Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Auch diesem Teil der jungen Generation, der von nicht zu unterschätzender Bedeutung für das Werden unseres künftigen Staatsgefüges ist, muß das Gefühl der bisher auf ihm lastenden Diffamierung genommen, muß der Weg in die volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung freigemacht werden.
So sehr wir also mit dem Grundgedanken, auf rechtliche Weise die politische Säuberung zu beenden, einverstanden sind, sowenig können wir unsere ernstesten Bedenken gegen den vorliegenden Entwurf der FDP unterdrücken. Wir können uns nicht vorstellen, daß es keine Bitterkeit für viele Hunderttausende von Betroffenen auslösen würde, wenn sie erfahren müßten, daß jetzt auch Hauptschuldige, die sich bisher im Verborgenen hielten, keine Sühne zu leisten haben, während die kleinen Mitläufer bereits ihre Sühne hinter sich haben. Das geht nicht. Wir werden bei den Ausschußberatungen darauf hinwirken, daß die Grundsätze der Abschlußgesetze einiger Länder der amerikanischen Zone, die uns vernünftig erscheinen, mit hineingearbeitet werden.
Wir vermissen in dem Gesetzentwurf auch die Schaffung einer Revisionsmöglichkeit für diejenigen Fälle, die bereits nach Gruppe I und II entschieden worden sind. Es wäre ein Verstoß gegen die Rechtsgleichheit, wenn man Urteile aus dem Jahre 1946 auch jetzt noch nach diesen Schlußgesetzen in Kraft ließe, während jedermann weiß, daß dieselbe Angelegenheit im Jahre 1948 wesentlich anders beurteilt worden wäre. Ich schließe mich also dem Antrag an, daß der Gesetzentwurf der FDP dem Ausschuß überwiesen wird.
Aber ich bitte das Haus, und zwar sehr eindringlich, dem Antrage der Herren Abgeordneten Dr. Richter und Genossen schlicht die Zustimmung zu versagen. In dieser Form geht es wirklich nicht. Der Antrag bedeutet praktisch nicht einen Schlußstrich unter die bisherige Entnazifizierung, sondern er bedeutet eine Ermunterung für die Zukunft. Wir müssen doch auch sehen, aus welchem Lager diese Dinge kommen. Der Herr Abgeordnete Dr. Richter spricht hier in bemerkenswerter Weise von Völkerrechtswidrigkeiten.
Dabei mache ich Sie auf eines aufmerksam, und das ist folgendes: Wenn ich Ihren Standpunkt akzeptiere, daß die Alliierten im Jahre 1945 nicht zur Änderung der deutschen Gesetzgebung berechtigt waren, dann gilt das ganze Nazirecht weiter, dann haben Sie sich eines Verstoßes gegen das Gesetz gegen die Neubildung politischer Parteien schuldig gemacht und haben zu Recht im Zuchthaus zu sitzen und nicht hier. Seien Sie sich über diese Konsequenz klar! Oder aber es ist umgekehrt - das wäre eine andere Möglichkeit, die ja nicht ausgeschlossen ist; ich weiß es nicht —, dann sind Sie der einzige legitime Rechtsnachfolger der NSDAP, und dann gehören die anderen alle ins Zuchthaus. Eins von beiden nur ist möglich.
Ich bedaure, daß die Vereinbarungen, die wir getroffen haben, und der Lauf der Debatte, die sehr aufschlußreich und instruktiv war, es mir nicht gestatten, noch auf einige. andere sehr wesentliche Tatbestände hinzuweisen. Aber einen Tatbestand möchte ich auf alle Fälle herausgreifen. Das ist der Tatbestand, der jetzt durch die öffentliche Debatte über das Hedler-Urteil und einige andere Dinge die gesamte deutsche und Weltöffentlichkeit beschäftigt. Die Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers zu dieser Frage, so vielversprechend sie am Anfang zu klingen schienen, sind für uns doch nicht ausreichend. Es wird Aufgabe des Hohen Hauses sein, Vorkehrungen dagegen zu treffen, daß der Schlußstrich unter die politische Säuberung nicht gleichzeitig zum Beginn der Renazifizierung wird. Das bedeutet aber nicht nur Abwehr durch Gesetze gegen bestimmte Persönlichkeiten, das bedeutet weiterhin auch Sauberhaltung der öffentlichen Verwaltung von derartigen Einflüssen.
Das ist eine Frage der Personalpolitik. Das bedeutet, daß nicht etwa all jene dunklen Geister der Vergangenheit glauben, sie müßten jetzt, nachdem sie 1945 ihre Stätte feige im Stich gelassen haben, bald wieder dort sitzen, wo inzwischen wirklich sehr viele tatkräftige Männer den Karren einigermaßen aus dem Dreck gezogen haben.
Das sind die Grundsätze, die wir verankert sehen möchten.
Wir wünschen auch nicht, daß etwa mit dem Gedanken gespielt wird, die Wiedergutmachung an den Opfern der Entnazifizierung, wie sie sich heute hinstellen, eher vorzunehmen als die Wiedergutmachung an den echten Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung. Dieser Pflicht sollte sich das deutsche Volk nun wirklich zuerst bewußt werden. Das ist weiter eine der Forderungen, die wir vorzubringen haben.