Ich bedauere, daß — vielleicht durch Mißverständnisse, vielleicht auch dadurch, daß man sich seiner eigenen früheren Ausführungen nicht erinnert — eine so unglückliche Atmosphäre in die Behandlung dieses für uns alle, wie ich glaube und hoffe, so wichtigen und im Grunde doch gemeinsam verpflichtenden Problems hineingetragen worden ist.
Ich selber bin durch Hinweise — vielleicht haben sie ihre Ursache in der auch mir erst sehr spät bekanntgewordenen Einschränkung der Redezeit — in den Verdacht gekommen, als ob ich etwas hätte sagen wollen, was durchaus nicht in meiner Absicht und in der meiner Fraktion lag. Aber man sollte nicht Dinge, die vielleicht nur unklar gesagt worden sind, so auslegen, als ob sie in böswilliger Absicht gesagt worden wären. Eins aber, meine Damen und Herren, möchte ich in aller Eindringlichkeit und Deutlichkeit hier feststellen: Was einmal gesagt worden ist und seinem Wortlaut nach nicht mißverstanden werden kann, das nehmen Sie bitte auch so ernst, wie wir es ernst nehmen! Mir ist noch in Erinnerung, wie eine Abgeordnete dieses Hauses bei der Diskussion über das Notopfer Berlin hier einen Kommissar für Berlin forderte.
— Jawohl: einen Kommissar! Wir haben genug von den Kommissaren! Wir haben viel zuviel und viel zulange Kommissare gehabt. Jetzt wollen wir endlich die Demokratie anerkannt wissen! Ich danke Herrn Dr. Tillmanns, den ich aus meiner früheren Berliner Zeit kenne, daß er hier in der vorigen Sitzung gesagt hat: Die politischen Angelegenheiten der Länder sind ihre Angelegenheiten. Letztlich gibt es da keine Manipulationen, auch dann nicht, wenn der politische Wille eines Landes — dessen spezielle föderativen Rechte Sie, meine Damen und Herren von dieser Seite des Hauses, doch vertreten - nun auch einmal wie in Berlin zum Ausdruck kommt und wenn die Bevölkerung dieser Stadt einmal 65 Prozent Sozialdemokraten wählt. Ich glaube, wir alle können froh sein, daß es so ist, nicht nur wir Sozialdemokraten.
Warum sage ich das? — Ich sage es ganz offen: nicht weil ich mich oder meine Partei von dem Verdacht reinigen wollte, als ob wir dort mit dem Auftrag einer legalen Mehrheit nun etwa Wünsche der Minderheit rücksichtslos zurückdrängen wollten oder es schon getan hätten, sondern im Hinblick auf die vielen arbeitenden Menschen jenseits von Berlin, in der Ostzone, die ihr Wahlrecht nicht ausüben können. Ihr Wille findet Ausdruck in dem Willen der großen Masse der Berliner Bevölkerung, die dieser einen Gruppe der demokratischen Parteien nun einmal ihre Stimme
gegeben hat. In i h r sehen sie ihren besten Garanten für ihre Hoffnung — und darum sollten wir uns doch alle darauf einigen —, daß sie alle wieder einmal bei freier Stimmabgabe und mit gleichem Stimmrecht in Deutschland, in der gesamtdeutschen Republik antreten können. Nur aus dieser Überlegung heraus sage ich das und möchte Sie dringend bitten, solche Bemerkungen wie diese - hier steht es, im Protokoll der 37. Sitzung! zu unterlassen, man müsse Hilfsmaßnahmen für Berlin davon abhängig machen, daß sie auch „richtig gesteuert" würden. Den freien Willen und die freie Entscheidung der Berliner Bevölkerung soll man respektieren, solange eine Neuwahl diese Entscheidung nicht korrigiert, und wir sind der Meinung, daß es der Demokratie und der Einheitlichkeit unserer Verbundenheit mit Berlin, dem wir uns alle verpflichtet fühlen, nicht zuträglich ist, wenn dieser demokratischen Entscheidung auf diesem Wege und mit unmißverständlichen Worten Abtrag getan wird. Das dazu!
Und nun will ich ganz kurz nur meiner Enttäuschung Ausdruck geben. Herr Bundesminister! Ich habe wohl diesen langen Katalog gehört, aber meine Sorge war — und darum habe ich die direkte Frage an Sie gerichtet -: Sind für eine Reihe von Einrichtungen, über die wir im Ausschuß noch diskutieren werden und über deren Zurückverlegung nach Berlin wir uns hoffentlich sehr schnell verständigen werden, Entscheidungen im Bundeskabinett dahingehend gefaßt, daß diese Institutionen hier nach Köln oder nach dieser Seite des Rheins verlagert werden? Wir halten das für eine politische Frage erster Ordnung, denn diese Hilfsmaßnahmen sind ja nicht allein von der funktionierenden Einrichtung her zu bewerten„ sondern vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung für die Berliner Arbeitslosigkeit, der Hilfe für diese 300 000 Menschen, unter denen etwa 100 000 Spezialkräfte sich befinden. Und Herr Dr. Reismann, wie können Sie, mit dem ich doch auf meiner Fahrt nach England alle möglichen deutschen Fragen so freundschaftlich habe diskutieren können, jetzt hier dieselbe Linie wie die Bayern-Partei beziehen und sagen, es müßten auch westdeutsche Beamte nach Berlin geschickt werden, sonst gehe das nicht? Wie können Sie solche Argumente hier anführen! Ich betone nachdrücklichst, meine Damen und Herren: uns treibt die große Sorge, daß wir aus den vielen Anträgen, die - wir wissen es, Herr Bucerius — doch mehr allgemeiner Natur waren, nicht herauskommen. Wir wollen Ihre Initiative gar nicht verkleinern. Wir wollen ruhig alles das anerkennen, was auch Sie getan haben, zunächst einmal allgemein und in politischer Hinsicht durch die Aufrollung der Gesamtfrage in Anträgen und Interpellationen. Aber jetzt kommt die Zeit, meine Damen und Herren, wo diese allgemeinen Willenskundgebungen des Parlaments und der betreffenden Parteien ihren Ausdruck in ganz konkreten Anträgen finden müssen.
Einen solchen Antrag haben wir gestellt. Wir wollen seine Behandlung nicht erschweren. Im Gegenteil, wir hätten erwartet, und ich hatte gehofft, daß wir jetzt schon beschließen könnten. Wir sind dafür und stimmen Ihrem Antrag zu, ihn im Berlin-Ausschuß zu behandeln. Aber wir haben die dringende Bitte, meine Damen und Herren, daß das schnell geschieht, um die Enttäuschung und die lange Prüfungszeit der Berliner nicht noch zu verlängern. Wenn ich auch der Regierung pflichteifrige und pflichtmäßige Überlegungen unterstelle, — vier Monate sind eine lange Zeit, Herr Bundesminister, vier Monate Zeit für die Behandlung von Maßnahmen, die wirklich, wie wir glauben, einen ernsthaften und konkreten Schritt zur Behebung der Arbeitslosigkeit darstellen würden.
Aber Ihnen, Herr Dr. Reismann vom Zentrum, darf ich noch eines sagen: Sie meinen, diese Dinge hätten nichts mit der deutschen Einheit zu tun. Wir haben das bei der Debatte über die Arbeitslosigkeit schon einmal gesagt: das i s t die Frage der deutschen Einheit, ob die Teile Deutschlands in politischer Freiheit, aber auch in sozialer Gerechtigkeit zusammenwirken können. Darum legen wir das Schwergewicht auf die Hilfe für die Unmenge Erwerbsloser in Berlin, die fast die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung Berlins darstellen, und sagen mit allem Nachdruck: aus diesem Grunde und aus dieser Überlegung heraus muß alles getan werden, was diese Bevölkerung in Arbeit bringt, in Produktion und in die innere Bejahung zu dem Staat, zu dem sie rechtlich noch nicht gehört, wenn sie auch nach unserem Willen so behandelt werden soll, wie wenn sie diesem Staat, nämlich Westdeutschland, bereits angehörte.
Ich will die unliebsame Verschärfung nicht durch meine Ausführungen verstärkt haben, sondern ich will damit den Willen und das Bekenntnis festgestellt haben, daß wir sehr langmütig, aber sehr hellhörig gegenüber solchen Versuchen sind, immer da, wo Sozialdemokraten die Verantwortung übertragen bekommen haben, dann von Parteipolitik zu reden.
— Das ist von einzelnen Mitgliedern dieses Hauses geschehen..
— In dieser Debatte! Es wurde gesagt, die parteipolitischen Erwägungen müßten außer Betracht bleiben. Das ist auch unsere Meinung. Aber dann soll man konsequent sein. Dann soll man auch jede Mißdeutung in der Richtung der Verantwortlichkeit der dort leider oder Gott sei Dank
— wer weiß es, wie die Dinge auslaufen? — in dieser großen Verantwortung stehenden sozialdemokratischen Mehrheit unterlassen. Bitte, mißdeuten Sie nicht unsere hier ausgesprochene Sorge, daß trotz aller Versicherungen auch solche Überlegungen bei einzelnen Abgeordneten und in einzelnen Kreisen unseres Volkes Platz gegriffen haben und hier zum Ausdruck gekommen sind. Wir haben diese Sorge ausgesprochen, gerade weil wir wollen, daß wir doch wenigstens in dieser Frage einig sind.
Deshalb haben wir auch gebeten, die Wichtigkeit unserer Anträge dadurch anzuerkennen, daß wir sie jetzt schon verabschieden. Sie haben den Antrag auf Überweisung an den Ausschuß gestellt. Wir stimmen dem zu, aber ich möchte in aller Form den Zusatzantrag einbringen, daß unser Antrag im Ausschuß schnellstens behandelt wird. Denn, meine Damen und Herren, wir sind uns klar darüber, und ich persönlich bin davon überzeugt: es wird gar nicht lange dauern — ich habe mich eigentlich gewundert, daß die kommunistische
Fraktion hierzu nicht das Wort genommen hat —,
dann wird die Entscheidung darüber gefallen sein, ob die Menschen Berlins und der Ostzone als gleiche Bürger mit den gleichen freiheitlichen Rechten wie die hier in Westdeutschland ihren Kopf um zwei Zoll höher tragen können, um einen Zoll höher deshalb, weil Berlin und unser deutsches Ostgebiet in Freiheit und in sozialer Würde und auch de jure mit allen Rechten wieder mit uns vereinigt sein werden, und um den anderen Zoll höher in der Überzeugung, daß jeder einzelne Westdeutschland sein Teil dazu beigetragen hat. Ich stehe auch nicht an, zu erklären, daß es nach einer solchen Hilfsaktion von Menschen, die keine Deutschen waren, die als Opfer ihrer Tätigkeit, den Berlinern zu helfen, in Berlin begraben sind, beschämend wäre, wenn wir die Sorge, wie es hier heute zum Ausdruck gekommen ist, den Alliierten allein überlassen wollten, statt unsere eigenen politischen Reserven zu mobilisieren und in diesen Kampf zu werfen. Das ist Pflicht aller Deutschen, und dem sollte unser Antrag dienen!