Rede von
Karl
Meitmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Jawohl! — Meine Damen und Herren, ich muß auf einige weitere Hinweise verzichten, weil ich von der Tatsache, daß ,die Redezeit verkürzt werden soll, erst in dem Augenblick erfahren habe, als ich die Rednertribüne betreten habe. — Eine Bitte will ich an die Herren der Bayernpartei richten. Das, was in der letzten Sitzung von den Herren Abgeordneten Seelos und Besold als Grundmotiv gesagt worden ist - „Wir wollen Berlin schon helfen, aber nur unter der Bedingung, daß auch unseren Notstandsgebieten geholfen wird" —,ich als Gesinnung aus dem Geiste der Gartenlaube-Leser bezeichnen: Erst mein Tisch gedeckt, dann helfe ich anderen!
— Dieser Geist und diese Gesinnung, Herr Seelos, führen zu einer schlechten Politik. Das ist
eine Politik, die das deutsche Volk - in den
Kreisen, die es wirklich darstellen, den Kreisen
der arbeitenden Menschen — einfach nicht versteht. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, als
die ersten Anzeichen der Not in Berlin spürbar
wurden, wie Arbeiterfrauen und Männer, zum
Teil selbst arbeitslos, die Pakete für Berlin packten und wie sie ihre Kinder zuzogen, um sie
diesen Akt der Solidarität erleben zu lassen. Diesen Geist der Solidarität der Arbeiterwohlfahrt,
die nicht einen Vorwegbescheid und eine Vor-
wegdotierung ihrer Landstriche beantragt hat, möchte ich sehen, wenn wir diese Aufgabe, Berlin zu helfen, als Volksvertreter behandeln. Solidarität ohne Anspruch und ohne den Wunsch, irgendwie dafür gerühmt oder anerkannt zu werden! Ausdrücklich kann ich sagen, daß die karitativen Verbände, für die die Bayernpartei des Herrn Seelos plädiert hat, nicht von den Berliner Nothilfsmitteln vorweg bedient worden sind; sie würden sich dagegen wehren, wenn ihnen das als ihre Absicht unterstellt würde. Ich glaube, daß in dieser Not Deutschlands alle diese Hilfskräfte ihre Pflicht aus der gleichen Gesinnung, die ich vertrete, getan haben.
In der vorletzten Sitzung, als wir das Berlin-Gesetz verabschiedeten, hat der von uns allen doch verehrte Alterspräsident diesen Satz als ein gutes und der Wirklichkeit entsprechendes Symbol geformt: Berlin ist und will kein Bettler sein, Berlin ist ein gesunder Arbeiter, der aber zuviel Last auf seinen Schultern hat. Ich möchte Ihnen — da ich ja aus der Gegend bin, wo die wilden Stürme des Nordwestens auf die Deiche branden — sagen, in welchem Geist wir diese Arbeit für Berlin von uns allen getan wissen möchten. Der erste Deich, der gefährdetste Deich ist es, auf den der Deichvogt ruft, wenn die Stürme die Deiche bedrohen, und nicht der hintere und der letzte; sondern wenn der Deichvogt ruft: „Auf die Deiche!", dann ist es für jedes Kind dort oben in Schleswig-Holstein und an der ostfriesischen Küste eine Selbstverständlichkeit, dorthin zu gehen, wo die Hauptgefahr ist, und alles an dieser Stelle einzusetzen. In diesem Sinne und in diesem Geist möchten wir, daß Sie sich mit uns vereinigen, und wir sind sicher, daß Sie es tun werden, und wenn Sie es über sich bringen können, dann verschieben Sie wegen der Dringlichkeit und Bedeutung unseren Antrag nicht an einen Ausschuß, sondern entschließen Sie sich, jetzt schon und heute für die Gesamtbevölkerung Berlins den Beweis der echten und ehrlichen Absicht dadurch zu erbringen, daß wir heute schon über diesen Antrag beschließen.