steht im Koalitionsvertrag, gar keine Frage; esist auch notwendig in einer Gesellschaft, die immer älterwird, die immer globaler und immer digitaler wird . Aberwir werden uns am Ende des Tages auch fragen müssen:Was haben wir damit tatsächlich erreicht? Mehr Geldund mehr Stellen bedeuten ja nicht automatisch, dass esbesser geworden ist . Ich glaube, wir werden nach zweiJahren einmal einen Schnitt machen und fragen müs-sen: Was haben wir erreicht? Wo sind Defizite abgebautworden? Wo sind Defizite möglicherweise immer nochvorhanden? Ich bin nicht davon überzeugt, dass nur zu-sätzliches Geld und nur zusätzliche Stellen immer allesbesser machen .
Das Bundesministerium hat uns bereits darauf hinge-wiesen, dass gegenüber dem Regierungsentwurf wohlKlaus-Dieter Gröhler
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noch einmal 6 Millionen Euro mehr gebraucht werden,und hat eine lange Liste vorgelegt .Der Kollege Claus hat vorhin gesagt, jede Festlegungauf „keine neue Staatsverschuldung“ behindere eine le-bendige Parlamentsdebatte . Dem will ich ausdrücklichwidersprechen, weil ich glaube, eine lebendige Parla-mentsdebatte und eine lebendige Debatte in den Haus-haltsberatungen, Herr Kollege, entstehen gerade dann,wenn man Deckungsvorschläge machen muss, wenn maneben nicht immer noch eine Million und noch eine Milli-on oben draufsattelt, sondern wenn man schaut: „Was istnotwendiger als das andere?“, wenn man Schwerpunktesetzt und sich auch ein bisschen mit dem Geld, das manhat, bescheiden kann . Dann kann man nämlich wirklichpolitisch debattieren .Zu Ihrem Vorwurf von vorhin, wir würden uns, nurweil die Parteivorsitzenden sagen: „Wir wollen keineneuen Schulden machen“, fügen, sage ich Ihnen: Es istUnionsgrundgen, dass wir keine neuen Schulden machenwollen . Das muss uns kein Parteivorsitzender sagen, son-dern jeder Einzelne in unserer Fraktion ist davon völligüberzeugt; ich glaube, inzwischen sind es auch die Kol-legen unseres sozialdemokratischen Koalitionspartners .Eine letzte Bemerkung, Herr Bundesminister, die et-was kritischer ausfällt . Ich habe mir einmal Ihre Ausga-ben für Öffentlichkeitsarbeit angeschaut . Während IhrVorgänger im Jahr 2013 mit 155 000 Euro auskam, kames bei Ihnen zu einer Steigerung um 519 Prozent . Ich willnur sagen: Das ist ein Thema, dem ich mich im Bericht-erstattergespräch sicherlich noch einmal ein ganz kleinwenig widmen werde .
Dafür mag es gute Gründe geben; das will ich gar nichtin Abrede stellen .
Aber ich würde ganz gerne eine Begründung hören underfahren, ob das denn tatsächlich so üppig ausfallen muss .Sonst, glaube ich, ist das ein guter Entwurf der Bun-desregierung, sowohl zu diesem Einzelplan als auch zuden anderen . Ich freue mich auf die Beratung .Herzlichen Dank .
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums des Innern, Einzelplan 06 .Ich erteile für die Bundesregierung das Wort Bundes-minister Dr . Thomas de Maizière .
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichmöchte mit einem Zitat beginnen – vielleicht erinnernSie sich –:Jeder weiß, dass die Zuwanderung bei vielen Men-schen starke Emotionen auslöst – gute und wenigergute . Gerade deswegen müssen wir darüber mög-lichst offen sprechen, möglichst unaufgeregt und re-alistisch. Häufig bleibt zu vieles unausgesprochen. . . . Wir müssen überall in der Gesellschaft über Zu-wanderung und Zusammenleben in Deutschland re-den – über die Chancen und über die Probleme . Undwir müssen handeln – und zwar ohne Angst undohne Träumereien . Erfolgreich können wir nur dannhandeln, wenn wir zwei Haltungen überwinden, diezu weit verbreitet sind: Wir müssen Unsicherheitund Angst überwinden, die manchmal zu Fremden-feindschaft, zu Hass und Gewalt führen . Wir müs-sen eine falsch verstandene Ausländerfreundlichkeitüberwinden, die so tut, als gebe es überhaupt keineProbleme und Konflikte, wenn Menschen unter-schiedlicher Herkunft zusammenleben .
Das sagte Johannes Rau, der Altpräsident, in einer Rede –einige haben sie gehört – zehn Jahre nach der deutschenEinheit .Heute bringe ich den Haushalt des BMI, des Bundes-ministeriums des Innern, für das kommende Jahr ein .Ich möchte meine Rede mit dem Thema beginnen: Inwelcher Haltung führen wir diese Debatte? Überall wirddiskutiert . Die einen schauen vor allem auf die überwäl-tigende Hilfsbereitschaft der Deutschen . Die anderenschauen vor allem auf die steigende Zahl von Anschlä-gen, auf Hass und Gewalt .
Dazwischen gibt es viele, die sich nicht äußern – odernicht öffentlich . Viele denken an ihre eigene Geschich-te von Flucht und Vertreibung und fragen: Was ist da-ran vergleichbar? Aber auch: Was nicht? Viele fragen:Wie soll das weitergehen? Gibt es eine Grenze unsererAufnahmefähigkeit oder -bereitschaft? Wie wird sichdas Gesicht unseres Landes im Lichte dieser Entwick-lung ändern? Welche Chancen bietet die Aufnahme vonFlüchtlingen unserem Land? Wie bringen wir die unter-schiedlichen Religionen friedlich zusammen? Ja, wiebleibt es überhaupt friedlich?Das alles sind berechtigte Fragen; das sind wichtigeFragen für alle Menschen in unserem Land, und darübermüssen wir miteinander diskutieren . Dazu gehören Streitund Auseinandersetzung genauso wie Einheit, Unterstüt-zung und Zusammenhalt .Bitte leugnen wir nicht die großen Herausforderun-gen, die nach der freundlichen Aufnahme im Alltag vonmorgen und übermorgen anstehen . Aber bitte erliegenwir auch nicht der Versuchung, das Problem so groß zuKlaus-Dieter Gröhler
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beschreiben – das können wir Deutschen immer am al-lerbesten: ein Problem groß zu beschreiben –, dass alle,die zuhören, schon den Mut verlieren, an Lösungen über-haupt erst zu arbeiten .Keine Angst und keine Träumereien: Ja, das könnteeine Haltung sein, die wir brauchen . Ich persönlich fügehinzu: Wir haben auf dem Evangelischen Kirchentag inStuttgart das wunderbare Lied Vertraut den neuen Wegengesungen . Ja, das sollten wir tun, ob wir mitsingen kön-nen oder nicht .Meine Damen und Herren, bei alledem, über das wirdiskutieren und streiten, sollten wir in ein paar Überzeu-gungen einig sein:Erstens . Wer in diesem Land lebt, hat andere Men-schen zu respektieren und deren Leben und Würde zuachten .
Wer in dieses Land kommt, hat ein Recht darauf, anstän-dig behandelt und respektiert zu werden .
Wer das nicht akzeptiert, wer Hass verbreitet, wer Straf-taten begeht und dazu aufruft, der kann weder Verständ-nis noch Toleranz erwarten .Zweitens . Wer in unser Land kommt, hat ebenfalls an-dere Menschen zu respektieren und unsere Gesetze zuachten . Das gilt auch für den Fall einer Verteilung inner-halb Europas oder auch nur innerhalb Deutschlands – ichsage das nicht ohne Grund –, und das gilt für den Fallder Anerkennung einer Bleibeperspektive in Deutsch-land genauso wie bei unserer Entscheidung, unser Landwieder verlassen zu müssen . Auch dann erwarten wir dieAchtung unserer Gesetze .Drittens . Deutschland leistet seinen Beitrag – auchaus humanitärer Überzeugung –, aber niemand in Europaund darüber hinaus soll glauben, dass unser Land alleindiese Aufgabe schultern wird oder auch nur will .Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen undWochen haben wir im Innenministerium wesentliche Tei-le des Konzeptes erarbeitet, das der Koalitionsausschussam Sonntag beschlossen hat . Ich will jetzt nicht über jedeeinzelne dieser Maßnahmen referieren; ich gehe davonaus, dass sie im Wesentlichen bekannt sind .Als Innenminister freue ich mich natürlich besondersüber die Entscheidung, dass die Bundespolizei 3 000neue Stellen bekommt .
Das ist eine großartige Antwort auf die Leistungen derBundespolizei, eine notwendige Antwort auf die Belas-tung der Bundespolizei und ein gutes Signal an die Län-der, Gleiches oder Ähnliches zu tun .
Für mich ist wichtig – ohne dass ich jetzt die Ein-zelheiten referiere –, dass wir über ein paar Grundsätzesprechen, die hinter diesen Maßnahmen stehen:Einer dieser Grundsätze ist, dass wir zwischen denMenschen unterscheiden, die zu uns kommen . Wir un-terscheiden zwischen jenen, die wegen Krieg und Ver-folgung Aussicht auf Asyl haben, und denen, die keineChance auf eine Zukunft in Deutschland haben .Viele Menschen brauchen Schutz vor Krieg und Ver-treibung . Wir werden diese Menschen – es werden vieleHunderttausend sein – aufnehmen und ihnen helfen, sichbei uns zu integrieren . Aber auch hier muss ich diesenund allen Beteiligten sagen: Bitte etwas Geduld! All dasgeht nicht über Nacht .Viele Antragsteller haben aber auch keine Perspekti-ve, in Deutschland zu bleiben . Sie werden unser Landverlassen müssen . Beides gehört zusammen, und beideshat Folgen .Wer aus einem sicheren Land kommt, der soll wäh-rend des Asylverfahrens anders behandelt werden kön-nen als jemand aus einem Kriegsgebiet, zum Beispiel inder Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben müssen und garnicht erst auf die Kommunen verteilt werden, damit seinVerfahren schnell bearbeitet werden kann .Wer nach einem abgeschlossenen Asylverfahren aus-reisen muss, der soll weniger Leistungen bekommen alsjemand, der dauerhaft hierbleiben darf . Ich glaube, auchdas ist ein wichtiger, allerdings neuer Grundsatz, den wirSonntag beschlossen haben .
Diese Unterscheidung ist die Voraussetzung für einebreite Akzeptanz des Grundrechts auf Asyl in unsererBevölkerung . Sie ist notwendig für die Erhaltung derAufnahmekapazitäten in unserem Land .Auf Dauer kann ein Land wie Deutschland 800 000Flüchtlinge im Jahr nicht aufnehmen und integrieren .Auch das ist Teil einer offenen Diskussion . Wir werdenalso versuchen müssen, die Zahl der zu uns kommendenFlüchtlinge zu senken . Wir werden dafür unsere Außen-und Entwicklungspolitik stärker auf die Bekämpfungder Fluchtursachen in den wichtigsten Herkunftsländernkonzentrieren müssen: national genauso wie auf der Ebe-ne der Europäischen Union .Beim Treffen der europäischen Innenminister amnächsten Montag werde ich dafür eintreten, dass Eu-ropa endlich zu einem gemeinsamen Vorgehen findet.Dazu gehört die unverzügliche und schnelle Einrich-tung der Hotspots, und dazu gehört die faire Verteilungschutzbedürftiger Flüchtlinge innerhalb der Europäi-schen Union . Ich sage auch: Wenn es zu einer solchenVerteilung kommt, heißt Verteilung auch Verteilung . Wirwerden nicht den Asylbewerbern, die nach Deutschlandkommen, obwohl sie auf ein anderes Land verteilt wur-den, bei uns Asylbewerberleistungen geben, sondern siean das Land verweisen, in das sie verteilt worden sind .Sonst macht Verteilung nämlich überhaupt keinen Sinn .Meine Damen und Herren, wir werden jetzt all diesund noch viel mehr mit den Ländern verhandeln . WirBundesminister Dr . Thomas de Maizière
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hoffen, dass wir dann Ende September ein Gesetzespa-ket zusammen haben . Wir hoffen, dass wir dieses Geset-zespaket dann sehr schnell in den Deutschen Bundestageinbringen . Ich möchte den Bundestag schon jetzt bitten,dieses Gesetzespaket so gründlich wie möglich, aberauch so schnell wie möglich so zu beraten, dass wir nochim Oktober die zweite und dritte Lesung durchführenkönnen . Die Bundeskanzlerin hat es schon gesagt: Wennes uns in zwei oder drei Wochen gelingt, durch Gesetz-gebung Banken zu retten, dann sollten wir uns auch hieranstrengen, die Verfahren so durchzuführen, dass wir dasin einem Gesetzespaket im Oktober zu Ende beraten .
Trotz der Sorge wegen des Themas Flüchtlinge müs-sen und werden wir natürlich auch die anderen Aufgabenerfüllen . Ich nenne aus Zeitgründen nur ganz wenige: dieBekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kri-minalität, der Kampf gegen den Wohnungseinbruch, dieDigitalisierung unserer Gesellschaft mit all den Heraus-forderungen, die dazugehören . Der versuchte Anschlagim Schnellzug Thalys in Frankreich hat uns allen vor Au-gen geführt, dass es beim Terrorismus keine Pause gibt,auch wenn wir vielleicht gerade von dem Flüchtlingspro-blem absorbiert sein könnten .Zur Sicherheit gehören auch der Cyberraum und dasInternet . Das haben wir hier im Bundestag und auchanderswo in den letzten Monaten erfahren müssen . DieFragen rund um die Informationstechnik erfordern einestärkere zentrale Koordinierung . Wir bündeln viele die-ser Aufgaben im Bundesinnenministerium ab 1 . Oktoberunter einem eigens dafür zuständigen Staatssekretär .Alle diese Themen finden im vorgelegten Haushaltihre erforderliche und angemessene Berücksichtigung .Ich bitte neben der Konzentration auf das Flüchtlingsthe-ma auch dazu um eine umfassende gute, gründliche undkonstruktive Beratung .Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf dasFlüchtlingsthema zurückkommen und das mit der Fra-ge verbinden, wie wir an das Thema herangehen . Ichwill das am Beispiel der Standarderleichterung tun .Das klingt so technisch . Wir hatten nach der deutschenEinheit ein schreckliches Wortungetüm . Das hieß – Siewerden sich erinnern – Verkehrswegeplanungsbeschleu-nigungsgesetz . Das kam ziemlich technisch daher, aberes war eine Schlüsselvoraussetzung für den Aufbau derInfrastruktur in den ostdeutschen Ländern . Das, was wirjetzt „Standarderleichterungsgesetz“ oder „Standard-beschleunigungsgesetz“ nennen, kommt auch ziemlichtechnisch daher . Sie werden sich noch wundern, wie vie-le Paragrafen wir da anfassen: im Bauplanungsrecht, imImmissionsschutz, in der Energieeinsparverordnung und,und, und .Was steckt dahinter?Dahinter steckt gerade angesichts der Flüchtlingskrise –ich nenne es jetzt einmal so –, die wir vor uns haben,Folgendes: Manche glauben, das Leben sei dann gut ab-geschlossen oder ein Tag gut zu Ende geführt, wenn wiruns einig sind, dass wir Vorschriften eingehalten haben .Ich glaube das nicht . Ich glaube, dass ein Tag dann gutzu Ende geht und wir dann gute Arbeit geleistet haben,wenn wir sagen können: Wir haben eine Aufgabe gelöstund dabei auch Vorschriften beachtet .Was die Flüchtlingskrise anbelangt: Das Wort „Krise“kommt aus dem Griechischen und hat zwei Bedeutungen,Chance und Risiko. – Die Chinesen kennen das; bei ih-nen gibt es dafür auch einen Ausdruck . – Wir betrachtengerne die Risiken . Das Thema „Standarderleichterung“ist nur ein Beispiel . Es gibt aber viele andere Aspekte,zum Beispiel die Integration von qualifizierten Asylbe-werbern und Flüchtlingen in unseren Arbeitsmarkt . Daliegen – gerade für junge Menschen und junge Famili-en – Chancen . Wenn es uns gelänge, das Thema „Flücht-lingskrise“ nicht nur unter dem Gesichtspunkt nicht zuleugnenderRisiken – Johannes Rau hat gesagt: „Und wirmüssen handeln – und zwar ohne Angst und ohne Träu-mereien“ –, sondern auch unter dem Blickwinkel derChancen zu diskutieren, wenn wir eine Mentalität entwi-ckeln würden, nicht nur darauf zu schauen, ob wir auchdie Vorschriften einhalten, sondern eine Aufgabe zu lö-sen, dann läge in dem, was vor uns steht, eine verdammtgroße Chance . Wir sollten sie nutzen .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Jan Korte, Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will gleich daran anknüpfen, glaube aber, dass dasEinerseits-andererseits in der Situation, in der wir unsbefinden, leider nicht mehr angemessen ist. Im Herbst2015 erleben wir ein mehrfach gespaltenes Land . HerrInnenminister, Sie haben zwei Vorgänge angesprochen .Auf der einen Seite gab es eine großartige Welle von So-lidarität mit Flüchtlingen und Mitmenschlichkeit – mankann auch „Nächstenliebe“ sagen . Ich denke dabei anMünchen, Saalfeld oder meinen Wahlkreis, wo Sportver-eine Lauftraining für Flüchtlinge organisieren . Auf deranderen Seite ist es aber so, dass jeden Tag eine Unter-kunft angezündet und abgefackelt wird und dass es inden sozialen Medien geradezu Vernichtungsphantasiennachzulesen gibt .Es gibt – das haben Sie, wie heute schon viele Redner,erwähnt – das Bild des kleinen Aylan Kurdi, das uns allemehr als bewegt hat . Jedoch gibt es eine genauso schlim-me Fortsetzung . Jeden Tag ertrinken Flüchtlinge im Mit-telmeer, Frauen, Kinder und Männer . Es geht einfach soweiter . Und Sie weigern sich, endlich die richtige Ant-wort zu geben, nämlich legale und sichere Einreisewegezu erlauben . Das wäre eine Antwort der Menschlichkeit .
In dieser Woche ist es, glaube ich, in der Tat für allehier im Hause von entscheidender Bedeutung, sich zuentscheiden, wo man steht . Sag mir, wo du stehst? Dasist in dieser Woche die entscheidende Frage, die Sie be-Bundesminister Dr . Thomas de Maizière
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antworten müssen, vor allem Sie, liebe Freunde von derCSU . Denn es gibt im etablierten Politikbetrieb – ich willes einmal zuspitzen – zwei Möglichkeiten: Entweder ma-chen Sie es wie die Landesregierung in Thüringen, dieversucht, auch in der etablierten Politik eine Willkom-menskultur zu leben, bei der selbst der Ministerpräsidentdie Flüchtlinge am Bahnhof begrüßt . Oder Sie machen eswie Teile der CSU . Ich will das mit Zitaten belegen . IhrGeneralsekretär Scheuer – ich darf zitieren – sagt:Der massenhafte Zustrom von Flüchtlingen nurnach Deutschland muss gestoppt werden .Horst Seehofer, der bayerische Ministerpräsident,sagt:Wir sind nicht das Sozialamt für den Balkan .Und der bayerische Innenminister Herrmann, der jagerade als besonders kompetenter Integrationsexperteaufgefallen ist, sagt zu der richtigen Entscheidung derBundesregierung, die Flüchtlinge aus Ungarn einreisenzu lassen, dass dies – Zitat – „ein völlig falsches Signalinnerhalb Europas“ sei . Sie müssen sich entscheiden, obSie weiter rumzündeln oder bei denen stehen wollen, dieSolidarität und Nächstenliebe großschreiben . Das ist dieentscheidende Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen .
In diesem Zusammenhang – auch weil Sie, KollegeSpahn, gerade anwesend sind; das richtet sich aber auchan die Kollegin Schröder und an meine alte Bekannte,Erika Steinbach – sage ich: Diejenigen, die im Kern ausUnterkünften für Menschen Krematorien machen wol-len, auch nur ansatzweise mit denen in eine Reihe zustellen, die sich davorstellen, um dies zu verhindern, dieelendige Gleichsetzung von links und rechts muss sofortaufhören . Dafür ist im Übrigen auch eine Entschuldigungfällig, um das klar zu sagen .
Aber in der Innenpolitik läuft es insgesamt nicht gut .Sie können sich das nicht vorstellen;
aber ich will versuchen, nachzuweisen, dass es auchsonst in der Innenpolitik nicht gut läuft .Wir hatten die NSA-Affäre . Was heißt, wir hatten? Sieläuft Tag für Tag weiter . Aufklärung durch die Bundes-regierung und den Innenminister: Völlige Fehlanzeige!Handyüberwachung, Wirtschaftsspionage und die Bei-hilfe der deutschen Dienste: Auch das war folgenlos . Esgeht alles so weiter .Dann gab es im Sommer einen der größten Knallerin Ihrer Amtszeit . Wenn kritische Journalisten erfreuli-cherweise darüber berichten, was Sie uns nicht sagen –weder dem Parlament noch der Öffentlichkeit –, dassnämlich die Überwachungsinfrastruktur in einem kaumnoch fassbaren Ausmaß immer weiter ausgebaut wird,dann wird beim Bundesamt für Verfassungsschutz durchseinen Präsidenten die ganz große Keule herausgeholt,übrigens ein Relikt aus den 50er- und 60er-Jahren, undHerr Maaßen erstattet Anzeige wegen Landesverrat . Ichsage – Sie haben das auch schon auf Anfragen der Grü-nen und der Linken eingeräumt -: Natürlich wussten dasBMI und das Kanzleramt, was dort abläuft und was ge-plant worden ist . Präsident Maaßen, mit dem ich michoft und gerne streite, ist ein sehr, sehr deutscher Beam-ter, und bei solch einem schwerwiegenden Vorgang ist esschlicht nicht zu glauben, dass der oberste Dienstherr unddas Kanzleramt das nicht wussten und nicht involviertwaren . Dazu kam von Ihnen hier und auch vorher nichts .Es ist das Mindeste, sich dafür zu entschuldigen und dieLandesverratsbestimmungen dahin zu befördern, wohinsie gehören, nämlich auf den Müllhaufen der Geschichte
Es läuft in der Innenpolitik in der Tat sehr viel schief .Ich habe leider nur wenig Redezeit .
Man könnte noch so viel sagen, nämlich dass ausgerech-net in dieser Situation das Bundesamt für Verfassungs-schutz erneut 20 Millionen Euro mehr bekommt . In zweiJahren bekommt es 45 Millionen Euro mehr . Dabei ist esweiter intransparent . Wir können leider nicht im Detailmiteinander diskutieren, an welchen Stellen wir es fürsinnvoll und an welchen Stellen wir es für unsinnig hal-ten; denn es wird weiter alles unter Verschluss gehalten.Der Einzelplan 06 ist ein in Zahlen gegossenes Do-kument einer grundsätzlich verkehrten Richtung in derInnenpolitik . Schalten Sie um auf mehr Solidarität, mehrGrundrechte und mehr Datenschutz! Denn das führtzu einer offeneren Gesellschaft, und die brauchen wir .Wann, wenn nicht jetzt?Vielen Dank .
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Eva Högl, SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-be Kollegen! Auch ich möchte mit einem Zitat beginnen,mit einem schönen Satz, wie ich finde: „Politisch Ver-folgte genießen Asylrecht .“ Das ist Artikel 16 a unseresGrundgesetzes, und dieser Satz ist für uns alle ein Be-kenntnis . Er drückt die Werte aus, denen wir uns verbun-den fühlen und die wichtig für uns sind . Er ist für unsauch eine Verpflichtung, danach zu handeln. Er drücktdas Recht unseres Rechtsstaats aus und ist Ausdruck un-serer tief empfundenen Humanität und Menschlichkeit .
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, freue ichmich sehr, dass wir im Deutschen Bundestag eine sehrJan Korte
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große Einigkeit – ich hoffe sogar, Einstimmigkeit – ha-ben, angesichts der aktuellen Debatte diesen Artikel 16 aGrundgesetz so zu lassen, wie er ist .
Das ist unser Grundrecht auf Asyl, unsere Verpflichtungund unser Ausdruck von Werten und von Menschlichkeit .Ich freue mich über diese Einigkeit, weil wir Anfang der90er-Jahre eine ganz andere Debatte hatten, und hoffesehr, dass es dabei bleibt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letz-ten Wochen und Monaten und vor allem am letzten Wo-chenende gesehen, dass viele Bürgerinnen und Bürger inunserem Land diesen Satz mit Leben füllen, indem sieFlüchtlinge willkommen heißen . Überall dort, wo dieFlüchtlinge ankommen und wo sie untergebracht werdenmüssen, stehen Menschen hilfreich zur Seite, spendenGeld und Sachmittel, verteilen Essen und Trinken undhelfen dort, wo sie können . Das ist ein wirklich tolles zi-vilgesellschaftliches Engagement . Es ist an dieser Stellemehr als angebracht, dafür ganz herzlich Dankeschön zusagen .
Wir sagen Danke allen ehrenamtlichen Helferinnen undHelfern . Ich möchte aber auch ausdrücklich all denjeni-gen Danke sagen, die mit hoher Professionalität helfen .Ich meine damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter desTechnischen Hilfswerks, des Deutschen Roten Kreuzes,der Kirchen, der Sozialeinrichtungen und der Wohlfahrts-verbände sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter desöffentlichen Dienstes, auf die sonst viel geschimpft wird,die uns aber mit ihrem Engagement und ihrer Hilfe fürFlüchtlinge Anlass geben, stolz zu sein . Auch dafür herz-lichen Dank!
Wir alle, die wir heute in erster Lesung über den Haus-halt sowie über Flucht und Migration diskutieren, wissen,dass wir weiterhin damit werden umgehen müssen, dassMenschen ihre Heimat verlassen und zu uns kommen .Sie fliehen vor Krieg, Terror und Gewalt und suchen beiuns Frieden und Schutz sowie eine Perspektive für sichund ihre Familien. Ja, Menschen fliehen auch vor Hungerund Armut . Weltweit sind 60 Millionen Menschen aufder Flucht . Diese Zahl können wir kaum erfassen . DieseZahl wird hoch bleiben . Ja, wir werden hier in Deutsch-land viele dieser Menschen aufnehmen und ihnen einePerspektive geben .Wenn wir nicht wollen, dass Menschen im Mittel-meer ertrinken, dass sie in Lkws ersticken und dass sieauf Schlepper angewiesen sind – auch diejenigen, die beiuns eine Bleibeperspektive haben, sind auf solche Wegebislang angewiesen, zum Beispiel die Syrerinnen undSyrer genauso wie die Menschen aus Afghanistan, diezu fast 100 Prozent bei uns Asylrecht bekommen –, undwenn wir die entsprechenden Bilder nicht länger ertra-gen können, dann müssen wir so ehrlich sein, zuzugeben,dass wir eine völlig andere Asylpolitik betreiben müssen,und zwar in Gesamteuropa; das gehört zur Wahrheit. Wirbrauchen legale Wege nach Europa, wenn wir diese Bil-der nicht länger ertragen und die Menschen nicht in denTod schicken wollen .
Herr Minister, Europa wird sich darüber Gedankenmachen müssen, wie es die Außengrenzen sichern undgleichzeitig die Innengrenzen weiterhin transparent hal-ten und das Schengen-System erhalten kann .Ich sage noch etwas, was mir nicht leicht über die Lip-pen geht, was aber zur Wahrheit gehört . Wir wissen ganzgenau, dass nicht alle Menschen, die verfolgt werden undauf der Flucht sind, zu uns kommen können . Nicht allekönnen kommen, und nicht alle können wir so herzlichwillkommen heißen, wie wir das in den letzten Wochenund Monaten getan haben . Nicht alle Menschen könnenbleiben . Auch darüber müssen wir uns sehr sorgfältigGedanken machen . Deswegen halte ich es für unbedingterforderlich – das ist für mich eine der wichtigsten For-derungen bei den Diskussionen über die Maßnahmen, diewir demnächst beschließen und ergreifen werden –, dieAsylverfahren zu beschleunigen .
Die Menschen müssen schnell eine Antwort darauf be-kommen, ob sie hier bleiben dürfen oder ob sie unser Landwieder verlassen müssen, ob sie hier Schutz bekommenoder nicht . Für diejenigen, die hier Schutz bekommenund denen wir hier Frieden und eine Perspektive geben,müssen wir mehr und schneller etwas tun, wenn es umihre Integration geht . Diese Menschen dürfen wir nichtvertrösten und ihnen sagen: Geduldet euch! – Sie habenzu Recht darauf hingewiesen, Herr Minister, dass dasnicht von heute auf morgen geht . Aber auch hier müssenwir schneller und besser werden, sodass die betreffendenMenschen eine Perspektive bekommen .Wir stehen vor einer großen Herausforderung . Aberich sage heute genauso deutlich: Wir sind nicht überfor-dert . Wir schaffen das in Deutschland .
Wir können das mit einer gemeinsamen gewaltigenKraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunenschaffen . Auch in Europa ist eine gemeinsame Kraftan-strengung notwendig . Wir legen in der heutigen Debattedafür die Grundlagen . Der Haushalt, über den wir in ers-ter Lesung beraten, ist schon jetzt Makulatur . Wir werdenin den nächsten Tagen und Wochen darüber diskutieren,an welchen Stellen wir mehr Mittel brauchen und wie wiraufstocken . Aber wir bringen nun ein gutes Paket auf denWeg . Ich begrüße ausdrücklich die Beschlüsse des Koa-litionsausschusses von Sonntagabend . Ich halte das fürein hervorragendes Papier . Auf sieben Seiten steht vielRichtiges und Wichtiges . Für mich stellt dieses Papiereine gute Grundlage für die weitere Diskussion und dievor uns liegende gewaltige Kraftanstrengung dar .
Dr . Eva Högl
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Neben Aufnahme, Unterbringung und gesundheitlicherVersorgung der Flüchtlinge halte ich – wie bereits ange-deutet – kürzere und schnellere Verfahren für erforder-lich . Deswegen ist es wichtig, dass wir die Mittel für dasBundesamt für Migration und Flüchtlinge weiter auf-stocken . Wir werden noch mehr Entscheiderinnen undEntscheider brauchen, vermutlich sogar noch mehr, alswir bereits beschlossen haben . Auch ich habe keine Glas-kugel; aber es ist absehbar, dass noch mehr Menschenkommen, und diese Menschen brauchen eine schnelleEntscheidung .Ich begrüße ausdrücklich, dass die SPD-Forderungaufgenommen wurde, bei der Bundespolizei ganz kräf-tig aufzustocken, nämlich um 3 000 Stellen . Das ist einerichtige und wichtige Entscheidung . Die Bundespolizeibraucht unsere Unterstützung . Sie leistet gute Arbeit undkann auch hier einen ganz wichtigen Beitrag leisten . Mitdiesen 3 000 Stellen legen wir dafür eine gute Grundlage .Ich habe es schon angedeutet: Wir müssen noch mehrtun für die Integration derjenigen in den Arbeitsmarkt,die bleiben können, und auch für die Sprachförderung .Ich möchte zu einem Punkt kommen, der mir in dieserDebatte ebenfalls sehr wichtig ist . Ich sagte schon: Nichtalle können kommen; nicht alle können bleiben. Aber wirmüssen uns hier im Deutschen Bundestag weiter darüberunterhalten, dass viele Menschen zu uns kommen, dievor Hunger, wirtschaftlicher Not und Armut fliehen, diefür sich und ihre Familien eine Perspektive wollen unddie nicht politisch verfolgt sind, aber trotzdem in unsererGesellschaft, in unserem Land eine Perspektive bekom-men können. Darüber müssen wir uns verständigen; auchdas gehört zur Politik für Flüchtlinge und zum ThemaEinwanderung . Ich wünsche mir, dass dies der Auftaktzu einer Debatte darüber ist, wem wir über diejenigenhinaus, die ohnehin kommen, eine Perspektive geben .Denn wir können unseren Wohlstand, die Lebensquali-tät unserer Gesellschaft nur sichern, wenn wir Einwan-derung haben . Einwanderung ist essenziell erforderlichfür unsere Gesellschaft . Zu uns kommen viele Menschen,auch solche, die nicht politisch verfolgt sind, die quali-fiziert sind, die hoch motiviert sind, die lernen wollen,die unsere Sprache sprechen wollen, die sich in unsereGesellschaft integrieren wollen, die arbeiten wollen, dieein neues Leben suchen und eine neue Perspektive . Auchsie sollten wir herzlich willkommen heißen .Ich möchte noch eine Bemerkung zum Thema „Rechts-extremismus und Hass“ machen. Das ist natürlich dieKehrseite dessen, worüber wir zuletzt gesprochen haben .Was die Willkommenskultur angeht, haben wir jetzt eineganz andere Situation als Anfang der 90er-Jahre . Aberwährend wir über unsere Willkommenskultur sprechen,brennen Unterkünfte für Flüchtlinge, werden Anschlägeverübt . Deswegen brauchen wir – das ist heute schon ge-sagt worden; ich erwähne es noch einmal – ein konse-quentes Vorgehen . Notwendig sind sofortige Aktivitätender Polizei, der Staatsanwaltschaft . Wir müssen auch indiesem Bereich die Mittel aufstocken, damit wir Hass-und Gewalttätern keinen Platz einräumen . Dafür ist inunserer Gesellschaft kein Raum . Auch da müssen wirkonsequent handeln, liebe Kolleginnen und Kollegen .Das gehört zur Wahrheit hinzu .Mir ist ein weiterer Aspekt sehr wichtig: Wenn wir fürVielfalt, Toleranz und unsere Demokratie werben wollen,dann müssen wir mehr in Prävention, in unsere Demo-kratie, in das, was unsere Demokratie ausmacht, inves-tieren, und dann müssen wir auch sämtliche Projekte,Programme und Träger, die die Demokratie befördern,besser und konsequenter ausstatten . Auch beim Haushaltder Bundeszentrale für politische Bildung kann vielleichteine Schippe draufgelegt werden; denn auch sie leistetviel für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft .
Ich freue mich, wenn wir hier große Einigkeit haben,und ich freue mich auf die weiteren Debatten . Ich denke,wir haben hiermit eine gute Grundlage für die weitereDiskussion über Flüchtlinge und Einwanderung gelegt .Herzlichen Dank .
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Anja Hajduk, Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grü-
nen .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Beim Thema Flüchtlinge ist gerade Einigkeitbeschworen worden . Bei aller vorhandenen Einigkeitüber die Bereitschaft, Flüchtlinge gut aufzunehmen undzu versorgen, möchte ich doch einmal darauf hinweisen,dass wir nicht vergessen dürfen, dass wir uns bei dieserAufgabe – wir Grünen werden uns daran beteiligen, undwir werden lösungsorientiert mitarbeiten – aber auch dar-auf verlassen können wollen, dass sie gut gemanagt wird .Es reicht nicht, wenn wir uns hier zurufen: Wir schaffendas . – Das ist eine gute Botschaft an die Gesellschaft .Wenn ich mir aber die Zahlen anschaue, die verdeutli-chen, was in den letzten Monaten geschehen ist und wasversäumt wurde, dann muss ich ganz klar feststellen:Dass wir uns gegenseitig „Wir schaffen das“ zurufen,darf nicht das Einzige sein, was wir tun . Man muss auchnachweisen, dass man die Herausforderung bewältigenkann und die Aufgabe professionell managt .
Herr Minister, ich muss schon sagen, dass ich ein biss-chen erschüttert bin, nachdem ich mir angeschaut habe,was im letzten Jahr eigentlich passiert ist . Wir habenvor einem Jahr bei den Haushaltsberatungen 350 neueStellen für das BAMF – Bundesamt für Migration undFlüchtlinge – bewilligt . Während der Beratungen zumNachtragshaushalt am 8 . Mai ist zum ersten Mal vonRegierungsseite verkündet worden: Wir brauchen 2 000zusätzliche Stellen im BAMF, 1 000 in 2015, 1 000 in2016 . – Ich habe nachgefragt und habe vor knapp zweiWochen, am 26 . August, aus Ihrem Haus die Antwort er-halten: 161 von den 750 zusätzlichen Stellen haben Siebesetzt, bezogen auf die erste 1 000er-Tranche, und nur35 von 200 Stellen für Entscheider, 16 Prozent, sind dortbesetzt . – Mit diesem Management werden wir der Her-ausforderung nicht gerecht .Dr . Eva Högl
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Herr Minister, es ist nicht einfach, diese Sache anzu-gehen . Das ist überhaupt nicht unser Vorwurf . Aber ichkann nicht erkennen, dass mit dem nötigen Nachdruckdaran gearbeitet wird . Ich redete von den ersten 1 000Stellen . Was die zweiten 1 000 Stellen angeht, haben Sienur 300 im Regierungsentwurf ausgebracht . Das heißt,die zweiten 1 000 Stellen werden überhaupt erst ab dem1 . Januar 2016 ins Ausschreibungsverfahren gebracht .Die ersten 1 000 und die zweiten 1 000 Stellen, diesePersonalaufstockung für das BAMF, haben Sie kalkuliertbezogen auf einen Stand von 450 000 Flüchtlingen indiesem Jahr . Wir wissen jetzt, dass es 800 000 sein wer-den . Ich kann nicht erkennen, dass Sie personell die Auf-nahme und die Bearbeitung der Anträge dieser Flüchtlin-ge im Griff haben . Ich glaube, wir alle müssen uns ganzandere Maßnahmen überlegen, wie wir das wirklich be-wältigen wollen,
damit das Vertrauen der Bevölkerung darauf, dass wirnicht nur den Willen haben und Mittel im Haushalt da-für einstellen, sondern das auch managen, bleibt . Wennich mir das jetzt ansehe, muss ich wirklich sagen: Herrde Maizière, ich bin ein bisschen entsetzt darüber, wieschlecht wir in diesem September 2015 vorbereitet sind .Das Ganze hat auch den Hintergrund, dass der Leiterdes Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gesagthat: Wir schaffen es wirklich, die Anträge schneller zubearbeiten . Er sagt: Da liegen 250 000 Anträge auf Hal-de . 200 000 arbeiten wir bis zum Ende des Jahres ab . –Das alles basiert doch noch auf der Prognose von 450 000Flüchtlingen – und das bei der Stellenbesetzungskultur,die ich gerade vorgetragen habe! Wenn das so weitergeht,dann haben wir in einem halben Jahr und in einem Jahrimmer noch denselben Mangel in der Bearbeitungssitu-ation . Vor diesem Hintergrund möchten Sie auch verste-hen, dass wir nicht das Vertrauen haben, dass wir, wenngesagt wird: „Wir beschleunigen die Verfahren, indemwir sichere Herkunftsländer festlegen“, unsere Konzent-ration und unsere Power an der richtigen Stelle einsetzen,wenn es darum geht, was eigentlich zu tun ist .
Ich hätte mir gewünscht, dass der Leiter des Bundes-amts für Migration und Flüchtlinge sich im August nichtdarüber ausgelassen hätte, welche Geldleistungen ange-messen sind und ob man Taschengeld streichen kann . Erhätte zusehen sollen, wie er, was wir seit Monaten wis-sen, viel mehr Hilfe bekommt, um die Aufgabe in seinemAmt zu bewältigen . Sie haben Verantwortung dafür, dasser das begreift und dass er das macht .
Letzter Punkt . Wir reden hier auch über Sicherheit undSicherheitspolitik . Wir Grünen sind bereit, die wirklichhohen Aufstockungen beim Personal im Sicherheitsbe-reich wohlwollend zu prüfen und da mitzugehen . Aber,Herr Minister, es ist für uns wirklich inakzeptabel, dassSie in der Innenausschusssitzung am 2 . September, dieeigens einberufen worden war, um über das Thema„Übergriffe auf Asylbewerberunterkünfte“ zu sprechen,zu den wesentlichen Fragen meiner Fraktionskollegendazu, was vorgefallen ist, wie Sie das erfassen, um wasfür Straftatbestände es sich handelt, gesagt haben: Ichkann Ihnen dazu keine Auskunft geben . – Auch das halteich für ein Missmanagement bei der Sicherheitsaufgabeund der Problematik, die wir alle gerade mit Betroffen-heit zu gewärtigen habe, dass es nämlich Übergriffe gibtauf Asylbewerber und auf diejenigen, die sich für dieseengagieren, auch für deren richtige Unterbringung . Siehaben auch eine Verantwortung, gegenüber dem Parla-ment auskunftsfähig zu sein, wie die Sicherheitssituationaussieht .
Ich komme zum Schluss . Herr Minister, Sie habengesagt: Lassen Sie uns über die Haltung reden . Daraufwill ich gerne zurückkommen . Ich bin jetzt sehr kritischgewesen . Sie haben darauf hingewiesen, wir sollten andas Lied denken, das beim Kirchentag viel und gern ge-sungen wird: Vertraut den neuen Wegen . Wissen Sie, wiedas Lied weitergeht? „… weil Leben heißt: sich regen“ .Bitte machen Sie mehr, und managen Sie das besser . Nurso behalten wir das Vertrauen und die Stimmung in derBevölkerung für diese Aufgabe .Schönen Dank .
Nächster Redner ist der Abgeordnete Thomas Strobl,
CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident Hintze! Verehrte Kolleginnen und Kol-legen! In diesem Sommer ist der syrische Bürgerkriegendgültig nach Deutschland gekommen . Wer geglaubthat, der Nahe Osten sei weit weg und Deutschland könnesich trotz seiner Stärke aus der Weltpolitik heraushaltenund zurückziehen, ist eines Besseren belehrt worden .Hunderttausende fliehen aus den Krisengebieten undhaben sich auf den Weg nach Europa, nach Deutschlandgemacht . In ihren Zug reihen sich Tausende Flüchtlingeaus Afrika und den Balkanstaaten ein, die in ihren Län-dern keine Zukunft mehr für sich sehen . Auf der Fluchtspielt sich täglich Dramatisches ab . Der Schrecken hateine Chiffre bekommen: Ein kleines Kind liegt tot amtürkischen Strand, mit dem Gesicht im Sand .Wer angesichts solcher Bilder kein Mitgefühl, keineScham, keine Trauer empfindet, der hat kein Herz. Weraber Mitleid und Gefühl allein zum Maßstab politischenHandelns macht, der vergisst seinen Verstand und wird,was weit schlimmer ist, in letzter Konsequenz zerstören,was wir alle miteinander erhalten und bewahren wollen,nämlich ein Zufluchtsort für Menschen zu sein, die ver-folgt werden, die um ihr Leben fürchten, die aus einembrutalen Bürgerkrieg in Syrien flüchten müssen, die vorGewalt, Folter und Tod aus dem nördlichen Irak fliehenAnja Hajduk
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müssen . Ja, für diese Menschen wollen wir in Deutsch-land auch in Zukunft ein offenes Herz haben und sie mitoffenen Armen empfangen .
Was ist zu tun? In Europa erleben wir derzeit das Ge-genteil von dem, was eigentlich getan werden müsste .Wir erleben nicht die Konzentration der großen euro-päischen Kraft, sondern viel kleinlichen nationalstaatli-chen Egoismus . Mit Vorsatz wird jeden Tag europäischesRecht tausendfach gebrochen, und man ist froh, dassman selber nicht die Belastungen tragen muss, die mitder Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen undZuwanderern verbunden ist . Man ist froh, dass der großeNachbar Deutschland diese Lasten schultert .Zurzeit nimmt Deutschland 40 Prozent aller Flücht-linge auf, also fast so viele wie alle anderen Staaten inder Europäischen Union zusammen. Ich finde, das mussim Deutschen Bundestag einmal sehr klar gesagt werden:Wir stellen uns europäische Solidarität nicht so vor, dasssich in Europa 2, 3 Länder der Flüchtlingsproblematikannehmen und sich 25 andere Länder einen schlankenFuß machen . Das können wir nicht akzeptieren, und daswerden wir auch nicht akzeptieren .
Wir sind sehr weit von europäischer Solidarität entferntund brauchen doch dringend eine gemeinsame europäi-sche Asylpolitik . Auf diese zielt die Initiative der deut-schen Bundeskanzlerin und des französischen Staat-spräsidenten . Das unterstützen wir, wie wir auch dieBemühungen und Initiativen des BundesinnenministersThomas de Maizière unterstützen . Wir brauchen gemein-same Aufnahmezentren in den europäischen Grenzstaa-ten . Deutschland muss und wird mit aller Kraft dort ein-steigen, mit Personal und mit Geld .Wir brauchen in Europa eine gemeinsame Definitionvon sicheren Herkunftsländern .
Was ist denn das für eine Lage – das sind unsere Nach-barländer –, wenn in Frankreich ein Balkanstaat ein si-cheres Herkunftsland ist, wenn in Österreich ein Balkan-staat ein sicheres Herkunftsland ist, in Deutschland dasaber nicht der Fall ist?Wir brauchen eine gemeinsame faire Verteilung derFlüchtlinge in Europa . Ich persönlich füge hinzu: Wirbrauchen auch ein einheitliches soziales Niveau für dieFlüchtlinge in Europa . Ich will ausdrücklich sagen: Derfranzösische Staatspräsident beteiligt sich an dieser Ini-tiative in einer Situation, in der auf ihm durch die Stärkedes rechtsextremen radikalen Front National ein außer-gewöhnlicher Druck lastet. Ich finde, dafür gebührt demfranzösischen Staatspräsidenten große Anerkennung .Was brauchen wir in Deutschland?Wir werden die Herausforderungen nur mit einer ge-meinsamen nationalen Kraftanstrengung meistern kön-nen . Die Bundeskanzlerin hat den Ministerpräsidenten imJuni zugesagt, dass der Bund seine bisherigen Leistungenerhöhen und sich noch stärker an den Kosten beteiligenwird . Wir werden nicht Millionen, sondern wir werdenMilliarden mobilisieren . Im Bundeshaushalt 2016 wer-den wir die Ansätze um 3 Milliarden Euro erhöhen undLändern und Kommunen weitere 3 Milliarden Euro zurVerfügung stellen . Das ist richtig so .Den Ländern indessen müssen wir aber auch sagen:Am Ende der Verhandlungen kann nicht allein mehr Geldvom Bund stehen, sondern das Ergebnis muss ein umfas-sender Maßnahmenkatalog sein .Dazu muss erstens eine Verkürzung der Verfahrenbeim BAMF selbstverständlich gehören . Deswegen ha-ben wir für das Bundesamt für Migration und Flüchtlingeim letzten und in diesem Jahr bereits die Schaffung von1 650 neuen Stellen beschlossen .
Wir werden dieses Amt 2016 mit bis zu 1 000 zusätz-lichen neuen Stellen ausstatten . Frau Kollegin Hajduk,wenn es mehr Stellen sein müssen, dann werden wir unsmit dieser Frage auch aufgeschlossen befassen .Unser Ziel muss es sein, die Asylverfahren nicht inMonaten, sondern in Wochen zu entscheiden .
In manchen Nachbarstaaten werden sie in Tagen ent-schieden . Niemand bestreitet, dass das Rechtsstaatensind . Die Länder müssen dann allerdings auch für rascheGerichtsverfahren sorgen, und sie müssen Ausreisever-pflichtungen konsequent durchsetzen. Hier erwarten wirnicht nur Absichtsbekundungen der Bundesländer,
sondern quotierte Zusagen für eine Aufstockung des Per-sonals bei den Ausländerbehörden und den Verwaltungs-gerichten .
Wir müssen zweitens genau unterscheiden zwischendenen, die unseres Schutzes bedürfen, und denen, dieletztlich einen Asylantrag in Deutschland stellen, weilsie in ihren Heimatländern keine wirtschaftliche Zukunftsehen . Letztes gilt insbesondere für die Menschen vomwestlichen Balkan, deren Schutzquote gegen null ten-diert . Mögen ihre Motive für eine Reise nach Deutsch-land menschlich sehr nachvollziehbar sein, wir müs-sen ihnen klar und deutlich sagen: Eine wirtschaftlicheNotlage ist kein Asylgrund . Einwanderung erfolgt inDeutschland nicht über das Asylrecht . Das ist ein klarerGrundsatz, über den wir uns eigentlich hier verständigenkönnen müssten .
Thomas Strobl
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Nur wer an diesen beiden Grundsätzen festhält, wirddie Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung langfristigsichern . Nur wer die Aufnahmebereitschaft in der Bevöl-kerung sichert, wird das Grundrecht auf Asyl und zentra-le Errungenschaften der Europäischen Union dauerhaftund uneingeschränkt bewahren können .Weil wir den Schutzbedürftigen auch in ZukunftSchutz gewähren wollen, werden wir Zehntausende ab-weisen und zurückführen müssen, nicht aus Hartherzig-keit, sondern aus Einsicht in die Grenzen unserer Mög-lichkeiten und von dem Willen bestimmt, auch in Zukunftden tatsächlich Schutzbedürftigen hier eine Heimstatt zugeben .
Wir müssen drittens genau prüfen, welche Auswir-kungen bestimmte Regelungen im Ausland haben . Inder Phase der Erstaufnahme erhält eine Familie mit zweiKindern zusätzlich zu allen Sachleistungen 400 Euro imMonat . In der Kommune wächst dieser Betrag auf über1000 Euro an . Für Menschen aus den Ländern des west-lichen Balkans ist das sehr viel Geld .
Nicht nur der Chef des Bundesamtes für Migration undFlüchtlinge, sondern viele, die sich im Kosovo ausken-nen, sagen uns, dass allein das schon ein Anreiz ist,die Reise nach Deutschland anzutreten . Ihre KolleginMarieluise Beck etwa, die von Migration, vom Balkan,von Osteuropa wirklich etwas versteht, hat in der Frank-furter Allgemeinen Zeitung berichtet, dass unsere Zah-lungen es vielen Familien aus dem Balkan gestatten – ichzitiere –, „Geld für die Zeit nach der Rückkehr anzuspa-ren“. Ich glaube nicht, dass das im Sinne des Erfindersist . Deswegen führt am Beschluss des Koalitionsaus-schusses vom Sonntag kein Weg vorbei: Wir brauchenmehr Sachleistungen und weniger Bargeld .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, all das, wasich angesprochen habe, betrifft nicht nur den Haushaltdes Bundesinnenministers, den wir heute debattieren,und all das wird uns nicht Monate, sondern wahrschein-lich Jahre beschäftigen . Die Flüchtlingsfrage ist zurgrößten politischen Aufgabe unserer Zeit geworden . Wirwerden sie vor allem dann lösen können, wenn wir an ei-nem Strang ziehen, wenn wir sie nicht zuallererst als einFeld parteipolitischer Profilierung betrachten.
Die heutige Debatte könnte ein guter Ansatz sein fürdie Debatten in den nächsten Wochen, in diesem und imnächsten Monat, dass wir eher das uns miteinander Ver-bindende als das uns voneinander Trennende herausar-beiten .Vielen Dank fürs Zuhören .
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion
Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichmöchte mich zunächst einmal der Kollegin Högl an-schließen, weil auch ich der Meinung bin, dass eigentlichdas ganze Haus dankbar sein muss über das großartigeBeispiel der Solidarität mit den Flüchtlingen. Ich findees unglaublich, dass sich mitten in der Nacht in Dort-mund Hunderte Menschen aufmachen und die Flücht-linge freundlich empfangen . Deswegen sage ich auch imNamen meiner Fraktion: Herzlichen Dank!
Es ist aber richtig: Auf der anderen Seite haben wirauch ein ganz anderes, ein hässliches Gesicht . Die Ge-walttaten gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte sindin die Höhe geschnellt . Tagtäglich erleben wir in diesemLand Hetze, Anschläge und Aufmärsche von NPD, Pegi-da und rassistischem Mob . Das sind die hässlichen Sei-ten; aber auch auf das Gerede, das Sie, Kollege Strobl,und auch Sie, Herr Minister, heute wieder über den an-geblich massenhaften Asylmissbrauch veranstalten, trifftdas zu . Ich möchte einmal darauf zurückkommen . Sie ha-ben den Westbalkan angesprochen . Da wird im Grundegenommen pauschal einer ganzen Flüchtlingsgruppe dasRecht abgesprochen, dass deren Asylanträge unvoreinge-nommen geprüft werden . Das kann meines Erachtens sonicht gehen .Ich will ein paar Beispiele bringen: Im Juni waren 28Prozent der Flüchtlinge aus dem Westbalkan, nämlich3 611 Menschen, Roma . Selbst die EU-Kommission bzw .EU-Kommissare berichten in ihren Unterlagen, dass die-se Menschen extremer sozialer Ausgrenzung, rassistischmotivierter Gewalt – auch durch staatliche Institutionen– ausgesetzt sind . Sie tun hier aber einfach so, als wennall diese Leute vor allen Dingen auf den Arbeitsmarktwollten, und diskriminieren diese Menschen dadurch,dass Sie ihnen im Grunde genommen das Recht abspre-chen, hier Asyl zu beantragen . Deswegen sage ich ganzeindeutig: Das Asylrecht darf nicht ausgehöhlt werden .Die Linke wird jedenfalls bei der geplanten Form derAushöhlung nicht mitmachen .Schauen wir uns doch einmal um: 43 Prozent der Flücht-linge aus dem Kosovo wurden dort im vergangenen Jahranerkannt . In Frankreich sind 20 Prozent der Flüchtlingeaus Bosnien-Herzegowina ebenfalls anerkannt worden .Dies sage ich, um hier nur wenige Beispiele zu nennen .Wir verlangen hier ganz klar von Ihnen eine klare Prü-fung jedes einzelnen Asylantrags statt pauschaler Verur-teilungen von Flüchtlingsgruppen, die aus dem Westbal-kan kommen .
Meine Damen und Herren, zu den Vorschlägen derKoalition, die gestern vorgelegt wurden, nachdem imMittelmeer bereits über 2 000 Menschen ums Leben ge-Thomas Strobl
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kommen sind, und angesichts der Gewalt an den Gren-zen in Europa und der grausamen Bilder, wie in Ungarn,Montenegro und in anderen Ländern mit Flüchtlingenumgegangen wurde, muss man wirklich sagen: DiesesPapier mit den von Ihnen gemachten Vorschlägen ist ei-gentlich mehr als kläglich .Zu den 3 Milliarden Euro, die jetzt den Ländern undKommunen zur Verfügung stehen, kann ich Ihnen jetztschon sagen: Das wird viel zu wenig sein . Wir brauchenendlich eine gesetzliche Regelung, dass Bund und Län-der gleichermaßen für die Unterkunft der Flüchtlingeaufkommen müssen . Das bedeutet zum Beispiel, vonAnfang an bundesweit die Kosten für die Flüchtlings-aufnahme zu übernehmen und den Kommunen das zuüberlassen, was wichtig ist, nämlich die Integration vonAnfang an, also Sprachunterricht, Eingliederung in denArbeitsmarkt und die Dinge, die nötig sind, damit dieMenschen hier schnell wirklich ankommen .Es hat lange genug gedauert, bis Sie überhaupt re-agiert haben . Gestern hat die Bundeskanzlerin gesagt:Wir waren schnell beim Retten der Banken, jetzt müs-sen wir schnell beim Retten von Flüchtlingen sein . – Ichmeine, dass es viel zu viele Monate gedauert hat, bis hierwirklich etwas geschehen ist .Fakt ist jedenfalls: Im Moment werden viele in rie-sigen Sammelunterkünften untergebracht, Lager werdenschnell hergerichtet . Wir wollen verhindern, dass solcheNotlösungen zu Dauerlösungen werden . Deswegen mussganz schnell etwas passieren, damit die Flüchtlinge aufeinen entsprechenden bezahlbaren Wohnraum verteiltwerden und auch zu Freunden und Familienangehörigengehen können . Insbesondere was die Stigmatisierungdurch solche Massenlager angeht und diese befördert,muss etwas passieren .Die Koalition hat hier unter anderem eingebracht, dasskein Bargeld, sondern Sachleistungen vergeben werden .Das ist hier heute auch noch einmal gesagt worden . Ichhalte das für den reinsten Populismus, denn sparen lässtsich damit nicht wirklich .
Der bürokratische Aufwand für die Ausgabe von Sach-leistungen wird – dies ist von den Kommunen immerwieder gesagt worden – viel höher und viel teurer sein .Deshalb wird man hier nicht sparen . Ausgerechnet beimTaschengeld wollen Sie sparen . Das, was man damitgerade noch erledigen kann, gehört zu den elementarenGrundbedürfnissen, nämlich Telefonate führen, Busfahr-karten kaufen oder vielleicht auch einmal irgendwo einenKaffee trinken . Ausgerechnet hier wollen Sie Sachleis-tungen vergeben. Ich finde, das treibt Flüchtlinge wirk-lich in die Isolation und verhindert jede Teilhabe am öf-fentlichen Leben . Deswegen werden wir solche Attackenauf die Menschenwürde der Flüchtlinge auf gar keinenFall mitmachen .
Meine Damen und Herren, Zuwanderung muss eineBereicherung sein . Es ist durch Studien erwiesen, dassZuwanderung eben nicht Zuwanderung in unsere Sozial-systeme heißt . In der Tat werden die Wirtschaft und dieSozialsysteme sogar gestärkt . Deshalb denke ich: Egal obMenschen aus Angst vor Verfolgung, Krieg, Hunger oderArmut fliehen, es muss darum gehen, Fluchtursachen zubeseitigen . Das bedeutet die Beendigung von Kriegeninsbesondere im Mittleren und Nahen Osten . Es bedeutetaber auch, die Fluchtursachen, die jeden Tag neu geschaf-fen werden, zu beseitigen . Ich schaue in die Türkei, woErdogan Krieg gegen die Kurden führt . Was höre ich vonder Bundesregierung dazu? Nichts . Im Gegenteil, manschweigt . Ich schaue nach Frankreich, wo man verstärktLuftangriffe gegen Syrien fliegen will. Auch hier passiertnichts . Solange die Fluchtursachen nicht bekämpft wer-den, werden die Flüchtlinge hierherkommen, und weiterewerden hierherkommen . Deswegen sage ich: Machen Sieendlich etwas gegen die Fluchtursachen, reden Sie nichtnur darüber . Hören Sie auf, Länder wie die Türkei oderandere Länder mit Waffen zu füttern .
Kollegin Jelpke, achten Sie bitte auf die Zeit .
Das ist die einzige Lösung, die wirklich hilft: dass
Menschen in ihren Herkunftsländern bleiben können und
ihr Leben dort perspektivisch aufbauen können .
Danke .
Der Kollege Burkhard Lischka hat für die SPD-Frak-
tion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibtmanchmal Rekorde, die möchte man eigentlich nicht er-zielen . Wenn in diesem Jahr bis zu 800 000 Menschenzu uns kommen, zu uns kommen müssen, weil sie vorKrieg, Tod, Elend und Vertreibung fliehen, dann ist dasein solcher Rekord . Als „Allzeithoch“ wird das in diesenTagen sehr gerne in unseren Zeitungen beschrieben . Aberes ist eben kein Hochdruckgebiet auf der Wetterkarte, dasmit dem Sommer 2015 wieder abzieht . Der Umgang mitFlüchtlingen – das wissen wir alle – wird uns viele, vieleJahre beschäftigen und auch herausfordern . Das Ganzeist nicht nur eine Herausforderung, sondern eine wirkli-che Herkulesaufgabe, die vor uns liegt, die wir meisternkönnen – ja! –, bei der wir aber auch scheitern können .Viele Menschen in unserem Land wissen das schonlängst . Sie engagieren sich oftmals bis an die Grenzeder Erschöpfung dafür, dass uns diese Aufgabe gelingt –durch die Vermittlung und Aufnahme in Unterkünf-ten, Verpflegung, Spielsachen, Betreuung von Kindern,Deutschunterricht oder ganz einfach durch Zuspruch undBegegnung . Sie sorgen dafür, dass Kinder wieder lachenUlla Jelpke
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können, dass Menschen, die zum Teil alles verloren ha-ben, wieder Hoffnung schöpfen . Diese vielen Menschensind derzeit die Helden des Alltags . Sie geben unseremLand gerade in diesen Tagen ein menschliches Gesicht,und dafür kann man nicht oft genug Danke sagen .
Aber ich weiß auch: Schon dieser letzte Satz des Dan-kes wird dafür ausreichen, dass ich gleich nach dieserDebatte in meinem Büro mit einem Stapel böser E-Mailskonfrontiert werde -
E-Mails, die teilweise so widerwärtig sind, dass es mirmanchmal schwerfällt, meine Sprache wiederzufinden.Ja, es macht mich sprachlos, wenn Tag für Tag vor deut-schen Flüchtlingsunterkünften traumatisierte Menschenankommen, die oft nur ihr nacktes Leben retten konnten,und dort auf Glatzköpfe und sogenannte Wutbürger tref-fen, die die ankommenden Busse mit Steinen bewerfenund skandieren: Weg mit dem Dreckspack! – In solchenMomenten bin ich sprachlos und schäme mich . Aber ichweiß: Ja, es gibt dieses hässliche Gesicht in unseremLand, aber dieses Gesicht steht nicht für unser Deutsch-land im Sommer 2015 .
Wenn es um Not und Mitmenschlichkeit geht, dann ste-hen die Menschen hier in übergroßer Mehrheit zusam-men . Auch das haben wir am letzten Wochenende erlebt,und das hat Deutschland oft bewiesen . So wird es auchdiesmal sein .Richtig ist aber auch, dass diese Zuschriften, die wirja alle kennen, zeigen, wie weit sich einige Teile dieserGesellschaft voneinander entfernt haben, wie wenigGrundkonsens es gibt zwischen denen, die eine unein-geschränkte Solidarität mit Flüchtlingen fordern, undanderen, die meinen, es wären eh schon viel zu viele . Eswird auch eine der Hauptaufgaben der Politik in diesenTagen sein, immer wieder für den Grundkonsens, für dengesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land zu ar-beiten . Denn das ist die Grundvoraussetzung dafür, dasswir diese Herausforderung meistern und das überhauptschaffen können .Ja, wir können das schaffen . Aber die bittere Wahrheit istauch: Wir wollen keine Zäune errichten wie andere undnicht so tun, als wenn uns der Rest der Welt nichts angin-ge, aber wir können auch nicht so tun, als seien unsereMöglichkeiten unbegrenzt . Die Motive der Menschen,die zu uns kommen, sind allesamt ehrenwert, aber nichtallen Verzweifelten werden wir Arbeit, Sicherheit undZukunft geben können . Der Politik fällt in diesen Tagenauch die Aufgabe zu, die Grenze zwischen Möglichemund Unmöglichem zu ziehen . Da ist „Flüchtling“ in die-sem Zusammenhang ein völkerrechtlich klar definierterBegriff, genauso wie das Grundrecht auf Asyl . Das klareKriterium ist Verfolgung, nicht wirtschaftliche Not . Dassjemand zu uns kommt, weil er in seiner Heimat keinewirtschaftliche und persönliche Perspektive sieht, ist ver-ständlich und übrigens auch kein Verbrechen, aber es isteben kein Asylgrund. Ich finde, das ist keine unmenschli-che oder zynische Einstellung .In einem Kommentar, den ich vor einigen Tagen gele-sen habe, wurde nicht ganz zu Unrecht die Situation, inder wir uns derzeit befinden, verglichen mit einem Arzt,der zu einem Massenunfall mit vielen Verletzten geru-fen wird . Wenn sich dieser Arzt zuerst um die Schwer-verletzten kümmert, dann ist das nicht unmenschlich,sondern durchaus verantwortungsbewusst . Deshalb, lie-be Kolleginnen und Kollegen, werden wir einigen, dienicht vor Verfolgung fliehen, ehrlich sagen müssen: DasAsylverfahren ist der falsche Weg, um nach Deutschlandzu kommen . Selbst wenn wir alle hier unser Bestes ge-ben, werden wir nicht allen gerecht werden können . Wirsollten das sagen, ohne Ressentiments und Vorurteile zuschüren; denn jemand ist ja kein Unmensch, wenn erfür sich und seine Familie eine neue Lebensperspektivesucht. Er ist übrigens auch kein Betrüger, ich finde, auchkein Asylbetrüger .
Insofern bin ich über manchen Debattenbeitrag der letz-ten Wochen irritiert . Es kommt jetzt aber auch darauf an,nicht jeden frommen Wunsch als problemlose Realität zuverkaufen .Wir alle wissen: Es gibt viele Schrauben, an denen jetztgedreht werden muss, und manche Schrauben sind sehrschwergängig . Das A und O wird jetzt sein, für schnelleAsylverfahren zu sorgen . Davon hängt alles andere ab,bis hinunter zu den Kommunen . Hier ist der Bund undsonst niemand gefordert .
Wenn 60 000 Menschen derzeit länger als ein Jahr aufeine Erstentscheidung in ihrem Asylverfahren warten,
12 000 Menschen länger als zwei Jahre, und wir 265 000unerledigte Asylanträge haben, dann müssen wir jetzt al-les dafür tun, dass sich das ändert, und zwar auch mitdiesem Bundeshaushalt .
Ich glaube, da werden die 2 000 Neueinstellungen, diewir uns bis zum Frühjahr vorgenommen haben, nicht rei-chen . Denn das bedeutet, dass wir bis zum Jahresende1 000 Entscheider beim Bundesamt für Migration undFlüchtlinge haben . Schafft ein Entscheider im Durch-schnitt 500 Fälle, dann macht das bei 1 000 Entscheidern500 000 Fälle im Jahr . Man muss keine weiterführendeSchule besucht haben, um zu erkennen: 800 000 Asylan-träge in diesem Jahr plus 265 000 Altfälle – das kann mitBurkhard Lischka
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1 000 Entscheidern mehr nicht funktionieren . Da müs-sen wir mehr tun . Wir müssen jetzt einen entscheidendenSchritt nach vorn gehen, sonst bleibt vieles andere, waswir anpacken, nur Stückwerk .Stückwerk würden wir auch abliefern, wenn wir unsnicht mit allen Kräften darum kümmern würden, dieMenschen, die zu uns kommen und bei uns bleiben, abdem ersten Tag zu integrieren und ihnen beim Erlernenunserer nicht einfachen Sprache zu helfen . Wenn die Zu-gewanderten auf eigenen Beinen stehen können, wennihre Kinder zur Schule gehen, wenn ihre Kinder einenJob haben, dann würden alle Seiten davon profitieren ineinem Land, dem in den nächsten 30 Jahren ein Drittelseiner Fachkräfte verloren geht . Dann wäre das, was wirjetzt erleben, nicht nur eine Herausforderung, sonderneine echte Chance für unser Land . Aber auch dafür müs-sen wir jetzt mit diesem Haushalt die Weichen stellenund nicht erst morgen und übermorgen .Herr Minister, Sie werden die SPD an Ihrer Seite ha-ben, wenn es darum geht, in Europa Tacheles zu reden .Dieses Europa wird eines Tages in den Geschichtsbü-chern auch daran gemessen werden, wie es mit seinenFlüchtlingen umgegangen ist . Da muss man im Augen-blick leider den Eindruck gewinnen, wir lebten in einerUnion der Egoisten, und einige Regierungschefs sindderzeit dabei, Hochverrat an unseren gemeinsamen Wer-ten zu verüben . Die Friedensnobelpreisträgerin EU hatim Augenblick viel zu verlieren, vor allen Dingen ihreGlaubwürdigkeit und ihre menschliche Orientierung .„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, das ist dererste und der allerwichtigste Satz unseres Grundgeset-zes – ohne Vorbehalt . Da ist nicht zu lesen: Es sei denn,es sind zu viele Menschen . – Insoweit stehen wir vor ei-ner großen Bewährungsprobe . Scheitern dürfen wir dabeinicht .Danke .
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die
Kollegin Luise Amtsberg das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Diese Haushaltsdebatte – im Besonderen die Debatteüber den Etat des Innenministeriums – ist nicht nur eineDebatte über Zahlen, und ich bin froh, dass sie auch inden vergangenen Minuten nicht so geführt wurde . Wirals Parlament müssen mit diesem Haushalt eine Antwortdarauf geben, wie wir mit dieser historischen Aufgabe,dieser nationalen Verantwortung und Herausforderungumgehen . Diese historische Aufgabe ist eben nicht dieschwarze Null, sondern die Versorgung und Aufnahmevon Hunderttausenden Schutzbedürftigen in Deutsch-land, von Menschen, die vor Krieg und Verfolgung ge-flohen sind.
Was wir derzeit in Deutschland erleben – das giltinsbesondere für die Bilder von den Bahnhöfen in die-ser Republik –, macht Hoffnung . Mit dieser Hilfsbereit-schaft, aber auch den richtigen politischen Maßnahmenwird Deutschland in den kommenden Jahren nicht nurvielen Menschen Schutz bieten können, sondern für vieleauch dauerhaft ein neues Zuhause werden können . Dashöchste Gut, das wir derzeit haben, sind diese unglaubli-che Hilfsbereitschaft, der Mut und das Engagement vonMenschen in Deutschland. Ihnen gilt unser Dank; dennsie waren dort zur Stelle, wo der Staat versagt hat oderpolitische Mühlen zu langsam gemahlen haben .
Die Hilfsbereitschaft der Menschen hängt maßgeblichdavon ab, was jetzt politisch passiert . Sie hängt davonab, ob wir es schaffen, Maßnahmen auf den Tisch zu le-gen, die den derzeitigen Ausnahmezustand beenden . Hiermüssen wir tatsächlich über Inhalte streiten . Am Samstaghatte die Bundesregierung noch mit einer großzügigenGeste mehreren Tausend am Budapester Hauptbahnhoffestsitzenden Flüchtlingen die Einreise nach Deutschlanderlaubt, und schon am Sonntag präsentierte die GroßeKoalition einen Beschluss, der unter anderem zahlreicherestriktive Maßnahmen enthält . Maßnahmen zur Verein-fachung von Asylverfahren findet man in dem Papiernicht . Darin sehen wir, die grüne Fraktion, aber den we-sentlichen Schlüssel . Frau Kollegin Högl, im Gegensatzzur SPD haben wir definiert, wie die Vereinfachung undBeschleunigung von Asylverfahren gelingen kann .Der Beschluss vom Sonntag zeigt, dass man in vie-len Punkten hinter die Vereinbarungen der vergangenenJahre zurückfallen will. Die Residenzpflicht soll wiederausgeweitet werden und das Sachleistungsprinzip wiedereingeführt werden . Ich frage mich: Warum eigentlich?Das Sachleistungsprinzip ist nicht nur diskriminierend,sondern es verursacht auch einen enormen bürokrati-schen Aufwand, genauso wie die Residenzpflicht, diesich im Übrigen aus der geplanten Verlängerung des Ver-bleibs in den Erstaufnahmeeinrichtungen ergibt . Dieserenorme bürokratische Aufwand ist das Letzte, was wirjetzt gebrauchen können .
Zum Vorschlag des Innenministers, den Verbleib inder Erstaufnahmeeinrichtung auf sechs Monate zu ver-längern: Wieso halten Sie sich eigentlich mit solchenVorschlägen auf, obwohl Sie wissen, dass es in der jet-zigen Situation überhaupt nicht möglich ist, Flüchtlingeso lange in zentralen Aufnahmeeinrichtungen zu halten?Es ist doch eher so, dass wir die Flüchtlinge schnell aufdie Kommunen verteilen, weil die Kapazitäten in denErstaufnahmeeinrichtungen fehlen . Daran werden auch150 000 Erstaufnahmeplätze nichts ändern . Statt die Län-der damit in eine schwierige Situation zu bringen, sollteder Fokus des Innenministers endlich auf der Entlastungdes Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge liegen .Das fällt in Ihre Zuständigkeit . Der Bearbeitungsstau vonmittlerweile über einer Viertelmillion Anträgen kann nurdurch Verfahrungserleichterungen beseitigt werden . Ichfrage mich: Warum verwenden Sie so viel Kraft darauf,Burkhard Lischka
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sich an Nationalitäten mit niedrigen Schutzquoten ab-zuarbeiten, obwohl es bei Nationalitäten mit besondershohen Schutzquoten so viel Raum für Hilfe durch büro-kratische Erleichterungen gibt? Syrien 100 Prozent, Af-ghanistan 78,4 Prozent, Irak 99,7 Prozent – es dauert zulange, wenn Asylsuchende aus diesen Ländern im Durch-schnitt 11 bis 18 Monate auf eine Entscheidung wartenmüssen . Hierauf sollte der Fokus liegen .
Um ein bisschen konkreter zu werden: Es ist Ressour-cenverschwendung, wenn man alle Asylanträge von an-erkannten Flüchtlingen nach drei Jahren erneut überprüft .Im zweiten Quartal dieses Jahres kam es zur Einleitungvon über 3 000 Widerrufsverfahren, über 500 davon ge-gen anerkannte Syrer . Diese Widerrufsprüfungen bindenunnötige Kapazitäten im Bundesamt und verunsichernanerkannte Flüchtlinge . Das ist doch völliger Quatsch .
Meine Fraktion ist der Auffassung, dass, um tatsäch-lich einen Anreiz zur Beschleunigung der Verfahren zusetzen, nach einem Jahr ein Schnitt gemacht werden soll-te, dass für Asylverfahren, die nicht innerhalb eines Jah-res beschieden werden, quasi eine Altfallregelung geltensollte . Das würde das BAMF wieder voll arbeitsfähigmachen und überlange Verfahren endlich beenden . Abersolche Vorschläge bleiben Sie in Ihrem Papier leider Got-tes schuldig .Bedauerlicherweise findet sich auch kein Wort im Ko-alitionsbeschluss zur Zukunft des Dublin-Verfahrens –auch ein wesentlicher Punkt, und das, obwohl die Bun-deskanzlerin gerade gestern noch der Presse verkündethat, dass die derzeitige europäische Flüchtlingspolitikkomplett gescheitert ist . Im Übrigen sehen wir das schonseit vielen Jahren so und stimmen ihr da ausdrücklich zu .Allerdings liegt der Schlüssel auch hier in der Verkür-zung von Verfahren . Wir Grünen wollen, dass die Dub-lin-Überstellungen neben Syrern auch für andere Staats-angehörige ausgesetzt werden . Denn wie wollen Sie bitteschön erklären, dass man Syrer nicht nach Ungarn, Itali-en oder Bulgarien abschieben darf, eritreische oder ira-kische Flüchtlinge aber schon? Das macht keinen Sinn,
zumal es um die Abschiebung in ein Land geht, dasFlüchtlinge interniert, kriminalisiert und demnächst mitNotstandsgesetzen und drakonischen Strafen bei illegalerEinreise reagiert .Deshalb appelliere ich namens meiner Fraktion an Sie,die regierungstragenden Fraktionen, vor allen Dingen inden Gesprächen mit den Ländern diese Vorschläge of-fen zu prüfen, vielleicht auch zu konkretisieren und zuübernehmen; denn das würde tatsächlich helfen, demBAMF wieder die Kapazitäten zu geben, die es braucht,um Asylverfahren schnell zu bearbeiten, und auch in derPerspektive – wir müssen davon ausgehen, dass in dennächsten Jahren ähnlich viele Menschen nach Deutsch-land kommen und Schutz suchen – mit den jetzigen Per-sonalkapazitäten in irgendeiner Form handlungsfähig zubleiben . Meine Kollegin Anja Hajduk hat das beschrie-ben . Das ist derzeit nicht absehbar . Da müssen wir drin-gend aktiv werden .Herzlichen Dank .
Das Wort hat der Kollege Dr . André Berghegger für
die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir bera-ten hier den Regierungsentwurf 2016 für den Bereich desBundesministeriums des Innern und seiner Behörden . DerBereich hat ein Gesamtvolumen von 6,8 Milliarden Euro .Das ist eine Steigerung von gut 520 Millionen Euro imVergleich zum letzten Jahr . Es werden deutliche Schwer-punkte in diesem Bereich gesetzt . Aus meiner Sicht sindes zwei Schwerpunkte, die wir vernehmen können, undzwar die Stärkung der Terrorismusbekämpfung und derBereich des Asylverfahrens und der Integration .Zum ersten Bereich, der Stärkung der Terrorismusbe-kämpfung . Über 4 Milliarden Euro – das sind gut zweiDrittel des Etats – werden in den Sicherheitsbereich ein-gebracht und dort verwendet . Das sind insbesondere dieBereiche der Bundespolizei, des Bundeskriminalamtes,des THW, des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz undKatastrophenhilfe und des Bundesamtes für Sicherheit inder Informationstechnik . Die Bedrohungslage durch deninternationalen Terrorismus stellt unsere Sicherheitsbe-hörden vor große Herausforderungen . Da nenne ich ins-besondere das Bundeskriminalamt als Zentralstelle fürdie deutschen Polizeibehörden und als zuständige Be-hörde für die internationale Zusammenarbeit . Hier wer-den nach derzeitigem Stand zusätzlich 200 Stellen und12 Millionen Euro als Sachmittel hinzugegeben .Nennen möchte ich auch die Bundespolizei, die nachdem Stand des Regierungsentwurfs zusätzlich 350 Stel-len und 26 Millionen Euro an Sachmitteln bekommt .Insbesondere hat sie die Aufgabe, die kritischen Infra-strukturen wie Bahn und Flughäfen zu schützen . Nichtvergessen wollen wir das Bundesamt für Verfassungs-schutz .Seit zwei Jahren hat sich insbesondere der Konfliktin Syrien zum Anziehungspunkt für gewaltbereite Isla-misten aus ganz Europa und damit auch aus Deutschlandentwickelt . Die Ausreise nach Syrien sowie die Rück-kehr stellen besondere Gefahrenlagen für die Sicherheitin Deutschland dar . Über 700 Islamisten aus Deutschlandsind in Richtung Syrien und in den Irak gewandert . Rundein Drittel dieser gereisten Personen ist zurzeit wieder inDeutschland, davon rund 50 Personen, die sich aktiv anbewaffnetem Widerstand beteiligt haben . Damit ist dieGefahr von dschihadistisch motivierten Gewalttaten imBundesgebiet jederzeit so, dass sie sich konkretisierenLuise Amtsberg
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kann . Deswegen denke ich, dass der Aufwuchs in diesenbeiden Bereichen dieses Einzelplans, so wie ich es gera-de beschrieben habe, gut und richtig ist und dass dieseSchwerpunktsetzung stimmt .
Der weitere Schwerpunkt „Asylverfahren und Integra-tion“ – wir haben es heute in vielen Beiträgen gehört – istein äußerst emotionaler Bereich . In den letzten Wochenhaben wir ständig Bilder von leidgeplagten Menschenvor Augen, die auf der Flucht vor Krieg und Elend allesverloren haben und nach Sicherheit suchen und sich des-wegen auf nach Europa gemacht haben .Ich habe neulich gelesen, dass Kinderfotos uns dieWahrheit in all ihrer Emotionalität und Bandbreite näher-bringen sollen; das ist richtig. Zwei Bilder haben sich beimir besonders eingeprägt . Eines ist heute schon mehrfacherwähnt worden . Das ist das Bild des kleinen syrischenJungen, der leblos an die türkische Küste gespült wordenist . Das ist eine Bandbreite der Skala . Das andere Bildzeigt das lachende kleine Mädchen mit den schwarzenLocken, das sich freut, in Deutschland zu sein, das sichaufs Lernen freut, weil es Ärztin werden will . Diese Bil-der berühren uns alle, und es kommen täglich neue hinzu .Trotz aller Emotionen – da schließe ich an die Aus-sagen von Thomas Strobl an – brauchen wir, glaube ich,die – ich will es einmal so formulieren – richtige Balancezwischen Herz und Verstand, um dieser Aufgabe gerechtzu werden, um diese Herausforderung der Asyl- undFlüchtlingspolitik zu lösen . Das wird die größte Heraus-forderung, der wir uns gegenübersehen . Ich glaube auch,dass sich die Denkweise dieser Unterscheidung mehr undmehr in der Bevölkerung verbreitet .Diese Herausforderung wird Auswirkungen auf vieleBereiche des Haushaltes haben. Wir sollten die finan-ziellen Spielräume, die wir dieses Jahr haben, für die-se Aufgabe nutzen . Das wird schwierig genug, und daserfordert Disziplin . Aber wir können das schaffen unddennoch die langfristigen Haushaltsziele einhalten, alsda sind: ein ausgeglichener Haushalt, eine Steigerung derAusgaben im Bereich Forschung und Entwicklung undim Bereich der Bildung . Andere Wünsche sollten sichhier zurücknehmen und unterordnen .Die Situation rund um die Flüchtlinge zeigt aus mei-ner Sicht ein Weiteres: Der Haushalt von einem Jahr, sowie wir es systematisch kennen, ist manchmal viel zulangfristig gedacht . Er kann mit den Entwicklungen inder Realität gar nicht Schritt halten . Bei Aufstellung desEntwurfs des Haushaltsplans ging die Prognose noch –wir haben es gehört – von 400 000, 450 000 Flüchtlingenaus . Das ist erst einige Wochen her . Im August prognos-tizierte der Innenminister dann die Ankunft von 800 000Flüchtlingen in diesem Jahr .Natürlich hat das Auswirkungen . Es hat Auswirkun-gen auf Stellen und Sachmittel . Ich knüpfe da an FrauHajduk an . Natürlich hat das einen weiteren Schritt zurFolge . Die Beschlusslage hier bei uns im Hohen Haus istdas eine, aber die Beschlüsse müssen umgesetzt werden .Wir müssen uns in nächster Zeit darüber unterhalten, wiewir bei diesen gestiegenen Anforderungen ausgewieseneStellen weiterhin schnellstmöglich besetzen können, umdieser Aufgabe effektiv nachgehen zu können . Darüberwerden wir während des Haushaltplanverfahrens, denkeich, im Detail diskutieren .Diese Entwicklung ist aus meiner Sicht auch ein Belegdafür, dass es gut ist, den Haushalt auf Sicht zu fahren,nicht vorschnell Spielräume nachhaltig zu verplanen,sondern Freiräume zu erarbeiten, um flexibel auf genausolche Situationen zu reagieren, wie wir sie jetzt vorfin-den .Ich glaube, man kann es nur immer wieder betonen:Die Menschen in Deutschland begegnen den Flücht-lingen mit einer überwältigenden Hilfsbereitschaft undSolidarität . Ich habe das Bild vom Wochenende vor Au-gen: Spalier stehende Menschen in München, wo amWochenende Tausende am Bahnhof angekommen sind .Das stimmt mich und, ich denke, uns alle zuversichtlich .Dieses große Engagement gemeinsam mit unserer wirt-schaftlichen Stärke in unserem Land ist der Grund da-für, dass wir die Herausforderung selbstbewusst angehenkönnen und dass wir sie auch stemmen können .Die größte Belastung entsteht natürlich bei den Kom-munen . Die Aufgabe können wir lösen, aber wir könnensie nur gesamtgesellschaftlich lösen, Staat und Zivilge-sellschaft gemeinsam . Für dieses große Engagement,teilweise über die Belastungsgrenze hinweg – Frau Högl,hier möchte ich gerne an das anknüpfen, was Sie gesagthaben –, egal ob haupt- oder ehrenamtlich, möchte ich andieser Stelle allen Menschen danken, die sich da einge-setzt haben . Danke für dieses Engagement!
Wir sind ein weltoffenes, tolerantes und solidarischesLand . Darauf können wir stolz sein . Deshalb gibt es beiuns auch keinerlei Toleranz für diese empörenden Vor-gänge der Extremisten und radikalen Gewalttäter in derletzten Zeit .
Im Gegenteil: Wir werden das staatliche und das ehren-amtliche Engagement im Bereich der Flüchtlingsarbeit inZukunft weiter verstärken und verstetigen . Wir müssenaber auch die Behördenstrukturen und die Verfahren inden Fokus nehmen und auf ein dauerhaft hohes Niveauanpassen und nicht dauerhaft nur improvisieren . Das giltfür den Bund ebenso wie für die Länder. Ich finde, esist ein wichtiges Signal, was der Koalitionsausschuss amWochenende beraten und beschlossen hat . Frau Jelpke,natürlich kann man sagen, dass 3 Milliarden Euro zu we-nig sind, aber ich möchte eines anmerken: Lassen Sie unsnicht in einen Wettbewerb der Überbietung gehen, wel-che Zahl richtig ist . Ich glaube, wir sollten erst die Auf-gabe beschreiben, an der Lösung arbeiten und uns danngemeinsam um die Finanzierung kümmern .
Dr . André Berghegger
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Am Wochenende wurde im Koalitionsausschuss fest-gehalten – so verstehe ich es -: Alle, die zu uns kom-men, werden menschenwürdig behandelt . Alle, die zuuns kommen, werden menschenwürdig aufgenommen .Die, die einen Asylgrund haben, werden schnell auf dieKommunen verteilt, und die Integration soll frühestmög-lich – so wie Sie es beschrieben haben, Herr Lischka –anfangen .Wir haben in Deutschland einen Rechtsstaat, um denuns viele in der Welt beneiden . Ich bin aber der tiefenÜberzeugung, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung,die wir jetzt haben, auch davon abhängt, dass ein Rechts-staat vollzogen wird . Deshalb müssen diejenigen ohneAsylgrund, so schwer es auch ist, schnell in ihre Heimatzurückgeführt werden, so menschlich nachvollziehbarwirtschaftliche oder andere soziale Gründe auch sind .Unser Asylrecht bietet keinen geeigneten Weg hierfür .
Ich appelliere an dieser Stelle an die Länder, ihrer Ver-antwortung nachzukommen und sich dort, höflich formu-liert, noch mehr zu engagieren .Wir werden für Angehörige der Weltbalkanstaaten dieMöglichkeit der Einwanderung insbesondere bei Vor-liegen eines Arbeitsvertrages oder eines Ausbildungs-vertrages deutlich machen, um legale Einreisewege ausder Heimat aufzuzeigen . Wir werden Fluchtursachen inden Heimatländern stärker bekämpfen und natürlich dieSolidarität anderer EU-Länder einfordern . Hierzu hat derMinister am Anfang ein umfassendes Maßnahmenpaketvorgestellt . Denn eines ist klar: Bei weltweit geschätzten60 Millionen Flüchtlingen geht es auf Dauer nicht, dasseinige wenige Länder mit der Bewältigung dieser Ent-wicklung alleingelassen werden .Neben der europäischen Solidarität müssen wir aufein gemeinsames Asylsystem drängen, immer wiederWert darauf legen und dafür werben . Wir werden schnellhandeln, so wie es auch bei anderen Themen geschehenist und wie es beispielsweise Kardinal Marx angemerkthat . Den Zeitplan haben wir gehört: Wenn alles glattläuft und alle mitmachen, werden wir Mitte Oktober eingroßes Maßnahmenpaket beschlossen haben, in die Um-setzung gehen können und gute, nachhaltige Lösungenerarbeiten .
Zum Schluss kann ich sagen: Die Menschen in diesemLand erwarten von uns eine sachliche Debatte ohne par-teipolitisches Klein-Klein . Der Regierungsentwurf fürdiesen Haushalt und die Beschlusslage im Koalitionsaus-schuss liefern hierfür eine gute Grundlage, eine Chance,diese gesellschaftliche Herausforderung anzugehen . DerWunsch ist eine möglichst große Zustimmung . Ich kannfür die CDU/CSU-Fraktion sagen, dass wir sicherlich un-seren Beitrag dazu leisten werden .Ich freue mich auf die anstehende Debatte und bedan-ke mich fürs freundliche Zuhören .
Das Wort hat die Kollegin Gabi Fograscher für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Wie München am vergangenen Wochenende die Ankunftvon Zehntausenden von Flüchtlingen bewältigt hat, wargroßartig und vorbildlich . Wir können dankbar sein fürdie Hilfsbereitschaft der vielen ehrenamtlichen und frei-willigen Helferinnen und Helfer . In diesen Dank möchteich ausdrücklich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterdes öffentlichen Dienstes und der Verwaltung einbezie-hen, die in diesen Tagen mehr als ihren Job machen .
Diese Haltung der Menschen steht im krassen Gegen-satz zu den Äußerungen einiger aus der CSU .
Heute, kurz vor der Debatte, gegen 15 Uhr gab es eineTickermeldung mit dem Wortlaut:Aus der CSU wird die Forderung laut, abgelehnteAsylbewerber auch in das Bürgerkriegsland Syrienabzuschieben .
… Max Straubinger …: „Nicht überall in Syrienwird gekämpft . Aleppo ist nicht Damaskus .“Straubinger – so heißt es in dieser Meldung weiter – kri-tisierte die Aussage des SPD-Vorsitzenden Gabriel, dergesagt hat, dass Deutschland mit einer halben MillionFlüchtlingen klarkomme . Für Straubinger ist dies „einfalsches Signal nach draußen“ .Herr Straubinger, geben Sie im Netz nur die Stichwor-te „Aleppo“ und „Damaskus“ ein . Dann sehen Sie zer-störte und umkämpfte Städte .
Die CSU will abschieben, abschrecken, abschotten unddann noch die Schuld der SPD zuweisen . So leisten Siekeinen Beitrag zur Bewältigung der wahrhaft großenAufgabe, vor der wir stehen .
Zum Haushalt: Der vorliegende Entwurf des Ein-zelplans 06 für 2016 sieht Ausgaben in Höhe von rund6,8 Milliarden Euro vor . Das sind rund 8,2 Prozent mehrals 2015, und er enthält eben noch nicht das Maßnah-menpaket, das der Koalitionsausschuss am Wochenendebeschlossen hat . Mehr Geld, mehr Personal und mehrFlexibilität sind nötig, um die Aufnahme und die Inte-gration der Flüchtlinge nicht nur kurzfristig bewältigenzu können .Dr . André Berghegger
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Schon seit Jahren steht die Bundespolizei am Randder personellen und sachlichen Kapazitäten . Der Einsatzbei Großereignissen, der Kampf gegen die Alltagskri-minalität an Bahnhöfen und an Flughäfen und der Be-förderungsstau im mittleren Polizeivollzugsdienst wa-ren in den vergangenen Jahren immer Themen in denHaushaltsdebatten . Ich begrüße es ausdrücklich, dassder Koalitionsausschuss am vergangenen Sonntag be-schlossen hat, in den kommenden drei Jahren zusätzliche3 000 Stellen zu schaffen . Uns ist es wichtig, dass diesezusätzlichen Stellen nicht nur wegen der aktuellen Lagegeschaffen werden, sondern langfristig erhalten bleiben .
Vor der Sommerpause haben wir die Reform des Bun-desamtes für Verfassungsschutz beschlossen . Diese Kon-sequenz aus dem NSU-Untersuchungsausschuss bildetsich jetzt im Haushaltsentwurf ab . Die Zusammenarbeitmit den Verfassungsschutzbehörden der Länder und dieAnalysekompetenz im Bereich Rechtsextremismus sol-len und werden sich durch diese Aufstockung der Mittelverbessern .Die Bundeszentrale für politische Bildung leistet ei-nen wesentlichen Beitrag zur Extremismusprävention.Sie hat im Bereich „Salafismus und Dschihadismus“einen Aufgabenschwerpunkt gesetzt . Deshalb ist die imHaushaltsentwurf vorgesehene Kürzung der Mittel von6,8 Prozent kontraproduktiv . Sie muss im parlamentari-schen Verfahren korrigiert werden .
Die Digitalisierung unserer Gesellschaft schreitetunaufhaltsam voran . Neben den positiven Seiten steigtauch die Gefährdung der digitalen Infrastruktur . Deshalbist die Aufstockung der Mittel für das Bundesamt fürSicherheit in der Informationstechnik um 11 MillionenEuro notwendig . Wie wichtig die Arbeit des BSI ist, ha-ben wir hier im Deutschen Bundestag selbst erfahren, alsdas Bundestagsnetz das Ziel eines Hackerangriffs war .Auch das Bundeskriminalamt braucht eine moderneund leistungsfähige Software- und IT-Ausstattung . Dervorliegende Entwurf hält für das BKA einen Aufwuchsder Mittel für den Bereich „Software und Informations-technik“ um 3,7 Prozent bereit .Die wachsende Cyberkriminalität auf der einen Seiteund das zunehmende digitale Abwickeln von Geschäftenund Behördenangelegenheiten auf der anderen Seite ma-chen das BSI und das BKA zu unverzichtbaren Behör-den, die gut ausgestattet werden müssen .Datenschutz und Datensicherheit sind elementar fürdas Funktionieren der digitalen Welt . Die Datenschutz-beauftragte hat jetzt mit einer eigenen Behörde die not-wendige Unabhängigkeit, um öffentliche Stellen beratenund kontrollieren zu können . Um ihrem Auftrag gerechtzu werden, ist eine angemessene personelle und sach-liche Ausstattung notwendig . Der Haushalt der Daten-schutzbeauftragten ist von 9 Millionen Euro in 2013 auf13,2 Millionen in 2016 gestiegen . Aber auch für die Zu-kunft gilt: Mit steigenden Aufgaben muss auch die Per-sonalausstattung mithalten .Das Technische Hilfswerk ist im In- und Ausland imEinsatz . Die technische Ausstattung, der Fahrzeugbe-stand und die Liegenschaften entsprechen noch immernicht den vielfältigen Aufgaben, die es zu bewältigen hat .Auch die vorgesehenen Kürzungen beim Bundesamt fürBevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe werden wirin den Beratungen nochmals thematisieren .Das BMI und seine nachgeordneten Behörden stehenbeim Thema „Integration und Innere Sicherheit“ vor gro-ßen Herausforderungen . Wir werden bei den Beratungenzum Bundeshaushalt und zum Nachtragshaushalt allesdaransetzen, dass das BMI diesen Herausforderungengerecht werden kann .Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Menschen,die nach Deutschland kommen, erhoffen sich Perspekti-ven, und sie wollen in Sicherheit leben . Perspektiven undSicherheit erwarten auch die Menschen hier in Deutsch-land . Diese Aufgabe, vor der wir stehen, beschriebJohannes Rau bereits 2000 in seiner Berliner Rede, ausder auch Sie, Herr Innenminister, zitiert haben, treffend:Wir brauchen eine neue Anstrengung für das Zu-sammenleben aller Menschen in Deutschland –ohne Angst und ohne Träumereien .Ich danke für die Aufmerksamkeit .
Der Kollege Dr . Reinhard Brandl hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, als Sie am Wochen-ende die Bilder aus Ungarn und vom Münchener Haupt-bahnhof gesehen haben . Ich persönlich war hin- undhergerissen . Auf der einen Seite ging mir das Herz auf,als ich sah, mit welchem Engagement, mit welcher Hilfs-bereitschaft zahlreiche Ehrenamtliche und Vertreter vonHilfsorganisationen den Menschen auf der Flucht und inNot sofort unkompliziert beigestanden sind .Auf der anderen Seite ist mir auch bewusst, dass ge-nau diese Bilder dazu geeignet sind, falsche Hoffnungenbei Abertausenden Menschen zu wecken, die ebenfallsauf der Flucht sind und die vielleicht auch nach Deutsch-land kommen wollen . Es ist heute schon mehrmals ge-sagt worden: Wir können nicht alle aufnehmen . Wir kön-nen auch nicht allen, die zu uns wollen, eine Perspektivefür Integration in Deutschland bieten .Meine Damen und Herren, ich werde gleich darübersprechen, was wir in unserem Haushalt alles an Maß-nahmen stehen haben, um die aktuelle Krise in Deutsch-land und in Europa zu bewältigen . Aber ich will einesvorausschicken: Lösen können wir das Problem nicht inDeutschland und auch nicht in Europa . Die Lösung mussin den Herkunftsländern gefunden werden .Gabriele Fograscher
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Wir befinden uns momentan gesamtstaatlich in ei-nem Notfallmodus . Die Zahl der Asylbewerber wächstexponentiell. Jede Prognose ist eine Verdoppelung dervorhergehenden Prognose . Erst waren es 200 000, dann400 000, jetzt 800 000 Menschen . Damit wir diesesProblem lösen, reicht es jetzt nicht, nur mehr Geld undPersonal bereitzustellen – das werden wir auch in denkommenden Wochen tun –, sondern wir müssen auch anStrukturen, an Gesetze und Standards herangehen .Ich will Ihnen ein Beispiel nennen . Ich war letzte Wo-che mit einem Fall befasst, bei dem sich ein Landrat fastgezwungen sah, ein ehemaliges Kasernengebäude derBundesanstalt für Immobilienaufgaben zu be-schlagnahmen, weil er keine andere Möglichkeit mehrgesehen hat, die ihm zugewiesenen Flüchtlinge unter-zubringen . Dank einer guten Kooperation mit der BImAkonnte in letzter Minute eine Lösung gefunden werden .Wir werden jetzt daran arbeiten, wie in solchen Fällendie Kommunen bei den Herrichtungskosten unterstütztwerden .Aber das eigentliche Problem ist ein anderes . In diesesGebäude sollte ursprünglich eine Hochschule einziehen .Dieser Plan ist zumindest zeitlich verschoben worden .Das Problem ist auch, dass wenige Kilometer davon ent-fernt an einer Bahnlinie Flächen zur Verfügung stehen,auf denen man Unterkünfte bauen und Asylbewerberunterbringen wollte, aber dann waren sie zu nah an derBahnlinie, und aus immissionsschutzrechtlichen Grün-den war es nicht möglich, dort Unterkünfte zu errichten .Selbst wenn das möglich gewesen wäre, gab es nocheine andere Sache . Der Bürgermeister vor Ort sagte mir:Wenn er jetzt hier etwas Massives, etwas Festes bauenmöchte und er sich dabei an die bei uns geltenden Bau-vorschriften und Vergabeverfahren hält, dann dauert dasGanze mindestens ein halbes Jahr, bevor er überhauptdaran denken kann, einen Auftrag zu vergeben . Deswe-gen, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir in dernächsten Woche nicht nur mehr Geld und Personal be-reitstellen, sondern wir müssen insbesondere auch unsereStandards der Situation anpassen .
Aber trotzdem bin ich ein Stück weit zuversichtlich,dass wir die Situation meistern, weil ich in den letztenWochen gesehen habe, welche Kraft in unserem Landsteckt . Ich habe vorher die Ehrenamtlichen und die Hilfs-organisationen erwähnt . Aber was unsere Mitarbeiter aufallen staatlichen Ebenen im Moment leisten, ist schierunbeschreiblich . Ich möchte mich deswegen an dieserStelle explizit bei den Mitarbeitern im Bund bedanken,vor allen Dingen bei denen im BAMF und in der Bun-despolizei, bei den Mitarbeitern in den Ländern, aber vorallem auch bei den Mitarbeitern in den Kommunen, inden Landkreisen, die vor Ort täglich damit befasst sind,neue Unterkünfte zu organisieren, zu schauen, wie manMenschen unterbringen und ihnen unkompliziert helfenkann . Es ist unglaublich, wie sie über sich hinauswach-sen . Meine Damen und Herren, herzlichen Dank von die-ser Stelle aus .
Gleiches gilt für die Bürgermeister und Landräte, diediese Aufgabe als das begreifen, was sie ist, nämlicheine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir profitieren alsGesamtgesellschaft auch davon, dass wir in einem derstabilsten, wohlhabendsten und sichersten Länder derWelt wohnen dürfen . Meine Damen und Herren, dannmüssen wir auch damit umgehen, dass von uns für alleMenschen, die nicht so wie wir hier leben können, einemagnetische Anziehungskraft ausgeht .Meine Damen und Herren, ich habe es vorhin erwähnt:Wir können nicht alle, die zu uns kommen, bei uns auf-nehmen . Das fairste Verfahren für alle Beteiligten ist es,den Menschen, die zu uns kommen, frühzeitig mitzutei-len, ob sie in unserem Land eine Perspektive haben, und,wenn sie eine solche haben, ihnen schnellstmöglich In-tegrationsangebote – zum Beispiel in Form von Sprach-kursen – zu machen . Wenn sie keine Perspektive haben,sollten wir ihnen das auch offen sagen, sie zur Ausreiseauffordern oder notfalls zurückführen .Gerade deshalb haben wir bereits in den letzten Jahrendas Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kontinu-ierlich verstärkt . Wir haben es im letzten Jahr um 300Mitarbeiter und in diesem Jahr in einer ersten Trancheum 350 Mitarbeiter verstärkt, und in einer zweiten Tran-che gab es eine Aufstockung um 750 Mitarbeiter .
Liebe Frau Kollegin Hajduk, Sie haben jetzt gerade denVorwurf gemacht, dass dort auch noch zu viele unbesetz-te Stellen vorhanden sind . Man muss aber natürlich sa-gen: 750 Stellen gelten seit dem 2 . Juli 2015 . Seitdem istder Nachtragshaushalt in Kraft .
Seitdem läuft auch die Besetzung, und ich bin zuversicht-lich, dass das Bundesamt bis Ende des Jahres all seineStellen besetzt haben wird .
Wir merken es auch bei den Verfahren . In den letztenJahren wurden die Asylverfahren deutlich beschleunigt .In 2014 hatten wir eine durchschnittliche Verfahrensdau-er von 7,1 Monaten . Jetzt sind wir mittlerweile schon bei5,3 Monaten . Bei Syrern sind es 3,9 Monate .
Das Problem ist nur, dass die Anzahl der Flüchtlinge vielschneller wächst, als dass wir in gleichem Tempo Perso-nal seriös einstellen und qualifizieren können; denn wirhaben hohe Anforderungen an dieses Personal, was dieQualität ihrer Entscheidungen angeht .Dr . Reinhard Brandl
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Meine Damen und Herren, der Konflikt in der arabi-schen Welt, insbesondere in Syrien, betrifft uns nicht nurin Bezug auf die Flüchtlinge, sondern es gibt im Momentauch die größte Gefährdung – es ist die größte überhauptin unserer Geschichte – durch islamistischen Terroris-mus . Auch wenn das jetzt momentan in den Medien nichtso sehr präsent ist – die Anschläge in Paris und Belgiensind erst wenige Monate her : Wir müssen uns auch, wasdie Sicherheitsbehörden anbelangt, auf diese Lage ein-stellen . Wir haben bei der Bundespolizei im letzten Jahrfür dieses Jahr bereits 400 Stellen genehmigt . Dann ka-men die Anschläge . Der Minister hat das Antiterrorpaketmit verhandelt . Danach gab es 350 weitere Stellen . Undjetzt, angesichts der Eskalation der Flüchtlingskrise, gabes noch einmal 3 000 Stellen für die Bundespolizei .Sehr geehrter Herr de Maizière, sehr geehrter HerrSchäuble, vertreten heute durch Jens Spahn, ich möchtemich ganz herzlich bei BMI und BMF für den Schrittbedanken, der am letzten Sonntag getan worden ist . Dasist ein starkes Signal für die innere Sicherheit in unseremLand . Herzlichen Dank dafür .
Meine Damen und Herren, ich könnte noch über an-dere Sicherheitsbehörden sprechen . Die Frau KolleginFograscher hat vorhin angesprochen, dass das BSI groß-artige Leistungen bei der Bewältigung des Cyberangriffsgezeigt hat . Ich wüsste gar nicht, wie wir es ohne das BSIgeschafft hätten .Der Präsident der Bundeshelfervereinigung des THWhat mich explizit auch noch einmal gebeten, etwas zumTHW zu sagen . Das mache ich – insbesondere auch imKontext der aktuellen Flüchtlingskrise – gern. Denn dasTHW ist die Organisation, die wirklich überall hilft . Aufder einen Seite muss es dorthin, wo Flüchtlinge ankom-men und kurzfristig in großem Maße schnell und unkom-pliziert untergebracht werden müssen . Auf der anderenSeite gilt das aber auch für die Herkunftsländer .Wir – Kollege Gerster und Frau Hajduk waren auchdabei – waren in al-Zaatari, einem Flüchtlingslager inJordanien mit über 80 000 Flüchtlingen, die dort unter-gebracht sind .
Das deutsche THW baut dort Kläranlagen und trägtvor Ort massiv dazu bei, dass die Menschen dort blei-ben . Deswegen haben wir das THW schon im laufendenJahr mit einem großen Liegenschaftsprogramm gestärkt .Überall in Deutschland werden im Moment Liegenschaf-ten renoviert und neu gebaut . Ich möchte mich bei Bun-desminister de Maizière bedanken, der dem THW bereitsim Regierungsentwurf 2 Millionen Euro mehr für Inves-titionen zur Verfügung gestellt und es auch bei den Ein-sparungen deutlich entlastet hat .
Meine Damen und Herren, der Haushalt des Bundes-innenministers ist nicht der größte im Bundeshaushalt,aber der Minister, sein Haus und der Haushalt werdeneinen entscheidenden Einfluss darauf haben, ob wir dieaktuellen Krisen bewältigen . Herr Minister, unsere Un-terstützung haben Sie dabei .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Das Wort hat der Kollege Matthias Schmidt für die
SPD-Fraktion .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Das wichtigste Thema dieser Debatte ist selbstverständ-lich die Flüchtlingspolitik . Ich möchte trotzdem meinenSchwerpunkt auf den Sport legen . Denn auch der Sportkann für Flüchtlinge eine Brücke in unsere Gesellschaftbauen .
Grundsätzlich, Herr Minister, hat es der Sport imBMI-Haushalt nicht immer leicht, sich zu behaupten .Das galt nie für die Höhe des Haushaltsvolumens oderfür die konkrete Sportförderung, aber politisch wurde derBMI-Haushalt immer von anderen Themen dominiert .Auch in diesen Haushaltsberatungen ist das sehr offen-sichtlich . Flüchtlingspolitik ist das beherrschende The-ma, und das ist auch richtig und gut so .Gleichwohl, auch der Sport geht weiter . HamburgerZeitungen fragen im Zusammenhang mit der aktuellenDebatte schon, ob in diese Zeiten überhaupt eine Olym-piabewerbung passt . Ich meine: Ja, unbedingt .
Der Sport leistet einen wichtigen Beitrag zur Integ-ration . Er kann ihn leisten . Nicht nur der Sport kann dasleisten – viele andere Bereiche der Gesellschaft könnenes auch –, und der Sport kann es schon gar nicht alleinetun, aber er leistet einen wichtigen Beitrag . Er ermöglichtGemeinschaftserlebnisse, er lehrt Regeln, und er ist ge-wöhnlich sehr fair .Dem Spitzensport, den wir fördern, kommt gemein-sam mit dem Breitensport eine enorme gesellschaftlicheBedeutung zu . In diesem Sinne hat das Bundesministeri-um des Innern einen sehr guten Haushaltsentwurf vorge-legt, der auf hohem Niveau verbleibt, was angesichts derHerausforderungen unserer Zeit wahrlich keine Selbst-verständlichkeit ist .
Dr . Reinhard Brandl
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 119 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 08 . September 2015 11599
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Ich möchte einige Punkte positiv hervorheben . So istdie Förderung für „Jugend trainiert für Olympia“ und„Jugend trainiert für Paralympics“, worüber wir im Par-lament sehr gestritten haben, fortgeschrieben worden . Siebleibt erhalten . Es gibt Aufwuchs für wichtige Projektefür Fair Play und im Kampf gegen Rechtsextremismus.Auch das ist ein sehr aktuelles Thema .Der Haushalt sorgt weiter dafür, dass Doping bekämpftwerden kann, mit Zuschüssen an die WADA und an dieNADA . Dazu passt auch unser Anti-Doping-Gesetz, daswir im Parlament noch beraten und beschließen werden .Ich möchte zusätzlich sehr positiv erwähnen, dass dieFörderung bei IAT und FES, die beide für den Spitzen-sport einen sehr wichtigen Beitrag leisten, auf hohemNiveau erhalten geblieben ist . Wenn es uns gelingt, derSportwissenschaft ein wenig Konkurrenz einzuhauchenund dort zu neuen Ergebnissen zu kommen, dann ist dasauch nicht schlecht .Aber wo Licht ist, da ist auch Schatten . Das Erste,worüber man im Haushalt stolpert, Herr Minister, ist,dass bei der Olympiabewerbung für Hamburg eine Nulleingestellt ist . Wir hatten im Nachtragshaushalt 10 Mil-lionen Euro für dieses Jahr und für die beiden folgendenJahre beschlossen . Ich hatte erwartet, dass das im Haus-halt auch so fortgeschrieben wird . Das ist nicht der Fall .Ich habe heute schon einmal mit Herrn StaatssekretärSchröder darüber diskutiert . Ich habe die Gründe nichtgenau verstanden . Auch aus dem Schwerpunktpapier desEinzelplans 06 geht das nicht eindeutig hervor . Aber da-für gibt es auch noch die Ausschussberatungen, in denenwir dies beraten können .Der Ansatz für den Behindertensport erfährt leidereine leichte Absenkung . Es handelt sich zwar nur um7 000 Euro . Gleichwohl ist das ein falsches Signal, daswir an dieser für unsere Gesellschaft so wichtigen Stelleaussenden . Auch die Mittel für Verbände mit besondererAufgabenstellung werden erheblich gekürzt . Aber all dassind Themen, die wir in den Ausschussberatungen be-handeln werden .Es gibt neben dem Haushalt in der Sportpolitik einewichtige Sache, die ich ganz kurz ansprechen möchte,Herr Minister . Der deutsche Sport steht vor einer Neu-ausrichtung der Spitzensportförderung . Dazu haben Sieein Beratungsgremium aus jeweils drei Mitgliedern desBMI und des DOSB einberufen . Auch die SMK ist ver-treten. Sieben Expertinnen und Experten runden diesesGremium ab . Wir Abgeordnete sind nicht dabei . Aberwir sind der Haushaltsgesetzgeber. Ich finde, Sie müssenschon versuchen, uns an den Tisch zu holen und unserenSachverstand einzubeziehen . Ich möchte diese Gelegen-heit nutzen, diese Forderung noch einmal zu untermau-ern . Ich glaube, wir Sportpolitikerinnen und Sportpoliti-ker wären sehr froh, wenn wir dabei wären .Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit undeinen schönen Abend .
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
mir nicht vor .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Mittwoch, den 9 . September 2015, 9
Uhr, ein .
Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute . Die Sitzung
ist geschlossen .