Es gibt nicht nur ein Berliner Notstandsgebiet; auch wir in Westdeutschland haben viele Notstandsgebiete, und besonders ich habe auch eines im Bayerischen Wald. Das hat man
in Berlin selbst durchaus akzeptiert und auch nicht als einen Appell an die niederen Instinkte bezeichnet. Ich verstehe also nicht, warum dieselben Argumente, die irgendwoanders möglich sind, hier in einer solchen gegnerischen Stimmung aufgenommen worden sind. Sie glauben immer, daß wir in Bayern bei Berliner Problemen stets nur aus alten Ressentiments handeln. Ich kann Ihnen sagen: diese Ressentiments haben einmal in Bayern bestanden, sind aber nicht mehr da oder nur in sehr geringem Maße; denn inzwischen haben wir schließlich sehr viel erlebt. Wir kennen in Bayern die harten zwei Jahre der ersten Besatzungszeit. Wir kennen das unerhörte Auftreten der DPs in der ersten Nachkriegszeit. Wir kennen die Misere, die wir und die 2,3 Millionen Heimatvertriebene in Bayern haben. Wir bekommen auch keine zentralen Befehle mehr von Berlin, die vielleicht eine gewisse Aversion hervorrufen könnten; die gab es dann gegenüber Frankfurt und jetzt gegenüber Bonn. Also auch hier scheidet Berlin aus.
Sprecher der Bayernpartei haben wiederholt unter dem Beifall des Hauses auf die Verdienste Berlins in diesem Kampf um Europa und diese dankenswerte Aufgabe, Vorposten des Abendlandes gegenüber der kommunistischen Flut zu sein, hingewiesen.
Wir haben die Leiden der Berliner immer anerkannt, nicht bloß hier in Worten, sondern haben gerade von Bayern aus durch reichliche Taten geholfen. Sie dürfen aber von uns nicht verlangen, daß wir, wenn eine Berliner Frage oder ein Gesetz über Berlin zur Debatte steht, ohne Prüfung einfach Ja sagen. Gerade das letzte Mal war es so, daß wir das Gesetz erst ein paar Stunden vorher zu Gesicht bekamen. Sie haben uns nicht einmal die uns geschäftsordnungsmäßig zustehende Frist zugebilligt, sondern von uns verlangt, daß wir Ja sagen, ohne das Gesetz zu kennen. Das war im Stil einer früheren Zeit. Wenn wir Zeit haben wollten, geschah es nicht, um die Sache zu verschleppen, sondern nur um uns wirklich ernsthaft mit dem Sinn des Gesetzentwurfes vertraut zu machen. Es scheint mir wirklich nicht am Platze zu sein, daß Sie in dieser Art, wie es zum Beispiel Ihr Sprecher jetzt schon wieder getan hat, Ioswettern; das ist bei einer wirklich sachlichen Prüfung nicht gerechtfertigt. Wir sehen das Problem schließlich auch unter allgemeinen politischen, außenpolitischen Gesichtspunkten Wir sind der Auffassung, daß wir den Berlinern infolge ihrer furchtbaren, eingeschlossenen Lage niemals den gleichen Lebensstandard geben können, wie wir ihn in Westdeutschland haben. Es war nicht einmal der Großmacht Amerika möglich, den Berlinern die Leiden einer Luftbrückenzeit abzunehmen. Noch viel weniger wird es uns in Westdeutschland gelingen, den Berlinern die Leiden der Situation völlig abzunehmen.
Wenn wir nach den vorgestrigen Feststellungen des- Wirtschaftsinstituts in Berlin weiterhin mit einem verlorenen Zuschuß und Krediten von 90 bis 100 Millionen Mark monatlich rechnen müssen, dann bedeutet das eine unerhörte Anzapfung. Wir müssen uns wirklich überlegen, ob wir das vertragen können, ohne daß Westdeutschland selbst zum Erliegen kommt und damit die Hilfsmöglichkeit für Berlin überhaupt abgeschnitten wird. Hätte man diese Milliarde pro Jahr in eine produktive Erwerbslosenfür-
sorge gesteckt, dann hätten wir, wie Sie sich selbst ausrechnen können, wohl 600 000 bis 700 000 Erwerbslose weniger in Westdeutschland, und die Regierung hätte sich nicht diese Vorwürfe von seiten der Alliierten und von seiten der SPD machen lassen müssen. Es sind also schließlich komplexe Probleme, in denen wir stehen. Wenn man hier etwas wegnimmt und woanders hineinschmeißt, muß man eben die Konsequenzen daraus tragen. Unsere Möglichkeiten sind beim besten Willen doch beschränkt.
Sie müssen uns erlauben, daß wir die Berliner Probleme wirklich sachlich prüfen. Sie dürfen uns nicht von vornherein vorwerfen, daß es böser Wille ist, wenn wir da oder dort unsere Bedenken erheben oder da und dort unsere Einwürfe machen. Es darf auch nicht falsch aufgefaßt werden, wenn wir, die wir das bayerische Elendsgebiet an der böhmischen Grenze kennen, sagen: diese Einwohner leben oft noch unter viel schlimmeren Umständen als heute noch die Berliner Bevölkerung.
Wenn wir dieses Problem unter Einsatz unseres Letzten überbrücken, wird es in der Welt bald gar nicht mehr diskutiert, daß die Berliner infolge der alliierten Maßnahmen, dieser alliierten Konzeption, solche Leiden haben und daß es nicht unsere Schuld ist.
Psychologe, Herr Dr. Seelos!)
Wenn wir vollends sehen, daß über unsere Anträge für ein Notstandsgebiet schon drei Monate hingegangen sind, ohne daß wir den ernsten Willen spüren, Air dieses Gebiet etwas zu tun, während andererseits ein Gesetz für Berlin in drei Tagen in drei Lesungen durchgepeitscht wird, müssen wir unsererseits doch an einem gewissen guten Willen der anderen Seite zweifeln. Wie hätten wir es begrüßt und wie hätte es unsere Situation in Bayern erleichtert, wenn gerade bei unseren Anträgen ein Berliner hierhergetreten wäre und einmal gesagt hätte: wir sind in gemeinsamer Not, wir sehen ein, daß es dort im Osten Bayerns miserabel zugeht; uns geht es auch schlecht, jetzt wollen wir sehen, wie wir euch helfen können; helft aber auch uns! Solche Worte wären zu Herzen gegangen. Wenn sie gesprochen worden wären, hätten wir diese Berliner Frage noch besser behandeln können.
Ich sage Ihnen das in aller Offenheit und Ehrlichkeit, die ich auch von der anderen Seite erwarte. Wenn diese Auseinandersetzungen aber so geführt werden, wenn immer gesagt wird, daß sich nur die Bayernpartei dagegen wende, wenn so in explosiver Art die Frage verschoben wird, dann schaden Sie ja letztlich Berlin. Wenn Sie es uns nur ein bißchen erleichtern und unseren Einwendungen etwas gerecht werden, haben Sie auch in Berliner Dingen immer unsere Zustimmung. Es ist von Ihnen nie gewertet worden, daß wir für das Berliner .Kraftwerk West und für alle diese Berliner Kredite gestimmt haben. Nur in einem einzigen Punkt, nämlich in der Frage der Umsatzsteuer, haben wir unsere Bedenken geäußert, und das ist dann von Ihnen zu der völlig ungerechtfertigten Demonstration benützt worden.
Zu der Frage, die auf der Tagesordnung steht, brauche ich eigentlich nicht mehr Stellung zu nehmen; denn nach den Ausführungen des Herrn Bundesministers Kaiser ist das nicht aktuell.
Ich kann mir 'also Ausführungen hierüber sparen.
Nur das möchte ich noch sagen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie künftig bei der Bewertung unserer Stellungnahme zu Berliner Fragen meine grundsätzlichen Bemerkungen, die ich heute hier gemacht habe, wenigstens etwas würdigen würden.