Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Meitmann hat in seiner für Berlin warm eintretenden Rede unter anderem gesagt: „Die Berliner Bevölkerung will nicht mehr schöne Worte hören"; er hat auch die Frage gestellt: „Wird der Kampf um Berlin lediglich der Opposition überlassen?" Ich finde, daß diese Äußerungen dem Sachverhalt nicht ganz gerecht werden. Ich darf darauf verweisen, daß der erste Antrag, der in diesem Hause hinsichtlich Berlins gestellt wurde, in der Drucksache Nr. 12 — das ist der Antrag vom 9. September 1919 — niedergelegt ist. Er trägt namhafte Unterschriften: Dr. Adenauer, Dr. Erhard, Dr. Holzapfel, Kaiser, Dr. Krone, Schäffer, Dr. Tillmanns und Fraktion. In diesem Antrag, der zusammen mit einem wenige Tage später von der sozialdemokratischen Fraktion eingereichten Antrag zum Beschluß dieses Hauses erhoben wurde, sind eine Reihe von Punkten niedergelegt, die ich ins Gedächtnis zurückrufen darf. Unter anderem
unter Punkt 2: „Absatzsteigerung der Berliner R Wirtschaft, insbesondere auch durch steuer- und tarifpolitische Maßnahmen". Das ist ein Punkt, über den wir kürzlich, wie Sie wissen, ausführlich verhandelt haben, der zu einem Beschluß dieses Hauses geführt hat und der in Berlin sehr lebhaft begrüßt wurde. Drittens,: „Beschaffung von Investitions- und Betriebsmittelkrediten aus öffentlichen und privaten Quellen". Sie wissen, daß namhafte Kredite dieser Art nach Berlin geflossen sind. Fünftens: „Regelung der sogenannten Uraltkonten". Nicht weniger als 250 Millionen D-Mark werden aus den Mitteln der Bundesrepublik für diese Zwecke für Berlin zur Verfügung gestellt. Sechstens: „Realisierung der Blockadehilfe". Aus den Mitteln, die der Magistrat Berlin von der Bundesrepublik erhält, ist der Magistrat in Berlin jedenfalls in bescheidenem Umfange - in der Lage, die Blokkadehilfe in Berlin Wirklichkeit werden zu lassen. Siebentens: „Einschaltung Berlins in die Abwicklung des Ost-Westhandels". Auch diese ist zu einem namhaften Teil bereits Wirklichkeit geworden, und wir haben soeben von dem Herrn Minister für gesamtdeutsche Fragen gehört, daß eine besondere Dienststelle zur Förderung des Ost-Westhandels und seiner Abwicklung in Berlin errichtet werden soll. Achtens heißt es in diesem Antrag: „Errichtung von Bundesbehörden in Berlin".
Sie sehen also, daß die CDU/CSU-Fraktion sich gewiß nicht zurückgehalten hat, sondern mit sehr energischen und mit klar und präzise formulierten Anträgen an dieses Haus herangetreten ist, mit Anträgen, die schon in einem sehr erheblichen Umfang ihre Realisierung gefunden haben. Wir wollen aber trotzdem die Äußerung des Unmuts darüber, daß nicht noch mehr hat geschehen können, vergessen. Es hat ja auch keinen Zweck, in dieser uns alle so intensiv angehenden Angelegenheit miteinander zu hadern. Wir wollen versuchen, gemeinsam das große Ziel, das uns vor Augen steht, zu erreichen, nämlich Berlin wieder so auf eigene Füße zu stellen, daß es lebensfähig ist und für uns wirken kann. Deshalb wollen wir auch das, was der Herr Abgeordnete Seelos heute gesagt hat, in positivem Sinne nehmen. Wir wollen es ihm nicht übelnehmen, daß er für die Notgebiete seiner bayerischen Heimat eingetreten ist in einem Augenblick, in dem auch an Berlin gedacht werden muß. Ich bin allerdings — entgegen seiner Meinung -- der Auffassung, daß es den Berlinern nicht anstünde, heute eine Nothilfeaktion für die bayerischen Gebiete einzuleiten. Berlin ist selber ein notleidendes Land, und alles, was wir ihm zugestehen können, ist, auf seine eigenen Nöte hinzuweisen. Wir würden überrascht sein, wenn von dieser Seite her ein Notruf für Bayern käme. Aber Herr Seelos wird uns immer bereit finden, das zu tun, was möglich ist, auch für seine bayerische Heimat.
Ich kann mich allerdings nicht mit dem abfinden, was der Herr Vertreter der Zentrumsfraktion gesagt hat. Wir müssen uns über eins völlig klar sein: wir leben in einem Zeitalter, in dem äußerste Risiken getragen werden müssen.
Die Grenze gegen den Osten ist nicht stabil. Von
jener Seite des Eisernen Vorhangs her werden
ununterbrochen Versuche gemacht, über diese
Grenze hinüberzugreifen. Die psychologischen Belastungen für den deutschen Westen, für den europäischen Westen und für Berlin sind ungeheuerlich. Und wenn die Berliner nicht die Überzeugung gewinnen, daß wir sie als untrennbaren Bestandteil der Bundesrepublik ansehen, dann muß der Mut. der Berliner Bevölkerung sinken. Der Mut der Berliner Bevölkerung muß aufrechterhalten werden, nicht nur im Interesse der Berliner, sondern in unserem eigensten Interesse. Denn wenn die Bastion Berlin eines Tages einmal fallen sollte — und sie wird fallen, wenn Sowjetrußland sieht, daß der europäische Westen und daß Deutschland nicht bereit sind, Berlin zu stützen —, dann hat es keinen Sinn mehr, darüber zu rechten, wo und in welchem Landesteil westdeutsche Behörden aufgerichtet werden sollen. Wir werden dann keine Gelegenheit mehr haben, irgendeine. Behörde aufzurichten. Die Zeit ist dafür dann unwiderruflich vorbei.
Deshalb handelt es sich hier nicht um eine Angelegenheit, die lediglich aus dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit zu beurteilen ist. Politische Momente spielen hier nun einmal eine ganz bedeutende Rolle. Sie können und sollten aus der Sache nicht hinweggedacht werden. Das schließt nicht aus, daß wir die Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit nicht außer acht lassen. Ich darf Sie darauf verweisen, daß der Antrag der CDU lautete: „Errichtung von Bundesbehörden in Berlin". Es ist sehr interessant, zu sehen, daß der sozialdemokratische Antrag in dieser Beziehung etwas vorsichtiger und zurückhaltender war. Er bat nämlich die Bundesregierung nur, zu überprüfen, „in welchem Umfang, ohne den Ablauf des Geschäftsverkehrs zu erschweren, Dienststellen der Bundesrepublik nach Berlin verlegt werden können". Also selbst die Sozialdemokratie hat zu geeigneter Zeit und an geeigneter Stelle darauf hingewiesen, daß die technischen Schwierigkeiten nicht außer acht gelassen werden können. Unter diesem Gesichtspunkt müssen wir heute auch den sozialdemokratischen Antrag beurteilen. Es war die Frage, ob wir in der Lage sind, diesen Antrag vielleicht heute schon durch Annahme zum Beschluß zu erheben. Wir haben dagegen Bedenken, und ich freue mich, feststellen zu können, daß die Kollegen von der Sozialdemokratie diesen Bedenken beigetreten sind. Wir haben die Absicht und bitten Sie, den Antrag der SPD zunächst einmal im Ausschuß zu überprüfen.
Ich darf zu dem Antrag der SPD einige wenige Worte sagen. In dem Antrag wird zunächst verlangt, daß bis zum 1. März 1950 das Bundesaufsichtsamt für Privatversicherung nach Berlin verlegt wird. Dieses Bundesaufsichtsamt für Privatversicherung existiert heute noch gar nicht. Es kann also schlecht nach Berlin verlegt werden. Ob es bis zum 1. März 1950 errichtet ist, ist schwer zu übersehen. In diesem Zusammenhang einige wenige Worte über die Beiträge, die die private Versicherungswirtschaft schon heute für die Aufrechterhaltung der Außenstelle Berlin leistet. Ich habe mich davon überzeugt, daß große und bedeutende Versicherungen, die in Westdeutschland ihren Sitz haben, heute noch sehr namhafte Dienststellen in Berlin unterhalten in der Erwartung, daß demnächst in Berlin Stellen gegründet werden, die diesen schon bestehenden Außenstellen der westdeutschen Versicherungsgesellschaften wieder Beschäftigung verleihen. Ich darf einige Beispiele anführen. Eine große, im ganzen Bundesgebiet und in Berlin arbeitende Versicherungsgesellschaft hat in Westdeutschland 270, in Berlin dagegen 400 Angestellte. Eine andere große Gesellschaft, die ihr Schwergewicht immer im Westen Deutschlands hatte, hat hier 1500 und in Berlin 200 Angestellte. Eine kleinere Gesellschaft hat hier 90, in Berlin 40 Angestellte; eine mittelgroße Versicherungsgesellschaft hier 300, in Berlin 250 Angestellte. Sie sehen, daß auch auf seiten der privaten Versicherungswirtschaft die Bereitschaft, ja die Erwartung besteht, daß in Kürze irgend etwas geschieht, um in Berlin die Voraussetzungen für eine fruchtbare Beschäftigung der jetzt bestehenden Außenstellen zu schaffen.
Bei dem Bundesrechnungshof handelt es sich um eine Position, die mir zunächst einmal zweifelhaft erscheint. Der Bundesrechnungshof muß bei den einzelnen Behörden im Bundesgebiet herumreisen und sich Klarheit über die Abrechnungsverhältnisse verschaffen. Ich glaube nicht, daß es einen Sinn hat, von einer solchen Stelle ein Firmenschild mit einem Zimmer in Berlin zu errichten, in dem. tatsächliche Arbeit nicht geleistet werden kann.
Wie es bei der Schuldenverwaltung, bei der Vermögensverwaltung aussieht, müßte in einer Untersuchung noch geklärt werden.
Es ist sehr interessant, daß der Vorschlag gemacht worden ist, einen Teil der Altpatente weiterhin in Berlin zu bearbeiten. Auch diese Frage wird unter Hinzuziehung von Sachverständigen im Ausschuß in kürzester Zeit geklärt werden können.
Das Bundesverfassungsgericht möchte ich in O der Tat lieber bei den hiesigen Behörden sehen.
Dagegen liegt die Frage der Sozialversicherungsämter und des Bundesverwaltungsgerichts wieder auf einem anderen Gebiet. Das Bundesverwaltungsgericht wird überwiegend Verwaltungsarbeit haben, also eine Angelegenheit, die man sich durchaus in Berlin wird vorstellen können.
Alles das muß natürlich Gegenstand einer gründlichen Prüfung sein, bei der die zuständigen Ausschüsse ihr Wort zu sprechen haben. Die zuständigen Ausschüsse sind nach meiner Auffassung als federführender Ausschuß natürlich der Ausschuß Berlin, zweitens der Ausschuß für innere Verwaltung. Ich hoffe, daß diese beiden Ausschüsse sich in recht kurzer Zeit zu einem für Berlin günstigen Ergebnis werden entschließen können. Dabei sind die Untersuchungen, die die Ausschüsse anzustellen haben, nicht nur auf diejenigen Dienststellen beschränkt, die der Antrag der SPD genannt hat. Über weitere Dienststellen, die der Initiative der einzelnen Beteiligten im Ausschuß vorbehalten sind, kann dort ebenfalls noch diskutiert werden.
Ich wiederhole es: die Sache Berlin ist die Sache aller Deutschen, wie sie die Sache aller Europäer ist. Wir werden immer, bei jeder Gelegenheit und in jeder geeigneten Form für Berlin eintreten.