Meine Damen und Herren! Die Entnazifizierung war, soweit sie sich nicht mit
kriminellen Tatbeständen befaßte, ein Akt der politischen Vergeltung. Sie war die Bestrafung desjenigen, der mit seiner politischen Überzeugung nicht recht behielt. Sie war eine Äußerung des Vergeltungsbedürfnisses, aber keine Angelegenheit der Rechtsprechung und der Moral.
Die politischen und psychologischen Ergebnisse dieses unerfreulichen Kapitels neuer deutscher Geschichte sind so fürchterlich, daß sich auch die Initiatoren und Vollstrecker der Entnazifizierung mit Grausen von der Drachensaat abwenden. Tatsächlich war sie ein Fehlschlag, der auch von ihren Urhebern außerhalb Deutschlands zugegeben wird. Der Mann, mit dessen Namen die Entnazifizierung unlösbar in der Geschichte verbunden sein wird, General Clay, hat, als er in einem Privatflugzeug am 15. Mai 1949 von Frankfurt nach Berlin flog, um Deutschland zu verlassen, einem Vertreter der amerikanischen Militärzeitung „Stars and Stripes" wörtlich folgendes gesagt:
Die Deutschen, denen jetzt Gelegenheit geboten ist, zu beweisen, daß sie in der Lage sind, ihren Platz in der Völkerfamilie einzunehmen, waren die Opfer jener Diktatur. Nur wenige von denen, die unter der Diktatur jener Banditen gestanden sind, wußten, was vor sich ging. Sie hatten tatsächlich keine freie Presse, aus der sie sich hätten unterrichten können, , und keine freie Stimme im Äther. Wer etwas über das Treiben der Führer in Erfahrung zu bringen suchte, konnte sich prompt auf einen Genickschuß gefaßt machen.
In dem Prozeß gegen die IG-Farben — es war der Fall 6, Krauch und Genossen — hat das amerikanische Militärtribunal in Nürnberg die in der Anklage erhobene Beschuldigung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit und gegen den Frieden gemäß Kontrollratsgesetz 10 mit folgender wörtlicher Begründung verneint:
Wir können von einem gewöhnlichen Bürger nicht erwarten, daß er sich in eine Zwangslage versetzen läßt, in der er mitten in der aufregenden Kriegsatmosphäre entscheiden muß, ob seine Regierung recht oder unrecht hat, oder, wenn sie anfangs im Recht gewesen ist, den Augenblick bestimmen muß, von dem an sie sich ins Unrecht gesetzt hat. Wir können nicht verlangen, daß dieser Bürger wegen der Möglichkeit, nach den Bestimmungen des Völkerrechts als Verbrecher zu gelten, sich zu der Überzeugung bekennt, daß sein Land zum Angreifer geworden sei und daß er seinen Patriotismus, seine Treue zu seinem Heimatland und die Verteidigung seines eigenen Herdes aufgibt, weil er Gefahr läuft, eines Verbrechens gegen den Frieden beschuldigt zu werden, während er doch andererseits zum Verräter an seinem eigenen Lande werden würde, wenn er auf Grund von Tatsachen, von denen er nur ungenaue Kenntnis hat, eine falsche Entscheidung trifft. Würde man eine solche Entscheidung von ihm verlangen, so würde man ihm eine Aufgabe zumuten, der sich die Staatsmänner der Welt und die Völkerrechtswissenschaftler nicht gewachsen gezeigt haben, als sie versuchten, eine klar umrissene Definition-des Begriffes „Angriff" zu linden.
Das Gericht fügte weiter hinzu, daß der gemeine Mann in Deutschland nicht vertrauensseliger gewesen sei als die Staatsmänner des Auslandes, die mit Hitler Abkommen geschlossen hätten.
In diesem Hause fand am 29. September des vergangenen Jahres auf Veranlassung einer interfraktionellen Gruppe von Mitgliedern des Bundestags ein Vortrag statt. Der Vortragende war der bekannte amerikanische Schriftsteller O. K. Armstrong, und es war okay, was er damals gesagt hat.
Er führte nämlich folgendes aus:
Ich legte einem höheren Beamten meiner Regierung letzte Woche folgende Frage vor: auf welcher gesetzlicher Vorstellung ist aie Entnazifizierung begründet? Er antwortete: auf der Tatsache, daß wir den Krieg gewonnen haben und dem besiegten Volk unseren Willen aufzwingen können.
Der Schriftsteller O. K. Armstrong sagte, die Entnazifizierung stehe im Gegensatz zu allen Prinzipien der amerikanischen Gerichtsbarkeit. Er schäme sich, daß einige seiner Landsleute diesen von Amerika gehegten Gedanken der Freiheit und Demokratie verspotteten, und er bezweifle, daß irgend etwas anderes, was in Deutschland getan wurde, dem deutschen Volk einen schlechteren Eindruck von der amerikanischen Demokratie geben konnte als diese Politik der Massenbestrafung.
Das wollte ich nur zum Beweis dafür anführen, wie sehr von den siegreichen Vätern der Entnazifizierung diese selbst nun als Fehlschlag aufgegeben wird und in ihren Ausgangspunkten, Grundlagen und Absichten als desavouiert angesehen werden muß.
Ich stelle ausdrücklich fest, daß die Bayernpartei nichts mit der nationalsozialistischen Doktrin, die sie auf das entschiedenste ablehnt und bekämpft, zu tun hat,
daß sie aber aus Gründen des Rechts, der Moral und der politischen Klugheit dringend wünscht, einen Abschnitt der Geschichte der Deutschen beendet zu sehen, der in seinen Auswirkungen die verheerendsten Folgen gehabt hat. Meine Fraktion hat am 19 Oktober vorigen Jahres ungefähr gleichzeitig mit Fraktionen anderer Parteien einen Antrag gestellt, in dem sie eine in den Grundlagen übereinstimmende Gesetzgebung der Länder zum Abschluß der Entnazifizierung forderte. Sie suchte diesen Weg, weil die klare Vorschrift des Artikels 139 .des Grundgesetzes und des § 2 Ziffer 3 des Wahlgesetzes eine Zuständigkeit des Bundes ausschließt. Im Verfolg dieser Anregung haben sich dann am 5. und 6. November 1949 die Justizminister der elf Länder in Rothenburg ob der Tauber getroffen und dort gemeinsame Richtlinien für den Abschluß der Entnazifizierung aufgestellt. Später wurde dann noch in Düsseldorf in einer Abschlußkonferenz für die Länder der amerikanischen Zone ein gemeinsamer Kanon für diese Regelung geschaffen. Ein Teil der Länder hat diesen Richtlinien entsprechend gehandelt. Wir haben soeben vernommen, daß fünf Länder bereits eine abschlie-
ßende Gesetzgebung erlassen haben. Andere stehen damit noch im Rückstand. Ein Land — Nordrhein-Westfalen - hat zu erkennen gegeben, daß es nicht beabsichtigt, neben seinen Verordnungen des vergangenen und vorvergangenen Jahres noch eine abschließende Gesetzgebung ins Auge zu fassen.
Wir sehen also einen durchaus buntscheckigen Zustand, der sachlich, vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus, aber auch von dem der Politik durchaus unbefriedigend ist.
Die Beseitigung der Entzweiung und der Verbitterung unseres Volkes, die durch die Entnazifizierung hervorgebracht worden ist, liegt uns so sehr am Herzen, daß wir Föderalisten sans phrase unter Umständen sogar geneigt sein könnten, die Zuständigkeit des Bundes zu bejahen,
nur um eine rasche und befriedigende gemeinsame Ausscheidung dieses politischen Tumors am deutschen Volkskörper erreichen zu können.
Leider lassen die ganz klaren Vorschriften eine
solche Regelung nicht zu. Wir sind aber der Meinung, daß der Bund, dessen Initiative wir auch in der Ziffer 2 unseres Antrags vom. 19. Oktober 1949 angerufen hatten, hier einen Schritt unternehmen kann und soll. Der Herr Bundesinnenminister ist die federführende Stelle für diese Angelegenheit. An ihn richte ich die dringende Bitte, ja Aufforderung, sich nun mit aller Kraft, Initiative, Entschlossenheit und Beschleunigung mit den Ländern des Bundes in Verbindung zu setzen, um diejenigen Länder, welche bereits eine Entnazifizierungsabschlußgesetzgebung erlassen haben, und diejenigen, die das noch nicht vollbringen konnten, sowie drittens das Land, das eine Abschlußgesetzgebung nicht
ins Auge fassen will, zur gemeinsamen endgültigen Bereinigung zu bringen. Dabei darf man auch nicht davor zurückschrecken, eine - ich sage ruhig - unüberlegte Gesetzgebung in den Ländern unter Umständen zu revidieren.
Der Wahrheit die Ehre zu geben, einen hohen politischen Sinn und Instinkt zu beweisen und die Grundsätze des Rechts voranzustellen, ist keine Schande und kann nicht hindern, einen gemachten Fehler zu bekennen und zu korrigieren. Es müßte erreicht werden können, daß der Herr Bundesinnenminister, daß das Kabinett die Länder zu einer nochmaligen wirklich endgültig abschließenden Gesetzgebung veranlaßt, die in Wahrheit das Recht wiederherstellt. Ich zögere nicht zu erklären, daß beispielsweise der Gesetzentwurf, den das bayerische Kabinett dem Landtag zugeleitet hat, vom Standpunkt des Rechts und der politischen Klugheit aus in keiner Weise befriedigen kann.