Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 40. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich bitte den Schriftführer Herrn Abgeordneten Matthes die Namen der abwesenden Mitglieder des Hauses bekanntzugeben.
Es fehlen wegen Erkrankung die Abgeordneten Dr. Orth, Dr. Dr. Lehr, Schütz, Dr. Weiss, Zinn, Kalbfell, Schönauer, Frau Strobel, Cramer, Herrmann, Parzinger, Determann, Juncker, Fisch, Wittmann. Entschuldigt fehlen: die Abgeordneten Graf von Spreti, Lausen, Eichler, Dr. Bergsträßer, Dr. Suhr, Frau Dr. Ilk, Kuhlemann, Reimann, Frau Thiele,
Oskar Müller, Rudolf Kohl, Dr. Baumgartner, Freiherr von Aretin, Dr. Seebohm. Außerdem fehlt der Abgeordnete Goetzendorff.
Ich habe Ihnen weiter folgende Mitteilungen zu machen.
Mit Schreiben vom 16. Februar 1950 hat der Bundesrat mitgeteilt, daß er in seiner Sitzung vom gleichen Tage beschlossen hat, dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung von Leistungen an Kriegsopfer trotz grundsätzlicher Bedenken gegen § 5 zuzustimmen. Der Bundesrat erwartet jedoch, daß das in Vorbereitung befindliche endgültige Gesetz zur Versorgung der Kriegsopfer den Grundsätzen des Fürsorgerechts, insbesondere dem § 8 der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge, Rechnung tragen wird.
Der Herr 'Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 11. Februar 1950, Drucksache Nr. 546, die Anfrage Nr. 27 der Abgeordneten Dr. Bertram, Frau Wessel und Fraktion, Drucksache Nr. 379, betreffend die Hauser Dahlmannstraße 5 und 7 in Bonn beantwortet.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 15. Februar 1950 die Anfrage Nr. 18 der Abgeordneten Dr. Müller und Genossen, Drucksache Nr. 278, betreffend Gesetz zur Deckung der Kosten für den Umsatz ernährungswirtschaftlicher Waren vom 3. November 1948 beantwortet. Ich verweise auf die Drucksache Nr. 585.
Der Herr Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 16. Februar 1950 die Anfrage Nr. 34 der Abgeordneten Goetzendorff und Genossen, Drucksache Nr. 414, betreffend Anteil der Heimatvertriebenen an den Stellenplänen der Ministerien, Drucksache Nr. 593, beantwortet.
Der Herr Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 21. Februar 1950 die Anfrage Nr. 45 der Fraktion der KPD, Drucksache Nr. 489, betreffend Söldneranwerbung von Deutschen im Bundesgebiet beantwortet. Ich verweise auf die Drucksache Nr. 595.
Der Herr Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen hat gemäß dem ihm durch Beschluß der 33. Sitzung des Deutschen Bundestages erteilten Auftrag - entsprechend den Drucksachen Nr. 78 und 459 — mit Schreiben vom 14. Februar 1950 berichtet. Das Schreiben wird als Drucksache Nr. 591 im Augenblick vervielfältigt und den Mitgliedern zugehen.
Gemäß einem Beschluß des Ältestenrats wird die heutige Tagesordnung um eine Vorlage erweitert: in Verbindung mit Punkt 2 der Tagesordnung, erste Beratung eines Gesetzes zur Beendigung der Entnazifizierung, Drucksache Nr. 482, wird der Antrag der Abgeordneten Dr. Richter und Genossen betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Beendigung der Entnazifizierung, Drucksache Nr. 561, behandelt werden. — Ich darf das Einverständnis des Hauses annehmen.
Weiterhin teile ich mit, daß sich die Behandlung des Punktes 1 der Tagesordnung, Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Neufestsetzung der Kohlenpreise, Drucksache Nr. 404,
etwas verzögert, weil sich der Herr Bundeskanzler und der Herr Bundeswirtschaftsminister im Augenblick bei einem • offiziellen Zusammensein mit dem Herrn Außenminister von Holland befinden.
Meine Damen und Herren, das sind die amtlichen Mitteilungen.
Wir kommen damit zur Tagesordnung.
Zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Renner das Wort.
Meine Damen und Herren! Am 18. Februar hat die kommunistische Fraktion des Bundestages einen Antrag eingebracht, in dem gesagt wird:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, unverzüglich
1. dem Bundestag Bericht zu erstatten:.
a) über das Ergebnis der Besprechungen zwischen den Hohen Kommissaren und Mitgliedern der Bundesregierung am 16. Februar 1950 auf dem Petersberg;
b) über das Ergebnis der Besprechungen des ERP-Ministers Blücher mit den Vertretern des Außenministeriums der Vereinigten Staaten von Nordamerika und der Marshallplan-Verwaltung in Washington;
2. das der Bundesregierung am 14. Februar 1950 durch die Hohen Kommissare zugestellte Memorandum, das nach Pressemeldungen eine Kritik an der bisherigen Wirtschaftspolitik der Regierung der deutschen Bundesrepublik enthält, den Mitgliedern des Bundestages zugänglich zu machen.
Namens der kommunistischen Fraktion beantrage ich, die heutige Tagesordnung durch die Hinzunahme dieses unseres Antrages zu erweitern. Unsere Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß der Bundestag mit Recht eine Klärung der Kontroverse verlangen kann, die um die Urheberschaft dieses anrüchigen Memorandums entstanden ist. Das deutsche Volk und vor allen Dingen wir, der Bundestag, haben ein Recht, zu erfahren, ob dieses Memorandum eine Arbeit der OEEC-Kommission oder eine Arbeit und eine Stellungnahme der Hohen Kommissare darstellt. Diese Klärung ist um so notwendiger, da nach den Meldungen der Presse dieses Memorandum zweimal die Feststellung enthält, daß die Politik der Regierung das Eingeständnis des totalen Bankerotts ist. Diese Feststellung bezieht sich sowohl auf die Denkschrift des Herrn ERP-Ministers Blücher an die OEEC-Kommission in Paris als auch auf die Fehlinvestitionen, auf die Umsiedlerbetreuung und das ungenügende Wohnungsbauprogramm.
Außerdem sind wir der Auffassung, daß dem Bundestag schleunigst mitgeteilt werden sollte, was der Herr ERP-Minister Blücher außer den reichen menschlichen Erfahrungen, die er laut seinen Äußerungen in einer Pressekonferenz aus den USA mitgebracht hat, an Materiellem, an Tatsächlichem mitbrachte und welche neuen Verpflichtungen er eingegangen ist.
Herr Abgeordneter Renner, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihre fünf Minuten abgelaufen sind.
- Nur einen einzigen Satz.
- Nein, einen!
Wir sind der Auffassung: Die Regierung ist verpflichtet, im Bundestag die von uns geforderte Erklärung abzugeben.
Darüber hinaus sind wir der Meinung, daß der Bundestag ein Recht hat, Memoranden von solcher Bedeutung wie dieses Memorandum aus der Hand der Regierung zu erfahren.
Herr Abgeordneter Renner, Ihre fünf Minuten sind abgelaufen.
Es ist ein unerträglicher Zustand, daß die Abgeordneten es sich gefallen lassen müssen, ihr Wissen über die politischen Vorgänge aus der Zeitung zu erhalten. Schluß mit dieser Geheimpolitik der Adenauer-Regierung!
Meine Damen und Herren! Ich frage das Haus, ob sich gegen diesen Antrag Widerspruch erhebt. - Herr Abgeordneter von Brentano, ich bitte.
Ich widerspreche nach § 71 der Geschäftsordnung. C
Danach ist gemäß § 71. Absatz 3 der Antrag nach erfolgtem Widerspruch abgelehnt.
Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der Entnazifizierung
und gleichzeitig ergänzend zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Richter und Genossen betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Beendigung der Entnazifizierung .
Darf ich darauf aufmerksam machen, daß Ihnen der Ältestenrat gemäß § 88 der Geschäftsordnung für die Redezeit folgenden Vorschlag macht. Die Redezeit soll 120 Minuten betragen. Die Antragsteller werden von den ihnen im Rahmen der Redezeit von 120 Minuten zustehenden 15 Minuten Gebrauch machen.
— Ich habe Ihnen noch nicht das Wort erteilt; entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter! — Infolgedessen wird die Einbringung etwa 15 Minuten dauern. Es bleiben dann 105 Minuten für alle übrigen Fraktionen. Ich darf nunmehr das Einverständnis des Hauses zu dieser Redezeiteinteilung erbitten. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist demgemäß beschlossen.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Euler zur Einbringung seines Antrags das Wort.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn sich die Fraktion der Freien Demokraten entschloß, ein Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung einzubringen, dann geschah das aus der Auffassung, daß die Grundlegung des demokratischen Rechtsstaats die Beendigung eines Ausnahmerechts voraussetzt, das gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstößt und schon längst zu einer Gefahr für den Aufbau eines demokratischen Rechtsstaats in Deutschland geworden ist.
Meine politischen Freunde haben bereits im Jahre 1946 mit aller Deutlichkeit ausgesprochen, daß eine Entnazifizierung, die sich nicht darauf beschränkt, vergangene strafbare Handlungen zu sühnen und eine bestimmte politische Führerschaft einflußlos zu machen und zu halten, sondern die den politischen Irrtum als solchen mit Strafmaßnahmen ahndet, schon deshalb ein Schrittmacher der Renazifizierung werden müßte, weil es praktisch gar nicht möglich ist, einen Bevölkerungsanteil, der mit Angehörigen etwa 50 Prozent der Gesamtbevölkerung umfaßt, auf eine rechtsstaatlichen Ansprüchen genügende Weise gerichtlich zu verfolgen.
An zwei großen geschichtlichen Beispielen war bereits damals abzulesen, daß eine Massenentnazifizierung, wie sie die Alliierten mitbrachten und uns aufnötigten, ein Fehlschlag werden müßte. Zum ersten hat Frankreich gute Erfahrungen damit gemacht, daß sich Talleyrand nach der Niederwerfung Napoleons I. einer Entnapoleonisierung im Sinne einer auf ein Ausnahmegesetz gestützt en politischen Massenverfolgung enthielt. Zum andern bot die politische Säuberung, die in den Südstaaten der USA nach dem p amerikanischen Bürgerkrieg in den Jahren 1865 bis 1869 durchgeführt wurde, ein abschreckendes Beispiel einer solchen in ein zweifelhaftes rechtliches Gewand gehüllten politischen Massenverfolgung, die wegen ihres ungeheuren Umfangs zu einer Fülle von Willkür- und Unrechtsakten führte. Das Ergebnis war damals in den USA, daß die Südstaaten noch nach dem Bürgerkrieg trübe Jahre bürgerkriegsähnlicher Natur erlebten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das war uns schon damals eine Warnung, daß eine hinsichtlich ihres Umfangs außerordentlich überspitzte Entnazifizierung hier zu ähnlich bedenklichen Zuständen führen könnte. Analysieren wir die Fehler, die der Entnazifizierung in dem Ausmaße, wie wir sie erlebt haben, zu Grunde lagen, dann ist hinsichtlich der politischen Fehlanlage zunächst einmal zu sagen, daß von der Entnazifizierung ein viel zu -großer Personenkreis ergriffen wurde, der mit den unmittelbar Betroffenen zunächst 27 bis 30 Prozent umfaßte und mit den unmittelbaren Angehörigen auf einen Bevölkerungsteil von 50 bis 60 Prozent kam. Damit hing zusammen, daß alle Betroffenen und ihre Angehörigen zu einer Art Schicksalsgemeinschaft zusammengeschlossen wurden, und alle diejenigen, die nur Mitläufer waren, und alle die, die aus gewissen, wenn auch fehlerhaften idealistischen Erwägungen den Nationalsozialismus unterstützt hatten, wider ihren Willen geradezu in eine Front der Abwehr gegen das neue Gesetz mit den eigentlich Hauptschuldigen, mit der politischen Führerschicht, die Träger des Gewaltsystems und des Terrors war, hineingenötigt wurden. Die aus solchen politisch fehlerhaften Erwägungen hervorgegangene Massenaktion litt nun rechtlich vor
allem darunter, daß entgegen dem grundlegenden Prinzip des Rechtsstaats nicht Taten bestraft wurden, sondern daß eine bestimmte Gesinnung unter Strafe gestellt wurde, und dies obendrein nachträglich auf Grund eines Gesetzes, das nicht bestand, als diese Gesinnung zum Träger eines Gewaltsystems wurde.
Darin liegen zwei rechtsstaatliche Verstöße. Zum. einen der, daß man sich eben nicht darauf beschränkte, Taten zu bestrafen, und zum andern der, daß diese nachträgliche Bestrafung unter Verstoß gegen den jeden Rechtsstaat tragenden Grundsatz „nulla poena sine lege" geschah. Es kommt zum dritten hinzu, daß die Massenjustiz, die eingerichtet werden mußte, um einen so großen Bevölkerungsteil in eine quasi-strafrechtliche Verfolgung zu nehmen, von vornherein natürlich zu einer Fragwürdigkeit des Verfahrens und zu einer Fragwürdigkeit der Sprüche nach ihrem materiellen Inhalt führte, die in vielen Fällen erneut Unrecht in die Welt setzten.
Nun. meine sehr geehrten Damen und-Herren, es kommt zu alldem ein Gesichtspunkt, der dann besonders dazu beitrug, das Entnazifizierungsverfahren in den Augen weiter Bevölkerungsschichten als etwas Unmögliches erscheinen zu lassen. Es gab nämlich nach einiger Zeit überhaupt keine Belastungszeugen von Anstand und Qualität mehr, und zwar aus all den Erwägungen über die politische Fehlerhaftigkeit und die rechtsstaatlichen Verstöße bei der Durchführung der Entnazifizierung. So hat die Entnazifizierung dazu beigetragen, das Rechtsgefühl unseres Volkes auf das schwerste zu belasten, statt es wiederherstellen, zu erneuern und aufzufrischen. Das hat zu schweren Verirrungen des Rechtsgefühls geführt, und so durfte ich in Erwartung dessen. was die Entnazifizierung an Übelständen noch weiterhin bringen würde, bereits im Jahre 1946 diese Art der Entnazifizierung als ein uns auferlegtes nationales Unglück bezeichnen. Dieses nationale Unglück wurde dadurch verstärkt, daß es Kräfte gab, die die Entnazifizierung zu einem Kampfmittel im Dienste der neuen, innenpolitischen Auseinandersetzung herabwürdigten. Uns erscheint es nach alledem als eine dringende Notwendigkeit, durch Beseitigung dieses Ausnahmerechts einen rechtsstaatlichen Zustand herzustellen, und zwar durch ein bundeseinheitliches Gesetz, damit die Rechtsverschiedenheiten, die während der Entnazifizierung bestanden, nun nicht durch verschiedenartige Gesetze über die Beseitigung der Entnazifizierung in den einzelnen Ländern verewigt werden, deren Inhalt dann davon abhängig ist, welche politische Mehrheit jeweils in dem Landtag besteht.
Die Frage: ist der Bund überhaupt zuständig, ein solches Gesetz zu machen? ist ja schon längere Zeit vor der heutigen Erörterung der Materie im Bundestag zwischen den verschiedenen Instanzen, die wir auf der Bundesebene' haben, in Abgeordnetenkreisen sowie in der Presse diskutiert worden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, man muß aus einigen zwingenden Überlegungen dazu kommen, die Bundeszuständigkeit unter allen Umständen zu bejahen. Es hat sich bei der Entnazifizierung von vornherein um eine Gesetzesmaterie des Kontrollrates gehandelt. Das grundlegende Gesetz ist ein Kontrollratsgesetz, und lediglich die Durchführungsgesetze wurden von den einzelnen Militärregierungen erlassen,
weil sich die Alliierten über die Einzelheiten der materiellen und formalen Durchführung nicht einigen konnten.
Die Beseitigung dieser Kontrollratsgesetzgebung ist unseres Erachtens nun für die junge deutsche Demokratie ein rechtspolitisches Faktum grundlegender Natur; sie ist tragend für den rechtsstaatlichen Charakter der Bundesrepublik. Diesem politischen Faktum kann nur dadurch in genügender Weise Ausdruck gegeben werden, daß die Beendigung der Entnazifizierung durch ein bundeseinheitliches Gesetz erfolgt.
Es kommt aber weiter hinzu: selbst wenn man auf Artikel 74 des Grundgesetzes über die konkurrierende Gesetzgebung abstellt, so muß man auch aus dem Artikel 74 zu der Bejahung der Bundeszuständigkeit kommen; denn in Ziffer 1 heißt es, daß sich die konkurrierende Gesetzgebung auf das Strafrecht und den Strafvollzug erstreckt. Es sollte doch nicht im mindesten zweifelhaft sein, daß die Entnazifizierungsgesetze Gesetze strafrechtlichen oder strafrechtsähnlichen Gehaltes sind; denn Sühnemaßnahmen, die darin bestehen, daß nicht nur Geldstrafe, sondern auch Arbeitslager verhängt wird, daß Geschäfte geschlossen, daß Berufsverbote ausgesprochen werden, sind ja strafrechtliche Ahndungsmaßnahmen schwerster Art, die die Subsumtion dieser Gesetzesmaterie unter den Begriff des Strafrechts im Sinne des Artikel 74 rechtfertigen. Wir haben den Gesetzentwurf ausgearbeitet und hier eingebracht, weil wir davon überzeugt sind, daß die Erwägung der Gründe, die ich eben kurz skizzierte, zur Bejahung der Bundeszuständigkeit für dieses Gesetz führen muß.
Zum Inhalt des Gesetzentwurfes, wie er Ihnen in Drucksache Nr. 482 vorliegt, kann ich mich auf die notwendigsten Darlegungen beschränken. Der § 1 bringt das Verbot der Einleitung neuer Verfahren und ebenso das Verbot der Durchführung schwebender Verfahren. Laufende Verfahren sollen ohne mündliche Verhandlung eingestellt werden. Das schließt nicht aus — und wir haben das im § 4 ausdrücklich hervorgehoben -, daß strafbare Handlungen, die in früherer Zeit vorgenommen wurden, nach dem allgemeinen Strafrecht verfolgt werden. Das sollte ein Hinweis darauf sein, daß strafbare Handlungen, soweit sie aus politischen Motiven und in politischen Zusammenhängen damals begangen wurden, nun natürlich weiter verfolgt werden können. Was lediglich unterbleiben soll, ist die Fortsetzung von irgendwelchen Verfahren, die nach ihrer ganzen Art wenig dazu angetan sind, Rechtsgarantien zu geben.
Hinsichtlich der Behandlung der einzelnen Gruppen haben wir eine gewisse Unterschiedlichkeit walten lassen. Für die Gruppen III. IV und V sieht unser Gesetzentwurf die volle Wiederherstellung der staatsbürgerlichen Rechte vor. Das ist auch in der _britischen Zone erforderlich, obwohl hinsichtlich des Charakters der Gruppe III in der britischen Zone noch am ehesten Bedenken in der Richtung geltend gemacht werden könnten, ob unter dem Personenkreis, dem unsere Regelung zugute kommt, nicht Vertreter sind, die dieser Vorteile unwürdig sind. Gegenüber diesen Bedenken müssen wir geltend machen: es ist heute im allgemeinen Interesse wichtig, daß der dicke Strich unter die Vergangenheit gemacht wird, daß die Durchbrechung rechtsstaatlicher Prinzipien, wie sie mit dem Ausnahmerecht der Entnazifizierung gegeben war, beendet wird, selbst wenn
in dem einen oder andern Falle ein Unwürdiger in den Genuß dieser Bestimmungen kommt.
Hinsichtlich der Gruppe II haben wir in § 3 vorgesehen, daß überprüft werden soll, inwieweit verhängte Sühnemaßnahmen in Wegfall kommen können. Lediglich die Wahlrechtsausschlüsse sollen bestehen bleiben. Die gefällten Sprüche gegen Angehörige der Gruppe I sollen überhaupt unberührt bleiben.
Hinsichtlich der Vergangenheit wird eine Frage zu prüfen sein, die bei den Beratungen im Ausschuß erörtert werden müßte. Wir haben eine Vorschrift hierüber zunächst nicht vorgesehen, sind aber der Auffassung, daß geprüft werden sollte, inwieweit jetzt noch ausstehende Gebühren niedergeschlagen werden, weil wir ja wissen, daß in sehr vielen Fällen auf Grund der Kostenbestimmungen Gebührensätze in einer Höhe geltend gemacht worden sind, die rechststaatlich überhaupt nicht zu verantworten ist, da ein ganz eklatantes Mißverhältnis zwischen der ausgesprochenen Sühne und der Höhe der Kostenbelastung besteht. Soweit diese Kosten nicht gezahlt werden konnten — es sind zum Teil Stundungen auf sehr lange Zeit hinaus vereinbart 'worden —, ist zu prüfen. inwieweit eine Niederschlagung der Kosten stattfinden soll.
Unser Gesetz sieht weiter vor, daß ein Anspruch auf Ersatz von Schäden aus der Durchführung der Entnazifizierung nicht zugebilligt wird. Wir lehnen mit großer Entschiedenheit den Gedanken ab, daß nun unter umgekehrtem Vorzeichen die ganze Beunruhigung weitergetragen werden soll, die die Entnazifizierung hinsichtlich der Vergangenheit und ihrer Überprüfung immer wieder aufs neue hervorgebracht hat. Es muß nun wirklich Schluß damit gemacht werden. Dies schließt aber naturgemäß nicht aus, daß in Einzelfällen. in denen Sprüche auf Grund unerlaubter Handlungen gefällt wurden, wegen dieser gegen Betroffene begangenen unerlaubten Handlungen die Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden, die nach allgemeinen Rechtsvorschriften gegeben sind.
Hinsichtlich der Beamten und Pensionäre, die im Zuge der Entnazifizierung aus ihren Ämtern gekommen sind bzw. denen auf Grund der Entnazifizierung die Pensionen vorenthalten werden, haben wir eine Regelung außer acht gelassen, weil diese in einem anderen gesetzlichen Rahmen erfolgen wird. Die Ausgleichung und die Wiederherstellung des Rechtszustandes für diesen Personenkreis, meine sehr geehrten Damen und Herren, gehört zum Geltungsbereich des Artikel 131, und es ist bereits in Ausführung des Artikel 131 ein Gesetz für diesen Personenkreis in Vorbereitung.
Wenn nun heute neben unserem Gesetzentwurf, den ich eben kurz charakterisiert habe. gemäß Drucksache Nr. 561 auch ein Antrag der Abgeordneten Dr. Richter und Genossen behandelt wird, dann möchte ich in diesem Zusammenhang sagen, warum wir uns gegen diesen Antrag aussprechen müssen. Der Antrag zielt darauf ab, daß die Bundesregierung ersucht wird, ein Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung bestimmten Inhaltes zu schaffen. Wenn sich der Ausschuß möglichst schnell mit dieser Materie befassen soll, dann soll er nicht dadurch gehindert werden, daß er inzwischen auf eine Regierungsvorlage warten muß, um die der Antrag der Deutschen Rechtspartei die Regierung ersucht. Also nur aus der
Erwägung heraus, daß die Bejahung Ihres Antrages zu einer Verschleppung der gesamten Materie und ihrer Behandlung im Ausschuß führt, wenden wir uns gegen Ihren Antrag. Wir glauben, daß alle Gesichtspunkte, die Sie in dem Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung geltend machen und geregelt sehen möchten, bei der Ausschußarbeit an unserer Gesetzesvorlage berücksichtigt werden können.
Was uns am Herzen liegt, das ist, diese Beendigung der Entnazifizierung zu einer Grundlegung des Rechtsstaates werden zu lassen, durch die die neue Demokratie um so besser legimitiert wird, den Kampf gegen jede Art von Totalitarismus in der Zukunft aufzunehmen. Gerade auf der Grundlage, daß die Beunruhigung aus der Vergangenheit nun endlich beseitigt wird, werden wir um so größere Energie und aus allen Bevölkerungsschichten heraus um so energischere Unterstützung finden können, wenn es sich in Zukunft darum handelt, totalitären Bestrebungen jeder Art mit der Entschiedenheit entgegenzutreten, die erforderlich ist, um die Demokratie und ihre rechtsstaatliche Ausgestaltung unter allen Umständen zu sichern.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat heute morgen beschlossen, die Drucksache Nr. 561, den Antrag der Abgeordneten Dr. Richter und Genossen, wegen der Themenverwandtschaft im Zusammenhang mit dem Antrag Drucksache Nr. 482 zu behandeln. Ich erteile zur Antragsbegründung dem Herrn Abgeordneten Dr. Richter das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns durchaus darüber im klaren, daß es nicht der Sinn eines Antrags sein kann, auf einem so wichtigen Gebiet wie dem, das heute zur Debatte steht, etwa eine Verzögerung herbeizuführen. Deshalb ändern wir unseren Antrag in der Form ab, daß wir nicht einen Gesetzentwurf von der Regierung vorgelegt haben möchten, sondern daß dieser Antrag die Unterlage für die Ausschußarbeit darstellen soll. Wir sehen in manchen Punkten der Gesetzesvorlage doch gewisse Mängel, die wir gern behoben wissen möchten.
Hierzu ist zunächst einmal grundsätzlich eines zu sagen, und auch der Kollege Euler deutete das schon an, wenn auch nicht in der Form, wie ich es jetzt tun muß. Die Entnazifizierung bezeichnete er als eine Ausnahmegesetzgebung. Das ist sie ohne Zweifel; ja sie ist eigentlich noch etwas ganz anderes, sie ist eigentlich noch viel mehr: sie ist etwas Völkerrechtswidriges.
Sie widerspricht — falls Sie es nicht wissen sollten — dem Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung. Diesen können Sie sich einmal zu Gemüte führen. Nach diesem Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung haben die Alliierten nicht das Recht, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen oder Gesetze zu erlassen, die in das innere Leben eines Volkes eingreifen, sondern sie haben die bestehenden Gesetze zu achten,
was ja bisher in „vorbildlicher" Weise geschehen ist.
Aus diesem Grunde lehnen wir die Entnazifizierung grundsätzlich als etwas Völkerrechtswidriges ab und stehen nicht an, offen zu erklären, daß alle — ohne daß wir damit die Leute etwa samt und sonders in einen Topf werfen und gleich den Stab über sie brechen wollen —, die in irgendeiner Form etwas damit zu tun hatten, doch in gewisser Hinsicht völkerrechtswidrig gehandelt haben.
Die Entnazifizierung war zunächst ein Gebiet, auf dem gewisse Leute ihren ganzen infernalischen politischen Haß austobten.
— Nun, Herr Greve, Sie sind ganz bestimmt nicht der geeignete Interpret einer Demokratie!
— Gerade Sie dürfen sich nicht in dieser Form aufregen.
Ich möchte nur das eine sagen: Ich empfinde es als eine ausgesprochene Schwäche der Demokratie, wenn Sie eine solche — —
— Herr Greve, Sie müssen viel lauter reden! Ich kann Sie beim besten Willen nicht verstehen, wenn Ihre sämtlichen Genossen auf einmal schreien.
Herr Abgeordneter Dr. Richter, ich würde Ihnen empfehlen, Ihren Vortrag fortzusetzen und auf Zwiegespräche nicht einzugehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde mich dadurch auch nicht stören lassen!
Ich bin der Meinung, daß die Stärke eines demokratischen Systems gerade darin besteht, daß es derartiger Ausnahmegesetze überhaupt nicht bedarf. Deshalb haben wir in unserem Antrag verlangt, daß die Gruppen III bis V von vornherein von allen Beschränkungen befreit und in ihre alten Rechte eingesetzt werden, was vor allem für Beamte gilt,
was aber natürlich denen nicht passen wird, die nie für das Berufsbeamtentum,
sondern für eine ausgesprochene Parteibonzokratie sind.
Die Gruppen I und II
wollen wir jedenfalls auch herausgenommen sehen.
Die nach Gruppe I oder II Eingestuften sollen, wenn sie der Überzeugung sind, daß man ihnen nichts nachweisen kann, wenigstens das Recht haben. von sich aus den Antrag zu stellen, daß ein Verfahren vor einem ordentlichen Gericht und nicht vor Gerichten durchgeführt wird, bei denen sogenannte Sachverständige, die überhaupt gar keine Ahnung von der Sache haben, um die es sich . dreht, das Urteil entscheidend beeinflussen.
Ich will wegen der Kürze meiner Redezeit in diesem Zusammenhang nur auf ein Musterbeispiel der ganzen Entnazifizierung hinweisen.
— Nun, regen Sie sich nicht über den Fall Hedler auf! Die Blamage hatten in dem Fall ja Sie.
Ich rede hier vielmehr von dem KolbenheverProzeß. Daß es in Deutschland überhaupt Menschen gegeben hat. die den bedeutendsten lebenden deutschen Dichter
vor ein Entnazifizierungstribunal geschleppt haben, das ist die größte Schande, die dem deutschen Volk überhaupt widerfahren konnte;
und wenn man sich dann diese - mit Verlaub gesagt - Trottel von Sachverständigen ansieht, fragt man sich nur, wie überhaupt derartige Menschen auf die Allgemeinheit losgelassen werden konnten.
Und den Kollegen von Bayern möchte ich nur den einen guten Rat geben und die Bitte an sie aussprechen, daß sie diejenigen, die für das Urteil gegen Kolbenheyer verantwortlich sind, doch einmal auf ihren Geisteszustand untersuchen lassen möchten,
oder wenigstens dafür sorgen, daß einmal nachgeforscht wird inwieweit sie die völkerrechtswidrige Macht, die sie sich angemaßt haben, noch in schamlosester Weise mißbraucht haben.
Da uns der Antrag sehr wichtig erscheint und wir der Überzeugung sind, daß er allein die restlose Beendigung dieses Verbrechens der Entnazifizierung mit sich bringen kann, bitten wir Sie um Ihre Zustimmung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antragsbegründung ist damit beendet. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerstenmaier.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht einmal die temperamentvollen Darlegungen meines Herrn Vorredners können die CDU/CSU-Fraktion davon abbringen, für die Beendigung der Entnazifizierung einzutreten.
Erlauben Sie mir, einen Vorbehalt zu machen und meinen juristisch unzureichenden Sachverstand damit zu entschuldigen, daß ich sage, daß mein Freund von Brentano noch von der juristischen Seite her zu der Sache sprechen und sich insbesondere mit der Frage auseinandersetzen wird, ob dieses Haus dafür kompetent ist, zu der Sache zu sprechen. Wir meinen aber, daß, ganz unabhängig davon, ob eine Rechtszuständigkeit des Bundes anerkannt wird oder nicht, diese Frage nunmehr nach allen Seiten hin von solcher Bedeutung ist, daß es diesem Hause wohl ansteht, sich mit der Sache selbst zu befassen. Und dazu darf ich mir erlauben, namens meiner Fraktion einige Ausführungen zu machen.
Wir sind für die Beendigung der Entnazifizierung, weil erstens nach unserer Auffassung die politische Überzeugung als solche nicht bestraft werden sollte.
Zweitens sind wir wegen der Problematik des Verfahrens, die von allen Seiten anerkannt worden ist, für die Beendigung der Entnazifizierung; drittens sind wir für die Beendigung der Entnazifizierung, weil wir es nicht mit Lippenbekenntnissen bewenden lassen wollen bei der Tatsache, daß eine echte Chance gegeben werden muß für die Verführten, die nach Millionen zählen und auf die wir beim Neuaufbau des deutschen Vaterlandes nicht zu verzichten gewillt sind.
Und schließlich sind wir für die alsbaldige Beendigung der Entnazifizierung unter dem Gesichtspunkt,
daß eine echte nationale Solidarität in deutschen Landen zustandekommen muß und daß diese Einigkeit nur durch eine echte Versöhnung zu erzielen ist.
Das ist das erste Kapitel dessen, was wir zur Sache zu sagen wünschen.
Erlauben Sie mir nun noch zu sagen, was wir nicht meinen, wenn wir vom Ende der Entnazifizierung sprechen. Die Beendigung der Entnazifizierung soll nach unserem Willen nicht die Anerkennung oder die Rehabilitierung der Ideologie oder der Methoden des Nationalsozialismus auch nur im Ausschnitt bedeuten.
Wir wollen keine Abstumpfung der Rechtsbegriffe und des persönlichen Verantwortungsbewußtseins mit der Beendigung der Entnazifizierung verbunden sehen.
Wir möchten, daß ein Mann in deutschen Landen dafür geradesteht, was er zu verantworten hat.
Wir sind der Meinung, daß der Mangel an politischer Einsicht weder prämiiert noch bestraft werden soll. Und wir sind der Meinung, daß der Mißbrauch der Macht auf jeden Fall bestraft werden muß. Wir sind jedoch nicht der Meinung, daß man sich einfach auf den Satz zurückziehen kann: Der Befehl deckt!
Wir sind uns über die Problematik dieser Sache völlig klar. Aber wir sprechen es hier aus, daß wir der Überzeugung sind, daß der Befehl nicht absolut deckt.
Was weiter bestraft werden muß, gleichgültig, ob die Entnazifizierung so oder so beendet wird, das ist die persönliche Bereicherung auf Kosten des Volkes. Wir sind auch nicht in der Lage, dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Form zuzustimmen, und zwar deshalb, weil vor allem eine Gruppe, von der wir sehen möchten, daß sie endlich zur Verantwortung gezogen wird, nachdem sie oft feige genug sich bis jetzt der Verantwortung für die Macht, die sie früher in tyrannischer Weise ausgeübt hat, entzogen hat. Mit anderen Worten: Wir wollen keine Freistellung von Hauptschuldigen. Und wir wollen, daß der Skandal um Skorzeny und Genossen aufhört. Wir möchten nicht, daß die Gesinnung, die sich in diesem Hause bekundet und die sich der Mängel des bisherigen Entnazifizierungssystems voll bewußt ist, zu einem Freibrief für politische Banditen ausgewertet wird.
Und noch eine andere Sache, meine Damen und Herren. Wir möchten auch, daß der Gerechtigkeit insofern Genüge getan wird, als wir keine Zulassung von Unbilligkeiten und Ungerechtigkeiten wünschen, etwa derart, daß die Anerkennung von Vollpensionen bei Parteibuchbeamten oder eine anderweitige Honorierung von Parteikarrieren hier noch mit der sanften Billigung dieses Hauses stattfindet.
Es wäre ein langes Kapitel, und ich finde, daß es allmählich Zeit wäre, daß sich dieses Haus damit etwas länger auseinandersetzt. Aber bei der mir zur Verfügung stehenden Redezeit kann ich es nur kurz machen.
Nur ein Wort noch zu der politischen und außenpolitischen Seite der zur Debatte stehenden Frage. Was wir nicht meinen, was das Ende der Entnazifizierung in deutschen Landen und für das Ausland bedeuten soll, das ist, daß diese Beendigung nicht heißen soll: Resignation oder
Widerstandslosigkeit gegenüber einer von uns mit Sorge beobachteten Tendenz, aus Verbrechern oder politischen Dummköpfen neuerdings Märtyrer oder Helden der Nation zu machen.
— Sie wissen, wo der Feind steht!
Nur mit Bedauern können wir feststellen, wie unter dem Einfluß einer unverantwortlichen Demagogie das Bewußtsein für den Begründungszusammenhang in weiten Schichten unseres Volkes allmählich entschwindet, für den Begründungszusammenhang, in dem unser nationales Unglück steht und auch in dem Bewußtsein der anderen Völker stehen bleiben wird.
Ich freue mich, daß meine Fraktion mir erlaubt hat, eine Warnung auszusprechen, eine Warnung, daß es auch nach unserem Willen lebensgefährlich ist, in deutschen Landen alte gewaltpolitische Spiele und verbrecherische Instinkte neu zu betätigen, und daß wir sogar das Spiel mit derartigen Gedanken unter Strafe gestellt sehen möchten.
Es macht uns nicht den mindesten Eindruck, wenn man so etwas unter Berufung auf die nationale Ehre tut. Das haben wir alles schon einmal erlebt. Es hat damit geendet, daß der vornehmste Teil unseres deutschen Adels an den Galgen von Plötzensee, an Schlachterhaken - um genau zu sein — geendet hat. Auch die Grenzen des gegenwärtig geltenden positiven Rechts werden meine Freunde und mich nicht hindern, für die Substanz des Rechts in dieser Sache jederzeit mit dem einzutreten, was wir sind und was wir vermögen.
In all dem — damit wir uns hier nicht mißverstehen — bleiben wir uns dessen bewußt, daß wir darin nicht Vollstrecker von Rachemaßnahmen sind. Wir wollen keine Rache! Wir wollen, daß die großen Verbrecher nach Möglichkeit von selber dafür geradestehen, was sie an dem deutschen Volk und an der Welt begangen haben. Wenn sie das nicht tun, dann wird die deutsche Nation nicht fünf gerade sein lassen! Ich rede von den Großen. Für die Kleinen treten wir für eine viel weitergehende Amnestie ein, als es bisher geschehen ist. Wir sind also nicht Vollstrecker von Rachemaßnahmen, weder der unseren noch derjenigen, die auswärtige Mächte in früheren Tagen in diesem Punkt für richtig hielten oder vielleicht heute noch da und dort zu erwägen für richtig halten. Wir sind auch nicht, indem wir das sagen, Vertreter von Siegermächten. Wir treten hier für nichts anderes ein als für die Ehre der deutschen Nation, und wir sind nicht bereit, diese Ehre der deutschen Nation in die Hände von Leuten fallen zu lassen, die sich bereits einmal als notorische Versager oder subalterne Geister erwiesen haben: Remer, Krüger und Genossen.
Diesen Leuten verweigern wir das Recht, auch nur durch Gesinnungsgenossen hier in diesem Saal zu Wort zu kommen.
Wir sind niemand verpflichtet und fühlen uns niemand verpflichtet als Deutschland und der Gemeinschaft der den Frieden und die Freiheit liebenden Völker, mit denen wir leben wollen und mit denen wir leben müssen, wenn wir eine Zukunft haben wollen.
Gerade deshalb glauben wir, daß es einer genauen Erwägung bedarf, was wir in Zukunft um der Lebensmöglichkeit Deutschlands in der Gemeinschaft der anderen Völker willen in diesem Punkt zulassen dürfen und zulassen sollen. Die außenpolitische Bedeutung einer entsprechenden Gesetzgebung, wie wir sie hier vertreten sehen möchten und wie wir sie von der Bundesregierung vorgelegt sehen möchten, die außenpolitische Bedeutung der hier zur Debatte stehenden Angelegenheit kann überhaupt nicht überschätzt werden.
Dem Radikalismus, der billig genug ist — es besteht ja Redefreiheit, und jeder kann sagen, was er will; sogar die Feiglinge kriechen aus ihren Löchern —, diesem neuen Radikalismus fehlt, das haben wir in den letzten Monaten bemerkt, das Augenmaß für die einfachste politische Realität. Es fehlt ihm das Gewissen für das politisch Erlaubte, und es fehlt ihm der Verstand für das politisch Aktuelle, nämlich für Europa.
Vor einigen Tagen habe ich einen Brief von einem. bekannten Deutschen aus Kairo bekommen. Er schreibt folgende Sätze: -
Es ist eine Freude, festzustellen, wie sehr sich die allgemeine Stimmung im Auslande uns gegenüber verbessert hat. Bonn ist zu einem festen Begriff geworden. Ein ägyptischer Diplomat sagte mir: „Es ist schön, zu sehen, daß Ihr Land wieder einen guten Platz im europäischen Konzert eingenommen hat." Diese Äußerung erscheint mir charakteristisch für die Meinung, die ich jetzt am östlichen Mittelmeer angetroffen habe. Es gibt aber auch Kritik. Für mich ist es bedrückend, im Auslande manchmal der Ansicht zu begegnen, als wäre es Bonn gleichgültig oder gar angenehm, daß sich das in Westdeutschland in stärkerem Maße bemerkbar macht, was die Presse oft das „Wiedererwachen des deutschen Nationalismus" nennt. Es ist meines Erachtens schwer, sich etwas vorzustellen, was das gerade wieder einsetzende Vertrauen des Auslandes in uns und unseren aufrichtigen Wunsch nach Mitarbeit nachhaltiger erschüttern könnte als das öffentliche Auftreten und die Reden von Remer, Hedler, Dorls und Feitenhansl.
Nun noch ein zweites. Wir finden, daß es wertvoll wäre, in diesem Hause einmal auf die Rede zu sprechen zu kommen, die Mr. McCloy vor einigen Wochen in Stuttgart gehalten hat. Ich glaube, daß wir für diese Rede besonders deshalb dankbar sein sollten, weil sie die Situation wiedergibt, die viele von uns kennen, die in den letzten Jahren jenseits der deutschen Grenzen für Deutschland zu tun und zu reden hatten. Wir sind dankbar dafür, daß durch die Stimme und die Augen eines wohlwollenden Mannes, von dem wir überzeugt sind, daß er für dieses Land das
Beste will, die Situation wiedergegeben wird, der wir draußen gegenüberstehen, die wir ins Auge zu fassen haben und um deren richtige Erkenntnis wir uns nicht selbst betrügen dürfen. Weil seine Stuttgarter Rede diese Situation redlich wiedergibt, sind wir Mr. McCloy dankbar. Wir stehen nicht an, auszusprechen, daß uns diese Reden der ungeschminkten Wahrheit unendlich viel lieber sind als die freundlichen Worte bei manchen Cocktail-Parties
Trotz ihrer hohen politischen, insbesondere außenpolitischen Bedeutung glauben wir jedoch, daß wir diese Grundfragen unseres nationalen Daseins auf Grund der Geschichte, die wir an uns selber erlebt haben, mit .eigener Kraft bewältigen und vor unseren eigenen sittlichen, rechtlichen und politischen Wertmaßstäben verantworten müssen. In diesem Punkt bin ich der Meinung, daß die Angelegenheit, von der wir hier reden, nicht, jedenfalls nicht ausreichend, unter den Aspekten einer vielleicht noch so wohlmeinenden Re-education, überhaupt nicht unter pädagogischen Gesichtspunkten des Auslandes betrachtet und verstanden werden kann. Wir erbitten vom Ausland das Verständnis dafür, daß das deutsche Volk allmählich in eine Bewußtseinsepoche eintritt, in der es die Auseinandersetzung mit seiner eigenen Geschichte und die Bewältigung dieser Geschichte überhaupt erst in sich selber frei vollziehen muß. Wir würden es für außerordentlich wertvoll und förderlich halten, wenn diese Auseinandersetzung in möglichst großer Freiheit und möglichst ohne daß uns ausländische Wertmaßstäbe auferlegt werden, vollzogen werden könnte.
Wir meinen deshalb, daß hier ein Gesetzeswerk mit eigenen, klar verantworteten Rechtsbegriffen geschaffen werden müßte, das erstens die Freiheit der politischen Überzeugung festlegt, gleichgültig ob sie uns paßt oder nicht. Hier sind wir nicht zu Konzessionen bereit. Denn das gehört zu den Staats-Grundsätzen, zu denen wir uns bekennen. Wir respektieren die Freiheit der politischen Überzeugung. Zweitens fordern wir ebenso unbedingt die Bestrafung der verbrecherischen Tat und ihrer nachgewiesenen Absicht. Drittens wollen wir die gemeine Gesinnung, gleichgültig, ob sie sich politisch oder unpolitisch ausdrückt, menschlich und national geächtet wissen. Viertens wollen wir die demagogischen Angriffe oder die bösartige Unterwühlung der Freiheit des Lebens und der Zukunft der Nation energisch bestraft wissen.
In diesem Zusammenhang sehen wir das Problem des Abschlusses der Entnazifizierung. Die CDU/CSU-Fraktion verlangt deshalb erstens den Abschluß der Entnazifizierung mit ihrer Vermischung von politischer Gesinnung und kriminellem Tatbestand. Zweitens empfiehlt sie den Erlaß einer Amnestie. Drittens fordert sie eine korrekte Strafverfolgung dort, wo Verbrecher zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Wir fordern dabei — wie die Aufgabe auch juristisch gemacht wird — eine endgültige Heranziehung aller der Gruppen und aller der Personen, die unter den Begriff der Hauptschuldigen zu stellen sind.
Wir machen deshalb den Vorschlag, daß die Bundesregierung möglichst bald diesem Hause ein Gesetz zum Schutz des Staates oder entsprechende gesetzliche Bestimmungen zum glei-
chen Zweck vorlegt, und wir empfehlen, daß die bundeseinheitliche Beendigung der Entnazifizierung einen wesentlichen Teil dieses Gesetzgebungswerkes bildet Wir haben starke Bedenken — ich habe das namens meiner Fraktion hier auszusprechen — gegen die Vorlage der FDP. Wir sind in diesem Augenblick nicht in der Lage, dieser Vorlage zuzustimmen und beantragen daher auch unsererseits ihre Verweisung an den Ausschuß.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 20. September 1949 ausgeführt:
Durch die Denazifizierung ist viel Unglück und viel Unheil angerichtet worden. Die wirklich Schuldigen an den Verbrechen, die in der nationalsozialistischen Zeit und im Kriege begangen worden sind, sollen mit aller Strenge bestraft werden. Aber im übrigen dürfen wir nicht mehr zwei Klassen von Menschen in Deutschland unterscheiden,
die politisch Einwandfreien und die nicht Einwandfreien. Diese Unterscheidung muß baldigst verschwinden!
Diese Ausführungen im Regierungsprogramm gehören zu den wichtigsten Koalitionsvoraussetzungen, unter denen die Fraktion der Deutschen Partei damit einverstanden war,
daß zwei Fraktionskollegen die ihnen angebotenen Ministerien der Bundesregierung angenommen haben.
Bereits am 8. September 1949 hatte die Fraktion der Deutschen Partei im Bundestag einen Antrag eingebracht, in dem die Bundesregierung ersucht wurde, Gesetze zum sofortigen Abschluß der Entnazifizierung und zu einer Amnestie aller von den Folgen der bisherigen Entnazifizierung Betroffenen der Gruppen III und IV oder gleichgestellter Gruppen vorzulegen. Dieser Antrag lag in der Linie des politischen Wollens der Deutschen Partei, zu der sie sich bereits im Zonenbeirat und im niedersächsischen Landtag in den Jahren 1946 und 1947 bekannt hatte. Der Antrag hatte zum Ziel, die breite Masse aller Entnazifizierungsverfahren zum sofortigen Abschluß zu bringen und die Fortwirkung aller bei diesen Gruppen bereits erkannten Folgemaßnahmen zu beseitigen, um zunächst einmal in ihrer Breitenwirkung die politische Unterscheidung zweier Klassen von Staatsbürgern, wie das in der Regierungserklärung verlautbart war, zu beenden.
Dieser Antrag war als ein Vorläufer weiterer Maßnahmen gedacht, um auch die Frage der Behandlung der in den Gruppen I und II eingestuften Personen nach sorgfältiger Erwägung aller politischen und rechtlichen Momente einer Revision zu unterziehen. Unter den Gruppen III und IV waren die entsprechenden Kategorien des in der britischen Zone geltenden Entnazifizierungsrechts verstanden worden, die sich mit
den Kategorien des in den beiden anderen Zonen geltenden Rechts nicht deckten, denen aber doch andere Gruppen vergleichbar gegenübergestellt werden können und gegenübergestellt werden sollten.
Die Fraktion der Deutschen Partei hatte zur Beseitigung der verhängnisvollen Folgewirkungen in abgeschlossenen Entnazifizierungsverfahren sich des Begriffes einer politischen Amnestie bedient, und zwar aus rein gesetzestechnischen Gründen, ohne damit einzuräumen, daß diese Verfahren nach ihrer wohlbegründeten Rechtsüberzeugung als Recht begriffen oder akzeptiert werden konnten. Sie unterwarf sich mit dieser technischen Nomenklatur einem Faktum, das aus der Entscheidung der Sieger hervorgegangen ist, weil eine Aufhebung dieses Faktums mit rückwirkender Kraft nicht möglich und auch nicht wünschenswert erschien, zumal dann neues Unrecht, neue Ungerechtigkeit und neue Verwirrung gestiftet worden wären. Darum beschied sich die Fraktion der Deutschen Partei mit einer Wirkung ex nunc und verzichtete auf den vergeblichen Versuch einer Konstruktion der Aufhebung und Beseitigung ex tunt.
Der Rechtsausschuß hat bei Beratung dieses Antrages eine Entscheidung des Justizministeriums angesucht, da zweifelhaft wurde, ob der Bund in dieser Frage die Gesetzgebungskompetenz habe. Ebenso wie das Justizkollegium verneinte der Justizminister unter Billigung des Kabinetts aus rechtspolitischen und verfassungsrechtlichen Gründen die Bundeszuständigkeit. Der Herr Justizminister ließ sich bei seiner Stellungnahme nicht zuletzt von der Erwägung leiten, daß die Abschlußgesetzgebung in einigen Ländern bereits zu einer gewissen Reife gediehen war und daß das Justizkollegium zu Leitsätzen gekommen war, die die Aussicht auf eine Koordinierung dieser Abschlußgesetzgebung im Bundesgebiet bot, eine Entwicklung, die offenbar nicht gestört werden sollte durch die Inanspruchnahme einer Kompetenz des Bundes, deren Begründung dem Herrn Justizminister zweifelhaft erschien und die ob dieser Zweifel nach Ansicht des Herrn Justizministers einen Konflikt zwischen dem Bund und den Ländern hätte hervorrufen können. Zudem erschien dem Herrn Justizminister eine nicht nur zoneneinheitliche. sondern bundeseinheitliche Regelung der Abschlußgesetzgebung mit Rücksicht auf die Verschiedenheit der Systeme eine fast unlösbare Aufgabe mit der Gefahr neuer Ungleichheiten und neuer Ungerechtigkeiten. Der Gedanke der politischen Amnestie, wie sie von der DP zusätzlich gefordert worden war, um wirklich und effektiv die ungleiche Stellung zweier Staatsbürgerklassen zu beseitigen, wurde nicht weiterverfolgt.
Unterdessen waren von anderen Fraktionen dieses Hauses weitere Anträge eingereicht worden, die auf eine Beendigung der Entnazifizierung abzielten. Über sie wurde im Rechtsausschuß in der Sitzung vom 13. 12. vorigen Jahres beraten. Hierbei verneinte der Herr Abgeordnete Professor Brill im wesentlichen die Bundeszuständigkeit auf Grund einer sorgfältigen Zusammenstellung der positiven Rechtsbestimmungen und der geübten Praxis. während ich als Mitberichterstatter auf den Widerspruch zwischen dem nur aus dem Bezug zum Besatzungsrecht verständlichen Artikel 139 des Grundgesetzes und den Grundrechten hinwies, namentlich auf die
Grundnormen der Artikel 1 bis 3 sowie auf Artikel 23 des Grundgesetzes. Ferner vertrat ich die Ansicht, daß durch das auf das Besatzungsrecht begründete Entnazifizierungsrecht Grundnormen der Weimarer Verfassung, also Reichsrecht, abgeändert worden seien. Ich kam zu dem Ergebnis, daß das Entnazifizierungsrecht trotz seiner Aufsplitterung in die Zonensysteme und auf die Ländergesetzgebung nach Artikel 125 Absatz 2 Bundesrecht geworden sei. Für den Fall, daß man dieser Argumentation nicht folgen wolle, wies ich darauf hin, daß das Entnazifizierungsrecht im Querschnitt der drei Westzonen betrachtet zu drei Vierteln als materielles Strafrecht klassifiziert werden müsse. Hieraus würde sich gemäß Artikel 72 und 74 des Grundgesetzes mit Rücksicht auf das Bedürfnis einer einheitlichen Regelung die Pflicht zur Inanspruchnahme der Bundeskompetenz für die Abschlußgesetzgebung und zum Erlaß einer politischen Amnestie ergeben.
Im Ergebnis traten die Vertreter der Koalitionsparteien dieser Zielsetzung bei, zumal auch die von mir vertretene Ansicht Billigung fand, daß die vom Justizkollegium vorgeschlagene Abschlußregelung keine wirkliche Beendigung der Entnazifizierung darstelle.
Nunmehr hat die Fraktion der FDP die Initiative wieder aufgenommen, nachdem eine Initiative der Bundesregierung sowohl hinsichtlich der Bundesgesetzgebung als auch mit dem Ziel der Koordinierung der Länderabschlußgesetzgebung nicht entfaltet wurde. Die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt diesen Schritt der ihr befreundeten Fraktion der FDP,
o wenngleich sie mit den technischen Einzelheiten der Gesetzesvorlage nicht in allen Stücken konform gehen kann. Doch ist das unwesentlich mit Rücksicht auf die grundlegende Tatsache. daß durch den Antrag der FDP die Diskussion dieser Frage aus dem Bereich allgemeiner deklamatorischer Erwägungen herausgenommen wird. Wir kommen somit endlich zur Tat.
Die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Gerstenmaier können meine Fraktion nicht vollinhaltlich befriedigen.
Wir begrüßen an diesen Ausführungen den gemeinsamen Willen, hier endlich zu einem Abschluß zu kommen. Es gibt aber Dinge. bei denen man weder rechts noch links zu sehen hat, bei denen man einfach geradeaus zu marschieren hat und weiter gar nichts.
Wir haben diesen Rechtsgedanken verfolgt ohne
Rücksicht auf den Beifall oder das Mißfallen des
Aus- oder Inlands. Hier handelt es sich um
grundsätzliche Fragen des Rechts, die wir in aller
Ruhe zum Abschluß bringen wollen. Es kommt
uns nicht darauf an, Lippenbekenntnisse zu
machen. Wir legen den allergrößten Wert darauf, daß der Gedanke der gleichen Chance und
der Aufhebung der verschiedenen Klassen der
Staatsbürger auch effektiv gemacht wird, und
zwar ausnahmslos, und daß man dann nur diejenigen faßt, die Verfehlungen begangen haben.
Die Fraktion der Deutschen Partei hat, um die Frage weiter zu fördern, auch eine Gesetzesvorlage ausgearbeitet, die ich hiermit dem Herrn
Präsidenten übergeben darf und die am besten zusammen mit der Vorlage der FDP der Beratung unterzogen werden kann. Es handelt sich dabei — ich möchte darauf hinweisen — nicht um grundsätzliche Unterschiede zu dem Gesetz der FDP, sondern lediglich um juristische Verfeinerungen, die den uns gemeinsamen Gedanken verwirklichen, insbesondere die große Verschiedenheit des in der britischen Zone und des in der amerikanischen Zone geltenden Rechts auf einen Generalnenner zu bringen.
Bei aller Wertschätzung des Herrn Justizministers und der hervorragenden juristischen Facharbeit des von ihm geleiteten Ministeriums,
bin ich zu meinem Bedauern einmütig mit dem Willen meiner Fraktion nicht in der Lage, seinen gewiß wohldurchdachten rechtspolitischen Überlegungen zu folgen, daß man in dieser unser ganzes Volk tief bewegenden Frage auf dem Wege des Justizkollegiums fortfahren sollte. Sie führen zwar zu einer allmählichen Beendigung der Entnazifizierung; sie löschen aber nicht dieses moderne Hexentreiben endgültig aus. Sie wälzen nicht den Stein auf das Grab einer gefährlichen Abschweifung der westlichen Zivilisation in die Gefilde totalitärer Praxis.
Sie löschen nicht endgültig diese Mißgeburt aus totalitärem Denken und klassenkämpferischer Zielsetzung aus, als die sich die Entnazifizierung entpuppt hat. Sie schlagen nicht die heimtückische Waffe der Entnazifizierung endgültig aus der Hand derer, die bisher im Konkurrenzkampf der politischen Willensbildung der Parteigegensätze sich ihrer zu bedienen wußten.
Gehen wir den Weg des Justizkollegiums weiter, dann wird das Gespenst der Entnazifizierung immer wieder aus dem Grabe aufstehen und umgehen,
aus einem Grab. das ihr die öffentliche Meinung des deutschen Volkes bereitet hat.
Die fachlichen Überlegungen des Justizkollegiums und mit ihm auch des Justizministeriums des Bundes leiden an dem grundsätzlichen Fehler, daß sie eine Beendigung der Entnazifizierung aus der Fortentwicklung dieser in der Ländergesetzgebung kultivierten Wucherung einer Rechtsentartung erzielen wollen. Dieser Fremdkörner in unserem Recht, diese Beleidigung unseres Rechtsgewissens,
diese auf bürokratischem Wege geplante kalte Rache und soziale Revolution muß als totalitäre Verirrung erkannt und. nachdem einmal die reine Siegermaßnahme, nämlich die Säuberung vollzogen ist und nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, in ihrer rechtlichen Verbrämung endgültig und entschieden aus unserem Rechtssystem herausgetrennt werden.
Herr Abgeordneter, die Redezeit ist abgelaufen; ich bitte zum Schluß zu kommen.
Die Deutsche Partei wird hierbei von einer sehr ernsten politischen Erwägung geleitet. Ziel ihrer Politik ist es, den gehetzten, geängstigten und zu fortgesetzten Entbehrungen und Opfern gepreßten deutschen Männern und Frauen Sicherheit und Frieden, Befriedung im wahrsten Sinne des Wortes zu verschaffen, damit sie ruhig, stetig und zielbewußt an den Wiederaufbau gehen,
nüchtern und wirklichkeitsnah ihr Heil in der Arbeit und im. Schaffen suchen und immun werden gegen den feigen Nihilismus unserer Zeit und die Verführungskünste der verantwortungslosen politischen Spieler,
die sie in neue Illusionen, neue Leidenschaften, neue Abenteuer zu stürzen trachten.
Ich bitte, nun zum Schluß zu kommen. — Die Redezeit ist festgesetzt. Ich muß Sie bitten abzuschließen.
Ich habe meine Redezeit überschritten und unterwerfe mich selbstverständlich den Anordnungen des Herrn Präsidenten.
Wir haben diesen Vorschlag allerdings nur unter der Bedingung gemacht, daß ein wirklich wirksames Gesetz zum Schutze der demokratischen Freiheit und der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland geschaffen wird.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst erklären, daß ich den ausgezeichneten Ausführungen meines Freundes Gerstenmaier für meinen Teil voll und ganz beistimme.
Ich habe diesen Ausführungen nichts hinzuzufügen Lind erst recht nichts davon wegzunehmen.
Was die Behandlung der beiden Vorlagen anlangt, so möchte ich hier aussprechen, daß ich eine Zuständigkeit des Bundes nicht für gegeben erachte.
Die einzige Anknüpfung für eine Zuständigkeit des Bundes könnte der Artikel '74 Ziffer 1 des Grundgesetzes sein, weil dort von einer konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes im Bereich des Strafrechtes die Rede ist.
Wir stehen damit vor der Frage, ob Entnazifizierungsmaßnahmen strafrechtlichen Charakter haben. Das verneine ich im Einvernehmen mit der ganzen Bundesregierung. Entnazifizierungsbestimmungen haben ihren Zweck in der Sicherung des öffentlichen Lebens, des demokratischen Lebens, und weil die Bundesregierung das so ansieht, hat sie die Zuständigkeit für die Behandlung etwaiger Entnazifizierungsfragen durch Kabinettsbeschluß dem Innenministerium zu gewiesen und nicht dem Justizministerium. Der Herr Bundesminister der Justiz hat in zwei Gutachten auch seinerseits ausgesprochen, daß er eine a Zuständigkeit des Bundes für gesetzgeberische Maßnahmen auf diesem Gebiet nicht für gegeben erachtet.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir diese Rechtsfrage, ob der Bund zuständig oder nicht zuständig sei, nun ruhig einmal dahingestellt sein lassen und die Dinge unter folgenden praktischen Gesichtspunkten ansehen. Von den elf Bundesländern haben fünf bisher schon eigene Gesetze erlassen, um die Entnazifizierung abzuschließen, und zwar Schleswig-Holstein mit Gesetz vom 10. Februar 1948 und 6. Juli 1948, Niedersachsen mit der Verordnung vom 30. März 1948, Nordrhein-Westfalen mit der Verordnung vom 24. August 1949, Hessen mit dem Gesetz vom 30. November 1949 und Rheinland-Pfalz mit dem Gesetz vom 19. Januar 1950. In weiteren vier Bundesländern, nämlich in Bayern, Württemberg-Baden, Bremen und Hamburg, liegen den gesetzgebenden Körperschaften ähnliche Abschlußgesetze vor. In den beiden restlichen Bundesländern Baden und Württemberg-Hohenzollern ist die Entnazifizierung im wesentlichen abgeschlossen, so daß sich für diese beiden Länder diesbezügliche Gesetze überhaupt erübrigen.
Ich fasse das dahin zusammen: Von elf Bundesländern hat ein großer Teil die Gesetzgebung bereits getroffen: bei einem andern Teil ist sie im Gange, und bei dem Rest ist sie nicht mehr nötig. Wenn wir das als praktisches und durchschlagendes Argument gelten lassen, so sollten wir uns, meine ich. dahin einig werden, daß der Bundestag diese beiden Vorlagen gar nicht weiter zu behandeln hätte. Ich für meinen Teil möchte mich deshalb auch einer Stellungnahme zu dem Inhalt dieser beiden Vorlagen enthalten.
Nun möchte ich anknüpfend an die Ausführungen von Herrn Dr. Gerstenmaier noch folgendes sagen. Herr Dr. Gerstenmaier hat unterstrichen, daß diese Dinge im Zusammenhang mit positiven Maßnahmen zum Schutze des Bundes und seiner demokratischen Institutionen zu sehen sind. Heute morgen hatte ich Gelegenheit, dem Ausschuß des Bundestages zum Schutze der Verfassung ausführlich über die Vorarbeiten im Bundesinnenministeriums vorzutragen. Ich möchte nicht verfehlen, auch dem Plenum einiges davon zu berichten.
Zunächst- ist ein Bundesamt für Verfassungsschutz - in Ausführung des Artikels 73 Ziffer 10 und des Artikels 87 Absatz 1 — in Bildung begriffen. Der diesbezügliche Gesetzentwurf ist fertig und steht vor der letzten Abklärung mit den Alliierten. die sich ja für diese Materie einen besonderen Vorbehalt ausbedungen hatten. Daß das Bundesverfassungsgericht nach den entsprechenden Vorlagen in der Entwicklung begriffen ist, brauche ich nicht näher darzustellen.
Neben diesen institutionellen gesetzgeberischen Maßnahmen sind eine Reihe materieller gesetzgeberischer Maßnahmen in Vorbereitung oder auch schon ziemlich vor dem Abschluß. Einmal wird darüber nachzudenken sein, ob wir ein Versammlungsordnungsgesetz erlassen sollten. Der Akzent liegt auf „Ordnung"; denn die Versammlungsfreiheit als solche ist durch Artikel 8 des Grundgesetzes uneingeschränkt garantiert, und daran soll auch nichts geändert werden. Aber es läßt sich sehr wohl darüber nachdenken, ob nicht von Gesetzes wegen gewisse Spielregeln für
einen ordnungsmäßigen Ablauf politischer Versammlungen festgelegt werden sollten.
- Herr Dr. Richter, ich will dem Polizeipräsidenten ja gern die Plattform geben durch ein derartiges Gesetz,
das einmal klarstellen soll, wer Hausherr in einer politischen Versammlung ist, wer im Zweifelsfalle als Ruhestörer anzusehen wäre, und dergleichen mehrt
Ich weise sodann auf Artikel 9 des Grundgesetzes hin, durch den Vereine unter Verbot gestellt sind, wenn sie verfassungswidrige Ziele verfolgen, und ich weise auf Artikel 21 hin, wonach für politische Parteien dasselbe gelten kann. Diese beiden Stücke stehen in einem engen Zusammenhang mit dem Bundesverfassungsgericht, das ja allein berufen sein wird, diese Verbote auszusprechen. Aber die materiellen Bestimmungen, die dazu noch erforderlich sind, dürfen auch nicht fehlen. Für die Verwirkung von Grundrechten im Sinne des Artikel 18 des Grundgesetzes wird auch der Verfassungsgerichtshof zuständig sein. Deshalb konzentriert sich ein wesentliches Stück aller Bemühungen darauf, daß wir diesen Bundesverfassungsgerichtshof alsbald etablieren und damit die eben genannten Bestimmungen des Grundgesetzes wirksam machen.
Nun möchte ich aber auch noch darauf hinweisen, daß der Bundesjustizminister mit mir eine Novelle zum Strafgesetzbuch erarbeitet, durch die sichergestellt werden soll, daß .gewisse politische Handlungen oder Äußerungen unter Strafe gestellt werden, um auch von dieser Seite her Ordnung in unser politisches Leben zu bringen.
Meine Damen und Herren! In der Niederschrift der mündlichen Begründung des Hedler-Urteils von Neumünster lese ich als Schlußabsatz folgendes. Der Vorsitzende sagt da:
Schließen aber möchte ich mit dem Worte eines Angehörigen eines nahen Widerstandskämpfers des 20. Juli, der auch sein Leben lassen mußte. Der betreffende Angehörige schreibt hier folgendes: „Nach all dem, was meine Familie und ich erlebt haben, können uns wohl Gefühle der Bitterkeit gegen einen Mann wie Hedler befallen und der Wunsch, daß er hart bestraft werden möge, und doch glaube ich, daß man nicht mit diesem System des Bestrafens von politischen Gesinnungen fortfahren sollte. Überzeugen, aufklären, bessermachen, das scheint mir der einzig richtige Weg zu sein."
Meine Damen und Herren, ich würde glücklich sein, wenn wir in Deutschland in unserem ganzen politischen Leben so reif wären, daß wir mit Überzeugen und Aufklären die Dinge zu steuern vermöchten.
Ich habe leider die Überzeugung daß das nicht geht und daß wir deshalb gehalten sind, den Strafrichtern die nötigen gesetzlichen Bestimmungen durch Ausgestaltung des Strafgesetzbuches an die Hand zu geben, mindestens auf einige, absehbare Zeit. In der Novelle zum
Strafgesetzbuch wird es sich darum handeln, nicht nur Bestimmungen über Hoch- und Landesverrat zu überarbeiten und den Tatbestand des Friedensverrates einzuschließen, sondern vor allen Dingen darum, die Verächtlichmachung von Staatsorganen, Staatssymbolen und verantwortlichen Amtsträgern erheblich intensiver zu bekämpfen und unter verschärfte strafrechtliche Maßnahmen zu stellen. Dasselbe gilt für Staatsverleumdung und für die politische Lüge,
für Volksverhetzung und Störung verfassungsmäßiger Ordnung. Damit habe ich Ihnen in einigen Stichworten angedeutet, in welcher Richtung diese Überlegungen zur Ausgestaltung des Strafgesetzbuches sich bewegen.
Im Zusammenhang damit wird natürlich sofort die Frage auftauchen, ob wir es den normalen Strafgerichten überlassen können, derartige Tatbestände zu judizieren. Darüber möchte ich eine Meinung in diesem Augenblick noch nicht aussprechen. Auch der heute morgen mit diesem Thema befaßte Ausschuß zum Schutze der Verfassung hat diese Frage wohl angeschnitten, aber noch nicht abschließend behandelt, weil uns allen die Doppelseitigkeit dieses Problems ohne weiteres einsichtig ist. Diese Doppelseitigkeit besteht darin, daß auf der einen Seite die Verurteilung strafbarer Tatbestände gewährleistet werden muß, auf der andern Seite aber den Sondergerichten eine sehr suspekte Vergangenheit anhaftet, die es uns schwer machen würde, diesen Weg wiederaufzunehmen.
Als letztes möchte ich in diesem Zusammenhang noch auf das ebenfalls in Arbeit befindliche Pressegesetz hinweisen.
— Herr Rische, von der Demokratie bleibt für jeden, der es echt meint, genügend Spielraum übrig!
Aus dem Pressegesetz möchte ich hier nur einige
Gesichtspunkte hervorheben, die in den Zusammenhang des Verfassungsschutzes gehören. Es
dreht sich unter anderem darum, verschärfte Bestimmungen über die Berichtigung falscher Nachrichten festzulegen, um - mit anderen Worten —
die Wahrheitspflicht der Presse zu unterstreichen
sowie auch zu sichern, daß 'der verantwortliche Redakteur kein Strohmann sein darf, auch nicht in der Person eines politisch immunen Abgeordneten.
Das sind so einige von den Dingen, die in Bearbeitung begriffen sind und die ich in Anknüpfung an die Ausführungen von Herrn Dr. Gerstenmaier hier nennen wollte, um deutlich zu machen, daß wir gegen diese Problematik auf breiter Front angehen müssen, wenn wir wirklich zu einem positiven Ergebnis kommen wollen. Diese Arbeit ist im Gange und wird mit aller Intensität betrieben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Thadden.
Meine Damen und Herren! Ich bin sehr glücklich, daß ich direkt nach dem Herrn Bundesinnenminister sprechen kann, der hier einige Punkte berührt hat, die wir gerade zum Gegenstand eines Antrages gemacht haben, für den ich mich im Augenblick bemühe, die erforderlichen Unterschriften zusammenzubekommen. Dieser Antrag soll die augenblicklichen Intentionen der Regierung noch einmal unterstreichen. Dies vorweg.
Das Ende der Entnazifizierung, Entnazisierung oder Säuberung oder Entbräunung mit Hilfe von „Persil-Scheinen" oder Geld scheint uns eine Sache, die sowohl schnell als auch gründlich herbeigeführt werden sollte. Die Entnazifizierung wurde von den Besatzungsmächten eingeführt im Widerspruch zu allem geltenden Recht. Die Besatzungsmächte waren klug genug, bereits 1947 zu merken, daß die Sache einigermaßen verfahren war — schon unter ihrer Zuständigkeit —, um die Sache dann schnellstens in deutsche Hände zu legen. Dadurch und danach ist die Bürokratisierung, ist die „Verfahrung" dieser ganzen Angelegenheit ins Ungeheuerliche gewachsen. Wir sind inzwischen auf Dinge gekommen, deren Traurigkeit noch gar nicht in vollem Umfang zu überblicken ist; ich weise nur auf die jüngsten Fälle in Süddeutschland hin
— in Stuttgart —, deren sich in positiver Form ganz besonders der „Neue Vorwärts" mit einer sehr schönen Kritik angenommen hat.
Früher sagte man — es wurde schon von einem Vorredner gesagt — nulla poena sine lege, keine Strafe ohne Gesetz. Dieses neue Recht, das man unter der Fahne des Rechts proklamierte, bedeutet etwas ganz anderes, wenn wir es noch weiter so fortführen, wie es bisher geschehen ist. Es ist nichts anderes als die Legalisierung von irgendwelchen Racheakten, Pfründensicherung und Brotlosmachung von vielen Familienernährern und damit — ich möchte beinahe sagen — von Sippenhaft. Nachdem in Indien der Kastengeist abgeschafft ist oder abgeschafft wird, ist er hier in Deutschland leider noch in voller Blüte.
Wenn wir einen Gesetzentwurf einbringen würden, wonach die Straffreiheit demjenigen zugesichert wird, der einen Entnazifizierungsgerichtshof bestochen hat, würden wir, glaube ich, zu ungeheuerlichen Ergebnissen kommen, die uns zeigen, was in dieser Beziehung alles geschehen ist.
Damit wollte ich nur sagen: wenn die Presse voll von Bestechungsaktionen gegenüber den Entnazifizierungshöfen ist, so sehe ich in diesem Fall den Tatbestand der Bestechung nicht so sehr wie den Tatbestand des Selbsterhaltungstriebes und der Angst, die wirtschaftliche Existenz durch ein inkompetentes Gremium abgesprochen zu bekommen.
Ich habe voller Freude feststellen können, daß sich die Auffassungen der CDU, die hier von Herrn Dr. Gerstenmaier vorgetragen wurden, doch in sehr wesentlichen Punkten nicht mit dem Antrag der FDP, sondern mit dem unsrigen decken.
Herr Dr. Gerstenmaier schlug vor: Wir brauchen eine weitgehende und fortgeführte Amnestie. Das verlangen wir, indem wir sagen: die Einteilung des Volkes in Kategorien, also in Menschen verschiedener Rangklassen, wird aufgehoben.
Die mit dieser Kategorisierung verbundenen Rechtsnachteile sollen wegfallen. Das ist genau dasselbe, was Herr Dr. Gerstenmaier in anderen Worten verlangt hat. Welch' schöne Arbeitsunterlage ist also unser Antrag!
Weiter wurde gesagt, man solle an denjenigen nicht vorbeigehen, die sich strafbar gemacht haben. Auch das ist unsere Auffassung, daß diejenigen, die nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches und nicht eines imaginären Sonderrechts faßbar sind, gegen sich selbst, wenn sie mit den gegen sie verhängten Maßnahmen nicht einverstanden sind, ein Verfahren vor einem ordentlichen Gericht anstrengen können. Unser Antrag, den wir, wie mein Kollege Richter schon sagte, dem zuständigen Ausschuß als Arbeitsunterlage empfehlen, wird meines Erachtens den Antrag der FDP an materiellem Inhalt übertreffen, zumal vieles in diesem Antrag der FDP enthalten ist, mit dem wir nicht übereinstimmen können. Wir müssen endlich dazu kommen, die unproduktive Papierwühlerei, die in Hunderten von Ausschüssen auch heute noch betrieben wird und für unendlich viele Leute ein Pöstchen, eine Pfründe bedeutet, abzuschließen.
Der § 1 der Vorlage der FDP bedingt eine unnötige Aufrechterhaltung eines Apparates, der mit einem Federstrich zu Nutz und Frommen der Gesamtheit beseitigt werden sollte.
Was den § 2, den Anspruch auf Ersatz von Schäden anlangt, so ist im Zuge der sogenannten Entnazifizierung vor allen Dingen in den ersten zwei Jahren unendlich viel geschehen, was man nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches mit Diebstahl bezeichnen würde und bezeichnet. Diese Diebstähle, die unter dieser Fahne der Entnazifizierung vorgekommen sind,
müssen gesühnt werden können. Wenn wir das nicht tun, dann schaffen wir ein Sonderrecht.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ferner bedingt auch der § 3 weitere Sonderrechte, die wir auf keinen Fall dulden können.
Wenn wir uns alle — der Beifall deutete ja darauf hin — mit dem Kollegen Gerstenmaier dahingehend einig sind, keine Rache üben zu wollen, bleibt für das Haus nur der eine Ausweg, dem Ausschuß uns er en Antrag zur Bearbeitung zu überweisen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Etzel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Die Entnazifizierung war, soweit sie sich nicht mit
kriminellen Tatbeständen befaßte, ein Akt der politischen Vergeltung. Sie war die Bestrafung desjenigen, der mit seiner politischen Überzeugung nicht recht behielt. Sie war eine Äußerung des Vergeltungsbedürfnisses, aber keine Angelegenheit der Rechtsprechung und der Moral.
Die politischen und psychologischen Ergebnisse dieses unerfreulichen Kapitels neuer deutscher Geschichte sind so fürchterlich, daß sich auch die Initiatoren und Vollstrecker der Entnazifizierung mit Grausen von der Drachensaat abwenden. Tatsächlich war sie ein Fehlschlag, der auch von ihren Urhebern außerhalb Deutschlands zugegeben wird. Der Mann, mit dessen Namen die Entnazifizierung unlösbar in der Geschichte verbunden sein wird, General Clay, hat, als er in einem Privatflugzeug am 15. Mai 1949 von Frankfurt nach Berlin flog, um Deutschland zu verlassen, einem Vertreter der amerikanischen Militärzeitung „Stars and Stripes" wörtlich folgendes gesagt:
Die Deutschen, denen jetzt Gelegenheit geboten ist, zu beweisen, daß sie in der Lage sind, ihren Platz in der Völkerfamilie einzunehmen, waren die Opfer jener Diktatur. Nur wenige von denen, die unter der Diktatur jener Banditen gestanden sind, wußten, was vor sich ging. Sie hatten tatsächlich keine freie Presse, aus der sie sich hätten unterrichten können, , und keine freie Stimme im Äther. Wer etwas über das Treiben der Führer in Erfahrung zu bringen suchte, konnte sich prompt auf einen Genickschuß gefaßt machen.
In dem Prozeß gegen die IG-Farben — es war der Fall 6, Krauch und Genossen — hat das amerikanische Militärtribunal in Nürnberg die in der Anklage erhobene Beschuldigung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit und gegen den Frieden gemäß Kontrollratsgesetz 10 mit folgender wörtlicher Begründung verneint:
Wir können von einem gewöhnlichen Bürger nicht erwarten, daß er sich in eine Zwangslage versetzen läßt, in der er mitten in der aufregenden Kriegsatmosphäre entscheiden muß, ob seine Regierung recht oder unrecht hat, oder, wenn sie anfangs im Recht gewesen ist, den Augenblick bestimmen muß, von dem an sie sich ins Unrecht gesetzt hat. Wir können nicht verlangen, daß dieser Bürger wegen der Möglichkeit, nach den Bestimmungen des Völkerrechts als Verbrecher zu gelten, sich zu der Überzeugung bekennt, daß sein Land zum Angreifer geworden sei und daß er seinen Patriotismus, seine Treue zu seinem Heimatland und die Verteidigung seines eigenen Herdes aufgibt, weil er Gefahr läuft, eines Verbrechens gegen den Frieden beschuldigt zu werden, während er doch andererseits zum Verräter an seinem eigenen Lande werden würde, wenn er auf Grund von Tatsachen, von denen er nur ungenaue Kenntnis hat, eine falsche Entscheidung trifft. Würde man eine solche Entscheidung von ihm verlangen, so würde man ihm eine Aufgabe zumuten, der sich die Staatsmänner der Welt und die Völkerrechtswissenschaftler nicht gewachsen gezeigt haben, als sie versuchten, eine klar umrissene Definition-des Begriffes „Angriff" zu linden.
Das Gericht fügte weiter hinzu, daß der gemeine Mann in Deutschland nicht vertrauensseliger gewesen sei als die Staatsmänner des Auslandes, die mit Hitler Abkommen geschlossen hätten.
In diesem Hause fand am 29. September des vergangenen Jahres auf Veranlassung einer interfraktionellen Gruppe von Mitgliedern des Bundestags ein Vortrag statt. Der Vortragende war der bekannte amerikanische Schriftsteller O. K. Armstrong, und es war okay, was er damals gesagt hat.
Er führte nämlich folgendes aus:
Ich legte einem höheren Beamten meiner Regierung letzte Woche folgende Frage vor: auf welcher gesetzlicher Vorstellung ist aie Entnazifizierung begründet? Er antwortete: auf der Tatsache, daß wir den Krieg gewonnen haben und dem besiegten Volk unseren Willen aufzwingen können.
Der Schriftsteller O. K. Armstrong sagte, die Entnazifizierung stehe im Gegensatz zu allen Prinzipien der amerikanischen Gerichtsbarkeit. Er schäme sich, daß einige seiner Landsleute diesen von Amerika gehegten Gedanken der Freiheit und Demokratie verspotteten, und er bezweifle, daß irgend etwas anderes, was in Deutschland getan wurde, dem deutschen Volk einen schlechteren Eindruck von der amerikanischen Demokratie geben konnte als diese Politik der Massenbestrafung.
Das wollte ich nur zum Beweis dafür anführen, wie sehr von den siegreichen Vätern der Entnazifizierung diese selbst nun als Fehlschlag aufgegeben wird und in ihren Ausgangspunkten, Grundlagen und Absichten als desavouiert angesehen werden muß.
Ich stelle ausdrücklich fest, daß die Bayernpartei nichts mit der nationalsozialistischen Doktrin, die sie auf das entschiedenste ablehnt und bekämpft, zu tun hat,
daß sie aber aus Gründen des Rechts, der Moral und der politischen Klugheit dringend wünscht, einen Abschnitt der Geschichte der Deutschen beendet zu sehen, der in seinen Auswirkungen die verheerendsten Folgen gehabt hat. Meine Fraktion hat am 19 Oktober vorigen Jahres ungefähr gleichzeitig mit Fraktionen anderer Parteien einen Antrag gestellt, in dem sie eine in den Grundlagen übereinstimmende Gesetzgebung der Länder zum Abschluß der Entnazifizierung forderte. Sie suchte diesen Weg, weil die klare Vorschrift des Artikels 139 .des Grundgesetzes und des § 2 Ziffer 3 des Wahlgesetzes eine Zuständigkeit des Bundes ausschließt. Im Verfolg dieser Anregung haben sich dann am 5. und 6. November 1949 die Justizminister der elf Länder in Rothenburg ob der Tauber getroffen und dort gemeinsame Richtlinien für den Abschluß der Entnazifizierung aufgestellt. Später wurde dann noch in Düsseldorf in einer Abschlußkonferenz für die Länder der amerikanischen Zone ein gemeinsamer Kanon für diese Regelung geschaffen. Ein Teil der Länder hat diesen Richtlinien entsprechend gehandelt. Wir haben soeben vernommen, daß fünf Länder bereits eine abschlie-
ßende Gesetzgebung erlassen haben. Andere stehen damit noch im Rückstand. Ein Land — Nordrhein-Westfalen - hat zu erkennen gegeben, daß es nicht beabsichtigt, neben seinen Verordnungen des vergangenen und vorvergangenen Jahres noch eine abschließende Gesetzgebung ins Auge zu fassen.
Wir sehen also einen durchaus buntscheckigen Zustand, der sachlich, vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus, aber auch von dem der Politik durchaus unbefriedigend ist.
Die Beseitigung der Entzweiung und der Verbitterung unseres Volkes, die durch die Entnazifizierung hervorgebracht worden ist, liegt uns so sehr am Herzen, daß wir Föderalisten sans phrase unter Umständen sogar geneigt sein könnten, die Zuständigkeit des Bundes zu bejahen,
nur um eine rasche und befriedigende gemeinsame Ausscheidung dieses politischen Tumors am deutschen Volkskörper erreichen zu können.
Leider lassen die ganz klaren Vorschriften eine
solche Regelung nicht zu. Wir sind aber der Meinung, daß der Bund, dessen Initiative wir auch in der Ziffer 2 unseres Antrags vom. 19. Oktober 1949 angerufen hatten, hier einen Schritt unternehmen kann und soll. Der Herr Bundesinnenminister ist die federführende Stelle für diese Angelegenheit. An ihn richte ich die dringende Bitte, ja Aufforderung, sich nun mit aller Kraft, Initiative, Entschlossenheit und Beschleunigung mit den Ländern des Bundes in Verbindung zu setzen, um diejenigen Länder, welche bereits eine Entnazifizierungsabschlußgesetzgebung erlassen haben, und diejenigen, die das noch nicht vollbringen konnten, sowie drittens das Land, das eine Abschlußgesetzgebung nicht
ins Auge fassen will, zur gemeinsamen endgültigen Bereinigung zu bringen. Dabei darf man auch nicht davor zurückschrecken, eine - ich sage ruhig - unüberlegte Gesetzgebung in den Ländern unter Umständen zu revidieren.
Der Wahrheit die Ehre zu geben, einen hohen politischen Sinn und Instinkt zu beweisen und die Grundsätze des Rechts voranzustellen, ist keine Schande und kann nicht hindern, einen gemachten Fehler zu bekennen und zu korrigieren. Es müßte erreicht werden können, daß der Herr Bundesinnenminister, daß das Kabinett die Länder zu einer nochmaligen wirklich endgültig abschließenden Gesetzgebung veranlaßt, die in Wahrheit das Recht wiederherstellt. Ich zögere nicht zu erklären, daß beispielsweise der Gesetzentwurf, den das bayerische Kabinett dem Landtag zugeleitet hat, vom Standpunkt des Rechts und der politischen Klugheit aus in keiner Weise befriedigen kann.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sehen in der endgültigen, raschen und sachlich zutreffenden Regelung dieses Problems einen wirksameren Schutz der Verfassung, als ihn irgendwelche verfassungspolizeilichen Vorschriften oder Einrichtungen bewirken können.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist nun zu Ende.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Den Bürgern eines Landes das Bewußtsein zu geben, daß in diesem Heiligen Jahr 1950 der Befriedung und Versöhnung, dem Frieden, der Gerechtigkeit und der allgemeinen Sittlichkeit der Völker eine freie Bahn gebrochen wird, ich sage: das in diesem Heiligen Jahr . zu beweisen, ziemt uns allen, ob wir an diesem Heiligen Jahr teilnehmen oder nicht!
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen,.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir könnten an und für sich geneigt sein, - -
Herr Abgeordneter, ich habe Sie wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist. Ich muß Sie bitten, nun zum Schluß zu kommen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir könnten geneigt sein, die Anträge, die zu diesem ganzen Komplex vorliegen und von denen ein Teil bereits im Rechtsausschuß behandelt wird, dem Rechtsausschuß zu überweisen. Wir erwarten uns aber von einer solchen Behandlungsart nichts, wohl aber alles von einer wirklich energischen Initiative des Herrn Bundesinnenministers.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Loritz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie sich doch die Zeiten so rasch wandeln!
Heute haben wir eine wunderbare Rede vom Herrn Kollegen Gerstenmaier gehört. Der Herr Innenminister hat ihm bestätigt: eine exzellente Rede! Wenn doch der Kollege Gerstenmaier und seine politischen Freunde diese Ausführungen zugunsten der kleinen Mitläufer und der kleinen Verführten schon im Jahre 1945 oder 1946 oder 1947 gemacht hätten!
Seine politischen Freunde hatten in den Länderparlamenten genügend Gelegenheit dazu!
Die CDU war ja von Anfang an mit führend beteiligt; nicht bloß in Bayern, sondern genau so in dem Lande, in dem der Herr Kollege Gerstenmaier gewählt wurde, in Württemberg-Baden, in Hessen und überall. Damals aber haben wir leider von dieser Gesinnung nichts gehört!
Damals haben wir von Ihrer Seite nur Hohn und Spott gehört, von einigen Ausnahmen abgesehen.
Hohn und Spott nur haben wir gehört, als ich das Wort von den Hineingetriebenen und Hineingepreßten und von den verführten jugendlichen Idealisten prägte. Hohn und Spott haben Sie damals gegen mich in Kübeln ausgegossen.
Denunziert wurde ich in der übelsten Art und Weise, und in den Zeitungen kamen seitenlange Berichte gegen das, was Sie, meine Herren von der Rechten, heute selbst als vernünftig anerkennen müssen.
— Herr Abgeordneter Strauß, ich war Entnazifizierungsminister!
Ja, gerade ich habe mich dafür eingesetzt, für die kleinen Hineingetriebenen und Hineingepreßten,
und bin gerade deswegen gestürzt worden, weil diese meine Politik Ihnen nicht gepaßt hat!
— Nein, deswegen, Herr Strauß; und da können Sie dazwischenschreien, was Sie wollen, Sie ändern die Tatsachen nicht mehr! Es ist bekannt, wer in Deutschland das Wort von den Hineingetriebenen und Hineingepreßten gesprochen hat! Sie kommen erst heute, weil Sie den Zusammenbruch Ihrer ganzen Politik heute sehen, und heute wollen Sie unser Volk glauben machen, Sie wären von Anfang an so gescheit gewesen und hätten begriffen, welches Unglück das Entnazifizierungsgesetz über unser Volk gebracht hat.
Allerdings in einem — ja, da war ich anderer Auffassung als Sie, Herr Kollege Strauß, und als Ihre Parteifreunde, nämlich bezüglich der wirklich Schuldigen am Heraufkommen der Katastrophe. Da habe ich scharf zugegriffen, und ich weiß, unter welchem Druck ich stand und wie Sie gegen mich hetzten, als ich mich dafür einsetzte, daß die Ja- Sager zum Ermächtigungsgesetz bestraft würden,
die hunderttausendmal mehr Schuld auf sich geladen haben — jeder einzelne — am Heraufkommen der Hitlerkatastrophe, als die ganzen Mitläufer zusammengerechnet nicht auf sich geladen haben. Wie war es denn damals bei den Sitzungen im Länderrat und überall, in Stuttgart? Wie wurde ich unter Druck gesetzt, ich solle zustimmen, daß die Ja-Sager zum Ermächtigungsgesetz nicht unter das Entnazifizierungsgesetz fallen! Ich habe mich geweigert, obwohl Sie prominenteste Hilfstruppen dabei gegen mich mobilisierten!
Das möchte ich Ihnen als kleinen Beitrag zur geschichtlichen Wahrheit noch ins Gedächtnis zurückrufen.
Es war von Anfang an eine Katastrophe, daß man die Entnazifizierung, die Bestrafung, auf Kreise erstreckte, die tatsächlich keine oder nur eine minime Schuld auf sieh geladen haben, daß man aber gegen die wirklich Hauptschuldigen an der Katastrophe von Anfang an mit Glacéhandschuhen vorging, weil die wirklich Schuldigen sehr gute Beziehungen - in erster Linie von früher her - aus politischen Gründen zu Ihnen, meine sehr verehrten Herren, hatten: der Herr von Papen, wie Sie wissen, und die Ja-Sager zum Ermächtigungsgesetz. Sie wissen doch, welcher politischen Richtung die Herren angehörten und heute teilweise noch angehören.
Das war das Unglück, daß Sie Sündenböcke gebraucht haben, und diese Sündenböcke für das Versagen dieser prominenten Politiker von damals hat man leider in Form von Millionen kleinen Leuten gefunden, die nichts anderes gemacht haben, als daß sie sich in irgendeine Gliederung haben aufnehmen lassen, um ihre Ruhe zu haben, um nicht ihre Existenz zu verlieren oder noch schlimmere Dinge zu riskieren. Das war von Anfang an der Fehler und die Fehlkonstruktion im ganzen Entnazifizierungsprogramm, und alle Ihre Anträge heute dienen nur dazu, diese Schuld zu verwischen.
- Ich verbitte mir den Ausdruck Unsinn.
Herr Abgeordneter Dr. Gerstenmaier, der Ausdruck „Gemeinheit" entspricht nicht den parlamentarischen Gepflogenheiten.
- Herr Abgeordneter Dr. Gerstenmaier, ich muß Sie zur Ordnung rufen. Der Ausdruck ist in der Diskussion nicht anwendbar!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns liegt der Antrag der FDP betreffend den Abschluß der Entnazifizierung vor. Der Satz in § 2 dieses Antrags, der sich mit den kleinen Leuten befaßt, entspricht nur dem, was wir alle schon seit Langem wünschen und wollen. Mit dieser Benachteiligung soll, weiß Gott, Schluß gemacht werden. Leider sind noch Hunderttausende da, die draußen auf der Straße sitzen, die ihren kleinen Posten als Sekretär oder sonst etwas verloren haben, während die Ja- Sager zum Ermächtigungsgesetz an die obersten Stellen gekommen sind.
Meine Damen und Herren, was dagegen § 1 des FDP-Antrages betrifft, so können wir dem unter keinen Umständen zustimmen; denn das darf es nicht geben. Was darin steht, ist unhaltbar! Stellen Sie sich bitte folgenden Fall vor, der öfters vorkommt: Ein Gauleiter oder ein Reichsleiter oder ein Gestapochef wird irgendwo
im Lande entdeckt. Soll der Mann jetzt leer ausgehen? Soll der Mann nicht bestraft werden? Solche Leute verdienen keine Schonung für all das, was sie gemacht haben. Ich erwarte jetzt einen Zuruf, der lautet
— ja, ich komme gleich darauf! —, der heißt: § 4: Strafrechtlich sollen die Leute zur Verantwortung gezogen worden. Da liegt aber gerade der Hase im Pfeffer; denn einen konkreten strafrechtlichen Tatbestand im Einzelfall, noch dazu auf so lange Jahre zurück, nachzuweisen, das ist schwer, in den meisten Fällen sogar unmöglich.
Und wenn sich hier ein Redner entrüstet hat, daß außerhalb des Strafgesetzbuches Bestrafungen erfolgten, so möchte ich ihm nur eines erklären: Wie unklug waren doch Ihre Ausführungen in dieser ganzen Sache, wie unklug in einem Zeitpunkt, da wir in Deutschland, weiß Gott, alles tun müßten, um von diesen schauderhaften Dingen abzurücken, die damals bei Gestapochefs, Reichs- und Gauleitern passiert sind. Sich mit solchen Herren zu identifizieren, das wird Ihnen so wenig gut tun, wie es noch anderen Leuten gut getan hat.
Herr Abgeordneter Loritz, ich muß Sie doch darauf aufmerksam machen, daß sich niemand im Hause mit Gauleitern und ähnlichen Kreaturen identifiziert hat.
Nein, nicht in dem Sinne dentifiziert, daß er das ohne weiteres gebilligt hat, sondern in dem Sinne identifiziert, daß er es diesen Leuten durch seinen Antrag ermöglichen will, nicht mehr vor die Entnazifizierungsbehörden zitiert zu werden.
Bei Hauptschuldigen muß eine gesetzliche Vermutung über die Schuld dieser Leute statuiert werden. Das ist gar nicht so abwegig. Denken Sie an das normale Strafrecht! Wenn mehrere Leute an einer Zusammenrottung beteiligt sind und auch nur einer Gewalttätigkeiten begeht, dann wissen Sie, daß auch die anderen ebenso hart, jedenfalls härter als sonst bestraft werden. Das ist hier eine Verantwortung dieses Kreises, der zusammen diese Stellung eingenommen hat, und von dem, der einmal Reichsleiter oder Gauleiter oder Gestapochef gewesen ist, kann, ohne daß man damit gegen die internationalen Regeln des Strafrechts verstößt, weiß Gott, genau so vermutet werden, daß er schwerste Schuld auf sich geladen hat, daß er Verbrechen begangen hat, und man kann ihn hier ohne weiteres, ohne auch damit gegen die internationalen Grundsätze des Strafrechts zu verstoßen, zur Rechenschaft ziehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden dafür stimmen, daß die uns vorliegenden Anträge an den Ausschuß verwiesen werden. Ich unterstreiche voll und ganz, was schon mein Vorredner sagte: Die Ungerechtigkeiten der Entnazifizierung müssen unter allen Umständen gestoppt und wiedergutgemacht werden, soweit das möglich ist, ohne weitere neue Ungerechtigkeiten zu begehen. Das fordern wir alle. Schade, daß uns das erst heute aus Ihren Reihen vorgelegt
wird. Sie hätten in den Länderparlamenten schon im Jahre 1946 Gelegenheit dazu gehabt.
- In Württemberg-Baden war sie schon seit 1946
in der Regierung. Der dortige Staatspräsident — —
Herr Abgeordneter Loritz, Ihre Redezeit läuft ab.
Ich bin bereits am. Ende meiner Ausführungen. Ich wiederhole Ihnen eines: Sorgen Sie ohne allzu engherzige Auslegung der Bestimmungen, ob Länderzuständigkeit oder Bundeszuständigkeit —das können wir ja nun, nachdem sich auch die Bayernpartei damit einverstanden erklärt hat, nicht engherzig zu verfahren —, dafür, daß diese Leute, die keine oder nur eine geringe Schuld auf sich, geladen haben, endlich einmal wieder als voll gleichberechtigte Staatsbürger angesehen werden. Sorgen Sie dafür so rasch wie möglich!
Überweisen Sie diesen Antrag an einen Ausschuß und sorgen Sie dafür, daß, wenn auch sehr verspätet, endlich der Gerechtigkeit Genüge geschieht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute von der rechten Seite des Hauses eine ganze Anzahl von mutigen Worten gehört, die zu einem Kampf für Freiheit und Recht aufriefen. Ich habe dabei an meine Jugendjahre zurückgedacht und habe an die Frühlingsmonate des Jahres 1933 denken müssen. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen, daß mir auch heute, glaube ich, wohler wäre, wenn alle die Stimmen für Freiheit und Recht, die jetzt so vernehmlich durch die Lande klingen, auch von Ihrer Seite in den entscheidenden Tagen des Jahres 1933 erklungen wären, als in Deutschland Freiheit und Recht zu Grabe getragen wurden.
Dann hätten wir uns heute mit dem Problem der politischen Säuberung, das doch immerhin ein Erbe der nationalsozialistischen Vergangenheit ist, nicht zu beschäftigen.
Ich begrüße es, daß der Kollege Gerstenmaier diesen Ursachenzusammenhang, den wir keinen Augenblick aus dem Gedächtnis verlieren dürfen, heute in aller Klarheit herausgestellt hat.
— Vielleicht wäre es für alle besser gewesen;
aber wir hätten nicht zu schießen brauchen, wenn
unser Bürgertum, das von dieser Seite des Hauses
vertreten wird, in diesem Zeitpunkt etwas mehr Mut aufgebracht hätte.
Wer dafür gewesen ist, darf sich heute doch nicht darüber beklagen, daß die anderen etwas zu wenig dagegen getan haben.
— Sie sind ja auch ein weißer Rabe!
Ich weiß ganz genau — und nach den Ausführungen manches Sprechers kann ich noch einiges zu diesem Thema sagen —, wo gewisse Geistesverwandtschaften bis weit in Ihre eigenen Reihen hineinreichen.
Es verwundert uns - das möchte ich der FDP noch weiter mit auf den Weg geben —, daß in dieser überaus wichtigen Frage die Initiative von einer der Regierungsparteien ausgegangen ist. Wir haben erfahren, aus welchen Gründen die Initiative nicht von der Regierung selber kam: weil die Regierung der Meinung ist, es sei die Zuständigkeit des Bundes nicht gegeben. In gewissem, Sinne freut uns das, aber in einem ganz anderen Zusammenhang: weil das nämlich doch die Wiederherstellung des Zustandes ist, für den wir uns eingesetzt haben, daß es dem Hause recht und billig ist, in entscheidenden Fragen selbst die Initiative zu ergreifen, wenn es dies zu ihrer Lösung nach Beurteilung der Lage für notwendig hält. Ich möchte Sie nur darum bitten, diesen Brauch bei Ihnen vielleicht einmal unbequemen Gesetzentwürfen der Opposition durchzuhalten und auch dann einmal einen Gesetzentwurf nicht nur hier zu erörtern, sondern voranzutreiben, wenn in anderen Fragen als denen der politischen Säuberung die Initiative aus der Mitte des Hauses und nicht von der Regierung kommt. Ich meine Sie, die Sie uns einst hier nahegelegt haben, auf sehr wesentliche Dinge so lange zu warten, bis sie die Regierung von sich aus geboren hat.
Ich möchte gleich ein Beispiel herausgreifen. Der Herr Innenminister hat mit Fug und Recht gefordert, daß die notwendigen Ergänzungsgesetze zum Schlußgesetz über die politische Säuberung nun wirklich kommen; und er hat gesagt, daß dazu unter anderem die Einrichtung des Bundesverfassungsgerichtshofes gehöre. Ja, meine Damen und Herren, wir haben aber doch bereits den Gesetzentwurf der Sozialdemokratischen Partei vorliegen! Was hätte denn dieses Haus daran gehindert, längst im Besitze dieses für die Sicherung des Rechtsfriedens und der Verfassungsmäßigkeit notwendigen Instituts zu sein, wenn nicht dies, daß wir auf die Regierungsvorlage warten?
Was hätte uns gehindert, den sozialdemokratischen Entwurf, der hier die erste Lesung passiert hat, so weit zu fördern, daß wir heute schon über dieses Gericht verfügten, statt nur darüber zu debattieren, wenn nicht dieses Warten auf die Regierungsvorlage?
Das ist immerhin auch eine Lehre aus der heutigen Debatte.
Es wäre von Interesse, daß nicht nur der Herr Innenminister, sondern gerade auch im Hinblick auf die Fraktionsgemeinschaft der Herr Bundesjustizminister seinen eigenen Fraktionskollegen eine Erklärung darüber abgäbe, wie e r nun zu dem Gesetzentwurf steht. Der Entwurf behandelt doch, wenn es auch eine politische Materie ist, die nach dem Kabinettsbeschluß nachher im Innenministerium weiter bearbeitet würde, der Sache nach ein Problem, das den Justizminister zweifellos sehr lebhaft inter essiert. Ich glaube, es wäre für das ganze Haus von lebhaftem Interesse, hierüber etwas von ihm zu hören; und es wäre gut, wenn er sich etwas weniger in Schweigen hüllen, sondern über diese Frage einmal reden wollte.
Ich darf im Namen meiner Freunde sagen, daß uns eine ganze Reihe der Arbeiten, die das Justizkollegium der Länder in dieser Frage geleistet hat, wesentlich sympathischer berühren als der vorliegende Entwurf der Freien Demokratischen Partei, und zwar aus einem Grunde, den auch Sie einsehen müssen: die Säuberung ist nun einmal außerordentlich vielgestaltig in den verschiedenen deutschen Lindern geregelt worden, und sie ist über die gesetzliche Unterschiedlichkeit hinaus in einem noch viel größeren Maße in der Praxis unterschiedlich gehandhabt worden, so daß ein schlichter Schlußstrich ohne Berücksichtigung dieser Verschiedenheiten neues Unrecht schaffen würde, weil er die verschiedenen Ergebnisse in der Praxis bestehen ließe. Ich glaube, daß jeder Entwurf von diesen verschiedenartigen Länderrechten ausgehen muß und daß man vielleicht tatsächlich besser fährt, wenn jedes einzelne Land auf seine Weise sein besonderes Problem löst. Ich glaube aber, daß wir über diese Dinge am schnellsten hinwegkommen, wenn wir dem Antrag entsprechen, der bereits gestellt worden ist, und dem Ausschuß Gelegenheit geben, sich an Hand der Angaben des Bundesinnenministeriums mit dem in den Ländern geschaffenen oder noch zu schaffenden Rechtszustand zu beschäftigen. Es wird dann Sache des Hauses sein, zu entscheiden, ob die so geschaffene Rechtslage wirklich das Ende der politischen Säuberung bedeutet oder nicht.
Wir haben hier heute eine geschichtliche Stunde erlebt; ich will es am Rande vermerken. Es war der erste Tag, an dem ein Vertreter der Bayernpartei dem Bund die Zuständigkeit der Sache nach zuerkannt hat. Ich will hoffen, daß Herr Dr. Etzel dafür in Bayern nicht etwa gehängt wird, weil er hier in einer sehr wesentlichen Sache ein sehr wichtiges bayerisches Prärogativ fahrlässigerweise preisgegeben hat.
Ich möchte eine zweite Hoffnung daran knüpfen, und zwar die Hoffnung, daß auch dann, wenn es vielleicht nicht ein ganz klein wenig um die große Zahl der Stimmen der Betroffenen geht, sondern wenn es um ein echtes Lebensanliegen der Nation etwa auf wirtschaftspolitischem Gebiet geht und vielleicht einmal die Interessen der Länder und die des Bundes aneinandergeraten könnten, die Bayernpartei soviel Einsicht hat und sich nicht hinter den Buchstaben des Grundgesetzes verschanzt,
sondern sagt: in dieser Sache handelt es sich um einen Lebensanspruch des deutschen Volkes, und wir werden, getreu unserem bei der Entnazifizierung erstmalig geschworenen Eid, auch künftig zur Bundesfahne stehen und dem Bund lassen, was des Bundes ist.
Für den Ausschuß habe ich noch eine Bitte. Ich richte sie an den Herrn Innenminister. Um einen klaren Einblick in die Bedeutung jener gesetzlichen Regelung dieses schwierigen Gebietes zu gewinnen, möchten meine Freunde bitten, daß dem Ausschuß, der sich jetzt mit diesen Fragen zu befassen hat, für das gesamte Bundesgebiet die gleichen Zahlen vermittelt werden, die bereits für die amerikanische Zone vorliegen, damit man sehr plastisch einmal sieht, wieviel Personen eigentlich unter die verschiedenen Möglichkeiten einer solchen gesetzlichen Regelung fallen. Sonst würde der Ausschuß sehr arg ins Blaue hinein diskutieren.
Nun scheint mir noch eines in diesem Zusammenhang wichtig. Ich glaube, man kann über die ganze Frage der politischen Säuberung nicht reden, ohne daß man an den Anfang doch die Frage der politischen Verantwortung stellt. Das ist kein strafrechtlicher Tatbestand, den die Säuberung zu würdigen hat. Es war von Anfang an
in diesem Falle nun wirklich ohne jeden Umfall — die konsequente Linie aller Sprecher der Sozialdemokratischen Partei, bis in die Länder hinein sich den Bemühungen zu widersetzen, die auch von alliierter Seite immer wieder vorgetragen wurden, den Säuberungsgesetzen einen strafrechtlichen Charakter zu geben. Es handelt sich um Tatbestände vollkommen anderer Art, und der entscheidende Tatbestand ist doch — und zwar gerade bei den Hauptschuldigen, denen nach der Meinung der Nationalen Rechten ja auch die Wohltaten eines Schlußstriches zugute kommen sollten — der der politischen, nicht der kriminellen Mitverantwortung für einige Millionen Tote, für einen zweiten Weltkrieg, für 7 Millionen vertriebene Deutsche, für unsere zerstörten Städte. Das läßt sich doch nicht durch einen Federstrich ausradieren. Das ist da, und daran werden diese Menschen bis an ihr Lebensende vor sich selbst und erst recht im Angesicht des deutschen Volkes zu tragen haben. Darüber hilft ihnen auch keine Amnestie hinweg.
Denjenigen, der mit dieser Mitverantwortung belastet ist, können Sie gar nicht reinwaschen, und wenn tausend Paragraphen das Gegenteil beinhalten würden.
Und nun zu einem anderen. Auch die Sozialdemokratische Partei ist der Meinung, daß ein Schlußstrich unter das ganze Kapitel der politischen Säuberung gezogen werden muß. Die Erfahrung hat sehr eindeutig bewiesen, daß die Lösung einer politischen Frage mit juristischen Mitteln nicht möglich war. Man kann mit Fragebogen keine Revolution nachholen. Das deutsche Volk kommt an einer wichtigen Tatsache nicht vorbei, die auch heute anscheinend wieder vergegessen wird: daß es die Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus — so lautet ja der Titel des Gesetzes in der amerikanischen Zone — gar nicht diesem im Jahre 1946 erlassenen Gesetz verdankt und auch nicht seinem eigenen Wirken verdankt leider Gottes nicht —, sondern die Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus verdanken wir, ob es uns gefällt oder nicht, dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates durch den konzentrischen Angriff der alliierten Heere. Das ist eine sehr reale Tatsache. Damit müssen wir uns abfinden, .und daraus muß man dann auch gewisse Konsequenzen ziehen.
Was sollte die Säuberung in den Jahren nach 1945 erreichen? Sie sollte nationalsozialistische Einflüsse auf, Politik, Kultur und Wirtschaft ausschalten und die Verantwortlichen je nach dem Grad ihrer Verantwortlichkeit mit einer gewissen Sühne zum Ausgleich für den angerichteten Schaden belegen. Außerdem war daran gedacht, durch die Ausnutzung von Beziehungen zum vergangenen Regime erlangte Vermögensvorteile und Sonderprofite den so Begünstigten wieder zu entziehen. Ich mache gar kein Hehl daraus: alle diese drei Aufgaben hat das Säuberungsverfahren nicht gelöst. Ich möchte aber bemerken, um irgendwelchen Entstellungen von Anfang an entgegenzutreten, daß im Jahre 1946 alle politischen Parteien, und zwar auch die Freie Demokratische Partei, sich positiv zu dem damals geschaffenen Säuberungsrecht eingestellt und an seiner Durchführung mitgewirkt haben.
Zwei Beispiele, meine Damen und Herren, weil Sie vorhin so temperamentvoll dazawischengerufen haben, als seien Sie im Jahre 1946 die begeisterten Verfechter von der anderen Seite der Barrikaden gewesen. Das Säuberungsgesetz im Lande Württemberg-Baden trägt die Unterschrift des demokratischen Ministerpräsidenten Reinhold Maier. Das ist der Tatbestand Nr. 1. Der Tatbestand Nr. 2 ist noch viel interessanter. Ich habe hier eine Zeitung vom 28. Juni 1946. Sie enthält die Abschiedsrede eines der Demokratischen Partei angehörenden Landrats. Er hat damals über seine Tätigkeit berichtet und nicht ohne Stolz darauf hingewiesen, daß er im Zuge der politischen Säuberung seiner Behörde von insgesamt 11 vorhandenen Beamten dort 7 entlassen habe. Dann heißt es unter anderem auch, daß nach seinem Urteil die Entnazifizierung nach dem Gesetz Nr. 8 sowohl gerecht als auch versöhnlich gewesen sei;
fast 500 Fälle seien bearbeitet worden — der Mann selbst war offensichtlich daran nicht unbeteiligt —, und beim Aufbau der Spruchkammer habe er, dieser Landrat, tatkräftig mitgewirkt. Ich möchte das deshalb sagen, weil dieser Landrat — dem ich gar keinen Vorwurf daraus mache, dem ich aber einen Vorwurf daraus mache, daß er heute hier eine völlig andere Rede gehalten hat — Euler heißt.
Es ist unbestreitbare Tatsache, daß die vielfältigsten, uns allen sehr unerwünschten Einflüsse sich auf die Durchführung des Säuberungsverfahrens nachteilig ausgewirkt haben. Unbefugte Einflüsse gingen bis zu alliierten Dienststellen hinauf, die die sogar nach dem Wortlaut des Gesetzes vielleicht möglichen gerechten Ergebnisse in ihr Gegenteil verfälscht haben. Die Praxis der Spruchkammern war örtlich außerordentlich unterschiedlich. Die Eingriffe der Militärregierungen trieben diese Verschiedenheit noch weiter. Im zeitlichen Verlauf seit 1945 stellte sich heraus, daß mit dem immer größeren Abstand vorn Jahre 1945 die Entscheidungen auch gegen politisch sehr verantwortliche Persönlichkeiten des Dritten Reiches immer milder wurden. Sie hielten keinen Vergleich mehr aus mit den ersten Entscheidungen gegen unter Umständen recht harmlose Mitläufer.
Schon um, dieser Ungerechtigkeiten willen, die den Grundsatz der Gleichheit vor dem Recht verletzen, muß eine Bereinigung dieser Materie
kommen. Das ist auch uns völlig klar, auch noch aus einem anderen Grunde. Im Jahre 1945 war die Nationalsozialistische Partei wirklich atomisiert. Statt durch eine Art revolutionären Zupackens die Partei ihrer Häupter zu berauben, hat die schwerfällige Maschinerie der politischen Säuberung dazu beigetragen, den früheren Nationalsozialisten ein Maß von Zusammengehörigkeits- und Solidaritätsgefühl einzuflößen, das sie zu einem großen Teil nicht einmal während des Dritten Reiches gehabt haben.
Wird dieser Sachverhalt in seiner ganzen Tragweite erkannt, dann muß daraus auch der notwendige Schluß auf entschiedene Beendigung der Säuberungsverfahren hergeleitet werden. Man kann nicht lange Jahre hindurch einen erheblichen Teil des ganzen Volkes mindestens äußerlich — in der Praxis ist es ja gar nicht so — als Staatsbürger minderen Rechts behandeln. Wir wollten schon bei unserer Haltung zu den von den Alliierten gewünschten kriminellen Tatbeständen des Säuberungsrechts darlegen, daß bei der Beurteilung politischer Tatbestände nicht die Maßstäbe des gemeinen Rechts anzuwenden seien.
Aber nun kamen die Verfahren. Wie sollte man all die verschiedenen Motive erforschen, welche die große Masse der Mitglieder der NSDAP in die Partei hineingebracht haben? Ein großer Teil unseres Volkes bejahte das Regime aus Irrtum, andere aus Verblendung, andere aus Profitsucht, andere deshalb, weil andere, klügere Köpfe, wie zum Beispiel der Herr Schacht, offensichtlich auch mittaten, andere aus Bequemlichkeit und — nicht zu vergessen ein nicht unerheblicher Teil auch wirklich aus echtem Idealismus, in der irrigen Meinung, durch aktive, anständige Mitarbeit an dieser Bewegung könne man für unser Volk etwas Nützliches und sozial Ersprießliches tun. Diese verschiedenen Beweggründe sind einer prozessualen Erforschung überhaupt nicht zugänglich. Man kann dem Menschen nicht ins Herz sehen. Man muß bei einem solchen Versuch in äußeren Indizien steckenbleiben, wie oft etwa der Hitlergruß erwiesen oder die Kirche besucht wurde. Hat nicht jeder Nazi seinen Renommierjuden gehabt, mit dem er vor der Spruchkammer beweisen konnte, daß er im Grunde seines Herzens doch ein anständiger Mensch gewesen ist? Noch viel schlimmer wäre es, wenn wir dazu übergehen würden, wie es vielerorts leider Gottes geschehen ist -- und auch gerade in der Ostzone bis zum heutigen Tag geschieht —, das Verhalten nach 1945 nun etwa als Beweis für eine nationalsozialistische oder nichtnationalsozialistische Vergangenheit anzusehen. Es sind mancherlei Einflüsse auch auf alliierter Seite spürbar geworden, wonach besondere Willfährigkeit aliierten Dienststellen gegenüber mit einem entsprechend milden Säuberungsurteil belohnt wurde. Man sollte nach Möglichkeit ohne weiteres anerkennen, daß es gilt, auch diesen Dingen auf den Grund zu gehen.
Daß die wirklichen Verbrecher vor die ordentlichen Gerichte gehören, ist unbestrittene Meinung aller. Deshalb bedauern wir es — und das ist heute noch nicht ausgesprochen worden —, daß die Alliierten durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30. Januar 1946 die Hochverratsparagraphen 80 bis 94 des deutschen Strafgesetzbuchs aufgehoben haben. Damit ist uns Deutschen die Möglichkeit genommen worden, alle jene Männer vor einem deutschen Gericht zur Verantwortung zu ziehen, die an der hochverräterischen Festigung der Macht Hitlers im Frühjahr 1933 aktiv teilgenommen haben.
Der Weg vom Kaiserhof zur Reichskanzlei be- gann zwar mit einer ordnungsmäßigen Berufung durch den Reichspräsidenten. Er führte dann aber doch weiter, und zwar über den Reichstagsbrand und die verfassungswidrige Inhaftierung von Abgeordneten zu einer ganzen Serie weiterer Verfassungbrüche. Die überlebenden Mitwirkenden jener hochverräterischen Handlungen haben nie unter der Anklage des Hochverrats vor einem deutschen Gericht gestanden. Zu ihnen gehören Schacht, Papen, von Schröder und wie sie alle heißen.
Die Nürnberger Kriegsverbrechertribunale haben sich nur damit beschäftigt, was jene Männer und viele andere dazu im Ausland oder an Ausländern verübt haben. Was für ein Maß an Schuld sie dem deutschen Volk gegenüber auf dem Gewissen haben, ist dort nicht zur Sprache gekommen.
Solange nun solche Männer durch die bisherige Gesetzgebung nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnten, darf man nicht das große Heer der politisch ihnen doch nur folgenden Menschen weiterhin in die Säuberungsgesetzgebung einzufangen suchen. Das ist ein Widerspruch in sich. Es wäre eine Aufgabe gewesen, den Nutznießern des Dritten Reiches ihre Beute wieder abzujagen. Ich gebe zu, es war nicht einfach, den Nutznießer so zu definieren, daß nicht neben dem Schuldigen auch der Unschuldige gepackt worden wäre. Aber mit gutem Willen hätte dieses Problem angepackt werden können und müssen, wenn es nicht gerade die Profiteure des Dritten Reiches gewesen wären, die sich beizeiten durch ihre aktive Tätigkeit und ihre angebliche Sachkunde in der Wirtschaft von heute des Schutzes einflußreicher alliierter und anderer Stellen versichert hätten. Ich könnte Ihnen hierfür eine ganze Reihe von Beispielen aus meinem eigenen Lande und auch aus anderen Zonen benennen. Auch hier gilt der Spruch, daß man nicht den kleinen Nationalsozialisten anfassen darf, solange sich der Nutznießer noch seiner Beute erfreut. Wir haben nur die eine Hoffnung — und hoffentlich tun Sie dabei dann einmal mit uns einen guten Schritt nach vorwärts —, daß die kommende Lastenausgleichsgesetzgebung der Frage
der Kriegs- und Rüstungsgewinne ihre ganz besondere Aufmerksamkeit zuwendet. Wir werden das Unsere dazu tun.
Das Säuberungsgesetz hat einen populär gewordenen Begriff geschaffen, den des Mitläufers. Es handelt sich hierbei um die große Masse jener individuell wirklich harmlosen Personen, die sich infolgedessen auch keinerlei Schuld bewußt sind und die es nahezu als Verfolgung empfinden, wenn sie überhaupt mit einem Spruchkammerverfahren in Berührung gekommen sind. Aber gerade durch ihre Masse haben sie kollektiv das Dritte Reich immerhin erst ermöglicht und am Leben gehalten. Auch wir sind dafür, durch einen rückhaltlosen Schlußstrich die Mitläufer keinen weiteren Beschränkungen mehr zu unterwerfen.
Einen Hinweis muß ich mir hier gestatten, nämlich den, daß Angehörige der führenden Intelligenzschicht aus Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, die sich bei der Spruchkammer so sehr darum bemüht haben, als Mitläufer eingestuft zu werden, sich doch eigentlich ein klein wenig schämen müßten, bei dieser bösen Sache mitgelaufen zu sein.
Wer mitläuft, kann nicht führen! Das eine oder das andere! Wir wollen keine neuen Gesetze fordern. Wir glauben aber, daß jene Mitläufer, die wir hier im Auge haben, aus politischem Anstand darauf verzichten sollten, an irgendeiner Stelle unseres öffentlichen Lebens je wieder einen Führungsanspruch zu erheben.
Es gibt zwei große Menschengruppen, die bei der politischen Säuberung außer jedem Verhältnis zu anderen Schichten der Bevölkerung hart angefaßt worden sind. Das eine ist die Beamtenschaft. Auf den öffentlichen Dienst konzentrierte sich ja zu Beginn die Aufmerksamkeit sowohl der deutschen als auch der alliierten Säuberungsbehörden. Es wurden Maßnahmen verlangt, die bei vollkommen gleichartiger politischer Vergangenheit in keinem Verhältnis zu den Maßnahmen gegenüber Angehörigen anderer Berufe standen. Außerdem. wurde wenig Rücksicht darauf genommen, daß die Beamtenschaft während des Dritten Reiches unter einem viel stärkeren politischen Druck stand als jeder andere Beruf.
Die zweite Schicht ist die der jungen Menschen in den Jahrgängen von 1913 ab. Die Jugendamnestie hat ja nur die Jahrgänge von 1919 ab erfaßt. Von der ersten Stunde ihres neuen öffentlichen Wirkens seit 1945 an hat die Sozialdemokratische Partei gefordert, daß die Jahrgänge ab 1913 in jeder Weise von der politischen Säuberung ausgenommen werden.
Man kann die Menschen, die 1933 noch nicht wahlberechtigt waren, nicht für das Entstehen des Dritten Reiches verantwortlich machen.
Eine viel größere Verantwortung trifft die ältere Generation, die Eltern, die Schulhäuser, die gesamte politisch erhitzte Atmosphäre der Jahre bis 1933. Gewiß, aus diesen Jahrgängen ist eine ganze Anzahl von wirklich aktiven Nationalsozialisten hervorgegangen. Aber war das so verwunderlich? Hat es nicht sehr viele Menschen gegeben — und es waten nicht die schlechtesten —, die bis zum Ausbruch des Krieges und darüber hinaus wirklich geglaubt haben, der Nationalsozialismus sei eine gute Sache und würde dem deutschen Volke einen Aufstieg in wirtschaftlicher Blüte und sozialer Gerechtigkeit bringen? Kann man jener jungen Generation einen Vorwurf daraus machen, daß sie, die bewußt in Unkenntnis über die größeren politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge gelassen wurde, der die Erfahrungen und Kenntnisse der älteren Generation fehlten, sich von der äußeren Fassade blenden ließ? Es müssen sehr viele anständige Menschen positiv auch im nationalsozialistischen Staat und seinen Organisationen mitgearbeitet haben. Sonst hätte der Nationalsozialismus bei allem seinem Terror gar nicht so lange be-bestehen können.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist gleich, um!
Auch diesem Teil der jungen Generation, der von nicht zu unterschätzender Bedeutung für das Werden unseres künftigen Staatsgefüges ist, muß das Gefühl der bisher auf ihm lastenden Diffamierung genommen, muß der Weg in die volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung freigemacht werden.
So sehr wir also mit dem Grundgedanken, auf rechtliche Weise die politische Säuberung zu beenden, einverstanden sind, sowenig können wir unsere ernstesten Bedenken gegen den vorliegenden Entwurf der FDP unterdrücken. Wir können uns nicht vorstellen, daß es keine Bitterkeit für viele Hunderttausende von Betroffenen auslösen würde, wenn sie erfahren müßten, daß jetzt auch Hauptschuldige, die sich bisher im Verborgenen hielten, keine Sühne zu leisten haben, während die kleinen Mitläufer bereits ihre Sühne hinter sich haben. Das geht nicht. Wir werden bei den Ausschußberatungen darauf hinwirken, daß die Grundsätze der Abschlußgesetze einiger Länder der amerikanischen Zone, die uns vernünftig erscheinen, mit hineingearbeitet werden.
Wir vermissen in dem Gesetzentwurf auch die Schaffung einer Revisionsmöglichkeit für diejenigen Fälle, die bereits nach Gruppe I und II entschieden worden sind. Es wäre ein Verstoß gegen die Rechtsgleichheit, wenn man Urteile aus dem Jahre 1946 auch jetzt noch nach diesen Schlußgesetzen in Kraft ließe, während jedermann weiß, daß dieselbe Angelegenheit im Jahre 1948 wesentlich anders beurteilt worden wäre. Ich schließe mich also dem Antrag an, daß der Gesetzentwurf der FDP dem Ausschuß überwiesen wird.
Aber ich bitte das Haus, und zwar sehr eindringlich, dem Antrage der Herren Abgeordneten Dr. Richter und Genossen schlicht die Zustimmung zu versagen. In dieser Form geht es wirklich nicht. Der Antrag bedeutet praktisch nicht einen Schlußstrich unter die bisherige Entnazifizierung, sondern er bedeutet eine Ermunterung für die Zukunft. Wir müssen doch auch sehen, aus welchem Lager diese Dinge kommen. Der Herr Abgeordnete Dr. Richter spricht hier in bemerkenswerter Weise von Völkerrechtswidrigkeiten.
Dabei mache ich Sie auf eines aufmerksam, und das ist folgendes: Wenn ich Ihren Standpunkt akzeptiere, daß die Alliierten im Jahre 1945 nicht zur Änderung der deutschen Gesetzgebung berechtigt waren, dann gilt das ganze Nazirecht weiter, dann haben Sie sich eines Verstoßes gegen das Gesetz gegen die Neubildung politischer Parteien schuldig gemacht und haben zu Recht im Zuchthaus zu sitzen und nicht hier. Seien Sie sich über diese Konsequenz klar! Oder aber es ist umgekehrt - das wäre eine andere Möglichkeit, die ja nicht ausgeschlossen ist; ich weiß es nicht —, dann sind Sie der einzige legitime Rechtsnachfolger der NSDAP, und dann gehören die anderen alle ins Zuchthaus. Eins von beiden nur ist möglich.
Ich bedaure, daß die Vereinbarungen, die wir getroffen haben, und der Lauf der Debatte, die sehr aufschlußreich und instruktiv war, es mir nicht gestatten, noch auf einige. andere sehr wesentliche Tatbestände hinzuweisen. Aber einen Tatbestand möchte ich auf alle Fälle herausgreifen. Das ist der Tatbestand, der jetzt durch die öffentliche Debatte über das Hedler-Urteil und einige andere Dinge die gesamte deutsche und Weltöffentlichkeit beschäftigt. Die Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers zu dieser Frage, so vielversprechend sie am Anfang zu klingen schienen, sind für uns doch nicht ausreichend. Es wird Aufgabe des Hohen Hauses sein, Vorkehrungen dagegen zu treffen, daß der Schlußstrich unter die politische Säuberung nicht gleichzeitig zum Beginn der Renazifizierung wird. Das bedeutet aber nicht nur Abwehr durch Gesetze gegen bestimmte Persönlichkeiten, das bedeutet weiterhin auch Sauberhaltung der öffentlichen Verwaltung von derartigen Einflüssen.
Das ist eine Frage der Personalpolitik. Das bedeutet, daß nicht etwa all jene dunklen Geister der Vergangenheit glauben, sie müßten jetzt, nachdem sie 1945 ihre Stätte feige im Stich gelassen haben, bald wieder dort sitzen, wo inzwischen wirklich sehr viele tatkräftige Männer den Karren einigermaßen aus dem Dreck gezogen haben.
Das sind die Grundsätze, die wir verankert sehen möchten.
Wir wünschen auch nicht, daß etwa mit dem Gedanken gespielt wird, die Wiedergutmachung an den Opfern der Entnazifizierung, wie sie sich heute hinstellen, eher vorzunehmen als die Wiedergutmachung an den echten Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung. Dieser Pflicht sollte sich das deutsche Volk nun wirklich zuerst bewußt werden. Das ist weiter eine der Forderungen, die wir vorzubringen haben.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie nun in aller Form bitten, Ihre Ausführungen zu beenden. Sie haben die Redezeit um vier Minuten überschritten. Alle anderen Abgeordneten halten sich auch an die Redezeit.
Ich komme zum Schluß und sage eines. Das Dritte Reich hat Deutschland nicht zum Letzten erleben müssen, — —
-- Der ist emir abgestellt worden, weil meine Redezeit fast zu Ende ist.
Nein, Sie sind im Irrtum. Das muß ein technischer Fehler in der Einrichtung sein. Ich habe gar nichts hier abgestellt. Erlauben Sie einmal!
Wie können Sie mir so etwas unterstellen? — Hören Sie doch, der Lautsprecher geht wieder ausgezeichnet. Probieren Sie es bitte!
Wir haben uns halt beide geirrt.
Nein, ich nicht! Ein Präsident kann sich nie irren.
Wir haben das Dritte Reich über uns ergehen lassen müssen, weil wir nicht vor 1933 die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß die Heere der Arbeitslosen und der anderen Verelendeten in Lohn und Arbeit gebracht wurden. Das war die soziale Ursache für das Dritte Reich. Ich fürchte, daß uns die schönsten Gesetze nichts nützen, wenn wir nicht durch eine konsequente Wirtschafts- und Sozialpolitik dafür sorgen, daß ähnliche Krankheitsherde nicht wieder große Massen des deutschen Volkes in die politische Radikalisierung treiben. Dafür müssen wir gemeinsam wirken. Dann bedeutet der Schlußstrich unter die Entnazifizierung endgültig einen Schlußstrich unter eine böse, böse Etappe unserer Vergangenheit.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Reismann.
- Es geht der Reihe nach.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei den Ausführungen, die zum Punkt Entnazifizierung gemacht wurden, mußte ich mich an die Hunderttausende von SA- und SS-Leuten erinnern, die auf höheren Wink bereit waren, in jedes Haus einzudringen, jeden Mann zu verprügeln, zu verschleppen, totzuschlagen, und an ihre Führer, die auf den Knopf drückten, damit das geschah. Da mußte ich mich an die Tage um den 9. November 1938 erinnern, an die Kristallnacht. Da mußte ich mich an die Leute erinnern, die sich nicht geniert haben, die Plätze derer einzunehmen, die wegen ihrer politischen Gesinnung aus ihren Ämtern verdrängt wurden. Da habe ich mich vor allen Dingen an die erinnern müssen, die wegen ihrer politischen Gesinnung, und ohne daß sie irgend etwas Böses getan hatten, zu Tode gefoltert worden sind. Bei der Erörterung dieser Frage gebührt das erste Gedenken diesen Leuten, die die Opfer des Nationalsozialismus geworden sind,
und den Leuten, die mutig bereit waren, damals für die Demokratie einzustehen, nicht denen, die aus Schwäche hinter anderen hergelaufen sind. Da muß ich sagen: wenn wir damals gewußt hätten, daß all die eben genannten Leute der NS-Organisationen bloß Mitläufer und Gepreßte waren, die alle nur darauf warteten, auf irgendeine Art und Weise den armen verfolgten Antinazis helfen zu können, dann hätte sich das Leben leichter ertragen lassen.
Leider haben sie das erst jetzt zu verstehen gegeben. Ich meine, man kann darüber doch nicht einfach hinweggehen und bloß die bedauern, die bei den Unebenheiten der Entnazifizierung unter die Räder gekommen sind.
Kein Mensch wird behaupten, daß bei der Entnazifizierung alles in Ordnung sei. Jedes menschliche Ding ist unvollkommen. Aber es ist längst nicht so schlimm, was gegen die Nationalsozialisten geschehen ist, als das, was mit ihrer Hilfe getan worden ist. Daß muß jetzt einmal gesagt werden.
Im übrigen: das verdanken sie doch dem Führer, was ihnen geschehen ist! Sie und ihr
Oberosaf haben das deutsche Land, das deutsche Volk und den deutschen Staat in einem Zustand zurückgelassen, daß wir gar nicht verantwortlich für das sind, was ausgerechnet früheren Trägern der Macht geschehen ist. Das muß hier vorausgeschickt werden, und darüber muß man sich klar sein.
Letzten Endes muß man sich auch darüber klar sein: wäre nicht die Entnazifizierung mit all ihren Fehlern so, wie sie die Alliierten angeordnet haben, gewesen, dann mögen sich die Betroffenen fragen, ob sie heute überhaupt noch lebten. Denn wenn das deutsche Volk auf diesem Gebiete mit ihnen abgerechnet hätte *und wenn nicht dem strafenden Arm der Volkswut, „der kochenden Volksseele", wie man so schön sagte, die Macht der Besatzung in die Arme gefallen wäre, wäre es diesen Leuten viel schlechter ergangen. Es hält schwer, nach dem soeben von der rechten Seite des Hauses Gesagten über diese Dinge zu sprechen, ohne bitter zu werden. Es fällt wirklich schwer, aber man muß sich bemühen, jede Sache, also auch diese, nüchtern und unvoreingenommen anzufassen.
Da wundert mich zunächst eines. Die Vorlage nennt sich Entwurf eines Gesetzes zur Beendigung der Entnazifizierung. Sieht man es sich genauer an, so ist es ein Gesetz zur Amnestierung aller Nazis, nicht nur der kleinen, sondern aller Nazis. Man übersieht vielleicht auf seiten der Abgeordneten, die aus dem Süden Deutschlands, aus der amerikanischen Zone kommen — wie es in der französischen Zone ist, weiß ich nicht —, daß man dort mit ganz anderen Begriffen an die Entnazifizierung herangegangen ist als in der britischen Zone. Wenn bei uns in der britischen Zone
3) einer in der Stufe III ist, dann ist er kein Mitläufer und kein kleiner Nazi, sondern dann hat er den Rang eines Kreisleiters oder mindestens eines Ortsgruppenleiters,
und das waren gerade, im Durchschnitt gesehen, die bösesten Elemente bei den Nazis; denn sie vollstreckten den Naziwillen zu hundertfünfzig und hundertachzig Prozent. Die sollen alle amnestiert werden, es darf sich keiner mehr urn sie kümmern, es dürfen keine politischen Folgerungen daraus gezogen werden. Und wie zart sind sie bisher angefaßt worden!
Ich komme aber damit meiner Meinung nach schon zu sehr in die materielle Überlegung hinein. Ich schlage vor: Prüfen Sie zunächst einmal die formalen Voraussetzungen genau. Da verweise ich auf § 48 a der kürzlich abgeänderten Geschäftsordnung. Damals hat ein weiservon der rechten Seite diese Hauses gesagt, daß dieser Paragraph auch dazu bestimmt sei, den Anträgen, die von der Rechten, von den Regierungsparteien kämen, einen Damm entgegenzusetzen. Da es sich hier um eine Amnestierung handelt, wonach alle Folgen, auch Geldstrafen, Bußen, Kosten, fortfallen, so handelt es sich ohne Zweifel bei diesem Antrag um eine Finanzvorlage im Sinne des § 48 a Absatz 2, da diese Vorlage in erheblichem Umfang geeignet ist, für Gegenwart oder Zukunft auf die öffentlichen Finanzen einzuwirken.
Im gleichen Maße, in dem Sie behaupten, daß es notwendig sei, die Entnazifizierung abzuschließen, da sie noch night abgeschlossen sei, müssen Sie zugeben, daß die Auswirkungen auf die Finanzen
erheblich sind. Erfolg: die Vorlage muß zunächst einmal den Weg aller Finanzvorlagen passieren. Und bei allem Respekt, Herr Präsident, vor Ihrer Unfehlbarkeit, von der ich soeben vernommen habe, — ich fürchte, daß hier doch ein kleiner Lapsus unterlaufen ist, da die Vorlage nicht diesen Weg genommen hat und zum mindesten nicht darüber berichtet worden ist.
— Ach, Herr Euler, Sie haben ja gleich Gelegenheit zu sprechen. Wenn Sie nichts anderes darüber zu sagen wissen, als daß Sie glauben, daß das ein Witz sei, dann würde ich an Ihrer Stelle überhaupt nichts sagen! Das ist zu billig!
Aber nun ein anderes: gerade die Stellungnahme Ihres Fraktionskollegen, des Herrn Ministers Dehler, sollte auch dem Hause Anlaß zu Bedenken geben; denn er hat uns mit überzeugenden Worten schon einmal dargelegt, daß der Bund für diese Frage gar nicht zuständig sei. Das hat sein treffliches Ministerium sachverständig bekundet und sich da mit ihm in Übereinstimmung befunden. Ich bin auch wirklich überzeugt davon, daß das so ist; denn wir finden in Artikel 71 des Grundgesetzes, der abschließend und ausschließlich aufzählend die Zuständigkeit des Bundes regelt, die Entnazifizierung nicht aufgeführt, sondern wir finden nur in Artikel 131 etwas darüber, was hier nicht zur Debatte steht. Danach ist der Bund gar nicht in der Lage, eine Abschlußregelung in dieser Frage zu treffen.
Aber auch aus materiellen Gründen wäre es höchst unzweckmäßig, so zu verfahren. Ich erinnere doch daran — es ist eben schon einmal angeklungen daß in fast allen Ländern die Entnazifizierung sehr weit vorangeschritten ist, daß sie in der größten Zahl der Länder materiell schon erledigt ist. Was sollen wir denn jetzt noch nachhinken, um etwas zu beenden, was wir nicht angefangen haben? Wir haben im Lande Nordrhein-Westfalen schon einmal eine Regelung versucht, zu der uns die Militärregierung die Genehmigung versagt hat. Darum soll die Entnazifizierung auch unter der Verantwortung der ausländischen Mächte, die damit angefangen haben, zu Ende gebracht werden. Die Unterschiede in den verschiedenen Ländern sind so groß.. daß wir uns schon im Rechtsausschuß. unter Juristen. über die Terminologie kaum noch verständigen konnten. Der Begriff der Gruppe III ist in der amerikanischen Zone etwas ganz anderes als in der britischen; er wird dort viel leichter gewogen als in der britischen. Das kann man doch nicht alles über einen Kamm scheren!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß die Entnazifizierung bisher auch insofern schief gelaufen ist, als man die Kleinen gehängt hat und die Großen laufen ließ.
Aber jetzt kommen gerade die Großen, und da sollen wir auch, noch formal einen Schlußstrich ziehen? Es ist doch so: die haben sich verborgen gehalten. Der kleine Postsekretär, der Lehrer oder der Briefträger konnten sich nicht verborgen halten; aber die Leute, die jetzt im Schutze der Amnestie aus den Mauselöchern kommen, die ihnen das ermöglicht, sollen jetzt großzügig von den Schwierigkeiten befreit werden, die sie sich redlich verdient haben!
Man spricht von der kriminellen Seite. Die Kriminellen sollen verfolgt werden. Das ist nach 12, 10 oder 9 Jahren nicht leicht, besonders bei der Praxis der Gerichte. Meine Damen und Herren, ich bin Anwalt und stehe nicht bloß als Abgeordneter, sondern auch als Verteidiger im öffentlichen Leben. Wenn es ein Belastungszeuge wagt, gegen einen Nazi etwas zu sagen, findet sich morgen der zweite Nazi, der ihn belastet, und übermorgen sieht sich der Belastungszeuge einem Meineidsverfahren gegenüber!
WIT werden uns bei anderer Gelegenheit wohl noch über diese Zustände in der Justiz zu unterhalten haben. Meine Damen und Herren, wir müssen im Rechtsausschuß einmal zur Sprache bringen, daß es Gerichte gibt, die Zeugenaussagen nach Abzählen und nicht nach Abwägen zu bewerten geneigt sind, daß es Verfahren gibt, in denen die Verschwörergemeinschaft aus der damaligen Zeit genau so leicht oder hinsichtlich ihrer Zeugenaussagen sogar noch schwerer wiegt als unbescholtene Zeugen; und wenn es sich auch um einen Propagandaleiter handelt, der früher noch so oft gelogen haben mag, er wird behandelt wie irgendein anderer Zeuge, auch wenn es sich um Ent- oder Belastung früherer Nazis handelt.
Wir sind also der Ansicht — das darf ich zusammenfassend für meine Fraktion erklären —, daß der Bund für die Abschlußregelung der Entnazifizierung nicht zuständig ist,. daß es sich hier um eine Finanzvorlage handelt, die deswegen nach den entsprechenden Vorschriften behandelt werden muß, daß die Entnazifizierung in den Ländern zum Abschluß gebracht werden muß und schließlich, daß man die kleinen Nazis laufen lassen sollte, daß aber die Großen nicht durch einen Generalpardon jetzt vor Toresschluß noch um die ,;Früchte" ihrer Tätigkeit in der Nazizeit gebracht werden dürfen.
Es wäre zu diesem Kapitel noch vieles zu sagen, aber lassen Sie mich, da meine Redezeit zu Ende geht, mit einem Hinweis schließen: Wir sind nicht am Ende aller Tage, meine sehr verehrten Damen und Herren, und wenn wir jetzt weich werden gegenüber den Leuten, die das Unheil unserer Tage verschuldet haben, wo — so frage ich Sie — wollen Sie dann die Verteidiger unserer Demokratie finden, wenn sie wieder einmal angefochten wird?
Saat sich dann nicht ieder, meine Damen und Herren: es ist schon viel besser, mitzulaufen und sich hinterher entnazifizieren zu lassen und einen Strich unter die Sache machen zu lassen?
Das alles müssen Sie dabei bedenken. Ich bin für eine totale Ablehnung beider Anträge, nicht für Verweisung an einen Ausschuß.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten für die Einhaltung seiner Redezeit.
Als nächster hat das Wort Herr Abgeordneter Paul.
Meine Damen und Herren! Das Entnazifizierungsproblem, welches nun schon seit einigen Jahren in Deutschland geistert, kann nicht losgelöst von der Frage der Verantwortlichen für das faschistische Terrorsystem betrachtet werden.
Während des Krieges vernahmen wir, die wir gegen Hitler im Kampfe standen, daß es die Absicht der Alliierten sei, Deutschland nach dem Niederbruch des Hitlerregimes gründlich zu entnazifizieren, zu entmilitarisieren und zu demokratisieren. Man sprach damals davon, daß vor allen Dingen diejenigen zur Verantwortung gezogen werden sollten, die Hitler zur Macht verholfen hätten. Sind diese Leute wirklich zur Verantwortung gezogen? — Ich sage Nein. In Westdeutschland wurden alle ,demokratischen Maßnahmen gegen die Großgrundbesitzer und Monopolkapitalisten, die Hitler zur Macht gebracht hatten, verhindert. Man versucht heute, die ganze Schuld auf Hitler, auf Göring und noch einige Gauleiter abzuwälzen. Man muß aber nach den tieferen Ursachen forschen. Ohne die Unterstützung der deutschen Schwerindustrie und auch
Herr Euler! — der IG-Farben-Industrie wäre Hitler gar nicht zur Macht gekommen.
Diese Leute wurden aber gebraucht, weil die
Westmächte Westdeutschland gar nicht befreien,
sondern ihren Interessen unterwerfen wollten.
Sie wurden bei der sogenannten Neuordnung der
Industrie herangezogen. Man brauchte die Großgrundbesitzer, um jene Wirtschaft des deutschen
Reichsnährstandes fortzuführen. Dagegen wurden die kleinen Lohnkutscher, die Chauffeure,
die kleinen Angestellten aus ihren Arbeitsstellen
hinausgeworfen. Die Großen gingen leer aus. Die
Generäle wurden sehr • milde behandelt. Man
braucht diese Herren für die Remilitarisierung
Westdeutschlands zum Kampf gegen die friedlichen und fortschrittlichen Kräfte in der Welt.
Wenn ich heute die Vertreter der CDU und die Herren von der rechten Seite höre, dann kann ich nicht begreifen, daß Herr Abgeordneter Gerstenmaier so starke Worte gegen die Nazis findet, während sein Kollege Sträter im Lande Nordrhein-Westfalen sich bei jeder Gelegenheit schützend vor die führenden Leute der Nazipartei stellt.
Ich erinnere nur an das Urteil gegen die Gestapo-Henker Redemeier und Kaufmann in Bielefeld. Die Arbeiter und die Gewerkschaften haben mit Recht gegen dieses Urteil demonstriert. Und was tritt ein? Der Herr Justizminister Sträter, ein führender Mann der CDU und Herausgeber der „Westfalenpost", ordnet eine strafrechtliche Untersuchung gegen die Gewerkschaftsführer und gegen Redakteure an.
Genau so wie im Falle des Herrn Schacht, wo die Arbeiter in Düsseldorf nicht duldeten, daß dieser Herr dort sein Unwesen trieb!
In welchem Gegensatz stehen Ihre Worte, Herr Gerstenmaier, zu jenen „Taten" des Herrn Sträter!
- Ach, das ist ein billiges Vergnügen, was Sie sich hier leisten!
Oder denken Sie an Herrn Lehr, der hier in diesem Hause sitzt und der im Parkhotel als Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf Hitler empfing!
Heute ist er Abgeordneter der CDU in diesem Hause, und er hätte beinahe, wenn nicht irgendwelche sonstigen Gründe vorgelegen hätten, in dieser Regierung gesessen!
Sehen Sie, so liegen die Dinge! Man sieht in Ihren Reihen genügend Leute, die für das Aufkommen der Hitler-Diktatur mitverantwortlich sind.
Es wurden zum Beispiel auch bereits die Ja-Sager zum Ermächtigungsgesetz angezogen.
— Sie sagen, ich sei verantwortlich. Ich glaube, ich kann meine Zuchthausjahre mit Ihren Gefängnistagen noch messen!
Ich habe nämlich mein Antinaziherz nicht erst im Jahre 1945 entdeckt! Wenn es nach mir und meiner Partei gegangen wäre, wären die Nazis gar nicht zur Macht gekommen.
Das müssen wir auch einmal den Vertretern der Sozialdemokratischen Partei sagen: wir sollten als Arbeiterparteien und als Arbeiterklasse aus der Vergangenheit die Lehre ziehen. Hätten wir als Arbeiterklasse, das heißt SPD, KPD und Gewerkschaften, damals einheitlich gehandelt, wäre Hitler ebenfalls nicht zur Macht gekommen. Und wenn wir heute, nach 1945, eine so verfahrene Situation' in Westdeutschland haben, dann ist auch das zum größten Teil darauf zurückzuführen, daß ein einheitliches Vorgehen, welches wir immer vorgeschlagen haben, von der Sozialdemokratischen Partei bisher abgelehnt worden ist.
— Statt dessen sind Sie lieber mit anderen Kreisen zusammengegangen. Dadurch ist in Westdeutschland eine Situation entstanden, die man wahrlich nicht als demokratisch im Interesse der Werktätigen ansprechen kann.
— Weswegen ich abgesetzt worden bin? Das ist für mich eine Ehre!
Ich wollte mich nämlich als Minister nicht dem
Marshall-Plan unterordnen. Damit Sie es wissen.
Wir Kommunisten haben uns schon immer gegen diese verfehlte Entnazifizierung gewandt. Wir haben verlangt, daß man die Großen heranholt. Wir sind auch schon vor langer Zeit aus den Entnazifizierungsausschüssen ausgetreten, weil wir diesen Schwindel nicht mehr mitmachen wollten. Wir wollen keine Verfolgung der kleinen Leute. Wir wünschen, daß die politisch Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen werden, das heißt, daß in erster Linie die Monopolkapitalisten und Junker entmachtet und enteignet werden und daß darüber hinaus die Verbrecher gegen die Menschlichkeit, die Gestapo-Henker und Gauleiter dorthin befördert werden, wohin sie gehören. Wir wünschen deshalb eine baldige Beendigung der Entnazifizierung, aber eine Generalamnestie für alle Nazis kann es nicht geben. Es darf auch nicht in den Verwaltungsstellen der Kommunen und der Länder wieder der Parteibuchbeamte Einzug halten, auch das kann es nicht geben. Wir werden den Kampf um die Demokratisierung auch Westdeutschlands weiterführen. Im Rahmen des Kampfes um ein einheitliches demokratisches Deutschland werden wir mit der Bevölkerung weiterkämpfen für die Bestrafung der am Hitler-Regime wirklich Schuldigen,
damit jener Boden bereitet wird, auf dem nicht mehr neue faschistische Diktaturgelüste gedeihen können. Nicht neue Verordnungen, wie sie hier angekündigt wurden, werden das demokratische Leben unseres Volkes sichern. Ich vermute, daß bei den angekündigten Maßnahmen des Herrn Innenministers in erster Linie daran gedacht ist, gegen die wirklichen Kämpfer für Fortschritt, Frieden und Demokratie vorzugehen, nämlich gegen die Kommunisten und gegen die friedlichen Kräfte. Nach den Äußerungen, die Herr Justizminister Dr. Dehler in Berlin zu diesem Problem gemacht hat, bin ich zu dieser Vermutung berechtigt. Wir werden uns jeder faschistischen Methode widersetzen. Wir werden die Bevölkerung aufrufen, mit uns den *Kampf weiterzuführen für ein einheitliches demokratisches Deutschland, für ein Deutschland. in dem ein für allemal das Großkapital ausgeschaltet ist und die Militaristen nichts mehr zu sagen haben, in dem aber das werktätige Volk den entscheidenden Einfluß ausübt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano.
Meine Damen und Herren! Die Frage, ob der Bund für die Gesetzgebung über die Denazifizierung zuständig ist, wurde nur mit wenigen Wort gestreift. Ich neige dazu, die Frage in Übereinstimmung mit der Auffassung des Kabinetts zu verneinen. Wir haben diese Fragen auch im Parlamentarischen Rat besprochen; die Auffassung im Parlamentarischen Rat ging bei der Schaffung des Grundgesetzes dahin, daß der Bund auf diesem Gebiet keine Zuständigkeit besitzen werde. Man kann die Zuständigkeit auch nicht mit lapidaren Sätzen begründen, wie ich sie zu meiner Freude und Überraschung aus dem Munde des Herrn Kollegen Dr. Etzel gehört habe. Er sprach von der „elementaren fundamentalen Existenzfrage" und glaubte, mit dieser Begründung den Bund anrufen zu sollen, auf diesem Gebiete gesetzgeberisch tätig zu sein. Ich bin gespannt, ob Herr Kollege Dr. Etzel auch dann, wenn wirklich fundamentale Existenzfragen des Bundes hier be-
handelt werden, einer solchen extensiven Auslegung des Grundgesetzes zuneigen wird. Ich glaube, wir haben aus Rechtsgründen nicht die Möglichkeit, diese Frage im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes zu entscheiden. Wir werden uns darauf beschränken müssen, das zu tun, was bisher geschehen ist: im Justizkollegium eine möglichst gleichförmige Regelung dieser Frage anzustreben.
Die Notwendigkeit, das Problem der Denazifizierung zu beenden, und die Notwendigkeit, es möglichst einheitlich zu beenden, soweit die ganz verschiedene Gesetzgebung und die Praxis des Spruchkammerverfahrens es überhaupt zulassen, wird auch von meinen Freunden und von mir in Übereinstimmung mit meinem Freund Gerstenmaier unterstrichen.
Es sollte noch ein zweites gesagt werden. Manche Äußerungen, die hier gefallen sind, klangen nach der Melodie: Nicht der Mörder, sondern der Ermordete ist schuldig. Wir sollten uns von solchen Vorstellungen freimachen und notfalls distanzieren. Ich glaube, es war nicht gut und richtig, hier die Völkerrechtswidrigkeit dieser Gesetzgebung unter Berufung auf die Haager Landkriegsordnung zur Diskussion zu stellen. Ich fürchte, wir müßten uns doch den Einwand gefallen lassen, daß die Haager Landkriegsordnung nicht immer Richtschnur des Handelns der deutschen verantwortlichen Stellen war. Ich warne vor einem solchen falschen Zungenschlag. Es ist notwendig, die Denazifizierung in dem Sinne zu beenden, wie es mein Freund Gerstenmaier aussprach, nämlich eine Rechtsgrundlage für das
Ende dieses zweifellos vollkommen verfahrenen Unternehmens zu schaffen, damit wir auf Grund einer gemeinsamen Regelung — sei es auf Bundesebene, sei es durch übereinstimmende Regelung in den Ländern — die Voraussetzungen für ein Recht im Geiste einer echten Versöhnungsbereitschaft schaffen, so daß das gleiche Recht im ganzen Bundesgebiet gilt.
Aber ich wiederhole: diese Versöhnungsbereitschaft muß dort ein Ende finden, wo es darum geht, sich nicht nur mit der Vergangenheit als solcher, sondern auch mit den Erscheinungsformen der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ich wünschte, daß die Frage der Denazifizierung auch hier und im Ausschuß Anlaß gäbe, uns einmal mit den metaphysischen Vorgängen zu befassen, die das Jahr 1933 überhaupt ermöglicht haben, und uns freizumachen von der Vorstellung, daß die Jahre 1933-1945 nur ein historisches Akzidens seien, das man jetzt aus dem Bewußtsein herausmanipulieren könne, daß es genüge, sich von den äußeren Erscheinungsformen der Zeit zu distanzieren, ohne eine Antwort auf die Frage zu suchen: Wie kam es zu diesen Ereignissen, und wie können wir als diejenigen, die die Verantwortung für die Gestaltung des deutschen Schicksals tragen, alles tun, um eine ähnliche Fehlentwicklung endgültig zu verhindern?
Dazu genügt — darüber sind wir uns wohl alle im Hause klar — kein Denazifizierungsgesetz, mag es auch noch so gut oder noch so schlecht sein. Dazu reicht auch nicht der Versuch, lediglich einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, sondern das wird uns nur gelingen, wenn wir wirklich bereit und entschlossen sind, uns mit den Grundlagen unserer geschichtlichen Entwicklung dieser Jahre auseinanderzusetzen
und nach den Gründen zu forschen, die diese Fehlentwicklung ermöglicht haben, um aus der Erkenntnis die notwendigen Folgerungen für unser deutsches Schicksal zu ziehen. Wenn die Denazifizierung in diesem Sinne Anlaß sein wird, uns auf uns selbst und auf unsere Aufgabe zu besinnen, dann war sie selbst und war diese Debatte nicht fruchtlos.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Euler, und zwar im Sinne des § 50 als Schlußwort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Hinweis des Kollegen Erler auf einen Bericht über meine Tätigkeit als Landrat in Hersfeld in den Jahren 1945 und 1946 gibt mir die sehr willkommene Gelegenheit, einige Worte zur Richtigstellung zu sagen. Damals war der Mitwirkungsspielraum innerhalb der deutschen Exekutive — zu einem Zeitpunkt, als das Gesetz über die Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus überhaupt noch nicht galt, sondern die Exekutive in der amerikanischen Zone unter dem Gesetz Nr. 7 der Besatzungsmacht stand — außerordentlich begrenzt. Mein Verhalten hat die Bevölkerung bei den nachfolgenden Wahlen anerkannt. Sie erkannte an, daß ich von dem Platz eines Landrates aus alles getan habe, um einen möglichst großen Kreis von solchen Menschen, die nicht irgendwie als aktive Träger des Nationalsozialismus bezeichnet werden konnten, vor den •Folgen des Gesetzes Nr. 7 der amerikanischen Besatzungsmacht zu bewahren. Wenn Sie sich nähere Auskunft darüber holen wollen, dann gehen Sie nach Hersfeld. Ich habe die Auskunft, die Sie bekommen werden, in keiner Weise zu fürchten.
Aber nun etwas anderes. Wir sind als politische Partei bereits im Frühjahr 1946 mit ersten Anträgen im Hessischen Landtag hervorgetreten. Im Frühjahr 1947 sind erneut umfangreiche Anträge, die unsere Partei eingebracht hatte, im Hessischen Landtag behandelt worden. Dabei haben wir leider feststellen müssen, daß wir nicht die Unterstützung der Sozialdemokratischen Partei fanden, die uns sehr erwünscht gewesen wäre, um die Einheitsfront aller deutschen Parteien herzustellen in dem Sinne, daß wir hätten Initiative entwickeln können, um das Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus so einzuschränken und abzumildern, daß ein Teil der verhängnisvollen Folgen, die schon damals mit aller Klarheit vorauszusehen waren, vermieden worden wäre. Da die Frage des historischen Verlaufs von Ihnen aufgeworfen worden ist, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, wäre es ein Verstoß wider die Wahrheit, wenn ich hier nicht aussprechen würde, daß leider die Besinnung, die wir Ihnen schon früher gewünscht hätten, erst viel zu spät gekommen ist. Sie sind sehr lange Zeit Träger einer sehr scharfen Entnazifizierung gewesen und haben Gelegenheiten, die Ihnen geboten waren, um eine Einheitsfront mit dem Ziel einer Milderung und Abschwächung der Entnazifizierung in den Landesparlamenten herzustellen, nicht in dem Sinne unterstützt, wie das erforderlich gewesen wäre.
Wenn wir heute hier unseren Gesetzentwurf besprechen, dann stellen wir zwar fest: die Einsicht, daß die Entnazifizierung sich als sehr wenig segensvoll für die Heraufführung demokratischer Zustände in Deutschland erwiesen hat, ist allgemein geworden. Man wehrt sich aber noch dagegen, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Das spielt heute in die Frage der Bejahung oder Verneinung der Zuständigkeit des Bundes hinein. Wir bedauern ganz außerordentlich, daß sowohl der Herr Innenminister als auch die Vertreter der CDU die Zuständigkeit des Bundes glaubten verneinen zu sollen.
Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, die politische Verantwortung, von der man ausging, als es sich darum handelte, die Entnazifizierung einzuleiten, nimmt den Entnazifizierungsgesetzen nicht den Charakter strafrechtlicher Ahndung, und was besonders bedauerlich ist, meistens gar nicht der Ahndung von Taten, sondern nur von Gesinnungen und Haltungen. Wir haben kein entscheidendes Argument dagegen gehört, daß die Entnazifizierung strafrechtlichen Charakters sei, und ich glaube, in Anbetracht des Charakters der meisten Sühnemaßnahmen läßt sich gar nicht leugnen, daß die Entnazifizierung — ungeachtet dessen, daß ihr eigentlicher Zweck etwas anderes war — doch ihren Mitteln und Methoden nach durchaus als eine strafrechtliche Maßnahme angesehen werden muß.
Ich glaube, die vertiefte Unterhaltung über diese Frage im Ausschuß wird zu dem Ergebnis führen, daß eine Mehrheit für die Bejahung der Bundes-Zuständigkeit zu finden sein wird.
Lassen Sie mich noch auf einen praktischen Gesichtspunkt hinweisen, der nicht bestritten werden kann. Gerade die Regelung auf Landes-basis mit dem Ergebnis, daß die in den Ländern ergehenden Entnazifizierungsschlußbestimmungen völlig verschiedenartigen Inhalts sind, sollte uns auf den richtigen Weg führen. Die Entnazifizierungsschlußgesetze in einigen Ländern - und es ist kein Zufall: gerade in den Ländern, in denen die Sozialdemokratie eine beherrschende Stellung innehat — führen eben tatsächlich nicht zur Beendigung der Entnazifizierung, sondern in gewisser Weise zu ihrer Verewigung. Beispielsweise befinden sich in dem von der hessischen Landesregierung erlassenen Gesetz zwei Bestimmungen,
die klar herausstellen, daß es bei der zukünftigen Personalpolitik auf die Einstufung nach den Kategorien des Entnazifizierungsgesetzes ankommen solle. Es ist uns durchaus unerwünscht, Ländergesetze zu ermöglichen, die einen derartigen Inhalt haben. Wenn die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung unter anderem die Beendigung, und zwar die schnellstmögliche Beendigung der Entnazifizierung verheißen hat, dann konnten wir darunter nicht die Durchführung von Entnazifizierungsschlußgesetzen in den einzelnen Ländern verstehen, und so ist das wohl auch von der Regierung damals nicht verstanden worden. Nein, damals war mit Recht
daran gedacht, die Entnazifizierung durch ein einheitliches Gesetz auf Bundesbasis zu beenden. Um dieses Gesetz werden wir kämpfen, und wir hoffen, daß wir es in diesem Bundestag durchsetzen werden.
Meine Damen und Herren! Ein weiteres Schlußwort von zwei Minuten zu dem Antrag Nr. 561 hat noch der Herr Abgeordnete Dr. Richter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erkenntnis, daß mit der Entnazifizierung Schluß gemacht werden muß, hat sich ja nun allmählich ziemlich weit verbreitet. Nur stellen wir fest, daß man hier mit allerhand Einwänden gekommen ist, die eigentlich gar keinen sachlichen Hintergrund hatten. Es ist davon die Rede gewesen, daß man denjenigen, denen wirklich Verbrechen nachgewiesen werden können, jetzt freien Lauf lassen wollte. Hätte man, bevor man derartige Töne hier im Parlament anschlug, unseren Antrag genau durchgelesen, hätte man festgestellt, daß davon bei uns und bei dem Gesetzesantrag der FDP gar keine Rede sein kann. Wenn weiter davon die Rede ist, man müsse sich ansehen, von welcher Seite die Anträge kämen,
so nehmen wir das zur Kenntnis. Ich möchte nur eines feststellen. So engstirnig sind wir bisher nicht verfahren, denn wir haben auch dann Anträgen von einer ganz anderen Seite zugestimmt, wenn wir sie für gut hielten und wenn sie mit unserer ganzen Zielsetzung übereinstimmten. Wir stellen uns nicht nur vor den Wahlen vor die Leute hin und erzählen ihnen beispielsweise, daß wir mit allerhand Einwänden gegen die Entnazifizierung sind, um dann im Bundestag die Entnazifizierung zu durchkreuzen. Ich glaube. daß man wirklich einen Schlußstrich darunter ziehen soll; das ist heute höchste Zeit. Wenn man dafür sorgen will. daß diese Dinge in eine geordnete rechtliche Bahn kommen und daß nicht mehr wie bisher ungeheure Steuergelder für Schauprozesse vergeudet werden, die in diesem Rahmen in Deutschland durchgeführt wurden, dann, glaube ich, ist es Zeit, daß man sich zur Tat aufrafft und nicht bloß Worte gegenüber dem Volk macht. Deshalb bitte ich Sie, diesem Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest: die Aussprache über die Anträge Drucksachen Nr. 482 und 561 ist geschlossen. In beiden Fällen liegt der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß vor.
— Getrennt, selbstverständlich! Wer für die Überweisung der Drucksache Nr. 482 an den Ausschuß ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Das ist wohl ein fast einstimmiger Beschluß.
Wir kommen nunmehr zu der Abstimmung über den Antrag auf Überweisung der Drucksache Nr. 561 an den Ausschuß. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke.
Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit. Damit ist der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß und der Antrag als solcher abgelehnt.
Herr Abgeordneter Dr. Etzel, Sie hatten sich noch zu einer persönlichen Erklärung nach Schluß der Beratung gemeldet. Ich erteile Ihnen zu dieser persönlichen Erklärung im Sinne des § 84 der Geschäftsordnung das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Die Ausführungen einiger Debatteredner könnten so gedeutet werden, als wären sie der Meinung, ich hätte die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes im Bereich der Entnazifizierung bejaht. Das Gegenteil ist der Fall.
Ich habe ausdrücklich erklärt, daß eine solche Zuständigkeit im Hinblick auf den Artikel 139 des Grundgesetzes und des § 2 des Wahlgesetzes nicht besteht. Ich habe weiterhin gesagt, die Angelegenheit sei für uns von so eminenter Bedeutung, daß sie uns veranlassen könnte, die Zuständigkeit des Bundes zu bejahen, wenn das rechtlich ginge, und ich habe ausdrücklich weiter hinzugefügt, daß ich mir nur einen Weg als erfolgreich vorstellen kann, nämlich den der Initiative des Herrn Bundesinnenministers bei den Länderregierungen. Ich habe weiter hinzugefügt, daß ich es durchaus nicht als eine Schande erachte, wenn die Länderregierungen auf Grund dieser Initiative in einer größeren Übereinstimmung ihre bisher erlassenen Gesetze revidieren. Die Länderregierungen revidieren, nicht der Bund.
Meine Damen und Herren! Wir kehren nunmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung zurück:
Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Neufestsetzung der Kohlenpreise .
Darf ich über die Redezeit folgendes bekanntgeben. Der Ältestenrat schlägt gemäß § 88 der Geschäftsordnung vor, die Gesamtredezeit auf 90 Minuten zu beschränken. Darf ich dazu das Einverständnis des Hauses feststellen? — Ich höre keinen Widerspruch. — Es ist demgemäß beschlossen.
Für die Begründung durch die Antragsteller sind 20 Minuten vorgesehen. Wer von den Herren Antragstellern wünscht das Wort zur Begründung? — Herr Abgeordneter Imig, bitte!
Imig , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die mit Wirkung vom 1. 1. 1950 erfolgte Regelung des Kohlenpreises ist auf die Vorgänge bei der Festsetzung des neuen Verrechnungskurses der D-Mark anläßlich der Pfundabwertung zurückzuführen. Die Bundesregierung hatte damals der Hohen Kommission einen Kurs von 22,5 Dollar-Cent vorgeschlagen. Aber dann hat die Hohe Kommission am 28. 9. in einem. Memorandum den Beschluß festgelegt, daß diese Kursfestsetzung 23,8 Dollar-Cent sein solle. Diese Festsetzung war mit ganz bestimmten Vorschriften verbunden, und zwar einmal unter Ziffer 2, daß jegliche diskriminierenden Maßnahmen zu verschwinden haben, zweitens: Aufhören jeglichen Dumpings, und zum dritten: Einstellung jeglicher Subsidien für diese beiden Maßnahmen. Wir haben anläßlich der damaligen Debatte auf diese Punkte gar nicht so sehr Gewicht gelegt, aber heute zeigt es sich, daß sie schon zu ihrer Wirkung kommen. Denn jetzt hat Holland schon bei der Ruhrbehörde Einspruch eingelegt, weil Holland es als diskriminierende Maßnahme auffaßt, daß die Exportkohle nach der Schweiz und Frankreich billiger ist als nach Holland.
Worauf sich heute unsere Eingabe stützt, das ist die Ziffer 3; denn da stand die Vorschrift, daß binnen 7 Tagen Maßnahmen zu treffen seien, daß die Kohle importierenden Länder durch die Abwertung der D-Mark nicht geschädigt werden dürften. Es waren auch Vorschläge dazu angegeben, und unter diesen Vorschlägen stand einmal die Aufrechterhaltung desselben Preises für Exportkohle vor der Abwertung, zum andernmal Angleichung der Export- und Inlandpreise, daß die Differenz nicht größer sein sollte als vor der Abwertung. Für die Durchführung sollte die Bundesregierung Maßnahmen vorschlagen. Anläßlich der Bekanntgabe dieses Memorandums hat dann der Herr Bundeskanzler im Namen der Bundesregierung Erklärungen abgegeben, die ich hier einmal wörtlich vorbringen möchte:
Wir sind der Auffassung, daß eine derartige Heraufsetzung aus Anlaß der Angleichung des Verrechnungskurses der D-Mark an den Dollar
— er betonte nicht Abwertung der D-Mark — für die deutsche Wirtschaft unmöglich und 'untragbar ist. Wir werden diesen Weg unter keinen Umständen beschreiten. Ich erkläre das ausdrücklich namens der Bundesregierung.
Mit dieser Erklärung des Herrn Bundeskanzlers waren nun wohl die Parteien des Hohen Hauses sämtlich einverstanden; denn auch Herr Dr. Bucerius, der Sprecher der CDU, sagte:
Wir haben mit Genugtuung vernommen, daß die innerdeutschen Kohlenpreise unter keinen Umständen erhöht werden dürfen, weil eine solche Erhöhung das bestehende deutsche Preis- und Lohngefüge stark erschüttern würde. Die CDU/CSU-Fraktion bittet die Bundesregierung, an diesem Standpunkt bei der Verhandlung unter allen Umständen festzuhalten.
Mein Fraktionsfreund Kollege Dr. Schumacher ersuchte dann die Bundesregierung um ein detailliertes Programm von Abwehrmaßnahmen unter der Bedingung, daß die Bewilligung der dafür erforderlichen Mittel der Zuständigkeit des Hohen Hauses unterliegen sollte. Aber, meine Damen und Herren, ich bin der guten Meinung: wenn die Bundesregierung diesem Ersuchen nachgekommen wäre, dann wäre sie ihrer sonstigen Handlungsweise untreu geworden.
Am 29. 9. hat dann nochmals eine Unterredung auf dem Petersberg stattgefunden. Auch hier wurde § 3 des Memorandums noch einmal erwähnt, und die Bundesregierung sollte dazu neue Vorschläge ausarbeiten. Die Hohe Kommission hat nun zu Anfang Dezember zu Verhandlungen geladen, die auf dem Hügel zunächst unter Hinzuziehung von zwei Vertretern der DKBL stattgefunden haben. Aber damit im Hohen Hause kein Irrtum aufkommt, möchte ich sagen, daß die DKBL keine Wirtschaftsabteilung der Ge-
werkschaften, sondern die Deutsche Kohlenbergbauleitung ist. Seitens dieser Vertreter der DKBL wurde jede Änderung des Kohlenpreises, die die Kostenlage des Bergbaues nach der Minusseite beeinflussen konnte, abgelehnt. Die Verhandlungen sind dann ohne die DKBL weitergeführt worden und ergaben das bekannte Resultat: 2 Mark 18 je Tonne Minderung des Exportpreises und Erhöhung des Inlandpreises um 30 Pfennig je Tonne. Dazu kommt noch der Krisenzuschlag der Bundesbahn für die Kohlenfrachten von 121/2 vom Hundert: Verteuerung pro Tonne 10 Pfennig. Aber das wollen wir in der Rechnung nicht weiter berücksichtigen.
Die Regelung ist natürlich nicht in 7 Tagen erfolgt. Es hat auch keine Erhöhung des Inlandpreises um 25 Prozent stattgefunden. Aber im Prinzip ist die Bundesregierung gedrängt worden, diesen Weg zu beschreiten. Die Senkung des Exportpreises um 2 Mark 18 und die Erhöhung des Inlandpreises um 30 Pfennig bewirkt, daß die jetzige Differenz zwischen Inlandpreis und Exportpreis 5 Mark 50 beträgt. Wir haben bisher nach den amtlichen Berechnungen im Bundesgebiet 104 Millionen Tonnen Kohle gefördert. Davon wurden 22 Millionen Tonnen exportiert — ohne 5 Millionen Tonnen Braunkohlebriketts —, und nach diesem Stande haben wir einen Exportmindererlös von rund 48 Millionen D-Mark. Es erfolgt natürlich ein teilweiser Ausgleich, durch die Erhöhung des Inlandpreises mit 25 Millionen D-Mark, so daß wir also im Bergbau einen Mindererlös von rund 23 Millionen D-Mark zu verzeichnen haben. Das bewirkt, daß für den Inlandsverbrauch eine ungedeckte Spanne von 0,36 D-Mark je Tonne vorhanden ist. Natürlich sind dann einige große Bedarfsträger von dieser Erhöhung ausgenommen worden, wie die Bundesbahn, Eisen- und Stahlindustrie, Elektrizitätswerke, Gas- und Wasserwerke, die einen Verbrauch von rund 26,2 Millionen Tonnen haben. Das sind also rund 32 Prozent des Inlandabsatzes. Die gesamte darauf entfallende Mehrbelastung wird dem verbleibenden Inlandsrestverbrauch zugeschrieben. Man hat wahrscheinlich mit der Herausnahme der großen Bedarfsträger ein Ausweichen vor den Rückschlägen auf die Preisgestaltung bewirken wollen. Aber selbst diese Möglichkeit, die man da zu erschöpfen versucht, kann natürlich nicht bewirken, daß die übrige Industrie, die ja auch Kohlenverbraucher ist, diese Erhöhung ohne weiteres absorbieren kann. Die Wirkungen dieser Handlung sind schon damals bei der Debatte über das Memorandum der Hohen Kommission sämtlich geschildert worden, namentlich eine starke Beeinflussung unserer Handelsbilanz durch den Verlust von Devisenbeträgen, die für uns so äußerst wertvoll sind,
Aber das Ganze berührt auch noch eine zweite Seite, und das ist die Lohnfrage. Es ist nun einmal so, daß einer der lohnintensivsten Betriebe der Bergbau ist. Hier erfolgt die Ertragsberechnung nicht nach Mark, sondern nach Pfennigen. Meine Damen und Herren! Bei der jetzigen Jahresförderung bedeutet ein Pfennig pro Tonne Kohle eine Million D-Mark. Durch die Erhöhung der Belegschaft und die persönliche Leistungssteigerung des Bergmannes ist eine Verbesserung der Kostenlage des Bergbaues um 2 Mark 50 je Tonne verwertbarer Förderung erzielt worden. Dieses durch die Leistungssteigerung bedingte Kostenbild wird durch die Neubelastung von 0,36 D-Mark stark gefährdet. Bis jetzt haben die Bergarbeiter bewiesen, daß sie für die wirtschaftlichen Verhältnisse immerhin Verständnis aufgebracht haben. Sie haben bei der letzten Lohnforderung diese Tatsache eben in Rechnung stellen müssen. Das ist der Beweis einer wirtschaftlichen Vernunft und die Anerkennung wirtschaftlicher Verhältnisse, und diese wirtschaftliche Vernunft und diese Anerkennung der wirtschaftlichen Verhältnisse möchte ich auch allen Verfechtern der freien Marktwirtschaft einmal anempfehlen.
Es wäre manche Unzufriedenheit beseitigt worden, wenn man dem nachgekommen wäre. Nach den Gesetzen der freien Wirtschaft gilt nun eben einmal das freie Spiel der Kräfte. Was würde aber daraus werden, wenn einmal beide Sozialpartner diesen Standpunkt vertreten würden!
Der Herr Wirtschaftsminister hat als Rezept, um dieses Minus wieder auszugleichen, erhöhte Leistungen empfohlen. Erhöhte Leistungen bedeuten aber Investitionen für die Mechanisierung. Das ist ein langfristiges Programm und kann nicht von heute auf morgen verwirklicht werden. Die physische Leistung des einzelnen Arbeiters im Bergbau ist in einem dauernden Ansteigen begriffen. Auf der anderen Seite haben wir aber zu verzeichnen, daß der Kohlengroßhandel eine Erhöhung seiner Handelsverdienstquote von 50 Prozent bekommen hat.
Das bedeutet für den Konsumenten einfach eine Gewinnverlagerung vom deutschen Kohlenverkauf auf den Kohlenhandel; aber für uns als Bergarbeiter bedeutet das eine Minderung des Erlöses des Bergbaues; das ist ein wesentlicher Unterschied. Es handelt sich hier um eine Verdienstspanne, die nahezu 20 Millionen Mark ausmacht. Meine Damen und Herren, ich darf es einmal deutlich sagen, daß es die Bergarbeiter satt haben, daß auf ihre Kosten Preispolitik getrieben wird. Die Bergarbeiter haben durch ihr Verhalten in aller Deutlichkeit gezeigt, daß sie gewillt sind, den wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Sie haben deswegen auch in bezug auf das Mitbestimmungsrecht ganz bestimmte Forderungen zu stellen. Ich habe einmal in diesem Hohen Hause eine Äußerung der Rechten gehört: „Das müßte schön aussehen, wenn die Arbeiter mitbestimmen würden". Ich verstehe eigentlich gar nicht, warum Sie so ängstlich sind. Wir haben bisher zwei Kriege gehabt, die ein gerüttelt Maß von Not und Elend, von Trümmern und Schutt geschaffen haben. Wenn ich einmal zynisch werden darf, möchte ich Ihnen ehrlich versichern, daß der dümmste Funktionär innerhalb der Gewerkschaften noch viel zu schlau dazu ist, um einen derartigen Haufen von Dreck und Schutt hinzulegen. In dieser Beziehung können Sie also eigentlich unbekümmert sein.
Sie berufen sich immer darauf, daß diese Maßnahmen ergriffen werden müßten, um zu einer blühenden Wirtschaft zu kommen. Die „blühende Wirtschaft" mit dem „ehrlichen, tüchtigen" Unternehmer haben wir schon gehabt, und zwar so, daß nahezu nichts mehr daran auszubauen war; und wir haben dabei Millionen von Erwerbslosen gehabt. Es handelt sich nicht nur um
ein Produktionsproblem, sondern es ist in der Hauptsache mit ein Verteilungsproblem. Und wenn Sie sich auf den tüchtigen und ehrlichen Unternehmer berufen, dann vergessen Sie nicht, meine Damen und Herren, daß der skrupellose und hemmungslose Unternehmer immer noch dem ehrlichen und tüchtigen überlegen ist!
An den Herrn Bundesminister habe ich noch die Frage zu richten, inwieweit die Erhöhung der Quote für den Kohlengroßhandel jetzt noch einen zusätzlichen Gewinn für diesen bedeutet.
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Neuregelung der Kohlenpreise ab 1. Januar 1950 geht nicht auf einen Vorschlag der Bundesregierung zurück, sondern erfolgte auf Veranlassung der Alliierten Hohen Kommission, die für die Festsetzung der deutschen Kohlenexportpreise nach Anweisung Nr. 33 der JEIA die alleinige. Zuständigkeit hat. Es ist daran zu erinnern, daß die Hohe Kommission bei der Festsetzung der Kohlenexportpreise unmittelbar nach der D-
Mark-Abwertung die Bundesregierung vor die Alternative stellte, entweder die Kohlenexportpreise um den vollen Betrag der D-Mark-Abwertung zu senken oder aber die deutschen Inlandspreise für Kohle so zu erhöhen, daß das bisherige Verhältnis zwischen Inlands- und Auslandspreis unverändert blieb. Die Bundesregierung hat in diesem Zusammenhang damals er- klärt, daß sie eine Erhöhung der Inlandspreise der Kohle keineswegs vorzunehmen wünsche und daher den Weg unveränderter D-Mark-Exportpreise, das heißt um den vollen Abwertungsbetrag gesenkter Dollarerlöse wähle.
Ich darf hinzufügen, daß diese Entscheidung richtig gewesen ist; denn es wäre angesichts der Entwicklung auf dem Weltmarkt und des Verhaltens Englands im Kohlenexport selbstverständlich gar nicht möglich gewesen, die alten Dollarerlöse aufrechtzuerhalten.
Die Inlandspreisvorschläge der Bundesregierung wurden von der Hohen Kommission angenommen, jedoch mit der Klausel, daß im Laufe der kommenden Monate eine Überprüfung der Exportpreise mit dem Ziel vorzunehmen sei, ein revidiertes Preisschema ab 1. Januar 1950 einzuführen. Inzwischen wurde die bestehende Differenz zwischen dem Exportpreis und Inlandspreis für westdeutsche Kohle und Koks Gegenstand starker Kritik seitens der Organisation für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas; denn es bestand zwischen Inlandspreis und Exportpreis eine Differenz von ungefähr 8 Mark. Maßgebend war und ist dabei die Auffassung, daß ein einheitliches Niveau der Kohlekosten in den europäischen Ländern eine wichtige Voraussetzung für eine zukünftige europäische Wirtschaftseinheit bildet. In den Verhandlungen der OEEC in Paris wurde bezüglich der Kohle hierzu herausgestellt, daß die Wirtschaft der auf Kohleeinfuhr aus Deutschland angewiesenen Länder — selbstverständlich auch in England — durch die Höhe der Kohlenexportpreise gegenüber den kohleexportierenden Ländern mit ihren niedrigen Inlandspreisen erheblich benachteiligt werde und daß diese Doppelpreise abgeschafft werden sollen, da sie eine Beeinträchtigung des europäischen Wiederaufbaues bedeuten.
In Verfolgung dieser Linie überreichte die Alliierte Hohe Kommission der Bundesregierung Anfang Dezember ein Memorandum, in dem mitgeteilt wurde, daß eine Dreimächte-Studiengruppe für deutsche Kohlepreise angewiesen worden sei, sich mit von der Bundesregierung zu benennenden Sachverständigen in Verbindung zu setzen, um neue Kohlen-Exportpreise für das erste Quartal 1950 aufzustellen und zu einem Abkommen über die Verminderung der zwischen dem deutschen Exportpreis und dem Inlandpreis für Kohle bestehenden Differenz zu gelangen. Diese Differenz betrug, wie ich schon sagte, 8 D-Mark pro Tonne. Weiter wurde in dem Memorandum darauf hingewiesen, daß die Sachverständigen der Alliierten Hohen Kommission eine Verringerung der Differenz um 50 Prozent, das heißt also um 4 D-Mark pro Tonne, in Erwägung gezogen hätten.
Die Bundesregierung wünschte sich diesen Verhandlungen vor allem auch deshalb nicht zu entziehen, weil sie grundsätzlich die Konzeption der Abschaffung der Doppelpreise als förderndes Moment für die europäische Wirtschaftseinheit anzuerkennen bereit war und den Wunsch hatte, einen praktischen Beitrag im Sinne der europäischen Zusammenarbeit zu leisten. Obwohl dies ein sehr erhebliches Opfer bedeutete, erklärte sich die Bundesregierung schließlich bereit, die Kohlen-Exportpreise um 2,18 D-Mark je Tonne zu senken und gleichzeitig den Inlandspreis nur in einem solchen Umfang zu erhöhen, daß sich keinesfalls Auswirkungen auf das gesamte Preisgefüge befürchten ließen. Diese Erhöhung betrug 0,30 D-Mark pro Tonne für den Inlandspreis. Die alliierte Kommission zeigte schließlich für den deutschen Standpunkt Verständnis und nahm den deutschen Vorschlag als einen ersten Schritt in der Richtung auf Abschaffung der Doppelpreise an, obwohl die damit erreichte Verringerung der Spanne zwischen Inlands- und Exportpreis um 30 Prozent nicht den Forderungen der Alliierten Hohen Kommission entsprach.
Bei der Erhöhung des Inland-Kohlepreises um 0,30 D-Mark je Tonne im Durchschnitt nahm die Bundesregierung weitgehend Rücksicht auf die Verbrauchergruppen mit hohem Kohlenkostenanteil. So wurden die Preise der Kohlensorten, die vornehmlich für den Verbrauch der Bundesbahn, der eisenschaffenden Industrie und der Versorgungsbetriebe in Betracht kommen, nicht oder nur sehr geringfügig erhöht. Im übrigen sind mit der am 1. Januar 1950 in Kraft getretenen Kohlenpreiserhöhung im Inland keine wesentlichen Auswirkungen auf andere Produktpreise zu erwarten, da das Ausmaß dieser Kohlenpreiserhöhung nicht einmal ein Prozent des bis dahin gültigen Kohlenpreises beträgt. Bei der überwiegenden Zahl der Industrien sind bisher Auswirkungen auf die Produktpreise nicht bekanntgeworden.
Der Bergbau selbst hat erkennen lassen, daß eine Erhöhung der Inlandpreise um 0,30 D-Mark je Tonne im Durchschnitt nicht ausreiche, um die Erlösminderung im Export auszugleichen. Eine Erhöhung um 0,66 D-Mark je Tonne wurde vom Bergbau als erforderlich bezeichnet, eine Forderung, die die Bundesregierung mit Rücksicht auf die Gefahr einer Auswirkung auf das gesamte Preisgefüge nicht erfüllen zu können glaubte.
Im übrigen hätte nach Auffassung der Bundesregierung eine durchschnittliche Erhöhung um 0,50 D-Mark je Tonne zur vollen Abdeckung der Erlösminderung im Export genügt. Die sich danach ergebende ungedeckte Differenz ist nicht so bedeutend, um nennenswerte Auswirkungen auf die Rentabilitätslage, die Förderung und die sozialen Leistungen der Bergbaubetriebe zu haben.
In einem von der Alliierten Hohen Kommission veröffentlichten Presse-Kommuniqué zu den neuen deutschen Kohle-Exportpreisen wurde darauf hingewiesen, daß die ab 1. Januar 1950 erfolgte Erhöhung der deutschen Bahnfrachten nicht zu Lasten der ausländischen Abnehmer von deutscher Kohle gehen werde. Demgegenüber hat die Bundesregierung in einer Note an die Alliierte Hohe Kommission darauf hingewiesen, daß in den Dezember-Verhandlungen zur Neuordnung der Kohle-Exportpreise von den deutschen Sachverständigen eindeutig dargelegt und in ihrem endgültigen Preisvorschlag zum Ausdruck gebracht wurde, daß sie eine nachträglich erfolgende Erhöhung der Bahnfrachten in der Freistellung für die Frei-Grenze-Preise Berücksichtigung finden müsse. Da die Alliierte Hohe Kommission darauf bestand, daß die Kohlen-Exportpreise ohne Berücksichtigung der inzwischen erfolgten Erhöhung der Bahnfrachten den ausländischen Abnehmern bekanntgegeben würden, was inzwischen geschehen ist, sah die Bundesregierung nur den Ausweg, gleichzeitig mit der eben genannten Note der Alliierten Hohen Kommission neue Exportpreisvorschläge zu übermitteln, in welchen die Bahnfrachterhöhungen Berücksichtigung finden, und der Erwartung Ausdruck zu geben, daß die Alliierte Hohe Kommission sich bereit findet, auf der Grundlage dieser Vorschläge über eine Revision der Exportpreise zusammen mit deutschen Sachverständigen zu beraten. Auf Grund dieser Vorschläge haben Verhandlungen stattgefunden, die noch nicht zum Abschluß gelangt sind.
Ich darf zur Kosten- und Ertragslage noch folgendes sagen. Der Bergbau beziffert unter Berücksichtigung der Kohlenpreiserhöhung um 0,30 D-Mark je Tonne den Verlust des Bergbaues infolge der Senkung des Exportpreises auf rund 20 Millionen D-Mark pro Jahr, erklärt die Mindereinnahme für außerordentlich bedeutsam und leitet daraus Ansprüche auf Erhöhung der Subventionen her. Der Bergbau bezieht sich hierbei auf den Bericht des Enquête-Ausschusses aus dem Jahre 1949, in dem unter anderem ausgeführt wird, daß der Ausschuß im gegenwärtigen Augenblick keine Möglichkeit sieht, dem Wirtschaftsrat eine allgemeine Preissenkung für Steinkohle und so weiter zu empfehlen, da das Ergebnis der Untersuchungszeit weder eine Preissenkung noch eine Preiserhöhung rechtfertigt. Der Enquête liegen eingehende Untersuchungen zu Grunde, die sich jedoch auf die Verhältnisse im Bergbau vom September 1948 beziehen.
In der Zwischenzeit sind eine Reihe von Veränderungen der Kosten- und der Ertragslage des Kohlenbergbaues eingetreten, und zwar sowohl solche, die in Richtung einer Senkung der Kosten und einer Erhöhung der Erträge gehen, wie andererseits auch solche, die die Kosten- und Ertragslage ungünstig beeinflussen. Unter anderem kann darauf hingewiesen werden, daß die Förderungsziffern im Steinkohlenbergbau sich von September 1948 bis Januar 1950 von rund 290 000 Tonnen auf -360 000 Tonnen Tagesleistung erhöht haben. Auch die Leistung pro Mann und Schicht ist von 1150 Kilogramm in der gleichen Zeit auf 1380 Kilogramm gestiegen. Eine Reihe von Materialkosten haben sich nicht unwesentlich verringert. Zum Beispiel ist der Grubenholzpreis in der gleichen Zeit von 35 D-Mark je Festmeter auf 31 D-Mark je Festmeter gesunken, und gleichzeitig ist der Grubenholzverbrauch von 33,8 Festmeter auf 27,4 Festmeter pro 1000 Tonnen Förderung gesunken, was zum Teil allerdings mit einem stärkeren Einsatz von Eisen, zum Teil aber auch mit der Lieferung besserer Hölzer in angemessenen Abmessungen zusammenhängt. Diese Steigerung der Leistung und Verminderung der Unkosten kann nicht ohne wesentliche Einwirkung auf die Ertragslage, auf die Frage der Abschreibungen und die Höhe des Kapitaldienstes sein. Auf der anderen Seite ist es nicht zu leugnen, daß die inzwischen eingetretene Lohnerhöhung, die Steigerung der Sozialkosten und die Veränderung der Urlaubsregelung sowie die Senkung der Exporterlöse sich in der entgegengesetzten Richtung bemerkbar machen müssen, es sei denn, daß gleichzeitig eine weitere Leistungssteigerung eintritt.
Von dem Bundesministerium für Wirtschaft ist daher eine erneute Prüfung der Kosten- und Ertragslage eingeleitet worden, die die Veränderungen seit der erwähnten Kohlenenquête berücksichtigen soll. Die Prüfung ist noch nicht völlig abgeschlossen. Nach ihrem Abschluß wird die Regierung zu den Forderungen des Bergbaus Stellung nehmen.
Was nun die Frage der Kohlenhandelswege anlangt, so sind Unterschiede zwischen der britischen, amerikanischen und französischen Zone festzustellen. In der amerikanischen Zone wurde auf Verlangen der US-Militärregierung durch Beschluß des süddeutschen Länderrats mit Wirkung vom 1. 7. 1946 die Festlegung der Lieferbeziehungen — der sogenannte zementierte Handelsweg — aufgehoben und der freie Wettbewerb beim Absatz von Kohle wiederhergestellt. Der Verbraucher ist in der Wahl seines Lieferers frei.
In der britischen Zone hat bis vor kurzem noch der zementierte Handelsweg bestanden. Ich darf in Erinnerung an Verhandlungen im Wirtschaftsrat noch sagen, daß seinerzeit gerade auch von der SPD, insbesondere von dem Abgeordneten Dahrendorf, mir gegenüber wiederholt die Auflösung der zementierten Handelswege als dringend notwendig bezeichnet wurde. Für die britische Zone stellt sich die Sache wie folgt dar. Auf Grund der Ende Dezember 1949 zwischen der Kohlenabsatzorganisation, Deutscher Kohlen-Verkauf, und dem Kohlengroßhandel getroffenen Vereinbarung sind alle Geschäfte mit Industrieverbrauchern mit einem Jahresbedarf bis zu 6000 Tonnen dem Großhandel überlassen. Der Verbraucher ist in der Wahl des Händlers frei. Geschäfte über 6000 Tonnen bleiben dem DKV als Direktgeschäft. Soweit der Großhandel allerdings industrielle Verbraucher mit einem Jahresbedarf von über 6000 Tonnen bisher schon beliefert hat, bleiben ihm diese Geschäfte erhalten. Dem Großhandel bleiben ferner die Lieferanteile bei solchen Industrieverbrauchern, deren Jahresbedarf über 6000 Tonnen liegt und
bei denen er bereits in Mitlieferung steht. Lieferungen an Kohleneinzelhändler werden ausschließlich über den Kohlengroßhandel ausgeführt. Selbstverständlich übernimmt der Kohlengroßhandel damit auch die Kosten des Delkredere und die Funktionskosten, die damit verbunden sind.
In der französischen Zone gilt folgendes. Die Festlegung der Lieferbeziehungen ist mit Wirkung vom 1. 10. 1948 aufgehoben, jedoch mit der Maligabe, daß alle Verbraucher mit einer Jahresabnahme von 2400 Tonnen der Oberrheinischen Kohlen-Union zur unmittelbaren Belieferung vorbehalten sind. Mit der Umgestaltung der Oberrheinischen Kohlen-Union wird auch eine Neuregelung über die Tonnengrenze zu erfolgen haben.
Infolge der Lockerung des zementierten Handelsweges in der britischen Zone entgeht dem Bergbau jährlich ein bestimmter Betrag an Rabatten, der nunmehr dem Großhandel eingeräumt werden muß. Dieser Betrag wird aber nur auf 3,8 Millionen D-Mark im Jahr veranschlagt. Der dem Bergbau dadurch entstehende Verlust wird durch die Erwägung kompensiert, daß dem Kohlenbergbau bei einer Auflockerung der Kohlenlage, also insbesondere bei steigender Produktion, bei einsetzender Kohlenschwemme an einem leistungsfähigen Großhandel viel gelegen sein muß. Diese Stärkung des Kohlengroßhandels ist auf anderem Wege nicht zu erreichen. Immerhin ist im Hinblick auf die finanzielle Lage des Bergbaus von einer vollständigen Aufhebung des zementierten Handelsweges abgesehen und nur die oben skizzierte Lockerung durchgeführt worden. Außerdem steht die Aufgabenteilung zwischen Bergbau und Großhandel im Einklang mit den Grundgedanken der Wirtschaftspolitik. Auch. war es notwendig, eine allmähliche Angleichung der Verhältnisse in der britischen und amerikanischen Zone vorzunehmen. Der jetzt noch bestehende Unterschied kann in Kauf genommen werden, da der Großhandel in der amerikanischen Zone auch früher eine freiere Stellung gegenüber dem zechengebundenen Handel der jetzigen britischen Zone gehabt hat.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rische. Herr Abgeordneter, im Rahmen der Vereinbarung über die Redezeit entfallen auf Sie 8 Minuten.
Meine Damen und Herren! Seit jeher ging es in der deutschen Politik uni die Kohle des Ruhrgebiets. Leider können wir uns erst heute mit einer Angelegenheit beschäftigen, die von der Regierung schon vor einiger Zeit eigenmächtig entschieden wurde, nämlich mit der zweiten Herabsetzung des Exportkohlepreises und der Erhöhung des Inlandkohlepreises. Der Exportpreis deutscher Kohle erfuhr bekanntlich innerhalb weniger Monate eine zweite Senkung, und zwar um 2,18 D-Mark je Tonne. Damit hat die Adenauer-Regierung — wie ich schon sagte, in eigenmächtiger Art und Weise — der deutschen Wirtschaft, und zwar auf Grund des Befehls der Hohen Kommission, erneut einen schweren Schlag versetzt.
Herr Abgeordneter Rische, Sie hatten ausreichend Gelegenheit, hier zu Wort zu kommen.
— Es waren acht.
Ich glaube, daß man der Bundesregierung bei ihrer Erklärung nur folgen kann, daß sie noch verhältnismäßig glücklich davongekommen ist indem sie gegenüber der Forderung auf Senkung der Spanne zwischen Auslands- und Inlandspreis um 50 Prozent, die an uns herangebracht war, die Spanne um nur 30 Prozent senkte. Daß wir für unsere Kohle bei der Ausfuhr nicht mehr erzielen können, ist an sich höchst bedauerlich, besonders weil auch die letzte Preissenkung an sich marktwirtschaftlich nicht unbedingt geboten war. Aber wir müssen auf der anderen Seite, wie es der Herr Bundeswirtschaftsminister schon ausgeführt hat, auch anerkennen und uns mit der Bundesregierung in der Hoffnung vereinigen, daß unser Schritt, den der Herr Bundeswirtschaftsminister als ein Opfer bezeichnet hat, auf dem Wege zur weiteren Liberalisierung des europäischen Handels sich für ganz Europa als nützlich erweisen wird.
- Das wird sich herausstellen.
— Nein, das wissen wir nicht.
Wir haben allerdings einen Wunsch. Der Kampf gegen die Diskriminierungen, das heißt gegen das zweigleisige Preissystem, das wir bei uns abzubauen auf dem Wege sind, sollte möglichst auch in anderen Ländern geführt und gewonnen werden, damit auch die deutsche Wirtschaft einmal in die Lage kommt, Einfuhrgüter, die sie aus dem Ausland erwerben muß, zu den billigeren Inlandspreisen des Auslandes und nicht zu den höheren Weltmarktpreisen zu beziehen.
Wir halten, wie ich mir bereits zu erklären erlaubte, die Interpellation der SPD für ausreichend und erschöpfend beantwortet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es sich hier auch im wesentlichen um die Exportpreise für Kohle handelt, so ist
doch auch eine Erhöhung des Inlandkohlenpreises enthalten. Für Bayern ergibt das eine weitere Verschlechterung der industriellen Wettbewerbslage gegenüber der westdeutschen Industrie.. Für uns sind nach dem Krieg die benachteiligenden Momente sehr gewachsen. Früher haben wir den höheren Kohlenkostenanteil, der jetzt 50 bis 80 Prozent höher liegt als im Westen, dadurch kompensieren können, daß wir die billigere und bessere oberschlesische Kohle oder auch Saarkohle bezogen haben, daß wir außerdem den Frachtnachteil durch den Export nach dem Südosten und Osten überwinden konnten. Jetzt ist das alles unmöglich geworden. Wir müssen nicht bloß die höheren Kohlenpreise zahlen, wir mässen höhere Fracht zahlen, und der Export geht nach Westdeutschland und nach Westeuropa zurück.
Die bayerische Industrie hat sich schon bemüht, die Kohlenkostenanteile zu senken, indem man Absprachen der Kohleninteressenten über Kohlenausgleichpreise anstrebt, ähnlich wie es bei der Braunkohle der Fall war oder wie wir es zum Beispiel in Bayern mit den Strompreisen machen, die wir durch einen gewissen Ausgleich auch einheitlich gestalten. Diese Staffelung könnte natürlich nur durch eine syndikatsähnliche Einrichtung erfolgen, die an sich auf den Widerstand der Besatzungsmächte stoßen könnte. Der Widerstand wird aber wohl überwunden werden, wenn man ihnen stichhaltige Argumente vorhält.
Ein fast noch stärkerer Widerstand wäre aber von der westdeutschen Industrie zu befürchten, da die neue Einrichtung geschaffen werden müßte, um die Länder, die besonders stark unter
der Arbeitslosigkeit leiden und die Flüchtlingsansiedlung in den industriellen Gebieten zu betreiben haben, stärker zu berücksichtigen. Wir können nicht mehr nach reinen Standortsbegriffen verfahren,
sondern wir müssen die allgemeinen Probleme, die sich durch die Flüchtlingsfragen ergeben, berücksichtigen.
Ich wollte nur in kurzen Worten im Zusammenhang mit der neuen Erhöhung der Kohlenpreise auf die besonderen Probleme der bayerischen Industrie hinweisen, um Verständnis für unsere schwierige Lage in dieser Beziehung zu wecken.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Loritz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte für die Fraktion der WAV folgendes erklären: Wir von der WAV sind durch die Darlegungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers auf die SPD-Interpellation keineswegs befriedigt. Im Gegenteil, ich muß unserer lebhaften Enttäuschung darüber Ausdruck geben, daß der Bundeswirtschaftsminister auch hier die Probleme in ihrer ganzen Tragweite anscheinend nicht völlig erfaßt hat. Wir wenden uns schärfstens gegen die Preiserhöhung für Inlandskohle. Wir sind nicht in der Lage, diese Preiserhöhung zu bagatellisieren, wie das von gewisser Seite versucht worden ist. Wir sind insbesondere darüber aufgebracht, daß, nachdem wir es bei Benzin und Treibstoff schon erlebt haben, auf einem weiteren für die ganze Wirtschaft entscheidenden Gebiet, auf dem Gebiet der Kohle, die Bundesregierung die feierlich gegebenen Zusagen nicht eingehalten hat, die sie im Herbst vor dem ganzen Parlament machte, nämlich unter keinen Umständen die Preise für allerwichtigste Güter zu. erhöhen. Es tut uns außerordentlich leid, daß auch hier wieder die Regierung von sich aus gegen die Interessen unserer gesamten Volkswirtschaft gehandelt hat.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Das Schlußwort hat der Antragsteller.
Meine Damen und Herren, ich kann mich kurz fassen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister wies darauf hin, daß das Bestreben bestünde, eine Vereinheitlichung in die Kohlewirtschaft hineinzubringen, und zwar sämtlicher kohleproduzierenden Länder. Wir freuen uns darüber; denn man scheint doch allmählich zu dem Standpunkt zu kommen, daß eine gewisse Planwirtschaft auf dem Gebiet doch einmal betrieben werden muß.
Eine Frage aber ist von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister nicht beantwortet worden. Wir hatten in der Drucksache Nr. 404 auch gefragt, warum die Bundesregierung ihre Meinung geändert habe. Nun hat der Herr Kollege Blank eben gesagt, daß die Bundesregierung das ja nicht freiwillig getan habe. Wir sind völlig mit Ihnen einverstanden, Herr Kollege Blank, aber wenn das so ist, dann dürfte man vorher nicht die Erklärung abgeben, daß man unter keinen Umständen gewillt sei, diesen Weg zu beschreiten.
— Aber nein, dann sind Sie nicht genau informiert, Herr Kollege! Hier handelt es sich darum: es war eine Vorschrift der Hohen Kommission, irgendwie zu einer Regelung des Kohlenpreises zu kommen; die Bundesregierung hat aber ausdrücklich betont, daß sie nicht gewillt sei, den Weg einer Kohlenpreiserhöhung im Inland zu beschreiten.
Trotzdem aber hat sie den Weg beschritten!
Das ist doch das Wesentliche dabei.
Wir möchten also nun noch die Frage beantwortet haben, Herr Bundeswirtschaftsminister, wieso die Regierung dazu gekommen ist, ihre Absicht, diesen Weg nicht zu beschreiten, zu ändern.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich erkläre die Beratung zu diesem Punkt für geschlossen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Bekanntmachungen .
Der Herr Bundesjustizminister verzichtet auf die Begründung; er verweist auf die schriftliche Begründung.
Ich eröffne die Aussprache. - Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich schlage vor, den Entwurf an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu verweisen. — Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Sozialpolitik über den Antrag der Abgeordneten Frau Wessel und Genossen betreffend Rentenversicherung für die freien Berufe .
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Schüttler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Sozialpolitik befaßte sich in seiner Sitzung vom 1. Februar mit dem Antrag der Zentrumsfraktion Drucksache Nr. 62 • betreffend Rentenversicherung für die freien Berufe. Zu dieser Beratung waren die leitenden Persönlichkeiten der freien Berufsverbände, Ärzte, freischaffende Künstler usw. geladen, um einmal ihren Standpunkt zu diesem Problem kennenzulernen.
Die Vertreter dieser freien Berufsgruppen gaben mit allem Nachdruck zu erkennen, daß sie grundsätzlich gegen die Einführung von Zwangsversicherungen seien. Der Vertreter der Ärzteschaft verwies auf die vorbildliche Regelung, die sie in seinem Berufsstande bis zur Währungsreform auf der Basis der Ärztekammern besessen hätten und daß sie nun leider durch die Zerrüttung der Währung in große Schwierigkeiten gekommen seien. Wenn man ihnen helfen wolle, so sei das nicht auf dem Wege über eine Zwangsversicherung möglich, sondern einzig und allein dadurch, daß man ihnen die alte Rechtsordnung in den Ärztekammern wieder zurückgebe und wenn möglich die durch die Währungsumstellung verlorengegangenen Deckungsgrundlagen höher aufwerte. Falls diese Möglichkeiten gegeben seien, sei nicht der geringste Anlaß vorhanden, sie irgendwie mit einer Zwangsversicherung zu beglücken. Der Vertreter führte aus, daß diese Ansicht Gemeingut der Ärzteschaft sei, und bat aus diesem Grunde dringend, sie mit jedem staatlichen Zwang zu verschonen; er sei beauftragt, die gleiche Erlärung auch für die übrigen freien Berufsgruppen abzugeben.
Der Vorsitzende der Berufsgruppe freischaffender Künstler schilderte die augenblickliche große Notlage sowohl der schaffenden wie auch der arbeitsunfähigen Berufskollegen. Trotz all der Not könne er aber auch für diese Gruppe erklären, daß eine Zwangseinbeziehung dieses Personenkreises in eine staatliche Sozialversicherung unerwünscht und nach ihrem Dafürhalten auch undurchführbar sei. Die freischaffenden Künstler, die keinen Arbeitgeber hätten, müßten in all diesen Fällen die monatlichen Versicherungsbeiträge selbst aufbringen; das sei bei dem knappen und vielfach unregelmäßigen Einkommen undenkbar. Sollte man es trotzdem versuchen, so würde sich bald herausstellen, daß der Gerichtsvollzieher bei dieser Berufsgruppe täglicher Gast sein würde. Man habe auch in ihrem Kreise die Notwendigkeit einer Altersvorsorge durchaus erkannt; doch werde man wohl einen anderen Weg finden müssen, der ohne persönliche Beitragsleistungen des einzelnen zum Ziele führe. Man habe sich bereits Gedanken darüber gemacht, ob nicht durch eine bindende Abgabe bei
Aufführung von Theaterstücken, bei Kinovorführungen, Konzertveranstaltungen, bei Neuauflagen von Büchern, Noten usw. ein Altersfonds geschaffen werden könne. Man prüfe ernstlich, ob nicht auf solche oder ähnliche Art ein Weg gefunden werden, könne, und hoffe, recht bald passende Vorschläge machen zu können. Keinesfalls möge man aber zu einer Zwangsversicherung greifen, die ihren speziellen Verhältnissen nicht gerecht würde.
Auf Wunsch des Ausschusses erstattete der Regierungsvertreter, Abteilung Arbeit, Bericht über die Auswirkungen, die die damalige Einbeziehung der Handwerker in die Angestelltenversicherung bis jetzt gezeitigt habe. Obschon genaue statistische Unterlagen darüber im Augenblick noch nicht zur Verfügung stünden, könne schon heute gesagt werden, daß die Einbeziehung dieser Berufsgruppe in die Angestelltenversicherung eine außerordentliche Belastung mit sich gebracht habe. Man rechne schon in diesem Jahr damit, daß auch in diesem Versicherungszweig die Einnahmen die Ausgaben nicht mehr decken, und zwar zum großen Teil mitverursacht durch die Einbeziehung der Handwerkergruppe in diese Versicherung.
Von mehreren Mitgliedern des Ausschusses wurde betont, daß man die freien Berufe nicht gegen ihren Willen in eine Zwangsversicherung einbeziehen dürfe. Man solle dem Bestreben, sich auf genossenschaftlichem Wege selbst zu helfen, jede Unterstützung angedeihen lassen und alle Hilfe zur Verfügung stellen, um dieses erstrebte Ziel zu erreichen.
Der Ausschuß stellt daher einstimmig folgenden Antrag:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Bundesregierung wird empfohlen, sich mit einer zweckentsprechenden Alters- und Hinterbliebenenversorgung der freien Berufe eingehend zu befassen.
Der Ausschuß empfiehlt dem Hohen Hause die Annahme dieses Antrages.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Ehe ich dem Abgeordneten Dr. Reismann das Wort erteile, möchte ich bekanntgeben, daß der Ältestenrat vorschlägt, die Aussprache zu diesem Punkt auf 20 Minuten zu beschränken. - Es erhebt sich kein Widerspruch; das Haus hat so beschlossen.
— Das Wort hat Herr Abgeordneter Krause. —5 Minuten, Herr Abgeordneter, beträgt Ihre Redezeit!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zentrumsfraktion ist mit der Regelung, die im Ausschuß getroffen worden ist, grundsätzlich zufrieden. Wir wollen aber diese Gelegenheit benutzen, um einmal in aller Öffentlichkeit darzutun, was sich auf dem Gebiete der freien Berufe im Bundesgebiet tut. Ich darf daran erinnern, daß es im ganzen Bundesgebiet 200 000 Freiberufler gibt und daß diese insgesamt ungefähr eine halbe Million Arbeitnehmer beschäf-
tigen. Nur bei 25 Prozent der Freiberufler ist das Einkommen mit ihrem früheren Durchschnittseinkommen vergleichbar. In besonders großer wirtschaftlicher Notlage befinden sich zum Beispiel die Ärzte; man kann da von etwa 50 Prozent der Gesamtzahl sprechen. Ich erinnere vor allen Dingen auch an die Notlage der jungen Ärzte und all der Heimkehrer, besonders soweit sie Freiberufler sind. Allein in einer Großstadt der amerikanischen Zone lebt fast die Hälfte der Rechtsanwälte in beängstigender Nähe des Lebensstandards von Arbeitslosen und Wohlfahrtsempfängern. Das alles hat uns veranlaßt, den Stein auf diesem Gebiet überhaupt erst einmal ins Rollen zu bringen.
Jetzt wird man uns fragen, welche praktischen Vorschläge wir der Bundesregierung mit auf den Weg geben möchten. Es erscheint uns zweckmäßig, daß man im Sinne des Altsparergesetzes die Beträge für Versorgungszwecke bei den Organisationen der Selbstverwaltungen der freien Berufe, für die ja teilweise eine Pflichtversicherung bestand, als aufwertungsfähig anerkennt. Zweitens sollte, wenn die Versorgungseinrichtungen wiederbelebt werden, eine Unterstützung insofern erfolgen, als man diesen Einrichtungen dann durch eine entsprechende Aufwertung mit Hilfe der Gewährung von Ausgleichsforderungen an die öffentliche Hand praktisch entgegenkommen müßte.
Im übrigen bitten wir die Bundesregierung, vor allen Dingen das Bundesarbeitsministerium und insbesondere auch alle 46 Freiberufler in diesem Hohen Hause, alles zu tun, was geeignet ist, die Notlage der Freiberufler im Alter zu beseitigen. Wir wünschen grundsätzlich und aufrichtigen Herzens, daß der Herr Bundesarbeitsminister sich dabei der Mitarbeit des Bundesverbandes der Freien Berufe in Düsseldorf, dem 16 Organisationen angeschlossen sind, bedient.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Renner. 5 Minuten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Antragsteller sich mit dieser Erledigung seines Antrages durch den Ausschuß einverstanden erklärt, ist das seine Sache. Wir sind mit der Erledigung nicht einverstanden. Wir halten den Vorschlag des Ausschusses für eine einfache Beerdigung des ursprünglichen Gedankens, der in dem Antrag enthalten war. Wenn hier in der Abwehr dieses Antrages auf Einführung einer Pflichtversicherung davon gesprochen worden ist, welch schwere Belastung der Sozialversicherung dort, wo ähnliche Versicherungen bestanden haben oder noch bestehen, bereits entstanden sei, dann glaube ich doch darauf hinweisen zu müssen, daß wir an dem Problem der Sicherung der Leistung der Sozialversicherungsträger durch eine wirkliche Aufwertung der verlorengegangenen Vermögen wohl nicht vorbeikommen können. Ich bin zudem der Auffassung, daß nach wie vor der Bund seine Verpflichtungen gegenüber den bankrottgewirtschafteten Sozialversicherungsträgern endlich und endgültig erfüllen muß.
Gegen ihren Willen soll man, so sagte der Sprecher der CDU, den freien Berufen keine Zwangsversicherung auferlegen.
— Ach so, zufälligerweise aber einer von Ihrer Fraktion, von der CDU! — Die Argumente, die im Ausschuß gegen diese Sache ins Feld geführt wurden, waren zu 99,9 Prozent dagegen. 0,1 Prozent war bestenfalls für eine wirkliche Realisierung dieses Gedankens ins Feld geführt worden. In dem Ausschuß sind wir — nebenbei bemerkt — nicht stimmberechtigt. So liegen doch die Dinge.
Die Notlage der freien Berufe gehört zu einem oft exerzierten Kapitel in Ihren Zeitungen und Versammlungen. Wenn Sie vor die Alternative gestellt werden, etwas zu tun, kommen Sie mit den — verzeihen Sie — sehr abgedroschenen Argumenten, man solle die Altersversorgung auf genossenschaftlicher Basis regeln und der freien Initiative dieser Kreise Tür und Tor öffnen. Sie haben es sogar fertiggebracht, uns im Ausschuß zu erklären, der Bundesvorstand der freien Berufe sei im Prinzip gegen die Einführung einer Zwangsversicherung. Wir sind der Meinung, der Beschluß des Ausschusses muß in der Form umgeändert werden, daß der Bundesregierung nicht empfohlen wird, sondern daß sie beauftragt wird, ein Gesetz über die Alters- und Hinterbliebenenversorgung der freien Berufe vorzubereiten und dem Haus vorzulegen. Ich erhebe das zum Abänderungsantrag.
Haben Sie ihn schriftlich?
Ich reiche den Abänderungsantrag sofort schriftlich ein. - Lassen Sie mich mit einer Feststellung schließen, die sich auch aus der Diskussion im Ausschuß ergeben hat. Es gibt einen Stadtstaat - wenn ich einmal das Wort gebrauchen soll —: Berlin. Dort gab es bis vor kurzem eine derartige Zwangsversicherung für die freien Berufe. Das Gesetz stammte noch aus der guten schönen Zeit, als man im einheitlichen Berlin solche fortschrittlichen Gesetze schaffen konnte. Uns ist im Ausschuß von einer Vertreterin Berlins berichtet worden, daß man mit diesem Gesetz gute Erfahrungen gemacht habe und daß die freien Berufe mit diesen Leistungen sehr einverstanden waren. Uns ist aber auch gesagt worden, man habe inzwischen das Gesetz in Westberlin liquidiert
im Zuge der Angleichung der Gesetzgebung West-Berlins an die Gesetzgebung des Bundes.
- Wenn ich mich geirrt haben sollte, - —
— Dann bitte ich Sie, sich bei Ihrer verehrten Frau Kollegin Schroeder zu erkundigen.
Diese kleine Bosheit wollte ich mir am Ende meiner Betrachtungen nicht verkneifen.
Den Abänderungsantrag werde ich sofort schriftlich einreichen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Nach der eindeutigen Stellungnahme im Ausschuß wäre es eigentlich nicht notwendig gewesen, noch eine Debatte zu führen.
Die vornehmste Verpflichtung der Demokratie
sollte sein, die Bedürfnisse derjenigen zu erforschen, die es angeht. In einer Zeit, die uns vor so viele Aufgaben stellt, die wir nicht erfüllen können, sollten wir uns davor hüten, Menschen mit einer Lösung zu beglücken, die sie nicht wünschen. Der Herr Berichterstatter hat sehr sachlich und sehr richtig erklärt, daß sich im Ausschuß die absolute Mehrheit von denjenigen hat überzeugen lassen, die es anging, nämlich von den Vertretern der organisierten freien Berufe. Ich bin überzeugt, die Vertreter des Ärztestandes werden noch das ihre dazu sagen, wieweit sie in Vergangenheit und Gegenwart bewiesen haben, daß sie die Altersversorgung ihrer Berufsangehörigen in voller Verpflichtung und Verantwortung selbst zu lösen verstanden. Sie haben uns im Ausschuß auch gesagt, wie sie sich die künftige Lösung vorstellen, und zwar unter den gleichen Voraussetzungen, wie sie in der Praxis schon beispielhaft entwickelt worden sind. Weiter ist uns mit aller Klarheit gesagt worden, daß diejenigen, die die Versicherung nicht wünschen, auch keine Möglichkeit hätten, die Beiträge aufzubringen. Also es geht hier um die ganz eindeutige Frage: Staatsfürsorge oder Versicherung?
Wenn ich in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung steht — ich darf nur fünf Minuten sprechen —,
das Problem nur anrühren kann, so möchte ich dem Kollegen Renner doch sagen, daß er diesmal Frau Schroeder — obwohl ich sonst mit ihr nicht immer einig bin — falsch zitiert hat. Die Vertreterin Berlins hat mit aller Klarheit im Ausschuß gesagt, daß sie mit der Zwangsversicherung der Selbständigen die schlechtesten Erfahrungen gemacht hätten, daß diese selbständigen Berufe kein gutes Risiko gewesen sind und man aus diesen Gründen — nicht etwa aus Gründen der Anpassung an den Westen —, also auf Grund dieser Erfahrung feststellen mußte, daß die freien und damit selbständigen Berufe aus der Versicherung herausgenommen werden sollten. Im übrigen würde ich um der Versicherten willen glücklich sein, wenn diese Anpassung an den Westen schon verwirklicht worden wäre!
Das übrige, was hier ausgeführt worden ist, hat mit dem Antrag der Zentrums-Fraktion nichts mehr zu tun. Der Antrag der Zentrums-Fraktion wollte eine gesetzliche Zwangsversicherung für alle freien Berufe. Das ist eigentlich eindeutig im Ausschuß abgelehnt worden.
— Ich kenne Ihren Antrag besser als Ihr Vertreter, Herr Dr. Reismann. Sie waren ja im Ausschuß bei der Beratung leider nicht dabei.
Sie kamen erst zum Schluß und haben, da Sie erst zum Schluß kamen, nicht einmal die Auffassung derjenigen gehört, die als Sachverständige dazu gesprochen haben. Sie haben sich entschuldigen lassen, und wir haben im Ausschuß über eine Stunde auf Sie gewartet. Deshalb können Sie auch nicht so genau Bescheid wissen.
Sprechen Sie lieber zur Sache als zur Person des Herrn Abgeordneten Reismann.
Ich habe nur auf seinen Zuruf geantwortet. Zur Sache darf ich erklären, daß wir der Auffassung sind, der Antrag, so wie er vom Ausschuß beschlossen worden ist, ist das möglichste dessen, was tragbar ist. Ein anderer Antrag von Herrn Renner wird von meiner Fraktion mit aller Entschiedenheit abgelehnt werden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Steinbiss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kalinke hat eben ausgeführt, daß uns der Antrag der Zentrumsfraktion sehr überrascht hat, denn die Zentrumsfraktion hätte es ia leicht gehabt. sich hei den Spitzenorganisationen oder sonstigen Organisationen der freien Berufe zu erkundigen, was deren Wunsch ist. Wir sind aber vielleicht doch in einer Beziehung froh, daß der Antrag vorgelegen hat, denn durch ihn ist die Frage der ärztlichen Berufsvertretung aufgerollt worden. und wir hoffen, daß es nun nicht eher abreißt, als bis diese Frage gelöst ist. Es ist Ihnen hier schon gesagt worden, in welcher Weise — man kann sagen geradezu vorbildlicher Weise — die Ärzte für das Alter ihrer Standesgenossen und deren Hinterbliebenen gesorgt haben. Trotz Zusammenbruchs. trotz Währungsreform haben die Ärzte diese Versorgung durchgehalten. einzelne Länder wie Nordrhein-Westfalen und Bayern sogar in voller Höhe. Es ist aber der Wunsch, daß alle Bundesländer ebenso ihren freiwillig übernommenen Verpflichtungen nachkommen können. So negativ der Antrag der Zentrumsfraktion ist, so wollen wir ihn doch positiv werten, wenn es durch ihn gelingen sollte unsere Ärztekommen als Körperschaft öffentlichen Rechts mit der Selbstverwaltung und der Pflichtzugehörigkeit aller Ärzte wieder aufbauen zu können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hammer.
Meine Damen und Herren! Ich bedaure, das vom Kollegen Renner angeschnittene Kapitel der Notlage der freien Berufe deshalb nicht weiter behandeln zu können, weil die Geschäftsordnung uns nur einige Minuten Zeit zur Behandlung des Antrages der Zentrumsfraktion läßt. In dem Antrag der Zentrumsfraktion steht ja nur eins drin; das ist die Forderung nach einer Rentenversicherung für sämtliche freien Berufe. Es hat keinen Sinn, das abzustreiten. Wir haben bei der Überprüfung dieses Tatbestands widerspruchslos festgestellt, daß die verschiedenen Berufsgruppen, die man zusammen als freie Berufe bezeichnet, ein so verschiedenes Krankheits- und Sterbefallrisiko haben, daß man bei einer Zusammenfassung dieser Berufe in einer Organisation keinesfalls mehr von einer Versicherung sprechen kann. Eine Versicherung setzt eine Gleichheit der Risiken voraus, wenn man auch in der Diskussion über die Sozialversicherung in den letzten Jahren sehr oft von dieser Erkenntnis hat abgehen wollen. Ich bitte nicht zu vergessen, daß zum Beispiel die deutsche Ärzteschaft durch die Gefahren der Berufsinfektion, durch die Kreislaufkrankheiten, die ihr Beruf mit sich bringt, ein sehr niedriges Lebens-
alter hat, im Gegensatz zu einem willkürlich herausgegriffenen Stand, der in diese Einheitsversicherung hineinkommen sollte, der deutschen Rechtsanwaltschaft. Mit welchem Recht bürden Sie derartige Risiken, die im übrigen in den. Einzelheiten noch ganz unerforscht sind, anderen Berufsgruppen auf? Bei dieser Regelung bliebe eben keine Versicherung übrig, es wäre eine Fürsorgeanstalt.
Die freien Berufe, insbesondere die Ärzteschaft, zu der ich gehöre, haben bewiesen, daß sie auf genossenschaftlicher und freiheitlicher Basis eine wunderbare Altersversorgung zustande gebracht haben. Das Argument des Herrn Reismann, daß diese Versicherung der Ärzte und die freiwilligen Versicherungen durch die Währungskatastrophe zu Ende gekommen seien, gilt ja auch für die große deutsche Sozialversicherung. Mir ist nicht bekannt, daß die Sozialversicherung Deckungsgrundlagen hat über die Währungsreform hinüberretten können. Ihre Existenz im Augenblick, die Weiterleistung ihrer Beiträge beruht auf einem Gesetz, das erhöhte Beiträge erzwungen hat. Sie beruht auf einem Umlageverfahren, das durch einen politischen Entscheid der deutschen Gremien entstanden ist. Wenn Sie das wollen, so können Sie das auch für die privaten Lebensversicherungen oder für irgendeine Kapitalaufwertung durchführen. Die hier vorgetragenen Gegenargumente sind nicht in der Lage, uns zu überzeugen. Wir haben von alters her ein ganz feines Empfinden dafür, wenn man bei der Konstituierung von Fürsorgeeinrichtungen gegen den Grundsatz eines freien Staates verstößt. Der Wohlfahrtsstaat ist die Voraussetzung für die Verwirklichung des Polizeistaates, und Sie werden deshalb nicht verlangen können, daß meine Fraktion die Tendenz eines derartigen Antrags unterstützt. Wir schließen uns dem Ausschußbeschluß an.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reismann. Wollen Sie das Wort zur Sache oder zu einer persönlichen Bemerkung?
— Ich appelliere an Ihr kollegiales Mitgefühl mit dem Hause.
Darf ich mit der persönlichen Bemerkung beginnen, da ich eben persönlich apostrophiert worden bin, ich sei in einer Sitzung nicht dagewesen. Das passiert bekanntlich jedem von uns: wenn zwei Ausschußsitzungen kollidieren, dann geht man zu der wichtigeren Sache. Das habe ich getan. Ich habe dann aber der Verhandlung dieser Sache von Anfang bis zu Ende beigewohnt. Ich weiß nicht, was es überhaupt für einen Zweck hat, das hier zu erwähnen; das passiert jedem von uns im Hause gelegentlich.
Soweit zur Person. Nur zur Sache. Da muß ich zunächst feststellen, daß hier immer die Rede von einer Zwangsversicherung ist. Von Zwang und von einer staatlichen Fürsorge steht in unserem Antrag gar nichts drin. Es heißt:
Die Bundesregierung wird beauftragt, baldigst ein Gesetz vorzulegen, durch das eine
Rentenversicherung zugunsten der freien
Dabei ist nicht gesagt, daß eine einzige Versicherung für alle zusammen bestimmt sein soll, sondern es wäre durchaus möglich, daß man für die einzelnen Berufsstände, soweit verschiedene Risiken das verlangen, verschieden verfährt.
- Davon habe ich selber gesprochen. Wir haben aber nicht verlangt, daß das nur auf diesem Wege geschehe.
Aber, meine Damen und Herren, sowohl im Ausschuß als auch bei den Vertretern der berufsständischen Organisationen war man sich darüber klar, daß wegen der gar nicht abzuleugnenden ungeheuren Notlage — nicht bloß der Berufstätigen, sondern auch bei den Alten, bei den Kranken und bei den Hinterbliebenen aus jenen Berufsständen — die Situation dringend eine Abhilfe verlangt. Nur über den Weg waren wir verschiedener Meinung. Zu unserem Vorschlag gehört es durchaus auch, daß man beispielsweise auf dem Weg über die Ausgleichsleistungen der Länder an die Versicherungen diese instand setzt, besser aufzuwerten, als das bisher der Fall war, wo es praktisch für sie ausgeschlossen war. Meine Damen und Herren, tun Sie doch nicht aus irgendwelchem Agitationsbedürfnis etwa so, als ob von unserem Antrag kein gutes Haar übrig wäre. Zumindest müssen Sie zugeben, daß es notwendig ist, daß diese zahlenmäßig schwächeren Kreise, die keine so große Zahl wie die Summe aller Angestellten, Arbeiter oder Gewerbetreibenden ausmachen, die noch durch materielle Unterlagen in ihrer Existenz eben auch im Alter gesichert sind, endlich einmal berücksichtigt werden, nachdem man ihnen zweimal in einer Generation die Frucht ihrer Ersparnisse gestohlen hat
anders kann man das nicht nennen —, und das von Amts wegen.
Dann muß man sich einmal überlegen, daß man es bei den Leuten, die heute zum Wort kommen und sagen: das ist nicht möglich, wir helfen uns selbst, zumeist mit solchen zu tun hat, für die das Wort gilt: „Wir sind noch einmal davongekommen." Nebenbei gesagt handelt es sich bei denen, die ihre Versicherung günstig gestaltet haben, nicht nur um Ärzte. Bei den Ärzten ist die berufsständische Versicherung ja immer die beste gewesen. Es handelt sich um solche, die völlig mittellos und hilflos -dastehen. Ich bin ja leider selber auch so einer, die keine Hilfe nötig haben. Ich habe noch einmal eine Gelegenheit. Obwohl ich mein ganzes Vermögen verloren habe, hoffe ich, für den Rest meines Lebens noch so viel zu erübrigen, daß ich davon leben kann, wenn ich nicht mehr arbeiten kann. Und solche Leute haben gesprochen, wenn sie sagen: das ist überflüssig. Unsere Pflicht ist es, derer zu gedenken, die nicht mehr in der Lage sind, für sich zu sorgen, und von denen die andern etwa erklären: es ist nicht nötig.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner, gegen das Versprechen, nur einen Satz zu sprechen.
Renner (KPD): Der Widerstand, den die Frau Kalinke in der prägnanten Form, die ihr eigen ist, zum Ausdruck gebracht hat, ist ja ein grundsätzlicher Widerstand beim Besitzbürgertum gegen die Sozialversicherung. Darüber müssen wir uns klar werden.
Eine derartige Altersversorgung als überflüssig hinzustellen, das kann nur die Meinung eines saturierten Bürgers sein. Die Sache ist so: man spricht hier von den Ärzten. Wir haben vor wenigen Tagen noch in einem Spezialausschuß uns über die Notlage der Ärzte unterhalten können. Dort war man ganz anderer Auffassung. Ich steile fest, daß eine Wiederherstellung der Altersversorgungsleistungen der Ärzte bisher nur in einer ehemaligen Provinz Preußens und in einem Land fertiggebracht worden ist. Wer redet denn davon, daß durch dieses Gesetz eine Belastung der Sozialversicherungsträger eintreten soll? Ist das nicht tatsächlich so zu machen, wie ich es gesagt habe, daß man einmal der Frage der Aufwertung der verlorengegangenen Kapitalien nahetritt, statt sie so in Bausch und Bogen abzulehnen angesichts der ungeheueren Notlage zum Beispiel der Künstler. der Journalisten, die nach einer gesetzlichen Regelung ihres Anspruchs verlangen? So liegen doch die Dinge!
Herr Abgeordneter Renner. Sie haben Ihren einen Satz mit mehreren Faktoren multipliziert!
Entschuldigen Sie! Noch einen Satz. — Die Frage nach dem Risiko kann doch nur einer stellen, in dessen Vorstellung überhaupt nichts anderes als eine Lösung nach privatkapitalistischen Versicherungsprinzipien denkbar ist.
Ich halte unseren Antrag aufrecht. Wir sind der Auffassung, daß die Notlage so groß ist. daß der Bund gehalten sein soll, mit einem Gesetz diese Notlage zu parieren.
Es liegen zwei Anträge vor: der Antrag des Ausschusses und der vom Abgeordneten Renner eingereichte Abänderungsantrag dazu. Ich verlese ihn:
Die Bundesregierung wird beauftragt, dem Bundestag einen Gesetzentwurf über die Alters- und Hinterbliebenenversicherung der freien Berufe baldigst vorzulegen.
Ich lasse zunächst über diesen Abänderungsantrag abstimmen.
— Herr Abgeordneter Hilbert, der § 48 a ist schon im Ältestenrat schwer zu handhaben; er ist auf diesem Stuhle noch schwerer zu handhaben. Ich nehme an, daß Sie mehr ein Selbstgespräch geführt haben, als Sie den Paragraphen zitierten.
Ich lasse über den Antrag abstimmen. Wer für den Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Die Gegenprobe. — Abgelehnt.
Wer für den Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 488 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Der Antrag ist angenommen.
Beratung des Antrags der Abgeordneten Strauß; Dr. Horlacher, Graf von Spreti und Genossen betreffend Auslandswerbung für den Fremdenverkehr in Deutschland .
Auch hier hat der Ältestenrat den Vorschlag zu machen, die Debatte auf 20 Minuten zu beschränken. Erhebt sich Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Das Hohe Haus hat die. Gesamtredezeit auf 20 Minuten beschränkt.
Wer wird den Antrag begründen? — Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Strauß. 5 Minuten, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 490 befaßt sich mit der Auslandswerbung für den Fremdenverkehr in Deutschland. Der Fremdenverkehr ist eine Existenzquelle hauptsächlicher Art für eine ganze Reihe von deutschen Gebieten, insbesondere für Bayern, Baden, Württemberg. Rheinland und die Nordseegebiete. Der Fremdenverkehr darf nicht allein vom Standpunkt des Hotel- und Gaststättengewerbes her gesehen werden. Der Fremdenverkehr ist eine Art Schlüsselgewerbe. an das eine ganze Serie, eine Vielzahl von weiteren Berufen mit ihren Existenzmöglichkeiten angehängt ist. Doch die Aussprache über den Fremdenverkehr. seine Problematik. seine Aufgaben, seinen Wiederauf bau und seine Förderung wird wohl ein andermal in einem anderen Zusammenhange stattfinden müssen. Hier handelt es sich um ein besonderes Spezialgebiet: die Werbung für den Fremdenverkehr von Ausländern in Deutschland, ein Spezialgebiet, das gerade heuer, in diesem Jahr, behandelt werden muß und als vordringlich anzusehen ist. Der Fremdenverkehr hat bei uns mehr als in jedem anderen Lande durch Krieg und Kriegsfolgen einen Zusammenbruch erlitten, von dem er sich bis heute nur in kleinen Zügen erholt hat. Die anderen Fremdenverkehrsländer Europas wie Österreich, Italien, die Schweiz, Frankreich haben längst in einem bereits weitergehenden Maße infolge der günstigeren Umstände, infolge ihrer günstigeren Lage. infolge der ihnen nicht auferlegten Beschränkungen es vermocht, ihren Fremdenverkehr wieder in Gang zu bringen. Bei uns sind besondere Erschwernisse eingetreten; Kriegszerstörungen, Besatzungsschäden. da eine Vielzahl von Betrieben, gerade in Bayern durch Besatzungsmächte und durch DPs usw. belegt worden ist — ebenso anderswo —, die Hemmnisse der Zwangswirtschaft, die Erschwerungen unseres lahmgelegten und erst langsam in Gang kommenden Verkehrswesens, nicht zu vergessen die Paßschwierigkeiten und die fast unerträglichen Einschränkungen und Hemmnisse, die heute dem Ausländer, wenn er nach Deutschland kommt, ebenso auferlegt werden wie dem Deutschen wenn er ins Ausland gehen will.
Allmählich sind diese Schranken wenigstens zum Teil wieder abgebaut worden. Mit dem Wegfall der Zwangswirtschaft ist ein Wesent-
liches zum Wiederaufbau, zur Wiederingangsetzung des Fremdenverkehrs geleistet worden. Die Verkehrswege haben sich gebessert, neue Autobuslinien sind geschaffen, die Bundesbahn verkehrt mit raschen Zügen in kurzer Folge. Die Betriebe sind verbessert worden, wenn auch gerade auf diesem Gebiet noch viel getan werden muß, insbesondere mit langfristigen Krediten zu einem nicht allzu hohen Zinsfuß, um unseren Fremdenverkehr wieder in Gang zu bringen, um das Hotel- und Gaststättengewerbe wieder konkurrenzfähig zu machen, nicht nur um ihm ein Geschenk zu machen, sondern im Interesse unserer ganzen Volkswirtschaft.
Dringend wünschenswert ist eine Paßregelung, die es nicht nur den Deutschen leichter macht, ins Ausland zu kommen, sondern die es auch den Ausländern leichter macht, wieder nach Deutschland zu kommen. Der Unfug der Fragebogen mit ihren drei Dutzend Fragen für Deutsche und für Ausländer, um heraus- oder hereinzukommen, muß endlich einmal aufhören in einem Zeitpunkt, da man von uns verlangt, daß wir uns als vollwertiges Glied in die Völkerfamilie Europas und der ganzen Welt einfügen sollen. Und gerade heuer, im Jahre der Passionsspiele, die in Oberammergau aufgeführt werden, heuer, wo im Zuge des Heiligen Jahres eine Reihe von Fremden auch von außereuropäischen Gebieten nach Europa und nach Deutschland kommt, gerade heuer ist die Notwendigkeit einer Auslandswerbung für den Fremdenverkehr besonders dringend. Heuer ist auch die Gelegenheit besonders gut, daß eine Reihe von Ausländern nach Deutschland kommt, daß ihnen der Aufenthalt angenehm gestaltet wird und daß sie dadurch wieder angezogen werden, in den folgenden Q Tahren wiederzukommen. Heuer ist vielleicht in diesem Sinne sogar ein entscheidendes Jahr der Werbung für unseren Fremdenverkehr.
Wir dürfen aber neben der wirtschaftspolitischen Bedeutung des Fremdenverkehrs im Inlande nicht die Aufgabe übersehen, die er auch im Zusammenhang mit der gesamten Wirtschaftspolitik, im besonderen der Verbesserung unserer an sich immer passiven Handelsbilanz hat. Der Fremdenverkehr hat gerade in Deutschland wie auch in anderen Ländern immer wesentlich dazu beitragen müssen, durch eine bessere Zahlungsbilanz die ungünstige Handelsbilanz auszugleichen. Wenn man dazu einige Zahlen nennen will, so kann man folgende herausgreifen. Im Jahre 1936 hatten wir eine Gesamtausfuhr von 4,7 Milliarden Reichsmark in Waren. Der Ausländerfremdenverkehr hat demgegenüber bei uns 130 Millionen Reichsmark, in Devisen gerechnet, ein gebracht, also 2,6 Prozent des Exports. Im Jahre 1938 betrug unsere Ausfuhr 5 6 Milliarden Reichsmark. Aus dem Fremdenverkehr von Ausländern kamen 186 Millionen Reichsmark herein, also 3.3 Prozent. Im Jahre 194q waren 240 000 Ausländer mit insgesamt 550 000 Übernachtungen in Deutsch-lend, die insgesamt - das läßt sich nur schätzungsweise ermitteln — eine Einnahme von 25 Millionen Dollar, also 100 Millionen D-Mark, zu dem bereits abgewerteten Kurs gerechnet erbracht haben. Immerhin ist das auch in der gesamten Handelsbilanz und in der gesamten Zahlungsbilanz des Jahres 1949 ein gar nicht so unwesentlicher Posten. Wenn man nämlich bedenkt. daß der Erlös aus unserer Gesamtausfuhr aus Werkzeugmaschinen einschließlich Walzwerkanlagen und Kraftmaschinen 27,7 Millionen Dollar beträgt, dann wird man einen Betrag von 25 Millionen Dollar an Devisen durch den Fremdenverkehr nicht so unwesentlich veranschlagen.
Immerhin müssen wir heute feststellen, daß wir mit unseren Einnahmen aus dem Fremdenverkehr, im besonderen auch von Ausländern, in Deutschland wesentlich unter den Vorkriegssätzen liegen und wesentlich hinter die Leistungen des Auslandes zurückgeglitten sind. Wenn ich dazu nur einige wenige Zahlen nennen darf, so hat Frankreich im Jahre 1948 aus dem Fremdenverkehr eine Summe von 100 Millionen Dollar eingenommen, das Vierfache von dem, was wir im Jahre 1949 eingenommen haben; 1948 war der Ausländerfremdenverkehr bei uns ja noch unwesentlich. Italien hat im Jahre 1948 80 Millionen Dollar eingenommen, die Schweiz 98 Millionen Dollar und Großbritannien 188 Millionen Dollar.
Wir dürfen aber auch nicht vergessen, daß bei uns im Laufe der letzten Jahre eines nicht durchgeführt werden konnte, was durch diesen Antrag jetzt wieder in Gang gesetzt werden soll, die Auslandswerbung. Durch diesen Antrag soll die Bundesregierung veranlaßt werden, sich in besonderem Maße wiederum dieser Aufgabe zuzuwenden, nämlich der Werbung für den Fremdenverkehr von Ausländern in Deutschland. Früher wurde diese Werbung insbesondere durch die Reichsbahnzentrale für den deutschen Reisedienst im Auslande betrieben. Diese hat früher eine Unterstützung von ungefähr 4 bis 5 Millionen Reichsmark zur Durchführung der Werbung im Auslande aus Reichsmitteln erhalten. Erst in diesem Jahre, im Haushaltsjahre 1919/50, ist wieder ein Betrag von 300 000 D-Mark eingesetzt worden, und erst im Haushaltsjahr 1950/51 wollen das Bundesministerium für Verkehr und das Bundesministerium für Wirtschaft dafür wieder einen Gesamtbetrag von 1 750 000 D-Mark zur Verfügung stellen. Die Werbung für den Fremdenverkehr von Ausländern in Deutschland benötigt selbstverständlich Mittel; aber die Höhe der aufgewendeten Mittel kommt regelmäßig auch für die gesamte Wirtschaft durch eine erhöhte Einnahme, durch eine günstigere Zahlungsbilanz, zum Ausdruck.
Uns interessieren in diesem Zusammenhange nicht die Kompetenzstreitigkeiten oder die Kompetenzkonflikte zwischen Bundesverkehrsministerium und Bundeswirtschaftsministerium. Ich schlage deshalb auch vor, diesen Antrag dem Ausschuß für Verkehrswesen federführend und dem Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Soweit Reisezwecke in Betracht kommen, ist das Verkehrsministerium maßgebend; soweit aber der Fremdenverkehr insgesamt in Betracht kommt, insbesondere in seiner wirtschaftlichen Bedeutung, ist wohl das Bundesministerium für Wirtschaft zuständig, das ja dafür auch eine Verwaltungsstelle errichtet hat.
Eines sollte allerdings mit dem Fremdenverkehr nicht geschehen. Mir ist eine Denkschrift des Bundesverkehrsministeriums in die Hand gefallen, in der jemand die Definition des Fremdenverkehrs als Versuch für eine Stilübung philosophisch-juristischer Art mißbraucht hat. Ich kann mir nicht versagen, das wiederzugeben, wenn der Herr Präsident es erlaubt. Dort heißt es:
Der Fremdenverkehr im allgemeinen, fußend
auf Bewegungsmotiven, ist begrifflich die
Überwindung des Raumes durch natürliche Personen,
die einen Ort aufsuchen, ohne dort einen ständigen Wohnsitz zu begründen.
Wenn es hier noch hieße: „die einen gewissen Ort aufsuchen, ohne dort einen ständigen Wohnsitz zu begründen", wäre der Fremdenverkehr in noch großzügigerem Maße definiert als hier.
Uns kommt es darauf an, daß die Methoden und die Maßnahmen, die bei der Werbung für den Fremdenverkehr von Ausländern in Deutschland angewendet werden müssen, in beiden Ausschüssen ernsthaft diskutiert werden und daß sich die Verwaltung im Interesse der gesamten deutschen Wirtschaft dieser Frage mit Nachdruck annimmt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eichner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Bayernpartei begrüßt diesen Antrag sehr und unterstützt ihn aufs wärmste. Die Fremdenwerbung bringt nicht bloß kostbare Devisen herein; sie ist auch geeignet, die Brücke zum Ausland erneut zu schlagen. Nun muß aber ein Hemmschuh im Inland beiseite geräumt werden. Wie Sie alle wissen, ist gerade Bayern mit Flüchtlingen und DPs sehr übersetzt, so daß die Räume in den Fremdenverkehrsgebieten zweckentfremdet wurden. Daher ist es wohl auch gekommen, daß im vorigen Jahr viele Fremde nicht aufgenommen werden konnten und den Ort wieder verlassen mußten.
- Ich glaube, wir können hier feststellen - ich
bin ja der Vertreter eines solchen Gebiets —, daß nicht die groben Bayern, sondern die Verhältnisse, wie ich sie eben geschildert habe, die Ursache waren.
In Starnberg ist während des Dritten Reichs ein Tbc-Krankenhaus errichtet worden. Man kann es selbstverständlich verstehen, daß die Fremden einen solchen Ort meiden. Wir müssen zum Beispiel auch sehen — und ich bitte auch hier um die Unterstützung, daß den Übelständen nach Kräften abgeholfen wird —, daß nicht nur die Fremdenverkehrsgebiete übersetzt, sondern auch oft unruhig sind, weil dort Lärm vorhanden ist. Die Fremden suchen aber Ruhe und Erholung. Ich hoffe, daß wir unsere Bitte, solchen Übelständen abzuhelfen, nicht umsonst getan haben.
Mein Vorredner, der Herr Kollege Strauß, hat schon darauf hingewiesen, daß heuer die Passionsspiele in Oberammergau stattfinden. Es ist daher angebracht, daß bis zu diesem Zeitpunkt diese Gebiete so gut als möglich geräumt sind, weil sonst die Fremden das benachbarte Tirol und Österreich aufsuchen und Bayern meiden.
Ich komme zum Schluß und möchte nochmals betonen, daß wir den Antrag aufs wärmste unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobs.
Hohes Haus! Die diesem Antrag zugrundeliegende Absicht ist eine sehr löbliche, und meine Fraktion ist mit einer entsprechenden Förderung des Fremdenverkehrs durchaus einverstanden. Der Herr Kollege Strauß hat bei der Erörterung des Antrags allerdings ausschließlich die rein volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte eine Rolle spielen lassen und dabei für uns den etwas bitteren Geschmack auf der Zunge zurückgelassen, als wenn es weniger um die Fremden denn um das geht, was die Fremden in der Tasche tragen. Aber für uns Sozialdemokraten hat die Fremdenwerbung darüber hinaus noch eine Seite, die gerade in der heutigen Situation nicht genügend berücksichtigt werden kann, und zwar handelt es sich um eine rein politische und damit auch geistige Angelegenheit, nämlich um eine Art von Fremdenwerbung, die es zumindest den kommenden Generationen in Europa einmal gestattet, sich gegenseitig nicht nur aus der Perspektive einer Maginotlinie oder eines Westwalls und nicht immer nur in einem Rock, der mehr als vier Knöpfe hat, kennenzulernen. Weil dem so ist, legen wir großen Wert darauf, daß mit der sogenannten Organisierung des Fremdenverkehrs — wenn dieses Wort schon einmal in diesem Zusammenhang notwendig ist — Stellen und Personen beauftragt werden, die dieser selbstverständlichen Voraussetzung des Fremdenverkehrs auch Rechnung tragen. Wir befürchten, daß auf dem Gebiet der Personalpolitik auch hier wieder von vornherein entscheidende Fehler gemacht werden.
Ich darf auf folgendes hinweisen, was mir Veranlassung war, zu diesem Punkt der Tagesordnung überhaupt Stellung zu nehmen. In Frankfurt erscheint eine sehr repräsentativ aufgemachte Zeitschrift in. zwölf Sprachen. Sie nennt sich „Deutsche Revue" und hat sich die Werbung für den Fremdenverkehr zur Aufgabe gesetzt. Der Chefredakteur scheint ein Herr Schwarzenstein zu sein, der die Direktoren der einzelnen Verkehrsämter in Deutschland aufgefordert hat, für dieses Heft Bilder repräsentativer Bauten und von Landschaften einzusenden. Ich habe zufällig Gelegenheit gehabt, eine solche Aufforderung an den Verkehrsdirektor des Gebiets zu lesen, aus dem ich stamme. Der Direktor des Verkehrsamtes in Trier hat entsprechend dieser Aufforderung selbstverständlich auch ein Bild der Porta Nigra eingesandt. Er hat auf seine Frage, warum dieses Bild in der Zeitschrift nicht erschienen ist, folgende Antwort von diesem Mann bekommen, die kurz vorlesen zu dürfen ich die Erlaubnis des Herrn Präsidenten erbitten möchte. Es heißt darin:
Wir haben selbstverständlich daran gedacht, dieses repräsentative Tor zu bringen, kamen dann aber zu der Überregung, daß es wohl besser wäre, in unserer Zeitschrift als Illustration zu dem einleitenden Artikel nicht gerade ein Bauwerk zu wählen, das einer, wenn auch schon lange zurückliegenden Besatzungszeit seine Entstehung verdankt.
Ich bin der Auffassung, daß das nur das geistige Produkt eines Zwillingswesens sein kann; denn in einem Mann allein kann nicht soviel idiotischer Nationalismus virulent sein, abgesehen davon,
daß anscheinend auch für einen Journalisten das D Wort zu gelten hat: Geschichtskenntnis ist Glücksache. Dieses Tor wurde nämlich von den Menschen, von denen es erbaut wurde, damals nicht als das Werk einer Besatzungsmacht angesehen, sondern galt als Schutzmaßnahme gegen die damals — das ist allerdings eine sehr lange zurückliegende Zeit - einfallenden ollen Germanen. Es handelt sich also darum, daß dieses Werk gegen die Okkupanten dieses Gebiets errichtet wurde. Ich will nun nicht sagen, daß uns als Bevölkerung in der Zwischenzeit nicht Freud und Leid mit den damaligen Okkupanten getroffen hat, vielleicht mehr Leid als Freud. Wir haben uns mit dieser Entwicklung durchaus abzufinden vermocht. Ich hielt es für notwendig, dies dem Hohen Haus mitzuteilen, um zu zeigen, wie hier tatsächlich die Gefahr vorhanden ist, daß an solchen Stellen wiederum Menschen in irgendeiner Form entscheidend mitwirken können. bei denen solche im Effekt gefährlichen Vorstellungen virulent sind. Wir sollten uns hüten, die Frage des Fremdenverkehrs ausschließlich von der volkswirtschaftlichen, von der kommerziellen Seite her zu sehen, sondern sollten auch dem Gesichtspunkt Rechnung tragen. den ich zu Anfang meiner Ausführungen erwähnte, nämlich den Fremdenverkehr auch im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung der Beziehungen der Völker untereinander zu sehen. Und wir sollten bei der Auswahl der damit zu beauftragenden Personen mit aller Entschiedenheit darauf achten, daß wir nicht auf solche Leute zurückgreifen müssen, die unter Umständen viel mehr Porzellan zerschlagen. als sie Gutes zu tun geeignet und in der Lage sind.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stahl.
Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Damit nicht der Eindruck entsteht, als ob der Fremdenverkehr nur in Bayern zu Hause ist, habe ich mich zum Wort gemeldet, als die zwei Herren aus Bayern hier sprachen.
Ich darf nur wenige kurze Worte hinzusetzen, und zwar ein kritisches Wort dahingehend, daß vielleicht im deutschen Fremdenverkehr auch gewisse Institutionen des Fremdenverkehrs sich etwas ändern müssen. Wenn man sich da oder dort, zum Beispiel in den Großstädten — ich möchte jetzt keine Namen nennen —, die Preise ansieht, so graust es einem, der vom Grenzgebiet kommt, ob er aus Bayern, aus Baden oder aus Württemberg ist, daß da der internationale Gast
— vielleicht ein Mann einer alliierten Dienststelle — für eine Übernachtung ohne Verpflegung, ohne Frühstück viel mehr zahlen muß als der Erholungsuchende in anderen Gebieten. Bei uns bekommt man in den Fremdenverkehrsgebieten dafür eine ganze Tagesverpflegung. Das macht im Ausland keinen guten Eindruck.
— Wenn gefragt wird, wo das ist, dann entgegne ich: das ist in erster Linie Frankfurt, das sind die Großstädte hier im Rheinland. Da kostet eine Übernachtung — man soll sich darüber sehr wohl einmal etwas wundern — 12, 13, 14 und 15 D-Mark. Dafür ist bei uns, in den Reisegebieten, die ganze Verpflegung enthalten.
Über Bonn möchte ich jetzt nicht sprechen. Da sind wir ja gastlich aufgenommen.
Aber meine verehrten Kollegen: der Hotelier darf den Fremden, wenn er zu uns kommt, nicht neppen. Der Hotelier wird mit den Preisen heruntergehen müssen. Er muß sich wieder daran gewöhnen, daß man auch mit dem Pfennig und mit der Mark rechnet.
Notwendig ist aber etwas anderes: daß der Fremde, der zu uns kommt, auch gastliche Aufnahme findet. Und darüber habe ich nun eine ernste Bemerkung zu machen. Den Häusern, die requisitioniert waren — und es sind in erster Linie die guten Hotels und die guten Häuser requisitioniert worden —. fehlt es zum Teil eben heute noch an den notwendigen Einrichtungen, um dem fremden Gast das zu bieten, was er vielleicht zu Hause hat. Es wird notwendig sein, im Rahmen der Arbeitsbeschaffung zur Unterbringung von mehr Menschen im Fremdenverkehrsgewerbe. also um die Arbeitslosigkeit zu einem kleinen Teil zu bekämpfen, gewisse Kredite auch dem Fremdenverkehr zu geben, damit er wirklich wieder aufbauen kann.
Das letzte, was ich noch zu sagen habe, ist
— wir haben es hier schon einmal ausgesprochen —: auch die restlichen Requisitionen müssen endlich fallen. Wir können im Auslande nicht werben, wenn die beste n Hotelbetriebe noch beschlagnahmt sind. Wenn ich aus meiner Heimat nur Baden-Baden und Freiburg herausgreife, so ist zu sagen: Baden-Baden ist ein internationaler Kurort, der von Fremden, von den Amerikanern besucht wurde. Sie können heute dort nicht hin, weil die großen Hotels zum großen Teil roch beschlagnahmt sind. Wenn wir also Fremdenverkehr treiben wollen, dann muß die Regierung mit den Herren Hohen Kommissaren darüber verhandeln, daß auch die letzten Requisitionen fallen.
Nun noch ganz kurz ein anderes, weil der Antrag von den Reisebüros spricht. Am 4. November 1946 hat der Kontrollrat beschlossen, daß das alte gute deutsche Reisebüro MER, das Mitteleuropäische Reisebüro, seinen Namen ändern mußte in „Deutsches Reisebüro". Auch da kommt wieder langsam die Zeit, in der man unseren Reisebüros die alten Möglichkeiten der Werbung geben sollte.
Im übrigen glaube ich, daß ich nicht zuviel zu sagen habe. Es ist richtig, daß der Antrag der CSU unterstützt wird. Auch meine Fraktion tut das und bittet das ganze Haus, dem Antrage zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Brönner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eine ganze Reihe von Gründen gehört, derentwegen wir im Ausland für den Fremdenverkehr in Deutschland werben sollen. Diesen Gründen stimmen wir zu. Ich möchte in die Aussprache eine neue Idee hineintragen. Wir wollen diese Menschen nicht bloß unterhalten, nicht bloß für unsere schönen Gegenden interessieren, sondern wir wollen sie in unseren Bädern auch möglichst gesund machen. Unsere deutschen Bäder haben nicht nur die Aufgabe, die Deutschen, sondern auch das Ausland
darauf hinzuweisen, daß bei uns noch mehr zu haben ist: das Wichtigste im Leben, die Gesundheit! Daher möchte ich auch aus dem Grunde das Bad Mergentheim erwähnen. Bad Mergentheim erhält schon seit langen Jahren vom Ausland Anfragen, so daß hier auch eine Devisenquelle fließen könnte. Ich muß und darf wohl hier unterstreichen: nicht bloß die Unterhaltung, nicht bloß das Vergnügen, sondern auch die Gesundheit ist für alle Menschen der ganzen Welt bedeutsam. Daher halte ich es für angebracht, daß diese Organisation, die im Ausland wirbt: „Besucht das deutsche Land", auch dahin wirkt, daß die Kranken des Auslandes auch die deutschen Bäder besuchen möchten und auf diese Weise sich selbst und der , gesamten deutschen Wirtschaftslage einen großen Dienst erweisen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mensing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich nur kurz dazu äußern. Ich möchte daran erinnern, daß wir im Lande Niedersachsen den Kranz der niedersächsischen Bäder haben. Bäder von Weltruf. Ihnen allen dürfte bekannt sein, daß berühmte Bäder wie Oeynhausen und Eilsen fast ganz von der Besatzungsmacht beschlagnahmt sind. Ich halte es für unbedingt erforderlich, daß die Bundesregierung die Besatzungsmacht darauf aufmerksam macht, daß es notwendig ist. diese Heilbäder der Allgemeinheit wieder zuzuführen. Es ist eine Notwendigkeit, daß wir von der Tribüne dieses Hohen Hauses dieses zum Ausdruck bringen.
Ich möchte weiter abschließend folgendes feststellen Wenn hier gesagt wurde, daß das Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe zur Zeit Phantasiepreise nehme so mag das bedingt richtig sein. Aber zur Ehre dieses Berufsstandes möchte ich feststellen, daß nach dem Zusammenbruch wohl kein Berufsstand von seiten der Soldaten der Besatzungsmächte so ausgeplündert wurde wie gerade dieser Berufsstand.
Sind noch weitere Wortmeldungen zu erwarten? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratung. Es ist der Antrag gestellt, den Antrag auf Drucksache Nr. 490 an zwei Ausschüsse, den Ausschuß für Verkehr und den Ausschuß für Wirtschaft. zu überweisen. Federführend soll der Ausschuß für Verkehr sein. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betreffend Studienkommission zur Erforschung der Möglichkeiten im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit .
Ich schlage Ihnen vor, die Empfehlung des Ältestenrats anzunehmen, die Gesamtredezeit für diesen Punkt auf 30 Minuten zu beschränken. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Dr. Bertram.
Meine Damen und Herren! Die soziale Marktwirtschaft soll soziale Sicherheit bieten. Was heißt soziale Sicherheit anders als Sicherheit des Arbeitsplatzes? Die Sicherheit des Arbeitsplatzes zu schaffen, ist das Ziel, das uns wahrscheinlich alle eint. Wenn wir diesen Antrag eingebracht haben, so haben wir das in der Überzeugung getan, daß alle; die in diesem Hause versammelt sind, sich für dieses Ziel einsetzen werden, daß aber nicht nur wir, die wir in diesem Hause sind, etwas dazu zu sagen haben, sondern daß auch außerhalb des Hauses in Deutschland eine Reihe von maßgebenden Persönlichkeiten vorhanden ist, die in der Vergangenheit und auch in der jetzigen Zeit auf diesem Gebiet gearbeitet 'haben.
Wenn man nun einwendet, der Vorschlag einer Studienkommission verzögere möglicherweise die Lösung des ganzen Problems, so glaube ich nicht, daß dieser Einwand richtig ist. Die gegenwärtige Arbeitslosigkeit ist ja nicht nur eine saisonale Arbeitslosigkeit, die mit Mitteln bekämpft werden könnte, die heute eingesetzt und morgen wirkeam werden würden. Die Arbeitslosigkeit, unter der wir alle leiden, hat sicherlich auch strukturelle Gründe und Gründe, die in dem gesamten Wirtschaftssystem liegen. Die strukturelle Arbeitslosigkeit und die systembedingte Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, ist eine Aufgabe, die sich nicht von heute auf morgen erledigen läßt. Das ist eine Aufgabe, über deren Bewältigung die Besten des deutschen Volkes nachdenken sollten. Ich glaube deshalb, daß wir mit einer solchen Studienkommission wohl etwas erreichen körnten. Vor allem glaube ich, daß eine solche Studienkommission keineswegs eine Verzögerung mit sich zu bringen braucht, da die sofort möglichen Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von der Regierung pflichtgemäß erforscht und eingesetzt werden müssen. Diejenigen Mittel aber die zur Bekämpfung der strukturellen Arbeitslosigkeit und der systembedingten Arbeitslosigkeit notwendig sind, werden wir alle zusammen erarbeiten können. Ich erinnere mich, daß auch seitens der Regierung der Wunsch an uns herangetragen worden ist. in diesen Fällen zusammenzuarbeiten. Insbesondere hat der Herr Abgeordnete Wellhausen darauf hingewiesen, daß er eine formelle Einladung auch an die Opposition ergehen ließ, auf diesem Gebiet mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Dieser Einladung folgen wir gern. Es ist ja auch im Ausland so, daß bei Problemen, die nicht durch sofortige Maßnahmen gelöst werden können, besondere Kommissionen eingesetzt werden um in diesen Kommissionen das Für und Wider eingehend zu erörtern. Es ist auch nicht notwendig, daß diese Kommission einen sehr großen Umfang hat. Ich kann mir vorstellen, daß zu der Kommission selbst nur eine Reihe von Mitgliedern der in Betracht kommenden Ausschüsse zu gehören braucht, daß eine geringe Anzahl von Sachverständigen hinzuzutreten hätte, daß im übrigen aber die Kommission nach Art eines Untersuchungsausschusses zu verfahren hätte und dann die verschiedenen in Betracht kommenden Stellen dazu hören könnte.
Die Einigkeit, die dann möglicherweise in dem Kommissionsbericht erzielt wird, dürfte geeignet sein, unserer ganzen Wirtschaftspolitik einen gewissen Impuls zu geben. Die zukünftige Entwicklung der Arbeitslosigkeit ist noch völlig ungeklärt. Wir wissen keineswegs, ob nicht in Zusammenhang mit der steigenden Arbeitsleistung
des einzelnen Arbeiters in den nächsten Monaten und Jahren noch eine zusätzliche Arbeitslosigkeit zu befürchten ist. Auch hier müssen entsprechende langfristige Arbeitsbeschaffungsprogramme ausgearbeitet werden.
Wir vom Zentrum haben eine ganz bestimmte Vorstellung davon, wie die Erholung der deutschen Wirtschaft durchgeführt werden sollte. Wir haben dazu einen Antrag überreicht. Wesentlich scheint uns aber zu sein, daß überhaupt eine aktive Konjunkturpolitik getrieben wird. Wir sind der Ansicht, daß die bisher getroffenen Maßnahmen als Maßnahmen zur Beseitigung der Ursachen der langfristigen Arbeitslosigkeit keineswegs ausreichen. Nur eine entschlossen aufbauende Politik, die rechtzeitig die Auffangpositionen für die infolge der Rationalisierungswelle — die die gesamte europäische Wirtschaft erfaßt hat - freiwerdenden Arbeitslosen schafft, kann mit diesem Problem fertig werden.
Als solche produktiven Maßnahmen müßten in dem Ausschuß im einzelnen folgende erörtert werden: die sofortige Inangriffnahme des Wiederaufbaus der zerstörten Städte, nach Möglichkeit die Herausführung des Baugewerbes aus dem saisonalen Charakter, die sofortige Wiederaufnahme des Handelsverkehrs mit dem, Osten und dem Südosten sowie die Liberalisierung nur Zug um Zug mit der Liberalisierung des Handels auch seitens der anderen Länder, ferner eine Einfuhrlenkung auf die Rohstoffe hin und die tunlichste Vermeidung der Einfuhr von industriellen und Lebensmittelrohstoffen aus dem Dollarraum; eine Exportförderung durch Festsetzung eines richtigen Wechselkurses, die Ausnutzung des deutschen und ausländischen technischen Fortschritts insbesondere beim Verkehrsgewerbe durch Einführung neuartiger Beförderungsmethoden und durch die Inangriffnahme der Beseitigung der strukturell bedingten Verkehrskrise. Vor allem müssen auch die nicht kostendeckenden Tarife der Bundesbahn beseitigt werden. Das landwirtschaftliche Pachtungswesen und der Düngerabsatz müssen in dieser Kommission eingehend besprochen und die Förderungsmaßnahmen untersucht werden. Der Aufbau dezentralisierter Industrien auf dem Lande muß geprüft werden. Es muß ein echter Leistungswettbewerb durch scharfe Monopolkontrolle erörtert werden. Die richtige Lenkung der Gegenwertmittel und des allgemeinen Kapitalstroms wäre ebenfalls zu erörtern.
Um eine aktive Politik zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit zu ergreifen, darf auch der Staat, der der größte Konsument des Marktes ist, was seine Einnahmen, aber auch was seine Ausgaben anbelangt, sich nicht versagen. Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen hinsichtlich der Landmelioration und der Sicherstellung der landwirtschaftlichen Bestellung ist eine bevorzugte Aufgabe der staatlichen Politik und einer entsprechenden Steuer- und Kreditpolitik.
Die Arbeitslosigkeit ist ja nur ein Teilproblem der allgemeinen Not. Schon heute ist das Wort von den Stiefkindern der Erholung geprägt worden. Damit sind die etwa 9 Millionen Sozialrentner, Kriegsversehrten, Kriegshinterbliebenen und Arbeitslosen gemeint. Dieser Kreis der Stiefkinder der Erholung wird sich, wenn nicht alsbald eingegriffen wird, noch weiter vergrößern. Dieser Bevölkerungskreis leidet unter ganz erheblichem Unterkonsum. Manche Familien können sich kaum die notwendigsten Lebensmittel kaufen. Hier herrscht brutal die Diktatur des Bezugsscheins „Geld". Eine Kluft hat sich aufgetan, die allgemeines Mißtrauen und eine steigende Unzufriedenheit in diesen weiten Schichten aufkommen läßt. Die Entwurzelung dieser Stiefkinder der Erholung ist so stark, daß nur eine ganz entschlossene Politik die Gefahr einer sozialen Auseinandersetzung größten Ausmaßes und damit einen Zusammenbruch unseres jungen Staates vermeiden kann.
Wenn wir in dieser Kommission zu einem praktischen Vorschlag kommen würden, dann dürfte vor allem von Bedeutung sein, daß die Zusammenarbeit der verschiedenen Ministerien eindeutig geklärt wird. Die Abstimmung der Notwendigkeiten zwischen den einzelnen Ressorts, zwischen Finanz- und Wirtschaftsministerium, wird von besonderer Wichtigkeit sein.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Konjunkturbeobachtung, Wirtschaftspolitik, Kredit- und Finanzpolitik müssen an zentraler Stelle nach einheitlichem Plan gelenkt werden. Die Konjunkturpolitik bzw. die Beschäftigungspolitik muß unter eine solche Zentralinstanz gestellt werden, und dadurch muß die konjunkturelle Wirtschaftslenkung ohne den Aufbau einer Verwaltungswirtschaft die Sicherung der jetzt versagenden Selbststeuerung der Marktwirtschaft herbeiführen.
Ich bin der Ansicht, daß, wenn in der Studienkommission nach diesen Grundsätzen gearbeitet wird, wohl ein großes und langfristig wirksames Programm erstellt werden kann, das die Grundlagen unserer Wirtschaftspolitik neu zu ordnen gestattet.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der CDU/CSU, für die Fraktion der FDP und die Fraktion .der DP darf ich mich auf eine kurze Erklärung beschränken. Wir begrüßen selbstverständlich jede Möglichkeit, der Arbeitslosigkeit wirksam entgegenzutreten und alle Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung zu ergreifen. Doch scheint uns der Antrag auf Einsetzung einer Studienkommission in der vorliegenden Formulierung nicht das geeignete Mittel zu sein, um alle Wege zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu ermitteln und die Resultate dieser Ermittlung entsprechend zu verwerten.
Ohne Zweifel sind - auf Einzelheiten will ich nicht eingehen - Vertreter von ganzen Gruppen in dem Antrag nicht aufgeführt, die eine wesentliche Rolle bei allen Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu spielen haben, ob es nun die Vertreter der Bauernverbände oder Arbeitgeberverbände oder Vertreter der Wirtschaftswissenschaft oder Vertreter anderer Kreise sind. Wir müssen uns nach meiner Meinung sowohl über die Zusammensetzung einer solchen Kommission wie über den Umfang ihrer Aufgaben noch eingehend unterhalten. Das kann heute im Plenum nicht geschehen. Ein Abänderungsantrag
ist aus dem Handgelenk heraus nicht zu stellen. Darum halten wir es für zweckmäßig, bevor wir uns darüber entscheiden, wie wir uns zu dieser Studienkommission stellen und worin wir ihre Aufgaben sehen, den vorliegenden Antrag dem Ausschuß für Wirtschaft federführend und zur Mitbearbeitung dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen. In diesem Sinne werden die drei genannten Fraktionen auch stimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wönner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vor 14 Tagen ist — so glaube ich wenigstens sagen zu dürfen — einmal mehr klar geworden, daß es mit das ernsteste Anliegen meiner politischen Freunde ist, dem .Problem der Arbeitslosigkeit mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auf den Leib zu rücken. Wir glauben aber nicht, daß der hier vorgeschlagene Ausschuß ein sehr geeignetes Mittel wäre, um dieses Problem tatsachlich zu meistern. Wir fürchten vor allem., daß damit die von dem Antragsvertreter selbst geäußerte zeitliche Verzögerung mindestens eine Fehlerquelle darstellen würde, die wir im Augenblick unter keinen Umständen ertragen könnten.
Noch ein zweites wäre dazu zu bemerken. Die Ausführungen zur Begründung dieses Antrages haben klarwerden lassen, daß dieser Ausschuß wahrscheinlich schon sehr bald in eine Grundsatzdebatte' über die Wirtschaftspolitik an sich eintreten müßte. Das würde wiederum nicht geeignet sein, das Problem wesentlich zu fördern.
Wir glauben, folgendes feststellen zu dürfen. ) Die Ursachen der Arbeitslosigkeit als solche sind bekannt. Die Möglichkeiten, ihrer Herr zu werden, und die Notwendigkeiten hierzu sind auch bekannt. Wenn etwa daran noch etwas gefehlt haben sollte, dann wäre es durchaus möglich, zu dem 16-Punkte Programm des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu diesem Problem zurückzukehren, um es noch einmal zum Gegenstand der Beratung zu machen. Aber das Hohe Haus hat ja schon vor vierzehn Tagen die Regierung noch einmal gebeten, ein ausreichendes Arbeitsbeschaffungsprogramm vorzulegen. Dieses Programm, von dem wir erwarten, daß es dem Haus sehr bald vorgelegt wird, wird erneut Gelegenheit geben, sich darüber zu unterhalten, ob die von der Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen als ausreichend empfunden werden können oder nicht. Wir glauben nämlich sagen zu dürfen: das Problem ist nicht mehr nur ein wirtschaftspolitisches Problem, das Problem ist nicht mehr nur ein sozialpolitisches Problem, sondern es ist ein Problem von so eminenter allgemeinpolitischer Bedeutung geworden, daß die Regierung keinen Augenblick zögern kann, die Vorlage so rasch wie möglich zu machen. Wir werden daher dem Antrag nicht zustimmen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Harig.
Meine Damen und Herren! Ich habe heute nachmittag in einer Zeitung gelesen, daß die Arbeitslosigkeit weiterhin im Steigen begriffen ist und daß jetzt offiziell 2 018 000 Arbeitslose registriert worden sind, ferner daß allein im Monat Februar, der noch gar nicht zu Ende ist, in Nordrhein-Westfalen 35 000 Personen zusätzlich arbeitslos geworden sind. Es ist daher notwendig, daß etwas getan wird. Es muß etwas getan werden, es hätte schon längst etwas getan werden müssen. Ich bin aber nicht der Meinung, daß das, was hier vorgeschlagen wurde, der richtige Weg ist. Das, was eben von dem Vertreter des Zentrums zur Begründung gesagt worden ist, ist doch gerade das, was wir alle von unserer Regierung erwarten, das ist doch das, was zu den Aufgaben unserer Regierung gehört. Wir haben doch solche Experten, die auf dem Gebiet so ungeheuer viel und Großes leisten können; das haben sie vorher immer gesagt. Wir haben einen Bundeskanzler namens Adenauer, der hat gerade dies Problem in den Vordergrund seiner Aufgaben gestellt. Wir haben einen Professor Erhard als Wirtschaftsminister, der hat die Arbeitslosigkeit zuerst negiert, und nachher hat er gesagt: wenn ich das will, ist in wenigen Tagen das Arbeitslosenproblem gelöst. Dann haben wir noch einen Arbeitsminister Storch, der hat sich doch ähnlich ausgelassen. Warum denn jetzt eine Studienkommission aufbauen und das Prestige, das man noch bei der schaffenden Bevölkerung und den Arbeitslosen hat, verlieren? Die lachen nämlich darüber. Es hat nach 1918 auch so etwas wie eine Studienkommission gegeben, das ist noch in Erinnerung.
In der vergangenen Woche hat mein Fraktionsfreund Nuding anläßlich der Debatte über das Arbeitslosenproblem auf die Ursachen der Arbeitslosigkeit hingewiesen und dargetan, daß sie im Widerspruch des Systems liegen. Er hat nicht vergessen, dabei darauf hinzuweisen, daß gerade der Marshallplan eine dieser Ursachen darstellt. Jetzt soll aber diese Kommission gebildet werden, und sie soll ein Gutachten erstatten. Ich denke, wir brauchen keine Gutachten mehr. Wir brauchen nur hinauszugehen, da sehen wir die ungeheure Wohnungsnot, da sehen wir die ungeheuren Trümmer, die daliegen, wir brauchen auch nur den Zustand der Bundesbahn zu betrachten, dann brauchen wir kein Gutachten darüber, wie wir für die Arbeitslosen Arbeit finden. Wir können uns meinetwegen auch ganz freundlich an die Gewerkschaften wenden. Die Gewerkschaften haben genügend Untersuchungen angestellt. Die Gewerkschaften würden das Gutachten, ohne daß wir eine Kommission bilden, schon geben können.
Mein Kollege Hans Böhm hat mir heute nachmittag freundlicherweise eine Zeitung zur Verfügung gestellt, die „Welt der Arbeit". Die neueste Nummer dieser Zeitung, die morgen erst herauskommt, hat als Hauptüberschrift auf der ersten Seite stehen: „Übergewinne eingestanden. Erhard gibt Milliarden-Gewinne der Unternehmer zu." Wir lesen dann auf der ersten Seite, daß seit der Währungsreform 4 1/2 bis 5 1/2 Milliarden D-Mark Privatgewinne für Investierungen gemacht worden sind. Sehen Sie, meine Herrschaften, da könnte man doch dazu übergehen, den Unternehmern einfach zu verbieten, weitere Entlassungen vorzunehmen. Man könnte ein weiteres tun, man könnte ihnen gebieten, in Höhe von 5 Prozent ihrer Belegschaft junge Menschen aufzunehmen, die jetzt keine Arbeit haben, von denen wir jetzt schon eine halbe Million haben, und sie als Lehrlinge in die Betriebe einzustellen. Wenn 5 Prozent dieser jungen Leute Lehrlinge würden, würde das für manchen Familienvater, vielleicht für manchen arbeitslosen Vater eine wertvolle Unterstützung sein.
Die sozialdemokratische Fraktion hat eben erklärt, daß sie gegen die Studienkommission ist. Die Sozialdemokraten tun auch gut daran, gegen diesen Antrag zu stimmen. Denn was hat sich herausgestellt? Auch wir haben anläßlich der Debatte über die Arbeitslosigkeit einige Vorschläge gemacht. Der Bundeskanzler aber hat erklärt: „Die SPD hat nicht einen einzigen konkreten Vorschlag gemacht." Wenn sie noch keinen gemacht hat, mein Gott, dann wird sie auch in. Zukunft keinen machen können.
— Ich habe eben Vorschläge gemacht.
Und die CDU — das steht in der Zeitung — hat geschrieben: „Es ist offensichtlich, daß die Arbeitslosigkeit gottgewollt ist, und es bleibt nichts anderes übrig, als sich darin zu schicken."
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.,
Es bleibt also nur noch übrig, daß die Kornmission, wenn beide Teile keine anderen Auswege kennen, von der Rechten gebildet wird; die findet einen Ausweg, die Remilitarisierung. Wir sind der bescheidenen Meinung, daß man uns und unseren Arbeitslosen keinen Gefallen getan hat mit dem Stahlembargo. Man hat ihnen auch keinen Gefallen getan, als man nicht gekämpft hat um, den Schienenauftrag.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen!
Noch einen Satz!
Man sollte eine solche Kommission schaffen und sie nach der Sowjetunion schicken. Dort kann sie studieren, wie man der Arbeitslosigkeit Herr wird.
Aber dazu sind Sie nicht in der Lage!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. •
Wir kommen zur Abstimmung. Es ist der Antrag gestellt, den Antrag Drucksache Nr. 503 an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und den Ausschuß für Arbeit zu überweisen; dabei soll der Ausschuß für Wirtschaftspolitik federführend sein. Wer für diese Überweisung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. Der Antrag auf Überweisung ist abgelehnt.
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag selbst. Wer für den Antrag Drucksache Nr. 503 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Mit überwiegender Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Verlegung von Dienststellen des Bundes nach Berlin .
Ich habe dazu mitzuteilen, daß der Ältestenrat dem Plenum den Vorschlag macht, die Zeit für die Begründung des Antrags auf 15 Minuten zu
begrenzen und die Gesamtredezeit für die Aussprache auf 90 Minuten. — Es erhebt sieh kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Meitmann.
Meine Damen und Herren! In der vorletzten Sitzungswoche, in der 37. Plenarsitzung des Bundestags, haben wir das Gesetz über Hilfsmaßnahmen zur Förderung der Berliner Wirtschaft verabschiedet. Es ist tief bedauerlich, daß sich ein, wenn auch nur kleiner Teil der Abgeordneten des Bundestags bei der Abstimmung der Stimme enthalten und ein - Gott sei Dank, das darf ich sagen — auch nur kleiner Teil der Abgeordneten bei ihrer Stimmabgabe gegen dieses Hilfsgesetz für Berlin entschieden hat. Es waren erwartungsgemäß die Vertreter der Kommunistischen Partei, jener Partei in der Bundesrepublik, deren östliche diktatorische Führer und Einpeitscher in diesem Hause uns ursächlich veranlaßt haben, dieses Gesetz einzubringen und zu verabschieden.
Das Gesetz enthält drei konkrete Hilfsmaßnahmen für Berlin: eine Bundesgarantie zur Abdeckung des dem Warenbezug aus Groß-Berlin nach dem Westen anhaftenden Risikos, eine Bundesbürgschaft zur Sicherstellung der Finanzierung eines einzigen, wenn auch sehr bedeutenden wirtschaftlichen Versorgungsunternehmens, des Kraftwerkes West, und drittens die Gewährung einer dreiprozentigen Umsatzsteuervergütung für Gegenstände, die in West-Berlin erworben oder hergestellt und in das westdeutsche Bundesgebiet überführt werden. Alle drei Maßnahmen zielen ab auf die Förderung der Berliner Produktion und damit — und das ist das für uns Entscheidende — auf die Steigerung der Beschäftigungsmöglichkeiten der Berliner Bevölkerung, deren Arbeitslosenzahl, wie wir alle wissen, über der sämtlicher anderen deutschen Bundesländer liegt.
So erfreulich die Verabschiedung dieses Gesetzes ist, so wichtig ist die Erkenntnis, daß dieses Gesetz — ich hoffe, daß das ganze Haus von dieser Erkenntnis beseelt ist und auch willens ist, ihr zu folgen — nur ein Anfang ist. Bei diesen Maßnahmen, die wir in der vorletzten Sitzung beschlossen haben, handelt es sich nur um einen ersten Schritt. Wir möchten, daß der Bundestag nun in rascher Folge, Zug um Zug auf diesem Wege weitergeht, um Berlin zu helfen. Ich will den zahllosen Sympathieerklärungen und Solidaritätsproklamationen, die aus fast allen Kreisen der westdeutschen Bevölkerung gekommen und mit mehr oder weniger großer Nachdrücklichkeit abgegeben worden sind, nicht etwa den Wert absprechen. Ich bin weit davon entfernt. Meine Freunde und ich sind der Meinung, daß jede solche Erklärung ihren inneren politischen Wert hat. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags aber würden den Ehrentitel „Volksvertreter" nicht verdienen, wenn sie von solchen Erklärungen nicht zu Taten übergingen; denn erst dadurch erscheinen solche Erklärungen glaubhaft und bekommen sie ihren Wert. Es ist doch wohl die echteste und bedeutsamste all unserer Aufgaben, die wir als Abgeordnete haben, unsere jetzt getrennten deutschen Gebiete wieder zu einem einheitlichen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Gemeinwesen zusammenzuführen.
Alle Ausführungen über die Einheit Deutschlands sind leeres Gerede, wenn diesem Gesamtgebiet nicht aus voller Überzeugung vom inneren Wert der inneren Gestaltung dieses Landes das gegeben wird, was seine Einheit mit Sicherheit verbürgt, nämlich die Freiheit seiner Bürger! Hierfür soll der Antrag, den die sozialdemokratische Fraktion eingebracht hat, ein weiterer. Beweis sein; er soll dem Hause beweisen, daß wir es mit diesen Erklärungen ernst meinen.
Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, hätten wir es auch viel lieber gesehen, wenn statt des Antrages meiner Fraktion eine dem Sinn und Inhalt dieses Antrages entsprechende Vorlage des Herrn Ministers für gesamtdeutsche Fragen dem Hause unterbreitet worden wäre, und noch lieber, wenn es eine Vorlage der Regierung wäre, hinter der alle Kabinettsmitglieder stehen. Wir fragen uns: warum geschah und geschieht das eigentlich nicht? Hat der zuständige Herr Minister oder hat ein anderes Kabinettsmitglied etwa Bedenken sachlicher Art? Was ist denn der eigentliche Sinn unseres Antrages? Es ist nichts anderes als die konsequente Folgerung aus einem bereits am 21. Oktober des vorigen Jahres gefaßten Beschluß dieses Hohen Hauses. Der Bundestag hat darin die Meinung ausgesprochen, daß Berlin so behandelt werden solle, als ob es de facto und de jure das zwölfte deutsche Land sei. Vier volle Monate hat die Bundesregierung uns auf ihre Initiative warten lassen. Wir fragen uns: ist das Zufall, oder liegen so ernste Bedenken vor? Wenn ja, dann möchten wir sie hören. Vier Monate sind ins Land gegangen, während deren die Pression auf Berlin ständig zunahm, bis wir, die Opposition, nun wiederum, wie in vielen anderen Fällen, gezwungen waren, die Initiative zu ergreifen und durch den vorliegenden Antrag den Versuch zu unternehmen, Berlin rasch und wirksam zu helfen. Dem Sinn des Wortes „regieren" entspräche es doch wohl, wenn man in so wichtigen Dingen, wie es durch diesen eben gekennzeichneten Beschluß des Bundestages deutlich geworden ist, voranginge. Regieren heißt führen. heißt in der Initiative sein. Für den Fall, daß hier sachliche Bedenken geltend gemacht werden sollten, stelle ich fest: Mit der einzigen Ausnahme des Bundesverfassungsgerichts, das wohl dem früheren Reichsgericht in Leipzig gleichzusetzen ist, sind alle Bundeseinrichtungen, deren Verlegung oder, besser und richtiger gesagt, Wiederaufrichtung in Berlin wir beantragt haben, früher Einrichtungen Berlins gewesen und haben schon immer einen Bestandteil des Berliner Lebens gebildet. Berlins Anspruch, wenigstens traditionell, noch mehr aber aus der Sache und aus der Situation heraus, auf eine Zurückverlegung dieser in unserem Antrag dafür vorgesehenen Bundeseinrichtungen steht für uns Sozialdemokraten außer Zweifel. Wer diesen Anspruch aus der Vergangenheit und aus der gegebenen Situation Deutschlands und Berlins nicht anerkennt, von dem möchten wir wohl annehmen, daß er es mit seinen Komplimenten und seinen Sympathieerklärungen nicht ganz ernst meint. Die Berliner Bevölkerung jedenfalls —das wissen Sie ja — will jetzt nicht mehr schöne Worte. Oft genug haben wir, wenn wir mit den Menschen in Berlin zusammensaßen, gehört: Der Worte sind genug gewechselt, jetzt woll'n wir endlich Taten sehn!
Daß wir Sozialdemokraten es ernst mit diesen Konsequenzen aus Proklamationen meinen, die überall in Deutschland und darüber hinaus für
Berlin erlassen worden sind, will ich Ihnen — und das darf ich als Abgeordneter meines Hamburgischen Landes bescheidenerweise hier .sagen — an einem Beispiel beweisen. Unter Ziffer 1 unseres Antrages ist das Bundesaufsichtsamt für Privatversicherung aufgeführt. Im Bundesrat haben die Vertreter des Landes Hamburg den Alternativantrag gestellt — und so ist er gemeint —, für den Fall,- daß dieses Haus und die Regierung aus irgendeiner Überlegung heraus nicht willens sind, diese Institution nach Berlin zu verlegen, das Bundesaufsichtsamt für Privatversicherung nach Hamburg zu verlegen. Ich habe die Argumente und die Begründung geprüft, und ich kann, ohne daß ich mich Hamburg mehr als der Bundes-Republik verbunden erkläre, vor jedem deutschen Lande sagen, daß diese Argumente gut und achtbar sind. Aber ich erkläre auch, daß wir Sozialdemokraten, die wir hier sitzen — alle unsere Abgeordneten Mann für Mann — für die Verlegung auch dieses Amtes nach Berlin eintreten und stimmen werden.
Die Priorität Berlins ist keine Frage des Interesses einer Gruppe von Deutschen irgendeines Landes, sondern das ist die politische Frage der Stützung und Erhaltung unseres Vorpostens im Kampf für die Freiheit auch unseres Westdeutschlands und Europas.
Wir sind weit entfernt von Selbstzufriedenheit, und wir sind mit den sozialen, ökonomischen und politischen Umständen in Westdeutschland gar nicht zufrieden. Aber wir wissen. daß die Not der Berliner Bevölkerung um das Vielfache größer ist gegenüber der, in der wir selber uns befinden und mit der fertigzuwerden wir uns bemühen.
Meine Damen und Herren! In dem Beschluß des Bundestages wird von Berlin als dem zwölften Land gesprochen, das wir in unsere Sorgen so einbeziehen wollten, als gehörte es de jure zu uns. Ich möchte diese Reihenfolge umkehren und sagen: von heute ab und solange Berlin nicht de facto in all seinen Beziehungen wirklich ein Land der deutschen Bundesrepublik ist, so lange zumindest, ohne jede juristische Einschränkung, ist Berlin für uns Sozialdemokraten das erste Land der deutschen Bundesrepublik. Ich möchte auch glauben, daß dieser Mangel an Initiative der Regierung, den man vielleicht durch eingehende Untersuchungen zu erklären versuchen wird, bisweilen seine Ursache in der mangelnden Einsicht in die Bedeutung dieser Verbundenheit Westdeutschlands mit Berlin und unseres gesamten Bundesgebietes mit Deutschlands Problematik überhaupt hat. Vielleicht werden Sie nachher in der Debatte mit dem Argument kommen, wegen ein paar hundert Beamter seien die Unbequemlichkeiten zu groß. Ich habe mir die Zahlen für den Bundesrechnungshof einmal geben lassen; es sind etwa 250 Beamte und Angestellte, die dort tätig sind. Wir wissen, daß, wenn von diesen einmal jemand in unser Parlament kommen will, damit einige Unbequemlichkeiten verbunden sein werden, die nicht diese Menschen verschulden, sondern die an den Grenzen durch zeitweise verschärfte Revision entstehen. Sollten wir, so wird man wohl fragen, bei dieser Sachlage so entscheiden?
Ebensowenig scheint mir das Argument „wegen der Verkehrsschwierigkeiten und labilen Verkehrseinrichtungen für den Gütertransport und für den Warentransport von und nach Berlin"
durchschlagend zu sein. Sehr interessant — und ich meine, jeder Abgeordnete hätte die Pflicht, es gleich uns ebenso zu werten — sind jene Pressemitteilungen, die in den letzten Tagen gebracht wurden, in denen geäußert wurde — ich habe nicht daran geglaubt und glaube auch bis zu diesem Augenblick nicht daran —, daß die Bundesregierung sich bereits, ohne es zu veröffentlichen, entschieden haben sollte, vier in unserem Antrag genannte Einrichtungen nach Köln oder .ins linksrheinische Gebiet zu verlagern. Ich frage den Herrn Vertreter der Regierung, ob solche Entscheidungen schon gefällt oder erst beabsichtigt sind und ob die Regierung dafür die Verantwortung übernehmen will. Ich frage also, ob jene oft gehörte Behauptung, der ich mich keineswegs anschließe, daß ,das Schwergewicht der Konsolidierung dieser Regierung linksrheinisch etabliert und der Kampf um Berlin der Opposition und Berlin selber überlassen wird, zutrifft. Die Konsequenzen einer solchen Entscheidung schon jetzt aufzuzeigen, scheint uns eine politische Pflicht für Berlin und uns alle.
Wenn in dieser Situation von einer bestimmten Gruppe, die auch in diesem Haus ihre Vertretung hat, versucht wird - wenn auch mehr mit Bombastik als mit Ernst —, mit einem sogenannten Marsch auf Berlin à la Mussolini Berlin zu erobern, wenn solche Meinungen in diesem Hause oder gar von den verantwortlichen Körperschaften, Beamten und Bediensteten der Bundesrepublik übernommen werden sollten, daß man nicht wisse, ob diese wertvollen Einrichtungen, die sich dann dort befinden würden, nicht überhaupt durch einen Verlust Berlins verloren gehen könnten, so muß ich dazu schon sagen, daß das überhaupt kein Argument ist! Das wäre das Argument des politischen Defaitismus. Das wäre die offene Preisgabe Berlins. Ihr müßte sehr bald der Schreckensruf aus früherer Zeit folgen: „Rette sich, wer kann!", und zwar für das ganze übrige Westdeutschland und mit dem weiteren Abrollen dieses Problems wahrscheinlich auch für manchen Staat und manches Volk in Europa. Wenn wir jetzt sagen: „Auf die Schanzen für Berlin!", dann sind wir willens, auch Argumente, die in ruhigen und geordneten Zeiten ihre Bedeutung haben könnten, abzuweisen; denn wir sagen damit: Wir helfen nicht nur Berlin, sondern wir helfen uns selbst, wir helfen Westdeutschland, und damit helfen wir auch,, ein neues und ein zusammenarbeitendes modernes einheitliches Europa in Funktion zu bringen. Schnelle und ausreichende Verstärkung der demokratischen Kräfte an der Kampffront für die Demokratie — und das ist Berlin — ist das Gebot der Stunde! Wenn wir das praktisch und konkret formulieren, so heißt das: Hebung des Lebensstandards, Schaffung und Sicherung der Arbeitsplätze und aktive politische Teilnahme der Berliner Bevölkerung an der sozialen und staatsrechtlichen Gestaltung der Deutschen Bundesrepublik. In dieser Erkenntnis sollten wir uns alle vereinigen, unsere Bedenken zurückstellen und für den Antrag als die konkrete Auswertung des Beschlusses des Bundestages eintreten.
Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen ganz wenige, aber sehr eindringliche Zahlen sage. Am 15. Januar hatte Berlin eine Arbeitslosigkeit von 292 922. Dazu kamen 55 000 und einige hundert Kurzarbeiter. Am 31. Januar waren es 302 842 und 53 000, also eine kleine Abnahme der Kurzarbeiter, aber 10 000 Arbeitslose mehr. Dies alles trotz nachgewiesener steigender Aktivität der Produktion! Das ist ein Beweis für den Fleiß und den Arbeitswillen der Berliner Bevölkerung, ohne die der Effekt nicht in Erscheinung treten könnte: die Arbeitslosen mit in den Arbeitsprozeß einzubeziehen. Das Anwachsen der Berliner Arbeitslosenzahl erklärt sich nach den amtlichen Berichten daraus, daß allein 4 000 Arbeitslose aus dem Ostsektor Berlins neu hinzugekommen sind. Sie sind in den Westsektoren arbeitslos geworden, weil sie unter dem Druck der sogenannten „volksdemokratischen" Regierung der Ostzone gezwungen wurden, ihre Wohnungen in Westberlin zu verlassen und in den Ostsektor zu ziehen. Da entsteht doch wohl für uns alle die Frage, ob wir dieser ihrer Haltung — ihre Freiheit selbst um das Opfer der Arbeitslosigkeit nicht aufzugeben -- mit Gleichgültigkeit begegnen sollen.
Diese erschreckenden Zahlen werden noch bedenklicher, wenn wir sie nach Berufen analysieren. Von 45 Prozent Arbeitslosen — gemessen an der arbeitsfähigen Bevölkerung Berlins -sind allein 25 Prozent solche, die kaufmännischen Berufen angehören oder früher in Reichsinstitutionen, die wir jetzt nach Berlin zurückverlegen wollen, tätig gewesen sind. Der Herr Arbeitsminister — den ich nicht auf der Bank der Regierung sehe — stimmt doch wohl, so möchte ich glauben, mit uns darin überein, daß es ein außerordentlich wichtiges ökonomisches und arbeitspolitisches Problem ist, eine solche Menge von Hunderttausenden, die nur in Jahren auf diesen Spezialberuf und die Arbeit, die ihrer in diesen Verwaltungen harrt, wieder vorbereitet werden könnten, einzusetzen statt einfach ohne Betätigung zu lassen. Bei dieser Aufgabe, einen weiteren konkreten Schritt zur Einheit Deutschlands zu tun, sollte uns nichts trennen!
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Jawohl! — Meine Damen und Herren, ich muß auf einige weitere Hinweise verzichten, weil ich von der Tatsache, daß ,die Redezeit verkürzt werden soll, erst in dem Augenblick erfahren habe, als ich die Rednertribüne betreten habe. — Eine Bitte will ich an die Herren der Bayernpartei richten. Das, was in der letzten Sitzung von den Herren Abgeordneten Seelos und Besold als Grundmotiv gesagt worden ist - „Wir wollen Berlin schon helfen, aber nur unter der Bedingung, daß auch unseren Notstandsgebieten geholfen wird" —,ich als Gesinnung aus dem Geiste der Gartenlaube-Leser bezeichnen: Erst mein Tisch gedeckt, dann helfe ich anderen!
— Dieser Geist und diese Gesinnung, Herr Seelos, führen zu einer schlechten Politik. Das ist
eine Politik, die das deutsche Volk - in den
Kreisen, die es wirklich darstellen, den Kreisen
der arbeitenden Menschen — einfach nicht versteht. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, als
die ersten Anzeichen der Not in Berlin spürbar
wurden, wie Arbeiterfrauen und Männer, zum
Teil selbst arbeitslos, die Pakete für Berlin packten und wie sie ihre Kinder zuzogen, um sie
diesen Akt der Solidarität erleben zu lassen. Diesen Geist der Solidarität der Arbeiterwohlfahrt,
die nicht einen Vorwegbescheid und eine Vor-
wegdotierung ihrer Landstriche beantragt hat, möchte ich sehen, wenn wir diese Aufgabe, Berlin zu helfen, als Volksvertreter behandeln. Solidarität ohne Anspruch und ohne den Wunsch, irgendwie dafür gerühmt oder anerkannt zu werden! Ausdrücklich kann ich sagen, daß die karitativen Verbände, für die die Bayernpartei des Herrn Seelos plädiert hat, nicht von den Berliner Nothilfsmitteln vorweg bedient worden sind; sie würden sich dagegen wehren, wenn ihnen das als ihre Absicht unterstellt würde. Ich glaube, daß in dieser Not Deutschlands alle diese Hilfskräfte ihre Pflicht aus der gleichen Gesinnung, die ich vertrete, getan haben.
In der vorletzten Sitzung, als wir das Berlin-Gesetz verabschiedeten, hat der von uns allen doch verehrte Alterspräsident diesen Satz als ein gutes und der Wirklichkeit entsprechendes Symbol geformt: Berlin ist und will kein Bettler sein, Berlin ist ein gesunder Arbeiter, der aber zuviel Last auf seinen Schultern hat. Ich möchte Ihnen — da ich ja aus der Gegend bin, wo die wilden Stürme des Nordwestens auf die Deiche branden — sagen, in welchem Geist wir diese Arbeit für Berlin von uns allen getan wissen möchten. Der erste Deich, der gefährdetste Deich ist es, auf den der Deichvogt ruft, wenn die Stürme die Deiche bedrohen, und nicht der hintere und der letzte; sondern wenn der Deichvogt ruft: „Auf die Deiche!", dann ist es für jedes Kind dort oben in Schleswig-Holstein und an der ostfriesischen Küste eine Selbstverständlichkeit, dorthin zu gehen, wo die Hauptgefahr ist, und alles an dieser Stelle einzusetzen. In diesem Sinne und in diesem Geist möchten wir, daß Sie sich mit uns vereinigen, und wir sind sicher, daß Sie es tun werden, und wenn Sie es über sich bringen können, dann verschieben Sie wegen der Dringlichkeit und Bedeutung unseren Antrag nicht an einen Ausschuß, sondern entschließen Sie sich, jetzt schon und heute für die Gesamtbevölkerung Berlins den Beweis der echten und ehrlichen Absicht dadurch zu erbringen, daß wir heute schon über diesen Antrag beschließen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Angelegenheiten.
Meine Damen und Herren! Vom Standpunkt der Sorge und Verpflichtung für Berlin, in der sich die Bundesregierung mit der überwältigenden Mehrheit des Bundestags in Übereinstimmung weiß, bedaure ich in etwa diesen erneuten Berlinantrag, so sehr ich seinen Inhalt auch zu würdigen weiß. Die Debatte um ihn schließt nämlich die Gefahr ein, daß man sich zum Schaden der Aufgabe, die zu erfüllen ist, leicht auseinanderdenkt und auseinanderredet. Es darf ja nicht dazu kommen, daß man sich im Ausdruck der Sorge und Verantwortung um und für Berlin schließlich gegenseitig — gleich aus welchen Gründen immer — zu überspielen sucht.
Das könnte nach der einen und der andern Seite leicht nur hemmend und lähmend wirken, und das ist doch schließlich gerade das, was unter keinen Umständen geschehen kann und was auch niemand von uns wollen kann.
Gestern erst bin ich mit dem Herrn Bundesfinanzminister Dr. Schäffer aus Berlin zurückgekehrt. Wir hatten die durch den Fasching schließlich etwas beeinträchtigten Arbeitstage am Rhein genutzt, um der schwer kämpfenden Stadt Berlin und ihrer Bevölkerung erneut zu bekunden, wie sehr sich die Bundesrepublik und die Bundesregierung im Willen und in der Tat mit ihr verbunden wissen und wie sehr Bundesrepublik und Bundesregierung für die Erfüllung der einfach weltgeschichtlichen Aufgabe mit einstehen, die Berlin in dieser Zeit erwachsen ist. Unsere Begegnung mit den Persönlichkeiten, die in dieser inselhaften Einengung unmittelbare Verantwortung tragen, war gut und sehr ermutigend. Ich glaube sagen zu dürfen: sie war gut und ermutigend für beide Teile. In den stundenlangen Beratungen und Verhandlungen, die wir mit Oberbürgermeister Dr. Reuter, mit dem Stadtkämmerer Haas und mit den übrigen Mitgliedern des Magistrats sowie im Anschluß daran mit den führenden Persönlichkeiten des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens der Stadt führten, spielten ganz selbstverständlich neben den anderen Fragen der nationalen Verpflichtung, die man vielleicht etwas sehr unzulänglich nur „Berlin-Hilfe" nennt, auch die Anliegen immer wieder eine Rolle, die Gegenstand des vorliegenden Antrags der Fraktion der SPD sind. Es gilt das insbesondere für die Verhandlungen, die wir unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters mit dem gesamten Magistrat der Stadt führten. Was kann dazu und was kann in Verbindung damit zu dem Antrag gesagt werden?
Der Bundestag hat am 21. Oktober 1949 auf Antrag des Berlin-Ausschusses unter anderem beschlossen, zu überprüfen, in welchem Umfang, ohne den Ablauf des Geschäftsverkehrs zu erschweren, Dienststellen der Bundesrepublik nach Berlin verlegt werden können. Wie steht es zur Stunde um die Überprüfung und um die Erfüllung dieses Auftrags des Bundestags an die Bundesregierung? Ich darf es, ohne etwas zu verschweigen und ohne etwas zu beschönigen, in letzter Konkretheit zu sagen versuchen. Die Überprüfung, in welchem Umfang Dienststellen der Bundesrepublik nach Berlin verlegt werden können, ist noch nicht abgeschlossen. Sie kann auch gar nicht abgeschlossen sein. Es ist noch keine Möglichkeit gegeben, in solcher Konkretheit, wie es in dem Antrag vor allem. unter Punkt 1 ausgeführt ist, Beschluß zu fassen. In den einzelnen Ministerien sind im Zusammenhang mit den in Vorbereitung befindlichen Gesetzentwürfen über die Errichtung derartiger oberster Bundesbehörden noch Erwägungen insbesondere auch darüber im Gange, was unter Beachtung des Auftrags des Bundestags an die Bundesregierung nach Berlin verlegt werden kann. Es kann daher zur Stunde nur über den erreichten Stand der Pläne berichtet werden.
Hinsichtlich der Errichtung von Vertretungen der Bundesministerien in Berlin ist folgendes zu sagen. Erstens bestehen in Berlin bereits Vertretungen des Bundesministeriums für Wirtschaft — diese Vertretung ist im weiteren Ausbau begriffen —, des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und des Bundesministeriums für Finanzen. Zweitens: der Bundesbevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland in Berlin ist am 31. Januar 1950, also wenige Tage bevor dieser Antrag der SPD ein-
gereicht wurde, von der Bundesregierung ernannt worden. Er hat seine Tätigkeit wie das bekannt ist, inzwischen aufgenommen. Es war nicht Schuld der Bundesregierung, daß sich die Berufung des Bundesbevollmächtigten so lange hinausgezögert hat. Drittens: die Errichtung von Abteilungen, Vertretungen oder Verbindungsreferaten wird von folgenden Ministerien vorgenommen. Vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen; es führt, nachdem der Bundesbevollmächtigte sein Amt angetreten hat, nunmehr raschestens die Errichtung seiner eigenen Abteilung in Berlin durch. Da der Abteilungsleiter zugleich Stellvertreter des Bundesbevollmächtigten sein wird, verzögerte sich zunächst die Errichtung dieser Abteilung. Auch ist es erst jetzt möglich geworden, die Raumfrage zu lösen. Das Haus der deutschen Bundesrepublik, in dem die Berliner Vertretungen der Ministerien usw. vereinigt werden, öffnet am 1. April 1950 in der Kaiserallee gegenüber dem bekannten früheren Joachimsthaler Gymnasium seine Pforten.
Es handelt sich dabei um ein bundeseigenes Gebäude. Von dem Erwerb des zunächst in Aussicht genommenen, sehr repräsentativen Gebäudes am Fehrbelliner Platz, des bekannten Karstadt-Hauses, wurde aus Gründen der gebotenen Sparsamkeit Abstand genommen, da die Erwerbung dieses Gebäudes allein 71/2 Millionen D-Mark erfordert hätte. Weiter vom Bundesministerium für den Marshallplan, vom Bundesministerium für Verkehr, vom Bundesministerium für den Wohnungsbau, vom Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen. Dieses Ministerium glaubt sich nach Lage der Verhältnisse zwar nicht in der Lage zu sehen, förmliche Zentralämter nach Berlin zu verlegen, doch wird es nach seiner Versicherung starke Vertretungen der beiden technischen Zentralämter in Berlin einrichten. Vom Bundesministerium für Angelegenheiten der Vertriebenen erfolgt die Berufung von Beauftragten, die für die Koordinierung des Aufnahmeverfahrens in Verbindung mit dem Sozialamt des Magistrats von Groß-Berlin tätig sein werden. Und ganz selbstverständlich wird vom Arbeitsministerium zunächst die Errichtung einer Verbindungsstelle vorgenommen.
Was ferner die Verlegung sonstiger Dienststellen nach Berlin angeht, so ist festzustellen: Folgende Dienststellen befinden sich in Berlin: die frühere Reichsschuldenverwaltung; dann eine Verbindungsstelle des Rechnungshofes, der Normenausschuß, die Staatsdruckerei; die frühere Reichsdruckerei in Berlin ist auf den Bund übergegangen. Das Patentamt, Dienststelle Berlin, ist gemäß Verordnung vom 9. Februar 1950 auf der Grundlage des früheren Reichspatentamtes errichtet worden. Es ist bekannt, daß der Bundesminister der Justiz inzwischen in Berlin persönlich geprüft hat, welche Aufgaben dieser Dienst- bzw. Zweigstelle übertragen werden können. Weiter die Verbindungsstelle oder Vertretung des Statistischen Amtes in Berlin. Diese Vertretung wird durch das Bundesministerium des Innern erweitert. Beabsichtigt ist insbesondere die Verlagerung der Aufarbeitung von statistischem Material des Bundes und der statistischen Landesämter zur Ausnutzung der in Berlin vorhandenen Fachkräfte. Der Umfang dieser Auftragsverlagerung wird zur Zeit von einem Ausschuß der statistischen Landesämter geprüft.
Befürwortet wird vom Bundesministerium des Innern ferner die Verlegung der Interzonen-Handelsstatistik nach Berlin. Weiter: die frühere Chemisch-Technische Reichsanstalt und das Kuratorium für Wirtschaftlichkeit sind in Berlin. Reststellen dieser beiden Institutionen befinden sich nach wie vor in Berlin. Sie verbleiben dort, ohne daß parallele Organisationen im Westen errichtet werden. Dann noch die Verhandlungsführung für die Interzonen-Handelsaufgaben, die aus gegebener Veranlassung als Treuhandstelle dem Deutschen Industrie- und Handelstag zugeordnet worden sind. Dieser Einrichtung, die im Ausbau begriffen ist, kommt für die weitere Entwicklung des Interzonen-Handels große Bedeutung und Verantwortung zu.
Meine Damen und Herren, Sie werden sagen: das ist ja alles wenig; und es ist auch erst ein Anfang. Das ist aber der augenblickliche Stand. Alles weitere wird von der Bundesregierung in letzter Gewissenhaftigkeit geprüft und so rasch wie möglich zur Entscheidung gebracht. Ich weiß, daß der bisherige Stand den Erfordernissen und den Notwendigkeiten, seien sie nun materieller oder seien sie — ich befinde mich da mit dem Herrn Kollegen Meitmann in voller Übereinstimmung — nationalpolitischer Art, wie sie nicht nur in Berlin und wie sie hier im Hause nicht nur von der Opposition, sondern von uns allen empfunden werden, nicht entspricht. Ich bitte den Bundestag aber, gewiß zu sein, daß die Bundesregierung um ihre Verpflichtungen und um ihre Verantwortung für Berlin weiß. Sie würde, nein: sie müßte es als befremdlich empfinden, wenn man diesen ihren Willen, für Berlin alles zu tun, was nur geschehen kann, anzweifeln würde. Die Bundesregierung weiß, daß sie durch die Verlegung oder, besser gesagt, durch die Rückführung bzw. durch die Neuerrichtung förmlicher Bundesbehörden in Berlin, die unter den obwaltenden Umständen nicht notwendigerweise im Bereich des engeren Bundesgebietes ihres Amtes walten müssen, nur einer Verpflichtung gerecht wird, über die es bei keinem von uns überhaupt eine Diskussion geben sollte und geben darf. Es kommen hier insbesondere Bundesbehörden aus dem Zuständigkeitsbereich des Justiz-, des Finanz- und des Arbeitsministeriums in Betracht, 'und ich darf hierzu gleich bemerken, daß ich persönlich der Auffassung bin, daß nicht nur das Bundesaufsichtsamt für Privatversicherung und andere Behörden, die hier aufgeführt sind, nach Berlin gehören, sondern auch noch andere Behörden, und ich insbesondere werde mit Nachdruck dafür eintreten. Nur gebe ich, meine Damen und Herren, noch einmal dem sehr dringenden Wunsche Ausdruck, daß wir uns in dieser ganzen Angelegenheit herüber und hinüber mit größerem Vertrauen begegnen. Wir gestehen dabei der Opposition ganz selbstverständlich durchaus das Recht immer neuer Mahnung und immer neuen Antriebs zu. Nur sollte diese ihre Tätigkeit nicht von erkennbarem Mißtrauen getragen sein. Das hilft ja nicht, sondern das könnte nur lähmen und hemmen, und das wäre in der Sorge und im Denken an Berlin das Gefährlichste und das Bedauerlichste. Wenn irgendwo, meine Damen und Herren, so ist in der Sorge und in der Verantwortung für und um Berlin die Pflicht zur Gemeinsamkeit für uns alle miteinander gegeben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich gebeten, mir eine etwas längere Redezeit zu geben, da ich sämtliche Probleme hier einmal grundsätzlich erörtern wollte, um endlich ein für allemal den gegensätzlichen Auffassungen, die hier in so unschöner Weise zum Austrag kommen, ein Ende zu machen, und ich war gewillt, durchaus positiv zu allen Problemen Berlins zu sprechen. Ich habe leider nicht die Redezeit bekommen, und ich möchte nun an die Großmut des Präsidenten appellieren, mir auch soviel mehr Zeit zu geben, wie dem Sprecher der SPD gegeben worden ist. Ich wollte auch nicht mit irgendwelchen Geschäftsordnungspraktiken mir etwa 5 Minuten mehr ergeizen, wie es die KPD immer zu tun pflegt;
denn die Störung der Arbeit des Bundestages mit diesen Geschäftsordnungspraktiken ist mir von Herzen zuwider.
Übrigens kennt mich Herr Meitmann, der Sprecher der SPD, anscheinend noch nicht. Ich habe zu Berlin damals kein Wort gesprochen, sondern es war ein Fraktionskollege von mir.
Das nur zur Richtigstellung. Nicht daß ich etwa die Ausführungen von Herrn Besold nicht vollinhaltlich decken würde; ich komme noch darauf zu sprechen. Aber Sie dürfen mir glauben:
Wir müssen einmal dieses Problem in positiver Weise zum Austrag bringen, und Sie müssen nicht von vornherein immer bei uns den schlechten Willen annehmen, der Berliner Situation nicht gerecht werden zu wollen. Gerade die letzte Diskussion hat doch gezeigt — Sie können das Protokoll der Ausführungen von Herrn Besold nachlesen —, daß er so sachliche Argumente dargelegt hat, die in der kühlen, sachlichen Atmosphäre des Bundesrates fast wörtlich genau so von zwei Vertretern der bayerischen Regierung vorgebracht und selbstverständlich akzeptiert worden sind, die aber hier schärfsten Widerspruch gefunden haben und von einem Mitglied eben derselben Partei als ein Appell an die niederen Instinkte gegeißelt worden sind, womit er den dröhnenden Beifall des Hauses gefunden hat.
Herr Abgeordneter, darf ich einmal fragen: den „gröhlenden Beifall"?
Den dröhnenden Beifall!
Ach so: den dröhnenden Beifall. Das ist natürlich etwas ganz anderes.
Mir wird immer Böses zugetraut!
Es gibt nicht nur ein Berliner Notstandsgebiet; auch wir in Westdeutschland haben viele Notstandsgebiete, und besonders ich habe auch eines im Bayerischen Wald. Das hat man
in Berlin selbst durchaus akzeptiert und auch nicht als einen Appell an die niederen Instinkte bezeichnet. Ich verstehe also nicht, warum dieselben Argumente, die irgendwoanders möglich sind, hier in einer solchen gegnerischen Stimmung aufgenommen worden sind. Sie glauben immer, daß wir in Bayern bei Berliner Problemen stets nur aus alten Ressentiments handeln. Ich kann Ihnen sagen: diese Ressentiments haben einmal in Bayern bestanden, sind aber nicht mehr da oder nur in sehr geringem Maße; denn inzwischen haben wir schließlich sehr viel erlebt. Wir kennen in Bayern die harten zwei Jahre der ersten Besatzungszeit. Wir kennen das unerhörte Auftreten der DPs in der ersten Nachkriegszeit. Wir kennen die Misere, die wir und die 2,3 Millionen Heimatvertriebene in Bayern haben. Wir bekommen auch keine zentralen Befehle mehr von Berlin, die vielleicht eine gewisse Aversion hervorrufen könnten; die gab es dann gegenüber Frankfurt und jetzt gegenüber Bonn. Also auch hier scheidet Berlin aus.
Sprecher der Bayernpartei haben wiederholt unter dem Beifall des Hauses auf die Verdienste Berlins in diesem Kampf um Europa und diese dankenswerte Aufgabe, Vorposten des Abendlandes gegenüber der kommunistischen Flut zu sein, hingewiesen.
Wir haben die Leiden der Berliner immer anerkannt, nicht bloß hier in Worten, sondern haben gerade von Bayern aus durch reichliche Taten geholfen. Sie dürfen aber von uns nicht verlangen, daß wir, wenn eine Berliner Frage oder ein Gesetz über Berlin zur Debatte steht, ohne Prüfung einfach Ja sagen. Gerade das letzte Mal war es so, daß wir das Gesetz erst ein paar Stunden vorher zu Gesicht bekamen. Sie haben uns nicht einmal die uns geschäftsordnungsmäßig zustehende Frist zugebilligt, sondern von uns verlangt, daß wir Ja sagen, ohne das Gesetz zu kennen. Das war im Stil einer früheren Zeit. Wenn wir Zeit haben wollten, geschah es nicht, um die Sache zu verschleppen, sondern nur um uns wirklich ernsthaft mit dem Sinn des Gesetzentwurfes vertraut zu machen. Es scheint mir wirklich nicht am Platze zu sein, daß Sie in dieser Art, wie es zum Beispiel Ihr Sprecher jetzt schon wieder getan hat, Ioswettern; das ist bei einer wirklich sachlichen Prüfung nicht gerechtfertigt. Wir sehen das Problem schließlich auch unter allgemeinen politischen, außenpolitischen Gesichtspunkten Wir sind der Auffassung, daß wir den Berlinern infolge ihrer furchtbaren, eingeschlossenen Lage niemals den gleichen Lebensstandard geben können, wie wir ihn in Westdeutschland haben. Es war nicht einmal der Großmacht Amerika möglich, den Berlinern die Leiden einer Luftbrückenzeit abzunehmen. Noch viel weniger wird es uns in Westdeutschland gelingen, den Berlinern die Leiden der Situation völlig abzunehmen.
Wenn wir nach den vorgestrigen Feststellungen des- Wirtschaftsinstituts in Berlin weiterhin mit einem verlorenen Zuschuß und Krediten von 90 bis 100 Millionen Mark monatlich rechnen müssen, dann bedeutet das eine unerhörte Anzapfung. Wir müssen uns wirklich überlegen, ob wir das vertragen können, ohne daß Westdeutschland selbst zum Erliegen kommt und damit die Hilfsmöglichkeit für Berlin überhaupt abgeschnitten wird. Hätte man diese Milliarde pro Jahr in eine produktive Erwerbslosenfür-
sorge gesteckt, dann hätten wir, wie Sie sich selbst ausrechnen können, wohl 600 000 bis 700 000 Erwerbslose weniger in Westdeutschland, und die Regierung hätte sich nicht diese Vorwürfe von seiten der Alliierten und von seiten der SPD machen lassen müssen. Es sind also schließlich komplexe Probleme, in denen wir stehen. Wenn man hier etwas wegnimmt und woanders hineinschmeißt, muß man eben die Konsequenzen daraus tragen. Unsere Möglichkeiten sind beim besten Willen doch beschränkt.
Sie müssen uns erlauben, daß wir die Berliner Probleme wirklich sachlich prüfen. Sie dürfen uns nicht von vornherein vorwerfen, daß es böser Wille ist, wenn wir da oder dort unsere Bedenken erheben oder da und dort unsere Einwürfe machen. Es darf auch nicht falsch aufgefaßt werden, wenn wir, die wir das bayerische Elendsgebiet an der böhmischen Grenze kennen, sagen: diese Einwohner leben oft noch unter viel schlimmeren Umständen als heute noch die Berliner Bevölkerung.
Wenn wir dieses Problem unter Einsatz unseres Letzten überbrücken, wird es in der Welt bald gar nicht mehr diskutiert, daß die Berliner infolge der alliierten Maßnahmen, dieser alliierten Konzeption, solche Leiden haben und daß es nicht unsere Schuld ist.
Psychologe, Herr Dr. Seelos!)
Wenn wir vollends sehen, daß über unsere Anträge für ein Notstandsgebiet schon drei Monate hingegangen sind, ohne daß wir den ernsten Willen spüren, Air dieses Gebiet etwas zu tun, während andererseits ein Gesetz für Berlin in drei Tagen in drei Lesungen durchgepeitscht wird, müssen wir unsererseits doch an einem gewissen guten Willen der anderen Seite zweifeln. Wie hätten wir es begrüßt und wie hätte es unsere Situation in Bayern erleichtert, wenn gerade bei unseren Anträgen ein Berliner hierhergetreten wäre und einmal gesagt hätte: wir sind in gemeinsamer Not, wir sehen ein, daß es dort im Osten Bayerns miserabel zugeht; uns geht es auch schlecht, jetzt wollen wir sehen, wie wir euch helfen können; helft aber auch uns! Solche Worte wären zu Herzen gegangen. Wenn sie gesprochen worden wären, hätten wir diese Berliner Frage noch besser behandeln können.
Ich sage Ihnen das in aller Offenheit und Ehrlichkeit, die ich auch von der anderen Seite erwarte. Wenn diese Auseinandersetzungen aber so geführt werden, wenn immer gesagt wird, daß sich nur die Bayernpartei dagegen wende, wenn so in explosiver Art die Frage verschoben wird, dann schaden Sie ja letztlich Berlin. Wenn Sie es uns nur ein bißchen erleichtern und unseren Einwendungen etwas gerecht werden, haben Sie auch in Berliner Dingen immer unsere Zustimmung. Es ist von Ihnen nie gewertet worden, daß wir für das Berliner .Kraftwerk West und für alle diese Berliner Kredite gestimmt haben. Nur in einem einzigen Punkt, nämlich in der Frage der Umsatzsteuer, haben wir unsere Bedenken geäußert, und das ist dann von Ihnen zu der völlig ungerechtfertigten Demonstration benützt worden.
Zu der Frage, die auf der Tagesordnung steht, brauche ich eigentlich nicht mehr Stellung zu nehmen; denn nach den Ausführungen des Herrn Bundesministers Kaiser ist das nicht aktuell.
Ich kann mir 'also Ausführungen hierüber sparen.
Nur das möchte ich noch sagen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie künftig bei der Bewertung unserer Stellungnahme zu Berliner Fragen meine grundsätzlichen Bemerkungen, die ich heute hier gemacht habe, wenigstens etwas würdigen würden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Reismann.
Meine Damen und Herren! Die Zentrumsfraktion würdigt in vollstem Umfang die Motive, die Herrn Meitmann und seine Fraktion veranlaßt haben, dem Hohen Hause den Antrag Nr. 508 vorzulegen. Aber wenn man den Inhalt dieses Antrags einmal durchliest, so muß man sich doch sagen, daß diese Fragen nicht allein mit dem guten Herzen erledigt werden können, sondern daß man ganz nüchtern die Auswirkungen und die Folgen bedenken muß, die sich daraus ergeben. Mit der Einheit Deutschlands hat der Antrag direkt nichts zu tun.
— Nein, in keiner Weise. Die Einheit Deutschlands wird nicht mehr und nicht weniger dadurch hergestellt, daß diese Zentralbehörden in Berlin oder anderswo sind. Die Sache hängt davon ab; daß die Alliierten sich verständigen. Dazu können wir leider viel zu wenig beitragen. Man muß aus dieser Atmosphäre die Dinge lösen, um sie nicht unter falschen Aspekten zu behandeln. Es ist eine eminent praktische Angelegenheit und gar keine grundsätzliche Angelegenheit, um die es sich hier handelt. Wir müssen doch zunächst einmal sehen, daß es sich hier um Behörden handelt, die, wenn sie in Berlin sind und westdeutsche Fragen regeln sollen, vom Bundesgebiet her — je nach Belieben der Russen überhaupt nicht erreichbar sind, die nicht bloß ungeheure Reisekosten erfordern, sondern eine Erschwernis mit sich bringen, die diese Behörden zur Arbeitsunfähigkeit verurteilen wird. Ganz abgesehen von der Frage: Welche Beamten würden sich denn überhaupt bereit finden, dahin zu gehen?
Dann sollen nur Berliner Beamte diese Behörden speisen? Das geht ja nun auch wieder nicht, daß hinterher nur ausgesprochen ortsfremde, mit den Verhältnissen des westlichen Teils des Bundes nicht vertraute Personen über diese Angelegenheiten entscheiden. Damit können wir uns nicht einverstanden erklären. Ebensowenig kann man allerdings nach unserer Auffassung den Berlinern zumuten, immer den Weg zum Westen zu machen, wenn ihre Angelegenheiten entschieden werden, solange nicht eine laufende Verbindung es ermöglicht, daß die Angelegenheiten Gesamtdeutschlands an einer Stelle geregelt werden.
Nach den Ausführungen, die d er Herr Bundesminister Kaiser soeben gemacht hat, ist im übrigen die Stadt Berlin aber auch schon derart mit Behörden bedacht, daß kein weiterer Grund besteht, die Verwaltung urn diese nicht notwendigen Erschwernisse noch zu verkomplizieren. Meine Fraktion kann sich deswegen nicht bereitfinden, für diesen Antrag der SPD zu stimmen. Das hat gar nichts mit irgendeiner Aversion gegen die Stadt Berlin oder den Namen Berlin zu tun. Das ist lediglich eine Überlegung, die aus der Notwendigkeit resultiert, den Bedürfnissen der Verwaltung und des Verkehrs Rechnung zu tragen, die Arbeitsfähigkeit dieser Behörde und die Schnelligkeit ihrer Arbeit zu unterstützen, wo immer es geht. Im übrigen schlagen wir vor, man möge umgekehrt Außenstellen oder, wie es der Herr Minister eben genannt hat, Vertretungen der Zentralbehörden ruhig nach Berlin legen, die dann ab und zu einmal hinreisen, aber nicht die ungeheuren Kosten des stetigen Reiseverkehrs von Berlin zum Westen und vom Westen nach Berlin notwendig machen. Ich bitte Sie, sich zum Beispiel nur einmal zu überlegen, daß der Bundesrechnungshof doch dauernd auf Reisen sein muß, wodurch sich Tausende von Kilometern und entsprechende Tagegelder ergeben. Was muten Sie beim Bundesverfassungsgericht den Parteien und ihren Vertretern zu, wenn sie laufend nach Berlin fahren müssen! Ich fürchte, sowohl das Bundesverwaltungsgericht wie auch das Bundesverfassungsgericht werden mit den westdeutschen Angelegenheiten ausreichend zu tun haben. Was für einen Zeitverlust hat das
zur Folge! Alles unproduktive Arbeiten!
Dann die Altpatente, von denen im Antrag die
B) Rede ist. Soweit sie westdeutsche Interessenten betreffen, wird in zahllosen Fällen der Verkehr mit diesen Behörden erschwert, wenn diese immer nach Berlin reisen müssen.
Zu unserem Bedauern ist es also technisch absolut unmöglich und höchst unzweckmäßig. Man darf sich nicht von reinen Sentiments oder Ressentiments in dieser höchst nüchternen, unprosaischen Angelegenheit leiten und verleiten lassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bucerius.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Meitmann hat in seiner für Berlin warm eintretenden Rede unter anderem gesagt: „Die Berliner Bevölkerung will nicht mehr schöne Worte hören"; er hat auch die Frage gestellt: „Wird der Kampf um Berlin lediglich der Opposition überlassen?" Ich finde, daß diese Äußerungen dem Sachverhalt nicht ganz gerecht werden. Ich darf darauf verweisen, daß der erste Antrag, der in diesem Hause hinsichtlich Berlins gestellt wurde, in der Drucksache Nr. 12 — das ist der Antrag vom 9. September 1919 — niedergelegt ist. Er trägt namhafte Unterschriften: Dr. Adenauer, Dr. Erhard, Dr. Holzapfel, Kaiser, Dr. Krone, Schäffer, Dr. Tillmanns und Fraktion. In diesem Antrag, der zusammen mit einem wenige Tage später von der sozialdemokratischen Fraktion eingereichten Antrag zum Beschluß dieses Hauses erhoben wurde, sind eine Reihe von Punkten niedergelegt, die ich ins Gedächtnis zurückrufen darf. Unter anderem
unter Punkt 2: „Absatzsteigerung der Berliner R Wirtschaft, insbesondere auch durch steuer- und tarifpolitische Maßnahmen". Das ist ein Punkt, über den wir kürzlich, wie Sie wissen, ausführlich verhandelt haben, der zu einem Beschluß dieses Hauses geführt hat und der in Berlin sehr lebhaft begrüßt wurde. Drittens,: „Beschaffung von Investitions- und Betriebsmittelkrediten aus öffentlichen und privaten Quellen". Sie wissen, daß namhafte Kredite dieser Art nach Berlin geflossen sind. Fünftens: „Regelung der sogenannten Uraltkonten". Nicht weniger als 250 Millionen D-Mark werden aus den Mitteln der Bundesrepublik für diese Zwecke für Berlin zur Verfügung gestellt. Sechstens: „Realisierung der Blockadehilfe". Aus den Mitteln, die der Magistrat Berlin von der Bundesrepublik erhält, ist der Magistrat in Berlin jedenfalls in bescheidenem Umfange - in der Lage, die Blokkadehilfe in Berlin Wirklichkeit werden zu lassen. Siebentens: „Einschaltung Berlins in die Abwicklung des Ost-Westhandels". Auch diese ist zu einem namhaften Teil bereits Wirklichkeit geworden, und wir haben soeben von dem Herrn Minister für gesamtdeutsche Fragen gehört, daß eine besondere Dienststelle zur Förderung des Ost-Westhandels und seiner Abwicklung in Berlin errichtet werden soll. Achtens heißt es in diesem Antrag: „Errichtung von Bundesbehörden in Berlin".
Sie sehen also, daß die CDU/CSU-Fraktion sich gewiß nicht zurückgehalten hat, sondern mit sehr energischen und mit klar und präzise formulierten Anträgen an dieses Haus herangetreten ist, mit Anträgen, die schon in einem sehr erheblichen Umfang ihre Realisierung gefunden haben. Wir wollen aber trotzdem die Äußerung des Unmuts darüber, daß nicht noch mehr hat geschehen können, vergessen. Es hat ja auch keinen Zweck, in dieser uns alle so intensiv angehenden Angelegenheit miteinander zu hadern. Wir wollen versuchen, gemeinsam das große Ziel, das uns vor Augen steht, zu erreichen, nämlich Berlin wieder so auf eigene Füße zu stellen, daß es lebensfähig ist und für uns wirken kann. Deshalb wollen wir auch das, was der Herr Abgeordnete Seelos heute gesagt hat, in positivem Sinne nehmen. Wir wollen es ihm nicht übelnehmen, daß er für die Notgebiete seiner bayerischen Heimat eingetreten ist in einem Augenblick, in dem auch an Berlin gedacht werden muß. Ich bin allerdings — entgegen seiner Meinung -- der Auffassung, daß es den Berlinern nicht anstünde, heute eine Nothilfeaktion für die bayerischen Gebiete einzuleiten. Berlin ist selber ein notleidendes Land, und alles, was wir ihm zugestehen können, ist, auf seine eigenen Nöte hinzuweisen. Wir würden überrascht sein, wenn von dieser Seite her ein Notruf für Bayern käme. Aber Herr Seelos wird uns immer bereit finden, das zu tun, was möglich ist, auch für seine bayerische Heimat.
Ich kann mich allerdings nicht mit dem abfinden, was der Herr Vertreter der Zentrumsfraktion gesagt hat. Wir müssen uns über eins völlig klar sein: wir leben in einem Zeitalter, in dem äußerste Risiken getragen werden müssen.
Die Grenze gegen den Osten ist nicht stabil. Von
jener Seite des Eisernen Vorhangs her werden
ununterbrochen Versuche gemacht, über diese
Grenze hinüberzugreifen. Die psychologischen Belastungen für den deutschen Westen, für den europäischen Westen und für Berlin sind ungeheuerlich. Und wenn die Berliner nicht die Überzeugung gewinnen, daß wir sie als untrennbaren Bestandteil der Bundesrepublik ansehen, dann muß der Mut. der Berliner Bevölkerung sinken. Der Mut der Berliner Bevölkerung muß aufrechterhalten werden, nicht nur im Interesse der Berliner, sondern in unserem eigensten Interesse. Denn wenn die Bastion Berlin eines Tages einmal fallen sollte — und sie wird fallen, wenn Sowjetrußland sieht, daß der europäische Westen und daß Deutschland nicht bereit sind, Berlin zu stützen —, dann hat es keinen Sinn mehr, darüber zu rechten, wo und in welchem Landesteil westdeutsche Behörden aufgerichtet werden sollen. Wir werden dann keine Gelegenheit mehr haben, irgendeine. Behörde aufzurichten. Die Zeit ist dafür dann unwiderruflich vorbei.
Deshalb handelt es sich hier nicht um eine Angelegenheit, die lediglich aus dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit zu beurteilen ist. Politische Momente spielen hier nun einmal eine ganz bedeutende Rolle. Sie können und sollten aus der Sache nicht hinweggedacht werden. Das schließt nicht aus, daß wir die Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit nicht außer acht lassen. Ich darf Sie darauf verweisen, daß der Antrag der CDU lautete: „Errichtung von Bundesbehörden in Berlin". Es ist sehr interessant, zu sehen, daß der sozialdemokratische Antrag in dieser Beziehung etwas vorsichtiger und zurückhaltender war. Er bat nämlich die Bundesregierung nur, zu überprüfen, „in welchem Umfang, ohne den Ablauf des Geschäftsverkehrs zu erschweren, Dienststellen der Bundesrepublik nach Berlin verlegt werden können". Also selbst die Sozialdemokratie hat zu geeigneter Zeit und an geeigneter Stelle darauf hingewiesen, daß die technischen Schwierigkeiten nicht außer acht gelassen werden können. Unter diesem Gesichtspunkt müssen wir heute auch den sozialdemokratischen Antrag beurteilen. Es war die Frage, ob wir in der Lage sind, diesen Antrag vielleicht heute schon durch Annahme zum Beschluß zu erheben. Wir haben dagegen Bedenken, und ich freue mich, feststellen zu können, daß die Kollegen von der Sozialdemokratie diesen Bedenken beigetreten sind. Wir haben die Absicht und bitten Sie, den Antrag der SPD zunächst einmal im Ausschuß zu überprüfen.
Ich darf zu dem Antrag der SPD einige wenige Worte sagen. In dem Antrag wird zunächst verlangt, daß bis zum 1. März 1950 das Bundesaufsichtsamt für Privatversicherung nach Berlin verlegt wird. Dieses Bundesaufsichtsamt für Privatversicherung existiert heute noch gar nicht. Es kann also schlecht nach Berlin verlegt werden. Ob es bis zum 1. März 1950 errichtet ist, ist schwer zu übersehen. In diesem Zusammenhang einige wenige Worte über die Beiträge, die die private Versicherungswirtschaft schon heute für die Aufrechterhaltung der Außenstelle Berlin leistet. Ich habe mich davon überzeugt, daß große und bedeutende Versicherungen, die in Westdeutschland ihren Sitz haben, heute noch sehr namhafte Dienststellen in Berlin unterhalten in der Erwartung, daß demnächst in Berlin Stellen gegründet werden, die diesen schon bestehenden Außenstellen der westdeutschen Versicherungsgesellschaften wieder Beschäftigung verleihen. Ich darf einige Beispiele anführen. Eine große, im ganzen Bundesgebiet und in Berlin arbeitende Versicherungsgesellschaft hat in Westdeutschland 270, in Berlin dagegen 400 Angestellte. Eine andere große Gesellschaft, die ihr Schwergewicht immer im Westen Deutschlands hatte, hat hier 1500 und in Berlin 200 Angestellte. Eine kleinere Gesellschaft hat hier 90, in Berlin 40 Angestellte; eine mittelgroße Versicherungsgesellschaft hier 300, in Berlin 250 Angestellte. Sie sehen, daß auch auf seiten der privaten Versicherungswirtschaft die Bereitschaft, ja die Erwartung besteht, daß in Kürze irgend etwas geschieht, um in Berlin die Voraussetzungen für eine fruchtbare Beschäftigung der jetzt bestehenden Außenstellen zu schaffen.
Bei dem Bundesrechnungshof handelt es sich um eine Position, die mir zunächst einmal zweifelhaft erscheint. Der Bundesrechnungshof muß bei den einzelnen Behörden im Bundesgebiet herumreisen und sich Klarheit über die Abrechnungsverhältnisse verschaffen. Ich glaube nicht, daß es einen Sinn hat, von einer solchen Stelle ein Firmenschild mit einem Zimmer in Berlin zu errichten, in dem. tatsächliche Arbeit nicht geleistet werden kann.
Wie es bei der Schuldenverwaltung, bei der Vermögensverwaltung aussieht, müßte in einer Untersuchung noch geklärt werden.
Es ist sehr interessant, daß der Vorschlag gemacht worden ist, einen Teil der Altpatente weiterhin in Berlin zu bearbeiten. Auch diese Frage wird unter Hinzuziehung von Sachverständigen im Ausschuß in kürzester Zeit geklärt werden können.
Das Bundesverfassungsgericht möchte ich in O der Tat lieber bei den hiesigen Behörden sehen.
Dagegen liegt die Frage der Sozialversicherungsämter und des Bundesverwaltungsgerichts wieder auf einem anderen Gebiet. Das Bundesverwaltungsgericht wird überwiegend Verwaltungsarbeit haben, also eine Angelegenheit, die man sich durchaus in Berlin wird vorstellen können.
Alles das muß natürlich Gegenstand einer gründlichen Prüfung sein, bei der die zuständigen Ausschüsse ihr Wort zu sprechen haben. Die zuständigen Ausschüsse sind nach meiner Auffassung als federführender Ausschuß natürlich der Ausschuß Berlin, zweitens der Ausschuß für innere Verwaltung. Ich hoffe, daß diese beiden Ausschüsse sich in recht kurzer Zeit zu einem für Berlin günstigen Ergebnis werden entschließen können. Dabei sind die Untersuchungen, die die Ausschüsse anzustellen haben, nicht nur auf diejenigen Dienststellen beschränkt, die der Antrag der SPD genannt hat. Über weitere Dienststellen, die der Initiative der einzelnen Beteiligten im Ausschuß vorbehalten sind, kann dort ebenfalls noch diskutiert werden.
Ich wiederhole es: die Sache Berlin ist die Sache aller Deutschen, wie sie die Sache aller Europäer ist. Wir werden immer, bei jeder Gelegenheit und in jeder geeigneten Form für Berlin eintreten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hoffmann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch meine Freunde und ich stimmen mit der Grundtendenz des Antrages der SPD-Fraktion völlig überein. Wir haben in der vorletzten Woche ein Gesetz verabschiedet, das dem Zweck diente, der produzierenden Berliner Wirtschaft beim Wiederaufbau behilflich zu sein. Bei dem vorliegenden Antrag dagegen handelt es sich um Maßnahmen, die bezwecken, Berlin wieder, wie in früherer Zeit, wenigstens teilweise zum Träger von Dienstleistungen für das ganze Bundesgebiet zu machen. Wir sind uns darüber im klaren, daß man damit zunächst nur einen sehr bescheidenen Anfang machen kann. Das, was in dem sozialdemokratischen Antrag an Dienststellen vorgeschlagen wird, die nach Berlin verlegt werden könnten, wird nur zu einem sehr geringen Teil die Dienstleistungskapazitäten auszunutzen vermögen, die in Berlin nach wie vor vorhanden sind und ausgenutzt werden könnten. Aber es kommt wesentlich darauf an, daß dieser Anfang bald gemacht wird.
Wir sind allerdings auch der Meinung, daß es einer solchen Mahnung, wie sie der SPD-Antrag darstellt, gar nicht bedurft hätte, um die Bundesregierung an die Erfüllung des von ihr gegebenen Versprechens zu erinnern.
Wir haben durch den Herrn Bundesminister für gesamtdeutsche Angelegenheiten einen Situationsbericht darüber bekommen, in welchem Stadium sich die Prüfung der Frage der Verlegung von Behörden nach Berlin zur Zeit befindet. Ich halte es für außerordentlich nützlich, wenn diese Überlegungen in dem dafür zuständigen Ausschuß
für Berlin fortgesetzt werden. Ich bitte daher die Herren Kollegen von der SPD, doch nicht darauf zu bestehen, daß heute abend bereits über diesen Antrag entschieden wird. Ich halte das für um so weniger notwendig oder zweckmäßig, weil wir ja gerade für diese Materie einen Sonderausschuß im Bundestag eingesetzt haben, der, wie wohl allseitig anerkannt wird, bisher eine ausgezeichnete, sehr sachliche Arbeit geleistet hat und in dem es nie zu irgendwelchen grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten gekommen ist.
Selbstverständlich stehen der Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin unter den nun einmal vorhandenen schwierigen Verkehrs- und sonstigen Verhältnissen einige Bedenken entgegen. Es ist nicht zu verkennen, daß derjenige, der vor der Aufgabe steht, solche Dienststellen nach Berlin zu verlegen, vielleicht diesen Bedenken ein größeres Gewicht beimißt als derjenige Beurteiler, der diese Frage überwiegend unter psychologisch-politischen Gesichtspunkten betrachtet. Wenn man aber solche Fragen ausschließlich nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten entscheiden will, dann wird sich immer eine Fülle von Einwänden finden lassen. Das würde aber der Sache nicht gerecht werden. Es geht doch heute darum, daß Berlin geholfen werden muß, und es ist, glaube ich, schon richtig, wenn gesagt wird, das könne nicht allein mit Worten geschehen. Die Berliner Bevölkerung erwartet mit Recht von uns deutlich sichtbare Zeichen unserer Anerkennung und unserer Hilfsbereitschaft, die die Berliner dazu ermutigen, auch weiterhin den Kampf zu bestehen, den sie zu führen gezwungen sind.'
Lassen Sie mich den Ausführungen meines Herrn Vorredners nach dieser Richtung hin nur noch eines hinzufügen! Ich glaube, wir sollten auch berücksichtigen, daß es in Berlin heute nicht allein darum geht, diesen Vorposten rechtsstaatlicher Ordnung in unserem eigenen Interesse, im Interesse der deutschen Bundesrepublik zu erhalten. Wir sollten auch daran denken, daß der ganze deutsche Osten, die gesamte deutsche Bevölkerung der Ostzone aufmerksam und voller Hoffnungen, gelegentlich aber auch mit Befürchtungen auf das schaut, was in Berlin vor sich geht.
Schon mit Rücksicht darauf, daß auch diese unsere deutschen Mitbürger in der Ostzone ermuntert werden müssen, haben wir einen Beweis mehr dafür zu liefern, daß wir gewillt sind, diese Bastion jenseits des Eisernen Vorhanges, die Berlin heute darstellt, mit allen Mitteln zu verteidigen und zu stützen.
In diesem Sinne bitte ich auch im Namen meiner Fraktion, der Überweisung des Antrages an den Ausschuß für Berlin zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neumann.
Meine Damen und Herren! Ich darf meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß sich die Herren Redner der verschiedensten Fraktionen fast überwiegend positiv zur Frage Berlin ausgesprochen haben. Das ist für uns ganz besonders erfreulich; denn wir glauben ja, daß wir in Berlin nicht die Frage einer Partei, sondern eine gesamtdeutsche Aufgabe zu lösen haben. Ich freue mich namentlich darüber, daß die Damen und Herren, die uns in Berlin besuchen und die zu einem. Teil sehr skeptisch nach Berlin kommen, in Berlin gute Eindrücke gesammelt haben und daß sie, die manchmal wirklich als Kritiker im Bundestag aufgetreten sind, sich im Westen positiv über Berlin geäußert haben. Herrn Kollegen Dr. Seelos danke ich für seine Worte, möchte allerdings gleichzeitig die Einladung aussprechen, er möge uns einmal in Berlin besuchen. Wir haben ja nichts zu verbergen, sondern wir wollen offen alles zeigen, was er sehen will und was vielleicht heute noch sein Mißtrauen erweckt.
- Das fördert den Fremdenverkehr! Das ist sehr schön, und das ist wenigstens bei uns noch möglich.
— Diese Möglichkeiten sind in West-Berlin im Gegensatz zu Ihnen ja noch gegeben.
Nun glaube ich aber doch, zu einigen Äußerungen der Redner etwas sagen zu müssen. Herr Kollege Dr. Bucerius, entschuldigen Sie bitte! Wir wollen ja hier keinen Wettstreit führen. Nicht der Antrag Nr. 12 der CDU war der erste zur Berlin-Frage, sondern der Antrag Nr. 3 der sozialdemokratischen Fraktion.
— Ich habe das auch nicht gesagt, Herr Krone. Aber da Sie in Ihren Versammlungen so außerordentlichen Wert auf diese Dinge legen, wollte ich das hier betonen.
Wir haben gerade bei der Stellung dieser Anträge die Hoffnung gehabt, daß sie sich für Berlin weit schneller positiv auswirken werden. Herr Kollege Bucerius, Sie haben sich auch geirrt. Der Ausschuß hat den Beschluß gefaßt, zu überprüfen, in welchem Umfang, ohne den Ablauf des Geschäftsverkehrs zu erschweren, Dienststellen der Bundesrepublik nach Berlin gelegt werden können.
— Entschuldigung, das ist nicht der Fall, sondern das ist der Mündliche Bericht des 9. Ausschusses. Unser Antrag Nr. 16 — Sie können das nachprüfen — ist so, wie Sie es ausgeführt haben, nicht darin enthalten.
Aber ich mache darauf aufmerksam., daß auch der Mündliche Bericht, der uns am, 14. Oktober hier zugegangen ist, leider noch nicht realisiert worden ist.
Der Herr Minister Kaiser hat von seiner Reise nach Berlin gesprochen und erklärt, daß er genau so wie Herr Minister Schäffer die Ermutigung gefunden hat, weiter für Berlin zu arbeiten. Wir
freuen uns sehr; denn ich darf Ihnen, meine Damen und Herren, sagen: wir Berliner sind gar nicht entmutigt; wir wissen, welche Aufgabe wir zu erfüllen haben. Wir bedauern nur, daß es nicht möglich ist, eine weit schnellere Hilfe des Bundes für Berlin zu organisieren.
Herr Minister Kaiser, von diesem Standpunkt aus bedauere ich außerordentlich Ihre Ausführungen über das, was für Berlin bisher positiv
getan worden ist. Sie haben nämlich dadurch bei einem Teil der Abgeordneten, die die Dinge nicht kennen, Hoffnungen erweckt, die in Wirklichkeit gar nicht da sind. Der Herr Kollege Hoffmann sagt: Bitte, der Minister Kaiser hat doch gesagt, es ist alles getan; eine Mahnung ist doch unnötig.
— Das hat er doch gesagt. Herr Dr. Reismann sagt: Wenn Berlin schon derartig mit Behörden bedacht ist, ist doch von seiten der Bundesbehörden schon sehr viel getan.
Ich mache darauf aufmerksam., Herr Minister Kaiser: Sie wissen sehr genau, daß die Vertretungen des Ministeriums für Ernährung und des Ministeriums für Wirtschaft nicht neu ein gerichtet sind, sondern daß man hier nur das Firmenschild der Bundesregierung ausgewechselt hat. Ich mache darauf aufmerksam, das die Reichsschuldenverwaltung, die Sie nannten, daß die Staatsdruckerei, das Statistische Amt und das Patentamt immer in Berlin waren und daß der Magistrat von Berlin seit dem Jahre 1945 diese Dienststellen wieder aufgebaut und ausgebaut hat. Es ist also in dieser Beziehung von der Bundesregierung bisher nichts getan worden. Das sind alles Behörden, die früher in Berlin waren, die nicht verlegt worden sind, die ihre Tätigkeit, finanziert von Groß-Berlin, für gesamtdeutsche Aufgaben immer durchgeführt haben. Sie wissen ganz genau, wie sehr wir bedauern, daß man Teile des Patentamtes im vorigen Jahr von Berlin weggenommen hat und unter Aufwendung sehr großen Kosten in München neu aufbaut und damit Berlin weiter entblößt. Wir bedauern,
daß dadurch bei einem Teil der Abgeordneten K falsche Eindrücke entstehen.
Es ist geplant worden, daß Vertretungen der Ministerien für gesamtdeutsche Fragen, für den Marshallplan, für den Verkehr, für Wohnungsbau, für Post- und Fernmeldewesen in Berlin errichtet werden. Aber das ist nicht der Sinn weder des sozialdemokratischen Antrages noch, Herr Kollege Bucerius, Ihres Antrages, den Sie nannten, sondern Sie haben in Ihrem Antrag vom 9. September, der die Unterschriften Dr. Adenauer, Dr. Erhard, Dr. Holzapfel, Kaiser, Krone, Schäffer, Tillmanns und Fraktion trägt, ganz klar gefordert: Errichtung von Bundesbehörden in Berlin. Da muß ich feststellen, daß ein halbes Jahr nach der Stellung dieses Antrages bisher in Berlin nicht das geringste neu errichtet worden ist.
Man ist bisher nur dabei gewesen, den Bundesbevollmächtigten in Berlin zu schaffen. Das ist durchaus richtig, und wir hoffen, daß er eine wertvolle Stütze für die Wahrung der Interessen ganz Berlins ist. Wir glauben auch, daß er vielleicht eine stärkere Möglichkeit der Verlegung von Behörden nach Berlin organisieren wird. Aber die sozialdemokratische Fraktion hat diesen Antrag gestellt, weil sie feststellen muß, daß positiv in dieser Hinsicht nichts getan worden ist.
ich glaube, es ist nicht nötig, daß wir zwei Bundeskabinette haben; wir wären viel glücklicher, wenn wir ein Bundeskabinett hätten, das schnellstens die positiven Dinge für . Berlin macht. Das ist unserer Meinung nach das Entscheidende, und daran können wir, Herr Kollege Bucerius, leider nichts ändern.
Sie haben in Ihrem Antrage gesagt und insbesondere bei der Diskussion am 30. September hier gehört, daß die erste Sorge der Bundesregierung ist, für Berlin diese Dinge zu erledigen, und der Herr Minister Kaiser hat erklärt, daß es nicht zuletzt Aufgabe und Sorge Nr, 1 des Herrn Finanzministers und nicht weniger des Herrn Wirtschaftsministers sein wird, in ganz besonderer Weise für Berlin positiv etwas zu machen.
— Herr Kollege Dr. Bucerius, am 18. Juni war der damalige Direktor der Verwaltung für Wirtschaft der Zweizonenverwaltung in Berlin und hat uns eine Serie von Versprechungen gemacht. Er hat erklärt, daß im dritten Vierteljahr die Arbeitslosigkeit in Berlin gemildert wird, indem man die gesamte Wirtschaftskraft des Bundes von drei Milliarden für Berlin einsetzt und damit zu positiven Entschlüssen kommt. Ich bedauere sehr,. feststellen zu müssen, daß ich von der Auswirkung derartiger Maßnahmen nichts weiß, daß in der Hauptsache nichts geschehen ist.
Ich bedauere außerordentlich die Äußerung des
Herrn Kollegen Dr. Seelos über die Schuld der
Alliierten. Ich möchte mich über dieses Problem
nicht äußern, Herr Kollege Seelos, und ich möchte nur sagen, daß wir unseren Freiheitskampf in Berlin nur dadurch bestehen konnten, daß die Alliierten die Luftbrücke organisiert haben.
Das stelle ich fest! — Herr Kollege Dr. Seelos, wenn Sie „Jetzt!" sagen, was sie jetzt tun, dann muß ich Ihnen entgegnen: wenn alle deutschen Dienststellen so positiv wären wie so manche ausländische, dann sähe es für Berlin besser aus!
Ich möchte das mit aller Deutlichkeit sagen. Ich bin gern bereit, Ihnen das noch etwas näher zu erklären.
Wir haben in Berlin eine gesamtdeutsche Aufgabe zu erfüllen. Wir werden sie in der bisherigen Art durchzuführen versuchen. Ich hoffe aber, daß wir jetzt endlich Hilfe bekommen, eine Hilfe, die für die Berliner Wirtschaft unbedingt notwendig ist!
Präsident Dr. Köhler Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Krone.
Meine Damen und Herren! Ich hatte als Abgeordneter, der von Berlin nach hier gesandt worden ist, nicht vor, noch ein Wort
zu sagen; es ist aber, glaube ich, meine Pflicht, es jetzt nach diesen Ausführungen des Herrn Abgordneten Neumann zu tun.
Ich möchte an die Spitze meiner Ausführungen,
auch im Namen der Berliner Bevölkerung, ein
Wort des Dankes an die Bundesregierung stellen,
ein Wort des Dankes dafür, daß sie ihr Versprechen, Berlin zu helfen, wahrgemacht hat.
Ich möchte ihr ein Wort des Dankes dafür sagen, daß sie in dem Bevollmächtigten der Bundesrepublik in Berlin einen Mann ernannt hat, der der Mittler zwischen hier und drüben sein soll und der eine große Aufgabe auch für die 18 Millionen Menschen in der Sowjetzone zu erfüllen hat. Ich möchte ein Wort des Dankes auch für die wirtschaftliche Hilfe sagen, die Berlin geleistet worden ist. Ich wiederhole nur die Mahnung des Herrn Ministers Kaiser, daß wir auch .als Berliner in dieser Frage der Hilfe für Berlin gut daran tun, diesen gemeinsamen Willen dieses Hohen Hauses in keiner Weise zu beeinträchtigen und zu stören.
Ich habe die Hoffnung, meine Damen und Herren, daß unbeschadet der parteipolitischen Einstellung auch hier im Hause der Wille, Berlin zu helfen, erhalten bleibt, daß diese Aufgabe nach wie vor auch in diesem Hause als nationale Aufgabe anerkannt wird, eine Aufgabe, die wir
nicht nur für die Stadt Berlin, sondern durch die Stadt Berlin auch für die 18 Millionen deutscher Brüder und Schwestern drüben in der Zone zu erfüllen haben.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wird von den Herren Antragstellern das Schlußwort gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Meitmann! Darf ich im allgemeinen Interesse den Appell an Sie richten, Ihr Schlußwort so kurz wie möglich zu halten.
Ich bedauere, daß — vielleicht durch Mißverständnisse, vielleicht auch dadurch, daß man sich seiner eigenen früheren Ausführungen nicht erinnert — eine so unglückliche Atmosphäre in die Behandlung dieses für uns alle, wie ich glaube und hoffe, so wichtigen und im Grunde doch gemeinsam verpflichtenden Problems hineingetragen worden ist.
Ich selber bin durch Hinweise — vielleicht haben sie ihre Ursache in der auch mir erst sehr spät bekanntgewordenen Einschränkung der Redezeit — in den Verdacht gekommen, als ob ich etwas hätte sagen wollen, was durchaus nicht in meiner Absicht und in der meiner Fraktion lag. Aber man sollte nicht Dinge, die vielleicht nur unklar gesagt worden sind, so auslegen, als ob sie in böswilliger Absicht gesagt worden wären. Eins aber, meine Damen und Herren, möchte ich in aller Eindringlichkeit und Deutlichkeit hier feststellen: Was einmal gesagt worden ist und seinem Wortlaut nach nicht mißverstanden werden kann, das nehmen Sie bitte auch so ernst, wie wir es ernst nehmen! Mir ist noch in Erinnerung, wie eine Abgeordnete dieses Hauses bei der Diskussion über das Notopfer Berlin hier einen Kommissar für Berlin forderte.
— Jawohl: einen Kommissar! Wir haben genug von den Kommissaren! Wir haben viel zuviel und viel zulange Kommissare gehabt. Jetzt wollen wir endlich die Demokratie anerkannt wissen! Ich danke Herrn Dr. Tillmanns, den ich aus meiner früheren Berliner Zeit kenne, daß er hier in der vorigen Sitzung gesagt hat: Die politischen Angelegenheiten der Länder sind ihre Angelegenheiten. Letztlich gibt es da keine Manipulationen, auch dann nicht, wenn der politische Wille eines Landes — dessen spezielle föderativen Rechte Sie, meine Damen und Herren von dieser Seite des Hauses, doch vertreten - nun auch einmal wie in Berlin zum Ausdruck kommt und wenn die Bevölkerung dieser Stadt einmal 65 Prozent Sozialdemokraten wählt. Ich glaube, wir alle können froh sein, daß es so ist, nicht nur wir Sozialdemokraten.
Warum sage ich das? — Ich sage es ganz offen: nicht weil ich mich oder meine Partei von dem Verdacht reinigen wollte, als ob wir dort mit dem Auftrag einer legalen Mehrheit nun etwa Wünsche der Minderheit rücksichtslos zurückdrängen wollten oder es schon getan hätten, sondern im Hinblick auf die vielen arbeitenden Menschen jenseits von Berlin, in der Ostzone, die ihr Wahlrecht nicht ausüben können. Ihr Wille findet Ausdruck in dem Willen der großen Masse der Berliner Bevölkerung, die dieser einen Gruppe der demokratischen Parteien nun einmal ihre Stimme
gegeben hat. In i h r sehen sie ihren besten Garanten für ihre Hoffnung — und darum sollten wir uns doch alle darauf einigen —, daß sie alle wieder einmal bei freier Stimmabgabe und mit gleichem Stimmrecht in Deutschland, in der gesamtdeutschen Republik antreten können. Nur aus dieser Überlegung heraus sage ich das und möchte Sie dringend bitten, solche Bemerkungen wie diese - hier steht es, im Protokoll der 37. Sitzung! zu unterlassen, man müsse Hilfsmaßnahmen für Berlin davon abhängig machen, daß sie auch „richtig gesteuert" würden. Den freien Willen und die freie Entscheidung der Berliner Bevölkerung soll man respektieren, solange eine Neuwahl diese Entscheidung nicht korrigiert, und wir sind der Meinung, daß es der Demokratie und der Einheitlichkeit unserer Verbundenheit mit Berlin, dem wir uns alle verpflichtet fühlen, nicht zuträglich ist, wenn dieser demokratischen Entscheidung auf diesem Wege und mit unmißverständlichen Worten Abtrag getan wird. Das dazu!
Und nun will ich ganz kurz nur meiner Enttäuschung Ausdruck geben. Herr Bundesminister! Ich habe wohl diesen langen Katalog gehört, aber meine Sorge war — und darum habe ich die direkte Frage an Sie gerichtet -: Sind für eine Reihe von Einrichtungen, über die wir im Ausschuß noch diskutieren werden und über deren Zurückverlegung nach Berlin wir uns hoffentlich sehr schnell verständigen werden, Entscheidungen im Bundeskabinett dahingehend gefaßt, daß diese Institutionen hier nach Köln oder nach dieser Seite des Rheins verlagert werden? Wir halten das für eine politische Frage erster Ordnung, denn diese Hilfsmaßnahmen sind ja nicht allein von der funktionierenden Einrichtung her zu bewerten„ sondern vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung für die Berliner Arbeitslosigkeit, der Hilfe für diese 300 000 Menschen, unter denen etwa 100 000 Spezialkräfte sich befinden. Und Herr Dr. Reismann, wie können Sie, mit dem ich doch auf meiner Fahrt nach England alle möglichen deutschen Fragen so freundschaftlich habe diskutieren können, jetzt hier dieselbe Linie wie die Bayern-Partei beziehen und sagen, es müßten auch westdeutsche Beamte nach Berlin geschickt werden, sonst gehe das nicht? Wie können Sie solche Argumente hier anführen! Ich betone nachdrücklichst, meine Damen und Herren: uns treibt die große Sorge, daß wir aus den vielen Anträgen, die - wir wissen es, Herr Bucerius — doch mehr allgemeiner Natur waren, nicht herauskommen. Wir wollen Ihre Initiative gar nicht verkleinern. Wir wollen ruhig alles das anerkennen, was auch Sie getan haben, zunächst einmal allgemein und in politischer Hinsicht durch die Aufrollung der Gesamtfrage in Anträgen und Interpellationen. Aber jetzt kommt die Zeit, meine Damen und Herren, wo diese allgemeinen Willenskundgebungen des Parlaments und der betreffenden Parteien ihren Ausdruck in ganz konkreten Anträgen finden müssen.
Einen solchen Antrag haben wir gestellt. Wir wollen seine Behandlung nicht erschweren. Im Gegenteil, wir hätten erwartet, und ich hatte gehofft, daß wir jetzt schon beschließen könnten. Wir sind dafür und stimmen Ihrem Antrag zu, ihn im Berlin-Ausschuß zu behandeln. Aber wir haben die dringende Bitte, meine Damen und Herren, daß das schnell geschieht, um die Enttäuschung und die lange Prüfungszeit der Berliner nicht noch zu verlängern. Wenn ich auch der Regierung pflichteifrige und pflichtmäßige Überlegungen unterstelle, — vier Monate sind eine lange Zeit, Herr Bundesminister, vier Monate Zeit für die Behandlung von Maßnahmen, die wirklich, wie wir glauben, einen ernsthaften und konkreten Schritt zur Behebung der Arbeitslosigkeit darstellen würden.
Aber Ihnen, Herr Dr. Reismann vom Zentrum, darf ich noch eines sagen: Sie meinen, diese Dinge hätten nichts mit der deutschen Einheit zu tun. Wir haben das bei der Debatte über die Arbeitslosigkeit schon einmal gesagt: das i s t die Frage der deutschen Einheit, ob die Teile Deutschlands in politischer Freiheit, aber auch in sozialer Gerechtigkeit zusammenwirken können. Darum legen wir das Schwergewicht auf die Hilfe für die Unmenge Erwerbsloser in Berlin, die fast die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung Berlins darstellen, und sagen mit allem Nachdruck: aus diesem Grunde und aus dieser Überlegung heraus muß alles getan werden, was diese Bevölkerung in Arbeit bringt, in Produktion und in die innere Bejahung zu dem Staat, zu dem sie rechtlich noch nicht gehört, wenn sie auch nach unserem Willen so behandelt werden soll, wie wenn sie diesem Staat, nämlich Westdeutschland, bereits angehörte.
Ich will die unliebsame Verschärfung nicht durch meine Ausführungen verstärkt haben, sondern ich will damit den Willen und das Bekenntnis festgestellt haben, daß wir sehr langmütig, aber sehr hellhörig gegenüber solchen Versuchen sind, immer da, wo Sozialdemokraten die Verantwortung übertragen bekommen haben, dann von Parteipolitik zu reden.
— Das ist von einzelnen Mitgliedern dieses Hauses geschehen..
— In dieser Debatte! Es wurde gesagt, die parteipolitischen Erwägungen müßten außer Betracht bleiben. Das ist auch unsere Meinung. Aber dann soll man konsequent sein. Dann soll man auch jede Mißdeutung in der Richtung der Verantwortlichkeit der dort leider oder Gott sei Dank
— wer weiß es, wie die Dinge auslaufen? — in dieser großen Verantwortung stehenden sozialdemokratischen Mehrheit unterlassen. Bitte, mißdeuten Sie nicht unsere hier ausgesprochene Sorge, daß trotz aller Versicherungen auch solche Überlegungen bei einzelnen Abgeordneten und in einzelnen Kreisen unseres Volkes Platz gegriffen haben und hier zum Ausdruck gekommen sind. Wir haben diese Sorge ausgesprochen, gerade weil wir wollen, daß wir doch wenigstens in dieser Frage einig sind.
Deshalb haben wir auch gebeten, die Wichtigkeit unserer Anträge dadurch anzuerkennen, daß wir sie jetzt schon verabschieden. Sie haben den Antrag auf Überweisung an den Ausschuß gestellt. Wir stimmen dem zu, aber ich möchte in aller Form den Zusatzantrag einbringen, daß unser Antrag im Ausschuß schnellstens behandelt wird. Denn, meine Damen und Herren, wir sind uns klar darüber, und ich persönlich bin davon überzeugt: es wird gar nicht lange dauern — ich habe mich eigentlich gewundert, daß die kommunistische
Fraktion hierzu nicht das Wort genommen hat —,
dann wird die Entscheidung darüber gefallen sein, ob die Menschen Berlins und der Ostzone als gleiche Bürger mit den gleichen freiheitlichen Rechten wie die hier in Westdeutschland ihren Kopf um zwei Zoll höher tragen können, um einen Zoll höher deshalb, weil Berlin und unser deutsches Ostgebiet in Freiheit und in sozialer Würde und auch de jure mit allen Rechten wieder mit uns vereinigt sein werden, und um den anderen Zoll höher in der Überzeugung, daß jeder einzelne Westdeutschland sein Teil dazu beigetragen hat. Ich stehe auch nicht an, zu erklären, daß es nach einer solchen Hilfsaktion von Menschen, die keine Deutschen waren, die als Opfer ihrer Tätigkeit, den Berlinern zu helfen, in Berlin begraben sind, beschämend wäre, wenn wir die Sorge, wie es hier heute zum Ausdruck gekommen ist, den Alliierten allein überlassen wollten, statt unsere eigenen politischen Reserven zu mobilisieren und in diesen Kampf zu werfen. Das ist Pflicht aller Deutschen, und dem sollte unser Antrag dienen!
Meine Damen und Herren! Das Wort hat Herr Bundesminister Kaiser.
Ich möchte dem Kollegen Meitmann nur die Erklärung abgeben, daß im Bundeskabinett keinerlei derartige Beschlüsse, die ihm Sorge machen könnten, gefaßt worden sind. Im übrigen gent meine Bitte an das Haus, wir sollten es uns abgewöhnen, uns in der Sorge und in der Verantwortung für unsere Stadt Berlin gegenseitig übertreffen zu wollen.
Die Sorge und die Verantwortung für Berlin ist Sache des ganzen deutschen Volkes und kommt hier im Hause zum Ausdruck.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache über die Drucksache Nr. 508.
Wer für den weitestgehenden Antrag ist, die Drucksache Nr. 508 an den Ausschuß für Berlin als federführenden Ausschuß für Fragen der inneren Verwaltung zu überweisen, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist fast einstimmig so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 8 der Tagesordnung:
Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes stehenden Personen .
Mir ist mitgeteilt worden, daß auf Grund interfraktioneller Fühlungnahme dieser Punkt heute nicht behandelt werden soll. Es ist nun geplant, diesen Punkt morgen an zweiter Stelle zu behandeln, also nach der ersten Beratung des Entwurfs eines Ersten Wohnungsbaugesetzes. Nach diesem vertagten Punkt findet die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes statt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestags auf Freitag, den 24. Februar, 14 Uhr 30 Minuten, ein und habe noch folgende Mitteilungen zu machen.
— Verzeihung! Ich bin wiederholt gebeten worden, die Sitzung um 14 Uhr 30 Minuten einzuberufen, da um 13 Uhr eine Fraktionssitzung der CDU stattfindet.
Es bleibt daher bei dem vorgesehenen Termin des Beginns, also um 14 Uhr 30 Minuten.
Um 12 Uhr findet eine Fraktionssitzung der FDP statt.
Weitere Mitteilungen liegen nicht vor.
Ich bitte die Damen und Herren, die für die dritte Beratung des Beamtengesetzes notwendigen Unterlagen auch morgen wieder mitzubringen.
Ich schließe damit die 40. Sitzung des Deutschen Bundestages.