Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
Am 19. August hat uns alle vollkommen unvor-bereitet die Nachricht vom Tode unseres KollegenDr. Günter Rexrodt erreicht. Wir wussten von seinerschweren Krankheit, hielten sie aber für überwunden. Sokam sein Tod plötzlich und traf uns wie ein Schock.Seine tatkräftige und lebensbejahende Art hat er sichauch in einer Zeit bewahrt, in der ihm seine Krankheitviel Kraft abverlangte.Am 12. September 1941 in Berlin geboren, bliebGünter Rexrodt seiner Geburtsstadt lebenslang verbun-den. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft an derFreien Universität Berlin arbeitete er in einem großenBerliner Industriebetrieb und bei einer Bank. 1968 nahmer seine Tätigkeit bei der Berliner Industrie- und Han-delskammer auf, wo er 1974 Mitglied der Geschäftsfüh-rung wurde.Günter Rexrodt wechselte 1979 zum Senator fürpdptswRttKKD1dadazRedetWirtschaft und begann seinen politischen Weg 1982 alsStaatssekretär des Wirtschaftssenators und übernahm1985 als Senator das Finanzressort. 1989 ging er zu einergroßen Bank – erst nach New York und dann nachFrankfurt am Main als Vorstandsvorsitzender. 1991 kamder Ruf in den Vorstand der Berliner Treuhandanstalt.Kurze Zeit später führte ihn sein Weg in die Bundes-politik. Günter Rexrodt übernahm 1993 das Amt desBundeswirtschaftsministers, das er, 1994 als Abgeordne-ter in den Deutschen Bundestag gewählt, bis Oktober1998 innehatte. 1998 wieder in den Bundestag gewählt,wurde er haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Frak-tion.Günter Rexrodt gehörte dem Präsidium de1999 an und übernahm im Jahr 2001 dasSchatzmeisters der Bundespartei.
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gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2005
– Drucksache 15/3660 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungFinanzplan des Bundes 2004 bis 2008– Drucksache 15/3661 –Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussIch erinnere daran, dass wir gestern für die heutigeAussprache insgesamt achteinhalb, für morgen neun undfür Freitag dreieinhalb Stunden beschlossen haben.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-kanzlers und des Bundeskanzleramtes.Das Wort hat Kollege Michael Glos, CDU/CSU-Frak-tion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Vor knapp zwei Jahren sind die Deutschen andie Wahlurne gerufen worden. Ich glaube, es ist jetzt ander Zeit, eine Halbzeitbilanz zu ziehen. Wie sieht unserLand, Herr Bundeskanzler,
nach sechs Jahren Ihrer Regierung zusammen mit demgefährlichsten Minister, was die Wirtschaft anbelangt,mit Herrn Trittin, aus? Ich würde, wenn ich von derWirtschaft ausgehe, die Regierung gerne Schröder/Trittin-Regierung nennen, weil sich dann gleich zeigt,wo die Schwachstellen liegen.
Wir haben in unserer Wirtschaft leider – niemandkann sich darüber freuen – einen Trend zum Substanzab-bau zu verzeichnen, der erschreckt. Führende deutscheUnternehmen wie VW und Bayer scheiden aus demEuro Stoxx 50 aus. Nun kann man sagen: Das ist eineNachricht, die nur die Börsianer interessiert. In Wirk-lichkeit ist das ein Zeichen des Abstiegs der deutschenWirtschaft innerhalb Europas. Der Euro Stoxx 50 enthältdie am stärksten kapitalisierten Unternehmen Europas.Wenn jetzt auf einmal zwei deutsche Traditionsunterneh-men ausscheiden, dann muss das auch mit der Politik zutgbWgjanmBFHnkgmsBdgrddamvGgmkzmPDwemmbstOSj
eil wir, seitdem Sie regieren, schlechte Nachrichtenewohnt sind, nach dem Motto, Herr Schmidt: Es hättea alles noch schlimmer kommen können. Es hätten jauch gleich fünf Unternehmen ausscheiden können. Daur zwei ausgeschieden sind, ist also alles prima.Traditionsreiche deutsche Großbanken sind – Sieüssen sich nur die Börsenkurse anschauen – in ihrerörsenkapitalisierung weit abgeschlagen. Sie werden alsusionskandidaten gehandelt und es wird berichtet, Sie,err Bundeskanzler, würden sich für solche internatio-alen Fusionen einsetzen.Ein weiteres Beispiel. Es erfolgt derzeit ein Ausver-auf deutscher Wohnungen an internationale Fonds-esellschaften, offensichtlich weil ansonsten niemandehr bereit ist zu kaufen. Ich erinnere mich, dass manich, als Theo Waigel überlegt hat, die GAGFAH, die derundesversicherungsanstalt gehört, zu verkaufen, umie Eurostabilitätskriterien zu erfüllen, sehr darüber auf-eregt hat. Was war da alles los! Jetzt ist das Ganze ver-amscht worden und der Herr Gerster, den Sie als Präsi-enten der Bundesanstalt für Arbeit geschasst haben, hatabei noch Geld verdient. Niemand regt sich darüberuf. Ich glaube, das alles gehört zu den Momentaufnah-en der heutigen Zeit.Bei mir war unlängst ein Mensch, der sein Geld damiterdient, dass er große Kreditpakete von angeschlagenenroßbanken – er sagt, in Deutschland seien fast alle an-eschlagen – an amerikanische Fonds vermittelt. Im Mo-ent gibt es in diesem Bereich einen gewaltigen Ausver-auf. Es handelt sich dabei nach dem Nominalwert umig Milliardenbeträge – wie teuer verkauft wird, weißan nicht –, da sich die Großbanken entlasten und dieseakete ins Ausland verramschen.
as heißt aber auch, dass indirekt Firmen mitverkaufterden und ein Arbeitsplatz- und möglicherweise auchin Wissenstransfer erfolgt, weil mittelständische Fir-en, die Bestandteil dieser Pakete sind, plötzlich nichtehr eine bestimmte deutsche Großbank als Partner ha-en, sondern die Anwälte amerikanischer Fondsgesell-chaften. – Ich glaube, das alles sollte uns eigentlich um-reiben.
Herr Bundeskanzler, die Firma, die Sie einmal zumpernball nach Wien eingeladen hat – seinerzeit warenie Mitglied im Aufsichtsrat; das alles war korrekt; es ista auch ein schöner Ball; auch ich war schon dort –,
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Michael Glos
die Firma VW, verkauft sich selbst zum Teil nach AbuDhabi.Der Wirtschaftspresse hat man entnehmen können,dass für die Ölscheichs der Kaufpreis wegen der zwi-schenzeitlichen Börsenentwicklung der VW-Aktie um10 Prozent billiger wird, als man kalkuliert hat. Ich kannnur sagen: Offensichtlich hat der Vorstand schlecht gear-beitet. Zu diesem gehört auch Herr Hartz; er hätte sichbesser um die Personalplanung kümmern sollen, umrechtzeitig umzuschalten.
– Herr Schmidt, dass Ihnen das nicht gefällt, kann ichsehr gut verstehen. Sie sind der unflätigste Zwischenru-fer.
Ich würde gern dem Publikum all das vorlesen, was Siean Unflätigkeiten während meiner Reden dazwischenru-fen. Wenn Sie aber glauben, mich damit durcheinanderzu bringen, dann täuschen Sie sich ganz gewaltig.
Ob sich die Ölscheichs bei Herrn Hartz bedankenwerden, wird sich erst zeigen. Deutschland wird aber im-mer mehr zum Schnäppchenmarkt. Man geht heutzutageauf Schnäppchenjagd. „Geiz ist geil!“, Herr Bundes-kanzler, auch bezüglich des Ausverkaufs der deutschenWirtschaft.
– Ich weiß, Sie wollen das verdrängen, Sie nehmen esnicht zur Kenntnis. Aber die Wähler nehmen es zurKenntnis. Schauen Sie sich einmal Ihre Wahlergebnissean. Darauf komme ich noch zu sprechen.Genauso schlimm ist, dass die Verlagerung von Ar-beitsplätzen ins Ausland anhält. Sie hat inzwischen denMittelstand erfasst. Das Hauptargument sind die poli-tisch verantworteten Lohnzusatzkosten oder Arbeitskos-ten in der Bundesrepublik Deutschland, wie der Deut-sche Industrie- und Handelstag sagt.Der beispiellose Niedergang Ihrer Partei, Herr Bun-deskanzler, setzt sich fort. Ich erinnere an die Wahlen inHessen, in Niedersachsen und in Bayern – in Bayern istes kein Wunder, weil dort die Konkurrenz so gut ist –,aber auch die Wahlergebnisse in Hamburg und im Saar-land sind beredtes Beispiel dafür, dass zumindest dieWählerinnen und Wähler das Ganze zur Notiz nehmen.
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t symptomatisch –, hat gesagt: „Lafontaine litt an einemkuten Überforderungssyndrom und ist einfach davonge-ufen.“ Ich weiß nicht, ob Sie in Ihrem Tun nicht auchanchmal ähnlichen Symptomen begegnen; aber eigent-ch wollte ich sagen: Es ist richtig, dass Lafontainesolitik als SPD-Chef und Finanzminister Jobs ineutschland gekostet hat; er hat falsche Weichenstellun-en zu verantworten. Richtig ist aber auch, Herr Bundes-anzler: Die größten, durchschlagendsten Fehler durfteich Lafontaine unter Ihrer Richtlinienkompetenz erlau-en.
Er war nämlich derjenige, der die Reformen ineutschland, die auf Wachstum angelegt waren, wiederurückgenommen hat. Sie haben dabei zugesehen.
eit Lafontaines Steuerpolitik stottert der Wachstums-otor im Mittelstand; das muss ich nicht einzeln aufzäh-n. Für die Beteiligungsmärkte war Deutschland keinerste Adresse mehr. Die Finanzmärkte schüttelten denopf über Lafontaines Attacken auf den Stabilitätspaktnd seinen Feldzug für Wechselkurszielzonen. Ich willoch einmal daran erinnern: Das alles hat er unter Ihrergide gemacht.Die Nachricht von seinem Rücktritt hat ein Kursfeu-rwerk an den Börsen und Devisenmärkten ausgelöst.err Bundeskanzler, falls Sie so etwas vorhaben, sagenie es uns rechtzeitig.
ch kann mir vorstellen – ich weiß natürlich, dass dieerbreitung von Insiderwissen verboten ist –, dass esann nicht nur ein Feuerwerk geben wird, dann wird esursraketen an den internationalen und deutschen Märk-n geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Ihrerrlaubnis zitiere ich Erhard Eppler.
Jetzt hören Sie erst einmal zu! – Er hat über Sie gesagt wo er Recht hat, hat er Recht –:
Schröder – das ist reine Lotterie.n der Lotterie haben die Wähler bei der letzten Wahl lei-er eine Niete gezogen.
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Michael GlosWenn es ernst wird, Herr Bundeskanzler – es sind inunserem Land leider sehr ernste Zeiten –, dann setzendie Menschen auf Verlässlichkeit. Sie sind aber keinKanzler der Verlässlichkeit. Deshalb erlebt die SPD einDebakel nach dem anderen. Die Mitglieder und dieWähler – das steht fest – befinden sich auf einer Massen-flucht.Willy Brandt – er war eine Zeit lang auch im Amt desParteivorsitzenden Ihr Vorgänger – hat 1990 gesagt:„Nun wächst zusammen, was zusammengehört.“ UnterIhrer Kanzlerschaft und unter dem Parteivorsitz vonMüntefering – beides in der Nachfolge von WillyBrandt – brechen im Grunde genommen die Gräben zwi-schen Ost- und Westdeutschland, die zugeschüttet wa-ren, wieder auf. Es gibt eine nie gekannte Enttäuschungder Menschen. Ich finde, das ist eigentlich etwas ganzSchreckliches.Es muss Sie nachdenklich machen, wenn jetzt bei denDemonstrationen – – Ich weigere mich, sie Montagsde-monstrationen zu nennen; ich finde das ganz makaber,weil es damals um etwas ganz anderes ging.
Ich habe da jetzt ein Plakat gesehen, auf dem stand:„Wenn Lügen kurze Beine hätten, wären die Politiker Li-liputaner.“ Wenn man es speziell auf Sie münzte, würdedas Wort „Zwerg“ wahrscheinlich noch besser zutreffen.Man mag das noch ein Stück weit lustig finden.
Es wendet sich aber letztendlich gegen uns alle – auchgegen die Schreihälse auf der linken Seite –, weil dasVertrauen in die demokratischen Politiker dadurch unge-heuer geschwächt wird.
Ich kann nur sagen: Seitdem der Aufbau Ost zurChefsache erklärt worden ist, fühlen sich unsere Freundein Ostdeutschland schlecht behandelt.
Chefsache bei Schröder zu sein ist mehr Drohung alsVerheißung. Ich glaube, man ist da im Osten ganz beson-ders empfindlich.Herr Bundeskanzler, es gelingt Ihnen nicht, Ihre eige-nen Reihen zu überzeugen. Wenn es nur um die Schrei-hälse hier ginge, würde das keine große Rolle spielen. Esgeht aber auch um die Mitglieder und Anhänger, um dieMenschen, die Vertrauen in die SozialdemokratischePartei haben. Die müssen Sie mitnehmen!Sie müssen auch das unselige Theater mit den DGB-Gewerkschaften beenden. Gestern gab es wieder einTreffen, über das ich – wie über Fischers Reisen – nursagen kann: Außer Spesen nichts gewesen! Da läuftdoch ein Spiel ab, das jedes Mal das gleiche Strickmus-ter trägt:
m die Sympathisanten – die Beitragszahler – bei dertange zu halten – sie zahlen beim DGB hohe Bei-räge –, geht man, wenn es darauf ankommt, kräftig ge-en die Regierung vor. Wenn Wahlen kommen, schiebtan wieder Millionen herüber, unterstützt die gleicheegierung und sagt, die Opposition habe alles noch sehriel schlimmer gemacht. Wir werden das Strickmusterieder beobachten, wenn es auf die Wahlen zugeht. In-ofern ist all das unglaubwürdig. Ich kann nur sagen:enn man solche unglaubwürdigen Spiele spielt, dannann man die Menschen nicht überzeugen.In der SPD gibt es genug Spaltpilze. Ich beneide Sien dieser Hinsicht nicht. Ich beneide auch nicht Herrnüntefering, der in seiner Eigenschaft als SPD-Vorsit-ender überhaupt keine Erfolge aufzuweisen hat. Icheine, die Regierungskoalition gleicht zwei Jahre nacher Bundestagswahl einer gescheiterten Selbsthilfe-ruppe. Obwohl Sie von einer selbst gegrabenen Grubeur anderen stolpern, beklagen Sie die Undankbarkeiter getäuschten Wähler. Sie betreiben Selbstbeschwich-igung, verkünden Durchhalteparolen, schwören sich beien Klausurtagungen an den verschiedensten Ortenvon Palais Schaumburg bis Neuhardenberg – gegensei-ig Beistand. Die Grünen gehen gleichzeitig in Luxus-otels; sie mögen es nicht mehr so gewöhnlich wie dienderen Menschen.
ll das bringt unser Land nicht weiter. Wenn immerehr Menschen am Wahltag zu Hause bleiben und wennadurch die Parteien am rechten und am linken Randestärkt werden, dann muss das uns allen Sorgen ma-hen. Deswegen kann ich nur sagen: Zur Halbzeit deregislaturperiode präsentiert sich das Bundeskabinettraftlos und ausgelaugt.
Eichel ist verschlissen. Man muss heute nur einmaline führende Boulevardzeitung aufschlagen: Sie hat denern seiner Versprechungen wiedergegeben. All das istetzt eingestampft worden. Wo ist der ausgeglicheneaushalt 2006?
ichel ist inzwischen Weltmeister im Schuldenmacheneworden. Der Marsch in den Schuldenstaat hält an. Daslles müssen einmal die Jungen in Deutschland bezah-en.
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Michael GlosDie Bundesgesundheitsministerin wäre ohne die Un-terstützung und Zuarbeit der Opposition überfordert.
Der für Verkehr und den Aufbau Ost zuständigeMinister – da kann ich nur sagen: Nomen est omen –„stolpert“ ideenlos über die Politbühne. Seine Hilflosig-keit ist greifbar, wenn man sieht, wie er mit dem Desas-ter von 3 Milliarden Euro pro Jahr umgeht, das er selbstbzw. sein Haus durch Toll Collect verursacht hat.
Der für Arbeit und Wirtschaft zuständige Minister,Herr Clement, wird zunehmend als vermeintlicher Neo-liberaler und Turbokapitalist diskreditiert.
Er dient den Gewerkschaften als Buhmann und Sünden-bock.Herr Bundeskanzler, ich kann Ihnen einen Tipp ge-ben, wie Sie Herrn Sommer und Ihre Genossen befrie-den können: Führen Sie Herrn Clement doch einmal ge-fesselt mit sich und lassen Sie sie, während er gefesseltbleibt, einfach die Aggressionen des DGB an ihm austo-ben.
– Vielen Dank für Ihren Hinweis.
Ich bin der Meinung, dass sich Herr Clement lieberum das Thema Wettbewerb kümmern sollte. Wir habenvorhin Günter Rexrodts gedacht. Günter Rexrodt ist mitdafür verantwortlich, dass es auf den EnergiemärktenWettbewerb gibt; denn er hat den Wettbewerb auf demStrommarkt eingeführt. Sie versuchen jetzt, das allesüber die Genossenschiene in einem beispiellosen Genos-senfilz wieder ein Stück weit rückgängig zu machen.Ich finde es makaber: Ihr Staatssekretär Tacke – ichweiß nicht, wohin Sie dieser Gipfelsherpa noch führensoll – war vom früheren Wirtschaftsminister Müller– das war Ihr Freund, den Sie mitgebracht haben – be-auftragt, die Fusion zwischen Eon und Ruhrgas, die vomKartellamt und von Gerichten abgelehnt worden war,durch eine Ministererlaubnis zu genehmigen. Jetzt wirdausgerechnet dieser Staatssekretär, der noch im Amt ist,im gleichen Konzern und vom AufsichtsratsvorsitzendenMüller in diesem Bereich zu einem gut dotierten Vor-standsvorsitzenden gemacht. Ein solches Vorgehen kannsich eine seriöse Regierung eigentlich nicht leisten.
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Herrn Hartz muss man sagen: Wer sich als Messiaseiern lassen will, der muss sich nicht wundern, wenn erei einem Scheitern seiner Projekte als falscher Prophetesteinigt wird. So ist die Geschichte der Menschheitchon immer verlaufen.
ch meine, er hätte besser daran getan, vornehmlich dau arbeiten, wo er bezahlt wird, nämlich für die Aktio-äre von VW.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das heilloseurcheinander von Vorschlägen und wiederholten Än-erungen hat natürlich einen sehr hohen Preis.
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Michael GlosWenn jede Woche eine neue Sau durchs Dorf getriebenwird – wie Franz Josef Strauß einmal gesagt hat –, vonder Mindeststeuer bis zum Mindestlohn, dann fehlt denLeuten das Mindestvertrauen und sie wenden sich vonder Politik ab. Ich meine, hierin liegt auch der entschei-dende Grund dafür, dass das Vorziehen der drittenStufe der Steuerreform in wesentlichen Teilen, das wirmöglich gemacht haben, einfach verpufft ist, statt kon-junkturelle Wirkung im Inland zu entfalten.Unser Problem ist die Kaufzurückhaltung, die wir ge-genwärtig erleben. Volkswirtschaftlich ist sie zunächstgut – wir haben eine stark steigende Sparquote –, siegeht aber zulasten des Mittelstands, des Einzelhandelsund mittlerweile auch der Automobilindustrie: Die Deut-schen lieben auch ihr liebstes Kind, das Auto, nicht mehrso wie früher. Weil sie Angst haben vor der Zukunft,sparen sie das Geld an und das wirkt sich natürlich ver-heerend auf den Inlandskreislauf aus, ganz abgesehendavon, dass die Bauwirtschaft am Krückstock geht. Ich
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wer diese Ver-trauenskrise überwinden will, der braucht Mut zur Wahr-heit
und der braucht vor allen Dingen Realismus. Es beginntbei der Wahrheit.
– Sie können mich der Unwahrheit nicht überführen.Unwahrheit – dein Name ist SPD, liebe Genossinnenund Genossen:
Seit Jahren werden illusionäre Konjunktur- undWachstumsprognosen präsentiert. Wir sagen jedesMal: Es stimmt so nicht. Sie aber halten an Ihren Pro-gnosen fest. Alle Arbeitsmarktversprechungen habensich als unhaltbar erwiesen. 2 Millionen Arbeitsplätzesollte Hartz binnen ein paar Jahren bringen. Wir sind im-mer noch beim Stand von 4 Millionen offiziellen Ar-beitslosen; in Wirklichkeit gibt es ja viel mehr, was nichtsichtbar ist.Reformpolitisch, Herr Bundeskanzler und meine ver-ehrten Herren von der rot-grünen Regierung, stehen wirungefähr da, wo die Koalition der Mitte bereits 1998 ge-wesen ist. Fast zehn Jahre sind verloren gegangen, zehnverlorene Jahre für Deutschland. Damals wurden wich-tige Reformen von Ihnen blockiert: Bei der Steuer konn-ten wir unsere Vorstellungen nicht durchsetzen, weil wirden Bundesrat gebraucht hätten; deswegen ist das Pe-tersberger Modell dann verschwunden.Wir haben den demographischen Faktor bei der Ren-tenversicherung eingeführt, wir haben die Eigenbeteili-gung im Gesundheitswesen eingeführt, wir haben ersteLockerungen im Arbeitsrecht gemacht, zum Beispiel diemehrmalige Befristung von Arbeitsverträgen. Nach derWahl ist das alles mit einem Federstrich wieder zurück-genommen worden. Mit unseren Reformen im Sozial-system und vor allen Dingen mit steigenden Beschäfti-gungszahlen und einer Defizitquote von circa 2 ProzentwWD–LnFwGdsfW–dEOhOBkrShgndladrdesaploSshsnhnsPags
Wissen Sie, Frau Kollegin, auf Ihrer Seite sitzen vieleeute, die alles bestreiten; sie bestreiten ja zum Teilicht einmal ihren eigenen Lebensunterhalt. Aber dieseakten müssen Sie zur Kenntnis nehmen, auch wenn sieehtun.Ich muss zwischendrin zu meinem parlamentarischeneschäftsführer sagen, er soll einmal die Redezeit an-ers melden; denn die Uhr irritiert mich ständig.Wir haben in den zurückliegenden Jahren im Gegen-atz zu Ihnen nicht blockiert, sondern wir haben Ihre re-ormpolitischen Bemühungen konstruktiv unterstützt.
as in den letzten Jahren erfolgreich verlaufen ist, trägt das müssen Sie zur Kenntnis nehmen – die Handschrifter Union. Ohne unsere Mitarbeit stünden wesentlichelemente des Hartz-Konzeptes nicht im Gesetzblatt.hne unsere Initiativen bei den Minijobs hätten wireute keinen Beschäftigungsboom auf dem Gebiet.hne die Erfahrungstransfusion von Horst Seehofer zurundesgesundheitsministerin Schmidt gäbe es jetzteine Überschüsse in den Kassen der Krankenversiche-ung.
Bei den Irritationen um Hartz IV tragen Sie diechuld: Ihre Propagandaabteilung hat geschlafen. Sieaben viel zu spät über die Wirkungen von Hartz IV auf-eklärt. Sie haben das Ausfüllen der Fragebögen in deneuen Bundesländern hauptsächlich den Funktionärener PDS, die ihre Hilfestellung angeboten haben, über-ssen. Da ist es dann kein Wunder: Diese Hetzer, mitenen Sie gleichzeitig in zwei wichtigen Bundesländernegieren, haben natürlich überhaupt kein Interesse daran,ass es vertrauensbildende Maßnahmen gibt. Wenn mans sich genau anschaut, dann ist ja angeblich vieles nichto schlimm. Ich kann nur sagen: Die Leute ärgern sichuch, weil sie das Gefühl haben, sie seien einer Mogel-ackung aufgesessen. Man nannte das Ganze Arbeits-sengeld II, in Wirklichkeit ist es eine Variante derozialhilfe. Man soll die Menschen vorher nicht täu-chen, sondern ihnen klipp und klar sagen, was man vor-at und wo die Grenzen liegen. Wir müssen das allesicherlich tun, weil die öffentlichen Kassen schon langeicht mehr die Leistungsfähigkeit haben, die sie einmalatten. Deswegen sind wir ja auch für alle Sparmaß-ahmen.Herr Bundeskanzler, ich komme zu Ihrer ökonomi-chen Bilanz. Ich habe vorhin ein paar Beispiele aus derraxis gebracht; das hat Ihnen nicht gefallen. Global undllgemein klingt das alles viel vornehmer. Der Hinter-rund ist aber genauso schwach. Die Bundesregierungpricht von einem robusten Wachstum. Das Gegenteil ist
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Michael Glosheute der Fall. Die Frühindikatoren mahnen zur Vor-sicht. Das angepeilte Wachstum von 1,5 bis 2 Prozent,das Sie regierungsamtlich propagieren, wird nur erreicht,wenn Deutschland weiterhin gut exportieren kann. DerInlandskreislauf ist noch lange nicht angesprungen. Wirsegeln im Windschatten der Konjunkturprogramme an-derer, nämlich im Windschatten der USA und desBooms in China. Wenn dieser Boom aus irgendwelchenGründen nachlassen sollte, dann brechen bei uns diePrognosen wieder in sich zusammen.Wie gesagt: Das Hartz-Konzept hat nicht gegriffen.Ihre Wahlkampfwunderwaffe hat sich als Rohrkrepierererwiesen. Herr Bundeskanzler, am 16. August 2002 ha-ben Sie die neue Wirklichkeit versprochen. Inzwischenkennen wir die wirkliche Wirklichkeit. Die wirklicheWirklichkeit ist – ich sage es noch einmal –: Nach wievor gibt es offiziell über 4 Millionen Arbeitslose. Das istdie Wirklichkeit bei uns im Land und das spüren immermehr Menschen.Der Haushalt wird als „Schicksalsbuch der Nation“bezeichnet. Ich kann nur sagen: Wenn das, was HerrEichel vorgelegt hat, das Schicksalsbuch ist, dann gehtunser Volk einem sehr ungewissen Schicksal entgegen,
weil es geschönt und gefälscht ist. Kollege Austermannhat, nachdem Eichel vom Treffen von Nobelpreisträgernund Nachwuchswissenschaftlern am Bodensee berichtethat, zu Recht gesagt, dass Eichel erst dann eingeladenwird, wenn es einen Nobelpreis fürs Schuldenmachengibt. Dann ist auch Eichel nobelpreisverdächtig.Herr Bundeskanzler, wir befinden uns inzwischen ineiner Schuldenfalle. Es hat keinen Sinn, das Ganzeschönzureden. Die Schuldenlawine nährt sich aus sichselbst. Es entsteht ein Teufelskreis, der über kurz oderlang die politische Gestaltungsfähigkeit unseres Landesinfrage stellt. Deutschlands Staatsfinanzen steuern längstnicht mehr wie versprochen in den Ausgleich, sondernsie steuern leider in den Abgrund. Deswegen müssen wirauch mit dem Stabilitätspakt sehr vorsichtig sein.Ich will Ihnen nur einmal vorlesen, was die „FAZ“vorgestern geschrieben hat.
– Da nicht alle Zuhörer das gelesen haben, möchte ich esdoch vorlesen. Sie können mich dadurch nicht abhalten.
Unter „Kaschierte Schuldenpolitik“ steht dort:Eine Sorge allerdings dürfte Eichel nun los sein. ImZusammenspiel mit Paris hat es die Bundesregie-rung geschafft, dem von Deutschland initiiertenStabilitätspakt die Verbindlichkeit zu rauben. Sank-tionen für überbordende Schulden sind daher kaumnoch wahrscheinlich. Darauf hat Kanzler GerhardSchröder mit Eichels Hilfe hingearbeitet, frei nachWMhGGasjaEAfbfmztiZrzle–dzSdüf–KtürddtiT
ir brauchen diesen Stabilitätspakt auch, damit dieenschen ausreichend Vertrauen in die neue Währungaben.Den knappen EU-Finanzen droht neues Ungemach.ünter Verheugen ist ja inzwischen Ihr Mann fürsrobe. Er ist nicht in der Türkei, um zu überprüfen, oblle Kriterien, die man aufgestellt hat, erfüllt werden,ondern um Ihre Weisung auszuführen. Deswegen ist er auch in die neue Kommission berufen worden.
r soll seine Arbeit zu Ende machen und ohne Wenn undber testieren – so wird es kommen –, dass die Türkeiür die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Unionzw. für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen in-rage kommt.
Ich meine ganz ernsthaft: Auch hier geht es noch ein-al gegen unsere Finanzen. Wer soll das Ganze denn be-ahlen? Die EU der 25 ist doch schon heute finanzpoli-sch pleite. Es würde doch steigende deutscheahlungen bedeuten, wenn wir ein wirtschaftlich soückständiges Land zusätzlich hereinholen würden.Wenn ich mehr Redezeit hätte, würde ich noch weiteritieren, aber so empfehle ich Ihnen, das Ganze nachzu-sen.
Jetzt hören Sie doch auf. Herr Präsident, wird miriese Unruhe, die Sie nie unterbinden, auf meine Rede-eit angerechnet?
tefan Kornelius hat in der heutigen Ausgabe der „Süd-eutschen Zeitung“ einen sehr nachdenklichen Artikelber das Für und Wider eines Beitritts der Türkei ver-asst.
Ich lese ihn nicht vor. Sie können ihn selber nachlesen.ornelius warnt auch vor zu hohen Erwartungen auf derrkischen Seite.Herr Bundeskanzler, warum fürchten Sie ein Refe-endum über den EU-Verfassungsvertrag wie der Teufelas Weihwasser? Der Grund ist, dass Sie genau wissen,ass dann die Deutschen auch über die Zukunftsperspek-ve der Europäischen Union abstimmen, in der dieürkei Vollmitglied würde, sodass die Menschen aus
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Michael GlosAnatolien einen direkten Zugang zu unserem Arbeits-markt bekommen würden. Das schafft doch bei denMenschen neue Ängste.
Durch die Vollmitgliedschaft der Türkei würde Europaplötzlich undefinierbar gemacht. Deshalb gibt es keineAbstimmung.Sie müssen uns noch die Frage beantworten, ob dennHerr Chirac, mit dem Sie sehr intensiv verbunden sind,mit Ihnen abgesprochen hat, dass er nun in Frankreichohne Notwendigkeit verkündet hat, das französischeVolk solle direkt über den Verfassungsvertrag abstim-men. Wie sehen Sie das als deutscher Bundeskanzler?Frankreich und Deutschland müssen im Gleichklangmarschieren. Die Europäische Union ist nichts mehrwert, wenn sich Deutschland und Frankreich nicht mehrabstimmen. Haben Sie das gleiche Vertrauen ins deut-sche Volk, wie der französische Präsident es offensicht-lich ins französische Volk hat? Was hat er Ihnen darübererzählt? Darauf sind wir alle sehr gespannt.Ich meine, auch Deutschlands Rolle auf der globalenEbene muss hinterfragt werden. Abkoppelungsversucheim Irakkonflikt haben in den USA ein tiefes Misstrauengegenüber Deutschland zurückgelassen. Das, Herr Bun-deskanzler, müsste Sie besorgt machen. Wir können denKampf gegen den Terror in Europa langfristig nur in Zu-sammenarbeit mit den USA gewinnen. Es hat keinenWert, auf einem Auge blind zu sein.Herr Parteivorsitzender Müntefering, die Pöbeleiender Damen und Herren aus Ihren Reihen – die eine istnoch in der Regierung, die andere nicht mehr; dafür istsie zur Belohnung Ausschussvorsitzende geworden – ge-genüber den Amerikanern – jüngst von Frau Wieczorek-Zeul, vorher von Frau Däubler-Gmelin – sind nicht inOrdnung.
Herr Bundeskanzler, angesichts der schrecklichen Ereig-nisse und Bilder in Ossetien, die wir alle vor Augen ha-ben, gilt unser ganzes Mitgefühl natürlich dem russi-schen Volk; die Osseten sind Teil des russischen Volkes.Daher ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, mit Besser-wisserei zu kommen.
Der ganze Unsinn mit der GSG 9, die angeblich allesbesser gemacht hätte, war überflüssig. Menschenrechts-verletzungen muss man gleichmäßig in der ganzen Weltverurteilen. Nur dann wird man glaubhaft.
Ein letzter Punkt. In der Bibel steht, die Linke sollnicht wissen, was die Rechte tut.DBnnmDgFösarecalsnmtwGgrgsIIdDsWdtug
anach wird bei Ihnen regiert, Herr Bundeskanzler. Ihreundesminister arbeiten gleichzeitig mit- und gegenei-ander. Ich bringe ein Beispiel – die beiden Herren sitzenebeneinander –: Schily hat sich abgemüht, zusammenit der Union ein restriktives Zuwanderungsrecht füreutschland zu verabschieden. Ich meine, das ist auchut so. Was macht gleichzeitig der neben ihm sitzendeischer? Er lässt bei der Visaerteilung die Schleusenffnen. Demnach halten sich circa 5 Millionen Men-chen rechtswidrig in der Europäischen Union auf. Diellermeisten sind mithilfe deutscher Konsulate einge-eist. Das finde ich nicht in Ordnung. Das ist ein Skandalrster Größenordnung.
Herr Bundeskanzler, was machen Sie als Regierungs-hef in diesem Fall? Sie grinsen den einen so freundlichn wie den anderen. Das ist die Regierungskunst der Be-iebigkeit. Ich meine, dass das die Deutschen inzwischenatt haben. Deswegen brauchen wir in Deutschland ei-en Neuanfang, der mit Klarheit und Wahrheit Ernstacht.
Es gibt in Deutschland ermutigende Zeichen. Darun-er fällt aber nicht die Tatsache, dass Sie, Frau Sager,ieder mit einem guten Ergebnis zur Vorsitzenden derrünen gewählt worden sind. Es ist auch kein ermuti-endes Zeichen, dass die Grünen ihrem heimlichen Füh-er Fischer folgen. Da er inzwischen ein Besserverdienereworden ist, sind auch die Grünen die Partei der Bes-erverdiener geworden.
nsofern gibt es weiterhin einen Gleichklang zwischenhnen, Herr Fischer, und Ihrer Partei.Ein ermutigendes Zeichen ist für mich die auch vonen Arbeitnehmern getragene Lohnzurückhaltung beiaimler Chrysler und bei Siemens, um den Wirtschafts-tandort Deutschland wieder zu stärken.
ir als Politiker, und Sie als Bundesregierung müssenas aufnehmen. Wir müssen die Lohnzusatzkosten wei-er begrenzen. Wir müssen den Arbeitsmarkt entrümpelnnd wir müssen Deutschland zu einem konkurrenzfähi-en Standort machen.
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Michael GlosDazu gehört eine grundlegende Reform der Sozialsys-teme. Wir wollen, dass dieses Land wettbewerbsfähigbleibt.
Herr Bundeskanzler, dazu ist – ob Sie wollen oder nicht,das kann man auch nicht delegieren, das kann man auchnicht teilen – politische Führung aus einem Guss gefor-dert. Ihr Job ist ein harter Job. Ich hätte viel lieber, da ichmanchmal Mitleid mit Ihnen habe, Gutes über Sie ge-sagt. Menschlich tue ich das gern,
aber bei Ihrer Regierungstätigkeit gibt es dazu leider kei-nen Anlass.Ich bin der Meinung, man kann die Zukunft nur ge-winnen, wenn man auf der Basis von Klarheit und Wahr-heit bleibt.
Ich empfehle Ihnen ganz zuletzt Abraham Lincoln.
– Jetzt hören Sie doch noch einen Satz lang zu. Ich weiß,es ist für Sie schwer zu ertragen, aber die Wahrheit istnun einmal schwer zu tragen. Ich zitiere AbrahamLincoln. Er hat gesagt: „Man kann alle Leute für einigeZeit und einige Leute für alle Zeit, nicht aber alle Leutefür alle Zeit hinters Licht führen.“Danke schön.
Ich erteile das Wort Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Glos, früher waren Ihre Auftritte überwie-gend lustig und selten peinlich. Heute war es umgekehrt.
Das sage ich mit der gleichen freundlichen menschlichenSympathie, die ich Ihnen entgegenbringe. Aber politischwar das, was Sie hier abgeliefert haben, wirklich dane-ben.
Ich will das nur an einem Beispiel, das Sie gebrachtaben, näher erläutern. Sie haben sich über Volkswagenerbreitet und über die Tatsache, dass Volkswagen miten Vereinigten Arabischen Emiraten zusammenarbei-et, die sich an Volkswagen beteiligen wollen. Aus mei-er langen Tätigkeit im Aufsichtsrat von Volkswageneiß ich, dass nach der Satzung und dem VW-Gesetz,as ja, jedenfalls bei Ihnen, nicht unumstritten ist, gegenie niedersächsische Landesregierung relativ wenigäuft. Die niedersächsische Landesregierung wird abericht von Sozialdemokraten gestellt. Ich bedauere dasehr. Im Präsidium des Aufsichtsrates von Volkswagenitzt Herr Wulff und im Aufsichtsrat sitzt Herr Hirche.uch Sie von der FDP sind beteiligt. Gegen beider Stim-en würde eine im Übrigen durchaus vernünftige Betei-igung der Emirate nicht laufen. Wen kritisieren Sie daigentlich?
Ich glaube, es ist an der Zeit, zu den Problemen imande zurückzukommen, über die man in diesem Hohenaus zu debattieren hat. Unser Land ist, wie übrigensndere europäische Länder auch, drei großen Herausfor-erungen ausgesetzt, mit denen wir fertig werden müs-en. Dabei haben wir uns auf den Weg gemacht.Zunächst stellt sich die Herausforderung in der inter-ationalen Lage. Wir haben Grund, über die Herausfor-erung zu reden, die Terrorismus heißt – und nicht nuru reden. Wir haben daneben ungelöste regionale Kon-likte, mit denen auch deutsche Politik fertig werdenuss. Die Stationen des Terrors, einer Bedrohung, dieach der des Kalten Krieges neu ist und mit der die zivi-isierte Welt fertig werden muss, sind doch bekannt:ew York und Wash-ington, Djerba und Bali, Madridnd jetzt Moskau und Beslan.Ich plädiere dafür, Terrorismus nicht danach zu unter-cheiden, wo er örtlich stattfindet, sondern Terrorismusls eine Angelegenheit zu betrachten, die bekämpft wer-en muss, und zwar gleichgültig, wo sie stattfindet.
as hat meine Position zu dem, was in Russland ge-chehen ist, bestimmt und das wird meine Position wei-er bestimmen. Wenn man über die Ursachen redet, dannarf man nicht Täter zu Opfern machen. Gelegentlichese ich Ähnliches. Ich sage nicht, dass das hier gesagtorden ist, aber gelegentlich habe ich den Eindruck,ass man je nachdem, wo Terrorismus stattfindet, unter-chiedliche Maßstäbe ansetzt.Natürlich – da sind sowohl der französische Präsidentls auch ich mit dem russischen Präsidenten einig –uss es in Tschetschenien eine politische Lösung geben.
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Bundeskanzler Gerhard SchröderAber diese Lösung muss doch ganz bestimmten Katego-rien folgen, zum Beispiel der,
dass wir ein Interesse daran haben, dass die territorialeIntegrität der Russischen Föderation nicht infrage ge-stellt wird. Wir haben ein eigenes Interesse daran, dassdas nicht passiert. Was würde denn wohl die Folge sein,wenn die territoriale Integrität Russlands über diesenKonflikt infrage gestellt würde? Jedenfalls keine, diemehr an Stabilität in der Welt und in Europa bedeutete.Das gilt es doch zu beachten, wenn man diese Frage be-antworten will.
Wenn man politische Lösungen will, dann muss esGesprächspartner geben. Will mir jemand wirklich er-klären, dass diejenigen, die für den Mord an unzähligenKindern verantwortlich sind, Gesprächspartner für einepolitische Lösung sein können? Das kann doch niemanderklären.
Deswegen meine Bitte dort wie überall: Terrorismus, derdas Leben unschuldiger Menschen, von Kindern zumal,nicht achtet, darf nirgendwo eine Chance haben und istnirgendwo Partner für seriöse internationale Politik.
Es ist richtig: Dieser Herausforderung, die in der interna-tionalen Politik liegt, kann man nur mit einem multilate-ralen Ansatz begegnen. Es wird doch immer klarer in derinternationalen Politik, dass ein anderer nicht geht. Dasist der Grund, warum der Bundesaußenminister und dieganze Regierung diesen multilateralen Ansatz sowohlbeim Kampf gegen den Terrorismus als auch bei der Lö-sung oder bei der Mithilfe zur Lösung regionaler Kon-flikte stützen.Wir erleben doch gerade, dass wir alle ein Interessedaran haben müssen, dass im Irak nicht weniger, son-dern mehr Stabilität ist. Deutschland leistet seinen Bei-trag. Wir leisten unseren Beitrag, indem wir helfen,eigene Sicherheitskräfte, ob Polizei oder Militär, auszu-bilden. Natürlich geschieht das nicht im Irak; denn esgilt das, was ich gesagt habe, nämlich dass wir dortkeine Soldaten hinschicken. Aber wir helfen doch beider Lösung solcher Fragen.
Wir haben deshalb keinen Grund, uns irgendwelche Vor-würfe machen zu lassen, übrigens auch, Herr Glos, unsSelbstvorwürfe zu machen. Es gibt keinen Grund dafür.Deutschland ist das Land, das seine internationalenPflichten, seine Bündnispflichten auf Punkt und Kommaerfüllt. Ich füge hinzu: Wir können stolz darauf sein. Wirstehen selber materiell dafür ein, dass diese Pflichten er-füllt werden. Das ist nicht überall so.DnwgsdAihEdwwlhhdSmg–zVlkrmdzkPzzSdgssigrurwB
as gilt nach wie vor auf dem Balkan, das gilt in Afgha-istan. Wir werden demnächst darüber zu reden haben,enn es um die Verlängerung der Mandate geht.Das gilt auch für das, was Deutschland bei neuen re-ionalen Konflikten leistet, zum Beispiel im Iran. Die-er Konflikt ist höchst besorgniserregend. Wer ist esenn, der mit dem französischen und dem englischenußenminister versucht, diesen Konflikt zu dämmen,n nicht ausbrechen zu lassen?
s ist doch der Bundesaußenminister und kein anderer,er sich im Iran darum bemüht, dieses Land dazu zu be-egen, den Brennstoffkreislauf nicht zu schließen.Es ist viel über die Zusammenkunft in Sotschi geredetorden. Dabei ist aber auch eines klar geworden, näm-ich dass die Russen das gleiche Interesse wie wir daranaben, dass es keine neue atomare Macht gibt, die Iraneißt. Diesem Interesse dienen wir. Diesem Interesseienen die Reisen, die der Bundesaußenminister macht.ie sollten stolz darauf sein und sie nicht diskreditieren,eine Damen und Herren.
Ich denke, dass angesichts der neuen Herausforderun-en klar ist, dass es diese Bundesregierung gewesen istwir reden schließlich über Halbzeitbilanzen und Bilan-en im Allgemeinen –, die selbstbewusst und in eigenererantwortung definiert hat, was sie international zueisten imstande und bereit ist. Wir haben auf dem Bal-an, in Afghanistan und anderswo zusammen mit unse-en Bündnispartnern gegen den internationalen Terroris-us gekämpft, auch mit militärischen Mitteln. Es waroch schwierig genug, das in diesem Hohen Haus – undwar im gesamten Hohen Haus – durchzusetzen. Daranann ich mich noch erinnern. Aber weil wir unsereflichten erfüllen, haben wir auch das Recht, dann Neinu sagen, wenn wir von der Sinnhaftigkeit nicht über-eugt sind. Das ist es, was eigenes Handeln ausmacht.
Die zweite Herausforderung heißt Globalisierung.ie heißt Globalisierung und meint eine Einbindung inie internationale Arbeitsteilung, wie es sie niemals ge-eben hat, mit der Folge eines verschärften ökonomi-chen Wettbewerbs, wie er auch noch nie der Fall gewe-en ist. Wir haben eine europäische und einennenpolitische Antwort darauf zu geben. Das gilt übri-ens gleichermaßen für die dritte große Herausforde-ung, nämlich den radikal veränderten Altersaufbau innserer Gesellschaft.Zuzugeben ist doch, dass das schon in den 90er-Jah-en sichtbar war. Es haben nicht alle so darauf reagiert,ie darauf hätte reagiert werden müssen und wie zumeispiel in Schweden reagiert worden ist. Aber tun Sie
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Bundeskanzler Gerhard Schröderdoch jetzt nicht so, als ob in den 90er-Jahren nur die So-zialdemokraten und die Grünen für die Tatsache verant-wortlich gewesen wären, dass nicht zureichend reagiertworden ist! Das waren doch allemal auch Sie.
So viel Nachdenklichkeit sollte man schon erwartenkönnen.Beides – die Globalisierung und der verändertedemographische Aufbau unserer Gesellschaft – sinddie zwei großen Herausforderungen neben der interna-tionalen. Es ist richtig, dass die ökonomische und diepolitische Antwort auf beide Herausforderungen, die inden europäischen Ländern gleich groß sind, heißenmuss: Europa auf der einen Seite und Umbau unsererGesellschaft nach innen auf der anderen Seite.In beiden Bereichen handelt diese Regierung und siehandelt durchaus viel versprechend, auch, was die euro-päische Dimension angeht. Wer ist es denn gewesen, derveranlasst hat, dass in Europa wieder über Industriepoli-tik geredet wird, und zwar nicht in dem Sinne, dass derStaat anzuordnen hätte, was geschieht, sondern in demSinne, dass man sich auch wieder um das Rückgrat einerWirtschaft, nämlich die industrielle Produktion, küm-mert, statt sich nur auf die Situation von Finanzmärktenund Ähnliches zu beziehen?
Das waren doch wir Deutschen zusammen mit den Fran-zosen und Engländern.Wer ist es denn gewesen, der gesagt hat, wir brauchenjemanden in der Kommission, der in allererster Linie fürdie Frage verantwortlich ist, wie es industriell weiter-geht, und der für einen Ausgleich zwischen Ökonomieund Ökologie verantwortlich ist? Dazu ist ein deutscherKommissar – der Stellvertreter des Kommissionspräsi-denten – berufen worden. Das hat etwas mit der Europa-politik zu tun, die wir machen und die durchaus erfolg-reich ist. Das kann man auch an solchen Punktenablesen.Ich gestehe zu, dass es hilfreich war, Frau Merkel,dass auch Sie sich engagiert haben. Warum sollte ich dasdenn nicht zugestehen? Natürlich war das hilfreich. Aberes ist doch ein Erfolg der deutschen Politik, den mannicht einfach wegdiskutieren kann, weil es in die bayeri-sche Volksseele passt.
Eine europäische Verfassung hätte es außerdemohne deutsche Initiativen nicht gegeben. Der Verfas-sungsprozess ist auf unseren Vorschlag in Nizza in Ganggesetzt worden. Ich sage Ihnen: Wir werden die Erstenbzw. unter den Ersten sein, die den Verfassungsentwurfzu ratifizieren haben. Ich habe jedenfalls den Anspruch,dass das in Deutschland passiert.sdsdeaiELgmfsNgiAAgnWzbuTgt–dRIeiwzrqglbmwdsü
atürlich sind auch diejenigen ernst zu nehmen, die sa-en, das müsse man sich gut überlegen. Gar keine Frage,ch bin für einen entsprechenden Diskussionsprozess.ber es ist scheinheilig, das deutsche Volk nur bei derbstimmung über den Verfassungsentwurf direkt beteili-en zu wollen und ansonsten nicht. Das wird mit unsicht zu machen sein.
ie immer diese Diskussion endet, der Ratifikationspro-ess wird frühzeitig eingeleitet. Das ist die feste Verein-arung der Regierungskoalition. Das ist auch notwendignd stünde Deutschland gut an. Übrigens läge es in derradition der Europapolitik aller deutschen Regierun-en, wenn wir hier besonders drängen würden. Das soll-en wir tun.
Was Jacques Chirac angeht: Der französische Präsi-ent wird in eigener Verantwortung entscheiden, ob eineferendum in Frankreich durchgeführt wird oder nicht.m Übrigen können Sie ganz beruhigt sein. Natürlich hatr mich informiert, bevor das öffentlich wurde. Aber dasst eine souveräne französische Entscheidung, aus derir uns heraushalten sollten.Eines ist besonders wichtig: Wie auch immer ratifi-iert wird, ob rein parlamentarisch oder im Rahmen di-ekter Demokratie, man sollte keine unterschiedlichenualitativen Maßstäbe an das jeweilige Verfahren anle-en.
Die zweite und dritte Herausforderung in Deutsch-and, aber auch in allen anderen europäischen Ländern,estehen, wie gesagt, in der Globalisierung und im de-ographischen Wandel. Unsere Antworten darauf habenir mit der Agenda 2010 – dieser Prozess ist zwar aufen Weg gebracht worden, aber keineswegs abgeschlos-en – und mit unserer Steuerpolitik gegeben. Damitberhaupt keine Missverständnisse aufkommen: Ich
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Bundeskanzler Gerhard Schröderverteidige ausdrücklich das, was der Bundesfinanzmi-nister mit unser aller Zustimmung in der Steuerpolitikmacht.
Da Sie von Wahrheit und Klarheit geredet haben,möchte ich gerne ein paar wenige Daten nennen. Als wirin die Regierung kamen, lag der Spitzensteuersatz – die-ser interessiert Sie augenscheinlich besonders – bei53 Prozent. Im Jahre 2005, also in ein paar Monaten,wird er bei 42 Prozent liegen. Ich gebe zu, dass er bei43 Prozent gelegen hätte, wenn wir seinerzeit nicht mit-einander hätten reden müssen, Herr Brüderle. Das ist zu-zugestehen. Immerhin wird er bald 10 Prozentpunkte un-ter dem damaligen Niveau liegen. Das reicht. MehrSpielraum haben wir nicht, wenn wir die Staatsaufgabennoch finanzieren wollen.
Wenn wir über Gerechtigkeit in der Steuerpolitik reden,dann ist etwas anderes – das wird hier nie erwähnt –noch viel wichtiger. Als wir 1998 in die Regierung ka-men, lag der Eingangssteuersatz bei 25,9 Prozent.25,9 Prozent! Dafür war Herr Waigel verantwortlich.Am 1. Januar 2005 wird er bei 15 Prozent liegen. Das istgerecht, weil dies den Geringverdienenden nutzt. Daswollen wir.
– Stimmt, das wolltet ihr schon zehn Jahre vorher. Aberihr habt es nicht gemacht.
– Entschuldigung, ich habe doch das gleiche Problem.Aber ihr habt es nicht gemacht. Wir haben das durchge-setzt. Das, was wir erreicht haben, lassen wir uns nichtdurch eure Sprüche kaputtmachen.
Sie hätten doch Gelegenheit gehabt, dafür zu sorgen,dass die Gewerbesteuer – sie betrifft die kleinen undmittleren Unternehmen besonders – bei Personengesell-schaften auf die zu zahlende Einkommensteuer ange-rechnet wird. Das habt ihr doch nicht gemacht; daranhabt ihr noch nicht einmal im Traum gedacht. Das hatdiese Koalition durchgesetzt. Das ist wirtschaftsfreund-lich und nichts anderes.
In puncto Steuer, Unternehmensbesteuerung, aberauch Besteuerung der Privatpersonen hat die Koalitionüberhaupt keinen Grund, in Sack und Asche zu laufenund sich von Ihnen eine Debatte aufdrängen zu lassen,die mit der Wirklichkeit nun überhaupt nichts zu tun hat.AgfbkbcdmAIFIvkhdQndsgS–KDgbvrDeddee
Jetzt reden wir über das, was in dem Prozess, der mitgenda 2010 beschrieben ist, ansteht. Wir sind es dochewesen, die bereits in der letzten Legislaturperiode da-ür gesorgt haben, dass neben der Umlagefinanzierungei der Rente eine Kapitaldeckung aufgebaut werdenann. Der Prozess, die Säule Kapitaldeckung, die ne-en der Umlagefinanzierung das Dach der Rentenversi-herung hält, dicker zu machen, als sie gegenwärtig ist,auert natürlich länger. Das geht nicht von heute auforgen. Das kann auch niemand wirklich erwarten.ber wir sind es doch gewesen, die das gemacht haben.Zum Nachhaltigkeitsfaktor habe ich etwas gesagt.n der Tat, er musste sein. Wir sind es gewesen, die einenehler – das ist zuzugeben – korrigiert haben.
ch weise nur darauf hin, dass das, was Sie seinerzeitorgehabt haben, zu den Wirkungen, die der Nachhaltig-eitsfaktor hat, nicht geführt hätte.
Beschäftigen wir uns doch einmal mit der Gesund-eitspolitik. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wieas so gelaufen ist, als die Seele wegen der 10 Euro imuartal für einen Arztbesuch kochte. Ich erinnere michoch sehr gut daran, wie Ulla Schmidt standhaft vertei-igt hat, was gemeinsam beschlossen worden ist und wieich viele von Ihnen zur Seite gedrückt, um nicht zu sa-en: in die Büsche verkrochen haben.
Da wir gerade bei der Gesundheitspolitik sind: Dasystem ist mittlerweile transparenter. Es gibt Ansätzeaber eben nur Ansätze –, dafür zu sorgen, dass dieassen mit den Ärzten Verträge abschließen können.ass allerdings weniger Transparenz als nötig und weni-er Freiheit als möglich in diesem System sind, das ha-en doch Sie zu verantworten.
Der Versuch der FDP, den Besitz von Apotheken aufier zu beschränken, das heißt, den Markt in diesem Be-eich nicht freizugeben, grenzt schon ans Lächerliche.as ist eine marktwirtschaftliche Orientierung, bei ders einem kalt den Rücken herunterläuft.
Ich bin im Übrigen dafür, dass man den Menscheneutlich macht, dass mehr Transparenz im System undie Tatsache, dass wir gemeinsam – das ist zuzugeben –ine neue Balance zwischen Eigenverantwortunginerseits und Solidarität andererseits geschaffen haben,
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Bundeskanzler Gerhard SchröderWirkungen zeitigen. Das ist doch bereits gestern deutlichgeworden. Erstes Halbjahr 2003: Defizit der gesetzli-chen Krankenkassen 2 Milliarden Euro. Das hätte dochauf die Beitragssätze gedrückt, wenn man es so gelassenhätte. Erstes Halbjahr 2004: Überschuss der gesetzlichenKrankenkassen 2,5 Milliarden Euro. Das ist ein Turn-around von 4,5 Milliarden Euro. Das hat mit der neuenBalance zwischen Eigenverantwortung und Solidarität,die gefunden worden und die in sich durchaus gerechtist, zu tun. Solidarität ist nicht aufgegeben worden. An-gesichts der Situation unserer Gesellschaft – das hat mitdem Altersaufbau zu tun – musste das gemacht werden;sonst wären die Systeme auf Dauer nicht finanzierbargeblieben. Das wird uns auch noch bei anderen Punktenbegegnen. Ich komme darauf zurück.
Wir haben gesagt – wir haben darüber ein Telefonge-spräch geführt –: Um eine Gemeinsamkeit zu erreichen,machen wir beim Zahnersatz das, was die Union vorge-schlagen hat. Sie wissen das. Ich habe mich darauf ein-gelassen und die Koalition hat sich auch darauf eingelas-sen. Jetzt stellen wir zusammen fest,
dass diese Variante, die eingeführt worden ist, den Kas-sen in jedem Fall ein Maß an Verwaltungskosten aufbür-det, das wirklich nicht vernünftig ist. Wenn das so ist,dann muss man auch die Kraft haben, zu sagen: Wir kor-rigieren das. Wir haben das gemeinsam gemacht, alsokorrigieren wir es auch gemeinsam.
Ich warne nur davor, dann, wenn es ein besseres Sys-tem gibt – das hat die Ministerin vorgeschlagen –, zu sa-gen: Wir wissen noch nicht so richtig, ob wir uns daraufeinlassen können; das können wir erst im Oktober ent-scheiden. Das ist nicht der richtige Umgang mit der Pro-blematik, meine Damen und Herren.
Notwendig wäre dagegen, zu sagen: Lassen Sie unsdas, was wir mit zu viel an Verwaltungskosten befrachtethaben – durchaus gemeinsam –, gemeinsam korrigierenund eine vernünftigere Lösung finden! Lassen Sie es unsbald machen; denn es eilt, zum einen, weil es in dieMaastricht-Kriterien eingeht, zum anderen aber auch,weil Klarheit über den weiteren Weg herrschen muss.Lassen Sie uns das gemeinsam machen und zögern Siedas nicht hinaus!
Ich verstehe die Abstimmungsnotwendigkeiten in Ih-ren beiden Parteien. Aber im Laufe des parlamentari-schen Prozesses müsste es zu schaffen sein,
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Auch dort wird die Reform weitergehen müssen, istas Ende der Fahnenstange nicht erreicht, was mehrransparenz und mehr Markt – auch bei den Apothe-en – angeht. Diese Frage wird Sie, meine Damen underren, noch einholen; ich bin ganz sicher.
Wer sich da vor Ihnen fürchten soll, muss mir noch er-lärt werden, Herr Westerwelle.
ie werden gleich darstellen, wie furchterregend Sie seinönnen.Ich komme zu dem dritten Punkt, der Teil der Agendast. Das ist das, was mit dem Namen Hartz IV verbun-en ist. Die Notwendigkeit, Sozialhilfe und Arbeitslo-enhilfe zusammenzulegen, ist von niemandem bestrit-en worden. Im Blick auf die Debatte darüber, wer wannufklärung geleistet hat, habe ich einmal herumgefragt,ann denn das Gesetz abschließend im Bundesrat be-chlossen worden ist. Kaum einer – außer mir natürlich –st auf Mitte Juli gekommen.Als wir wussten, wie das Gesetz aussehen würde – esar ein schwieriges Vermittlungsverfahren, das nicht imetzten Dezember, kurz vor Weihnachten, sondern imuli 2004 endete –, begann sozusagen die Phase der Um-etzung in die notwendigen Verordnungen und Richt-inien. Das musste auch schnell gemacht werden; dennum 1. Januar 2005 muss Klarheit herrschen.Jetzt ein paar Bemerkungen zu den Wirkungen und zuer Art und Weise, wie damit umgegangen wird. Ichlaube, dass die Zusammenlegung von Sozialhilfe undrbeitslosenhilfe richtig ist. Darüber, denke ich, gibt esuch keine großen Unterschiede in den Auffassungen iniesem Hause. Wenn das so ist, reduziert sich das Ganzeoch auf die Frage, ob die Umsetzung so, wie sie im Ge-etz vorgesehen ist und die erst zum 1. Januar 2005 be-innen soll, dem gemeinsamen Anliegen entspricht.Dann sollte man einmal buchstabieren, was denn imoment so diskutiert wird, insbesondere von der verehr-en Opposition.
Von dem auch; das stimmt.
a wird gesagt, das Schonvermögen sei nicht groß-ügig genug angesetzt. Ich will Ihnen dazu nur zwei Bei-piele nennen. Dass ein Ehepaar, die Ehegatten jeweils5 Jahre, mit zwei Kindern neben Haus und Hausrat,
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Bundeskanzler Gerhard Schröderwas bei der Transferzahlung nicht berücksichtigt wird,47 500 Euro an Schonvermögen hat, gibt es – wir habendas überprüft – in keinem anderen europäischen Sozial-staat.
Ich füge hinzu: Das neue Arbeitslosengeld II, die frü-here Arbeitslosenhilfe also, ist eine steuerfinanzierteLeistung. Dieses Geld wird keineswegs nur von denSpitzenverdienern aufgebracht. Dieses Geld wird auchaus den Steuern der Verkäuferin, des Gesellen im Hand-werk, des Krankenpflegers, von wem auch immer aufge-bracht. Angesichts dieser Tatsache durch die Gegend zulaufen
– das sind doch Ihre Ministerpräsidenten; fragen Siedoch einmal Herrn Milbradt! –
und zu sagen, das sei zu wenig, wird der Lage nicht ge-recht.
Besonders makaber ist es im Übrigen, dass die glei-chen Ministerpräsidenten, die jetzt Veränderungendurchführen wollen – ob sie Müller, Meier oder Schulzeheißen –, im Vermittlungsverfahren dafür gesorgt haben,dass nicht weniger, sondern mehr an Schärfe und Druckins System gekommen ist. Das ist doch keine Art, Politikzu machen.
Dann fordern die Gleichen, dass das Arbeitslosen-geld I je nach Dauer der Beitragszahlung länger be-zahlt werden muss. Sie bestreiten mit dieser AussageLandtagswahlkämpfe. Dabei hätten Sie doch im Vermitt-lungsverfahren etwas sagen können.
Keiner von denen, die jetzt die Fahne hoch reißen, hatdazu ein einziges Wort gesagt. So kann man doch nichtpolitisch arbeiten, insbesondere dann nicht, wenn mansich angeblich das Prinzip Verlässlichkeit auf die Fahnegeschrieben hat. Das geht doch nicht.
In den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss istes unter der nächsten Ziffer um den Zuverdienst gegan-gen. Jetzt wird von allen gesagt, hier müsse mehr ermög-licht werden. Ich erinnere mich noch an das Vermitt-lungsverfahren; wir waren doch alle dabei. Wie ist es dadenn gelaufen? Diejenigen, die weniger Zuverdienst-möglichkeiten gefordert und angesichts der Machtver-hältnisse im Bundesrat auch durchgesetzt haben, laufenjdDDvTdhbaLRssbtzAgbAD–nkr1msmrswsMnvWuZgwnmsssk
Richtig makaber wird das vor dem Hintergrund deratsache, dass Herr Koch aus Hessen öffentlich und inen Vermittlungsgesprächen gefordert hat, dass es über-aupt keine Zuverdienstmöglichkeiten geben dürfe; da-ei hat er auf Erfahrungen in Wisconsin, also auf einmerikanisches Beispiel, hingewiesen. Die gleicheneute, die so etwas gesagt haben, laufen jetzt durch dieepublik und diskreditieren das ganze Vorhaben, indemie Forderungen nach weiter gehenden Möglichkeitentellen, obwohl sie das vorher abgelehnt haben. Sie glau-en doch selber nicht, Herr Glos, dass man das als ver-rauensbildend bezeichnen kann.
Ich will auch, damit das nicht einseitig wird, ein Wortu der Frage der von uns vorgesehenen zumutbarenrbeit, die angenommen werden muss, sagen. Ichlaube, dass es ungeheuer schwierig wäre, für alle denk-aren Fälle abstrakt im Gesetz zu definieren, wann einerbeit zumutbar ist und angenommen werden muss.eswegen hat der Bundesarbeitsminister dafür gesorgtund das ist richtig –, dass die Fallmanager, also dieje-igen, die die Vermittlungstätigkeit ausüben – in Zu-unft wird einer 75 junge Leute betreuen; bei den Älte-en sind wir noch nicht so weit, da kommt einer auf40 Fälle; aber das ist auch schon ganz gut –, einenöglichst weiten Ermessensspielraum haben. So könnenie selber im Einzelfall eine Definition vornehmen undit dem Arbeitslosen in einer Eingliederungsvereinba-ung aushandeln, was zumutbar ist und was nicht. Ichetze darauf, dass damit verantwortlich umgegangenird.Die Beispiele, die jetzt in die Welt gesetzt werden,ind absurd. Natürlich wird es Aufgabe im Rahmen deronitoringprozesse sein, zu kontrollieren, ob das ver-ünftig gemacht wird und ob Gruppen oder Einzelne soom Gesetz betroffen werden, wie es vorgesehen ist.enn nicht, muss man über die Prüfung von Einzelfällennd über das Monitoringverfahren dafür sorgen, dass dieiele des Gesetzes erreicht werden. Das ist unsere Auf-abe. Aber mit dieser Aufgabe kann doch erst begonnenerden, wenn das Gesetz in Kraft ist, wenn es wirkt,ämlich ab 2005. Das kann man nicht prophylaktischachen.Ich glaube, dass man sich wirklich die Zeit nehmenollte, eine der größten Sozialreformen, die in der Ge-chichte der Bundesrepublik gemacht worden sind, weilie gemacht werden musste, sehr sorgfältig auf ihre Wir-ungen abzuklopfen, und bereit sein sollte, korrigierend
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Bundeskanzler Gerhard Schrödereinzugreifen, wenn Wirkungen erzielt werden, die dasGesetz nicht vorsieht. Aber schon vorher über die Verän-derung der Reformen zu reden halte ich für ganz falschund deswegen wird das auch nicht geschehen.
Falsch wäre es indessen, diese große Reform, die wirbrauchen, um unsere eigene Zukunftsfähigkeit sicherzu-stellen und die sozialen Sicherungssysteme in Ordnungzu bringen und zu halten, nur auf den Leistungsbereichund die dort notwendigen Veränderungen zu beschrän-ken. Im Übrigen kann sich auch dieser im europäischenMaßstab sehen lassen. Ziel des Gesetzes ist doch etwasganz anderes, nämlich die stetig anwachsende Langzeit-arbeitslosigkeit besser als in der Vergangenheit zu be-kämpfen. Das ist das eigentliche Ziel des Gesetzes.
Dieses Ziel erreichen wir durch Fördern. Im erstenSchritt wollen wir die ständige Zufuhr in die Langzeitar-beitslosigkeit bei denen, die jung sind, abstellen.Deutschland steht im europäischen Maßstab, was Ju-gendarbeitslosigkeit angeht, sehr gut da. Aber wir wol-len noch besser werden. Deswegen schaffen wir ab1. Januar 2005 einen Rechtsanspruch für junge Leute un-ter 25 Jahren auf entweder Ausbildung oder Arbeit oderQualifizierung. Das dient dem Ziel, die Zufuhr in dieLangzeitarbeitslosigkeit einzudämmen.Ein Wort zum Fördern im Zusammenhang mit derDebatte in Deutschland. Wir werden im nächsten Jahr al-les in allem und flexibel einsetzbar knapp 10 MilliardenEuro – ich glaube, es sind genau 9,63 Milliarden Euro –zur Verfügung haben, von denen 42 Prozent dort einge-setzt werden, wo die Arbeitslosigkeit größer ist als an-derswo, nämlich im Osten unseres Landes.
Wie man vor diesem Hintergrund behaupten kann, fürden Osten des Landes werde nichts Spezielles getan, ent-zieht sich nun wirklich jedem Verständnis.
Aber eines ist genauso klar: Die gewaltige Aufgabe,die wir vor uns haben, lässt sich nur durchführen, wennKommunen, Länder und Bund, und zwar unabhängigvon der parteipolitischen Färbung der jeweiligen Regie-rung, in dieser Frage zusammenarbeiten. Hier geht esum ein Stück Zukunftsfähigkeit des Landes. Wer meint,darüber aus parteipolitischem Kalkül oder angesichtsvon Wahlkämpfen hinwegsehen zu können, der tut etwasgegen die Interessen unseres Landes und nicht dafür.
Die Aufgabe kann nur gemeinsam durchgeführt werdenund das muss unabhängig von der parteipolitischen Fär-bung von Landes- oder Kommunalregierungen gesche-hen. Das ist eindeutig.dr–ugwresiKsßBwßsAmwtdsöfndrtsadGeSnbKSufdHgKsrd
eil das ganz andere Arbeitsweisen als die hier gepfleg-en verlangt. Wir befinden uns mitten in dem Prozess,as zu verklaren.Die zweite Erkenntnis muss sein: Angesichts der fort-chreitenden und immer schnelleren Veränderung derkonomischen Basis unserer Gesellschaften sind Re-ormprozesse nie am Ende. Es ist vielmehr eine perma-ente Aufgabe, zu überprüfen, ob die Überbausysteme iner Politik noch mit den radikalen, schnellen Verände-ungen an der ökonomischen Basis unserer Gesellschaf-en Schritt halten können. Das ist das eigentlich Ent-cheidende, worum es geht.Wir tun das, damit die sozialen Sicherungssystemeuch in Zukunft haltbar bleiben,
amit auch unsere Kinder und deren Kinder noch in denenuss einer – in unseren Gesellschaften ist es immerine relative – Sicherheit kommen. Immerhin ist es eineicherheit, die in der Geschichte unseres Landes nochie erreicht worden ist. Darum machen wir jetzt die Um-auarbeit und darum nehmen wir die Schwierigkeiten inauf. Ich weiß sehr wohl um die Schwierigkeiten, dieie genannt haben. Ich weiß auch – das ist keine Frage –m die schmerzhaften Wahlniederlagen. Aber ich binest davon überzeugt: Wenn wir jetzt nicht handeln wür-en, dann würde es zu spät sein, wer auch immer daseft des Handelns dann in der Hand halten würde.
Wir tun das, weil die Agenda 2010, wie seinerzeit an-ekündigt, auch ein anderes Gesicht, sozusagen dieehrseite der Medaille, hat. Dieses Gesicht bedeutetchlicht: Der Umbau ist nicht nur nötig, um die Siche-ungssysteme in Ordnung zu halten. Er ist auch nötig,amit wir gesellschaftliche Ressourcen freisetzen, um
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Bundeskanzler Gerhard Schrödersie in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu investie-ren. Das ist der andere Teil der Agenda 2010.
Dieser andere Teil beinhaltet die Notwendigkeit, dasswir in Forschung und Entwicklung investieren.
Wir müssen das 3-Prozent-Ziel erreichen. Aber ange-sichts der Schwarzmalerei will ich sagen: Für Forschungund Entwicklung werden im europäischen Durchschnitt2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausgegeben. InDeutschland sind es rund 2,5 Prozent. Schweden hinge-gen gibt 4,3 Prozent dafür aus. Wir kommen nicht aufdiese Zahl, aber wir müssen in diese Richtung gehen.
Wir sind zwar schon besser als der Durchschnitt, aberwir müssen noch besser werden und müssen sehen, dasswir schnell das Ziel von 3 Prozent des Bruttoinlandspro-duktes erreichen.Wie geht das? Es geht durch Subventionsabbau. Dasind auch Sie gefordert. Denn Subventionsabbau heißt,Ressourcen, die man in der Vergangenheit für Subven-tionen eingesetzt hat, für Zukunftsinvestitionen auszuge-ben.
Damit bin ich bei der Eigenheimzulage. Sie können un-ter Beweis stellen, dass Sie mithelfen wollen, das 3-Pro-zent-Ziel zu erreichen,
indem Sie die Blockade aufgeben, mit der Sie die Eigen-heimzulage belegt haben.
Wir müssen – das ist nur innerhalb des föderalen Sys-tems zu schaffen – mehr in Bildung investieren. Das giltübrigens auch für die Ausbildung. Damit bin ich beimAusbildungspakt. Natürlich gibt es noch eine Lehrstel-lenlücke. Niemand bedauert das mehr als wir. Aber dass10 000 Ausbildungsverträge mehr als im letzten Jahr be-reits jetzt unterschrieben sind, ist ein hoffnungsvollesZeichen. Die rechnerische Lücke von 30 000, die es im-mer noch gibt, muss bis zum Jahresende geschlossenwerden. Das ist Aufgabe der Wirtschaft.
Die Tatsache, dass große angelsächsische ZeitungenDeutschland inzwischen als Investitionsstandort Num-mer eins ansehen – das können Sie in „Newsweek“nachlesen; ich bin auch bereit, Ihnen das vorzulesen,Herr Kollege Glos –,
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Der dritte Punkt. Wir brauchen die Ressourcen, umie vor allen Dingen in Betreuung zu investieren. Wirrauchen sie, weil es sich diese Gesellschaft überhaupticht leisten kann – in Zukunft noch viel weniger –, dieualifikation, die Kreativität und die Leistungsbereit-chaft von Frauen nur deshalb ökonomisch nicht zu nut-en, weil es an Betreuungsplätzen fehlt. Das können wirns nicht leisten. Außerdem kommt hinzu, dass es nichterecht ist.
Das sind die Bereiche, um die es schwerpunktmäßigeht und für die wir Ressourcen mobilisieren müssennd Ressourcen mobilisieren werden.Wenn man sich einmal anschaut, was von dem Schau-rgemälde übrig geblieben ist, das Herr Glos gemalt hat,nd wenn man die Zahlen wirklich betrachtet, dann siehtan, dass wir zwar keinen Anlass haben, euphorisch undelbstgerecht in die Zukunft zu blicken, dass wir abernlass haben, selbstbewusst und entlang eigener ent-ickelter Stärke die Zukunftsaufgaben anzugehen. Wiraben beim Wachstum zur Eurozone aufgeschlossen.ie Industrieproduktion in Deutschland wächst deutlichchneller als im europäischen Vergleich.Übrigens, dass wir Exportweltmeister sind, hat dochuch etwas mit der Kraft der deutschen Wirtschaft undicht mit ihrer Schwäche zu tun. Warum sagen wir dasicht?
ies hat auch etwas mit der Lohnpolitik der deutschenewerkschaften zu tun, die dazu geführt hat, dass dieohnstückkosten schon die ganzen 90er-Jahre über, auchn der Phase der Stagnation, im Grunde gleich gebliebenind – es gab eine Steigerung von 0,1 Prozent pro Jahr –nd dass damit die internationale Wettbewerbsfähig-eit Deutschlands in einem Maße wie nie zuvor zuge-ommen hat. Wir haben auch in der schwierigsten Phaseer Weltwirtschaft, in der Stagnationsphase, die Gott seiank überwunden ist, abzüglich der Wechselkursberei-igung real Marktanteile gewonnen.Das ist doch ein Zeichen von Kraft, auf die wir stolzein und worauf wir unabhängig von allen parteipoliti-chen Auseinandersetzungen auch einmal hinweisenollten.
Wir haben das bei einer Inflationsrate erreicht, dieie stabilste und geringste in Europa ist, was uns bei deninsen gelegentlich Schwierigkeiten macht. Weil wir
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Bundeskanzler Gerhard Schrödereine so geringe Inflationsrate haben, haben wir dashöchste reale Zinsniveau. Das ist ein Problem, was dieRefinanzierung unserer Unternehmen angeht. Aber es istdoch auch etwas, worauf man hinweisen kann, was mannicht einfach vergessen darf.Wie sieht es schließlich – darüber wird immer wiedergeredet – bei den Patenten aus? Wir liegen im europäi-schen Maßstab weit an der Spitze. Wir sind besser als dieKonkurrenten, auch besser als die großen europäischenKonkurrenten. Ja, es ist wahr: Amerika und Japan sindnoch besser. Wir sollten und wollen dazu aufschließen.Deswegen investieren wir in Forschung und Entwick-lung.
Meine Damen und Herren, ich gehöre wirklich nichtzu denjenigen, die nicht wüssten, wie schwer die Ar-beitslosigkeit auf diesem Land lastet und wie sehr unsdas umtreiben muss. Wir sind deswegen weit davon ent-fernt, nur ein rosiges Bild zu malen. Aber zu sagen, die-ses Land sei ein einziges Jammertal, nur weil Ihnen dieRegierung nicht passt, das ist hanebüchener Unsinn.
Was wir tun müssen und was wir tun werden, ist, diePositionierung Deutschlands als eines selbstbewussten,bündnistreuen Landes in der internationalen Politik nichtaufzugeben. Was wir nach innen tun müssen, ist, denUmbau unserer sozialen Sicherungssysteme voranzu-bringen, weil sie nur so auf Dauer zu sichern sind. Waswir im Übrigen zu tun haben, ist, Ressourcen in den Be-reichen einzusetzen, die ich genannt habe.Dabei können wir auf eine ungeheure Kraft in derdeutschen Gesellschaft und auch in der deutschen Wirt-schaft bauen – nicht in dem Sinne, dass man sich damitzufrieden geben könnte, aber schon in dem Sinne, dassman sie als Ausgangspunkt für eine Zukunft nutzt, diewir nun wirklich nicht schwarz in schwarz malen müs-sen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Guido
Westerwelle, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Bundeskanzler, Sie haben viele bemerkens-werte Sätze in Ihrer Rede gesagt, aber einer war beson-ders bemerkenswert. Sie haben gesagt: Diese Regierunghandelt vielversprechend.Dvd–rhHslasmdsSslnamBdltsahRlcSEtWgpdlFra
Herr Müntefering, das war ein fabelhafter Zwischen-uf. Heute habe ich schon etwas über Zwischenrufe ge-ört. Herr Schmidt sitzt jetzt nicht neben Ihnen, aber Sie,err Müntefering, und Herr Schmidt – Frau Kumpf, Sieind schöner als Herr Schmidt, das muss man ausdrück-ich sagen – sitzen hier regelmäßig wie die beiden Opasuf dem Balkon in der Muppet-Show und rufen dazwi-chen. Das ist wirklich bemerkenswert. Darüber, was Sieit Innovation zu tun haben, wollen wir ein andermal re-en.
Herr Bundeskanzler, es gibt immer – das ist das Ent-cheidende – das gleiche Ritual. Es wechselt aus meinericht nur jedes Jahr der Verantwortliche. In einem Jahragen Sie, dass die Weltwirtschaft für die Massenarbeits-osigkeit in Deutschland verantwortlich ist, und imächsten Jahr sagen Sie, dass die Opposition dafür ver-ntwortlich ist. Dann verweisen Sie auf die angeblichangelnde Mitwirkung der Oppositionsparteien hier imundestag oder im Bundesrat.Tatsache ist aber etwas ganz anderes. Tatsache ist,ass sich diese Opposition, zum Beispiel im Vermitt-ungsverfahren, um ein Vielfaches konstruktiver verhal-en hat und verhält, als Sie das zu Ihrer Zeit in der Oppo-ition jemals getan haben.
Sie haben gesagt, Sie wollen den Spitzensteuersatzuf 42 Prozent senken. Dazu merke ich – wir habeneute Morgen des verstorbenen Kollegen Günterexrodt gedacht – an: Wir hätten längst auf der Grund-age der Petersberger Beschlüsse ein völlig neues, einfa-heres und gerechteres Steuersystem mit niedrigerenätzen. Es waren die Ministerpräsidenten Schröder undichel, die das blockiert haben; denn durch den Bundes-ag war es durch. Sie haben als Ministerpräsidenten ausahlkampfgründen gegen die Interessen Deutschlandsearbeitet.
Sie sagen, Sie hätten sich der Probleme der demogra-hischen Entwicklung angenommen, Sie hätten erkannt,ass die Sozialstaatsreformen notwendig sind. Wir wol-en aber nicht vergessen, dass der demographischeaktor in der letzten Legislaturperiode der alten Regie-ung in das Rentensystem eingeführt worden ist, dochbermals waren Sie es, die blockiert haben.
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Dr. Guido WesterwelleWir wollen auch nicht vergessen, wie es bei denArbeitsmarktreformen zugegangen ist. Sie sagen, Siemüssten heute durchfechten, dass es zu einer Vereinfa-chung und Liberalisierung auf dem Arbeitsmarktkommt. Dort, wo Sie das tun, haben Sie unsere Unter-stützung. Wir weisen aber darauf hin: Das war alleslängst beschlossen und Gesetz. Wenn das Trio Schröder,Eichel und Lafontaine damals anders gehandelt hätte,hätten heute Hunderttausende von Arbeitslosen Arbeit.Das möchte ich an dieser Stelle festhalten.
Ich habe mich schon gewundert, dass Sie, als Sie überdie Sozialstaatsreformen sprachen, uns und nicht dieMitglieder der Regierungsfraktionen angeschaut haben.Uns müssen Sie doch nicht erzählen, dass angeboteneArbeit auch angenommen werden muss. Uns müssen Siedoch nicht erzählen, dass sich Leistung wieder lohnenmuss.
Sie müssen uns doch nicht erzählen, dass Demonstra-tionen, wenn sie von Demagogen von der PDS aufge-hetzt werden, in die falsche Richtung weisen. Auch ichkritisiere das, was Herr Milbradt dazu gesagt hat, aberwir wollen doch festhalten, dass bei diesen Montagsde-monstrationen die PDS vorne mitläuft. Das ist Ihr Koali-tionspartner, nicht unserer!
An der Spitze dieser Montagsdemonstrationen stehtdoch kein Freidemokrat und hält wie am letzten Montagdie Rede, sondern es war Ihr Genosse, Ihr früherer Par-teivorsitzender Oskar Lafontaine, der dort gesprochenhat. In den Reihen der Montagsdemonstrationen gehendoch keine Freidemokraten und unterstützen auch nochdiejenigen, die dort aufhetzen. In Wahrheit ist es dochso, dass Herr Ströbele und Herr Bsirske von den Grünendort demonstrieren. Das ist der Grund, warum Ihnen dieLeute weglaufen.
Wollen wir hier einmal wiedergeben, wer von Ihnensich wie – über das Verständnis, das man für jemanden,der in Sorge ist und demonstriert, haben muss, hinaus –geäußert hat? Wollen wir das allen Ernstes wiedergeben?Alles, was an marktwirtschaftlichen Reformen im Deut-schen Bundestag und im Dezember im Vermittlungsver-fahren beschlossen worden ist, ist von uns befördert undimmer wieder verteidigt worden.
Das Problem ist, dass Ihre eigenen Leute permanentmit neuen Vorschlägen kommen; übrigens auch der stell-vertretende Parteivorsitzende Wolfgang Thierse. Es sinddoch Ihre Leute, die die Stimmung machen und die mei-nen, sie könnten damit für sich selbst einen Vorteil errei-chen. Das wollen wir an dieser Stelle einmal festhalten.–gKSdslkfekkJDddtFd–aB–mrWgDltIlSdU
Ich habe den stellvertretenden Parteivorsitzenden an-esprochen; das ist erlaubt.Nein, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebeolleginnen und Kollegen, das nächste Problem ist, dassie gar keine Linie haben. Sie meinen, Sie bekämen Wi-erstand in der Bevölkerung, weil Sie Reformen durch-etzen. Sie bekommen Widerstand, weil Sie keine ver-ässliche Politik machen. Das ist der Unterschied.
Wie ist es denn abgelaufen? Sechs Jahre lang gab eseine einzige Klausur. Jetzt jagt eine die nächste. Ange-angen haben Sie Anfang des Jahres, im Januar, mitiner Klausur der Bundestagsfraktion der Sozialdemo-raten. Daher kommt der berühmte Satz des Bundes-anzlers – damals war er noch SPD-Vorsitzender –: Dasahr 2004 muss ein Jahr der Innovation werden.
ie einzige Innovation, die stattgefunden hat, ist die,ass mittlerweile Herr Müntefering der alten Tante SPDie Rheumadecke auflegen kann. Das ist Ihre Innova-ion.
Was ist mit dem, was in der Bildungspolitik, in derorschungspolitik und der Wissenschaftspolitik stattfin-en müsste? Wohin sind Sie denn da? Weggetaucht?
Herr Tauss, in jedem Raum ist einer der Dümmste,ber melden Sie sich doch nicht freiwillig.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Frauulmahn hat doch Anfang des Jahres damit angefangen eine sehr bemerkenswerte Sache –: Mal waren es fünf,al waren es zehn Eliteuniversitäten. Anfang des Jah-es haben wir noch gedacht, wunders was da kommt.as ist denn aus dem Programm für Eliteuniversitäteneworden? – Nichts! Vertagt, vertagt, vertagt!
as ist das Entscheidende. Wissen Sie, warum das mög-ich ist? Das ist in der Tat auch aufgrund föderaler Struk-uren möglich, die wir gemeinsam korrigieren wollen.ch glaube, darüber sind wir uns in diesem Hause einig.
Das ist aber auch deshalb möglich, weil Sie keine po-itische, geistige Meinungsführerschaft mehr ausüben.ie reden von Eliten, beschließen aber gleichzeitig iniesem Hause ein Verbot von Studiengebühren, das denniversitäten quasi per staatlichem Diktat verbietet, Ge-
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Dr. Guido Westerwellebühren zu erheben. Mehr Freiheit ist die Innovation undnicht mehr staatliche Regulierung. Das gilt auch und ge-rade in der Bildungspolitik.
Dann kam die nächste – eine fabelhafte, hochinteres-sante – Klausurtagung, die sich mit den Folgen vonHartz beschäftigen sollte. Dort wurde entsprechendnachgebessert. Es dauerte dann keine zwei Tage, bis sichMinister aus Ihrer Bundesregierung mit Herrn Stolpe ander Spitze zu Wort gemeldet und gesagt haben: Es mussaber auch die Nachbesserung wieder nachgebessert wer-den. Der arme Herr Clement musste seinen Urlaub un-terbrechen – mein Mitleid hält sich in Grenzen – und zudieser Klausur- bzw. Krisensitzung anreisen. Anschlie-ßend sagte Herr Stolpe wie auch andere aus Ihrer Koali-tion, dass das, was zwei Tage zuvor gerade nachgebes-sert worden war, noch einmal nachgebessert werdenmuss.
Sie haben in den wesentlichen Bereichen keine Linie.Erst haben Sie die Hartz-Reformen beschlossen. ImKern ist vieles davon richtig. Dafür haben Sie auch dieUnterstützung der Opposition bekommen.
Dann haben Sie gesagt, es müsse nachgebessert werden,weil die Reformen handwerklich so dilettantisch umge-setzt wurden. Dann kam es zur Nachbesserung derNachbesserung. Auf der Klausursitzung in Bonn verab-schieden Sie sich dann für den Rest der Legislatur-periode von allen weiteren Reformprojekten. Sie verwal-ten die Krisen, aber Sie gestalten nicht die Zukunft. Dasspüren die Menschen.
Nun komme ich zu dem, was Sie angesprochen ha-ben, zuerst zur Ausbildungsplatzabgabe.
In Ihrer Agenda-2010-Regierungserklärung hieß es zu-nächst: keine Ausbildungsplatzabgabe.
Anschließend wurde die Ausbildungsplatzabgabe
von Ihren beiden Parteitagen beschlossen. Nach demFührungswechsel in der SPD führten Sie dann die Aus-bildungsplatzabgabe
ein, damit Herr Müntefering gegenüber den Linken inseiner Partei etwas vorzuweisen hat. Daraufhin nahmenSie die Ausbildungsplatzabgabe
wdaAhlidgbesüsPsbHhaDVrtebVKmSüduesuirdgfsWWnam
Meine Damen und Herren, die Menschen sind bereit,uch einen harten Weg mitzugehen.
ber sie wollen ein Ziel haben. Sie wollen wissen, wo-in es geht. Sie wollen sehen, dass gerecht und verläss-ch vorgegangen wird. Sie sind eine Bundesregierung,ie sich verhält wie ein Hase auf der Flucht: Sie schla-en Haken, aber Sie haben keinen Kurs. Das ist Ihr Pro-lem.
In der letzten Debatte, die hier stattgefunden hat, gings um das Thema Mindestbesteuerung. Sie haben ge-agt, dass wir durch die Wiedervereinigung Europas,ber die wir hier gesprochen haben, eine Mindestbe-teuerung brauchen. Anschließend wurde eine Reihe vonapieren erarbeitet. Von den Grünen wurde ein Vor-chlag zur Vermögensteuer vorgelegt. Mittlerweile ha-en Sie dazu ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben.err Kuhn fasste es so zusammen, dass Ihre Steuererhö-ungspläne in Wahrheit nur mehr Verwaltungskosten,ber gar nicht mehr Steuereinnahmen bringen würden.aher wurden sie zurückgezogen. Nachdem dieseorschläge gestern von Ihnen und von Herrn Kuhn zu-ückgezogen worden sind, sagt am heutigen Tag der Par-ivorsitzende der Grünen, Herr Bütikofer: Die Mindest-esteuerung muss kommen und die Instrumente sind dieermögen- und die Erbschaftsteuer.Genau das ist der Fehler, der uns in Deutschland zurapitalflucht treibt und den wir bekämpfen müssen. Wirüssen mit immer neuen Steuererhöhungsdiskussionenchluss machen. Ich nenne noch einmal die Debattenber die Vermögensteuer, die Mindestbesteuerung undie Erbschaftsteuer. Jetzt dreht sich die Diskussion auchm die Mehrwertsteuer. Sie machen immer neue Steuer-rhöhungsvorschläge. Aber mit Steuererhöhungsvor-chlägen treiben Sie die Menschen in Schwarzarbeitnd Kapitalflucht. Wir brauchen die Investitionen hiern Deutschland. Deswegen ist ein niedrigeres, einfache-es und gerechteres Steuersystem das erste Vorhaben,as die Freien Demokraten bei einer Regierungsbeteili-ung durchsetzen wollen.
Es ist richtig, dass wir dabei auch die Sozialstaatsre-ormen durchsetzen müssen. Wir wissen das. Wir wis-en, dass wir Sozialstaatsreformen brauchen.
er nicht arbeiten kann, dem muss geholfen werden.er aber nicht arbeiten will, der kann nicht damit rech-en, dass Familienväter und allein erziehende Mütterbends länger arbeiten, damit er sich einen lauen Lenzachen kann.
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Dr. Guido Westerwelle
Hier geht es um die Frage der Treffsicherheit des So-zialstaates. Wir haben ein anderes Verständnis vom So-zialstaat als Sie.
Sie sehen darin einen Wohlfahrtsstaat, der zur Beruhi-gung an alle ein wenig verteilt. Wir wollen einen Sozial-staat, der seine Hilfen auf die wirklich Bedürftigen kon-zentriert. Das ist der feine Unterschied.
All Ihre Reformen – ob Agenda 2010, bei der Sie inWahrheit auf halbem Wege stehen geblieben sind, oderHartz I bis IV – werden nicht tragen und nicht ausrei-chen, wenn Sie Ihre Wirtschaftspolitik nicht korrigie-ren und an die Stelle Ihrer Verteilungsstrategie eineWachstumsstrategie setzen. Ihre ganzen Reden drehensich in Wahrheit im Kern um die Frage: Wie verteilt derStaat an wen etwas am besten? Ein Bundeskanzler indiesen Zeiten müsste hier stehen und müsste sagen:Wachstum schaffen wir durch: erstens, zweitens, drit-tens, durch folgende Rahmenbedingungen des Staates.Das Wort „Wachstum“ kommt in Ihren Reden überhauptnicht mehr vor, meine sehr geehrten Damen und Herren.Das gibt es überhaupt nicht mehr!
Sie können noch so sehr vorhandene Arbeit durch eineSozialstaatsreform besser verteilen – und es ist notwen-dig, dass angebotene Arbeit auch angenommen wird –,Sie müssen aber Ihre Politik ergänzen: durch eine Wirt-schaftspolitik, die auf Wachstum setzt. Dazu zählen vorallen Dingen auch die neuen Technologien. Sie spra-chen doch selbst von der Innovation. Sie sprechen hiervon den Patenten und setzen sie auf Ihre Erfolgsliste, soals ob Sie ein einziges Patent angemeldet hätten.
In Wahrheit ist es so, dass Ihre Bundesregierung dazubeiträgt, dass Patente, die in Deutschland angemeldetwerden und die hier Arbeitsplätze schaffen könnten, insAusland verlagert werden.
Wir haben das doch beim Transrapid als moderner Ver-kehrstechnologie erlebt: Die Richtlinien der Politik ka-men nicht von Herrn Schröder; Herr Trittin hat dieRichtlinien bestimmt und der Transrapid durfte hiernicht gebaut werden. Mittlerweile wollen Sie auf jederChinareise mindestens einmal im Transrapid fotografiertund gefilmt werden.Dasselbe erleben wir jetzt wieder bei der Bio- undGentechnologie. Es ist doch nicht nur eine ökonomischeFrage, es ist doch auch eine moralische und eine ethischeFrage. Wenn die Forschung für Bio- und Gentechnologiein Deutschland immer mehr durch die Gesetzgebung, dieFrau Künast zu verantworten hat, ins Ausland vertriebenwpvdGlnuBfgGmgDuewdsdsg–uBpddIKEaVzsdbmSBFfbhgz
as ist die Auseinandersetzung, die wir führen wollennd führen müssen.Sie haben von der Energie gesprochen. In der Tat ists richtig, dass die hohen Energiepreise und die Ent-icklung, die wir dort haben, uns allen Sorgen machen;as ist gar keine Frage, das wissen wir auch. Ob die Vor-chläge aus den Reihen der Union kommen oder von an-eren – ich glaube, dass die Vorstellung, man könntetaatlich die Preise festsetzen, zu kurz gedacht ist, um esanz höflich zu formulieren.
Die kommen nicht von der CDU, ja.Auf der anderen Seite, meine sehr geehrten Damennd Herren, will ich Ihnen genauso sagen: Wenn derundeskanzler sich hierhin stellt, auf die hohen Energie-reise hinweist und sagt, es fehle ja an Wettbewerb undeswegen sei diese Preisentwicklung gefährlich,
ann weise ich darauf hin, dass es Ihre Bundesregierung,hr Staatssekretär Tacke war, der gegen das Votum desartellamtes gerade für weniger Wettbewerb auf demnergiesektor gesorgt hat. Dass dieser Herr Tacke jetztuch noch zu dem Unternehmen wechselt, das er miterwaltungsentscheidungen begünstigt hat, das stinktum Himmel, und das werden wir aufklären.
Da sind viele Fragen zu klären; das wissen wir. Sieprechen von Subventionen, Sie sprechen davon, dassie entsprechenden steuerlichen Ausnahmetatbeständeeseitigt werden müssen. Da haben Sie unsere Zustim-ung. Wenn Sie hier einfügen, dass Sie das bisher fürubventionen aufgewendete Geld brauchen, um es fürildung und Innovation auszugeben – einverstanden.angen wir doch einmal gleich bei dem an, was am ein-achsten geht. Der Bundeskanzler, der hier sagt, wirrauchen diese Gelder, um sie in die Bildung zu stecken,at vor nicht einmal einem Jahr auf dem Steinkohletagerade 16 Milliarden Euro an Subventionen zusätzlichugesagt – für die Verlängerung von Vergangenheit, statt
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Dr. Guido Westerwelledass man daraus Arbeitsplätze in Forschung, Bildungund Wissenschaft macht.
Nichts kommt von Ihnen dazu.Jetzt kommen Sie mit Ihrem „Jäger 90“, der Eigen-heimzulage. Es ist sehr bemerkenswert, wie Sie an dieEigenheimzulage herangehen. Hermann Otto Solms hatIhnen das gestern in der Debatte gesagt und wir stehendazu: Wir sind doch bereit, an die ganzen verschiedenensteuerlichen Ausnahmetatbestände heranzugehen. Wirwerden das aber nicht tun, damit Herr Eichel seineselbstverschuldeten Haushaltslöcher stopfen kann. Wennwir an die steuerlichen Ausnahmetatbestände heran-gehen, dann müssen die Auswirkungen durch Steuer-senkungen eins zu eins an die Steuerzahler weitergege-ben werden. Ansonsten ergibt sich keine Verbreiterungder Bemessungsgrundlage; in Wahrheit ergeben sichdann nämlich nur Steuererhöhungen. Das wäre Gift fürdie Wirtschaft und brächte noch mehr Arbeitslosigkeit.Das unterscheidet uns.
Sie haben über die Außenpolitik gesprochen. Diesmöchte ich mit zwei Bemerkungen aufgreifen. HerrBundeskanzler, ich glaube, dass wir alle in diesemHause gestern diese schrecklichen Terrorattentate unddiese grausamen Morde an den Kindern in Russland mitderselben Betroffenheit verurteilt haben. Ich glaube, nie-mand ist irgendeiner anderen Meinung dazu. Jeder isthier als Mensch tief darüber betroffen. Diejenigen, dieKinder morden, Geiseln nehmen und Unschuldige in denTod schicken oder mitnehmen, sind keine Freiheits-kämpfer, sondern Kriminelle, die zur Verantwortung ge-zogen werden müssen. Darin sind wir alle uns einig.Es geht aber um etwas anderes, nämlich um dieFrage, ob der Terrorismus weltweit bekämpft werdenkann. Wenn er bekämpft werden kann, dann stellt sichdie Frage, wie. Aus unserer Sicht als Oppositionsfrak-tion kann der Terrorismus in der Welt mit Sicherheitnicht bekämpft werden, indem man bei Menschen-rechtsverletzungen schweigt.
Deswegen sage ich Ihnen und dem Bundesaußenministerhierzu: Sie kritisieren an der amerikanischen Regierung,an Washington, alles – und vieles davon zu Recht.Gleichzeitig an Moskau aber nichts zu kritisieren und dieMenschenrechtsverletzungen sowie die mangelndeRechtsstaatlichkeit zu übersehen,
das ist eine erschreckende Einäugigkeit in der Außenpo-litik, die wir korrigieren werden.
Die Menschenrechte sind unteilbar.BbdvSlKds–eWdlBNWuIWgswiwiWmh
Einen Moment. Warten Sie doch ab. Ich will doch nurine ganz freundliche Bemerkung machen.
eil mir daran liegt, möchte ich hier nur darum bitten,ass wir genau dieses Missverständnis in einem persön-ichen Gespräch aufklären.
Nun erteile ich Kollegin Katrin Göring-Eckardt,ündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herresterwelle, wir haben in den 20 Minuten, in denen Siens angeschrieen haben, versucht, Ihnen zuzuhören.
ch gebe zu: Wir waren ein bisschen abgelenkt, Herresterwelle, weil wir uns als Fans der Muppet-Show dieanze Zeit überlegt haben, wer die anderen Besetzungenind. Ich will das aber nicht weiter ausführen, denn das,as Sie gemacht haben, hat mit dem Ernst der Situation,n der wir uns befinden, nichts zu tun.
Zu dem, was Sie zum Thema Halbzeit und dazu, dassir auf dem halben Weg sind, ausgeführt haben, kannch nur sagen: Sie haben Recht. Wir sind auf dem halbeneg, aber wir werden nicht stehen bleiben, sondern wirüssen weitergehen. Wir werden das, was wir erreichtaben, nutzen, um darauf aufzubauen.
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Katrin Göring-EckardtWas haben wir in der ersten Halbzeit erreicht? Wirhaben bei der Rentenversicherung und bei den Renten-beiträgen Stabilität erreicht. Ich glaube, dass das eingroßer Erfolg ist. Ich halte – ehrlich gesagt – nichts da-von, dass Sie in jeder Debatte aufs Neue erklären, Siehätten ja damals den demographischen Faktor einge-führt. Du meine Güte, ja, Sie haben den demographi-schen Faktor eingeführt und er hätte zu weit höherenRentenbeiträgen geführt, als wir sie heute tatsächlich ha-ben. Auch das gehört zur Erkenntnis der Realität.
Sie profilieren sich immer dann, wenn es um Steuerngeht. Die Bilanz Ihrer Regierungsbeteiligung ist einSpitzensteuersatz von 53 Prozent und ein Eingangssteu-ersatz von 25 Prozent.
In dem Fall kann man sich hier nicht hinstellen und stän-dig hervorheben, wie toll man es gemacht hat.Lassen Sie mich auf noch etwas hinweisen: Ich habedie Debatte zu den Haushaltsberatungen ganz intensivverfolgt und habe auf das gewartet, was die Union zumThema Steuern sagt. Dabei fällt mir ein, dass ich letztesJahr zu Weihnachten, am 24. Dezember, in der „Bild“-Zeitung gelesen habe, dass Herr Merz damals erklärte:Bis zum Sommer legen wir ein neues Steuerkonzept vor.
Inzwischen ist der Sommer vorbei, Herr Merz. Ichfrage mich, wo jetzt die Steuerehrlichkeit der Union ge-blieben ist. Ich kann Ihnen sagen, wo sie geblieben ist.Ihre Ideen zu Steuersenkungen sind bei all dem ver-schwunden, was im Zusammenhang mit der Kopfpau-schale an Finanzierungs- und Steuerlöchern entstandenist. Genau das ist Ihr Problem.
Wenn wir über Ihre weiterführenden Ideen zur Ge-sundheitspolitik reden – bei der Gebisspauschale sindSie gerade dabei, sich aus dem Staub zu machen –, dannstellt man fest, dass Sie eines nicht geschafft haben. Siehaben ein Konzept vorgelegt, es mit großem Tamtamverabschiedet und sich dafür bejubeln lassen. Dann ha-ben Sie gesagt: Die Sache mit dem Sozialausgleich ma-chen wir später. Ich frage mich, wann später ist. HerrSeehofer hat ausgerechnet, dass 60 Milliarden Euro feh-len. Diese 60 Milliarden Euro haben Sie noch immernicht finanziert. Wie wollen Sie es denn machen? MitSteuererhöhungen? Oder erklären Sie irgendwann, dassdie Sache mit dem Sozialausgleich nicht mehr wichtigist? Ich habe das Gefühl, dass Sie zuerst die Gebisspau-schale aus dem Konzept herausgenommen haben, umdann die Kopfprämie hinterherzuwerfen. Vor allem einesist klar: Mit sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und ei-nem stabilen System hat all das gar nichts mehr zu tun.EekhbWgwdzwhWbewGgasdLMdNsuBhvbMxgabMisaErr
Wir haben eine Gesundheitsreform gemacht. Sie hatrfolge gezeigt, wenn man davon absieht, dass die Kli-ntelpartei FDP verhindert hat, dass es bei den Apothe-en wirkliche Konkurrenz gibt. Immerhin besteheneute 800 Versandapotheken. Da tut sich was beim Wett-ewerb. Trotzdem sind wir hier noch lange nicht fertig.ir werden weitermachen müssen. Deswegen sagen wiranz klar: Wir wollen die Bürgerversicherung. Auselchen Gründen? Erstens. Die Bürgerversicherung istafür da, eine Antwort auf das demographische Problemu geben, das im Gesundheitssystem immer deutlicherird.
Wir wollen eine Versicherung für alle und keine Ein-eitskasse. Das ist ein Unterschied. Wir wollen mehrettbewerb zwischen den Kassen, aber auch mehr Wett-ewerb zwischen den Leistungsanbietern. Ohne das wirds nicht gehen. Wettbewerb im System muss sein. Sieerden darauf verzichten müssen, immer ein schönesärtchen um diejenigen zu bauen, von denen Sie hoffen,ewählt zu werden.
Zweitens. Wir wollen, dass die Solidarität zwischenllen stattfindet, nicht nur zwischen denen, die in der ge-etzlichen Krankenversicherung bleiben müssen. Aucharauf wird es ankommen; denn wir müssen die realeebenssituation in der Zukunft berücksichtigen. Dieenschen werden nicht mehr mit 18 Jahren die Ausbil-ung abschließen und dann immer bei VW arbeiten.ein, wir werden eine andere Situation haben: Die Men-chen werden eine Zeit lang abhängig beschäftigt seinnd dann vielleicht selbstständig tätig oder auch einmaleamter sein. Sie werden in ihrem Leben in Zukunftoffentlich sehr viele Berufe ausüben, in Anstellungs-erhältnissen und als Selbstständige. Genau deswegenrauchen wir die Bürgerversicherung. Sie gibt denenschen auch in diesen Situationen, mit der neuen Fle-ibilität, die wir wollen und brauchen, Sicherheit. Bür-erversicherung heißt eben auch: eine Versicherung fürlle. Darauf kommt es uns an.
Herr Glos, Sie haben hier heute Morgen in Ihrem sehrewegenden Auftritt – ich weiß nicht, warum Frauerkel uns das immer gönnt – gesagt, die Grünen seienn einem Luxushotel gewesen. Ich kann Ihnen das Hotelehr empfehlen, weil es einen sehr guten Service bietet,ber ein Luxushotel ist es nicht.
s zeigt aber eines, Herr Glos: Wir sind nach Bad Saa-ow in Ostdeutschland gefahren und haben dort Erfah-ungen sammeln können, die Sie wahrscheinlich nie ma-)
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Katrin Göring-Eckardtchen werden, weil Sie mit der Realität in Ostdeutschlandeben leider nichts zu tun haben. Das gilt übrigens auchfür Herrn Westerwelle, der hier wieder von denen gere-det hat, die nicht arbeiten wollen und sich einen lauenLenz machen. Erzählen Sie das einmal auf einer dieserDemonstrationen in Ostdeutschland! Das ist men-schenverachtend gegenüber denjenigen, die 250 und300 Bewerbungen geschrieben und eben keinen Job ge-funden haben, meine Damen und Herren.
Natürlich gehen viele Menschen in Ostdeutschlandheute auf die Straße, weil sie verunsichert sind, weil sieberechtigte Ängste haben. Das müssen wir ernst nehmenund wir müssen genau hinhören.
Wenn wir genau hinhören, werden wir feststellen: DasGesetz ist richtig und wir müssen es nicht verändern.Aber wir müssen bei der Umsetzung darauf achten, dassdas Fördern tatsächlich die zentrale Rolle spielt.Auf der anderen Seite sollten wir aber nicht verken-nen, was die Populisten dieser Republik machen. Zu de-nen gehören Gysi, Lafontaine und Bisky, aber es gehö-ren auch Leute wie Herr Milbradt und viele andere dazu,die erst Ängste schüren und sie dann gern wieder neh-men. Dass dieser Populismus auf dem Rücken der Leute,die wirklich berechtigte Sorge haben, ausgetragen wird,können wir nicht akzeptieren.
Man muss sich auch anschauen, wie Sie versuchen,darunter durchzutauchen, Frau Merkel. Herr Milbradt istja keine Ausnahme. Am Sonntagabend kam HerrSeehofer zu mir und sagte: Ich verstehe überhaupt nicht,dass man jetzt weniger dazuverdienen kann als früher.Dazu sage ich nur: Guten Morgen! Wann haben Sie ei-gentlich einmal für das geworben, was wir mit Hartz IVumsetzen? Schließlich haben Sie dem zugestimmt undwollten gerade für den Zuverdienst noch schärfere Be-dingungen.
Herr Milbradt ist keine Ausnahme. Herr Milbradtkommt mir manchmal vor wie der Sprecher der ostdeut-schen CDU-Landräte, die überall sagen: Was da gemachtwird, ist ja furchtbar. Dabei ist es das, was Sie im Ver-mittlungsausschuss mit beschlossen haben und was Sienoch sehr viel schärfer haben wollten. Also stehen Sie,verdammt noch mal, jetzt auch dazu und tauchen Sienicht drunter weg! Das wird die Glaubwürdigkeit dieserPolitik nicht bereichern.
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orauf könnten wir noch stolz sein? Wir könnten unsinmal die Wachstumsbranchen ansehen, die wir haben.ie zentralen Wachstumsbranchen gerade in Ost-eutschland sind alle die, die etwas mit Umwelttechno-ogie zu tun haben. Arbeitsplätze in Magdeburg, inauchhammer und in Erfurt sind durch den Push für dierneuerbaren Energien überhaupt erst entstanden. Das ister erste Arbeitsmarkt. Herr Westerwelle, auch das istachstum, wenn es auch nicht das Wachstum ist, das Ih-en gefällt.
Natürlich wird man an der Stelle nicht daran vorbei-ommen – das will ich auch nicht –, etwas über dienergiepreise zu sagen, weil man den Eindruck haben
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Katrin Göring-Eckardtmuss, dass jemand mit fadenscheinigen Begründungennoch schnell etwas beiseite schaffen will, und zwar aufKosten der Wirtschaft und auf Kosten der Verbrauche-rinnen und Verbraucher. Das ist nicht akzeptabel. Wennman sich diese Situation anschaut, dann erinnert mansich auch an andere Fragen, die damit zusammenhängen.Ich meine die Managergehälter in Deutschland, dieendlich transparent werden müssen, weil auch das zurEhrlichkeit in einer Gesellschaft gehört.
Wenn wir schon dabei sind, dann will ich sagen, dass ichpersönlich das Gefühl habe, dass es einer solchen Stim-mung nicht zuträglich ist, wenn man den Eindruck hat,dass die Grenzen zwischen Wirtschaft und Politik nichtmehr ganz klar sind. Ich bin dafür, dass wir von derWirtschaft in die Politik wechseln können und umge-kehrt. Das ist richtig und das kann auch gut sein. Aberwenn man den Eindruck haben muss, dass eine Hand dieandere wäscht, sollten wir uns selber fragen, ob das rich-tig ist, ob das gut ist und welche Diskussion darüber wirbrauchen.
Ich habe über die Erfolge der Umweltpolitik geredet.Wir haben aber auch noch viel vor uns. Die Strategie„weg vom Öl“ wird in Zukunft die zentrale Aufgabesein. Sie wird uns ökonomisch unabhängiger machenund sie ist zentral für die außenpolitische Sicherheit. DerZugang zu Ressourcen spielt übrigens auch eine immergrößere Rolle im Kaukasuskonflikt. Der Zugang zum Ölwird eine wichtige Rolle bei vielen internationalen The-men spielen.Was in Russland geschehen ist, ist ein Verbrechen,das keinerlei Rechtfertigung hat. Die Terroristen, diediese Verbrechen begangen haben, sind bestimmt keineMenschen, mit denen man verhandeln kann. Darinstimme ich dem Bundeskanzler zu. Ich stimme auch derFeststellung des Bundeskanzlers zu, dass wir eine politi-sche Lösung brauchen. Für eine politische Lösung ist esnotwendig, dass wir ehrlich sagen, dass die so genanntePolitik mit unerbittlicher Härte und die dafür eingesetz-ten Instrumente einer Überprüfung bedürfen. Ich glaube,dass wir das so ehrlich und klar feststellen können unddies unter Freunden auch tun sollten.
Der Einsatz für die politische Lösung wird ein sehrschwieriger Weg sein, weil die Spirale der Gewalt aucheine Spirale der Hoffnungslosigkeit ist. Dem müssen wiretwas entgegensetzen. Dem Terrorismus wird man nurdie Zivilisation entgegensetzen können. Das ist – das giltauch für uns – die zentrale sicherheitspolitische Frage,auf die es ankommt.Weil wir uns in den Haushaltsberatungen befinden,muss ich hinzufügen, dass sich in der Perspektive – dasgaliwafinhDistezmndgnSSDrbdwsGATvwwcktatw1iAagbd
Ich will noch etwas ansprechen, Frau Merkel, das Sieit aller Kraft zu verhindern suchen, was Ihnen abericht gelingen wird. Dabei handelt es sich um die Fragees Beitritts der Türkei zur Europäischen Union. Ichlaube, Sie haben nicht bedacht, dass Sie für einen in-enpolitischen Benefit dafür sorgen, dass wir zentraleicherheitsfragen aus den Augen verlieren. Ich glaube,ie haben auch nicht bedacht, dass die Wirtschaft ineutschland – Sie können mit jedem Wirtschaftsführereden – für den Beitritt der Türkei ist. Ich glaube, Sie ha-en nicht bedacht,
ass alles dafür getan wird, dass sich die Türkei ent-ickelt, und dass sorgfältig auf die Einhaltung der Men-chenrechte geachtet wird.
ünter Verheugen widmet sich in diesen Tagen dieserufgabe vorbildlich.Ich glaube, Sie haben auch nicht bedacht, dass dieürkinnen und Türken, die in unserem Land leben, sehriel zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Ichürde Sie gerne auffordern, langsam umzudenken; dennir brauchen die Erweiterung der Union und wir brau-hen auch aus Sicherheitsgründen den Beitritt der Tür-ei. Das ist ein positives Signal, das wir – auch zuguns-en der eigenen Verlässlichkeit – senden sollten.
Angesichts dessen, was vor uns liegt, werden wir unsuch weiterhin mit Fragen des Arbeitsmarkts beschäf-igen müssen. Ich möchte, dass das Fördern Wirklichkeitird und dass wir uns nicht – auch nicht ab dem. Januar – zurücklehnen und meinen, das werde schonrgendwie klappen. Vielmehr hat jeder Einzelne seineufgaben zu leisten. Das gilt sowohl für die Kommunenls auch für die Wohlfahrtsverbände und die Politik.Ich möchte, dass es nicht zur Bildung einer immerrößeren Schicht von Menschen kommt, die außen vorleiben. Hartz IV ist die Antwort darauf. Es geht darum,iesen Menschen eine Chance zu bieten, sich wieder ein-
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Katrin Göring-Eckardtzubringen, indem jeder ein Angebot bekommt. In diesemSinne bedeutet Fördern auch, die Kommunen auf Vor-dermann zu bringen.Ich will erreichen, dass die Kinder der heutigen So-zialhilfeempfänger, denen es übrigens in Zukunft allenbesser gehen wird – ich meine, das könnten Sie von derUnion akzeptieren und auch deutlich machen; denn die-sen Erfolg haben wir mit der Reform erreicht –,
in Zukunft sagen können: „Mein Papa ist jetzt Trainer imSportverein“ oder „Meine Mama restauriert jetzt Kir-chen“. Ich will auch erreichen, dass die Stadtteilbiblio-theken und Schwimmbäder geöffnet bleiben, statt zuschließen. All das sind Chancen, die mit Hartz IV ver-bunden sind. Das gilt übrigens auch und ganz besondersfür Ostdeutschland. Es geht darum, dass jeder einenPlatz in der Gesellschaft hat. Wir dürfen nicht sagen:Was du machst, ist uns eigentlich egal. Du bleibst außenvor. – Alle sollen dabei sein und mitmachen können. Je-der muss auch mitmachen. Ich bin ganz sicher, dass daseine große Chance für unsere Gesellschaft ist.
Weitere Chancen bietet die älter werdende Gesell-schaft. Es ist wichtig, dass wir sie nutzen. Wir müssensicherlich über die Auswirkungen der demographischenEntwicklung, insbesondere der Geburtenraten – daraufwerde ich noch ausführlicher eingehen –, auf die Sozial-systeme, insbesondere auf die Pflegeversicherung, undauf unser „ganz normales“ Leben reden. Aber ich binfroh, dass wir einen Diskussionsprozess anstoßen wer-den, in dessen Mittelpunkt die Fragen stehen werden,wie wir den Pflegebereich angesichts einer älter werden-den Gesellschaft gestalten wollen, wie es um Wohnen,Bildung und Dienstleistungen in einer älter werdendenGesellschaft bestellt ist; denn wir dürfen nicht verges-sen, dass in diesem Zusammenhang auch Arbeitsplätzeentstehen. Ein Beispiel – darauf habe ich schon hinge-wiesen –: Meine Wahlheimat Weimar gehört zu den we-nigen Städten, in denen der Zuzug höher ist als die Ab-wanderung. 500 vorwiegend ältere Menschen ziehenjedes Jahr nach Weimar, weil sie es schön finden, dort altzu werden, wo Goethe einst gelebt hat. Das bietet aucheine Chance für Jüngere; denn dadurch sind sehr vieleArbeitsplätze in sehr vielen Bereichen, vor allem imDienstleistungsbereich, entstanden. Das ist ein gutesBeispiel dafür, dass eine älter werdende Gesellschaftauch Jüngeren Chancen und Arbeitsplätze bietet.
Wenn man über neue Arbeitsplätze redet, dann kommtman an dem Thema Innovationen nicht vorbei. Sie ha-ben Recht – das sollte man ehrlicherweise zugeben –:Wir sind mit unserem ersten Anlauf im Bereich der In-novationen nicht so weit gekommen, wie wir wollten,weil andere Dinge wichtiger waren. Aber das bedeutetnicht, dass wir keinen zweiten Anlauf nehmen werden.Bildung und Forschung müssen die zentralen Themenbswgwdgsewdkedlddld3kSesLsdstSngkneveKWaS5DadIiedsddu
Noch ein Wort zu dem Vorschlag der FDP, durchtreichung der Eigenheimzulage Steuersenkungen zu fi-anzieren: Ich sage Ihnen ganz offen, dass dies denjeni-en Eltern, die die meisten Kinder haben und deren Ein-ommen sich am unteren Rand bewegen, leider nichtsutzen wird. Es geht vielmehr darum, dass alle Kinderine gute Ausbildung bekommen und dass Bildung nichtom Geldbeutel der Eltern abhängt. Mir leuchtet es nichtin, dass es richtig sein soll, dass auf der einen Seite dieinder der Gutverdienenden mit Bobby Cars durch dieintergärten der Vorstadtvillen fahren und dass auf dernderen Seite die Chance nicht genutzt wird, eine gutechule für alle zu schaffen. Auf Letzteres kommt es an.0 000 neue Stellen für Lehrerinnen und Lehrer ineutschland wären eine echte Innovation und ein Schrittuf dem Weg zu einer Bildungsrevolution.
Weil ich der Auffassung bin, dass wir die Problemeort, wo sie auftreten, anpacken sollten, sage ich: Diedee von Renate Schmidt, ein Elterngeld einzuführen,st richtig. Dazu gibt es viel Kritik – auch bei uns, in denigenen Reihen –, weil sich natürlich die Frage stellt, obas gerecht ist. Ich sage: Ja, das ist gerecht. Man kannich natürlich auch zurücklehnen und sagen: Gut, wennie Akademikerinnen keine Kinder mehr bekommen,ann müssen eben mehr Kinder aus Sozialhilfefamiliennd mehr Arbeiterkinder Akademiker werden. Auch das
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Katrin Göring-Eckardtist richtig und dafür muss man sorgen, zum Beispieldurch das, was ich vorhin angesprochen habe, nämlichdurch die Verbesserung unserer Schulen.Aber es ist eben auch richtig, dass sich 40 Prozent derAkademikerinnen heute entgegen ihren eigenen Wün-schen nicht für Kinder entscheiden. Darauf gibt es zweiAntworten. Die erste Antwort heißt: Kinderbetreuung.Dafür tun wir etwas und dafür müssen wir etwas tun. Diezweite Antwort soll aus meiner Sicht heißen: ein ein-kommensabhängiges Elterngeld. Dieses einkommensab-hängige Elterngeld kann dazu führen, dass der Schritt,sich für das erste Kind zu entscheiden, leichter wird. Ichfinde, wir sollten dazu beitragen.Wir sollten übrigens auch dafür sorgen, dass die Väterihren Anteil tragen. Sie reden ja immer gern davon, wieschön es ist und wie viel Spaß es macht, Kinder zu ha-ben. Ladys, sagt den Jungs: Es ist nicht nur schön, esmacht nicht nur Spaß, sondern es rechnet sich auch. Da-für ist das Elterngeld gut.
Ich komme zum Schluss. Frau Merkel – wir alle ha-ben lange auf Ihre Rede gewartet –,
Sie haben sich im letzten Jahr zu verantwortungsbewuss-ter und verantwortungsvoller Politik geäußert. Ich mussIhnen ehrlich sagen: Sie haben dazu einen Anlauf ge-nommen und manches ist gemeinsam auf den Weg ge-bracht worden. Sie haben Anläufe genommen, um Ge-setze mit zu beschließen, und das war gut so. Aber dieAnläufe, die Sie genommen haben, um am Ende auch zueiner verantwortungsvollen Politik zu stehen, sind leidergescheitert. Ich bedauere das sehr.Es gibt noch einen, der das sehr bedauert: KurtBiedenkopf. Er sagt: Wichtig ist, dass die verantwortli-chen Politiker zu dem stehen, was sie für richtig halten.Sie haben die Reformen mit großer Mehrheit im Bundes-tag beschlossen. Sie haben sie nach langen Beratungenim Vermittlungsausschuss und im Bundesrat gebilligt.Jetzt müssen Sie auch vertreten, was sie beschlossen ha-ben. – Sagen Sie das Herrn Milbradt! Sagen Sie das denCDU-Landräten! Sagen Sie das Herrn Rüttgers! SagenSie das allen anderen, die heute auf der Straße herumlau-fen und verkünden: Irgendwie war es doch nicht so ge-meint! Wer eine verantwortungsvolle Politik machenwill, wer verantwortungsvolle Opposition machen will,der ist in der Pflicht, diese Verantwortung bis zum Endemitzutragen;
sonst ist er nicht glaubwürdig. Die Frage der Glaubwür-digkeit wird im Jahre 2006 entscheidend sein, und zwar– ich bin ganz sicher – nicht zu Ihren Gunsten.Vielen Dank.
FigTsrIstbssdDddBkDsszhsPrUSlggt
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sindn der Mitte dieser Legislaturperiode. Das ist die Gele-enheit, eine erste Bilanz zu ziehen. An einem solchenag, Herr Bundeskanzler, muss man den Realitätenchon ins Auge blicken. Sie haben vor zwei Jahren in Ih-er Regierungserklärung gesagt – ich zitiere –:Das Ziel unseres Weges ist klar: ein Leben reicheran Chancen, reicher an Arbeitsmöglichkeiten undArbeitsformen, reicher an Dienstleistungen undMärkten, reicher an Zukunftshoffnungen sowie anKultur und Sicherheit, aber durchaus auch reicheran Einkommen und Vermögen für alle.n der Tat, Herr Bundeskanzler, sind die meisten Men-chen in Deutschland reicher geworden: reicher an Ent-äuschungen über gebrochene Versprechen, reicher anitteren Erfahrungen über Tricksereien in der Arbeitslo-enstatistik, über Neuverschuldung jenseits der Verfas-ungsgrenze, über Pleiterekorde, über fehlende Ausbil-ungsplätze, über zunehmende Bürokratie.
ie Menschen in diesem Land sind auch ärmer gewor-en: ärmer an Hoffnung in eine Politik aus einem Gussurch diese Bundesregierung und – das ist vielleicht dasedrückendste – ärmer an Vertrauen in die Gestaltungs-raft der Politik insgesamt.
as ist die Halbzeitbilanz und das ist die Bilanz nachechs Jahren Rot-Grün.
Das Debakel wird komplett, wenn Sie selbst – Sieelbst! – Ihre Politik als schlimm bezeichnen. Ja, Sie be-eichnen sie als schlimm. Oder wie soll man es verste-en, wenn Sie sagen, mit der Union würde es nochchlimmer? So etwas kann nur sagen, wer seine eigeneolitik als schlimm bezeichnet, meine Damen und Her-en.
Was kann das sein? Ist es vielleicht die raffiniertemsetzung und Weiterentwicklung des lafontaineschenatzes auf dem legendären Mannheimer Parteitag, der daautet: „Nur wer sich selbst begeistert, kann andere be-eistern“? Ist das, was Sie da betreiben, sozusagen Ne-ativstimulierung: schlimm, schlimmer, am schlimms-en? Wie wollen Sie die Menschen in diesem Land von
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Dr. Angela Merkeletwas begeistern, was Sie selber als schlimm bezeich-nen, und mitnehmen? Das geht nicht!
Viele sehen die Widersprüchlichkeiten und wissen über-haupt nicht, mit wem sie es nun zu tun haben, mitSchröder, mit Müntefering, mit Clement oder mit Maas,mit Steinbrück oder mit Platzeck;
vielleicht gibt es immer noch ein ganz kleines bisschenLafontaine als Restversicherung.Herr Bundeskanzler, Sie sitzen bei der Klausurta-gung. Sie verteidigen überall tapfer, dass das Arbeits-losengeld II in Ost und West unterschiedlich ist. Dannist es Sonntag und Ihr Minister für den Aufbau Ost wirbtdafür, dass man es in Ost und West doch eigentlich auchwieder gleichmachen könnte.Herr Bundeskanzler, schauen Sie sich einmal diesächsischen Landtagsabgeordneten der Sozialdemokra-tie an, zum Beispiel Herrn Karl Nolle. Herr Karl Nollewar es, der gesagt hat: Es wird mit Hartz IV zu Massen-umsiedlungen in leer stehende unsanierte Plattenbautenkommen, Armenghettos werden entstehen, ein sozialpo-litischer Super-GAU. Das ist die Werbekampagne dersächsischen SPD für Hartz IV. Sie haben Ihren Ladeneinfach nicht im Griff, meine Damen und Herren! Dasist die Wahrheit und das kommt zum Tragen.
Wie wollen Sie den Menschen denn erklären, dass Siejahrelang mangelndes Wachstum mit schwächelnderWeltkonjunktur begründet haben, dann aber, wenn dieWeltwirtschaft boomt, die Realeinkommen in Deutsch-land trotzdem nicht steigen? Unser Land wird doch inder Liste des Pro-Kopf-Volkseinkommens herunterge-reicht. Dafür haben Sie Entschuldigungen, aber Sie kön-nen es nicht erklären.Es ist doch richtig – Herr Eichel hat gestern daraufhingewiesen und Sie haben es auch getan –: Wir allefreuen uns darüber, dass Deutschland Exportweltmeisterist.
Wir alle profitieren davon. Aber es ist ganz offensicht-lich, dass das allein nicht ausreicht. Wir müssen esschaffen, die Binnenkonjunktur wieder in Gang zu brin-gen und auch intern Wachstum zu haben. Da mangelt es.Darüber sagen Sie kein einziges Wort, meine Damen undHerren.
Seit sechs Jahren reden Sie nun Jahr für Jahr davon,dass sich im nächsten Jahr die BeschäftigungssituationmtvFTvMdvtgEhishkEJWdDwellgmgWdsfhGddandtltfwkDmddu
Herr Bundeskanzler, Sie haben über die Außenpolitikesprochen und dabei die richtigen Worte gefunden. Ichöchte deshalb ausdrücklich sagen, wir alle sind ent-eistert und entsetzt über das Geiseldrama in Ossetien.ir alle haben die grauenhaften Bilder von den Kindern,en Eltern und Großeltern gesehen. Ich füge ganz per-öhnlich an: Manche Debatte, die wir in diesem Hauseühren, relativiert sich angesichts solcher Bilder. Wir se-en natürlich die Herausforderung; dabei gibt es vieleemeinsamkeiten: Der Terrorismus ist die Herausfor-erung des 21. Jahrhunderts. Ich persönlich sage sogar,ie Bekämpfung dieser Herausforderung ist schwierigerls die Überwindung des Kalten Krieges, weil wir esicht mit übersichtlichen Abschreckungsstrukturen, son-ern mit Gruppen von fundamentalistischen Kräften zuun haben, die bereit sind, ihr eigenes Leben bedingungs-os aufs Spiel zu setzen, um westliche, offene, demokra-ische Gesellschaften zu vernichten. Mit dieser Heraus-orderung müssen wir uns auseinander setzen. Wirissen, dass jeden diese terroristischen Attacken treffenönnen. Wir wissen, dass niemand vor ihnen gefeit ist.eshalb müssen wir uns – keiner hat eine Patentlösung –it dieser Frage auseinander setzen. Niemand hat etwasagegen – im Gegenteil –, wenn deutsche Außenpolitikabei eine wichtige, konstruktive Rolle spielt. Das istnser aller gemeinsames Anliegen.
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Dr. Angela Merkel
Aber, Herr Bundeskanzler, den Worten und den inter-nationalen Aktionen müssen natürlich auch Taten fol-gen. Wenn es richtig ist, dass politische Lösungen gefun-den werden müssen, dann ist es auch richtig, dass dasBudget für auswärtige Kulturpolitik nicht zum Spar-schwein der Nation gemacht werden darf. Dann ist esauch richtig, dass die Situation der Goethe-Institute ver-bessert werden muss und nicht verschlechtert werdendarf. Dann ist es auch richtig, dass die Deutsche Welle,die ein wirklicher Übermittler von Kulturgut ist, nicht je-des Jahr um ihren Etat bangen muss. Es muss doch anIhren Taten ersichtlich sein, was Sie wollen.
Es ist auch richtig, dass dieses Haus in großer Mehr-heit gemeinsam mit Ihnen immer wieder den Einsatz un-serer Bundeswehrsoldaten für mehr Sicherheit und fürmehr Frieden unterstützt. Das waren keine ganz einfa-chen Diskussionen, aber wir alle stehen dazu, dass wiruns dieser internationalen Herausforderung stellen müs-sen. Aber, Herr Bundeskanzler, wenn wir so etwas wieein Parlamentsheer haben – so hat es das Bundesverfas-sungsgericht ja formuliert –,
dann hat dieses Parlament – dazu hätte ich heute gernevon Ihnen ein Wort gehört – auch einen Anspruch auflückenlose Information, wenn einmal etwas nicht ge-klappt hat. Bezüglich der Vorgänge in Prizren haben wirnicht die lückenlosen Informationen bekommen, die wirgerne erhalten hätten.
Auch Sie müssen sich doch mit der Tatsache ausein-ander setzen, dass jedes Land, das neues Mitglied derNATO werden möchte, 2 Prozent seines Bruttoinlands-produktes in den Verteidigungsetat stecken soll. Derentsprechende Etat Deutschlands liegt bei 1,4 Prozent,und das mit fallender Tendenz. Das heißt nichts anderes,als dass wir, wenn wir heute der NATO beitreten woll-ten, kaum die Voraussetzungen erfüllen würden. Damitgeht von uns keine Vorbildwirkung aus. In diesem Be-reich muss gearbeitet werden. Unsere Soldaten müssenin den Stand versetzt werden, ihre Aufgaben nach innenund außen ausreichend erfüllen zu können. Hier bestehtHandlungsbedarf, Herr Bundeskanzler. Darauf werdenwir immer wieder hinweisen.
Gerade im Kampf gegen den Terror – meine Damenund Herren, da bin ich mir ganz sicher – darf es keineDoppelmoral geben. Ich sage Ihnen, es ist nicht in Ord-nOdtWHmnefenfhgSavnlddwmudsesftuKaSdIdtdkuvE
nd zwar im Gegensatz zu denen, wie zum Beispiel dieollegen der FDP, die einen Volksentscheid seit langemus sachlichen Erwägungen heraus richtig finden.
ie machen Taktik. Ich rate Ihnen: Wenn Sie diesen Ein-ruck widerlegen wollen, dann bringen Sie, bitte schön,hre Initiativen auf Punkt und Komma genau in die Fö-eralismuskommission oder in den Deutschen Bundes-ag ein; dann sind wir bereit, darüber zu diskutieren undas Für und Wider abzuwägen. Meine Position ist be-annt: Ich habe allergrößte Bedenken. Aber wir stellenns der Diskussion, jedoch nicht, wenn sie taktisch moti-iert ist und ein Hü und Hott auf dem Rücken vonuropa und der Außenpolitik stattfindet.
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Bundespräsident Köhler hat in seiner Antrittsrede am1. Juli gesagt, dass Deutschland sich kein einziges verlo-renes Jahr mehr leisten könne. Ich erspare Ihnen jetzt dieRückschau auf die ersten acht Monate dieses Jahres, indenen schon wieder viel Zeit verloren wurde. Aber zweiJahre nach dem In-Kraft-Treten der Hartz-Reform kannman nicht einfach über die Folgen hinwegsehen undkeine Bilanz ziehen. Das hätte ich von Ihnen schon er-wartet. Sie sagen doch immer, wenn man Fehler mache,dann müsse man auch dazu stehen.Das Programm „Kapital für Arbeit“, der volksnahgenannte Jobfloater, sollte pro Jahr 120 000 Jobs schaf-fen, das macht in zwei Jahren 240 000 Jobs. Wissen Sie,wie viele geschaffen worden sind? 12 000 Jobs in zweiJahren! Völliges Versagen eines hochgejubelten Instru-ments; das sollten wir uns wirklich merken.
Wie viele Ich-AGs das zweite Jahr überleben, weißkeiner. Da gibt es grauenhafte Prognosen. Aber dass Sieselbst die Notbremse ziehen mussten, dass diese Ich-AGs eine Konkurrenzveranstaltung für wettbewerbsfä-hige Betriebe bedeuten,
dass in sie unglaublich viel Geld geflossen ist – es istdoch das Mindeste, dass Sie das einmal kritisch analy-sieren und sagen, dass andere Instrumente benötigt wer-den. Dabei habe ich die Personal-Service-Agenturennoch nicht einmal erwähnt.
Meine Damen und Herren, Hartz hat gesagt – manvergisst es ja fast –, man könne binnen 36 Monaten dieZahl der Arbeitslosen um 2 Millionen senken. Falls Siemit diesen Aussagen noch irgendetwas zu tun habenwollen, müssen Sie dafür sorgen, dass nicht täglich1 500 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsver-hältnisse verloren gehen, sondern dass 6 415 neue ent-stehen, damit wir dieses Ziel innerhalb der 36 Monatenoch erreichen. Es wäre schön gewesen, Sie hätten unsgesagt, ob Sie das für realistisch halten. Auch das ist et-was, bei dem die Menschen verzweifelt sind, weil esnicht klappt.
Der Herr Bundespräsident hat Recht: Wir können unskein einziges verlorenes Jahr mehr leisten. Deshalb sindfür die Zukunft, über die Sie im Übrigen bemerkenswertwenig gesprochen haben, drei Dinge von allergrößterBedeutung.Erstens. Die jeweils beschlossenen Maßnahmen müs-sen vernünftig erklärt werden, was eigentlich logisch ist.Aber Sie haben die Flucht nach vorne angetreten und unsgefragt, ob wir noch wüssten, wann Hartz IV beschlos-szhhDKswZAtwGmdvdskgüVdsbdbddwgZhlsArFvwDmsslz
leichzeitig wollte Herr Eichel das Geld für die Kom-unen nicht herausrücken. Das ist die Ursache dafür,ass wir so spät fertig geworden sind.
Es war außerdem aberwitzig – Herr Kauder hat Sieon dieser Stelle aus darauf hingewiesen –, dass Sie erstiese sehr „volksnahen“ Fragebögen von 16 Seiten ver-chicken und dann in den Urlaub fahren. Als Sie zurück-amen, haben Sie gesagt, dass wir jetzt eine Infokampa-ne brauchen. So können Sie die Menschen nichtberzeugen. Sie zu überzeugen ist Ihre und nicht unsereerantwortung. Wir tun das Unsrige. Aber Sie müssenas Ihrige tun.
Über diese psychologisch geniale Leistung, Men-chen aus Bonn, die ebenfalls ein schweres Schicksal ha-en, einzusetzen, damit sie den vielen Arbeitslosen inen neuen Bundesländern erklären, wie man die Frage-ögen ausfüllt, müssen Sie sich mit sich selbst auseinan-er setzen; das erklärt Ihnen vielleicht einmal ein Ost-eutscher.
Zweitens. Es muss handwerklich sauber gearbeiteterden. Da haben Sie sich nun zum zweiten Mal mitroßem Pomp in Neuhardenberg versammelt und dasauberwort Controlling eingeführt. Sie haben hin under diskutiert, ob man vielleicht doch mit elf Auszah-ungsterminen klarkommt, um dann irgendwann festzu-tellen, dass man natürlich zwölf Termine im Jahr für dieuszahlung dieser neuen Leistung braucht. Etwas ande-es wäre niemandem zu erklären. Das alles hätten Sie imrühsommer haben können. Dann wäre uns allen sehriel Verdruss erspart geblieben und wir brauchten nichtieder nachzubessern. Daran leiden die Menschen ineutschland.
Sie haben jetzt endlich einen Vorschlag gemacht, wiean das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Bes-erstellung von Familien in der Pflegeversicherung um-etzen kann. Aber wer geglaubt hatte, nach der monate-angen Diskussion gäbe es irgendeinen tragfähigen undukunftsfähigen Vorschlag für eine Weiterentwicklung
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Dr. Angela Merkelder Pflegeversicherung, der sah sich getäuscht. FrauSchmidt ist so sehr im Zeitverzug, dass sie es nicht ein-mal mehr schafft, dass alle Rentner gleich behandeltwerden, wenn das Gesetz am 1. Januar in Kraft tritt. Ichwünsche Ihnen viel Vergnügen vor dem Bundesverfas-sungsgericht wegen der unterschiedlichen Behandlungder Rentnerinnen und Rentner abhängig von ihrem Ge-burtsjahrgang.
Diese Schwierigkeiten gibt es nur, weil Sie nicht recht-zeitig etwas unternommen haben. Sie hatten für die Um-setzung des Urteils doch jahrelang Zeit.
Lassen Sie mich auch ein Wort zum Zahnersatz sa-gen.
Unser Vorschlag sah anders aus. Wir haben einen Kom-promiss geschlossen. Zu diesem Kompromiss haben wirimmer gestanden, Herr Bundeskanzler. Aber der Vorsit-zende der sozialdemokratischen Fraktion
– ich liefere das Zitat gerne nach – hat bereits wenigeTage nach dem Kompromiss in einer unerträglichen Artund Weise zu verstehen gegeben, dass er überhaupt nichtdie Absicht hat, sich an diesen Kompromiss zu halten.
Damals habe ich gedacht: der Bundeskanzler – einMann, ein Wort.
Ich habe an den Kompromiss geglaubt. Dann sind Mo-nate verstrichen. Im Mai haben unsere Kolleginnen undKollegen die Bundesgesundheitsministerin darauf auf-merksam gemacht, dass es im Gesetz eine Lücke gibt. Esist nämlich nicht geregelt, wie die Beiträge der Rentnerund der Sozialhilfeempfänger eingezogen werden sollen.Dann ist von Mai bis August wiederum Zeit verstrichen.Danach hat uns die Frau Bundesgesundheitsministerinerklärt, dass eine Regelung ohne bürokratischen Auf-wand nicht möglich ist. Herr Bundeskanzler, hätte esdiese Äußerung im Juli vergangenen Jahres nicht gege-ben und hätte Frau Schmidt im Mai dieses Jahres schnellreagiert, dann hätte ich vielleicht nicht den Argwohn,dass hinter dieser Sache nicht mehr steckt als nur Büro-kratie.
Aber so habe ich diesen Argwohn und das sollten Sieverstehen; denn das ist für die Verlässlichkeit im politi-schen Umgang von Wichtigkeit.dkhisz–WmWDhgpGmbdwDWAkBFdmlindksBESdrnc
Dennoch werden wir, um das Ganze nicht wieder aufem Rücken der Bürgerinnen und Bürger auszutragen,onstruktiv versuchen, eine Lösung zu finden. Aber unsier vorzuwerfen, wir hätten Zeitvergeudung betrieben,t wirklich jenseits der Realität. Das muss man einfachur Kenntnis nehmen.Drittens müssen folgende Fragen beantwortet werden Herr Bundeskanzler, das ist vielleicht das Wichtigste –:ie lohnen sich all die Veränderungen und all die Refor-en für die Menschen? Was steht am Ende des Weges?as für eine Bundesrepublik Deutschland, was für eineutschland möchte ich? Was kommt als Nächstes? Wiraben Ihnen eben fast 60 Minuten zugehört. Ich muss sa-en: Fehlanzeige! Sie sind – ich glaube, das ist das Kern-roblem – nicht in der Lage, zu beantworten, wo dasanze hinführen soll.
Deshalb flüchten Sie, wenn es nicht weitergeht, im-er wieder in Schlagworte: Mindestbesteuerung, Aus-ildungsplatzabgabe, Mindestlohn oder EU-Referen-um. Das alles ist nicht ernst gemeint; aber Begriffeerden wie ein Hamster im Laufrad in die Welt gesetzt.abei denken Sie nicht darüber nach, wohin es geht.
enn man es genau beobachtet, dann wird der zeitlichebstand zwischen den einzelnen Schlagworten immerürzer. Wissen Sie, was das erzeugt? Das erzeugt bei derevölkerung Leere, Wahlenthaltung und zum Schlusslucht in die radikalen Parteien. Das ist die Wahrheit.
In besonderer Weise beschäftigt uns in diesen Tagenie Lage in den neuen Bundesländern. Wir alle habenit Erstaunen und Sorge – das sage ich ganz persön-ch – gesehen, dass die Demonstrationen gerade in deneuen Bundesländern besonders gut besucht sind. Eineer Antworten des Parteivorsitzenden der Sozialdemo-raten heißt, dass wir nun nicht mehr von Ost und Westprechen sollen. Ich bin der festen Überzeugung, dasseschönigen nicht die Antwort ist, die wir brauchen.
s ist keine Antwort für diejenigen, die aus berechtigtenorgen demonstrieren. Es ist auch keine klare Absage aniejenigen, die diese Demonstrationen instrumentalisie-en wollen.Herr Bundeskanzler, wir haben viel geschafft. Ich binoch heute der Meinung, dass die grundsätzlichen Wei-henstellungen von 1989/1990 richtig erfolgt sind. Ich
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Dr. Angela Merkelbin im Übrigen auch der Meinung, dass es gut war, dassHelmut Kohl Bundeskanzler der BundesrepublikDeutschland war und nicht Oskar Lafontaine oder sonstwer.
Aber ich sage auch ganz freimütig, dass wir uns alle,was die zeitliche Dimension der Aufgabe anbelangt, einStück getäuscht haben. Nun müssen wir heute feststel-len, dass ein riesiges Stück des Weges geschafft ist, dassaber nach wie vor strukturelle Unterschiede zwischenOst und West bestehen. Denn in den ostdeutschen Län-dern werden pro Kopf flächendeckend nur zwei Dritteldes Bruttoinlandsprodukts der westdeutschen Länder er-reicht. Das ist ein Unterschied zu den von mir durchauswahrgenommenen punktuellen Schwierigkeiten auch inden alten Bundesländern.Deshalb müssen wir, wenn wir die Menschen auf ei-nen demokratischen Weg mitnehmen wollen, Antwortenauf folgende Fragen haben: Was ist bei einer Arbeitslo-sigkeit von 24 Prozent wie bei mir in Stralsund die Per-spektive für die Menschen? Was müssen wir dort ande-res tun als in den übrigen Regionen?Herr Bundeskanzler, 1998 haben Sie den Aufbau Ostzur Chefsache gemacht. In der Regierungserklärung vorzwei Jahren war Ihnen Ostdeutschland noch ganze vierSätze wert. Danach kam in acht weiteren Reden zurLage in Deutschland Ostdeutschland nur ein einzigesMal vor – und das nur, als Sie sagten, was Sie nicht än-dern wollen. Das ist der Befund der Chefsache. Genauaus diesem Grund ist natürlich Enttäuschung vorhanden.Deshalb sage ich wieder: Lassen Sie uns nicht so tun, alsob Gleiches schon vorhanden wäre; es gilt viel Ge-meinsames und niemand will spalten, aber es nicht iden-tisch.Die Menschen in den neuen Bundesländern spüren,dass die Schere zwischen Ost und West seit 1998 wiederaufgegangen ist, und sie verlangen eine Antwort auf dieFrage: Was könnt ihr tun und was tut ihr, damit sie lang-sam wieder zugeht? Sie wollen nicht alles sofort, siewollen nur eine Antwort auf diese Frage.
Man darf nicht monatelang Verpflichtungsermächti-gungen, die Investitionen in Ostdeutschland auslösenkönnten, sperren. Man muss auch sagen: Gebt den neuenBundesländern die Chance, die Regelungsdichte, dieüberall in Deutschland vorhanden ist, wo immer es EU-rechtlich möglich ist, ein bisschen zu lockern, damit sieschneller vorankommen. Das ist der Wunsch der neuenBundesländer. Setzen Sie sich einmal daran und tun Sieetwas!
Das Gemeinsame an der Botschaft für Ost und Westist im Übrigen, dass wir auf gar keinen Fall bei Hartz IVsaghnadDtdsSmddDwzsgsLrWbpDcDoaRRSDdd–BmLkn
ondern darüber, ob wir die richtigen Anreize für diechaffung von Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeits-arkt geben. Darin unterscheiden wir uns.
Wir sind nicht unterschiedlicher Meinung darüber,ass der 1-Euro-Job eine Möglichkeit sein kann. Aberer 1-Euro-Job ist nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt.eshalb ist die alles überspannende Frage: Wie schaffenir es, mehr Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarktu schaffen? Über die Rolle der Lohnkostenzuschüsseind wir unterschiedlicher Meinung. Das kann man auchanz freimütig sagen.Herr Bütikofer hat neulich auf Frankreich hingewie-en. In Frankreich müssen die Betriebe bei den unterenohngruppen keine Sozialversicherungsbeiträge abfüh-en. Ich halte das ordnungspolitisch für keinen guteneg. Wir haben das Problem erkannt und gesagt, wirrauchen die Lohnkostenzuschüsse, um nicht Arbeits-lätze nach Polen, Tschechien und inzwischen auch nachänemark und Holland abwandern zu lassen. Wir brau-hen eine Lösung, damit auch die einfachen Arbeiten ineutschland bleiben. Dieses Thema wird auf der Tages-rdnung bleiben. Das ist doch schon jetzt klar.
Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Eigenschaftls Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland dieichtlinien dieses Landes zu bestimmen. Statt Ihreichtlinienkompetenz wahrzunehmen, fahren Sie oftchlangenlinien und das macht die Sache so unsicher.ie Deutschen lieben ihr Land, sie sind auch primarauf. Das ist überhaupt keine Frage; keiner von uns re-et das schlecht.
Wir regieren in vielen Ländern. Schauen Sie sich dieilanzen der unionsregierten Länder an. Da geht es alle-al besser zu als in den sozialdemokratisch regiertenändern.
Die Menschen erwarten, dass ihnen die Politik einelare Vorstellung davon vermittelt, was kommt. Ich kannur sagen: Wer sein Land liebt und ein wirklicher Patriot
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Dr. Angela Merkelist, der muss verstehen, dass Patriotismus auch bedeutet– so sehen wir das –, Vorsorge für die Zukunft zu treffen.Weder dieser Haushalt noch anderes von Ihnen ist Vor-sorge für die Zukunft; deshalb müssen wir heute darübersprechen, welche nächsten Schritte wir tun müssen. Wirkönnen doch nicht bei Hartz IV stehen bleiben. Wir kön-nen Hartz IV doch nicht einfach umsetzen und hoffen,dass uns der Wind der Weltkonjunktur hilft.Mir haben Ihre nächsten Schritte gefehlt und deshalbwill ich sie aus meiner Sicht ansprechen:
Wir brauchen trotz der Schritte, die wir bereits gegangensind, eine Weiterentwicklung des Arbeitsrechts. Wirsind der Meinung, dass das, was Siemens gemacht hat,richtig und mit Blick auf die Arbeitszeit gut ist. Dort warviel Vernunft bei den Betriebsräten und letztlich auch beiden zuständigen Gewerkschaften vorhanden.Deutschland lebt aber auch ganz stark vom Mittel-stand. Die mittelständischen Unternehmen haben jedochnicht die Möglichkeit, im Ringen mit den Gewerkschaf-ten für sich solche flexiblen Lösungen herauszuarbeiten.Wir brauchen daher Rechtssicherheit. Wir brauchen wei-terhin die betrieblichen Bündnisse für Arbeit gerade fürkleine und mittlere Betriebe, damit auch sie die Chancehaben, flexibel auf unterschiedliche Wettbewerbsbedin-gungen zu reagieren.
Wir wissen, dass die Gesundheitsreform, die wir ge-meinsam beschlossen haben, erfreulicherweise wirkt. Obsie nun so gut wirkt, wie das jetzt jeden Tag beschriebenwird, werden wir uns am Jahresende in Ruhe anschauen.Aber sie wirkt. Wir wissen aber auch, dass das Gesund-heitssystem mit dieser Reform noch nicht dauerhaft zu-kunftssicher gemacht ist. Nun hätte ich mir gewünscht,dass Sie ein Wort zu Ihrer Zukunftsperspektive, zu derBürgerversicherung, der Sie sich wohl auch ange-schlossen haben, sagen.Tatsache ist, dass der Sachverständigenrat der Bun-desregierung zwei Dinge in den Vordergrund gestellthat:
Er hat erstens gesagt: Wir müssen auf den demographi-schen Wandel reagieren. Das ist völlig richtig. Das ha-ben sie richtig beschrieben. Zweitens hat er gesagt: We-gen der Globalisierung und des internationalenWettbewerbes müssen wir eine Entkoppelung der Sozi-alleistungen von den Lohnkosten bekommen. Das wirddie große deutsche Aufgabe der Zukunft sein.
Man müsste sich wenigstens mit der Tatsache aus-einander setzen, dass der Sachverständigenrat sagt: DieBürgerversicherung kostet Arbeitsplätze, weil sie genaudvsSnGZdvzFtezdehVpdpnAsddwmnIdwtebÜpDsSs
ie brauchen es ja nicht zu glauben, sollten sich aber we-igstens einmal intellektuell damit auseinander setzen.enau deshalb entscheiden wir uns anders und sehen dieukunft in einem Prämienmodell. Diesen Wettstreit wer-en wir auch weiterhin mit Ihnen führen.
Frau Göring-Eckardt, Sie haben Aussagen zu einemereinfachten Steuersystem vermisst. Friedrich Merz hatusammen mit dem bayerischen Finanzminister Kurtaltlhauser am 7. März dieses Jahres einen ganz konkre-n Vorschlag für eine erste und eine zweite Stufe einesukünftigen vereinfachten Steuersystems vorgelegt.
Ich habe dann im Frühjahr dem Bundeskanzler undem Bundesfinanzminister angeboten, dass wir uns ininer gemeinsamen Aktion – meinetwegen auch außer-alb des parlamentarischen Verfahrens – genau diesenorschlag vornehmen und noch in dieser Legislatur-eriode etwas auf den Weg bringen. Herr Eichel, es gehtabei nicht vorrangig um Entlastung, sondern um Trans-arenz und Vereinfachung. Das erwarten die Bürgerin-en und Bürger und wir sind dazu bereit, genau dies inngriff zu nehmen.
Was wird den Wohlstand in Deutschland langfristigichern? Sicherlich nicht die Minijobs, sicherlich nichtie Hinzuverdienstmöglichkeiten und sicherlich nichtie Lohnkostenzuschüsse. Unseren Wohlstand könnenir nur sichern – darum muss alles kreisen –, wenn wirehr Dinge können, die andere auf der Welt nicht kön-en. Wir können einige Dinge, die andere nicht können.ch rede hier nichts schlecht. Wenn man aber trotz desemographischen Wandels und des höheren Wettbe-erbs den Wohlstand für 80 Millionen Einwohner erhal-n möchte, muss man massiv in die neuen Forschungs-ereiche einsteigen.
Sie haben – wie so oft – die richtigen Worte undberschriften gefunden: Jahr der Innovation! Das istrima, aber man fragt sich: Was ist daraus geworden?as ist die große Preisfrage. Wo sind die Richtungsent-cheidungen? Ist der Haushalt dieses Jahres in seinentrukturen entsprechend umgeschichtet? Ich kann nichtsehen. Sind die Institutionen wirklich auf Dynamik um-
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Dr. Angela Merkelgestellt? Das ist mir verborgen geblieben. Was ist mitmessbaren Zielen? Sie reden von Mitteln für For-schungsinnovationen in Höhe von 3 Prozent. Der Haus-halt der Bundesforschungsministerin in diesem Jahr istjedoch wieder auf das Niveau des Jahres 2002 zurückge-fallen. Sie rechnen zwar die Kosten für die Ganztagsbe-treuung hinein, kürzen bei der Hochschulbauförderungund arbeiten mit lauter Tricks, aber der reine For-schungshaushalt ist auf das Niveau des Jahres 2002 zu-rückgefallen.
Wo haben Sie im Hochschulrecht denn für ein StückFreiheit gesorgt? Wir warten darauf, dass die ZVS auf-gelöst wird. Die brauchen wir nach unserer Auffassungnicht. Was ist mit dem Verbot von Studiengebühren? Esgibt, Herr Bundeskanzler, keine Richtungsentscheidung,die im Lande den Eindruck verbreitet: Jetzt geht es los!Jetzt geht es ran! Jetzt müssen alle Forscher in Deutsch-land bleiben! Dieses Signal vermissen wir.
Ich glaube, Sie haben eines nicht verstanden: Innova-tionen haben einen ganz besonderen Charakter. Siekommen nicht, wenn man einfach nur ihren Namen lautruft. Innovationen brauchen ein bestimmtes Klima. Die-ses Klima hat nicht etwas mit politischer Vorbestim-mung, sondern mit Freiheit zu tun.
Deshalb sage ich Ihnen: Sie müssen Chancen eröffnenund nicht Risiken betrachten. Aber Rot-Grün betrachtetan viel zu vielen Stellen zuerst das Risiko und vergeudetdamit Chancen. Genau das ist der Unterschied zwischenuns und Ihnen.
Natürlich können Sie alles ignorieren, sich allesschönreden und sehr allgemein über Patente sprechen.Aber man kann auch ganz konkret werden: Im OECD-Bericht zur Informations- und Kommunikationstechno-logie belegen wir zum Beispiel bei den PatentenPlatz 14,
bei der Biotechnologie Platz 19. Sie können auch dieStellungnahmen der Wissenschaft ignorieren. So sagtzum Beispiel der Vizepräsident der Deutschen For-schungsgemeinschaft, Professor Hacker, zum Gentech-nikgesetz der Bundesregierung:Sollte diese Haftungsregelung in Kraft treten,würde die faktische „Innovation“ auf dem Gebietder grünen Gentechnik darin bestehen, dass dieseArbeiten künftig außerhalb Deutschlands stattfin-den.
Auch diese Aussage können wir ignorieren oder ernstnehmen. Wir bieten Ihnen an, noch einmal genau überdZruÜtwdidteswwmrßTPdLtvdbwhubMsdTwIKrdmsm
eicht der Verkehrshaushalt nicht aus, um die im Stra-enbau begonnenen Projekte nächstes Jahr mit gleichemempo fortzusetzen. Ihre Aussage dazu ist: kein neuesrojekt im Jahre 2005! Jedenfalls ist bis jetzt kein Geldafür vorgesehen. Ist das Ihre Zukunftsvorsorge für einand, das mitten in Europa liegt und gute Verkehrsstruk-uren braucht, Herr Bundeskanzler?
Deshalb werden wir uns in den nächsten zehn Jahrenorrangig – alles muss daraufhin überprüft werden – miter Frage beschäftigen müssen, wie wir zu mehr Ar-eitsplätzen und zu mehr Beschäftigung kommen. Dasird ohne Wachstum nicht möglich sein. Natürlich ge-ört hierzu auch das Thema Vereinbarkeit von Berufnd Familie. Wir wissen sehr wohl, dass wir zwei Pro-leme in diesem Bereich haben: Erstens scheiden dieenschen zu früh aus dem Berufsleben aus. Zweitensind noch immer zu wenige Frauen erwerbstätig.Deshalb werden wir mit Ihnen um die Ideen ringen,ie in der Diskussion stehen. Wir dürfen nur nicht jedenag einen Paradigmenwechsel vollziehen; denn dannerden die Leute verrückt. Aber wir sind gern bereit, mithnen über das Elterngeld zu sprechen und zu fragen:önnen wir es uns leisten? Ist es richtig? Setzt es dieichtigen Anreize? Ich glaube im Übrigen, wie auch an-ere, dass Kinderbetreuung und Ganztagsschulen – icheine nicht die Gesamtschule, sondern die Ganztags-chule – zentrale Themen sind, denen wir uns widmenüssen.
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Dr. Angela Merkel
Vor allen Dingen aber müssen wir den Wiedereinstieg indas Berufsleben erleichtern: Wie reagieren wir in unse-rem Land, wenn eine Frau drei bis vier Jahre nicht be-rufstätig war, aber noch Karriere machen möchte? Auchdieses Thema müssen wir angehen.
In den nächsten zehn Jahren wird sich in unseremLand auch vieles andere ändern müssen, was nicht unbe-dingt etwas mit der Politik zu tun hat. Ich will nur einigeStichworte nennen. So wird sich zum Beispiel die Rolleder Gewerkschaften massiv verändern. Wenn die Ge-werkschaften überleben wollen, dann müssen sie dieChancen der Globalisierung im Sinne der Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer und der Arbeitslosen auf ganzandere Weise betrachten. Wir brauchen Gewerkschaften;aber bislang haben sie den Schritt in die neue Zeit anvielen Stellen nicht geschafft.
An die global agierenden Unternehmen gerichtet sageich: Wenn es einen Kodex wie den für CorporateGovernance gibt, dann tun die Unternehmen in diesemLande gut daran, sich freiwillig daran zu halten. Dennsoziale Marktwirtschaft beruht auch immer darauf, dassArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verstehen, wasvor sich geht. Die Globalisierung hat es mit sich ge-bracht, dass eine Grunderfahrung deutschen Vertrauens,nämlich „Wenn es meinem Betrieb gut geht, geht esauch mir als Arbeitnehmer gut“, so einfach nicht mehrgilt. Aber das bedeutet auch, dass mehr Transparenzzwischen Unternehmensführung und Beschäftigten seinmuss. Dazu ist Corporate Governance ein richtigerSchritt und ich kann nur empfehlen, dass jedes großeUnternehmen sich an diesen Kodex hält.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Politikder Vereinfachung, der Entbürokratisierung, der neuenWege. Ich stimme Ihnen übrigens zu: Wir brauchen aucheine Politik, die auch überprüft, ob wir das Richtige ge-tan haben. Vor allen Dingen aber brauchen wir eine Poli-tik aus einem Guss, die in den Parteien, die sie machen,auch von oben bis unten vertreten wird. Genau daran ar-beitet die Union: Wir wollen nicht nur punktuell, hierund dort, etwas machen, sondern eine Politik aus einemGuss bekommen.
Diese neue Union wollen Sie noch nicht akzeptieren.
– Sie nuscheln und maulen schon wieder. Sie könnendiese neue Union des 21. Jahrhunderts überhaupt nichtwahrnehmen, weil Ihre Regierung und Ihre Partei in denalten Feindbildern denken; damit kommen Sie nicht klar.DwwmhgwEllFHvlDtHMDEVcgEwW
as ist im Übrigen der wahre Grund dafür, dass Leuteie Sie, die mit der PDS in der Koalition sind, immerieder von „Volksfronten“ oder in sonstigen vergam-elten Begriffen reden. Das ist das alte Denken; dasilft uns nicht weiter.
Unser Angebot steht: Wann immer es um dieses Landeht, wann immer die Vorteile die Nachteile überwiegen,erden wir die richtigen Schritte mit Ihnen mitgehen.rnüchternd ist, dass der Haushalt von Herrn Eichel al-es ist, bloß keine gute Grundlage, um dieses Land wirk-ich in die Zukunft zu führen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der SPD-Fraktion,
ranz Müntefering.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Frau Merkel, Sie haben Politik aus einem Gusserlangt. Das ist Ihnen gelungen: Das war ein Guss, al-erdings ein Aufguss.
as hatten wir schon einmal. Das war keine Opposi-ionsrede, das war eine hochmütige Rechtfertigungsrede.ochmut kommt ja bekanntlich vor dem Fall. Frauerkel, falls Sie es noch nicht gemerkt haben sollten:ie schönen Tage der Union sind vorbei.
inige von Ihnen scheinen noch ahnungslos zu sein.
ielleicht sind Sie nachher ein bisschen nachdenklicher.Ihr Versuch, die SPD und die Koalition die Arbeit ma-hen zu lassen und sich selbst auf die faule Haut zu le-en, ist gescheitert.
s ist richtig, dass uns die Wahlergebnisse im Saarlandehtun, aber die CDU hat auch nur von jedem viertenahlberechtigten im Saarland das Kreuz erhalten.
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Franz Müntefering
25 Prozent der Saarländerinnen und Saarländer habendie CDU gewählt.
Verehrte Frau Merkel, dass Sie zu so wenigen Stimmen– 25 Prozent Zustimmung – sagen, das sei ein sensatio-nell gutes Ergebnis, hat mich dazu gebracht, zu sagen:Dass Sie so viel Selbstironie haben, hätte ich mir nichtvorstellen können.
Wohl wahr: Dieser von mir angesprochene Punkt gehtuns alle in diesem Haus an. Ich habe Ihnen ja gesagt: DerHochmut, mit dem Sie hier auftreten, wird sich schnellverflüchtigen.Zu einigen der Punkte, die Sie angesprochen haben,will ich vorweg etwas sagen:Erster Punkt. Ziemlich zum Schluss haben Sie rekla-miert, es müsse bei uns im Land mehr Geld für Ver-kehrsmaßnahmen und für Investitionen überhaupt ausge-geben werden. Wenn wir das Geld hätten, dann ja. Ichwüsste viele gute Dinge, die nicht nur in Ostdeutschland,sondern in der gesamten Bundesrepublik getan werdenkönnten.
Sagen Sie mir doch aber bitte einmal, wie sich das zu derForderung von Herrn Stoiber verhält, der den ganzenHaushalt um 5 Prozent kürzen will.
Herr Stoiber fordert: 5 Prozent weniger! 5 Prozent von258 Milliarden Euro sind 12,9 Milliarden Euro.
Herr Stoiber weiß, dass wir 41 Milliarden Euro anZinsen zahlen. Wenn wir hier um 5 Prozent kürzenkönnten, wäre das schön; aber das geht bei Schulden lei-der nicht. Er weiß auch, dass wir rund 80 MilliardenEuro im Bereich der Rentenversicherung auszugeben ha-ben. Was schlägt er vor? Die Renten zu kürzen? Das wä-ren 1 oder 2 Prozent weniger.
– Das wurde aber noch nicht beantwortet. Wir werden esIhnen nicht ersparen, dass Sie diese Fragen an dieserStelle beantworten müssen.
Ich merke, dass der Puls an dieser Stelle ein bisschennruhig wird. Vielleicht sagen Sie mal etwas dazu. Willie CSU vorschlagen, dass die Renten im nächsten Jahrekürzt werden, oder nicht?
enn Sie Nein sagen, dann beziehen sich die 5 Prozentuf die verbleibenden rund 140 Milliarden Euro desaushaltes. Hieran haben der Verkehrshaushalt wie deresamte Investitionshaushalt einen massiven Anteil.as bleibt denn sonst?Frau Merkel, deshalb sage ich Ihnen an dieser Stelle:s ist ja nett, dass Sie mal eben sagen, dass wir ein biss-hen mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur ausgebenollten. Es ist aber nicht finanzierbar. Dass Sie sich alshefin der Opposition hier hinstellen und das fordern, istlanke Heuchelei. Sie haben das Geld dafür auch nicht.
Ich komme zum zweiten Punkt, der Sache mit derreiheit. Als Sozialdemokrat ist man natürlich immerewegt, wenn jemand von den Konservativen anfängt,ich über die Freiheit auszulassen. Frau Merkel, so, wieie das eingeführt haben, ist das besonders schick. Siend Herr Glos vorneweg haben heute Morgen über die-es Land wie über ein Jammerland gesprochen, ein Landlso, dem es schlecht geht. Auch ein Teil der Unterneh-erschaft in diesem Lande verfährt so. Ich will das hieranz ausdrücklich in Richtung von Herrn Hundt sagen.n den letzten Monaten hatte ich den Eindruck, dass erden Stein, den es bei uns im Land gibt, umdreht, um zuchauen, ob nicht vielleicht doch noch ein Wurm darun-r sein könnte. Frau Merkel, bei dem, was Sie über die-es Land sagen, dürfte ruhig mal ein bisschen mehr Zu-ersicht zu spüren sein.
Nach einer solchen Rede wie der von Ihnen oder deron Herr Glos hat man das Gefühl, dass Sie das ganzeand schlecht- bzw. herunterreden und es mies machen.
enn Sie das nun auch noch damit verbinden, für sichu reklamieren, dass Sie besonders freiheitlich sind,ann finde ich das völlig unangemessen. Das weise ichusdrücklich zurück.
Ein dritter Punkt. Es klang bei Ihnen, Frau Merkel,ur ganz leicht an, aber in den letzten Tagen drang esindeutig nach draußen: Sie haben die SPD – einige vonns in besonderer Weise – dafür verantwortlich gemacht,ass die NPD im Saarland am Sonntag derart viele Stim-en bekommen hat.
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Franz Müntefering
– Nein, Sie haben die SPD angesprochen. Jetzt reden Siedas nicht klein.
Ich sage Ihnen ganz klar, Frau Merkel – darüber sollte indiesem Hause Einvernehmen herrschen –: Die CDU/CSU ist für den Stimmenzuwachs der NPD nicht verant-wortlich; die Sozialdemokraten allerdings auch nicht.Verantwortlich für die Stimmen der NPD sind diejeni-gen, die die Neonazis wählen. Wenn wir in diesem Hausden Verstand einigermaßen beieinander haben, dann pas-sen wir auf, dass wir uns da nicht auseinander dividierenlassen. Die braune Soße darf in Deutschland nie wiedereine Chance haben. Wir sollten uns nicht gegenseitig un-terstellen, für deren Stimmenzuwachs verantwortlich zusein.
Nun noch ein paar Anmerkungen zu Ihren Hinweisenauf die Situation in Ostdeutschland. Ja, die SPD ist einegesamtdeutsche Partei. Wir machen gesamtdeutschePolitik. Ost- und Westdeutschland sind keine zwei loseassoziierten Staaten, zwischen denen irgendetwas ausge-glichen werden muss. Alles, was in Deutschland an guterPolitik gemacht wird, ist gut für ganz Deutschland.Darauf bestehen wir.
Ich warne sehr davor, uns an dieser Stelle auseinanderzu dividieren. Wir alle wissen, dass wir in diesem Landin West und Ost leicht gegeneinander agitieren könnten.Wir sind alle erfahren genug, um das in vielen Gesprä-chen zu merken. Ich bitte sehr darum, dass wir der Ver-antwortung, die wir in diesem Lande miteinander tragen,gerecht werden. Noch einmal: Wenn es in DeutschlandWachstum gibt und wenn wir Arbeitsmarktreformenbeschließen, die für bestimmte Regionen und Städte be-sonders gut sind, dann ist das für ganz Deutschland gut.Wir sorgen in ganz Deutschland dafür, dass der Solidar-pakt II, den diese Koalition vereinbart hat, bis zumJahre 2019 sicher bleibt. Wir sollten uns an dieser Stellenicht auseinander dividieren lassen. Das ist meine ganzdringende Bitte an Sie alle.
Ich mahne da, weil die Lockerheit, mit der auch ebenversucht wurde, sich ein bisschen lieb Kind auf der einenSeite zu machen, ohne der anderen wehzutun, die falscheMethode ist. Ein Teil unseres Problems in diesem Landehängt damit zusammen, dass Sie dies bisher nicht ehrlichausgesprochen haben. Wir sind ein Deutschland. Wirmüssen Politik für ganz Deutschland machen. Wirmüssen aufhören, Ost- und Westdeutschland gegenein-ander zu stellen. Die beiden Teile sind keine selbststän-detffgJddddozeeeLsDVsMsalämkdzH2hncsteh2dArmvEwle
Frau Merkel, Sie haben auch etwas zu den Lohnkos-enzuschüssen gesagt. Im Haushalt der Bundesagenturür Arbeit für das Jahre 2005 sind 6,35 Milliarden Euroür Lohnkostenzuschüsse und Eingliederungshilfen ein-estellt. Das sind rund 25 Prozent mehr als in diesemahr. Rund 42 Prozent davon sind für die Aufgaben inen neuen Ländern vorgesehen. Die Möglichkeiten,iese Gelder sehr gezielt einzusetzen, liegen bei denen,ie vor Ort die Entscheidungen zu treffen haben. Weilas so ist, sollten wir nicht den Eindruck erwecken, alsb wir die Möglichkeiten der Hilfe an dieser Stelle redu-ieren.Frau Merkel, das, was Sie ansprechen, hört sich aberin bisschen anders an. Ich möchte gerne wissen, ob Sies wirklich so meinen. Sie sprechen – so empfinde ichs – über ein Modell, das darauf hinausläuft, dass für dieöhne im unteren Bereich dauerhaft Lohnkostenzu-chüsse gezahlt werden sollen.
iese Methode, Frau Merkel, die sich auf eine seltsameorstellung von Ordnungspolitik gründet, hatten wirchon einmal. Ich sage für uns ganz klar: Ein solchesodell kann die Antwort auf unsere Probleme nichtein, weil es letztlich auf eine Finanzierung der Löhneus der Kasse des Staates, aus dem Steuersäckel, hinaus-uft. Das wird – so viel sage ich Ihnen für die Sozialde-okraten – keine Lösung für ganz Deutschland seinönnen.
Die Agenda 2010 beginnt zu wirken. Das GKV-Mo-ernisierungsgesetz zeigt die Erfolge und Konsequen-en, die wir uns alle miteinander erhofft haben. Im erstenalbjahr dieses Jahres haben wir ein Plus von,5 Milliarden, das heißt, die Beiträge können sinken.Wenn wir dieses Gesetz nicht gemacht hätten – wes-alb sagen wir das eigentlich den Menschen draußenicht ein bisschen deutlicher? –, lägen die Krankenversi-herungsbeiträge heute nicht bei 14 oder 14,5 Prozent,ondern bei 16 oder 16,5 Prozent. Und ohne unsere Ren-ngesetzgebung läge der Rentenversicherungsbeitrageute nicht bei 19,5 Prozent, sondern bei 22 oder5 Prozent. Das sage ich all denen, die fragen: Gibt esenn keine Alternative? – Ja, es gibt eine Alternative zurgenda 2010, aber die heißt: höhere Krankenversiche-ungsbeiträge, höhere Rentenversicherungsbeiträge undehr Schulden. Das wäre die Konsequenz gewesen.Weil das so ist, müssen wir uns alle miteinander nichterstecken. Wir sollten zu unseren Beschlüssen stehen.s ist schließlich nicht so, dass nur die Privaten belasteterden. Die Entwicklung speist sich aus drei Faktoren:Erstens. Die Effizienz im Gesundheitswesen wurdeicht verbessert. Wir haben immerhin ansatzweise er-
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Franz Münteferingreicht, dass die Krankenkassen Verträge mit Ärzten undmit medizinischen Einrichtungen abschließen können.Diese verbesserte Effizienz müssen wir weiter vorantrei-ben – der Bundeskanzler hat es angesprochen –; das istbisher an Ihnen gescheitert. Wir wollten weiter und wirwissen, dass wir die weiteren Schritte noch zu tun haben.Ob nun Kopfpauschale oder Bürgerversicherung, einessteht fest: Die Effizienz im System muss weiter gestärktwerden.
Das Gesundheitssystem birgt eine große Dynamik insich und wir sind gut beraten, wenn wir die richtigenWege finden, diese Dynamik einzugrenzen.Zweitens. Die medizinischen Angebote werden weni-ger intensiv in Anspruch genommen, als das vorher derFall gewesen ist. Auf Deutsch und knapp gesagt: DieZahl der Versicherten, die zum Arzt gehen, ist um 8 bis10 Prozent gesunken. Ich hoffe, das sind nur die Versi-cherten, die nicht unbedingt auf den Arzt angewiesensind. Die sollen allerdings auch nicht hingehen, auchdarüber muss man offen sprechen.Drittens. Die Menschen zahlen hinzu.Dieses GKV-Modernisierungsgesetz ist ein Schritt indie richtige Richtung und das müssen alle, die es be-schlossen haben, auch nach draußen deutlich machen.Nun kommen wir allerdings an den Punkt, den Sie,Frau Merkel, angesprochen haben und der Sie offen-sichtlich besonders berührt: die Zahnersatzpauschale.Die Zahnersatzpauschale war Ihre Idee, sie ist ein StückIdeologie. Das haben wir immer so gesehen und dashaben wir auch so gesagt. Sie haben eine andere Vorstel-lung als wir davon, wie es beim Gesundheitswesenweitergehen muss. Diese Zahnersatzpauschale war ge-wissermaßen der Feldversuch für die Kopfpauschale, diefolgen soll.Bei der Umsetzung stellt sich nun heraus, dass derEinzelne nicht eine Pauschale von monatlich 4,60 Eurowird zahlen müssen, wie es damals angekündigt war.Vielmehr werden es 2 oder 3 Euro mehr sein, weil sichmit dieser komplizierten Pauschale erhöhte Verwal-tungskosten verbinden. Das bedeutet, dass jeder Versi-cherte 10 bis 20 Euro im Jahr zusätzlich für Verwal-tungskosten zahlen müsste. Bei allem Respekt vor IhrenIdeen, Frau Merkel: Das ist es uns nicht wert und des-halb wollen wir diese Pauschale nicht.
Für Sie wäre es das Einfachste, schlichtweg zuzuge-ben, dass das ein Irrtum war, dass man solche Pauscha-len so nicht organisieren kann, weil das so teuer wird,wie es sich jetzt herausstellt. Wir wollen eine vernünf-tige neue Regelung haben. Das Gesetz ist eingebrachtund meine dringende Empfehlung an Sie ist, mit uns zustimmen, damit wir für den Zahnersatz eine vernünftigeLösung finden. Wir würden auf der Arbeitgeberseiteeine Senkung der Lohnnebenkosten um 0,2 Prozent er-rkwdnwzDgwndwplewnSisWeMn9bkgEsdhuGSg8SREtng
enn sie Mitverantwortung leugnet, dann zeigt dies ei-es, Frau Merkel: Ihnen fehlt Mut, Ihnen fehlt Ausdauer,ie haben kein Rückgrat in dieser Opposition. Das Landt froh, dass das Paar an der Spitze nicht Merkel/esterwelle heißt. Da bin ich ganz sicher.
Ich will – weil das im Sommer so gelaufen ist, wies gelaufen ist – noch einen Punkt nacharbeiten, Frauerkel, den ich bisher immer sanft behandelt habe,ämlich betreffend Ihre Politik in den 80er- und0er-Jahren. Damals schon war das Ausmaß der Glo-alisierung und der demographischen Entwicklung be-annt. Dennoch haben Sie, wie bei der Rentengesetz-ebung, nur kleine Akzentuierungen versucht.
s ist damals von Ihnen nichts getan worden. Sie habenchön geredet, aber für das Land nichts getan. Obwohl inen 80er- und 90er-Jahren schon etliches absehbar war,at das bei Ihnen nicht zu durchgreifenden Vorschlägennd entsprechenden politischen Aktivitäten geführt. Imegenteil, Sie haben Illusionen verbreitet.
ie haben die Arbeit liegen lassen, die eigentlich hätteetan werden müssen, Sie haben die Probleme in den0er- und 90er-Jahren ungelöst gelassen, Sie habenchuldenberge aufgebaut, Sie haben dieses Land an denand der Handlungsfähigkeit gebracht, Sie haben dieinheit unverantwortlich finanziert, Sie haben auf „Wei-er so!“ gesetzt, Sie haben die Investitionen in Innovatio-en gekürzt, Sie haben im Ohrensessel gesessen und ab-ewartet, was denn werden würde. Das ist die Wahrheit
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Franz Münteferingder 80er- und 90er-Jahre, mit deren Folgen wir es nochheute zu tun haben.
Wir haben – da versuche ich ehrlich zu sein –
in den 90er-Jahren nicht besonders gedrängelt. Das be-streite ich nicht.
Aber wenn ich mir ansehe, mit welcher Arroganz Sieund Frau Merkel hier versuchen, nach sechs Jahren einUrteil über diese Koalition zu sprechen, ein Vorurteil zuverbreiten, muss ich sagen: Dann müssen wir genauerauf den Vorlauf dieser Koalition schauen. Wir werdenüber einiges noch etwas nachdrücklicher sprechen müs-sen.
Das Gesetz zur Arbeitsmarktreform haben wir ge-meinsam beschlossen; beteiligt waren der Bundestag,der Bundesrat und der Vermittlungsausschuss. Das Op-tionsgesetz, das sich mit der Frage auseinander setzte,wie das vor Ort organisiert werden soll, hat im Bundes-rat und im Vermittlungsausschuss zu großen Auseinan-dersetzungen geführt. Weil Frau Merkel eben aus demVermittlungsausschuss berichtet hat und gesagt hat, manhabe heftig darum kämpfen müssen, ob es solche Op-tionen gebe oder nicht, will ich noch einmal an folgendeSituation erinnern: Als der hessische Ministerpräsidentdafür gefightet hat, dass das Optionsmodell überall gel-ten solle, haben wir ihm – wie auch Herrn Milbradt – an-geboten: In ganz Hessen und für ganz Sachsen kann dasgerne so gelten. Dazu aber haben sie Nein gesagt.
An dem Abend ist mir klar geworden, dass Sie die Sachenicht wirklich vernünftig regeln wollten, sondern dassSie taktiert haben. Das beherrscht Ihre Politik zuHartz IV immer noch.
Nun will ich Ihnen, Frau Merkel, einige Personen ausIhren Reihen vorhalten, die sich in den letzten Tagen undWochen zu der Arbeitsmarktreform und dem, was zu tunist, geäußert haben. Sie haben Karl Nolle zitiert. Ichschicke ihm das gerne zu. Er hat es verdient. Ich willIhnen aber die Äußerungen einiger anderer Personenvorhalten und Sie damit konfrontieren. Dann können Siedenen das ebenfalls zuschicken.
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ch will Herrn Merz nicht ansehen. Ihm muss bei dem,as Rüttgers da veranstaltet hat, ganz schlecht gewordenein. Das kann er natürlich gar nicht einhalten, aber dieotschaft an das Land Nordrhein-Westfalen vor derommunalwahl und vor der Landtagswahl ist doch ein-eutig: Ihr Stellvertreter Herr Rüttgers fordert eine Ge-eralrevision dieser Arbeitsmarktreform. Es ist kein Zu-all, dass eine Zeitung in Nordrhein-Westfalen, und zwarine konservative, getitelt hat: „Rückzieher, dein Namet Rüttgers“. Das, so finde ich, ist eine ordentlicheberschrift für den Vorgang.
Dann kommt Herr Arentz, CDA, aus Köln und fordertchonvermögen für die Altersvorsorge in Höhe von000 Euro je Lebensjahr. Das habe ich übrigens bei derDS in Sachsen auch schon einmal gehört. Ich will abereine Verbindung herstellen. Sprechen Sie mit Herrn Ar-ntz darüber!1 000 Euro pro Jahr bedeuten bei einem Ehepaarbeide 60 Jahre alt, 120 000 Euro Altersvorsorge unde 12 000 Euro für den allgemeinen Verbrauch –44 000 Euro. Hinzu kommen Wohnung, Auto undiester-Rente. Wer so etwas fordert, Frau Merkel, ver-öhnt diejenigen, die mit ihren Steuergeldern zu deninnahmen beitragen, aus denen wir das Arbeitslosen-eld II bezahlen. Was Sie da betreiben, ist unverantwort-ch.
Nun komme ich zu Herrn Milbradt,
er in einer seltsamen Art von Selbstkasteiung angekün-igt hat, zu einer Demo zu gehen. Will er eine eigeneemo veranstalten oder wie muss man sich das vorstel-en? Lassen Sie mich dazu ein paar Wahrheiten in Erin-erung rufen.Im Vermittlungsausschuss, Frau Merkel, ging es umie Frage, ob die unterschiedliche Struktur hinsichtlicher Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfeempfänger in Ost-nd Westdeutschland nicht besondere Reaktionen erfor-ere. Also wurde beschlossen, vorweg den neuen Bun-esländern 1 Milliarde Euro zu gewähren. Der Freistaatachsen sollte 319 Millionen Euro erhalten. Meine drin-ende Bitte an Sie ist, Herrn Milbradt deutlich zu ma-hen, dass diese 319 Millionen Euro nicht für die sächsi-che Landeskasse, sondern für die Bekämpfung derangzeitarbeitslosigkeit in den Städten und Gemeindenestimmt sind. Bestellen Sie ihm einen schönen Grußon mir!
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Franz MünteferingWir haben mit der Gemeindefinanzreform unddurch das, was wir durch die Zusammenlegung vonArbeitslosen- und Sozialhilfe den Städten und Gemein-den zukommen lassen, dazu beigetragen, dass diese zu-sätzlich zu der eben genannten 1 Milliarde Euro etwa2,5 Milliarden in diesem Jahr und etwa 6 bis 6,5 Milliar-den Euro im nächsten Jahr erhalten werden.In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings dieFrage, was aus diesen 6 bis 6,5 Milliarden Euro wird.Kommen sie der Konjunktur, dem Handwerk und denkleinen und mittleren Unternehmen zugute oder kommtes nur zu einer Umverteilung bei den Schuldenständender Kommunen und des Bundes? Meine Erwartung andie CDU/CSU-Ministerpräsidenten und auch an Sie ist,dass Sie das aufgreifen und Ihren Leuten deutlich ma-chen, dass wir in diesem und im nächsten Jahr erreichenmüssen, dass die zusätzlich in die Städte und Gemeindenfließenden Mittel so eingesetzt werden, dass das Hand-werk vor Ort und die kleinen Betriebe in der Region et-was davon haben und Arbeitsplätze entstehen. Das mussjetzt passieren.
Ich entnehme Ihrer Reaktion, Frau Merkel, dass wireiner Meinung sind. Dann ist meine herzliche Bitte, dassSie dies Ihren Ministerpräsidenten und Oberbürgermeis-tern in aller Deutlichkeit sagen.An dieser Stelle möchte ich Klartext reden. Ich habein dem gesamten Gesetzgebungsverfahren und insbeson-dere nach einigen Äußerungen von Herrn Koch und an-deren den Eindruck gehabt, dass manche darauf warten,dass das Arbeitsmarktreformgesetz scheitern möge undman jemanden dafür verantwortlich machen kann. Ichwill das nicht Ihnen persönlich unterstellen, aber rufenSie sich einmal diesen Sommer in Erinnerung!Im Interesse der Bekämpfung der Langzeitarbeits-losigkeit muss klar sein, dass in diesem Jahr – und zwarab sofort – in allen Ländern, Städten und Gemeindenalle, die mithelfen können, dafür sorgen, dass diesewichtige Operation gelingt. In dem Gesetz geht es nichtprimär um die Veränderungen der Transfers; vielmehrhat das Gesetz zum Ziel, die Langzeitarbeitslosigkeit zureduzieren. Entsprechende Ansätze sind vorhanden. DasGesetz wird das Problem zwar nicht vollständig lösen,aber wenn wir es im nächsten Jahr schaffen, einigeZehntausend oder Hunderttausend aus der Langzeitar-beitslosigkeit herauszuholen, dann ist das, was wir ge-meinsam beschlossen haben, gelungen.
Sie müssen aber dafür sorgen, dass niemand von Ih-nen das Gesetz boykottiert oder hängen lässt und daraufwartet, was wohl daraus werden könnte. Wir werdenschon aktiv werden müssen. Das gilt auch für alle vorOrt.
Herr Müller im Saarland fordert auch nach der Wahlnoch, die Zahldauer für das Arbeitslosengeld zu än-dgFs1iwadslewmadmMfwdgibsdlAdvl2bhAeseludbWbdigndkKlR
Den Kritikern – dazu zähle ich auch Herrn Müller;enn anders kann ich das, was er sagt, nicht verstehen;ielleicht erläutern Sie mir das einmal – sage ich, dass esange Übergangsfristen gibt. Wer bis zum 31. Januar006 Arbeitslosengeld I bezieht, erhält das volle Ar-eitslosengeld, und zwar bei gleicher Zahldauer wie bis-er. Ein Beispiel: Ein 58-Jähriger bekommt bis Endeugust 2008 Arbeitslosengeld I, also 32 Monate, wennr es am 31. Januar 2006 erstmalig bezieht. Wenn er an-pruchsberechtigt ist – das gilt natürlich auch für Frau-n –, dann bekommt er danach zwei Jahre lang Arbeits-osengeld II, das im ersten Jahr um monatlich160 Eurond im zweiten Jahr um 80 Euro erhöht ist. Er bekommtas Arbeitslosengeld II also bis Ende August 2010. Ichitte Sie! Wer will denn noch längere Übergangsfristen?ir müssen erreichen, dass die bisherige Mentalität ge-rochen wird. Diejenigen, die 55 Jahre und älter sind,ürfen nicht nach Hause geschickt werden. Sie müssenn Arbeit bleiben.
Ich möchte noch etwas zu Herrn Böhr sagen. Ichlaube, er ist Philosoph. Frau Merkel, Herrn Böhr ken-en Sie? – Er hat in der vergangenen Woche in einer ost-eutschen Zeitung geschrieben, das Ganze sei ein Ab-assiermodell. Da diejenigen aus Ihren Reihen, dieritik üben, nicht am Rand Ihrer Partei stehen, appel-iere ich an Sie: Sorgen Sie für Ordnung in Ihren eigeneneihen!
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Franz MünteferingSie dürfen nicht zulassen, dass das, was man an der ei-nen oder anderen Stelle vermuten kann, wahr wird, näm-lich dass die CDU/CSU durch ihren hinhaltenden Um-gang mit dieser Thematik dafür sorgt, dass dieArbeitsmarktreform nicht ihre volle Wirkung entfaltet;denn das wäre zum Schaden der Langzeitarbeitslosen.
Meine dringende Bitte: Sorgen Sie dafür, dass das IhrenLeuten klar wird! Heute haben Sie dazu jedenfalls keinWort gesagt. Wenn Sie mit dieser Sache anständig umge-hen wollten, dann hätten Sie heute hier gesagt: Jawohl,das haben wir gemeinsam beschlossen und das stehenwir auch gemeinsam durch. Wir sagen den Menschen,weshalb das richtig ist. – Aber das hat bisher niemandvon Ihnen getan.
Sie versuchen, sich an dieser Stelle einen schlanken Fußzu machen, und hoffen, dass Sie sich hier durchmogelnkönnen. Das ist die schlichte Wahrheit.Die Spitzenleistung hat aber Herr Schönbohm er-bracht. Er hat gesagt, Herr Schröder solle sich zurück-halten, wenn er in die neuen Bundesländer komme, weildie Stimmung so angeheizt sei. Das hat wirklich ein Ge-schmäckle. Wenn ein Innenminister eines Bundeslandes,der auch für die innere Sicherheit zuständig ist, den Bun-deskanzler bittet, er solle nicht sein Land besuchen, dannkann das natürlich ein Spaß sein. Das kann aber auchZynismus sein. Die Art und Weise von HerrnSchönbohm finde ich jedenfalls ungeheuerlich.
Wir haben – begleitend zum Haushalt – eine Mengein Bewegung gesetzt. Es wird noch mehr hinzukommen.Ganz vorne steht die große Herausforderung – diese istnoch nicht perfekt beantwortet; an einer entsprechendenAntwort müssen wir alle noch arbeiten –, wie wir esschaffen, dass die in Deutschland vorhandene Arbeit vondenjenigen Menschen getan wird, die legal in Deutsch-land sind. Das ist eine große Herausforderung. An dieserStelle gibt es große Spannungen, manchmal auch zwi-schen uns und den Gewerkschaften. Aber dies ist eineentscheidende Herausforderung, vor der wir stehen. Wiebringen wir es zustande, dass die in Deutschland zu leis-tende Arbeit von denjenigen Menschen getan wird, dielegal hier leben?Wir können uns keine registrierten 4 Millionen oder4,3 Millionen Arbeitslose – hinzu kommen stille Reser-ven im oberen Bereich und bei den Frauen – leisten. DieErwerbsquote ist nämlich zu gering. Auch können wir esuns nicht leisten, dass es in diesem Lande massenhaftSchwarzarbeit und illegale Beschäftigung gibt oder dassMAnwAwlnucAnLwSsunmwlwRkiuhshDmDdddUsbEel–nldstwgs
Da ist in Ostdeutschland, auch an manchen anderentellen vieles in Bewegung, worüber wir miteinanderprechen müssen. Auch deshalb dreht sich die Debattem die Frage, ob ein Mindestlohn sinnvoll ist odericht. Als Anhänger der Tarifautonomie bin ich da im-er sehr skeptisch gewesen. Aber die Debatte darüber,as man eigentlich tun kann, müssen wir führen.Das, was Frau Merkel angesprochen hat – die Zah-ung von Lohnkostenzuschüssen aus der Staatskasse;enn ein Unternehmer nur 3 Euro zahlt, dann soll derest des Lohns aus der Staatskasse finanziert werden –,ann es doch nicht sein. Wenn das so aber nicht gemeintst, dann frage ich: Welche andere Methode haben wir,m zu erreichen, dass die Unternehmen wettbewerbsfä-ig sind, ohne die Menschen zu missbrauchen, indem sieie mit Lohndumping überziehen? Mit diesem Problemaben wir in Deutschland im Augenblick zu kämpfen.arüber haben wir mit den Gewerkschaften, aber auchit den Arbeitgeberverbänden zu sprechen.Es wäre sehr hilfreich, wenn bei den Unternehmen ineutschland zwei Dinge, die, wie ich denke, sehr hin-erlich sind, klarer würden:Unternehmen müssen nicht nur im eigenen Land, son-ern auch in Europa und weltweit vertreten sein. Dassas gut ist, bezweifelt keiner von uns. Die Tatsache, dassnternehmen weltweit vertreten sind, stärkt unsere Wirt-chaft ganz zweifellos und trägt zu unserem Wohlstandei. Bei manchen Unternehmen hat man freilich denindruck, dass sie um eines kleinen Vorteils willen dieigenen Mitarbeiter drängen und pressen oder ins Aus-and gehen.
Herr Kauder, passen Sie auf! – Es gehört zur Unter-ehmensethik dazu, dass die Unternehmen in Deutsch-and wissen: Sie sind den Menschen verantwortlich,urch die sie reich geworden sind und die bei ihnen be-chäftigt sind. Ich wiederhole meinen Appell an die Un-ernehmen an dieser Stelle: Man soll versuchen, wettbe-erbsfähig zu sein und dabei bis an die Grenze dessenehen, was möglich ist. Man soll sich aber auch bewusstein, dass Unternehmen für die Menschen, die bei ihnen
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Franz Münteferingeinen Arbeitsplatz haben, verantwortlich sind. Die Un-ternehmen dürfen mit den existenziellen Sorgen derMenschen nicht spielen; sie dürfen mit ihnen keinSchindluder treiben. Leider kommt auch das vor.
Es wäre schon ganz gut, wenn die Bezieher großerEinkommen in diesem Lande im Umgang mit ihremVerdienst mehr Transparenz zeigten. Mit anderen Wor-ten: Es wäre gar nicht so schlecht, wenn die Bereitschaftgrößer wäre, offen zu legen, wie viel man verdient oderbekommt, was ja nicht immer dasselbe ist. Man solltewenigstens sagen, was so in die Tüte fließt. Das giltnicht nur für die großen Unternehmen, für die Vorständeund für die Aufsichtsräte, sondern auch für die großenMedien in diesem Land. Es wäre auch einmal ganz gut,zu wissen, wie deren Einkommen eigentlich so aussieht.
Das darf man vielleicht einmal ein bisschen kess sagen;schließlich konzentrieren sie sich meistens auf uns.Ich will noch kurz ein paar Punkte ansprechen, die fürdas nächste Jahr ebenfalls wichtig sind. Stichworte: In-vestitionen und Innovationen. Wir haben uns vorgenom-men, für diesen Bereich zusätzliches Geld zu mobilisie-ren. Frau Merkel, Herr Merz, meine Erwartung an Sieist, dass Sie uns schnell sagen, wo man Subventionenabbauen kann. Ich weiß, dass die Abschaffung derEigenheimzulage nicht allen leicht fällt; auch bei uns istdas so. Die Eigenheimzulage war ein Instrument, dasüber Jahre und Jahrzehnte größte Bedeutung gehabt hatund auch sinnvoll war.Aber wir müssen in Deutschland eine Wohnungs- undStädtebaupolitik machen, die sich auf das einrichtet, washeute und für die Zukunft wichtig ist. Das werden wirnicht beiseite schieben. Die Tatsache, dass wir hier dieEigenheimzulage infrage stellen, signalisiert nicht: Manmuss sich nicht mehr um Wohnungs- und Städtebaukümmern. Dafür wird man da sein müssen, zwar nicht indem bisherigen Umfang, aber doch zumindest teilweise.Trotzdem müssen wir sehr bald wissen: Werden wirdas Geld für Innovationen in diesem Lande haben odernicht? Sie müssen wissen, dass derjenige, der sich andieser Stelle verweigert, dazu beiträgt, dass im Bereichder Innovationen nicht das getan werden kann, was ge-tan werden muss.
Zur Bürgerversicherung will ich heute nur ein paarWorte sagen. Sie wissen, wir haben dazu Eckpunkte be-schlossen. Ich freue mich auf die offene Debatte, die esdazu hoffentlich geben wird. Für uns ist dabei klar: Eswird im Kern ein solidarisch finanziertes System blei-ben. Die Finanzierung wird durch Verbeitragung oderentsprechende Besteuerung hoher Einkünfte ergänzt. Esbleibt bei der bisherigen Qualität. Die Bürgerversiche-rung ist keine Versicherung zweiter Klasse. Es wirdPKV und GKV wie bisher geben. Die GKV hat dieCwjGtpdnrmSmkhldurbVhJdBomGI–ibsLWsinmhteteaAsm–
n Teil 1 wird es um die direkte Demokratie gehenVolksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid – undn Teil 2 wird stehen, unter welchen Bedingungen Volks-efragungen stattfinden können.Wichtig ist, dass das schnell geschieht; denn in einemind wir uns ganz einig: Im Grundgesetz wird es keineex „europäische Verfassung“ geben.
enn wir uns hier mit der nötigen Mehrheit darauf ver-tändigen können, das, was ich eben angesprochen habe,s Grundgesetz zu schreiben, können wir das miteinanderachen. Herr Westerwelle, ich schaue Sie einmal an; Sieaben sich ja weit aus dem Fenster gehängt. Die Zweidrit-lmehrheit bekommen wir hin. Wenn die Sozialdemokra-n und die Grünen und die FDP und die CSU, die das jauch will, miteinander stimmen, haben wir 409 Stimmen.lso lassen Sie uns das miteinander machen und dafürorgen, dass vielleicht auch die CDU das irgendwie mit-acht.
Bitte?
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Franz Müntefering
– Im Moment
– hören Sie zu! – reden wir über die generelle Frage derRegelung. Wenn das so kommt, dann wird im Grundge-setz stehen, dass es im Prinzip eine Möglichkeit der Be-fragung gibt. Wir werden in den nächsten Wochen undMonaten miteinander darüber diskutieren, unter welchenBedingungen das dann möglich sein soll. Laufen Sie ander Stelle nicht gleich wieder weg!
Ich will Sie noch über etwas informieren. Wir werdenin dieser Koalition in diesem Herbst – das haben wir unsvorgenommen – das Thema der Antidiskriminierungneu auf die Tagesordnung setzen. Das ist auch kein ein-faches Thema. Das wird uns in diesem und im nächstenJahr ganz sicher begleiten. Sie wissen, dass es dazuRichtlinien in Europa gibt. Wir werden dafür sorgen,dass wir in Deutschland entsprechend dem, was in Eu-ropa aufgeschrieben ist, handeln. Wir werden zu prüfenhaben, ob und, wenn ja, in welcher Weise wir das Anti-diskriminierungsgesetz auch noch darüber hinaus ausge-stalten.Wir haben uns in dieser Koalition in dieser Legisla-turperiode noch mehr als in der vergangenen auf einenschwierigen Weg gemacht. Fortschritt erfordert Anstren-gung. Aber wir kommen voran. Ich bin ganz sicher, dassdie starken Unternehmen, die qualifizierten Arbeitneh-mer, die Infrastruktur, das leistungsfähige Bildungssys-tem und die Wohlstandsbasis, die wir in diesem Land ha-ben, gute Voraussetzungen dafür sind, dass wirgemeinsam diesen guten Weg weitergehen können – indiesem und im nächsten Jahr und weit darüber hinaus.
Wir, diese rot-grüne Koalition, werden Deutschlandin eine gute Zukunft führen.
Davon wird uns auch nicht eine lahme und opportunisti-sche Opposition abhalten können.
Aber Besserung ist Ihnen ja möglich.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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ur, am Anfang des 21. Jahrhunderts helfen für die Lö-ung der jetzt anstehenden Fragen nostalgische Betrach-ungen überhaupt nicht weiter. Sie dienen vielleicht dermotionalen Befriedigung einer Fraktion, die mehr lei-end als leidenschaftlich dem Kurs dieser Bundesregie-ung folgt. Sie beinhalten aber keinen Hinweis darauf,ie die rot-grüne Bundesregierung die in diesem Landnstehenden Haushalts- und Zukunftsfragen beantwor-en möchte.
Ein weiterer Hinweis, Herr Kollege Müntefering: Sieaben am Anfang Ihrer Rede auch das Erstarken derechtsradikalen Kräfte bei der Saarland-Wahl ange-prochen. Sie haben die Union ermahnt, nicht die Sozial-emokraten dafür verantwortlich zu machen. Ich bin derebatte heute Vormittag sehr interessiert gefolgt. Ichabe nicht gehört, dass irgendein Redner der Union dieozialdemokratie für das Erstarken der NPD im Saar-and verantwortlich gemacht hätte.
ch bin sicher, dass auch alle anderen Redner der Unionnd nicht nur die von heute Morgen Oskar Lafontaineafür verantwortlich machen, dass die radikalen Kräftem linken und am rechten Rand wieder erstarken.
eswegen, Herr Müntefering, bedarf es auch keiner Er-ahnung der Union,
ondern es liegt an der deutschen Sozialdemokratie, daserhältnis zu Oskar Lafontaine abschließend zu klären,ebe Freunde, meine sehr verehrten Damen und Herren.
In den Mittelpunkt Ihrer Ausführungen, Herrüntefering, haben Sie die Arbeitsmarktpolitik ge-tellt.
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Steffen KampeterAuf dem Arbeitsmarkt sind die Reformen, die Sie ja jetztnicht mehr mit dem Schlagwort „Hartz“ bezeichnen, al-lenfalls ein Einstieg in eine Politik, die wir von derUnion für notwendig erachten. In ihrer Wirkung sind siein Teilen allerdings völlig überschätzt worden. Von denvollmundigen Ankündigungen einer Halbierung der Ar-beitslosenzahl, Herr Müntefering, ist heute nichts mehrübrig. Die Union hat all denjenigen Teilen der Hartz-Re-formen, die auf mehr Flexibilität und Öffnung des Ar-beitsmarktes zielen, im Deutschen Bundestag zuge-stimmt.Wenn Sie sich fragen, wie sich die Christlich Demokra-tische Union bezüglich der Umsetzung von Hartz IV ver-hält, dann empfehle ich Ihnen, doch einmal nach Nord-rhein-Westfalen zu schauen. Wir haben im Vermittlungs-ausschuss von Deutschem Bundestag und Bundesratdeutlich gemacht, dass wir den Kommunen mehr zu-trauen als der Arbeitsverwaltung und haben uns für einumfassendes Optionsmodell ausgesprochen. Das, wasdabei herausgekommen ist, entspricht nicht ganz unse-ren Wünschen, denn in Nordrhein-Westfalen gibt esmehr Kommunen und Kreise, die gemäß dem Options-modell optieren wollen, als Sie zuzugeben bereit sind.Wir arbeiten überall da, wo die Möglichkeiten gegebensind, Arbeitslosen zu helfen und Brücken in die Beschäf-tigung zu bauen, aktiv mit, meine sehr verehrten Damenund Herren. Keiner aus der CDU/CSU-Bundestagsfrak-tion schlägt sich hier in irgendeinen Busch,
sondern wir sind auf der Seite derjenigen, die sich fürmehr Beschäftigung in diesem Land einsetzen.
Wir kritisieren allerdings die dilettantischen Ele-mente, insbesondere in der Kommunikationsarbeit derBundesregierung, bei der Umsetzung und Erläuterungdieses Reformvorhabens. Wir haben in den vergangenenWochen erlebt, dass die Bundesregierung zum erstenMal Hartz IV nicht nur durch Überschriften darstellt,sondern auch mit Texten erläutert. Gerade das langeSchweigen der Bundesregierung über das gemeinsamgetragene Reformwerk Hartz IV hat zu den Verwirrun-gen, Verirrungen und Täuschungen bezüglich des We-sensinhaltes dieses für den Arbeitsmarkt notwendigenReformwerks geführt.
Nach wie vor fehlt es aber an ergänzenden Elementenzu dieser Arbeitsmarktreform. Eine durchgreifendeFlexibilisierung des Arbeitsmarktes, wie wir sie in un-serem Arbeitsmarktreformgesetz bereits vor einigen Mo-naten vorgeschlagen haben, ist erforderlich, damit dienotwendigen und angesichts der Kürzungen der aktivenLeistungen von allen Seiten eingeforderten Arbeitsplätzevon der Wirtschaft geschaffen werden können. Wenn Sievor dem Hintergrund, dass wir über Hartz IV und die1-Euro-Jobs die Tarifstruktur öffnen und einen Niedrig-lohnsektor schaffen wollen, jetzt eine Diskussion überMindestlöhne in Deutschland beginnen, dann erweisenSie den bisherigen Reformen einen Bärendienst undsmswcnbtdehgwbghSgsdsMGmhsZsdDdfVssdsdbulhmssPwmBfesd
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Im Übrigen glaube ich, dass Sie, Herr Eichel, eine Partyfeiern und in Jubel ausbrechen würden, wenn Sie heutenur die Finanzprobleme hätten, die Herr Stoltenberg zuseiner Zeit gelöst hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wandel brauchtWahrheit. Nur Wahrheit schafft Vertrauen. Dieser Regie-rung mangelt es an der Fähigkeit, die Wahrheit vor demParlament auszusprechen. Sie verschweigt die Wahrheitüber die Staatsfinanzen und die Wahrheit über die not-wendigen Anpassungsmaßnahmen. Wir brauchen eineRegierung, die Vertrauen schafft und die den Menschensagt, wie es in der Zukunft weitergehen soll. Sie musseine verlässliche Politik machen, die länger als zweioder drei Monate Bestand hat. Eine solche Regierungkann nur von der Union und der FDP gebildet werden.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun die Kollegin Anja Hajduk, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Wenn man die bisherige Debatte Revue passieren lässt,dann erkennt man, dass die Opposition versucht, damitdurchzukommen, Reden von gestern zu halten.
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Diese Ehrlichkeit und Konsequenz, die die rot-grüneegierung mit ihren Reformen an den Tag legt, habenie nicht gezeigt. Herr Müntefering hat das wunderbareutlich gemacht. Nein, Sie haben sich in ganz vielenällen versteckt. Früher haben Sie gerufen, Hartz IVehe nicht weit genug. Jetzt ist von Ihnen dazu gar nichtsehr zu vernehmen. Das ist peinlich. Aber die Öffent-ichkeit erkennt das.
Es besteht bei Ihnen außerdem ein Mangel an Vor-chlägen, wie die schwierige Haushaltslage in den Griffu bekommen ist. Herr Stoiber schlägt vor, überall 5 Pro-ent zu kürzen. Er schlägt damit vor, 4 Milliarden Euroei der Rente zu kürzen. Ich bin einmal gespannt, ob Sieiese Forderung aufrechterhalten wollen.
Für Sie wird die Situation noch schwieriger dadurch diese Unsicherheit hat man nach meiner Ansicht in derede der Oppositionsführerin gespürt –, dass die Unionoch nicht neu aufgestellt ist. Es besteht bei Ihnen nochin ganz großer Konflikt hinsichtlich des Konzepts zureränderung der sozialen Sicherungssysteme. Dieesundheitsprämie mit der Abkopplung von den Lohn-osten ist zwar ein sehr ambitioniertes Projekt
dafür hat Angela Merkel hier geworben – und Ihre Ar-umente muss man ernst nehmen. Aber Sie haben einöllig illusionistisches Steuerkonzept danebengestellt.
as passt nicht zusammen. Deswegen kann man Ihrenorschlägen wirklich nicht trauen.
Neben dem Fehlen von Vorschlägen ist zu kritisieren,ie Sie sich gegenüber unseren Vorschlägen und Lö-
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Anja Hajduksungsangeboten verhalten. Mit einem besonderen Aus-maß an opportunistischer Neigung lassen Sie sich beimSubventionsabbau von Lobbygruppen beraten. Diese Artvon Sperre ist unverantwortlich.
Der Bundeskanzler hat deutlich gemacht, wie wichtigim Bereich Bildung, Forschung und Innovationen das3-Prozent-Ziel ist. Sie werden verantworten müssen,dass wir nicht in dem notwendigen Maße Mittel für denForschungsbereich zur Verfügung haben. Sie werdenauch verantworten müssen, wenn wir bei der Schulent-wicklung und insbesondere bei der Kinderbetreuungnicht so vorankommen, wie es gerade angesichts unsererdemographischen Entwicklung eigentlich nötig ist.
– Ja, Steuermittel sind allgemeine Deckungsmittel. Siemeinen das jetzt auf die Eigenheimzulage bezogen. Ichfinde unseren Vorschlag sehr sinnvoll. Sie müssen sichdazu verhalten, ob Sie ihn wirklich nicht unterstützenwollen. Ich glaube Ihnen das noch nicht einmal.Zum Abschluss möchte ich festhalten: Wenn Siekeine Kraft zum Subventionsabbau haben und stattdes-sen illusionistische Steuerkonzepte vorlegen, dann istdamit Ihre mangelnde Nachdenklichkeit – der Bundes-kanzler hat heute zu Recht darauf verwiesen – offenkun-dig geworden. Ich kann Sie nur auffordern: Denken Sienach! Bringen Sie Ihre Konzepte zusammen! SperrenSie sich nicht gegen den heute notwendigen Subven-tionsabbau! Nehmen Sie die Empfehlungen IhrerExperten, die Sie selber auswählen – das Kieler Wirt-schaftsinstitut ist oft dabei –, ernst und bremsen Sie dieRegierung nicht bei richtigen Reformen! Denken Sienach! Ich glaube, dann kommen Sie zu größerer Ehrlich-keit in der Politik. Das steht auch der Opposition gut.Damit gewinnt man dann auch wieder das Vertrauen derBevölkerung.
Ich erteile das Wort der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS.
Uns als PDS wurden in den vergangenen Monaten imZusammenhang mit der Agenda 2010 und mit Hartz IVvom Kanzler und seinen Verbündeten, aber auch von ei-nigen Medien viele unbegründete Vorwürfe gemacht.
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Der erste Vorwurf ist, die PDS spalte unser Landnd argumentiere gegen den Westen. Das Gegenteil istichtig. Hartz IV ist ein Gesetz der großen Koalitionus SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP. Mit diesemesetz ist die Spaltung festgeschrieben: Ein Arbeits-osengeld-II-Empfänger im Osten bekommt 331 Euro,iner im Westen 345 Euro. Dieser Unterschied ist durchichts zu rechtfertigen. Wenn man die Lebenshaltungs-osten in Deutschland vergleicht, kann man eher einefälle zwischen Nord und Süd oder zwischen Stadt undand erkennen als eines zwischen Ost und West. Aber esommt keiner auf die Idee, zum Beispiel unterschiedli-he Sätze für München und Fürstenau zu zahlen.Es ist auch falsch, dass wir Stimmung gegen denesten machen. So etwas werden Sie in keiner Redend in keinem Beschluss von uns finden. Schauen Sieich einmal die Wahlergebnisse im Saarland an: DiePD hat im Vergleich zu den Wahlen von 1999 absolut5 Prozent der Stimmen verloren. Die PDS dagegen hatm Saarland 128 Prozent dazugewonnen.
Was will ich damit sagen? Das zeigt, dass viele Men-chen im Westen erkannt haben, dass es nicht um diest-West-Verteilung geht, sondern um die Verteilungwischen oben und unten.
ie rot-grüne Regierung hat wie eine seelenlose Um-erteilungsmaschine die Politik der alten kohlschen Re-ierung fortgesetzt und weiter von unten nach obenmverteilt. Ich erinnere nur an die Senkung des Höchst-teuersatzes ab dem 1. Januar 2005. Ein besonderes Ge-chmäckle an dieser Sache ist, dass am gleichen Tag dasrbeitslosengeld II in Höhe von 331 bzw. 345 Euro ein-eführt wird.Der zweite Vorwurf an uns als PDS lautet, wir seienopulistisch. Auch dieser Vorwurf ist falsch. Wir habenon Anfang an hier im Bundestag und auch im Bundes-at klar gegen die Hartz-Gesetze votiert. Es ist nur kon-equent, dass wir jetzt zusammen mit den Betroffenenuf der Straße gegen dieses Gesetz demonstrieren.
ie Leiterin des Meinungsforschungsinstituts Allens-ach sagt zu diesem Vorwurf – ich darf mit Erlaubnis desräsidenten zitieren –:Die PDS ist mit ihrem Protest bei sich selbst, ist au-thentisch. Sie war immer gegen Einschnitte in dassoziale Netz …Der dritte Vorwurf lautet, wir als PDS würden wideresseres Wissen die notwendigen Reformen ablehnen.
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Dr. Gesine LötzschDazu möchte ich einen unverdächtigen Zeugen anfüh-ren. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger
traf den Nagel auf den Kopf, als er auf die Frage, obHartz IV so etwas wie ein Bypass für den deutschenHerzpatienten sei, antwortete:Nein, sie kommt mir eher vor wie eine Bypass-Operation für einen Asthmakranken. Dem Patientenwird viel zugemutet, doch er profitiert nicht davon.Bofinger weiter:Das Arbeitslosengeld II bleibt ein erhebliches Ri-siko für die Konjunktur. Bedroht sind nicht nur die3 Millionen Langzeitarbeitslosen, von denen vieleerhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen müs-sen, es werden auch mehr als 34 Millionen Be-schäftigte verunsichert.Das ist ein vernichtendes Urteil für die Bundesregie-rung. Ihr Programm ist ökonomisch unvernünftig, weilSie die Arbeitslosen finanziell unter Druck setzen, ohneihnen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben. ImGegenteil: Die Chancen werden noch geringer werden,weil Sie den Menschen mit Ihrem Programm das Geldaus der Tasche ziehen und damit die Binnennachfrageschwächen. Die Schwächung der Binnennachfrage wirddie Konjunktur nicht ankurbeln, sondern bremsen unddamit den Arbeitsplatzabbau beschleunigen.Ich möchte ein weiteres Zitat ausführen. Jim O’Neill,Chefvolkswirt von Goldman Sachs – er ist kein Freundder PDS, schätze ich –, sagt zum Problem der sinkendenBinnennachfrage: Die Bundesregierung sollte an alleHaushalte Schecks verteilen, die sofort eingelöst werdenkönnen. Sie aber machen natürlich das Gegenteil, Sienehmen den Menschen Geld weg und wundern sich an-schließend über die sinkende Binnennachfrage.Ich finde, es ist nicht mehr von dieser Welt, wenn eineAbgeordnete der Grünen dazu aufruft, Produkte made inGermany zu kaufen, um Arbeitsplätze in unserem Landzu sichern. Die Kollegin hat offensichtlich noch nichtsvon der Globalisierung mitbekommen und klagt Patrio-tismus von den Konsumenten ein,
während gleichzeitig die vaterlandslosen Gesellen, wieder Kanzler gern zu sagen pflegt, die Arbeitsplätze inBilliglohnländer verlagern.Der vierte Vorwurf, der uns gern gemacht wird, lautet,dass die PDS den Menschen Angst mache
und es nicht zutreffe, dass Hartz IV Armut per Gesetzsei.
Dieser Vorwurf zeigt, wie weit Sie sich schon von denMenschen entfernt haben. Die Menschen haben begrün-ddüMwgtakfeRzllsdASISdsblMssstNdguLgsbGPdWDsd
Bei der Wahl des Bundespräsidenten ging man mit denazis allerdings anders um. Ich darf nur daran erinnern,ass Hitlers Marinerichter, der in den letzten Kriegsta-en Todesurteile gegen junge kriegsunwillige Soldatennterschrieb, von der CDU, der SPD und den Grünen imandtag von Baden-Württemberg einstimmig als Mit-lied der Bundesversammlung zur Wahl des Bundesprä-identen nominiert wurde und sich kein Politiker der eta-lierten Parteien daran störte. Ich darf also diese absurdeleichsetzung entschieden zurückweisen.
Meine Damen und Herren, Sie machen nicht nur derDS Vorwürfe, sondern Sie werfen pauschal allen Ost-eutschen Undankbarkeit vor.
ie sollen Ihrer Meinung nach die Ostdeutschen ihreankbarkeit zum Ausdruck bringen? Die Ostdeutschenehen die Transferzahlungen sowie die Verbesserunger Infrastruktur. Aber das eigentliche Problem, nämlich
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Dr. Gesine Lötzschfehlende Arbeitsplätze, ist nicht gelöst. Die Ostdeut-schen möchten eben nicht auf Dauer auf Transferzahlun-gen angewiesen sein.
Im Gegenteil. Sie wollen selbstbestimmt leben und dasist mit Transferleistungen nicht möglich und jetzt mitHartz IV noch weniger als vorher.
Ich werde das Thema Dankbarkeit einmal von eineranderen Seite beleuchten. Wo fordern Sie eigentlich dieDankbarkeit derjenigen ein, denen nach der Wende derostdeutsche Markt in den Schoß gefallen ist und die da-durch saftige Extragewinne erzielen konnten, so zumBeispiel die Aldi-Brüder?
Sie erwarten auch keine Dankbarkeit von Unterneh-men, die durch die Politik von Rot-Grün keine Kapital-steuer zahlen müssen. Sie nehmen es einfach hin, dassder weltgrößte Mobilfunkkonzern Vodafone 50 Milliar-den Euro außerplanmäßig abschreiben will, um 20 Mil-liarden Euro an Steuern zu sparen. Warum klagen Sie,meine Damen und Herren von Rot-Grün, nicht bei denenDankbarkeit ein, die im Kalten Krieg ihren Schnitt ge-macht oder sich durch üppige Abschreibungen die deut-sche Einheit persönlich vergoldet haben?
Frau Kollegin, es wird Ihnen nicht entgangen sein,
dass ich relativ großzügig mit Ihrer Redezeit umgehe.
Ja, ich bin gleich fertig. – Ich sage noch zwei, drei
Sätze zum Thema Populismus.
Es ist Populismus, wenn die SPD den Wählern vor der
Wahl soziale Gerechtigkeit und die Wiedereinführung
der Vermögensteuer verspricht und dann nach der Wahl
bei den Arbeitslosenhilfeempfängern abkassiert.
Der Vorwurf des Populismus trifft auch die Grünen,
die auf ihrem Bundesparteitag die Einführung der Ver-
mögensteuer beschlossen haben, aber nichts, aber auch
gar nichts tun, um diesen Beschluss in Regierungshan-
deln umzusetzen.
Abschließend sage ich Ihnen etwas zu den Demons-
trationen und Ihren Reaktionen darauf, und zwar in
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frauötzsch, mit Ihren Aussagen haben Sie eigentlich bewie-en, dass alle Vorwürfe an die Adresse der PDS voll be-echtigt sind.
ie nutzen die Ängste der betroffenen Menschen scham-os aus.
er das macht, der ist populistisch, der hilft den Men-chen nicht. Er verwirkt jeden Anspruch, für irgendeinert von sozialer Gerechtigkeit zu stehen.
ie nehmen soziale Verantwortung nicht wahr. Was Sieachen, können wir nicht hinnehmen.
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11124 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 2004
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Joachim PoßIch bin auch ganz sicher: Trotz Ihres jetzt in einigenLändern aktuellen Umfragehochs
werden die Menschen erkennen, wie schamlos Sie mitihren Interessen umgehen. Was Sie sich hier erlaubt ha-ben, ist unter aller Kanone.
Jeder Vorwurf von Ihnen kann widerlegt werden. Dasgilt für das gesamte Leistungsspektrum im Zusammen-hang mit Hartz IV und dafür, dass wir uns nun zum ers-ten Mal um Hunderttausende von Menschen, die bisherauf dem Arbeitsmarkt keine Chance hatten, kümmern.Wir kümmern uns konkret um die Frauen und Männer,um die jungen Menschen, die von Langzeitarbeitslosig-keit betroffen sind. Das unterscheidet uns: Wir kümmernuns um die Menschen und nehmen unsere Verantwor-tung wahr, Frau Lötzsch.
Nach der schwachen Vorstellung von Frau Merkelwird hier durch Hinweise auf Koalitionen, die bestehen,abgelenkt.
Deren Bestehen ist nicht zu leugnen. Man muss sogarkonstatieren, dass es tüchtige PDS-Stadträte gibt,
die dabei helfen, die Menschen über Hartz IV und an-dere Themen aufzuklären und die die Langzeitarbeitslo-sigkeit wirklich bekämpfen wollen. Ich äußere mich hierzu dem Beitrag von Frau Lötzsch und sage Ihnen: Dasist unter aller Kanone. Das kann nicht hingenommenwerden. Das ist Demagogie pur und Linkspopulismus,der keinem Menschen hilft.
Frau Merkel hat heute wirklich eine große Chancevertan.
Einige von Ihnen werden, wie auch ich, die Sendung„ARD Morgenmagazin“ gesehen haben, in der vielenKollegen aus Ihren Reihen, zum Beispiel Herrn Rauen,Fragen gestellt wurden. Dort wurden der Vorsitzende derJungen Gruppe und andere interviewt und nach dem Zu-stand der Union gefragt. Herr Rauen – er ist ja kein Un-biwmsDtagWzdMEigFbSn–tZwtws
urde gefragt, wie die Situation der CDU sei und ob erit ihr zufrieden sei. Darauf hat Herr Rauen wörtlich ge-agt: „Überhaupt nicht!“
as ist doch eine zutreffende Umschreibung der Situa-ion der CDU. Hier können wir dem Kollegen Rauenusnahmsweise einmal Recht geben.
Der Vorsitzende der Jungen Gruppe hat sinngemäßesagt:
enn es uns nicht gelingt, die konzeptionellen Defi-ite und die Streitpunkte, die wir mit der CSU überas 100-Milliarden-Euro-Missverständnis haben – Frauerkel wird ja immer mehr zu einem 100-Milliarden-uro-Missverständnis –,
n diesem Herbst auszuräumen, dann sind wir nicht re-ierungsfähig. Im Anschluss an diese Debatte, in derrau Merkel alle konkreten Antworten schuldig geblie-en ist, würde ich sagen:
ie sind nicht nur nicht regierungsfähig, sondern nochicht einmal oppositionsfähig.
Herr Kampeter, auch Sie haben keine Frage beantwor-et.
um Beispiel haben Sie nicht die Frage beantwortet, dieir gestern schon gestellt haben und deren Beantwor-ung wir uns von Frau Merkel gewünscht hätten,
ie die Vorschläge von Herrn Stoiber umgesetzt werdenollen. – Jetzt seien Sie doch mal ein bisschen still! –
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Joachim PoßFrau Merkel hat mehr Investitionen im Bundeshaushaltgefordert – so war sie jedenfalls zu verstehen – und HerrStoiber schlägt eine Kürzung um 5 Prozent vor. Beant-worten Sie diese Frage doch ganz einfach!
– Nein, auch Sie haben keine Frage beantwortet.
Deswegen sind jetzt Sie an der Reihe, in der Öffentlich-keit erst einmal für Klarheit über Ihre Konzepte zu sor-gen. Sie sollten sich aber nicht immer dann, wenn es un-angenehm wird, mit rechtspopulistischem Getue in dieBüsche schlagen und konkreten Fragen ausweichen.
Daher meine herzliche Bitte an Sie: Nutzen Sie dazu dieChance, die Ihnen der weitere Verlauf der Haushalts-debatte bietet!
– Sie, Herr Kollege Kauder, bitte ich: Kläffen Sie nichtständig dazwischen! Denn das, was Sie machen, ist uner-träglich.
Das Wort hat nun der Kollege Bernhard Kaster, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Als Haushälter, der für das Bundeskanzler- und das Bun-despresseamt zuständig ist, habe ich mich schon ein we-nig gewundert – nach der letzten Rede tue ich das nichtmehr –, als quer durch alle Medien zu lesen, zu hörenund zu sehen war – diese Kritik wurde sogar in Ihren ei-genen Reihen geäußert –, dass die Bundesregierungmangelhafte Informationspolitik betreibe. Es war dieRede von einem Kommunikationsdesaster und einemKommunikationschaos, wie wir es eben auch hier erlebthaben. Manch einer im Land wird sich natürlich dieFrage gestellt haben: Fehlt vielleicht einfach das nötigeGeld für eine ordentliche Informationspolitik, umHartz IV zu vermitteln?
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ie Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg hat sich fürhre Öffentlichkeitsarbeit einen Rekordetat in Höhe von0 Millionen Euro geleistet. Gleichzeitig haben die PR-ittel von Bundespresseamt und Bundesregierung nochie da gewesene Höhen erreicht.
Die Wahrheit ist auch, um das zu komplettieren: Dieundesregierung hat alleine in den letzten zwölf Mona-en – und das nach eigenen Angaben! – über 30 Millio-en Euro für alle möglichen und unmöglichen Zeitungs-nzeigen und Plakatkampagnen zur Agenda 2010usgegeben.
Wir haben es in unserer Fraktion in diesem Sommerinmal genau nachgerechnet: Die Bundesregierung ver-rasst zusammen mit der Bundesagentur für Arbeitährlich eine viertel Milliarde Euro für Öffentlichkeitsar-eit.
Das ist unglaublich; diese Höhe gab es noch nie. – Undann, man glaubt es nicht, muss in den letzten Wochenit einer mit heißer Nadel gestrickten Anzeigenkampa-ne „Betrifft: Hartz IV“ und einem so genannten Lage-entrum auf das offenkundige Informationsdefizit mehrchlecht als recht, ja hilflos reagiert werden. Es folgt so-ar ein Schwarze-Peter-Spiel zwischen Presseamt, Wirt-chaftsminister und Bundesagentur, wer denn da eigent-ich was machen soll. Das sind Strategen, kann ich dazuur sagen!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wieso schafft esiese Bundesregierung nicht, mit solchen Rekordetatsie Bevölkerung zu informieren, Vertrauen zu erwecken,
ie eigentlichen Botschaften der Hartz-IV-Reform zuansportieren? Die Erklärung ist recht einfach: Immernd immer wieder haben wir hier in diesem Hause gefor-ert, dass Informationspolitik nicht auf platte, stim-ungsmachende Werbung wie im Wahlkampf reduzierterden darf. Jeder kennt noch die Sprüche, die auf denlakatwänden überall standen.
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11126 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 2004
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Bernhard KasterJetzt kam es zur Nagelprobe für die Informationspolitikund da wurde das Debakel einer vollkommen falsch kon-zipierten Informationspolitik offenbar.
Werte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Siesprechen zwar schon selbst öffentlich vom Kommunika-tionsdesaster bzw. Kommunikationschaos; Konsequen-zen werden aber erstaunlicherweise nicht gezogen. Kon-sequenzen haben dagegen Ihre Ressortminister gezogen:Mittlerweile wird Regierungssprecher Béla Anda so we-nig zugetraut, dass jedes Ministerium auf eigene Faustversucht, in der eigenen Pressestelle ein eigenesKommunikationskonzept zu entwickeln und damit dieLücken zu füllen.
Ich komme jetzt auch zu den Zahlen; das kostet uns jaalle viel Geld. Die Ressortminister haben seit dem An-tritt von Herrn Anda im Jahre 2002 ihre Einzeletats von28,5 Millionen Euro in 2002 auf jetzt 65,98 MillionenEuro im Haushaltsentwurf für 2005 erhöht. Das sind diereinen Ausgaben, nur für die einzelnen Ministerien,
ohne Bundespresseamt. Damit wird dieser Regierungs-sprecher zum teuersten Regierungssprecher aller Zeiten.
Die Bundesregierung muss endlich dafür sorgen, dasswieder sachliche und seriöse Information erfolgt. Fan-gen Sie hier endlich mit dem Sparen an! Kündigen Siediese unsäglichen Werbeverträge! Hier können Sie einZeichen setzen, dass gespart werden kann.
Sparen darf bei dem Haushalt 2005 nicht eine allge-meine Floskel bleiben.Um es vorweg zu sagen: Der große Verlierer der gi-gantischen Schuldenpolitik, die wir erleben, ist eindeutigdie junge Generation: Verlierer sind hier unsere Kinder.
Seit der Regierungsübernahme durch Rot-Grün ist dieVerschuldung des Bundes von 743 Milliarden Euro aufjetzt 847 Milliarden Euro gestiegen. Schon heute stehtfest: Die Schulden des Bundes werden bis Ende 2005auf 890 Milliarden Euro angestiegen sein. Unser Schul-denberg ist unter Rot-Grün in nur sieben Jahren um150 Milliarden Euro angestiegen. Hinzurechnen mussman das Verscherbeln von Bundesvermögen in einerGrößenordnung von nachweisbar 100 Milliarden Euro.In der Addition ergibt das einen Betrag von einer ViertelBillion Euro. Das muss man sich einmal vorstellen! Esist unglaublich, was für eine Last der jungen Generationhier aufgebürdet wurde. Die großen Verlierer IhrerHaushaltspolitik sind damit die jungen Menschen in un-serem Land. Die letzten Reserven unserer Kinder wer-den durch Ihre Politik aufgezehrt. Kein verantwortlicherFsgtsdastläaVlmnffzwdSElf
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärti-
en Amtes.
Zugleich rufe ich Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Ausführungs-
gesetzes zum Chemiewaffenübereinkommen
– Drucksachen 15/3447, 15/3592 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses
– Drucksache 15/3684 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Zapf
Ruprecht Polenz
Dr. Ludger Volmer
Harald Leibrecht
Zunächst erteile ich dem Bundesminister des Auswär-
igen, Joschka Fischer, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deut-che Außenpolitik war und ist – dies wird also auch fürie Zukunft so gelten – in die europäische und die trans-tlantische Politik eingebunden. Allerdings verändernich die beiden Grundpfeiler – die europäische und dieransatlantische Politik – gegenwärtig tief greifend, viel-eicht sogar fundamental.Ihre Bedeutung für unsere Politik wird sich nicht ver-ndern, die Sache selbst aber wohl. Sowohl Europa alsuch die transatlantische Politik werden tief greifendeneränderungen unterliegen. Das haben wir gerade in denetzten Jahren in der Außenpolitik gespürt. Wir habenehr und mehr außenpolitische Verantwortung über-ommen. Zugleich sind die Herausforderungen nicht nurür die Diplomatie, sondern auch für die Bundeswehr,ür den Bereich der Entwicklungshilfe und im Gesamt-usammenhang der Außenpolitik rapide gestiegen.Die Welt hat sich radikal verändert. In Kürze werdenir den Jahrestag des 11. September 2001 begehen, anem das furchtbare Verbrechen gegen die Vereinigtentaaten verübt wurde. Wir sind noch heute unter demindruck eines anderen furchtbaren Verbrechens: in Bes-an in Ossetien. Ein erster Schultag wurde dort für einenurchtbaren Terroranschlag genutzt, bei dem so viele
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Bundesminister Joseph FischerMenschen – an erster Stelle die Kinder und ihre Mütter –zu Geiseln genommen und viele von ihnen getötet, um-gebracht, ermordet wurden. Das macht klar, dass wir esheute mit einer völlig anderen Situation als zu Zeiten desKalten Krieges zu tun haben. Ich denke, wenn wir überdie Außenpolitik sprechen, werden wir uns daran zu ori-entieren haben.Es ist richtig, dass wir den jüngsten Terroranschlag inRussland einmütig verurteilen und voller Abscheu überdieses furchtbare Verbrechen sind. In diesem Zusam-menhang wurde aber eine merkwürdige Debatte über dieFrage der Menschenrechte begonnen. Ich möchte dashier einmal direkt ansprechen. Ich weiß nicht, ob FrauMerkel gut beraten war oder ob das nicht Ausdruck einermangelnden Trittsicherheit ist. Bei allem, was man ohnejeden Zweifel an Russland kritisieren kann und manch-mal auch kritisieren muss, glaube ich, dass Frau Merkelfalsch liegt, wenn sie die Erfahrungen mit dem Russlandvon heute mit den Erfahrungen in der kommunistischenDDR und der Sowjetdiktatur vergleicht.
Deswegen sage ich nochmals: Die Zukunft Russlandslässt sich nicht an einem solchen Maßstab messen. Wirwissen heute doch, dass das angesichts der großen Pro-bleme, aber auch angesichts der Bedeutung, die diesesLand hat, keine Aufgabe weniger Jahre ist.Ich kann Ihnen an diesem Punkt nur sagen: Es warkeine Reise, während der wir uns nicht auch selbstver-ständlich mit den Vertretern der Zivilgesellschaft inMoskau und der Menschenrechtsorganisationen getrof-fen haben. Im Übrigen haben wir auch einen ständigenDialog über die Entwicklung in Tschetschenien geführt.Es gab keine Diskussion mit der russischen Seite, bei dernicht intensiv über die Frage der politischen Lösung inTschetschenien und die Menschenrechte gesprochenwurde.Ich erinnere mich auch an einen Auftritt meines Kol-legen Iwanow, des Vorgängers des jetzigen russischenAußenministers, im Auswärtigen Ausschuss. Die FDPund die CDU/CSU waren anwesend. Es gab eine sehrvernünftige Diskussion, bei der manches, was vorher an-gekündigt wurde, nicht Wirklichkeit wurde. Die Frage,worin denn die politische Lösung besteht, ohne dassletztendlich Schlimmeres eingeleitet wird, wurde auchdort nicht beantwortet. Manchmal ist es einfach notwen-dig, zu begreifen, dass man zwar Gesamtkonzepte,Visionen und Ähnliches fordern kann, dass die Welt bis-weilen aber nicht so einfach ist. Das gilt vor allen Din-gen dort, wo in der Vergangenheit schwere Fehler ge-macht wurden.Die große Problematik, vor der wir heute stehen, istdie Verbindung zwischen dem islamistischen Terroris-mus und der Tschetschenienfrage. Die tiefe Penetrationder terroristischen Gruppen hängt mit ihrer Ideologie zu-sammen. Das ist eines der Elemente, mit denen wir es zutun haben. Ich sage Ihnen ganz offen: Dem Bundeskanz-ler vorzuwerfen, dass er all diese Fragen – das weißich – mit der russischen Seite nicht immer wieder disku-tkSPrldMdudsWsslgabn„dfwezdttiSdDvedlhbsvdVNfnwdKw
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Die Erklärung vonräsident Putin von Sotschi, bezogen auf den Iran – da-auf komme ich nachher noch zu sprechen –, in der deut-ich wird, dass Russland dieselbe Position einnimmt wieie Europäer, ist angesichts der Gefährdung durch eineisskalkulation in Teheran von nicht zu unterschätzen-er Bedeutung.Ich sagte schon, die Welt hat sich radikal verändertnd wird sich radikal verändern. Ich behaupte sogar,ass wir uns von vielem, was uns im Denken selbstver-tändlich geworden ist, werden verabschieden müssen.arum? Weil sich vieles nur noch als Scheinoption dar-tellen wird. Wir leben die Globalisierung. Die Globali-ierung wird einen politischen Druck in Richtung Multi-ateralismus auslösen. Das wiederum ist nichts, das sichegen die einzige Weltmacht, die USA, richtet, sondernus meiner Sicht – da liegt eine der zukünftigen Aufga-en, die wir direkt nach den amerikanischen Wahlen auf-ehmen und fortführen müssen; das müssen wir mit derWider Middle East Initiative“, also der Initiative füren größeren Nahen Osten und seiner friedlichen Trans-ormation, anpacken – wird die Welt nur funktionieren,enn die USA ihrer Führungsaufgabe gerecht werden,inen effektiven Multilateralismus des 21. Jahrhundertsu entwickeln.
Dass es sich dabei nicht um eine billige Formel han-elt, zeigt die Geschichte. Das heutige multilaterale Sys-em ist aus dem Scheitern des ersten multilateralen Sys-ems entstanden, das nach 1918/19 von Präsident Wilsonnitiiert wurde, des Völkerbundes. Die Konsequenz descheiterns des Völkerbundes in der totalitären Epocheer 30er-Jahre in Europa war das strategische „Grandesign“ von Roosevelt und nachher im Kalten Kriegon Truman, die Entwicklung des VN-Systems, wie wirs heute kennen. Das macht klar, dass es hier keinen Wi-erspruch gibt. Ich möchte sogar behaupten, der Transat-antismus der Zukunft – ich meine, er muss eine Zukunftaben – wird genau diesen strategischen Konsens anstre-en müssen, und zwar nicht unter Ausschluss Russlands,ondern unter Einschluss Russlands.Oft ist es so, dass sich aus dem Negativen auch Positi-es entwickeln kann. Ich bin der festen Überzeugung,ass das furchtbare Verbrechen, das wir in der jüngstenergangenheit erlebt haben, in Moskau ein erneutesachdenken nach sich ziehen wird, ob eine wesentlichestere Verankerung und Orientierung hin zum Westenicht tatsächlich das Gebot der Stunde ist. Wenn es soäre, dann sollten wir intensiv daran arbeiten, dass sichie russische Demokratie, die Zivilgesellschaft und dieohärenz dieses Landes in Richtung Moderne ent-ickelt. Hier hat Deutschland dank seiner exzellenten
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11128 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 2004
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Bundesminister Joseph FischerBeziehungen, die wir zu Russland haben, eine besondereAufgabe, der wir uns stellen sollten.
Auch Europa steht vor wichtigen Herausforderungen.Wir sind dabei, unsere Hausaufgaben abzuschließen. DieVerfassung steht zur Ratifizierung an. Ich sage noch-mals: Sie taugt nicht für innenpolitische Profilierungs-spiele. Ich bekenne ganz offen, dass ich – nicht als Bun-desaußenminister, sondern als Mitglied des Hauses –eine andere Position habe als die überwiegende Mehrheitmeiner Partei. Was ist daran schlimm? Das ist bei mirnicht das erste Mal der Fall. Es adelt demokratische Par-teien weiß Gott eher, denn dass es sie beschädigt, wennman in einem Punkt unterschiedlicher Meinung ist.Wovor ich nur warnen kann, sind taktische innenpoli-tische Spiele zur Ratifizierung der europäischen Verfas-sung, weil es hier um eine zentrale Zukunftsfrage geht.
Freuen Sie sich doch, Herr Glos, dass wir beide hiervielleicht einer Meinung sind. Wenn Sie meine Meinungteilen, dann haben Sie vielleicht Probleme mit der Mehr-heit in der CSU. Ist das schlimm?
– Entschuldigung, ich sage nochmals als Bundesaußen-minister: Es ist von überragender Bedeutung, dass wirdiese Verfassung nach der Unterzeichnung schnell ratifi-zieren, nach Möglichkeit mit einer breiten Unterstützungdes Deutschen Bundestages.
Wie weit wir die Verfassungsrealität ändern wollen, istmeines Erachtens eine andere Debatte.Nur appelliere ich noch einmal auch an Sie, HerrGlos: Wir können in der Türkeifrage höchst unter-schiedlicher Meinung sein – ich akzeptiere das, auchwenn ich Ihre Position nicht teile –, aber wir sollten hiermeines Erachtens klar unterscheiden zwischen der in-nenpolitischen Kontroverse und außenpolitischer Ver-antwortung.
In einer ernst gemeinten Diskussion – ich komme gleichnoch einmal auf die Details zu sprechen – sollten wirhier eine klare Unterscheidung treffen.Wenn wir hier über den Kampf gegen den Terroris-mus, über eine Neugestaltung des transatlantischen Ver-hältnisses und über die Frage der Sicherheit Europassprechen, dann müssen wir den Menschen in unseremLand sagen: Unsere Sicherheit wird bis Mitte desJahrhunderts – ich nehme hier den Zeitraum des KaltenKrieges, weil mir eine andere historische Bezugsgrößenicht zur Verfügung steht – nicht mehr entlang der Ost-West-Achse definiert werden, wie wir es gewöhnt sindudNdwShddgdDtmgbsgbwlmSAAhgRDLInlssDaefmamnRnomosft
eil die zweiten und dritten Folgen eben nicht kontrol-ierbar und beherrschbar sind? Ich komme mit Sorge voneiner letzten Reise zurück, von der Sie sagen: Außerpesen nichts gewesen. So ist das halt manchmal beimußenminister aus der Sicht eines Oppositionspolitikers.ber ich sage Ihnen: Sehr viel gewesen außer Spesen.Zu Tschetschenien habe ich mich geäußert. Beim Irakoffe ich darauf, dass die Vereinbarung von Brahimi um-esetzt werden kann und wir hier nicht wegrutschen inichtung eines Failing State. Im Nahen Osten sind dieinge nicht gerade zum Besseren entwickelt, was dieösungsmöglichkeiten betrifft.Alles dieses sind Faktoren europäischer Sicherheit.ch kann Ihnen an diesem Punkt nur sagen: Wenn hiericht strategische Entscheidungen zwischen den transat-antischen Partnern in Richtung Herstellung eines Kon-enses getroffen werden, wird diese ganze Region ver-tärkt in eine eher negative Entwicklung hineinrutschen.as ist meine große Sorge. Wenn dann noch die Nukle-rdebatte mit Iran hinzukommt, bekommen wir hierine zusätzliche Aufladung, die alles andere als sorgen-rei machen kann. Im Gegenteil, die Entwicklung erfülltich mit großer Sorge.Wenn aber all das richtig ist, dann müssen Sie dochkzeptieren – ich verstehe ja all die alten Europäer, dieeinen, die Türkei werde uns überfordern, was die in-ere Kohärenz betrifft, aber ich kann doch diese neuenealitäten nicht schlicht und einfach ignorieren undicht begreifen –, dass für Europa die Entscheidung fürder gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungenit der Türkei angesichts der zu erwartenden positivender negativen Reaktionen der Türkei von überragendertrategischer Bedeutung ist. Ich behaupte sogar: Sie istür den Westen von überragender strategischer Bedeu-ung.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 2004 11129
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Bundesminister Joseph FischerDas Zweite: Wir müssen gemeinsam mit den USA– die USA müssen hier den Driver Seat einnehmen, alsoim Führerhaus sitzen – die Entscheidung herbeiführenund gemeinsam jede Anstrengung unternehmen, um dieZwei-Staaten-Lösung im israelisch-palästinensischenKonflikt durchzusetzen. Das sind für mich die beidengroßen Herausforderungen, wenn wir regionale Stabilitätin dieser Region tatsächlich ernst nehmen.Das Dritte ist: Ich kann nur nochmals an Teheran ap-pellieren, zu begreifen, wie wichtig es ist, dass Teheranan den Vereinbarungen festhält und sie von A bis Z um-setzt. Man muss begreifen, dass das Schließen desBrennstoffkreislaufes eine hochgefährliche Fehlkalkula-tion wäre. Wenn wir an der Vereinbarung festhalten, diedie Außenminister mit Teheran getroffen haben – darinliegt die Bedeutung der Erklärung von Präsident Putin inSotschi bei dem Treffen mit Präsident Chirac und Bun-deskanzler Schröder –, dann besteht die große Chance,dass wir gemeinsam mit unserem amerikanischen Part-ner diesen konstruktiven Weg vorangehen. Das setztaber voraus, dass keine Fehlkalkulationen vorliegen, vondenen ich meine, dass sie in dieser ohnehin schon hochinstabilen und gefährlichen Situation zu wesentlich mehrGefahr beitragen können.
Ich habe mit großer Verwunderung manche Äußerun-gen gehört – das werden wir bei den Mandatsverlänge-rungen zu diskutieren haben –, die unser Engagementbetreffen. Ich dachte immer, wir hätten darüber einenKonsens. Wir betreiben keine nationale deutsche Außen-politik, sondern das sind unsere nationalen Beiträge. Wirsind in internationale Entscheidungen eingebunden.Wenn ich höre, es mangele an einem Gesamtkonzept Af-ghanistan, dann kann ich nur sagen: Dieses Gesamtkon-zept Afghanistan ist auf zwei Afghanistankonferenzendefiniert, in Sicherheitsratsresolutionen umgesetzt wor-den und bildet die Grundlage für das, was die internatio-nale Staatengemeinschaft unter Einschluss der Bundes-republik Deutschland und unserer Soldaten undDiplomaten tatsächlich macht.
Ich weiß aus eigener Erfahrung nur zu gut, wie schwie-rig solche Debatten sind. Ich meine das gar nicht über-heblich, sondern ernsthaft. Die Bundesregierung ist fürjede Anregung sehr dankbar – aber sie muss dann bis zuEnde diskutiert werden –, wenn es notwendig ist, eineStrategie zu verändern und sich dafür im internationalenRahmen einzusetzen. Nur, zu meinen, wegen derSchwierigkeiten sollten wir abziehen oder Spielräumeweiter einengen, ist eine sehr kurzsichtige Politik.Ich habe gestern über Afghanistan im Ausschuss ge-sagt: Wenn ich vorausblicke, dann frage ich mich, ob wirdiesen Berg von Herausforderungen bewältigen können.Blicke ich aber zurück, dann denke ich: Was haben wirnicht alles erreicht! Der Konsens hält bis auf den heuti-gen Tag. Die verfassungsgebende Versammlung, dieVerfassungs-Loya-Jirga, hat bei allen SchwierigkeitenufKdDaaDn–PhDnIPwws–SdDpbgmnSIInddwbwhdhmbdsS
Es muss doch nicht immer einer bestreiten. Herrflüger, ich sage doch nur: Nach dem, was ich gehörtabe, werden Mandatsverlängerungen infrage gestellt.eshalb gestatten Sie mir, dass ich hier die Gelegenheitutze, unsere Politik darzustellen.
ch weiß doch, Kollege Pflüger, dass wir in diesemunkt vermutlich keinen Dissens haben. Aber es gibtelche, die das anders sehen. Deswegen gehe ich darauf,ie ich meine, in der gebotenen Sachlichkeit und Präzi-ion ein.
Ich beschwere mich nicht. Ich bedanke mich für dieolidarität der Opposition für diese Mandate und hoffe,ass es dabei bleibt.
enn das ist im Interesse der eingesetzten Soldaten, Di-lomaten und Entwicklungshelfer. Auf der anderen Seitein ich der Meinung, dass wir unseren Verpflichtungenerecht werden müssen. Wenn die internationale Ge-einschaft aus Afghanistan abzieht, dann wissen wir ge-au, was die Folge sein wird. Es wird wieder einchlachtfeld der Interessen im Land und der regionalennteressen werden. Das ist übrigens eine Gefahr, die imrak alles andere als ausgeräumt ist, wenn wir dasächste Jahr betrachten.Deswegen wird es wichtig sein, dass wir die notwen-ige Durchhaltefähigkeit haben. Dasselbe gilt auch füren Balkan. Wenn Fehler bei einem Einsatz gemachtorden sind, müssen diese selbstverständlich aufgear-eitet werden. Es kann auch zu Recht die Frage aufge-orfen werden, ob nicht größere Enklaven aufrechter-alten werden sollen, wenngleich von der anderen Seiteie Besorgnis kommt, dass das auf einen Teilungsplaninausläuft. Das muss man wissen.Aber ich kann nur davor warnen, davon auszugehen,an könne die „Standard vor Status“-Politik einfacheiseite wischen. Egal, wie sich die Statusfrage am Endearstellt: Ohne die Schaffung demokratischer, ökonomi-cher und marktwirtschaftlicher Standards wird jedetatuslösung letztendlich keine Stabilität, sondern nur
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11130 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 2004
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Bundesminister Joseph FischerInstabilität kreieren. Das gilt nicht nur für das LandKosovo, sondern für die gesamte Region.
Auch das muss man wissen.Deswegen meine ich, dass wir diesen Weg weiterge-hen müssen. Es ist ein schwieriger Weg, zumal ichmeine, dass die Kosovofrage nur dann gelöst werdenkann, wenn sich die Gesamtsituation ändert. Meine Er-fahrung ist, dass in Bosnien die positiven Wirkungen derFortschritte Kroatiens in Richtung Europäische Unionschon heute feststellbar sind. Plötzlich wird nicht mehrnur unter dem Gesichtspunkt der eingefrorenen ethni-schen Konfrontation diskutiert; stattdessen erfolgt eineÖffnung gegenüber der Perspektive Europa. Ich habe esselbst erlebt.Es handelt sich um einen langen Prozess. Wir redennicht von wenigen Jahren. Das wissen Sie auch, meineDamen und Herren. Das zeigt schon ein Blick auf dieökonomischen Fakten. Der Hass, die nach wie vor nichtgeschlossenen Wunden, die dort vorhanden sind, ma-chen unseren dauerhaften Einsatz notwendig. Ich akzep-tiere, dass es das Recht und vor allen Dingen auch diePflicht der Opposition ist, die Regierung dahin gehendunter Druck zu setzen, ob Fehler gemacht wurden. Dashabe auch ich als Oppositionsabgeordneter nicht andersgehandhabt.Aber ich appelliere nochmals an alle: Lassen Sie unssauber zwischen der Innenpolitik und den außenpoliti-schen Konsequenzen unterscheiden. Dabei handelt essich nicht immer um dasselbe Paar Schuhe; das könnendurchaus zwei unterschiedliche Paar Schuhe sein. Dasist oft der Fall und gilt auch und gerade für den Balkan.Wir stehen hier vor großen Herausforderungen und Ver-änderungen.Lassen Sie mich an diesem Punkt darauf eingehen.Der Kollege Schäuble wird gleich sprechen. Er ist derAnsicht, wir überheben uns mit unserer Position undmeint, dass Deutschland, wenn es zu einer Änderung derSitzverteilung im Sicherheitsrat kommt, keinen Sitz be-kommen sollte.Das aber würde doch keiner verstehen, weil nach ob-jektiven Kriterien entschieden wird. Sie fordern zuRecht einen europäischen Sitz. Ich wäre der Erste, derdafür wäre. Damit meine ich aber einen echten europäi-schen Sitz, der nicht so, wie das bei einem wichtigenBündnispartner und Partner in der Europäischen Unionvorgesehen ist, sozusagen im Huckepackverfahren, beidem die Staaten rotieren, besetzt wird. Während die Ro-tation bei der EU-Präsidentschaft abgeschafft wird,würde sie im Sicherheitsrat eingeführt.Wenn ein europäischer Sitz geschaffen wird, dannsollte es ein echter sein. Das heißt, dass dann nicht einMitgliedstaat, sondern die Europäische Union im Sicher-heitsrat vertreten ist.
–wIAwlsgG–ugdfDnvDuagTdkpduetsazBaavsKbWnedslE
All die Isolationsängste – auch sie nehme ich zumeil ernst; ein anderer Teil war der Parteipolitik geschul-et – haben sich als nicht richtig erwiesen. Deswegenann ich nur feststellen: Wir werden dieser Politik ver-flichtet bleiben. Gerade im Kampf gegen den Terror be-eutet das, dass die Menschenrechte ein essenzieller Teilnserer Verfassungswirklichkeit sind.
Die Terroristen wollen doch nichts anderes, als uns ininen Krieg der Zivilisationen und der Revolutionen zureiben. Denn sie meinen, über einer solchen Chaosper-pektive werde ihr Weizen erblühen.Ich weiß zwar nicht, wie die Lage in unserem Landussähe, wenn wir genauso schlimme Terroranschlägeu erleiden gehabt hätten wie einige wichtige Partner imündnis oder Russland. Aber wir verteidigen uns unduch unsere Grundwerte. Darum geht es.Menschenrechte, die Herrschaft des Rechts, eine un-bhängige Öffentlichkeit und der Schutz des Indi-iduums, aber auch eine freie Marktwirtschaft sind es-enzielle Bestandteile. Das prägt auch die Kopenhagenerriterien der Europäischen Union. Die Türkei hat zwarereits gewaltige Fortschritte gemacht und aufgeholt.enn sie aber erfolgreich sein will, wird sie in Zukunftoch gewaltigere Fortschritte machen müssen. Das wirdin Signal für die gesamte Region sein. Es wird auf je-en Fall weit über die Türkei hinausgehen. Das wird un-ere strategische Sicherheit im 21. Jahrhundert gewähr-eisten. Es wird sicherlich keinen Automatismus geben.rst wenn die Türkei europafähig ist, werden die dann
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 2004 11131
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Bundesminister Joseph FischerVerantwortlichen auf beiden Seiten über den Beitritt ent-scheiden müssen. Das wird zehn bis 15 Jahre dauern.Wir müssen gerade angesichts der gemeinsamen He-rausforderungen Russland auf seinem Weg RichtungWesten weiter begleiten und bestärken. Wir müssen au-ßerdem den Nahostkonflikt lösen und müssen allen jun-gen Gesellschaften im Nahen Osten auf einer gemeinsa-men partnerschaftlichen Grundlage eine Perspektive füreine friedliche Transformation und den Anschluss an dieModerne auf der Grundlage der großartigen Kultur desIslams eröffnen. Dafür brauchen wir Europa. Die deut-sche Außenpolitik kann das nicht alleine. Deutsche Au-ßenpolitik ist nur als Beitrag zu Europa und zum Trans-atlantismus denkbar. Hierfür brauchen wir denstrategischen Konsens mit den USA.Das ist die Politik, die die Bundesregierung verfolgt,gründend auf unseren Werten. Das ist die Definition un-serer Interessen. Meines Erachtens ist die entscheidendeHerausforderung, den kommenden Generationen Sicher-heit, Frieden und Stabilität zu garantieren. Dieser Politikfühlen wir uns verpflichtet. Wenn wir eines Tages dafürwieder mehr Mittel zur Verfügung haben, dann freuenwir uns; denn wir haben sie dringend nötig. Ich weiß na-türlich, dass die entsprechenden Mittel heute nur sehrschwer aufzubringen sind.Ich danke Ihnen.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Wolfgang
Schäuble das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Vieles von dem, was der Außenminister gesagt hat,findet unsere Zustimmung. Man kann dem nur schwer-lich widersprechen. Der entscheidende Punkt ist aber,dass eine Reihe von Antworten, die wir gerne gehabthätten, nicht gegeben worden sind. Um das gleich vorabzu sagen: Herr Bundesaußenminister, ich möchte gerneeinmal von Ihnen wissen, ob Sie die Auffassung teilen,dass sich demnächst der Weltsicherheitsrat mit dem Iranbefassen soll. Genau das ist die Frage, über die in denVereinten Nationen, in der IAEO und im transatlanti-schen Verhältnis diskutiert wird. Nur eine schöne Redezu halten, mit der man nicht aneckt und in der man dieseFrage nicht beantwortet, ist im Grunde einer Haushalts-debatte, in der die Regierung die Grundlinien ihrer Poli-tik beschreiben soll, nicht angemessen.
Ich sage aber ausdrücklich, dass ich das, was Sie überRussland gesagt haben, im Wesentlichen teile. Wir alleteilen – das kann man nicht oft genug sagen – den Schre-cken, das Entsetzen über den dort begangenen unvor-stellbaren terroristischen Angriff, bei dem man KinderushafuMDrsKkAwEstrFRdmsJdAWsWdhDkRgsSlnMdhnmKvd
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11132 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 2004
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– Ich weiß nicht, ob Sie dabei gewesen sind, HerrVolmer.
Ich habe sehr genau zugehört. Es war eben nicht davondie Rede, dass wir Russland brauchen.Ich möchte auf den nächsten Punkt zu sprechen kom-men, der mir im Verhältnis zu Russland überhaupt nichtgefällt. Ich finde, wir sind in den letzten 15 Jahren imVerhältnis zu Polen ungeheuer weit vorangekommenund wir haben große Erfolge erzielt. Das ist ein großesGlück. Es gehört zu dem, was Deutschland nach denSchrecken des Zweiten Weltkriegs und der Hitler-Zeitleisten musste. Aber viele von diesen Erfolgen und Fort-schritten sind in den letzten zwei Jahren durch viele ge-fährdet worden, diesseits und jenseits der Grenze, alsoauch durch Polen. Es gibt viele Aufgeregtheiten. Das al-les ist wahr.
– Wir reden ja über die Politik der Bundesregierung imRahmen einer Haushaltsdebatte. Sie sollten nicht soschnell ablenken.Gerade wenn es uns um eine enge Beziehung zuRussland und um die Einbindung Russlands geht, dannsollten Sie über eine gemeinsame europäische Politiknachdenken. Es geht nicht um eine deutsch-französischePolitik, bei der die Gefahr bestehen könnte, dass sie vonanderen als Spaltung Europas wahrgenommen wird. Dasist der Punkt. Deswegen habe ich Polen hier erwähnt.Der Dreiergipfel hat in polnischen Augen eben eine fal-sche Wirkung. Man könnte sie vermeiden. Es gibt dasWeimarer Dreieck.Was spricht eigentlich dagegen – ich habe diese Frageschon oft gestellt –, die Beziehungen zu Russland auf dieBasis des Weimarer Dreiecks zu stellen, sodass zumTreffen des französischen Staatspräsidenten, des russi-schen Präsidenten und des deutschen Bundeskanzlersder Vertreter Polens hinzukommt? Das würde mancheMissverständnisse vermeiden.Wir werden eine erfolgreiche Russlandpolitik – das-selbe gilt für unsere Politik gegenüber der Ukraine undWeißrussland – nur unter Einbeziehung Polens betrei-ben. Dies gelingt eben nicht im Konflikt mit Polen unddurch das Schüren neuen Misstrauens und neuer Ver-dächtigungen, ob berechtigt oder nicht. Da liegt der Feh-ler. Da man diesen Fehler begeht, ist die RusslandpolitikndbPrpznsifüwbdkiESDtsecmsRk–gVnIBmnDDdgigZ
Vor diesem Hintergrund bleibe ich bei folgender Posi-ion – das ist übrigens nicht neu; die Debatte hatten wirchon mit einer früheren Regierung –: Das Streben nachinem weiteren nationalen ständigen Sitz im Weltsi-herheitsrat bringt Europa auf dem Weg zu einer Ge-einsamen Außen- und Sicherheitspolitik nicht voran,ondern wirft Europa zurück. Das geht in die falscheichtung. Deswegen ist das altes Denken und nicht zu-unftsgewandte Politik.
Das hat mit Berlusconi gar nichts zu tun.Natürlich weiß ich – das weiß jeder –, dass noch einanzes Stück Weges zurückzulegen sein wird, bis dieereinten Nationen so reformiert sein werden, dass es ei-en europäischen Sitz im Weltsicherheitsrat geben kann.m Augenblick kommen wir aber mit der Politik derundesregierung bei der Entwicklung einer gemeinsa-en europäischen Position nicht voran, sondern entfer-en uns von gemeinsamen europäischen Positionen.eswegen bringt uns die Politik nicht voran.Im Übrigen: Wenn Sie für einen ständigen Sitzeutschlands im Weltsicherheitsrat sind, müssten Sieer deutschen Öffentlichkeit und insbesondere Ihrer ei-enen Koalition ein bisschen genauer darlegen, was dasm Einzelnen bedeutet. Das passt sonst nicht zusammen.
Im Ziel sind wir uns einig. Unsere Politik muss darauferichtet sein – das ist für mich entscheidend –, demiel, einen ständigen Sitz Europas oder einen Sitz Euro-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 2004 11133
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Dr. Wolfgang Schäublepas im Weltsicherheitsrat zu erreichen – ob es die Unter-scheidung geben muss, ist eine andere Frage –, näher zukommen, und nicht darauf, sich davon zu entfernen.Dass die Forderung nach einem deutschen Sitz imWeltsicherheitsrat in Europa nur neue Spaltungen, neueRivalitäten hervorrufen würde – nicht nur in Italien; inSpanien und Portugal genauso –, war vorhersehbar. Dasist auch eingetreten. Deshalb bringt uns das nicht voran,sondern wirft uns zurück. Das ist die falsche Politik.
Sie haben ein Bekenntnis zum Multilateralismus– um auch diesen Punkt noch anzusprechen – abgelegtund davon gesprochen, dass die Vereinigten Staaten vonAmerika die Führungsmacht auch in einer multilateralenWeltordnung sein müssen. Dem stimmen wir ausdrück-lich zu. Aber wenn dies so ist, dann muss sich die Bun-desregierung doch wieder und wieder fragen und fragenlassen – sie müsste auch bessere Antworten geben alsbisher –, ob es wirklich glaubwürdig und überzeugendist, zu sagen, wir treten für eine stärkere Rolle derVereinten Nationen ein, und dann beispielsweise nachVerabschiedung der Resolution des Weltsicherheits-rats 1546 vom 8. Juni 2004 zum Irak – daran haben Siemitgewirkt; das ist auch in Ordnung –, in der alleMitgliedstaaten aufgefordert werden, ihre Beiträge zurSicherheit und zur Entwicklung des Irak zu leisten, zuerklären: Wir werden uns daran aber nicht beteiligen.
– Aber natürlich! Noch nicht einmal bei der Gewährungvon Schutz für die Vertreter der Mission der VereintenNationen im Irak! Der Generalsekretär der Vereinten Na-tionen, Kofi Annan, musste geradezu händeringenddurch die Weltgemeinschaft reisen und darum bitten,dass man nach der Ermordung von de Mello einer neuenUN-Mission im Irak die Arbeit ermöglicht. Wer fürMultilateralismus eintritt, aber gleichzeitig sagt, wir be-teiligen uns nicht, wir machen vielleicht Fahrlehreraus-bildung in den Vereinigten Arabischen Emiraten – viel-leicht bieten wir auch noch unser System für die LKW-Maut als Entwicklungshilfe für den Irak an –, der wirdden Multilateralismus nicht stärken.
– Ich komme noch auf den Irak zu sprechen, HerrVolmer. Halten Sie sich einen Moment zurück!Wer, wie wir, immer gesagt hat, Voraussetzung für dieEntscheidung für Maßnahmen gegen den Irak sei einMandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, derhätte dafür eintreten müssen, dass der Weltsicherheitsrathandlungsfähig ist. Der Weltsicherheitsrat ist aber durchdie Uneinigkeit der Europäer und der atlantischen Part-ner entscheidungsunfähig gewesen. Das ist nicht Multi-lateralismus.
WnsmsndfGswsgtSAnBiwwsgnrVudMgsrwdnNgnVhPe
Herr Kollege Schäuble, gestatten Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Fischer?
Bitte sehr.
Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN):
Herr Kollege Schäuble, ich möchte Sie nicht missver-
tehen. Bei diesem von Ihnen angesprochenen ganz
ichtigen Punkt kritisieren Sie, weil Sie eine andere Po-
ition vertreten, aus Ihrer Sicht zu Recht die Bundesre-
ierung. Bezug nehmend auf die Umsetzung der Resolu-
ion 1546 werfen Sie uns vor, wir würden uns nicht beim
chutz der VN im Irak beteiligen. Gehe ich richtig in der
nnahme, dass Sie der Meinung sind, wir sollten uns,
achdem wir ein entsprechendes Mandat des Deutschen
undestages erhalten haben, mit Bundeswehrsoldaten
m Irak daran beteiligen?
Unsere Position lautete immer – ich wiederhole das,as ich eben gesagt habe –: Man kann nicht zum einenollen, dass die Vereinten Nationen eine stärkere Rollepielen und möglichst keine unilateralen Entscheidungenetroffen werden – durch die wird die Welt nämlichicht sicherer; darin stimmen wir überein –, zum ande-en aber sagen, wie auch immer der Sicherheitsrat derereinten Nationen entscheidet, wir jedenfalls werdenns nicht beteiligen. Wenn es darum geht, die Missioner Vereinten Nationen im Irak zu schützen, sollte keinitgliedsland, insbesondere kein Land, das einen ständi-en Sitz im Weltsicherheitsrat anstrebt, von vornhereinagen, man werde sich unter gar keinen Umständen da-an beteiligen. Das passt nicht zusammen. Das ist in sichidersprüchlich.
So werden Sie im Übrigen, Herr Kollege Fischer, beien Diskussionen in den Vereinigten Staaten nicht dieje-igen stärken, die sich für den Weg über die Vereintenationen einsetzen. Es war ja die Tragik der zurücklie-enden Monate und Jahre, dass denjenigen in den Verei-igten Staaten von Amerika, die für den Weg über dieereinten Nationen gewesen sind, hinterher entgegenge-alten worden ist: Ihr seht es ja, unsere europäischenartner lassen uns am Ende doch im Stich, wir müssens alleine machen. Wer multilaterale Entscheidungen
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Dr. Wolfgang Schäublewill, muss auch bereit sein, multilaterale Verantwortungzu tragen, sonst stärkt er im Ergebnis zwingend undzwangsläufig nur die Tendenz hin zum Unilateralismus.Hier gibt es keine Alternative.
Das muss man diskutieren. Wenn man darüber nichtdiskutiert, sollte man nicht den Blick der Öffentlichkeitauf ein ohnedies nicht besonders aussichtsreiches Stre-ben nach einem ständigen Sitz Deutschlands im Weltsi-cherheitsrat lenken. Wer Verantwortung übernehmenwill, muss auch bereit sein, Verantwortung zu überneh-men. Wer sich nicht in der Lage sieht, Verantwortung zuübernehmen, sollte nicht so viel von Multilateralismusreden, sondern gleich zugeben, dass sich andere stärkerengagieren müssen; sonst verhält er sich widersprüch-lich.
Herr Kollege Schäuble, lassen Sie eine weitere Zu-
satzfrage des Kollegen Volmer zu?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Schäuble, wären Sie erstens bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass die Forderung nach einem
ständigen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat insbeson-
dere von Ländern der so genannten Dritten Welt erhoben
wird, und zwar aktiv und unaufgefordert zu Beginn fast
jeden Gesprächs, welches man mit einem Vertreter der
Dritten Welt führt?
Zweitens meine Hauptfrage: Sehen Sie es genauso
wie wir, dass die UNO in ihrer Resolution die Antwort
auf die Frage, welchen Beitrag ein UNO-Mitgliedstaat
konkret leisten soll, in die Entscheidungskompetenz je-
des Mitgliedstaates gelegt hat und dass die Bundesregie-
rung in diesem Sinne nicht nur angekündigt, sondern
auch tatsächlich angefangen hat, Hilfe zu organisieren?
So ist beispielsweise heute Morgen in der Obleutesit-
zung sehr intensiv mit unserem Botschafter im Irak darü-
ber gesprochen worden.
Wären Sie drittens bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass Sie sich weigern – obwohl Sie diese Politik der
Bundesregierung, die nicht militärisch angelegt ist, kriti-
sieren –, Ihre Alternative in einem deutlichen Satz vor-
zustellen? Solch ein deutlicher Satz könnte beispiels-
weise lauten: Ich, Dr. Wolfgang Schäuble, würde, wäre
ich Außenminister, deutsche Soldaten in den Irak
schicken.
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Deshalb dürfen wir zum Beispiel Russland und Amerikaauch nicht mit unterschiedlichen Maßstäben messen; dasmacht keinen Sinn.Unser Interesse ist eine enge Partnerschaft. Je mehrdie Europäer zu einer gemeinsamen, geschlossenen Po-sition fähig sind und Verantwortung übernehmen, umsomehr wird unser Wort auch in den Vereinigten Staatenvon Amerika partnerschaftlich wahrgenommen. Daraufmüssen wir setzen. In diesem Sinne müssen wir unserePolitik gestalten.
Das heißt ja nicht, dass man mit dem Präsidenten derVereinigten Staaten von Amerika in allen Fragen einerMeinung sein muss. Ich bin zum Beispiel in der Frageder Mitgliedschaft der Türkei in der EU nicht derMeinung des Präsidenten der Vereinigten Staaten vonAmerika. Das scheint der einzige Punkt zu sein, in demdie Bundesregierung mit dem amerikanischen Präsiden-ten voll übereinstimmt.Ich sage Ihnen, warum ich anderer Meinung bin. IhreThese, dass die Rolle der Türkei für die Stabilisierungdes Nahen und Mittleren Ostens von essenzieller Bedeu-tung ist, ist völlig unbestritten. Das sehen die Amerika-ner so und das sehen alle in Europa und auch wir so.Aber dass die Türkei große Fortschritte auf dem Weg zueiner verlässlichen Demokratie und einem stabilen de-mokratischen Rechtsstaat gemacht hat und immer einverlässlicher Partner war, ist unabhängig von der Frage,ob die Türkei Mitglied der Europäischen Union werdensoll oder nicht.Da stellt sich die Frage: Was ist eigentlich der Inhaltder europäischen Einigung? Wollen wir eine wirklichepolitische Union Europas mit Integration oder wollenwir – wie Sie es offenbar inzwischen in Abweichung vonfrüheren Positionen meinen – ein Europa, das möglichstgroß ist und möglichst wenig politische Identifikationbietet? Wenn wir das Projekt der politischen EinigungEuropas zerstören, weil sich die Menschen nicht mehr ineinem Europa der politischen Einheit wiederfinden wol-len, dann wird das am Ende auch nicht im Interesse derTürkei sein.Deswegen finde ich, dass es notwendig ist, jetzt mitder Türkei offen darüber zu reden, was in beiderseitigemInteresse auf Dauer die bessere Lösung ist.Herr Außenminister, Sie sind nicht ehrlich.
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Natürlich ist es klar. Aber es ist eben anders gemeint.
Hören Sie doch zu! – Es heißt weiter:In jedem Falle werde eines Tages eine „euro-pareife“ Türkei „leichter“ mit der Entscheidungumgehen können, ob ein Beitritt vollzogen werdenkönne oder nicht.
Wenn die Beitrittsverhandlungen jetzt so aufgenom-en werden, wie Sie es fordern, und wenn die Türkeiuropareif ist, dann ist die Entscheidung für eine Mit-liedschaft der Türkei gefallen. Unsere Meinung ist,ass wir jetzt zu Beginn der Verhandlungen sagen soll-en: Es ist nicht nur die Frage einer künftigen Euro-areife der Türkei, ob sie Mitglied der Europäischennion werden kann, sondern es ist auch und zuerst dierage, ob die Europäische Union eine Erweiterung überie Grenzen des europäischen Kontinents hinaus vertra-en kann. Wenn Sie diese Frage offen lassen wollen – iner Passage, die ich vorhin zitiert habe, ist sie offen ge-assen –, dann sollten Sie dies vor Beginn der Verhand-ungen sagen. Wenn Sie das tun, dann übernehmen Sieie Position der CDU/CSU. Stimmen Sie dem zu!
Denn alles andere ist unrealistisch. Eine andere Vor-ehensweise setzt nur das fort, was Sie, Herr Fischer, ge-egentlich zu Recht kritisieren.Ich habe an dieser Stelle oft gesagt: Es ist wahr, dassir Europäer seit dem Abschluss des Assoziierungsab-ommens von 1963 – im Grunde genommen schon seitem türkischen Antrag 1959 – bei der Türkei die Erwar-ung geweckt haben, dass sie Mitglied der Europäischennion werden kann, wenn sie eines Tages die Vorausset-ungen erfüllt. Meine Meinung ist – dazu gibt es auch innseren Reihen unterschiedliche Auffassungen –, dassir uns davon nicht einseitig verabschieden können. Wiraben Erwartungen geweckt, denen wir auch entspre-hen müssen.Wenn Sie kritisieren, dass man 40 Jahre lang diese Er-artung geweckt hat, sich aber nicht auf eine Mitglied-chaft festlegen will, dann sollten Sie diesen Prozessetzt nicht fortsetzen. Deswegen ist unsere dringendeitte und unser Appell: Wenn man jetzt im Europäischen
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Dr. Wolfgang SchäubleRat die Entscheidung trifft, Verhandlungen aufzuneh-men, dann sollte man bei der Formulierung des Mandatsklar sagen, dass diese Entscheidung nicht bedeutet, dasses nur von der Entwicklung in der Türkei abhängt, ob sieMitglied werden kann. Die Frage bleibt offen und siemuss einvernehmlich beantwortet werden. Das ist derentscheidende Punkt und nichts anderes.
Herr Bundesaußenminister, diese Position wird dieEntwicklung der Türkei hin zur Demokratie, zur Stabili-tät und zu einem verlässlichen Partner des Westens ingar keiner Weise beschädigen. Deswegen lautet meinAppell: Hören Sie auf, so zu tun, als würde die Positionder CDU/CSU in irgendeiner Weise den Kampf gegenden internationalen Terrorismus gefährden und das An-liegen für mehr Stabilität in der globalisierten Weltschwächen!
Das ist nicht wahr. Ich glaube, das Gegenteil ist richtig.Wer die politische Einigung Europas gefährdet – Siewissen selber, dass diese Gefahr in der Überdehnung derEuropäischen Union liegt –, wird die Chancen für einenerfolgreichen Kampf gegen den Terrorismus und fürmehr Stabilität in der globalisierten Welt mindern. Des-wegen ist es genau andersherum.Eine letzte Bemerkung will ich zu Ihrem Vorwurf ma-chen, es gebe taktische Spielchen bei der Ratifizierungdes Verfassungsvertrags. Damit können Sie nur denVorschlag von Herrn Müntefering und der SPD gemeinthaben.
Es ist offensichtlich, was mit diesem Vorschlag be-zweckt werden soll. Ich bin seit langem aus, wie ichfinde, guten Gründen – ich respektiere aber unterschied-liche Meinungen – gegen die Einführung plebiszitärerElemente auf Bundesebene.Kürzlich ist in einer Diskussion gesagt worden, manhabe Plebiszite wegen der Erfahrungen von Weimarnicht eingeführt; man wollte mit dem Grundgesetz sta-bile Verhältnisse schaffen. Heute aber bestehe dieseSorge nicht mehr; es gebe stabile Verhältnisse und des-wegen könne man sich plebiszitäre Elemente leisten.Jetzt aber wird die Einführung von Plebisziten damit be-gründet, dass die Bindekraft der demokratischen Institu-tionen, auch des Parlaments, schwächer werde. Deswe-gen brauche man plebiszitäre Elemente. Dem entgegneich: Weil die Verhältnisse offenbar nicht mehr so stabilsind, wie man seit 1949 geglaubt hat, will man nun dasmachen, was man aus Gründen der Stabilität 1949 nichtgemacht hat. Das scheint mir nicht zwingend logisch zusein.Man kann unterschiedlicher Meinung sein. Ich binentschieden gegen solche Elemente. Ich sage Ihnen aberauch: Wenn Sie mit einem Referendum zum Verfas-sungsvertrag zündeln, werden Sie ein Referendum übereinen Beitritt der Türkei nicht verhindern können.DkdhsgrsVWnvIsdßsDsjovdtgPdlssgfrsMgibSwVwBsAtd
arüber muss man sich im Klaren sein. Es macht docheinen Sinn, zu sagen: Wir wollen Volksentscheideann, wenn wir sicher sind, dass die Bevölkerungsmehr-eit die Position der Bundesregierung bestätigt. Dannollte man ehrlicherweise sagen, dass es gar nicht darumeht, dass das Volk mehr entscheiden soll, sondern da-um, dass eine schwache Regierung eine zusätzliche Be-tätigung braucht. Dafür sind Volksentscheide und dieerfassung zu schade.
enn wir dies wollen, müssen wir es ernst damit mei-en. Darum geht es.Wir glauben, dass wir in einer Zeit, in der wir uns ausielen Gründen um die Stabilität unserer demokratischennstitutionen mehr Sorgen machen müssen, als wir inolchen Debatten gelegentlich zugeben, behutsam miter Frage umgehen sollten, ob wir eine scheinbar grö-ere Bürgerbeteiligung wollen, die in Wahrheit gar nichto gemeint ist, weil sie sich so nicht vollziehen kann.enn bei einer Volksabstimmung über den EU-Verfas-ungsvertrag ginge es ja um die Frage, ob man lieber denetzigen Rechtszustand der Europäischen Gemeinschaftder in der Summe die Verbesserung des Verfassungs-ertrags möchte. Diese Frage wird aber ganz sicher we-er die große Mehrzahl unserer Mitbürger an die Urnenreiben, noch wird sie bei einer Abstimmung ausschlag-ebend sein. Deswegen stimme ich Ihnen in diesemunkt zu. Aber wir sollten dann darauf einwirken, dassie taktischen Mätzchen Ihres Koalitionspartners unter-assen werden.Mein Plädoyer ist: In einer Welt, in der, wie Sie es be-chrieben haben – wir brauchen nicht über etwas zutreiten, worüber gar kein Streit besteht –, die Risikenrößer und unberechenbarer geworden sind und die An-orderungen an die deutsche Außenpolitik und an die eu-opäische Gemeinsamkeit größer werden, müssen wireriös arbeiten und dürfen wir keine innenpolitischenätzchen machen.
Lieber Herr Kollege Fischer, Sie haben zum Schlussesagt, Sie wünschten sich dafür mehr Mittel. Dazu willch Ihnen sagen: Es ist schon wahr, dass wir für Ausga-ensteigerungen – das zeigt die Haushaltsdebatte – keinepielräume haben. Aber das beantwortet nicht die Frage,arum der Anteil der Etats des Auswärtigen Amtes, deserteidigungsministeriums und des Ministeriums fürirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung amundeshaushalt zusammengenommen von Jahr zu Jahrinkt. Das heißt, es geht gar nicht um eine Erhöhung derusgaben, sondern um die Setzung der richtigen Priori-äten. Diese Regierung setzt die Prioritäten falsch undeswegen werden wir dem Haushalt nicht zustimmen.
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Nächster Redner ist der Kollege Gernot Erler, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diedeutsche Außenpolitik und die gesamte internationalePolitik der Bundesrepublik Deutschland genießen imAugenblick weltweit ein bisher nicht da gewesenes An-sehen.
Herr Kollege Schäuble, ich bedauere es schon, dass Sieein weiteres Mal nicht die Kraft hatten, dies auch nur an-nähernd zur Kenntnis zu nehmen, sondern dass Sie er-neut Ihre kleinkarierten Anmerkungen zu Einzelfragenvorgetragen haben und diesem Hause und der deutschenÖffentlichkeit eine Auskunft über die großen Linien derAußen- und Sicherheitspolitik Ihrer Fraktion wiederschuldig geblieben sind.
Man muss sich schon über Ihren Mut wundern, dasThema Türkei anzusprechen. Die kürzeste Formel fürdie Position Ihrer Fraktion zur Türkei lautet: Mit VolkerRühe und Friedbert Pflüger für und gegen die EU-Mit-gliedschaft der Türkei.
Das müssen Sie erst einmal in Ordnung bringen, bis Siezu diesem Thema etwas Glaubwürdiges sagen können.
Ich habe von dem hohen Ansehen der deutschen Au-ßenpolitik in der internationalen Politik gesprochen. Dashat seinen Grund in der konsequenten Haltung der Bun-desregierung in der Irakfrage, die sich mit unserem gro-ßen und nachhaltigen Engagement in Afghanistan undvor allem auf dem Balkan verbindet. Kein Land außerden Vereinigten Staaten hat mehr Verantwortung in Af-ghanistan übernommen als Deutschland mit 2 250 Sol-daten, unseren zwei regionalen Wiederaufbauteams undmit großen Anstrengungen für den zivilen Wiederaufbauvor Ort. Kein Land hat so viel Verantwortung in der Bal-kanregion übernommen wie Deutschland mit 4 600 Sol-daten im Kosovo und in Bosnien-Herzegovina, mit unse-rer Unterstützung des Stabilitätspaktes, der SAA, alsodes Assoziierungsprozesses, und mit Wiederaufbaumaß-nahmen in den einzelnen Ländern.Deutschland setzt sich nach wie vor ganz entschiedenfür den Nahostfriedensplan, niedergelegt in der Road-map, ein. Gerade das Engagement des deutschen Außen-ministers Joschka Fischer in dieser Frage findet weltweitaußerordentlich große Anerkennung.Dies alles sind die Gründe für das gestiegene Anse-hen Deutschlands in der internationalen Politik.aBFkdDgläwItirlihddwgshrDntiMsmwsbdSeIedduAinbETwPv
Sichtbar geworden ist dieses gestiegene Ansehenuch an zwei so nicht erwarteten Einladungen an denundeskanzler. Er wurde eingeladen, an der 60-Jahr-eier des D-Day in der Normandie und an dem Geden-en des Aufstandes von Warschau teilzunehmen undort zu sprechen. Ich muss für meine Fraktion sagen:er deutsche Bundeskanzler hat diese beiden Einladun-en in überzeugender Weise genutzt und zu beiden An-ssen kluge und einfühlsame Worte gefunden, deneneltweit hoher Respekt gezollt wurde.
ch möchte ihm ausdrücklich auch im Namen der Koali-on für das danken, was er dort getan hat.Die letzten Monate waren auch von einer anderen He-ausforderung für die Weltöffentlichkeit geprägt, näm-ch von der menschlichen Tragödie in Darfur. Auch hierat es ein ungewöhnlich intensives Engagement dereutschen Politik durch den Bundesaußenminister undie Staatsministerin Frau Müller sowie durch die Ent-icklungsministerin Frau Heidemarie Wieczorek-Zeulegeben. Der Letzteren möchte ich herzlich für die Lö-ung der nicht einfachen Aufgabe danken, anlässlich desundertjährigen Gedenkens des Hereroaufstands dieichtigen Worte vor Ort zu finden. Ihr gilt dafür unserank und unsere Anerkennung.
Herr Kollege Schäuble, nur weil es dieses internatio-ale Ansehen der deutschen Politik gibt, ist es realis-sch, sich im Augenblick ernsthaft um eine ständigeitgliedschaft im Weltsicherheitsrat zu bemühen. Dasollte eigentlich auch Ihre Unterstützung finden. Sieüssen einmal der deutschen Öffentlichkeit erklären,elche Position Sie eigentlich vertreten. Auch Sie wis-en, dass sich der Sicherheitsrat in einem Reformprozessefindet. Das Wahrscheinlichste wird sein, dass die Zahler Mitglieder auf 24 oder 25 festgelegt wird. Wollenie dann ernsthaft sagen, dass es für Europa ausreicht,inen einzigen Sitz unter 25 zu haben? Das kann nichthre Position sein. Bei einer Erweiterung ist es in der Tatin internationaler Wunsch, dass Deutschland auch fürie Inhalte der eigenen Politik mehr Verantwortung inen Vereinten Nationen übernehmen soll. Es ist völlignverständlich, dass das nicht Ihre Unterstützung findet.
Wir haben Fortschritte erzielt – diese tragen auch zumnsehen der deutschen Politik bei – und konnten unserehaltlichen Vorstellungen von Politik in der EU voran-ringen. Ich rede hier vor allen Dingen von dem großenrfolg einer gemeinsamen EU-Strategie unter demitel „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“, in derir viele unserer inhaltlichen Überzeugungen mit demrimat von präventiver Politik, mit dem Primat vonorausschauender Friedenspolitik wiederfinden. Wir
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Gernot Erlerwerden uns weiter mit Zustimmung vieler anderer Län-der dafür einsetzen, dass sich die internationale Politikauf starke Weltorganisationen, insbesondere auf einestarke UN, stützt und sich auf die Geltung und Verteidi-gung des internationalen Rechts konzentriert. Dabei gehtes um die Abwehr von Gefahren und um das Festhaltenan internationalen Verträgen und an internationaler Ver-tragspolitik und natürlich auch um die konkrete Lösungvon gefährlichen regionalen Konflikten.Damit komme ich zu den aktuellen Ereignissen inder Russischen Föderation und in Beslan. Die russi-sche Gesellschaft hat in der Tat in den letzten Tagen eineEruption von Gewalt erlebt und eine bisher noch nicht dagewesene Serie von brutalsten Anschlägen ertragenmüssen. Innerhalb von einer Woche wurden zwei Flug-zeuge zum Absturz gebracht, dabei gab es 90 Tote. Beieinem Selbstmordattentat mitten in Moskau wurden11 Menschen getötet. Das Grauen von Beslan hat min-destens 335 Tote gefordert, davon sind mehr als dieHälfte Kinder. Es ist kein Zufall, dass sich diese Serievon Attentaten um den Tag der tschetschenischen Präsi-dentschaftswahl gruppiert hat.Die russische Gesellschaft steht unter Schock und isttraumatisiert. Es ist dort ein Gefühl von Verlassenseinverbreitet. Für uns besteht jetzt das Wichtigste darin, fürdie betroffenen Menschen vor Ort eine Demonstrationder tätigen und sichtbaren Unterstützung und Solidaritätauf die Beine zu stellen. Dazu sind jede Form von Hilfe,jede medizinische und psychologische Unterstützungund menschliche Kontakte notwendig.Das Gefährlichste und Falscheste wäre jetzt eine Ein-igelung Russlands als Reaktion auf diesen Schock. Wirhaben die Absage des Deutschlandbesuchs des russi-schen Präsidenten mit Bedauern zur Kenntnis genom-men. Wir haben in dieser Lage aber auch Verständnis da-für. Wir werden jedoch die Chance nutzen, die sich inden nächsten zwei Tagen mit dem 4. Petersburger Dialogin Hamburg bietet, um mit unseren Partnern sowie unse-ren Kolleginnen und Kollegen aus Russland intensiveGespräche zu führen.Jeder von uns wird in den nächsten Tagen und auch inden nächsten Wochen und Monaten nicht mit erhobenemZeigefinger, sondern mit ausgestreckter Hand in dieseGespräche gehen. Die richtige Form, auf diese Situationzu reagieren, ist die, dass wir versuchen, gemeinsameund richtige Antworten in dieser bedrohlichen Situationzu finden.Ausgangspunkt dabei müssen unsere gemeinsamenSorgen sein, die in diesen Tagen zunehmend auch in derrussischen Gesellschaft formuliert werden. Wir müssendarüber sprechen, wie realistisch die bisherigen Erfolgs-meldungen der russischen Regierung in Sachen Lösungdes Konflikts, die so genannte Tschetschenisierung desKonflikts, gewesen sind. Wir brauchen in Wirklichkeiteine ehrliche Bestandsaufnahme als Ausgangspunkt füralle weitere Zusammenarbeit in diesem Feld.Es muss geklärt werden, was eine politische Lösung,zu der sich auch der russische Präsident wiederholt be-kannt hat, eigentlich bedeutet. Natürlich kann das nichthfmzrwdDnskKdszuPddndMvwsufwgsGkrtwsPF
ie illegal gegen die eigene Bevölkerung vorgehen.Weiterhin ist zu klären, welche Rolle bei der politi-chen Lösung eine glaubwürdige ökonomische und so-iale Perspektive für die tschetschenische Bevölkerungnd die ganze Region des Nordkaukasus spielt. Es warräsident Putin selber, der sich im Mai bei einer Reise inie Region davon überzeugen konnte, dass die Milliar-en Rubel, die dort investiert werden, offensichtlich garicht dort ankommen, wo sie hin sollen. Das trägt zuieser Hoffnungslosigkeit vor Ort bei.Diese Verbindung von fehlender Perspektive undenschenrechtsverletzungen rechtfertigt keine Formon Gewalt. Es ist aber wichtig zu erkennen, dass sieomöglich für dieses Nachwachsen der Gewaltbereit-chaft mit Verantwortung trägt.Ingesamt sind wir davon überzeugt: Unser Nachbarnd Partner Russland braucht jetzt viel Kraft, um dieurchtbaren Prüfungen zu bestehen und um klug undirksam zu reagieren und sich nicht in Hass- und Rache-efühlen zu verlieren. Wir sind bereit, dabei Partner zuein. Wir sind aber auch überzeugt, dass nur eine offeneesellschaft die Kraft, die dort benötigt wird, aufbringenann, eine Gesellschaft, die eine transparente Regie-ungspolitik öffentlich diskutiert. Diese Kraft, die benö-igt wird, um mit diesen Herausforderungen fertig zuerden, kann nur von einer funktionierenden Zivilge-ellschaft aufgebracht werden.
In diesem Sinne sind wir bereit, in dieser Situationartner von Russland zu sein.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt,DP-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 2004 11139
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich will mit dem ersten Teil meines Beitrages andie Worte des Kollegen Erler anknüpfen. Herr Erler, ichhabe Ihnen zugehört und stimme Ihnen zu. Ich war miraber sehr bewusst, dass diese Differenziertheit, diesermoralische Kompass beim deutschen Bundeskanzlernicht so sehr vorhanden war, als er sich zu den Wahl-vorgängen in Tschetschenien geäußert hat. Das mussmit aller Klarheit gesagt werden.
Trotz der großen Entfernung ist uns die Differenziert-heit, die ethnische Problematik, die historische Proble-matik im Kaukasus – für manchen auch aus den Ge-schichtsbüchern – völlig präsent. Aber wir haben unsnicht vorstellen können, dass die sich langsam öffnenderussische Führung und die russischen Eliten, die eigent-lich auf dem Weg waren, sich – jedenfalls zum Teil –von ihrem alten imperialen Größendenken zu verab-schieden, immer wieder eindimensional reagiert haben.Immer wieder wurde die Zentralmacht durch Terroris-mus herausgefordert. Immer wieder erfolgte dieAnwendung militärischer Gewalt. Es gab überhauptkeine multiple Annäherung an Konfliktlösungen.Natürlich hat der Bundeskanzler Recht, dass man mitdiesen Terroristen nicht verhandeln kann. Aber jedem,der – auch im befreundeten Russland – politische Füh-rungsverantwortung hat, muss klar sein, dass solche Kri-sen Inkubationszeiten haben und schon vorher Warn-signale aussenden. Man hätte sich rechtzeitig um einNetzwerk bemühen müssen, das einem vielleicht Ver-handlungssituationen gestattet hätte.Wir müssen Russland unsere ausgestreckte Hand zei-gen. Darüber gibt es keinen Streit. Aber das offene Wortdarf deshalb nicht unter den Tisch fallen. Wir wollen dieKräfte in Russland stärken – dafür gibt es im Bundestageine deutliche Mehrheit –, die sich international orientie-ren und öffnen wollen. Dazu gibt es überhaupt keine Al-ternative.Es gibt, wie der Bundesaußenminister gesagt hat,auch im „wider middle east“ keine Konfliktlösung ohneRussland. Aber Russland wird nur dann zu einem welt-weiten Beitrag fähig sein, wenn es sich öffnet, sichTransparenz gibt, nicht nur nach einem innenpolitischenReaktionsmuster verfährt und keine selektiv motiviertepolitische Justiz hat. Chodorkowski ist doch nicht dereinzige Oligarch, der gegen Gesetze verstoßen hat. Dortkommt es zu einem völligen Gleichschalten des russi-schen Fernsehens: Der eine Kanal wird in einen seichtenKanal umgewandelt, der andere mit Geldern, die ausEnergiereserven stammen, mal eben aufgekauft.Neulich schrieb ein Journalist, gegen Realpolitikwolle man ja nicht wettern. Ich wäre der Letzte, der dastäte; denn ich weiß, was außenpolitisch notwendig ist.Aber die deutsche Bundesregierung dürfte schon einbisschen klarer ihren moralischen Kompass zeigen. Daswill ich hier doch sagen.ßBFssFnsddmmirlBkmdwrmafmmDtalsEÜduüzmegwkmgGawzf
Ein völlig unbestrittener Punkt, den der Bundesau-enminister angesprochen hat, ist das transatlantischeündnis. In dieser Hinsicht braucht die Fraktion derDP gar keine Hinweise. Für uns gehört es zur Staatsrä-on der Bundesrepublik Deutschland, und das ist immero gewesen. Aber dann muss Deutschland in Europaührungsverantwortung übernehmen und darf sich nichteben oder hinter Frankreich verstecken.
Seit dem Irakkrieg gibt es einen Verlust der politi-chen Führungsfähigkeit Deutschlands. Früher war jedereutsche Bundeskanzler fähig, willens und in der Lage,as transatlantische Bündnis zu wahren, Frankreichöglichst nah dabei zu halten und in Europa zusammenit Frankreich die Motorfunktion zu übernehmen. Dasst nicht mehr in ausreichendem Maße der Fall. Aber ge-ade Deutschland ist auf eine funktionierende und hand-ungsfähige Europäische Union und auf Amerika alsündnispartner angewiesen. Daran gibt es überhaupteinen Zweifel.Wenn man einen Sitz im Sicherheitsrat anstrebt,uss man wissen, dass er reichlich unbequem ist undass man dieser Führungsverantwortung auch gerechterden muss. Die Diskussion über einen solchen Sitzeicht nicht aus; man muss dann auch dafür sorgen, dassan über die politischen Führungsfähigkeiten und vorllem über die militärisch-strategischen Fähigkeiten ver-ügt. Wir sind kein „Enfant chérie“ des Kalten Kriegesehr. Wir können in Situationen kommen, in denen wirit anderen zusammen sehr hart reagieren müssen.ann müssen wir auch gemeinsame Risiken tragen.
Aber auf vielen Feldern sind wir, was unsere interna-ionale Reaktionsfähigkeit betrifft, schon heute praktischm Ende. Ich habe mich neulich sehr von einer Mittei-ung des Bundesverteidigungsministers überraschen las-en, in der er sich spielerisch über einen militärischeninsatz in Afrika äußerte, während wir bisher – meinerberzeugung nach zu Recht – dauernd die Erklärungener Bundesregierung gehört haben, dass wir bezüglichnserer Wehrstruktur und unserer Streitkräftesituationberhaupt kein entsprechendes Volumen mehr haben.Schon bei den bisherigen Einsätzen sind wir an Gren-en angelangt; darauf will ich jetzt einmal kommen. Wir,eine Fraktion, die FDP, haben den meisten Auslands-insätzen zugestimmt. Wir wissen, dass wir gegenwärtigar keine Alternative haben, etwa auf dem Balkan. Aberir dürfen doch einmal legitimerweise, ohne in denleinkarierten innenpolitischen Schlagabtausch zu kom-en, nachfragen, was denn das bisherige politische Er-ebnis des Einsatzes deutscher Soldaten ist. Denn imrunde genommen sind wir an einem Punkt angelangt,n dem Soldaten als Politikersatz in Regionen entsandtorden sind, ohne dass durchschlagende politische Kon-epte erkennbar sind, die dort zu politischen Lösungenühren.
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Dr. Wolfgang Gerhardt
Das habe ich jetzt einmal zitiert, das sagt Ihnen und derBundesregierung Christoph Bertram von der „StiftungWissenschaft und Politik“. Sie haben doch selbst alle ge-merkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch aus denRegierungsfraktionen: Es hat ein kleiner Funke genügtund im Kosovo entzündete sich innerhalb weniger Stun-den wieder der Hass, der diese Region seit zig Jahrzehn-ten prägt.Ich will jetzt nicht über die militärische Führung re-den; man muss dem genauer nachgehen, was dort viel-leicht an strategischen Fehlern gemacht worden ist. DieKernfrage ist, ob denn während der Zeit der Stationie-rung von Militär die politischen Lösungsansätze mitKraft weiterbetrieben worden sind. Der Bundesverteidi-gungsminister hat gestern, zum ersten Mal wohl, gesagt:Na ja, „Standard vor Status“ – das wird so nicht mehr zuhalten sein. Und er hat dargelegt, dass es doch eigentlichohne Ergebnis ist, wenn man mit hohem Milliardenein-satz Dörfer wieder aufbaut – Eurozusagen pro Haus –,aber nur eine ältere Bevölkerung einzieht und man nurkleine Enklaven schützt, ohne dass sich dort mentalitäts-mäßig etwas bewegt.
Das hinterfrage ich auf Dauer und da interessiert michbei der Verlängerung von Mandaten schon, wo dennpolitisch etwas bewerkstelligt werden könnte.
Herr Bundesaußenminister, Stichwort Afghanistan;ich wiederhole meine Fragestellung an Sie. Kunduz istbisher für mich, meine Fraktion, meine Kollegen, weitereine Stecknadel im Heuhaufen. Es ist nicht die Vielzahlvon Nationen mit Provincial Reconstruction Teams undder Abdeckung und der Sicherung hinzugekommen, wiees damals erklärt worden ist.
Sie haben eine Zellteilung gemacht, gehen jetzt nochnach Faizabad. Aber andere sind nicht dabei.
Ich meine ja nicht, dass wir jetzt leichtfertigerweisesagen sollten: Wir führen das nicht weiter. Aber ich er-laube mir doch die Frage, was Sie denn am Ausgang ei-nes solchen Engagements sehen, wenn andere nicht da-zukommen. Die Bundesregierung hat am Anfangvorgetragen, wer bei Kunduz dazukommt. Das stimmtbis heute nicht. Afghanistan ist ein Riesenland, und wirhaben in der Fläche nicht ein Mindestmaß an Durchset-zung von Staatsautorität. Sie sind der Außenminister,Herr Fischer. Wenn ich es wäre, würde ich hierher tretenund dazu etwas erklären.
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ir hatten damals vorgeschlagen, einen ähnlichen Pro-ess in die Wege zu leiten, wie die KSZE bzw. der Hel-inki-Prozess es für Europa gewesen ist. Ich kann michoch sehr genau an Ihre Miene erinnern: Das war Ihnenu leicht. Ich habe der Sicherheitskonferenz in Müncheneigewohnt und hörte dann zu meinem Erstaunen einenängeren Vortrag, der diesen gedanklichen Ansatz hatte.aben Sie ihn auf der internationalen Bühne weiterver-olgt? Ist daraus etwas geworden? Was ist aus den politi-chen Ansätzen des Quartetts hinsichtlich Israel und Pa-ästina geworden? Wird dort noch ein diplomatischerruck auf beide Seiten ausgeübt? Begnügt man sich jetztit dem Abzug aus dem Gaza-Streifen? Wie sieht manm Ende die Siedlungspolitik, die auch einer Beschluss-age der Vereinten Nationen unterliegt? Wird das offenusgetauscht? Glauben Sie, mit einem solchen deutscheneitrag in der internationalen Arrondierung dort etwasit bewerkstelligen zu können? Haben Sie die Hoffnungufgegeben oder sehen Sie neue Perspektiven?Das alles interessiert ein Parlament; das ist kein in-enpolitischer Schlagabtausch. Wir haben keine Mei-ungsunterschiede darüber, dass Deutschland einen Bei-rag gegen die Unebenheiten in der Welt leisten muss.hre Bescheidenheit, dass Sie sich mit dem gegenwärti-en Status zufrieden geben, unterscheidet Sie dann dochon uns.
ch würde mich als Bundeskanzler nicht damit begnü-en, hier zu erklären, dass wir unsere Beiträge an die
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 2004 11141
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Dr. Wolfgang GerhardtVereinten Nationen zahlen, dass wir unsere Soldaten ent-senden, was wir selbst bezahlen, und dass wir in der Er-füllung internationaler Pflichten sehr korrekt sind. Nein,die deutsche Außenpolitik muss auch außenpolitischeZiele haben. Die strategischen Entwürfe müssen eineAnnäherung an diese Ziele begründen. Deshalb war mirdas, was Sie ausgedrückt haben, zu bescheiden. IhrenProblemhorizont bezogen auf „wider middle east“ habeich auch.
Wir beurteilen auch die Lage in Russland nicht unter-schiedlich. Dass wir Realpolitiker sind und dass wir dasim Laufe der deutschen Geschichte mühsam lernenmussten, unterscheidet uns nicht. Die Bescheidenheit Ih-rer Auskünfte über politische Lösungen der deutschenAußenpolitik überrascht mich aber doch. Wir sind eineder großen Volkswirtschaften der Welt und haben einstabiles demokratisches Parlament. Wenn die RegierungMandate verlängert haben will, mit denen wir deutscheSoldaten entsenden, dann muss sie uns schon mehr sa-gen. Das kann kein Politikersatz sein.
Zum Abschluss verknüpfe ich meine Ausführungennoch einmal mit dem Punkt, über den man sich streitigunterhalten kann, ob man nämlich im Sicherheitsrat ei-nen Sitz für die Europäische Union oder einen Sitz fürDeutschland anstrebt. Wir wissen auch, dass die Chartageändert werden müsste, dass bisher nur Staaten Mit-glied im Sicherheitsrat sein können und dass es auch dortVarianten gibt. Mich stört auch nicht, dass unsere italie-nischen Nachbarn sagen, dass es nicht so gut wäre, wennwir einen Sitz anstreben würden. Wenn Deutschland ei-nen Sitz anstrebt, dann muss es sich in seiner Außen-und Sicherheitspolitik auch die entsprechende Strukturund den entsprechenden Gestaltungswillen geben unddies durch Führungsverantwortung innerhalb der Gesell-schaft auch vermitteln. Wenn es das nicht tut, dann nutztdie Diskussion über einen Sitz allein nichts.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile der Kollegin Uta Zapf, SPD-Fraktion, das
Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Ich habe wirklich den Eindruck, dass wir ganz enorm an-einander vorbeireden, dass die einzelnen Debattenrednerder Opposition hier überhaupt nicht zugehört haben, wasAußenminister Fischer gesagt hat, und dass sie auch garnicht begreifen, welche enormen Beiträge der Deutschenes zur Bildung einer europäischen Außenpolitik gegebenhlvwsPhnVansdannbKUsAEBbKdGbdresbukdDsweDKJdIdb
Kollege Gerhardt, wenn Sie in Bezug auf den Kosovoon Soldaten als Politikersatz reden, dann ist das nunahrlich zu kurz gesprungen. Wenn Sie von der Be-cheidenheit der deutschen Beiträge zur internationalenolitik reden, dann blenden Sie damit aus, was gesche-en ist.
Der Herr Kollege Erler hat vorhin in einer ganz klei-en Passage seiner Rede darauf hingewiesen, welcheeränderungen es auf der europäischen Bühne in denußenpolitischen Strategien seit 1999 gegeben hat,achdem wir begriffen hatten, dass auch auf europäi-chem Boden noch Konflikte entstehen können und dassie Europäer in ihrem näheren Umfeld, aber natürlichuch international Beiträge leisten müssen. Das gipfelticht nur in der europäischen Sicherheitstrategie, die ei-en präventiven Ansatz hat, sondern auch in der Heraus-ildung der zivilen und militärischen Kapazitäten zurrisenbewältigung. Diese reichen als Beiträge für dieNO. Mit dem Zentrum für internationale Friedensein-ätze zum Beispiel haben wir entscheidende Beiträge zurusbildung solcher Kapazitäten auf internationalerbene geleistet. Es ist das ganz zentrale Verdienst derundesregierung, dass nicht nur die militärische Seiteetrachtet worden ist, sondern auch der ganze breiteontext der zivilen Konfliktlösung und Friedenskonsoli-ierung angewendet worden ist.Werfen wir doch einmal einen Blick auf den Balkan.erade auf dem Balkan ist diese Politik trotz aller Pro-leme, die in den letzten Wochen im Zusammenhang mitem Kosovo angesprochen worden sind, enorm erfolg-eich gewesen. Wir haben nämlich den Ländern Südost-uropas eine belastbare Perspektive gegeben, wonach sieich bei Demokratisierung, bei regionaler Zusammenar-eit und bei der Einlösung gewisser Standards in die EUnd in die NATO integrieren können. Das hat seine Wir-ung gezeigt. Denken Sie an Slowenien und an Kroatien,as jetzt Verhandlungen über einen EU-Beitritt beginnt.enken Sie auch an die anderen Länder, die sich in die-er Hinsicht auf den Weg gemacht haben; mal mehr, maleniger erfolgreich.Dazu gehört ebenso der Stabilitätspakt für Südost-uropa. Dieser Stabilitätspakt ist ein deutsches Kind.
ieser deutsche Vorschlag wurde wenige Tage nach demosovo-Krieg auf den Tisch gelegt. Er ist jetzt fünfahre alt. Ich glaube, die Erfolge, die damit erreicht wor-en sind, darf man in keiner Weise unterschätzen.
ch sage auch, dass die konkrete Integrationsperspektive,ie wir diesen Ländern in Thessaloniki signalisiert ha-en, ein ausschlaggebendes Moment ist.
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Uta ZapfIch komme zu einem anderen Thema, das KollegeGloser noch vertiefen wird. Die Kritik an dem, was Au-ßenminister Fischer in Bezug auf die Türkei und damitauf andere Konfliktfelder, zum Beispiel im Nahen Os-ten, unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten vorge-tragen hat, sollten Sie sich noch einmal überlegen. Auchhier haben wir im Hinblick auf die regionale Befriedungeine Erweiterungsperspektive unter sicherheitspoliti-schen Gesichtspunkten eröffnet. Ich glaube, wir müssenuns alle erneut zusammensetzen und darüber noch ein-mal nachdenken.Ich will mich jetzt der militärischen Sprache bedie-nen: Ruhig, aber nicht stabil – so möchte ich es ausdrü-cken – ist die Lage insgesamt auf dem Balkan, nachdemim Kosovo die Pogrome beendet sind. Aber wir sindnoch lange nicht über den Berg. Wir müssen noch einenHaufen Probleme anpacken.Ein ganz wichtiges Problem, das wir lösen müssen, istdas Problem Kosovo. Mir geht es nicht um den KFOR-Einsatz. Darüber werden wir anschließend noch debat-tieren. Dazu werden wir heute noch die gesetzlichenGrundlagen beschließen, die notwendig sind, um unsereKontingente der KFOR adäquat auszurüsten. Darüberhaben wir alle miteinander diskutiert. Vielmehr geht esmir um die Frage: Wie lösen wir das Kosovo-Problemangesichts ganz unterschiedlicher Probleme in der Re-gion – Serbien ist ganz entschieden für einen Verbleibdes Kosovo – und angesichts der Resolution 1244 desUN-Sicherheitsrates?Die FDP hat eine Europäisierung in Form eines euro-päischen Treuhandgebietes vorgeschlagen: also UN rausund EU rein. Aber das reicht nicht. Ich habe bedauert,Kollege Stinner, dass Sie damals im Ausschuss nicht be-reit waren, Ihren Antrag zurückzustellen, damit wir ihnnoch einmal gemeinsam beraten können.Aber es wird wahrscheinlich ein Stückchen helfen,wenn wir uns den Bericht des Sonderbeauftragen desUN-Generalsekretärs, Kai Eide, ansehen. Dort sind un-terhalb der Schwelle der Resolution 1244 jede Mengesehr positive und wichtige Vorschläge gemacht, um denKonflikt vor Ort zu beeinflussen. Der Konflikt ist nichtnur aufgrund der ethnischen Probleme eskaliert, sondernauch deshalb, weil sich UNMIK und die provisorischeRegierung gegenseitig enorme Vorwürfe gemacht haben.Die einen haben gesagt: Ihr tretet auf wie die Kolonial-herren. Bei den anderen hieß es: Ihr könnt es nicht.Beides stimmt natürlich nicht ganz, aber Kai Eide hatdarauf hingewiesen, dass gerade bei den Strukturen vonUNMIK ein Bedarf besteht und dass wir an die proviso-rische Regierung mehr Verantwortung übergeben müs-sen, als das bisher gelungen ist. Umgekehrt übernimmtsie damit mehr Verantwortung für die Umsetzung derGesetzgebung, die die Statusregelungen betrifft. Dashilft uns aber alles nicht, wenn wir nicht tatsächlich eineStatusperspektive aussprechen.
Die Mehrheit der Bevölkerung im Kosovo will Unab-hängigkeit, Unabhängigkeit und noch mal Unabhängig-kEsSlzgdwgwKjshuPwd„nsnaBwgzGtüdDeurhtwbwhn
as haben jetzt klugerweise endlich, obwohl sie vorhertwas anderes gesagt haben, auch die Kollegen Schmidtnd Struck gesagt. Es läuft doch auf eine Parallelisie-ung der Vorgänge hinaus. Man muss signalisieren – dasaben einige auch schon getan –, dass es nicht beim Sta-us quo ante und auch nicht beim Status quo bleibenird. Es wird auch kein europäisches Treuhandgebietleiben, sondern am Ende wird – das ist meine Meinung,eil es gar nicht anders geht – die kosovarische Unab-ängigkeit, die Souveränität stehen. Ein solch souverä-er Staat wird dann in die europäischen Strukturen ein-
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Uta Zapfgegliedert werden; das ist auch in unserem europäischenInteresse, Herr Stinner. Ich glaube, dass Ihr Antrag die-sem Bedürfnis nicht ganz gerecht wird. Aber ich nehmean, dass wir weiter darüber diskutieren werden und viel-leicht auch parlamentarisch zu einer Lösung kommen.
Ich möchte in den zwei Minuten Redezeit, die mirbleiben, noch auf ein paar Probleme eingehen, die auchmit der Übergabe von mehr Verantwortung zu tun ha-ben. Ein wichtiges Problem muss sehr schnell angegan-gen werden, das Problem der wirtschaftlichen Entwick-lung im Kosovo. Armut und zurückgehendes Wachstumim Kosovo haben natürlich zur Frustration und zu denAusbrüchen beigetragen. Die Arbeitslosigkeit ist imletzten Jahr um 10 Prozent gestiegen. Bei den 25-Jähri-gen liegt die Arbeitslosigkeit bei 71 Prozent und mehrals 50 Prozent der Arbeitslosen sind schlecht ausgebildetoder haben keine Ausbildung.Natürlich muss auch das Verhältnis zwischen derUNMIK-Verwaltung und der provisorischen Regie-rung schnell verbessert werden, damit die merkwürdi-gen gegenseitigen Schuldweisungen aufhören. Dasheißt, es ist mehr Koordination gefordert. Hier könntedie Europäische Union sehr schnell eine Rolle überneh-men. Herr Preuß, der Rugova berät, hat dazu sehr weiseVorschläge gemacht. Im Übrigen ist am 1. Septemberein Büro eröffnet worden, mit dem die EuropäischeUnion endlich besser präsent ist. Ich glaube, dassPillar IV jetzt schon ganz in die europäische Verantwor-tung übergehen könnte. Es wäre eine weise Entschei-dung, wenn der wirtschaftliche Aufbau nicht nur von derEuropäischen Union finanziert, sondern auch verwal-tungsmäßig verantwortet würde.
Wir müssen also von der UNMIK weg. Das können wirganz schnell machen.Lassen Sie mich zuletzt auf die gesamten Probleme inder Region eingehen. Ich mache mir große Sorgen überdas jetzt von der albanischen wie der mazedonischenOpposition angestiftete Referendum in Mazedonien.Dort sind 180 000 Unterschriften gesammelt worden.Wenn dieses Referendum Erfolg hätte, dann würde esein schönes Beispiel von gelungener Politik sehr in Ge-fahr bringen, weil dann das Ohrid-Abkommen nichtmehr so umgesetzt werden könnte, wie es beschlossenworden ist. Dann würden in diesem Bereich Konflikteaufbrechen. Diese Konflikte würden nicht ohne Auswir-kung auf den Rest der Region bleiben.Lassen Sie uns alle daran mitwirken, dass wir dort,wo es noch Schwierigkeiten gibt, als Deutsche, Europäerund Parlamentarier diejenigen Kräfte ermutigen, die denProzess der Europäisierung mit uns gehen wollen. Dasist in unserem eigenen Interesse.Danke sehr.
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ondern er ist auch ein Spalter innerhalb der Euro-äischen Union.
chauen Sie sich die letzten zwei, nicht einmal die letz-en sechs Jahre an! Ich nenne die Stichworte „deutscheronderweg Irak“, „Italien“,
Österreich“ und erinnere daran, wie diese Bundesregie-ung im Ministerrat mit den Kleinen umspringt. Deshalb
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Dr. Gerd Müllerstelle ich fest: Dieser Außenminister spaltet Europa. Dasist der zweite gravierende Fehler.
Um die große Herausforderung zu bestehen, die in derBekämpfung des internationalen Terrorismus liegt, kön-nen und müssen wir, Amerikaner und Europäer, gemein-sam mit Russland und der Weltvölkergemeinschaft einegemeinsame Strategie verfolgen.
Die Spalterrolle und die Minusbilanz zeigen sich bei-spielsweise auch in der Frage nach der Substanz des Ent-wurfs einer europäischen Verfassung. Wir müssten mitdiesem Entwurf auch in der Außen- und Sicherheitspoli-tik einen Quantensprung nach vorne machen. DenkenSie an das klägliche Bild der Europäer bei ihrer Stellung-nahme zum Iran in den letzten zwei Tagen! Notwendigwäre eine Vergemeinschaftung der Außen- und Sicher-heitspolitik über den Verfassungsentwurf. Aber dies istuns nicht gelungen, weil dieser Außenminister Europanicht zusammenführen kann. Wir alle zahlen einen ho-hen Preis dafür.
Die Freundschaft mit Russland ist wichtig; darauf hatHerr Schäuble hingewiesen. Wir sehen ein Problem da-rin – dass zeigt die Bewertung der Tschetschenien-wahl –, wie der Bundeskanzler darüber denkt. HerrErler, Sie haben mit großer Ruhe, aber in aller Klarheitdie Einbettung des Terrorismusproblems in die politi-sche und historische Entwicklung dieser Region darge-legt. Dem kann ich zustimmen. Was wir aber an dieserStelle einfordern, ist, in der Bewertung der Frage derMenschenrechte keine unterschiedlichen Maßstäbe andie Amerikaner und an die Russen anzulegen. Was fürBush gilt, muss auch für Putin gelten. Es geht nicht an,sich auf einem Auge blind zu stellen. Ohne Reagan, dervor wenigen Wochen gestorben ist, und ohne Bushsenior, die den Mut aufgebracht haben, in schwierigenZeiten, als das Brandenburger Tor noch geschlossen war,den Sowjets zu sagen: „Die Mauer muss weg! Wir sehendie Menschenrechtsverletzungen und bestehen auf derWiedervereinigung“, würde es die Mauer heute noch ge-ben. Ohne Bushs Vater, Ronald Reagan und den Mut derAmerikaner wäre die Mauer bis heute nicht geöffnetworden.
Ich frage mich, wo unser grüner Außenminister fürdie Menschenrechte, die Rechtsstaatlichkeit und dieweltweite Einhaltung des Völkerrechts – nicht nur inTschetschenien, in Russland und in China – eintritt.
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Seine politischen Erfolge sind bescheiden. Dieser Au-enminister hat hohe Analysekapazitäten, aber zu derrage, wie Probleme gelöst werden können, hat er – da-auf hat Herr Gerhardt hingewiesen – nicht allzu viel zuieten.
ch nenne als Beispiel den Kosovo und schließe michem an, was Minister Struck angemahnt hat: die feh-ende Konzeption.Ein weiteres Beispiel ist Afghanistan. Die „Frankfur-er Rundschau“ hat dieser Tage getitelt: „Bundeswehrchützt vor allem sich selbst“. In Afghanistan ist eineekordernte von Opium zu verzeichnen. Zwei Dritteles Heroinaufkommens in Deutschland und Europatammen aus afghanischen Quellen.Damit Klarheit besteht, Herr Fischer: Sie haben dierage der Mandatsverlängerung angesprochen. Aufie Opposition konnten Sie sich trotz der Entwicklungs-robleme und des mangelnden Erfolges immer verlas-en, obwohl Sie zu Beginn des Mandats in Afghanistanier ausgeführt haben, dass sich das Mandat nur auf Ka-ul erstreckt. Inzwischen sind wir nicht nur in Kabul,ondern auch in Kunduz engagiert. Die Opposition hatem nach reiflicher Prüfung zugestimmt. Wir werdener Verlängerung dieses Mandats auch weiterhin zustim-en. Aber wir dürfen doch wohl noch Fragen nach derirkung und dem politischen Erfolg stellen, wenn deut-che Soldaten ihr Leben im Ausland aufs Spiel setzen.Wir sagen Ja zu Kabul und „Ja, aber“ zu Kunduz. Wasaizabad angeht, bitte ich Sie, zunächst in der Bundes-egierung abzuklären, ob der Verteidigungsminister undie Entwicklungshilfeministerin Ihren Vorstoß mittra-en. Wo bleibt das internationale Konzept bzw. die inter-ationale Einbettung?
rau Wieczorek-Zeul sagt – zu Recht –: Es wird keineiederaufbauprojekte in Faizabad geben. Wenn das zu-rifft, dann stimmt Ihre Argumentation nicht, dass wirorthin deutsche Soldaten zum Schutz von Wiederauf-auprojekten schicken müssen. Klären Sie dies einmalnnerhalb der Bundesregierung! Wir müssen auf jedenall den deutschen Soldaten jeden Einsatz und jedeninsatzort logisch begründen. Kein Einsatz darf wir-ungslos sein.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Erler?
Ja.
Bitte, Herr Erler.
Herr Kollege Müller, ich frage Sie, ob Sie bereit sind,
zur Kenntnis zu nehmen, dass es im Augenblick in der
Region Badakshan, in der das PRT Faizabad eingerichtet
werden soll, Aufbauprojekte von folgenden Organisa-
tionen gibt: UNICEF, UN Office for Project Service, UN
World Food Programme, Weltgesundheitsorganisation,
FAO, UNFPA, UNHCR. Außerdem gibt es dort Aufbau-
projekte von folgenden NGOs: Medair, Afghan Aid,
Child Fund AFG, Concern worldwide, Focus Humanita-
rian Assistance, Mission East, Medical Emergency
Relief Intern., Norwegian Afghan Committee, Oxfam,
Swedish Committee for AFG, Shelter for Life. Wie kom-
men Sie dazu, hier öffentlich zu behaupten, es gebe
keine Aufbauprojekte in dieser Region?
Herr Kollege Erler, ich nehme dies mit großer Freudezur Kenntnis. Wir unterstützen diese Organisationen undbewundern ihren Mut, dort tätig zu werden. Aber ichhabe auf die Frage abgestellt, welchen Beitrag die deut-sche Bundesregierung leisten soll. VerteidigungsministerStruck und Außenminister Fischer begründen die Aus-weitung des Mandats mit dem Schutz der zivilen Auf-bauteams, die dort tätig werden sollen. Entwicklungsmi-nisterin Wieczorek-Zeul sagt dagegen, dass es dort keinedurch die Bundesregierung finanzierten zivilen Aufbau-helfer geben wird. Wenn das zutrifft, muss man keinezusätzlichen Soldaten dorthin schicken.Alle Organisationen, die Sie aufgezählt haben, sinddort ohne den Schutz der Bundeswehr tätig. Wir habenvor wenigen Wochen mit Vertretern einiger dieser Orga-nisationen Gespräche geführt. Sie haben schon bei derAusweitung des Mandats auf Kunduz davor gewarnt, dieBundeswehr in diese Region zu schicken; denn sie füh-len sich durch die Bundeswehrsoldaten nicht geschützt,sondern eher gefährdet. Der Schutz der zivilen Wieder-aufbauteams kann also nicht als Begründung dienen. DerAußenminister muss dem Parlament also eine andereBegründung darlegen.
Ich glaube, dass ich meinen Standpunkt sehr deutlichdargelegt habe. Sie sehen jetzt sicherlich ein, dass Sie inIhren eigenen Reihen, in der Bundesregierung und in derFraktion, großen Gesprächs- und Klärungsbedarf haben.Stichwort „Türkei“: Ohne den EU-Beitritt derTürkei werde es gefährlich, sagen Sie, Herr Außen-minister, dieser Tage in einem Interview. Ich zitiere Sie:Eine europäische Türkei ist für den Kampf gegenden Terror unverzichtbar.IrbTgrTBEEhSEgvdmubsdwLramnBHdh2B–7tdtDduW
Ihre Argumentation lautet: Die Türkei sollte Mitglieder EU werden, damit die Terrorbekämpfung verbesserterden kann; sonst wird es gefährlich. Wenn man dieserogik folgt, dann müssen wir die EU auf weitere Krisen-egionen ausdehnen und – dem steht nichts entgegen –uch Israel, Serbien, den Kosovo, die Ukraine und Ar-enien in die EU aufnehmen. Ihr Argument für die Auf-ahme der Türkei in die EU gilt natürlich auch für dieehandlung von Folgeanträgen.Außenpolitik ist in Deutschland auch Standortpolitik.err Volmer, ich möchte auf den modernen Sklavenhan-el, den Sie zu verantworten haben, nicht näher einge-en.
003 wurden vom deutschen Außenminister über dieotschaften in Osteuropa
nun hören Sie einmal zu! –
65 000 Einreisevisa an Osteuropäer erteilt. Damit be-reiben Sie gezielt modernen Sklavenhandel und Sie för-ern Schwarzarbeit, Frauenhandel und Kinderprostitu-ion.
ie Zahlen für das erste Halbjahr 2004 bestätigen leideriese Entwicklung: 389 000 Visa wurden in der Ukrainend in deutschen Botschaften anderer Länder erteilt.as tut dieser Außenminister, um den Vorgaben seines
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Dr. Gerd MüllerInnenministers Schily in dieser Frage nachzukommen?Keine Antwort auf diese und auf viele anderen Fragen.Ich fasse zusammen: Deutsche Außenpolitik hatkeine Vision, verleugnet unsere Werte, bezieht keine Po-sition und zerstört das Vertrauen in Deutschland als ver-lässlichen Partner. Sie, Herr Außenminister, haben deut-schen Interessen schweren Schaden zugefügt.
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Friedenshoffnungen am Ende des Kalten Kriegessind abgekühlt. Seit Jahren beobachten wir eine Renais-sance des Militärischen. Wir beobachten sie nicht nur,sondern wir stellen auch fest: Die Bundesrepublik hatdabei einen aktiven Part. Dafür spricht auch der vorlie-gende Haushalt. Deshalb lehnt die PDS im Bundestagdiesen Haushalt ab.
Ich bin nun seit sechs Jahren Mitglied des Bundesta-ges. In dieser Zeit musste ich 30-mal über Auslandsein-sätze der Bundeswehr abstimmen. Ich habe 30-mal mitNein gestimmt. Aber das ist nicht das Entscheidende.Entscheidend ist, dass Auslandseinsätze der Bundeswehrunter Rot-Grün von der Ausnahme zur Regel gewordensind. Diese gefährliche Tendenz ist Konzept und sie wirddurch den vorliegenden Entwurf der EU-Verfassung so-gar noch forciert; denn statt einer Friedens- und Abrüs-tungspflicht enthält sie genau das Gegenteil. Bundes-außenminister Fischer hat im Frühjahr in einer Debattehier dazu bemerkt, dass das auch gut so sei. Ich finde,das ist schlecht. Im Übrigen finden wir diesen Teil desVerfassungsentwurfes auch nicht richtig.
Möglicherweise fürchtet Rot-Grün auch deshalb einPlebiszit zur EU-Verfassung. Jedenfalls haben SPDund Grüne bisher nur taktiert. Mit der CDU/CSU habensie dann paktiert, wenn es darum ging, Volksabstimmun-gen zu verhindern.
Wir schlagen – wie übrigens 80 Prozent der Bevölke-rung – mehr Demokratie vor und wir wollen eine Volks-abstimmung über die EU-Verfassung am 8. Mai desJahres 2005.BNeFstRRbsT–hüdCwaDwSGdKGhWnhsfuGmasgdUgs
Seit über 14 Jahren kämpfen die Bürgerinnen undürger in der Kyritz-Ruppiner Heide gegen die erneuteutzung des so genannten Bombodroms. Sie wollenine friedliche, zivile Zukunft ihrer Region. Dies ist eineorderung, die nun, da in Brandenburg Wahlkampf ist,elbst Ministerpräsident Platzeck, SPD, und Innenminis-er Schönbohm, CDU, hochhalten. Ich finde, sie habenecht; denn ein Bombenübungsplatz wäre ein herberückschlag für die Länder Brandenburg, Mecklen-urg-Vorpommern und Berlin und er wäre ein Rück-chlag für die Menschen, für die Wirtschaft und für denourismus.
Da der Außenminister hier gerade „Wie war es frü-er?“ fragt: Ich habe mit Absicht die Formulierung „seitber 14 Jahren“ gewählt. Ja, die Bürgerinnen und Bürgerieser Region haben sich auch zu DDR-Zeiten – ohnehance auf Erfolg, das gebe ich gerne zu – dagegen ge-ehrt, dass dort Bomben von der sowjetischen Armeebgeworfen werden.
as legitimiert aber nicht, dass Sie diesen Platz heuteeiter nutzen.Liebe Kolleginnen und Kollegen der grünen Fraktion,ie hätten einen Beitrag gegen Populismus und für mehrlaubwürdigkeit Ihrer Politik leisten können, wenn Sieen in der Prignitzer Presse von Ihren wahlkämpfendenollegen angekündigten einstimmig verabschiedetenruppenantrag Ihrer Fraktion gegen das Bombodromeute auf den Tisch gelegt hätten.
ir hätten zugestimmt. Abgesehen davon hätten Sie ei-en Konstruktionsfehler dieses Haushalts ein wenig ge-eilt. Sie hätten nämlich die Proportionen ein wenig ver-choben. Schauen Sie sich einmal an, wie wenig Geldür Friedens- und Konfliktforschung, für Konversionnd Entwicklungshilfe Sie im Vergleich zu dem vieleneld für Rüstung und Aufrüstung eingestellt haben!Abschließend ein Wort zu einem Thema dieses Som-ers. Die USA wollen Streitkräfte aus Europa und damituch aus der Bundesrepublik abziehen. Kaum verkündet,etzte, von CDU/CSU bis Bündnis 90/Die Grünen, einroßes Barmen ein. Die PDS im Bundestag bewegt beiiesem Thema etwas ganz anderes, nämlich dass dieS-Armee bei ihrem Abzug nicht ihre Atomwaffen ver-essen sollte, die noch in der Bundesrepublik stationiertind und endlich abzurüsten sind.
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Petra PauDa frage ich mich: Wo bleibt da die friedenstiftende In-tervention des Bundesaußenministers?
Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LieberKollege Gerhardt, als Sie hier gesprochen haben, habeich mich gefragt, wo denn Ihre Antworten bleiben, wodenn Ihre Darlegungen dazu bleiben, an welchen Punk-ten Sie vor dem Deutschen Bundestag eine andere Auf-fassung präsentieren als die Bundesregierung und die sietragenden Fraktionen. Dazu habe ich nichts gehört.
Wenn schon über Alternativen gesprochen wird, lie-ber Herr Kollege Gerhardt, dann kann man auch einmalfragen: Wie hat sich denn die FDP verhalten, als es umdas Mandat zu Kunduz ging?
Vielleicht könnten Sie die Einladung des Verteidigungs-ministers annehmen, um sich einmal vor Ort darüberkundig zu machen,
dass der Einsatz in Kunduz eben nicht allein von derBundeswehr, sondern gemeinsam mit insgesamt sechsanderen nationalen Armeen getragen wird.Sie haben hier etwas verbreitet,
von dem Sie offensichtlich – jedenfalls hat sich das soangehört – keinen blassen Schimmer haben.
Es wäre klug, wenn sich jemand, der Außenministerwerden will, wenigstens einmal in der Sache kundig ma-chen würde.
Ich nehme gern einen anderen Punkt auf, der durch-aus berechtigt ist. Aber auch da gibt es eine klare Ant-wort. Sie haben danach gefragt, was denn das politischeEntwdczDbdEtedotesG–ekdgbKeteHUTsgntesrdrbdgdJtusegOw
ass sich in Afghanistan ein Klima des Anstands und desffenen Wettbewerbs ausbreitet – ist die Bundeswehr be-iligt, in Kunduz und demnächst auch in Faizabad. Bittetellen Sie das hier nicht infrage, lieber Kollegeerhardt.
Dann müssen Sie hier sehr präzise darlegen, was dennigentlich der Grund Ihrer Kritik ist. Das war nicht zu er-ennen.Dem, was Sie gesagt haben, kann ich in einem Punkturchaus zustimmen. Ich konnte entnehmen, dass wiranz nahe beieinander liegende Einschätzungen dazu ha-en, was in Beslan geschehen ist, und das ist gut so.inder wollten am 1. September ihren eigenen Weg inine andere, in eine bessere Zukunft gehen. Eltern woll-n sie dabei begleiten. Terroristen aber ermordeten dieoffnung auf ein anderes, auf ein besseres Leben. Dasngeheuerliche dabei ist: Diese Terroristen haben einabu gebrochen. Kindern sollte die Chance auf einelbstbestimmtes Leben geraubt werden. Das ist ein un-eheuerlicher Tabubruch, den diese Terroristen unter-ommen haben. Die Frage, ob man mit diesen Terroris-n einen politischen Prozess beginnen kann, erledigtich nach diesen Geschehnissen von selbst, weil die Ter-oristen diese Chance selbst zerstört haben.Wenn darüber Konsens besteht, dann bleibt nur nochie Frage, wie denn die russische Gesellschaft und dieussische Politik diese ungeheuerlichen Schläge verar-eiten kann. Ich glaube, eine direkte und innere Verbin-ung dazu ergibt sich aus den Zwischentönen, die manestern in den Stellungnahmen von dem einen oder an-eren Moskauer Journalisten hören konnte. So hat derournalist Solowjew an diesem Punkte von Verantwor-ng gesprochen. Ich glaube, dass die russische Gesell-chaft vor dem Problem steht, wie sie mit dem, was vomrsten großrussischen Imperium übrig geblieben ist, um-ehen soll. Tschetschenien und andere Regionen sind japfer dieses großrussischen imperialen Denkens ge-esen. Leo Tolstoi hat in seinem Roman „Hadschi
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Gert Weisskirchen
Murat“ mit folgenden Worten die offenen Wunden be-schrieben, die das russische Imperium den Tschetsche-nen zugefügt hat:Das Gefühl, das alle Tschetschenen vom Jüngstenbis zum Ältesten, ihnen– den Russen –gegenüber empfunden haben, war stärker als Hass.Nicht Hass, schreibt er weiter, sondern einsolcher Abscheu und Ekel, ein so fassungsloses Er-staunen über die sinnlose Grausamkeithabe sie erfasst. Das war vor 100 Jahren. Danach folgtestalinscher Terror, der auch diese Region noch einmalschlimm erfasste. Die Wunden, die er den Menschen zu-gefügt hat, schmerzen bis heute.Ich glaube, dass wir vielleicht in einem Dialog mitden Menschen in Russland und übrigens auch in einemDialog mit Tschetschenen, die bei uns, beispielsweiseauch hier in Berlin, leben, den Kreislauf der Gewalt end-lich durchbrechen können. Dazu hat heute in der „Süd-deutschen Zeitung“ der stellvertretende Sozialministerunter Maschadow ausdrücklich gesagt: Ja, al-Qaidaspielt eine Rolle in diesem Terrorkampf. Vielleichtkönnte ein neuer Prozess beginnen, wenn Maschadownoch einmal das Wort erhebt und zu einem einseitigenWaffenstillstand derjenigen, die er vielleicht noch beein-flussen kann, aufruft.In diesem Zusammenhang, Herr Gerhardt, den Bun-deskanzler zu ermahnen, offene Worte zu sprechen bzw.,so haben Sie es formuliert, ein offenes Wort nicht unterden Tisch fallen zu lassen, ist nicht opportun. Ich bin fel-senfest davon überzeugt, dass der Bundeskanzler ein of-fenes Wort zu Putin gesprochen hat.
Ich bin felsenfest davon überzeugt. Aber ob dies ein öf-fentliches Wort sein muss, das ist eine Frage, die jederfür sich,
Kollege Gerhardt, beantworten kann. Könnte es dennnicht sein,
dass dann, wenn wir jetzt öffentliche Schuldzuweisun-gen aussprechen würden, jener schmerzhafte Lernpro-zess, in dem sich die russische Gesellschaft im Momentbefindet, gestoppt würde und die Sprache der Gewaltund des Hasses neue Nahrung finden könnte? Das müs-sen wir doch verhindern, liebe Kolleginnen und Kolle-gen.
Sie, Herr Kollege Gerhardt, haben ja von Moralität ge-sprochen. Ich halte fest, dass dies eine moralische Frageist.ltSgkgktsclmJitlyu–rwkyMmgrgMdreeWghNuFmwww
Herr Gerhardt, ich möchte einen letzten Punkt anspre-hen, den auch Sie aufgegriffen haben. Ich bitte den Kol-egen Müller, auch wenn er nicht mehr da ist, noch ein-al ein klein wenig nachzudenken und den Aufsatz vonohn B. Judis zu lesen, der im Juli/August dieses Jahresn „Foreign Policy“ erschienen ist. Er beschreibt dort un-er der Überschrift „Imperial Amnesia“, was das eigent-iche Problem der USA gegenwärtig ist. Francis Fuku-ama hat das in „The National Interest“ deutlichnterstrichen.
Ja; man sollte durchaus zur Kenntnis nehmen, dass ge-ade in den USA eine öffentliche, harte Debatte geführtird, von der wir eine ganze Menge Positives lernenönnen.John B. Judis hat sehr klar gesagt und Francis Fuku-ama hat es unterstrichen: Macht schöpft nicht allein ausacht. Die zentrale Frage, die sich die USA stellenuss, dreht sich um Legitimation. Legitimation ist aberenau das, was die Bundesregierung im Weltsicherheits-at angemahnt hat. Es darf kein unilaterales Verhalteneben, schon gar nicht von der allerstärksten Macht, dieoralität und Normen auf sich zieht; wir hoffen, dassie USA das auch künftig tun werden.
Wer an diesem Punkt die Stimme gegen die Bundes-egierung erhebt, der sieht nicht, dass sich die USAbenso wie Russland, wie wir eben festgestellt haben, ininem tiefen Verständigungsprozess befinden. Ob dereg des Imperiums, den die europäischen Mächte ge-angen sind und der zu einem furchtbaren Ende geführtat, der richtige ist, darüber gibt es in den USA ein tiefesachdenken. Legitimation ist die zentrale Kategorie fürnsere künftige außenpolitische Arbeit, weil nur so dierage beantwortet werden kann, ob Frieden künftigöglich sein wird. Frieden kann nur möglich werden,enn Legitimationsfragen öffentlich und offen debattierterden und nicht unilaterales Handeln die einzige Ant-ort in dieser Welt bleibt.
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Das Wort hat der Kollege Michael Stübgen, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Kollege Weisskirchen, nur eine kurze Re-aktion auf Ihre Rede. Ich glaube, wir sind uns überhauptnicht uneinig in der Frage, dass in der Situation, in dersich Russland befindet, natürlich sehr vorsichtig mit öf-fentlichen Äußerungen und öffentlicher Kritik gegen-über Russland umgegangen werden muss. Dies ist aberweder vom Kollegen Gerhardt noch von unserer Frak-tion kritisiert worden.Ich will kurz erklären, welchen Punkt wir kritisierthaben. Ich hätte großes Verständnis dafür gehabt, wennBundeskanzler Schröder das Thema der Wahlen um-schifft und sich nicht dazu geäußert hätte. Das Problemwar aber, dass er im Gegensatz zur Feststellung der Eu-ropäischen Union öffentlich erklärt hat, dass die Wahlennach seiner Einschätzung völlig korrekt verlaufen seien.
Das haben wir kritisiert und diesen Punkt haben Sie auchnicht widerlegt. Das wollte ich nur kurz darstellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchtejetzt etwas Ungewöhnliches tun, nämlich in der Haus-haltsberatung einige Bemerkungen zum Haushalt ma-chen.
Ich glaube, das ist gerade mit Blick auf die Europapolitikder Bundesregierung absolut notwendig. Wir haben injedem Jahr Haushaltsberatungen in diesem Haus und injedem Jahr findet in diesen Haushaltsberatungen einekritische Auseinandersetzung zwischen Koalition undOpposition über grundsätzliche aktuelle politische Fra-gen und Haushaltsthemen statt. Dieses Ritual gibt es, so-lange es die Bundesrepublik Deutschland gibt, und dasist für das demokratische Wesen unseres Landes sehrwichtig.Seit einigen Jahren – genauer: seit drei Jahren – gibtes hier aber eine grundlegende Veränderung. Denn seitdieser Zeit legt das Bundesfinanzministerium dem Bun-destag Haushaltsentwürfe vor, die nicht einmal ansatz-weise der finanzpolitischen Realität unseres Landes ent-sprechen. Das Vorlegen der Bundeshaushalte durch denBundesfinanzminister Eichel verkommt mehr und mehrzu einer Märchenstunde.Auch der Haushaltsentwurf 2005 entpuppt sich schonbeim zweiten Hinsehen als ein Haushalt, der weder dieVorgaben unserer Verfassung noch die Vorgaben der ent-sprechenden europäischen Regelungen erfüllt. Schonlängst hat die Bundesregierung mit ihrer Haushalts- undFinanzpolitik das Vertrauen der Bevölkerung fast gänz-lich verspielt. Dies zeigt exemplarisch eine Umfrage, diegAvNgBDwVtwsnlggdnhdmddEdsddtdriklndpwMWg2wdDsgdsBltm
iese Entwicklung war seit Jahren abzusehen. Immerieder behauptete Eichel, dass wir im nächsten Jahr dieorgaben des europäischen Stabilitäts- und Wachs-umspaktes erfüllen werden. Immer wieder ist schonenige Monate später das Gegenteil Realität. Diese de-aströse deutsche Haushalts- und Finanzpolitik wirdicht mehr nur von der deutschen Bevölkerung abge-ehnt. Sie zeigt schon längst katastrophale Auswirkun-en auf der europäischen Ebene. Denn auch in Europalaubt mittlerweile keiner mehr an die Seriosität dereutschen Finanzpolitik. Die eigentliche Ursache liegticht, wie die Bundesregierung immer versucht zu be-aupten, in den im Bereich der Wirtschaftspolitik under globalen Entwicklung objektiv vorhandenen Proble-en. Die eigentliche Ursache für dieses Misstrauen undiesen Vertrauensverlust liegt in der Art und Weise, wieiese Bundesregierung und insbesondere Hans Eichel inuropa in Finanzfragen ausschließlich taktiert, ohneass echte Konsolidierungsanstrengungen vorhandenind.Der vorliegende Bundeshaushalt ist ein klarer Belegafür. Die Nettokreditaufnahme wird mit 22 Milliar-en Euro angegeben. Das Haushaltsdefizit beträgt aberatsächlich mehr als 37 Milliarden Euro. Ein großer Teilieses Defizits soll durch Sondererlöse und Privatisie-ungen gedeckt werden. Abgesehen davon, dass unklarst, ob diese Sondererlöse überhaupt realisiert werdenönnen – da muss man sehr kritisch sein –, sind diese Er-öse für die Defizitberechnung der Europäischen Unionach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht relevant.Bei einem Haushaltsdefizit von ungefähr 37 Milliar-en Euro – auch das werden wir nur erreichen, wenn dieositiven Annahmen im Haushaltsentwurf zutreffen –erden wir auch im nächsten Jahr – das ist das vierteal in Folge – das 3-Prozent-Kriterium überschreiten.ider besseres Wissen behauptet Hans Eichel das Ge-enteil. Diese Show hat mittlerweile Tradition. Schon002 wurde Eichel vor der Bundestagswahl nicht müde,ider besseres Wissen zu behaupten, dass Deutschlandie Maastricht-Kriterien im Jahr 2002 erfüllen werde.ie gegenteilige und richtige Auffassung der Europäi-chen Kommission versuchte er zu unterdrücken. Dasing bis zu dem geradezu surrealistischen Theater, dasser so genannte blaue Brief an Deutschland nicht abge-chickt wurde, sondern in Brüssel verblieb. Nach derundestagswahl kam das wahre Ausmaß der finanziel-en Belastung ans Licht. Aber 2003 sollte das Defizitkri-erium eingehalten werden. Die Hürde wurde allerdingsit fast 4 Prozent wieder gerissen.
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Michael StübgenIm Haushaltsentwurf 2004 gab es dasselbe Spiel. Eswar entlarvend, was der Finanzminister im Finanzminis-terrat im November des vorigen Jahres getan hat. Er ver-suchte nämlich – das belegt, dass er seinen eigenen Zah-len nicht geglaubt hat –, durch einen Mehrheitsbeschlussdas Defizitverfahren gegen Deutschland auszusetzen.Der Europäische Gerichtshof hat im Juli dieses Jahresdiese Handlungsweise als nicht vertragskonform be-zeichnet und den Beschluss aufgehoben. Jetzt setztEichel seine letzte Hoffnung in eine Modifizierung desStabilitäts- und Wachstumspaktes und meint, damitdurchkommen zu können. Das wird der Bundesregie-rung aber nicht gelingen.Denn abgesehen davon, wie wir hier im Bundestagdie Vorschläge zur Modifizierung des Wachstumspakteseinschätzen – da haben wir unterschiedliche Auffassun-gen; das werden wir mit Sicherheit noch debattieren –,und abgesehen davon, ob sich durch eine Modifizierungdieses Vertrages Auswirkungen auf das Defizitverfahrenergeben, bleibt die alles entscheidende Tatsache die-selbe: Die Bundesregierung hat in den letzten Jahrenkeine echten Konsolidierungsbemühungen unternom-men. Jahr um Jahr ist das aktuelle Defizit deutlich höherals das geplante. Jahr um Jahr überschreitet Deutschlanddie Defizitgrenze von 3 Prozent. Das strukturelle Defizitdes Bundes liegt mittlerweile bei fast 40 MilliardenEuro. Damit kommen wir weder im nächsten noch imübernächsten Jahr aus der Defizitfalle heraus. Nein, wirwerden zusätzlich in den nächsten Jahren die Gesamt-verschuldungsgrenze von 60 Prozent des Bruttoinlands-produkts überschreiten.Es gibt eine einzige Möglichkeit, diesem Teufelskreiszu entkommen. Dies ist eine langfristig angelegte, echteKonsolidierungspolitik des Bundes. Der vorliegendeHaushaltsentwurf taugt dazu in gar keiner Weise.
Notwendig ist eine grundsätzliche Überarbeitung. Wirals Opposition werden uns dem nicht verschließen. Nein,wir selber werden im Zuge der Haushaltsberatung Kon-solidierungsanträge stellen.
Dies ist für eine Opposition ungewöhnlich genug. AberSie, die Koalition und die Regierung, müssen dazu bereitsein.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Günter Gloser, SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Zwei Kollegen der Christlich-Sozialen Unionhaben heute in negativer Weise Referenzreden gehalten.Das begann schon am Morgen mit Michael Glos. HerrKollege Dr. Müller, Sie sind ja nun wieder anwesend:Ich kann manche der Ausführungen, die Sie heute ge-mnSwonwdwWtgAuspsGlhelsvBEdmbedmfEvkStsbsddssa
ie haben bei Ihrem Einstieg in die Debatte gesagt, Sieollten eine Bilanz dieser Debatte ziehen,
bwohl nach Ihnen noch ein paar Rednerinnen und Red-er gesprochen haben. Da Sie dem Außenminister vor-erfen, er sei ein Spalter, muss ich angesichts der Bilanzer Außenpolitik der letzten Jahre wirklich fragen – icheiß es natürlich –: Wo leben Sie eigentlich?
ar es nicht diese Bundesregierung, dieser Außenminis-er, der nach den Ereignissen auf dem Balkan Vorschlägeemacht hat, wie man nach der dortigen kriegerischenuseinandersetzung zu zivilen Lösungen kommen kann,nd der einen Stabilitätspakt für Südosteuropa vorge-chlagen hat? Was ist denn in Bezug auf Afghanistanassiert? Waren es nicht diese Bundesregierung und die-er Außenminister, die die Initiative zu den Petersbergeresprächen ergriffen haben, die noch heute eine Grund-age sind? Wenn Sie jemanden, der zusammengeführtat, als Spalter bezeichnen, dann leben wir in der Tat ininer anderen Welt. Ich meine, die rot-grüne Koalitionebt in der realen Welt und Sie in einer virtuellen, die Sieie vielleicht gerne hätten, die aber nicht existiert.
Sie haben, auch was die Europäische Union angeht,on Spaltung gesprochen. War es nicht gerade dieseundesregierung, die auf den verschiedenen Etappen derrweiterung den größeren und auch den kleineren Län-ern, die der Europäischen Union beitreten wollten, im-er wieder gesagt hat: „Wir tun alles“? Wer hat denneispielsweise auf dem Gipfel in Kopenhagen versucht,inen Kompromiss zu finden? Über die Auswirkungenieses Kompromisses in der Landwirtschaftspolitik kannan streiten. Aber es wurden Grundlagen dafür geschaf-en, die Tür für diejenigen Länder zu öffnen, die deruropäischen Union beitreten wollten.Sie legen immer wieder die Platte bzw. CD auf, wirernachlässigten die kleinen Mitgliedstaaten und hätteneinen Draht zu ihnen. Das stimmt einfach nicht. Wennie aktuelle Themen der europäischen Politik betrach-en, so werden Sie feststellen, dass es in der Tat unter-chiedliche Kombinationen gibt. Wenn Sie zum Beispieletrachten, wer der Finanziellen Vorausschau zuge-timmt hat – auch das war eine Initiative von uns –, wer-en Sie große, aber auch so genannte kleine Länder fin-en. Bei Defizitverfahren werden Sie feststellen, dassich einige Länder Deutschland oder Frankreich ange-chlossen haben, darunter auch kleine Länder.Hören Sie also damit auf, diese Platte immer wiederufzulegen! Das ist nicht richtig. Dass es innerhalb der
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Günter Glosereuropäischen Familie Diskussionen gibt, ist angesichtsverschiedener Interessenlagen selbstverständlich.Ich möchte einen anderen Punkt ansprechen; dennHerr Dr. Schäuble hat sich im Zusammenhang mit derVerfassungsdiskussion einseitig an die Koalition ge-wandt. Er sprach von einem „Zündeln mit einem Refe-rendum“.
Was soll der Begriff „zündeln“? Und warum richtet erihn ausgerechnet an die Adresse dieser Koalition? NebenIhnen sitzt doch eine Reihe von Christlich-Sozialen ausBayern. Sie müssen doch Herrn Glos, diesen begnadetenRedner, dem anscheinend immer das bayerische Volks-fest am Tag vorher nicht gut bekommt, fragen, wer hiereigentlich zündelt! Da müssen Sie die Frage ansetzen,anstatt uns einen Vorwurf zu machen.
Wir haben in der Opposition und auch in der erstenLegislaturperiode unserer Regierungszeit Initiativen fürReferenden ergriffen.
Aber wir wollen nicht nach Ihrem Gusto die Verfassungals Testfall, wie es Herr Glos ausgedrückt hat, auswählenund sonst keine Volksabstimmungen zulassen.Franz Müntefering hat es heute Morgen meines Er-achtens richtig gesagt: Die Koalition wird in den nächs-ten Wochen die Bedingungen festlegen, ins Parlamenteinbringen und darüber diskutieren. Ich wiederhole aberausdrücklich: Diese Debatte darf nicht dazu führen, dassdie Ratifizierung des europäischen Verfassungsvertragesauf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird.
Was die Türkei angeht, ist es immer wieder interes-sant, die Aufsätze Ihrer Kollegen aus der CDU/CSU zuzitieren. „Wer die Türkei wegstößt, macht einen Fehler“,so Volker Rühe. „Eine faire Chance für die Türkei. DieTürkei braucht Europa – Europa braucht die Türkei“,schreibt Ihr Fraktionskollege Ruprecht Polenz. Darangibt es gar nichts zu deuteln.Vielleicht hat Herr Glos den Aufsatz von StefanKornelius aus der „Süddeutschen“, den er heute Morgenerwähnt hat, nicht ganz gelesen. Es besteht ein Unter-schied zwischen den Redakteuren der Zeitungen und derPolitik.
In einem Kommentar kann man schreiben: „Es gibt keinin den Jahren gewachsenes Anrecht auf den Beitritt.“ Ichmuss dazu sagen – auch Sie, Herr Dr. Schäuble, habendas gesagt –, dass diese Erwartung bei der Türkei in vie-len Jahren, ja sogar Jahrzehnten geweckt worden ist.LunsPdpnhsisdvnsdefnAvksDZznzSgWGiDKdifdb
Wie wir alle gesehen haben, verändert sich die Türkeiicht nur politisch, sondern auch ökonomisch positiv.uch die Europäische Union wird sich entsprechenderändern. Wir brauchen hier eine sehr sachliche Dis-ussion.Vielleicht, Herr Dr. Schäuble, finden wir einen Kon-ens:Deswegen muss die Beitrittsdebatte unter allenUmständen so geführt werden, dass sie die Integra-tionschancen nicht behindert, sondern verbessert.Und sie muss so geführt werden, dass die Entwick-lung der Türkei im Sinne von Modernisierung, Auf-klärung, Zugehörigkeit zum Westen nicht beschä-digt, sondern gefördert wird.
as haben Sie in einem Interview mit der „Süddeutscheneitung“ am 3. Juni gesagt. Dem kann ich eigentlich nurustimmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch zu ei-igen Aspekten der aktuellen Politik, die mit der Finan-iellen Vorausschau zusammenhängen. Herr Kollegetübgen, Sie haben hier im Schweinsgalopp vorgetra-en, nach dem Motto: Das wird schon alles stimmen.as Sie zum Beispiel zu dem Urteil des Europäischenerichtshofes gesagt haben, stimmt so nicht. Herr Eichelst nicht der Verlierer. Es hat ganz anders ausgesehen.ie Frage war, inwieweit der Rat einen Beschluss derommission verändern kann. Es ging nicht darum, obas, was der Rat mit Mehrheit beschlossen hat, richtigst. Das sollte man einfach einmal zur Kenntnis nehmen.Da Sie hier so mit den Zahlen hantieren, kann ich nurragen: Haben Sie gestern nicht der Debatte insbeson-ere während des Beitrags von Finanzminister Eicheleigewohnt, der die finanziellen Belastungen noch
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Günter Glosereinmal aufgezeigt hat? Sie können in dieser Haushalts-debatte und auch noch bis Ende des Jahres unter Beweisstellen, ob Sie wirklich bereit sind, Subventionen abzu-bauen, damit wir zu einem konsolidierten Haushalt kom-men. Hier habe ich Zweifel.Hinsichtlich der Finanzen der Europäischen Unionwird diese rot-grüne Koalition, wird diese Bundesregie-rung wie auch in der Vergangenheit Solidarität zeigen.
Aber ein deutscher Beitrag in einer Größenordnung von1,14 Prozent des Bruttonationaleinkommens – eine Zahl,die in den Raum gestellt worden ist – kann natürlichnicht realisiert werden, weil die Belastungen für diesenHaushalt zu groß wären.
Es ist wichtig, dass auch diejenigen, die in den letztenJahren durch die europäische Politik gestärkt wordensind, ihren Beitrag leisten. Wir nehmen bewusst unsereVerpflichtung gegenüber den Ländern wahr, die am1. Mai dieses Jahres beigetreten sind.Ein weiterer Punkt, an dem sich auch die Fadenschei-nigkeit der Union zeigt, betrifft die Strukturpolitik imRahmen des Kohäsionsfonds. Es kann nicht angehen,auf der einen Seite dieser Regierung bezogen auf dieFinanzen alles Mögliche vorzuwerfen, auf der anderenSeite aber auf Länderebene zu sagen: Liebe EU, öffnedas Füllhorn und gib uns im Bereich der Strukturpolitikweiterhin Gelder! Man muss nämlich auch sagen, werdas bezahlen soll. Das nämlich ist die Bundesebene undnicht die Länderebene. Ich bin gespannt, meine sehr ver-ehrten Kolleginnen und Kollegen der Union, wie Siesich in den entsprechenden Beratungen verhalten wer-den.Herr Dr. Müller, Ihre Bilanz bezüglich der Außen-und Europapolitik ist völlig falsch. Diese Bundesregie-rung ist in der Außen- und Europapolitik initiativ gewe-sen. Sie hat Leute zusammengeführt und nicht gespalten.
Diese Rolle überlasse ich Ihnen gerne. Sie werden dieseRegierung nicht ablösen, weil Sie sich nicht einig sind.Sie eiern in verschiedenen Politikfeldern herum. Ichnenne nur die Stichworte Referendum und Haushalts-konsolidierung und die Vorschläge von Ministerpräsi-dent Stoiber sowie anderer aus der Union.Die Außen- und die Europapolitik waren und sind beidieser Bundesregierung in guten Händen und das werdensie auch in den nächsten Jahren sein, über 2006 hinaus.Vielen Dank.
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Deshalb, Herr Außenminister, sind beide Vorfestle-gungen falsch: Es ist falsch zu sagen, dass die Türkei nieEU-Mitglied werden kann. Es ist aber auch falsch zu sa-gen, dass wir uns – unabhängig von den KopenhagenerKriterien – jetzt auf ihren Beitritt festlegen müssen, umden islamistischen Terrorismus zu bekämpfen.
Die Handlungsspielräume der türkischen wie der euro-päischen Politik sind in den kommenden Jahrzehntengrößer, wenn wir im Jahr 2004 nicht nur zwischen denAlternativen Vollmitglied oder Nichtmitglied entschei-den, sondern auch die Möglichkeit einer privilegiertenPartnerschaft ernsthaft prüfen und offen halten.
Die Europäische Union darf sich nach ihrer Erweite-rung nicht vom Prozess der immer tieferen Integrationverabschieden. Die Gefahr einer schleichenden Desinte-gration ist offenkundig. Leider steht das Handeln derBundesregierung auch in der Europapolitik im Gegen-satz zu ihrer Selbstdarstellung. Die Europäische Unionist mit 25 Mitgliedern noch mehr als vorher auf einekrRnSwmdmEDvdundFadartadddahdSrnnairdPeFdSWEetllVH
ie hat den deutschen Einfluss in Europa geschwächt,as an ihrem unsensiblen und missglückten Versuch, ge-einsam mit Frankreich einen Kandidaten für das Amtes Kommissionspräsidenten durchzusetzen, einmalehr offenkundig wurde.Demnächst beginnen die Verhandlungen über denU-Finanzrahmen für den Zeitraum von 2006 bis 2013.ie Bundesregierung hat die gegenwärtige Finanz-erfassung der EU heftig kritisiert. Der Status quo istas Ergebnis der von der Bundesregierung vorbereitetennd durchgeführten Verhandlungen während des Berli-er Gipfels. Der Berliner Gipfel zur Finanzausstattunger EU bis 2006 ist gescheitert, weil Deutschland undrankreich in offenem Konflikt standen und dadurch allenderen zum Basar ihrer nationalen Interessen eingela-en haben. Wenn Deutschland und Frankreich nun Seiten Seite in offenen Konflikt zu den Interessen der ande-en, gerade auch der neuen und kleineren Mitgliedstaa-en treten, wird es wiederum ein Desaster geben, wie esuch beim Berliner Gipfel 1999 der Fall war.Herr Außenminister, wenn einem zu der Frage eineseutschen bzw. europäischen Sitzes im Sicherheitsrater Vereinten Nationen nicht mehr einfällt als zu sagen,ass die Franzosen und Briten ihren Sitz doch niemalsufgeben werden, dann ist das sehr vereinfachend undochmütig. Es hat doch nie jemand davon gesprochen,ass Frankreich oder Großbritannien ihren Sitz imicherheitsrat verlieren würden, sondern es wurde da-über geredet, wie bei einer Reform der Vereinten Natio-en sichergestellt ist, dass Europa künftig in multinatio-alen Strukturen geeint und gemeinsam agiert. Wenn Sieuf das Argument, dass ein weiterer Sitz für eine europä-sche Nation – es wäre der dritte – die Einigkeit der eu-opäischen Außen- und Sicherheitspolitik nicht beför-ere, wie dies von Italien, Polen, Spanien und anderenartnern artikuliert wird, lediglich sagen, man braucheinen zusätzlichen Sitz für Deutschland, weil doch dieranzosen und die Briten ihren niemals aufgeben wür-en, so kennzeichnet dies die herablassende Art, in derie sich international bewegen.Es reicht eben nicht, wenn der Bundeskanzler sagt:ir sind selbstbewusst und bündnistreu. Vertrauen undinfluss gewinnt Deutschland durch den verlässlichen,infühlsamen Umgang mit unseren Partnern in der atlan-ischen Allianz, in der Europäischen Union und mög-ichst mit diesen gemeinsam gegenüber der internationa-en Gemeinschaft.
ertrauen und Einfluss, meine sehr geehrten Damen underren, sind schneller verspielt als zurückgewonnen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kom-
men dann zur Abstimmung über den Tagesordnungs-
punkt 6.
Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3684, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 15/3447 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-
men.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-
men.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss, die von der Bundesregierung im Auswär-
tigen Ausschuss abgegebene Erklärung zur Kenntnis zu
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/
Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU
angenommen.
Damit kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Verteidigung. Das Wort hat
der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter Struck.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Da ich während der abschließendenGespräche mit dem Finanzminister über den Haushaltdie Arbeit meinen beiden Staatssekretären, PeterEickenboom und Hans Georg Wagner, überlassenmusste, habe ich es ursprünglich für richtig gehalten,Herrn Staatssekretär Wagner die Einbringungsrede zuüberlassen. Offenbar wird dies aber von manchen Kom-mentatoren als Beweis für eine fortdauernde Krankheitangesehen. Das ist falsch. Um zu vermeiden, dass sichaus einer Haushaltsdebatte über den Verteidigungshaus-halt eine Debatte über meinen Gesundheitszustand ent-wickelt, rede ich jetzt, bringe den Haushalt ein undwerde natürlich auch zukünftig reden, wenn ich es selbstfür richtig halte.
Die Bundeswehr setzt den Weg der Reform und derTransformation konsequent und mit Erfolg fort. Auchder Haushalt, den wir jetzt hier in erster Lesung beraten,ist ein Beweis und ein Ausweis dafür. Wir engagierenuns intensiv international – in der vorherigen Debatte istdarüber ausführlich gesprochen worden – und wir tundies auf einer verlässlichen finanziellen Grundlage. DasihFdtDFSeGRhntidPldwadebkdScNlcwSigdeseEWAiamGliFm
Nach den Unruhen im März dieses Jahres im Kosovost die Einsatzplanung der Bundeswehr mit dem Zielrößtmöglicher Flexibilität und Mobilität geändert wor-en. Gleichzeitig wurde die Ausrüstung verbessert, umin angemessenes Vorgehen auch gegen zivile Unruhe-tifter zu ermöglichen. Gerade eben hat der Bundestagin Gesetz beschlossen, durch das den Soldaten auch derinsatz von so genannten einfacheren, nicht tödlichenaffen zur Bekämpfung von Unruhen ermöglicht wird.uch im Namen der Soldatinnen und Soldaten bedankech mich ausdrücklich dafür.Auch in Bosnien tragen die Soldaten der Bundeswehrls Teil von SFOR mit über 1 200 Mann bzw. Frau zurilitärischen Absicherung des Friedensprozesses bei.emeinsam mit den Streitkräften aus 35 Nationen betei-gt sich die Bundeswehr an der Operation Enduringreedom im Kampf gegen den internationalen Terroris-us. Am Horn von Afrika sind wir mit der Marine und
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Bundesminister Dr. Peter Struckin Afghanistan sind wir, wenn es erforderlich sein sollte,mit dem Kommando Spezialkräfte tätig.In Afghanistan ist die Bundeswehr mit insgesamt2 100 Soldatinnen und Soldaten in Kabul, in Kunduzund in Faizabad im Einsatz und erfüllt die Aufgaben ent-sprechend den Mandaten der Vereinten Nationen unddieses Parlaments, des Bundestages. Ich bitte insbeson-dere die Kolleginnen und Kollegen der FDP, die dasMandat in Kunduz sehr kritisch sehen und ihm nicht zu-stimmen konnten, sehr darum, sich vor Ort persönlichein Bild von der guten Arbeit der PRT-Soldatinnen und-Soldaten in Kunduz zu machen.
Die Nichtregierungsorganisationen, die dort tätig sind,begrüßen es trotz der vorherigen Vorbehalte, dass wirdort sind.In Faizabad werden wir die gleiche Aufgabe überneh-men. In Absprache mit dem Ministerium für wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung haben wir Pro-jekte identifiziert, über die wir noch im Laufe dieserWoche gemeinsam entscheiden und beraten können.Kollege Erler hat in der vorherigen Debatte die gesamtenOrganisationen aufgezählt, die in Faizabad arbeiten. Wirwollen mit unserer Präsenz dort helfen und wir werdendas genauso gut wie in Kunduz tun.
Schließlich geht es auch darum, dass wir die Vorbe-reitung der Präsidentschafts- und der Parlamentswahlin diesem Land durch unsere Präsenz mit unterstützen.Für die Präsidentenwahl gehen wir von einem Wahl-termin im Oktober aus. Möglicherweise wird es einenzweiten Wahlgang geben. Es gibt 13 Gegenkandidatenzu Karzai. Im Dezember wird es vielleicht eine Stich-wahl geben und im März wird dann das Parlament ge-wählt. Allein dafür ist unsere Präsenz auch in Faizabad,in der Provinz Badakhshan, über die wir eben gespro-chen haben, dringend erforderlich.
Zuletzt darf ich einige nur kurze Hinweise zum Haus-halt geben, weil ich glaube, dass die Rednerinnen undRedner der Koalition das im Augenblick besser darstel-len können als ich.Unser Haushalt beläuft sich auf 24,04 Milliarden Euro.Natürlich hätte ich wie jeder Minister gerne einen größe-ren Haushalt, aber ich trage den Konsolidierungskursdes Finanzministers selbstverständlich mit. Wenn wir je-doch im Laufe der Beratungen darüber streiten, ob dieMittel an dieser oder jener Stelle richtig eingesetzt sind,dann möchte ich darauf hinweisen, dass der Vorschlag,Kollege Austermann, von Herrn Stoiber, den Haushaltum 5 Prozent zu kürzen, im Verteidigungsetat 1,2 Mil-liarden Euro weniger bedeuten würde. Damit können wirunsere internationalen Aufgaben nicht erfüllen; das wis-sen Sie ganz genau.rbnWBhbwmzdcrCsadfgzdrhgdmnsddk–Dk
Wir können im Einzelnen gern über Ihre Vorschlägeeden. Ich will Ihnen nur sagen, dass ich bei der Linieleibe, die begonnen worden ist, als ich das Amt über-ommen habe.
ir führen die größte Reform in der Geschichte derundeswehr durch, weil wir eine völlig neue Situationaben. Die Bundeswehr wird das bekommen, was sieraucht. Wir werden unsere Mittel umschichten, damitir sie vernünftig einsetzen. Wir werden keine Mittelehr für Waffensysteme oder deren Depotkosten einset-en, die wir nicht mehr brauchen, sondern wir werdenie Mittel für die Waffensysteme einsetzen, die wir brau-hen, und für die Bundeswehr, die wir brauchen, mit ih-en neuen Aufgaben.Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dietrich Austermann,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Politi-che Meinungsunterschiede gibt es in vielen Bereichen,uch in diesem Parlament und auch beim Thema Vertei-igung. Sie führen nicht so weit, dass unser Verständnisür den gesundheitlichen Zustand des einen oder anderenering ausgeprägt ist. Ich möchte deshalb ausdrücklichu Beginn sagen, Herr Minister: Wir wünschen Ihnen,ass Ihre Gesundheit so gut ist wie die eines jeden ande-en und möglichst bald wieder in optimalem Zustandergestellt sein möge.
Wenn es Spekulationen um den heutigen Termin ge-eben hat, dann lediglich deshalb, weil uns bekannt war,ass von Ihnen, Herr Minister, alle Termine wahrgenom-en werden sollten, bloß dieser nicht. Da kommt manatürlich auf den Gedanken, das könnte andere als ge-undheitliche Gründe haben, nämlich zurückgehen aufie Fragen, die im Verteidigungsausschuss gestellt wor-en sind. Ich freue mich, dass Sie Ihre Bereitschaft er-lärt haben, sich diesen Fragen offen zu stellen.
Er hat dieses Thema doch selber offen angesprochen.aher bitte ich um Verständnis dafür, dass ich diese Er-lärung abgegeben habe. Wir freuen uns, dass wir diese
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Dietrich AustermannDebatte wieder und weiter führen können. Damit möchteich zum Thema kommen, nämlich zu den Haushaltsrah-menbedingungen für den Verteidigungsetat.
– Ich kann Ihnen diese Frage gleich beantworten, HerrKahrs. Der Minister hat dieses Thema selber angespro-chen. Dies deutet darauf hin, dass er Interesse an einerstreitigen Auseinandersetzung hat, insbesondere zu die-sem Punkt.Im Haushalt 2004 ist der Verteidigungsetat durch eineglobale Minderausgabe in einem Maße gebeutelt wor-den, das weit über die 5 Prozent Kürzung hinausgeht,die Herr Stoiber angesprochen hat. Im Haushalt 2005 istdavon auszugehen, dass für die sozialen Sicherungssys-teme – Opfer für Hartz IV, Opfer für die Rente, globaleMinderausgabe von 1,4 Milliarden Euro – ein weitererMilliardenbetrag eingespart werden muss.
So ist doch jedem, der Erfahrungen mit Herrn Eichel unddieser Bundesregierung hat, klar, dass ein wesentlicherTeil dieser Kürzung aus der zusätzlichen, enorm hohenglobalen Minderausgabe wieder den Verteidigungsetattreffen wird. Das werden eher mehr als 5 Prozent.
Machen Sie jetzt also kein Theater wegen der5 Prozent, von denen Herr Stoiber gesprochen hat. Siesind nicht einmal in der Lage, im Etat 1 Prozent zu kür-zen. Auf Ihrer Klausurtagung haben Sie die Frage offengelassen, wie das Problem gelöst wird. Sie haben eszwar beschrieben, aber Sie haben die Frage, wie sie dieLöcher stopfen können, die Sie offensichtlich genausowie wir identifiziert haben, nicht beantwortet.
Der vorliegende Regierungsentwurf umfasst für die-sen Einzelplan einen Plafond von zunächst einmal – dasmuss man nach den Erfahrungen der vergangenen Jahreso sagen – 23,9 Milliarden Euro, davon 6,1 MilliardenEuro für Investitionen.Die Mittel reichen nach unserer Einschätzung nichtaus, um die vom Minister angestrebte Bundeswehrre-form zu bezahlen. Das, was im Etat vorgesehen ist,reicht für diese Reform nicht aus. Die Ansätze belegen,dass die Koalition mit ihrer Absicht, eine Reform derReform von Herrn Scharping vorzulegen, gescheitert ist.Weit reichende Einschnitte in Personal, Material undStandorte sollten Mittel freisetzen, die MinisterScharping über die GEBB durch den Verkauf vonGrundstücken und Wehrmaterial gewinnen wollte. Siewissen alle, dass das nicht gelungen ist. Jetzt kommt einanderes Märchen. Wieder sollen 600 Millionen Eurodurch Privatisierungserlöse eingebracht werden.
Auch das wird wie in der Vergangenheit nicht eintreffen.Sie werden im Ergebnis eine unterfinanzierte Bundes-wdOss2vFGdnBdSdmwgUddinSv8WeWmpGBrgbr7tirtuNvba
Ich kann das bezogen auf die noch verbliebenentandorte in meinem Wahlkreis sagen. Dort erfahren Sieon den Kommandeuren, dass in diesem Jahr nur0 Prozent der Wehrpflichtigen eingezogen worden sind.enn Sie diesen Trend, 20 Prozent eines Jahrgangs nichtinzuziehen, fortsetzen, werden im nächsten Jahr 25 000ehrpflichtige weniger einberufen. Auf das Jahr verteiltacht das, bei neun Monaten Wehrdienst, 37 000 Wehr-flichtige weniger. Das heißt unter dem Strich: Ganzeenerationen werden nicht mehr berücksichtigt.
eim Zivildienst setzt sich das fort. Das hat mit Wehrge-echtigkeit nichts mehr zu tun und ruiniert vor allen Din-en die Strukturen der Bundeswehr, die auf einen ganzestimmten Ausbildungsumfang eingestellt ist.
Meine Damen und Herren, die Finanzerwartungechtfertigt die Reduzierung des Personalumfangs um000 Soldaten, wenn alles andere stimmt. Sie rechtfer-gt die Kürzung um 40 000 Mitarbeiter im zivilen Be-eich. Welche Folgen das für die Arbeitsplätze in struk-rschwachen Regionen hat, ist wohl jedermann klar.
ur diese Finanzerwartung rechtfertigt die Schließungon 100 Standorten mit der Folge konjunktureller Ein-rüche bei den Gemeinden in Millionenhöhe. Vor nichtllzu langer Zeit hatten wir 592 Standorte; durch die Re-
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Dietrich Austermannform von Herrn Scharping wurden sie auf rund 505 redu-ziert. Im nächsten Jahr sollen es 400 Standorte sein; daswird im November offiziell bekannt gegeben.
– Sie sind davon nicht betroffen; Hamburg ist inzwi-schen bundeswehrfreie Zone, bis auf einen Standort unddie Führungsakademie.Bald werden Sie weniger als 400 Standorte haben, dasHeer allein nur noch 161 Standorte. Das ist das Ziel unddas ist das Ergebnis einer Politik, die ausschließlich aufEinsatzkräfte für internationale Einsätze konzentriert ist.
Ihnen fehlen in diesem Etat 1,8 Milliarden Euro und dervon mir eben beschriebene Zustand wird sich weiter dra-matisch verschlechtern.Meine Damen und Herren, bei den vorgenommenenEingriffen in Personal und Infrastruktur kann dieser Ver-lust nicht mehr von den Betriebsausgaben aufgefangenwerden. Herr Minister, Sie werden um Eingriffe in dieMaterialplanung nicht herumkommen. Der Begriff derTransformation gewinnt dann einen völlig neuen Sinn.Die Bundeswehr wandelt sich, sie wird ständig verklei-nert.Substanzverlust bedeutet: Nicht die Reform der Bun-deswehr wird durch harte Einschnitte in betroffene Ge-meinden finanziert,
sondern die Sozialsysteme werden durch das finanziert,was eigentlich für innere Sicherheit bestimmt sein sollte.Das hat natürlich auch Konsequenzen für die wehr-technische Industrie, die unter dieser Bundesregierungnoch nie Planungssicherheit hatte. Das zeigt aber auchdie Wertschätzung der Sicherheitspolitik unter dieserBundesregierung. Nicht zuletzt zeigt es die Wertschät-zung dieser Bundesregierung für das Verteidigungsmi-nisterium und die dort tätigen Personen.
Die Reform der Bundeswehr ist also eines der größtenim Stau befindlichen Bundeswehrprojekte.
– Herr Kahrs, es wird Ihnen nicht gelingen, Frau Lehn zuersetzen. Die war lauter als Sie, Herr Tauss auch. Ichwürde empfehlen, dass Sie sich etwas freundlicher ge-genüber dem Redner verhalten.
Wenn man die Beschreibung der Reform als Transfor-mation richtig definiert, ist offensichtlich noch nichtklar, welches Ergebnis erreicht werden soll. Ich willIhnen eine Weisung zur Weiterentwicklung des Heeres–eGnMZdnDBfwdnsüzEpdbvHwnliZssWkFfes
an gewinnt den Eindruck, hier treibt ein Schiff ohneiel und ohne klare Führung auf stürmischer See.So, wie übrigens die gesamte Bundeswehr dümpelt,ümpeln auch die Projekte der Bundeswehr im Einzel-en. Lassen Sie mich das stichwortartig erwähnen.
as Projekt Herkules, Herr Brüller, die Ausstattung derundeswehr mit Informationstechnik, ist ein Milliarden-lop. Man weiß gar nicht, mit welcher Strategie und mitem zurzeit verhandelt wird. Wer traut sich, den Knotenurchzuschlagen? Offensichtlich niemand. Gigantoma-ie ist das Letzte, was die Bundeswehr braucht.Auch zahlreiche weitere Großprojekte wurden nichto richtig abgeschlossen, Fristen und Kosten werdenberschritten. Wer kümmert sich eigentlich um den Voll-ug beim Tiger und NH-90?Das Thema Eurofighter ist eine endlose Geschichte.
rst wurden wir aufgefordert, noch vor der Sommer-ause einen Leerbeschluss zu fassen, also auf jeden Fallie zweite Tranche in Höhe von 4,5 Milliarden Euro zueschließen. Es lag aber noch nicht einmal ein Industrie-ertrag vor. Es wurde davon ausgegangen, dass deraushaltsausschuss beschließen soll. Herr Bonde, Siearen dabei, als wir es abgelehnt haben. Wir ließen dasicht mit uns machen. Das ist das Verhalten von ordent-chen Haushältern.
wischenzeitlich kam die Nachricht, die Industrie habeich über die Preise verständigt und auch die Engländereien wieder im Boot. – Wir warten jetzt seit etwa sechsochen auf die seinerzeit angekündigte endgültige Er-lärung. Ich habe – auch nach der beeindruckendenlugvorführung eines Prototyps – den Eindruck, dass of-ensichtlich manches aus dem Ruder gelaufen ist undine sinnvolle Kontrolle, wie das Ganze weiterlaufenoll, fehlt.Wir sind für die zweite Tranche –
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Dietrich Austermannursprünglich hatten wir den Kauf von 180 Eurofighternmit beschlossen –, erwarten aber, dass wir die Kosten imAuge behalten und das Ministerium das auch tut. Bisherist der Eurofighter wie der Haushalt selbst ein unfertigesProjekt. Ohne Zustimmung des Parlaments werden Siedie abschließende Liste für Mängel, die noch ausgegli-chen werden, nicht erstellen können. Oder Sie legen einevöllig geänderte Haltung an den Tag.In den letzten Tagen ist etwas passiert, das mich etwaserstaunt hat. Wir haben vom Finanzministerium die Mit-teilung bekommen, die Liste der „Geheimen Erläuterun-gen“ habe sich aufgrund einer Plus-Minus-Liste des Ver-teidigungsministeriums geändert. Also: Im Juni legt derFinanzminister einen Verteidigungsetat vor. Dieser siehtetwas anders aus, als es sich der Verteidigungsministerwünscht. Dann werden Veränderungen vorgenommen,weil man die Planung der Beschaffung an die Liste des-sen anpassen muss, was finanziell möglich ist. Anschlie-ßend wird eine geänderte Plus-Minus-Liste vorgelegt,die sogleich in die „Geheimen Erläuterungen“ eingear-beitet wird.Wofür brauchen wir eigentlich noch das Parlament?Ich frage mich, was das für Entscheidungswege sind undwas in den Köpfen derer vorgeht, die so etwas veranlas-sen: Wir geben eine fertige Entscheidung über die Be-schaffung bekannt, obwohl wir gar nicht wissen, wie vielGeld verfügbar ist. Ob sich das Parlament damit befasst,ist ohne jegliche Bedeutung.So verhalten Sie sich auch bei der GEBB. Die Kolle-gen von der Union, die nach mir sprechen, werden da-rauf etwas ausführlicher eingehen. Ich sage Ihnen nur:Das, was man sich von dieser Gesellschaft erwartet hat,hat sich offensichtlich nicht erfüllt.
Die Frage ist nur, welche Staatssekretäre und welche In-dustriefachleute, die im Aufsichtsrat dieser Gesellschaftsitzen, jetzt den Mut haben, zu sagen, dass sich dasGanze nicht rechnet, dumm angefangen wurde und ins-gesamt schlecht gelaufen ist. Das ist eine Versorgungs-anstalt für ehemalige Mitarbeiter der Bundeswehr. Siebringt der Bundeswehr aber überhaupt nichts. Es gibt so-gar strafrechtlich relevante Vorgänge, wie uns der Be-richt des Bundesrechnungshofes gezeigt hat.
Wir sind der Meinung, dass hier aufgeklärt und für Ver-änderung gesorgt werden muss. Die Verschleuderungvon Steuergeld muss beendet werden.
Im Moment macht das Bundesverteidigungsministe-rium in vielen Bereichen den Eindruck, als ob an vielenStellschrauben gleichzeitig gedreht wird. Wir haben denEindruck, dass es zu viele Stellschrauben gleichzeitiggibt. Außer Geld fehlt es auch an Führung, wenn esdarum geht, mehr für die Terrorismusbekämpfung imDetail – auch für die vorbereitende Verteidigungsfor-schung – zu tun.rudvtgedEm–veedKkTAbdh2dgPkBdddrbsaimSSsz
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Rainer ArnoldKlar ist aber auch, dass dieser Haushalt nicht die Um-setzung aller Wunschprojekte erlaubt. Es kommt viel-mehr darauf an, das Notwendige vom Wünschenswertenzu trennen. Dabei steht die Finanzierung unserer laufen-den multinationalen Einsätze ganz oben. Sie ist diewichtigste Wegmarke bei unseren Ausgaben. Das istdoch eine Selbstverständlichkeit. Dahinter müssen an-dere Vorhaben ein Stück weit zurücktreten.Sie vergessen in der gesamten Debatte um den Vertei-digungsetat immer wieder eines: Sie fordern immermehr Geld für den Verteidigungsetat und glauben, dassdies mehr Sicherheit und Stabilität für unsere Gesell-schaft und unser Land bringt. Das ist aber schon im An-satz falsch.Wir haben ein anderes Verständnis von Sicherheit inEuropa – das lässt sich nicht auf die nationale Ebene be-schränken –; dabei spielt die soziale Zufriedenheit unddie Wirtschaftskraft der Nationen eine besondere Rolle.Deshalb liegt es auch im Interesse der Streitkräfte, dassdie soziale Balance in Deutschland gewahrt bleibt.Wenn Sie immer wieder mehr Geld für die Verteidi-gung fordern, dann müssen Sie dieser Forderung auchhinzufügen, dass dies angesichts der Haushaltslage gra-vierende Einschnitte in wichtigen anderen gesellschaftli-chen und sozialpolitischen Bereichen unserer Republikerfordert. Hat das etwas mit Stabilität und Sicherheit zutun? Nein. Wir verfolgen einen anderen Weg und orien-tieren uns bei der Verwendung der Haushaltsmittel anden Aufgaben der Streitkräfte.Ich finde es spannend, welche Beispiele Sie bringen.Ich greife ein Beispiel heraus: den Eurofighter. HerrAustermann und die Kolleginnen und Kollegen von derCDU/CSU, Sie haben dieser Koalitionsregierung mitden Beschlüssen aus Ihrer Regierungszeit einen Euro-fighter vor die Tür gestellt, an dem vielleicht Sportpilo-ten ihre helle Freude hätten, aber nicht Soldaten.
Wenn Sie jetzt die latent vorhandenen Mängel des Eu-rofighters hinsichtlich der Bewaffnung und der Elektro-nik monieren – wir sind derzeit dabei, neue Technolo-gien mit aufzunehmen –, muss ich Ihnen entgegnen: Mitdieser These von Ihrer Seite wird der Brandstifterschließlich zum Feuerlöscher. Das ist nicht sehr glaub-würdig.
Wir bleiben dabei: Wir setzen auch in Zukunft aufForschung und Entwicklung bei den Streitkräften. Dazupasst die Forderung des bayerischen Ministerpräsiden-ten, die Mittel für die Streitkräfte um 5 Prozent zu kür-zen, überhaupt nicht.
Nehmen Sie doch einfach zur Kenntnis, dass in diesemJahr 200 Millionen Euro mehr in den Verteidigungsetateingestellt worden sind. Alles andere ist nur Spekulation.EzIjvIwwnddSdfsGk–srDGWmVDwDrdzkglvWgmhkt
Einen ähnlichen Populismus betreiben Sie bei derEBB. Ich möchte darüber nicht wieder mit Ihnen dis-utieren, sondern nur ein paar Sätze dazu sagen.
Ich habe den Bericht des Bundesrechnungshofes gele-en. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.Natürlich gibt es auch in dem Bericht des Bundes-echnungshofes kritische Anmerkungen.
iese beziehen sich aber auf die Gründungsphase derEBB.
enn man nicht bereit ist, neue Wege zu beschreiten undanchmal auch Risiken einzugehen, dann ist man zueränderungen und Reformen nicht fähig.
ie Fehler, die bei der GEBB gemacht worden sind,urden erkannt. In den letzten zwei Jahren läuft es gut.as zeigt im Übrigen auch die Wirtschaftlichkeitsbe-echnung. Es ist richtig, dass 300 Millionen Euro durchie GEBB eingespart sind. Auch ist ganz klar, dass Sieu Reformen nicht fähig sind; denn sonst würden Sie er-ennen, dass allein die Existenz der GEBB schon dazueführt hat, dass sich eine öffentliche Verwaltung plötz-ich dem Wettbewerb stellen muss. Die Superökonomenon CDU/CSU und FDP fordern doch ständig mehrettbewerb und mehr Markt. Der Wettbewerb hat dazueführt, dass sich die Bundeswehrverwaltung von selberodernisiert und reformiert. Die GEBB ist schon des-alb wertvoll. Sie hat die Modernisierung der Streit-räfte vorangetrieben; das ist eindeutig.
Herr Austermann, die Bundeswehr würde Ihr Verhal-en mit folgendem Standardspruch kommentieren – ich
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Rainer Arnoldkann ihn nicht wörtlich zitieren, weil er der Würde desHauses nicht angemessen ist; ich werde deshalb versu-chen, ihn in leicht modifizierter Form wiederzugeben –:Sie tarnen, Sie täuschen, und wenn die Dinge einmalschief laufen, obwohl Sie ursprünglich dafür waren,dann schlagen Sie sich in die Büsche. Sie verhalten sichbeim Thema „Bundeswehr“ ganz genauso wie bei allenanderen Politikfeldern, über die wir in dieser Woche de-battieren.
Lassen Sie mich nun noch ein paar Sätze zu denschwierigen Auslandseinsätzen sagen. 19 Tote im Ko-sovo, 4 000 Menschen vertrieben und 610 Häuser ange-zündet, daran gibt es überhaupt nichts zu beschönigen.Das ist nicht in Ordnung. Es ist offensichtlich, dass eshier Probleme gibt. Darum kann man nicht herumreden.Es ist richtig, dass die Fehler, die dort gemacht wordensind, uns sehr schmerzen. Sie tun weh. Ich stelle abergleichzeitig fest: Die Soldaten, die im Kloster im Tal, amBischofssitz, ihren Auftrag erfüllt haben, haben einenguten und richtigen Job gemacht. Sie verdienen Aner-kennung und Respekt dafür, dass sie die Verhältnismä-ßigkeit der Mittel stets gewahrt haben. Das ist die eineSache.
Die andere ist: Die Vorfälle sind nicht gut. Deshalb istes notwendig, dass wir gemeinsam im Verteidigungsaus-schuss die bestehenden Probleme sorgfältig analysieren.Angesichts der Tatsache, dass es bereits mehrere Debat-ten über dieses Thema gegeben hat – in der gestrigenlangen Debatte sind beispielsweise viele Ihrer Fragenbeantwortet worden –, dass der Generalinspekteur be-reits im Mai dieses Jahres einige Dinge sehr kritisch an-gemerkt hat und dass der Minister zugesagt hat, dass eseinen schriftlichen Bericht geben wird, ist es aber nichtfair, dass Sie an die Mikrofone rennen und behaupten,dass es zig Fragen gibt, die offen geblieben sind. Das istso nicht wahr. Es gibt sicherlich Fragen, die noch geklärtwerden müssen. Aber das Entscheidende ist, dass wirnicht zurückblicken, sondern uns fragen, was die Bun-deswehr aus den Problemen gelernt hat. Lesson learnt!Natürlich müssen wir erkennen, dass es Probleme inder internationalen Struktur, nämlich in der Kommuni-kation und in der Führung, gegeben hat. Das kann nie-mand leugnen. Für diese sind wir verantwortlich, wennauch nicht alleine. Wir haben aber auch erkannt, dass esnicht ausreicht, wenn deutsche Soldaten in Bedrängnisnur die Wahl haben, in die Luft zu schießen oder sehrernsthaft von ihrer Waffe Gebrauch zu machen. Das istkeine gute Alternative.Es fehlte natürlich an Alternativen, mit solchen Situa-tionen umzugehen. Diese Lücke haben wir jetzt ge-schlossen: Die Soldaten haben die entsprechenden tech-nischen Vorrichtungen, sie haben Schilder und sie habenGeräte, um Menschenmassen auch einmal abzudrängen.Wir haben heute ein Gesetz beraten, dessen Verabschie-durdtvuSlzdnmdStvsdssa–wigVrAPmBsdfscBibskPmrn
Sie üben Kritik am Mandat im Kosovo, sowohl wasas operative Geschäft als auch was die außenpoliti-chen Bewertungen anbelangt. Zumindest die FDP übtehr lautstark Kritik an den Aufgaben in Afghanistan,m PRT-Mandat.
Sie sagen „zu Recht“. – Sie vergessen eines – dasollte ich Ihnen gerade sagen –: Ihre Kritik richtet sichn erster Linie nicht gegen diese Koalition, sondern ge-en die internationale Staatengemeinschaft, gegen dieereinten Nationen, gegen die NATO und gegen die Eu-opäische Union.
ll das, was in Afghanistan passiert, einschließlich derRTs, geht auf Beschlüsse der internationalen Staatenge-einschaft zurück.Herr Schäuble hat heute von der Verlässlichkeit derundesregierung gesprochen. Er hat dabei an die deut-che Irakpolitik gedacht. Die Verlässlichkeit der Bun-esregierung macht sich aber nicht an der Irakpolitikest. Sie macht sich vielmehr daran fest, dass wir bei un-erem Wort bleiben und in den Irak keine Soldaten schi-ken. Darüber hinaus macht sich die Verlässlichkeit derundesregierung daran fest, dass wir das, was wir in dernternationalen Staatengemeinschaft mit beschlossen ha-en und was wir natürlich mit gestalten wollen – es gehtchon darum, dass wir Einfluss nehmen; das ist ganzlar –, jetzt verlässlich umsetzen. Dazu gehören dieRTs. Sie kritisieren also die internationale Staatenge-einschaft. Die „Weltmacht“ FDP glaubt der Welt erklä-en zu können, wo es langgeht. Das kann doch überhaupticht angehen.
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Rainer ArnoldLassen Sie mich zum Schluss kommen. HerrAustermann, Sie haben moniert, die Bundeswehr wissenicht, was am Ende der Reformen stehe. Sie tun so, alsob das irgendwie vernebelt wäre. Die Angelegenheit istganz einfach zu erklären: Im Jahr 2010, wenn dieserBundeswehrtransformationsprozess abgeschlossen wird,wird die Bundeswehr mit weniger Personal effizienterund leistungsfähiger sein. Wir arbeiten gerade daran,dieses Ziel zu erreichen. Sie haben die Chance, mitzu-helfen, statt im Grunde genommen immer wieder Sandins Getriebe zu streuen und sich zum Helfershelfer dererzu machen, die die Modernisierung der Streitkräfte ver-hindern wollen.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Günther Nolting,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrMinister Struck, wir freuen uns, dass Sie wieder hiersind, und wir wünschen Ihnen persönlich alles Gute. Ichhoffe, dass Sie Ihr Amt bis 2006 ausführen können.
Herr Kollege Arnold, wir kritisieren nicht die gute Ar-beit der Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan – auchder Minister hat sich vorhin in diesem Sinne geäußert –;wir kritisieren aber das Konzept dieser Bundesregierung.Sie können sich daran erinnern, dass wir im Verteidi-gungsausschuss gefragt haben, welche Nationen unsdenn unterstützen. Es wurde groß angekündigt, dass eseine breite Unterstützung gibt. Diese Unterstützung be-läuft sich jetzt auf eine Handvoll Soldaten anderer Natio-nen. Angesichts dessen hier von einem Erfolg zu spre-chen kann wohl nicht richtig sein.
Bezüglich der Umstrukturierung haben wir vieles ge-hört. Die Transformation soll die Bundeswehr auf dieneuen Aufgaben, vor allem im Rahmen der internationa-len Konfliktverhinderung und Konfliktlösung, vorberei-ten. Der Schwerpunkt der Strukturreform wird folglichbei der Bewältigung von Auslandseinsätzen liegen. DasPersonal wird auf diese neuen Aufgaben vorbereitet.Das Material wird unter neuen Gesichtspunkten be-schafft. Großgerät wird in Krisengebieten mit extremenklimatischen Bedingungen gebraucht, soll dabei Vorranghaben und der Truppe schnellstmöglich zur Verfügunggestellt werden. Dabei wurde und wird vermehrt, auchauf Drängen der FDP-Bundestagsfraktion, der Schutzder Soldatinnen und Soldaten berücksichtigt.Alle diese Ausführungen sind richtig, aber der vorlie-gende Verteidigungshaushalt wird diesen AnforderungennrPWJesdwsftdSvAsubnhEmsgBLVd2mbAsUhWkflrhkludm
Bei Forschung und Entwicklung zum Beispiel, alsoei den Investitionen in die Zukunft, werden 50 Millio-en Euro gestrichen. Der Herr Bundeskanzler hat hiereute Morgen erklärt, dass gerade für Forschung undntwicklung mehr Geld zur Verfügung gestellt werdenuss. Aber genau das Gegenteil geschieht. Es wird ge-trichen. Auch hier gilt: Viel versprochen, aber nichtsehalten.
Was wirklich gestrichen werden sollte, sind dieeschaffungsvorhaben aus Zeiten der ausschließlichenandes- und Bündnisverteidigung. Dabei müssen alleorhaben auf den Prüfstand gestellt werden. Was nützter Bundeswehr ein schöner neuer Strukturplan für das1. Jahrhundert, wenn Ausrüstung und Bewaffnung da-it nicht kompatibel sind? Nichts! Unsere Soldatenrauchen jetzt das Gerät, das sie zur Bewältigung ihrerufträge im Ausland so dringend benötigen. Dazu müs-en die Investitionen dem Bedarf angepasst werden.Der ehemalige General und heutige Professor an derniversität der Bundeswehr München, Jürgen Schnell,at die Fehlplanungen der Investitionen vor wenigenochen schonungslos offen gelegt. Er stellte klipp undlar fest: Die Bundeswehr ist und bleibt deutlich unter-inanziert. Es fehlen ihr jährlich zwischen 1,5 und 3 Mil-iarden Euro, je nach gewählter Messgröße. – Die Regie-ung weiß dies. Sie unternimmt aber nichts. Auch hierält der Herr Bundeskanzler seine Versprechen nicht.Die knappen Mittel und Ressourcen für unsere Streit-räfte werden zusätzlich in eine falsche Richtung ge-enkt. Es wird zu viel für den Betrieb unserer Streitkräftend zu wenig für Investitionen ausgegeben.Wir müssen den Personalumfang der Bundeswehr re-uzieren, vor allem den mobilmachungsabhängigen. Wirüssen die infolge eingesparter Betriebsausgaben
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Günther Friedrich Noltingverfügbaren Mittel umschichten und wir müssen die Ver-teidigungsausgaben auf das notwendige Maß anheben.Werden diese Forderungen nicht schnell und konsequentumgesetzt, entstehen negative Auswirkungen auf dieBundeswehr, die unverantwortbar sind.Daneben sind die Folgen für die unabdingbare wehr-wirtschaftliche Basis in Deutschland unabsehbar. DieWettbewerbssituation der deutschen wehrtechnischenIndustrie wird weiter geschwächt und die Abhängigkeitvon ausländischen Rüstungsgütern nimmt zu. Dem mussaus unserer Sicht konsequent entgegengewirkt werden.Die deutsche wehrtechnische Industrie, gerade die mit-telständische wehrtechnische Industrie, ist verstärkt ein-zubinden. Forschung und Entwicklung sind konsequentvoranzutreiben. Die Investitionsquote ist aufzustocken.
Unter den jetzigen Voraussetzungen können weitereEinsätze von der Bundeswehr nicht erwartet werden.Der Fraktionsvorsitzende Dr. Gerhardt hat sich vorhindazu geäußert. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bun-desregierung trotz fehlender sicherheitspolitischer Be-gründung an der Wehrpflicht festhält. Diese Entschei-dung bindet ungeheure Mittel im personellen wie immateriellen Bereich. Ein internationaler Vergleich führtzu dem Ergebnis, dass infolge der Veränderung des An-forderungsprofils für unsere Streitkräfte die Wehrpflichtnicht passt und zu einem Auslaufmodell geworden ist.Wenn Sie sich den letzten Jahresbericht der Jugend-offiziere ansehen, so stellen Sie fest, dass auch die jun-gen Leute die Einberufungskriterien und den Auftrag derWehrpflichtigen nicht mehr nachvollziehen können.
Meine Damen und Herren, flankiert werden muss derTransformationsprozess der Bundeswehr durch sinn-volle Entscheidungen in der Standortfrage. Herr Kol-lege Austermann, Ihre Aussagen zu Standorten werdenSie sehr schnell einholen, wenn Sie in absehbarer Zeit ananderer Stelle oder hier Verantwortung tragen. Sie wer-den sich dann an dem messen lassen müssen, was Siehier ausgeführt haben. Natürlich muss die Anzahl derStandorte reduziert werden, wenn der Personalumfangder Streitkräfte reduziert wird. Wir stimmen mit demMinister überein, dass militärische und wirtschaftlicheGesichtspunkte im Vordergrund stehen müssen. HerrMinister, wir bitten Sie aber auch, so genannte weicheFaktoren wie Integration einzubeziehen. Ich denke, dasswir auch da einer Meinung sind.Darüber hinaus fordern wir, Herr Minister, dass diebetroffenen Kommunen finanziell so unterstützt werdenmüssen, wie es die alte CDU/CSU-FDP-Bundesregie-rung Anfang der 90er-Jahre gemacht hat.
Dort sind durch Steuerumschichtungen den betroffenenKommunen 7 Milliarden DM zur Verfügung gestelltworden.IGtBpagUdeduhesrdrdAlIhdsiDmbMsmlfwBHwszg
ch denke, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-rün, das ist ein Zeichen für verantwortungsvolle Poli-ik; denn Strukturpolitik ist nicht allein Aufgabe desundesministers der Verteidigung, sondern für Struktur-olitik im Zusammenhang mit Konversion ist der Bundls Ganzes zuständig. Auch hier müssen Sie Ihrer Auf-abe nachkommen.
Herr Minister Struck, ich hoffe, dass Sie bei dermstrukturierung unserer Bundeswehr Erfolg haben,enn die Soldatinnen und Soldaten hätten einen Miss-rfolg nicht verdient. Sie verrichten ja eine mitunter un-ankbare und risikobeladene Arbeit. Dafür bedanken wirns bei unseren Soldatinnen und Soldaten. Kritik, die ichier angebracht habe, richtet sich – ich sage das nochinmal – nicht gegen unsere Soldatinnen und Soldaten,ondern gegen Teile dessen, was hier von der Bundes-egierung vorgelegt wird.Insofern, Herr Minister Struck, kritisieren wir auchie derzeitige Informationspolitik des Bundesministe-iums der Verteidigung. Wir sind damit absolut unzufrie-en. Wir erwarten – das haben wir gestern ja auch imusschuss gesagt –, dass die Informationslücke bezüg-ich des Toten von Prizren vollständig aufgeklärt wird.ch hoffe, dass es sich dabei wirklich nur um eine Panneandelte und dahinter nicht System steckt. Sie wissen,ass der Verteidigungsausschuss Möglichkeiten hat,elbst für Aufklärung zu sorgen. Ich denke, Sie werdenn den nächsten 14 Tagen für Aufklärung Sorge tragen.a wir eine Parlamentsarmee haben,
uss das Parlament auch entsprechende Informationenekommen. Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Herrinister, Sie haben die Strategie im Kosovo infrage ge-tellt. Das habe ich jedenfalls heute der Presse entnom-en. Die FDP hat einen entsprechenden Antrag vorge-egt. Ich hoffe, dass wir weitere Diskussionen darüberühren und unser Antrag dann entsprechend unterstütztird.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei,
ündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Minister, als wir von Ihrer Erkrankung erfuhren,aren wir sehr erschrocken. Wir sind über Ihre Gene-ung erleichtert und wünschen Ihnen von ganzem Her-en stabile Gesundheit und volle Kraft. Sie werden hierebraucht.
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Winfried NachtweiZum Schluss der vorherigen Debatte haben wir übereine Ergänzung des Ausführungsgesetzes zum Chemie-waffenübereinkommen abgestimmt. Gestatten Sie mir,da dieses in der vorherigen Debatte inhaltlich fast garnicht angesprochen wurde, dazu noch kurze Nachbemer-kungen. Die März-Unruhen im Kosovo, die ja inzwi-schen schon mehrfach thematisiert wurden, zeigten sehrschnell zentrale Ausstattungslücken beim deutschenKFOR-Kontingent im Hinblick auf die Bewältigung ex-trem gewalttätiger Demonstrationen. Schon am 24. Märzwurde diese Frage im Verteidigungsausschuss themati-siert.Die jüngste Gesetzesänderung erlaubt der Bundes-wehr bei Auslandseinsätzen im Rahmen kollektiver Si-cherheit zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicher-heit und Ordnung den Einsatz solcher Reizstoffe, diebisher im Inland schon für die Polizei und den Bundes-grenzschutz zugelassen sind. Dabei galt es allerdings, al-les zu vermeiden, was die Rüstungskontrolle bei chemi-schen Waffen gefährden könnte. Das ist durch dieGesetzesänderung und durch die Ergänzung im Auswär-tigen Ausschuss vollständig gewährleistet; denn erstensgrenzt die klare Beschränkung des Einsatzzweckes die-sen eindeutig von der Verwendung in Kampfeinsätzen abund zweitens sind die Substanzen eindeutig benannt undwerden der Organisation für das Verbot ChemischerWaffen in Den Haag gegenüber deklariert.Selbstverständlich ist eine verbesserte Demoausstat-tung der Bundeswehr nur eine von vielen notwendigenKonsequenzen aus den März-Unruhen. Um diese Konse-quenzen genau definieren und bewerten zu können, sindeine umfassende und offene Aufklärung und eine Aus-wertung der März-Unruhen notwendig, zu der das Ver-teidigungsministerium, das Auswärtige Amt und das In-nenministerium zusammen beitragen müssen.
Es geht hier um mehr als „nur“ – in Anführungszei-chen – den Kosovo und mehr als nur den Sinn, die Per-spektive und die Akzeptanz dieses kostspieligen Einsat-zes; es geht darüber hinaus um einen Praxistest für denneuen Auftrag der Bundeswehr und um nicht weniger alseffektiven Multilateralismus.Bei Parlamentsdebatten um die Bundeswehr ist esBrauch, den Soldatinnen und Soldaten für ihren riskan-ten und professionellen Einsatz im Dienste der Gewalt-verhütung und Krisenbewältigung zu danken. Davon istauch nach dem März nichts zurückzunehmen; das giltweiter.
Unsere hohe Anerkennung für die Leistungen derSoldaten, Polizisten, Diplomaten und Zivilexperten ver-pflichtet uns aber zugleich zu nüchterner Defizitanalyseohne Beschönigungen, wie sie vor allem in den erstenWochen zum Teil praktiziert wurden, und ohne vor-schnelle Schuldzuweisungen, Sündenbocksuche oderSchwarze-Peter-Schiebereien. Meiner Erfahrung nachsind Minister Struck und GeneralinspekteurSvgrKislbknüsiMmbkgasVwrsoUkInMtrDgrdcvpbgSkHtdS
Die März-Unruhen und die damit einhergehendenroßflächigen so genannten ethnischen Säuberungen wa-en ein massiver Rückschlag und Ansehensverlust fürFOR, UNMIK und die internationale Gemeinschaftnsgesamt. Es geschahen gravierende Fehler auf ver-chiedenen Ebenen und bei verschiedenen Akteuren,ängst nicht nur, wie die Diskussion in der Bundesrepu-lik zum Teil den Eindruck erweckt, beim Bundeswehr-ontingent.Was sind die zentralen Konsequenzen? Unbedingtotwendig ist – da wiederhole ich mich – eine ressort-bergreifende integrierte Auswertung. Außerdem dürfenich – das ist hier schon öfter festgestellt worden, aberch bekräftige es noch einmal – Kontrollverluste wie imärz nicht wiederholen. Das UN-legitimierte Gewalt-onopol muss durchgesetzt werden. Dafür ist eine ver-esserte nachrichtendienstliche Aufklärung und Be-ämpfung der organisierten Kriminalität notwendig. Daseht nicht ohne eine angemessene Personalausstattung,n der es in der Vergangenheit zum Teil fehlte. Weiterhinind eine schnellere Reaktionsfähigkeit der KFOR, dieerbesserung der Führungsstrukturen und der Auf-uchsfähigkeit sowie vor allem eine verbesserte militä-isch-polizeiliche Zusammenarbeit in solchen Krisen-ituationen erforderlich. Von diesen Konsequenzen istffenkundig schon einiges umgesetzt worden.Schließlich geht es um die Stärkung der Kosovo- undN-Polizei, insbesondere um die Stärkung ihrer Fähig-eiten, mit gewalttätigen Demonstrationen umzugehen.n diesem Bereich haben wir auch in der Bundesrepublikoch einen Nachholbedarf. Eigentlich sollte nicht dasilitär zur Bewältigung von gewalttätigen Demonstra-ionen primär zuständig sein, sondern die Polizei mit ih-en Einsatzhundertschaften.
iese Einsatzhundertschaften kommen zurzeit überwie-end aus der Dritten Welt. Wir haben uns Gedanken da-über zu machen, welche Beiträge wir für die Stärkungieser Polizeikomponente leisten können. Eine entspre-hende Diskussion muss begonnen werden.
Das Kosovo bleibt weiterhin ein hochexplosives Pul-erfass, wenn es nicht zugleich sichtbare Fortschritte imolitischen Prozess, beim wirtschaftlichen Aufbau undei der Förderung der kosovarischen Zivilgesellschaftibt.In den letzten Jahren machte sich in Europa und in dertaatengemeinschaft insgesamt eine Art Balkanmüdig-eit breit. Das war angesichts der neuen terroristischenerausforderungen und des verlagerten Interesses Rich-ung Irak verständlich und plausibel, aber ein gravieren-er Fehler. In den letzten Jahren stand das Interesse dertaatengemeinschaft im Vordergrund, im Kosovo und in)
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Winfried NachtweiBosnien durch die Reduzierung der Kontingente im Be-reich KFOR und im Polizeibereich Kosten zu sparen.Die Entschärfung des Pulverfasses Kosovo brauchtaber das verstärkte, zuverlässige und ausdauernde politi-sche Engagement der internationalen Gemeinschaft. Da-bei bleibt die Linie „Standard vor Status“ meiner Auf-fassung nach ohne verantwortbare Alternative. Zugleichaber – wir haben es hier nicht mit einem mechanistischenDogma zu tun – müssen wir einige Punkte überprüfen.Wir haben beispielsweise zu überprüfen – dieser Punktist seit gestern wieder verstärkt in der Diskussion –, wel-che Form von Multiethnizität im Kosovo notwendig undmöglich ist und überhaupt eine Perspektive hat. Auchdies ist eine Diskussion, die weitergeführt werden muss.Um Frieden und Stabilität zu bewahren und zu fördern,ist ein effektiver Multilateralismus unabdingbar. DieTransformation der Bundeswehr ist dabei ein bedeuten-der und unverzichtbarer Baustein. Wir können feststellen– das ist positiv –, dass im kommenden Jahr die Schlüs-selgröße „Investitionsquote“ von 24,6 auf 25,6 Prozenterhöht werden kann. Aber wir müssen auch nüchtern fest-stellen: Dieser Fortschritt im Sinne eines effektiven Mul-tilateralismus wird nicht helfen, wenn er nicht mit derStärkung der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungs-politik der Bundesrepublik insgesamt einhergeht.Hier im Bundestag sind wir uns meines Wissens imHinblick auf die gewachsene internationale Verantwor-tung der Bundesrepublik einig. Heute ist schon mehrfachfestgestellt worden: Die Anforderungen an die Bundes-republik und an ihre internationale Politik sind in denletzten Jahren rapide gewachsen. Die dadurch anfallen-den Kosten haben sich von der tatsächlichen Finanzaus-stattung immer weiter entfernt. Investitionen in einen ef-fektiven Multilateralismus sind Zukunftsinvestitionenpar excellence. Diese Einsicht muss sich in diesem Haus,aber auch in unserer Gesellschaft durchsetzen.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian
Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnenund Kollegen! Dem Kollegen Nachtwei bin ich einenDank schuldig. Er hat bei der Haushaltsdebatte des letz-ten Jahres Grüße an mich geschickt. Auch jetzt hat erwieder den Minister willkommen geheißen. Wenn manweiß, was es bedeutet, krank zu sein, ist man froh, wennman wieder da ist. Deswegen darf ich jenseits aller Poli-tik wirklich sagen: Wir sind froh, dass Peter Struck wie-der da ist.
Die Freude hat sich insofern etwas steigern lassen, alsdie eine oder andere Personaloption, die in der Zeit sei-ner Abwesenheit gehandelt worden ist, hinfällig gewor-dsmtdnhTggfBsihhhddefnt–guVfGuSdrkShasddgaNveGvnGAbc
Der Verteidigungsminister ist ja kein Minister wie je-er andere. Er ist ein entscheidender Minister – leidericht gegenüber dem Finanzminister –, was die Sicher-eit unseres Landes und Entscheidungen über Leben undod von Menschen betrifft. Er muss seine Entscheidun-en schnell treffen. Deswegen ist es auf der einen Seiteut und notwendig – das werden wir uns sicherlich alleür die Zukunft vornehmen –, dass für diejenigen, dieescheid wissen müssen, gute Informationen vorhandenind. Spekulationen sollten auf der anderen Seite nichtns Kraut schießen.Nun müssen wir uns wieder über den Haushalt unter-alten. Natürlich habe ich gedacht: Sieh an, Peter Struckat gelesen, was im Haushalt steht, und sich gesagt: Dasat Märchenbuchcharakter, da nehme ich lieber erst iner zweiten oder dritten Lesung Stellung und nicht jetzt,a es nach der Steuerschätzung vielleicht doch noch deninen oder anderen Streitpunkt gibt.Ich habe bereits im Frühjahr Sekundanz angeboten,alls es zu Show-downs kommen sollte, weil ich – undicht nur ich, sondern auch viele andere aus meiner Par-ei und meiner Fraktion – in der Tat der Meinung bindas darf ich hier unterstreichen –, dass der Verteidi-ungshaushalt ein Art Grundkataster für die Sicherheitnseres Landes ist und er deswegen nicht der normalenolatilität unterstellt werden kann. Dass er davon nichtreigestellt werden kann, ist uns auch klar. Dass aber dierundlagen für eine weitere wirtschaftliche Erholungnd für neue wirtschaftliche Perspektiven an anderertelle liegen müssen, ist auch wahr.Wahr ist aber auch, dass die Diskrepanz zwischenem Anspruch der Politik und ihrem finanziellen Spiel-aum immer größer wird. Es geht nicht, dass der Bundes-anzler oder der Vizekanzler den Kampf um den Sitz imicherheitsrat der Vereinten Nationen führen, ohne vor-er zu überlegen, welche Verpflichtungen und Aufträge,ber auch welche haushaltsrelevanten Kosten das mitich bringt. Das bereits jetzt festzustellende Auseinan-erklaffen zwischen internationalen Verpflichtungen unden Mitteln, die wir im Verteidigungshaushalt zur Verfü-ung stellen – nicht nur im Verteidigungsetat, aber ebenuch dort –, wird immer größer.Ich will nur zwei Begriffe nennen: zum einen dieATO-Response-Force. Das klingt neu und nach Inno-ationen. Hier findet über die NATO ausnahmsweiseinmal eine Innovation statt. Diese Innovation kosteteld. Der andere Begriff bezieht sich auf ein Konzept,on dem ich gehört habe, dass es der Verteidigungsmi-ister neuerdings sehr stark befürwortet: das Battle-roup-Modell, das im Wesentlichen für den Einsatz infrika vorgesehen ist. Auch das kostet Geld. Dies wurdeereits gesagt; ich wollte das noch einmal unterstrei-hen.
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Christian Schmidt
Nun neigt der Kollege Arnold – wenn ich das sagendarf – dazu, zu sagen: Es ist doch alles in Ordnung; wasschimpft ihr denn? Es ist eben nicht alles in Ordnung.
– Sie haben doch geschimpft. – Ich will Ihnen etwas vor-lesen; vielleicht kennen Sie das Papier. Dort steht:Ein Verzicht auf zwingende Neuvorhaben im Be-reich der militärischen Beschaffungen– „zwingend“ interpretiere ich so, dass es sich dabei umDinge handelt, die notwendig sind, um unsere Sicherheitzu gewährleisten und die internationalen Verpflichtun-gen unseres Landes einzuhalten –konnte nur durch Eingriffe in Finanzierungsabläufeund nicht zwingend zum jetzigen Zeitpunkt erfor-derliche Ergänzungsverträge vermieden werden.Wer etwas vom Haushalt versteht, der weiß, dass derEtat nicht nur auf Kante genäht ist, sondern dass dieNaht geplatzt ist.Der nächste Satz lautet:Für die kommenden Haushalte ist dies nicht wie-derholbar.Das ist keine Oppositionsrhetorik. Vielmehr sind das Ein-schätzungen, die in Ihrer eigenen Fraktion zum Verteidi-gungshaushalt bestehen. Wir müssen in einen ernsthaftenDialog darüber eintreten, wie wir den Verteidigungshaus-halt mittelfristig gestalten müssen und können.Wir müssen uns genau überlegen, wie die internatio-nalen Verpflichtungen erfüllt werden und womit sieverknüpft sind. Was heute der Außenminister, der Vertei-digungsminister und andere Politiker zu den internatio-nalen Verpflichtungen in Afghanistan und im Kosovogesagt haben, war hörens- und lesenswert. Dazwischenliegen Welten,
nicht nur bei der Frage „Standards vor Status“.Wer entscheidet da nun eigentlich? Trifft einer dieEntscheidung, Soldaten zu entsenden, und muss der an-dere dann sehen, wie er die Truppe zusammenbringt undden Einsatz bezahlt? So kann die Rechnung auf Dauernicht funktionieren. Bei dieser unseriösen Haushaltspoli-tik nimmt die Glaubwürdigkeit unseres Landes großenSchaden. Da spreizt sich etwas. Darüber muss geredetwerden.Damit sind wir bei dem Punkt, den wir seit Jahren be-klagen. Es gibt die Verteidigungspolitischen Richtliniendes Verteidigungsministers. Da wurden interessante– zum Teil sehr begrüßenswerte, zum Teil eher kritik-würdige – Sachen zusammengeschrieben und zur Richt-linie für das Ressort gemacht. Das ist in Ordnung. Esfehlt nach wie vor ein Weißbuch, in dem auch das Aus-wärtige Amt und der Bundeskanzler sagen, was ihre po-litische Zielsetzung ist.
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Die Afghanistanfrage werden wir in Kürze gesondertdiskutieren. Ich meine aber, dass noch zwei Punkte an-gesprochen werden müssen. Herr Minister, Sie haben inden nächsten Monaten eine dicke Packung an Arbeit vorsich. Sie wollen 100 Standorte schließen. Sie müssendas gegenüber Politikern der Landes-, der Kommunal-und der Bundesebene vertreten. Sie müssen dann denStreit aushalten – den ich für richtig halte –, wieso derHeimatschutz komplett ausgegliedert wird, wieso dieVBKs auf Null gefahren werden und wieso man eigent-lich das Konzept einer nationalen Gesamtsicherheitsstra-tegie nicht weiterführt. Ich halte das für einen grobenFehler, über den wir noch zu diskutieren haben werden.
Wir werden natürlich auch über die Fragen zu disku-tieren haben, die die Wehrpflicht betreffen. Ich bitte da-rum, dass man über die Wehrpflicht nicht wie über einenLichtschalter redet; man kann die Wehrpflicht nicht ein-und ausschalten, so wie es einem gerade beliebt. Wenndie Wehrpflicht einmal weg ist, dann ist sie weg. Dannist sie politisch nicht mehr zu wiederholen.
Wir alle miteinander haben eine Verpflichtung vor derBevölkerung und vor unseren Mitbürgern. Deswegenmüssen wir mit Augenmaß und dort, wo es notwendigist, kooperativ arbeiten. Wenn einem diese Sache amHerzen liegt, dann muss man sie aus dieser Sicht ange-hen. Betrachten Sie das als ein Angebot zum Ende mei-nes Debattenbeitrages. Wir werden aber sicherlich nichtam Ende des Streites über die Zukunft der Bundeswehrsein.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Verena
Wohlleben.
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Ach, Kurt, sei nicht so streng. – Trotzdem werden derundeswehr unter dem Strich im nächsten Jahr rund00 Millionen Euro mehr zur Verfügung stehen als004, das ist Fakt. Das ist unter den gegebenen Umstän-en ein Erfolg, für den ich dem Bundesminister der Ver-eidigung und den an den Verhandlungen beteiligtentaatssekretären und Mitarbeitern meinen herzlichenank aussprechen möchte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,ch glaube, Sie werden mir nicht widersprechen, wennch sage, dass es kaum einen Politikbereich gibt, in demir so sachlich und oft auch konstruktiv zusammenar-eiten wie in der Verteidigungspolitik.Aber, Herr Schmidt, ich muss Ihnen wirklich Rechteben: Wir müssen noch mehr in den Dialog treten, vorllen Dingen über den Haushalt; denn momentan weißch überhaupt nicht mehr, was Sie wirklich wollen.
as wird anderen auch so gehen; denn bisher war es im-er so, dass Sie alljährlich ohne seriöse Finanzierungs-orschläge höhere Mittel für den Einzelplan 14 gefordertaben.
Aber seit dem letzten Wochenende fordert der Minis-erpräsident Bayerns, Herr Dr. Stoiber, eine pauschaleürzung des Bundeshaushalts um 5 Prozent. Das ent-präche, wie der Bundesminister ausgeführt hat, einerürzung der Mittel der Bundeswehr in Höhe von,2 Milliarden Euro. Damit wären die Weiterentwick-ung der Bundeswehr und wichtige Beschaffungspro-ekte mehr als gefährdet. Vorschläge, wo gekürzt werdenoll, bleiben aus. Des Weiteren fordert Herr Austermannls zuständiger Haushaltsexperte der Union, den Etat umProzent zu kürzen.
Können Sie mir die Frage beantworten, was nun gilt?ollen Sie draufsatteln oder kürzen? Wollen Sie umProzent oder um 3 Prozent kürzen? Was wollen Sie ei-entlich? Diese Fragen müssen Sie uns beantworten.ber Sie bleiben die Antworten schuldig. Mit Verlaub,as, was Sie machen, ist nicht das, was wir uns unteronstruktiver Oppositionspolitik vorstellen.Zurück zu unserem Haushalt. Das Gebot der Stundeautet, mit den vorhandenen Mitteln bestmöglich zuaushalten und gleichzeitig das Verhältnis von Betriebs-osten zu investiven Ausgaben zu verbessern. Hier ist
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Verena Wohllebendie Bundeswehr auf dem richtigen Wege. Die erstenAuswirkungen werden schon im vorliegenden Haus-haltsentwurf sichtbar; denn sowohl die Personalkostenals auch die Ausgaben für Materialerhaltung und Betriebkonnten signifikant reduziert werden.Im Gegenzug wachsen die verteidigungsinvestivenAusgaben um 190 Millionen Euro auf 25,6 Prozent desGesamtetats dieses Einzelplans. Herr Austermann, dashaben Sie nicht erwähnt. Aber das ist Fakt. Wohlgemerktsind hier die geplanten Veräußerungs- und Verwertungs-erlöse noch gar nicht veranschlagt. Sie könnten zur wei-teren Verstärkung der Investitionen verwendet werden.Ich muss sagen, dass wir sie auch dringend brauchen: fürdie Weiterentwicklung der Bundeswehr, für die Einhal-tung unserer internationalen Verpflichtungen und für denErhalt zumindest eines gewissen finanziellen Hand-lungsspielraumes.Mittelfristig wird dies allein jedoch nicht ausreichen,auch das müssen wir eingestehen. Deshalb ist es wichtigund richtig – Herr Austermann, auf 37 folgt 38 –, dassauch im vorliegenden 38. Finanzplan eine deutliche Er-höhung des Verteidigungsetats ab dem Jahr 2007 vorge-sehen ist.
Die Bundeswehr muss und wird mehr Geld bekommen,sobald dies finanzpolitisch möglich und verantwortbarist.
Die Bundeswehr ist Gott sei Dank – Herr Nolting, Siehaben das erwähnt – eine Parlamentsarmee. Darübersind wir sehr froh.
– Ja, wir als Parlament schicken die Soldaten und Solda-tinnen durch unsere Beschlüsse in ihre Einsätze.
Darum obliegt es insbesondere unserer Verantwortung,dass ihnen die Ausrüstung zur Verfügung steht, die opti-male Wirkung bei optimalem Schutz ermöglicht. Ichweiß, dass wir uns in diesem Punkt alle einig sind. Aberich finde, das kann man nicht oft genug sagen.
Deshalb ist das Vorhaben Puma zum Beispiel für dasHeer von so großer Bedeutung.
Denn die Gefahr für unsere Soldaten im Einsatz gehtnicht von Hightech-Waffen aus, sondern von Minen undeinfachen, aber gefährlichen Waffen wie der weltweitverbreiteten Panzerfaust RPG-7. Diese Waffe kann manfür sage und schreibe circa 30 Dollar in allen Krisenregi-onen kaufen. Wie Fernsehbilder beweisen, wird sie indiesen Regionen von Rebellen und Terroristen mitge-führt und auch eingesetzt. Dabei handelt es sich um einempkslwdzgBdesstutdsngtdiwmzazDPzahdBuglutzdMtK2kkwdu
ap. 1420 ist bereits über die Plus-Minus-Liste um1 Millionen Euro verstärkt worden und weitere Verstär-ung ist möglich; wir werden uns darüber unterhalten.Die Löcher in der Produktionsauslastung der Firmenönnen wir nur über verstärkte Forschungs- und Ent-icklungsaufträge mildern. Dadurch geben wir der In-ustrie die Möglichkeit, Ingenieurleistungen zu haltennd somit das Abwandern von hoch qualifiziertem
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Verena WohllebenPersonal zu verhindern. In diesem Zusammenhang mussuns weiter daran gelegen sein, dass generell bei der Ver-gabe von Aufträgen ein Augenmerk auf industrielleWertschöpfung in Deutschland gerichtet wird, damit wirunsere Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit, gerade auchbei unseren mittelständischen Betrieben, erhalten.Ich komme zum Schluss. Diese Strategie schafft underhält Arbeitsplätze. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerk-samkeit und bitte Sie gleichzeitig: Lassen Sie uns die an-stehenden Haushaltsberatungen sachlich und konstruktivfür unsere Bundeswehr führen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Thomas
Kossendey.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die optimistische Einschätzung, die hier mehrfach zumHaushalt geäußert worden ist, zuletzt von der KolleginWohlleben, kann ich eigentlich nicht teilen. Mir ist nochzu deutlich im Ohr, wie wir vor zwei Jahren zum erstenMal die Summe von 24,4 Milliarden Euro gehört haben,die bis 2006 durchgeschrieben werden sollten. Wir ha-ben jetzt nicht 24,4 Milliarden Euro, sondern 23,9 Mil-liarden Euro. Wenn wir die Einnahmen dazurechnen, hatder Minister gesagt, sind wir bei 24,04 Milliarden Euro,nicht bei 24,40 Milliarden Euro. Dabei ist überhauptnoch nicht eingerechnet, dass wir wegen Hartz im Haus-halt noch eine Minderausgabe von über 2 MilliardenEuro einzukalkulieren haben und dass auch die globaleMinderausgabe von 1,4 Milliarden Euro noch nicht ein-gerechnet ist. Es wäre schon ziemlich optimistisch,anzunehmen, dass diese Minderausgaben an unseremHaushalt vorbeigehen.Natürlich ist es so, dass die Bundeswehr bei ihren in-ternationalen Einsätzen gut ausgerüstet ist und dass dieSoldaten auf das Material, das sie mitnehmen, tatsäch-lich vertrauen können. Aber das ist doch nicht alles, waswir in der Bundeswehr haben. Gehen Sie doch zum Bei-spiel einmal zum Fallschirmjägerbataillon 313 nachVarel und fragen Sie, wie die Übungstätigkeit mit demWiesel abläuft. Die Wiesel sind nämlich alle im Einsatz.In Varel stehen mitten auf dem Kasernenhof zwar vierneue, sie dürfen aber nicht zu Übungszwecken genutztwerden, weil sie stillgelegt sind, da man sie eventuellirgendwann einmal für einen weiteren internationalenEinsatz braucht. Sie laufen also immer drum herum, an-statt mit diesen Fahrzeugen zu üben. Das Problem ist,dass die mangelnde Ausstattung der Soldaten, die zuHause geblieben sind, dazu führt, dass die Motivationderer, die üben müssten, gar nicht mehr in dem Maßevorhanden ist, wie es sein müsste. Das ist der politischeVorwurf, den wir dem Ministerium machen.
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Eigentlich liest sich der Bericht des Rechnungshofes,en wir dazu erhalten haben, genauso wie die Liste derrmahnungen, Warnungen und Hinweise, die wir voner Opposition dem Ministerium in den vier Jahren von998 bis 2002 gegeben haben.Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Worteum Thema Zivilpersonal sagen. Dieses soll ja auf5 000 reduziert werden. Mir hat bis heute noch nie-and irgendeine Struktur vorgelegt, aus der hervorgeht,arum es 75 000 sein müssen.
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Thomas Kossendey
Die einzige Begründung ist die, dass der Finanzministerdas Geld nicht hergibt, um mehr zu bezahlen. Das ärgertdie Zivilbediensteten der Bundeswehr; denn sie habeneigentlich erwartet, dass diese Kürzung auf der Grund-lage einer Struktur geschieht.Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass es nach den Erfah-rungen der Vergangenheit nicht möglich sein wird, dieseReduzierung zu erreichen, indem wir darauf warten, dassviele aus Altersgründen aus der Bundeswehr ausschei-den. Selbst wenn wir optimistische Zahlen annehmen,werden bis 2010 immer noch 5 000 bis 10 000 übrigbleiben. Bis heute weiß niemand, was mit diesen Men-schen geschehen soll.Ich glaube, dass wir – Sie als Bundesregierung undwir als Parlament – uns Gedanken darüber machen müs-sen, wie wir diesen Menschen ein Angebot für die Zu-kunft machen können. Das kann durch Tarifverträge ge-schehen. Die Frage lautet aber: Wer hat mit Verdigesprochen? Das kann man möglicherweise auch durchAbfindungen regeln. Die weitere Frage lautet: Wer leiertdem Finanzminister das Geld dafür aus den Rippen? Daskann natürlich auch durch so genannte Auffanggesell-schaften geschehen, wie es sie bei der Post und bei derTelekom gab. Ich weiß aber nicht, ob diese Vorgehens-weise auch für die Bundeswehr klug wäre.Herr Minister, ich sage Ihnen allerdings eines: Wennwir dieses Thema nicht ernsthaft anpacken, dann werdensich die Menschen in der Bundeswehr ungerecht behan-delt fühlen. Ich kann Ihnen nur sagen: Es handelt sichum Menschen, die soziale Beziehungen und Nöte haben,und nicht etwa nur um Kostenstellen mit zwei Ohren, dieman statistisch hin- und herschieben kann.Ich komme zum Schluss. Bei der Erblast, die Sie auf-grund der Fehler bei der GEBB zu tragen haben, könnenSie nicht erwarten, dass wir Ihnen hierbei politisch hel-fen. Sie haben alle unsere Anregungen in den Wind ge-schlagen, alleine gehandelt und somit auch allein diepolitische Verantwortung zu tragen.Für die Zukunft will ich Ihnen aber anbieten, dass wiruns gerne kooperativ mit Ihnen auseinander setzen,wenn all das, was die GEBB in der Vergangenheit unzu-reichend gemacht hat, auf eine neue Basis gestellt wird.Ich bin nämlich der Meinung, dass das ein guter Wegwäre, der Bundeswehr im Investitionsbereich zu helfen.Tun Sie es aber bitte mit dem Parlament und mit der Op-position, damit wir für diese Aktivitäten eine breite Ba-sis haben. Dann sehe ich langfristig die Möglichkeit, imInvestitionsbereich zu Mehreinnahmen zu kommen. So,wie es gewesen ist, kann es nicht weitergehen. Ich hoffe,Sie besinnen sich anlässlich dieser Haushaltsberatungen.Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Elke Leonhard.
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abei können alle Fragen gestellt und beantwortet wer-en!Zweitens. Wie alle anderen freue ich mich – lassenie mich das an dieser Stelle sagen –, dass der Ministerier ist. Keiner freut sich mehr als ich.
ber ich habe schon in den Wochen zuvor gemerkt, dassr wieder gesund ist, sonst hätte er nicht mit mir über soiele Punkte streiten können, was er getan hat. Ich hoffe,as geht so weiter, sonst würde mir etwas fehlen.Drittens. Herr Kollege Nolting: Ich glaube, es ist Ihrereschätzten Aufmerksamkeit entgangen, dass der Kol-ege Bonde und ich – flankiert von allen anderen – imetzten Jahr, als der Forschungsetat um ein Erheblichesekürzt werden sollte, erreicht haben, dass der Etat inerschiedenen Bereichen wieder um ungefähr 100 Mil-ionen Euro aufgestockt wurde.
ie verschiedenen Punkte im Forschungsetat will ich anieser Stelle nicht nennen. Ich habe sie in einigen Arti-eln schon ausführlich behandelt. Insofern wird es unsuch jetzt wieder gelingen!Es ist ganz wichtig, dass wir in Forschung und Ent-icklung investieren. Wer in einem Auslandseinsatz un-erwegs ist, der sieht natürlich sehr schnell, wo ein Man-el herrscht und wo nachgebessert werden muss. Dasann nur durch vernünftige Forschung und Entwicklungeschehen.Viertens. Nun zum Thema Wehrpflicht, Herr Kol-ege Nolting. Zu dem, was ich gerade genannt habe,ann ich Ihnen positiv mitteilen, dass wir uns dafür
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Dr. Elke Leonhardeinsetzen werden. Aber bei der Wehrpflicht möchte ichsagen: 65 Prozent dieses Hauses wollen die Wehrpflicht.
Wir haben eine der intelligentesten Armeen der Welt.Das bleibt auch so und das hat mit der Wehrpflicht nichtunwesentlich zu tun!
– Ich komme gleich dazu. Leider habe ich nur wenigeMinuten Redezeit, sonst würde ich Ihnen darauf gerneantworten.Fünftens. Herr Kollege Austermann, wir waren im-mer bemüht, wirklich absolut an der Sache orientiert zuarbeiten.
Aber im letzten Jahr haben Sie sich der Gesamtberatungverweigert! Nachdem wir zum Ausdruck gebracht ha-ben, wie schade das sei und dass Sie doch wenigstensselbst einbringen sollten, was Sie zu sagen haben, habenSie sich dazu bereit erklärt.
Aber: Dann kamen 400 leere Seiten. Herr Austermann,wenn ich Sie nicht wirklich sehr schätzte und manchmalals sehr konstruktiv empfände,
würde ich sagen, Sie sind die ätzende Ausgabe eines de-struktiven Charakters.
Ich will jetzt nicht zu umgangssprachlich werden, aberpassen Sie auf, dass die Sache nicht chronisch wird. Daswäre ungesund!Von dieser Stelle möchte ich – lassen Sie mich diesnoch einmal unterstreichen – an die Adresse der Solda-ten im Einsatz unseren Respekt bekunden. Ihre Profes-sionalität und Empathie schaffen in vielen Ländern derWelt Vertrauen. Lassen Sie mich auch dies wiederholen:Sie und ihre Familien können sich unserer Fürsorge-pflicht und Verantwortung sicher sein. Ihr Schutz ist ge-währleistet!Ich möchte jetzt nicht auf die Einzelheiten des Vertei-digungsetats eingehen; das haben die Fachpolitiker zumTeil schon gemacht. Daher nur ein paar Worte.Der Verteidigungsetat leistet auch in diesem Haus-haltsjahr einen substanziellen Beitrag zur Konsolidie-rung des Bundeshaushaltes. Allerdings ist der Einspar-beitrag an der Grenze des Tolerierbaren, wenn dieerforderlichen Investitionen für die durch die Bundesre-publik Deutschland eingegangenen internationalen Ver-pwssNnHDftaNhmtunIceFdHulZsls–udldrtAnbgwiharsrgwS–
ur so viel: Durch eine Kürzung von 5 Prozent würdenatürlich große Beschaffungsvorhaben, insbesondere deseeres, wie zum Beispiel die Heeresfahrzeuge Dingo 2,uro, ESK Mungo und der Schützenpanzer Puma ge-ährdet.Im Bereich der Entwicklung ist unter anderem auf dasktische Luftverteidigungssystem MEADS und dasATO-Vorhaben AGS hinzuweisen. Diese beiden Vor-aben – das unterstreiche ich als Atlantikerin noch ein-al – sind die einzigen größeren transatlantischen Rüs-ngsvorhaben.Vom Eurofighter will ich gar nicht reden. Dessen Fi-anzierung – das wissen Sie alle selbst – ist gesichert.nsofern hieße das Eulen nach Athen tragen.Ich möchte aber einige Sätze zu den Aufgabenberei-hen und Erfolgen der Bundesregierung sagen. Zunächstin Kompliment an den Minister und die militärischeührung. Die eingeleiteten Maßnahmen zur Umsetzunger Transformation der Bundeswehr haben bereits imaushalt 2005 dazu geführt, dass die Betriebsausgabenm mehr als 550 Millionen Euro auf nunmehr 17,5 Mil-iarden Euro zurückgeführt werden konnten mit demiel, die investiven Ausgaben zu stärken. Allein die Per-onalausgaben wurden spürbar um mehr als 300 Mil-ionen Euro auf rund 12 Milliarden Euro gesenkt. Dasind Zahlen, die sich sehen lassen können.Durch die Entlastung bei den Betriebsausgabenunser Ziel ist ja eine Senkung der Betriebsausgabennd eine Steigerung der investiven Ausgaben – konntenie verteidigungsinvestiven Ausgaben auf rund 6,1 Mil-iarden Euro erhöht werden. Allerdings konnte wegenes vom Einzelplan 14 zu erbringenden Konsolidie-ungsbeitrages nur ein kleiner Anteil der bei den Be-riebsausgaben eingesparten Mittel tatsächlich für dieufstockung der verteidigungsinvestiven Ausgaben ge-utzt werden.Beim Verhältnis von Betriebs- zu Investitionsausga-en wurde der Investitionsanteil auf 25,6 Prozent gestei-ert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das istenig. Es ist weniger, als wir erreichen wollten, aber esst mehr als 1997. Das müssen Sie sich immer vor Augenalten lassen.Wir müssen uns – das sagte Herr Kollege Kossendeyuch deutlich – der Privatisierung zuwenden. Das istichtig. Lassen Sie mich deshalb mit zwei Bemerkungenchließen. Erstens. Blicken wir doch endlich auf erfolg-eiche Beispiele zweier Länder, die jahrelange Erfahrun-en im Bereich PPP, Public Private Partnership, vorzu-eisen haben. Es geht schlichtweg um die intelligentetrategie des Staates, Zeit einzukaufen, und es geht auch dazu bekenne ich mich – um Aufträge an die Wirt-
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Dr. Elke Leonhardschaft. Ich möchte eine starke und keine schwache Wirt-schaft.Die Briten verstehen unter „Smart Acquisition“ eineeffiziente Zeit-Kosten-Leistungsrechnung, beispielsweisezur Beschaffung von Verteidigungsmaterial. Allerdingskam der Verteidigungsausschuss des House of Commonsin den letzten Wochen zu dem Ergebnis – der Bericht istsehr interessant, ich kann Sie nur animieren, diese Lek-türe zu lesen –, dass es bei „Smart Acquisition“ Pro-bleme im Verfahren gibt, die verhindern, dass dieser Pro-zess funktioniert.Zweitens möchte ich sagen, dass die VereinigtenStaaten bereits über eine 20-jährige Erfahrung in derFrage Outsourcing verfügen. Mit der Richtlinie A 76 ha-ben sie eine klare Identifikation aller outsourcbaren Akti-vitäten und sie haben, was wichtig ist, Rechtssicherheithergestellt. Als politische Maßgaben stehen dabei – ers-tens – das Senken der Staatsquote, – zweitens – die Reduk-tion der Anzahl der Bundesangestellten und – drittens –Kosteneinsparung im Mittelpunkt der Bemühungen desKongresses und des Weißen Hauses. Eine unabhängigeKommission bewertet die – –
Frau Kollegin, Sie sind jetzt weit über die Zeit. Bitte,
beachten Sie das.
Dann komme ich zum Ende. Eine unabhängige Kom-
mission bewertet die Angebote – –
Sie müssen jetzt wirklich Schluss machen.
Wer 10 Prozent günstiger ist oder 10 Millionen ein-
spart, der bekommt den Auftrag. Ich glaube, das wäre
ein Weg, der sehr intelligent ist.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Helmut Rauber.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wer die Reden von Vertretern der Regierungs-parteien nicht nur heute, sondern auch an anderer Stellegehört hat, der kann nur staunen. Sie tun so, als seien siees gewesen, die damit anfingen, die Bundeswehr fürneue Aufgaben umzustrukturieren.
Die Wahrheit ist eine ganz andere. Herr Erler, sie warenes, die gegen alles waren, was zu mehr internationalerVerantwortung Deutschlands geführt hat.DeÄn1hULBafbAtdddgwekdAdrrvtswlesgwdbjddskHs5ecgsLw
ie Petersberger Aufgaben stehen heute synonym fürine neue Außenpolitik. Sie wurden 1992 unter dergide der CDU auf dem Petersberg formuliert.
Ich selber kann Ihnen einige Hinweise auf frühericht ersparen. Vor elf Jahren, Mitte 1993, standen700 Soldaten in Somalia, um Menschen vor dem Ver-ungern zu retten und vor Verbrechern zu schützen.nsere Soldaten führten damals Transportaufträge zurebensrettung durch, sie reparierten Straßen, sie bautenrücken, sie räumten Minen weg und bereiteten Wasseruf. Per einstweiliger Anordnung durch das Bundesver-assungsgericht hatten Sie versucht, zu verhindern, dassewaffnete Infanterie zum Schutz unserer Soldaten nachfrika entsandt wird.Es war die SPD, die noch im Juni 1994 durch ein Ur-eil des Bundesverfassungsgerichtes verhindern wollte,ass deutsche Piloten in den AWACS mitfliegen bzw.ass sich die Marine in der Adria an der Durchsetzunges Waffenembargos beteiligt. Es darf schon die Frageestellt werden, was auf dem Balkan passiert wäre,enn sich Europa rechtzeitig auch mit Waffengewaltingemischt hätte. Dieser Bürgerkrieg auf dem Balkanostete 250 000 Menschen das Leben und führte dazu,ass in der Hochphase bis zu 800 000 Menschen bei unssyl fanden, wozu jährlich zwischen 10 und 15 Milliar-en Euro als Hilfe zum Lebensunterhalt notwendig wa-en.Als Volker Rühe 1994/95 37 000 Soldaten als Krisen-eaktionskräfte aufstellen wollte, sprachen die Grünenon einer Interventionsarmee und von einer Außenpoli-ik des Neoimperialismus. Es ist die gleiche Partei, diepäter, als 150 000 Soldaten als Einsatzkräfte aufgestellterden sollten, Beifall klatschte. Die Verteidigungspo-itischen Richtlinien waren so gesehen in erster Linieine Kurskorrektur von Rot-Grün im Bereich der deut-chen Außen- und Sicherheitspolitik. Diese Verteidi-ungspolitischen Richtlinien gehen uns jedoch nichteit genug. Wir wollen eine enge Verzahnung zwischener Außen- und Innenpolitik. Es ist schlichter Unsinn, zuehaupten, wir wollten Wehrpflichtige als Terroristen-äger einsetzen. Dies will niemand. Wir wollen die Bun-eswehr auch nicht zum Lückenbüßer für Versäumnisseer inneren Sicherheit degradieren.Beslan hat gezeigt, dass diese brutalen Verbrecher, dieich stellenweise – das ist eine Verhöhnung – Freiheits-ämpfer nennen, keine Tabus mehr kennen. Diese vorass blinden Fanatiker, die Kinder bestialisch ermorden,chrecken vor nichts zurück. Sie zielen auf 5 000, auf0 000 oder auch auf 5 Millionen Tote, wenn sie nur dientsprechenden Zerstörungsmittel besitzen. Wir brau-hen heute eine Neudefinition der Landesverteidi-ung, die sich an dem veränderten Spektrum unter-chiedlichster Bedrohung ausrichten muss. Unsereandesverteidigung war bisher in erster Linie eine Ab-ehr gegen fremde Mächte oder groß angelegte
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Helmut RauberMachtblöcke. Heute und zukünftig gilt es, sie verstärktauf den Objektschutz und die Luft- und Seeüberwachungauszurichten.Katastrophenschutz geht jedoch weit darüber hin-aus. Er umfasst auch den Kampf gegen Wasser, Feuerund Stürme, und zwar national wie international.Erstellen wir mehrere Bedrohungsanalysen, dannzeigt sich, dass die Polizei in einigen Fällen weder tech-nisch noch hinsichtlich ihrer personellen Kräfte bzw. derAusbildung in der Lage ist, ein Höchstmaß an Sicherheitzu bieten. Niemand ist so vermessen zu behaupten, dasses heute einen umfassenden Schutz vor allen möglichenGefahren gibt. Zu allem entschlossene Verbrecher undFanatiker sind nur begrenzt zu bekämpfen. Dass alleKraftwerke, Staudämme, Überlandleitungen, Wasser-kraftwerke usw. einschließlich der 15 Millionen Contai-ner, die tagtäglich auf See oder an Land unterwegs sind,geschützt werden können, ist eine Illusion.Wir wollen die relative Sicherheit erhöhen. Wir wol-len die Grundlagen dahin gehend verändern, dass dasvorhandene Kräftepotenzial bei der Bundeswehr über-greifend und auch präventiv genutzt werden kann. InDeutschland gibt es 36 verschiedene Einrichtungen, diesich mit der Terrorismusbekämpfung beschäftigen. Wirbrauchen straffere, überschaubare und effizientere Struk-turen und eine bessere Abstimmung zwischen dem Bundund den einzelnen Bundesländern.Der Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vor denverschiedensten Gefahren muss alleinige Leitlinie sein.Wir als CDU/CSU sind bereit, einen Beitrag dazu zuleisten.
Wir bedanken uns bei unseren Soldaten und Soldatin-nen für ihren nicht ungefährlichen Friedensdienst undwünschen ihnen, dass sie immer sicher und unversehrtan Leib und Leben zurückkommen.
Danke schön. – Weitere Wortmeldungen zu diesemGeschäftsbereich liegen mir nicht vor.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung, Einzelplan 23. Das Wort hat zu-nächst die Frau Bundesministerin HeidemarieWieczorek-Zeul.Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen– am vergangenen Sonntag – hat der Weltbank-Präsi-dent, James Wolfensohn, in der Frankfurter Paulskircheeinen Appell an uns alle gerichtet, den ich an dieserStelle aufgreifen will. Er hat darauf hingewiesen, dassauf unserem Globus 6 Milliarden Menschen leben.1 Milliarde davon kämpfen Tag für Tag ums Überleben.1Tbcds8s2ggbetwuVVgtdggwAssKFbaAindrmhdzludnEWvd1gtI
Die internationale Gemeinschaft hat ein Bündnis ge-en die Armut geschlossen. Sie hat sich acht Gebote zurerechten Gestaltung der Globalisierung gegeben. Ent-icklungspolitik ist die beste Präventivstrategie gegenrmut und Perspektivlosigkeit, Gewalt und terroristi-che Ursachen. Der Kampf gegen die Armut macht Fort-chritte. Das ist eine der guten Nachrichten von gestern.ofi Annans Bericht an die UN zeigt: Es gibt großeortschritte bei der Armutsbekämpfung, beispielsweiseei Bildung und beim Zugang zu Wasser. Wir dürfenber nicht nachlassen und müssen die an den Zielen derrmutsbekämpfung orientierten globalen Regeln für dieternationale Zusammenarbeit weiter voranbringen.
Die Ziele der internationalen Gemeinschaft sind auchie Messlatte für die Arbeit und die Politik der Bundes-egierung sowie für unseren Haushalt. In diesem Zusam-enhang möchte ich aber auch darauf hinweisen – dasat die Konferenz von Monterrey ja deutlich gemacht –,ass Handel und Entschuldung in vielen Fällen längstu den wichtigsten externen Finanzquellen der Entwick-ngsländer geworden sind. Die Bundesregierung drängteshalb darauf, dass die WTO-Konferenz, die so ge-annte Doha-Runde, zügig abgeschlossen wird und denntwicklungsländern tatsächlich Fortschritte bringt. Dieeltbank schätzt, dass ein realer Einkommensgewinnon rund 350 Milliarden US-Dollar möglich ist, wenniese Konferenz erfolgreich ist, und dass damit44 Millionen Menschen den Sprung über die Armuts-renze schaffen können. Deshalb müssen wir dazu bei-ragen, dass die wichtigen Strukturentscheidungen imnteresse der Entwicklungsländer getroffen werden.
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung sieht eineSteigerung der Mittel für das BMZ um 1 Prozent im Ver-gleich zum Vorjahr vor. Darum habe ich kämpfen müs-sen. Das sage ich in aller Offenheit; denn jeder kennt dieHaushaltssituation. Wir haben durch unsere Regierungauch deutliche Steigerungen bei den Mitteln für die Ent-wicklungszusammenarbeit der Kirchen und der nichtstaatlichen Organisationen vorgesehen. Das finde ichwichtig. Ich möchte mich gerade an dieser Stelle bei ih-nen allen für ihre Arbeit sehr herzlich bedanken.
Die Steigerung hält uns in dem Korridor, den wir einhal-ten wollen, um unsere internationalen Verpflichtungenverlässlich zu erfüllen. Aber um das 0,33-Prozent-Zielbis zum Ende dieser Legislaturperiode zu erreichen,müssen wir weitere Anstrengungen unternehmen. Ichmöchte hinzufügen, damit das hinlänglich klar ist: Ichhabe noch niemandem einen Vorwurf daraus gemacht,dass er oder sie mehr Geld für Entwicklungspolitik ge-fordert hat. Das gilt auch für diese Haushaltsberatun-gen. – Ich sehe, dass Frau Schulte die Botschaft ver-nommen hat. Ich glaube aber, dass sie das schon vorherverstanden hat.Immer deutlicher wird, dass die zunehmende Ver-knappung und vor allen Dingen auch die Verteuerungdes Erdöls ein gravierendes Hindernis für die Errei-chung von Entwicklungszielen darstellen. Die dauerndeAbhängigkeit von teurem Erdöl führt für viele arme Län-der in eine Sackgasse. Aus diesem Dilemma hat dieKonferenz für erneuerbare Energien – wir hatten vorhernoch keine Gelegenheit, über ihre Ergebnisse im Plenumzu diskutieren – Schlussfolgerungen gezogen. Sie hatdeutlich gemacht, dass die internationale Gemeinschaftmithilfe der erneuerbaren Energien und der Steigerungder Energieeffizienz eine globale Energiewende herbei-führen will und so 1 Milliarde Menschen, die bisher kei-nen Zugang zu Energie haben, aus der Energiearmut unddamit auch aus der generellen Armut herausholen will.Das ist eine wichtige Weichenstellung, gerade wenn esum Armutsbekämpfung in der Welt geht.
Ich möchte daran erinnern, dass auf dieser Konferenz200 Aktionen verbindlich vereinbarten wurden. Jeder,der weiß, welch hohen Energieverbrauch China in Zu-kunft haben wird, erkennt die grundlegende Verände-rung, die darin liegt, dass ein Land wie China zugesagthat, dass es bis zum Jahr 2010 10 Prozent seiner Gesamt-energieleistung aus erneuerbaren Energien gewinnenwill. Das ist ein unübersehbares Zeichen für die Dyna-mik dieses Prozesses. Diese wollen wir fördern.
– Das ist nur unsere Alternative.dbbzzdlddwdadn–gdgpbmde–gkgiSwetTpAdUWTrSmubB
Die Bundesregierung wird ihr Engagement zur För-erung nachhaltiger Energien verstärken. Neben dem,as wir bisher zugesagt haben – das haben wir auch iniesem Haushalt verankert –, werden wir mit der Kredit-nstalt für Wiederaufbau eine Kreditlinie schaffen, durchie in den nächsten fünf Jahren mindestens 500 Millio-en Euro an zinsgünstigen Krediten für Unternehmenauch für deutsche –, die im Bereich erneuerbare Ener-ien und Energieeffizienz tätig sind, bereitgestellt wer-en. Damit wird den Entwicklungsländern vielfacheholfen. Und wir Deutsche haben eine gute Ausgangs-osition; denn wir sind in all diesen Bereichen sehr wett-ewerbsfähig.Wir werden auch in der Aidsbekämpfung weiterhinit großem Nachdruck tätig sein müssen. Ich will anieser Stelle nur sagen: In diesem Haushalt setzen wirin deutliches Signal der Steigerung.
Ja, wunderbar, Herr Löning. Sie wissen, in diesen Fra-en gibt es viel Gemeinsamkeit.Wir haben die Mittel für den Globalen Fonds zur Be-ämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria auf-estockt. Dieser Haushalt sieht für diesen Fonds Mitteln Höhe von 72 Millionen Euro vor. Das bedeutet eineteigerung um 34 Millionen Euro. Wie jeder weiß,ürde ich diesen Ansatz gern weiter aufstocken, wenns die Finanzmittel ermöglichten.In den heutigen Debatten hat die Zukunft Afghanis-ans mehrfach eine Rolle gespielt. Ich möchte dieseshema an dieser Stelle noch einmal unter entwicklungs-olitischen Gesichtspunkten ansprechen. Die Zukunftfghanistans muss der Bevölkerung gehören und nichten Drogenbaronen. Sie muss den Familien und demnternehmergeist gehören und nicht den Terroristen.ir wollen dazu beitragen, dass Afghanistan aus demeufelskreis von Drogen, Extremismus und Terror he-auskommt und dass es bei den Wahlen ein deutlichesignal in diese Richtung gibt.
Gemeinsam mit der Aga-Khan-Stiftung – ich habeit dem Aga Khan gestern einen entsprechenden Vertragnterschrieben, der sich auf weitere Regionen der Weltezieht – schaffen wir bereits seit 2001 in der Provinzadakhshan Alternativen zu Einkommen durch
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-ZeulMohnanbau. Auch dabei gehören politischer und wirt-schaftlicher Wandel zusammen.Eine wichtige Nachricht im Kampf gegen den Dro-genanbau: Großbritannien – wir haben oft darauf ge-drungen, dass es die Rolle, die es als Führungsnation un-ter den internationalen Gebern in Afghanistan imHinblick auf die Drogenbekämpfung hat, stärker wahr-nimmt – hat die Provinz Badakhshan zu der Provinz er-klärt, in der die zivile Drogenbekämpfung in den Mittel-punkt der gesamten Arbeit gestellt werden muss. Dasunterstützen wir nachdrücklich; denn wir halten es fürwichtig, in diesem Bereich Alternativen aufzuzeigen.
Unsere Wiederaufbauarbeit in Afghanistan und dasWiederaufbauteam in Kunduz – auch das hat in derDiskussion eben eine Rolle gespielt – haben Modellcha-rakter gewonnen. Ich will hinzufügen – es hat auch eineöffentliche Diskussion darüber gegeben –: Das Entwick-lungsministerium wird in Faizabad helfen, ein Kranken-haus wiederherzustellen, damit die Bevölkerung besserversorgt werden kann. Das Verteidigungsministerium– das habe ich mit dem Kollegen Struck abgesprochen –wird im Rahmen der Arbeit des Wiederaufbauteams dieAusstattung des Krankenhauses sicherstellen.Über weitere Programme kann ich aber erst dann ent-scheiden, wenn es zusätzliche Mittel in diesem Haushaltgibt. Ich bin gerne bereit, die notwendigen Prozesse inGang zu setzen. Aber das bedarf entsprechender finan-zieller Möglichkeiten.Den Soldaten ist bereits gedankt worden. Ich möchteihnen ebenfalls meinen Dank ausdrücken. Ich will andieser Stelle auch sagen: Ich danke allen zivilen Mitar-beitern und Mitarbeiterinnen der Nichtregierungsorgani-sationen, aber auch der deutschen Entwicklungszusam-menarbeit, die in Afghanistan eine wunderbare Leistungerbringen.
Zum Schluss möchte ich noch auf zwei Themen zusprechen kommen, die sicherlich uns allen auf der Seeleliegen. Morgen werde ich Gelegenheit haben, mit demirakischen Übergangspräsidenten al-Jawar zu sprechen.Unabhängig davon, wo wir in der Frage des Irakkriegsgestanden haben – wo ich stand, weiß jeder –, haben wiralle ein Interesse an einem stabilen, souveränen, friedli-chen Irak und daran, dass dieser Staat nicht zerfällt.In der Anfangsphase hat die Bundesregierung vor al-lem Nothilfe geleistet. Auf der Geberkonferenz in Ma-drid im Oktober vergangenen Jahres haben wir insge-samt, mit allem Drum und Dran, 200 Millionen Euro fürden Wiederaufbau des Irak zur Verfügung gestellt. Wirwerden auch an der Geberkonferenz im Oktober inTokio teilnehmen.Wir haben Aus-, Fort- und Weiterbildungsaufenthaltefür irakische Hochschullehrer und für Fachleute aus denMinisterien außerhalb des Irak organisiert. Ich sage nocheinmal: In der jetzigen Situation – jeder weiß, wovon dieRede ist – kann ich es einfach nicht verantworten, dasswrwbAzbeVzradAdutrtsIBGWtShVVDsrgtvwa–dMkmRsVVw
Wir erinnern uns: Die deutschen Kolonialherren hat-en Ende des 19. Jahrhunderts die Bevölkerung von ih-em Land vertrieben. Als sich die Herero dagegen wehr-en, führten die Truppen des Generals von Trotha gegenie, die Nama und Damara einen Vernichtungskrieg.Ich bin sicher – Ihre Reaktion eben hat es bestätigt –:ch konnte mit der Zustimmung von Ihnen im Deutschenundestag bei der Gedenkveranstaltung dort auf demelände am Waterberg das sagen, was ich gesagt habe:ir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-poli-ischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu derchuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben. Ichabe im Sinne unseres gemeinsamen Vaterunsers umergebung gebeten.Mein Ziel war, dass das Gedenkjahr 2004 das Jahr derersöhnung zwischen dem namibischen Volk undeutschland wird. Ich freue mich darüber, dass wir jetztagen können: Das ist gelungen. Die Vertreter der He-ero sagten zu mir: Sie haben die Mauern des Schwei-ens eingerissen; jetzt können wir in den Dialog eintre-en. So sieht das auch die namibische Regierung.Jetzt gilt es, den Weg der Versöhnung nicht wieder zuerbauen, sondern zu beschreiten. Juristische Schritteürden die Versöhnung erschweren. Das habe ich auchllen Beteiligten gesagt.Die Bundesregierung wird jetzt auf breiter Ebenemit der namibischen Regierung, mit Kirchen und miter Zivilgesellschaft – den Dialog fortsetzen und diesesoment um der Versöhnung nutzen. Dafür gibt es kon-rete Pläne. Die Bischöfe Kameeta und Keeding aus Na-ibia haben den Vorschlag gemacht, einen Panel oneconciliation, einen Versöhnungsrat, zwischen Deut-chen und Namibiern einzusetzen. Ich unterstütze diesenorschlag nachdrücklich. Im November werden wir denorschlag bei einer Konferenz, die in Bremen stattfindenird, gemeinsam weiterentwickeln.
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
Mir geht es darum, dass wir das bisherige Engage-ment ausbauen und dass wir vor allem den Dialog zwi-schen Jugendlichen fördern. Ich habe dort ja das Kultur-zentrum in Okakarara eingeweiht. Das sollten wir mitLeben füllen, zu einem Ort des Kennenlernens und desAustausches zwischen Jugendlichen machen und damitdie Kenntnis der Kultur und den Respekt voreinanderstärker fördern.Nie waren die Ansprüche an eine gute Entwicklungs-zusammenarbeit höher als heute. Aber nie waren eigent-lich auch die Chancen besser als heute; denn die Gebergehen im Grundsatz in die gleiche Richtung. Es gibtnicht mehr das Gegeneinander, das es noch während desKalten Krieges gab. Wenn Freiheit, Frieden und Stabili-tät bei unseren Nachbarn beheimatet sind, dann habenwir alle etwas davon.In diesem Sinne danke ich Ihnen für die Aufmerk-samkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rudolf Kraus.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wunschdenken und Realität fallen in der Politikoft auseinander,
gerade auch in der Entwicklungspolitik. Noch im Aprildieses Jahres hatte das BMZ optimistisch verkündet,man halte daran fest, bis zum Jahr 2006 0,33 Prozentdes Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszu-sammenarbeit auszugeben.
– Das glaube ich nicht. Das wäre nur möglich, wenn es2005 und 2006 eine deutliche Steigerung des Entwick-lungshaushaltes gäbe. Frau Kollegin, Sie sind einmaleine begnadete Haushaltspolitikerin gewesen. Sie wer-den doch ganz sicherlich übersehen, dass die Steige-rungsraten, die hierfür notwendig wären, überhaupt nichtvorstellbar sind.
Umso größer ist nun die Enttäuschung über die bittereRealität nicht nur unter den Entwicklungspolitikern, son-dern auch bei den Nichtregierungsorganisationen, denKirchen sowie allen entwicklungspolitisch engagiertenMitbürgern. VENRO hat den Entwicklungsetat 2005 alsherben Dämpfer für die weltweite Armutsbekämpfungbezeichnet. Ich meine, dass das noch untertrieben ist.Der Ansatz des nächsten Haushalts liegt ungefähr um2dddnnigfbedg–wevsmdgdnzwhisIwwsWsAkWldahdrfhhfenlebm
Darüber gehen die Meinungen in Deutschland ganzeit auseinander. Schauen Sie sich einmal die Umfrage-rgebnisse an, Herr Kollege, dann werden Sie vielleichterstehen, was ich meine.Ich finde es auch sehr nett von der Ministerin, dass sieagt, keinem Menschen werde ein Vorwurf daraus ge-acht, wenn er für die Entwicklungshilfe mehr Geld for-ere. Das kommt unserem Harmoniebedürfnis sehr ent-egen, aber helfen tut es natürlich relativ wenig. Ichenke auch, dass der Haushaltsansatz in Wirklichkeitoch niedriger ausfallen wird, weil noch weitere Kür-ungen angesagt sind.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Ent-icklungspolitiker haben ein Riesenproblem: Ich be-aupte, die Masse der politisch interessierten Bürgert an Entwicklungspolitik nur nachrangig interessiert.ch denke auch, dass sich der Aufschrei der Bevölkerungegen des heutigen Haushaltes sehr in Grenzen haltenird. Unsere Bevölkerung ist ungeheuer großzügig undpendenfreudig. Wir müssen uns vor niemandem auf derelt verstecken, wenn es darum geht, Nothilfe bei Über-chwemmungen, Hungersnöten und Katastrophen allerrt zu leisten. Aber nachhaltige Entwicklungspolitik istein Thema, das die politische Klasse in besonderereise bewegt.Es bedeutet nicht, dass es bei uns nicht eine beacht-ich große Zahl von persönlich engagierten Leuten gibt,ie in großen Nichtregierungsorganisationen oder auchls Einzelkämpfer große Opfer bringen. Aber insgesamtandelt es sich hierbei prozentual um eine verschwin-end geringe Minderheit. Die Vielfalt des Engagementseicht von einem Dr. Errös, der als Einzelkämpfer ange-angen hat, vieles und Erstaunliches geleistet hat undeute 1 500 Leute beschäftigt, über Eine-Welt-Läden bisin zu Leuten wie dem mir bekannten Bananen-Joe, derair gehandelte Bananen vertreibt. Dies alles ist sehr be-indruckend. Ich finde das großartig. Ich denke abericht, dass das unser Problem des mangelnden Interessesöst, das natürlich auch darauf zurückzuführen ist, dasss die bipolare Welt nicht mehr gibt und dass die Leuteei uns sagen, sie hätten andere Sorgen.Wir müssten alle – ich sage es noch einmal – zusam-enhalten und daran arbeiten, dass sich diese Einstellung
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Rudolf Krausändert. Dazu gehört natürlich auch, dass Entwicklungs-politik effizient betrieben wird. Da muss man bei man-chen Organisationen große Zweifel haben. Ich denkehier zum Beispiel an den EEF. Aber auch in unseremLand treibt der Bürokratismus teilweise groteske Blüten,zum Beispiel bei der DEG. Diesen Fall habe ich zurzeitim Auge; man muss der Sache einmal nachgehen. Manmuss sich nicht wundern, dass die Leute diese Einstel-lung haben, wenn solche Dinge bekannt werden.Es gibt viele gute Gründe; die Zeit ist zu kurz, um siealle anzuführen. Ich möchte nur kurz vier Gründe anfüh-ren, warum wir klar machen müssen, dass es in unseremeigenen Interesse liegt, unseren Nachbarn – das ist prak-tisch jedes Land auf der Welt, denn die Entfernungensind sehr kurz geworden – zu helfen. Sicherheitsgründespielen dabei eine große Rolle. Denken Sie an Aids. Dasist eine Riesenkatastrophe in Südafrika, die sich jetztausbreitet; davon können alle bei uns betroffen sein.Denken Sie an den Zuwanderungsdruck, der durch Ar-mut entsteht.Ebenso haben wir ein Interesse daran, dass es unserenNachbarn in wirtschaftlicher Hinsicht gut geht; denn nurmit Nachbarn, die selber etwas bringen, kann man Han-del treiben. Spendenquittungen sind eine schöne Sache,aber sie sind nicht sehr attraktiv und fördern den Handelnicht besonders.Wir müssen natürlich auch an die Umwelt und dieglobalen Einflüsse auf sie denken. Wenn heute in Suma-tra die Wälder abgeholzt werden, wird das langfristigauch uns betreffen. Wir müssen uns überlegen, wie wirdem Naturschutz und dem Klimaschutz gerecht werdenund gleichzeitig die Menschen – die ein Riesenproblemhaben, denn sie brauchen den Raum zum Leben; dortlebt man von der Landwirtschaft – über Wasser haltenund sie so stellen können, dass sie ein vernünftiges Le-ben führen können.
Als weiteren Grund nenne ich unsere humanistische,christliche Einstellung. Aus moralischen Gründen kannuns das Schicksal der Menschen auf der Welt nichtgleichgültig sein.In diesem Sinne denke ich, dass wir versuchen soll-ten, diesen Haushalt und das Standing der Entwicklungs-politik in unserer Bevölkerung deutlich zu verbessern.Vielleicht gelingt es uns, meine sehr verehrten Damenund Herren. Die Terrorismusentwicklung wird uns unterUmständen helfen, die Zusammenhänge klar zu machen.Wenn jemand nichts mehr zu verlieren hat, wenn erkeine Perspektive hat, ist er eher anfällig für radikaleIdeen. Ich glaube, das ist ein ganz starkes Argument.Dieses zu verbreiten und uns eindringlich für unsereIdeen und Anliegen einzusetzen, die per saldo ziemlichgleichgerichtet sind, dafür möchte ich hier werben.Ich bedanke mich.
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amit keine Missverständnisse aufkommen: Dies isteine Kritik an der Entwicklungsministerin, die wirklichehement für mehr Geld für die Entwicklungspolitik ge-tritten hat und auch weiterhin streiten wird. Dies istielmehr ein Plädoyer dafür, dass es im Rahmen des par-amentarischen Verfahrens noch zu Nachbesserungenommen möge.Was heute der Kanzler, der Außenminister und auchnsere Fraktionssprecherin Katrin Göring-Eckardt zuen globalen Herausforderungen, zu der wachsendenedeutung der Entwicklungspolitik als präventiv wir-endes Mittel gegen den Terrorismus gesagt haben, gibtir Hoffnung, dass es noch gelingen wird, mehr Mittelür die Entwicklungszusammenarbeit und für die huma-itäre Hilfe zu bekommen und den Haushalt entspre-hend aufzustocken. Auch die Zahl der Haushälterinnennd Haushälter, die dies ähnlich sehen, wird, so hoffech, wöchentlich größer.
Ich bin gar nicht mehr so pessimistisch wie noch vorinigen Wochen.Es gibt auch andere Ereignisse und Tendenzen, dieich optimistisch stimmen und die mich ein anderes Fa-it ziehen lassen als das, was hier an Schwarzmalerei be-eits vorgetragen wurde und vielleicht in weiteren Redenoch vorgetragen wird.Herr Kraus, Sie haben – vielleicht zu Recht – die ge-inge Akzeptanz der Entwicklungspolitik in der Bevöl-erung bemängelt. Das Gegenmittel wird im Haushalt
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Thilo Hoppebereitgestellt: mehr Gelder für die entwicklungspoliti-sche Bildungsarbeit. Ich habe die Erfahrung gemacht:Wenn man mit den Menschen in Schulen, in Vereinenund in Kirchen spricht und ihnen die Folgen einer unzu-reichenden Entwicklungspolitik vor Augen hält, dannkann man sehr viel Akzeptanz für die Entwicklungspoli-tik gewinnen. Dafür muss man allerdings werben undsehr viele Gespräche führen.Unsere Entwicklungspolitik steht auf zwei starkenBeinen. Das eine Bein ist die eher klassische Entwick-lungszusammenarbeit, also Hilfe zur Selbsthilfe. Das an-dere Bein ist die internationale Strukturpolitik. In beidenBereichen gibt es Fortschritte. Im Bereich der bilateralenEntwicklungszusammenarbeit ist eine alte Forderungaufgenommen und umgesetzt worden. Es ist eine Län-der- und Schwerpunktkonzentration durchgeführt wor-den. Der Vorwurf der Verzettelung, der oft erhobenwurde, lässt sich so nicht mehr aufrechterhalten. Es gibteine verbesserte internationale Abstimmung. Auch derMix von bi- und multilateralen Instrumenten ist gut aus-tariert.Im Bereich der internationalen Strukturpolitik gibt esFortschritte bei den WTO-Verhandlungen. Was in unse-rem Antrag zur WTO vom Juli gefordert wurde – Agrar-fragen zuerst lösen, radikal herunter mit den Agrarex-portsubventionen und mehr Marktzugang für dieEntwicklungsländer –, ist inzwischen stärker in das Re-gierungsverhalten und letztendlich auch in die Positionder Europäischen Union eingeflossen. Mein KollegeSascha Raabe und ich haben Kritik geübt, auch in den ei-genen Reihen. Da hat es Veränderungen und Fortschrittegegeben, zumindest Schritte in die richtige Richtung.Heidemarie Wieczorek-Zeul hat in Cancun die Baum-wollsubventionen angeprangert. Renate Künast ist es inzähen Verhandlungen gelungen, dass die europäischenBaumwollsubventionen drastisch heruntergefahren wer-den. Ähnliches muss es nun auch auf dem Zuckersektorgeben. Die europäische Zuckermarktordnung ist einentwicklungspolitisch schädliches und für die europäi-schen Steuerzahler ein sehr teures Subventionsungetüm.Hier muss es zu einer Reform kommen, die positive Ent-wicklungsimpulse, aber auch Anreize für eine umwelt-gerechte und nachhaltige Produktion gibt. Die CDU/CSU muss sich entscheiden, ob sie sich als Förderer ei-ner wirklichen Entwicklungsrunde oder in erster Linieals Lobbyist für Nordzucker und Südzucker versteht. Dasteht Ihnen noch eine wichtige innerfraktionelle Diskus-sion bevor.
Große Fortschritte gibt es im Energiebereich. Ange-sichts der Turbulenzen auf den Weltölmärkten schim-mert es inzwischen auch den hartnäckigsten „Fossilen“,dass kein Weg an den erneuerbaren Energien vorbei-führt. Die Ministerin hat bereits eindrucksvoll von denErfolgen der Erneuerbare-Energien-Konferenz berichtet.Zusätzlich zu der Summe von 1 Milliarde Euro, die derBundeskanzler bereits in Johannesburg für den Ausbauerneuerbarer Energien und für Maßnahmen für mehrEafmBDZtzsdrdnDdsdrgvZwHszdfmDtiFtsYmzHRNzd–
offentlich ist das eine Tendenz für weitere gemeinsametrategische Anstrengungen.
Wir wissen, dass bei der Erreichung der Millenniums-iele noch sehr große Herausforderungen bewältigt wer-en müssen. Die Weltbank hat errechnet, dass die Mittelür die Entwicklungszusammenarbeit verdoppelt werdenüssen.
ieses ehrgeizige Ziel ist nur zu erreichen, wenn es wei-ere Akteure gibt und wenn die Privatwirtschaft stärkern die Pflicht genommen wird. Aber es muss auch neueinanzierungsinstrumente im Bereich der Haushaltsmit-el für verstärkte Anstrengungen in der Entwicklungszu-ammenarbeit geben.Am 20. September dieses Jahres treffen sich in Nework auf Einladung des brasilianischen Präsidenten Lulaehrere Staatsoberhäupter, um über innovative Finan-ierungsinstrumente im Kampf gegen den weltweitenunger nachzudenken. Ich erwarte von der deutschenegierung, dass sie mit konkreten Vorschlägen nachew York reist. Denn ohne neue Finanzierungsquellenu erschließen, werden wir die gigantischen Herausfor-erungen nicht schultern können.
Da bin ich ganz anderer Meinung.
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Thilo HoppeIch bringe jetzt noch ein Instrument in die Diskussion,das vielleicht auch Sie schlimm finden. Die Diskussionum eine Devisenumsatzsteuer, um die Tobin Tax, unddie Diskussion um eine weltweite Quellensteuer solltenwieder belebt werden. Es gibt hierzu Beschlüsse des bel-gischen Parlaments und überraschenderweise auch eineneue Initiative der indischen Regierung. Das könntedazu beitragen, dass dieses Thema wieder neu auf dieAgenda gesetzt wird. Die Bundesrepublik Deutschlandsollte die Diskussion um neue Finanzierungsinstru-mente, einerseits um die Tobin Tax und andererseits umdie Weltquellensteuer, aber auch die Diskussion um dieEinführung von Nutzungsentgelten für öffentliche Güterwieder beleben. Wir brauchen diese neuen Finanzie-rungsinstrumente, um im Kampf gegen den Hunger be-stehen zu können.
Eine Entwicklungspolitik, die die Kluft zwischenArm und Reich verringert, die die Zahl der Hungerndendrastisch senkt, die die natürlichen Ressourcen schontund die die biologische Vielfalt erhält, damit auch nach-folgende Generationen auf unserem Planeten leben kön-nen, eine solche Entwicklungspolitik stellt keine Almo-sen zur Verfügung, sondern leistet wichtige undwertvolle Investitionen in unsere gemeinsame Sicherheitund in unsere Zukunft.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Markus Löning.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es isthier schon mehrfach die ODA-Quote angesprochen wor-den. Heute Morgen hat der Bundeskanzler in seinerRede einen bemerkenswerten Satz gesagt, den ich hiersinngemäß zitieren will. Er sagte: Deutschland hält seineinternationalen Verpflichtungen auf Punkt und Kommaein. Das finden wir lobenswert; das ist eine richtige Ein-stellung für eine Bundesregierung.Bloß, ich muss ehrlich sagen: Hier im ganzen Hausglaubt doch niemand ernsthaft – außer vielleicht FrauSchulte –, dass wir es schaffen, bis zum Jahr 2006, wie Sieauf internationaler Ebene zugesagt haben, 0,33 Prozentdes Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe auszu-geben.
Dies würde bedeuten, dass der Etat von 2005 auf 2006um 1 Milliarde Euro aufgestockt werden müsste. Es istdoch eine Illusion und ein Vorgaukeln falscher Tatsa-chen, was Sie da betreiben, Frau Ministerin. Es ist nichtin Ordnung, mit unseren internationalen Partnern so um-zugehen.
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ch glaube, das wäre für die internationale Glaubwürdig-eit Deutschlands sehr viel besser, als an dieser Fiktionestzuhalten.Dass die Weltgemeinschaft bis 2015 die Halbierunger Armut erreichen will, ist ehrgeizig, aber ein wichti-es Ziel für die Weltgemeinschaft; deswegen will ich dasier ausdrücklich betonen. Das ist ein Signal geradeuch von uns Industrieländern an die Entwicklungslän-er; denn es gibt keine Menschenwürde in Armut. Es istichtig, dass wir an diesem politischen Ziel festhalten.ieses Ziel unterstützen selbstverständlich auch diereien Demokraten uneingeschränkt.Was wir nicht unterstützen, sind die Politikansätze,it denen Sie versuchen, das zu betreiben. Ich glaube,ie entsprechenden Ansätze im Haushalt sind falsch ge-ählt. Es wird nämlich nicht danach geschaut, was inen letzten Jahren erfolgreich war, sondern das gemacht,as in der Öffentlichkeit gut ankommt und was man dortören will. Es wird nicht danach geschaut, wo Länder er-olgreich waren.Ich will hier ein Beispiel nennen: Indien ist seit0 Jahren Schwerpunktland der deutschen Entwick-ngszusammenarbeit. Indien empfängt in der Summeen größten Anteil deutschen Entwicklungsgeldes über-aupt. Indien hat bei der Bekämpfung der Armut seitnfang der 90er-Jahre Erfolg, seit die indische Regie-ung dazu übergegangen ist, mutige Wirtschaftsreformeninzuleiten, Marktwirtschaft und freiem Handel mehraum zu geben und den Menschen die Freiheit zu ge-en, ihren Unternehmensgeist und ihre Kreativität um-usetzen und sich selbst ihr Geld zu verdienen.Es ist nachgewiesen – es gibt da Untersuchungen voner Weltbank, von der KfW und von vielen anderennstitutionen –, dass zu dieser sehr erfolgreichen Redu-ierung der Armut in Indien all die Armutsbekämp-ungsprogramme im Rahmen der Entwicklungshilfe lei-er nichts beigetragen haben. Wir müssen uns dieserahrheit stellen und umstrukturieren. Statt für Pro-ramme, von denen wir wissen, dass sie keinen Erfolgaben, sollten wir das Geld für vernünftige Vorhabenusgeben, die den Leuten helfen, ihre Armut zu überwin-en.Wir brauchen Beratungsprogramme im politischenereich und Beratung zur Durchsetzung von Rechts-taatlichkeit sowie für die Entwicklung von Marktwirt-chaft und freiem Handel. Das ermöglicht den Men-chen, ihre Armut aus eigener Kraft zu überwinden.
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Markus LöningIch möchte an dieser Stelle noch etwas anderes in Be-zug auf Indien sagen. Indien hat im Bereich der Soft-waretechnologie in den letzten Jahren eine beeindru-ckende Entwicklung genommen. Es ist dabei, in anderenTechnologiebereichen genauso beeindruckende Ent-wicklungen zu nehmen. Es gibt ein eigenes Ministeriumfür Biotechnologie. Die Inder sind sich darüber klar,dass sie im wissenschaftlichen Bereich mithilfe der bes-ten Köpfe, die sie haben, und mithilfe von viel Geld sehrviel erreichen können, dass sie damit ihr Land nachvorne bringen können. Ich sage Ihnen ehrlich: Ich findeaußerordentlich unterstützenswert, was die indische Re-gierung da macht.Aber es kann aus meiner Sicht nicht sein, dass die in-dische Regierung Geld und Know-how in die Entwick-lung von Spitzentechnologie und in die Entwicklungihres Landes steckt, gleichzeitig aber die Armutsbe-kämpfung im eigenen Land von uns gemacht wird. Ichhalte das für ein krasses Missverhältnis. Wir müssen denEliten sagen: Das müsst ihr selber leisten. Ihr habt dieRessourcen; ihr habt das Know-how. Es gibt in Indieneine breite NGO-Landschaft, die sich mit Armutsbe-kämpfung beschäftigt. Die Inder müssen das alleine aufdie Beine stellen.Wir müssen die Ehrlichkeit haben, zu sagen: Wir set-zen das Geld, das wir für Indien ausgeben, für vernünf-tige Sachen ein. Es würde zum Beispiel sehr viel mehrSinn machen, die politischen Stiftungen mit mehr Geldauszustatten, um politische Beratung zu ermöglichen. Eswürde sehr viel mehr Sinn machen, im wissenschaftli-chen Bereich eine engere Kooperation zu suchen. Eswürde auch viel Sinn machen, mehr Stipendien vondeutschen Universitäten an indische Studenten zu verge-ben, um die Austauschmöglichkeiten zu verbessern.
Ähnliches könnte man im Übrigen über China sagen.China empfängt nach wie vor den zweitgrößten Anteildeutscher Entwicklungshilfe. Frau Ministerin, es istdoch ein Treppenwitz der Geschichte, dass ein Land, daseinen Taikonauten für 2 Milliarden Euro ins All schickt,von uns Entwicklungshilfe bekommt. Ich kann das ge-genüber meinen Wählern nicht vertreten. Ich finde esnicht richtig, das zu machen.
Wir müssen den Chinesen sagen: Ihr könnt es selber. Tutes selber! Dabei habt ihr unsere volle Unterstützung.Aber das Geld brauchen wir für eine andere Art von Zu-sammenarbeit.In diesem Zusammenhang kann man zum Beispielden Rechtsstaatsdialog unterstützen. Aber Armutsbe-kämpfungsprogramme, wie Sie sie betreiben, gehen indie falsche Richtung.
Wir brauchen in der Entwicklungspolitik – das istschon angesprochen worden – eine regionale und sekto-rale Neusortierung vieler Bereiche. Es ist richtig, dassesIdgbMWwölrtms2lrDfhaKeltSSAtkEDiRpJtdG
Sie planen gegenüber 2004 – ungeachtet aller Zahlen-ricksereien, die Sie auch in anderen Bereichen vorneh-en – eine weitere Kürzung der entwicklungspoliti-chen Ausgaben. Ihr Etatansatz für 2005 liegt um circa20 Millionen Euro unter dem des Jahres 1998, demetzten Haushalt, den eine CDU/CSU-geführte Bundes-egierung zu verantworten hatte.
er Kollege Hoppe hatte in der ihm eigenen, wie ichinde: sehr erfrischenden Ehrlichkeit auf das Unbehageningewiesen, das ihn dabei treibt. Es stände Ihnen gutn, dieses Unbehagen zu teilen und auch die politischenonsequenzen daraus zu ziehen.Diese Entwicklung ist schon deshalb überaus bedau-rlich, weil die Entwicklungszusammenarbeit in denetzten Jahren bekanntlich einen beträchtlichen Bedeu-ungszuwachs erlangt hat. Sie ist als dritte wichtigeäule neben die Außen- und Sicherheitspolitik getreten.ie ist unverzichtbar für die Armutsbekämpfung und denufbau funktionsfähiger Staats- und Gesellschaftssys-eme insbesondere in ehemaligen Kriegs- oder Bürger-riegsländern. Dies zeigen nicht zuletzt die aktuellenntwicklungen in Afghanistan, im Kosovo und im Irak.ie kontinuierliche Kürzung des Entwicklungshaushaltsst daher ein geradezu fataler Schritt in eine falscheichtung, da sie unseren eigenen außen- und sicherheits-olitischen Interessen eklatant zuwiderläuft.
Rot-Grün versucht zwar – auch das erleben wir seitahren – immer die Flucht durch die argumentative Hin-ertür, es komme nicht so sehr auf die Quantität als aufie Qualität der Entwicklungszusammenarbeit an. Imrundsatz ist das auch richtig, nur hat sich auch die
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Dr. Ralf BrauksiepeQualität deutscher Entwicklungszusammenarbeit inden letzten sechs Jahren markant verschlechtert.
Ich will nur ein paar Beispiele in Erinnerung rufen.Das Aktionsprogramm 2015 zur Armutsbekämp-fung muss ehrlicherweise bereits drei Jahre nach seinerVerkündung als weitgehend gescheitert betrachtet wer-den.
Wir begrüßen zwar, dass die Bundesregierung erstmalseinen ressortübergreifenden Ansatz für die Bekämpfungder Armut anstrebt. Doch kommt das Programm überden Zustand des Deklaratorischen leider kaum hinaus.Auf einen Umsetzungsplan für die sehr allgemein for-mulierten Zielsetzungen warten wir bis heute vergebens.
Es ist der rot-grünen Bundesregierung auch nicht ge-lungen, auf die fortwährenden Kürzungen im BMZ-Etatmit regionalen und sektoralen Schwerpunktsetzun-gen erfolgreich zu reagieren. Ein reines, mehr oder we-niger erratisches Gießkannenprinzip kann nicht die ge-eignete Antwort sein. Ungeachtet ihrer eigentlichenBedeutung für die Armutsbekämpfung gewährt die Bun-desregierung gerade Sektoren wie Bildung und Gesund-heit eine immer geringere finanzielle Unterstützung.Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützen wirmit Nachdruck Entschuldungsinitiativen. Allerdingslaufen diese ins Leere, wenn die gewonnenen finanziel-len Ressourcen nicht zur Bekämpfung von Armut ver-wendet, sondern anderweitig missbraucht werden.
Leider hat es die Bundesregierung oftmals unterlassen,die Entschuldung an diese Bedingung zu knüpfen, undhat damit zur weitgehenden Wirkungslosigkeit dieserMaßnahmen beigetragen. Es drängt sich, liebe Kollegin-nen und Kollegen, immer mehr der Verdacht auf, dassSie, weil Sie keine Mittel haben, die Sie in den BMZ-Haushalt einstellen können, versuchen, die Erhöhung derODA-Quote auf 0,7 Prozent bzw. 0,33 Prozent dadurchschönzurechnen, dass Sie vor allem in die Entschuldunggehen, und das ohne jeden Bezug zur Sachgerechtigkeitsolcher Maßnahmen.
Das halten wir für falsch; wir werden das auch in Zu-kunft entschieden kritisieren.
Selbst die Bundesregierung hat übrigens mittlerweileerkannt, dass eine schlechte Koordination der vielfälti-gen Geberaktivitäten Effektivitäts- und Effizienzeinbu-ßen nach sich zieht. Ihrer Ankündigung, auf Verbesse-rungen in diesem Bereich hinzuwirken, sind bisherjgBNeeWHmszvWhwsagszdggZahddkhwdcdsSRGrbgADis
as unterstützen wir. Aber dazu gehört auch, wie heuten der „Süddeutschen Zeitung“ zu lesen ist, dass chinesi-che Offizielle gerade in diesen Tagen angekündigt ha-
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Dr. Ralf Brauksiepeben, in den nächsten 15 Jahren mindestens 30 neueKernkraftwerke zu bauen, und dass sie damit im welt-weiten und europäischen Trend liegen.
Es macht also wirklich Sinn, in diesem Bereich auf einenbewährten Energiemix zu setzen und sich nicht auf ein-zelne Bereiche zu fokussieren, die allein keine Lösungsein können.
Wir machen uns nachdrücklich für die von Rot-Grünständig versprochene bessere Koordinierung der Ge-beraktivitäten stark. In diesem Zusammenhang fordernwir Sie auch auf, endlich Maßnahmen zu unternehmen,damit der Rückgang der bilateralen Entwicklungszusam-menarbeit gestoppt wird. GTZ und KfW müssen mit ih-rer international hoch anerkannten Arbeit auch zukünftigeine entscheidende Rolle spielen. Deswegen ist es nötig,dass die Bundesregierung so schnell es geht Verhandlun-gen mit multilateralen Entwicklungsinstitutionen dahingehend führt, dass wir zukünftig nur noch die Organisa-tionen bedienen, die Effizienz, Transparenz und Koordi-nierung garantieren können. Wir brauchen mehr bilate-rale Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen derbeschränkten Mittel, die wir haben.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur denRat geben: Beschäftigen Sie sich ernsthaft mit unserenVorschlägen, anstatt, wie zuletzt durch die Ministerinmit Blick auf die Politik der USA im Irak geschehen, mitplumper antiamerikanischer Rhetorik auf sich aufmerk-sam zu machen. Frau Ministerin – das ist uns wirklichein dringendes Anliegen –, Sie vertreten noch für zweiJahre eine Institution, die Bundesregierung, die unab-hängig von Personen in der Welt noch über eine gewisseRestreputation verfügt.
In der Funktion der Juso-Bundesvorsitzenden müsstenSie diese Rücksicht nicht nehmen. Aber benehmen Siesich gegenüber unseren wichtigen Bündnispartnern bitteanders, als Sie es in Form Ihrer ständigen antiamerikani-schen Ausfälle tun.
Damit beschädigen Sie unsere internationale Reputationund unsere internationalen Interessen.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
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Herr Brauksiepe, da Sie uns den Haushalt vorhalten,age ich Ihnen: Jeder von uns wäre glücklicher, wenn dieumme noch etwas höher ausfallen würde. Als Sie sei-erzeit die Regierung übernommen haben, haben Sieon uns eine ODA-Quote von 0,47 Prozent übernom-en. Als Sie uns das Ressort dann zurückgegeben ha-en, lag sie bei 0,26 Prozent. Wir haben eine Steigerunguf 0,28 Prozent erreicht und wollen 0,33 Prozent. Dast unbestreitbar. Aber wir dürfen doch die objektivenrobleme nicht so verdrehen, so außer Acht lassen, wieie das hier tun.
Meine Damen und Herren, ich kann sehr wohl verste-en, dass der Kollege Hoppe schlaflose Nächte hatte,achdem er im Sudan gewesen ist. Aber wegen deraushaltsdiskussion hätte ich keine schlaflosen Nächteehabt, denn das Ressort liegt in guten Händen.
ir haben den Wandel, der gerade im entwicklungspoli-ischen Bereich seit einigen Jahren weltweit zu verzeich-en war, mit unserem Haus, mit der Ministerinieczorek-Zeul, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ern, hervorragend bewältigt. Anders als hier der Oppo-itionspolitiker Brauksiepe darstellen will, ist der Rufer Bundesrepublik doch gerade durch die exzellententwicklungsarbeit in den zurückliegenden Jahren ent-cheidend verbessert worden.
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11182 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. September 2004
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Detlef DzembritzkiIch glaube, dass es eine richtige Entscheidung der in-ternationalen Staatengemeinschaft war, für die Bekämp-fung der weltweiten Armut konkrete Zielmarken zuformulieren und sich an diesen zu orientieren. Wir dür-fen doch nicht schon jetzt, im Jahr 2004, meinen, dassdas Ziel bis 2015 nicht erreichbar ist. Wir wollen es er-reichen und wir müssen uns darum bemühen. Ich denke,dass die Millenniumsziele, die hier klar formuliert wor-den sind, für uns weiterhin ein Auftrag bleiben.
Dass wir uns gleichzeitig den neuen Herausforderungenwie der weltweiten Verbreitung von HIV/Aids sowiedem völligen Zerfall von Staaten und der Bedrohungdurch internationalen Terrorismus zu stellen haben, istdoch alles unbestreitbar und in diesem Haus auch Kon-sens.Wir haben in den zurückliegenden Tagen wieder bittererlebt, dass einige Probleme, die uns seit Jahrzehnten be-gleiten, wie die fortschreitende Zerstörung der Naturres-sourcen durch Bevölkerungswachstum der ärmeren Län-der und der ungezügelte Energie- und Rohstoffhunger,der hier befriedigt wird, unsere klimatische Entwick-lung weltweit beeinträchtigen. Ich finde es durchaus in-teressant, dass auch in den USA erneut Diskussionenstattfinden, ob man sich im Zusammenhang mit demKioto-Protokoll nicht doch anders entscheiden muss, alsman es bisher getan hat.
Ich finde, dass die Konsequenz, die wir aus den He-rausforderungen und Problemen gezogen haben, umunsere Ziele zu erreichen, nämlich in der Entwicklungs-politik von Einzelprojekten wegzukommen und überzu-gehen zu einer kohärenten, ressortübergreifenden Arbeit,eine vernünftige Entscheidung ist; dies wird hier auchgetragen. Herr Kraus, Sie haben zu Recht die gute Nach-barschaft angesprochen, die wir – auch international –pflegen wollen. Ich glaube, dass wir gerade mit der Ar-beit unseres Ministeriums dieser guten Nachbarschaftdienen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will hier unter-streichen, dass ich die Rede und die Art und Weise, wiesich Frau Wieczorek-Zeul in Namibia eingebracht hat,befürworte – wir Parlamentarier stehen inhaltlich dahin-ter –, und hier auch ein Wort des Dankes an die Ministe-rin richten.
Von Herrn Brauksiepe ist die Entschuldung ange-sprochen worden. Auch in diesem Bereich müssen wiruns nicht verstecken: Ich denke nur an die PRSPs, die alsInstrument entwickelt und gehandhabt werden. Das sindvernünftige Entscheidungen.Ich bin dem Kollegen Löning dankbar, dass er nichtnur die Erhöhung der finanziellen Mittel angesprochenhat, sondern auch, wie die 3,8 Milliarden Euro, die zurVerfügung stehen, genutzt werden. Wir haben uns umStrukturpolitik zu kümmern und können auch hier alsPEWradvozdDBdsMEWdimsuznifeEsumuea–vrwndr
Sie haben China und Indien angesprochen. Leidereicht die Zeit in einer solchen Plenardebatte für eineusführliche Diskussion nicht aus. Ich bin der Meinung,ass wir großen Diskussionsbedarf haben, dass wir aberorsichtig sein müssen bei der Beantwortung der Frage,b man hier noch Entwicklungszusammenarbeit prakti-ieren soll oder nicht. Das Ressort umfasst jedoch auchen Bereich wirtschaftliche Zusammenarbeit.
ie Erfolge Chinas bei der Hungerbekämpfung zumeispiel beruhen gerade auf unserer Zusammenarbeit,ie wir mit diesem Land pflegen und führen.In diesem Zusammenhang werden immer die Rechts-taatlichkeit und die Menschenrechte angesprochen. Dasinisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit undntwicklung unternimmt hier entscheidende Schritte imege des Rechtsstaatsdialogs. Das ist ein Pfund, mitem wir wuchern können. Wenn man mit jungen Leutenn den Universitäten in China diskutiert, dann merktan, dass diese Arbeit erfolgreich war. Dafür bin ichehr dankbar.Wir hatten gerade mehr oder weniger das Vergnügen,ns noch einmal mit der Situation in China auseinanderu setzen. In den Gesprächen mit dem Gesundheitsmi-ister ist zum Ausdruck gebracht worden, dass vor allemn den Bereichen, in denen die Chinesen besondere Er-ahrungen haben – nehmen Sie den Medizinbereich –,ine Zusammenarbeit gesucht wird.
ine solche Zusammenarbeit müssen wir pflegen. Wirind doch darauf angewiesen, mit Ländern wie Indiennd China eine hervorragende Kooperation und Zusam-enarbeit zu haben. Ich denke, wir müssen bereit sein,nsere Interessen zu formulieren. Unser Interesse ist esben, die Zukunftssicherung auch durch die Zusammen-rbeit mit diesen Ländern zu betreiben.
Herr Kollege Löning, ich denke, dass man im Dialogieles erörtern kann. Ich habe zum Beispiel in China da-über diskutiert, ob man nicht auch zu trilateralen Ent-icklungskonzepten kommen kann. Warum denn auchicht? Wir sind doch nicht so borniert, zu sagen, dass wirie Einzigen sind, die Weisheiten haben. Ich finde, da-aus könnte man durchaus Honig saugen.
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Detlef DzembritzkiDie Sonne scheint hier so schön herein und blendetmich, sodass ich Sie alle gar nicht mehr sehe. Leidersehe ich aber die Uhr und sie läuft und läuft.
Nehmen Sie den Aidsfonds und die Arbeit, die vonuns hier geleistet wird. Im Zusammenhang mit den Etat-debatten habe ich mich noch einmal mit den Zahlen be-schäftigt; Sie haben sie selbst. Wir erhöhen den Betragvon 38 Millionen Euro auf 78 Millionen Euro. SchauenSie sich an, was zum Beispiel aus dem EuropäischenEntwicklungsfonds in den Aidsfonds geflossen ist! Eshandelt sich um eine dreistellige Millionensumme undwir sind mit etwas über 23 Prozent daran beteiligt. Hierist also viel passiert.Gerade mit Blick darauf, dass die Bundesregierungihre internationalen Aufgaben zu erfüllen und wahrzu-nehmen hat, sage ich: Ich glaube, dass wir uns in diesemBereich nicht zu verstecken brauchen und dass wir allemiteinander einen guten Grund haben, das 0,33-Prozent-Ziel anzustreben, weil wir dann ein perfektes Ergebnishätten.In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerk-samkeit und schenke der CDU/CSU 23 Sekunden.
Dafür wird die schöne Sonne leider abgestellt.
Als Letzter in dieser Debatte hat der Abgeordnete
Peter Weiß das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibtin der Entwicklungszusammenarbeit eine erfreulicheTatsache, die man festhalten sollte, nämlich den Inhaltdes von der Frau Bundesministerin eingangs vorgetrage-nen Zitats des Weltbankpräsidenten Wolfensohn: Dieacht großen Millenniums-Entwicklungsziele, die189 Staats- und Regierungschefs, unter ihnen der deut-sche Bundeskanzler, im Jahre 2000 unterzeichnet haben,und auch die Festlegung der Bundesregierung, als einenersten Schritt zur Erfüllung dieser Ziele den Anteil derdeutschen Entwicklungshilfeausgaben am Bruttonatio-naleinkommen bis zum Jahr 2006 auf 0,33 Prozent zusteigern, finden uneingeschränkte Unterstützung. – Ichfinde, das ist eine erfreuliche Tatsache.Für alle, die guten Willens an die Umsetzung dieserZiele gehen, gibt es aber eine große Enttäuschung, näm-lich den vorliegenden Bundeshaushalt 2005. FrauBundesministerin, aufgrund dieses Haushalts sind alleAussagen betreffend das 0,33-Prozent-Ziel dieser Bun-desregierung Schall und Rauch.
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as ist das eigentlich Enttäuschende an dieser Haus-altsdebatte und der Art und Weise, wie Sie das finan-ielle Desaster der deutschen Entwicklungszusammen-rbeit öffentlich darstellen.
Zu Recht ist in der Debatte mehrmals erwähnt wor-en, dass man die hehren Zielsetzungen, zu denen sichie Staats- und Regierungschefs mit den Millenniums-ielen verabredet haben, auch dann, wenn die finanziel-en Mittel so beschränkt sind, wie sie es sind, erreichenönnte, wenn man sich darauf konzentriert.Schaut man sich aber die inhaltlichen Schwerpunkt-etzungen des Bundeshaushaltes 2005 an, dann wird maneststellen, dass die Mittel für die entwicklungspoliti-chen Handlungsfelder und -aktionen, die nachweislichur Armutsbekämpfung beitragen, nicht erhöht wordenind und Sie die angeblich stärkere Armutsorientierungm Bundeshaushalt dadurch erreichen, dass Sie unter-chiedlichen Maßnahmen der indirekten Armutsbekämp-ung, der so genannten strukturellen Armutsbekämpfung,as Etikett „Armutsbekämpfung“ als Aufpepperle anhef-en, die dieses Etikett bisher nicht trugen.
ine solche Art von Etikettenschwindel hilft uns nichtei der Neuorientierung der Entwicklungszusammenar-eit und hilft vor allen Dingen den Ärmsten der Armenieser Welt nicht.
Ein weiterer Punkt. Wenn wir schon so wenig Mittelur Verfügung haben, dann sollte die Bundesregierungies unseren Partnern in Brüssel und New York mittei-en. Ich finde es beängstigend, in welchem Maße wir un-ere eigene deutsche Handlungsfähigkeit einschränken.m in Brüssel und New York nicht den Offenbarungseideisten zu müssen,
teigern wir die Zuschüsse an die europäischen und in-ernationalen Organisationen der Entwicklungszusam-enarbeit um 73 Millionen Euro. Weil wir aber nichtehr Geld im Haushalt haben, kürzen wir um die glei-he Summe den deutschen Organisationen die Zu-chüsse für ihre Arbeit.
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Peter Weiß
Nun kenne ich die rechtliche Problematik. Aber wennich erlebe, wie sich auch verehrte Kolleginnen und Kol-legen aus den rot-grünen Koalitionsfraktionen, insbeson-dere wenn sie von Reisen zurückkommen, über die In-effizienz des Einsatzes europäischer Entwicklungsgelderbeklagen, für die sie neue Beweise gefunden haben, undwie auch immer wieder über die Ineffizienz der Arbeitvon UN-Organisationen berichtet wird, dann frage ichmich: Welchen Sinn macht es, diejenigen, die wenig ef-fizient sind, mit diesem Haushalt finanziell zu belohnenund diejenigen, die anerkannt gut arbeiten, mit diesemHaushalt finanziell zu bestrafen? Das kann niemand ein-sehen.
Die Bundesministerin hat zu Recht die erfolgreicheEntwicklungszusammenarbeit der nichtstaatlichen, derprivaten Träger, der Kirchen, Stiftungen und Nichtregie-rungsorganisationen, angesprochen. In der Tat halte iches für bemerkenswert, dass uns die kirchlichen Hilfs-werke trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in de-nen sich viele Menschen in Deutschland befinden, imletzten Jahr wieder mehr Spendengelder für die Entwick-lungszusammenarbeit einwerben konnten als im Vorjahr.Diese beachtliche Leistung muss herausgestellt undsollte belohnt werden. Nur stimmt Ihre Aussage nicht,Sie würden die Arbeit dieser Institutionen stärker unter-stützen, Frau Ministerin. Ich weiß nicht, welchen Haus-halt Sie lesen; denn Sie halten sie nominell auf dem glei-chen Stand.Nach der Haushaltsdebatte in dieser Woche und nachden Ankündigungen und Berechnungen des Herrn Bun-desfinanzministers müssen wir damit rechnen, HerrStaatssekretär Diller, dass Sie eine globale Minder-ausgabe von mindestens 3,4 Milliarden Euro in denHaushalt 2005 drücken wollen. Egal, wie hoch die glo-bale Minderausgabe im Haushalt 2005 ausfällt – es stehtja schon eine drin –, es ist doch zu erwarten, dass Sie,Frau Ministerin, wieder so verfahren werden wie in die-sem Jahr, dass nämlich im Wesentlichen die Nichtregie-rungsorganisationen, die Kirchen, die Stiftungen und diePersonalfachdienste, diese globale Minderausgabe er-wirtschaften müssen. Das heißt, dass deren Haushalts-zahlen schon heute nicht stimmen. Das sollte man derEhrlichkeit halber sagen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin derÜberzeugung, dass die Entwicklungspolitik eine echteRenaissance erleben könnte, wenn wir weltweit eine Be-wegung für die Milleniumsziele initiieren könnten. Ichglaube, dass sich viele Menschen, die mittlerweile denGlauben an und das Zutrauen in die Wirksamkeit derEntwicklungspolitik verloren haben, wieder für dieseAufgabe begeistern würden, wenn wir sie davon über-zeugen könnten, dass im Rahmen der deutschen, der eu-ropäischen und der internationalen Politik die konkretenZiele – bis zum Jahr 2015 wollen wir die Zahl der Men-schen in extremer Armut um die Hälfte reduzieren – tat-sächlich umgesetzt werden sollen.erulitiuagwzDBbusIgOttzeFnktSSEbtnpnwhrh
n wirtschaftlich guten Zeiten haben die beiden damali-
en Regierungsfraktionen dazu beigetragen, dass die
DA-Quote systematisch gesenkt wurde. Meines Erach-
ens ist viel Gesundbeterei dabei, wenn Sie das jetzt kri-
isieren.
Ich bitte Sie, Ihrem Kollegen Kraus mitzuteilen, dass
ur Erreichung der ODA-Quote auch die Bundesländer
inen wichtigen finanziellen Beitrag leisten sollen. Der
reistaat Bayern ist daran relativ wenig beteiligt. Er fi-
anziert keine eigenen Entwicklungsvorhaben, er hat
einen eigenen Ausschuss und keine eigenen Förderkri-
erien. Ich würde Ihnen aus nordrhein-westfälischer
icht gern ein bisschen Entwicklungshilfe leisten, damit
ie sehen, wie man das besser machen kann.
Zweiter Punkt: Sie betonen hier die Priorität der
ntwicklungspolitik sehr stark, Herr Weiß.
Frau Kollegen, halten Sie jetzt einen richtigen Rede-
eitrag? Das ist eigentlich nicht Sinn einer Kurzinterven-
ion.
Nein, ich gehe auf die Punkte ein, die Herr Weiß ge-annt hat. Er sagte, die Bedeutung der Entwicklungs-olitik müsse hervorgehoben werden. Ich frage michur, warum auf der Website der Union unter den sechsichtigsten Politikfeldern die Entwicklungspolitik über-aupt nicht zu finden ist, nicht einmal unter dem kohä-enten Ansatz von Außen-, Verteidigungs- und Sicher-eitspolitik. Also auch da mehr Märchen!
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Karin Kortmann
Zu den Steigerungsraten – heute ist mehrfach vonHalbzeitbilanzen geredet worden –: Eine Bilanz für dieZeit von 1998 bis 2004 weist Steigerungsraten im Ent-wicklungshaushalt bei den Kirchen um 10 Prozent, beiden politischen Stiftungen um 17 Prozent, bei der So-zialstrukturhilfe um 49 Prozent und bei den privaten Trä-gern um gar 75 Prozent aus.Wenn Sie meinen – das als vierter Punkt –, die Finan-zierung über Budgethilfe, wie Sie sie rühmen, vorneh-men zu können, kann ich nur sagen: Die bisher geleiste-ten wissenschaftlichen Untersuchungen zur Budgethilfebezeichnen die Ergebnisse als schlecht bis hin zu desas-trös. Sie sagen, Großbritannien sei darin Vorreiter. Dieverabschieden sich von der Strukturhilfe, von personel-lem Angebot, von Monitoring und vom multilateralenAnsatz, weil es nur noch um die finanzielle Bereitstel-lung geht. Statt heute zu sagen – –
Frau Kollegin, das hat nicht den Charakter einer
Kurzintervention. Sie halten eine eigene Rede mit ausge-
arbeiteten Punkten. Das ist eigentlich nicht Sinn der
Sache. Außerdem ist die Zeit jetzt wirklich vorbei.
Ich habe das mitgeschrieben. Herr Weiß kritisierte be-
stimmte Entwicklungsfinanzierungsmodelle.
Dann kann Herr Weiß jetzt antworten.
Darf ich noch einen Satz hinzufügen?
Nein, die drei Minuten sind jetzt vorbei.
Herr Weiß, möchten Sie antworten?
Frau Kollegin Kortmann! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Wer seit sechs Jahren die Bundesregierung
stellt, der sollte nicht immer noch Reden halten müssen,
bei denen er weit in die Vergangenheit hineingreift, um
sich für sein Handeln zu entschuldigen,
sondern er sollte durch eigene Erfolge für sich selber
sprechen können. Dass Sie das offensichtlich nicht tun
können, zeigt das Scheitern Ihrer Politik.
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Drittens. Die von Ihnen dargestellten Steigerungen
er Mittel für die Nichtregierungsorganisationen und
ie Kirchen resultieren im Wesentlichen aus der Auflö-
ung von Sondertiteln, was ich begrüße, und der Zufüh-
ung dieser Mittel in den Haushalt dieser Institutionen.
eswegen muss ich betonen: Mit Taschenspielertricks
nd Umrechnungsmodalitäten, wie Sie sie praktizieren,
erden die Mittel nicht erhöht.
akt ist: Mit dem Haushalt 2005 liegt die rot-grüne Koa-
tion immer noch unter dem Ansatz des Jahres 1998, als
ie letzte Bundesregierung unter Helmut Kohl einen
aushaltsentwurf aufgestellt hat. Deswegen sind die
echs Jahre rot-grüner Entwicklungspolitik keine Er-
olgsstory, sondern leider ein Rückschritt. Das bleibt
estzustellen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung, weil weitere Wortmeldungen nicht vorliegen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Donnerstag, den 9. September
004, 9 Uhr, ein.
Ich wünsche allen einen schönen Abend, besonders
en Besuchern auf der Tribüne.
Die Sitzung ist geschlossen.