Rede von
Dr.
Heinrich
von
Brentano
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Die Frage, ob der Bund für die Gesetzgebung über die Denazifizierung zuständig ist, wurde nur mit wenigen Wort gestreift. Ich neige dazu, die Frage in Übereinstimmung mit der Auffassung des Kabinetts zu verneinen. Wir haben diese Fragen auch im Parlamentarischen Rat besprochen; die Auffassung im Parlamentarischen Rat ging bei der Schaffung des Grundgesetzes dahin, daß der Bund auf diesem Gebiet keine Zuständigkeit besitzen werde. Man kann die Zuständigkeit auch nicht mit lapidaren Sätzen begründen, wie ich sie zu meiner Freude und Überraschung aus dem Munde des Herrn Kollegen Dr. Etzel gehört habe. Er sprach von der „elementaren fundamentalen Existenzfrage" und glaubte, mit dieser Begründung den Bund anrufen zu sollen, auf diesem Gebiete gesetzgeberisch tätig zu sein. Ich bin gespannt, ob Herr Kollege Dr. Etzel auch dann, wenn wirklich fundamentale Existenzfragen des Bundes hier be-
handelt werden, einer solchen extensiven Auslegung des Grundgesetzes zuneigen wird. Ich glaube, wir haben aus Rechtsgründen nicht die Möglichkeit, diese Frage im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes zu entscheiden. Wir werden uns darauf beschränken müssen, das zu tun, was bisher geschehen ist: im Justizkollegium eine möglichst gleichförmige Regelung dieser Frage anzustreben.
Die Notwendigkeit, das Problem der Denazifizierung zu beenden, und die Notwendigkeit, es möglichst einheitlich zu beenden, soweit die ganz verschiedene Gesetzgebung und die Praxis des Spruchkammerverfahrens es überhaupt zulassen, wird auch von meinen Freunden und von mir in Übereinstimmung mit meinem Freund Gerstenmaier unterstrichen.
Es sollte noch ein zweites gesagt werden. Manche Äußerungen, die hier gefallen sind, klangen nach der Melodie: Nicht der Mörder, sondern der Ermordete ist schuldig. Wir sollten uns von solchen Vorstellungen freimachen und notfalls distanzieren. Ich glaube, es war nicht gut und richtig, hier die Völkerrechtswidrigkeit dieser Gesetzgebung unter Berufung auf die Haager Landkriegsordnung zur Diskussion zu stellen. Ich fürchte, wir müßten uns doch den Einwand gefallen lassen, daß die Haager Landkriegsordnung nicht immer Richtschnur des Handelns der deutschen verantwortlichen Stellen war. Ich warne vor einem solchen falschen Zungenschlag. Es ist notwendig, die Denazifizierung in dem Sinne zu beenden, wie es mein Freund Gerstenmaier aussprach, nämlich eine Rechtsgrundlage für das
Ende dieses zweifellos vollkommen verfahrenen Unternehmens zu schaffen, damit wir auf Grund einer gemeinsamen Regelung — sei es auf Bundesebene, sei es durch übereinstimmende Regelung in den Ländern — die Voraussetzungen für ein Recht im Geiste einer echten Versöhnungsbereitschaft schaffen, so daß das gleiche Recht im ganzen Bundesgebiet gilt.
Aber ich wiederhole: diese Versöhnungsbereitschaft muß dort ein Ende finden, wo es darum geht, sich nicht nur mit der Vergangenheit als solcher, sondern auch mit den Erscheinungsformen der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ich wünschte, daß die Frage der Denazifizierung auch hier und im Ausschuß Anlaß gäbe, uns einmal mit den metaphysischen Vorgängen zu befassen, die das Jahr 1933 überhaupt ermöglicht haben, und uns freizumachen von der Vorstellung, daß die Jahre 1933-1945 nur ein historisches Akzidens seien, das man jetzt aus dem Bewußtsein herausmanipulieren könne, daß es genüge, sich von den äußeren Erscheinungsformen der Zeit zu distanzieren, ohne eine Antwort auf die Frage zu suchen: Wie kam es zu diesen Ereignissen, und wie können wir als diejenigen, die die Verantwortung für die Gestaltung des deutschen Schicksals tragen, alles tun, um eine ähnliche Fehlentwicklung endgültig zu verhindern?
Dazu genügt — darüber sind wir uns wohl alle im Hause klar — kein Denazifizierungsgesetz, mag es auch noch so gut oder noch so schlecht sein. Dazu reicht auch nicht der Versuch, lediglich einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, sondern das wird uns nur gelingen, wenn wir wirklich bereit und entschlossen sind, uns mit den Grundlagen unserer geschichtlichen Entwicklung dieser Jahre auseinanderzusetzen
und nach den Gründen zu forschen, die diese Fehlentwicklung ermöglicht haben, um aus der Erkenntnis die notwendigen Folgerungen für unser deutsches Schicksal zu ziehen. Wenn die Denazifizierung in diesem Sinne Anlaß sein wird, uns auf uns selbst und auf unsere Aufgabe zu besinnen, dann war sie selbst und war diese Debatte nicht fruchtlos.