Protokoll:
18119

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 119

  • date_rangeDatum: 8. September 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 10:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 18:06 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/119 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 119. Sitzung Berlin, Dienstag, den 8. September 2015 Inhalt Glückwünsche zum heutigen Geburtstag des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke . . . . . . . . . 11513 A Glückwünsche zum Geburtstag des Bundes- ministers Dr . Gerd Müller sowie der Abge- ordneten Anette Hübinger, Arnold Vaatz, Kees de Vries, Gerda Hasselfeldt, Josef Göppel, Manfred Zöllmer, Dr . Hans-Peter Uhl und Erika Steinbach . . . . . . . . . . . . . . . . 11513 B Nach Deutschland kommende Flüchtlinge . . 11513 B Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016) Drucksache 18/5500 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11514 C b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019 Drucksache 18/5501 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11514 C Dr . Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11514 D Allgemeine Finanzdebatte (einschließlich Einzelpläne 08, 20, 32 und 60) Dr . Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . 11520 C Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . 11522 B Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11524 C Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11526 B Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11528 B Dr . Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 11530 B Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11531 B Dr . Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11533 A Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11534 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 11535 C Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11537 B Kerstin Radomski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11539 A Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit Hermann Gröhe, Bundesminister BMG . . . . 11540 D Dr . Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 11543 A Dr . Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11544 B Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11546 A Dr . Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11547 B Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11547 D Dr . Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . 11548 B Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 11550 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 119 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 08 . September 2015II Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11551 C Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11553 D Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11555 C Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11557 C Helmut Heiderich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11558 B Einzelplan 07 Bundesministerium der Justiz und für Ver- braucherschutz Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . 11560 C Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 11562 D Dr . Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11564 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11565 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 11567 B Dennis Rohde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11568 D Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . 11570 A Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11571 D Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11573 A Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 11574 D Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11576 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . 11577 D Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11577 C Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . 11578 B Klaus-Dieter Gröhler (CDU/CSU) . . . . . . . . 11579 C Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern Dr . Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11581 C Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11583 D Dr . Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11584 D Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11586 C Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 11587 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 11589 C Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11590 D Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11592 B Dr . André Berghegger (CDU/CSU) . . . . . . . . 11593 C Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11595 C Dr . Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11596 D Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 11598 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11599 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 11601 A (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 119 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 08 . September 2015 11513 119. Sitzung Berlin, Dienstag, den 8. September 2015 Beginn 10 .00 Uhr
  • folderAnlagen
    Matthias Schmidt (Berlin) (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 119 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 08 . September 2015 11601 Anlagen zum Stenografischen Bericht Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08 .09 .2015 Becker, Dirk SPD 08 .09 .2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08 .09 .2015 Groth, Annette DIE LINKE 08 .09 .2015 Hartmann (Wackern- heim), Michael SPD 08 .09 .2015 Heil (Peine), Hubertus SPD 08 .09 .2015 Heller, Uda CDU/CSU 08 .09 .2015 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 08 .09 .2015 Kiziltepe, Cansel SPD 08 .09 .2015 Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08 .09 .2015 Kolbe, Daniela SPD 08 .09 .2015 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lenkert, Ralph DIE LINKE 08 .09 .2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08 .09 .2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 08 .09 .2015 Renner, Martina DIE LINKE 08 .09 .2015 Röspel, René SPD 08 .09 .2015 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08 .09 .2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 08 .09 .2015 Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 08 .09 .2015 Steinbrück, Peer SPD 08 .09 .2015 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08 .09 .2015 Veit, Rüdiger SPD 08 .09 .2015 Satz: Satzweiss.com, Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de http://www.satzweiss.com http://www.printsystem.de http://www.betrifft-gesetze.de 119. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 1 Einbringung Haushaltsgesetz 2016 Epl 08, Epl 20, Epl 32, Epl 60 Allgemeine Finanzdebatte Epl 15 Gesundheit Epl 07 Justiz und Verbraucherschutz Epl 06 Innen Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811900000

Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie bitte Platz .

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zu unserer ersten planmäßigen
Sitzungswoche nach der zweimal unterbrochenen parla-
mentarischen Sommerpause, in der wir traditionsgemäß
in die Beratung des Haushaltsentwurfs für das Jahr 2016
eintreten, bevor wir das in den Ausschussberatungen
dann im Einzelnen vertiefen .

Heute hat der Kollege Wolfgang Gehrcke seinen 72 .
Geburtstag, dem ich im Namen des ganzen Hauses herz-
lich gratulieren möchte .


(Beifall)


Ich nutze die Gelegenheit gerne, die guten Wünsche
für ihn und sein neues Lebensjahr zu verbinden mit
ähnlich guten Wünschen für den Bundesminister Gerd
Müller, die Kollegin Anette Hübinger, den Kollegen
Arnold Vaatz und den Kollegen Kees de Vries, die vor
wenigen Tagen ihren 60 . Geburtstag begangen haben,
die Kollegin Gerda Hasselfeldt, den Kollegen Josef
Göppel und den Kollegen Manfred Zöllmer, die 65 Jah-
re alt geworden sind, und den Kollegen Hans-Peter Uhl
sowie die Kollegin Erika Steinbach, die diese stolze
Zahl sogar noch leicht überboten haben . Ihnen allen ganz
herzliche Glückwünsche!


(Beifall)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit unserer letzten
Plenarsitzung haben die nach Deutschland kommen-
den Flüchtlinge sowie die Reaktionen auf ihre Nöte die
öffentliche Diskussion bestimmt . Wir sehen verzweifelte
Menschen auf ihrem Fluchtweg nach und durch Europa
und erschütternde, kaum erträgliche Bilder derer, die die-
sen Weg mit dem Leben bezahlt haben – darunter auch
viele Kinder .

In unser Mitgefühl und unsere Trauer mischen sich
berechtigte Sorgen, wie wir mit dem weiter anhaltenden
Zustrom in unseren Kommunen fertig werden und die
Kontrolle über das eigene Land, seine Grenzen und sei-
ne Rechtsordnung behaupten können . Wir sprechen jetzt
in Deutschland und in Europa über unseren Umgang mit

diesem humanitären Ausnahmezustand . Wir dürfen und
müssen, auch in der Haushaltsdebatte, gewiss streiten
über nötige und mögliche Maßnahmen, über rechtliche
und finanzielle Rahmenbedingungen, über vorrangige
und nachrangige Aufgaben .

Dass heute Menschen in Not in unserem Land, in
Deutschland, den freien und sicheren Ort erkennen, der
ihnen Schutz und Hilfe gewährt, ist angesichts unserer
Geschichte ebenso erstaunlich wie ermutigend . Ein wirk-
licher Grund, stolz zu sein, ist die imponierende Bereit-
schaft der heute in Deutschland lebenden Menschen, die-
se humanitäre Herausforderung anzunehmen .


(Beifall im ganzen Hause)


Viele Bürgerinnen und Bürger helfen spontan, freiwil-
lig, ehrenamtlich, häufig mit bewundernswertem Einsatz
an Zeit und Geld . Sie ermöglichen Sprachunterricht, sie
geben Nachhilfestunden, sie helfen im Umgang mit Be-
hörden und bei Arztbesuchen, sie übernehmen Vormund-
schaften für unbegleitete Kinder, die in Deutschland
buchstäblich gestrandet sind, sie laden zu Nachbarschaft-
streffen und Ausflügen ein; manche leisten Bürgschaften
und bieten die Unterbringung von Flüchtlingen in der
eigenen Wohnung an . Diesen vielen Tausend haupt- und
ehrenamtlichen Helfern überall in Deutschland möchte
ich im Namen aller Mitglieder des Bundestages aus-
drücklich danken und unseren Respekt bezeugen .


(Anhaltender Beifall im ganzen Hause)


Ihr Engagement ist die überzeugendste Antwort auf
dumpfe Vorbehalte und offenen Fremdenhass, die und
den es auch gibt .

Auch das gehört leider zur Realität unseres Lan-
des: beschämende gewalttätige Ausschreitungen gegen
Flüchtlinge, Unterkünfte und Polizisten, verübt von ei-
ner kleinen lautstarken Minderheit, um eine Atmosphäre
der Angst und Einschüchterung zu schüren . Nicht selten
werden auch diejenigen unter Druck gesetzt, die sich vor
Ort um eine Willkommenskultur bemühen .

Ja, es gehört zur Freiheit dieses Landes, auch gegen
politische Entscheidungen zu protestieren und zu de-
monstrieren, die man falsch oder gar unzumutbar findet.






(A) (C)



(B) (D)


Aber es darf keine Toleranz geben für Pöbeleien, per-
sönliche Beleidigungen, anonyme Hass-Mails oder gar
tätliche Angriffe .


(Beifall im ganzen Hause)


Dies ist die gemeinsame, unmissverständliche Positi-
on aller im Parlament vertretenen Parteien und ihrer Ab-
geordneten . Das Asylrecht ist und bleibt die unantastbare
Selbstverpflichtung unserer Verfassung und unserer Ge-
schichte, und die Menschenwürde gilt ausnahmslos für
alle, die hier leben, unabhängig davon, wie lange sie hier
sind und wie lange sie bleiben können .


(Beifall im ganzen Hause)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa kann weder
die Grenzen für alle öffnen noch seine Grenzen herme-
tisch abriegeln . Es ist ein Gebot der Redlichkeit, auch
deutlich zu machen: Nicht alle, die aus ihrer Heimat vor
Not und Armut flüchten, werden nach Deutschland kom-
men oder in Deutschland bleiben können . Zur Redlich-
keit gehört im Übrigen auch, deutlich zu sagen, dass die
humanitäre Herausforderung, vor der wir aktuell stehen,
keine schnell vorübergehende Aufgabe ist . Das hat die
Bundeskanzlerin wie viele andere in den letzten Tagen
aus guten Gründen immer wieder als große gemeinsame
nationale Aufgabe beschrieben . Dabei werden wir nicht
nur staatlichen Behörden und gesellschaftlichen Einrich-
tungen in den nächsten Monaten einiges abverlangen
müssen, sondern auch den Flüchtlingen, wenn die Inte-
gration gelingen soll .

Vorrangig bedarf es einer gemeinsamen politischen An-
strengung von Bund, Ländern und Kommunen, um so
flexibel wie möglich und so zügig wie nötig eine men-
schenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge sicherzu-
stellen . Aber es braucht auch eine verbindliche europä-
ische Lösung . Wir müssen von allen, ausnahmslos allen,
Mitgliedstaaten der Europäischen Union erwarten, dass
sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten daran beteili-
gen – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger .


(Beifall im ganzen Hause)


Das haben auch die europäischen Parlamentspräsidenten
aus den G-7-Staaten bei ihrer Konferenz am vergangenen
Samstag in Leipzig einvernehmlich festgestellt .

Diese große humanitäre, politische und kulturelle
Herausforderung wird Deutschland verändern . Ich bin
sicher, dass dies letztlich zum Vorteil unseres Landes
geschieht, wenn wir so mutig und entschlossen handeln,
wie das auch bei anderen großen Herausforderungen wie
zuletzt der Finanz- und Bankenkrise geschehen ist .


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Dieses Bewusstsein sollte unsere Debatte in dieser
Woche prägen, vor allem aber unser weiteres gemeinsa-
mes Handeln in Staat und Gesellschaft .


(Beifall im ganzen Hause)


Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die

Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016)

Drucksache 18/5500
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019
Drucksache 18/5501
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im
Rahmen der Haushaltsberatung für die heutige Aus-
sprache im Anschluss an die 40minütige Einbringung
des Haushalts durch den Bundesminister der Finan-
zen 6 Stunden und 24 Minuten, für die Aussprache am
Mittwoch 8 Stunden und 32 Minuten, am Donnerstag
8 Stunden und 29 Minuten und am Freitag 4 Stunden und
48 Minuten vorgesehen . Das wird am Ende vermutlich
eher ein bisschen mehr als weniger werden, aber es wäre
schon gut, wenn wir uns an diese zeitlichen Vereinbarun-
gen hielten, wenn wir sie denn jetzt gleich anschließend
beschließen . – Ich sehe jedenfalls dazu keinen Wider-
spruch . Dann ist der Zeitplan damit so beschlossen .

Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der Bun-
desminister der Finanzen, Dr . Wolfgang Schäuble .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie,
Herr Präsident, eben schon eindrucksvoll gesagt haben,
steht auch diese Haushaltsdebatte im Zeichen der aktu-
ellen Flüchtlingssituation . Sie ist eine Bewährungsprobe
für Deutschland und für Europa, und sie stellt uns alle,
Staat und Gesellschaft, vor die größte Herausforderung
seit langer Zeit . Deshalb hat die Bewältigung dieser an-
spruchsvollen Aufgabe absolute Priorität . Die Aufgabe
stellt sich jetzt, und wir werden sie jetzt bewältigen, und
wir müssen sie auch jetzt finanzieren – wenn möglich,
ohne neue Schulden . Dem haben sich dann andere Aus-
gabenwünsche unterzuordnen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es kommt jetzt darauf an, die Flüchtlingssituation
durch eine enge Zusammenarbeit aller staatlichen Ebe-
nen zu meistern . Wir brauchen passgenaue Antworten,
die allen Beteiligten gerecht werden, und danach ent-
scheidet sich, welche staatliche Ebene welche Aufgabe
wahrnehmen soll . Aus den Antworten darauf muss sich
die Finanzierung ableiten und nicht umgekehrt .

Wir haben uns im Koalitionsausschuss am Sonntag-
abend auf ein umfassendes Paket verständigt . Auf dem
Flüchtlingsgipfel mit den Regierungschefs der Länder
am 24 . September sollen die Maßnahmen dieses Pakets
abschließend besprochen werden . Deswegen macht es
jetzt wenig Sinn, in einen Überbietungswettbewerb ein-
zutreten, wer wie viel konkret bezahlen soll, bevor nicht

Präsident Dr . Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


abschließend geklärt ist, wer was konkret tun soll . Ein
solcher Streit um Milliardenbeträge würde im Ergebnis
auch nur schaden . Er würde die öffentliche Akzeptanz
der Flüchtlingssituation nicht verbessern, sondern ge-
fährden .

Wir werden dieser Aufgabe nur gerecht, wenn wir uns
auf die drei wesentlichen Punkte konzentrieren:

Erstens: die Aufnahme der Flüchtlinge . Jetzt geht es
darum, die Zahl der Erstaufnahmeplätze auszubauen .
Der Bund wird Länder und Kommunen beim Ausbau von
rund 150 000 winterfesten Plätzen in Erstaufnahmeein-
richtungen unterstützen .

Zweitens: die zügige Klärung des Duldungsanspruchs
und gegebenenfalls die Rückführung in das Heimatland .
Asylbewerber sollen so lange in den Erstaufnahmeein-
richtungen bleiben, bis über ihren Antrag entschieden
worden ist . Wenn der Antrag abgelehnt wird, soll die
Rückführung direkt aus der Erstaufnahmeeinrichtung
erfolgen . Das wäre für die Kommunen eine große Ent-
lastung .

Drittens: die Integration der Flüchtlinge mit einer
Bleibeperspektive . Wir werden die Integrationskurse
und die Programme zum Spracherwerb weiter ausbau-
en . Wir müssen die Menschen so schnell wie möglich in
die Lage versetzen, Arbeit aufzunehmen, ihre Kinder in
die Schule zu schicken, ihren Unterhalt selbst zu bestrei-
ten . Wir werden auch mehr Bundesfreiwillige und mehr
Hauptamtliche in die Flüchtlingshilfe einbeziehen . Wir
haben verabredet, beim Freiwilligendienst des Bundes
bis zu 10 000 zusätzliche Stellen einzurichten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Übrigens hat der Bund schon zuvor einiges auf den
Weg gebracht, um die Situation zu verbessern . Länder
und Kommunen erhalten in diesem Jahr pauschal 1 Milli-
arde Euro zusätzlich . Wir werden diese Mittel angesichts
der steigenden Zahl der Flüchtlinge natürlich erheblich
aufstocken müssen .

Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben hat schon
rund 190 Liegenschaften mit rund 38 000 Unterbrin-
gungsmöglichkeiten für Flüchtlinge und Asylsuchende
zur Verfügung gestellt, und das mietzinsfrei . Der Bund
ist auch bereit, die für die Herrichtung von Bestands-
gebäuden notwendigen Kosten und die erforderlichen
Erschließungskosten für diese Gebäude zu überneh-
men, und zwar rückwirkend ab dem 1 . Januar 2015 . Wir
werden das auf alle verfügbaren Bundesliegenschaften
ausweiten . Damit werden übrigens nicht nur Länder und
Kommunen unterstützt, die die erste Anlaufstelle für die
Flüchtlinge sind, sondern wir helfen vor allem den Men-
schen selbst, die nach teilweise lebensbedrohlicher Reise
hier vor Ort eine feste Unterkunft benötigen .

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhält
zur schnelleren Bearbeitung der Asylverfahren 2 000 zu-
sätzliche Stellen . Für die Integrationskurse werden die
Mittel entsprechend dem gestiegenen Bedarf erhöht . In
anderen Bereichen der Bundesverwaltung soll das Perso-
nal so flexibel wie möglich eingesetzt werden. Man muss
sich immer im Klaren sein: Zusätzliche Stellen heißt
noch nicht, dass man schon die Menschen hat, die die

Stellen auch ausfüllen können. Erst muss man sie finden,
und dann muss man sie oft auch noch ausbilden . Deswe-
gen werden geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
des Zolls übergangsweise das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge sowie die Bundespolizei unterstützen .
Ich kann mit großem Respekt vor den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Zollverwaltung sagen, dass dort
eine große Bereitschaft vorhanden ist, sich freiwillig für
diese Aufgaben zur Verfügung zu stellen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wir wollen übrigens die zusätzlichen Stellen für die
Mindestlohnkontrolle, die wir verabredet haben, prag-
matisch dazu nutzen, die derzeitige Situation kurzfristig
zu bewältigen . Das bedeutet natürlich – das muss man
klar sagen –, dass wir das für den Ausbau der Mindest-
lohnkontrollen durch den Zoll ursprünglich vorgesehene
Tempo verlangsamen werden .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


- Ja, so ist das mit dem Bundesarbeitsministerium ver-
abredet .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben im Übrigen verabredet, bei der Bundespoli-
zei in den nächsten drei Jahren 3 000 zusätzliche Stellen
zu schaffen .

Wir haben schon im Haushaltsentwurf und im Ent-
wurf für die mittelfristige Finanzplanung die Mittel für
die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit beträcht-
lich erhöht . Damit können und sollen die Fluchtursachen
in den wichtigsten Herkunftsländern zusätzlich bekämpft
werden . Auch im Haushalt des Auswärtigen Amtes sol-
len die Unterstützungsmittel für die Versorgung und Be-
treuung von Flüchtlingslagern in den Krisenregionen und
für die Stabilisierung von Herkunfts- und Transitländern
um 400 Millionen Euro aufgestockt werden .

Die Integration von Menschen aus unterschiedlichen
Ethnien, mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen,
mit unterschiedlichen, teils auch traumatischen Erfah-
rungen wird ein Kraftakt für unser Land und unsere Ge-
sellschaft sein; das sollte niemand kleinreden. Aber wir
sollten diese Situation auch als Chance für uns selbst be-
greifen . Wir dürfen Flüchtlinge und Asylsuchende nicht
nur unter Kostengesichtspunkten betrachten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir sehen in diesen Tagen: Manchmal sind große Teile
der Bevölkerung weiter als die verfasste Politik . Auch die
Wiedervereinigung vor 25 Jahren ist ein Beispiel dafür,
was Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Verwaltung
schaffen können, wenn es wirklich darauf ankommt . Die
zur Bewältigung der Flüchtlingssituation diskutierten
Änderungen etwa im Bau- oder Vergaberecht sind Bei-
spiele dafür, wie Deutschland seine Anpassungsfähigkeit
verstärken muss . Wir erhalten dadurch in diesen Rechts-
bereichen eine Flexibilität, mit der wir uns bisher sehr
schwertun, die wir aber dringend brauchen . Auch darin
liegt eine Chance zur Erneuerung und Fortentwicklung
insgesamt für uns .

Bundesminister Dr . Wolfgang Schäuble






(A) (C)



(B) (D)



(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir können diese Herausforderung meistern . Unser
Land hat die Kraft dazu . Unsere wirtschaftliche Lage
ist gut, nicht zuletzt aufgrund unserer Finanz- und Wirt-
schaftspolitik in den letzten Jahren . Das spiegelt sich
übrigens in den Haushalten von Bund, Ländern und Ge-
meinden . Vor ein paar Wochen war von hohen gesamt-
staatlichen Überschüssen im ersten Halbjahr die Rede .
Es handelt sich dabei nicht um Haushaltszahlen, und
Halbjahreszahlen sagen nicht allzu viel aus; außerdem
wurden gesamtstaatliche Zahlen, also von Bund, Län-
dern, Gemeinden und Sozialversicherungen, errechnet .
Aber immerhin: Angesichts unserer guten wirtschaftli-
chen Entwicklung haben wir eine gute Entwicklung bei
den Steuereinnahmen . Die Zinsbelastungen der öffent-
lichen Haushalte sind weiterhin niedrig . Das gilt, was
man angesichts der öffentlichen Debatte gelegentlich gar
nicht glauben mag, für den Bund gleichermaßen wie für
Länder und Gemeinden .

Im Bund gewinnen wir in diesem Jahr zusätzlichen
Handlungsspielraum . Den können und müssen wir zur
Bewältigung der großen Aufgabe nutzen . Diesen Hand-
lungsspielraum sollten wir gegebenenfalls mit einem
Nachtragshaushalt auch für die nächsten Jahre erschlie-
ßen, damit wir ihn in den nächsten Jahren ebenfalls nut-
zen können . Wir haben in der Koalition am Sonntagabend
verabredet, dass wir zur Bewältigung dieser prioritären
Aufgabe die Ansätze im Bundeshaushalt, wie er im Ent-
wurf vorliegt, um insgesamt 3 Milliarden Euro erhöhen
und zugleich Ländern und Kommunen die gleiche Sum-
me zur Bewältigung ihres Anteils an den Aufgaben zur
Verfügung stellen werden . Wir wollen das ohne neue
Schulden schaffen . Die Rechnung für die Aufgaben, die
sich uns jetzt stellen, sollten wir nämlich nicht an kom-
mende Generationen weiterreichen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind in der Lage,
jetzt auf diese große Herausforderung angemessen zu
reagieren, weil wir uns in den letzten Jahren finanzielle
Handlungsfähigkeit erarbeitet haben . Das darf man, weil
das so oft kritisiert worden ist, auch einmal sagen . Das
ist das Resultat der konsequenten Sanierung des Bundes-
haushalts .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie wichtig es ist, dass wir diese Handlungsfähigkeit
zurückgewonnen haben, hat sich übrigens schon bei der
Umsetzung der im Koalitionsvertrag beschlossenen pri-
oritären Maßnahmen, bei der weiteren Stärkung von In-
vestitionen des Bundes und der Kommunen und bei der
Finanzierung der Energiewende gezeigt .

Unsere erfolgreiche Finanz- und Haushaltspolitik hat
im Übrigen maßgeblich dazu beigetragen, dass es uns
wirtschaftlich gut geht . Unsere Wirtschaft wächst seit
2010, dem Startjahr der Schuldenbremse, zuletzt um
1,6 Prozent in 2014 . Wir haben eine robuste Konjunk-
tur, trotz aller Risiken im weltwirtschaftlichen Umfeld .
Dieses und nächstes Jahr ist weiterhin mit gutem Wachs-

tum zu rechnen, übrigens vor allem getragen durch die
hohe Inlandsnachfrage, und diese gründet maßgeblich
auf Vertrauen in die Nachhaltigkeit unserer Politik . Der
psychologische Faktor in der Wirtschaftspolitik wird ja
gelegentlich unterschätzt, insbesondere international;
aber man sollte ihn nicht unterschätzen . Ohne Vertrauen
gehen Investitionen wie Konsumnachfrage schnell zu-
rück . Die Europäische Kommission sagt übrigens auch
für den Euro-Raum für dieses und die beiden folgenden
Jahre ein Wachstum von 1,5 bis 2 Prozent voraus . Das ist
nicht überragend hoch, aber es ist solide . In Deutschland
hat die Zahl der Erwerbstätigen in diesem Jahr mit fast
43 Millionen erneut ein Rekordhoch erreicht . Das zeigt,
dass es uns in den letzten Jahren gelungen ist, eine Reihe
zusätzlicher Arbeitskräfte in den deutschen Arbeitsmarkt
zu integrieren. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten erhöht sich weiter, und die Reallöhne sind
seit 2010 deutlich gestiegen, allein im vergangenen Jahr
im Durchschnitt um 1,7 Prozent . Vermutlich steigen sie
in diesem Jahr noch stärker . Dies sind reale Steigerun-
gen, nicht nominale . Sie kommen den Menschen zugute .
Das stärkt nicht nur die Inlandsnachfrage, sondern auch
den Wohlstand der Bevölkerung in unserem Lande . Auch
das ist unserer Haushaltspolitik geschuldet .

Die Finanz- und Wirtschaftskrisen seit den 80er-Jahr-
en haben doch vor allem eins gezeigt: Ein zu stark auf
Krediten, also privaten und öffentlichen Schulden, be-
ruhendes Wachstum ist niemals nachhaltig . Zu starkes
Kreditwachstum löst keine strukturellen Probleme, son-
dern führt zu Finanz- und Schuldenkrisen . Geldpolitische
Maßnahmen der Zentralbanken können daran übrigens
auf Dauer wenig ändern . Heftige Finanzkrisen verringern
nicht nur das aktuelle Wachstum, sondern eben auch die
langfristigen Wachstumsmöglichkeiten, weil heftige Kri-
sen die Erwartungen von Investoren und Konsumenten
verschlechtern und die Investitions- und Konsumbereit-
schaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern verringern .

Eine stetige Finanz- und Wirtschaftspolitik, die nicht
darauf aus ist, kurzfristiges Wachstum mit Gewalt er-
zwingen zu wollen, sondern die sich daran orientiert,
die Chancen für nachhaltiges Wachstum zu verbessern,
ist der gesündere und erfolgreichere Ansatz . Indem wir
in Deutschland für solides und nachhaltiges Wachstum
sorgen, kommen wir auch unseren Verpflichtungen ge-
genüber Europa und gegenüber der Weltwirtschaft nach .
Welche Lage hätten wir eigentlich in Europa und außer-
halb, wenn auch Deutschland nicht für Stabilität stehen
würde?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im internationalen Rahmen hat endlich eine Diskus-
sion über die Frage begonnen, warum eigentlich in den
letzten 30 Jahren – so lange geht das – trotz stark steigen-
der Schulden das Wachstum in den entwickelten Volks-
wirtschaften so mäßig ausfällt und langfristig immer
stärker zurückgeht . Es wird international immer klarer,
dass nachhaltiges Wachstum auch nachhaltige Finanzen
voraussetzt .

So werden auch in den internationalen Debatten die
Stimmen lauter, die dafür stehen, dass das Übergewicht

Bundesminister Dr . Wolfgang Schäuble






(A) (C)



(B) (D)


des Finanzsektors gegenüber der Realwirtschaft, verur-
sacht insbesondere durch die immens hohen kurzfristi-
gen Gewinnchancen, eine Gefahr für nachhaltiges globa-
les Wachstum ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es ist unbestritten, dass weltweit hohe Liquidität und
Verschuldung die Risikobereitschaft im Finanzsektor
und die Gefahr neuer Blasen fördern, weitere Verschul-
dungen erleichtern und zu Fehlinvestitionen führen . Das
steigende Verschuldungstempo verringert gleichzeitig
den Glauben der Anleger an die dauerhafte Tragfähigkeit
der Schulden . Auch da kommt wieder der psychologi-
sche Faktor ins Spiel, der, wie gesagt, leider oft unter-
schätzt wird .

So ist es übrigens auch nicht verwunderlich, dass wir
uns womöglich auf eine noch längere Phase niedriger
Zinsen einstellen müssen, auch wenn natürlich das Ziel
bleiben muss, die weltweit außergewöhnlich expansive
Geldpolitik der Notenbanken schrittweise abzubauen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir arbeiten im Rahmen unserer – allerdings begrenz-
ten – Möglichkeiten daran, dass Sparer und Unternehmer
in Deutschland mit der Niedrigzinsphase zurechtkom-
men können . Wir haben mit dem Lebensversicherungs-
reformgesetz einen fairen Ausgleich zwischen den In-
teressen verschiedener Kundengruppen geschaffen . Wir
bereiten aktuell ein Gesetz vor, mit dem den Bauspar-
kassen mehr Spielräume, etwa in der Immobilienfinan-
zierung, ermöglicht werden sollen, um diese bewährte
Sparform auch unter den veränderten Zinsbedingungen
zukunftsfest zu machen . Ferner suchen wir gemeinsam
für die betriebliche Alterssicherung nach Lösungen . Es
geht bei alldem darum, in einem schwierigen Zinsumfeld
Stabilität zu wahren .

Was wir in Deutschland machen und was wir in Eu-
ropa wollen, ist, dass die Schuldenstände sich an die
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des jeweiligen Landes
anpassen . Dabei dürfen die Schulden im Verhältnis zur
Wirtschaftsleistung nicht wachsen . Sie sollen vielmehr,
abhängig vom Schuldenprofil, schrittweise zurück-
geführt werden . So haben wir das zuletzt wieder beim
G-20-Finanzministertreffen in Ankara formuliert, und so
steht es in allen europäischen Regeln . Das ist auch nicht
zu viel verlangt, und es liegt im Interesse jedes einzel-
nen Landes . Es hat rein gar nichts mit sogenannter Aus-
teritätspolitik zu tun . Deutschland muss sich nicht dafür
rechtfertigen, dass es sich selbst – wenn auch leider im
Gegensatz zu manch anderem – an die auf globaler und
europäischer Ebene gemeinsam getroffenen Vereinba-
rungen hält, zumal wenn diese von allen Beteiligten für
richtig gehalten werden .

Die Ökonomen im In- und Ausland – eigentlich eher
Politiker und Journalisten als Ökonomen –, die, die
Nachfrage in Deutschland jetzt schuldenfinanziert noch
weiter steigern wollen und sich dabei natürlich auf Key-
nes berufen, den sie, wie ich vermute, alle nicht gelesen
haben, möchte ich dann doch darauf hinweisen, dass man

Keynes nur verstanden hat, wenn man in konjunkturell
guten Zeiten keine neuen Schulden macht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wahrscheinlich liegen wir in Deutschland viel näher
an John Maynard Keynes als so mancher sogenannte
Starökonom auf internationalem Parkett .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


In nahezu jeder wirtschaftlichen Lage – es ist ja
manchmal schon langweilig –, ob sie nun gerade besser
oder schlechter ist, für immer mehr Schulden und für eine
weitere Flutung der Märkte mit Geld der Notenbanken
zu sein, ist weder originell noch seriös . Ich würde mir
manchmal schon mehr Substanz in diesen Diskussionen
wünschen . Zumal sich genau dies in den vergangenen
Jahren eben nicht als besonders erfolgreiche Wirtschafts-
politik erwiesen hat .

Die Frage, die uns wirklich umtreiben sollte, ist: Wie
bekommen wir Europa wieder in Form – wirtschaftlich
wie politisch? Die institutionellen Regeln und Verfah-
ren in Europa – das haben wir in den letzten Jahren und
Monaten genügend erlebt – sind dafür noch nicht aus-
reichend . Die Entscheidungsfähigkeit Europas muss ver-
bessert werden .

Ein starkes Europa lebt von Vertrauen und Solidarität:
Vertrauen darauf, dass die Mitgliedstaaten die gemein-
sam vereinbarten Regeln auch einhalten, gepaart mit So-
lidarität bei nichtvorhersehbaren Herausforderungen .

Wir hatten als Reaktion auf die Krisen der letzten Jah-
re die Wirtschafts- und Währungsunion Schritt für Schritt
stabiler gemacht . Wir werden diesen Weg weitergehen,
ohne Europa zu überfordern . Der Bericht der fünf Prä-
sidenten von Kommission, Zentralbank, Euro-Gruppe,
Europäischem Rat und Parlament zur Weiterentwicklung
der Wirtschafts- und Währungsunion bietet dazu Gele-
genheit . Es ist richtig, jetzt die Debatte über eine stärke-
re europäische Integration zu führen, aber solange Mit-
gliedstaaten nicht in der Lage sind, europäische Regeln
einzuhalten –


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutschland zum Beispiel!)


- Wir halten uns daran . Ich habe gerade erläutert, dass wir
uns im Gegensatz zu anderen an die Regeln des europä-
ischen Stabilitäts- und Wachstumspakts halten und dass
wir uns dafür auch nicht kritisieren lassen, sondern uns
gegen solche Kritik wehren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will Ihnen ein anderes Beispiel nennen . Wir alle
sind der Überzeugung, dass eine Bankenunion zur wei-
teren Stabilisierung der Währungsunion jetzt ganz zwin-
gend ist . Deswegen haben wir mit großem Hochdruck
an der Bankenrestrukturierungsrichtlinie gearbeitet . Wir
haben verabredet – das wurde auch so festgeschrieben –,
dass sie spätestens zum 1 . Januar 2015 in nationales
Recht umzusetzen ist . Es gibt aber elf Mitgliedsländer,

Bundesminister Dr . Wolfgang Schäuble






(A) (C)



(B) (D)


die sie bis heute nicht umgesetzt haben . Es wären zwölf,
wenn wir Griechenland nicht gezwungen hätten, sie als
„Prior Action“ umzusetzen . Solange wir solche Regeln
nicht rechtzeitig in nationales Recht umsetzen, so lange
sollten wir nicht über neue Ansätze zur weiteren Verge-
meinschaftung von Risiken reden . Wir dürfen den zwei-
ten Schritt nicht vor dem ersten tun . Jeder muss seinen
ersten Schritt gehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist keine legalistische Petitesse; ich werde es dem
Zwischenrufer gleich noch einmal erklären . Nur wenn
das Regelwerk zur Bankenabwicklung im nationalen
Recht jedes Mitgliedstaats verankert ist, können die Ei-
gentümer und Gläubiger der Banken im Falle einer Plei-
te auch zur Kasse gebeten werden . Das haben wir doch
alle in großen Reden seit 2008 immer gesagt: Die sollen
selber haften und nicht die Steuerzahler . – Dazu braucht
man aber die Umsetzung der Bankenrestrukturierungs-
richtlinie . Es reicht nicht, wenn wir sie nur beschließen
und große Reden halten . Vielmehr müssen wir sie umset-
zen und anwenden .

Ich sagte schon: Elf Mitgliedstaaten – ich sage nicht
welche; aber das kann man nachlesen – haben sie bisher
noch nicht umgesetzt . Dem Argument, die Steuerzahler
sollten nicht für das Risiko der Banken haften, stimmen
alle zu . Aber es ist eben kein Argument, das Risiko vom
Steuerzahler eines Landes auf die Steuerzahler anderer
Länder zu verschieben, was zu viele unter dem Stichwort
„Vergemeinschaftung“ verstehen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Johannes Kahrs [SPD])


Wenn man also über die Vergemeinschaftung von
nationalen Systemen redet, dann muss man zuerst die
vereinbarten nationalen Systeme ausbauen und den Ban-
kenrestrukturierungsfonds aufbauen . Ich habe eine Über-
sicht angefordert, wer eigentlich schon eingezahlt hat .
Die deutschen Banken zahlen seit 2011 in einen solchen
Restrukturierungsfonds ein . Bevor wir solche Fonds ver-
gemeinschaften, sollten bitte auch die anderen erst ein-
mal anfangen, ein bisschen einzuzahlen . Sonst untergräbt
man Vertrauen in die Verlässlichkeit . Verlässlichkeit ist
aber die Grundlage für Solidarität .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es kann übrigens auch nicht sein, dass manche in Eu-
ropa meinen – und dies auch noch in deutschen Zeitun-
gen sagen –, sie würden die in ihrem Land notwendigen
Reformen für uns in Deutschland machen, und deswegen
sollen wir bezahlen, wenn sie solche Reformen durch-
führen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, jedes Land muss die notwendigen Reformen
im Eigeninteresse machen . Dass die wirtschaftlich Stär-
keren im Interesse eines starken Europas mehr als andere
bezahlen müssen, ist klar . Dass Solidarität eine Selbst-
verständlichkeit ist, ist auch wahr . Aber es darf eben kei-
ne Ausrede geben . Man muss auch selbst das Notwendi-

ge tun . Ein jeder muss insofern vor seiner eigenen Tür
kehren .

Von Deutschland wird zu Recht erwartet, dass es Eu-
ropa voranbringt . Damit wir das tun können, müssen wir
selbst dauerhaft stark sein und stark bleiben . Dafür ist
es notwendig, dass wir gezielt in die Zukunft investie-
ren . Das klingt fast schon banal . Aber, meine Damen und
Herren, es ist eben doch nicht banal, dass die Mittel des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung gegen-
über dem Vorjahr wieder um gut 1,1 Milliarden Euro auf
knapp 16,4 Milliarden Euro erhöht werden . Seit dem Be-
ginn meiner Zeit als Finanzminister sind die Mittel im
Haushalt für Bildung und Forschung damit um 60 Pro-
zent gesteigert worden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben Deutsch-
lands haben bereits 2012 das EU-Ziel von 3 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts erreicht . Wir liegen damit welt-
weit auf dem fünften Platz, vor den Vereinigten Staaten
von Amerika und weit vor Frankreich oder Großbritan-
nien .

Natürlich beruhigt es in diesem Zusammenhang be-
sonders, Herr Kollege Gabriel, dass sogar das Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin festge-
stellt hat, dass die seit 2007 steigenden Forschungsaus-
gaben vor allem an den gestiegenen öffentlichen Inves-
titionen liegen .

Aber natürlich sind neben Investitionen in Bildung
auch Investitionen in klassische Infrastruktur notwen-
dig, um Deutschlands wirtschaftliche Stärke zu sichern .
Folgerichtig liegen die Ausgaben im Einzelplan des Bun-
desministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur
im Haushalt für 2016 mit rund 24,4 Milliarden Euro um
1,1 Milliarden Euro über denen des Vorjahrs . Dieser Aus-
gabenanstieg spiegelt in erster Linie die Ausweitung der
Verkehrsinvestitionen .

Andererseits wird auch im Bundeshaushalt 2016 gut
jeder zweite Euro für soziale Leistungen ausgegeben,
und das trotz der guten Arbeitsmarktlage . Ich sage es in
jeder Haushaltsdebatte: Wir müssen mittelfristig über die
richtige Ausrichtung und Prioritätensetzung in unseren
Haushalten verstärkt nachdenken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Johannes Kahrs [SPD])


Die Leistungen des Bundes an die gesetzliche Ren-
tenversicherung stellen nach wie vor den größten Aus-
gabenblock im Bundeshaushalt dar . Sie erhöhen sich
gegenüber dem Vorjahr um rund 2,3 Milliarden Euro
und belaufen sich in 2016 auf insgesamt 86,6 Milliar-
den Euro . Auch der Bundeszuschuss für die gesetzliche
Krankenversicherung bleibt mit 14 Milliarden Euro auf
einem hohen Niveau .

Der Bund unterstützt die Kommunen trotz der grund-
gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung, nach der die Län-
der für die Kommunen zuständig sind, seit der letzten
Legislaturperiode so stark wie nie zuvor . Bei sozialen
Leistungen entlastet der Bund die Kommunen um mehr

Bundesminister Dr . Wolfgang Schäuble






(A) (C)



(B) (D)


als 42 Milliarden Euro in den Jahren 2011 bis 2017 . Beim
Ausbau der Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige
hat der Bund allein bis 2014 5,4 Milliarden Euro über-
nommen, und er unterstützt die Kommunen auch bei den
laufenden Betriebskosten .

Wenn die Kommunen vom Bund zur Bewältigung
der Flüchtlingssituation nun weitere Mittel erhalten wer-
den, so kann ein Teil dieser Mittel für die Bereitstellung
von zusätzlichen Kitaplätzen verwendet werden . Da der
Bund die Länder und Kommunen bei der Bewältigung
der gestiegenen Asylbewerberleistungen so massiv, wie
es die Koalition beschlossen hat, unterstützt, ist der Streit
darüber, wie die Mittel für die Betreuung unserer Kinder
verwendet werden sollen, wirklich müßig .

Im Übrigen bleibt es bei der Zusage, dass die Kommu-
nen ab dem Jahr 2018 jährlich um weitere 5 Milliarden
Euro entlastet werden . Im Vorgriff darauf erhalten sie
von 2015 bis 2017 bereits 4,5 Milliarden Euro zusätz-
lich . Diese Mittel sind in der mittelfristigen Finanzpla-
nung enthalten .

Die Konsolidierung nützt im Übrigen auch den Bür-
gerinnen und Bürgern . Der Abbau der kalten Progressi-
on – auch bei geringerer Preissteigerungsrate – und die
Anhebung von Kindergeld, Kinderfreibetrag und Kin-
derzuschlag sowie des Entlastungsbetrages für Allein-
erziehende führen zu einer dauerhaften Entlastung der
Arbeitnehmer und ihrer Familien von immerhin mehr als
5 Milliarden Euro pro Jahr .

Trotz der Gesamtausgaben des Bundes in Höhe von
312 Milliarden Euro in 2016 bleibt es bei der schwarzen
Null, und zwar nicht nur im kommenden Jahr, sondern
auch in den Folgejahren . Wir wollen nicht mehr ausge-
ben, als wir einnehmen . Der Ausgabenanstieg wird im
Verhältnis zur Entwicklung der Wirtschaftskraft moderat
bleiben, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart ha-
ben .

Wir verschieben bei den Ausgaben den Fokus ver-
stärkt auf die Investitionen. Das ist notwendig; denn das
Produktivitätswachstum hat sich in den letzten Jahren in
vielen Industrieländern deutlich verlangsamt . Am wich-
tigsten für Produktionsfortschritte ist langfristig der tech-
nische Fortschritt, also Innovationen . Innovationen kann
aber eben niemand wirklich planen . Aber in der begrün-
deten Erwartung und Hoffnung, dass Investitionen und
Innovationen Hand in Hand gehen werden, können wir
öffentliche Investitionen erhöhen und private Investitio-
nen fördern .

Bei aller Notwenigkeit öffentlicher Investitionen
dürfen wir nie vergessen, dass private Investitionen für
unser Wachstum entscheidend sind . Die Bruttoanlag-
einvestitionen in Deutschland betragen circa 20 Prozent
des Volkseinkommens, also rund 600 Milliarden Euro .
Im Vergleich dazu sieht der Bundeshaushalt, wie gesagt,
Gesamtausgaben von 312 Milliarden Euro vor . Private
Investitionen sind also von einer viel größeren volkswirt-
schaftlichen Bedeutung . Deswegen ist es wichtig, neue
Wege zu gehen, um mehr privates Kapital zu mobilisie-
ren – auch privates Kapital für die Finanzierung öffentli-
cher Infrastrukturprojekte .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Lothar Binding [SPD])


Die Europäische Kommission hat eine Investitions-
offensive gestartet, bei der die Europäische Investitions-
bank durch die Bereitstellung von Risikokapital in den
nächsten drei Jahren öffentliche und private Investitionen
von über 300 Milliarden Euro freisetzen soll .

Damit Investitionen Wirkungen zeigen, müssen wir
übrigens typische Fehler vermeiden . Wir sollten nicht
prozyklisch und flächendeckend in die öffentliche Infra-
struktur investieren, sondern stetig und vor allem ziel-
genau .

Um die Wirkungsorientierung des Haushalts zu ver-
bessern, wird das Haushaltsaufstellungsverfahren erst-
mals um einnahme- und ausgabeseitige Haushaltsana-
lysen in ausgewählten Politikbereichen – sogenannte
Spending Reviews – ergänzt .

Mit der Einführung der Schuldenbremse sind wir zu
einem Top-down-Verfahren übergegangen, das sich sehr
bewährt hat . Mit der Festlegung von Haushaltseckwerten
im März erhält jedes Ressort sein Budget, das es weitge-
hend selbstständig ausgestalten kann . Das erfordert aber
natürlich, dass wir von Zeit zu Zeit gemeinsam analy-
sieren, ob die einzelnen Teilbudgets auch die angedachte
Wirkung entfalten .

Bis zum März kommenden Jahres sollen nun zu den
Themen „Förderung des kombinierten Verkehrs“ und
„Förderung der beruflichen Mobilität von ausbildungs-
orientierten Jugendlichen aus Europa“ erste Reviews
dieser Art durchgeführt werden, damit wir einmal sehen,
ob durch die Mittel auch das gewünschte Ziel erreicht
werden kann . Danach kann entschieden werden, ob eine
Mittelumschichtung notwendig und sinnvoll ist .

Wenn sich dieses Verfahren der Spending Reviews
bewähren sollte, werden wir es natürlich auch bei der In-
frastrukturplanung einsetzen . Wir schaffen mit Spending
Reviews ein regelgebundenes Verfahren, um die Quali-
tät unserer öffentlichen Ausgaben besser überprüfen zu
können .

Übrigens wird auch der von meinem Kollegen
Dobrindt geplante Infrastrukturbericht helfen, die Dis-
kussion um Infrastrukturinvestitionen zu versachlichen .
Dazu könnte auch eine privatrechtlich organisierte Infra-
strukturgesellschaft für Bundesfernstraßen beitragen, an
deren Konzept die Bundesregierung arbeitet .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich will
noch eine Bemerkung zur Neuordnung der Bund-Län-
der-Finanzbeziehungen machen . Sie kann nur als für
alle Beteiligten tragfähige Lösung gelingen . Dafür müs-
sen Bund und Länder konstruktiv zusammenarbeiten .
Die Bundesregierung hat Vorschläge vorgelegt, um den
Bund-Länder-Finanzausgleich transparenter zu machen
und die Gestaltungsspielräume sowohl von Zahler- als
auch von Empfängerländern zu verbessern . Wenn wir uns
nicht einigen sollten, ist die wahrscheinlichste Lösung,
dass wir den Status quo, der bis 2019 gilt, fortschreiben

Bundesminister Dr . Wolfgang Schäuble






(A) (C)



(B) (D)


müssen . Aber das wäre nicht gerade ein Ruhmesblatt für
unseren Föderalismus .

Es ist sowohl bei der Flüchtlingshilfe als auch bei der
Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen wich-
tig, Fehlanreize zu vermeiden und starke Anreize für eine
wirtschaftliche und effiziente Aufgabenwahrnehmung zu
setzen . Wo Aufgaben vor Ort diskretionär wahrgenom-
men werden können, sollte eine Abweichungsmöglich-
keit für dezentrale Gestaltung möglich sein . Umgekehrt
fördert eine Beteiligung an der Finanzierung durch die
Ebene, die die Aufgaben erfüllt, nach aller Erfahrung
eine eher sparsame Mittelverwendung . Oder um es ein-
facher zu sagen: Die Schwaben sind nur bei der Verwen-
dung eigenen Geldes sparsam . Mit anderer Leute Geld
sind sie viel großzügiger .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Um das zu ermöglichen, brauchen wir über die erwähnte
Infrastrukturgesellschaft hinaus begrenzte Anpassungen
unseres Grundgesetzes .

Das Angebot des Bundes steht . Jetzt sind die Länder
am Zug, untereinander zu einer Einigung zu kommen .
Aber vielleicht verbessern die aktuellen Gespräche über
die Flüchtlingsproblematik auch die Chancen für eine
grundsätzliche Einigung im Bund-Länder-Verhältnis .
Damit könnten wir dann endlich auch Klarheit über die
weiteren Regionalisierungsmittel für den ÖPNV schaf-
fen, die dringend notwendig ist, damit die notwendigen
Infrastrukturprojekte keine Verzögerungen erleiden müs-
sen .

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich will
zusammenfassen: Die aktuelle Flüchtlingssituation stellt
uns in Deutschland vor große politische, aber vor allem
auch gesellschaftliche Herausforderungen . Wir kön-
nen sie meistern: Bürgerinnen und Bürger, Gemeinden,
Länder, Bund, auch die Flüchtlinge selbst . Gemeinsam
schaffen wir das! Wir müssen auf europäischer Ebene zu
dauerhaft tragfähigen Lösungen kommen . Dann können
wir die schwierige Lage zum Guten wenden – für die zu
uns Kommenden wie für uns selbst .

Unsere Haushaltspolitik in den vergangenen Jahren
hat dazu beigetragen, dass wir diese Probleme jetzt be-
wältigen können . Das ist das, was ich immer zu sagen
versucht habe: Unsere Haushaltspolitik eröffnet Hand-
lungsspielräume, um auf unerwartete, drängende, neue
Herausforderungen reagieren zu können, ohne dass wir
die langfristigen Prioritäten, mehr Investitionen in Bil-
dung, Forschung und Infrastruktur, vernachlässigen
müssen, und ohne neue Schulden zu machen . Genau das
setzen wir mit dem Haushalt 2016 konsequent fort: Wir
steigern die Zukunftsinvestitionen kontinuierlich wei-
ter, entlasten zugleich die Kommunen in beispiellosem
Ausmaß, damit sie ihre wichtigen Aufgaben gut erfüllen
können .

Diese Politik für Wachstum ohne Neuverschuldung
macht uns widerstandsfähiger, auch gegen etwaige Ein-
trübungen der wirtschaftlichen Lage, mit der wir ja im-
mer rechnen müssen . Weniger Schulden, weniger Krisen,
mehr nachhaltiges Wachstum, Herr Präsident, verehrte

Kolleginnen und Kollegen: Das ist die beste Politik, die
wir in diesen Zeiten machen können .


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811900100

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem

Kollegen Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811900200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen

Sie mich zunächst Gelegenheit nehmen, um Ihnen, Herr
Bundestagspräsident, ganz herzlich für Ihre Worte zu Be-
ginn zu danken, mit denen Sie es ja geschafft haben, das
gesamte Haus zu einen . Herzlichen Dank dafür!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU])


Ich will auch die Gelegenheit nutzen, um noch ein-
mal den vielen ehrenamtlich Engagierten, den vielen
Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern –
im Übrigen parteiübergreifend –, aber auch den vielen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Behörden aus-
drücklich zu danken, die Hervorragendes leisten . Ich
finde es übrigens auch richtig, dass beim Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (BAMF) 2 000 weitere Stellen
geschaffen werden . Herzlichen Dank dafür! Wir können
stolz sein, was in unserem Land geschieht .


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Schäuble, ich will auch sagen, dass Sie der
Flüchtlingsproblematik hier zu Recht eine große Auf-
merksamkeit eingeräumt haben . Es ist richtig: Flücht-
linge sind Herausforderung, aber Flüchtlinge sind eben
auch Chance für uns .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will in dieser Debatte aber den Fokus auf die Fra-
ge richten: Warum hatten wir eigentlich vor zehn Jah-
ren oder vor drei Jahren nicht so viele Flüchtlinge? Die
Flüchtlinge sind Botschafter des schreienden Unrechts
und der Kriege in dieser Welt, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Schauen wir uns das einmal konkret an .

Libyen . Was ist denn das Ergebnis des Engagements
der sogenannten Koalition der Vernunft? Gaddafi ist weg.
Jetzt haben wir einen fürchterlichen Bürgerkrieg . Von
Libyen aus starten die Schiffe mit Flüchtlingen, teilwei-
se auf drei Etagen verteilt . Wer das einmal gesehen hat,
weiß: Das ist eine Katastrophe als Ergebnis von Politik .

Afghanistan . Seit 13 Jahren engagieren wir uns – jetzt
Gott sei Dank auch mehr zivil – vor allen Dingen mi-
litärisch . Was ist das Ergebnis? Die Flüchtlingszahlen
steigen .

Syrien . Für die Menschen in Syrien ist es völlig egal,
ob sie unter dem Terror des IS, von Assad oder von

Bundesminister Dr . Wolfgang Schäuble






(A) (C)



(B) (D)


al-Nusra leiden . Es ist eine Schande, dass die Weltge-
meinschaft da zusieht . Ich war mit Kollegen in Flücht-
lingslagern in Jordanien . Da leben 85 000 Menschen . Die
Zustände sind katastrophal . Wer ein Zelt hat, ist schon
privilegiert .

Der Irak ist nach der USA-Intervention ein zerfallen-
des Land . All das ist Ergebnis von Politik, meine Damen
und Herren . Es ist auch Ergebnis des Versagens der Au-
ßenpolitik Europas und auch der deutschen Außenpolitik .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein wesentliches Element, meine Damen und Her-
ren, sind eben auch die Waffenexporte. Im Gebiet des IS
werden überhaupt keine Waffen produziert . Es gibt dort
Waffen aus China, Russland und den USA, aber eben
auch unsere Waffen . Im Übrigen produzieren die Waffen-
exporte von heute die Flüchtlinge von morgen. Gucken
Sie sich doch einmal an, was Saudi-Arabien im Jemen
tut: Das ist eine Intervention . Dazu gibt es aber kein Wort
der Bundesregierung . Und natürlich werden als Nächstes
Menschen von dort zu uns kommen . Auch was die Türkei
mit den Kurden macht, ist doch völlig inakzeptabel .


(Beifall bei der LINKEN)


Es muss Schluss sein mit Waffenexporten in diese Re-
gion, meine Damen und Herren .

Eine Bemerkung zu Europa . Europäische Lösung –
d’accord . Während der Finanzkrise aber gab es Gipfel
auf Gipfel . Mir ist nicht bekannt, dass die Kanzlerin und
auch Sie, Herr Schäuble, Ihren Einfluss für eine mo-
derne europäische Flüchtlings- und Asylpolitik mit der
Hartnäckigkeit geltend gemacht haben, wie es bei den
Griechenland-Hilfen der Fall war . Das ist aber notwen-
dig . Hier sollte Deutschland Führungsstärke zeigen und
das mit den Mitteln durchsetzen, die uns zur Verfügung
stehen .


(Beifall bei der LINKEN)


In diesem Zusammenhang sei mir eine Bemerkung
auch zu Ungarn gestattet . Sitzen Sie nicht mit den An-
gehörigen der Partei von Herrn Orban im Europäischen
Parlament in einer Fraktion? Können Sie da nicht auch
einmal deutlichere Worte finden?


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was da geschieht, ist doch in Mitteleuropa inakzepta-
bel, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zuletzt müssen sich diese Punkte doch auch im Haus-
halt widerspiegeln . Seit Jahren reden wir darüber, dass der
Anteil für Entwicklungspolitik am Bruttoinlandsprodukt
0,7 Prozent betragen soll . Was tun Sie denn konkret? Es
gibt minimale Erhöhungen . Jetzt wäre doch Zeit, zu han-
deln . Wir haben mit der Gesellschaft für Internationale
Zusammenarbeit (GIZ) eine Organisation, die das auch
könnte . Wir müssen dort mehr tun, wenn wir wirklich
Fluchtursachen bekämpfen wollen . Das wäre notwendig .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein weiterer Punkt, der den Haushalt betrifft: Herr
Schäuble, Sie haben zu Recht gesagt, es dürfe jetzt kei-
nen Überbietungswettbewerb geben . Aber was es auch
nicht geben darf, ist ein unwürdiges Gezerre um das
Geld zwischen Ländern, Kommunen und dem Bund . Der
Bund sollte die Leistungen für Asylsuchende vollständig
übernehmen, bis der Antrag auf Asyl jeweils rechtskräf-
tig entschieden ist . Das wäre eine klare Aussage . Das
würde zu einer Entlastung führen .


(Beifall bei der LINKEN)


Lassen Sie mich zum Haushalt wenige Bemerkun-
gen machen . Sie haben zum Schluss von „bester Poli-
tik“ und „erfolgreicher Wirtschafts- und Finanzpolitik“
gesprochen. Ich bin bei so etwas biografisch bedingt ein
bisschen allergisch . Ich kann dazu nur feststellen: In der
Überschrift Ihres Koalitionsvertrages heißt es „Deutsch-
lands Zukunft gestalten“ . Wo sind denn die großen Re-
formvorhaben? Das bewegt sich alles auf dem Niveau
der Maut, bei der es so kommen wird, dass die Aussage
der Kanzlerin „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben“
doch stimmt, oder des Betreuungsgeldes, das das Bun-
desverfassungsgericht kassiert hat . Es gibt keine großen
Reformvorhaben . Sie verwalten, statt zu gestalten, und
das angesichts einer problematischen Weltlage . Das ist
die Situation .

Wenn Sie das DIW zitieren, dann will ich das auch
einmal machen . Das DIW sagt, dass Deutschland „er-
hebliche Wachstumschancen verpasst“ hat . Und genau
das setzen Sie fort . Das ist de facto eine Haushaltspolitik
ohne Kreativität .

Wir fordern: Kein Weiter-so und kein Sonnen in der
schwarzen Null . Denn wir sind doch diejenigen, die
aktuell vom niedrigen Kurs des Euro, von den extrem
niedrigen Zinsen und den niedrigen Rohstoffpreisen pro-
fitieren. Das sind die Ursachen der schwarzen Null, aber
nicht die tolle Politik, die Sie machen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Der DIHK-Hauptgeschäftsführer spricht von einem
geliehenen Aufschwung . Das ist die Wahrheit . Es ist ein
geliehener Aufschwung .

Wenn es so ist, dass Haushaltsfragen Zukunftsfragen
sind, dann muss die Investitionsquote erhöht werden, und
dann hilft auch kein Verweis auf Starökonomen . Einer
der Autoren von Herrn Gabriels Studie zur Investitions-
müdigkeit sagt: Wir brauchen zusätzlich zu den jetzigen
Mitteln einen zweistelligen Milliardenbetrag für Investi-
tionen in Breitbandausbau, Bildung, Energiewende und
den ökologischen Umbau .

Sie machen keine Schulden gegenüber den Finanz-
märkten, aber Sie machen Schulden gegenüber den
Bundesbürgern, insbesondere gegenüber den jüngeren,
meine Damen und Herren, weil Sie viel zu wenig in die
Zukunft investieren .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dr . Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


Das könnten Sie übrigens, wenn Sie den Mut hätten,
die ungleiche Einkommens- und Vermögensentwicklung
in Deutschland nicht nur zu thematisieren, sondern auch
Schlussfolgerungen daraus zu ziehen . Es ist doch inak-
zeptabel, dass 0,1 Prozent der Bevölkerung in Deutsch-
land über 17,3 Prozent des Vermögens und die Hälfte der
Bevölkerung in Deutschland nur über 2,5 Prozent ver-
fügen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn 10 Prozent 50 Prozent der Steuern bezahlen müssen!)


Wann zeigen Sie endlich die Bereitschaft, hier etwas
abzuholen? Wir brauchen eine Reform der Erbschaft-
steuer, um höhere Einnahmen zu generieren . Wir brau-
chen eine Vermögensteuer in Form einer Millionärsteuer .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Alte Ladenhüter!)


Das wäre notwendig, wenn wir die Aufgaben der Zu-
kunft wirklich realisieren wollen . Ich freue mich, dass
es einen Nachtragshaushalt gibt . Aber dabei sollten Sie
genau diese Fragen mit ansprechen, damit wir die vor uns
liegenden Aufgaben im Hinblick auf die Flüchtlinge und
die Gestaltung unseres Landes und Europas realisieren
können .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811900300

Carsten Schneider ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1811900400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist eine ungewöhnliche Haushaltsdebatte . Denn die Bun-
desregierung hat durch Bundesfinanzminister Schäuble
einen Haushalt eingebracht, der jedenfalls so nicht Be-
stand haben wird . So ist jetzt schon klar – wir Parlamen-
tarier behalten uns natürlich generell vor, Änderungen
vorzunehmen –, dass wir es in einer Größenordnung von
einigen Milliarden Euro mit neuen Herausforderungen
zu tun haben, die zu meistern sind .

Es ist richtig: Die ökonomische Lage in Deutschland
ist gut . Für Europa würde ich das nicht sagen, aber zu-
mindest für Deutschland gilt dies . Das hat es uns ermög-
licht, in den vergangenen Jahren darauf verzichten zu
können, Haushalte aufzustellen, die eine Schuldenauf-
nahme vorgesehen haben .

Deswegen war es auch klug, dass wir in den vergange-
nen Jahren umsichtig gewirtschaftet und Reserven gebil-
det haben, die wir jetzt in einer Situation nutzen können,
in der wir uns aufgrund der bereits von vielen Kollegin-
nen und Kollegen genannten Flüchtlingskrise besonde-
ren Herausforderungen, aber auch besonderen Chancen
gegenübersehen . Und diese Chancen werden wir nutzen .
Ich werde noch im Einzelnen darauf eingehen .

Über die Lage des Landes und die Frage, welchen
Einfluss die Finanzpolitik darauf hat, gibt es, glaube ich,
unterschiedliche Analysen und Antworten, Herr Minister
Schäuble . Sie haben vorhin sehr stark darauf abgehoben,
dass die solide Finanzpolitik, die wir machen, Vertrau-
en schafft und dies die Grundlage des wirtschaftlichen
Erfolgs sei . Ich bin der Meinung, dass sie ein Teil des
Erfolgs ist, aber der kleinere . Sie haben bestimmt zehn
Minuten Ihrer Redezeit damit verbracht, mehr oder we-
niger verklausuliert die Notenbanken – die Europäische
Zentralbank, die amerikanische Zentralbank, Fed, und
die Bank of England – wegen ihrer expansiven Geldpoli-
tik zu kritisieren . Das hat mich sehr an das erinnert, was
Frau Wagenknecht hier immer vorträgt .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da gibt es schon einen Unterschied!)


- Lieber Michael Grosse-Brömer, das, was Herr Schäuble
hier vorgetragen hat, war in Teilen der Analyse sehr ähn-
lich, insbesondere in der Antwort auf die Frage nach der
Entsparung der deutschen Sparer .

Ich will dem klar entgegenhalten: Ohne die expansive
Geldpolitik der Notenbanken, ohne die Tatsache, dass die
EZB agiert hat und in großem Maße in die Finanzmärkte
eingegriffen hat, ohne die Interventionen der Notenban-
ken weltweit hätten wir die Finanz- und Wirtschaftskrise
niemals bewältigt .


(Beifall bei der SPD)


Diese Interventionen waren Grundvoraussetzung zur
Krisenbewältigung, weil wir als Staatengemeinschaft
gar nicht handlungsfähig waren und weil uns auf euro-
päischer Ebene die Instrumente, die es uns ermöglichten,
gezielt, schnell und handlungsstark zu agieren, fehlten .
Das ist ein Grundfehler der Euro-Politik . Wir werden
vielleicht nicht in den nächsten Wochen, wohl aber in
den nächsten Monaten Antworten auf die Frage zu ge-
ben haben, wie die Zukunft der Euro-Zone aussehen soll:
Wird es eine stärkere Zusammenarbeit geben, oder wird
die Euro-Zone wieder in kleinere Nationalstaaten ausei-
nanderfallen?

Zu unserem Haushalt . Warum ist er ausgeglichen? Da-
für gibt es zwei Ursachen . Er ist nicht ausgeglichen, weil
wir so rigide gespart haben . Das ist nicht der Fall .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch!)


Die erste Ursache ist der extrem gute Arbeitsmarkt
bzw. die gute Wirtschaftslage; das ist das Allerwich-
tigste . Hier ist vor allem die starke Binnennachfrage zu
nennen . Herr Minister, Sie haben bereits auf die Realloh-
nentwicklung hingewiesen . Diese ist absolut positiv . Die
Arbeitnehmer werden in diesem Jahr aufgrund der nied-
rigen Inflation und der durch die Gewerkschaften endlich
erzielten höheren Lohnabschlüsse in die Lage versetzt,
mehr Geld in der Tasche zu haben und mehr konsumieren
zu können . Das sehen wir an den Lohnsteuereinnahmen,
die um 7,5 Prozent steigen, und an den Umsatzsteuerein-
nahmen, die um 2,5 Prozent steigen . Das heißt, wir ha-
ben es mit einem binnenmarktgetriebenen Aufschwung
zu tun .

Dr . Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


Wir erfahren aber auch an anderer Stelle eine enorme
Entlastung, nämlich bei den Zinsen . Allein 20 Milliarden
Euro an Zinsen sparen wir in diesem Jahr im Vergleich zu
dem, was Sie in den Jahren 2010 und 2011 geplant hat-
ten. Das ist ein implizierter Windfall Profit. Aber wir hät-
ten einen Haushalt ohne Neuverschuldung niemals allein
durch andere Maßnahmen erreichen können . Das ist ein
Teil dessen, was uns die Notenbanken quasi geschenkt
haben . Daher ist es ein bisschen wohlfeil, zu sagen: „Die
sind schuld“, wenn man selbst Profiteur dieser Entwick-
lungen ist . Das wird dem nicht gerecht . Es ist eigentlich
guter Brauch, dass sich der Finanzminister als Exekutive
vor dem Bundestag nicht explizit zur Notenbankpolitik
äußert; denn so wird die Unabhängigkeit der Zentralban-
ken angegriffen . Ich dachte, es wäre Konsens, dass die
Unabhängigkeit der Zentralbanken unabdingbar ist, um
klug zu agieren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine weitere Frage, auf die wir im Haushalt eine Ant-
wort geben wollen, lautet – hier wird sich die Koalition
trotz unterschiedlicher Auffassungen einigen müssen :
Woher kommt das Wachstum noch? Wie ich bereits aus-
geführt habe, ist die eine Ursache die binnenmarktgetrie-
bene Entwicklung, die zu höheren Löhnen geführt hat .
Ein großer Erfolg der SPD ist in diesem Zusammenhang,
den Mindestlohn durchgesetzt zu haben .


(Beifall bei der SPD)


Inzwischen besagen auch Studien arbeitgebernaher
Institute, dass es durch den Mindestlohn keine Verdrän-
gungseffekte gibt . Im Gegenteil: Wir haben höhere Lohn-
abschlüsse zu verzeichnen . So verdienen 30 Prozent der
Bevölkerung in Erfurt mehr . Was Thomas Oppermann
zur Einführung des Mindestlohns gesagt hat, stimmt:
Das ist die größte Lohnerhöhung aller Zeiten . Des Wei-
teren haben wir eine Umwandlung von Minijobs in sozi-
alversicherungspflichtige Beschäftigung zu verzeichnen.
Angesichts dessen war es richtig, hier ordnungspolitisch
einzugreifen . Ich bin froh, dass an dieser Stelle die Poli-
tik der SPD und der Gewerkschaften wirkt und dass wir
dafür ausreichend Unterstützung haben .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE])


Ich wüsste nicht, wie es um die Aufnahmebereitschaft
der deutschen Bevölkerung bestellt wäre, wenn es kei-
nen Mindestlohn gäbe . Denn eines ist klar: Die Flücht-
linge, die nun auf unseren Arbeitsmarkt kommen und die
wir schon unter demografischen Gesichtspunkten benö-
tigen, werden – weil ihr Bildungsniveau nicht unseren
Abschlüssen entspricht – vor allen Dingen im unteren
Einkommensbereich einen Verdrängungswettbewerb
auslösen . Ohne den Mindestlohn ginge der Trend eher
nach unten . Deswegen ist es auch für die Akzeptanz in
der deutschen Bevölkerung umso wichtiger, dass wir
eine Lohnuntergrenze eingeführt haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dank der Notenbanken haben wir im Vergleich zum
Dollar einen extrem niedrigen Euro-Kurs. Das macht
die Exporte billig, und das schafft Raum für zusätzliches

Wachstum . Außerdem sorgen die Ölpreise dafür, dass die
Kaufkraft steigt . Das alles sind Außenfaktoren, die wir
nicht direkt beeinflussen können.

Jetzt ist die Frage, wie wir als Bundestag, als Haus-
haltsgesetzgeber, darauf finanzpolitisch reagieren. So-
wohl was die Bekämpfung der europäischen Krise als
auch was die Konjunkturstimulierung betrifft – da bin ich
Ihrer Auffassung; man sollte investieren, wenn man im
Abschwung ist, nicht im Aufschwung –, sind wir zurück-
haltend. Ich bin froh, dass jetzt auch im Bundesfinanz-
ministerium klar ist, dass wir in Deutschland einen In-
vestitionsnachholbedarf haben . Das war im vorigen Jahr
noch nicht so . Da haben wir als Sozialdemokraten immer
wieder gesagt, dass Investitionsnachholbedarf besteht .
Sigmar Gabriel hat die Expertenkommission „Stärkung
von Investitionen in Deutschland“ unter Leitung des
DIW-Präsidenten Fratzscher ins Leben gerufen . Damit
hat er das Thema gesetzt .

Es ist vollkommen richtig: Wir brauchen auch mehr
private Investitionen . Ob sie dann allerdings in den Stra-
ßenbau fließen, wie es in Österreich der Fall ist, oder ob
es nicht klüger ist, dafür öffentliche Mittel einzusetzen,
das wird noch zu entscheiden sein . Das wird vor allem
eine Frage der Effizienz sein. Zumindest bisher sind in
einigen Bereichen die Antworten noch nicht schlüssig .

Der entscheidende Punkt wird sein, das anzugehen,
worauf ein Zuruf abzielte, der hier eben von einem Abge-
ordneten der Grünenfraktion gemacht wurde . Darin wur-
de behauptet, Deutschland halte sich nicht an die Regeln .
Herr Minister Schäuble hat gesagt: Alle müssen sich an
die Regeln halten; dann können wir weitere Vertiefungs-
schritte in der Europäischen Union vollziehen . – Wir
halten uns an die Regeln, was die Verschuldung betrifft .
Aber wir haben uns neue Vorgaben im Rahmen des soge-
nannten Six-Pack gesetzt.

Dabei geht es auch um die Frage des Leistungsbilan-
züberschusses . Wir haben in Deutschland einen Leis-
tungsbilanzüberschuss von über 8 Prozent . Wir haben
uns dazu verpflichtet, dass er bei maximal 6 Prozent im
Dreijahresdurchschnitt liegen soll . Es geht darum, dass
wir hier in Deutschland mehr produzieren und verkau-
fen und weniger importieren . Auf Dauer geht das nicht
gut . Was passiert nämlich, wenn es so weitergeht? Dann
geschieht eins: Wir exportieren Waren und bekommen
dafür Schuldscheine, und irgendwann platzt die damit
verbundene Blase, weil die meisten nicht bezahlen kön-
nen . Folglich kommt es zu immer mehr Abschreibungen,
und es müssen wieder Banken gerettet werden . So war
die Situation ab dem Jahr 2007 .

Daher ist es nur klug, sich auch diesem Aspekt zu
widmen und ihn nicht auszublenden . Das ist das, was
insbesondere US-amerikanische Ökonomen und andere
bemängeln. Ich finde, wir sind klug beraten, da auch die
Vorschläge der Europäischen Kommission ernst zu neh-
men . Das hat ein bisschen etwas mit unseren Ausgaben
zu tun .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Carsten Schneider (Erfurt)







(A) (C)



(B) (D)


Welche sind das? Herr Minister Schäuble hat gesagt:
Wir haben jetzt eine Priorität – die Flüchtlingshilfefinan-
zierung. Das war’s; mehr Neues gibt es nicht. – Nein,
dieser Drops ist noch nicht gelutscht . Das gilt insbeson-
dere vor dem Hintergrund, dass wir noch einen enormen
Bedarf an Infrastrukturinvestitionen haben . Insgesamt
erhöhen wir diese Investitionen zwar um 10 Milliarden
Euro, erhöhten Investitionsbedarf gibt es aber auch im
Bereich Kitaausbau, also bei der Betreuung von Klein-
kindern . Hier gibt es einen enormen Nachholbedarf .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Europäische Kommission, der Internationale
Währungsfonds, all diese Institutionen schreiben uns ins
Stammbuch, dass wir dort mehr machen müssen .

Ich bin froh darüber, dass das Verfassungsgericht das
Betreuungsgeld gekippt hat .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Jahre 2018 haben wir zusätzlich 1 Milliarde Euro
zur Verfügung . Es ist so, dass es nicht nur in hohem Maße
integrativ wirkt, in einer Kita zu sein, die Landessprache
zu lernen etc ., sondern der Kitaausbau ist auch ökono-
misch klug, weil damit die Frauen- und auch die Männer-
erwerbstätigkeit verbessern werden können . Deswegen
sollten wir hier nicht so apodiktisch sein und einfach nur
sagen: „Die Kommunen bekommen jetzt von uns 3 Mil-
liarden Euro, und das war’s“; denn das würde diesem
Bereich nicht gerecht . Diese Mittel würden nicht ausrei-
chen, um alle damit einhergehenden Kosten zu decken .
Eine Kürzung der Mittel in den jeweiligen Kommunen
und Ländern für Kitas und anderes, um die Notsituati-
on von Flüchtlingen zu lindern, würde deren Akzeptanz
nicht fördern . Deswegen sage ich ganz klar: Wir wollen,
dass insbesondere die direkten Transfers zugunsten des
Ausbaus der Kinderbetreuung in Deutschland verstärkt
werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vor uns liegen in den nächsten drei Monaten sehr
spannende Beratungen, auch vor dem Hintergrund einer
eventuellen Einigung über den Länderfinanzausgleich.
Ich sehe ihnen trotz der Herausforderung, die vor uns
steht, optimistisch entgegen . Wir haben gezeigt: Diese
Koalition wird hier handeln . Auch wenn wir das eine
oder andere Mal anderer Auffassung sind, werden wir
uns im Endeffekt einigen . Ich glaube, dass Deutschland
stark genug ist, diese Herausforderung anzunehmen und
daraus auch eine Chance für dieses Land zu machen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811900500

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat

nun der Kollege Kindler das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es stimmt – das wurde schon gesagt -: Es gibt
einen Überschuss 2015 . Kurzfristig scheint es ganz gut
auszusehen für den Bundeshaushalt; ich will das hier
auch gar nicht kleinreden . Aber ich will einmal die Frage
stellen: Woher kommt eigentlich dieser Überschuss? Es
gibt historisch niedrige Zinsen, einen stabilen Arbeits-
markt, eine gute Konjunktur . Das alles hat eigentlich eher
weniger mit dieser Bundesregierung zu tun, eher weniger
auch mit der Haushaltspolitik . Das ist keine große Leis-
tung, die da erbracht wurde .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach so? Wenn es schlecht läuft, hat die Regierung auch keine Schuld, oder?)


Deswegen, finde ich, sollte man in dieser Debatte
ernsthaft diskutieren, wie es mit der Haushaltspolitik
weitergeht . Da sollte man sich nicht feiern . Da wünsche
ich mir weniger Selbstlob und mehr Zukunftsorientie-
rung, mehr Blick nach vorn . Das wäre angebracht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Seit fünf Jahren die gleichen Worte!)


Wenn man in die Zukunft schaut, wenn man sich die
nächsten Jahre anschaut und wenn man die Risiken in
diesem Haushalt betrachtet, dann sieht man, dass die Re-
gierung, ohne etwas gegen Altersarmut zu tun, die Ren-
tenkasse geleert hat . Das wird teuer werden . Man sieht,
dass die Investitionen weiterhin zu gering sind . Das wird
für uns teuer werden . Man sieht, dass es Milliarden-
risiken bei den Zinsen gibt . Die Klimakrise wird nicht
angegangen; sie verschärft sich weiterhin. Es gibt eine
große Spaltung zwischen Arm und Reich in Deutsch-
land und in der Welt . Das alles sind große Risiken für
diesen Haushalt . Sie werden mit diesem Entwurf leider
nicht angegangen . Hier wird leider nur mutlos verwaltet,
obwohl man eine so große Mehrheit hat . Eine 80-Pro-
zent-Mehrheit verwaltet nur mutlos, statt zu gestalten,
statt jetzt wirklich in die Zukunft zu investieren und das
anzupacken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE] – Johannes Kahrs [SPD]: Aber die Opposition stört ja auch nicht!)


Auch in der Flüchtlingspolitik sieht man das: keine
große Idee, kein großes Konzept, nur Kurzsichtigkeit .
Sie haben die letzten Jahre einfach verschlafen . Dabei
war schon absehbar, dass viele Flüchtlinge zu uns kom-
men, zum Glück, und mit Recht auch hier bleiben wer-
den, weil es nämlich viele Kriege und viel Gewalt in der
Welt gibt . Diese Kriege werden nicht einfach aus der
Welt verschwinden . Deswegen werden auch noch mehr
Flüchtlinge kommen . Man hätte Vorsorge treffen müs-
sen, weil man schon seit vier Jahren weiß, dass es einen
blutigen, schrecklichen Krieg in Syrien gibt .


(Johannes Kahrs [SPD]: Ihre Anträge dazu habe ich nie gesehen!)


Carsten Schneider (Erfurt)







(A) (C)



(B) (D)


Deswegen, finde ich, muss endlich Schluss sein mit
den Notoperationen, mit den Einmaleffekten . Jetzt muss
es endlich einen großen Wurf geben . Dieses kurzfristige
chaotische Krisenmanagement der Bundesregierung bei
der Flüchtlingspolitik muss aufhören .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es braucht einen großen Wurf für die menschenwür-
dige Aufnahme und auch für die Integration, damit wir
nicht die Fehler wiederholen, die wir bei den Gastar-
beitern gemacht haben . Das heißt, man muss jetzt im
Haushalt die Voraussetzungen dafür schaffen . Bei den
Jobcentern, bei Integrationskursen, beim sozialen Woh-
nungsbau, bei Bildung und Ausbildung, bei der Integrati-
on in die Krankenversicherung darf man nicht kleckern;
da muss man jetzt klotzen, da muss man jetzt vernünftig
Geld bereitstellen . Das wäre jetzt notwendig, und zwar
schnell .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich finde, man darf nicht wieder nur Einmaleffekte
bewirken . Man muss jetzt die Kommunen strukturell
und dauerhaft entlasten . Wenn man sich das Paket vom
Sonntag anguckt, sieht man: Darin stehen 3 Milliarden
Euro für 2016, aber nichts ist dauerhaft und strukturell
angelegt . Wir wissen doch eigentlich schon jetzt: Das
Geld wird nicht ausreichen . Mindestens 5 Milliarden
Euro sind zur strukturellen Entlastung notwendig, und
die Entlastung muss jetzt schnell kommen und dauerhaft
angelegt sein .

Ein guter Schritt wäre zum Beispiel die Abschaffung
des Asylbewerberleistungsgesetzes und die Integration
von Flüchtlingen in das soziale Sicherungssystem . Mit
Notoperationen und Einmaleffekten werden die Kommu-
nen nicht aus der Krise kommen . Die Kommunen müssen
jetzt endlich strukturell und dauerhaft entlastet werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Noch einen Satz zum Paket vom Sonntag. Ich finde, es
gibt einige gute Punkte; das will ich gar nicht wegreden.
Ich finde es auch ausdrücklich richtig, dass die Bundesre-
gierung am Wochenende die Flüchtlinge aus Ungarn auf-
genommen hat; das war richtig. Aber man muss natürlich
auch sehen, dass massive Verschärfungen in dem Paket
enthalten sind, dass die Union an vielen Stellen leider
wieder ihre berühmte Giftliste durchgedrückt hat . Die
SPD ist eingeknickt . In dem Paket stehen verfassungs-
widriger Bargeldentzug, Asylrechtseinschränkung durch
Festlegung sogenannter sicherer Drittstaaten, Verschär-
fungen für Geduldete, Zwangsaufenthalte in Erstaufnah-
meeinrichtungen .

Wir brauchen jetzt schnelle und unbürokratische Hilfe
für Flüchtlinge und Unterstützung für die Kommunen .
Diese sollte man aber nicht mit Repressionen und der
Abwehr von Flüchtlingen koppeln. Das finde ich unred-
lich . Das sollte man nicht machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Mit diesem Haushalt sollten auch Mittel bereitge-
stellt werden, um die Fluchtursachen anzugehen . Es ist
richtig, dass die Ausgaben für die Entwicklungszusam-
menarbeit steigen . Aber insgesamt bleibt die Quote für
Entwicklungszusammenarbeit bei 0,4 Prozent stabil . Sie
steigt nicht, wie es eigentlich notwendig wäre . 0,7 Pro-
zent wurden schon 1970 versprochen . Das ist 45 Jahre
her. Ich finde, jetzt ist endlich die Zeit gekommen, auch
international Versprechen einzulösen: beim internationa-
len Klimaschutz, bei der Entwicklungszusammenarbeit .
Deswegen werden wir Grüne in den Haushaltsberatun-
gen einen Aufholplan vorlegen, damit die Versprechen
beim Klimaschutz und der Entwicklungszusammenar-
beit eingehalten werden können . Das ist jetzt notwendig .
Wir müssen die Versprechen einhalten und dürfen sie
nicht wieder brechen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Spärlicher Beifall bei den Grünen!)


Durch Umschichtungen und Einnahmeverbesserun-
gen können wir die Gengenfinanzierung gestalten. Wir
müssen dafür sorgen, dass es endlich ein vernünftiges
Controlling im Bundeshaushalt gibt . Es kann nicht sein,
dass sich Herr Schäuble in zentralen Investitionshaus-
halten daran gewöhnt hat, dass es Kostensteigerungen in
Milliardenhöhe gibt, beispielsweise im Rüstungsbereich
oder bei der Großbaustelle BER oder bei neuen Autobah-
nen . Das ist nicht akzeptabel . Wir brauchen Good Go-
vernance, gute Regierungsführung, gutes Controlling im
Haushalt. Ich finde, Herr Schäuble, hier kann man sich
nicht immer wegducken . Hier muss man handeln . Man
muss dafür sorgen, dass die Verschwendungen, die Kos-
tensteigerungen im Haushalt aufhören .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Auch beim Subventionsabbau kann man viel Geld ein-
sparen . Da muss man handeln, da muss man anpacken .
Jedes Jahr werden über 52 Milliarden Euro für klima-
schädliche Subventionen ausgegeben: im Flugverkehr,
bei Dienstwagen, bei Atom, bei Kohle und bei Öl . Hier
ist ganz viel zu holen; kurzfristig kann man mindestens
10 Milliarden Euro einsparen . Natürlich weiß ich, dass es
anstrengend ist, dass es nervig ist, dass man sich mit Lob-
bys anlegen muss . Aber darum geht es im Haushalt . Man
muss anpacken, man muss kämpfen, man muss gestalten,
man muss umbauen. Ich finde, das ist notwendig. Man
sollte nicht wieder mutlos verwalten und ein bisschen
Geld verteilen, sondern man sollte Strukturen verändern,
damit der Haushalt in Zukunft gut aufgestellt ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann hat man auch Geld, um Investitionen zu finan-
zieren . Beim Thema Investitionen muss man sagen: null
Konzept, null Idee . Obwohl die Ausgaben im Finanzplan
bis 2019 auf 333 Milliarden Euro kräftig steigen, sinkt
die Investitionsquote . Die Ausgaben verharren nominal
bei 30 Milliarden Euro . Das ist ein echtes Zukunftsrisiko
für diesen Haushalt . Nachfolgende Generationen werden
das teuer bezahlen, wenn die Infrastruktur nicht stimmt,
wenn nicht in die Zukunft investiert wird . Das verstößt

Sven-Christian Kindler






(A) (C)



(B) (D)


unserer Ansicht nach gegen die Generationengerechtig-
keit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist auch ein Werteverzehr . Wir haben gesehen,
dass sich in den letzten 20 Jahren das private Nettover-
mögen gerade bei den obersten 10 Prozent auf 10 Billio-
nen Euro verdoppelt hat . Das staatliche Nettovermögen
ist von 800 Milliarden Euro auf nahezu null geschrumpft .
Das muss jetzt gestoppt werden . Deswegen muss man
auch haushaltspolitisch handeln . Wir Grüne schlagen
deshalb vor, die Schuldenbremse durch eine ehrliche Bi-
lanzierung in den zentralen Investitionshaushalten zu er-
gänzen . Wir wollen eine Investitionsregel, die klarmacht,
dass man nicht weiter öffentliches Vermögen abschmel-
zen kann, dass Werte erhalten bleiben, dass im Haushalt
gut gewirtschaftet wird, dass wir für die Zukunft vorsor-
gen . Darum muss es jetzt gehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Frage ist: Wie soll diese Gesellschaft in fünf,
zehn oder fünfzehn Jahren aussehen? Was muss man
dafür jetzt machen? Wenn man nicht jetzt, in diesen
günstigen Zeiten, mit den glücklichen Umständen im
Haushalt, wirklich gestaltet, anpackt und Veränderun-
gen vorantreibt, dann wird man nachher große Probleme
haben . Deswegen darf man nicht nur mutlos verwalten
und kurzsichtig agieren, sondern man muss jetzt dafür
sorgen, dass man anpackt, in den Haushaltsberatungen
für die Zukunft sorgt und Änderungen an dem Entwurf
vornimmt . Hier werden wir uns ganz kräftig einbringen .
Wir hoffen, dass Sie, wenn Sie selbst keine Idee haben,
sich von unseren Ideen inspirieren lassen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811900600

Das Wort hat der Kollege Ralph Brinkhaus für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1811900700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern

titelte eine große deutsche Tageszeitung in ihrer On-
lineausgabe: Politik im permanenten Ausnahmezustand .

Lassen wir einmal die vergangenen sieben Jahre Re-
vue passieren: 2008 die Bankenkrise, anschließend die
Konjunkturkrise, daran anschließend Haushaltsentwürfe
mit einer Verschuldung von 80 Milliarden Euro . Dann
ging es weiter mit der großen Euro-Krise: erst Grie-
chenland, dann Portugal, dann Irland, dann Spanien und
dann Zypern . Dabei wurde uns prophezeit, dass der Euro
auseinanderbrechen werde . Dann ging es weiter mit den
schrecklichen Ereignissen in der Ukraine, mit dem Krieg
an der dortigen Ostgrenze, der fürchterliches Leid für
die Menschen bedeutete . Großes Leid für die Menschen
bedeuteten aber auch die Sanktionen . Sie brachten gro-
ße Einbußen für die deutsche Wirtschaft, insbesondere
für die Landwirtschaft, mit sich . Wir haben das gestern

anhand des Protestes gesehen . Dann wiederholte sich
die Griechenland-Krise ein zweites und ein drittes Mal .
Jetzt sind wir wieder in einem permanenten Ausnahme-
zustand, weil viele Menschen vor unseren Türen stehen,
die zu uns wollen . Sie möchten an unserer Freiheit, an
unserem Rechtsstaat, aber auch an unserem Sozialstaat
und an unserem Wohlstand partizipieren . Wenn man das
alles betrachtet, kann man sagen: Politik im permanenten
Ausnahmezustand .

Obwohl wir uns seit sieben Jahren im Ausnahmezu-
stand befinden, brummt die Wirtschaft in Deutschland
wie nie zuvor . Die Wirtschaftskraft ist groß . Das Wachs-
tum ist gut . Wir erzielen hohe Steuereinnahmen . Wir ha-
ben vor allen Dingen – und das ist das allerwichtigste –
gute Beschäftigungsdaten .

Meine Damen und Herren, das alles schlägt sich auch
im Haushaltsentwurf 2016 nieder . Das schlägt sich inso-
fern nieder, als dass das nicht nur, wie es die Opposition
gesagt hat, wie es auch Herr Schneider gesagt hat, dem
Zufall äußerer Umstände geschuldet ist . Da Sie mich an-
getriggert haben, kann ich es Ihnen und auch dem Kol-
legen Kahrs nicht ersparen, darauf hinzuweisen, dass für
die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen dieselben
günstigen Umstände gelten wie für uns . Auch dort gibt
es niedrige Zinsen und hohe Steuereinnahmen . Trotzdem
schafft sie es nicht, einen ausgeglichenen Haushalt zu er-
reichen,


(Johannes Kahrs [SPD]: Erbe von SchwarzGelb!)


wie wir es seit 2014 schaffen . 2014 hatten wir im Haus-
haltsvollzug einen ausgeglichenen Haushalt . Wir hatten
2015 einen ausgeglichenen Haushalt . Nach der Planung
für 2016 haben wir auch im Jahr 2016 einen ausgegliche-
nen Haushalt .

Wir haben das geschafft, obwohl – oder vielleicht
auch weil – wir die Steuern nicht erhöht und keine neu-
en Steuern auf den Weg gebracht haben . Wir haben das
geschafft, obwohl und weil – der Bundesfinanzminister
hat es erläutert – wir Investitionen auf den Weg gebracht
haben, übrigens nicht nur beim Bund mit dem 10-Milli-
arden-Euro-Paket, sondern auch bei den Kommunen mit
dem 3,5-Milliarden-Euro-Paket, das im kommenden Jahr
tatsächlich Wirkung entfalten wird .

Wir haben das geschafft – der Bundesfinanzminister
hat auch das erläutert –, obwohl und weil wir die Aus-
gaben für Bildung und Forschung in einem bisher nie
gekannten Ausmaß gesteigert haben . Wir haben das ge-
schafft, obwohl und weil wir Steuererleichterungen auf
den Weg bringen wollen, wir die kalte Progression an-
gehen und den Kinderfreibetrag und das Kindergeld an-
heben .

Wir haben dies geschafft, obwohl und weil wir keine
Kürzungen im Sozialbereich vorgenommen haben . Im
Gegenteil: Wir haben Mehrausgaben im Familienbereich
und im Bereich der sozialen Sicherungssysteme . Das al-
les passt zusammen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sven-Christian Kindler






(A) (C)



(B) (D)


Nichtsdestotrotz stehen wir vor einer großen Heraus-
forderung . Das ist auch in allen Reden zuvor angeklun-
gen . Als dieser Bundeshaushaltsentwurf im Frühling und
im Sommer dieses Jahres im Bundesfinanzministerium
aufgestellt worden ist, konnten wir uns alle nicht vorstel-
len, dass Hunderttausende von Menschen und vielleicht
über Jahre hinweg Millionen von Menschen zu uns nach
Deutschland kommen werden .

Deswegen werden diese Haushaltsberatungen sehr
schwierige Haushaltsberatungen werden . Es ist jetzt
leicht zu sagen, dass wir das lösen, indem wir das auf-
geben, was wir erreicht haben, wie zum Beispiel die
schwarze Null und die Nichtkürzung in anderen Berei-
chen . Das kann aber nicht unser Ziel sein .

Unser Ziel muss es sein, diesen Haushalt ausgeglichen
hinzubekommen, obwohl wir sehr viele Mittel aufwen-
den müssen, um die Menschen, die zu uns kommen, nicht
nur zu beherbergen, ihnen nicht nur eine medizinische
Versorgung zu bieten, sondern sie auch zu integrieren .

Meine Damen und Herren, momentan gibt es bei uns
in Deutschland wunderbare Bilder . Menschen stehen mit
Luftballons an Bahnhöfen . Die Spendenbereitschaft für
Erstaufnahmeeinrichtungen ist groß . Zur Ehrlichkeit ge-
hört aber auch, zu sagen, dass das die ersten zehn Meter
eines Marathonlaufs sind, und dieser Marathonlauf wird
für uns alle verdammt lang und für uns Haushälter eine
sehr große Herausforderung werden .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte hier etwas sagen, was Haushälter an die-
ser Stelle immer sagen und wozu die Kollegen aus den
einzelnen Fachressorts sagen: „Das ist doch irgendwie
langweilig“ und „Das ist kalter Kaffee“ . Ich bin jetzt fast
versucht, zu sagen: „So wie die sich alljährlich wiederho-
lenden Reden vom Kollegen Kindler“; aber das wäre et-
was polemisch . Die Geschichte ist folgende – es ist nicht
langweilig, was ich jetzt sage; es ist bitterer Ernst -: Wir
haben in diesem Haushalt keinen Raum für zusätzliche
Wünsche, für gute Ideen und für Dinge, die man immer
mal tun wollte . Wir müssen uns wirklich darauf konzent-
rieren, die Dinge zu priorisieren . Wichtig ist, dass wir mit
den Hunderttausenden von Menschen, die zu uns kom-
men, anständig umgehen und sie so integrieren, dass sie
vielleicht tatsächlich eine Chance für diese Gesellschaft
sind, weil sie dann auch zur Wirtschaftskraft dieses Lan-
des beitragen . Deswegen meine dringende Bitte an alle
Kolleginnen und Kollegen – wir Haushälter wissen, wer
bei uns vor der Tür steht, wenn es ernst wird und zur
Bereinigungssitzung geht -: Wir müssen priorisieren, und
Priorisierung heißt, dass wir jetzt die wichtigsten Dinge
zuerst machen . Dementsprechend müssen wir den einen
oder anderen Wunsch zurückstellen .

Meine Damen und Herren, das ist das Tagesgeschäft .
Der Kollege Kindler hat zu Recht angesprochen, dass
wir über den Tag hinaus denken müssen . Wir müssen uns
auch mit den strukturellen Fragen im Haushalt beschäf-
tigen . Wir können uns nicht darauf verlassen, dass wir
irgendwann einmal aus diesem Alarm- und Krisenmodus
herauskommen, der die letzten sieben Jahre angehalten
hat . Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir das aufgrei-
fen, was der Bundesfinanzminister gesagt hat: Über 50

Prozent der Mittel des Bundeshaushalts fließen in die So-
zialsysteme, der größte Teil davon im Übrigen in die so-
zialen Sicherungssysteme . Das wird mehr werden . Dem-
jenigen, der wieder eine Idee hat, wie man die Bereiche
Rente, Krankenversicherung usw . kostenmäßig aufbla-
sen kann, sage ich: Das geht nicht . Wir müssen gucken,
dass wir die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig
machen . Wir müssen sie nachhaltig gestalten . Da gibt es
keinen Platz mehr für zusätzliche Wünsche . Wir müssen
an dieser Stelle konsolidieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine weitere Strukturfrage, die wir uns stellen müssen,
ist die der Investitionen . Wir haben zu Recht angespro-
chen, dass wir ab 2016 ein 10-Milliarden-Paket auf den
Weg bringen . Es ist zu Recht angesprochen worden, dass
wir die Kommunen unterstützen . Wir erleben als Haus-
hälter aber momentan auch eines – die Verkehrspolitiker
können das sicherlich bestätigen -: Wir stoßen langsam
an die Grenzen, wenn es darum geht, das Geld auszuge-
ben . Wenn wir in einigen Bundesländern nicht genügend
planfestgestellte Straßenverkehrsprojekte und kein Bau-
recht haben, dann können wir dort auch nicht bauen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen reicht es nicht, nur Geld zur Verfügung zu
stellen . Wir müssen auch die entsprechenden Ressourcen
schaffen . Es ist insbesondere Aufgabe der Bundesländer,
dass dieses Geld auch verbaut werden und somit nütz-
liche Effekte für unsere Volkswirtschaft entfalten kann .

Wir müssen uns auch die Tatsache vor Augen halten,
dass wir aufgrund der günstigen wirtschaftlichen Situati-
on momentan Steuereinnahmen haben wie nie . Es ist aber
nicht garantiert, dass dies so bleibt; das ist auch schon
mehrfach gesagt worden . Vielleicht hat der eine oder
andere aufgrund dessen, was in den letzten Wochen in
China passiert ist, eine ungefähre Vorstellung davon ent-
wickelt, wie dünn das Eis ist, auf dem unsere Wirtschaft
momentan steht . Wir müssen daher Vorsorge treffen . Wir
müssen damit rechnen, dass die Steuereinnahmen wieder
sinken . Wir müssen auf der anderen Seite aber auch alles
dafür tun, dass diese Wirtschaft, die die Steuereinnahmen
generiert, funktioniert und dass die Steuereinnahmen, die
von Menschen durch ihre Beschäftigung generiert wer-
den und die wir dann für viele Zwecke aufwenden, auch
erwirtschaftet werden können . Ich würde mir wünschen,
Herr Kindler, dass wir in dieser Haushaltsdebatte ein
bisschen mehr über das Erwirtschaften unserer Steuer-
einnahmen und unseres Wohlstandes und nicht nur über
das Ausgeben sprechen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Bundesfinanzminister hat noch ein weiteres Pro-
jekt angesprochen; er hat es „Spending Review“ genannt.
Es gibt verschiedene andere englische Begriffe dafür,
zum Beispiel „More Value for Money“ . Es geht einfach
darum – das ist an dieser Stelle auch schon gesagt wor-
den –, dass wir aus jedem Euro, den wir im Bundeshaus-
halt ausgeben, ein Stückchen mehr herausholen, als das
in der Vergangenheit der Fall war . Wenn wir 10 Prozent
effektiver bauen und wenn wir die Leistungen, die wir
für Langzeitarbeitslose aufwenden, und die Sozialaus-

Ralph Brinkhaus






(A) (C)



(B) (D)


gaben mit einem um 10 Prozent höheren Wirkungsgrad
einsetzen könnten, dann hätten wir schon sehr viele Pro-
bleme gelöst . Deswegen geht es auch darum, dass wir
uns in den Haushaltsberatungen nicht nur mit der Quan-
tität der Ausgaben, der Menge, den Zahlen beschäftigen,
sondern uns auch viel mehr damit beschäftigen, wie wir
dieses Geld effizient oder zumindest effektiver ausgeben
können . Auch das gehört zur Haushaltspolitik .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich schließe und fasse zusammen: Erstens . Wir sind
natürlich im Ausnahmezustand, aber ich glaube, wir
haben gelernt, damit umzugehen . Zweitens . Der Haus-
haltsplan ist gut, es gibt das dritte Mal hintereinander
die schwarze Null . Drittens . Das Ziel, die zusätzlichen
Belastungen in diesen Haushaltsplan einzubauen, ist
sehr ambitioniert . Dabei müssen wir uns alle anstrengen .
Viertens . Wir müssen an die Strukturen denken und nicht
nur an das Tagesgeschäft . Fünftens – und hier fand ich
Ihre Bemerkung, Herr Bundesfinanzminister, sehr wich-
tig –: Die Bewältigung dieser momentanen Herausfor-
derung im Zusammenhang mit den Flüchtlingen ist die
Aufgabe unserer Generation . Wir dürfen sie nicht durch
Schulden auf die nächsten Generationen übertragen, weil
die nächsten Generationen wieder vor neuen Herausfor-
derungen und Aufgaben stehen werden, denen sie sich
dann stellen müssen . Das sollte der Maßstab für unsere
Haushaltsberatungen sein .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811900800

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Eckhardt

Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1811900900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Stellen wir uns einmal die Herausforderung des Jahres
2015 zurückverlegt in das Jahr 2010 vor, als der Bundes-
haushalt mit Schulden in Höhe von 86 Milliarden Euro
im Soll war und die Konjunktur sich nur langsam erhol-
te . Was wäre gewesen, wenn wir vor der gleichen Her-
ausforderung wie heute gestanden hätten? Wir hier im
Deutschen Bundestag sind für den Haushalt zuständig .
Wir sollten einmal Revue passieren lassen, was in den
letzten fünf Jahren passiert ist, und den Blick auf dieses
Jahrzehnt werfen .

Erste Bemerkung: In dieser Zeit, vereinbart bis 2019
und teilweise schon vollzogen, gab es finanzielle Zu-
geständnisse des Bundes an Länder und Kommunen in
Höhe von 150 Milliarden Euro . Dabei war die Grundsi-
cherung im Alter der größte Brocken . Hinzu kamen die
komplette Übernahme des BAföG, der Kitaausbau – der
Bundesfinanzminister hat die Summe von 5,4 Milliarden
Euro genannt –, der Hochschulpakt usw .

Kollege Schneider, ich wäre ein bisschen vorsichtig,
ständig das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum
Betreuungsgeld zu zitieren . Der Bund ist auch nicht zu-
ständig für Kitas und auch nicht für Schulen . Der Bund
ist auch nicht zuständig für Hochschulen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen uns fragen: Wofür sind wir zuständig, und
was tun wir politisch? Stichwort „Steuereinnahmen“:
Wir werden in diesem Jahrzehnt gesamtstaatlich rund
224 Milliarden Euro an Steuermehreinnahmen haben .
Davon entfallen auf den Bund rund 97 Milliarden Euro,
auf die Länder 92 Milliarden Euro und auf die Kommu-
nen etwa 34,4 Milliarden Euro .

Eines hat mich wirklich geärgert, Kollege Bartsch,
nämlich wenn man sagt, dies sei alles ein Gezerre . Es be-
darf doch erst einmal einer Definition dessen, was struk-
turell getan werden muss, um das Problem der Flücht-
linge und der Asylbewerber in den Griff zu bekommen,
und welche finanziellen Mittel in einem ersten Schritt zur
Verfügung gestellt werden müssen .

Im Gegensatz zu meinem Heimatland Mecklen-
burg-Vorpommern, das nicht das strukturstärkste ist, in
dem die Kommunen jedoch die Kosten für die Flücht-
linge in voller Höhe ersetzt kriegen, und zwar spitz
abgerechnet, sagen jetzt schon die ersten Länder, zum
Beispiel der Innenminister aus Nordrhein-Westfalen:
Das alles ist viel zu wenig . Dort klagen die Kommunen,
dass sie auf 70 Prozent der Kosten sitzen bleiben . Dazu
kann ich nur sagen: Wenn wir das Thema Flüchtlinge als
gesamtstaatliche Aufgabe ansehen, dann muss auch ent-
sprechend gehandelt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage dies auch noch aus einem anderen Grund:
Auch das Land Nordrhein-Westfalen – und ich könnte
noch andere Länder nennen; das ist jetzt überhaupt nicht
mein Thema –


(Johannes Kahrs [SPD]: Hessen zum Beispiel!)


hat in den letzten 18 Monaten 3 Milliarden Euro an
Steuermehreinnahmen gehabt . Im letzten Jahr waren es
1,7 Milliarden Euro, im ersten Halbjahr dieses Jahres wa-
ren es 1,3 Milliarden Euro . Daher lautet meine Botschaft
an dieser Stelle gerade zu diesem Thema: Wir sollten fair
miteinander umgehen .

Ein zweiter Punkt – und hier sind wir alle gefordert;
ich sage das nicht zum ersten Mal von dieser Stelle aus :
Ich finde es richtig, dass sich die Bundesbauministe-
rin Gedanken um das Thema „sozialer Wohnungsbau“
macht. Nicht richtig finde ich aber Folgendes: In den Ent-
flechtungsmitteln sind 518 Millionen Euro für die soziale
Wohnraumförderung enthalten . Diese Summe steht den
Ländern frei zur Verfügung . Gucken Sie sich aber einmal
an, welches Bundesland wirklich den kompletten Betrag
aus der alten Verwaltungsvereinbarung für den sozialen
Wohnungsbau einsetzt . Wir wären miteinander gesamt-
staatlich mehrere Meilen weiter, wenn die Länder die

Ralph Brinkhaus






(A) (C)



(B) (D)


Mittel wirklich für den Zweck vereinnahmten und an die
Kommunen weitergäben, den wir politisch miteinander
vereinbart haben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen ist es ganz wichtig, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dass wir, wenn wir am 24 . September mit den
Ländern und Kommunen die Bereitstellung von Mitteln
politisch vereinbaren und danach die entsprechenden
Dinge im Bundestag umsetzen – struktureller Nachtrags-
haushalt und dann Ausfinanzierung im Haushalt 2016 –,
wirklich Mechanismen einfügen, die sicherstellen, dass
die Mittel für den vereinbarten Zweck vor Ort ankom-
men . Ansonsten wird es in einem halben Jahr oder in
einem Jahr, auch wenn das Geld auskömmlich zur Ver-
fügung steht, über die Parteigrenzen hinweg heißen – wir
haben ganz unterschiedliche politische Farben in den
Ländern -: Der Bund stellt nicht genug zur Verfügung . –
Wir alle miteinander in diesem Deutschen Bundestag
haben nichts gekonnt, wenn das Geld für Flüchtlinge
und Asylbewerber, das politisch vereinbart worden ist,
nicht für den Zweck vor Ort ankommt, den wir miteinan-
der vereinbart haben . Dass es dort ankommt, muss eine
Grundbedingung für die Verhandlungen am 24 . Septem-
ber sein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Carsten Schneider Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein dritter Punkt ist mir wichtig: Wir werden das umsetzen, was wir miteinander politisch vereinbart haben . Kollege Kindler, die Frage im Verkehrsinfrastrukturbereich, bei Schiene, Straße, Wasserstraße und darüber hinaus, wird nicht mehr sein, ob genug Geld zur Verfügung steht; es wird eine Frage der Umsetzung sein . Das heißt, die Bahn wird gefordert sein, der Bund wird bei der Wasserstraße gefordert sein und die Länder werden beim Straßenbau gefordert sein, dass das Geld – auch das Geld, was gerade im Einzelplan 12 steht – auch wirklich ausgegeben wird . Deswegen war es gut und richtig, die Entscheidung zu treffen, die Bereitstellung der ganzen Verkehrsinfrastrukturmittel überjährig zu gestalten . Kollege Kindler, Sie sollten mal den neuen Straßenbauplan lesen . Ich nehme nur mal das Beispiel der A°14, bei dem Sie von Kostensteigerungen reden . Mittlerweile ist ein Drittel der gesamten Kostensteigerungen ökologischen Maßnahmen anzulasten: Ausgleichsmaßnahmen, Wildbrücken, Krötentunnel usw . Gucken Sie sich die Kostensteigerungen bei der A 14 an: 30 Prozent basieren auf diesem Bereich . Wenn die Gesellschaft das will, dann müssen wir das auch ausfinanzieren. Aber Sie sollten sich nicht hierhinstellen und dem Bundesfinanzminister vorwerfen, er hätte an dieser Stelle ein mangelndes Controlling . Das halte ich für unredlich . Sie sagen, wir dächten nicht an die Zukunft . Natürlich denken wir an die Zukunft . Ich will Ihnen nur sagen: Der Familienetat steigt in dieser Legislaturperiode von 6 Milliarden auf über 9 Milliarden Euro . Lassen Sie mich noch einige Sätze zu dem Thema sagen, weil der Kollege Schneider damit angefangen hat . Lieber Kollege Schneider, ich bin Haushälter, und in den zukünftigen Jahren möchte ich eines nicht erleben: dass wir beim Elterngeld ständig Geld nachschieben. Der Vorwurf, dass der Bundesfinanzminister kein Herz für Kinder hat, trifft nicht . Wir haben allein in den letzten vier Jahren über 1 Milliarde Euro aus dem Gesamthaushalt für das Elterngeld nachgeschoben . (Bettina Hagedorn [SPD]: Weil so viele Kinder geboren wurden! Ist doch super!)


(Beifall bei der CDU/CSU)


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ich auch!)


Meine Priorität ist, dass das Elterngeld vernünftig ausfi-
nanziert wird . Wir haben steigende Nominaleinkommen,
wir haben verbesserte gesetzliche Leistungen, und des-
wegen sollten wir erst mal die Etats ausfinanzieren, ehe
wir dann über neue Projekte reden, für die der Bund zu-
dem nicht zuständig ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch der Vorwurf, dass wir für Forschung und Ent-
wicklung nicht genug Geld ausgegeben haben, trifft
nicht . Seitdem Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, hat
sich der Etat des Einzelplanes 30, der Etat für Bildung
und Forschung, schlichtweg verdoppelt . Die Renditen
fahren wir mittlerweile ein: Wissenschaftler aus der gan-
zen Welt kommen nach Deutschland, die Zahl der Pa-
tente nimmt zu, und die Forschungs- und Bildungsland-
schaft blüht wirklich . Hier hat der Bund – nehmen wir
den Hochschulpakt, den Qualitätspakt Lehre, den Pakt
für Forschung und Innovation – keine unmittelbare Zu-
ständigkeit . Ich will jetzt gar nicht davon reden, was das
eine oder andere Land mit den Mitteln aus dem Hoch-
schulpakt macht . Aber wenn der Bund hier nicht massiv
eingestiegen wäre, dann wären wir im Forschungs- und
Bildungsbereich nicht so weit, wie wir heute sind .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mit dem
Kollegen Kahrs völlig einer Meinung


(Zurufe von der CDU/CSU: Oha! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das bringt Irritationen bei der SPD, nicht bei uns! – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Er hat doch noch nichts gesagt!)


- bei dem, was du, lieber Johannes, heute in der Welt hast
verlauten lassen -: Wir werden keine neuen Schulden
machen . – Das hat nichts mit einem Fetisch zu tun, mit
einem Hobby von irgendwem . Keine neuen Schulden –
das ist Generationengerechtigkeit, das ist Basis für die
Zukunft, für zukünftige Generationen in Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


In dieser Hinsicht gab es einen Tabubruch in der Großen
Koalition zwischen 2005 und 2009 . 2009 wurde dann die
Schuldenbremse vereinbart . Die sollten wir wirklich ein-
halten und nicht nach dem Motto verfahren, das in den
vergangenen Jahrzehnten galt: Es ist uns wurschtegal,
wie viele Schulden wir aktuell machen, die nachfolgen-

Eckhardt Rehberg






(A) (C)



(B) (D)


den Generationen werden sie schon abbezahlen . – Das ist
der Tabubruch, den wir begangen haben .

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Flüchtlings-
problematik werden lösen können, und zwar ohne neue
Steuern und neue Abgaben . Wir dürfen keine neue Steue-
rerhöhungsdebatte anfangen . Herr Ramelow fordert jetzt,
dass die Einnahmen aus dem Soli, rund 20 Milliarden
Euro jährlich, umgewidmet werden sollen . Die Hälfte
der Einnahmen aus dem Soli soll in die Bund-Länder-Fi-
nanzbeziehungen gesteckt und die andere Hälfte für die
Flüchtlinge ausgeben werden, dann sei man bei null . Ich
kann dazu nur sagen: Kollege Ramelow, so macht man
vielleicht in Thüringen Haushaltspolitik, aber nicht im
Deutschen Bundestag .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es darf keine Ab-
striche bei den vereinbarten politischen Leistungen
im Infrastrukturbereich geben . Ich sage auch ganz klar
und deutlich: Wir werden die Bürgerinnen und Bürger
weiterhin entlasten, vor allem die Familien, Stichworte:
Kinderfreibetrag, Kindergeld, Kinderzuschlag und kalte
Progression . Ich glaube, mit dem Dreiklang – keine neu-
en Schulden machen trotz der Herausforderungen durch
die Flüchtlingsproblematik, politische Zusagen einhalten
und Bürger entlasten – sind wir gut aufgestellt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das glaube ich auch!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811901000

Das Wort erhält nun die Kollegin Gesine Lötzsch für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811901100

Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ich
möchte mich zuerst im Namen meiner Fraktion bei allen
Menschen bedanken, die geholfen haben, Flüchtlinge in
Deutschland menschenwürdig aufzunehmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben eine Welle der Hilfsbereitschaft der Anständi-
gen erlebt von Bürgerinnen und Bürgern, die der Über-
zeugung sind, dass man Flüchtlinge wie Menschen be-
handeln muss .

Da der Name Ramelow fiel, möchte ich ihn hier aus-
drücklich loben und hervorheben, dass er als Minister-
präsident persönlich auf die Flüchtlinge zugegangen ist
und dass er sich persönlich für sie eingesetzt hat. Ich fin-
de, das verdient unser aller Hochachtung .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Sonja Steffen [SPD])


Gleichzeitig haben wir wieder erleben müssen, dass
die Zuständigen in der Bundesregierung sehr lange ver-
sagt haben . Sie haben die Städte und Gemeinden sehr
lange allein gelassen und damit Chaos produziert . Aber
Abschreckung funktioniert nicht . Flüchtlinge, die aus
Krisengebieten kommen, lassen sich nicht von überfüll-
ten Heimen und auch nicht von „Sachleistung statt Geld“
abschrecken . Das sollten Sie endlich zur Kenntnis neh-
men .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist gut, dass auf dem Koalitionstreffen vom Wo-
chenende 6 Milliarden Euro zusätzlich für die Flücht-
lingshilfe versprochen wurden . Allerdings wissen wir,
dass damit längst noch nicht alle Probleme gelöst sind .
Viele der zuständigen Verwaltungen sind personell hoff-
nungslos überfordert . Nur ein Beispiel: Hier in Berlin
lässt der zuständige CDU-Senator Hotelgutscheine für
Flüchtlinge ausgeben . Die Hotels nehmen aber keine
Flüchtlinge mehr auf, weil der Senat über Monate die
Rechnungen nicht bezahlt hat . Es fehlte einfach Perso-
nal, das die Rechnungen bearbeitet . Das darf so nicht
weitergehen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Kürzungspolitik der vergangenen Jahre hat zu
einem drastischen Stellenabbau im Bereich der bürger-
nahen Verwaltung geführt . Der öffentliche Dienst ist in
vielen Bereichen nicht mehr in der Lage, seine gesetzli-
chen Aufgaben zu erfüllen . Dazu kommt noch die Priva-
tisierungspolitik in vielen Bereichen .

In Krisensituationen wie dieser wird besonders deut-
lich, wie falsch es ist, staatliche Aufgaben zu privatisieren
und öffentliches Eigentum zu verkaufen . Jetzt müssen für
viel Geld Grundstücke gemietet oder zurückgekauft bzw .
Dienstleistungen eingekauft werden . Es gibt leider auch
einige windige Geschäftemacher, die sich am Elend der
Flüchtlinge bereichern wollen . Ich sage ganz deutlich: Es
wird Zeit, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben endlich
wieder von der öffentlichen Hand übernommen werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Ungeplante Ereignisse sind in dem Haushaltsentwurf,
so wie er jetzt vorliegt, nicht vorgesehen . Alles ist auf
Kante genäht . Alles wird der schwarzen Null untergeord-
net . Das führt in eine Sackgasse .

Wir wissen alle, dass die Flüchtlingshilfe nur ein ers-
ter kleiner Schritt ist . Die Integration der Menschen in
unsere Gesellschaft wird uns mehr abverlangen . Ich sage
es ganz deutlich – wir als Linke sind davon überzeugt:
Als eines der reichsten Länder Europas können wir diese
Aufgabe auch erfüllen .


(Beifall bei der LINKEN)


Darum schlage ich vor, dass wir ein Integrationskon-
junkturprogramm auflegen. Das wäre nämlich für alle
gut . Es geht ja nicht nur um fehlende sanitäre Einrich-
tungen und Sprachkurse . Wir müssen in Kitas, Schulen,
Wohnungen und Krankenhäuser investieren . Mit solch
einem Programm könnten Tausende Arbeitsplätze ge-
schaffen werden, auch für Langzeitarbeitslose .

Eckhardt Rehberg






(A) (C)



(B) (D)



(Beifall bei der LINKEN)


Wäre es nicht an der Zeit, dass der Wirtschaftsminister
die Unternehmensverbände an den Tisch holt? Am Wo-
chenende sagte der Chef von Porsche, Herr Müller, dass
die Wirtschaft mehr Verantwortung übernehmen müsse .
Ich finde, das klingt nach einem Angebot, und das muss
man aufgreifen . Wer in Zukunft Fachkräfte braucht, der
muss sich jetzt um Integrationsprogramme kümmern .
Man kann nicht alles den Steuerzahlern überlassen . Hier
sind auch die Unternehmen gefragt .


(Beifall bei der LINKEN)


Wäre es nicht an der Zeit, dass sich die Arbeitsminis-
terin dafür einsetzt, dass Flüchtlinge, wie es in Schweden
der Fall ist, ab dem ersten Tag arbeiten dürfen und nicht
drei Monate warten müssen?


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich könnte hier für jeden Minister eine sinnvolle Auf-
gabe im Rahmen eines solchen Integrationskonjunk-
turprogramms nennen . Ich setze mich dafür ein, dass
wir während der Haushaltsberatungen die finanziellen
Grundlagen für ein solches sinnvolles Programm schaf-
fen .

Meine Damen und Herren aus der Koalition: Sie wol-
len doch keinen Nach-mir-die-Sintflut-Haushalt, kein
Testament vorlegen . Wir müssen jetzt an einem Zu-
kunftspaket arbeiten . Die Linke ist dazu bereit .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss sel I)

auch ohne euch!)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811901200

Johannes Kahrs ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1811901300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich habe in den letzten Tagen in Hamburg Er-
staunliches erlebt – viele werden das bei sich zu Hause
auch erlebt haben : Gute Freunde von mir haben sich eine
Woche Urlaub genommen, sind in die Messehallen ge-
gangen und haben geholfen . Es gibt lange Schlangen von
Menschen, die sich freiwillig melden . Andere haben ihre
Kleiderschränke ausgeräumt .

Wenn große Teile der Bevölkerung nicht nur reden,
sondern auch tun, dann ist es gut, dass die Bundesregie-
rung, Frau Merkel, Sigmar Gabriel und all die anderen,
am Wochenende Beschlüsse gefasst haben, von denen
wir alle gehofft haben, dass sie kommen . Das ist eine
Ansage: 6 Milliarden Euro sind auch in einem Bundes-
haushalt viel Geld . Wenn man sich anschaut, dass auch
3 000 neue Stellen für die Bundespolizei, Stellen für das
BAMF und 10 000 Stellen für den Bundesfreiwilligen-

dienst, für die Bufdis, vorgesehen sind, dann erkennt
man, dass Bevölkerung, Regierung, die Parteien, dass
alle an einem Strang ziehen . Ich glaube, dass das wichtig
ist . Der Kollege Brinkhaus hatte recht, als er gesagt hat:
Das ist jetzt kein kurzer Sprint, sondern das sind die ers-
ten Schritte bei einem Marathon, und der wird dauern .

Deswegen ist es wichtig, dass wir hier einen Haus-
halt vorlegen, mit dem nicht nur für das kommende Jahr
die Weichen gestellt werden, sondern auch langfristig .
Schauen wir uns an, was das für die Bundespolizei be-
deutet: Die ersten Polizisten, die über dieses Programm
eingestellt werden, stehen nach ihrer Ausbildung, also in
drei Jahren, zur Verfügung . Das heißt, in der Zwischen-
zeit muss man Arbeiter einstellen, die einfache Arbeiten
übernehmen, für die man nicht lange ausgebildet wer-
den muss . Man wird Kompromisse machen müssen . Wir
werden an Regelwerke herangehen müssen . Auch beim
Bauen und in anderen Bereichen müssen wir schauen,
wie wir das hinbekommen . Die deutsche Gesellschaft
ist sehr gut organisiert, einen Hauch überbürokratisiert
und manchmal auch ein bisschen behäbig . Ich glaube,
dieser Aufbruch, dieser Schwung muss alle erfassen und
darf nicht an Verwaltungsvorschriften, an Bürokratie zer-
schellen . Man muss gemeinsam etwas tun .

Es ist wichtig, dass auch wir Abgeordnete unseren Teil
dazutun . Wir Haushälter sind ja manchmal nicht nah an
den Inhalten . Wir fragen immer erst einmal: Was soll das
kosten? Die Kollegen kriegen deswegen oft die Krise,
wenn wir um die Ecke kommen . Und dann fragen wir
auch noch: Wer soll das bezahlen? Das macht es nicht
besser . Ich glaube, in dieser Situation muss man die Ver-
hältnisse umdrehen . Man muss fragen: Was ist notwen-
dig? Und dann muss man das tun . Bezahlt bekommen wir
das schon . Ich glaube, das ist die Einstellung der Bun-
desregierung, die diesen Haushaltsentwurf vorgelegt hat .
Mit den Überschüssen, die in diesem Jahr erzielt werden,
wird hoffentlich Vorsorge dafür getroffen, dass wir im
nächsten Jahr alles bezahlen können . Ich glaube, das ist
die eine wichtige Botschaft, die aus dieser Debatte her-
ausgehen muss .

Eine andere Botschaft muss aber sein, dass wir trotz
all dieser Anstrengungen für Flüchtlinge die Aufgaben,
die wir sonst in diesem Land haben, auf jeden Fall weiter
erledigen, dass wir nicht eine Gruppe gegen eine andere
ausspielen,


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


sondern weiterhin helfen, weiterhin investieren und wei-
ter unsere normalen Hausaufgaben machen, damit dieser
Staat weiter funktioniert und so erfolgreich bleibt .

Herr Schäuble hat es ja gesagt . Er hat aufgezeigt,
wie es um die Haushaltslage in Deutschland bestellt ist .
Das liegt eben daran, dass wir – im Gegensatz zu vielen
anderen europäischen Ländern – vor vielen Jahren un-
sere Hausaufgaben gemacht haben . Ich hatte die große
Freude, seit 1998 dabei zu sein . Gerhard Schröder und
Rot-Grün haben die Grundlagen geschaffen . Wir haben
zurzeit Wirtschaftswachstum . Wir haben niedrige Zin-
sen . Wir haben Steuermehreinnahmen . Wir haben mehr
Menschen in Arbeit . Deutschland sieht gut aus . Das ist
aber auch die Voraussetzung dafür, dass wir helfen kön-

Dr . Gesine Lötzsch






(A) (C)



(B) (D)


nen . Helfen kann man nur, wenn es einem gut geht, wenn
man in der Lage dazu ist . Wir sind dazu in der Lage . Des-
wegen tun wir das . Wir dürfen aber alles andere nicht
vergessen .

Man möge mir verzeihen, wenn ich die eine oder an-
dere Anmerkung zu dem mache, was weiterhin diskutiert
worden ist . Ich hätte mich gefreut, wenn am Wochenende
auch die Bereitstellung von 500 Millionen Euro für den
sozialen Wohnungsbau beschlossen worden wäre .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass das gerade in den Großstädten, in den
Ballungszentren – bei mir in Hamburg oder anderswo –
wichtig sein wird, wenn die Flüchtlinge, die irgendwann
die Einrichtungen verlassen und Wohnungen suchen, auf
die Einwohner treffen, die auch Wohnungen suchen . Da
darf es nicht zu einem Wettbewerb, zu einem Gegenei-
nander kommen, sondern man muss gucken, dass man
das entzerrt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Harald Petzold KE])


Ich glaube weiterhin, dass wir das Geld, das wir über
das Betreuungsgeld freibekommen haben, in die Verbes-
serung der Qualität von Kitas investieren sollten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da muss man den Kommunen jetzt unter die Arme grei-
fen . Dieser Kitastreik muss beendet werden . Das können
viele Eltern nicht mehr ab . Ein Kompromiss kann sein,
dass man in Qualitätsverbesserung investiert, in kleine
Gruppen . Ich glaube, da das Geld ja für Familien vor-
gesehen war, ist es keine Mehrausgabe; vielmehr wird
es umgeschichtet und dem Zweck zugeführt . Das sollen
die Bundesländer dann individuell für sich entscheiden .
Aber ich würde es zumindest für wichtig halten .

Wenn wir uns den Bereich Flüchtlinge angucken,
dann ist es so, dass wir nicht nur im Wohnungsbau etwas
tun müssen, sondern insbesondere für die Integration ar-
beiten müssen . Da ist es mir jedenfalls sehr wichtig, dass
man viel Geld in Sprachkurse investiert .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich habe es erlebt: Wer in Deutschland kein Deutsch
spricht, der hat Probleme, eine Ausbildung zu machen,
zu studieren und zu arbeiten . Ich glaube, dass hierfür die
Beseitigung der strukturellen Unterfinanzierung bei den
C1-Sprachkursen, die seit längerem vorhanden ist und
die wir auch durch den Nachtragshaushalt nicht ganz
haben beheben können, wichtig ist . Akademiker, Ärzte
und andere Fachleute, etwa Ingenieure, müssen Deutsch
können . Nur wenn sie Deutsch können, können sie arbei-
ten . Deswegen war es gut, dass wir im Nachtragshaushalt
Geld für C1-Sprachkurse zur Verfügung gestellt haben .
Nur ist das Geld schon wieder alle . Die Nachfrage ist un-

endlich groß . Es sollte uns freuen, dass die Nachfrage
so groß ist; denn das ist etwas, mit dem wir auch für uns
selber etwas tun,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


weil Menschen, die hier arbeiten, sich besser integrieren .
Das ist auch für uns alle am Ende gut .

Wenn wir uns das alles angucken, glaube ich, dass
dieser Haushalt mit all dem, was vorliegt, viele wirk-
lich gute Akzente setzt . Ich glaube, dass es gut ist, dass
wir mehr Geld für das BMZ ausgeben . Ich glaube aber
auch, dass die Gelder, die über das hinausgehen, was in
der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen war – das
sind bei 880 Millionen Euro mehr immerhin 560 Milli-
onen Euro –, in den Ländern eingesetzt werden sollten,
aus denen die Flüchtlinge kommen, oder in den Nach-
barländern, um denjenigen zu helfen, die vor Ort bleiben
wollen, damit diese da eine Zukunft haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen glaube ich, muss man auch beim BMZ um-
schichten . Da muss man Schwerpunkte setzen . Da kann
man nicht business as usual machen, sondern da muss
auch der Minister Müller – er hat das ja angekündigt –
Mittel konzentrieren, und da muss man dann auch helfen .
Ich bin sicher, wir kriegen das im Haushaltsausschuss
gemeinsam hin . Dann, glaube ich, werden wir alle auch
eine gute Chance bekommen .

Zum Schluss möchte ich auf jeden Fall noch einmal
dem Kollegen Rehberg danken, nicht nur für die gute Zu-
sammenarbeit, sondern auch für das, was er eben gesagt
hat: Wir werden auf der einen Seite, was die Flüchtlinge
angeht, alles Notwendige tun . Ich hoffe auch, dass es bei
den Ländern nicht länger dieses ewige Hin und Her gibt .
Die einen haben ja schon über NRW geredet . Ich könnte
jetzt lange über Herrn Bouffier reden, der schon gesagt
hat, dass das, was der Bund macht, nicht reicht . Alles
Kindergarten! Ich glaube, wir werden es gemeinschaft-
lich hinbekommen, das Geld zur Verfügung zu stellen .

Gleichzeitig müssen wir aber auch unseren normalen
Betrieb, also das, was wir sonst machen, hinbekommen .
An dieser Stelle kann man vielleicht einfach einmal er-
wähnen, dass es Dinge gibt, die wir zugesagt haben . Das
Bundesteilhabegesetz ist eines davon .


(Beifall bei der SPD)


Die Kollegin Nahles ist damit befasst . Es wird gerade an
einem Gesetzentwurf gearbeitet . Das Bundesteilhabe-
gesetz ist für Behinderte wichtig . Dieses Vorhaben darf
jetzt nicht, weil wir andere Schwerpunkte haben, den
Bach runtergehen, sondern muss energisch fortgeführt
werden . Auch das wird nicht umsonst sein .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der nächste Punkt – da hat der Kollege Rehberg mich
richtig zitiert und natürlich auch recht – ist: Generatio-
nengerechtigkeit bedeutet, dass wir diesen Haushalt so
aufstellen, dass wir keine neuen Schulden machen . Wir

Johannes Kahrs






(A) (C)



(B) (D)


Sozialdemokraten haben in der letzten Großen Koali-
tion mit der CDU die Einführung der Schuldenbremse
durchgesetzt . Wir waren und sind in der Lage, sie in 2014
und 2015 einzuhalten . Ich bin mir sicher, dass wir das
auch in 2016 und in den folgenden Jahren hinbekommen .
Ich glaube, dass das auch das Markenzeichen von Herrn
Schäuble in dieser Großen Koalition ist: keine neuen
Schulden . Daran soll man uns messen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Mit Harmonie! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: CDU/ CSU: Ich bin überrascht!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811901400

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen hat der

Kollege Tobias Lindner das Wort .


Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811901500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Überraschung
der Kollegen der Unionsfraktion über die Betonung der
Harmonie seitens des Kollegen Kahrs will ich direkt
aufgreifen. Lieber Johannes, wenn du Volker Bouffier
zitierst und darauf hinweist, dass er gesagt hat, dass das,
was am Sonntagabend beschlossen wurde, nicht reicht,
dann will ich nur entgegenhalten: Hannelore Kraft sagt
das auch. Wenn sich Volker Bouffier, Hannelore Kraft
und Winfried Kretschmann in diesem Land einig sind,
dann mag da ein wahrer Kern drin sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will nicht in Abrede stellen, dass 6 Milliarden Euro
nicht nichts sind . Darum geht es nicht . Es geht auch nicht
um Überbietungswettbewerbe, was die Zahlen betrifft .
Was am Sonntagabend an Finanziellem beschlossen wur-
de – daran haben wir viel zu kritisieren; Kollege Kindler
ist darauf eingegangen –, war zwingend notwendig, aber
wenn Sie mich dazu befragen, sage auch ich, dass es bei
weitem nicht ausreichend ist . Wir brauchen am 24 . Sep-
tember Fortschritte .

Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir ste-
hen, liegen die Mühen der Ebenen erst noch vor uns . Im
Moment leisten wir Nothilfe . Wenn wir über die Mühen
der Ebenen reden, wenn wir über das reden, was mittel-
fristig und langfristig notwendig sein wird – die Stich-
worte sind hier genannt worden –, dann braucht es nicht
nur die richtigen Konzepte, sondern auch eine Versteti-
gung der Mittel, dann braucht es Verbindlichkeiten der
Haushaltsplanung des Bundes und mehr als einzelne Pa-
kete zur Entlastung der Kommunen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE])


dann braucht es endlich auch einen fairen und vernünf-
tigen Durchbruch bei den Bund-Länder-Finanzbeziehun-
gen und eine dauerhaft auskömmliche Ausstattung der
Kommunen . All dies ist angesichts der Herausforderun-
gen, vor denen wir in diesem Land stehen, notwendig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es war ja für Haushaltsberatungen bisher eine span-
nende Debatte . Sie war deshalb spannend, weil Sie, Herr
Schneider und Herr Schäuble, sich vielfach über die Po-
litik von Notenbanken ausgetauscht haben und eher we-
niger zum Haushaltsentwurf gesagt haben . Überraschend
war auch, Herr Minister, dass Sie auf John Maynard
Keynes eingegangen sind . Ja, als Wirtschaftswissenschaftler
habe ich Keynes gelesen . Ich teile vieles von dem, was er
sagt, aber bei weitem nicht alles . Wenn Sie weitergelesen
hätten, dann hätten Sie gemerkt, dass er nicht nur Aus-
sagen zur Staatsverschuldung macht, sondern auch zu
der Frage, wie man strukturell und wirtschaftspolitisch
mit einem Staatshaushalt umgeht . Wenn Sie auf Keynes
hören würden, dann würde er Ihnen raten, gerade in die-
sen Zeiten, in denen wir Mehreinnahmen haben, gerade
in diesen Zeiten, in denen Staatsverschuldung nicht das
Restringierende ist, in denen wir am Ende kein Problem
mit dem Summenstrich haben, auch einmal den Haushalt
durchzukehren, saubere strukturelle Weichenstellungen
zu treffen und an einzelnen Punkten auch zu sagen: Hier
können Mittel gekürzt werden, hier kann Geld umge-
schichtet werden, und hier braucht es mehr Geld .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was haben die Rednerinnen und Redner der Koaliti-
on stattdessen gemacht? Sie haben vor allem zurückge-
blickt, sich gefeiert und sich gelobt .


(Johannes Kahrs [SPD]: Weil wir gut sind!)


Ich glaube, Sie können die schwarze Null immer noch
nicht ganz begreifen und verkraften . Aber, um ehrlich
zu sein, Sie müssen nach vorne blicken . Ja, es ist rich-
tig, lieber Eckhardt Rehberg, dass die Ausgaben im Bil-
dungsbereich gestiegen sind . Aber gucken wir doch – wir
leben in Zeiten der Globalisierung – einmal auf andere
Länder auf diesem Planeten, die schon längst begriffen
haben, dass Bildung, Ausbildung, Qualifikation, Wissen
und Forschung der Rohstoff der Zukunft sein werden . Es
reicht eben nicht, nach hinten zu blicken und sich auf die
Schulter zu klopfen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Sie
müssen nach vorne blicken und überlegen, wie wir hier
noch mehr Anstrengungen unternehmen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Noch mehr? Das ertrage ich nicht!)


Ich habe Ihnen zum Abschluss etwas mitgebracht .


(Der Redner hält ein Bild hoch)


Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an dieses Bild erinnern .


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Oh ja! Schönes Bild! – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Guckt mal, ich bin ganz hübsch getroffen!)


Das ist die Arbeitsgruppe der CDU/CSU vor einer gro-
ßen schwarzen Null – so groß, dass der Kollege Körber
fast dahinter verschwunden ist .


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das ist Kreativität!)


Johannes Kahrs






(A) (C)



(B) (D)


Da haben Sie sich im letzten Jahr gefeiert .


(Sabine Weiss Recht gefeiert!)


Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass im Vorfeld die-
ser Haushaltsberatungen viele in ihrem Büro saßen, diese
pappschwarze Null angeblickt, die Füße auf den Tisch
gelegt und gedacht haben: Na ja, es ist ja vieles gut .


(Sabine Weiss macht denn hier die Füße auf den Tisch? Also, wir nicht!)


Ich kann Sie nur zu einem auffordern: Packen Sie dieses
schwarze Pappteil in Ihren Schrank,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach, Sie sind doch nur ein bisschen neidisch! Sie möchten wohl auch mal so ein Foto machen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


nehmen Sie sich den Haushaltsentwurf vor, und gucken
Sie sich die Vorschläge an, die wir machen werden, um
diesen Entwurf wirklich zukunftsfähig und in Anbetracht
der Herausforderungen, die vor uns liegen, angemessen
zu gestalten .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811901600

Vielen Dank . – Als Nächstes erhält der Kollege

Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1811901700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Dr . Lindner, wir können Sie ja das nächs-
te Mal einladen und Sie mit auf das Bild nehmen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vielleicht strahlen Sie dann genauso gut und machen
einen genauso guten Eindruck .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Johannes Kahrs [SPD] – Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, danke! Ich strahle auf anderen Bildern!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
werden diese Haushaltsdebatte und die anstehende Haus-
haltsberatung in besonderer Weise vor dem Hintergrund
der Bewältigung der Flüchtlingszahlen und der Asylpro-
blematik stattfinden. Es ist ja heute schon fast alles Wich-
tige gesagt worden . Aber, Kollege Dr . Lindner, wenn Sie
jetzt Frau Kraft, Herrn Bouffier und Herrn Kretschmann
anführen und darauf verweisen, dass die alle meinen, das,
was wir tun, würde nicht reichen, dann sage ich nur: Ich
glaube, die Koalition hat am Sonntagabend einen wirk-
lich wegweisenden Beschluss gefasst und eine Basis ge-
legt, auf der man gut arbeiten kann . Jetzt sollte man nicht
wieder als Erstes herumkritisieren und herummäkeln,
sondern man sollte jetzt gemeinsam die Ärmel aufkrem-
peln und das tun, was viele Menschen in diesem Lande

tun: die Probleme gemeinsam angehen . Ich bin über-
zeugt, dann wird das gelingen . Sollten irgendwann wei-
tere Maßnahmen erforderlich werden – keiner von uns
kann im Moment sagen, wie sich die Entwicklung im
nächsten und übernächsten Jahr darstellen wird –, dann
werden wir wieder gesamtstaatliche Antworten geben .
Aber jetzt sollte mit diesem Klein-Klein Schluss gemacht
werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Andreas Mattfeldt [CDU/ CSU]: Sehr ehrliche Worte!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will ein
paar andere Aspekte ansprechen . Vor wenigen Tagen ist
von europäischer Seite bzw . von einem Repräsentanten
eines anderen europäischen Landes kritisiert worden,
Deutschland würde die strukturellen Probleme, die Haus-
haltsprobleme und die Wirtschaftsprobleme in Europa zu
sehr mit der Mentalität eines Buchhalters angehen . Das
sollte natürlich eine Kritik sein . Ich sage: Das ist eher ein
Lob . Als Kaufmann weiß man: Wenn die Buchhaltung
nicht in Ordnung ist, dann ist der ganze Betrieb nicht in
Ordnung, und das Ende ist absehbar .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Aber es kommt auch auf die Mentalität dahinter an!)


Wir glauben, dass ordentliche Haushalts- und Finanz-
politik die Grundvoraussetzung dafür ist, dass es uns in
Deutschland und uns in Europa gut geht und gut gehen
kann .

Herr Kindler hat gesagt, wir würden nur ideenlos ver-
walten .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es ja leider auch!)


Nein, nein! Das Geld muss gut verwaltet werden .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das reicht eben nicht! Man muss es auch gut anlegen!)


Es ist das Geld der Steuerzahler, das wir treuhänderisch
verwalten . Nur ein sparsamer Umgang mit den Finan-
zen, ein sparsamer Umgang mit Geld hat uns auch in der
Vergangenheit ermöglicht, die Spielräume zu schaffen,
die wir brauchen, um Zukunftsinvestitionen zu tätigen –
dazu ist bereits viel gesagt worden – und die soziale Si-
cherung zu gewährleisten . Eine solide Haushaltspolitik
und die notwendigen Reformen – auch davon wurde be-
reits gesprochen – sind die Grundlage des Erfolgs . Diese
Politik ist richtig . Sie gilt für Deutschland, sie gilt aber
auch in Europa . Auch die Länder, die Krisen zu bewälti-
gen hatten, beweisen, dass dieser Weg ein Erfolgsweg ist .
Schauen Sie nach Irland, nach Portugal und nach Spani-
en! Es wäre auch gut gewesen, Griechenland hätte diesen
Weg konsequent fortgesetzt . Wir hoffen, dass dieser Kurs
dort wieder eingeschlagen wird .

Deutschland ist nicht Buchhalter in einem engstirni-
gen Sinne, sondern Deutschland ist für Europa Ideenge-
ber, Ratgeber, Impulsgeber, in vielen Fällen Motor und
gelegentlich auch Lastesel . Unser Wohlstand hängt aber
ganz wesentlich davon ab, dass Europa zusammenhält,
hängt von der Stabilität und dem Zusammenhalt in Eu-

Dr . Tobias Lindner






(A) (C)



(B) (D)


ropa ab, und damit meine ich nicht nur den Euro im en-
geren Sinne .

Wenn wir uns die aktuelle Entwicklung vor Augen
führen – die Flüchtlingsproblematik, eine neue politi-
sche Entwicklung in der Türkei, die Ukraine-Krise, die
Vorgänge in Asien, insbesondere auch die wirtschaftliche
Entwicklung in China und anderen Teilen dort, einige
Wolken, die am Horizont der Weltwirtschaft aufziehen,
und die anderen bekannten Krisenherde –, dann sehen
wir, dass Europa gut beraten ist, jetzt enger und fester zu-
sammenzurücken und nicht der Versuchung zu erliegen,
die Dinge auseinanderdriften zu lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deutschland hat eine Führungsverantwortung . Es ist
das stärkste Land in Europa . Diese Führungsverantwor-
tung wird von unserer Bundesregierung in ausgezeichne-
ter Weise wahrgenommen, und wir müssen dieser Ver-
antwortung natürlich auch gerecht werden .

Deutschland steht gut da; das ist sogar von Oppositi-
onsrednern zum Teil bestätigt worden . Im Moment ha-
ben wir 42,8 Millionen Erwerbstätige – ein Spitzenwert
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland . Auch
bei den sogenannten sozialversicherungspflichtigen Be-
schäftigungsverhältnissen haben wir einen Spitzenwert
erreicht . Ich denke, das kann sich sehen lassen . Weil aus
ehemaligen Unterstützungsempfängern Beitragszahler
geworden sind, können unsere sozialen Sicherungssys-
teme finanziell gut dastehen, und sind die Steuereinnah-
men bei Bund, Ländern und Gemeinden gut . Wir müssen
Wert darauf legen, dass diese Entwicklung nachhaltig ist
und auf Dauerhaftigkeit angelegt ist .

Wenn gelegentlich kritisiert wird, wir würden zu
wenig für Soziales tun, muss darauf hingewiesen wer-
den, dass der Bund mit 158 Milliarden Euro bei einem
Gesamthaushalt von 312 Milliarden Euro mehr als die
Hälfte für Soziales ausgibt . Ich glaube, damit unterstrei-
chen wir, dass wir auch ein Sozialstaat sind und dass wir
wissen, wo die Menschen draußen im Lande der Schuh
drückt und was die Nöte und Sorgen der Menschen sind .

Wir müssen haushaltspolitisch aber auch Vorsorge
treffen . Wir dürfen nicht glauben, dass wir großzügig
werden und leichtfertig Geld einsetzen können, wenn wir
eine gute Einnahmesituation haben . Wir wissen, dass die
wirtschaftliche Entwicklung und damit auch die Einnah-
mesituation der öffentlichen Kassen in Zyklen verlaufen .
Deswegen müssen wir natürlich in besonderer Weise
sparsam mit dem Geld umgehen und haushalten . Diese
Aufgaben haben wir auch unabhängig von den aktuellen
Herausforderungen im Hinblick auf die Bewältigung der
Flüchtlingskrise aufgrund unserer Verantwortung gegen-
über den jungen Menschen – Stichwort: demografische
Entwicklung . Das gebietet es geradezu, dass wir für die
laufende Finanzierung keine Schulden aufnehmen, son-
dern ausgeglichene Haushalte haben, mit dem Geld, das
wir einnehmen, also auskommen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin
davon überzeugt, dass es uns bei den anstehenden Be-
ratungen trotz aller zusätzlichen Herausforderungen und
Anforderungen – 6 Milliarden Euro sind keine Kleinig-

keit – gelingen wird, auch für das Jahr 2016 einen ausge-
glichenen Bundeshaushalt vorzulegen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811901800

Vielen Dank . – Nächster Redner für die SPD-Fraktion

ist der Kollege Lothar Binding .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1811901900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben von den
Kollegen des Haushaltsausschusses schon sehr viel ge-
hört . Sie sind für die Ausgaben im Staat zuständig . Des-
halb ist das auch so eine dicke Drucksache . Ich bin im
Finanzausschuss . Wir im Finanzausschuss kümmern uns
um die Einnahmen . Diese machen in der Drucksache
zum Haushalt nur ganz wenige Seiten aus . Darin steht,
wie viele Steuern wir einnehmen .

Immerhin nehmen wir 312 Milliarden Euro im Bund
und 640 Milliarden Euro im Gesamtstaat ein . Die Ein-
nahmen des Staates setzen sich aus denen des Bundes,
der Länder, der Kommunen, also aller Städte, und der
Sozialkassen zusammen . Ich möchte hier nun denen dan-
ken, die das alles zahlen . Das sind nämlich unsere Bürger .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gute Idee!)


Egal wie viel und wen wir jetzt auch immer kritisieren:
Die Bürger, die das gezahlt haben, haben sich wirklich
angestrengt, das Gemeinwesen zu unterstützen . Das ist
eine große Leistung .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Minister Schäuble hat gesagt: Die Inlandsnachfra-
ge ist eine der Hauptursachen dafür, dass der Haushalt
gut dasteht . – Das stimmt . Er erklärte außerdem: Die
Inlandsnachfrage gründet auf Vertrauen . – Auch das
stimmt . Carsten Schneider hat angeführt, dass es nicht
nur das Vertrauen ist, und auf die günstigen Energiekos-
ten verwiesen, auf die gegenwärtigen Wachstumsimpul-
se, auf die Beschäftigung, auf die Reallohnentwicklung
und ihre Auswirkungen auf die Binnennachfrage, auf die
Zinslage – für die Geldversorgung –, auf den Wechsel-
kurs – zur Stärkung des Exports –, aber in diesem Zu-
sammenhang auch auf die immensen Zinsersparnisse in
unserem Haushalt .

Wenn wir all die Effekte dieser günstigen Bedingun-
gen herausrechnen, dann wissen wir: Steuerpolitik könn-
te noch einmal wichtig werden; denn zukunftsfähig ist
der Haushalt ja nur, wenn die Struktur der Einnahmen
und die Einnahmen auch dann tragen, wenn wir diese Ef-
fekte nicht mehr haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Warum macht ihr dann keine Steuerpolitik? – Sven-Christian Kindler [BÜND Bartholomäus Kalb NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was macht ihr in der Steuerpolitik denn?)





(A) (C)


(B) (D)


Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis in Bezug auf die
Zukunftsfähigkeit des Haushalts . Deshalb stelle ich mit
Blick auf die 640 Milliarden Euro, die ich erwähnt habe
und die auch Sie, unsere Gäste auf der Tribüne, zahlen,
zunächst einmal fest, dass wir ein gutes Steuersystem ha-
ben. Unser Steuersystem ist manchmal recht komplex;
das stimmt . Das liegt daran, dass wir alles sehr genau
machen und unsere Bürger in komplexen Verhältnissen
leben . Aber wir haben einen sehr guten Vollzug . Ich spre-
che jetzt von unseren Finanzbeamten . In unseren Ämtern
arbeiten sehr gute Leute, die es offensichtlich schaffen,
600 Milliarden Euro von motivierten Bürgern einzuneh-
men .


(Beifall der Abg . Margaret Horb [CDU/ CSU])


- Die Kollegin Finanzbeamtin klatscht, und zwar ver-
dient . – Warum erwähne ich all das? Der Grund dafür
ist: Wer unser Land mit dem benachbarten Ausland ver-
gleicht, der weiß die Arbeit unserer Beamten sehr zu
schätzen . Deshalb will ich unseren Finanzbeamten aus-
drücklich danken .


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das darf man auch!)


Allerdings möchte ich jetzt eine politische Aussage
machen – jetzt komme ich vielleicht zu kleinen Disso-
nanzen zwischen der CDU/CSU und uns –:


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur ganz kleine!)


Man muss natürlich die Steuereinnahmen, die man haben
kann, auch haben wollen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist schon toll, wenn man die Möglichkeiten, die man
hat, tatsächlich nutzt . Damit das nicht nur an der CDU/
CSU hängen bleibt, will ich von dem Sonderermittler-
ausschuss TAXE zu staatlich organisiertem Steuerdum-
ping in der EU erzählen .

Die Kollegen im Europäischen Parlament haben dazu
einen Abschlussbericht vorgelegt . Da kann man sehen,
dass staatlich organisierte Steuervermeidung kein Verse-
hen war, sondern ein Geschäftsmodell; das steht explizit
in diesem Bericht . Das ist kein Einzelfall, sondern das ist
die Regel . Dabei ist das Unrechtsbewusstsein übrigens
nur sehr mager entwickelt . Daran könnte man sicherlich
noch etwas arbeiten . In diesem Abschlussbericht wird
gefordert, effektive Regeln gegen solche Auswüchse, so
Peter Simon, einzuführen .

Also, wir brauchen in Europa einen effektiven Rechtsrah-
men, mit dem diese Gestaltungsmöglichkeiten, die von
Staaten bewusst eingerichtet wurden, beendet werden .
Was passiert eigentlich, wenn das kurzfristige Interesse
einzelner Staaten, nur marginale, also lächerlich nied-
rige, Steuern zu erheben, mit dem Interesse bestimmter
Unternehmen, keine oder geringe Steuern zu zahlen, zu-
sammenfällt? Dann werden die Privaten immer reicher
und die Staaten, also die Gesellschaften, immer ärmer .

Wenn das noch eine Weile so geht, dann können wir al-
les das, was wir Sozialstaat, soziale Marktwirtschaft und
Infrastruktur nennen, vergessen, weil dann die Grundlage
unseres Systems in der Praxis zusammenbricht. Das will
natürlich keiner . Deshalb muss man sich schon noch Ge-
danken machen .

Wir haben ein paar Vorschläge gemacht . Ich will ei-
nen nennen: Wir wollen in Europa eine einheitliche
Bemessungsgrundlage; denn im Moment vergleichen
wir immer auf diese Weise: In Irland werden 12,5 Pro-
zent Körperschaftsteuer gezahlt, in Deutschland sind es
15 Prozent . Da denkt jeder, bei uns ist sie höher und bei
denen niedriger . Aber keiner weiß, ob es vergleichbar ist,
weil keiner weiß, worauf die Steuer bezahlt wird . Denn
die Bemessungsgrundlage ist sehr unterschiedlich und
nicht vergleichbar .

Es gibt einen zweiten Vorschlag, ein Zauberwort,
nämlich Transparenz: Wer zahlt wo unter welchen Be-
dingungen wie viel Steuern in welchem Land? Wenn wir
das genau wüssten, dann könnten wir eine noch bessere
Politik machen bzw . unsere Steuerpolitik daran orientie-
ren .


(Beifall bei der SPD)


Ich habe jetzt viel gelobt und auch ein bisschen geta-
delt . Da, wo Tricks angewendet werden, haben wir eine
Riesenherausforderung . Und zwar besteht diese in der
Gewährleistung einer gewissen Gerechtigkeit . Wir sagen:
Die Steuerlast – das, was der Bürger zahlt – soll nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bemessen werden .
Jetzt merken wir plötzlich, dass da gewisse Dinge nicht
stimmen . Schauen Sie sich einmal das Durchschnittsein-
kommen an . Es beträgt im Land 30 000 Euro im Jahr .
Viele Rentnerinnen und Rentner haben sehr, sehr, sehr
viel weniger . Aber es gibt auch Leute, die verdienen
46 000 Euro am Tag . Jetzt merkt man, dass man da eine
Steuerpolitik machen muss, die nicht ganz leicht ist .

Es gibt auch Leute – in diesem Fall aus der Branche
der Reiseanbieter –, die zu uns kommen und sagen, sie
könnten die Steuern nicht mehr bezahlen . Es sei alles
ganz schwierig, und sie würden dann in den Ruin getrie-
ben . Wenn man einmal genauer nachguckt, sieht man: In
dieser Branche gibt es Gehälter in Höhe von 17 Millio-
nen Euro im Jahr . Das heißt, wenn zwei Manager ent-
lassen würden, hätte man schon so viel Geld übrig, wie
heute überhaupt an Steuern bezahlt wird .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Da merkt man: Es gibt eine Asymmetrie der Wahrneh-
mung in Bezug darauf, was gezahlt wird und worin die
Aufgabe besteht .

Ich will das, was unsere Aufgabe ist, ins Positive
wenden . In Schweden heißt Steuer „skatt“ . „Skatt“ heißt
„Schatz des Volkes“ . Die schwedischen Steuerpolitiker
sehen ihre Aufgabe darin, allen Bürgern möglichst gute
Gelegenheiten zu geben, sich am Schatz des Volkes zu
beteiligen. Denn das, was ich an Steuern zahle, finde ich
als Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben wieder . Das ist
überall in der Welt so . Darauf kann ich zurückgreifen .
Manchmal kann ich darauf fahren; manchmal kann ich
meine Kinder in die Schule schicken . Das sind wichtige

Lothar Binding (Heidelberg)







(A) (C)



(B) (D)


Dinge, die die Gemeinschaft braucht . Und dafür lohnt es
sich, Steuern zu zahlen . Das ist auch sehr wichtig!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich will abschließend ein Beispiel dafür nennen, wo
wir noch nicht so richtig zusammenkommen . Die Ver-
mögensverteilung in Deutschland befindet sich in exor-
bitanter Schieflage. Gott sei Dank haben wir die Erb-
schaftsteuer in der Diskussion . Wir versuchen ja, die
vom Verfassungsgericht bestätigte Überprivilegierung
der Unternehmen zu kompensieren .

Ich will jetzt ein Beispiel bringen, damit Sie merken,
worin ich den CDU-Kollegen nicht folge . Christian von
Stetten sagt, ich soll mir einmal


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sehr guter Mann!)


– ein sehr guter Mann, aber leider an dieser Stelle mit
einer schlechten Überlegung; trotzdem ist es aber ein
netter Mann – einen Studenten vorstellen, der nichts
hat und den man deswegen bedauert . Plötzlich erbt der
100 Millionen Euro . Ab dann hat er ein Riesenproblem . –
Christian von Stetten erklärt mir dann immer, warum der
Student ein Problem hat . Ich meine, viele andere Bürger
würden sich solche Probleme wünschen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb müssen wir Steuerpolitik machen, mit der wir
auf dem Pfad der Gerechtigkeit gehen . Da wäre es toll,
wenn ihr uns dabei ein bisschen stärker helfen würdet .


(Beifall bei der SPD)


Alles Gute und noch einen schönen Tag!


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Kerstin Radomski [CDU/CSU])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811902000

Vielen Dank . – Als Nächste hat jetzt die Kollegin

Antje Tillmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1811902100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Debatte hat heute nachvollziehbar sehr unter dem
Eindruck der wachsenden Asylbewerberzahlen gestan-
den . Es ist wichtig, dass wir darüber sprechen . Ich würde
in meinem Beitrag aber gerne wieder auf die Menschen
zurückkommen, die auch schon gestern hier gelebt ha-
ben, auch gestern hier Steuern gezahlt haben, auf Fa-
milien, die hier leben und ihre Kinder großziehen, auf
Menschen, die hier die Hochschulen besuchen, und auf
Menschen, die in Deutschland alt werden wollen . Denn
für all diese Menschen, die auch jetzt schon in Deutsch-
land leben, ist das ein guter Haushaltsentwurf . Es ist ein
Entwurf für den Haushalt 2016 – das Jahr, wo die Schul-
denbremse das erste Mal tatsächlich ziehen würde .

Ich bin sehr dankbar, dass unser Finanzminister dieses
Thema schon vor zwei Jahren abgeräumt hat . Wir haben

die schwarze Null, die mal positiv, mal negativ diskutiert
wird . Das ist ein Beitrag zur Gerechtigkeit für künftige
Generationen . Das erlaubt es uns, mit der derzeit schwie-
rigen Situation einer wachsenden Zahl von Zuwanderern
umzugehen .

Dieser Entwurf ist gut für die Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler . Einig bin ich mit meinem Kollegen Lothar
Binding in dem Dank dafür, dass diese Menschen – Sie
bzw . wir alle – jeden Morgen aufstehen und diesen Staat
dadurch am Laufen halten, dass wir uns bemühen, unsere
Löhne und Gehälter zu verdienen, und einen wesentli-
chen Teil davon an den Staat abgeben .

Diese Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlasten
wir mit dem Entwurf zum ersten Mal in dieser Legisla-
turperiode um eine sehr große Summe, nämlich um 5,5
Milliarden Euro . Lohnerhöhungen, die es Gott sei Dank
wieder in nennenswertem Umfang gibt, sollen nicht weg-
besteuert werden, sondern man soll diese Lohnerhöhun-
gen tatsächlich spüren . Deshalb werden wir einen ersten
Schritt in Höhe dieser großen Summe unter anderem bei
der kalten Progression machen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieser Entwurf ist gut für Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler, weil wir den Grundfreibetrag erhöhen . Der
Grundfreibetrag, der das Existenzminimum sicherstellt –
das gilt erst dann, wenn man überhaupt Steuern zahlen
muss –, wird im kommenden Jahr auf 8652 Euro erhöht .
Auf Einkommen unterhalb dieser Grenze zahlt man kei-
ne Steuern; damit kann man sich auf seinen eigenen Le-
bensunterhalt konzentrieren .

Der Gesetzentwurf ist aber auch gut, lieber Lothar
Binding, weil es keine andere Regierung gibt, die mehr
für internationale Steuergerechtigkeit getan hat als die-
se . Dank dem automatischen Informationsaustausch, der
Verschärfung der strafbefreienden Selbstanzeige, dank
BEPS, den internationalen Standards zur Besteuerung,
und der Transparenz bei Steuergestaltungen sind in die-
sem Haushalt auch Einnahmen derjenigen enthalten, die
bisher versucht haben, sich davor zu drücken: ehemalige
Steuerhinterzieher, die Gott sei Dank auf den Weg der
Tugend zurückkommen .


(Lothar Binding Zwangsweise!)


Ein Teil der Einnahmen ist auch denen zuzuschreiben .
Auch das ist ein guter Schritt für die Steuerzahlerin-
nen und Steuerzahler, die immer schon ordentlich ihren
Pflichten nachgekommen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dieser Haushaltsentwurf ist aber auch gut für Steu-
erzahlerinnen und Steuerzahler, weil bestimmte Dinge
nicht drinstehen, zum Beispiel Zahlungen für Banken
und Hilfen für andere Staaten . Denn wir haben im Rah-
men der Bankenunion viele Risiken in den nächsten
Jahren abgefedert, die uns in der Vergangenheit Proble-
me bereitet haben . Die Krisen in Griechenland, Portu-
gal, Spanien und Zypern waren ganz extrem auch mit
Schwierigkeiten von Banken verbunden . Wir haben über

Lothar Binding (Heidelberg)







(A) (C)



(B) (D)


eine gemeinsame Bankenaufsicht, über einen Rettungs-
schirm, den ESM, über eine Regelung zur Abwicklung
von Banken und über den Abwicklungsfonds für Banken
Gelder – und zwar Gelder der Eigentümer – zur Verfü-
gung gestellt, sodass Steuerzahlerinnen und Steuerzah-
ler künftig in weitestgehendem Umfang nicht mehr für
Banken aufkommen müssen . Das tun die Banken bzw .
die Eigentümer und Gläubige demnächst selbst . Darin
sind wir in Europa Vorreiter . Finanzminister Schäuble
hat schon darauf hingewiesen, dass nicht jeder dabei so
gut und so weit vorangeschritten ist wie wir . Wir werden
in der nächsten Sitzungswoche mit dem Abwicklungs-
mechanismusgesetz das Ganze abrunden, sodass wir
ziemlich optimistisch sind, dass Banken uns im Haushalt
nicht mehr belasten werden, weil wir Vorsorge getroffen
haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Schön wär’s!)


Dieser Haushalt ist aber auch gut für Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler, weil wir auf europäischer Ebene etwas
Ähnliches wie die deutsche Schuldenbremse durchge-
setzt haben, nämlich den Fiskalvertrag . Der Fiskalvertrag
besagt, dass alle europäischen Länder, insbesondere auch
die der Euro-Zone, Schuldenbremsen in ihrer Verfassung
einführen und auch umsetzen müssen, sodass das, was
uns mit Griechenland, Portugal und Spanien passiert ist,
hoffentlich nicht wieder passiert .

Wir sind auf dem Weg zur Einhaltung des Fiskalver-
trags, also nie mehr als 60 Prozent Schulden, gemessen
am BIP, zu machen, ein gutes Stück weiter als andere .
Wir haben unsere Verschuldung im Verhältnis zum BIP
erheblich abgebaut, und alle, die meinen, wir müssten
die schwarze Null nicht so ernst nehmen, sollten sich
daran erinnern, dass wir Verträge unterschrieben haben .
Es ist immer leicht, auf andere europäische Partner zu
zeigen und zu sagen: „Ihr haltet die Verträge nicht ein“;
wir selber sollten das aber auch tun . Deswegen ist dieser
Haushaltsentwurf ein Weg hin zur Erfüllung des Fiskal-
vertrags und ist deshalb gut .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Lothar Binding [SPD])


Dieser Haushaltsentwurf ist aber auch gut für Famili-
en, die hier leben und ihre Kinder erziehen . Ich füge in
Klammern hinzu: Wer weiß, was ein unbetreuter minder-
jähriger Asylbewerber an Kosten verursacht, der dankt
vielleicht endlich einmal den Familien für die Leistun-
gen, die sie bei ihren Kindern erbringen: dass sie sie
pünktlich in die Schule schicken, sie kleiden und ihnen
eine Leistungsbereitschaft mit auf den Weg geben . Herz-
lichen Dank an alle Eltern, die das tun! Jeder, der das
in Zweifel zieht und meint, Familien könnte man durch
Sozialarbeiter und andere Einrichtungen ersetzen, liegt
falsch. Das ist finanziell nicht zu schultern, und deshalb
sage ich an der Stelle neben den Steuerzahlern auch ein
Riesendankeschön den Eltern, die ihre Kinder zu verant-
wortungsbewussten Bürgern machen und damit auch den
Staatshaushalt entlasten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD])


Wir geben einen kleinen Teil dieser Leistungen zurück,
indem wir den Freibetrag für Kinder und das Kindergeld
sogar zweimal nacheinander erhöhen . Wir erhöhen zu-
dem den Alleinerziehendenentlastungsbetrag in erhebli-
chem Umfang, weil Mütter und Väter mit Kindern allein
weniger leistungsfähig sind als beide Elternteile zusam-
men . Wir werden ab 1 . Juli 2016 den Kinderzuschlag er-
höhen . Diesen bekommen Eltern, die zwar ihren eigenen
Bedarf decken können, nicht aber den ihrer Kinder .

Wir haben schon lange mit Programmen für Spra-
chintegration und frühkindliche Sprachförderung begon-
nen, weil auch deutsche Kinder teilweise Defizite bei
der deutschen Sprache haben. Auch hier finanziert der
Bund in erheblichem Umfang mit . Diese Mittel werden
noch einmal aufgestockt, sodass Logopäden halbtags in
vielen Kindereinrichtungen dieses Landes auf Kosten
des Bundes Kindern die deutsche Sprache nahebringen
können . Wir haben außerdem die Mittel für Bildung und
Forschung noch einmal um 1 Milliarde Euro erhöht . Das
ist gut für junge Menschen, die in Deutschland studieren
wollen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Neben den Steuerzahlern und den Familien ist der vor-
liegende Haushaltsentwurf gut für Länder und Kommu-
nen . In erheblichem Umfang erledigen wir als Bund Auf-
gaben, die Länder und Kommunen eigentlich erfüllen
müssten, wozu sie sich aber nicht in der Lage sehen . Wir
erhöhen die Investitionen in die öffentliche Infrastruk-
tur und übernehmen den Finanzierungsanteil der Länder
beim BAföG, sodass ihnen jährlich 1,2 Milliarden Euro
mehr zur Verfügung stehen, die beispielsweise dazu ver-
wendet werden können, sich schulischen Aufgaben zu
widmen .

Wir finanzieren zudem Mehrgenerationenhäuser in
den Kommunen . Wir haben in den letzten Jahren die
Kommunen, Herr Kollege Kindler, strukturell und dau-
erhaft um insgesamt 145 Milliarden Euro entlastet, in-
dem wir als Bund beispielsweise die Finanzierung der
Grundsicherung im Alter übernehmen und die Kinderta-
gesbetreuung mitfinanzieren. Wir stehen den Kommunen
auch bei den Kosten der Versorgung der Asylbewerber
zur Seite . Wir sind die Regierung – das gilt auch für die
Koalition in der letzten Legislaturperiode –, die die Kom-
munen am meisten entlastet hat . Die kommunalen Spit-
zenverbände wissen trotz all der Probleme, die sie noch
immer an uns herantragen, sehr genau, dass wir als Re-
gierung berücksichtigen, dass die Bürgerinnen und Bür-
ger auf kommunaler Ebene am ehesten merken, wenn es
finanzielle Sorgen gibt. Auch hier stehen wir zu unserem
Wort .

Der nun zur Diskussion stehende Haushaltsplanent-
wurf ist also gut für alle Generationen, auch für die jün-
gere Generation, weil wir den Haushalt ohne neue Schul-
den finanzieren. Das haben wir uns in den letzten Jahren
zusammen mit dem Finanzminister sowie den Kollegin-
nen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss erarbei-
tet . Wir aus dem Finanzausschuss geben uns Mühe, dazu

Antje Tillmann






(A) (C)



(B) (D)


beizutragen . Ich bin sicher, dass es in den Beratungen
noch die eine oder andere Nachbesserung geben wird .
Aber insgesamt stellt dieser Haushaltsentwurf eine gute
Grundlage dar, um die Haushaltsberatungen für das Jahr
2016 fortzusetzen . Die Länder sollten unserem Beispiel
folgen und nicht wie Thüringen als Erstes nach Steuer-
mehreinnahmen und Steuererhöhungen schreien .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das stimmt doch gar nicht! Das stimmt überhaupt nicht!)


Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger mit diesem
Haushalt entlasten . Das haben sie angesichts der An-
strengungen in den letzten Jahren auch verdient .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811902200

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist die Kollegin

Kerstin Radomski, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Kerstin Radomski (CDU):
Rede ID: ID1811902300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Als ich die Vorredner von der Opposition ge-
hört habe, war ich enttäuscht .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können gerne noch einmal reden!)


In einer meiner letzten Reden habe ich Sie aufgefordert,
sich doch einmal mit uns über ein Ende der Neuverschul-
dung in den letzten beiden Haushalten zu freuen . Nun
muss ich aber erleben, dass der Kollege Tobias Lindner
hier ein Foto der Haushalts-AG der CDU/CSU-Fraktion
zeigt, auf dem eine von mir gezeichnete schwarze Null
zu sehen ist . Herr Bartsch sitzt, nachdem ihm das Foto
von Tobias Lindner übergeben wurde, da und schaut es
sich an . Das scheint bei Ihnen noch nicht angekommen
zu sein .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ich bin fasziniert! Ich rahme es ein! – Lothar Binding nis! – Heiterkeit und Beifall bei der CDU/ CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


(Heidelberg) [SPD]: Das ist ein Missverständ-


Sie haben offensichtlich noch immer nicht verstanden,
dass wir es zum ersten Mal seit Jahrzehnten im Bund ge-
schafft haben, ein Ende der Neuverschuldung herbeizu-
führen . Vielleicht sind wir so schnell, dass der eine oder
andere nicht mehr Schritt halten kann; denn wir erwarten
nun sogar ein Haushaltsplus in Milliardenhöhe . Das liegt
natürlich an der guten Konjunktur und der guten Be-
schäftigungslage in unserem Land .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An den niedrigen Zinsen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Oppositi-
on, wenn wir auf unsere Nachbarländer schauen, dann

stellen wir fest, dass diese uns um die Entwicklungen in
Deutschland beneiden, um unsere wirtschaftliche Stärke
und unsere soliden Finanzen und darum, dass wir das al-
les trotz sehr bewegter Zeiten haben . Unser Garant für
diese Finanzpolitik und das Augenmaß, das dieser Politik
zugrunde liegt, und auch für das unbedingte Pochen auf
Reformen in Griechenland ist Wolfgang Schäuble, unser
Finanzminister, dem dafür unser Dank gilt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gerade angesichts eines Haushaltsplus in Milliarden-
höhe kommt es jetzt darauf an, Augenmaß zu bewah-
ren und sich nicht in ideologische Verteilungskämpfe
zu versteigen; denn in diesen Wochen erleben wir eine
Situation, die keiner von uns erwartet hat und die uns
als verantwortliche Politiker vor enorme, vor allem auch
finanzielle Herausforderungen stellt. Ich möchte mich
heute in dieser Debatte deshalb auch dem Flüchtlingsthe-
ma und seiner Finanzierung zuwenden .

Hunderttausende Flüchtlinge kommen derzeit in unser
Land, von denen viele auch dauerhaft bleiben werden .
Angesichts dieses Ausmaßes brauchen wir gemeinsame
Lösungen statt Streit und parteipolitische Grabenkämp-
fe . Die Beschlüsse der Koalition vom Sonntagabend sind
wegweisend für die kommenden Wochen und die zu er-
wartenden Mehrkosten; denn die Bundesarbeitsministe-
rin hat gegenüber dem Finanzminister für das kommende
Jahr schon einen Mehrbedarf von 3,3 Milliarden Euro
angemeldet . Wir wissen alle, dass dies auch andere Res-
sorts betreffen wird .

Für die Flüchtlinge, die kommen, geht es um viel,
etwa um Sprachkurse oder Maßnahmen zur Aufnahme
einer Arbeit . Viele Menschen, die in diesen Wochen an-
kommen, hatten bisher nicht das Lebensziel, ihre Heimat
zu verlassen . Sie waren Ladenbesitzer, Ärzte, Handwer-
ker; aber ihre Heimat ist zerstört. Diese Menschen be-
nötigen unsere Hilfe . Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir wissen, dass das nicht leicht wird und auch unsere
Bevölkerung vor Herausforderungen stellt . Dennoch –
das möchte ich auch in einer Debatte wie dieser sagen, in
der es eher um große Zahlen als um einzelne Schicksale
geht – nehmen wir Flüchtlinge auf, die vor Krieg und
Terror fliehen und bei uns Schutz suchen, und wir heißen
sie auch willkommen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir nehmen ebenso die Sorgen von Teilen der Bevölke-
rung angesichts der neuen Situation ernst; aber dumpfe
Vorurteile gegen Flüchtlinge bringen niemanden weiter .

Lassen Sie mich im Rahmen dieser Beratungen einige
Beispiele dafür nennen, dass der Bund deutlich mehr leis-
tet als bisher . Im Bundeshaushalt 2016 wurden die Mittel
des Bundesinnenministeriums für Integrationskurse um
40 Millionen Euro auf 309 Millionen Euro erhöht . Im
vergangenen Jahr haben rund 700 000 Menschen einen
Integrationskurs erfolgreich abgeschlossen . Natürlich
wissen wir alle: Die Teilnehmerzahlen werden noch stei-
gen . Die Bundesregierung plant, Integrationskurse auch
für geduldete Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive
zu öffnen . Zudem gibt es in den Städten Berlin, Dort-
mund, Duisburg und München ein Modellprojekt, vom

Antje Tillmann






(A) (C)



(B) (D)


Bund finanziert, mit sozialpädagogischer Betreuung der
Kursteilnehmer .

Wir wissen alle: Der Erwerb von Deutschkenntnissen
ist eine, wenn nicht sogar die entscheidende Grundvor-
aussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
in unserem Land . In den rund 600 Stunden umfassenden
Sprachkursen lernen die Teilnehmer Deutsch, aber auch
wichtige Themen des alltäglichen Lebens, wie zum Bei-
spiel „Arbeit und Beruf“ oder „Ausbildung und Erzie-
hung“ .

In diesem Zusammenhang möchte ich einer Forde-
rung nach der Aussetzung der Schulpflicht für Kinder
von Asylbewerbern, die vor einigen Tagen zu hören war,
eine klare Absage erteilen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir dürfen die Jüngsten – und das ist fast ein Drittel de-
rer, die um Asyl bitten – nicht im Stich lassen, sondern
müssen ihnen ein Fundament der Bildung und Berufsper-
spektive geben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Deshalb ist es richtig, dass das Bundeskabinett unter
Leitung von Angela Merkel vor kurzem beschlossen hat,
dass die Bundesagentur für Arbeit nicht länger zustim-
men muss, wenn es um Praktika zur Berufsorientierung
für Geduldete und Asylbewerber geht . Das Bundespro-
gramm für junge Flüchtlinge „Willkommen bei Freun-
den“ wird von vielen zusätzlichen Maßnahmen begleitet,
darunter die kindgerechte Ausstattung von Flüchtlings-
unterkünften, die Förderung von Müttern mit Migrati-
onshintergrund und eine gezielte Unterstützung junger
Migranten . Es gibt unzählige weitere Maßnahmen, zum
Beispiel die Möglichkeit, in Zukunft auch BAföG und
Berufsbildungsbeihilfe zu beantragen oder an der assis-
tierten Ausbildung teilzuhaben, die verhindern soll, dass
es zu Ausbildungsabbrüchen kommt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch am heutigen
Tag gilt es, festzuhalten, dass der Bund seiner Verantwor-
tung nachkommt und die notwendigen finanziellen Mit-
tel zur Verfügung stellt .

Aber wenn man jüngsten Zahlen des Kinderhilfs-
werks der Vereinten Nationen hört, dann wird einem
anders: Derzeit können vier von zehn Kindern in den
Konfliktländern Syrien, Libyen, Irak, Jemen und Sudan
nicht zur Schule gehen . Das sind nicht weniger als rund
14 Millionen junge Menschen, die ihrer Bildungspers-
pektive beraubt sind .

Dabei ist mit Blick auf den Bundeshaushalt auch nicht
zu vergessen, dass Deutschland allein seit Ausbruch des
Bürgerkriegs in Syrien mit mehr als 1 Milliarde Euro vor
Ort geholfen hat . Wir können nicht von heute auf morgen
alles ändern; aber die eben genannten Maßnahmen sind
ein erster Schritt, die Situation zu verbessern .

Doch auch ohne Fokussierung auf die aktuelle Flücht-
lingsthematik ist es eine Tatsache, dass wir in unserem
Land generell mehr Lehrer, Erzieher und Sozialarbeiter

benötigen . Beim jüngst veröffentlichten ifo-Bildungsba-
rometer 2015 bestätigten rund drei Viertel der Befragten,
dass die Schul- und Bildungspolitik ein zentrales The-
ma für die Menschen in unserem Land ist und dass die-
ses Thema auch für ihre persönliche Wahlentscheidung
wichtig ist .

So möchte ich zumindest kurz noch darauf eingehen,
dass der Bund auch in anderen Bildungsbereichen stär-
ker tätig wird, zum Beispiel bei der Modernisierung und
Stärkung der beruflichen Bildung. Die Ausgaben hierfür
werden um 7 Prozent erhöht . Die Ausgaben für den in-
ternationalen Austausch und die Zusammenarbeit in der
beruflichen Bildung werden um 15,6 Prozent gesteigert.
Und nicht zuletzt: Das BAföG für Studierende wird im
kommenden Jahr um 5,5 Prozent erhöht .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aufwüchse in
diesen Zukunftsfeldern sind wichtig für unser Land . Für
den Gesamtetat betone ich zum Abschluss noch einmal:
Halten wir trotz des Haushaltsplus Maß, um die notwen-
digen Ausgaben für die Zukunft tätigen zu können! So
müssen natürlich zunächst einmal die konkreten Kosten
der Flüchtlingshilfen betrachtet werden und muss die
Steuerschätzung im Herbst abgewartet werden .


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das ist ganz richtig!)


Begeben wir uns angesichts der jüngsten Entwicklungen
nicht in parteipolitische Grabenkämpfe, sondern wenden
wir uns gemeinsam der Verantwortung zu und werden
dieser auch gerecht! Die Menschen, die unsere Hilfe
benötigen, haben dies verdient – und natürlich auch das
deutsche Volk .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811902400

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, es

liegen keine weiteren Wortmeldungen zur allgemeinen
Finanzdebatte vor .

Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15 .

Es wäre schön, wenn Sie jetzt zügig Ihre Plätze ein-
nehmen würden . Dann hätte nämlich der Bundesminister
Hermann Gröhe, dem ich jetzt das Wort für die Bundes-
regierung gebe, die notwendige Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1811902500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Die Menschen in unserem Land vertrauen dem Gesund-
heitswesen, geben ihm in Umfragen immer wieder Best-
noten . Sie wissen: Im Falle von Unfall, von Krankheit,
von Pflegebedürftigkeit können sie sich in diesem Land
wie nur in ganz wenigen Ländern der Welt darauf verlas-
sen, dass sie die erforderliche Hilfe erhalten . 5 Millionen
Menschen geben in diesem Land in den unterschiedlichs-
ten Bereichen unseres Gesundheitswesens ihr Bestes, da-
mit es anderen besser geht .

Kerstin Radomski






(A) (C)



(B) (D)


Zugleich wissen die Menschen aber auch, dass un-
ser Gesundheitswesen vor großen Herausforderungen
steht . Die erfreulicherweise ansteigende Lebenserwar-
tung, auch das Ergebnis einer gesünderen Lebens- und
Arbeitsweise sowie des medizinischen Fortschritts, führt
zu einer steigenden Zahl hochbetagter, mehrfach und
chronisch erkrankter pflegebedürftiger Menschen. Bei-
spielhaft sei die wachsende Zahl demenziell Erkrankter
in unserem Land genannt .

Die deutlich abnehmende Zahl erwerbstätiger Menschen
und ein zum Teil massiver Bevölkerungsrückgang in ein-
zelnen ländlichen Regionen werfen weitere Fragen auf:
Wie steht es um eine gute medizinische und pflegerische
Versorgung im ländlichen Raum? Wie stellen wir ange-
sichts schon jetzt fehlender Fachkräfte beispielsweise im
Pflegebereich den wachsenden Fachkräftebedarf im Ge-
sundheitswesen sicher? So sorgen innovative Therapien,
Arzneimittel und Medizinprodukte für Hoffnung bei Er-
krankten, weisen uns aber auch auf die Herausforderung
hin, auch weiterhin alle Menschen in unserem Land am
medizinischen Fortschritt in guter Weise teilhaben zu las-
sen . Die Bürger erwarten zu Recht, dass wir uns diesen
Fragen stellen, und wir tun das .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bei den zahlreichen Gesetzgebungsvorhaben im
Gesundheitsbereich gilt: Stets verbinden wir die pati-
entenorientierte Ausgestaltung der Leistungen für Pfle-
gebedürftige und Kranke mit Maßnahmen und Regeln,
die zeigen, dass wir die nachhaltige Leistungsfähigkeit
unseres Gesundheitswesens im Blick haben und stärken .

In dieser Haushaltsberatung will ich mit der nachhalti-
gen Finanzierung unseres Gesundheitswesens beginnen .
Unsere leistungsstarke gesetzliche Krankenversicherung
ist finanziell solide aufgestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In der Jahresmitte 2015 gab es bei Gesundheitsfonds und
gesetzlicher Krankenversicherung Reserven von rund
24 Milliarden Euro . 20 Millionen Menschen in diesem
Land konnten zu Jahresbeginn von niedrigeren Kranken-
versicherungsbeiträgen profitieren, gemessen an der frü-
heren Beitragsvorgabe . Diese gute Lage ist das Resultat
sowohl gesundheitspolitischer Weichenstellung als auch
der guten wirtschaftlichen Lage in unserem Land .

Ein leistungsstarkes solidarisches Gesundheitswesen
braucht eine starke Wirtschaft und eine gute Entwicklung
auf dem Arbeitsmarkt . Richtig war es deshalb, dass wir
in den Jahren 2014 und 2015 durch eine vorübergehen-
de Absenkung des Bundeszuschusses einen Beitrag zur
Haushaltskonsolidierung und damit zur Wachstumsför-
derung in unserem Land geleistet haben . Nun halten wir
Wort . Im Jahr 2016 wird dieser Bundeszuschuss 14 Mil-
liarden Euro, ab dem Jahr 2017 dauerhaft 14,5 Milliarden
Euro betragen . Deshalb ist es richtig, dass sich die Koa-
litionspartner darauf verständigt haben, den Arbeitgeber-
beitrag einzufrieren . Mit einer Politik für sichere und gut
bezahlte Arbeitsplätze stärken wir die Grundlagen unse-
rer sozialen Sicherheit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zugleich ist klar: Damit Leistungsausweitungen mit
Augenmaß möglich sind, muss die Effektivität im Sys-
tem, wo immer vertretbar, erhöht werden . Deshalb zielte
bereits das erste Gesetz dieser Koalition auf die Verlän-
gerung des Preismoratoriums bei den Arzneimitteln und
die Erhöhung des Herstellerabschlags . Das sind Maß-
nahmen, die die gesetzliche Krankenversicherung um
jährlich 650 Millionen Euro entlastet haben . Die Verbin-
dung von konkreten Leistungsverbesserungen für unsere
Patientinnen und Patienten einerseits und die Stärkung
struktureller Nachhaltigkeit des Gesundheitswesens an-
dererseits prägen alle unsere Gesetzesvorhaben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz stärken wir die
Versorgung im ländlichen Raum, indem wir beispiels-
weise den Kassenärztlichen Vereinigungen die Mög-
lichkeit geben, mit konkreten Niederlassungsanreizen
rechtzeitig die Weichen für eine Sicherstellung des An-
gebots zu stellen . Wir stärken die Allgemeinmedizin,
aber auch die Weiterbildung in den grundversorgenden
Facharztdisziplinen . Zugleich schaffen wir mit einem
neuen Innovationsfonds – pro Jahr 300 Millionen Euro
in den nächsten vier Jahren – die Voraussetzung, sektor-
übergreifende Versorgungsformen zu erproben, um sie
alsbald in die Regelversorgung einzuführen . Wir haben
lange genug Mauern zwischen den Sektoren gebaut . Mit
diesem Innovationsfonds bauen wir Brücken für die Pati-
entinnen und Patienten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zugleich erhöhen wir damit auch die Wirtschaftlichkeit
der Leistungserbringung im Gesundheitswesen .

Mit der Krankenhausreform sichern wir gut erreich-
bare Krankenhausversorgung und machen im Interesse
der Patientinnen und Patienten die Qualität der Kran-
kenhausleistung zum entscheidenden Maßstab künftiger
Krankenhausplanung . Wir verbinden die Sicherstellung
ortsnaher Grund- und Regelversorgung mit besserer Fi-
nanzierung der besonderen Aufgaben von Zentren, etwa
in den Hochschulkliniken oder im Bereich der Notfall-
versorgung, aber auch mit dem Abbau von Überversor-
gung und mit einem strukturierten Zweitmeinungsver-
fahren, um überflüssige Operationen zu vermeiden. Das
ist im Interesse der Patientinnen und Patienten und stei-
gert die nachhaltige Leistungsfähigkeit unseres Gesund-
heitswesens .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Forderung eines selbstbestimmten Lebens gerade
älterer Patientinnen und Patienten – dabei denke ich bei-
spielsweise an die Arzneimitteltherapiesicherheit, an den
Medikationsplan sowie an eine bessere Zusammenarbeit
zwischen den unterschiedlichen Leistungserbringern, auf
die gerade mehrfach und chronisch erkrankte Menschen
angewiesen sind – dient unser Gesetz für die sichere di-
gitale Kommunikation und Anwendung im Gesundheits-
wesen, kurz E-Health-Gesetz . Zugleich stärkt es den Da-
tenschutz in diesem wichtigen Bereich .

Bundesminister Hermann Gröhe






(A) (C)



(B) (D)


Mit dem Präventionsgesetz haben wir eine jahrelan-
ge Debatte zu einem guten Ergebnis geführt . Wir stärken
die Gesundheitsförderung in allen Lebensbereichen, von
der Kita über die Schulen und den Arbeitsplatz bis hin
zur Altenpflege. Dies dient der Lebensqualität der Men-
schen, da lebensstilbedingte Krankheiten vermieden oder
in ihrem Verlauf günstig beeinflusst werden können. Das
dient aber auch der nachhaltigen Leistungsfähigkeit un-
seres Gesundheitssystems .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Haushalt unterstützen wir die Ziele des Präventions-
gesetzes beispielsweise mit 3 Millionen Euro für Infor-
mationskampagnen zur Erhöhung der Impfrate, aber
auch erstmals mit 3 Millionen Euro für Projekte zur Ver-
meidung von Diabetes mellitus .

Meine Damen, meine Herren, einen echten Kraftakt
stemmen wir bei der umfangreichen Stärkung der Pflege
in Deutschland. Jahrelang wurde über den neuen Pflege-
bedürftigkeitsbegriff diskutiert . Jetzt kommt er .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Damit erhalten demenziell erkrankte Menschen erstmals
einen gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen der
Pflegeversicherung. Damit wird sich die Pflege künftig
stärker an der individuellen Bedürftigkeit, aber auch an
den individuellen Möglichkeiten der Pflegebedürftigen
oder des Pflegebedürftigen ausrichten. Individuellere
Pflege ist unser Ziel. Bereits zum 1. Januar dieses Jahres
haben wir mit einer umfassenden Leistungsverbesserung
nicht zuletzt die Situation von demenziell erkrankten
Pflegebedürftigen und deren Angehörigen verbessert und
den Grundsatz „ambulant vor stationär“ gestärkt, der dem
Wunsch der allermeisten Menschen entspricht, möglichst
lange, auch pflegebedürftig, zu Hause leben zu können.

Wenn wir jetzt den Grundsatz „Reha vor Pflege“ mit
Leben füllen wollen, dann dient auch dies der Lebens-
qualität des Einzelnen, da wir Pflegebedürftigkeit verhin-
dern, hinauszögern oder im Verlauf günstig beeinflussen.
Es dient aber auch der Nachhaltigkeit unserer Struktur
zur Absicherung im Falle von Pflegebedürftigkeit.

Diese umfassende Leistungsverbesserung von unge-
fähr 20 Prozent wird durch eine Beitragserhöhung von
0,5 Prozent paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitneh-
mern aufgebracht . Dies ist unserer Überzeugung nach
gut angelegtes Geld . Wir wissen, dass die überwältigen-
de Mehrheit der Menschen in diesem Land diese Bei-
tragserhöhung bejaht, weil gute Pflege ein Ausdruck der
Menschlichkeit in unserer Gesellschaft ist .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zugleich gibt es wohl kaum einen Bereich, in dem
Hilfe des Sozialstaats in dieser Weise Hilfe zur Selbsthil-
fe ist . Vergegenwärtigen wir uns einmal, dass ganz viele
pflegebedürftige ältere Menschen von selbst in hohem
Alter befindlichen Pflegepersonen bzw. Partnerinnen und
Partnern gepflegt werden. Diese haben wahrlich unsere
Unterstützung verdient. Mit dem Pflegevorsorgefonds

sorgen wir zugleich dafür, dass dieser Leistungsausbau
in generationengerechter Weise gestaltet wird .

Dankbar bin ich für den großen Konsens, der in die-
sem Haus herrscht im Hinblick auf die Verbesserung in
der Palliativ- und Hospizversorgung . Was wir an guter
medizinischer, pflegerischer und menschlicher Beglei-
tung Schwerstkranker und Sterbender heute leisten kön-
nen, muss auch überall in diesem Land angeboten wer-
den .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich danke in diesem Zusammenhang den rund 100 000
Menschen, die ehrenamtlich im Bereich der Hospizver-
sorgung tätig sind .

Die Frage einer guten medizinischen Versorgung ist
zunächst eine lokale Frage, also die Frage nach dem An-
gebot bei mir vor Ort . Und doch hat uns der Ebolaaus-
bruch im vergangenen Jahr erneut in eindringlicher Weise
gezeigt, dass eine gute Gesundheitsversorgung auch eine
internationale Dimension hat . Deshalb stand in diesem
Jahr die globale Gesundheitspolitik in besonderer Wei-
se im Zentrum des Handelns der Bundesregierung . Ich
nenne die deutsche Gastgeberrolle bei der internationa-
len Impfallianz im Januar dieses Jahres, die gemeinsame
Reise mit Bundesminister Gerd Müller nach Westafrika
mit dem Ziel, den dort Aktiven bei der Hilfe der Länder
Westafrikas Dank zu sagen, aber auch zu unterstreichen,
dass wir Lehren aus diesen Vorgängen ziehen wollen,
die Rede der Bundeskanzlerin vor der Jahreshauptver-
sammlung der Weltgesundheitsorganisation, aber auch
die herausragende Rolle, die die Gesundheitsthemen
beim G-7-Gipfel im bayerischen Elmau gespielt haben .
In wenigen Wochen werde ich die Gesundheitsminister
der G-7-Staaten, die Generaldirektorin der WHO und
weitere internationale Repräsentanten in Berlin begrü-
ßen, damit wir diesen Prozess vorantreiben, Lehren aus
der Ebolakrise ziehen und die WHO stärken . Ich danke
dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit
dafür, dass wir im Zusammenwirken freiwillig Beiträge
für die WHO in Höhe von 6 Millionen Euro vorsehen,
um die Stärkung und den Reformprozess in der WHO
voranzubringen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zu der gesundheitspolitischen Dimension internatio-
naler Entwicklung gehört auch eine gute und angemesse-
ne Versorgung der Flüchtlinge in unserem Land .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich habe vor wenigen Tagen entsprechende Einrichtun-
gen in Lebach und St . Wendel im Saarland besucht und
kann nur sagen: Was dort von Haupt- und Ehrenamtli-
chen für eine gute Versorgung der ankommenden Flücht-
linge geleistet wird, verdient höchste Anerkennung und
jede Unterstützung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bundesminister Hermann Gröhe






(A) (C)



(B) (D)


Die Verabredung der Ministerpräsidenten und Minis-
terpräsidentinnen mit der Bundeskanzlerin und den Res-
sorts der Bundesregierung sowie die Beschlüsse der Ko-
alition vom Sonntag sind eine gute Grundlage, die große
Herausforderung, zum Beispiel der Erstuntersuchun-
gen, gemeinsam zu meistern . Dazu führen wir intensive
Gespräche mit den Ländern . Ich nenne als Stichworte
nur die Nutzung medizinischen Sachverstands bei den
Flüchtlingen selbst und die Frage, wie wir die Erstunter-
suchung schnell und zeitnah umsetzen können .

Dies alles ist nur zu leisten, weil viele Menschen das
ihnen Mögliche für eine bestmögliche Versorgung tun .
Dafür bin ich dankbar . Ich freue mich auf die vor uns
liegenden Haushaltsberatungen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811902600

Vielen Dank . – Als Nächste hat die Kollegin Dr .

Gesine Lötzsch das Wort für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811902700

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Zuschauer auf den Tribünen!
Ich habe mich in der vergangenen Woche mit Geschäfts-
führern mehrerer Krankenhäuser unterhalten . Alle be-
richteten gleichermaßen von großen finanziellen Proble-
men bei der Reparatur und Instandhaltung ihrer Häuser .
Es fehlt seit Jahren an Investitionsmitteln . Das darf so
nicht weitergehen .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Da sind Sie bei uns ganz falsch!)


Was machen die Krankenhäuser in ihrer Not? Sie redu-
zieren Personalmittel, um die notwendigsten Reparatu-
ren bezahlen zu können . Das ist natürlich fatal angesichts
214 000 fehlender Pflegekräfte in den nächsten zehn Jah-
ren, wie es das DIW berechnet hat .

Diese Gespräche haben für mich noch einmal ein-
drucksvoll belegt, was wir durch die Statistiken schon
lange wissen: Im Vergleich zum Jahr 1991 sanken die
Fördermittel für die Krankenhäuser bis 2012 um mehr
als 28 Prozent, und die Kosten der Krankenhäuser haben
sich mehr als verdoppelt . Das ist eine Politik gegen die
Patienten, und die muss endlich beendet werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Gestern fand – das zum Zwischenruf „Länder“ – hier
im Bundestag eine außergewöhnlich gut besuchte Anhö-
rung zum Krankenhausstrukturgesetz statt . Aus vielen
Stellungnahmen der Anzuhörenden lässt sich der Schluss
ziehen, dass die Bundesregierung mit diesem Gesetz
nicht eine bessere gesundheitliche Versorgung erreichen
möchte, sondern augenscheinlich öffentliche Kranken-
häuser schließen will . Das ist mit uns nicht zu machen .


(Beifall bei der LINKEN)


Für das Jahr 2017 sieht die Bundesregierung für alle
Krankenhäuser eine Kürzung von 1 Milliarde Euro vor,
und der Versorgungszuschlag, der 500 Millionen Euro
ausmacht, soll vollständig wegfallen . Wenn ich dies
allein auf mein Land, auf Berlin, umrechne, so wären
dadurch 500 Pflegestellen gefährdet. Absurder geht es
nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Wie passen diese Kürzungen mit der Forderung nach
mehr Qualität zusammen? Ich sage: überhaupt nicht .
Wenn es nach der Bundesregierung geht, soll die Qualität
der Krankenhäuser über ihre Existenz entscheiden. Das
klingt vernünftig, ist es aber nicht . Wir als Linke möch-
ten die beste Versorgung aller Patienten und Patientinnen
sichern, unabhängig davon, ob sie gesetzlich oder privat
versichert sind .


(Beifall bei der LINKEN)


Doch mehr Qualität gibt es nicht, wenn man den Geld-
hahn immer wieder zudreht . Darum fordern wir für den
Haushalt 2016 wie auch in den vergangenen Jahren In-
vestitionen in die Krankenhäuser . In den vergangenen
Jahren haben Sie von der Koalition diese Forderung lei-
der immer wieder abgelehnt . Das war eine falsche Ent-
scheidung . Ich hoffe, dass Sie diese Entscheidung in die-
sem Jahr korrigieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Immer wieder wird davon gesprochen, dass die Bun-
desregierung der nächsten Generation keine neuen Schul-
den aufbürden möchte . Das klingt gut . Doch Sie müssen
der nächsten Generation auch sagen, dass sie dafür eine
verschlissene Infrastruktur aufgebürdet bekommt .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Genau!)


Jeden Euro, den wir heute nicht in kaputte Schulen,
Brücken und Krankenhäuser investieren, muss die nach-
folgende Generation aufbringen, und das wird nicht rei-
chen; denn sie muss ein Vielfaches aufbringen, um den
heutigen Standard wiederherzustellen .


(Beifall bei der LINKEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: So ist es! Das darf nicht so sein!)


Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass es
einen weiteren Grund für Ihren Investitionsstreik gibt .


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Unzuständigkeit!)


Mit Ihrer dauerhaften Verweigerungshaltung wollen Sie
den Weg für kommerzielle Kliniken freimachen . Wäh-
rend die Anzahl der Krankenhäuser insgesamt abnimmt –
im Jahr 2011 gab es 152 Krankenhäuser weniger als im
Jahr 2003 –, steigt die Anzahl der kommerziellen Kli-
niken, die wesentlich in der Hand von vier Konzernen
liegen . Die Bundesregierung hilft also bei der Marktbe-
reinigung im Gesundheitswesen, und das darf wirklich
nicht wahr sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Keiner sollte glauben, dass durch die kommerziellen
Kliniken Qualität und Effizienz gesteigert werden. Im

Bundesminister Hermann Gröhe






(A) (C)



(B) (D)


Gegenteil: Für die Patienten wird es auf alle Fälle teurer .
Der Trend ist schon jetzt deutlich zu erkennen . Auch die
öffentlichen, die kommunalen Krankenhäuser werden
mit den Fallpauschalen auf Profit getrimmt. Ich denke
nicht, dass wir eine Entwicklung haben wollen, die es in
anderen Ländern schon gibt . Ich nenne ein Beispiel: Die
Anzahl der Kaiserschnitte ist in Deutschland seit 2005
um 27 Prozent gestiegen . Je 1 000 Geburten wurden 314
Kaiserschnitte durchgeführt .


(Zuruf von der CDU/CSU: Weil die Frauen es wollen!)


Es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis Kliniken nur Ge-
burten per Kaiserschnitt anbieten werden, weil ihnen das
einfach mehr Geld einbringt .


(Mechthild Rawert [SPD]: Nein, nein!)


Das ist nämlich die Wahrheit . Diesen Weg wollen wir
doch nicht beschreiten .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir von der Linken wollen eine solidarische Kranken-
versorgung, die aus Ärzten keine gewinnmaximierenden
Geschäftsleute und aus Krankenschwestern keine Fließ-
bandarbeiterinnen macht . Investitionen in das Gesund-
heitswesen sind gut angelegtes Geld . Alles andere wird
in der Zukunft teurer .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811902800

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Dr . Karl

Lauterbach, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1811902900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Zunächst einmal will ich auf das aktuelle The-
ma eingehen, nämlich die Flüchtlingskrise, die uns na-
türlich alle bewegt, und hier für unsere Fraktion ganz
klar in den Vordergrund stellen, dass es nicht sein kann,
dass Menschen den riskanten, langen, gewagten Weg
nach Deutschland auf sich nehmen und ihn schaffen, hier
willkommen sind, aber dann durch vermeidbare Kompli-
kationen von bestehenden Krankheiten ihre Gesundheit
erneut aufs Spiel setzen und vielleicht sogar versterben .


(Zuruf von der LINKEN: Sie können ja einen Antrag dazu stellen!)


Daher werden wir im Gesundheitssystem dafür sorgen,
dass der schnelle Zugang zu den Leistungen, die benötigt
werden, gegeben ist . Wir setzen uns dafür ein, dass die
Gesundheitskarte für Flüchtlinge zur Verfügung steht,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und zwar in einer Art und Weise, die den Zugang zum
System beschleunigt, ohne dass den Krankenkassen –
nicht dass dieser Vorschlag missverstanden wird! – dabei

Kosten entstehen; diese Kosten sind selbstverständlich
vom Steuerzahler zu übernehmen .

Die oft vorgetragene Befürchtung, das zöge Menschen
erst an, nach Deutschland zu kommen, halte ich für ab-
wegig .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Natürlich!)


Es ist nicht so, dass ein Mensch nach Deutschland oder
nach Europa flieht,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Die ziehen nicht nach Europa, sondern nach Deutschland! Das ist ein Unterschied!)


weil er glaubt, für ein paar Monate in den Genuss einer
Krankenversicherung zu kommen, die er sowieso wie-
der verlöre, wenn er hier nicht bleiben könnte, und die
er sowieso bekäme, wenn er bleiben könnte . Von daher
geht es sozusagen um einen Übergang für wenige Mo-
nate . Das ist aber ein Übergang, der gerade für Kinder,
für traumatisierte Menschen lebenswichtig sein kann . Da
können wir uns nicht aus ideologischen Gründen einer
unbürokratischen Lösung versperren . Daran werden wir
gemeinsam arbeiten .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg . Birgit Wöllert [DIE LINKE])


Wir schaffen in dieser Legislaturperiode vier wichtige
Gesetze; wir schaffen auch ein paar kleine Gesetze, aber
ich gehe auf vier Gesetze in der gebotenen Kürze ein . Ich
will einmal versuchen, es zu strukturieren: Beim ersten
Gesetz steht sehr stark die Modernisierung unseres Ge-
sundheitssystems im Vordergrund . Beim zweiten Gesetz
steht sehr stark die Verbesserung der Qualität im Vorder-
grund . Beim dritten Gesetz steht die Humanisierung im
Vordergrund und beim vierten Gesetz der Ausbau des
Systems . Das ist die Zusammenfassung .

Bei der Modernisierung geht es im Wesentlichen um
das Gesetz, das wir als E-Health-Gesetz bezeichnen und
diesen Namen durchaus verdient . Wir haben in Deutsch-
land bisher keine gute Infrastruktur im Gesundheits-
system, was die Vernetzung angeht . Die elektronische
Vernetzung unseres Gesundheitssystems ist kein unwich-
tiger Bereich; das ist nichts Technokratisches. Es besteht
langfristig die dringende Notwendigkeit, in den Berei-
chen, in denen wir eine flächendeckende Versorgung
nicht mehr gut darstellen können, zur interdisziplinären
Zusammenarbeit von Ärzten zu kommen und telemedi-
zinische Leistungen stärker zu nutzen . Das werden wir
ohne die Schaffung dieser Infrastruktur niemals schaf-
fen . Wir brauchen das EHealth-Gesetz, um bei der Zu-
sammenarbeit von Ärzten und bei der flächendeckenden
Versorgung mit Telemedizin überhaupt voranzukommen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Hier geht es nicht um Kleinigkeiten . Zum Beispiel ist
es heute so, dass Ärzte oft nicht wissen, welche Medi-
kamente Menschen nehmen . Wenn jemand eine geisti-
ge Einschränkung hat – beispielsweise ein behinderter
Mensch –, kann er nicht einfach aufzählen, welches Me-

Dr . Gesine Lötzsch






(A) (C)



(B) (D)


dikament er in welcher Dosierung gerade einnimmt . Da-
her kommt es nicht nur zu vermeidbaren Nebenwirkun-
gen; es wird auch oft etwas eingesetzt, was gar keinen
Sinn macht, weil der Patient es schon in einer anderen
Form bekommt oder bekommen hat und es nie gewirkt
hat . Daher brauchen wir elektronisch verfügbare Me-
dikationspläne als ersten Schritt auf dem Weg zu einer
komplett elektronischen Patientenakte . Sie muss natür-
lich den modernsten Sicherheitsstandards mit doppelter
Verschlüsselung entsprechen . Aber diese Aufgabe ist
lösbar . Sie ist keine Kleinigkeit: Hier geht es um die
Vernetzung von 200 000 Ärzten, 2 000 Krankenhäusern,
20 000 Apotheken . Es ist also eine riesige Aufgabe . Aber
wenn wir dies schaffen, dann haben wir einen wesent-
lichen, notwendigen Schritt zur Modernisierung unseres
Gesundheitssystems getan .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Lachen und Beifall der Abg . Kordula SchulzAsche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Hier wird gelacht . Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir
das schaffen werden .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eher selbstkritisches Lächeln!)


Ich kann jetzt nicht das konkrete Gesetz vortragen;
aber das konkrete Gesetz enthält aus meiner Sicht wich-
tige Schritte, setzt Fristen und macht entsprechenden
Druck auf die Selbstverwaltung . Hier kommt es aus mei-
ner Sicht zu einer technisch gut vorbereiteten Lösung, die
der Selbstverwaltung die notwendigen Anreize bietet, die
in der Vergangenheit oft gefehlt haben, um hier voranzu-
kommen .

Bei der Humanisierung des Gesundheitssystems den-
ke ich natürlich im Wesentlichen an unser Gesetz zur
Hospiz- und Palliativversorgung . Es ist ganz klar: Der
Aspekt, wie das Lebensende von einem Menschen erlebt
wird, wie er auf das Lebensende vorbereitet wird, was er
erwarten kann, wie er es selbst erlebt, wie die Angehöri-
gen es erleben, wenn ein Mensch stirbt, aus dem Leben
scheidet, ist ganz wesentlich, wenn es darum geht, wie
menschlich ein Gesundheitssystem ist . Da haben wir in
der Vergangenheit nicht genug gemacht; das muss man
klar sagen .

Aber wir haben in den letzten Jahren viel erreicht . Wir
haben unser System der Palliativ- und Hospizversorgung
ausgebaut . Jetzt gehen wir den nächsten Schritt, bei dem
es im Wesentlichen darum geht, dass wir die ärztlichen
und die pflegerischen Leistungen in der Hospiz- und
auch in der Palliativversorgung besser vergüten, dass wir
Rechtsansprüche schaffen, dass wir in den Bereichen, in
denen es trotz langer Verhandlungen noch keine Verträ-
ge gibt, die Verträge durch ein Schiedsverfahren auf den
Weg bringen, damit es endlich eine flächendeckende Ver-
sorgung gibt .

Wir wollen die Hospizversorgung in Krankenhäusern,
aber auch die ambulante Hospizversorgung in Pflegeein-
richtungen und in den Pflegediensten deutlich verbes-
sern. Wir flexibilisieren so die Hospizversorgung und
stärken insbesondere die ambulante Hospizversorgung .

Neben höheren Sachkostenbeiträgen ist auch eine höhe-
re Abdeckung der geleisteten Zuschüsse vorgesehen; die
Einzelheiten werden wir hier noch breit diskutieren . Aus
meiner Sicht sind das sehr wichtige Schritte . Das Ziel
muss sein, dass wir im Bereich der Palliativmedizin und
in der Hospizversorgung vorbildlich sind .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben in diesem Bereich schnell Fuß gefasst, aber wir
müssen sowohl auf europäischer Ebene als auch weltweit
Vorbild sein . Daran wollen wir uns messen lassen .

Mit dem Krankenhausstrukturgesetz soll die Qualität
in den Krankenhäusern gesteigert werden . Frau Lötzsch,
Sie haben vorgetragen, es gebe keine Anreize für die
Steigerung der Qualität . Sie befürchten, dass sich die
Qualität verschlechtert .


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: War ja gestern in der Anhörung!)


– Die Anhörung ist sehr kompliziert gewesen . Es gab
sehr differenzierte Meinungen, die Sie hier auf zwei, drei
kritische Punkte reduziert haben .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ich hatte auch nur fünf Minuten Zeit! Wenn Sie mir Ihre Redezeit abgeben, rede ich länger darüber!)


Das ist nicht angemessen . Ich bringe ein paar Beispiele,
die zeigen, dass Sie die Entwicklung in den Ländern, in
denen Sie mitregieren, selbst in der Hand haben .

Wir erlauben es den Ländern zum Beispiel, den As-
pekt Qualität bei der Krankenhausplanung zu berück-
sichtigen . Das war bisher nicht erlaubt . Qualitätsaspekte
konnten in der Krankenhausplanung bisher – ich sage
einmal: absurderweise – nicht berücksichtigt werden . Ich
hoffe, dass Sie es den Ländern, in denen Sie mitregieren,
zutrauen, die qualitätssteigernde Möglichkeit zu nutzen;
um Ihnen ein Beispiel zu nennen, wie wir durch dieses
Gesetz Qualität schaffen .

Ich bringe ein weiteres Beispiel . Bei guter Qualität
gibt es demnächst Zuschläge . Wenn es stimmt, was Sie
vortragen, also dass die nichtkommerziellen Anbieter in
der Qualität besser sind, dann gehen diese Zuschläge fast
ausschließlich an die kommunalen Häuser . Dann hätten
Sie die Entwicklung, die Sie wünschen . Zu sagen, dass
wir keine entsprechenden Anreize setzen, würde bedeu-
ten, dass wir das System verknappen . Aber da hören Sie
doch nur auf die Krankenkassen, denen Sie, wie auch
wir, in vielen Bereichen nahestehen . Es ist ganz klar: Die
Krankenkassen beklagen in diesem Bereich Mehraus-
gaben von mehreren Milliarden Euro . Wenn man Ihnen
zugehört hat, dann hätte man den Eindruck gewinnen
können, dass wir die Mittel verknappen . Aber wir haben
Mehrausgaben, die bereits so hoch sind, dass wir von
einer Beitragssatzerhöhung ausgehen müssen . Sie selbst
haben bereits die zu erwartenden Zusatzbeiträge beklagt
und gefragt: Wo geht denn das Geld hin? – Entweder es
ist richtig, dass wir mehr Geld ausgeben und dass wir
mehr Finanzierung im paritätischen Sinne benötigen –
auch ich glaube, dass wir das Gesundheitssystem lang-
fristig wieder paritätisch finanzieren müssen –

Dr . Karl Lauterbach






(A) (C)



(B) (D)



(Beifall bei der SPD)


oder wir verknappen die Mittel . Aber beides kann nicht
stimmen .

Ich komme zum Schluss . Das Gesetz zum Ausbau der
Pflegeversicherung hat Gesundheitsminister Gröhe breit
dargestellt. Der Ausbau der Pflegeversicherung ist groß-
artig . Das ist etwas, was in der jetzigen Zeit unbedingt
gemacht werden muss . Wir können uns dies leisten . Die
gute wirtschaftliche Lage hat das möglich gemacht . Das
ist paritätisch finanziert. Ich bin fest davon überzeugt,
dass die Umstellung des Systems auf Pflegegrade einer
individualisierten, am Menschen ausgerichteten besseren
Pflege den Weg ebnen wird. Ich bin zuversichtlich, dass
wir in diesem Bereich einiges erreichen werden .

Wir haben sehr viel vor in dieser Legislaturperiode .
Ich darf mich ganz herzlich für die vorzügliche Zusam-
menarbeit in der letzten Runde bedanken und freue mich
auf die Arbeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811903000

Vielen Dank . – Als Nächstes hat die Kollegin Kordula

Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ange-
sichts der bewegenden Bilder von völlig erschöpften
Menschen, die nach langer und kräftezehrender Flucht
bei uns ankommen und mit offenen Armen und über-
ragenden Hilfen von sehr vielen Freiwilligen begrüßt
werden, müssen wir hier darüber reden, wie wir schnell,
unbürokratisch und vor allem solidarisch und langfristig
helfen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dabei kann Ihr gestriges, mit heißer Nadel gestricktes
Maßnahmenpaket höchstens ein Anfang sein .

Lassen Sie mich an dieser Stelle, auch wegen der
Zwischenrufe von eben, an die Adresse der Damen und
Herren von der CDU/CSU, die regelmäßig meinen, die
Gesundheitskarte für Asylsuchende würde falsche Anrei-
ze schaffen, Folgendes sagen: Wir reden hier von Men-
schen, die auf der Flucht vor Krieg, vor Misshandlung,
vor Vergewaltigung, vor höchster Lebensgefahr drama-
tischen Erlebnissen ausgesetzt waren, die auf der Flucht
physisch und psychisch verletzt wurden . Es ist unsere
Pflicht, ihnen zu helfen. Es geht um menschenwürdige
Gesundheitsversorgung hier in Deutschland, vom ersten
Moment an .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Die 6 Milliarden Euro für zusätzliche Hilfen für
Flüchtlinge werden nicht darüber hinwegtäuschen, dass
Sie keine Probleme lösen . Dabei haben Sie, Herr Mi-
nister Gröhe, und Ihr Haus schon seit Herbst 2014, also

seit gut einem Jahr, durch die Einigung mit den Län-
dern den Auftrag, die flächendeckende Einführung einer
Gesundheitskarte für Asylsuchende zu prüfen und die
Kostenübernahme durch den Bund sicherzustellen . Herr
Minister Gröhe, das vorbildliche Vorgehen der Landesre-
gierung von Nordrhein-Westfalen führt, wie zuvor schon
in Hamburg und Bremen, zu einer rettenden Verbesse-
rung; denn die Menschen können im Krankheitsfall nun
direkt und ohne bürokratische Hürden einen Arzt aufsu-
chen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Herr Minister Gröhe, Ihre Aufgabe und Ihre Pflicht ist
es, für eine gute und diskriminierungsfreie gesundheitli-
che Versorgung aller Flüchtlinge zu sorgen . Ich fordere
Sie hier und heute auf, den notwendigen Gesetzentwurf
für eine bundesweite Gesundheitskarte bis zum 24 . Sep-
tember 2015 vorzulegen, das heißt, bevor der zweite
Flüchtlingsgipfel beginnt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Angesichts der Äußerungen von Herrn Dr . Lauterbach
bin ich guter Dinge, dass man hier doch noch zur Ver-
nunft kommt .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD] und Harald Weinberg [DIE LINKE])


– Danke schön .

Natürlich gibt es noch weitere ungelöste Probleme, so
den eklatanten Mangel an Dolmetschern und die unzurei-
chende psychotherapeutische Versorgung, um nur zwei
Beispiele zu nennen . Wir wissen aus vielen Untersuchun-
gen, dass ein Großteil von schwer traumatisierten Men-
schen große Schwierigkeiten hat, ihren Gesundheitszu-
stand zu verbessern oder sich zu integrieren .

Herr Gröhe, wo sind Ihre Antworten auf diese Proble-
me? Sie werden als Gesundheitsminister zum Synonym
für Ideen- und Mutlosigkeit, und das nicht nur beim The-
ma Flüchtlinge . Ihnen fehlt der Mut für eine gute Ge-
sundheitspolitik für alle Menschen, die in Deutschland
leben . Wie soll die Gesundheitsversorgung der Zukunft
aussehen, und vor allem, wie kann sie solidarisch finan-
ziert werden? Die Zeichen des demografischen Wandels
sind deutlich; aber Sie halten stur Abstand von kon-
fliktträchtigen Reformen, von einer stabilen und gerech-
ten Finanzierung, von der flächendeckenden integrierten
Versorgung in allen Regionen, von einer besseren Aufga-
benverteilung in den Gesundheitsberufen .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Sie wissen ganz genau, dass das nicht wahr ist!)


Nur für die verschiedenen Besitzstandswahrer haben Sie
offene Ohren . Einige Akteure im Gesundheitswesen wer-
den mit Geschenken und kleinen Detailverbesserungen
bei Laune gehalten, aber die notwendigen Strukturre-
formen bleiben aus . Bezahlen müssen das am Ende die
Versicherten . Sie werden die gesetzlich Versicherten
2016 erneut zur Kasse bitten . Die Zusatzbeiträge werden
steigen . Die Versicherten werden somit den absehbaren
Kostenanstieg im Gesundheitswesen alleine stemmen
müssen .

Dr . Karl Lauterbach






(A) (C)



(B) (D)


Wir Grünen fordern, dass die paritätische Finanzierung
durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der gesetzlichen
Krankenversicherung vollständig wiederhergestellt wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Kollege Lauterbach, ich nehme Sie beim Wort .
Kommen Sie zurück zur Parität, kommen Sie zurück zu
mehr Gerechtigkeit!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Nun zu einer anderen Marotte der Bundesregierung,
zum Ausgeben des Geldes der gesetzlich Versicherten
für staatliche Aufgaben und Zwecke . Das Beispiel: die
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, eine
Bundesbehörde . Dort wird das Personal jetzt mithilfe
von Mitteln aus der gesetzlichen Krankenversicherung
aufgestockt . Wir sagen dazu ganz klar, meine Damen und
Herren: Gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssen aus
dem Bundeshaushalt finanziert werden; die Mittel dafür
dürfen nicht der Solidargemeinschaft der Versicherten
entzogen werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das i-Tüpfelchen Ihrer versicherten- und patienten-
feindlichen Politik ist die Vergabe der Unabhängigen
Patientenberatung an ein privates Unternehmen mit Pro-
fitinteressen. Damit wird die Unabhängige Patientenbe-
ratung – die den Patienten vor Ort übrigens durch Gesetz
garantiert wird – als wichtige Institution zur Verankerung
von Patienten- und Versichertenrechten zu Grabe getra-
gen . Zukünftig steht Patienten nur noch ein Callcenter
zur Verfügung, ein Callcenter, welches im Kern ein
Dienstleister für Krankenkassen und Leistungserbringer
ist, aber nicht für die Patienten und ihre unabhängige Be-
ratung . Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht . Und
was machen Sie, Herr Minister Gröhe? Sie schweigen
sich aus . Angesichts der großen Herausforderungen, vor
denen wir alle stehen, ist ein schweigsamer Minister, der
die großen Konflikte scheut, jedoch fatal. Auf bestimmte
Interessengruppen ausgerichtete Politik ist weder nach-
haltig noch generationengerecht . Stellen Sie endlich die
Menschen, die Patienten, die Versicherten in den Mit-
telpunkt, und zwar nicht nur in Sonntagsreden, sondern
endlich auch im konkreten Handeln .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811903100

Vielen Dank . – Nächster Redner für die CDU/

CSU-Fraktion ist der Kollege Dr . Georg Nüßlein .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1811903200

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Eine

Haushaltsdebatte mitten in der Legislaturperiode ist na-
türlich die Gelegenheit, eine Halbzeitbilanz zu ziehen .
Ich meine, der Herr Bundesgesundheitsminister hat eine

gute Halbzeitbilanz gezogen, und er hat es auch zu Recht
getan .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich weiß natürlich, dass es für die Opposition gera-
dezu konstitutiv ist, dass sie das kritisiert . Aber, Frau
Schulz-Asche, so wie Sie das gerade eben gemacht
haben, nämlich bis hin zu dem Vorwurf der Patienten-
feindlichkeit, halte ich es für absolut unangemessen . Das
Beispiel mit der Ausschreibung der Patientenberatung,
das Sie gebracht haben, ist kein gutes Beispiel . Dieses
Thema wurde ausgeschrieben . Es gab ein Vergabeverfah-
ren dazu, das eine Seite gewonnen hat . Meine Damen,
meine Herren, so ist es eben, wenn man solche Dinge
ausschreibt .


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Interessenkonflikte kann man ausschließen!)


Da gibt es keinen Anspruch desjenigen, der das vor-
her gemacht hat, dass er das in Zukunft weitermachen
darf . Wenn es umgekehrt gewesen wäre, wenn es vor-
her ein Wirtschaftsunternehmen gehabt hätte, dann hät-
ten Sie doch auch nicht darauf bestanden, dass die das
in Zukunft so weitermachen dürfen und ihre Angebote
so lange nachbessern dürfen, bis sie das beste Angebot
abgeben .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811903300

Herr Kollege, –


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1811903400

Gleich am Anfang?


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811903500

– gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin

Schulz-Asche?


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1811903600

Gern .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811903700

Bitte schön .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herzlichen Dank . – Ich wollte, weil Sie mich jetzt
persönlich angesprochen haben, einfach nur noch einmal
fragen, ob Ihnen aufgefallen ist, dass sowohl beim The-
ma Unabhängige Patientenberatung als auch beim The-
ma Gesundheitskarte der Kollege Dr . Lauterbach von
Ihrem Koalitionspartner die gleiche Position vertreten
hat wie ich .

Danke schön .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht!)


Kordula Schulz-Asche






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1811903800

Frau Kollegin, auf diesen Punkt werde ich gleich noch

zusätzlich eingehen . Ich möchte Sie zunächst nur darauf
hinweisen, dass hier ein erstinstanzliches Urteil da ist,
nach dem ganz klar ist, dass man die Unabhängigkeit ge-
prüft hat, sodass es von dieser Seite aus gar kein Problem
gibt . Der Kollege Lauterbach wird das wahrscheinlich
anschließend noch selber klären .

Um auf das Thema Gesundheitskarte zu kommen: Ja,
natürlich ist es so, meine Damen und Herren, dass es in
einer Großen Koalition an dem einen oder anderen Punkt
unterschiedliche Auffassungen gibt . Gerade beim The-
ma Gesundheitskarte werden wir noch an verschiedenen
Stellen diskutieren müssen . Erstens befürchtet die CDU/
CSU-Fraktion – aus meiner Sicht nicht zu Unrecht – ei-
nen gewissen Pull-Effekt, nicht in Bezug auf die Flücht-
linge, die zu Recht hier herkommen, sondern in Bezug
auf die, die aus anderen, insbesondere ökonomischen
Erwägungen versuchen, hier Asyl zu bekommen und
dann irgendwann mit Zeitverzögerung zurückgeschickt
werden . Zweitens stellt sich für uns die Frage, wie abge-
grenzt wird, dass diese Flüchtlinge nur Leistungen nach
dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen . Auch das
muss klargestellt werden .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das gehört abgeschafft! Lesen Sie mal das Verfassungsgerichtsurteil!)


Das müssen wir noch klären . Ansonsten gibt es an dieser
Stelle bei der CDU/CSU-Fraktion noch ganz klar ausge-
prägte Skepsis, über die wir im Fortgang des Verfahrens
noch reden werden .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811903900

Herr Kollege Nüßlein, auch der Kollege Lauterbach

möchte Ihnen eine Frage stellen, ehe Sie nachher in Ihrer
Rede noch auf ihn eingehen, wenn Sie dies gestatten . –
Bitte schön, Herr Kollege Lauterbach .


Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1811904000

Vielen Dank . – Kollege Nüßlein, Sie stimmen mir

doch hoffentlich zu, dass ich zur UPD in meinem Beitrag
gar nichts gesagt habe


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)


und die Kollegin Schulz-Asche mich daher in meiner
Rede wahrscheinlich missverstanden hat?


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1811904100

Ich gehe sogar davon aus, dass Sie noch besser als ich

wissen, wozu Sie gar nichts gesagt haben, Herr Kollege .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das kommt auf jeden Fall in der heute-show, Kollege! Das ist schon einmal klar!)


Meine Damen, meine Herren, ich möchte, nachdem
es an dem einen oder anderen Punkt durchaus Meinungs-
verschiedenheiten in der Großen Koalition gibt, noch auf
eine andere Diskussion eingehen, nämlich die über die
Beitragsentwicklung; darüber wurde in den vergangenen

heißen Tagen diskutiert . Auch da tut Aufklärung not . Ich
weiß nicht, ob Kollege Lauterbach anschließend wieder
Stellung nimmt, ob er etwas bzw . was genau er dazu
gesagt hat . Ich will deutlich betonen: Die GKV hat seit
Jahren stabile Beiträge und hohe Rücklagen . Das bleibt
auch so, wenn die Wirtschaft weiter floriert. Das wieder-
um hängt von vielem ab, unter anderem aber auch davon,
ob wir unnötige verunsichernde Debatten über die Anhe-
bung von Lohnnebenkosten führen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Paritätisch!)


– Ich komme gleich dazu .

Die diskussionsgegenständlichen Defizite liegen ganz
besonders an zu niedrig angesetzten Zusatzbeiträgen .
Gegen jeden Rat 0,83 Prozent statt 0,9 Prozent als Zu-
satzbeitrag zu verlangen und dann nachher zu lamentie-
ren, dass das Geld nicht reicht, ist nicht besonders klug .


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Jetzt fallen Sie Ihrem Gesundheitsminister in den Rü cken!)


Das muss man einmal in der Klarheit formulieren . Es
geht also um ein hausgemachtes kassenindividuelles
Problem . Wir lassen uns an dieser Stelle keine Beitrags-
diskussion allgemeiner Art aufdrängen und – das sage ich
ganz ausdrücklich – auch keine parteipolitisch motivierte
Diskussion über die paritätische Finanzierung der Bei-
träge .

SPD und CDU/CSU haben sich im Koalitionsvertrag
aus gutem Grund und wohlüberlegt, wie ich meine, auf
die Festschreibung des Arbeitgeberbeitrages verständigt .
Frau Schulz-Asche, SPD und Grüne müssen davon schon
früher, nämlich im Jahr 2003, überzeugt gewesen sein . Es
war nämlich die rot-grüne Bundesregierung, die damals
von einer vollparitätischen Finanzierung abgewichen ist .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bei der SPD wieder offen!)


Zur historischen Wahrheit gehört also auch, dass Sie da-
mit angefangen haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vermutlich haben Sie sich seinerzeit etwas dabei gedacht .
Wenn das in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Sinn ge-
macht hat, dann macht es auch Sinn, das so fortzufüh-
ren, um nicht in schwierige Situationen zu kommen . Ich
weiß, dass das natürlich auch an die SPD geht, die sich
ab und zu nicht gern an die eigenen Taten oder Schand-
taten – je nachdem, wie Sie es sehen wollen – erinnert .


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hilde Mattheis [SPD]: Aber Vorsicht, Herr Kollege!)


Teil unserer Agenda – dieses Wort wollte ich in die-
sem Zusammenhang eigentlich nicht verwenden; aber
ich bleibe dabei –, unserer gesundheitspolitischen Agen-
da müssen natürlich Sparen in guten Tagen und Investie-
ren in qualitative und strukturelle Verbesserungen sein .
Das kostet zunächst einmal Geld, aber bringt mittelfristig
auch wirtschaftliche Verbesserungen . Auch da tragen die
Kassen ihre eigene Finanzverantwortung . Das möchte
ich an dieser Stelle deutlich machen .

Kordula Schulz-Asche






(A) (C)



(B) (D)


Selbst wenn Sie es jetzt als populistisch auffassen,
es gibt einen Grund, warum ich das sage: Ich habe kein
Verständnis für fragwürdige Werbeaktionen, also für
Wohlfühlreisen mit Nordic Walking, Aquafitness oder
Hatha-Yoga-Kurse . Die Tatsache, dass ich gar nicht ge-
nau weiß, was ein Hatha-Yoga-Kurs ist, ist ein Hinweis
darauf, dass das nicht mir eingefallen ist, sondern dass
ich das der Rüge des Bundesversicherungsamtes ent-
nommen habe und diese Rügen berechtigt sind .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Man sollte nie stolz sein, dass man etwas nicht weiß!)


Meine Damen und Herren, wir haben vor der Som-
merpause das Präventionsgesetz verabschiedet,


(Beifall des Abg . Helmut Heiderich [CDU/ CSU])


um einen wichtigen Teil, nämlich die Gesundheitsvorsor-
ge, aus dem Kassenmarketing herauszuziehen . Ich sage
das deshalb, weil ich glaube, dass wir als Große Koaliti-
on – um mit den Kollegen von der SPD wieder Frieden
zu schließen – hier Großartiges geleistet haben .


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oha, was für ein Schlingerkurs!)


Mehrere Bundesregierungen haben sich an diesem Ge-
setz die Zähne ausgebissen . Wir haben es streitfrei be-
schlossen, die Mittel aufgestockt, die Gesundheitsför-
derung verbessert: in Arztpraxen, Betrieben und in den
Lebenswelten .

Dass dabei das Impfen eine besondere Gewichtung
hatte und eine besondere Rolle gespielt hat, halte ich per-
sönlich für ausgesprochen wichtig . Auch diese Randnotiz
sei mir erlaubt: Es wird angesichts der Flüchtlingsströ-
me, die zu uns kommen, noch sehr viel wichtiger wer-
den, weil plötzlich wieder Krankheitsbilder in Deutsch-
land auftauchen, die es hier bisher so nicht gab . Deshalb,
sehr geehrter Herr Gesundheitsminister, ist das, was dort
passiert, für uns natürlich eine grandiose, große Heraus-
forderung . Es geht darum, wie man gesundheitspolitisch
mit dieser Thematik umgeht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ebenfalls vor der Sommerpause verabschiedete
Versorgungsstärkungsgesetz bietet Ansatzpunkte, um
dem Ärztemangel im ländlichen Raum entgegenzuwir-
ken . Ich sage ganz bewusst „Ansatzpunkte“ . Die Um-
setzung liegt jetzt an der Selbstverwaltung . Das ist kein
Selbstläufer, sondern die Selbstverwaltung wird das um-
setzen müssen . Auch da sei mir ein Seitenhieb gestattet:
Die Vorstände der KVen sollten sich, meine ich, eher auf
diese Aufgabe statt auf sich selbst konzentrieren . Die
Berichterstattung der letzten Tage ist jedenfalls keine Ei-
genwerbung für die KVen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich will den Blick nach vorn richten und das Kran-
kenhausstrukturgesetz erwähnen . Im Vorfeld gab es eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe . Ich sage ganz offen: Nach
13 Jahren im Parlament und angesichts all dessen, was
ich bei solchen Vorabstimmungen bisher erlebt habe,
werde ich immer kritischer . Es ist immer dasselbe: Die

Länder kommen und verhandeln mit uns . Dann gehen sie
raus und tun – bis hin zur Selbstverleugnung – so, als ob
sie gar nicht dabei gewesen wären; sie sind dann plötz-
lich unschuldig und unbeteiligt . Das ärgert mich . Man
muss nicht das Vermittlungsverfahren nach vorne legen,
um anschließend ein zweites am Ende durchzuführen .
Ich sage das auch an die Adresse der eigenen Länder .

Ich bedanke mich ausdrücklich beim BMG . Der Herr
Bundesgesundheitsminister hat sich selber die Mühe ge-
macht, die Wortwahl und die Formulierungen abzustim-
men . Trotzdem wissen die Länder nicht so genau, ob und
wie sie sich dazu verhalten sollen . Meine liebe Kollegin
Frau Lötzsch, wenn es um die Zuständigkeit der Länder
geht, können Sie sich nicht einmal daran erinnern, dass
eigentlich sie für die Investitionen verantwortlich sind .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Doch, doch!)


Ich hätte von Ihnen als Haushälterin vorhin erwartet, dass
Sie das richtig zuordnen, dass Sie sagen, für die Investiti-
onen in die Häuser vor Ort sind die Länder zuständig und
nicht der Bund, und nicht so tun, als ob wir daran etwas
ändern könnten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Natürlich ist das so!)


Nun gibt es eine Menge Kritik an diesem Gesetz; sie
ist sehr breit gespannt . Die GKV sagt, das würde sie
6-Milliarden Euro mehr kosten, die Deutsche Kranken-
hausgesellschaft rechnet mit 1 Milliarde Euro Verlust –
und da sollen wir jetzt wissen, wo dazwischen die Wahr-
heit liegt . Wahr ist, dass vermutlich die eine Seite nur die
Abschläge und die andere Seite nur die Zuschläge gese-
hen hat . Man muss das schon insgesamt richtig sehen .

Wir werden bei der Mengensteuerung etwas tun müs-
sen . Ich glaube auch, meine Damen und Herren, wir wer-
den beim Thema der Notfallversorgung nachjustieren
müssen . Die ambulante Notfallversorgung in den Kran-
kenhäusern macht allen – landauf, landab – Schwierig-
keiten . Es ist nun einmal Fakt, dass Ärzte Notfallpatien-
ten ins Krankenhaus schicken, insbesondere abends und
am Wochenende, und dass dort die diagnostischen Mög-
lichkeiten andere sind; auch die Kosten, die sich daraus
ergeben, sind andere . Hier müssen wir etwas dafür tun,
dass das so abgefangen wird, dass die Patientinnen und
Patienten im Notfall richtig und gut versorgt werden und
die Krankenhäuser nicht draufzahlen . Denn am Schluss
ist der Maßstab, dass diejenigen, die ihre Hausaufgaben
schon längst gemacht haben, die gut aufgestellt sind und
erreichbare Krankenhäuser haben, nicht in Schwierig-
keiten kommen, dass aber auch diejenigen, die das nicht
gemacht haben, die zu viele Krankenhäuser haben – auch
da bin ich im Übrigen wieder bei Nordrhein-Westfalen –,
einen Weg gewiesen bekommen, um diese Strukturen zu
bereinigen .

Da kann die Linke noch so sehr schimpfen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811904200

Herr Kollege Nüßlein

Dr . Georg Nüßlein






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1811904300

Es ist notwendig, die Strukturen anzupassen . Diesen

Weg werden wir gemeinsam gehen .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811904400

Danke . – Nächster Redner ist der Kollege Harald

Weinberg, Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811904500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ich möchte mit drei kurzen
Vorbemerkungen beginnen:

Erste Vorbemerkung . Herr Nüßlein, die Kassen auf
der einen Seite in den Markt und in den Wettbewerb zu
schicken und auf der anderen Seite hier, von diesem Pult
aus, die Folgen zu beklagen, ist schofel; das muss ich
ehrlich sagen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die zweite Vorbemerkung geht auch an Ihre Adresse:
Sie müssten unseren Antrag zur Kofinanzierung wirklich
lesen . Wir schlagen darin vor, dass wir den Ländern ei-
nen Anreiz bieten sollten, den gleichen Betrag obendrauf
zu legen . Das hat es schon einmal gegeben, und das hat
auch gewirkt . Insofern ist dies durchaus eine Sache, die
zwischen dem Bund und den Ländern geklärt und orga-
nisiert werden kann .


(Beifall bei der LINKEN)


Dritte Vorbemerkung . Zu dem Thema Flüchtlinge nur
ein paar kurze Sätze: Ich denke, der diskriminierungs-
freie Zugang zur allgemeinen Gesundheitsversorgung
und nicht zu der eingeschränkten Gesundheitsversorgung
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist ein soziales
Menschenrecht . Darüber reden wir .


(Beifall bei der LINKEN)


Unser Antrag zur Gesundheitskarte ist im Verfahren .
Lassen Sie ihn uns einfach zur Grundlage für die weite-
re Diskussion machen, und lassen Sie uns dafür sorgen,
dass daraus etwas Vernünftiges wird . Ich würde mich auf
jeden Fall darüber freuen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Haushaltsdebatte bietet immer auch Gelegenheit,
Bilanz hinsichtlich der Gesundheitspolitik zu ziehen; das
ist ja schon einmal gesagt worden . Sehr geehrter Minis-
ter, einen Vorwurf kann man Ihnen gewiss nicht machen,
nämlich den des Aussitzens . Ihr Ministerium hat geliefert
und hält das Parlament in einer hohen Frequenz mit Ge-
setzentwürfen auf Trab .

Dass die Lieferungen aus unserer Sicht ganz über-
wiegend in die falsche Richtung gehen, ist eine andere
Frage . Sie arbeiten den Koalitionsvertrag mit seinen
teilweise sehr detailreichen Vereinbarungen ab: Arz-
neimittelreform, Finanzreform, ambulante Versorgung,

E- Health-Gesetz, Prävention, Krankenhausversorgung –
das ist derzeit im Verfahren –, Pflegepolitik Teil 1 und
demnächst Pflegepolitik Teil 2.


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Macht er gut!)


Die Grundausrichtung der Koalitionsvereinbarung
im Gesundheitsbereich haben wir bereits mehrmals kri-
tisiert . Sie entfernen sich von einer Gemeinwohlorien-
tierung des Sozialstaatsgebotes des Grundgesetzes und
bauen das Gesundheitswesen in Deutschland mit immer
mehr Wettbewerbselementen marktwirtschaftlich um .
Sie entlasten die Arbeitgeber und belasten die Versicher-
ten einseitig .


(Karin Maag [CDU/CSU]: Unsinn!)


Wir haben das alte Problem, dass die Ausgaben in der
gesetzlichen Krankenversicherung noch immer stärker
wachsen als die Einnahmen . Diese Koalition hat zu ver-
antworten, dass alleine die Versicherten den finanziellen
Mehrbedarf, den Aufwuchs, per Zusatzbeitrag zahlen
müssen .

Hier beginnt Ihr Problem, Herr Gröhe . Dabei ist es
relativ unbedeutend, dass die SPD nun in Bezug auf die
paritätische Finanzierung aufmuckt . Die SPD hat das mit
Ihnen ja schriftlich vereinbart . Darauf können Sie recht
bequem verweisen, und das tun Sie ja auch immer wie-
der . Ihr Problem sind aber die Menschen in diesem Land .
Sie werden noch vor der nächsten Wahl merken, dass
sie für dieselbe Leistung immer mehr zur Kasse gebe-
ten werden . Es wird für Sie schwierig, das zu erklären .
Mit dem üblichen Verweis auf die angeblichen Nöte der
Arbeitgeber dürfen Sie hier nicht auf das Verständnis der
Wählerinnen und Wähler hoffen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich empfehle Ihnen daher im eigenen Interesse: Sor-
gen Sie dafür, dass die Arbeitgeber wieder zur Hälfte an
der Beitragszahlung beteiligt werden . Das wäre ein gro-
ßes neues Projekt, für das Sie Respekt erhalten könnten
und für das Ihnen auch die Stimmen der Opposition si-
cher wären .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun weiter zur Bilanz: Was uns die Große Koalition
bisher an Gesundheitspolitik geboten hat, war mehr oder
weniger eine Fortsetzung der Politik der Vorgängerregie-
rungen .


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Gut!)


Sie haben der Gesundheitspolitik keine neue Richtung
gegeben . Sie haben es fortgesetzt, immer mehr Wettbe-
werbselemente in diesen Teil des Sozialstaates einzufüh-
ren, und Sie haben das Unwesen fortgesetzt, den Lobbys
der Leistungserbringer mehr entgegenzukommen als den
berechtigten Interessen der Versicherten .

Früher konnte man ja meinen, dass die FDP der Motor
für diese Art von Neoliberalisierung gewesen ist .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Oh nein!)







(A) (C)



(B) (D)


Nun ist die FDP aber weg, und die Grundrichtung hat
sich nicht geändert, auch nicht durch den Eintritt der SPD
in die Große Koalition .


(Mechthild Rawert [SPD]: Sie haben den Koalitionsvertrag nicht genau gelesen!)


Im letzten Jahr gab es zum Beispiel das GKV-Versor-
gungsstärkungsgesetz . Damit wollten Sie die Ärztinnen
und Ärzte zwingen, ihre Praxen dort zu eröffnen, wo sie
gebraucht werden, und nicht dort, wo sie am meisten
Privatpatienten vorfinden. Sie hatten hier ursprünglich
eine Regelung vorgesehen, die schon recht harmlos war;
denn nur in Gebieten, die schon zu 110 Prozent versorgt
sind, sollte – so Ihr Gesetzentwurf – der zuständige Aus-
schuss aus Ärzteschaft und Krankenkassen gemeinsam
entscheiden, dass eine Praxis, deren Inhaber aus Alters-
gründen ausscheidet, nicht nachbesetzt wird .

Darin sind schon drei Bedingungen enthalten: Erstens .
Die Region muss überversorgt sein . Zweitens . Die Ärzte
müssen zustimmen, dass diese Praxis tatsächlich nicht
gebraucht wird . Drittens . Diese Regelungen treffen kei-
nen einzigen aktiven Arzt, weil sie nur im Falle eines
Eintritts in den Ruhestand zur Geltung kommen .

Die Ärzteschaft hat dann ihre ganze Lobbykampfkraft
mobilisiert, und Sie haben tatsächlich nachgegeben . Nun
hat die Regelung gar keine Zähne mehr, weil sie nur noch
dort gilt, wo ein Versorgungsgrad von 150 Prozent und
mehr erreicht ist, also nur noch in ganz wenigen Regi-
onen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nur noch am Starnberger See!)


So werden wir nie eine gute Versorgung auf dem Land
oder in vernachlässigten innerstädtischen Gebieten ha-
ben .

Noch ein Beispiel . Mit der gerade laufenden Gesetz-
gebung zur Krankenhausreform werden die drängenden
Probleme nicht gelöst .


(Beifall bei der LINKEN)


Es werden keine Anreize gesetzt, damit die Länder ihren
Investitionsverpflichtungen gegenüber den Krankenhäu-
sern nachkommen .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Fragen Sie das mal die Frau Kollegin Lötzsch!)


Als Versicherter muss man weiterhin befürchten, zur Ver-
besserung der wirtschaftlichen Situation des Kranken-
hauses operiert zu werden und nicht aus medizinischen
Gründen .

Das, was Sie in Sachen Pflegenotstand machen, ist
nicht einmal Homöopathie . Der Kern des Gesetzes,
die qualitätsorientierte Vergütung, wird vermutlich nie
funktionieren, wie Ihnen gestern bei der Anhörung so-
gar die Institution ins Stammbuch geschrieben hat, die
damit beauftragt werden soll, der Gemeinsame Bundes-
ausschuss . Der Weg in den simulierten Wettbewerb wird
fortgesetzt . Dabei wird manches Krankenhaus, das für
die Versorgung eigentlich notwendig wäre, geschlossen
oder der Privatisierung anheimgestellt . Wir meinen: Das
darf nicht sein .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir brauchen auch hier eine Neuausrichtung: weg
vom Fetisch des Wettbewerbs hin zu einer gemeinwohl-
orientierten und sektorübergreifenden Gesundheitsver-
sorgung . Das wird aber mit dieser Koalition nicht zu
machen sein . Dafür braucht es in diesem Lande größere
Veränderungen, vor allen Dingen eine stärkere Linke .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811904600

Vielen Dank . – Nächste Rednerin für die SPD-Frakti-

on ist die Kollegin Petra Hinz .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Hinz (SPD):
Rede ID: ID1811904700

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! Bevor ich zu
meiner eigentlichen Rede komme, möchte ich ein Wort
zu Ihnen sagen, Herr Dr . Nüßlein . Sie haben beim Thema
Parität erklärt, dass wir an der Gesetzgebung zu diesem
Thema beteiligt gewesen wären, die CDU/CSU hingegen
nicht . – Nein, das stimmt so nicht . Wer bei der Gesetzge-
bung zu diesem Thema immer dabei war, war die CDU/
CSU . Als wir mit Rot-Grün in der Regierungsverantwor-
tung waren, war die Frage, wie wir die Unterstützung des
Bundesrates zur Änderung der vollparitätischen Finan-
zierung bekommen . Sie waren also auch beteiligt . Sie
waren also immer mit im Boot, als es um die Frage der
Parität ging .


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wir beklagen sie auch nicht!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden heute über
den dritten Haushalt der Großen Koalition . Ich muss sa-
gen: Ich fand es sehr interessant, was die Fachkollegin-
nen und Fachkollegen gesagt haben . Das, was Sie im
zurückliegenden Jahr – ich rede nicht von den letzten
zwei Jahren, sondern in der Tat vom zurückliegenden
Jahr – hier an Gesetzen verabschiedet und umgesetzt
haben, was eine Anhörung und Beratung im Ausschuss
voraussetzt, ist eine großartige Leistung . Egal wie Sie ab-
gestimmt haben: Unter dem Strich haben Sie sich mit der
gesamten Thematik des Gesundheitswesens beschäftigt .
Als Haushälter muss man einfach einmal sagen: Das ist
eine großartige Leistung .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herzlichen Dank!)


In den zurückliegenden Haushalten haben wir uns, als
zum Beispiel der Haushalt 2014 eingebracht worden ist,
die Frage gestellt: Wie gehen wir mit der Finanzierung
der AIDS-Stiftung um? Dieser Herausforderung haben
wir im Haushalt Rechnung getragen . Nichtsdestotrotz
bleibt das Thema auf der Tagesordnung . Wie wird es
hier in der Perspektive langfristig weitergehen? In den

Harald Weinberg






(A) (C)



(B) (D)


Haushaltsberatungen stellt sich also die Frage: Welche
Gespräche haben Sie dazu geführt?

Erinnern wir uns – auch das hat gerade der Gesundheits-
minister, Herr Gröhe, angesprochen – an das Thema Ebo-
la . Im Rahmen der Beratungen zum Haushalt 2015 haben
wir uns in wirklich jeder Sitzung des Haushaltsausschus-
ses, aber haben auch Sie sich in den Fachausschüssen
mit dem Thema Ebola beschäftigt . Jetzt hört man nichts
mehr, sehr wenig oder nur noch punktuell davon, wenn
man nachfragt . Was ist aus diesem Thema geworden?
Steht jetzt nur noch die Flüchtlingshilfe im Vordergrund?
Gibt es das Problem Ebola jetzt nicht mehr? Was passiert
in den Krisenregionen? Was ist aus den Maßnahmen ge-
worden, die wir angeschoben haben? Das sind Fragen,
die wir im Rahmen der Haushaltsberatungen auf jeden
Fall stellen werden .

Da müssen wir auch noch einmal darauf sehen, ob das,
was wir in der Krisensituation geleistet haben, tatsäch-
lich auch Bestand für andere Zeiten – über diesen Haus-
halt hinaus – hat .

Haushalt 2016: Heute ist der erste Tag der Haushalts-
beratung mit der Einbringung des Haushaltes . Ich glau-
be, jeder Rednerin und jedem Redner ist es wirklich ein
Herzensanliegen, noch einmal die Situation der Flücht-
linge – der Menschen, die aus der Krise herauskommen –
deutlich zu machen und auch deutlich zu machen, wie
stark uns das bewegt . Dabei wird jeder sicherlich ganz
unterschiedliche Schwerpunkte mit ganz unterschiedli-
chen Ausrichtungen haben . Unterm Strich aber beschäf-
tigt es uns sehr, und es liegt uns allen insgesamt am Her-
zen . Das ist vor allem so, wenn man die Kinder sieht,
die ohne Familie, ohne Eltern bzw. Erwachsene flüchten,
hier stranden und mit ihren Sorgen und Nöten – das geht
bis hin zu Traumata – fertig werden müssen . Damit müs-
sen wir umgehen .

Dieses Umgehen heißt für uns auch, in Bezug auf den
Einzelplan 15 des Haushalts – er betrifft den Gesundheits-
bereich – zu fragen: Wie gehen wir mit den Menschen
um, die nach Flucht und Vertreibung aus Krisenregionen
hierher kommen? Das sind nicht nur Wirtschaftsflücht-
linge . Vielmehr ist es so, dass sich die Menschen – das
muss man sich einfach noch einmal bewusst machen –
in ein Gummiboot setzen, dann über Stunden und Tage
hinweg über das offene Meer fahren, um irgendwo zu
landen, wo sie Frieden und Sicherheit haben . Da ist die
Frage: Wie nehmen wir diese Menschen auf?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Also, für mich stellt sich in Bezug auf unseren Gesund-
heitsetat schon die Frage: Wie viel von den 6 Milliarden
Euro bleibt denn tatsächlich bei uns im Gesundheitsetat
hängen? Wie werden wir das in unserem Etat wiederfin-
den? Das heißt, dass schon deutlich gesagt werden muss,
dass es nicht nur um die Frage des Durchimpfens geht .
Auch geht es nicht nur um die Frage, dass wir ihnen – das
ist natürlich so – Schutz und im Notfall eine Versorgung
bieten . Für mich stellt sich aber – so wie es mein Kollege
gerade deutlich gemacht hat – auch die Frage: Was ist mit
der Gesundheitskarte? Wir müssen doch eine Antwort
auf diese Frage finden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Insofern hoffe ich auch, dass im Rahmen des Bund-Län-
der-Gipfels ein entscheidender Durchbruch kommt . Wir
fordern eindeutig, dass es hier eine klare Positionierung
zur Gesundheitskarte geben wird .


(Beifall bei der SPD)


Das waren – erst einmal grob dargestellt – die Themen
allgemein . Der Haushalt beschäftigt sich aber auch noch
mit vielen anderen Dingen . Das haben Sie, liebe Fach-
kolleginnen und Fachkollegen, in dem zurückliegenden
Jahr auch sehr deutlich gemacht .

Was die Größe des Haushalts anbelangt: Wir reden in
der Tat nicht über den größten Haushalt, aber über einen,
der die Menschen insgesamt betrifft . Gesundheit, Krank-
heit und Pflege gehen uns alle an. Auch Vorsorge und
Prävention sind Themen, die uns insgesamt beschäfti-
gen . Insofern geht es nicht um die Größe des Haushaltes,
sondern um die Fragen: Was machen wir mit dem, was
uns zur Verfügung steht? Und setzen wir in der Tat da die
richtigen Prioritäten?

Wir haben im Haushalt 86,4 Millionen Euro in Bezug
auf die Setzung von Schwerpunkten erstens im Bereich
von Prävention und Aufklärung bzw . zweitens der Or-
ganspendekampagne . Auch da wird noch einmal kritisch
nachgefragt werden . Wir haben im Jahr 2014 – als es in
den Krankenhäusern den einen oder anderen Missstand
im Rahmen der Organvergabe gab – dieses Geld noch
einmal aufgestockt . Was ist in der Zwischenzeit gesche-
hen? Dabei ging es – drittens – um die Aids- und Droge-
naufklärung sowie – viertens – um die Bekämpfung von
Diabetes . In diesem Zusammenhang rede ich nicht nur
über den Diabetes Typ 2, Altersdiabetes, sondern, was ja
viel schlimmer ist, über Diabetes bei jungen Menschen
bzw . Kindern, die aufgrund falscher Ernährung und nicht
vorhandener Aktivitäten im Sportbereich – nicht vorhan-
dener Aktivitäten überhaupt – krank werden . Was die Be-
kämpfung von Diabetes angeht, ist auch der Aspekt von
Migration und Integration diesmal im Haushalt nachzu-
lesen .

Fünftens geht es um die Förderung von Maßnahmen
im Bereich der Kindergesundheit und sechstens im Be-
reich der Pflege bzw. Pflegeberufe. Da haben wir – ha-
ben Sie –, denke ich, eine ganze Menge auf den Weg
gebracht . Das ist so, wenn ich sehe, wie jetzt die Fragen
von Pflege und Demenz angegangen werden. Das war
längst überfällig und ist jetzt, denke ich, auch zu Recht
auf den Weg gebracht worden . Nichtsdestotrotz werden
wir auch da nachfragen: Ist das, was mit dem Gesetz auf
den Weg gebracht worden ist, das Einzige? Und was ist
darüber hinaus noch im Haushalt zu finden? Gibt es da
Überschneidungen? Gibt es da möglicherweise Dinge,
die verändert werden müssen?

Siebtens geht es um die Frage der internationalen Zu-
sammenarbeit . Auch die haben wir immer wieder sehr
deutlich und sehr intensiv diskutiert, wenn es um die Fra-
ge ging: Leisten wir genug, wenn wir einen Pflichtbei-
trag leisten? Oder soll es darüber hinaus auch freiwillige

Petra Hinz (Essen)







(A) (C)



(B) (D)


Maßnahmen geben? Das wird sicherlich auch noch ein-
mal ein Thema dieser Haushaltsberatungen sein .


(Beifall der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte gerne bezüglich des Haushaltes noch zwei
oder drei Punkte aufgreifen . Einmal geht es um Präven-
tion und Kindergesundheit . Das liegt, denke ich, allen
Gesundheitspolitikern gerade in dieser Legislatur sehr
am Herzen . Wir haben in diesem Bereich den Titel „Kin-
derprävention“ der letzten Koalition, der eigentlich aus-
gelaufen wäre, reaktiviert . Wir haben ihn wieder neu mit
Geld versehen . Das soll in dieser Form verstetigt werden .

Ich möchte zum Thema Prävention und Kinderge-
sundheit hervorheben, dass die Drogenbeauftragte, Frau
Mortler, in der Sommerpause Schulklassen bereist hat,
die an dem Programm Klasse 2000 teilnehmen . Unter
anderem war sie auch in meinem Wahlkreis . Wir haben
uns angesehen, was unter dem Stichwort „Klasse 2000“
umgesetzt wird . Ich muss sagen: Großartiges .

Die Grundschule in meinem Wahlkreis hat uns in ganz
großartiger Weise gezeigt, wie wichtig das für die Kinder
von der ersten bis zur vierten Klasse ist . Ich weiß, dass es
auch im Kitabereich Projekte gibt . Aber was ist mit den
jungen Erwachsenen danach, wenn sie zur weiterführen-
den Schule gehen und Fragen im Zusammenhang mit der
Pubertät usw . dazukommen?

Es gibt also noch eine ganze Menge Punkte, wo wir
im Rahmen der Haushaltsberatungen genau hinsehen
werden . Den Punkt Suchthilfe, Methadontherapie und
sonstige Programme will ich aus Zeitgründen nicht an-
sprechen .

Ein weiterer Schwerpunkt, der mir auch sehr am Her-
zen liegt, sind Menschen mit Behinderung .


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Wenn man als gesunder Mensch krank wird, ist das
schon schlimm . Aber wenn man behindert ist, ist das
noch eine sehr viel größere Herausforderung, der wir uns
stellen . Wir haben in dem aktuellen Haushalt für 2015
Gelder für den Bereich Special Olympics bereitgestellt .
Ich habe in diesem Zusammenhang genauer hingesehen
und auch mit Ärzten gesprochen . Dabei habe ich gelernt,
dass intellektuell behinderte Menschen bzw . Menschen
mit Downsyndrom fast nie einer Augenuntersuchung
unterzogen werden . 80 Prozent der Kinder und jungen
Erwachsenen unter den Menschen mit intellektueller
Behinderung werden gar nicht untersucht . Das heißt, sie
können teilweise nicht etwa deshalb nicht arbeiten, weil
sie nicht arbeiten könnten, sondern weil sie nicht gut se-
hen .

Im Rahmen der Special Olympics sind täglich 250
Athletinnen und Athleten untersucht worden . Rund 100
Brillen sind jeden Tag angefertigt worden . Das sollte uns
auf jeden Fall interessieren, und da sollten wir genauer
hinsehen .


(Beifall im ganzen Hause)


Ich möchte gerne noch einen anderen Punkt anspre-
chen, und zwar die Pflege im Umgang mit behinderten

Menschen, die ins Krankenhaus kommen . Das gilt für
Kinder wie für ältere Menschen, aber nehmen wir zu-
nächst die Kinder, weil sie unseren besonderen Schutz
benötigen . Zurzeit fehlt es noch an Assistenz . Die jungen
Eltern können nicht jeden Tag der Arbeit fernbleiben,
um beim Kind zu sein . Die Eltern müssen sicher sein,
dass sie in diesem Bereich auf jeden Fall eine Assistenz
haben, die dann, wenn sie zur Arbeit gehen oder ande-
ren Aktivitäten nachgehen müssen, dafür sorgt, dass das
Kind oder auch der ältere Mensch gut versorgt ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


All dies sind Themen, die wir im Rahmen dieser Haus-
haltsberatungen sicherlich aufgreifen werden .

Zum Schluss möchte ich unserer Staatsministerin
Aydan Özoğuz ganz herzlich danken, die im Frühjahr
dieses Jahres ins Kanzleramt eingeladen und dazu auf-
gerufen hat, die Charta der Vielfalt zu unterzeichnen . Im
Rahmen dieser Veranstaltung sind sehr viele Maßnah-
men gerade im Bereich der Migration und Integration be-
sprochen worden, die wir jetzt in diesem Haushalt suchen
werden . Wir werden darauf achten, ob sie tatsächlich in
dieser Form umgesetzt werden .

Ich komme zum Schluss, liebe Kolleginnen und
Kollegen, liebe Frau Präsidentin . Mein Kollege Dirk
Heidenblut und ich haben in der zurückliegenden Woche
das Thema Hospiz und Palliativversorgung in unseren
Wahlkreisen angesprochen . Es war eine großartige Ver-
anstaltung, aber ganz zum Schluss hat uns eine Palliativ-
medizinerin mit auf den Weg gegeben: Wir müssen hier
vor Ort in Berlin im Rahmen unserer politischen Aufga-
be und Verantwortung darüber diskutieren, was uns der
Mensch insgesamt im Bereich der Gesundheit und der
Pflege wert ist. Es geht nicht darum, was es uns kostet,
sondern darum, was uns Gesundheit und Pflege wert sind.


(Beifall bei der SPD)


Vor diesem Hintergrund werden wir insgesamt die
Haushaltsberatungen durchführen, und ich möchte Sie,
liebe Fachkolleginnen und Fachkollegen, dazu aufrufen,
uns als Haushälterinnen und Haushälter in dieser Frage
zu unterstützen .

Ganz herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811904800

Vielen Dank . – Als Nächste hat Elisabeth Scharfenberg,

Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister Gröhe!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehr-
te Damen und Herren! Die Binsenweisheit „Viel hilft
viel“ mag auf einiges zutreffen, aber sie wird nicht auf
die Pflege und die Pflegepolitik zutreffen. Viel hilft viel?
Zwei Pflegestärkungsgesetze, das Krankenhausstruktur-
gesetz, das Hospiz- und Palliativgesetz und die Reform
der Pflegeausbildung sollen dieses Jahr noch kommen,

Petra Hinz (Essen)







(A) (C)



(B) (D)


und diese Regierung tut so, als würde sie keine Kosten
und Mühen scheuen . Ja, es wird viel Geld ausgegeben .
Dass dieses Geld das Geld der Versicherten ist, das ver-
schweigen Sie ganz geflissentlich.

Also: Viel hilft viel, und das viele auch noch ganz
schnell . Aber Masse ist eben nicht automatisch Klasse .
Da ist das Pflegestärkungsgesetz II. Damit soll endlich
der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt werden.
Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff machen Sie
nun schon seit Wochen einen auf ganz dicke Hose . Sie
können vor Kraft fast nicht laufen, und das, obwohl der
entsprechende Gesetzentwurf noch nicht einmal einge-
bracht wurde . Mit diesem Gesetz soll mehr Geld in die
Pflegeversicherung fließen. Das ist lange überfällig. Aber
dadurch allein wird Pflege nicht besser. Für die Verbesse-
rung der Pflege brauchen wir auf jeden Fall mehr qualifi-
ziertes Personal . Dazu müssen sich dringend die Arbeits-
bedingungen der Pflegekräfte verbessern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zum Teil sind diese Arbeitsbedingungen himmelschrei-
end. Wir alle wollen, dass die Pflegeberufe attraktiver
werden und dass Pflegekräfte mehr Anerkennung be-
kommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie, lieber Herr Laumann, sagen immer gerne: Geld
pflegt nicht. – Das stimmt. Das ist ein schöner Satz, und
damit haben Sie vollkommen recht . Allerdings, Herr
Laumann, kann ich Ihnen nicht mehr so wirklich glau-
ben . Seit Sie Patientenbeauftragter sind, haben Sie die
unabhängige Patientenberatung faktisch kaputtgemacht .
Auf Ihr Wort, Herr Laumann, sollten sich die Pflegekräf-
te zukünftig lieber nicht verlassen . Sie haben zwar mit
einem Gutachten belegt, wie unterschiedlich die Bezah-
lung von Pflegekräften in der Bundesrepublik ist. Gepol-
tert haben Sie auf jeder Veranstaltung, auf der ich Sie ge-
sehen habe . Aber Sie ändern nichts . Was folgt, sind reine
Alibiaktionen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Da ist das Pflegestellenförderprogamm in Kranken-
häusern . Das hat in der gestrigen Anhörung zur Kran-
kenhausreform zu Recht vernichtende Kritiken erfahren .
Personalbemessungsverfahren? Ja, wir lesen im zweiten
Pflegestärkungsgesetz etwas von einem Personalbemes-
sungsverfahren; das fordern wir Grüne seit Jahren. Aber
das soll bis Mitte 2020 gerade einmal entwickelt und er-
probt werden . Sie hören richtig: entwickelt und erprobt,
nicht etwa eingeführt! Das dauert doch viel zu lange .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dann wollen Sie die drei Pflegeberufe zusammenführen.
Sie sagen, das werde den Pflegeberuf aufwerten. Es tut
mir leid, aber das ist keine Aufwertung, sondern eher
Wahnsinn . Das genaue Gegenteil werden Sie letztendlich
damit erreichen .

Schwarz-Rot redet auch viel von den Belastungen
pflegender Angehöriger. Aber Reden alleine genügt

nicht. Das hilft keinem einzigen pflegenden Angehöri-
gen . Ihr Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie,
Pflege und Beruf, also die neue Pflegezeit und die neue
Familienpflegezeit, ist wirklich nicht der große Wurf.
Dieses Gesetz ist – das muss man so ehrlich sagen – eher
ein Rohrkrepierer . Ich weiß, Herr Gröhe, dass das nicht
Ihr Ressort ist . Es ist aber Ihre Regierung, die dieses Ge-
setz verabschiedet hat . Offensichtlich haben Sie dieses
unsinnige Gesetz einfach abgenickt und durchgewunken .
Dieses Gesetz ist ein Witz . Es lädt alle Last auf den An-
gehörigen ab . Es hilft nur denjenigen, die es sich leisten
können, ihre Auszeit selbst zu finanzieren. Dieses Ge-
setz deckt nicht einmal alle Betriebe ab . So gut wie kein
Mensch nimmt dieses Angebot wahr . Das sage nicht ich,
sondern das sind aktuelle Informationen Ihrer Regierung
auf unsere diesbezügliche Kleine Anfrage .

Zum Schluss noch zur Finanzierung . Schließlich re-
den wir heute auch über gute Haushaltsführung . Sie
verplanen hier Milliarden von Versichertengeldern, und
selbst haben Sie keine Idee für ein nachhaltiges Finanzie-
rungskonzept . Das ist mehr als unverantwortlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bis maximal 2022 wird das Geld der Pflegeversicherung
reichen. Und was dann? Der völlig unsinnige Pflegevor-
sorgefonds, den Sie uns aufgedrückt haben, bringt jeden-
falls überhaupt nichts; das wissen wir alle doch hier im
Raum . Langfristig führt kein Weg an der Bürgerversiche-
rung vorbei; auch das wissen Sie genau.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ceterum censeo!)


Alle Bürgerinnen und Bürger sowie alle Einkommens-
arten müssen in diese Versicherung einbezogen werden .
Das ist gerecht . Das ist solidarisch, und das ist nachhal-
tig . Das sieht die SPD im Übrigen genauso, oder, Herr
Lauterbach? Ich denke, darin sind wir uns einig . Darüber
sprechen Sie aber nicht, sondern darüber schreiben Sie
nur in dem SPD-Positionspapier zur Pflege.


(Mechthild Rawert [SPD]: Ist doch gut!)


Dort wird das Problem der Personalbemessung ange-
sprochen, und dort fordern Sie sogar die Einführung der
Bürgerversicherung, und das in einer Zeit, in der Sie ein
anderes Gesetz einbringen .


(Dr . Karl Lauterbach [SPD]: Schritt für Schritt!)


Ehrlich gesagt ist das nichts anderes als eine Bankrotter-
klärung der SPD-Beteiligung in der Gesundheitspolitik
und der Pflegepolitik.


(Dr . Karl Lauterbach [SPD]: Nein!)


Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811904900

Vielen Dank . – Als Nächstes hat die Kollegin Maria

Michalk, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Elisabeth Scharfenberg






(A) (C)



(B) (D)



Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1811905000

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-

ten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Be-
vor ich mit meiner Rede beginne, möchte ich zunächst
einmal Frau Scharfenberg etwas sagen . Als Sprecherin
Ihrer Fraktion für die Pflege sollten Sie zumindest ein-
mal öffentlich anerkennen, was für Pakete wir in dieser
Legislaturperiode für die Pflegebedürftigen, ihre pflegen-
den Angehörigen und die, die sich in Heimen um Pflege-
bedürftige kümmern, auf den Weg gebracht haben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Sie ignorieren einfach Tatsachen, die vorher niemand in
dieser Kompaktheit geschaffen hat .


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir legen den Finger in die Wunde!)


Deshalb gilt unserem Bundesminister und natürlich auch
dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange
der Patientinnen und Patienten und Bevollmächtigten für
Pflege ein großes Dankeschön . Es ist eine hervorragen-
de Vorleistung, was wir hier im Parlament beraten ha-
ben und beim nächsten Gesetzentwurf auch noch beraten
werden . Danke schön!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eins geht gar nicht: dass Sie unseren Patientenbeauf-
tragten mit Ihren Vorwürfen rund um die UPD-Vergabe
dermaßen öffentlich diskreditieren; das können wir so
nicht stehen lassen . Denn in der Zwischenzeit müssten
auch Sie über den Gesundheitsausschuss die Drucksache
mit der Stellungnahme der Vergabekammer zum abge-
laufenen Vergabeverfahren erhalten haben . Darin sind
alle Kritikpunkte im Einzelnen dezidiert entkräftet . Des-
halb bitte ich einfach, in der Realität anzukommen .


(Beifall bei der SPD)


Ich kann mich eigentlich nur der Kollegin Hinz an-
schließen, die als Haushälterin einfach noch einmal be-
kräftigt hat, dass in diesem Gesundheitsausschuss bisher
ein riesengroßes Paket zugunsten der Versicherten in der
Kooperation mit der Selbstverwaltung, mit den Leis-
tungserbringern geschnürt worden ist, um unser Gesund-
heitswesen insgesamt zu verbessern . Diese Arbeitsinten-
sität gibt es wohl kaum in einem anderen Ausschuss als
im Haushaltsausschuss . Vielen Dank für Ihr Lob, Frau
Hinz!

Ich möchte an dieser Stelle Herrn Weinberg sagen: Sie
waren derjenige Ihrer Fraktion, der öffentlich noch ein-
mal erklärt hat, dass die Deckung der Kosten für Investi-
tionen in Krankenhäuser in die Länderzuständigkeit fällt .
Dies steht im Gegensatz zu Ihrer Kollegin Lötzsch, die es
andersherum bewertet hat .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Haben Sie das wieder falsch verstanden?)


Aber die Frage ist doch: Wenn wir als sehende Poli-
tiker den Bedarf, in Krankenhäuser zu investieren, jetzt
insofern angehen, als dass wir Lösungen suchen


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)


wobei wir die Länder übrigens nicht aus der Verantwor-
tung entlassen; vielmehr gilt der im Bundesgesetz ver-
ankerte jeweilige Länderanteil – dann ist das ein erster
Schritt in die richtige Richtung . Denn den drohenden und
in vielen Häusern bestehenden Investitionsbedarf können
wir nicht unberücksichtigt lassen .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Aber die Stellungnahmen haben Sie gelesen?)


Frau Lötzsch, von daher ist Ihre Kritik absolut unberech-
tigt gewesen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was aber überhaupt nicht stimmt, Herr Weinberg,
ist, dass in Zukunft die Versicherten für ein und diesel-
be Leistung immer tiefer in die eigene Tasche greifen
müssen . Sie wissen ganz genau, dass wir bei unserer
Beschlussfassung zur Finanzierung des gesetzlichen Ge-
sundheitswesens die Krankenkassen ermächtigt haben,
über Satzungsleistungen besondere Leistungen für ihre
Versicherten anzubieten . Sie haben die Möglichkeit, die-
ses Leistungsspektrum durch Zusatzbeiträge zu finanzie-
ren . Es bleibt in der Zuständigkeit einer jeden Kasse, das
so zu regeln, dass sie für ihre Versicherten das Optimum
anbieten, und die Versicherten haben die Wahlfreiheit .
Was, bitte schön, spricht dagegen? Das wird von vielen
Versicherten genutzt, wie die Anzahl der Krankenkassen-
wechsel zeigt .

Auch wir finden, dass die gleiche Leistung nicht das
Gleiche kostet . Sie verkennen daran, dass wir im Grun-
de genommen permanent auch über die Forschung, auch
über die hervorragenden medizinischen Erkenntnisse und
die Fertigkeiten der Leistungserbringer immer besser in
die Lage versetzt wurden, operieren zu können, nach
Methoden, die vielleicht nicht so einen extremen Eingriff
für den Patienten bedeuten, die unterm Strich auch in der
Nachsorge günstiger sind . Sie müssen das Ganze schon
in seiner Komplexität sehen.

Da wir das als Politiker hier in unserem öffentlichen
Haus nicht selber entscheiden können, arbeiten wir ganz
dezidiert mit der Selbstverwaltung zusammen . Dort
sitzen die Experten. Dort werden die Richtlinien und
Durchführungsbestimmungen gemacht . Wenn uns etwas
nicht klar ist, dann haben wir immer das Recht, nach-
zufragen, und das tun wir auch . Neuerdings gehen wir
sogar dazu über, auch Fristen zu setzen . Ich will damit
sagen: Da ist ein guter Weg eingeschlagen worden, und
auf dem wollen wir weitergehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte Ihnen, Frau Schulz-Asche, die Sie kriti-
siert haben, dass wir mit unserem Bundeshaushalt klein-
lich sind und die Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung stiefmütterlich behandeln,


(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Nein, das hat sie gar nicht gesagt! – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit falschen Mitteln behandeln Sie sie!)







(A) (C)



(B) (D)


einfach noch einmal einen kleinen Punkt in Erinnerung
rufen, nämlich dass wir jetzt zusätzlich drei Stellen, steu-
erfinanziert, im Haushalt haben. Sie können also nicht
so tun, als wenn wir nicht reagieren . Das ist ein kleiner
Punkt, aber ein wichtiger Punkt, ein Signal .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie aber eine grundsätzliche Frage des Präventionsgesetzes nicht verstanden!)


– Doch! Ich komme gleich noch zu dem Präventionsge-
setz .

Es gab viele Kritikpunkte . Ich habe versucht, das in
der Summe klarzustellen . Ich will jetzt sagen: Das deut-
sche Gesundheitssystem genießt weltweit große An-
erkennung . Wir haben noch nie so stabile Verhältnisse
gehabt wie jetzt . Das muss man auch einmal anerken-
nen . Es gibt hier diese Kombination von ambulanter
und stationärer Versorgung mit Rehabilitation, Vorsorge,
Prävention, medizinisch-technischem Fortschritt, immer
besseren Erkenntnissen . Der Austausch mit Gesundheits-
systemen innerhalb Europas und in der Welt, wie wir
schon gehört haben, zeigt, dass wir da an der Spitze der
Bewegung sind und viele Länder dieser Welt uns um un-
seren Mut, um unsere Konsequenz und manchmal auch
um unsere Gründlichkeit beneiden . Deshalb gilt unserem
Gesundheitsminister, der die Vorlagen macht, ein herzli-
ches Dankeschön .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will auch noch auf einen Punkt eingehen, der hier
mit Blick auf die Gesundheitskarten für Flüchtlinge eine
Rolle gespielt hat . Alle in diesem Haus wissen, dass wir
im Grunde genommen jetzt die Regelung haben, dass die
Länder auf freiwilliger Basis mit den Krankenkassen Ver-
einbarungen treffen können . Dass das funktioniert, sehen
wir in Hamburg, Bremen und jetzt Nordrhein-Westfalen .
Dass es weitere Länder gibt, die dies auch gern wollen,
wo aber die Kassen es nicht möchten oder sich zumin-
dest jetzt noch verschließen, wie auch immer, gehört zum
System . Das kann uns aber nicht den Vorwurf einbrin-
gen, dass wir die Menschenwürde nicht achten, wie Herr
Weinberg ihn gemacht hat . Auch uns als Union liegt die
gute medizinische Versorgung für alle Menschen, vor al-
len Dingen für die, die aus den Kriegsgebieten zu uns
kommen, am Herzen . Wir wollen, dass die medizinische
Versorgung weiterhin im Grunde genommen auf der Ba-
sis der jetzt geltenden Gesetze erfolgt . Wenn wir aber
sehen, dass es durch die Menge, durch die Fülle, durch
den riesigen Arbeitsaufwand, der jetzt vor allen Dingen
auf die Landkreise und auf die Gesundheitsämter vor Ort
zukommt, neue Probleme oder ungeklärte Fragen gibt,
dann ist es legitim, dass wir auch innerhalb der Koalition
die Ausgestaltung noch einmal ganz genau diskutieren .
Darum geht es bei dieser Frage innerhalb der Koalition .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Es ist doch viel einfacher!)


– Lassen Sie uns doch diskutieren!


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr seid so genial!)


Wir müssen schon auch die Punkte auf den Tisch brin-
gen, weil wir gerade bei dieser Frage nicht permanent
Nachbesserungen vornehmen können . Wir haben uns
jetzt angeschaut, was in den Ländern funktioniert und
was nicht, und daraus werden wir unsere Konsequenzen
ziehen . Ohne Diskussion wird das nicht gehen . In der
Zwischenzeit werden die Flüchtlinge weiterhin versorgt .
Deshalb gilt unser herzlicher Dank auch gerade den Mit-
arbeitern, den Ärzten, den Schwestern, den freiwilligen
Helfern, die sich in den Gesundheitsämtern, in den Ein-
richtungen für eine gute medizinische Versorgung der
Flüchtlinge einsetzen . Herzlichen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Birgit Wöllert [DIE LINKE])


Das Präventionsgesetz ist jetzt schon von mehreren an-
gesprochen worden . Ich möchte es unbedingt erwähnen,
weil dieses Paket mit der Maßgabe, 7 Euro pro Versicher-
ten jährlich einzusetzen, und der Verpflichtung, davon 2
Euro für die Kindergesundheit und 2 Euro für die betrieb-
liche Gesundheitsversorgung einzusetzen, ein klarer Be-
schluss dieses Hauses ist . Für uns ist klar: Die Gesund-
heit unserer Kinder steht an vorderster Stelle . Sie sind
unsere Zukunft . Die betriebliche Gesundheitsversorgung
muss vor allen Dingen auch in die mittelständischen Un-
ternehmen einziehen . Dafür haben wir jetzt die rechtli-
chen Möglichkeiten und die finanzielle Unterstützung
geschaffen . Das ist wichtig . Ich bitte uns alle – nach dem
Motto „Wiederholung ist die Mutter des Erfolgs“ –, das
immer wieder zu thematisieren; denn das Gesetz ist das
eine und die Umsetzung das andere . Wir sind schlecht
beraten, wenn wir meinen, dass sich das dann schon ein-
plätschern wird .

Ich möchte zum Schluss meiner Rede – das erlaube
ich mir jetzt – auf Folgendes hinweisen: Ende August vor
25 Jahren haben wir in der frei gewählten Volkskammer
entschieden, das staatlich orientierte Gesundheitssystem
in ein gegliedertes Gesundheitssystem umzuwandeln .
Wer von Ihnen weiß noch, dass wir am 31 . August 1990
das Krankenkassen-Vertragsgesetz in die Volkskammer
eingebracht, am gleichen Tag mit acht Änderungen im
Schnelltempo im Ausschuss diskutiert und dann ver-
abschiedet haben? Den Erbringern vor Ort, sprich: den
Ärzten, den Apothekern, den Tierärzten und allen Leis-
tungserbringern, haben wir im Gesetz zur Umstruktu-
rierung des staatlichen ambulanten Gesundheitswesens
aufgegeben, ihre Angebote zu machen, um die Räume, in
denen sie bisher praktiziert hatten, pachten oder kaufen
zu können . Diese Entscheidung – auch das stand im Ge-
setz – musste innerhalb von vier Wochen gefällt werden .

Weshalb führe ich dieses Beispiel an? Es ist eine un-
geheure Aufbauleistung erbracht worden, nicht nur in
personeller, sondern auch in finanzieller Hinsicht, die
zu dem heutigen gesamtstaatlichen deutschen Gesund-
heitswesen geführt hat, und zwar mit Fristen, die ich mir
manchmal auch für unsere heutige Arbeit wünsche . Wir
werden im nächsten Vierteljahr viele Sitzungen gemein-
sam verbringen, in denen weitere Gesetze beschlossen
werden . Ich hoffe, dass die kurzen Fristen, die dabei not-
wendig sind, nicht auf Unmut stoßen . Ich freue mich auf
die Beratungen .

Maria Michalk






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811905100

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Burkhard Blienert .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Burkhard Blienert (SPD):
Rede ID: ID1811905200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Haushaltsreden; die erste Lesung des Regierungsent-
wurfs zum Einzelplan 15, zum Gesundheitsetat, steht an .
Die Beiträge, auch der letzte Beitrag, zeigen eine deutli-
che Tendenz: Es geht, wie so oft bei der Beurteilung von
Regierungsvorlagen, um die Einschätzung, ob das Glas
halb leer oder halb voll ist . Ich bin der Meinung, dieser
Etatentwurf ist eine sehr gute Beratungsgrundlage für die
nächsten Wochen . Letztendlich wird ein schlüssiges Ge-
samtwerk zur Verabschiedung stehen .

Schauen wir uns einmal die einzelnen Positionen an .
Das Finanzpolster ist gut; wir müssen es im Auge be-
halten . Die Finanzreserven von Krankenkassen und Ge-
sundheitsfonds betragen zurzeit geschätzte 24 Milliarden
Euro . Die Abschaffung der Kopfpauschale im Rahmen
des FQWG und die gleichzeitige Einführung der einkom-
mensabhängigen Zusatzbeiträge haben das System sozial
gerechter und wettbewerbsfähiger gemacht, und das bei
steigenden Leistungen im Gesundheitsbereich . Sie sollen
nach dem Etatentwurf verstetigt und an wichtigen Stellen
intensiviert werden . 14 Milliarden Euro werden seitens
des Bundes für den Gesundheitsfonds eingestellt, wie
seit der Regierungsübernahme zugesagt . Insgesamt gibt
es im Einzelplan einen Ausgabenzuwachs von zwölf Pro-
zent im Vergleich zum Vorjahr . Neben dem Gesundheits-
fonds gibt es bei den disponiblen Positionen 7 Millionen
Euro mehr als 2015 . Die Koalition geht ihren Weg in der
Gesundheitspolitik somit unbeirrt weiter .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben doch
wirklich einiges in unserem Bereich vorzuweisen . Meine
Vorrednerinnen und Vorredner haben sehr ausgiebig dar-
gelegt, wie intensiv der Gesundheitsausschuss getagt und
gearbeitet hat .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu Beginn des Jahres trat die erste Stufe der Pflege-
reform in Kraft, die wir im Koalitionsvertrag beschlos-
sen haben . Bereits in wenigen Monaten folgt die zweite
Stufe . Diese Reformschritte sind dringend notwendig an-
gesichts der drängenden Herausforderungen durch eine
älter werdende Bevölkerung und die steigende Belastung
der Pflegekräfte, und wir setzen damit den Pflegebedürf-
tigkeitsbegriff um .

Es ist nur wenige Wochen her, dass wir mit dem Ver-
sorgungsstärkungsgesetz wichtige Weichenstellungen
für eine bessere wohnortnahe und patientenorientierte
Versorgung getroffen haben . Fast zeitgleich hat, nach-

dem wir viele Jahre darauf gewartet haben, es diese Ko-
alition geschafft, endlich ein Präventionsgesetz zu ver-
abschieden . Noch kurz vor der Sommerpause waren wir
in erster Lesung mit dem Gesetzentwurf zur Digitalisie-
rung des Gesundheitswesens und mit der Krankenhaus-
reform befasst . Wir wollen die Arbeitsbedingungen für
die Beschäftigten in den Krankenhäusern, insbesondere
im nichtärztlichen Dienst, verbessern . Das ist eines der
wichtigsten Ziele, die die SPD verfolgt .


(Beifall bei der SPD)


Das alles sind keine Kleinigkeiten, sondern das sind
Entscheidungen mit großer Wirkung, die getroffen wur-
den . In den kommenden Monaten wird es noch einige
weitere wichtige Entscheidungen geben müssen . Nicht
zuletzt die aktuellen politischen Entwicklungen fordern
von uns wichtige Entscheidungen, auch im Gesundheits-
bereich .

Mich freut es daher, dass wir auch im Einzelplan 15
Mittel für Aspekte der Migration und der Integration ein-
gestellt haben . Außerdem freue ich mich darüber, dass
nun auch NRW einen unbürokratischen Weg für die Ein-
führung einer Gesundheitskarte für Asylsuchende gefun-
den und frei gemacht hat .


(Beifall bei der SPD)


Wichtig ist – deshalb heiße ich es auch gut – der Sach-
verhalt, dass im Etatentwurf der Ressortforschung mehr
Gewicht beigemessen wird . Knapp 2,5 Millionen Euro
Zuwachs im Vergleich zu 2015 sind ein richtiger Schritt .
Profitieren wird hiervon zum Beispiel der zu entwickeln-
de Masterplan Medizinstudium 2020 .

Lassen Sie mich noch einige Aspekte zum Drogen-
und Suchtbereich nennen, da dieser ein wichtiger Be-
standteil der Präventionsarbeit und der gesundheitlichen
Aufklärung ist . In der Sommerpause schlugen die Wellen
im Drogen- und Suchtbereich wieder hoch . Nicht zuletzt
durch die Sicherstellung einer Rekordmenge Crystal
Meth in Berlin wird deutlich, dass sich diese Gefahr aus-
breitet und durchaus leider auch außerhalb Sachsens und
Bayerns angekommen ist .

Auch die Entwicklungen im Bereich der „Legal
Highs“, dieser oftmals todbringenden Kräutermischun-
gen, mahnen uns, vorhandene Modellmaßnahmen aus-
kömmlich zu finanzieren. Der im Entwurf enthaltene
Aufwuchs ist ein Schritt in die richtige Richtung .

An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass
nicht alle sinnvollen Maßnahmen im Bereich der Dro-
gen- und Suchtpolitik Geld kosten müssen . Vor einem
Jahr habe ich in der Haushaltsdebatte Stellung bezogen
zu der Frage des Kinder- und Jugendschutzes im Zusam-
menhang mit E-Zigaretten und E-Shishas . Ich bin durch-
aus damit einverstanden, dass sich nun auch die Bun-
desregierung mit Familienministerin Manuela Schwesig
hierfür starkgemacht hat und jetzt Klarheit geschaffen
wird .

Als Gesundheitspolitiker plädiere ich in Bezug auf
E-Zigaretten allerdings für noch weiter gehende Maß-
nahmen . Es kann doch nicht sein, dass alle anderen
technischen Geräte, bevor sie in den Verkauf kommen,

Maria Michalk






(A) (C)



(B) (D)


auf Herz und Nieren geprüft werden müssen, um etwa-
ige Gefahren für Anwender zu minimieren, dies bei der
E-Zigarette aber nicht der Fall ist . Zahlreiche Fragestel-
lungen in Bezug auf mögliche Gesundheitsgefahren und
den Verbraucherschutz bleiben nahezu offen, zum Bei-
spiel: Wie hoch ist die krebserregende Konzentration der
Liquids? Wie gesundheitsgefährdend ist Passivdampf in
abgeschlossenen Räumen? Wie verhalten sich die Stoff-
zusammensetzungen, wenn die Akkuleistung absinkt und
die Verbrennungstemperatur sinkt?

Daher gehört für mich die E-Zigarette aus gesund-
heitspolitischer Sicht zumindest auch den Regelungen
der Tabakprodukt-Richtlinie unterworfen . Sie gehört
nicht in Kinderhand, und nichtrauchende Bürgerinnen
und Bürger müssen vor Passivdampf genauso geschützt
werden wie vor Passivrauch .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die gleiche Entschlossenheit fordere ich beim The-
ma Tabak . Lassen Sie uns endlich das längst überfällige
Werbeverbot für Tabakprodukte umsetzen!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Perspektivisch sollte auch die Werbewirkung von Verpa-
ckungen weiter beschränkt werden .

Ein letzter Punkt . Wichtig vor dem Hintergrund der
aktuellen Zahlen über HIV-Neuinfektionen sind die ver-
stetigten Haushaltsmittel im Bereich Aids . Es wäre fatal,
auf diesem Gebiet die Präventionsarbeit bzw . die For-
schung einzuschränken . Es zeigt sich, dass manche die
Ansicht vertreten, dass wir diese Krankheitsgefahr über-
wunden hätten . Wir dürfen daher nicht in der Aufklärung
über Ansteckungsgefahren nachlassen . Vielmehr müssen
wir die Forschung an Heilungsmethoden fortsetzen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Meine Kollegin Petra Hinz hat bereits darauf hingewie-
sen, wie wichtig uns dieser Punkt ist .

Alles in allem liegt uns ein guter Entwurf vor . Nach
dem vielzitierten Struck‘schen Gesetz werden wir in
intensiven Beratungen die Ansätze bewerten und wei-
terentwickeln . Ich bin sicher, dass wir dies ähnlich gut
machen werden wie in den vorangegangenen Haushalts-
beratungen und am Ende einen guten Haushaltsbeschluss
fassen können .

Ich freue mich auf die Diskussionen und danke für die
Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811905300

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der

Kollege Helmut Heiderich von der CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Helmut Heiderich (CDU):
Rede ID: ID1811905400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man als Haushälter am Ende dieser langen Debatte

die Dinge betrachtet, dann ist man eigentlich wieder da,
wo der Minister einleitend begonnen hat,


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Da schließt sich der Kreis!)


nämlich bei der Erkenntnis, dass das deutsche Gesund-
heitssystem leistungsstark und nach wie vor unter den
führenden Systemen weltweit ist .

Der Vorwurf, der vorhin vonseiten der Grünen kam,
die Patienten würden nicht im Mittelpunkt unserer Arbeit
stehen, ist eine ziemlich heftige Unterstellung .


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Der Patient ist das Mittel!)


Sagen Sie mir: Wo auf der Welt steht der normale Pati-
ent, der normale Versicherte so sehr im Mittelpunkt eines
Gesundheitssystems? Wo, wie hier bei uns, in unserem
Land, hat er noch die Möglichkeit, die gesamten Leis-
tungen in Anspruch zu nehmen? Das muss man an dieser
Stelle einmal festhalten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kordula SchulzAsche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da fallen mir noch andere Gruppen im Gesundheitswesen ein, die davon profitieren!)


Wir haben eben schon gehört, dass der Minister in die-
sen beiden Jahren in dichter Folge neue Gesetzentwürfe
vorgelegt hat; der Kollege Weinberg war so freundlich,
sie hier alle vorzutragen, sodass ich das nicht zu wieder-
holen brauche .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ach, bitte!)


Die Fachpolitiker haben diese in intensiver Arbeit um-
gesetzt . Deswegen glaube ich, dass wir sagen können:
Von uns ist im Gesundheitsbereich in den letzten Jahren
ordentlich geliefert worden . Es ist sachlich fundiert ge-
liefert worden . Die Dinge sind inhaltlich gut abgesichert
und strukturell zukunftsorientiert entschieden worden .
Auch das ist eine Leistung, die diese Koalition gebracht
hat . Wir dürfen stolz darauf sein, dass wir das in dieser
kurzen Zeit geschafft haben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das, was die Opposition hier immer als Generalvor-
wurf benutzt, widerlegt sich eigentlich von selbst . Ich
möchte einmal ein Beispiel nennen . Im vergangenen Jahr
wurde im Rahmen der Haushaltsdebatte vonseiten der
Grünen Folgendes gesagt:

Es bleibt dabei, dass wichtige Vorhaben auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden, wie
die Einführung des neuen Pflegebegriffs, eine Kran-
kenhausreform oder das Präventionsgesetz .

Ich glaube, die Entwicklung zeigt, wie weltfern die
Grünen mit ihren Behauptungen sind . Denn das Präven-
tionsgesetz ist in Kraft .


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf den Inhalt kommt es an!)


Burkhard Blienert






(A) (C)



(B) (D)


Selbst die Länder haben im Sommer mit Beteiligung der
Grünen diesem Gesetz zugestimmt . Zur Krankenhaus-
reform wurde gestern eine Anhörung durchgeführt . Der
neue Pflegebegriff ist in der praktischen Anwendung,
und der Minister hat bereits darauf hingewiesen, dass
dieser neue Pflegebegriff kommt. Das also, was Sie im
vorigen Jahr auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben
haben, haben wir innerhalb eines Jahres geschafft . Das
ist eine Leistung dieser Koalition .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch einmal auf das Thema der Prä-
vention zurückkommen . Für mich ist das eines der we-
sentlichen und wichtigsten Themen der Zukunft . Denn
für mich beginnt Solidarität im Gesundheitswesen nicht
erst dann, wenn man die Leistungen in Anspruch nehmen
muss, sondern sie beginnt schon dann, wenn man eigen-
verantwortlich dafür sorgt, möglichst wenige Leistungen
in Anspruch nehmen zu müssen, und zwar indem man
durch gesundheitsbewusstes Verhalten einer Inanspruch-
nahme vorbeugt . Deshalb unterstütze ich gerne alle Ini-
tiativen dieser Art, auch die, die nicht aus diesem Hause,
sondern aus dem Privatbereich kommen .

Ich möchte einmal auf eine solche Initiative eingehen .
Wir alle haben für die nächste Sitzungswoche die Einla-
dung einer Privatinitiative bekommen, die seit dem Jahr
2003 unter dem Titel „Deutschland bewegt sich!“ fir-
miert und versucht, die Bürger für Prävention in diesem
Bereich zu begeistern . ZDF, BARMER GEK und Bild
am Sonntag haben sich dafür auf der Grundlage einer
gemeinsamen Orientierung zusammengetan . Diese Initi-
ative hat es sich wörtlich zum Ziel gesetzt, „zu eigenver-
antwortlichem und gesundheitsförderndem Verhalten zu
motivieren“ .

Das ist ein Ansatz, den wir gar nicht genügend un-
terstützen können . Ich denke, wir brauchen noch viele
weitere Initiativen dieser Art und noch viele weitere Mit-
bürger, die wir für diese Entwicklung gewinnen können .
Gerade das Gesundheitsverhalten der jungen Generati-
on – darauf wurde schon mehrfach eingegangen – wird
immer problematischer . Ein steigendes Körpergewicht
und die steigende Anfälligkeit für Diabetes – Kollege
Monstadt arbeitet in besonderer Weise in diesem Be-
reich – zeigen, dass wir viel zu tun haben . Deswegen ist
es gut – Frau Hinz hat schon darauf hingewiesen –, dass
wir jetzt im Haushalt einen Ansatz für diesen Bereich ha-
ben . Hier sollten wir weiter Unterstützung leisten . Diese
Art der Prävention und der Förderung der Gesundheit ist
ein ganz entscheidendes Thema .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich noch kurz ein zweites Thema anspre-
chen, das ich heute ganz vermisst habe . In den Debat-
ten der letzten beiden Jahre haben wir uns vonseiten der
Opposition ständig dem Vorwurf aussetzen müssen, wir
hätten den Gesundheitsfonds für den Haushalt verändert .


(Roland Claus [DIE LINKE]: Ach, jetzt fehlt dir was!)


Es gab Vorwürfe, wir griffen mit vollen Händen in die
Sozialkassen und finanzierten dies auf dem Rücken der

Beitragszahler, die Beiträge würden steigen, und es wür-
de wer weiß was passieren . Heute habe ich darüber kein
Wort mehr gehört .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Das zeigt, dass die Vorwürfe, die Sie erhoben haben,
nicht sehr fundiert waren .


(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Natürlich!)


In dem gesamten Zeitraum der letzten drei Jahre ist nicht
ein einziger Beitrag gestiegen . Jetzt, da wir zurückgehen
und wieder die vollen Leistungen in den Gesundheits-
fonds einzahlen, sagen Sie kein Wort zu diesem Thema .


(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)


Ich denke, wir als Haushälter sollten durchaus im Auge
behalten, den Gesundheitsfonds auch in den kommenden
Jahren weiter aufzustocken .


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Lesen Sie mal das Handelsblatt dazu!)


Ich hätte diese Forderung von Ihrer Seite erwartet .

Wir behalten aber in Erinnerung: Der Gesundheits-
fonds ist für uns eine wesentliche Quelle zur Finanzie-
rung des Gesundheitssystems, und wir wollen die Mittel
in diesem Zusammenhang entsprechend wieder einbrin-
gen .

Ein drittes Thema, das auch schon angesprochen wur-
de und das ein wesentliches Zukunftsthema ist, ist die
ärztliche Versorgung im ländlichen Raum . Wir haben
hier gemeinsam in den letzten Jahren schon eine ganze
Reihe von Entscheidungen getroffen . Wir sind da lange
noch nicht am Ziel; das wissen wir alle. Ich will aber ein
Beispiel dafür liefern, dass die Schritte, die wir gemacht
haben, durchaus schon Erfolg zeigen . Ich selbst habe ei-
nen Wahlkreis im ländlichen Raum und weiß, worüber
ich hier rede .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist schon mal gut!)


Wir haben es mit diesen Maßnahmen geschafft, in den
letzten beiden Jahren in meinem Wahlkreis 15 Arztsitze
entweder neu zu besetzen oder aber fortzuführen . Das
heißt, unsere Projekte, Maßnahmen und Beschlüsse sind
nicht so weltfremd, wie es von der Opposition immer
versucht wird darzustellen, sondern sie sind hilfreich auf
dem Weg, die Gesundheitsversorgung flächendeckend zu
erhalten . Das wollen wir weiterentwickeln, aber wir sind
hier schon einen ganz ordentlichen Schritt vorangekom-
men .

Wir haben in Hessen gemeinsam mit der Landesregie-
rung auch dafür Sorge getragen, dass junge angehende
Mediziner im Medizinstudium unterstützt werden im
Bereich der Allgemeinausbildung und bei der Weiterbil-
dung im Bereich Allgemeinmedizin .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese jungen Leute bekommen einen Zuschuss pro Se-
mester, und es zeigt sich, dass wir auch hier erfolgreich

Helmut Heiderich






(A) (C)



(B) (D)


sind und dass bereits eine große Zahl von Studenten in
diesen Bereich wechseln . Wir können Hoffnung haben,
dass wir da auch in der Zukunft weitere Leistungen er-
reichen können .

Wir haben in der Zusammenarbeit der einzelnen Ge-
sundheitsbereiche – der Kassen, der Ärzte, der Kranken-
häuser, aber auch der Rehaeinrichtungen – Effekte, die
wir vorher nicht hatten, und Verbesserungen erreichen
können . Deshalb glaube ich, dass die medizinischen Ver-
sorgungszentren weiterhin stark in diese Entwicklung
eingebunden werden müssen, damit wir entsprechende
Vorteile für die Zukunft gewinnen können .


(Beifall der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein letzter Punkt ist die internationale Verantwortung .
Es ist eben schon darauf hingewiesen worden, dass sich
Deutschland im Bereich der Ebolabekämpfung stark ein-
gebracht hat . Wir sind auch international für unsere tech-
nische Hilfe anerkannt worden; wir haben große Zustim-
mung erhalten . Aber wir sind auch gebeten worden – ich
nenne das Stichwort Antibiotikaresistenz –, uns stärker
bei der WHO zu engagieren . Deswegen freue ich mich,
dass es mit diesem Haushalt möglich wird – im Zusam-
menhang mit dem BMZ wurde darauf schon hingewie-
sen –, mit freiwilligen Leistungen bei der WHO einzu-
steigen . Was heißt „freiwillige Leistungen“? Wir haben
damit die Möglichkeit, in die programmatische und die
strukturelle Weiterentwicklung der WHO einzugreifen,
uns zu beteiligen, mit eigenem Personal Unterstützung
zu leisten und somit die Zukunftsentwicklung der WHO
positiv zu beeinflussen. Das ist für uns ein großes Thema.
Es wurde schon gesagt: Die Generaldirektorin der WHO
wird hier nach Berlin kommen . Frau Bundeskanzlerin
hat sich bei der Generalversammlung persönlich dafür
ausgesprochen . Ich glaube, es steht uns sehr gut an, mit
diesem Haushalt auch Unterstützung für die Zukunfts-
entwicklung der WHO zu leisten .

Ich freue mich auf die Beratungen und auf die Verstär-
kungen, die wir an der einen oder anderen Stelle noch
erreichen können . Wir bleiben auf dem Weg . Deutsch-
land hat ein leistungsstarkes Gesundheitssystem, und wir
wollen es weiter verbessern, damit wir im weltweiten
Wettbewerb vorne bleiben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811905500

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen

mir nicht vor . Deshalb verlassen wir den Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums für Gesundheit .

Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Justiz und für Verbraucher-
schutz, Einzelplan 07 .

Darf ich die Kolleginnen und Kollegen, die sich an der
Aussprache zu Justiz und Verbraucherschutz beteiligen
werden, bitten, die Plätze einzunehmen? – Dann kön-
nen wir jetzt beginnen . Als erstem Redner erteile ich das
Wort dem Bundesminister Heiko Maas .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Es ist ein guter Brauch, dass die
Bundesregierung die Haushaltsdebatte nutzt, um nicht
nur die Zahlen des Einzelplans zu diskutieren, sondern
auch noch einmal die Vorhaben zu definieren, die in die-
ser Legislaturperiode und vor allen Dingen im nächsten
Haushaltsjahr anstehen . Diese Möglichkeit will ich heute
hier auch ergreifen .

Es gibt Gesetzentwürfe und Vorhaben, über die es
breite Diskussionen und Debatten in der Öffentlichkeit
gibt . Es gibt andere, bei denen dies nicht der Fall ist, die
aber dennoch rechts- und verbraucherschutzpolitisch au-
ßerordentlich wichtig sind . Insofern will ich einige Vor-
haben völlig unabhängig von der Frage, wie sie öffent-
lich debattiert werden, hier in Erinnerung rufen und noch
einmal vortragen, was wir dort vorhaben .

Bei dem Thema Freiheit und Grundrechte und der Fra-
ge, wie wir diese besser schützen, geht es auch um eine
Reform der strafrechtlichen Psychiatrieunterbringung;
denn die Unterbringung ist ein tiefer Eingriff in die per-
sönliche Freiheit . All diejenigen, die in der Rechtspolitik
unterwegs sind, wissen, dass wir darüber schon seit ei-
niger Zeit sehr intensiv diskutieren . Wir werden die ent-
sprechenden Maßnahmen auf wirklich gravierende Fäl-
le beschränken . Außerdem sollen die Fälle in kürzeren
Abständen überprüft werden . Darüber ist lange diskutiert
worden, aber auch darüber, dass es notwendig ist, dies
mit wechselnden Gutachtern zu tun . Diese Reform wird
insbesondere das Vertrauen in die Justiz stärken . Wir alle
wissen, dass es in der Vergangenheit gerade durch den
Fall Mollath eine sehr intensive Diskussion gegeben hat .

Meine Damen und Herren, wir werden im Strafrecht
Gerechtigkeitslücken schließen . Korruption im Gesund-
heitswesen schadet den Krankenkassen, dem Wettbe-
werb und dem Vertrauen in unser Gesundheitssystem
insgesamt . Bislang kann korruptes Verhalten nicht in al-
len Fällen bestraft werden . Das ist nicht gerecht, und des-
halb werden wir auch das ändern . Dazu werden wir dem
Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf, den wir
bereits angekündigt haben, vorlegen .

Wir wollen außerdem sicherstellen, dass Frauen vor
sexueller Gewalt besser geschützt werden. Deshalb
schlagen wir vor, sexuelle Handlungen unter Strafe zu
stellen, bei denen der Täter einen Überraschungsmoment
oder die Furcht des Opfers ausnutzt . Bislang gab es hier
eine Lücke im Recht . Das konnte vor Gericht nicht ge-
ahndet werden . Wir haben Verurteilungsquoten von etwa
10 Prozent, und das ist alles andere als zufriedenstellend .
Es ist also überfällig, diese Lücke im Strafrecht zu schlie-
ßen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden in den kommenden Wochen den Entwurf
des Anti-Doping-Gesetzes und eines Gesetzes gegen

Helmut Heiderich






(A) (C)



(B) (D)


Spielmanipulation hier im Parlament diskutieren . Das ist
notwendig . Spätestens nach den Enthüllungen, die es in
den letzten Wochen gegeben hat, wurde klar, dass in den
internationalen Verbänden, zum Beispiel im Leichtath-
letik-Verband, nichts getan worden ist, was im Kampf
gegen Doping als ausreichend angesehen werden kann .
Deshalb ist es richtig: Auch der Staat muss eine Rolle
im Kampf gegen Doping einnehmen . Das wollen wir mit
dem Anti-Doping-Gesetz tun .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen den Zugang zum Recht erleichtern . Im
Durchschnitt sind Menschen erst dann bereit, vor Gericht
zu ziehen, wenn der Streitwert bei etwa 2 000 Euro liegt .
Damit Verbraucher auch bei kleinen Schäden zu ihrem
Recht kommen, werden wir die außergerichtliche Streit-
beilegung ausbauen . Wenn es Ärger mit dem neu gekauf-
ten Computer oder der Reparatur am Auto gibt, dann
muss man künftig nicht gleich vor Gericht ziehen . Wir
schlagen vor, flächendeckend Stellen zu schaffen, die
dafür sorgen, dass Streitigkeiten zwischen Verbrauchern
und Unternehmen beigelegt werden können, und zwar
schnell, unbürokratisch und ohne große Kosten .

Ich komme auf einen weiteren Punkt zu sprechen, der
auf politischer Ebene schon lange diskutiert wird und
den wir angehen werden . Wir werden Vorschläge zur
Modernisierung des Urheberrechtes vorlegen . In diesem
Bereich, sicherlich ein außerordentlich komplexer und
schwieriger Bereich, sind bereits viele große Reformen
angekündigt worden, geschehen hingegen ist relativ we-
nig . Deshalb wollen wir auch gar keine unerfüllbaren Er-
wartungen wecken, sondern wir wollen Vorschläge für
ganz konkrete Schritte vorlegen .

Wir werden zunächst das Recht der Verwertungsge-
sellschaften reformieren . Dazu gibt es bereits einen Ge-
setzentwurf . Der zweite Schritt wird dann eine Reform
des Urhebervertragsrechtes sein . Auch dazu werden wir
in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem wir ins-
besondere die Kreativen und die Urheber stärken wollen .
Wir wollen sicherstellen, dass sie für ihre Leistungen
tatsächlich eine angemessene Vergütung erhalten, so wie
das eigentlich auch gesetzlich vereinbart ist . Für Teile
der Kulturwirtschaft steht das zurzeit bedauerlicherweise
viel zu häufig nur auf dem Papier. Ein Recht, das man
hat, nutzt nur dann, wenn man es auch durchsetzen kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden Mieter, Bankkunden und alle, die sich
zum Beispiel im Internet bewegen, besser schützen .
Nach der Mietpreisbremse geht die Reform weiter . In ei-
nem zweiten Schritt werden wir darüber reden, wie wir
Mieter davor schützen, dass sie nach Modernisierung ih-
rer Wohnung finanziell überfordert werden.


(Beifall bei der SPD)


Damit das Girokonto nicht zur Schuldenfalle wird,
wollen wir mehr Transparenz bei den Dispozinsen schaf-
fen . In Zukunft sollen Banken offenlegen, wie hoch die
Zinsen bei ihnen wirklich sind .


(Harald Petzold Senken Sie lieber die Dispozinsen!)


Wir wollen die Verbraucherzentralen stärken durch
mehr Personal, mehr Geld und vor allen Dingen durch
die neuen Marktwächter . Sie haben den Finanzmarkt und
die digitale Welt im Visier, und sie werden den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern helfen, den Durchblick zu
behalten .


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, über all diese Vorhaben
werden wir in den kommenden Wochen und Monaten in
aller Ausführlichkeit debattieren . Aber die größte Her-
ausforderung derzeit – das hat die Debatte heute Morgen
schon gezeigt – ist ganz sicherlich die Hilfe für Flüchtlin-
ge . Auch das ist ein Thema, das die Rechtspolitik angeht .

Recht ist der Wille zur Gerechtigkeit, und die Gerechtig-
keit verlangt ein menschenwürdiges Dasein für alle Men-
schen, unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe . Die
Würde der Menschen wird in diesen Tagen bedroht, und
sie ist auch schon verletzt worden . Wenn sich Menschen
in Not gewissenlosen Schleppern anvertrauen, wenn ihr
Leben auf dem Mittelmeer in Gefahr gerät oder wenn sie
in einem Lastwagen qualvoll ersticken, dann bleibt die
Würde der Menschen auf der Strecke . Wenn Familien
mit kleinen Kindern über Wochen und Monate auf der
Flucht sind und unter freiem Himmel schlafen müssen,
wird ihre Würde verletzt . Und wenn Rechtradikale bei
uns Stimmung machen gegen Menschen, die gerade al-
les verloren haben, wenn sie Flüchtlinge anpöbeln oder
Brandsätze schmeißen, dann sind das Angriffe auf die
Würde der Schwächsten, die unerträglich sind .


(Beifall im ganzen Hause)


Deshalb haben wir die Verpflichtung, wie auch Herr
Schäuble das heute Morgen ausgeführt hat – er hat die
Prioritäten klar benannt –, Flüchtlinge menschenwürdig
zu versorgen. Ich weiß, das ist manchmal schwer; aber
wie leicht wiegen unsere Probleme im Vergleich mit den
Problemen dieser Menschen . Deshalb bin ich froh und
dankbar, dass gerade jetzt, auch als Reaktion auf das, was
in den letzten Wochen und Monaten geschehen ist, so
viele Menschen helfen: in den Kommunen, in den Hilfs-
organisationen, bei der Polizei und auch bei der Bundes-
wehr . Ich bin auch dankbar dafür, dass viele Menschen
dem Hass und der Hetze gegen Flüchtlinge deutlich ent-
gegentreten . Davor habe ich großen Respekt .

Dabei ist aber auch die Rechtspolitik gefordert . Das
Wort von der ganzen Härte des Rechtsstaats, die rechte
Täter spüren müssen, darf keine leere Drohung bleiben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE] und Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist ein Grund gewesen, warum wir das Strafgesetz-
buch geändert haben . Rassistische, fremdenfeindliche
oder sonstige menschenverachtende Motive eines Täters
können bei der Strafzumessung jetzt ausdrücklich be-
rücksichtigt werden . Seit dem 1 . August 2015 ist diese

Bundesminister Heiko Maas






(A) (C)



(B) (D)


Regelung in Kraft, und ich bin mir sicher, dass unsere
Gerichte sie sehr konsequent anwenden werden .

Mit diesem Bundeshaushalt werden wir die Bundes-
anwaltschaft so ausstatten, dass sie bei rechtsradikalen
Taten künftig früher eingreifen kann . Dafür gibt es mehr
Planstellen, und dafür gibt es auch mehr Geld . Es war
richtig, dass die Bundesanwaltschaft nach dem Brandan-
schlag auf eine Unterkunft für Asylbewerber in Salzhem-
mendorf sofort aktiv geworden ist .

Aber wir wollen nicht nur Gewalttäter verfolgen und
bestrafen, sondern wir müssen auch verhindern, dass es
zu solchen Verbrechen überhaupt erst kommt . Deshalb
dürfen wir zum Beispiel nicht zulassen, dass das Internet
zu einem Ort wird, an dem Hass und Hetze unkontrolliert
verbreitet werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


In der vergangenen Woche ist das Bild des toten Aylan
Kurdi um die Welt gegangen . Das Bild des ertrunkenen
Kindes am Strand von Bodrum hat Millionen Menschen
auf der ganzen Welt tief erschüttert . Aber es gab auch
Extremisten, die keine Skrupel hatten, den Tod eines un-
schuldigen Kindes zu bejubeln . In diesem Fall haben Po-
lizei und Justiz schnell gehandelt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich kann aber nicht verstehen, dass man sich dort, wo
solche Dinge veröffentlicht worden sind, wie etwa bei
Facebook, erneut sehr schwergetan hat, rasch und ent-
schlossen gegen solche Hetze vorzugehen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich finde, das ist ein Thema, über das wir reden müs-
sen . 12 Millionen Menschen in unserem Land haben eine
Tageszeitung abonniert, aber 28 Millionen Menschen aus
Deutschland sind auf Facebook aktiv . Heute prägt auch
das Internet die Debattenkultur und das gesellschaftliche
Klima . Deshalb sollte niemand ignorieren, was dort vor
sich geht. Die Justiz darf das nicht; diejenigen, die mit
dem Internet Geld verdienen, dürfen das aber auch nicht .
Deshalb bin ich mit Facebook im Gespräch . Das hat dem
Unternehmen sicherlich deutlich gezeigt, dass wir dieses
Thema ernst nehmen . Wenn es Beschwerden über rassis-
tische Einträge oder Aufrufe zur Gewalt gibt, dann muss
man dort reagieren und solche Posts rasch löschen . Das
Internet ist kein rechtsfreier Raum, und Facebook darf
kein Forum für Neonazis sein .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, in diesen Tagen jährt sich
der Beginn des Zweiten Weltkrieges . Vor einem Men-
schenalter hat Deutschland Krieg, Hass und Elend über
die Welt gebracht . Heute sind wir ein Land der Freiheit,
des Rechts und des Wohlstands . Das Grundrecht auf
Asyl war eine Lehre aus unserer eigenen Vergangenheit .
Niemand verlässt leichtfertig seine Heimat . Für viele
Menschen aus Syrien, Irak oder Eritrea ist Deutschland
heute ein Ort der Hoffnungen und Chancen, aber auch

ganz einfach ein Ort der Rettung . Ich meine, auf diesen
Zuspruch für unser Land sollten wir nicht mit Angst
und Ablehnung reagieren . Ganz im Gegenteil: Es ist ein
Grund, stolz zu sein auf das, was viele Menschen dazu in
Deutschland beigetragen haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Viele Flüchtlinge werden dauerhaft bei uns bleiben .
Wir dürfen uns deshalb nicht wieder der Illusion hinge-
ben, die beim Wort von den Gastarbeitern mitschwang .
Wir dürfen die Fehler der Vergangenheit bei der Integra-
tion nicht wiederholen, und wir sollten uns klarmachen:
Ja, wir müssen aus Flüchtlingen möglichst rasch Bürger
machen, meine sehr verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Vielfalt der Kulturen, der Religionen und der Tra-
ditionen ist manchmal anstrengend – wir erleben es heu-
te schon –, und sie wird in einer Einwanderungsgesell-
schaft, die wir sind und die wir noch mehr werden, auch
nicht weniger werden . Wir haben aber die beste Grund-
lage, meine Damen und Herren, die man sich vorstellen
kann, um ein gutes Zusammenleben zu organisieren: Das
ist unser Grundgesetz . Es bietet die Freiheit, verschieden
zu sein, und es garantiert die Gleichberechtigung trotz al-
ler Unterschiede . Es gibt den Freiraum, so zu leben, wie
man möchte . Aber es stellt klar, dass an den Grundrech-
ten nicht gerüttelt wird, zum Beispiel dass Frauen und
Mädchen die gleichen Rechte haben, dass jeder selbst
entscheidet über seine Religion und auch über seine Art,
zu leben .

Meine Damen und Herren, wir brauchen in den nächs-
ten Wochen und Monaten große Anstrengungen auf allen
Ebenen . Alle anderen Politikbereiche verlieren nicht an
Bedeutung . Auch die Rechtspolitik wird dabei gefordert
sein . Die Debatte über ein Einwanderungsgesetz oder da-
rüber, wie wir Einwanderung organisieren, wird weiter-
gehen, und wir werden die Strafvorschriften gegen den
Menschenhandel ausbauen . Ich bin überzeugt, dass wir
beides brauchen: legale Möglichkeiten der Einwande-
rung und die Verfolgung von gewissenlosen Schleppern .
Beides zusammen kann mithelfen, Menschenleben zu
retten . Meine Damen und Herren, das ist gerade in diesen
Tagen die größte Aufgabe in Europa, aber auch bei uns
in Deutschland .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811905600

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege

Roland Claus .


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811905700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bun-

desminister Maas, ich fasse Ihre Rede einmal kurz zu-
sammen und komme zu dem Schluss: Biete viel Rechts-
staatlichkeit für relativ wenig Geld . – Das wäre die

Bundesminister Heiko Maas






(A) (C)



(B) (D)


Chance für die Koalition zum Beifall gewesen . Relativ
wenig Geld: Das stimmt in der Tat; denn die Steuerzahler
kostet jeder Euro für das Ministerium von Heiko Maas
nur 25 Cent . Das hängt mit den hohen Einnahmen dort
zusammen .

Herr Bundesminister, Sie haben Anfang dieses Jahres
zu einer denkwürdigen Begegnung eingeladen; so kann
man Neujahrsempfänge auch bezeichnen . Als Haupt-
rednerin hatten Sie die Intendantin des Berliner Ma-
xim-Gorki-Theaters Shermin Langhoff eingeladen. Frau
Langhoff hat eine sehr bemerkenswerte Rede gehalten
und dort gefragt – ich zitiere :

Sind die Unzumutbarkeiten . . . des . . . Zuwande-
rungs- und Einbürgerungsrechts mit unseren Idea-
len von Freiheit und demokratischer Teilhabe ver-
einbar? . . . Wie lange wollen wir noch Migration aus
nationalstaatlicher Perspektive betrachten, ohne die
. . . Schicksale der von Flucht betroffenen Menschen
zum entscheidenden Faktor zu machen?

Ich glaube, sie hat die wichtigen und entscheidenden
Fragen gestellt . Sie hat diese Fragen in Ihrem Hause,
Herr Bundesminister, aber auch deshalb gestellt, weil sie
Antworten von Ihnen, von uns will . Die Antworten ste-
hen noch aus, und das, finde ich, darf nicht so bleiben,
meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb müssen wir sehr wohl über die neue Rolle von
Justiz und Rechtspolitik in der Flüchtlingspolitik reden .
Ja, wir erleben doch einerseits offene Arme, offene Her-
zen von zahlreichen Menschen, die Flüchtlingen in Not
helfen, und andererseits wie noch nie zuvor öffentlich ar-
tikulierten Hass . So eine Polarisierung im Rechtsstaats-
verständnis gab es seit vielen Jahren nicht mehr . Das
meine ich mit dieser neuen Herausforderung an die Justiz
auf allen Ebenen . Da haben wir es natürlich damit zu tun,
dass in Deutschland die Justiz wegen fehlender radikaler
Reformen vorwiegend an sich selbst erstickt. Ich finde,
da kann auch das Bundesjustizministerium nicht stillhal-
ten . Diese radikalen Reformen müssen endlich auf den
Tisch .


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Bundesminister, Sie haben sich an Facebook ge-
wandt und auch zu Twitter Ihren Kommentar abgegeben .
Das finden wir in Ordnung. Richtig ist: Wir alle wollen
keine digitale Hasswelt .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber, Herr Minister, es geht nicht nur darum, den Mund
zu spitzen, Sie müssen auch pfeifen, und zwar laut und
mit Konsequenzen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Das macht er!)


– Die Konsequenzen sehe ich noch nicht .

Sie haben mit der CSU einen Koalitionspartner, der
sich gegenwärtig dafür abfeiert, bei den Koalitionsver-
handlungen das Prinzip „Sachleistungen statt Geldleis-
tungen“ für Flüchtlinge durchgesetzt zu haben .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das ist auch richtig so!)


Diese Entscheidung bedeutet eine Freiheitseinschrän-
kung .


(Beifall bei der LINKEN)


Da muss ein Justizministerium einschreiten . Übrigens,
die Weltmeister beim Prinzip „Sachleistungen statt Geld-
leistungen“ kommen aus Nordkorea .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Haben Sie jetzt gerade Nordkorea mit Bayern verglichen? Das finde ich daneben!)


Herr Bundesminister, ich darf Sie zitieren, weil Sie in
Ihrer Rede zu dem Thema nichts gesagt haben . Im De-
zember 2014 haben Sie den Satz veröffentlicht: Vorrats-
datenspeicherung lehne ich entschieden ab; sie verstößt
gegen das Recht auf Privatheit und den Datenschutz . –
Ich kann Ihnen natürlich nicht ersparen, an jenen denk-
würdigen SPD-Konvent im Frühsommer dieses Jahres zu
erinnern . Zuvor waren Sie von Ihrem Parteivorsitzenden
öffentlich regelrecht genötigt worden, Ihre Position zu
verändern . Dann kam es noch dicker . Sie sollten dem
Konvent erklären, dass man jetzt zustimmen muss . Sie
haben das gemacht, Herr Maas . Angesichts des knappen
Ergebnisses habe ich mich gefragt: Hätte Maas vielleicht
nur geschwiegen, wäre dann das Ergebnis ein anderes
gewesen?


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir hatten im Sommer auch den Skandal um die Er-
mittlungen wegen – man höre und staune – Landesverra-
tes gegen das Portal netzpolitik .org . Danach musste der
Generalbundesanwalt gehen . Die Vorratsdatenspeiche-
rung aber soll bleiben . Ich sage Ihnen: Die richtige Lehre
aus diesem Skandal des Sommers wäre gewesen, jetzt
auch die Vorratsdatenspeicherung zu beerdigen, Herr
Bundesminister .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb sage ich Ihnen: Ehe Ihre von mir mit „viel
Rechtstaatlichkeit für relativ wenig Geld“ kurz zusam-
mengefasste Ansage haushaltspolitische Wahrheit wird,
müssen Sie noch sehr viele Vorschläge der Opposition
annehmen . Das Gute daran ist: Die Opposition will hel-
fen . Die Opposition kann das auch, liebe Kollegen von
der Koalition .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass wir alle
eine lebendige Parlamentsdebatte wollen . Bundesminis-
ter Schäuble hat heute Morgen gesagt, die Spielräume
im Haushalt seien jetzt erschöpft . Es hat nur noch ge-
fehlt, dass er dann „Basta!“ gesagt hätte . Was heißt es
denn, dass die Spielräume erschöpft sind? Das heißt doch
nichts anderes, als dass Regierung und Parteivorsitzen-
de entschieden haben, das Parlament solle abnicken und
sich allenfalls vor der schwarzen Null verneigen . Dazu

Roland Claus






(A) (C)



(B) (D)


sagen wir: Mit uns nicht . Wir wollen eine lebendige
Haushaltsdebatte . Diese werden wir auch haben .


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Die schwarze Null ist Ihnen unheimlich!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811905800

Der Kollege Dr . Patrick Sensburg spricht jetzt für die

CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1811905900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Ich teile die Zu-
sammenfassung der Rede des Ministers durch meinen
Vorredner nicht . Der Minister hat deutlich mehr ausge-
führt . Herr Kollege Claus, Sie haben in Ihren sechs Mi-
nuten Redezeit so gut wie gar nichts zur Rechtspolitik
und zur Verbraucherpolitik gesagt . Sie hätten die Zeit
besser nutzen können . Von daher haben Sie Ihr Angebot,
dass die Opposition konstruktiv mitarbeiten kann, durch
Ihre Rede schon widerlegt . Schade eigentlich .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Einzige, worin ich Ihnen zustimme, Herr Kollege
Claus, ist die Analyse, dass der Haushalt des Einzelplans
07 in der Gesamtheit und im Volumen – es ist einer der
kleinsten Haushalte – eine exzellente Rechtspolitik ge-
währleistet . Das hat der Einzelplan 07 schon in den letz-
ten Jahren getan . Die Haushälter und der Minister haben
auch diesmal wieder bewiesen, dass man mit wenig Geld,
736 Millionen Euro, und mit einer guten Deckungsquo-
te, 525 Millionen Euro, Arbeit machen kann, die auch in
anderen Ressorts als wichtig wahrgenommen wird . Wir
haben eine Deckungsquote von 72 Prozent . Das ist et-
was weniger als in den vorherigen Jahren . Da hatten wir
Deckungsquoten von rund 83, 85 und 87 Prozent . Die
Haushälter werden sicherlich noch ausführen, woran das
vielleicht liegen mag . Aber man kann sagen: Der Justiz-
haushalt und jetzt auch der Verbraucherschutzhaushalt –
daran müssen wir Juristen uns erst gewöhnen – leistet
für alle Ressorts übergreifend eine wesentliche und ex-
zellente Arbeit .

In der zweiten und dritten Lesung – das debattieren
wir heute nicht – werden wir auch den Haushalt des Ein-
zelplans 19 beschließen, den des Bundesverfassungsge-
richts . Auch da zeigt sich die große Anerkennung für den
Beitrag, den die Rechtspolitik und die Institutionen der
Justiz leisten . Das Vertrauen in den Rechtsstaat ist ganz
wichtig . Deswegen ist auch das Vertrauen in die Institu-
tionen so wichtig .

Herr Kollege Claus, Sie haben eben die Diskussion
um den Generalbundesanwalt angesprochen . Darauf
möchte ich jetzt nicht näher eingehen .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Warum eigentlich nicht?)


Ich glaube, wir müssen aber darüber nachdenken


(Zuruf des Abg . Harald Petzold [DIE LINKE])


– das können Sie ja gleich noch machen –, ob wir bei-
spielsweise das Thema Weisungsrecht für beide Seiten
verklaren


(Harald Petzold Abschaffen!)


und zum Beispiel die schriftliche Weisung regeln . Ich
glaube, das täte beiden Seiten, Angewiesenem und An-
weisendem, gut . Darüber sollten wir in der Justizpolitik
einmal nachdenken .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Um zum Inhalt zu kommen: Die Syndikusanwälte
sind ein Thema, das uns in dieser Legislaturperiode in-
tensiv beschäftigt hat und uns auch weiter beschäftigen
sollte . Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts
aus dem Jahre 2014 haben wir in der ersten Lesung im
Juni dieses Jahres breit darüber debattiert . Wir haben am
1 . Juli 2015 eine Anhörung durchgeführt . Es gibt aber
noch viele offene Fragen, die beantwortet werden müs-
sen. Dabei geht es um die Haftpflichtversicherung, die
Gleichstellung der Syndikusanwälte mit anderen Rechts-
anwälten und um die Frage: Greift die Berufshaftpflicht,
oder greift möglicherweise die Firmenhaftpflicht? All
das muss geklärt werden . Ich glaube, hier eilt die Zeit .

Die Rechtsanwälte befinden sich seit inzwischen über
einem Jahr in einem unklaren Zustand . Hier müssen wir
sehr zeitnah Lösungen finden. Herr Minister, lassen Sie
sich nicht ausschließlich von Ihrem Ministerium beraten,
sondern gehen Sie voran, und lösen Sie dieses Problem
gemeinsam mit uns . Die Anwälte in unserem Land wer-
den es Ihnen danken .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das ist alles abgesprochen mit den Anwälten!)


Wir kommen zum Thema StPO-Reform . Ein wesent-
licher Baustein in dieser Legislaturperiode wird die Re-
form der Strafprozessordnung sein . Ich glaube, das ist
eines der großen Vorhaben dieser Regierungszeit . Wir
wollen die StPO reformieren: vom Ermittlungsverfahren
über das Zwischenverfahren bis zum Hauptverfahren .
Das Rechtsmittelverfahren und das Vollstreckungsver-
fahren sollen eingeschlossen sein . Wir wollen also einen
großen Wurf .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie dazu mal ein bisschen was Konkreteres!)


Man hört aber aus der Kommission, die beim Bun-
desjustizministerium arbeitet, dass viele Dinge gar nicht
mehr eingeschlossen werden sollen, beispielsweise das
Thema Berufung . Ich würde mir wünschen – die Län-
der haben hier ja Vorschläge gemacht –, dass es der
Kommission gelingt, dort, wo keine eigenen Vorschläge
eingebracht werden, zum Beispiel im Hinblick auf die
Berufung, nichts auszuklammern . Wir sollten weiterhin
versuchen, bei der StPO-Reform ein umfangreiches Pa-

Roland Claus






(A) (C)



(B) (D)


ket zu schnüren und dieses auch zu verabschieden . Ziel
sollte die Effizienzsteigerung im Bereich der Strafpro-
zessordnung sein . Nach allem, was man von der Arbeit
der Kommission hört, habe ich aber den Eindruck, das
scheint nicht mehr gänzlich zu gelingen . Ich nenne drei
Beispiele, von denen wir gehört haben .

Bei der Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung soll
es schon im Ermittlungsverfahren Videoaufzeichnungen
geben . Ich glaube, das kann als Ziel so nicht bestehen
bleiben . Wenn dies der Fall wäre, würde das zu mehr
Arbeit und zu der Verpflichtung der Richter führen, sich
später alle Videoaufzeichnungen anzusehen .

Auch in der Hauptverhandlung soll es umfassende Vi-
deodokumentationen geben . Videodokumentationen sind
nichts Falsches; in vielen Bereichen, in denen sie Sinn
ergeben, kennen wir sie schon . Aber umfangreiche Vi-
deodokumentationen halte ich für überflüssig.

Es muss auch nicht so sein, dass der Pflichtverteidiger
immer schon ab der ersten Beschuldigtenvernehmung
bestellt wird, und zwar auch dann, wenn das nicht ge-
wollt ist . Auch dies würde zu mehr Aufwand führen .

Das sind Dinge, die man aus der Kommission hört .
Darüber müssen wir, wenn es so weit ist, noch einmal
intensiv sprechen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811906000

Herr Kollege Dr . Sensburg, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Ströbele?


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1811906100

Ja, die hat er eben schon angekündigt . Ich weiß jetzt

zwar nicht, zu welchem Punkt – es hat ein bisschen ge-
dauert, bis die Frage kam –, aber Kollege Ströbele darf
immer fragen .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Andere nicht?)


– Bei anderen überlege ich es mir manchmal . Sie, Frau
Kollegin Högl, dürfen auch immer fragen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Herr Kollege Sensburg . – Sie sagen das in fast
jeder Rede, die Sie hier im Bundestag zur Rechtspoli-
tik halten, und das sind ja nicht wenige . Können Sie ein
bisschen konkreter sagen, wie Ihre Auffassung und die
Auffassung der Union zur Reform der StPO ist? Sie ha-
ben zwar einige Punkte erwähnt . Aber sind Sie nun dafür,
dass sich da etwas ändert, oder wird in den Gerichtssä-
len weiter so wie bisher protokolliert, dass also von ei-
ner Mitarbeiterin, einer Protokollführerin oder einem
Protokollführer alle Viertelstunde ein halber Satz aufge-
schrieben wird? Oder neigen Sie auch dem zu, dass man
Hauptverhandlungen etwas vollständiger nachvollziehen
können sollte, was gerade bei großen, langandauernden
Prozessen von eminenter Bedeutung ist?


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1811906200

Herzlichen Dank, Herr Kollege Ströbele, für die Fra-

ge . – Der entscheidende Punkt ist – so lange debattieren
wir das ja noch gar nicht; denn das ist das Kernthema
dieser Legislaturperiode –,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit zwei Jahren!)


dass wir das gesamte Strafverfahren wieder konsistent
gestalten . Sie kennen die vielen Änderungen, die es seit
der großen Reform in der Strafprozessordnung über die
Jahre gab . Dort sind bestimmte punktuelle Stückwerke
entstanden .

Das Strafverfahren beginnt gemäß der Strafprozes-
sordnung beim Ermittlungsverfahren und endet beim
Strafvollzug . Daran erkennen wir die Brüche, die über
die Jahre entstanden sind . Deswegen ist es das erste
Ziel – das haben wir mit dem Koalitionsvertrag, in dem
die StPO-Reform enthalten ist, ebenfalls verfolgt –, Kon-
sistenz und Effektivität zu erreichen . Ich hatte die Punkte
angesprochen, die mir Sorgen machen und die nicht zur
Effektivität beitragen, weil sie nur punktuelle Regelun-
gen sind .

Konsistenz und Effektivität sind also der Oberbe-
griff. Darum gibt es ja auch die Expertenkommission
beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher-
schutz . Sie ist aus sehr guten Leuten zusammengesetzt
und hat sich sehr viel Zeit genommen, um zu schauen,
wo die Brüche in der Strafprozessordnung sind . Diese zu
beheben, ist also das Ziel; das ist der gute Teil.

Jetzt hören wir aber – das werden Sie vielleicht auch
gehört haben –, dass die Länder zum Beispiel Vorschlä-
ge zum Berufungsverfahren gemacht haben, die von der
Kommission aber abgelehnt worden sind . Die Kommissi-
on scheint nicht genügend Zeit zu haben, um hier eigene
Vorschläge zu entwickeln und einzubringen . Das würde
ich mir aber wünschen; denn wenn bestimmte Bereiche
vom Ermittlungsverfahren bis hin zum Berufungs- und
Revisionsverfahren ausgeklammert werden, dann errei-
chen wir diese Konsistenz und Effektivität nicht mehr .
Das ist aber unser Kernziel . Sobald die Kommission
ihre Vorschläge vorlegt, werden wir sie uns im Rechts-
ausschuss sicherlich anschauen, darüber eine Diskussion
führen und Verbesserungsvorschläge machen .

Sie kennen den Spruch: Kein Gesetz verlässt den
Deutschen Bundestag so, wie es die Bundesregierung
eingebracht hat . – Das hat sich gerade im Bereich der
Justizpolitik in den letzten Jahren öfters gezeigt . Ich
denke, gemeinsam können wir uns eine Effektivierung
dieses Gesetzentwurfs und der Arbeit der Kommission
vorstellen . – Danke schön, Herr Kollege Ströbele .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber immer noch keine konkrete Position!)


Ich komme zu einem weiteren Bereich, der uns beson-
ders wichtig ist, nämlich zum Thema „Scharia-Recht“ .
Wir haben uns das – Herr Kollege Ströbele, das habe
ich wirklich sehr oft angesprochen; auch in der letzten

Dr . Patrick Sensburg






(A) (C)



(B) (D)


Legislaturperiode – genau angeschaut und festgestellt,
dass es in manchen Bereichen wirklich einen eigenen
Rechtsraum gibt, in dem versucht wird, eine andere
Rechtskultur zu pflegen, wo also keine Gerichte, keine
Schlichtungsstellen, keine Schiedsgerichtsbarkeiten und
keine Mediationen genutzt werden, sondern wo sich et-
was parallel entwickelt . Man spricht dementsprechend
auch von Paralleljustiz .

Wir haben darüber öfters beraten . Auch im Justizmi-
nisterium prüft eine eigene Stelle, wie die Situation aus-
sieht . Ich glaube, wir müssen einmal schauen, ob es hier
genügend Anhaltspunkte gibt, um rechtspolitisch tätig zu
werden . Wenn ja, dann sollten wir das auch tun . Wenn
es die aber nicht gibt, dann müssen wir das auch offen
sagen . Deswegen ist es gut, dass das Bundesministerium
der Justiz und für Verbraucherschutz diesen Bereich in
den Fokus nimmt und hier Klarheit schafft . Wir würden
uns wünschen, diese Ergebnisse gemeinsam zu diskutie-
ren .

Weitere wichtige Themen sind die organisierte Kri-
minalität und die Gewinnabschöpfung . Das haben wir
auch schon diskutiert, als es um das Scharia-Recht ging .
Ich glaube, durch das Abschöpfen der Gewinne werden
wir vielen das Wasser abgraben und die Problemberei-
che austrocknen . Wir müssen darüber nachdenken, ob
die Gewinnabschöpfung so geregelt werden kann, dass
wir die treffen, die wir treffen wollen, und dass wir die
Bereiche, die möglicherweise im Verdacht sind, nicht un-
ter einen Generalverdacht stellen . Deswegen müssen wir
genau hinschauen, ob uns bei der Gewinnabschöpfung
die Beweislastumkehr weiterhilft, um die Bereiche aus-
trocknen zu können, die innerhalb der organisierten Kri-
minalität tätig sind und hohe Gewinne machen . Dadurch
können wir einen Beitrag dazu leisten, die organisierte
Kriminalität einzudämmen .

Der nächste Bereich, den ich ansprechen möchte, ist
die Cyberkriminalität . Herr Bundesminister, Sie haben
diesen Bereich auch schon angesprochen und gesagt:
„Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“, was ich
für richtig halte . Wir erleben, dass viele Delikte speziell
im Internet stattfinden. Dort sind bestimmte Gruppen tä-
tig . Daneben gibt es Delikte, die es auch im alltäglichen
Leben gibt und speziell mithilfe des Internets verübt wer-
den .

Wir haben das IT-Sicherheitsgesetz umzusetzen . Das
wird uns schon viel bringen, aber es wird nicht der letzte
Schritt sein, den wir machen müssen . Wir müssen das
BSI stärken . Wir müssen auch die anderen Ämter stär-
ken, die auf diesem Gebiet tätig sind . 50 Milliarden Euro
beträgt der jährliche Schaden durch das Ausspähen un-
serer Wirtschaft im Bereich der Cyberkriminalität; das
ist noch sehr zurückhaltend geschätzt . Ich glaube, dass
es ganz wichtig ist, rechtspolitisch und unter Wahrung
rechtsstaatlicher Ansätze auch hier einen Beitrag zu leis-
ten. Wir haben einen Beitrag geleistet; auch das haben
Sie angesprochen, Herr Minister .

Das Thema Mindestspeicherfristen ist kein leichtes
Thema; das wissen wir. Über dieses Thema haben wir
sehr oft debattiert und diskutiert . Im Rahmen der Anhö-
rung am 21 . September 2015 – ich freue mich, dass die

Berichterstatter aller Fraktionen intensiv arbeiten, für uns
ist das der Kollege Dr . Ullrich – werden wir eine Lösung
finden, die den Ansprüchen des Bundesverfassungsge-
richts an Verfassungskonformität, aber auch den Ansprü-
chen des Europäischen Gerichtshofs Rechnung trägt .

Ich habe Ihnen das aktuelle Heft des BusinessMaga-
zins BERLINboxx mitgebracht. Ich freue mich, dass der
Justizsenator von Berlin mit der Überschrift zitiert wird:
„Ich bin Verfechter der Verkehrsdatenspeicherung .“ Das
ganze Heft ist mit „Industrie 4 .0“ überschrieben . Es geht
um Standortperspektiven . Wenn wir nicht erkennen, dass
Sicherheit im Internet – dazu gehören auch Mindest-
speicherfristen – mit Datenschutz und Offenheit gegen-
über Medien einhergeht, dann werden wir den Standort
Deutschland nicht sichern . Deshalb sind Mindestspei-
cherfristen nach meiner Meinung ein wesentlicher Be-
standteil für den Industrie- und Internetstandort Deutsch-
land .


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Partei gehört der Justizsenator an?)


Lassen Sie mich noch zu zwei Punkten kommen, die
mir wichtig sind .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die anderen nicht?)


Das eine Thema ist die außergerichtliche Streitbeile-
gung; das ist hier angesprochen worden. Ich glaube, wir
haben gute Ansätze im Bereich des Verbraucherschutzes
bei der Umsetzung zweier Gesetzgebungsakte aus Euro-
pa, der sogenannten ADR-Richtlinie und der sogenann-
ten ODR-Verordnung . Es geht darum, Regelungen zu
schaffen, mit denen Verbrauchern ein leichter Zugang zu
außergerichtlicher Streitbeilegung ermöglicht wird . Es
muss aber auch gelingen, die Wirtschaft mit den Kosten
dieser Verfahren nicht allein zu lassen .

Vielleicht wäre es hier klug, einmal auf Bundesebene
in der Art einer allgemeinen Schlichtungs- und Media-
tionsstelle ein Pilotprojekt zu initiieren – dazu müssten
wir allerdings Gelder in den Haushalt einstellen – und
dadurch eine Stelle zu etablieren . Voraussichtlich ist mit
rund 12 000 Fällen zu rechnen . Das wird ein Kostenvo-
lumen von 2,4 Millionen Euro haben . Das lässt sich aus
dem derzeitigen Haushaltsplan nicht finanzieren. Von da-
her müssen wir in den Beratungen diskutieren, ob hier
nicht ein weiterer Ansatz für eine allgemeine bundesweit
tätige Schlichtungs- und Mediationsstelle möglich ist .

Ich sage extra „Mediationsstelle“, weil wir in der letz-
ten Legislaturperiode das Mediationsgesetz verabschie-
det haben und ich mir wünsche, dass diese Gesetze auf-
einander abgestimmt werden, sodass wir in Deutschland
neben Gerichtsbarkeit, Schiedsgerichtsbarkeit, Schlich-
tungsverfahren und Mediation nicht ein neues Verfahren
mit Stellen etablieren, sondern dass wir hier Konsistenz
erreichen . Darüber wird es noch Diskussionen geben .
Aber ich glaube, dass sowohl das Ministerium als auch
wir Abgeordnete aller Fraktionen im Deutschen Bundes-
tag auf einem guten Weg sind .

Das letzte Thema, das mir wichtig ist – ich reiße es nur
kurz an –, ist das Thema Insolvenzrecht . Es gibt hier drei

Dr . Patrick Sensburg






(A) (C)



(B) (D)


große Bereiche: Delisting, Pensionsrückstellungen und
Insolvenzanfechtungen . Hier wünsche ich mir, dass gera-
de im Bereich der Insolvenzanfechtungen, der für unsere
Wirtschaft sehr wichtig ist, nicht darauf gewartet wird,
ob sich die Rechtsprechung noch in eine andere Richtung
entwickelt – die Firmen leiden tagtäglich unter dieser Si-
tuation –, sondern dass wir vonseiten der Politik gemein-
sam mit Ihnen, Herr Minister, die Dinge anpacken . Un-
ser Berichterstatter, Herr Kollege Hirte, hat hierzu viele
Vorschläge gemacht . Ich wünsche mir, dass wir sie in den
aktuellen Beratungen aufnehmen .

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit für so vie-
le Themen . Herr Claus, Sie sehen, man kann sehr viele
rechts- und verbraucherpolitische Themen ansprechen .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Bei 12 Minuten!)


Ich wünsche mir jetzt eine konsensorientierte Beratung
und ein gutes Ergebnis .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811906300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul für

Bündnis 90/Die Grünen .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811906400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Maas, so als Zuhörerin
wundert man sich doch ein bisschen, dass der Kollege
Sensburg betont, dass die StPO-Reform das Kernpro-
jekt dieser Legislaturperiode ist, während Sie sie in Ih-
rer Rede gar nicht erwähnt haben . Vielleicht könnten Sie
sich in der Koalition über Ihre Schwerpunkte noch ein-
mal abstimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [DIE LINKE])


Fast wäre es in der Sommerpause zwischen zwei Son-
dersitzungen einmal etwas ruhiger geworden, wenn da
nicht der Generalbundesanwalt gewesen wäre .

Es wird Sie nicht überraschen, dass das Thema hier jetzt
noch einmal zur Sprache kommt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [DIE LINKE])


Ja, die Entlassung war unvermeidlich, das sehen wir auch
so . Das Management war trotzdem suboptimal .

Nach unserer letzten Ausschusssitzung steht jetzt Aus-
sage gegen Aussage . Der Generalbundesanwalt behaup-
tet, er sei geradezu erpresst worden . Wer die Wahrheit
sagt, werden wir nicht mehr ermitteln können, weil die
gesamte Kommunikation zwischen Ihrem Ministerium
und dem Generalbundesanwalt informell und telefonisch
ablief . Warum haben Sie den GBA denn nicht frühzeitig
um einen Bericht bzw . ein Rechtsgespräch gebeten und

sich seine Rechtsauffassung einmal darlegen lassen? Be-
sonders die Frage nach dem subjektiven Tatbestand der
Schädigungsabsicht wäre doch interessant gewesen .

Ich wage nicht, zu spekulieren, ob dieses Gespräch
bei Herrn Range zu weiteren Erkenntnissen geführt hät-
te . Auf jeden Fall hätten Sie uns Parlamentariern einen
nachvollziehbaren und dokumentierten Ablauf vorlegen
können, statt uns auf Auszüge aus der Ermittlungsakte in
der Geheimschutzstelle zu verweisen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Warum diese Unterlagen überhaupt in der Geheimschutz-
stelle liegen, obwohl sie gar nicht Geheim, sondern nur
VS-Vertraulich eingestuft sind, verstehe ich bis heute
nicht . Dass die Einschätzungen des Innenministeriums
und des Justizministeriums in diesem Kabinett völlig
quer zueinanderstehen, ist nun weiß Gott kein Staatsge-
heimnis . – So weit zu den aktuellen Vorkommnissen .

Jetzt aber will ich die Haushaltsdebatte zur Legisla-
turhalbzeit nutzen, um einige grundsätzliche Dinge zu
besprechen . Der Justizhaushalt selbst betrifft ja bekannt-
lich das kleinste Ressort im Bundeshaushalt, was aber
keinesfalls Rückschlüsse auf die Bedeutung der Justiz
in unserem Rechtsstaat zulässt . Pro Einwohner kostet
uns die gesamte Justiz in Bund und Ländern gerade ein-
mal 53 Euro . Im Vergleich dazu kostet uns die militäri-
sche Verteidigung 400 Euro pro Person . Aber auch der
Rechtsfrieden will verteidigt werden . Schließlich steht
und fällt der Frieden im Inneren mit einem funktionie-
renden Rechtswesen . Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist
bei uns immer noch besser als in vielen unserer Nachbar-
staaten . Das bleibt aber nicht von alleine so . Mangelnde
Wertschätzung oder gar Vernachlässigung sind eine echte
Gefahr .

Das Verfassungsgericht hatte gerade erst das zweifel-
hafte Vergnügen, über die rechtsstaatlichen Untergrenzen
der Richterbesoldung entscheiden zu dürfen . Wie konn-
te es eigentlich so weit kommen? Warum liegen junge
Richterinnen und Richter, die eine hochqualifizierte und
international anerkannte Ausbildung absolviert haben,
unter dem deutschen Durchschnittseinkommen?


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das ist doch Ländersache!)


Wollen wir wirklich, dass künftig gerade die Richterin-
nen und Richter Karriere machen, die auf Schnelligkeit
und Fallzahlen statt auf Gründlichkeit fixiert sind? Dass
diese Frage nicht einfach durch Bundesgesetzgebung ge-
löst werden kann, ist mir schon klar, Herr Kollege . Wir
können es aber auch nicht einfach so laufen lassen . Hier
gibt es ein übergeordnetes Interesse aller und eine große
Aufgabe auch für einen Bundesjustizminister .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Unmittelbar zuständig jetzt wiederum sind Sie für die
Bundesrichterwahlen und die Richterwahlausschüsse .
Auch hier muss sich einiges ändern . Selbst der weiße
Rauch bei einer Papstwahl ist transparenter als das der-
zeitige Verfahren .

Dr . Patrick Sensburg






(A) (C)



(B) (D)



(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Ich bin der Meinung, dass es für Richterinnen und
Richter wenigstens die Möglichkeit geben muss, sich für
die Vorschlagsliste zur Bundesrichterwahl zu bewerben .
Die zunehmende Zahl von Konkurrentenklagen bei der
Besetzung oberster Bundesgerichte ist eine Belastung für
alle Beteiligten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wichtig – um nicht zu sagen: existenziell – für ein
funktionierendes Rechtswesen ist der Zugang zum Recht
für alle . Und auch hier droht Gefahr . Wenn die Amtsge-
richte in der Fläche verschwinden, wie es jetzt in Meck-
lenburg-Vorpommern passiert, ist das offensichtlich .

Aber auch die Anwaltschaft bedarf dringend höherer
Wertschätzung, wenn der Zugang zum Recht für alle er-
halten werden soll . Ich rede jetzt ausnahmsweise einmal
nicht von den Syndikusanwälten in den Großkanzleien,
sondern von den Anwälten vor Ort, die als Mittler und
Übersetzer den Menschen den Zugang zum Recht ge-
währen, ob es um Ärger mit dem Chef, dem Vermieter
oder in der Familie geht .

Der Jahresbruttogewinn der Einzelanwälte beträgt seit
über einem Jahrzehnt unverändert 40 000 Euro . Gerade
erst haben alle Post von ihren Kammern bekommen, dass
sie sich ein elektronisches Postfach zulegen sollen, weil
wir als Gesetzgeber beschlossen haben, ab 2022 nur noch
mit der elektronischen Akte zu arbeiten .

Ich habe in der Sommerpause mit etlichen Kollegin-
nen und Kollegen gesprochen . Sie scheuen keine Mühe
und Kosten, um die Umstellung der Software sowie die
Aufrüstung von Hardware zu bewältigen, auch wenn
das – gerade für die Einzelanwälte – teilweise existen-
zielle Ausmaße annimmt .

Nun stellen sich beim elektronischen Rechtsverkehr
noch andere Fragen als die der Kosten für die Anwalt-
schaft . Wir wissen seit Snowden bestens, dass es eine ab-
solute Sicherheit für elektronische Daten gar nicht geben
kann . Mit welchem Recht will der Staat den Anwälten
verbieten, dem Mandanten einen sicheren und gegebe-
nenfalls auch analogen Umgang mit ihren Daten anzu-
bieten? Warum soll ich gerade einen sensiblen Schrift-
satz nicht persönlich in den Briefkasten des Gerichtes
einwerfen dürfen? Bei Atomkraftwerken zum Beispiel
durfte noch nie digitale, sondern darf ausschließlich ana-
loge Technik verarbeitet werden . Warum sollten wir bei
sensiblen Mandantendaten diesen Schutz nicht gewähren
dürfen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch der Gesetzgeber kann neue Erkenntnisse durch-
aus dazu nutzen, alte Entscheidungen noch einmal zu
überdenken . Der elektronische Rechtsverkehr sollte im
Interesse der Rechtssuchenden eine freiwillige Option
bleiben .

Aber zurück zu den Amtsgerichten: Hier wird den
Bürgerinnen und Bürgern heute auch bei geringen
Streitwerten ein ordentliches Verfahren gewährt, das im

Durchschnitt weniger als fünf Monate dauert . Mit Ihrem
Entwurf zur Verbraucherschlichtung könnten die Bürger
künftig an die privaten Schlichtungsstellen verwiesen
werden, und das auch noch per AGB, was nur dann güns-
tiger für sie ist, wenn sie sich nicht anwaltlich vertreten
lassen . Prozesskostenhilfe ist jedenfalls nicht vorgese-
hen .

Ein geeigneter Schlichter ohne Befähigung zum Rich-
teramt soll dann nach Billigkeit im schriftlichen Verfah-
ren entscheiden . Diese Entscheidung wird weder veröf-
fentlicht, noch ergeht sie im Namen des Volkes, kann aber
vom Gerichtsvollzieher vollstreckt werden . Ich frage Sie:
Wo bleiben die Vorhersehbarkeit der Entscheidung, die
Verlässlichkeit und die Rechtsfortbildung?

Bei der Umsetzung dieser EU-Richtlinie ist beson-
deres Augenmaß angesagt, um das Kind nicht mit dem
Bade auszuschütten . Freiwillige Schlichtung ja, aber
keine Paralleljustiz . Was wir brauchen, ist vielmehr
eine Rechtsstaatsinitiative für Deutschland, damit unser
Rechtswesen funktionsfähig bleibt .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811906500

Als Nächster spricht der Kollege Dennis Rohde für die

SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dennis Rohde (SPD):
Rede ID: ID1811906600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Bundesaußenminister Frank-Walter
Steinmeier hat mit seinem Ausspruch, dass die Welt aus
den Fugen geraten sei, die, wie ich finde, prägnanteste
Zusammenfassung der momentanen Situation, der wir
gegenüberstehen, gegeben. Ich finde, diese Formulierung
lässt uns gleichzeitig erahnen, vor welchen Herausforde-
rungen wir heute und in den kommenden Jahren stehen
bzw . stehen werden .

Natürlich bringt die veränderte globale Lage auch eine
besondere Verantwortung für unseren Rechtsstaat mit
sich . Es gibt zweifellos neue Herausforderungen, auch
im Bereich der inneren Sicherheit, die wir werden meis-
tern müssen .

So hat zum Beispiel der Generalbundesanwalt als
oberster Staatsanwalt unseres Landes die Aufgabe, ge-
waltsamen Extremismus – gleich welcher Couleur – zu
verfolgen und so zur Sicherheit der Bürgerinnen und
Bürger beizutragen . Ich will deshalb zwei Beispiele nen-
nen, wie wir auch die Justiz im Lichte dieser Herausfor-
derungen im Haushaltsjahr 2016 unterstützen werden:

Zunächst ist das Thema Rechtsextremismus zu nen-
nen, das natürlich nicht mit dem Prozess gegen die
Rechtsterroristen des NSU abgeschlossen ist . Das Jahr
hat gezeigt, dass Rassismus und rechte Gewalt am Rande
der Gesellschaft fortleben, dass sie auch in einer offenen,

Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


demokratischen Gesellschaft existieren. Und ich sage:
Angriffe auf Flüchtlingsheime, auf Menschen, die zu uns
kommen, weil sie Schutz und Frieden suchen, und men-
schenverachtende Aufmärsche – sie sollten, sie müssen
uns alle beschämen .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vor dem Hintergrund der fortwährenden Herausforde-
rung durch Hass und Gewalt gegen Flüchtlinge und sogar
gegen die Menschen, die sich in der Hilfe engagieren,
ist es umso wichtiger, dass die Justiz die notwendigen
Ressourcen erhält, um mit allen Mitteln des Rechtsstaa-
tes konsequent gegen rechtsextreme Gewalt vorgehen zu
können . Auch deswegen setzen wir die Empfehlungen
des NSU-Untersuchungsausschusses weiter und nach-
haltig um . Denn wir wissen: Der Generalbundesanwalt
nimmt zunehmend eine Rolle als koordinierende Instanz
und Schnittstelle zwischen den Ermittlungsbehörden
wahr . Die personelle Ausstattung für diesen gewachse-
nen Aufgabenbereich muss dieser Rolle entsprechen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Im Haushaltsentwurf sind deswegen für den GBA auch
weitere Stellen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus
vorgesehen. Ich finde, das ist gerade in Anbetracht der
Zeichen der Zeit eine immens wichtige Maßnahme .

Eine ähnliche Schnittstellenfunktion erfüllt der Gene-
ralbundesanwalt beim Thema islamistischer Terrorismus .
Hier sehen wir zunehmend die Herausforderung der so-
genannten Rückkehrer, also Dschihadisten, die aus den
von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ besetzten Ge-
bieten in Syrien und im Irak zurück nach Deutschland
kommen .

Wir müssen alles daransetzen, dass die Personen, die
Tod und Leid über so viele Menschen gebracht haben,
hier in Deutschland die gesamte Härte unseres Rechts-
staates zu spüren bekommen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Genau daran arbeitet der Generalbundesanwalt . Mittler-
weile sind dort über 300 Prüfvorgänge anhängig . Darum
korrigieren wir auch hier den Stellenplan für eine ange-
messene Amtsausstattung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn die
Flüchtlingssituation mit ihren unfassbaren Bildern mo-
mentan die gesellschaftliche und politische Debatte be-
herrscht, möchte ich noch weitere Schwerpunkte aus
dem Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und für
Verbraucherschutz ansprechen .

So schreibt der Regierungsentwurf zum Haushalt
2016 das fort, was wir mit dem Haushalt 2015 begonnen
haben, nämlich eine massive Stärkung des Deutschen Pa-
tent- und Markenamtes als Investition in Innovation und
Fortschritt .

Mit Verabschiedung dieses Bundeshaushalts werden
wir seit Regierungsübernahme Stellen für weit über 100
neue Patentprüferinnen und Patentprüfer ausgebracht ha-

ben . Weitere Stellen werden nicht – wie eigentlich vorge-
sehen – wegfallen, sondern zur Abarbeitung des uns allen
bekannten Antragsstaus verwandt werden . Die personel-
le Entwicklung beim DPMA ist mit Sicherheit eine der
positivsten seit vielen Jahren . Lange wurde nicht mehr so
viel für dieses Amt getan .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die Große Koalition stärkt das Patent- und Marken-
wesen . Sie stärkt damit die deutsche Wirtschaft, indem
sie denen, die erfinden und Ideen haben, die benötigte
Rechtssicherheit gibt, um aus einem Patent auch wirt-
schaftlichen Erfolg werden zu lassen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich sage Ihnen – das klang vorhin schon an –: Das ist
auch gut für unseren Bundeshaushalt . Ein Einnahmeplus
von 20 Millionen Euro beim DPMA im Vergleich zu
2014 sorgt mit dafür, dass der Haushalt des Justizmi-
nisteriums auch zukünftig eine hervorragende ressort-
führende Deckungsquote haben wird; denn verantwor-
tungsvolle Haushaltspolitik bedeutet eben nicht nur, den
effizientesten Einsatz von Finanzen zu fördern und Ein-
sparmöglichkeiten durchzusetzen . Verantwortungsvolle
Haushaltspolitik bedeutet eben auch, einmal genau nach-
zusehen, wo die Einnahmeseite sinnvoll und nachhaltig
verstärkt werden kann .


(Beifall bei der SPD)


Abschließend ein paar Worte zum Thema Verbrau-
cherschutz; meine Kollegin Elvira Drobinski-Weiß wird
gleich noch genauer auf das Thema eingehen . Wir wis-
sen, dass die heutigen Märkte oft komplex oder sogar
unübersichtlich sind, dass viele der alten Gewissheiten
im Konsumverhalten heute nicht mehr gelten . Wir set-
zen konsequent und mit Nachdruck auf Transparenz und
Information der Verbraucherinnen und Verbraucher, da-
mit jeder auf den Märkten nicht nur die beste Kaffeema-
schine, sondern auch die für ihn passende Altersvorsorge
oder das richtige Bankkonto finden kann. Ich freue mich
daher, dass wir den guten Weg der letzten Jahre fortset-
zen . Der Ansatz für den Verbraucherschutz beläuft sich
auf 35,8 Millionen Euro . Das sind 4,7 Millionen Euro
mehr als 2015 und 11,6 Millionen Euro mehr als 2014 .
Ich finde, dass das sinnvolle Aufwüchse sind. Sie zeigen,
dass wir es ernst meinen mit der Information und dem
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher .


(Beifall bei der SPD)


In den kommenden Haushaltsverhandlungen werden
sicherlich die Herausforderungen und die Chancen des
momentanen Flüchtlingsstroms im Mittelpunkt – auch
der medialen Wahrnehmung – stehen . Wir als für den
Einzelplan des Bundesministers der Justiz und für Ver-
braucherschutz zuständige Haushälter werden sicherstel-
len, dass die rechts- und verbraucherpolitischen Themen
am Ende nicht herunterfallen werden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dennis Rohde






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811906700

Der Kollege Harald Petzold, Die Linke, spricht als

Nächster .


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811906800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister, für die lin-
ke Opposition bleibt es dabei: Der Einzelplan des Bun-
desministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
wird den Anforderungen, vor denen wir aktuell in der
Justiz- und Verbraucherpolitik stehen, nicht gerecht .


(Beifall der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


Zuspitzend möchte ich sagen: Zum Leben zu wenig, zum
Sterben zu viel . Ich werde Ihnen das an zwei Beispielen
erläutern . Daran ändern auch zahlenakrobatische Spiele
vom Kollegen Dr . Sensburg nichts, der uns in atemberau-
bender Logik vorgerechnet hat – eigentlich hätte er das
in Zahlen viel kürzer sagen können –, um wie viel der
Haushalt angewachsen ist .


(Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Ich wollte es verständlich sagen!)


Natürlich haben wir das nicht übersehen . Aber ich will
Ihnen anhand meiner Beispiele deutlich machen, dass es
in zentralen Punkten dieses Haushalts keine herausforde-
rungsgerechte Ausfinanzierung gibt.

Ich beginne mit der Nationalen Stelle zur Verhütung
von Folter in Wiesbaden, die Deutschland auf der Basis
des Zusatzprotokolls zum Übereinkommen der Vereinten
Nationen gegen Folter und andere grausame, unmensch-
liche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe errich-
tet hat . Folter ist ein Grund, warum Menschen aus vielen
Ländern nach Deutschland flüchten. Deswegen ist es gut,
dass wir die Nationale Stelle haben . Es handelt sich um
eine unabhängige nationale Einrichtung zur Prävention
von Folter und Misshandlung . Sie erfüllt sehr wichtige
Aufgaben und soll regelmäßig Orte des Freiheitsentzugs
aufsuchen, um dort zu überprüfen, inwieweit Menschen-
rechte eingehalten werden bzw . erniedrigende Behand-
lung von Menschen stattfindet. Sie soll auf Missstände
aufmerksam machen, Verbesserungsvorschläge unter-
breiten und darüber unter anderem hier im Deutschen
Bundestag berichten . Diese Stelle müsste eigentlich un-
angemeldet die entsprechenden Einrichtungen besuchen .
Aber das kann sie aufgrund der personellen Ausstattung
leider nicht tun .

An dieser Stelle sage ich: Für uns ist es nicht hin-
nehmbar, dass diese Nationale Stelle in finanzieller Hin-
sicht nicht aufgabengerecht ausgestattet wird . Sie haben
sich im vergangenen Jahr, Herr Bundesminister, feiern
lassen, als Sie uns erklärten, dass der Bundesanteil auf
180 000 Euro aufgestockt werden soll . Sie legen uns nun
erneut einen Haushalt vor, der diese Aufstockung nicht
nachvollzieht . Das ermöglicht den Ländern die Ausrede,
ihren Anteil nicht aufzustocken . Dabei ist gesetzlich vor-
geschrieben, wie die Aufstockung zu erfolgen hat .

Somit ist die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter
mit Sitz in Wiesbaden eben nicht ausreichend ausgestat-
tet, und das ist für die Linke nicht akzeptabel . Wir wer-
den beantragen, das zu ändern . Deutschland kritisieren
im Übrigen auch die Vereinten Nationen, die in ihrer letz-
ten Überprüfung auf diese finanzielle Ausstattung hinge-
wiesen haben .

Der zweite Punkt, auf den ich aufmerksam machen
möchte, ist der Umgang mit Stiftungen . Es gibt in Bonn
die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zu-
sammenarbeit, IRZ. Es ist gut, dass es diese Stiftung gibt;
denn diese Stiftung berät unter anderem osteuropäische
und südosteuropäische Länder in Sachen Demokratie
und in Sachen Marktwirtschaft . Ich sage, auch dabei geht
es darum, dass Menschen auf der Flucht nach Deutsch-
land sind, und deswegen brauchen wir diese Beratung .
Insofern ist es gut, dass diese Stiftung von der Bundes-
regierung mit Beträgen in Millionenhöhe gefördert wird
und dass es im nächsten Jahr sogar eine Aufstockung der
Finanzen dieser Stiftung auf 5,5 Millionen Euro geben
wird .

Im Gegensatz dazu steht zum Beispiel die Arbeit der
Bundesstiftung Magnus Hirschfeld . Diese Stiftung ist
2011 gegründet worden und finanziert sich lediglich aus
den Erlösen des Stiftungskapitals . Die Zinsen sind im
Moment so niedrig, dass die Erlöse, die die Stiftung er-
zielt, nicht einmal ansatzweise ausreichen, um die vielen
Aufgaben, die die Stiftung erfüllt, finanzieren zu können.

Es ist wichtig und sehr gut, dass wir diese Stiftung ha-
ben; denn nichtheterosexuelle Orientierung, nichthetero-
sexuelle Identität stehen in Ländern wie Afghanistan, Irak
oder Syrien entweder unter Strafe oder unter erheblicher
gesellschaftlicher Ächtung und sind daher Fluchtgründe .
Deswegen ist es gut, dass wir eine Stiftung haben, die
sich um die Schaffung von Akzeptanz von Menschen mit
einer nichtheterosexuellen Orientierung kümmert.

Die Projekte, die diese Stiftung umsetzt, sind unter
anderem das Archiv der anderen Erinnerungen, wo das
Unrecht durch Verurteilung nach § 175 StGB aufgear-
beitet werden soll, zahlreiche Projekte zur Akzeptanz ge-
schlechtlicher und sexueller Diversität sowie die aktive
Bekämpfung von Homophobie, beispielsweise im Sport .
Das Projekt „Fußball für Vielfalt“ will ich hier nennen .
Bekannter Botschafter dieses Projekts ist etwa der ehe-
malige Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger .
Hinzu kommen Hirschfeld-Tage und umfangreiche Pu-
blikationen, durch die Bildungs- und Aufklärungsarbeit
geleistet wird . Diese Liste ließe sich fortsetzen .

Die Arbeit dieser Stiftung wird lediglich mit einem
Geschäftsführer und gegenwärtig drei halben Referen-
ten- bzw . Sachbearbeiterstellen geleistet . Der Rest ist
Ehrenamt. Ich finde, das ist eine Ungleichbehandlung,
die wir nicht akzeptieren können .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage deutlich: Ich neide der IRZ überhaupt nicht die
ihr zur Verfügung stehen Millionen, im Gegenteil . Meine
Fraktionskollegin Frau Dr . Lötzsch, die im Kuratorium
der IRZ sitzt, würde mir den Kopf abreißen, wenn ich an
dieser Stelle etwas anderes sagen würde . Aber ich ver-






(A) (C)



(B) (D)


lange eine Gleichbehandlung dieser Stiftung und damit
entweder eine erhebliche Erhöhung des Stiftungskapitals
für die Magnus-Hirschfeld-Stiftung oder eine auskömm-
liche institutionelle Förderung .

Erlauben Sie mir, dass ich abschließend dem Ge-
schäftsführer der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld,
Herrn Litwinschuh, und seinen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern sehr herzlich für diese umfangreiche Arbeit
für so wenig Geld danke . Ich denke, auch das ist einmal
einen Beifall dieses Hauses wert .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Da kann sogar die Union klatschen . – Denn im Kura-
torium dieser Stiftung sitzen sehr aktive und engagierte
Mitarbeiter .

Last, but not least: Zum Leben zu wenig, zum Ster-
ben zu viel . Der Einzelplan 07 wird aus unserer Sicht den
Anforderungen nicht gerecht . Die Linke wird in den Aus-
schüssen entsprechende Änderungsanträge unterbreiten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811906900

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Mechthild

Heil .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1811907000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Gute Politik muss nicht immer viel kosten .
Mit rund 736 Millionen Euro hat das Bundesministerium
der Justiz und für Verbraucherschutz den kleinsten Etat
aller Ministerien. Ich sage „klein, aber fein“; denn gute
Verbraucherpolitik hängt nicht immer von einem großen
Budget ab . Sie hängt ab von einer guten Gesetzgebung –
klar, gute Gesetzgebung; das hilft immer –; aber wir ha-
ben auch andere Mittel, um die Position der Verbraucher
in Deutschland zu stärken . Das tun wir im Verbund mit
vielen Initiativen aus der Zivilgesellschaft, von Verbän-
den und der Wirtschaft . Gemeinsam kommen wir da ein
gutes Stück voran . Deswegen an dieser Stelle ihnen al-
len, die sie dabei helfen, einmal ein herzliches Danke-
schön für ihre Arbeit und die wichtigen Beiträge, die sie
uns im Bereich der Verbraucherpolitik liefern .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Bärbel Bas [SPD])


Aber: Schuster, bleib bei deinem Leisten . – Wie sieht
es mit unseren Aufgaben aus? Als Gesetzgeber haben wir
die Weichen für mehr Verbraucherschutz gestellt . Wir
haben die Marktwächter eingeführt, digitalen und finan-
ziellen Verbraucherschutz damit auf den Weg gebracht .
Das haben wir im Koalitionsvertrag so festgeschrieben,
und so haben wir das auch umgesetzt . Heute stehen im
Haushaltsplan dafür immerhin 10 Millionen Euro zur
Verfügung . Und: Das Kleinanlegerschutzgesetz haben
wir schon verabschiedet . Praktiken, wie sie Prokon in

der Öffentlichkeit betrieben hat, wollen wir nicht mehr
sehen . Auf manchen Märkten müssen Verbraucher halt
mehr geschützt werden als auf anderen Märkten .

Die Umsetzung der ADR-Richtlinie – das Schlich-
tungsverfahren in Verbraucherangelegenheiten – steht
noch vor uns . Mit der außergerichtlichen Streit-
schlichtung wollen wir aufwendige Rechtsstreitigkeiten
zwischen Unternehmen und Verbrauchern vermeiden .
Gerichte werden entlastet, und Kunden kommen unbü-
rokratisch und kostengünstig zu ihrem Recht . Der Auf-
bau und der Betrieb der Schlichtungsstellen ist Sache der
Länder . Inwieweit der Bund an dieser Stelle koordinie-
rend eingreifen sollte, werden wir im weiteren Verfahren
zu diskutieren haben . Mir liegt daran, im Sinne der Ver-
braucher bundesweit einheitliche Strukturen zu schaffen
und die Schlichtungsstellen so schnell wie möglich und
auch so flächendeckend, wie es irgend geht, ans Arbeiten
zu bringen .

Welche Themen sind derzeit für Verbraucher interes-
sant? Ich möchte Ihnen vier Themen nennen, die aktuell
auch auf meiner Agenda stehen:

Da wäre zunächst einmal die Tachomanipulation zu
nennen, die Tachomanipulation auf dem Gebrauchtwa-
genmarkt . Nach Schätzungen vom ADAC ist jeder dritte
Tacho manipuliert . Der dadurch entstandene Schaden be-
läuft sich jährlich auf rund 8 Milliarden Euro – 8 Milliar-
den Euro, die die Kunden zu viel bezahlen .

Was können wir dagegen unternehmen? Wie können
wir die Verbraucher vor dieser offenbar weitverbreiteten
Praxis besser schützen? Ich habe dazu die verschiedenen
Akteure – Hersteller, Werkstätten, TÜV, Dekra und viele
andere mehr – zu einem runden Tisch eingeladen, und
gemeinsam haben wir darüber diskutiert und auch Maß-
nahmen erarbeitet .

An erster Stelle zu nennen sind härtere Strafen für die
Manipulierer, aber auch eine Verpflichtung der Herstel-
ler, sichere Chips einzubauen . Die Hersteller könnten
das, aber seit Jahren und Jahrzehnten tun sie es nicht .

Das wichtigste Instrument: die Einführung einer Da-
tenbank für die Laufleistung der Autos auf freiwilliger
Basis . In Ländern wie Belgien oder den USA hat sich
die Zahl der Missbrauchsfälle dadurch deutlich reduziert .
Wie soll das genau funktionieren? Sobald man in eine
Werkstatt fährt, zum TÜV, zur ASU, die Reifen wechseln
lässt, eine Scheibe reparieren lässt, abgeschleppt wird,
eine Panne hat, sich bei der Versicherung meldet oder
was auch immer mit seinem Auto macht: Der Kilometer-
stand wird erfasst, und es wird freiwillig der Lebenslauf
des Wagens gespeichert . Wenn der Wagen dann verkauft
werden soll, hat man eine lückenlose Dokumentation .
Eine Manipulation am Kilometerzähler wird deutlich er-
schwert .

Die CDU/CSU-Arbeitsgruppe Verkehr erarbeitet des-
halb aktuell einen Gesetzentwurf oder eine Gesetzesän-
derung . Da kann ich als verbraucherpolitische Sprecherin
nur sagen: Das ist eine klasse Zusammenarbeit mit den
Kollegen . Vielen Dank dafür! Es ist auch wirklich eine
gute Verbraucherpolitik, die wir da machen . Sie hilft den
Verbrauchern direkt . Sie hilft den redlichen Händlern,

Harald Petzold (Havelland)







(A) (C)



(B) (D)


sorgt für einen fairen Wettbewerb und verhindert natür-
lich auch Schäden an der Volkswirtschaft .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin deswegen auch wirklich zuversichtlich, dass so
den Käufern von Gebrauchtwagen oder Nutzern von
Leasingfahrzeugen – in dem Bereich ist das auch ein gro-
ßes Problem – konkret geholfen werden kann .

Ein weiteres Thema, das mich umtreibt, möchte ich
gern ansprechen: die mangelnde Augenhöhe zwischen
Anbietern und Kunden im Finanzmarkt . Wir haben in
den letzten Jahren viele Maßnahmen ergriffen, um für
die Verbraucher Licht ins Dunkel der Finanzanlagen zu
bringen . Wir haben Informations- und Dokumentations-
pflichten für Unternehmen eingeführt. Wir haben über
deren Haftung gesprochen . Das ging hin bis zur Einfüh-
rung des Finanzmarktwächters oder des Kleinanleger-
schutzgesetzes .

Ich möchte auf diesem Weg weitergehen, aber an einer
anderen Stelle ansetzen, nämlich einen Schritt vorher,
beim Verbraucher selbst . Die Altersvorsorge und siche-
re Geldanlagen sind von zentraler Bedeutung für jeden
Verbraucher . Damit jeder Verbraucher entscheiden kann,
was für ihn eine gute und sinnvolle Geldanlage oder Al-
tersvorsorge ist, benötigt er gute und strukturierte Infor-
mationen .

Aber er muss auch mit den Informationen umgehen
können, er muss sie verstehen und bewerten können .
Verbraucherfinanzbildung – so möchte ich es einmal
nennen – wird in den kommenden Jahren ein wichtiges
Thema sein . Es gibt bereits viele Initiativen: von Finan-
zinstituten über Präventionsnetzwerke bis zu Schuldner-
hilfen, die die Kompetenz der Verbraucher, insbesondere
der jungen Verbraucher, stärken sollen und wollen . Das
finde ich toll. Aber wer findet sich bei diesen ganzen Ini-
tiativen noch zurecht? Ich möchte deshalb – dafür werbe
ich an dieser Stelle – eine zentrale Anlaufstelle im Inter-
net schaffen, auf der man auf einen Blick die für seine
Altersgruppe oder Lebensphase relevanten und vorhan-
denen Angebote finden kann. Das Ganze könnte FiWiKo
heißen: Bundesnetzwerk Finanz- und Wirtschaftskompe-
tenz . Wer könnte ein solches Portal betreiben? Ich denke,
die Stiftung Warentest, Finanztest, wäre hierfür ein guter
Ort, und ich finde, die Haushaltsberatungen sind eine
gute Stelle, darüber zu diskutieren und nachzudenken .

Die Idee hat auch Einzug in ein Papier der CDU, in
das Papier der Kommission für Nachhaltigkeit, gefun-
den . Unter der Leitung von Julia Klöckner wurde es er-
arbeitet und soll im Dezember auf dem Bundesparteitag
verabschiedet werden . Ich hoffe, dass es so beschlossen
wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte Ihnen einen dritten Bereich in der Verbrau-
cherpolitik nennen, der mir wichtig ist . Er gehört zwar
nicht direkt zum Einzelplan 07, ist aber Kern der Ver-
braucherpolitik . Das ist die Ernährungspolitik . Ich hatte
vorhin gesagt, dass sich gute Politik nicht an der Höhe
der Haushaltsmittel bemessen lässt . Gute Politik besteht
auch nicht nur darin, Gesetze zu machen . Ich stimme
deshalb Bundesernährungsminister Christian Schmidt

zu, wenn er sagt, er wolle den Teller nicht mit Gesetzen
vollpacken .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das lustig!)


Wir können unsere ernährungs- und gesundheitspoli-
tischen Herausforderungen nicht nur mit Gesetzen und
Verboten lösen . Werbeverbote, sei es für Kindernahrung
oder für Genussmittel, sind für mich eindeutig der falsche
Weg . Stattdessen wollen wir die Ernährungskompetenz
stärken . Bundesminister Schmidt hat angekündigt, seine
Bildungsinitiative im Bereich Ernährung für Kinder und
Jugendliche auszubauen . Nur so können wir sie zu einem
gesunden Lebensstil motivieren .


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Wir sind beim Einzelplan 07!)


Als vierten und letzten Bereich möchte ich den Bereich
Digitalisierung ansprechen . Die Digitalisierung schreitet
voran . Wir sehen einen Trend weg vom Eigentum hin zur
Nutzung . Es wird verliehen, geteilt und wieder verkauft .
Der Bereich der Share Economy wächst . Das Internet
macht das Zusammentreffen von Anbietern und Nach-
fragern so leicht wie nie zuvor . So sind Carsharing oder
Unterkunftsbörsen Modelle, die bereits heute von vielen
Menschen genutzt werden . Das bringt viele Vorteile mit
sich . So habe ich heute mehr Wahlmöglichkeiten, um von
A nach B zu kommen . Aber es birgt auch Risiken . Uber
und Co . stellen uns vor neue Fragen: Ist der Nachweis
von Ortskenntnis notwendig, wenn ich ein Navigations-
gerät habe? Wie muss der Sachkundenachweis gestaltet
werden? Wie sind die Insassen im Schadensfall abgesi-
chert? Wem gehören die erfassten Daten, und wie wer-
den sie genutzt? Ganz neue Fragen stellen sich auch bei
den Unterkunftsbörsen, die sich neben den traditionellen
Hotels und Jugendherbergen etabliert haben: Ab wann
handelt es sich um eine gewerbliche Nutzung? Wie sieht
es im Schadensfall mit der Versicherung aus? – Uns als
CDU/CSU-Fraktion sind diese Fragen wichtig . Sie müs-
sen immer im Ausgleich der Interessen von Verbrauchern
und Wirtschaft gelöst werden .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, an den von
mir genannten vier Beispielen können Sie sehen: Die
Bereiche, die Verbraucherpolitik im 21 . Jahrhundert um-
fasst, sind sehr vielfältig . Es gibt Themen, an die wir vor
einigen Jahren überhaupt noch nicht gedacht haben . So
befindet sich unsere Verbraucherpolitik in einem stetigen
Wandel, bei dem wir immer abwägen müssen, wo Regu-
lierung sinnvoll und notwendig ist und wo die Freiheits-
rechte des Einzelnen zu stark beschränkt werden . Das
gilt im Finanzmarkt genauso wie im Ernährungsbereich .
Gute Verbraucherpolitik ist mehr als nur Verordnung,
Gesetz und Haushaltsmittel . Es gibt verschiedene Mög-
lichkeiten, die Verbraucher und ihre Rechte zu stärken .
Wir nutzen all diese Möglichkeiten . Wir nutzen sie er-
folgreich . So sieht nachhaltige Verbraucherpolitik aus .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mechthild Heil






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811907100

Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Maisch für

Bündnis 90/Die Grünen .


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811907200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr

Minister! Frau Heil, ich finde es schon eigenartig, dass
offensichtlich selbst die Union glaubt, dass Herr Maas als
Verbraucherschutzminister nun auch Ernährungsthemen
behandeln muss. Ich finde, das soll man ihm nicht auch
noch aufbürden . Da könnte Herr Schmidt doch auch ein-
mal selbst aktiv werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Mechthild Heil [CDU/CSU]: Sie sollten meine Rede noch einmal nachlesen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ansonsten haben
Sie sich kräftig auf die eigene Schulter geklopft . Zuletzt
hat dies der Kollege Rohde getan, als er die Erhöhung
der Mittel für die Information der Verbraucherinnen
und Verbraucher um 4 Millionen Euro gelobt hat . Man
muss sagen, eine Erhöhung klingt zunächst einmal nicht
schlecht . Wenn man sich dann aber einmal genau an-
schaut, was Sie alles in diesen armen kleinen Haushalts-
titel gequetscht haben, dann sieht das doch gleich viel
weniger üppig aus .


(Beifall des Abg . Harald Petzold [DIE LINKE])


10 Millionen Euro von diesen 16 Millionen Euro sind
allein für die Marktwächter Finanzen und Digitales ver-
anschlagt . Wir müssen sagen: Das sind gut investierte
10 Millionen Euro . Die Grünen haben diese Idee schon
seit Jahren . 2008, als die SPD konzeptionell noch am
„Münte-TÜV“ festgehalten hat, haben wir schon den
Marktwächter gefordert . Nun wird er eingeführt . Das ist
gut, aber das kann es nicht gewesen sein beim Thema
Verbraucherinformation .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns einmal an, wie viel für alle anderen
Projekte zur Verbraucherinformation und -aufklärung
übrig ist – für Gesundheit, für nachhaltigen Konsum,
für Telekommunikation außerhalb des Internets –, dann
stellen wir fest, dass das nur noch 6,8 Millionen Euro
sind . Das ist wirklich zu wenig, liebe Kolleginnen und
Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Als wir noch gemeinsam in der Opposition saßen, war
es immer unsere gemeinsame Position, dass die Markt-
wächter als zusätzliche Struktur anzusehen sind . Wir
finden, diese Zusätzlichkeit, dieses zusätzliche Angebot
an die Verbraucherinnen und Verbraucher muss sich auch
im Haushalt widerspiegeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Da wir gerade bei den Marktwächtern sind: Ich finde,
wenn man eine so gute Idee hat und diese dann auch in

den Koalitionsvertrag hineinboxt, dann muss man diese
gute Idee auch richtig umsetzen . Was den Haushalt an-
geht, bedeutet das, dass wir kein befristetes Projekt, son-
dern eine institutionelle Förderung brauchen .

Die Befristung, die von Ihnen immer wieder so ange-
legt wird, zeigt doch, dass die Union nur darauf wartet,
die Marktwächter wieder loszuwerden . Sie wollten sie
nie . Ich glaube, der Hintergedanke ist, dass man diese
möglichst schnell wieder loswerden will .

Verlässliche Mittel sind aber leider nicht das einzige,
was den Marktwächtern in der schwarz-roten Version
noch fehlt . Wir brauchen dringend ein institutionelles
Bindeglied zwischen der Finanzaufsicht und den Markt-
wächtern . Wir wissen, in einem Rechtsstaat kann der
Wachhund nur bellen . Beißen muss die Aufsicht . Es fehlt
jedoch an einer institutionellen Verzahnung . Hier sollten
Sie nacharbeiten, damit die 10 Millionen Euro auch wirk-
lich wirksam werden .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben mit dem Kleinanlegerschutzgesetz mit Ih-
rer Mehrheit ein neues Aufsichtsziel bei der BaFin etab-
liert . Das haben wir immer unterstützt . Das müssen Sie
jetzt aber auch strukturell mit Leben füllen . Das darf
nicht irgendwie als Querschnittsaufgabe miterledigt wer-
den, sondern es bedarf angemessener Ressourcen und
hochrangigen Personals in der Behörde, damit das nicht
nur auf dem Papier steht, sondern auch in der Behörden-
wirklichkeit gelebt wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Kollegin Heil hat mit ihren interessanten Ausfüh-
rungen zum Thema „manipulierte Tachos“ ein gesell-
schaftliches Großthema angesprochen . Ich möchte daher
auch noch erwähnen, was wir als verbraucherpolitische
Großthemen ansehen, bei denen wir finden, dass Sie dazu
bisher nicht viel vorzuweisen haben .


(Mechthild Heil [CDU/CSU]: Sagen Sie etwas zur Ernährung!)


Sie haben etwas zum Thema Finanzmarkt unternom-
men . Das sehen wir auch . Man kann sich vielleicht noch
darüber streiten, wie man es besser machen kann . Es gibt
aber drei Themen, die Sie bisher gar nicht beackert ha-
ben .

Dies betrifft zunächst den nachhaltigen Konsum . Da-
bei ist seit vielen Jahren, eigentlich seitdem Renate auf-
grund blöder Mehrheiten leider etwas anderes machen
muss, wirklich nichts mehr passiert .


(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat das so entschieden?)


Wo sind denn Ihre Ansätze zur Eindämmung der Sie-
gelflut? Was haben Sie denn zum Thema „geplante Ob-
soleszenz“ zu sagen?


(Zurufe von der CDU/CSU)


– Offensichtlich regt Sie das furchtbar auf . Sie könnten
aber auch einmal antworten . Was haben Sie denn zum
Thema „geplante Obsoleszenz“ zu sagen?






(A) (C)



(B) (D)



(Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Es geht um das Wort „blöd“! – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sie können doch nicht die Wähler als blöd bezeichnen!)


– Das habe ich auch nicht gemacht . Stellen Sie doch eine
Zwischenfrage und pöbeln Sie nicht . Das wäre doch ein
angemessener Umgang .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wie schätzen Sie denn das Potenzial grüner Geldan-
lagen für die Transformation unserer Wirtschaft ein? Wo
sind Ihre Antworten darauf? Dazu haben wir seit vielen
Jahren keine Antwort von Ihnen gehört .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [DIE LINKE])


Wir finden, wenn Sie sich mit dem Thema Verhaltens-
ökonomie befassen, müssen Sie auch die Frage beant-
worten, was diese für nachhaltige Konsummuster leisten
können muss . Die Umwelt ist eine große Leerstelle in der
sozialdemokratischen Politik in dieser Legislaturperiode .
Das gilt leider nicht nur für das Verbraucherschutzminis-
terium, sondern auch für andere Ressorts .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Punkt, den ich wichtig finde und den ein
Verbraucherschutz- und Justizminister meines Erachtens
bearbeiten müsste, bezieht sich auf Big Data . Natürlich
ist es schwer, wenn man gerade die Vorratsdatenspei-
cherung und damit quasi staatliches Schnüffeln etabliert
hat, sich dann Gedanken zu machen, wie man die Bürger
davor schützen kann, seitens der Privatwirtschaft ausge-
schnüffelt zu werden . Trotzdem erwarte ich von diesem
Minister, dass er sich Gedanken macht und dass er Vor-
schläge macht, wie wir mit dieser allumfassenden Da-
tensammlung über unser persönliches Leben umgehen .
Das fängt ja an bei den smarten kleinen Armbändern,
die Herzschlag, Bewegung, Kalorienverbrauch und alles
Mögliche messen . Was passiert mit diesen Daten?


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Direkt an die NSA!)


Welche Versicherungskonzerne interessieren sich dafür?
Wer hat Interesse an diesen Daten? Sie glauben doch
selbst nicht, dass die einfach auf Jahre hin ungenutzt bei
den Konzernen liegen . Wenn Sie das doch glauben, zeigt
das, dass in diesem Bereich bei der Union offensichtlich
eine Leerstelle an Diskurs besteht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit zwei E oder mit H?)


Ein Punkt, bei dem Frau Heil und ich uns vielleicht
sogar einig sind, ist, dass, wie wir beide finden, die neue
Rolle der Verbraucherinnen und Verbraucher in der Sha-
ring Economy diskutiert werden muss . Wenn Sie aber
sagen: „Das ist uns sehr wichtig . Wir haben uns darüber
Gedanken gemacht“, dann frage ich mich schon, warum

wir diese ganzen guten Gedanken nicht kennen . Die Le-
gislatur läuft nicht erst seit gestern, und so könnte man
allmählich einmal damit anfangen, konkrete Projekte zu
diskutieren .


(Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Und dann nennen Sie uns dumm!)


Es gibt das Kleinanlegerschutzgesetz . Da hat man einen
ersten Schritt getan und sich überlegt, was man beim
Thema Crowdfunding regulieren kann . Man könnte da
ganz konkret in die politische Debatte einsteigen . Außer
Überschriften habe ich aber von Ihnen nichts gehört . Da-
bei sind Sie ja auch nicht erst seit gestern verbraucherpo-
litische Sprecherin .

All das ist, wie wir finden, ein bisschen dürftig. Bei
den Zukunftsthemen, bei den wirklich großen Debatten –
Big Data, Sharing Economy, nachhaltiger Konsum –,
da sind Sie blank ohne Ende, und das finde ich ziemlich
traurig .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!)


Vielleicht ein letzter Wunsch: Das mit den Tachos fin-
de ich super, aber Big Data, Sharing Economy, nachhalti-
ger Konsum fänden wir noch ein bisschen wichtiger .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie sollten nicht von sich auf andere schließen!)


Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811907300

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Johannes Fechner

für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1811907400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur

Halbzeit der Legislaturperiode können wir festhalten,
dass die Große Koalition in der Rechtspolitik enorm viel
geleistet hat, viele wichtige Gesetze beschlossen hat, die
von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen werden
und die ihnen unmittelbare Vorteile bringen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche denn?)


Ein erstes Beispiel ist die Änderung des Maklerrech-
tes . Nun hat der Besteller den Makler zu bezahlen .


(Beifall der Abg . Dr . Katarina Barley [SPD])


Mit der Mietpreisbremse bewahren wir die Mieterinnen
und Mieter vor explodierenden Mieten. Wir haben mit
der Frauenquote ein wichtiges Stück Gleichberechtigung
in der Privatwirtschaft geschaffen,

Nicole Maisch






(A) (C)



(B) (D)



(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt tun Sie wieder so, als seien Sie der Erfinder der Frauenquote!)


und im Strafrecht haben wir Strafbarkeitslücken ge-
schlossen, um Kinder und Jugendliche besser vor Miss-
brauch zu schützen .

Zur Halbzeit der Legislaturperiode ist also festzuhal-
ten: Wir haben in diesen beiden Jahren viel erreicht für
die Bürgerinnen und Bürger . Mein Dank geht an unseren
äußerst aktiven Justizminister


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und an alle, die intensiv an diesen Gesetzgebungsprozes-
sen mitgewirkt haben . Es waren zwei gute und erfolgrei-
che Jahre für die Rechtspolitik,


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Und den Verbraucherschutz!)


und wir haben weiterhin viel vor .

Ich will aber nicht verschweigen, dass die SPD-Frakti-
on in einigen Bereichen auch gerne mehr getan hätte . Wir
hätten gerne die Ehe für alle eingeführt,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


wir hätten gerne die Mietpreisbremse umfangreicher ge-
staltet, und wir hätten im Verbraucherschutz gerne einen
gesetzlichen Deckel für die teilweise astronomisch ge-
stiegenen Dispozinsen geschaffen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber diese Regelungen hier sind sinnvoll und wichtig .
Deswegen werden wir bei diesen Themen weiter am Ball
bleiben .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben auch in der zweiten Halbzeit dieser Legis-
laturperiode noch viel vor . Wir wollen mit den Kollegen
vom Sport ein Anti-Doping-Gesetz verabschieden, mit
dem wir den Betrug im Sport endlich auch in Deutsch-
land effektiv bekämpfen können . Wir wollen noch mehr
für Mieterinnen und Mieter tun, indem wir die Berech-
nung der Mietspiegel auf eine breitere Basis stellen . Und
wir wollen die kleinen und mittleren Handwerksbetriebe
entlasten und ihnen helfen bzw . sie unterstützen, indem
wir den sogenannten Handwerkerregress regeln, damit
Handwerker, wenn sie mangelhaftes Material einbauen,
nicht auf den hohen Schäden sitzen bleiben, die sie nicht
verursacht haben .


(Beifall der Abg . Dr . Katarina Barley [SPD])


Handeln müssen wir auch, wenn es darum geht, Men-
schen zu schützen, die in einer wehrlosen Lage sind, die
ausgebeutet werden . Wenn bei uns in Deutschland Men-
schen ausgebeutet werden, etwa durch Zwangsprostituti-
on, dann müssen wir handeln . Ich hoffe, dass wir schon
bald eine sinnvolle strafrechtliche Regelung für diese
Fälle beschließen, und zwar für alle Fälle unmenschlicher
Ausbeutung: Menschenhandel, Zwangsprostitution und
Ausbeutung jeglicher Art darf es in Deutschland nicht

geben . Jeder, der dies tut, muss hart bestraft werden . Wir
schaffen dafür die strafrechtlichen Voraussetzungen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Allerdings helfen bekanntlich die besten Gesetze
nichts, wenn wir zu wenig Personal zu ihrer Umsetzung
haben . Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass auf un-
seren Vorschlag hin 3 000 Stellen bei der Bundespolizei
und weitere 1 000 Stellen beim Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge geschaffen werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Angesichts der zunehmenden Ermittlungsverfahren im
Bereich des islamistischen Terrorismus – Kollege Rohde
hat schon darauf hingewiesen – ist auch wichtig, dass im
Haushalt neue Stellen für den Generalbundesanwalt be-
willigt wurden .

Und wir stärken den Verbraucherschutz durch 15 Stel-
len bei der Verbraucherzentrale . Zudem stärken wir den
Innovationsstandort Deutschland, indem wir 56 neue
Stellen beim Deutschen Patent- und Markenamt schaf-
fen . Das alles zeigt, dass wir bei diesen Behörden für
mehr Personal sorgen, damit diese ihre wichtigen Aufga-
ben effektiv wahrnehmen können .

Nicht ausreichend ist aus meiner Sicht die Personal-
ausstattung beim Bundesgerichtshof, und zwar einerseits
bei den Zivilsenaten aufgrund einer deutlichen Erhöhung
der Anzahl der Verfahren durch die ZPO-Reform und
andererseits bei den Ermittlungsrichtern, weil die Ein-
gangszahlen bei Verfahren im Bereich des islamistischen
Terrorismus deutlich angestiegen sind . Hier besteht in
den Haushaltsberatungen Handlungsbedarf .

Zum Schluss: Zu Recht steht im Mittelpunkt der po-
litischen Diskussion derzeit die große Zahl an Flüchtlin-
gen . Ein ausdrückliches Lob an den Justizminister, der in
dieser Frage immer klar und deutlich Stellung bezogen
hat gegen Fremdenfeindlichkeit . Ich fand, das war vor-
bildlich . Vielen Dank hierfür .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Leider kam und kommt es in Deutschland zu häufig
zu fremdenfeindlichen Aktionen gegen Flüchtlinge . Ich
glaube, es war richtig, dass wir eine härtere Bestrafung
dieser Hasskriminalität ermöglicht haben durch einen
neuen Strafzumessungsgrund, damit Rassisten stärker
bestraft werden können, wenn sie Flüchtlinge angreifen,
Unterkünfte in Brand stecken oder in diesem unsägli-
chen Umfang, wie wir ihn leider in Onlineforen erleben,
menschenverachtende Hetze verbreiten . Das können wir
nicht dulden, und es war richtig, hier das Strafgesetzbuch
zu verschärfen und entsprechend abzuändern .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr . Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811907500

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr . Volker

Ullrich .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1811907600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren!


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Was sagt der Tacho?)


Die Debatte um die Rechtspolitik steht im Mittelpunkt
der Diskussion um den Einzelplan 07, und sie ist auch
stets eine Standortbestimmung in der Frage: Welche De-
fizite haben wir in der Rechtsetzung, und wo muss der
wertgebundene und wehrhafte Rechtsstaat nachsteuern,
um ein wesentliches Ordnungsmerkmal unserer freiheit-
lich-demokratischen Grundordnung zu bewahren, näm-
lich Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten? Dazu gehört,
dass wir in der nächsten Sitzungswoche bereits den Ge-
setzentwurf über die Speicherung von Verbindungsdaten
verabschieden .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird den Rechtsstaat retten!)


Wir haben stets darauf hingewiesen, dass zur Aufklä-
rung schwerer und schwerster Straftaten der wehrhafte
Rechtsstaat Ermittlungsansätze nutzen muss, die sich in
der digitalen Sphäre befinden, weil oftmals digitale Spu-
ren der einzige Ermittlungsansatz sind und wir den Straf-
verfolgungsbehörden zumindest Waffengleichheit mit
den Straftätern und damit Chancengleichheit zugestehen
müssen . Das ist eine wesentliche Kernforderung unserer
Justizpolitik .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Debatte darf aber auch heute nicht geführt wer-
den, ohne auf die Vorkommnisse der letzten Wochen
und Monate hinzuweisen . Es ist in vielerlei Umständen
zu unerträglichen Ausschreitungen und Äußerungen von
Hass, zu Hetze und zu Gewaltaufrufen gekommen . Es ist
richtig – und da sind wir uns hier in diesem Hohen Hause
einig –, dass der wehrhafte Rechtsstaat, alle demokrati-
schen Parteien in diesem Bundestag, Gewalt, Hetze und
Hass gegen Schwache und Verstöße gegen die Würde des
Menschen auf das Schärfste verurteilen . Dazu gibt und
darf es keine Alternative geben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben im Frühjahr dieses Jahres den § 46 des
Strafgesetzbuches reformiert und deutlich gemacht, dass
rassistische, fremdenfeindliche und sonstige menschen-
verachtende Beweggründe strafschärfend zu berücksich-
tigen sind . Einige haben damals angeführt, das sei doch
nur Symbolpolitik, man bräuchte diese Regelung gar
nicht .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab sie vorher schon!)


Aber die Ereignisse der letzten Tage und Wochen haben
bewiesen, dass der wehrhafte Rechtsstaat auch diese
Strafzumessungsvorschriften braucht, weil er damit ein

klares Signal aussendet, dass wir diese Umtriebe in die-
sem Land nicht dulden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon einmal ins Strafgesetzbuch geschaut?)


In diesem Zusammenhang darf ich Ihnen, Herr Bun-
desminister Maas, für unsere Fraktion die vollste Unter-
stützung zusagen, wenn es darum geht, gegenüber Face-
book, Twitter und anderen sozialen Netzwerken klar und
deutlich zu sagen, dass Hass und Hetze sowie Aufrufe zu
Gewalt in diesem Bereich nichts verloren haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sicherlich ist festzustellen, dass die Meinungsfreiheit
ein hohes Gut ist und dass es auch in diesem Land er-
laubt sein mag, unsinnige oder gar absurde Meinungen
zu äußern. Aber die Meinungsfreiheit findet ihre Gren-
zen im Recht des anderen, dort, wo die Ehre, die Wür-
de des Menschen durch Straftatbestände verletzt sind .
Soziale Netzwerke mögen in einem anderen Land, aus
einem anderen Rechtskreis heraus betrieben werden; sie
stehen aber nicht außerhalb des Rechts, sondern müssen
sich an das halten, was sie selbst in ihren Allgemeinen
Geschäftsbedingungen vorschreiben und was letzten En-
des der Anstand gebietet: dass diese Kommentare ohne
weitere Umstände gelöscht werden und dass das Internet
kein Raum sein darf, in dem Hass und Gewaltfantasien
ausgelebt werden .

Wir dürfen es aber nicht bei Appellen belassen . Wir
dürfen nicht nur die sozialen Netzwerke bitten, entspre-
chende Stellen zu löschen, sondern müssen auch dafür
Sorge tragen, dass die Strafverfolgungsbehörden ent-
sprechenden Hinweisen nachgehen können, dass in den
Ländern bei Polizei und Justiz eine ordentliche Ausstat-
tung vorhanden ist, um diese Umtriebe zu verfolgen und
abzustellen . Auch das gebietet der wehrhafte Rechtsstaat .

Ich glaube, wir müssen noch weiter gehen . Aus mei-
ner Sicht brauchen wir auch die Wiedereinführung der
Strafbarkeit der Sympathiewerbung für Terrororganisa-
tionen . Diese Strafvorschrift ist vor 13 Jahren aus dem
Strafgesetzbuch getilgt worden .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Endlich!)


Man muss aber feststellen, dass die Umstände dieser Til-
gung möglicherweise nicht mehr in dem Maße tragen,
dass wir sie auch heute als notwendig ansehen müssen .
Meine Damen und Herren, Menschen strömen zu uns,
weil sie vor dem „Islamischen Staat“ fliehen. Diese Men-
schen sollten nicht in ein Land kommen, welches Sym-
pathiewerbung für diese Terrorbande nicht bestraft .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wer Werbung für terroristische Organisationen betreibt,
soll zukünftig wieder mit dem Staatsanwalt zu tun be-
kommen .

Wichtig ist für uns auch der Kampf gegen die Schleu-
serkriminalität .






(A) (C)



(B) (D)



(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Legale Zugangswege gibt es ja nicht mehr!)


Allein in Bayern sind 2 500 entsprechende Ermittlungs-
verfahren anhängig . Fast 700 Tatverdächtige in Sachen
Schleuserkriminalität befinden sich in Haft.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann schaffen Sie endlich legale Einreisemöglichkeiten!)


Wir haben einen überproportionalen Anstieg von Vor-
fällen, der zwischen 2010 und 2015 mittlerweile 250
Prozent beträgt . Der wehrhafte Rechtsstaat muss sich
fragen: Wie gehen wir mit einem Kriminalitätsfeld um,
welches mittlerweile zu Recht in die Nähe organisierter
Kriminalität wie Drogenhandel, Waffenhandel und Men-
schenhandel gerückt wird? Wie gehen wir mit skrupello-
sen Banden um, die ihre Geschäfte auf dem Rücken der
ärmsten Menschen machen?


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deswegen machen wir die Grenzen dicht? – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist das Beste!)


Es ist ein richtiges Signal, wenn man fordert – –


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811907700

Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Wawzyniak?


Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1811907800

Ja .


Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811907900

Keine Angst, ich frage nicht nach dem Tacho, sondern

ich frage etwas zu dem Punkt, den Sie gerade angespro-
chen haben, nämlich zur Schleuserkriminalität . Sehen
Sie es möglicherweise so, dass man den Schleusern das
Geschäftsfeld entziehen könnte, indem man legale Zu-
gangswege für Geflüchtete nach Deutschland schafft?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Alle zu uns, oder? – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Was für eine naive Vorstellung! Das ist der Wahnsinn! Das ist so naiv!)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1811908000

Frau Kollegin Wawzyniak, wir bekämpfen diese ter-

roristischen Gruppen, die mit den Ängsten und mit den
Nöten der Menschen ein Geschäft machen . Wir kämpfen
gegen die Menschen, die für viele Tausend Euros und
Dollars die Ärmsten in Lastwagen sperren und über die
Grenzen bringen oder Menschen auf Booten über das
Mittelmeer schicken .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn die Alternative? Was ist denn mit dem legalen Zugang?)


Deswegen brauchen wir eine Strafschärfung in diesem
Bereich . § 96 des Aufenthaltsgesetzes sieht als Mindest-
strafe lediglich eine Geldstrafe oder eine Strafe von ei-
nem Monat Freiheitsentzug vor . Das ist viel zu wenig .


(Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Richtig!)


Wir brauchen ein deutliches rechtspolitisches Signal,
dass Schleuserkriminalität zur Schwerkriminalität ge-
hört . Deswegen brauchen wir hier eine klare und deutli-
che Strafschärfung .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811908100

Herr Kollege, Frau Kollegin Maisch möchte ebenfalls

eine Zwischenfrage stellen .


(Dr . Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Und die blöden Mehrheiten beschimpfen!)



Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811908200

Danke, Herr Kollege, dass Sie meine Zwischenfra-

ge zulassen . – Ich würde gerne die Frage der Kollegin
Wawzyniak wiederholen, weil ich glaube, dass sie nicht
beantwortet wurde .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was sagen Sie denn zu der Alternative zum Schleu-
serunwesen, indem man legale Zuwege für die schafft,
die nach Deutschland flüchten wollen?


(Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Die haben wir doch! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir haben doch legale Wege, Frau Kollegin!)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1811908300

Frau Kollegin Maisch, man geht davon aus, dass die-

ses Jahr etwa 800 000 Menschen zu uns kommen, bei uns
Zuflucht finden und bei uns aufgenommen werden, und
zwar in einer Art und Weise, wie das kein anderes Land
auf dieser Welt tut .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil sie über Schlepper hierhergeschleppt worden sind!)


Die Menschen können über die Blaue Karte oder über
die Beschäftigungsverordnung zu uns kommen . Wir ge-
währen Hunderttausenden Menschen Asyl und Schutz
nach der Genfer Flüchtlingskonvention . Es gibt genü-
gend legale Wege, nach Deutschland, nach Europa zu
kommen .


(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was wir nicht brauchen, sind die Auswüchse des Schleu-
serunwesens . Wir bekämpfen diese Kriminalität, weil
wir die Menschen schützen wollen .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist doch wirklich zynisch! – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie kommen die über das Mittelmeer?)


Dr . Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


Ich möchte auf den Umgang mit dem Thema „Asyl
und Migration“ aus rechtspolitischer Sicht zu sprechen
kommen . Das Grundrecht auf Asyl steht vor dem Hin-
tergrund unserer Geschichte, vor dem Hintergrund der
christlichen Nächstenliebe und Humanität in keiner Wei-
se zur Disposition .


(Beifall bei der CDU/CSU – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind Sie groß bei der CDU/CSU!)


Wer aus politischen Gründen, aus rassischen Gründen
oder aus religiösen Gründen verfolgt wird, der kann zu
uns kommen, und er bekommt Schutz und Aufnahme .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn er es über das Mittelmeer schafft! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn er einen Schleuser findet!)


Die Wahrheit ist allerdings auch, dass nicht jeder, der
zu uns kommen möchte, auch zu uns kommen kann .
Nicht jeder, der bei uns ist, wird auf Dauer ein Bleibe-
recht haben . Wir müssen die rechtlichen Regelungen in
Bezug auf den Aufenthalt und die Gewährung von Asyl
und Zuflucht auf den Prüfstand stellen und dafür sorgen,
dass unser Land genügend Kapazitäten hat, um den wirk-
lich Schutzbedürftigen und den Menschen mit Bleibe-
perspektive zu helfen . Das heißt auch, dass wir diejeni-
gen, die keine Bleibeperspektive und keinen Asylgrund
haben, bitten, in ihre Heimat zurückzukehren . Nur so
können wir das Grundrecht auf Asyl auf Dauer aufrecht-
erhalten . Das ist die Kehrseite der Medaille .


(Beifall bei der CDU/CSU – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


Deutschland ist im Augenblick für viele Menschen auf
der Welt ein Sehnsuchtsort und ein Ort der Hoffnung, ein
Ort der Weltoffenheit und der Toleranz . Dazu trägt auch
unsere Verfassungsordnung bei, der ein freiheitlicher
Gedanke zugrunde liegt, die Menschen akzeptiert, ihnen
Würde und Mitgestaltung bietet, die aber auch durch ein
hohes Maß an Rechtsstaatlichkeit geprägt ist . Es ist unse-
re Aufgabe, diese Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten
und mit den notwendigen Maßnahmen zukunftsfest zu
machen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811908400

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Elvira

Drobinski-Weiß .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU])



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1811908500

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Herr Minister Maas! Uns alle beschäftigen in diesen
Tagen die Bilder von Asylsuchenden in vollgestopften
Zügen, von Asylsuchenden, die, untergebracht in Hallen
oder anderen Notunterkünften, auf ihre Registrierung
warten . Wir erleben, dass die deutschen Erstaufnahmes-

trukturen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen .
Die EU-Länder diskutieren verstärkt darüber, wie sie mit
den Flüchtlingen umgehen sollen . Ich denke, eine für
alle befriedigende Lösung wird es wahrscheinlich – lei-
der – so schnell nicht geben können . Ich bin deshalb froh
darüber, dass sich viele Menschen engagiert in privaten
Initiativen, in den Kommunen oder beim Technischen
Hilfswerk um die Erstversorgung dieser Menschen küm-
mern . Oft tun sie sogar mehr als das .

Doch wie geht es für die Asylsuchenden danach wei-
ter? Wie sieht es mit Unterbringung, finanzieller Un-
terstützung, Zugang zu Arbeit und Bildung aus? Diese
Fragen müssen möglichst schnell geklärt werden . Ein
ganz zentraler Punkt dabei ist – das ist oft die Voraus-
setzung für eine Teilnahme am öffentlichen Leben – der
Zugang zu einem Girokonto, der für uns ganz selbstver-
ständlich ist . Das Bundesministerium der Justiz und für
Verbraucherschutz und das Finanzministerium haben im
Sommer einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der euro-
päischen Zahlungskontorichtlinien vorgelegt, um finan-
ziell schwachen Verbraucherinnen und Verbrauchern,
aber auch Menschen ohne einen festen Wohnsitz künf-
tig den Zugang zu einem Konto zu ermöglichen . Das ist
dringend notwendig . Ich begrüße, dass die BaFin bereits
jetzt die Vorgaben für Dokumente gelockert hat, um die
Auszahlung von Sozialleistungen zu ermöglichen, eben
auch an Asylsuchende .

So flexibel und kreativ wie die BaFin in dem Fall re-
agiert hat, müssen wir sein, um auch in anderen Lebens-
bereichen Lösungen zu finden. Viele der Flüchtlinge sind
der deutschen Sprache nicht oder noch nicht mächtig und
schon allein deswegen verletzliche Verbraucher . Sie wis-
sen, dass wir von der SPD ein differenzierteres Bild von
der Verbraucherin oder dem Verbraucher haben .

Stichpunkt Verbraucherinformation . Die Bundesre-
gierung will auch 2016 viel Geld in die Hand nehmen,
um die Position der Verbraucherinnen und Verbraucher
zu stärken. Ein Großteil der Gelder fließt, wie von uns
gefordert, in den Verbraucherzentrale Bundesverband
für den Marktwächter Digitale Welt und für den Finanz-
marktwächter, der bereits einige Male genannt worden
ist .

Neben anderen Projekten ist der Verbraucherschutz
von Migranten, insbesondere in der digitalen Welt, ein
Projekt im Titel „Information der Verbraucherinnen und
Verbraucher“ . Bis zur zweiten und dritten Lesung des
Haushaltsgesetzes müssen wir aber kritisch prüfen, ob
die geplanten Gelder ausreichend hoch sind, ob die Pro-
jekte und Maßnahmen ausreichend informativ und trans-
parent sind .

Stichpunkt Verbraucherbildung . Die Zuwanderer müs-
sen sich jetzt mit unserer Kultur auseinandersetzen und
viele Kaufentscheidungen treffen . Fragen Sie sich ein-
mal, wie Sie Ihre Entscheidungen treffen . Wahrscheinlich
oftmals auf Empfehlung aus dem Freundes- oder Famili-
enkreis . Da die Zuwanderer solche familiären Netzwerke
hier nicht haben, müssen sie sich auch diesbezüglich neu
orientierten. Das heißt, wir müssen Wege finden, diese
Verbrauchergruppe zu unterstützen und zum Beispiel zu
vermitteln, was bei Vertragsabschlüssen zu beachten ist .

Dr . Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


Neben der Flüchtlingsthematik treten andere verbrau-
cherpolitische Themen – einige sind bereits angespro-
chen worden – in den Hintergrund:

Eine positive Meldung lautete in der vergangenen Wo-
che: Mietpreisbremse in Berlin wirkt .

Der Aufbau der Marktwächter funktioniert gut, aber
lautlos . Die Marktwächter haben ihre Arbeit aufgenom-
men . Die Finanzmarktwächter sollen im Besonderen
Kleinanleger sowie Kredit- und Versicherungsnehmer
besser vor unseriösen Anbietern und riskanten Finanz-
produkten schützen. Das ist richtig; denn bei dem großen
Angebot an Finanzprodukten verliert man schnell den
Überblick .

Thema Transparenz: Die Umsetzung der sogenannten
Wohnimmobilienkreditrichtlinie steht an . Viele wichtige
Punkte wie zum Beispiel eine Verpflichtung der Banken
zu Warnhinweisen beim Übertritt in den Dispositionskre-
dit, eine Verpflichtung zum Angebot kostengünstiger Al-
ternativen oder die Verpflichtung der Banken, die Höhe
der Dispozinsen auf ihrer Webseite deutlich sichtbar
darzustellen, finden wir in dem Referentenentwurf. Ich
hoffe, er erreicht bald als Gesetzentwurf den Bundestag .

Nicht akzeptabel ist allerdings, dass einige Banken
sich die entgangenen Gewinne jetzt beispielsweise durch
die Erhöhung der Gebühren an Geldautomaten für soge-
nannte Fremdabheber zurückholen wollen . Ich denke,
Abhebegebühren in Höhe von 4,50 Euro sind einfach
unanständig für einen technischen Vorgang, der weniger
als 1 Euro kostet .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Deshalb ist es wichtig, dass wir hier deckeln . Die
Deckelung soll zukünftig verhindern, dass die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher, wenn sie denn plötzlich im
ländlichen Raum Geld brauchen und ihre Sparkasse, ihre
Bank nicht finden, aber eben auch auf Reisen, an Flug-
häfen und auf Bahnhöfen nicht im Übermaß zur Kasse
gebeten werden .

Die Verbraucherpolitik, sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen, –


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811908600

Frau Kollegin, Stichwort „Übermaß“ – ein Blick auf

die Uhr, bitte .


Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1811908700

– steht nicht nur, aber insbesondere in Anbetracht der
besonderen aktuellen politischen und gesellschaftlichen
Situation vor Herausforderungen; sie sind einfach da.
Diese müssen wir hier berücksichtigen . – Sie haben mich
hier jetzt etwas irritiert, Herr Präsident .

Lassen Sie uns deshalb gemeinsam prüfen, welche
Verbesserungen wir für die zweite und dritte Lesung des
Haushaltsgesetzes noch erreichen können .

Danke für Ihre Aufmerksamkeit . – Herr Präsident,
vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811908800

Als letztem Redner zum Geschäftsbereich des Bun-

desministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
erteile ich das Wort dem Abgeordneten Klaus-Dieter
Gröhler, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Klaus-Dieter Gröhler (CDU):
Rede ID: ID1811908900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-

ehrter Herr Bundesminister! Bevor ich als letzter Redner
auf die ganz schlichten Zahlen des Einzelplans eingehe,
lassen Sie mich mit einem Zitat aus einer Veröffentli-
chung der Bundeszentrale für politische Bildung begin-
nen . Da heißt es:

Das Recht sichert Frieden und gewährleistet Freiheit .
Es verbietet Vergeltung und Faustrecht und dient so
der Vorbeugung von Konflikten. Die Rechtsordnung
sorgt dafür, dass Streitigkeiten friedlich in einem
geregelten Verfahren ausgetragen werden .

In der Bundesrepublik Deutschland leben die Men-
schen friedlich zusammen . Es herrschen Recht und
Gesetz, wenn es auch keine perfekte Sicherheit vor
dem Verbrechen gibt .

Das ist keineswegs selbstverständlich . In vielen
Ländern der Welt herrschen keine rechtsstaatlichen
Verhältnisse . In einigen Staaten hat sich die Rechts-
ordnung förmlich aufgelöst . In sinnlosen Kriegen
wird keine Rücksicht auf die wehrlose Zivilbevöl-
kerung genommen .

Der Text ist von der Bundeszentrale für politische Bil-
dung 2009 veröffentlicht worden . Aber ich glaube, er ist
heute so aktuell wie eigentlich nie zuvor, heute, wo wir
feststellen müssen, dass viele Menschen zu uns kommen,
nicht nur weil sie den Wohlstand suchen, sondern weil
sie eben auch in Frieden und Freiheit und in einer rechts-
staatlichen Ordnung leben wollen .

Übrigens sollten wir uns an der Stelle daran erinnern,
dass vor 80 Jahren Menschen dieses Land verlassen ha-
ben, um überleben zu können, und dass noch vor 30 Jah-
ren Menschen von dem einen Teil Berlins in den ande-
ren flüchten mussten, um in Freiheit zu leben. Vielleicht
sollte der eine oder andere, der heute meint, er müsse
irgendwo protestieren, darüber einen ganz kleinen Mo-
ment nachdenken .


(Beifall der Abg . Elisabeth WinkelmeierBecker [CDU/CSU])


Die aktuelle Flüchtlingssituation, meine Damen und
Herren, führt uns vielleicht auch wieder dahin, dass wir
uns darüber klar werden, welche Qualität diese Rechts-
staatlichkeit eigentlich hat . Keiner von uns hat ja heute
Angst vor staatlicher Willkür . Das ist auch ein angeneh-
mes Stück Lebensqualität . Das ist natürlich auch eine
Situation, die dazu beiträgt, dass dieses Land so erfolg-
reich ist . Dass dafür gesorgt wird, dass bei uns eben nicht
das Recht des Stärkeren und kein religiös hergeleitetes
Recht gilt, sondern dass wir der Gesetzgeber sind, dass
die Rechtsprechung das Recht formt und die Staatsan-
waltschaft dafür sorgt, dass dieses Recht notfalls auch

Elvira Drobinski-Weiß






(A) (C)



(B) (D)


mithilfe der Polizei durchgesetzt wird, das ist, glaube
ich, etwas, worüber sich – wenn ich das einmal so sagen
darf – Otto Normalverbraucher manchmal nicht genug
Gedanken macht .

Die Situation, in der wir im Moment sind, führt viel-
leicht auch dazu, dass man für einen kleinen Moment
wieder darauf zurückgeführt wird, dass dieser Satz
„Recht sichert Freiheit; Gerechtigkeit schafft Frieden“
für jeden Einzelnen von uns auch eine ganz wesentliche
Basis ist .

Ich glaube, wir werden auch gut daran tun – das wird
eine sehr wesentliche Integrationsaufgabe sein –, dieje-
nigen, die zu uns kommen und die bisher nicht in einer
rechtsstaatlichen Situation gelebt haben, und diejeni-
gen, die möglicherweise mit unserer Rechtsordnung gar
nicht klarkommen, davon zu überzeugen, dass sie diese
Rechtsordnung annehmen und dass sie sie am Ende des
Tages auch aktiv mit uns leben müssen, wenn sie bei uns
leben wollen .

Wir werden auch denen, meine Damen und Herren, die
meinen, Gewalt gegen Menschen oder Flüchtlingsunter-
künfte verüben zu müssen, zeigen, dass der Rechtsstaat
sich wehren kann und dass er es auch tun wird . Dass das
Geld kostet, ist klar . Der Entwurf der Bundesregierung
setzt in dieser Situation, wie ich finde, richtige Schwer-
punkte und wird auch einer Sondersituation gerecht .

Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass die Ge-
neralbundesanwaltschaft im Haushaltsentwurf 16 neue
Planstellen bekommt, nachdem wir 2015 bereits 6 Stel-
len zugebilligt hatten . Es wird auch zusätzliches Geld
fließen. Ich war vor der Sommerpause zusammen mit
dem Kollegen Dr . Lindner in Karlsruhe und habe mich
über die Arbeitssituation beim Generalbundesanwalt und
bei den Strafsenaten informieren können . Ich muss sa-
gen – wenn ein Haushälter dies sagt, bedeutet das etwas
–: Ich bin nicht sicher, ob diese Zahl an zusätzlichen Stel-
len wirklich ausreicht . Das werden wir uns in aller Ruhe
anschauen müssen . Die Arbeitsbelastung, die ich dort
wahrgenommen habe, ist immens . Die Anzahl der Ver-
nehmungen und der Vorführungen hat sich dramatisch
gesteigert . Es gibt eine Verdreifachung der Haftbefehle
in 2014 gegenüber 2013 und noch einmal eine Verdoppe-
lung in 2015 gegenüber 2014 . Die Zahlen muss man sich
einmal sehr deutlich anschauen .

Uns darf nicht passieren, dass jemand, der in den Na-
hen Osten gegangen ist und für IS gekämpft hat oder ihn
unterstützt hat, nach Deutschland zurückkommt und wir
aufgrund personeller Unterausstattung nicht in der Lage
sind, diese Person zu verfolgen . Diese Leute müssen die
gesamte Härte des Rechtsstaats erfahren . Dafür brauchen
wir eine vernünftige personelle und finanzielle Ausstat-
tung sowohl des Generalbundesanwalts als auch der
Strafsenate beim BGH .


(Beifall bei der CDU/CSU)


In diesen Kontext passt auch – darauf ist vorhin aus-
nahmsweise zu Recht von der Opposition, Herr Petzold,
hingewiesen worden –, dass die Mittel für die Stiftung
für internationale rechtliche Zusammenarbeit um 20 Pro-
zent gesteigert werden und sieben neue Stellen entstehen,

Stichwort Export von Recht made in Germany. Das ist
auch eine Bekämpfung von Fluchtursachen . Wir werden
in den weiteren Beratungen schauen müssen, Herr Bun-
desminister, ob man an der Stelle nicht noch einmal ein
Stück drauflegen sollte. Denn ich glaube, dieses Geld ist
gut investiert .

Mein Koalitionskollege Dennis Rohde hat, wie ich
finde, zu Recht darauf hingewiesen, dass es in diesen
Zeiten aber noch andere Themen gibt und nicht nur die
Flüchtlingsproblematik . Zu Recht hat er angesprochen,
dass wir noch einmal Stellen beim Bundespatentamt auf-
satteln, wenn ich das einmal so flapsig sagen darf. Es gibt
56 zusätzliche Stellen in 2016, nachdem wir ein Jahr zu-
vor im Haushalt 2015 schon 58 aufgesattelt haben .

Damit sichern wir die Früchte des Wissenschafts-
standortes Deutschland . Wir haben ja vorhin gehört, dass
sich die Ausgaben für Bildung und Forschung unter der
Kanzlerschaft von Angela Merkel verdoppelt haben .
Dementsprechend gibt es auch mehr Innovationen und
mehr Patentanmeldungen . Aber eines müssen wir auch
sehen: Dieser zusätzliche Aufwuchs an Personal führt
gerade einmal dazu, dass die neuen Patentanmeldungen
abgearbeitet werden können; das heißt, es gibt keinen
Abbau des Rückstandes . Auch darüber werden wir uns
noch einmal sehr intensiv unterhalten müssen .

Ein Wort noch zum Verbraucherschutz . 36 Millionen
Euro stehen im Haushalt – das haben die Kollegen ge-
lobt; natürlich haben wir im Koalitionsvertrag hier einen
Schwerpunkt gesetzt –, das sind fast 5 Millionen Euro
mehr als in 2015 . Der Verbraucherzentrale Bundesver-
band bekommt noch einmal fast 16 Stellen dazu . Damit
wird der Verbraucherschutz noch ein Stück wirksamer .
Dieses zarte Pflänzchen, das einmal unter Ludwig Erhard
eingeführt wurde – 1964 wurde die Stiftung Warentest
als erste Verbraucherschutzmaßnahme gegründet; es soll
keiner sagen: Verbraucherschutz ist kein Herzensanlie-
gen von CDU/CSU –, ist inzwischen zu einem üppigen
Baum geworden .

Aber eines will ich als Haushälter an dieser Stelle
deutlich sagen: Ich glaube, wir werden im Frühjahr 2016,
Herr Minister, eine Evaluierung vornehmen müssen .
Wir haben jetzt zwei Jahre lang sehr intensiv Geld und
Stellen in das Thema Verbraucherschutz gelenkt . Das ist
okay; das steht im Koalitionsvertrag, gar keine Frage; es
ist auch notwendig in einer Gesellschaft, die immer älter
wird, die immer globaler und immer digitaler wird . Aber
wir werden uns am Ende des Tages auch fragen müssen:
Was haben wir damit tatsächlich erreicht? Mehr Geld
und mehr Stellen bedeuten ja nicht automatisch, dass es
besser geworden ist . Ich glaube, wir werden nach zwei
Jahren einmal einen Schnitt machen und fragen müs-
sen: Was haben wir erreicht? Wo sind Defizite abgebaut
worden? Wo sind Defizite möglicherweise immer noch
vorhanden? Ich bin nicht davon überzeugt, dass nur zu-
sätzliches Geld und nur zusätzliche Stellen immer alles
besser machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Bundesministerium hat uns bereits darauf hinge-
wiesen, dass gegenüber dem Regierungsentwurf wohl

Klaus-Dieter Gröhler






(A) (C)



(B) (D)


noch einmal 6 Millionen Euro mehr gebraucht werden,
und hat eine lange Liste vorgelegt .

Der Kollege Claus hat vorhin gesagt, jede Festlegung
auf „keine neue Staatsverschuldung“ behindere eine le-
bendige Parlamentsdebatte . Dem will ich ausdrücklich
widersprechen, weil ich glaube, eine lebendige Parla-
mentsdebatte und eine lebendige Debatte in den Haus-
haltsberatungen, Herr Kollege, entstehen gerade dann,
wenn man Deckungsvorschläge machen muss, wenn man
eben nicht immer noch eine Million und noch eine Milli-
on oben draufsattelt, sondern wenn man schaut: „Was ist
notwendiger als das andere?“, wenn man Schwerpunkte
setzt und sich auch ein bisschen mit dem Geld, das man
hat, bescheiden kann . Dann kann man nämlich wirklich
politisch debattieren .

Zu Ihrem Vorwurf von vorhin, wir würden uns, nur
weil die Parteivorsitzenden sagen: „Wir wollen keine
neuen Schulden machen“, fügen, sage ich Ihnen: Es ist
Unionsgrundgen, dass wir keine neuen Schulden machen
wollen . Das muss uns kein Parteivorsitzender sagen, son-
dern jeder Einzelne in unserer Fraktion ist davon völlig
überzeugt; ich glaube, inzwischen sind es auch die Kol-
legen unseres sozialdemokratischen Koalitionspartners .

Eine letzte Bemerkung, Herr Bundesminister, die et-
was kritischer ausfällt . Ich habe mir einmal Ihre Ausga-
ben für Öffentlichkeitsarbeit angeschaut . Während Ihr
Vorgänger im Jahr 2013 mit 155 000 Euro auskam, kam
es bei Ihnen zu einer Steigerung um 519 Prozent . Ich will
nur sagen: Das ist ein Thema, dem ich mich im Bericht-
erstattergespräch sicherlich noch einmal ein ganz klein
wenig widmen werde .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wegen der Vorratsdatenspeicherung!)


Dafür mag es gute Gründe geben; das will ich gar nicht
in Abrede stellen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist alles wegen eurer Vorratsdatenspeicherung!)


Aber ich würde ganz gerne eine Begründung hören und
erfahren, ob das denn tatsächlich so üppig ausfallen muss .

Sonst, glaube ich, ist das ein guter Entwurf der Bun-
desregierung, sowohl zu diesem Einzelplan als auch zu
den anderen . Ich freue mich auf die Beratung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811909000

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-

ministeriums des Innern, Einzelplan 06 .

Ich erteile für die Bundesregierung das Wort Bundes-
minister Dr . Thomas de Maizière .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mit einem Zitat beginnen – vielleicht erinnern
Sie sich –:

Jeder weiß, dass die Zuwanderung bei vielen Men-
schen starke Emotionen auslöst – gute und weniger
gute . Gerade deswegen müssen wir darüber mög-
lichst offen sprechen, möglichst unaufgeregt und re-
alistisch. Häufig bleibt zu vieles unausgesprochen.
. . . Wir müssen überall in der Gesellschaft über Zu-
wanderung und Zusammenleben in Deutschland re-
den – über die Chancen und über die Probleme . Und
wir müssen handeln – und zwar ohne Angst und
ohne Träumereien . Erfolgreich können wir nur dann
handeln, wenn wir zwei Haltungen überwinden, die
zu weit verbreitet sind: Wir müssen Unsicherheit
und Angst überwinden, die manchmal zu Fremden-
feindschaft, zu Hass und Gewalt führen . Wir müs-
sen eine falsch verstandene Ausländerfreundlichkeit
überwinden, die so tut, als gebe es überhaupt keine
Probleme und Konflikte, wenn Menschen unter-
schiedlicher Herkunft zusammenleben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das sagte Johannes Rau, der Altpräsident, in einer Rede –
einige haben sie gehört – zehn Jahre nach der deutschen
Einheit .

Heute bringe ich den Haushalt des BMI, des Bundes-
ministeriums des Innern, für das kommende Jahr ein .
Ich möchte meine Rede mit dem Thema beginnen: In
welcher Haltung führen wir diese Debatte? Überall wird
diskutiert . Die einen schauen vor allem auf die überwäl-
tigende Hilfsbereitschaft der Deutschen . Die anderen
schauen vor allem auf die steigende Zahl von Anschlä-
gen, auf Hass und Gewalt .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss auf beides schauen!)


Dazwischen gibt es viele, die sich nicht äußern – oder
nicht öffentlich . Viele denken an ihre eigene Geschich-
te von Flucht und Vertreibung und fragen: Was ist da-
ran vergleichbar? Aber auch: Was nicht? Viele fragen:
Wie soll das weitergehen? Gibt es eine Grenze unserer
Aufnahmefähigkeit oder -bereitschaft? Wie wird sich
das Gesicht unseres Landes im Lichte dieser Entwick-
lung ändern? Welche Chancen bietet die Aufnahme von
Flüchtlingen unserem Land? Wie bringen wir die unter-
schiedlichen Religionen friedlich zusammen? Ja, wie
bleibt es überhaupt friedlich?

Das alles sind berechtigte Fragen; das sind wichtige
Fragen für alle Menschen in unserem Land, und darüber
müssen wir miteinander diskutieren . Dazu gehören Streit
und Auseinandersetzung genauso wie Einheit, Unterstüt-
zung und Zusammenhalt .

Bitte leugnen wir nicht die großen Herausforderun-
gen, die nach der freundlichen Aufnahme im Alltag von
morgen und übermorgen anstehen . Aber bitte erliegen
wir auch nicht der Versuchung, das Problem so groß zu

Klaus-Dieter Gröhler






(A) (C)



(B) (D)


beschreiben – das können wir Deutschen immer am al-
lerbesten: ein Problem groß zu beschreiben –, dass alle,
die zuhören, schon den Mut verlieren, an Lösungen über-
haupt erst zu arbeiten .

Keine Angst und keine Träumereien: Ja, das könnte
eine Haltung sein, die wir brauchen . Ich persönlich füge
hinzu: Wir haben auf dem Evangelischen Kirchentag in
Stuttgart das wunderbare Lied Vertraut den neuen Wegen
gesungen . Ja, das sollten wir tun, ob wir mitsingen kön-
nen oder nicht .

Meine Damen und Herren, bei alledem, über das wir
diskutieren und streiten, sollten wir in ein paar Überzeu-
gungen einig sein:

Erstens . Wer in diesem Land lebt, hat andere Men-
schen zu respektieren und deren Leben und Würde zu
achten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wer in dieses Land kommt, hat ein Recht darauf, anstän-
dig behandelt und respektiert zu werden .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Leben ist zu schützen!)


Wer das nicht akzeptiert, wer Hass verbreitet, wer Straf-
taten begeht und dazu aufruft, der kann weder Verständ-
nis noch Toleranz erwarten .

Zweitens . Wer in unser Land kommt, hat ebenfalls an-
dere Menschen zu respektieren und unsere Gesetze zu
achten . Das gilt auch für den Fall einer Verteilung inner-
halb Europas oder auch nur innerhalb Deutschlands – ich
sage das nicht ohne Grund –, und das gilt für den Fall
der Anerkennung einer Bleibeperspektive in Deutsch-
land genauso wie bei unserer Entscheidung, unser Land
wieder verlassen zu müssen . Auch dann erwarten wir die
Achtung unserer Gesetze .

Drittens . Deutschland leistet seinen Beitrag – auch
aus humanitärer Überzeugung –, aber niemand in Europa
und darüber hinaus soll glauben, dass unser Land allein
diese Aufgabe schultern wird oder auch nur will .

Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen und
Wochen haben wir im Innenministerium wesentliche Tei-
le des Konzeptes erarbeitet, das der Koalitionsausschuss
am Sonntag beschlossen hat . Ich will jetzt nicht über jede
einzelne dieser Maßnahmen referieren; ich gehe davon
aus, dass sie im Wesentlichen bekannt sind .

Als Innenminister freue ich mich natürlich besonders
über die Entscheidung, dass die Bundespolizei 3 000
neue Stellen bekommt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das ist eine großartige Antwort auf die Leistungen der
Bundespolizei, eine notwendige Antwort auf die Belas-
tung der Bundespolizei und ein gutes Signal an die Län-
der, Gleiches oder Ähnliches zu tun .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Für mich ist wichtig – ohne dass ich jetzt die Ein-
zelheiten referiere –, dass wir über ein paar Grundsätze
sprechen, die hinter diesen Maßnahmen stehen:

Einer dieser Grundsätze ist, dass wir zwischen den
Menschen unterscheiden, die zu uns kommen . Wir un-
terscheiden zwischen jenen, die wegen Krieg und Ver-
folgung Aussicht auf Asyl haben, und denen, die keine
Chance auf eine Zukunft in Deutschland haben .

Viele Menschen brauchen Schutz vor Krieg und Ver-
treibung . Wir werden diese Menschen – es werden viele
Hunderttausend sein – aufnehmen und ihnen helfen, sich
bei uns zu integrieren . Aber auch hier muss ich diesen
und allen Beteiligten sagen: Bitte etwas Geduld! All das
geht nicht über Nacht .

Viele Antragsteller haben aber auch keine Perspekti-
ve, in Deutschland zu bleiben . Sie werden unser Land
verlassen müssen . Beides gehört zusammen, und beides
hat Folgen .

Wer aus einem sicheren Land kommt, der soll wäh-
rend des Asylverfahrens anders behandelt werden kön-
nen als jemand aus einem Kriegsgebiet, zum Beispiel in
der Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben müssen und gar
nicht erst auf die Kommunen verteilt werden, damit sein
Verfahren schnell bearbeitet werden kann .

Wer nach einem abgeschlossenen Asylverfahren aus-
reisen muss, der soll weniger Leistungen bekommen als
jemand, der dauerhaft hierbleiben darf . Ich glaube, auch
das ist ein wichtiger, allerdings neuer Grundsatz, den wir
Sonntag beschlossen haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Unterscheidung ist die Voraussetzung für eine
breite Akzeptanz des Grundrechts auf Asyl in unserer
Bevölkerung . Sie ist notwendig für die Erhaltung der
Aufnahmekapazitäten in unserem Land .

Auf Dauer kann ein Land wie Deutschland 800 000
Flüchtlinge im Jahr nicht aufnehmen und integrieren .
Auch das ist Teil einer offenen Diskussion . Wir werden
also versuchen müssen, die Zahl der zu uns kommenden
Flüchtlinge zu senken . Wir werden dafür unsere Außen-
und Entwicklungspolitik stärker auf die Bekämpfung
der Fluchtursachen in den wichtigsten Herkunftsländern
konzentrieren müssen: national genauso wie auf der Ebe-
ne der Europäischen Union .

Beim Treffen der europäischen Innenminister am
nächsten Montag werde ich dafür eintreten, dass Eu-
ropa endlich zu einem gemeinsamen Vorgehen findet.
Dazu gehört die unverzügliche und schnelle Einrich-
tung der Hotspots, und dazu gehört die faire Verteilung
schutzbedürftiger Flüchtlinge innerhalb der Europäi-
schen Union . Ich sage auch: Wenn es zu einer solchen
Verteilung kommt, heißt Verteilung auch Verteilung . Wir
werden nicht den Asylbewerbern, die nach Deutschland
kommen, obwohl sie auf ein anderes Land verteilt wur-
den, bei uns Asylbewerberleistungen geben, sondern sie
an das Land verweisen, in das sie verteilt worden sind .
Sonst macht Verteilung nämlich überhaupt keinen Sinn .

Meine Damen und Herren, wir werden jetzt all dies
und noch viel mehr mit den Ländern verhandeln . Wir

Bundesminister Dr . Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


hoffen, dass wir dann Ende September ein Gesetzespa-
ket zusammen haben . Wir hoffen, dass wir dieses Geset-
zespaket dann sehr schnell in den Deutschen Bundestag
einbringen . Ich möchte den Bundestag schon jetzt bitten,
dieses Gesetzespaket so gründlich wie möglich, aber
auch so schnell wie möglich so zu beraten, dass wir noch
im Oktober die zweite und dritte Lesung durchführen
können . Die Bundeskanzlerin hat es schon gesagt: Wenn
es uns in zwei oder drei Wochen gelingt, durch Gesetz-
gebung Banken zu retten, dann sollten wir uns auch hier
anstrengen, die Verfahren so durchzuführen, dass wir das
in einem Gesetzespaket im Oktober zu Ende beraten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Trotz der Sorge wegen des Themas Flüchtlinge müs-
sen und werden wir natürlich auch die anderen Aufgaben
erfüllen . Ich nenne aus Zeitgründen nur ganz wenige: die
Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kri-
minalität, der Kampf gegen den Wohnungseinbruch, die
Digitalisierung unserer Gesellschaft mit all den Heraus-
forderungen, die dazugehören . Der versuchte Anschlag
im Schnellzug Thalys in Frankreich hat uns allen vor Au-
gen geführt, dass es beim Terrorismus keine Pause gibt,
auch wenn wir vielleicht gerade von dem Flüchtlingspro-
blem absorbiert sein könnten .

Zur Sicherheit gehören auch der Cyberraum und das
Internet . Das haben wir hier im Bundestag und auch
anderswo in den letzten Monaten erfahren müssen . Die
Fragen rund um die Informationstechnik erfordern eine
stärkere zentrale Koordinierung . Wir bündeln viele die-
ser Aufgaben im Bundesinnenministerium ab 1 . Oktober
unter einem eigens dafür zuständigen Staatssekretär .

Alle diese Themen finden im vorgelegten Haushalt
ihre erforderliche und angemessene Berücksichtigung .
Ich bitte neben der Konzentration auf das Flüchtlingsthe-
ma auch dazu um eine umfassende gute, gründliche und
konstruktive Beratung .

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf das
Flüchtlingsthema zurückkommen und das mit der Fra-
ge verbinden, wie wir an das Thema herangehen . Ich
will das am Beispiel der Standarderleichterung tun .
Das klingt so technisch . Wir hatten nach der deutschen
Einheit ein schreckliches Wortungetüm . Das hieß – Sie
werden sich erinnern – Verkehrswegeplanungsbeschleu-
nigungsgesetz . Das kam ziemlich technisch daher, aber
es war eine Schlüsselvoraussetzung für den Aufbau der
Infrastruktur in den ostdeutschen Ländern . Das, was wir
jetzt „Standarderleichterungsgesetz“ oder „Standard-
beschleunigungsgesetz“ nennen, kommt auch ziemlich
technisch daher . Sie werden sich noch wundern, wie vie-
le Paragrafen wir da anfassen: im Bauplanungsrecht, im
Immissionsschutz, in der Energieeinsparverordnung und,
und, und .

Was steckt dahinter?

Dahinter steckt gerade angesichts der Flüchtlingskrise –
ich nenne es jetzt einmal so –, die wir vor uns haben,
Folgendes: Manche glauben, das Leben sei dann gut ab-
geschlossen oder ein Tag gut zu Ende geführt, wenn wir
uns einig sind, dass wir Vorschriften eingehalten haben .
Ich glaube das nicht . Ich glaube, dass ein Tag dann gut

zu Ende geht und wir dann gute Arbeit geleistet haben,
wenn wir sagen können: Wir haben eine Aufgabe gelöst
und dabei auch Vorschriften beachtet .

Was die Flüchtlingskrise anbelangt: Das Wort „Krise“
kommt aus dem Griechischen und hat zwei Bedeutungen,
Chance und Risiko. – Die Chinesen kennen das; bei ih-
nen gibt es dafür auch einen Ausdruck . – Wir betrachten
gerne die Risiken . Das Thema „Standarderleichterung“
ist nur ein Beispiel . Es gibt aber viele andere Aspekte,
zum Beispiel die Integration von qualifizierten Asylbe-
werbern und Flüchtlingen in unseren Arbeitsmarkt . Da
liegen – gerade für junge Menschen und junge Famili-
en – Chancen . Wenn es uns gelänge, das Thema „Flücht-
lingskrise“ nicht nur unter dem Gesichtspunkt nicht zu
leugnenderRisiken – Johannes Rau hat gesagt: „Und wir
müssen handeln – und zwar ohne Angst und ohne Träu-
mereien“ –, sondern auch unter dem Blickwinkel der
Chancen zu diskutieren, wenn wir eine Mentalität entwi-
ckeln würden, nicht nur darauf zu schauen, ob wir auch
die Vorschriften einhalten, sondern eine Aufgabe zu lö-
sen, dann läge in dem, was vor uns steht, eine verdammt
große Chance . Wir sollten sie nutzen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811909100

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Jan Korte, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811909200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich will gleich daran anknüpfen, glaube aber, dass das
Einerseits-andererseits in der Situation, in der wir uns
befinden, leider nicht mehr angemessen ist. Im Herbst
2015 erleben wir ein mehrfach gespaltenes Land . Herr
Innenminister, Sie haben zwei Vorgänge angesprochen .
Auf der einen Seite gab es eine großartige Welle von So-
lidarität mit Flüchtlingen und Mitmenschlichkeit – man
kann auch „Nächstenliebe“ sagen . Ich denke dabei an
München, Saalfeld oder meinen Wahlkreis, wo Sportver-
eine Lauftraining für Flüchtlinge organisieren . Auf der
anderen Seite ist es aber so, dass jeden Tag eine Unter-
kunft angezündet und abgefackelt wird und dass es in
den sozialen Medien geradezu Vernichtungsphantasien
nachzulesen gibt .

Es gibt – das haben Sie, wie heute schon viele Redner,
erwähnt – das Bild des kleinen Aylan Kurdi, das uns alle
mehr als bewegt hat . Jedoch gibt es eine genauso schlim-
me Fortsetzung . Jeden Tag ertrinken Flüchtlinge im Mit-
telmeer, Frauen, Kinder und Männer . Es geht einfach so
weiter . Und Sie weigern sich, endlich die richtige Ant-
wort zu geben, nämlich legale und sichere Einreisewege
zu erlauben . Das wäre eine Antwort der Menschlichkeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In dieser Woche ist es, glaube ich, in der Tat für alle
hier im Hause von entscheidender Bedeutung, sich zu
entscheiden, wo man steht . Sag mir, wo du stehst? Das
ist in dieser Woche die entscheidende Frage, die Sie be-

Bundesminister Dr . Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


antworten müssen, vor allem Sie, liebe Freunde von der
CSU . Denn es gibt im etablierten Politikbetrieb – ich will
es einmal zuspitzen – zwei Möglichkeiten: Entweder ma-
chen Sie es wie die Landesregierung in Thüringen, die
versucht, auch in der etablierten Politik eine Willkom-
menskultur zu leben, bei der selbst der Ministerpräsident
die Flüchtlinge am Bahnhof begrüßt . Oder Sie machen es
wie Teile der CSU . Ich will das mit Zitaten belegen . Ihr
Generalsekretär Scheuer – ich darf zitieren – sagt:

Der massenhafte Zustrom von Flüchtlingen nur
nach Deutschland muss gestoppt werden .

Horst Seehofer, der bayerische Ministerpräsident,
sagt:

Wir sind nicht das Sozialamt für den Balkan .

Und der bayerische Innenminister Herrmann, der ja
gerade als besonders kompetenter Integrationsexperte
aufgefallen ist, sagt zu der richtigen Entscheidung der
Bundesregierung, die Flüchtlinge aus Ungarn einreisen
zu lassen, dass dies – Zitat – „ein völlig falsches Signal
innerhalb Europas“ sei . Sie müssen sich entscheiden, ob
Sie weiter rumzündeln oder bei denen stehen wollen, die
Solidarität und Nächstenliebe großschreiben . Das ist die
entscheidende Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang – auch weil Sie, Kollege
Spahn, gerade anwesend sind; das richtet sich aber auch
an die Kollegin Schröder und an meine alte Bekannte,
Erika Steinbach – sage ich: Diejenigen, die im Kern aus
Unterkünften für Menschen Krematorien machen wol-
len, auch nur ansatzweise mit denen in eine Reihe zu
stellen, die sich davorstellen, um dies zu verhindern, die
elendige Gleichsetzung von links und rechts muss sofort
aufhören . Dafür ist im Übrigen auch eine Entschuldigung
fällig, um das klar zu sagen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber in der Innenpolitik läuft es insgesamt nicht gut .
Sie können sich das nicht vorstellen;


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)


aber ich will versuchen, nachzuweisen, dass es auch
sonst in der Innenpolitik nicht gut läuft .

Wir hatten die NSA-Affäre . Was heißt, wir hatten? Sie
läuft Tag für Tag weiter . Aufklärung durch die Bundes-
regierung und den Innenminister: Völlige Fehlanzeige!
Handyüberwachung, Wirtschaftsspionage und die Bei-
hilfe der deutschen Dienste: Auch das war folgenlos . Es
geht alles so weiter .

Dann gab es im Sommer einen der größten Knaller
in Ihrer Amtszeit . Wenn kritische Journalisten erfreuli-
cherweise darüber berichten, was Sie uns nicht sagen –
weder dem Parlament noch der Öffentlichkeit –, dass
nämlich die Überwachungsinfrastruktur in einem kaum
noch fassbaren Ausmaß immer weiter ausgebaut wird,
dann wird beim Bundesamt für Verfassungsschutz durch
seinen Präsidenten die ganz große Keule herausgeholt,
übrigens ein Relikt aus den 50er- und 60er-Jahren, und

Herr Maaßen erstattet Anzeige wegen Landesverrat . Ich
sage – Sie haben das auch schon auf Anfragen der Grü-
nen und der Linken eingeräumt -: Natürlich wussten das
BMI und das Kanzleramt, was dort abläuft und was ge-
plant worden ist . Präsident Maaßen, mit dem ich mich
oft und gerne streite, ist ein sehr, sehr deutscher Beam-
ter, und bei solch einem schwerwiegenden Vorgang ist es
schlicht nicht zu glauben, dass der oberste Dienstherr und
das Kanzleramt das nicht wussten und nicht involviert
waren . Dazu kam von Ihnen hier und auch vorher nichts .
Es ist das Mindeste, sich dafür zu entschuldigen und die
Landesverratsbestimmungen dahin zu befördern, wohin
sie gehören, nämlich auf den Müllhaufen der Geschichte


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es läuft in der Innenpolitik in der Tat sehr viel schief .
Ich habe leider nur wenig Redezeit .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)


Man könnte noch so viel sagen, nämlich dass ausgerech-
net in dieser Situation das Bundesamt für Verfassungs-
schutz erneut 20 Millionen Euro mehr bekommt . In zwei
Jahren bekommt es 45 Millionen Euro mehr . Dabei ist es
weiter intransparent . Wir können leider nicht im Detail
miteinander diskutieren, an welchen Stellen wir es für
sinnvoll und an welchen Stellen wir es für unsinnig hal-
ten; denn es wird weiter alles unter Verschluss gehalten.

Der Einzelplan 06 ist ein in Zahlen gegossenes Do-
kument einer grundsätzlich verkehrten Richtung in der
Innenpolitik . Schalten Sie um auf mehr Solidarität, mehr
Grundrechte und mehr Datenschutz! Denn das führt
zu einer offeneren Gesellschaft, und die brauchen wir .
Wann, wenn nicht jetzt?

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811909300

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Eva Högl, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1811909400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-

be Kollegen! Auch ich möchte mit einem Zitat beginnen,
mit einem schönen Satz, wie ich finde: „Politisch Ver-
folgte genießen Asylrecht .“ Das ist Artikel 16 a unseres
Grundgesetzes, und dieser Satz ist für uns alle ein Be-
kenntnis . Er drückt die Werte aus, denen wir uns verbun-
den fühlen und die wichtig für uns sind . Er ist für uns
auch eine Verpflichtung, danach zu handeln. Er drückt
das Recht unseres Rechtsstaats aus und ist Ausdruck un-
serer tief empfundenen Humanität und Menschlichkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, freue ich
mich sehr, dass wir im Deutschen Bundestag eine sehr

Jan Korte






(A) (C)



(B) (D)


große Einigkeit – ich hoffe sogar, Einstimmigkeit – ha-
ben, angesichts der aktuellen Debatte diesen Artikel 16 a
Grundgesetz so zu lassen, wie er ist .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist unser Grundrecht auf Asyl, unsere Verpflichtung
und unser Ausdruck von Werten und von Menschlichkeit .
Ich freue mich über diese Einigkeit, weil wir Anfang der
90er-Jahre eine ganz andere Debatte hatten, und hoffe
sehr, dass es dabei bleibt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letz-
ten Wochen und Monaten und vor allem am letzten Wo-
chenende gesehen, dass viele Bürgerinnen und Bürger in
unserem Land diesen Satz mit Leben füllen, indem sie
Flüchtlinge willkommen heißen . Überall dort, wo die
Flüchtlinge ankommen und wo sie untergebracht werden
müssen, stehen Menschen hilfreich zur Seite, spenden
Geld und Sachmittel, verteilen Essen und Trinken und
helfen dort, wo sie können . Das ist ein wirklich tolles zi-
vilgesellschaftliches Engagement . Es ist an dieser Stelle
mehr als angebracht, dafür ganz herzlich Dankeschön zu
sagen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir sagen Danke allen ehrenamtlichen Helferinnen und
Helfern . Ich möchte aber auch ausdrücklich all denjeni-
gen Danke sagen, die mit hoher Professionalität helfen .
Ich meine damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Technischen Hilfswerks, des Deutschen Roten Kreuzes,
der Kirchen, der Sozialeinrichtungen und der Wohlfahrts-
verbände sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
öffentlichen Dienstes, auf die sonst viel geschimpft wird,
die uns aber mit ihrem Engagement und ihrer Hilfe für
Flüchtlinge Anlass geben, stolz zu sein . Auch dafür herz-
lichen Dank!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir alle, die wir heute in erster Lesung über den Haus-
halt sowie über Flucht und Migration diskutieren, wissen,
dass wir weiterhin damit werden umgehen müssen, dass
Menschen ihre Heimat verlassen und zu uns kommen .
Sie fliehen vor Krieg, Terror und Gewalt und suchen bei
uns Frieden und Schutz sowie eine Perspektive für sich
und ihre Familien. Ja, Menschen fliehen auch vor Hunger
und Armut . Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf
der Flucht . Diese Zahl können wir kaum erfassen . Diese
Zahl wird hoch bleiben . Ja, wir werden hier in Deutsch-
land viele dieser Menschen aufnehmen und ihnen eine
Perspektive geben .

Wenn wir nicht wollen, dass Menschen im Mittel-
meer ertrinken, dass sie in Lkws ersticken und dass sie
auf Schlepper angewiesen sind – auch diejenigen, die bei
uns eine Bleibeperspektive haben, sind auf solche Wege
bislang angewiesen, zum Beispiel die Syrerinnen und
Syrer genauso wie die Menschen aus Afghanistan, die
zu fast 100 Prozent bei uns Asylrecht bekommen –, und
wenn wir die entsprechenden Bilder nicht länger ertra-
gen können, dann müssen wir so ehrlich sein, zuzugeben,
dass wir eine völlig andere Asylpolitik betreiben müssen,

und zwar in Gesamteuropa; das gehört zur Wahrheit. Wir
brauchen legale Wege nach Europa, wenn wir diese Bil-
der nicht länger ertragen und die Menschen nicht in den
Tod schicken wollen .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Herr Minister, Europa wird sich darüber Gedanken
machen müssen, wie es die Außengrenzen sichern und
gleichzeitig die Innengrenzen weiterhin transparent hal-
ten und das Schengen-System erhalten kann .

Ich sage noch etwas, was mir nicht leicht über die Lip-
pen geht, was aber zur Wahrheit gehört . Wir wissen ganz
genau, dass nicht alle Menschen, die verfolgt werden und
auf der Flucht sind, zu uns kommen können . Nicht alle
können kommen, und nicht alle können wir so herzlich
willkommen heißen, wie wir das in den letzten Wochen
und Monaten getan haben . Nicht alle Menschen können
bleiben . Auch darüber müssen wir uns sehr sorgfältig
Gedanken machen . Deswegen halte ich es für unbedingt
erforderlich – das ist für mich eine der wichtigsten For-
derungen bei den Diskussionen über die Maßnahmen, die
wir demnächst beschließen und ergreifen werden –, die
Asylverfahren zu beschleunigen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Menschen müssen schnell eine Antwort darauf be-
kommen, ob sie hier bleiben dürfen oder ob sie unser Land
wieder verlassen müssen, ob sie hier Schutz bekommen
oder nicht . Für diejenigen, die hier Schutz bekommen
und denen wir hier Frieden und eine Perspektive geben,
müssen wir mehr und schneller etwas tun, wenn es um
ihre Integration geht . Diese Menschen dürfen wir nicht
vertrösten und ihnen sagen: Geduldet euch! – Sie haben
zu Recht darauf hingewiesen, Herr Minister, dass das
nicht von heute auf morgen geht . Aber auch hier müssen
wir schneller und besser werden, sodass die betreffenden
Menschen eine Perspektive bekommen .

Wir stehen vor einer großen Herausforderung . Aber
ich sage heute genauso deutlich: Wir sind nicht überfor-
dert . Wir schaffen das in Deutschland .


(Beifall bei der SPD)


Wir können das mit einer gemeinsamen gewaltigen
Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen
schaffen . Auch in Europa ist eine gemeinsame Kraftan-
strengung notwendig . Wir legen in der heutigen Debatte
dafür die Grundlagen . Der Haushalt, über den wir in ers-
ter Lesung beraten, ist schon jetzt Makulatur . Wir werden
in den nächsten Tagen und Wochen darüber diskutieren,
an welchen Stellen wir mehr Mittel brauchen und wie wir
aufstocken . Aber wir bringen nun ein gutes Paket auf den
Weg . Ich begrüße ausdrücklich die Beschlüsse des Koa-
litionsausschusses von Sonntagabend . Ich halte das für
ein hervorragendes Papier . Auf sieben Seiten steht viel
Richtiges und Wichtiges . Für mich stellt dieses Papier
eine gute Grundlage für die weitere Diskussion und die
vor uns liegende gewaltige Kraftanstrengung dar .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr . Eva Högl






(A) (C)



(B) (D)


Neben Aufnahme, Unterbringung und gesundheitlicher
Versorgung der Flüchtlinge halte ich – wie bereits ange-
deutet – kürzere und schnellere Verfahren für erforder-
lich . Deswegen ist es wichtig, dass wir die Mittel für das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weiter auf-
stocken . Wir werden noch mehr Entscheiderinnen und
Entscheider brauchen, vermutlich sogar noch mehr, als
wir bereits beschlossen haben . Auch ich habe keine Glas-
kugel; aber es ist absehbar, dass noch mehr Menschen
kommen, und diese Menschen brauchen eine schnelle
Entscheidung .

Ich begrüße ausdrücklich, dass die SPD-Forderung
aufgenommen wurde, bei der Bundespolizei ganz kräf-
tig aufzustocken, nämlich um 3 000 Stellen . Das ist eine
richtige und wichtige Entscheidung . Die Bundespolizei
braucht unsere Unterstützung . Sie leistet gute Arbeit und
kann auch hier einen ganz wichtigen Beitrag leisten . Mit
diesen 3 000 Stellen legen wir dafür eine gute Grundlage .

Ich habe es schon angedeutet: Wir müssen noch mehr
tun für die Integration derjenigen in den Arbeitsmarkt,
die bleiben können, und auch für die Sprachförderung .

Ich möchte zu einem Punkt kommen, der mir in dieser
Debatte ebenfalls sehr wichtig ist . Ich sagte schon: Nicht
alle können kommen; nicht alle können bleiben. Aber wir
müssen uns hier im Deutschen Bundestag weiter darüber
unterhalten, dass viele Menschen zu uns kommen, die
vor Hunger, wirtschaftlicher Not und Armut fliehen, die
für sich und ihre Familien eine Perspektive wollen und
die nicht politisch verfolgt sind, aber trotzdem in unserer
Gesellschaft, in unserem Land eine Perspektive bekom-
men können. Darüber müssen wir uns verständigen; auch
das gehört zur Politik für Flüchtlinge und zum Thema
Einwanderung . Ich wünsche mir, dass dies der Auftakt
zu einer Debatte darüber ist, wem wir über diejenigen
hinaus, die ohnehin kommen, eine Perspektive geben .
Denn wir können unseren Wohlstand, die Lebensquali-
tät unserer Gesellschaft nur sichern, wenn wir Einwan-
derung haben . Einwanderung ist essenziell erforderlich
für unsere Gesellschaft . Zu uns kommen viele Menschen,
auch solche, die nicht politisch verfolgt sind, die quali-
fiziert sind, die hoch motiviert sind, die lernen wollen,
die unsere Sprache sprechen wollen, die sich in unsere
Gesellschaft integrieren wollen, die arbeiten wollen, die
ein neues Leben suchen und eine neue Perspektive . Auch
sie sollten wir herzlich willkommen heißen .

Ich möchte noch eine Bemerkung zum Thema „Rechts-
extremismus und Hass“ machen. Das ist natürlich die
Kehrseite dessen, worüber wir zuletzt gesprochen haben .
Was die Willkommenskultur angeht, haben wir jetzt eine
ganz andere Situation als Anfang der 90er-Jahre . Aber
während wir über unsere Willkommenskultur sprechen,
brennen Unterkünfte für Flüchtlinge, werden Anschläge
verübt . Deswegen brauchen wir – das ist heute schon ge-
sagt worden; ich erwähne es noch einmal – ein konse-
quentes Vorgehen . Notwendig sind sofortige Aktivitäten
der Polizei, der Staatsanwaltschaft . Wir müssen auch in
diesem Bereich die Mittel aufstocken, damit wir Hass-
und Gewalttätern keinen Platz einräumen . Dafür ist in
unserer Gesellschaft kein Raum . Auch da müssen wir
konsequent handeln, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Das gehört zur Wahrheit hinzu .

Mir ist ein weiterer Aspekt sehr wichtig: Wenn wir für
Vielfalt, Toleranz und unsere Demokratie werben wollen,
dann müssen wir mehr in Prävention, in unsere Demo-
kratie, in das, was unsere Demokratie ausmacht, inves-
tieren, und dann müssen wir auch sämtliche Projekte,
Programme und Träger, die die Demokratie befördern,
besser und konsequenter ausstatten . Auch beim Haushalt
der Bundeszentrale für politische Bildung kann vielleicht
eine Schippe draufgelegt werden; denn auch sie leistet
viel für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft .


(Beifall bei der SPD)


Ich freue mich, wenn wir hier große Einigkeit haben,
und ich freue mich auf die weiteren Debatten . Ich denke,
wir haben hiermit eine gute Grundlage für die weitere
Diskussion über Flüchtlinge und Einwanderung gelegt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811909500

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Anja Hajduk, Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grü-
nen .


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811909600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Beim Thema Flüchtlinge ist gerade Einigkeit
beschworen worden . Bei aller vorhandenen Einigkeit
über die Bereitschaft, Flüchtlinge gut aufzunehmen und
zu versorgen, möchte ich doch einmal darauf hinweisen,
dass wir nicht vergessen dürfen, dass wir uns bei dieser
Aufgabe – wir Grünen werden uns daran beteiligen, und
wir werden lösungsorientiert mitarbeiten – aber auch dar-
auf verlassen können wollen, dass sie gut gemanagt wird .
Es reicht nicht, wenn wir uns hier zurufen: Wir schaffen
das . – Das ist eine gute Botschaft an die Gesellschaft .
Wenn ich mir aber die Zahlen anschaue, die verdeutli-
chen, was in den letzten Monaten geschehen ist und was
versäumt wurde, dann muss ich ganz klar feststellen:
Dass wir uns gegenseitig „Wir schaffen das“ zurufen,
darf nicht das Einzige sein, was wir tun . Man muss auch
nachweisen, dass man die Herausforderung bewältigen
kann und die Aufgabe professionell managt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister, ich muss schon sagen, dass ich ein biss-
chen erschüttert bin, nachdem ich mir angeschaut habe,
was im letzten Jahr eigentlich passiert ist . Wir haben
vor einem Jahr bei den Haushaltsberatungen 350 neue
Stellen für das BAMF – Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge – bewilligt . Während der Beratungen zum
Nachtragshaushalt am 8 . Mai ist zum ersten Mal von
Regierungsseite verkündet worden: Wir brauchen 2 000
zusätzliche Stellen im BAMF, 1 000 in 2015, 1 000 in
2016 . – Ich habe nachgefragt und habe vor knapp zwei
Wochen, am 26 . August, aus Ihrem Haus die Antwort er-
halten: 161 von den 750 zusätzlichen Stellen haben Sie
besetzt, bezogen auf die erste 1 000er-Tranche, und nur
35 von 200 Stellen für Entscheider, 16 Prozent, sind dort
besetzt . – Mit diesem Management werden wir der Her-
ausforderung nicht gerecht .

Dr . Eva Högl






(A) (C)



(B) (D)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Burkhard Lischka [SPD]: Die Stellen waren ja zum 1 . Juli erst frei!)


Herr Minister, es ist nicht einfach, diese Sache anzu-
gehen . Das ist überhaupt nicht unser Vorwurf . Aber ich
kann nicht erkennen, dass mit dem nötigen Nachdruck
daran gearbeitet wird . Ich redete von den ersten 1 000
Stellen . Was die zweiten 1 000 Stellen angeht, haben Sie
nur 300 im Regierungsentwurf ausgebracht . Das heißt,
die zweiten 1 000 Stellen werden überhaupt erst ab dem
1 . Januar 2016 ins Ausschreibungsverfahren gebracht .
Die ersten 1 000 und die zweiten 1 000 Stellen, diese
Personalaufstockung für das BAMF, haben Sie kalkuliert
bezogen auf einen Stand von 450 000 Flüchtlingen in
diesem Jahr . Wir wissen jetzt, dass es 800 000 sein wer-
den . Ich kann nicht erkennen, dass Sie personell die Auf-
nahme und die Bearbeitung der Anträge dieser Flüchtlin-
ge im Griff haben . Ich glaube, wir alle müssen uns ganz
andere Maßnahmen überlegen, wie wir das wirklich be-
wältigen wollen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


damit das Vertrauen der Bevölkerung darauf, dass wir
nicht nur den Willen haben und Mittel im Haushalt da-
für einstellen, sondern das auch managen, bleibt . Wenn
ich mir das jetzt ansehe, muss ich wirklich sagen: Herr
de Maizière, ich bin ein bisschen entsetzt darüber, wie
schlecht wir in diesem September 2015 vorbereitet sind .

Das Ganze hat auch den Hintergrund, dass der Leiter
des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gesagt
hat: Wir schaffen es wirklich, die Anträge schneller zu
bearbeiten . Er sagt: Da liegen 250 000 Anträge auf Hal-
de . 200 000 arbeiten wir bis zum Ende des Jahres ab . –
Das alles basiert doch noch auf der Prognose von 450 000
Flüchtlingen – und das bei der Stellenbesetzungskultur,
die ich gerade vorgetragen habe! Wenn das so weitergeht,
dann haben wir in einem halben Jahr und in einem Jahr
immer noch denselben Mangel in der Bearbeitungssitu-
ation . Vor diesem Hintergrund möchten Sie auch verste-
hen, dass wir nicht das Vertrauen haben, dass wir, wenn
gesagt wird: „Wir beschleunigen die Verfahren, indem
wir sichere Herkunftsländer festlegen“, unsere Konzent-
ration und unsere Power an der richtigen Stelle einsetzen,
wenn es darum geht, was eigentlich zu tun ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich hätte mir gewünscht, dass der Leiter des Bundes-
amts für Migration und Flüchtlinge sich im August nicht
darüber ausgelassen hätte, welche Geldleistungen ange-
messen sind und ob man Taschengeld streichen kann . Er
hätte zusehen sollen, wie er, was wir seit Monaten wis-
sen, viel mehr Hilfe bekommt, um die Aufgabe in seinem
Amt zu bewältigen . Sie haben Verantwortung dafür, dass
er das begreift und dass er das macht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Letzter Punkt . Wir reden hier auch über Sicherheit und
Sicherheitspolitik . Wir Grünen sind bereit, die wirklich
hohen Aufstockungen beim Personal im Sicherheitsbe-
reich wohlwollend zu prüfen und da mitzugehen . Aber,
Herr Minister, es ist für uns wirklich inakzeptabel, dass

Sie in der Innenausschusssitzung am 2 . September, die
eigens einberufen worden war, um über das Thema
„Übergriffe auf Asylbewerberunterkünfte“ zu sprechen,
zu den wesentlichen Fragen meiner Fraktionskollegen
dazu, was vorgefallen ist, wie Sie das erfassen, um was
für Straftatbestände es sich handelt, gesagt haben: Ich
kann Ihnen dazu keine Auskunft geben . – Auch das halte
ich für ein Missmanagement bei der Sicherheitsaufgabe
und der Problematik, die wir alle gerade mit Betroffen-
heit zu gewärtigen habe, dass es nämlich Übergriffe gibt
auf Asylbewerber und auf diejenigen, die sich für diese
engagieren, auch für deren richtige Unterbringung . Sie
haben auch eine Verantwortung, gegenüber dem Parla-
ment auskunftsfähig zu sein, wie die Sicherheitssituation
aussieht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss . Herr Minister, Sie haben
gesagt: Lassen Sie uns über die Haltung reden . Darauf
will ich gerne zurückkommen . Ich bin jetzt sehr kritisch
gewesen . Sie haben darauf hingewiesen, wir sollten an
das Lied denken, das beim Kirchentag viel und gern ge-
sungen wird: Vertraut den neuen Wegen . Wissen Sie, wie
das Lied weitergeht? „… weil Leben heißt: sich regen“ .
Bitte machen Sie mehr, und managen Sie das besser . Nur
so behalten wir das Vertrauen und die Stimmung in der
Bevölkerung für diese Aufgabe .

Schönen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811909700

Nächster Redner ist der Abgeordnete Thomas Strobl,

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1811909800

Herr Präsident Hintze! Verehrte Kolleginnen und Kol-

legen! In diesem Sommer ist der syrische Bürgerkrieg
endgültig nach Deutschland gekommen . Wer geglaubt
hat, der Nahe Osten sei weit weg und Deutschland könne
sich trotz seiner Stärke aus der Weltpolitik heraushalten
und zurückziehen, ist eines Besseren belehrt worden .
Hunderttausende fliehen aus den Krisengebieten und
haben sich auf den Weg nach Europa, nach Deutschland
gemacht . In ihren Zug reihen sich Tausende Flüchtlinge
aus Afrika und den Balkanstaaten ein, die in ihren Län-
dern keine Zukunft mehr für sich sehen . Auf der Flucht
spielt sich täglich Dramatisches ab . Der Schrecken hat
eine Chiffre bekommen: Ein kleines Kind liegt tot am
türkischen Strand, mit dem Gesicht im Sand .

Wer angesichts solcher Bilder kein Mitgefühl, keine
Scham, keine Trauer empfindet, der hat kein Herz. Wer
aber Mitleid und Gefühl allein zum Maßstab politischen
Handelns macht, der vergisst seinen Verstand und wird,
was weit schlimmer ist, in letzter Konsequenz zerstören,
was wir alle miteinander erhalten und bewahren wollen,
nämlich ein Zufluchtsort für Menschen zu sein, die ver-
folgt werden, die um ihr Leben fürchten, die aus einem
brutalen Bürgerkrieg in Syrien flüchten müssen, die vor
Gewalt, Folter und Tod aus dem nördlichen Irak fliehen

Anja Hajduk






(A) (C)



(B) (D)


müssen . Ja, für diese Menschen wollen wir in Deutsch-
land auch in Zukunft ein offenes Herz haben und sie mit
offenen Armen empfangen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was ist zu tun? In Europa erleben wir derzeit das Ge-
genteil von dem, was eigentlich getan werden müsste .
Wir erleben nicht die Konzentration der großen euro-
päischen Kraft, sondern viel kleinlichen nationalstaatli-
chen Egoismus . Mit Vorsatz wird jeden Tag europäisches
Recht tausendfach gebrochen, und man ist froh, dass
man selber nicht die Belastungen tragen muss, die mit
der Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen und
Zuwanderern verbunden ist . Man ist froh, dass der große
Nachbar Deutschland diese Lasten schultert .

Zurzeit nimmt Deutschland 40 Prozent aller Flücht-
linge auf, also fast so viele wie alle anderen Staaten in
der Europäischen Union zusammen. Ich finde, das muss
im Deutschen Bundestag einmal sehr klar gesagt werden:
Wir stellen uns europäische Solidarität nicht so vor, dass
sich in Europa 2, 3 Länder der Flüchtlingsproblematik
annehmen und sich 25 andere Länder einen schlanken
Fuß machen . Das können wir nicht akzeptieren, und das
werden wir auch nicht akzeptieren .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir sind sehr weit von europäischer Solidarität entfernt
und brauchen doch dringend eine gemeinsame europäi-
sche Asylpolitik . Auf diese zielt die Initiative der deut-
schen Bundeskanzlerin und des französischen Staat-
spräsidenten . Das unterstützen wir, wie wir auch die
Bemühungen und Initiativen des Bundesinnenministers
Thomas de Maizière unterstützen . Wir brauchen gemein-
same Aufnahmezentren in den europäischen Grenzstaa-
ten . Deutschland muss und wird mit aller Kraft dort ein-
steigen, mit Personal und mit Geld .

Wir brauchen in Europa eine gemeinsame Definition
von sicheren Herkunftsländern .


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)


Was ist denn das für eine Lage – das sind unsere Nach-
barländer –, wenn in Frankreich ein Balkanstaat ein si-
cheres Herkunftsland ist, wenn in Österreich ein Balkan-
staat ein sicheres Herkunftsland ist, in Deutschland das
aber nicht der Fall ist?

Wir brauchen eine gemeinsame faire Verteilung der
Flüchtlinge in Europa . Ich persönlich füge hinzu: Wir
brauchen auch ein einheitliches soziales Niveau für die
Flüchtlinge in Europa . Ich will ausdrücklich sagen: Der
französische Staatspräsident beteiligt sich an dieser Ini-
tiative in einer Situation, in der auf ihm durch die Stärke
des rechtsextremen radikalen Front National ein außer-
gewöhnlicher Druck lastet. Ich finde, dafür gebührt dem
französischen Staatspräsidenten große Anerkennung .

Was brauchen wir in Deutschland?

Wir werden die Herausforderungen nur mit einer ge-
meinsamen nationalen Kraftanstrengung meistern kön-
nen . Die Bundeskanzlerin hat den Ministerpräsidenten im
Juni zugesagt, dass der Bund seine bisherigen Leistungen

erhöhen und sich noch stärker an den Kosten beteiligen
wird . Wir werden nicht Millionen, sondern wir werden
Milliarden mobilisieren . Im Bundeshaushalt 2016 wer-
den wir die Ansätze um 3 Milliarden Euro erhöhen und
Ländern und Kommunen weitere 3 Milliarden Euro zur
Verfügung stellen . Das ist richtig so .

Den Ländern indessen müssen wir aber auch sagen:
Am Ende der Verhandlungen kann nicht allein mehr Geld
vom Bund stehen, sondern das Ergebnis muss ein umfas-
sender Maßnahmenkatalog sein .

Dazu muss erstens eine Verkürzung der Verfahren
beim BAMF selbstverständlich gehören . Deswegen ha-
ben wir für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
im letzten und in diesem Jahr bereits die Schaffung von
1 650 neuen Stellen beschlossen .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf können Sie sich doch angesichts der Entwicklung nicht ausruhen!)


Wir werden dieses Amt 2016 mit bis zu 1 000 zusätz-
lichen neuen Stellen ausstatten . Frau Kollegin Hajduk,
wenn es mehr Stellen sein müssen, dann werden wir uns
mit dieser Frage auch aufgeschlossen befassen .

Unser Ziel muss es sein, die Asylverfahren nicht in
Monaten, sondern in Wochen zu entscheiden .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben anscheinend die Herausforderungen noch gar nicht verarbeitet!)


In manchen Nachbarstaaten werden sie in Tagen ent-
schieden . Niemand bestreitet, dass das Rechtsstaaten
sind . Die Länder müssen dann allerdings auch für rasche
Gerichtsverfahren sorgen, und sie müssen Ausreisever-
pflichtungen konsequent durchsetzen. Hier erwarten wir
nicht nur Absichtsbekundungen der Bundesländer,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist total neben dem Thema!)


sondern quotierte Zusagen für eine Aufstockung des Per-
sonals bei den Ausländerbehörden und den Verwaltungs-
gerichten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir müssen zweitens genau unterscheiden zwischen
denen, die unseres Schutzes bedürfen, und denen, die
letztlich einen Asylantrag in Deutschland stellen, weil
sie in ihren Heimatländern keine wirtschaftliche Zukunft
sehen . Letztes gilt insbesondere für die Menschen vom
westlichen Balkan, deren Schutzquote gegen null ten-
diert . Mögen ihre Motive für eine Reise nach Deutsch-
land menschlich sehr nachvollziehbar sein, wir müs-
sen ihnen klar und deutlich sagen: Eine wirtschaftliche
Notlage ist kein Asylgrund . Einwanderung erfolgt in
Deutschland nicht über das Asylrecht . Das ist ein klarer
Grundsatz, über den wir uns eigentlich hier verständigen
können müssten .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie einmal einen Vorschlag für ein Einwanderungsgesetz!)


Thomas Strobl (Heilbronn)







(A) (C)



(B) (D)


Nur wer an diesen beiden Grundsätzen festhält, wird
die Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung langfristig
sichern . Nur wer die Aufnahmebereitschaft in der Bevöl-
kerung sichert, wird das Grundrecht auf Asyl und zentra-
le Errungenschaften der Europäischen Union dauerhaft
und uneingeschränkt bewahren können .

Weil wir den Schutzbedürftigen auch in Zukunft
Schutz gewähren wollen, werden wir Zehntausende ab-
weisen und zurückführen müssen, nicht aus Hartherzig-
keit, sondern aus Einsicht in die Grenzen unserer Mög-
lichkeiten und von dem Willen bestimmt, auch in Zukunft
den tatsächlich Schutzbedürftigen hier eine Heimstatt zu
geben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen drittens genau prüfen, welche Auswir-
kungen bestimmte Regelungen im Ausland haben . In
der Phase der Erstaufnahme erhält eine Familie mit zwei
Kindern zusätzlich zu allen Sachleistungen 400 Euro im
Monat . In der Kommune wächst dieser Betrag auf über
1000 Euro an . Für Menschen aus den Ländern des west-
lichen Balkans ist das sehr viel Geld .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht hier!)


Nicht nur der Chef des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge, sondern viele, die sich im Kosovo ausken-
nen, sagen uns, dass allein das schon ein Anreiz ist,
die Reise nach Deutschland anzutreten . Ihre Kollegin
Marieluise Beck etwa, die von Migration, vom Balkan,
von Osteuropa wirklich etwas versteht, hat in der Frank-
furter Allgemeinen Zeitung berichtet, dass unsere Zah-
lungen es vielen Familien aus dem Balkan gestatten – ich
zitiere –, „Geld für die Zeit nach der Rückkehr anzuspa-
ren“. Ich glaube nicht, dass das im Sinne des Erfinders
ist . Deswegen führt am Beschluss des Koalitionsaus-
schusses vom Sonntag kein Weg vorbei: Wir brauchen
mehr Sachleistungen und weniger Bargeld .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, all das, was
ich angesprochen habe, betrifft nicht nur den Haushalt
des Bundesinnenministers, den wir heute debattieren,
und all das wird uns nicht Monate, sondern wahrschein-
lich Jahre beschäftigen . Die Flüchtlingsfrage ist zur
größten politischen Aufgabe unserer Zeit geworden . Wir
werden sie vor allem dann lösen können, wenn wir an ei-
nem Strang ziehen, wenn wir sie nicht zuallererst als ein
Feld parteipolitischer Profilierung betrachten.


(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Was war das denn gerade?)


Die heutige Debatte könnte ein guter Ansatz sein für
die Debatten in den nächsten Wochen, in diesem und im
nächsten Monat, dass wir eher das uns miteinander Ver-
bindende als das uns voneinander Trennende herausar-
beiten .

Vielen Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811909900

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811910000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

möchte mich zunächst einmal der Kollegin Högl an-
schließen, weil auch ich der Meinung bin, dass eigentlich
das ganze Haus dankbar sein muss über das großartige
Beispiel der Solidarität mit den Flüchtlingen. Ich finde
es unglaublich, dass sich mitten in der Nacht in Dort-
mund Hunderte Menschen aufmachen und die Flücht-
linge freundlich empfangen . Deswegen sage ich auch im
Namen meiner Fraktion: Herzlichen Dank!


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist aber richtig: Auf der anderen Seite haben wir
auch ein ganz anderes, ein hässliches Gesicht . Die Ge-
walttaten gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte sind
in die Höhe geschnellt . Tagtäglich erleben wir in diesem
Land Hetze, Anschläge und Aufmärsche von NPD, Pegi-
da und rassistischem Mob . Das sind die hässlichen Sei-
ten; aber auch auf das Gerede, das Sie, Kollege Strobl,
und auch Sie, Herr Minister, heute wieder über den an-
geblich massenhaften Asylmissbrauch veranstalten, trifft
das zu . Ich möchte einmal darauf zurückkommen . Sie ha-
ben den Westbalkan angesprochen . Da wird im Grunde
genommen pauschal einer ganzen Flüchtlingsgruppe das
Recht abgesprochen, dass deren Asylanträge unvoreinge-
nommen geprüft werden . Das kann meines Erachtens so
nicht gehen .

Ich will ein paar Beispiele bringen: Im Juni waren 28
Prozent der Flüchtlinge aus dem Westbalkan, nämlich
3 611 Menschen, Roma . Selbst die EU-Kommission bzw .
EU-Kommissare berichten in ihren Unterlagen, dass die-
se Menschen extremer sozialer Ausgrenzung, rassistisch
motivierter Gewalt – auch durch staatliche Institutionen
– ausgesetzt sind . Sie tun hier aber einfach so, als wenn
all diese Leute vor allen Dingen auf den Arbeitsmarkt
wollten, und diskriminieren diese Menschen dadurch,
dass Sie ihnen im Grunde genommen das Recht abspre-
chen, hier Asyl zu beantragen . Deswegen sage ich ganz
eindeutig: Das Asylrecht darf nicht ausgehöhlt werden .
Die Linke wird jedenfalls bei der geplanten Form der
Aushöhlung nicht mitmachen .

Schauen wir uns doch einmal um: 43 Prozent der Flücht-
linge aus dem Kosovo wurden dort im vergangenen Jahr
anerkannt . In Frankreich sind 20 Prozent der Flüchtlinge
aus Bosnien-Herzegowina ebenfalls anerkannt worden .
Dies sage ich, um hier nur wenige Beispiele zu nennen .
Wir verlangen hier ganz klar von Ihnen eine klare Prü-
fung jedes einzelnen Asylantrags statt pauschaler Verur-
teilungen von Flüchtlingsgruppen, die aus dem Westbal-
kan kommen .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, zu den Vorschlägen der
Koalition, die gestern vorgelegt wurden, nachdem im
Mittelmeer bereits über 2 000 Menschen ums Leben ge-

Thomas Strobl (Heilbronn)







(A) (C)



(B) (D)


kommen sind, und angesichts der Gewalt an den Gren-
zen in Europa und der grausamen Bilder, wie in Ungarn,
Montenegro und in anderen Ländern mit Flüchtlingen
umgegangen wurde, muss man wirklich sagen: Dieses
Papier mit den von Ihnen gemachten Vorschlägen ist ei-
gentlich mehr als kläglich .

Zu den 3 Milliarden Euro, die jetzt den Ländern und
Kommunen zur Verfügung stehen, kann ich Ihnen jetzt
schon sagen: Das wird viel zu wenig sein . Wir brauchen
endlich eine gesetzliche Regelung, dass Bund und Län-
der gleichermaßen für die Unterkunft der Flüchtlinge
aufkommen müssen . Das bedeutet zum Beispiel, von
Anfang an bundesweit die Kosten für die Flüchtlings-
aufnahme zu übernehmen und den Kommunen das zu
überlassen, was wichtig ist, nämlich die Integration von
Anfang an, also Sprachunterricht, Eingliederung in den
Arbeitsmarkt und die Dinge, die nötig sind, damit die
Menschen hier schnell wirklich ankommen .

Es hat lange genug gedauert, bis Sie überhaupt re-
agiert haben . Gestern hat die Bundeskanzlerin gesagt:
Wir waren schnell beim Retten der Banken, jetzt müs-
sen wir schnell beim Retten von Flüchtlingen sein . – Ich
meine, dass es viel zu viele Monate gedauert hat, bis hier
wirklich etwas geschehen ist .

Fakt ist jedenfalls: Im Moment werden viele in rie-
sigen Sammelunterkünften untergebracht, Lager werden
schnell hergerichtet . Wir wollen verhindern, dass solche
Notlösungen zu Dauerlösungen werden . Deswegen muss
ganz schnell etwas passieren, damit die Flüchtlinge auf
einen entsprechenden bezahlbaren Wohnraum verteilt
werden und auch zu Freunden und Familienangehörigen
gehen können . Insbesondere was die Stigmatisierung
durch solche Massenlager angeht und diese befördert,
muss etwas passieren .

Die Koalition hat hier unter anderem eingebracht, dass
kein Bargeld, sondern Sachleistungen vergeben werden .
Das ist hier heute auch noch einmal gesagt worden . Ich
halte das für den reinsten Populismus, denn sparen lässt
sich damit nicht wirklich .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der bürokratische Aufwand für die Ausgabe von Sach-
leistungen wird – dies ist von den Kommunen immer
wieder gesagt worden – viel höher und viel teurer sein .
Deshalb wird man hier nicht sparen . Ausgerechnet beim
Taschengeld wollen Sie sparen . Das, was man damit
gerade noch erledigen kann, gehört zu den elementaren
Grundbedürfnissen, nämlich Telefonate führen, Busfahr-
karten kaufen oder vielleicht auch einmal irgendwo einen
Kaffee trinken . Ausgerechnet hier wollen Sie Sachleis-
tungen vergeben. Ich finde, das treibt Flüchtlinge wirk-
lich in die Isolation und verhindert jede Teilhabe am öf-
fentlichen Leben . Deswegen werden wir solche Attacken
auf die Menschenwürde der Flüchtlinge auf gar keinen
Fall mitmachen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, Zuwanderung muss eine
Bereicherung sein . Es ist durch Studien erwiesen, dass

Zuwanderung eben nicht Zuwanderung in unsere Sozial-
systeme heißt . In der Tat werden die Wirtschaft und die
Sozialsysteme sogar gestärkt . Deshalb denke ich: Egal ob
Menschen aus Angst vor Verfolgung, Krieg, Hunger oder
Armut fliehen, es muss darum gehen, Fluchtursachen zu
beseitigen . Das bedeutet die Beendigung von Kriegen
insbesondere im Mittleren und Nahen Osten . Es bedeutet
aber auch, die Fluchtursachen, die jeden Tag neu geschaf-
fen werden, zu beseitigen . Ich schaue in die Türkei, wo
Erdogan Krieg gegen die Kurden führt . Was höre ich von
der Bundesregierung dazu? Nichts . Im Gegenteil, man
schweigt . Ich schaue nach Frankreich, wo man verstärkt
Luftangriffe gegen Syrien fliegen will. Auch hier passiert
nichts . Solange die Fluchtursachen nicht bekämpft wer-
den, werden die Flüchtlinge hierherkommen, und weitere
werden hierherkommen . Deswegen sage ich: Machen Sie
endlich etwas gegen die Fluchtursachen, reden Sie nicht
nur darüber . Hören Sie auf, Länder wie die Türkei oder
andere Länder mit Waffen zu füttern .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811910100

Kollegin Jelpke, achten Sie bitte auf die Zeit .


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811910200

Das ist die einzige Lösung, die wirklich hilft: dass

Menschen in ihren Herkunftsländern bleiben können und
ihr Leben dort perspektivisch aufbauen können .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811910300

Der Kollege Burkhard Lischka hat für die SPD-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Burkhard Lischka (SPD):
Rede ID: ID1811910400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt

manchmal Rekorde, die möchte man eigentlich nicht er-
zielen . Wenn in diesem Jahr bis zu 800 000 Menschen
zu uns kommen, zu uns kommen müssen, weil sie vor
Krieg, Tod, Elend und Vertreibung fliehen, dann ist das
ein solcher Rekord . Als „Allzeithoch“ wird das in diesen
Tagen sehr gerne in unseren Zeitungen beschrieben . Aber
es ist eben kein Hochdruckgebiet auf der Wetterkarte, das
mit dem Sommer 2015 wieder abzieht . Der Umgang mit
Flüchtlingen – das wissen wir alle – wird uns viele, viele
Jahre beschäftigen und auch herausfordern . Das Ganze
ist nicht nur eine Herausforderung, sondern eine wirkli-
che Herkulesaufgabe, die vor uns liegt, die wir meistern
können – ja! –, bei der wir aber auch scheitern können .

Viele Menschen in unserem Land wissen das schon
längst . Sie engagieren sich oftmals bis an die Grenze
der Erschöpfung dafür, dass uns diese Aufgabe gelingt –
durch die Vermittlung und Aufnahme in Unterkünf-
ten, Verpflegung, Spielsachen, Betreuung von Kindern,
Deutschunterricht oder ganz einfach durch Zuspruch und
Begegnung . Sie sorgen dafür, dass Kinder wieder lachen

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


können, dass Menschen, die zum Teil alles verloren ha-
ben, wieder Hoffnung schöpfen . Diese vielen Menschen
sind derzeit die Helden des Alltags . Sie geben unserem
Land gerade in diesen Tagen ein menschliches Gesicht,
und dafür kann man nicht oft genug Danke sagen .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber ich weiß auch: Schon dieser letzte Satz des Dan-
kes wird dafür ausreichen, dass ich gleich nach dieser
Debatte in meinem Büro mit einem Stapel böser E-Mails
konfrontiert werde -


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hassmails! – Dr . Eva Högl [SPD]: Wir alle!)


E-Mails, die teilweise so widerwärtig sind, dass es mir
manchmal schwerfällt, meine Sprache wiederzufinden.
Ja, es macht mich sprachlos, wenn Tag für Tag vor deut-
schen Flüchtlingsunterkünften traumatisierte Menschen
ankommen, die oft nur ihr nacktes Leben retten konnten,
und dort auf Glatzköpfe und sogenannte Wutbürger tref-
fen, die die ankommenden Busse mit Steinen bewerfen
und skandieren: Weg mit dem Dreckspack! – In solchen
Momenten bin ich sprachlos und schäme mich . Aber ich
weiß: Ja, es gibt dieses hässliche Gesicht in unserem
Land, aber dieses Gesicht steht nicht für unser Deutsch-
land im Sommer 2015 .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn es um Not und Mitmenschlichkeit geht, dann ste-
hen die Menschen hier in übergroßer Mehrheit zusam-
men . Auch das haben wir am letzten Wochenende erlebt,
und das hat Deutschland oft bewiesen . So wird es auch
diesmal sein .

Richtig ist aber auch, dass diese Zuschriften, die wir
ja alle kennen, zeigen, wie weit sich einige Teile dieser
Gesellschaft voneinander entfernt haben, wie wenig
Grundkonsens es gibt zwischen denen, die eine unein-
geschränkte Solidarität mit Flüchtlingen fordern, und
anderen, die meinen, es wären eh schon viel zu viele . Es
wird auch eine der Hauptaufgaben der Politik in diesen
Tagen sein, immer wieder für den Grundkonsens, für den
gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land zu ar-
beiten . Denn das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass
wir diese Herausforderung meistern und das überhaupt
schaffen können .

Ja, wir können das schaffen . Aber die bittere Wahrheit ist
auch: Wir wollen keine Zäune errichten wie andere und
nicht so tun, als wenn uns der Rest der Welt nichts angin-
ge, aber wir können auch nicht so tun, als seien unsere
Möglichkeiten unbegrenzt . Die Motive der Menschen,
die zu uns kommen, sind allesamt ehrenwert, aber nicht
allen Verzweifelten werden wir Arbeit, Sicherheit und
Zukunft geben können . Der Politik fällt in diesen Tagen
auch die Aufgabe zu, die Grenze zwischen Möglichem
und Unmöglichem zu ziehen . Da ist „Flüchtling“ in die-
sem Zusammenhang ein völkerrechtlich klar definierter
Begriff, genauso wie das Grundrecht auf Asyl . Das klare

Kriterium ist Verfolgung, nicht wirtschaftliche Not . Dass
jemand zu uns kommt, weil er in seiner Heimat keine
wirtschaftliche und persönliche Perspektive sieht, ist ver-
ständlich und übrigens auch kein Verbrechen, aber es ist
eben kein Asylgrund. Ich finde, das ist keine unmenschli-
che oder zynische Einstellung .

In einem Kommentar, den ich vor einigen Tagen gele-
sen habe, wurde nicht ganz zu Unrecht die Situation, in
der wir uns derzeit befinden, verglichen mit einem Arzt,
der zu einem Massenunfall mit vielen Verletzten geru-
fen wird . Wenn sich dieser Arzt zuerst um die Schwer-
verletzten kümmert, dann ist das nicht unmenschlich,
sondern durchaus verantwortungsbewusst . Deshalb, lie-
be Kolleginnen und Kollegen, werden wir einigen, die
nicht vor Verfolgung fliehen, ehrlich sagen müssen: Das
Asylverfahren ist der falsche Weg, um nach Deutschland
zu kommen . Selbst wenn wir alle hier unser Bestes ge-
ben, werden wir nicht allen gerecht werden können . Wir
sollten das sagen, ohne Ressentiments und Vorurteile zu
schüren; denn jemand ist ja kein Unmensch, wenn er
für sich und seine Familie eine neue Lebensperspektive
sucht. Er ist übrigens auch kein Betrüger, ich finde, auch
kein Asylbetrüger .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg . Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Insofern bin ich über manchen Debattenbeitrag der letz-
ten Wochen irritiert . Es kommt jetzt aber auch darauf an,
nicht jeden frommen Wunsch als problemlose Realität zu
verkaufen .

Wir alle wissen: Es gibt viele Schrauben, an denen jetzt
gedreht werden muss, und manche Schrauben sind sehr
schwergängig . Das A und O wird jetzt sein, für schnelle
Asylverfahren zu sorgen . Davon hängt alles andere ab,
bis hinunter zu den Kommunen . Hier ist der Bund und
sonst niemand gefordert .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn 60 000 Menschen derzeit länger als ein Jahr auf
eine Erstentscheidung in ihrem Asylverfahren warten,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Problembeschreibung kennen wir schon!)


12 000 Menschen länger als zwei Jahre, und wir 265 000
unerledigte Asylanträge haben, dann müssen wir jetzt al-
les dafür tun, dass sich das ändert, und zwar auch mit
diesem Bundeshaushalt .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie denn?)


Ich glaube, da werden die 2 000 Neueinstellungen, die
wir uns bis zum Frühjahr vorgenommen haben, nicht rei-
chen . Denn das bedeutet, dass wir bis zum Jahresende
1 000 Entscheider beim Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge haben . Schafft ein Entscheider im Durch-
schnitt 500 Fälle, dann macht das bei 1 000 Entscheidern
500 000 Fälle im Jahr . Man muss keine weiterführende
Schule besucht haben, um zu erkennen: 800 000 Asylan-
träge in diesem Jahr plus 265 000 Altfälle – das kann mit

Burkhard Lischka






(A) (C)



(B) (D)


1 000 Entscheidern mehr nicht funktionieren . Da müs-
sen wir mehr tun . Wir müssen jetzt einen entscheidenden
Schritt nach vorn gehen, sonst bleibt vieles andere, was
wir anpacken, nur Stückwerk .

Stückwerk würden wir auch abliefern, wenn wir uns
nicht mit allen Kräften darum kümmern würden, die
Menschen, die zu uns kommen und bei uns bleiben, ab
dem ersten Tag zu integrieren und ihnen beim Erlernen
unserer nicht einfachen Sprache zu helfen . Wenn die Zu-
gewanderten auf eigenen Beinen stehen können, wenn
ihre Kinder zur Schule gehen, wenn ihre Kinder einen
Job haben, dann würden alle Seiten davon profitieren in
einem Land, dem in den nächsten 30 Jahren ein Drittel
seiner Fachkräfte verloren geht . Dann wäre das, was wir
jetzt erleben, nicht nur eine Herausforderung, sondern
eine echte Chance für unser Land . Aber auch dafür müs-
sen wir jetzt mit diesem Haushalt die Weichen stellen
und nicht erst morgen und übermorgen .

Herr Minister, Sie werden die SPD an Ihrer Seite ha-
ben, wenn es darum geht, in Europa Tacheles zu reden .
Dieses Europa wird eines Tages in den Geschichtsbü-
chern auch daran gemessen werden, wie es mit seinen
Flüchtlingen umgegangen ist . Da muss man im Augen-
blick leider den Eindruck gewinnen, wir lebten in einer
Union der Egoisten, und einige Regierungschefs sind
derzeit dabei, Hochverrat an unseren gemeinsamen Wer-
ten zu verüben . Die Friedensnobelpreisträgerin EU hat
im Augenblick viel zu verlieren, vor allen Dingen ihre
Glaubwürdigkeit und ihre menschliche Orientierung .

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, das ist der
erste und der allerwichtigste Satz unseres Grundgeset-
zes – ohne Vorbehalt . Da ist nicht zu lesen: Es sei denn,
es sind zu viele Menschen . – Insoweit stehen wir vor ei-
ner großen Bewährungsprobe . Scheitern dürfen wir dabei
nicht .

Danke .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811910500

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die

Kollegin Luise Amtsberg das Wort .


Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811910600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Diese Haushaltsdebatte – im Besonderen die Debatte
über den Etat des Innenministeriums – ist nicht nur eine
Debatte über Zahlen, und ich bin froh, dass sie auch in
den vergangenen Minuten nicht so geführt wurde . Wir
als Parlament müssen mit diesem Haushalt eine Antwort
darauf geben, wie wir mit dieser historischen Aufgabe,
dieser nationalen Verantwortung und Herausforderung
umgehen . Diese historische Aufgabe ist eben nicht die
schwarze Null, sondern die Versorgung und Aufnahme
von Hunderttausenden Schutzbedürftigen in Deutsch-
land, von Menschen, die vor Krieg und Verfolgung ge-
flohen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was wir derzeit in Deutschland erleben – das gilt
insbesondere für die Bilder von den Bahnhöfen in die-
ser Republik –, macht Hoffnung . Mit dieser Hilfsbereit-
schaft, aber auch den richtigen politischen Maßnahmen
wird Deutschland in den kommenden Jahren nicht nur
vielen Menschen Schutz bieten können, sondern für viele
auch dauerhaft ein neues Zuhause werden können . Das
höchste Gut, das wir derzeit haben, sind diese unglaubli-
che Hilfsbereitschaft, der Mut und das Engagement von
Menschen in Deutschland. Ihnen gilt unser Dank; denn
sie waren dort zur Stelle, wo der Staat versagt hat oder
politische Mühlen zu langsam gemahlen haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Hilfsbereitschaft der Menschen hängt maßgeblich
davon ab, was jetzt politisch passiert . Sie hängt davon
ab, ob wir es schaffen, Maßnahmen auf den Tisch zu le-
gen, die den derzeitigen Ausnahmezustand beenden . Hier
müssen wir tatsächlich über Inhalte streiten . Am Samstag
hatte die Bundesregierung noch mit einer großzügigen
Geste mehreren Tausend am Budapester Hauptbahnhof
festsitzenden Flüchtlingen die Einreise nach Deutschland
erlaubt, und schon am Sonntag präsentierte die Große
Koalition einen Beschluss, der unter anderem zahlreiche
restriktive Maßnahmen enthält . Maßnahmen zur Verein-
fachung von Asylverfahren findet man in dem Papier
nicht . Darin sehen wir, die grüne Fraktion, aber den we-
sentlichen Schlüssel . Frau Kollegin Högl, im Gegensatz
zur SPD haben wir definiert, wie die Vereinfachung und
Beschleunigung von Asylverfahren gelingen kann .

Der Beschluss vom Sonntag zeigt, dass man in vie-
len Punkten hinter die Vereinbarungen der vergangenen
Jahre zurückfallen will. Die Residenzpflicht soll wieder
ausgeweitet werden und das Sachleistungsprinzip wieder
eingeführt werden . Ich frage mich: Warum eigentlich?
Das Sachleistungsprinzip ist nicht nur diskriminierend,
sondern es verursacht auch einen enormen bürokrati-
schen Aufwand, genauso wie die Residenzpflicht, die
sich im Übrigen aus der geplanten Verlängerung des Ver-
bleibs in den Erstaufnahmeeinrichtungen ergibt . Dieser
enorme bürokratische Aufwand ist das Letzte, was wir
jetzt gebrauchen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zum Vorschlag des Innenministers, den Verbleib in
der Erstaufnahmeeinrichtung auf sechs Monate zu ver-
längern: Wieso halten Sie sich eigentlich mit solchen
Vorschlägen auf, obwohl Sie wissen, dass es in der jet-
zigen Situation überhaupt nicht möglich ist, Flüchtlinge
so lange in zentralen Aufnahmeeinrichtungen zu halten?
Es ist doch eher so, dass wir die Flüchtlinge schnell auf
die Kommunen verteilen, weil die Kapazitäten in den
Erstaufnahmeeinrichtungen fehlen . Daran werden auch
150 000 Erstaufnahmeplätze nichts ändern . Statt die Län-
der damit in eine schwierige Situation zu bringen, sollte
der Fokus des Innenministers endlich auf der Entlastung
des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge liegen .
Das fällt in Ihre Zuständigkeit . Der Bearbeitungsstau von
mittlerweile über einer Viertelmillion Anträgen kann nur
durch Verfahrungserleichterungen beseitigt werden . Ich
frage mich: Warum verwenden Sie so viel Kraft darauf,

Burkhard Lischka






(A) (C)



(B) (D)


sich an Nationalitäten mit niedrigen Schutzquoten ab-
zuarbeiten, obwohl es bei Nationalitäten mit besonders
hohen Schutzquoten so viel Raum für Hilfe durch büro-
kratische Erleichterungen gibt? Syrien 100 Prozent, Af-
ghanistan 78,4 Prozent, Irak 99,7 Prozent – es dauert zu
lange, wenn Asylsuchende aus diesen Ländern im Durch-
schnitt 11 bis 18 Monate auf eine Entscheidung warten
müssen . Hierauf sollte der Fokus liegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Um ein bisschen konkreter zu werden: Es ist Ressour-
cenverschwendung, wenn man alle Asylanträge von an-
erkannten Flüchtlingen nach drei Jahren erneut überprüft .
Im zweiten Quartal dieses Jahres kam es zur Einleitung
von über 3 000 Widerrufsverfahren, über 500 davon ge-
gen anerkannte Syrer . Diese Widerrufsprüfungen binden
unnötige Kapazitäten im Bundesamt und verunsichern
anerkannte Flüchtlinge . Das ist doch völliger Quatsch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Fraktion ist der Auffassung, dass, um tatsäch-
lich einen Anreiz zur Beschleunigung der Verfahren zu
setzen, nach einem Jahr ein Schnitt gemacht werden soll-
te, dass für Asylverfahren, die nicht innerhalb eines Jah-
res beschieden werden, quasi eine Altfallregelung gelten
sollte . Das würde das BAMF wieder voll arbeitsfähig
machen und überlange Verfahren endlich beenden . Aber
solche Vorschläge bleiben Sie in Ihrem Papier leider Got-
tes schuldig .

Bedauerlicherweise findet sich auch kein Wort im Ko-
alitionsbeschluss zur Zukunft des Dublin-Verfahrens –
auch ein wesentlicher Punkt, und das, obwohl die Bun-
deskanzlerin gerade gestern noch der Presse verkündet
hat, dass die derzeitige europäische Flüchtlingspolitik
komplett gescheitert ist . Im Übrigen sehen wir das schon
seit vielen Jahren so und stimmen ihr da ausdrücklich zu .
Allerdings liegt der Schlüssel auch hier in der Verkür-
zung von Verfahren . Wir Grünen wollen, dass die Dub-
lin-Überstellungen neben Syrern auch für andere Staats-
angehörige ausgesetzt werden . Denn wie wollen Sie bitte
schön erklären, dass man Syrer nicht nach Ungarn, Itali-
en oder Bulgarien abschieben darf, eritreische oder ira-
kische Flüchtlinge aber schon? Das macht keinen Sinn,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


zumal es um die Abschiebung in ein Land geht, das
Flüchtlinge interniert, kriminalisiert und demnächst mit
Notstandsgesetzen und drakonischen Strafen bei illegaler
Einreise reagiert .

Deshalb appelliere ich namens meiner Fraktion an Sie,
die regierungstragenden Fraktionen, vor allen Dingen in
den Gesprächen mit den Ländern diese Vorschläge of-
fen zu prüfen, vielleicht auch zu konkretisieren und zu
übernehmen; denn das würde tatsächlich helfen, dem
BAMF wieder die Kapazitäten zu geben, die es braucht,
um Asylverfahren schnell zu bearbeiten, und auch in der
Perspektive – wir müssen davon ausgehen, dass in den
nächsten Jahren ähnlich viele Menschen nach Deutsch-
land kommen und Schutz suchen – mit den jetzigen Per-

sonalkapazitäten in irgendeiner Form handlungsfähig zu
bleiben . Meine Kollegin Anja Hajduk hat das beschrie-
ben . Das ist derzeit nicht absehbar . Da müssen wir drin-
gend aktiv werden .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811910700

Das Wort hat der Kollege Dr . André Berghegger für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. André Berghegger (CDU):
Rede ID: ID1811910800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir bera-
ten hier den Regierungsentwurf 2016 für den Bereich des
Bundesministeriums des Innern und seiner Behörden . Der
Bereich hat ein Gesamtvolumen von 6,8 Milliarden Euro .
Das ist eine Steigerung von gut 520 Millionen Euro im
Vergleich zum letzten Jahr . Es werden deutliche Schwer-
punkte in diesem Bereich gesetzt . Aus meiner Sicht sind
es zwei Schwerpunkte, die wir vernehmen können, und
zwar die Stärkung der Terrorismusbekämpfung und der
Bereich des Asylverfahrens und der Integration .

Zum ersten Bereich, der Stärkung der Terrorismusbe-
kämpfung . Über 4 Milliarden Euro – das sind gut zwei
Drittel des Etats – werden in den Sicherheitsbereich ein-
gebracht und dort verwendet . Das sind insbesondere die
Bereiche der Bundespolizei, des Bundeskriminalamtes,
des THW, des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und
Katastrophenhilfe und des Bundesamtes für Sicherheit in
der Informationstechnik . Die Bedrohungslage durch den
internationalen Terrorismus stellt unsere Sicherheitsbe-
hörden vor große Herausforderungen . Da nenne ich ins-
besondere das Bundeskriminalamt als Zentralstelle für
die deutschen Polizeibehörden und als zuständige Be-
hörde für die internationale Zusammenarbeit . Hier wer-
den nach derzeitigem Stand zusätzlich 200 Stellen und
12 Millionen Euro als Sachmittel hinzugegeben .

Nennen möchte ich auch die Bundespolizei, die nach
dem Stand des Regierungsentwurfs zusätzlich 350 Stel-
len und 26 Millionen Euro an Sachmitteln bekommt .
Insbesondere hat sie die Aufgabe, die kritischen Infra-
strukturen wie Bahn und Flughäfen zu schützen . Nicht
vergessen wollen wir das Bundesamt für Verfassungs-
schutz .

Seit zwei Jahren hat sich insbesondere der Konflikt
in Syrien zum Anziehungspunkt für gewaltbereite Isla-
misten aus ganz Europa und damit auch aus Deutschland
entwickelt . Die Ausreise nach Syrien sowie die Rück-
kehr stellen besondere Gefahrenlagen für die Sicherheit
in Deutschland dar . Über 700 Islamisten aus Deutschland
sind in Richtung Syrien und in den Irak gewandert . Rund
ein Drittel dieser gereisten Personen ist zurzeit wieder in
Deutschland, davon rund 50 Personen, die sich aktiv an
bewaffnetem Widerstand beteiligt haben . Damit ist die
Gefahr von dschihadistisch motivierten Gewalttaten im
Bundesgebiet jederzeit so, dass sie sich konkretisieren

Luise Amtsberg






(A) (C)



(B) (D)


kann . Deswegen denke ich, dass der Aufwuchs in diesen
beiden Bereichen dieses Einzelplans, so wie ich es gera-
de beschrieben habe, gut und richtig ist und dass diese
Schwerpunktsetzung stimmt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der weitere Schwerpunkt „Asylverfahren und Integra-
tion“ – wir haben es heute in vielen Beiträgen gehört – ist
ein äußerst emotionaler Bereich . In den letzten Wochen
haben wir ständig Bilder von leidgeplagten Menschen
vor Augen, die auf der Flucht vor Krieg und Elend alles
verloren haben und nach Sicherheit suchen und sich des-
wegen auf nach Europa gemacht haben .

Ich habe neulich gelesen, dass Kinderfotos uns die
Wahrheit in all ihrer Emotionalität und Bandbreite näher-
bringen sollen; das ist richtig. Zwei Bilder haben sich bei
mir besonders eingeprägt . Eines ist heute schon mehrfach
erwähnt worden . Das ist das Bild des kleinen syrischen
Jungen, der leblos an die türkische Küste gespült worden
ist . Das ist eine Bandbreite der Skala . Das andere Bild
zeigt das lachende kleine Mädchen mit den schwarzen
Locken, das sich freut, in Deutschland zu sein, das sich
aufs Lernen freut, weil es Ärztin werden will . Diese Bil-
der berühren uns alle, und es kommen täglich neue hinzu .

Trotz aller Emotionen – da schließe ich an die Aus-
sagen von Thomas Strobl an – brauchen wir, glaube ich,
die – ich will es einmal so formulieren – richtige Balance
zwischen Herz und Verstand, um dieser Aufgabe gerecht
zu werden, um diese Herausforderung der Asyl- und
Flüchtlingspolitik zu lösen . Das wird die größte Heraus-
forderung, der wir uns gegenübersehen . Ich glaube auch,
dass sich die Denkweise dieser Unterscheidung mehr und
mehr in der Bevölkerung verbreitet .

Diese Herausforderung wird Auswirkungen auf viele
Bereiche des Haushaltes haben. Wir sollten die finan-
ziellen Spielräume, die wir dieses Jahr haben, für die-
se Aufgabe nutzen . Das wird schwierig genug, und das
erfordert Disziplin . Aber wir können das schaffen und
dennoch die langfristigen Haushaltsziele einhalten, als
da sind: ein ausgeglichener Haushalt, eine Steigerung der
Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung und
im Bereich der Bildung . Andere Wünsche sollten sich
hier zurücknehmen und unterordnen .

Die Situation rund um die Flüchtlinge zeigt aus mei-
ner Sicht ein Weiteres: Der Haushalt von einem Jahr, so
wie wir es systematisch kennen, ist manchmal viel zu
langfristig gedacht . Er kann mit den Entwicklungen in
der Realität gar nicht Schritt halten . Bei Aufstellung des
Entwurfs des Haushaltsplans ging die Prognose noch –
wir haben es gehört – von 400 000, 450 000 Flüchtlingen
aus . Das ist erst einige Wochen her . Im August prognos-
tizierte der Innenminister dann die Ankunft von 800 000
Flüchtlingen in diesem Jahr .

Natürlich hat das Auswirkungen . Es hat Auswirkun-
gen auf Stellen und Sachmittel . Ich knüpfe da an Frau
Hajduk an . Natürlich hat das einen weiteren Schritt zur
Folge . Die Beschlusslage hier bei uns im Hohen Haus ist
das eine, aber die Beschlüsse müssen umgesetzt werden .
Wir müssen uns in nächster Zeit darüber unterhalten, wie

wir bei diesen gestiegenen Anforderungen ausgewiesene
Stellen weiterhin schnellstmöglich besetzen können, um
dieser Aufgabe effektiv nachgehen zu können . Darüber
werden wir während des Haushaltplanverfahrens, denke
ich, im Detail diskutieren .

Diese Entwicklung ist aus meiner Sicht auch ein Beleg
dafür, dass es gut ist, den Haushalt auf Sicht zu fahren,
nicht vorschnell Spielräume nachhaltig zu verplanen,
sondern Freiräume zu erarbeiten, um flexibel auf genau
solche Situationen zu reagieren, wie wir sie jetzt vorfin-
den .

Ich glaube, man kann es nur immer wieder betonen:
Die Menschen in Deutschland begegnen den Flücht-
lingen mit einer überwältigenden Hilfsbereitschaft und
Solidarität . Ich habe das Bild vom Wochenende vor Au-
gen: Spalier stehende Menschen in München, wo am
Wochenende Tausende am Bahnhof angekommen sind .
Das stimmt mich und, ich denke, uns alle zuversichtlich .
Dieses große Engagement gemeinsam mit unserer wirt-
schaftlichen Stärke in unserem Land ist der Grund da-
für, dass wir die Herausforderung selbstbewusst angehen
können und dass wir sie auch stemmen können .

Die größte Belastung entsteht natürlich bei den Kom-
munen . Die Aufgabe können wir lösen, aber wir können
sie nur gesamtgesellschaftlich lösen, Staat und Zivilge-
sellschaft gemeinsam . Für dieses große Engagement,
teilweise über die Belastungsgrenze hinweg – Frau Högl,
hier möchte ich gerne an das anknüpfen, was Sie gesagt
haben –, egal ob haupt- oder ehrenamtlich, möchte ich an
dieser Stelle allen Menschen danken, die sich da einge-
setzt haben . Danke für dieses Engagement!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir sind ein weltoffenes, tolerantes und solidarisches
Land . Darauf können wir stolz sein . Deshalb gibt es bei
uns auch keinerlei Toleranz für diese empörenden Vor-
gänge der Extremisten und radikalen Gewalttäter in der
letzten Zeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Im Gegenteil: Wir werden das staatliche und das ehren-
amtliche Engagement im Bereich der Flüchtlingsarbeit in
Zukunft weiter verstärken und verstetigen . Wir müssen
aber auch die Behördenstrukturen und die Verfahren in
den Fokus nehmen und auf ein dauerhaft hohes Niveau
anpassen und nicht dauerhaft nur improvisieren . Das gilt
für den Bund ebenso wie für die Länder. Ich finde, es
ist ein wichtiges Signal, was der Koalitionsausschuss am
Wochenende beraten und beschlossen hat . Frau Jelpke,
natürlich kann man sagen, dass 3 Milliarden Euro zu we-
nig sind, aber ich möchte eines anmerken: Lassen Sie uns
nicht in einen Wettbewerb der Überbietung gehen, wel-
che Zahl richtig ist . Ich glaube, wir sollten erst die Auf-
gabe beschreiben, an der Lösung arbeiten und uns dann
gemeinsam um die Finanzierung kümmern .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Uns geht es auch mehr um die grundsätzliche Struktur: Bund und Länder! – Thomas Strobl [CDU/CSU]: Das ist die richtige Reihenfolge, ja!)


Dr . André Berghegger






(A) (C)



(B) (D)


Am Wochenende wurde im Koalitionsausschuss fest-
gehalten – so verstehe ich es -: Alle, die zu uns kom-
men, werden menschenwürdig behandelt . Alle, die zu
uns kommen, werden menschenwürdig aufgenommen .
Die, die einen Asylgrund haben, werden schnell auf die
Kommunen verteilt, und die Integration soll frühestmög-
lich – so wie Sie es beschrieben haben, Herr Lischka –
anfangen .

Wir haben in Deutschland einen Rechtsstaat, um den
uns viele in der Welt beneiden . Ich bin aber der tiefen
Überzeugung, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung,
die wir jetzt haben, auch davon abhängt, dass ein Rechts-
staat vollzogen wird . Deshalb müssen diejenigen ohne
Asylgrund, so schwer es auch ist, schnell in ihre Heimat
zurückgeführt werden, so menschlich nachvollziehbar
wirtschaftliche oder andere soziale Gründe auch sind .
Unser Asylrecht bietet keinen geeigneten Weg hierfür .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Richtig!)


Ich appelliere an dieser Stelle an die Länder, ihrer Ver-
antwortung nachzukommen und sich dort, höflich formu-
liert, noch mehr zu engagieren .

Wir werden für Angehörige der Weltbalkanstaaten die
Möglichkeit der Einwanderung insbesondere bei Vor-
liegen eines Arbeitsvertrages oder eines Ausbildungs-
vertrages deutlich machen, um legale Einreisewege aus
der Heimat aufzuzeigen . Wir werden Fluchtursachen in
den Heimatländern stärker bekämpfen und natürlich die
Solidarität anderer EU-Länder einfordern . Hierzu hat der
Minister am Anfang ein umfassendes Maßnahmenpaket
vorgestellt . Denn eines ist klar: Bei weltweit geschätzten
60 Millionen Flüchtlingen geht es auf Dauer nicht, dass
einige wenige Länder mit der Bewältigung dieser Ent-
wicklung alleingelassen werden .

Neben der europäischen Solidarität müssen wir auf
ein gemeinsames Asylsystem drängen, immer wieder
Wert darauf legen und dafür werben . Wir werden schnell
handeln, so wie es auch bei anderen Themen geschehen
ist und wie es beispielsweise Kardinal Marx angemerkt
hat . Den Zeitplan haben wir gehört: Wenn alles glatt
läuft und alle mitmachen, werden wir Mitte Oktober ein
großes Maßnahmenpaket beschlossen haben, in die Um-
setzung gehen können und gute, nachhaltige Lösungen
erarbeiten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])


Zum Schluss kann ich sagen: Die Menschen in diesem
Land erwarten von uns eine sachliche Debatte ohne par-
teipolitisches Klein-Klein . Der Regierungsentwurf für
diesen Haushalt und die Beschlusslage im Koalitionsaus-
schuss liefern hierfür eine gute Grundlage, eine Chance,
diese gesellschaftliche Herausforderung anzugehen . Der
Wunsch ist eine möglichst große Zustimmung . Ich kann
für die CDU/CSU-Fraktion sagen, dass wir sicherlich un-
seren Beitrag dazu leisten werden .

Ich freue mich auf die anstehende Debatte und bedan-
ke mich fürs freundliche Zuhören .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811910900

Das Wort hat die Kollegin Gabi Fograscher für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1811911000

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wie München am vergangenen Wochenende die Ankunft
von Zehntausenden von Flüchtlingen bewältigt hat, war
großartig und vorbildlich . Wir können dankbar sein für
die Hilfsbereitschaft der vielen ehrenamtlichen und frei-
willigen Helferinnen und Helfer . In diesen Dank möchte
ich ausdrücklich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
des öffentlichen Dienstes und der Verwaltung einbezie-
hen, die in diesen Tagen mehr als ihren Job machen .


(Beifall im ganzen Hause)


Diese Haltung der Menschen steht im krassen Gegen-
satz zu den Äußerungen einiger aus der CSU .


(Jan Korte [DIE LINKE]: Oh ja, das ist wahr!)


Heute, kurz vor der Debatte, gegen 15 Uhr gab es eine
Tickermeldung mit dem Wortlaut:

Aus der CSU wird die Forderung laut, abgelehnte
Asylbewerber auch in das Bürgerkriegsland Syrien
abzuschieben .


(Jan Korte [DIE LINKE]: Straubinger!)


… Max Straubinger …: „Nicht überall in Syrien
wird gekämpft . Aleppo ist nicht Damaskus .“

Straubinger – so heißt es in dieser Meldung weiter – kri-
tisierte die Aussage des SPD-Vorsitzenden Gabriel, der
gesagt hat, dass Deutschland mit einer halben Million
Flüchtlingen klarkomme . Für Straubinger ist dies „ein
falsches Signal nach draußen“ .

Herr Straubinger, geben Sie im Netz nur die Stichwor-
te „Aleppo“ und „Damaskus“ ein . Dann sehen Sie zer-
störte und umkämpfte Städte .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der soll da hinfahren! Dann weiß er, wovon er redet!)


Die CSU will abschieben, abschrecken, abschotten und
dann noch die Schuld der SPD zuweisen . So leisten Sie
keinen Beitrag zur Bewältigung der wahrhaft großen
Aufgabe, vor der wir stehen .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Haushalt: Der vorliegende Entwurf des Ein-
zelplans 06 für 2016 sieht Ausgaben in Höhe von rund
6,8 Milliarden Euro vor . Das sind rund 8,2 Prozent mehr
als 2015, und er enthält eben noch nicht das Maßnah-
menpaket, das der Koalitionsausschuss am Wochenende
beschlossen hat . Mehr Geld, mehr Personal und mehr
Flexibilität sind nötig, um die Aufnahme und die Inte-
gration der Flüchtlinge nicht nur kurzfristig bewältigen
zu können .

Dr . André Berghegger






(A) (C)



(B) (D)


Schon seit Jahren steht die Bundespolizei am Rand
der personellen und sachlichen Kapazitäten . Der Einsatz
bei Großereignissen, der Kampf gegen die Alltagskri-
minalität an Bahnhöfen und an Flughäfen und der Be-
förderungsstau im mittleren Polizeivollzugsdienst wa-
ren in den vergangenen Jahren immer Themen in den
Haushaltsdebatten . Ich begrüße es ausdrücklich, dass
der Koalitionsausschuss am vergangenen Sonntag be-
schlossen hat, in den kommenden drei Jahren zusätzliche
3 000 Stellen zu schaffen . Uns ist es wichtig, dass diese
zusätzlichen Stellen nicht nur wegen der aktuellen Lage
geschaffen werden, sondern langfristig erhalten bleiben .


(Beifall bei der SPD)


Vor der Sommerpause haben wir die Reform des Bun-
desamtes für Verfassungsschutz beschlossen . Diese Kon-
sequenz aus dem NSU-Untersuchungsausschuss bildet
sich jetzt im Haushaltsentwurf ab . Die Zusammenarbeit
mit den Verfassungsschutzbehörden der Länder und die
Analysekompetenz im Bereich Rechtsextremismus sol-
len und werden sich durch diese Aufstockung der Mittel
verbessern .

Die Bundeszentrale für politische Bildung leistet ei-
nen wesentlichen Beitrag zur Extremismusprävention.
Sie hat im Bereich „Salafismus und Dschihadismus“
einen Aufgabenschwerpunkt gesetzt . Deshalb ist die im
Haushaltsentwurf vorgesehene Kürzung der Mittel von
6,8 Prozent kontraproduktiv . Sie muss im parlamentari-
schen Verfahren korrigiert werden .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Digitalisierung unserer Gesellschaft schreitet
unaufhaltsam voran . Neben den positiven Seiten steigt
auch die Gefährdung der digitalen Infrastruktur . Deshalb
ist die Aufstockung der Mittel für das Bundesamt für
Sicherheit in der Informationstechnik um 11 Millionen
Euro notwendig . Wie wichtig die Arbeit des BSI ist, ha-
ben wir hier im Deutschen Bundestag selbst erfahren, als
das Bundestagsnetz das Ziel eines Hackerangriffs war .

Auch das Bundeskriminalamt braucht eine moderne
und leistungsfähige Software- und IT-Ausstattung . Der
vorliegende Entwurf hält für das BKA einen Aufwuchs
der Mittel für den Bereich „Software und Informations-
technik“ um 3,7 Prozent bereit .

Die wachsende Cyberkriminalität auf der einen Seite
und das zunehmende digitale Abwickeln von Geschäften
und Behördenangelegenheiten auf der anderen Seite ma-
chen das BSI und das BKA zu unverzichtbaren Behör-
den, die gut ausgestattet werden müssen .

Datenschutz und Datensicherheit sind elementar für
das Funktionieren der digitalen Welt . Die Datenschutz-
beauftragte hat jetzt mit einer eigenen Behörde die not-
wendige Unabhängigkeit, um öffentliche Stellen beraten
und kontrollieren zu können . Um ihrem Auftrag gerecht
zu werden, ist eine angemessene personelle und sach-
liche Ausstattung notwendig . Der Haushalt der Daten-
schutzbeauftragten ist von 9 Millionen Euro in 2013 auf
13,2 Millionen in 2016 gestiegen . Aber auch für die Zu-
kunft gilt: Mit steigenden Aufgaben muss auch die Per-
sonalausstattung mithalten .

Das Technische Hilfswerk ist im In- und Ausland im
Einsatz . Die technische Ausstattung, der Fahrzeugbe-
stand und die Liegenschaften entsprechen noch immer
nicht den vielfältigen Aufgaben, die es zu bewältigen hat .
Auch die vorgesehenen Kürzungen beim Bundesamt für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe werden wir
in den Beratungen nochmals thematisieren .

Das BMI und seine nachgeordneten Behörden stehen
beim Thema „Integration und Innere Sicherheit“ vor gro-
ßen Herausforderungen . Wir werden bei den Beratungen
zum Bundeshaushalt und zum Nachtragshaushalt alles
daransetzen, dass das BMI diesen Herausforderungen
gerecht werden kann .

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Menschen,
die nach Deutschland kommen, erhoffen sich Perspekti-
ven, und sie wollen in Sicherheit leben . Perspektiven und
Sicherheit erwarten auch die Menschen hier in Deutsch-
land . Diese Aufgabe, vor der wir stehen, beschrieb
Johannes Rau bereits 2000 in seiner Berliner Rede, aus
der auch Sie, Herr Innenminister, zitiert haben, treffend:

Wir brauchen eine neue Anstrengung für das Zu-
sammenleben aller Menschen in Deutschland –
ohne Angst und ohne Träumereien .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811911100

Der Kollege Dr . Reinhard Brandl hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1811911200

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, als Sie am Wochen-
ende die Bilder aus Ungarn und vom Münchener Haupt-
bahnhof gesehen haben . Ich persönlich war hin- und
hergerissen . Auf der einen Seite ging mir das Herz auf,
als ich sah, mit welchem Engagement, mit welcher Hilfs-
bereitschaft zahlreiche Ehrenamtliche und Vertreter von
Hilfsorganisationen den Menschen auf der Flucht und in
Not sofort unkompliziert beigestanden sind .

Auf der anderen Seite ist mir auch bewusst, dass ge-
nau diese Bilder dazu geeignet sind, falsche Hoffnungen
bei Abertausenden Menschen zu wecken, die ebenfalls
auf der Flucht sind und die vielleicht auch nach Deutsch-
land kommen wollen . Es ist heute schon mehrmals ge-
sagt worden: Wir können nicht alle aufnehmen . Wir kön-
nen auch nicht allen, die zu uns wollen, eine Perspektive
für Integration in Deutschland bieten .

Meine Damen und Herren, ich werde gleich darüber
sprechen, was wir in unserem Haushalt alles an Maß-
nahmen stehen haben, um die aktuelle Krise in Deutsch-
land und in Europa zu bewältigen . Aber ich will eines
vorausschicken: Lösen können wir das Problem nicht in
Deutschland und auch nicht in Europa . Die Lösung muss
in den Herkunftsländern gefunden werden .

Gabriele Fograscher






(A) (C)



(B) (D)



(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir befinden uns momentan gesamtstaatlich in ei-
nem Notfallmodus . Die Zahl der Asylbewerber wächst
exponentiell. Jede Prognose ist eine Verdoppelung der
vorhergehenden Prognose . Erst waren es 200 000, dann
400 000, jetzt 800 000 Menschen . Damit wir dieses
Problem lösen, reicht es jetzt nicht, nur mehr Geld und
Personal bereitzustellen – das werden wir auch in den
kommenden Wochen tun –, sondern wir müssen auch an
Strukturen, an Gesetze und Standards herangehen .

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen . Ich war letzte Wo-
che mit einem Fall befasst, bei dem sich ein Landrat fast
gezwungen sah, ein ehemaliges Kasernengebäude der
Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) zu be-
schlagnahmen, weil er keine andere Möglichkeit mehr
gesehen hat, die ihm zugewiesenen Flüchtlinge unter-
zubringen . Dank einer guten Kooperation mit der BImA
konnte in letzter Minute eine Lösung gefunden werden .
Wir werden jetzt daran arbeiten, wie in solchen Fällen
die Kommunen bei den Herrichtungskosten unterstützt
werden .

Aber das eigentliche Problem ist ein anderes . In dieses
Gebäude sollte ursprünglich eine Hochschule einziehen .
Dieser Plan ist zumindest zeitlich verschoben worden .
Das Problem ist auch, dass wenige Kilometer davon ent-
fernt an einer Bahnlinie Flächen zur Verfügung stehen,
auf denen man Unterkünfte bauen und Asylbewerber
unterbringen wollte, aber dann waren sie zu nah an der
Bahnlinie, und aus immissionsschutzrechtlichen Grün-
den war es nicht möglich, dort Unterkünfte zu errichten .

Selbst wenn das möglich gewesen wäre, gab es noch
eine andere Sache . Der Bürgermeister vor Ort sagte mir:
Wenn er jetzt hier etwas Massives, etwas Festes bauen
möchte und er sich dabei an die bei uns geltenden Bau-
vorschriften und Vergabeverfahren hält, dann dauert das
Ganze mindestens ein halbes Jahr, bevor er überhaupt
daran denken kann, einen Auftrag zu vergeben . Deswe-
gen, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir in der
nächsten Woche nicht nur mehr Geld und Personal be-
reitstellen, sondern wir müssen insbesondere auch unsere
Standards der Situation anpassen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber trotzdem bin ich ein Stück weit zuversichtlich,
dass wir die Situation meistern, weil ich in den letzten
Wochen gesehen habe, welche Kraft in unserem Land
steckt . Ich habe vorher die Ehrenamtlichen und die Hilfs-
organisationen erwähnt . Aber was unsere Mitarbeiter auf
allen staatlichen Ebenen im Moment leisten, ist schier
unbeschreiblich . Ich möchte mich deswegen an dieser
Stelle explizit bei den Mitarbeitern im Bund bedanken,
vor allen Dingen bei denen im BAMF und in der Bun-
despolizei, bei den Mitarbeitern in den Ländern, aber vor
allem auch bei den Mitarbeitern in den Kommunen, in
den Landkreisen, die vor Ort täglich damit befasst sind,
neue Unterkünfte zu organisieren, zu schauen, wie man
Menschen unterbringen und ihnen unkompliziert helfen
kann . Es ist unglaublich, wie sie über sich hinauswach-

sen . Meine Damen und Herren, herzlichen Dank von die-
ser Stelle aus .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Gleiches gilt für die Bürgermeister und Landräte, die
diese Aufgabe als das begreifen, was sie ist, nämlich
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir profitieren als
Gesamtgesellschaft auch davon, dass wir in einem der
stabilsten, wohlhabendsten und sichersten Länder der
Welt wohnen dürfen . Meine Damen und Herren, dann
müssen wir auch damit umgehen, dass von uns für alle
Menschen, die nicht so wie wir hier leben können, eine
magnetische Anziehungskraft ausgeht .

Meine Damen und Herren, ich habe es vorhin erwähnt:
Wir können nicht alle, die zu uns kommen, bei uns auf-
nehmen . Das fairste Verfahren für alle Beteiligten ist es,
den Menschen, die zu uns kommen, frühzeitig mitzutei-
len, ob sie in unserem Land eine Perspektive haben, und,
wenn sie eine solche haben, ihnen schnellstmöglich In-
tegrationsangebote – zum Beispiel in Form von Sprach-
kursen – zu machen . Wenn sie keine Perspektive haben,
sollten wir ihnen das auch offen sagen, sie zur Ausreise
auffordern oder notfalls zurückführen .

Gerade deshalb haben wir bereits in den letzten Jahren
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kontinu-
ierlich verstärkt . Wir haben es im letzten Jahr um 300
Mitarbeiter und in diesem Jahr in einer ersten Tranche
um 350 Mitarbeiter verstärkt, und in einer zweiten Tran-
che gab es eine Aufstockung um 750 Mitarbeiter .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie wissen mittlerweile selber, dass das nicht konzentriert genug angegangen wird!)


Liebe Frau Kollegin Hajduk, Sie haben jetzt gerade den
Vorwurf gemacht, dass dort auch noch zu viele unbesetz-
te Stellen vorhanden sind . Man muss aber natürlich sa-
gen: 750 Stellen gelten seit dem 2 . Juli 2015 . Seitdem ist
der Nachtragshaushalt in Kraft .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden seit dem 8 . Mai von den 2 000!)


Seitdem läuft auch die Besetzung, und ich bin zuversicht-
lich, dass das Bundesamt bis Ende des Jahres all seine
Stellen besetzt haben wird .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann reicht das, glauben Sie?)


Wir merken es auch bei den Verfahren . In den letzten
Jahren wurden die Asylverfahren deutlich beschleunigt .
In 2014 hatten wir eine durchschnittliche Verfahrensdau-
er von 7,1 Monaten . Jetzt sind wir mittlerweile schon bei
5,3 Monaten . Bei Syrern sind es 3,9 Monate .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Brandl, Sie können so nicht weitermachen!)


Das Problem ist nur, dass die Anzahl der Flüchtlinge viel
schneller wächst, als dass wir in gleichem Tempo Perso-
nal seriös einstellen und qualifizieren können; denn wir
haben hohe Anforderungen an dieses Personal, was die
Qualität ihrer Entscheidungen angeht .

Dr . Reinhard Brandl






(A) (C)



(B) (D)



(Thomas Strobl ist das! – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reiten ins Chaos, wenn Sie so weitermachen!)


Meine Damen und Herren, der Konflikt in der arabi-
schen Welt, insbesondere in Syrien, betrifft uns nicht nur
in Bezug auf die Flüchtlinge, sondern es gibt im Moment
auch die größte Gefährdung – es ist die größte überhaupt
in unserer Geschichte – durch islamistischen Terroris-
mus . Auch wenn das jetzt momentan in den Medien nicht
so sehr präsent ist – die Anschläge in Paris und Belgien
sind erst wenige Monate her : Wir müssen uns auch, was
die Sicherheitsbehörden anbelangt, auf diese Lage ein-
stellen . Wir haben bei der Bundespolizei im letzten Jahr
für dieses Jahr bereits 400 Stellen genehmigt . Dann ka-
men die Anschläge . Der Minister hat das Antiterrorpaket
mit verhandelt . Danach gab es 350 weitere Stellen . Und
jetzt, angesichts der Eskalation der Flüchtlingskrise, gab
es noch einmal 3 000 Stellen für die Bundespolizei .

Sehr geehrter Herr de Maizière, sehr geehrter Herr
Schäuble, vertreten heute durch Jens Spahn, ich möchte
mich ganz herzlich bei BMI und BMF für den Schritt
bedanken, der am letzten Sonntag getan worden ist . Das
ist ein starkes Signal für die innere Sicherheit in unserem
Land . Herzlichen Dank dafür .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, ich könnte noch über an-
dere Sicherheitsbehörden sprechen . Die Frau Kollegin
Fograscher hat vorhin angesprochen, dass das BSI groß-
artige Leistungen bei der Bewältigung des Cyberangriffs
gezeigt hat . Ich wüsste gar nicht, wie wir es ohne das BSI
geschafft hätten .

Der Präsident der Bundeshelfervereinigung des THW
hat mich explizit auch noch einmal gebeten, etwas zum
THW zu sagen . Das mache ich – insbesondere auch im
Kontext der aktuellen Flüchtlingskrise – gern. Denn das
THW ist die Organisation, die wirklich überall hilft . Auf
der einen Seite muss es dorthin, wo Flüchtlinge ankom-
men und kurzfristig in großem Maße schnell und unkom-
pliziert untergebracht werden müssen . Auf der anderen
Seite gilt das aber auch für die Herkunftsländer .

Wir – Kollege Gerster und Frau Hajduk waren auch
dabei – waren in al-Zaatari, einem Flüchtlingslager in
Jordanien mit über 80 000 Flüchtlingen, die dort unter-
gebracht sind .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die handeln ganz andere Zahlen! Genau!)


Das deutsche THW baut dort Kläranlagen und trägt
vor Ort massiv dazu bei, dass die Menschen dort blei-
ben . Deswegen haben wir das THW schon im laufenden
Jahr mit einem großen Liegenschaftsprogramm gestärkt .
Überall in Deutschland werden im Moment Liegenschaf-
ten renoviert und neu gebaut . Ich möchte mich bei Bun-
desminister de Maizière bedanken, der dem THW bereits
im Regierungsentwurf 2 Millionen Euro mehr für Inves-
titionen zur Verfügung gestellt und es auch bei den Ein-
sparungen deutlich entlastet hat .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, der Haushalt des Bundes-
innenministers ist nicht der größte im Bundeshaushalt,
aber der Minister, sein Haus und der Haushalt werden
einen entscheidenden Einfluss darauf haben, ob wir die
aktuellen Krisen bewältigen . Herr Minister, unsere Un-
terstützung haben Sie dabei .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811911300

Das Wort hat der Kollege Matthias Schmidt für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Matthias Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811911400

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das wichtigste Thema dieser Debatte ist selbstverständ-
lich die Flüchtlingspolitik . Ich möchte trotzdem meinen
Schwerpunkt auf den Sport legen . Denn auch der Sport
kann für Flüchtlinge eine Brücke in unsere Gesellschaft
bauen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Grundsätzlich, Herr Minister, hat es der Sport im
BMI-Haushalt nicht immer leicht, sich zu behaupten .
Das galt nie für die Höhe des Haushaltsvolumens oder
für die konkrete Sportförderung, aber politisch wurde der
BMI-Haushalt immer von anderen Themen dominiert .
Auch in diesen Haushaltsberatungen ist das sehr offen-
sichtlich . Flüchtlingspolitik ist das beherrschende The-
ma, und das ist auch richtig und gut so .

Gleichwohl, auch der Sport geht weiter . Hamburger
Zeitungen fragen im Zusammenhang mit der aktuellen
Debatte schon, ob in diese Zeiten überhaupt eine Olym-
piabewerbung passt . Ich meine: Ja, unbedingt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Sport leistet einen wichtigen Beitrag zur Integ-
ration . Er kann ihn leisten . Nicht nur der Sport kann das
leisten – viele andere Bereiche der Gesellschaft können
es auch –, und der Sport kann es schon gar nicht alleine
tun, aber er leistet einen wichtigen Beitrag . Er ermöglicht
Gemeinschaftserlebnisse, er lehrt Regeln, und er ist ge-
wöhnlich sehr fair .

Dem Spitzensport, den wir fördern, kommt gemein-
sam mit dem Breitensport eine enorme gesellschaftliche
Bedeutung zu . In diesem Sinne hat das Bundesministeri-
um des Innern einen sehr guten Haushaltsentwurf vorge-
legt, der auf hohem Niveau verbleibt, was angesichts der
Herausforderungen unserer Zeit wahrlich keine Selbst-
verständlichkeit ist .


(Beifall bei der SPD)


Dr . Reinhard Brandl






(A) (C)



(B) (D)


Ich möchte einige Punkte positiv hervorheben . So ist
die Förderung für „Jugend trainiert für Olympia“ und
„Jugend trainiert für Paralympics“, worüber wir im Par-
lament sehr gestritten haben, fortgeschrieben worden . Sie
bleibt erhalten . Es gibt Aufwuchs für wichtige Projekte
für Fair Play und im Kampf gegen Rechtsextremismus.
Auch das ist ein sehr aktuelles Thema .

Der Haushalt sorgt weiter dafür, dass Doping bekämpft
werden kann, mit Zuschüssen an die WADA und an die
NADA . Dazu passt auch unser Anti-Doping-Gesetz, das
wir im Parlament noch beraten und beschließen werden .

Ich möchte zusätzlich sehr positiv erwähnen, dass die
Förderung bei IAT und FES, die beide für den Spitzen-
sport einen sehr wichtigen Beitrag leisten, auf hohem
Niveau erhalten geblieben ist . Wenn es uns gelingt, der
Sportwissenschaft ein wenig Konkurrenz einzuhauchen
und dort zu neuen Ergebnissen zu kommen, dann ist das
auch nicht schlecht .

Aber wo Licht ist, da ist auch Schatten . Das Erste,
worüber man im Haushalt stolpert, Herr Minister, ist,
dass bei der Olympiabewerbung für Hamburg eine Null
eingestellt ist . Wir hatten im Nachtragshaushalt 10 Mil-
lionen Euro für dieses Jahr und für die beiden folgenden
Jahre beschlossen . Ich hatte erwartet, dass das im Haus-
halt auch so fortgeschrieben wird . Das ist nicht der Fall .
Ich habe heute schon einmal mit Herrn Staatssekretär
Schröder darüber diskutiert . Ich habe die Gründe nicht
genau verstanden . Auch aus dem Schwerpunktpapier des
Einzelplans 06 geht das nicht eindeutig hervor . Aber da-
für gibt es auch noch die Ausschussberatungen, in denen
wir dies beraten können .

Der Ansatz für den Behindertensport erfährt leider
eine leichte Absenkung . Es handelt sich zwar nur um
7 000 Euro . Gleichwohl ist das ein falsches Signal, das
wir an dieser für unsere Gesellschaft so wichtigen Stelle
aussenden . Auch die Mittel für Verbände mit besonderer

Aufgabenstellung werden erheblich gekürzt . Aber all das
sind Themen, die wir in den Ausschussberatungen be-
handeln werden .

Es gibt neben dem Haushalt in der Sportpolitik eine
wichtige Sache, die ich ganz kurz ansprechen möchte,
Herr Minister . Der deutsche Sport steht vor einer Neu-
ausrichtung der Spitzensportförderung . Dazu haben Sie
ein Beratungsgremium aus jeweils drei Mitgliedern des
BMI und des DOSB einberufen . Auch die SMK ist ver-
treten. Sieben Expertinnen und Experten runden dieses
Gremium ab . Wir Abgeordnete sind nicht dabei . Aber
wir sind der Haushaltsgesetzgeber. Ich finde, Sie müssen
schon versuchen, uns an den Tisch zu holen und unseren
Sachverstand einzubeziehen . Ich möchte diese Gelegen-
heit nutzen, diese Forderung noch einmal zu untermau-
ern . Ich glaube, wir Sportpolitikerinnen und Sportpoliti-
ker wären sehr froh, wenn wir dabei wären .

Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und
einen schönen Abend .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811911500

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen

mir nicht vor .

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Mittwoch, den 9 . September 2015, 9
Uhr, ein .

Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute . Die Sitzung
ist geschlossen .