Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute von der rechten Seite des Hauses eine ganze Anzahl von mutigen Worten gehört, die zu einem Kampf für Freiheit und Recht aufriefen. Ich habe dabei an meine Jugendjahre zurückgedacht und habe an die Frühlingsmonate des Jahres 1933 denken müssen. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen, daß mir auch heute, glaube ich, wohler wäre, wenn alle die Stimmen für Freiheit und Recht, die jetzt so vernehmlich durch die Lande klingen, auch von Ihrer Seite in den entscheidenden Tagen des Jahres 1933 erklungen wären, als in Deutschland Freiheit und Recht zu Grabe getragen wurden.
Dann hätten wir uns heute mit dem Problem der politischen Säuberung, das doch immerhin ein Erbe der nationalsozialistischen Vergangenheit ist, nicht zu beschäftigen.
Ich begrüße es, daß der Kollege Gerstenmaier diesen Ursachenzusammenhang, den wir keinen Augenblick aus dem Gedächtnis verlieren dürfen, heute in aller Klarheit herausgestellt hat.
— Vielleicht wäre es für alle besser gewesen;
aber wir hätten nicht zu schießen brauchen, wenn
unser Bürgertum, das von dieser Seite des Hauses
vertreten wird, in diesem Zeitpunkt etwas mehr Mut aufgebracht hätte.
Wer dafür gewesen ist, darf sich heute doch nicht darüber beklagen, daß die anderen etwas zu wenig dagegen getan haben.
— Sie sind ja auch ein weißer Rabe!
Ich weiß ganz genau — und nach den Ausführungen manches Sprechers kann ich noch einiges zu diesem Thema sagen —, wo gewisse Geistesverwandtschaften bis weit in Ihre eigenen Reihen hineinreichen.
Es verwundert uns - das möchte ich der FDP noch weiter mit auf den Weg geben —, daß in dieser überaus wichtigen Frage die Initiative von einer der Regierungsparteien ausgegangen ist. Wir haben erfahren, aus welchen Gründen die Initiative nicht von der Regierung selber kam: weil die Regierung der Meinung ist, es sei die Zuständigkeit des Bundes nicht gegeben. In gewissem, Sinne freut uns das, aber in einem ganz anderen Zusammenhang: weil das nämlich doch die Wiederherstellung des Zustandes ist, für den wir uns eingesetzt haben, daß es dem Hause recht und billig ist, in entscheidenden Fragen selbst die Initiative zu ergreifen, wenn es dies zu ihrer Lösung nach Beurteilung der Lage für notwendig hält. Ich möchte Sie nur darum bitten, diesen Brauch bei Ihnen vielleicht einmal unbequemen Gesetzentwürfen der Opposition durchzuhalten und auch dann einmal einen Gesetzentwurf nicht nur hier zu erörtern, sondern voranzutreiben, wenn in anderen Fragen als denen der politischen Säuberung die Initiative aus der Mitte des Hauses und nicht von der Regierung kommt. Ich meine Sie, die Sie uns einst hier nahegelegt haben, auf sehr wesentliche Dinge so lange zu warten, bis sie die Regierung von sich aus geboren hat.
Ich möchte gleich ein Beispiel herausgreifen. Der Herr Innenminister hat mit Fug und Recht gefordert, daß die notwendigen Ergänzungsgesetze zum Schlußgesetz über die politische Säuberung nun wirklich kommen; und er hat gesagt, daß dazu unter anderem die Einrichtung des Bundesverfassungsgerichtshofes gehöre. Ja, meine Damen und Herren, wir haben aber doch bereits den Gesetzentwurf der Sozialdemokratischen Partei vorliegen! Was hätte denn dieses Haus daran gehindert, längst im Besitze dieses für die Sicherung des Rechtsfriedens und der Verfassungsmäßigkeit notwendigen Instituts zu sein, wenn nicht dies, daß wir auf die Regierungsvorlage warten?
Was hätte uns gehindert, den sozialdemokratischen Entwurf, der hier die erste Lesung passiert hat, so weit zu fördern, daß wir heute schon über dieses Gericht verfügten, statt nur darüber zu debattieren, wenn nicht dieses Warten auf die Regierungsvorlage?
Das ist immerhin auch eine Lehre aus der heutigen Debatte.
Es wäre von Interesse, daß nicht nur der Herr Innenminister, sondern gerade auch im Hinblick auf die Fraktionsgemeinschaft der Herr Bundesjustizminister seinen eigenen Fraktionskollegen eine Erklärung darüber abgäbe, wie e r nun zu dem Gesetzentwurf steht. Der Entwurf behandelt doch, wenn es auch eine politische Materie ist, die nach dem Kabinettsbeschluß nachher im Innenministerium weiter bearbeitet würde, der Sache nach ein Problem, das den Justizminister zweifellos sehr lebhaft inter essiert. Ich glaube, es wäre für das ganze Haus von lebhaftem Interesse, hierüber etwas von ihm zu hören; und es wäre gut, wenn er sich etwas weniger in Schweigen hüllen, sondern über diese Frage einmal reden wollte.
Ich darf im Namen meiner Freunde sagen, daß uns eine ganze Reihe der Arbeiten, die das Justizkollegium der Länder in dieser Frage geleistet hat, wesentlich sympathischer berühren als der vorliegende Entwurf der Freien Demokratischen Partei, und zwar aus einem Grunde, den auch Sie einsehen müssen: die Säuberung ist nun einmal außerordentlich vielgestaltig in den verschiedenen deutschen Lindern geregelt worden, und sie ist über die gesetzliche Unterschiedlichkeit hinaus in einem noch viel größeren Maße in der Praxis unterschiedlich gehandhabt worden, so daß ein schlichter Schlußstrich ohne Berücksichtigung dieser Verschiedenheiten neues Unrecht schaffen würde, weil er die verschiedenen Ergebnisse in der Praxis bestehen ließe. Ich glaube, daß jeder Entwurf von diesen verschiedenartigen Länderrechten ausgehen muß und daß man vielleicht tatsächlich besser fährt, wenn jedes einzelne Land auf seine Weise sein besonderes Problem löst. Ich glaube aber, daß wir über diese Dinge am schnellsten hinwegkommen, wenn wir dem Antrag entsprechen, der bereits gestellt worden ist, und dem Ausschuß Gelegenheit geben, sich an Hand der Angaben des Bundesinnenministeriums mit dem in den Ländern geschaffenen oder noch zu schaffenden Rechtszustand zu beschäftigen. Es wird dann Sache des Hauses sein, zu entscheiden, ob die so geschaffene Rechtslage wirklich das Ende der politischen Säuberung bedeutet oder nicht.
Wir haben hier heute eine geschichtliche Stunde erlebt; ich will es am Rande vermerken. Es war der erste Tag, an dem ein Vertreter der Bayernpartei dem Bund die Zuständigkeit der Sache nach zuerkannt hat. Ich will hoffen, daß Herr Dr. Etzel dafür in Bayern nicht etwa gehängt wird, weil er hier in einer sehr wesentlichen Sache ein sehr wichtiges bayerisches Prärogativ fahrlässigerweise preisgegeben hat.
Ich möchte eine zweite Hoffnung daran knüpfen, und zwar die Hoffnung, daß auch dann, wenn es vielleicht nicht ein ganz klein wenig um die große Zahl der Stimmen der Betroffenen geht, sondern wenn es um ein echtes Lebensanliegen der Nation etwa auf wirtschaftspolitischem Gebiet geht und vielleicht einmal die Interessen der Länder und die des Bundes aneinandergeraten könnten, die Bayernpartei soviel Einsicht hat und sich nicht hinter den Buchstaben des Grundgesetzes verschanzt,
sondern sagt: in dieser Sache handelt es sich um einen Lebensanspruch des deutschen Volkes, und wir werden, getreu unserem bei der Entnazifizierung erstmalig geschworenen Eid, auch künftig zur Bundesfahne stehen und dem Bund lassen, was des Bundes ist.
Für den Ausschuß habe ich noch eine Bitte. Ich richte sie an den Herrn Innenminister. Um einen klaren Einblick in die Bedeutung jener gesetzlichen Regelung dieses schwierigen Gebietes zu gewinnen, möchten meine Freunde bitten, daß dem Ausschuß, der sich jetzt mit diesen Fragen zu befassen hat, für das gesamte Bundesgebiet die gleichen Zahlen vermittelt werden, die bereits für die amerikanische Zone vorliegen, damit man sehr plastisch einmal sieht, wieviel Personen eigentlich unter die verschiedenen Möglichkeiten einer solchen gesetzlichen Regelung fallen. Sonst würde der Ausschuß sehr arg ins Blaue hinein diskutieren.
Nun scheint mir noch eines in diesem Zusammenhang wichtig. Ich glaube, man kann über die ganze Frage der politischen Säuberung nicht reden, ohne daß man an den Anfang doch die Frage der politischen Verantwortung stellt. Das ist kein strafrechtlicher Tatbestand, den die Säuberung zu würdigen hat. Es war von Anfang an
in diesem Falle nun wirklich ohne jeden Umfall — die konsequente Linie aller Sprecher der Sozialdemokratischen Partei, bis in die Länder hinein sich den Bemühungen zu widersetzen, die auch von alliierter Seite immer wieder vorgetragen wurden, den Säuberungsgesetzen einen strafrechtlichen Charakter zu geben. Es handelt sich um Tatbestände vollkommen anderer Art, und der entscheidende Tatbestand ist doch — und zwar gerade bei den Hauptschuldigen, denen nach der Meinung der Nationalen Rechten ja auch die Wohltaten eines Schlußstriches zugute kommen sollten — der der politischen, nicht der kriminellen Mitverantwortung für einige Millionen Tote, für einen zweiten Weltkrieg, für 7 Millionen vertriebene Deutsche, für unsere zerstörten Städte. Das läßt sich doch nicht durch einen Federstrich ausradieren. Das ist da, und daran werden diese Menschen bis an ihr Lebensende vor sich selbst und erst recht im Angesicht des deutschen Volkes zu tragen haben. Darüber hilft ihnen auch keine Amnestie hinweg.
Denjenigen, der mit dieser Mitverantwortung belastet ist, können Sie gar nicht reinwaschen, und wenn tausend Paragraphen das Gegenteil beinhalten würden.
Und nun zu einem anderen. Auch die Sozialdemokratische Partei ist der Meinung, daß ein Schlußstrich unter das ganze Kapitel der politischen Säuberung gezogen werden muß. Die Erfahrung hat sehr eindeutig bewiesen, daß die Lösung einer politischen Frage mit juristischen Mitteln nicht möglich war. Man kann mit Fragebogen keine Revolution nachholen. Das deutsche Volk kommt an einer wichtigen Tatsache nicht vorbei, die auch heute anscheinend wieder vergegessen wird: daß es die Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus — so lautet ja der Titel des Gesetzes in der amerikanischen Zone — gar nicht diesem im Jahre 1946 erlassenen Gesetz verdankt und auch nicht seinem eigenen Wirken verdankt leider Gottes nicht —, sondern die Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus verdanken wir, ob es uns gefällt oder nicht, dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates durch den konzentrischen Angriff der alliierten Heere. Das ist eine sehr reale Tatsache. Damit müssen wir uns abfinden, .und daraus muß man dann auch gewisse Konsequenzen ziehen.
Was sollte die Säuberung in den Jahren nach 1945 erreichen? Sie sollte nationalsozialistische Einflüsse auf, Politik, Kultur und Wirtschaft ausschalten und die Verantwortlichen je nach dem Grad ihrer Verantwortlichkeit mit einer gewissen Sühne zum Ausgleich für den angerichteten Schaden belegen. Außerdem war daran gedacht, durch die Ausnutzung von Beziehungen zum vergangenen Regime erlangte Vermögensvorteile und Sonderprofite den so Begünstigten wieder zu entziehen. Ich mache gar kein Hehl daraus: alle diese drei Aufgaben hat das Säuberungsverfahren nicht gelöst. Ich möchte aber bemerken, um irgendwelchen Entstellungen von Anfang an entgegenzutreten, daß im Jahre 1946 alle politischen Parteien, und zwar auch die Freie Demokratische Partei, sich positiv zu dem damals geschaffenen Säuberungsrecht eingestellt und an seiner Durchführung mitgewirkt haben.
Zwei Beispiele, meine Damen und Herren, weil Sie vorhin so temperamentvoll dazawischengerufen haben, als seien Sie im Jahre 1946 die begeisterten Verfechter von der anderen Seite der Barrikaden gewesen. Das Säuberungsgesetz im Lande Württemberg-Baden trägt die Unterschrift des demokratischen Ministerpräsidenten Reinhold Maier. Das ist der Tatbestand Nr. 1. Der Tatbestand Nr. 2 ist noch viel interessanter. Ich habe hier eine Zeitung vom 28. Juni 1946. Sie enthält die Abschiedsrede eines der Demokratischen Partei angehörenden Landrats. Er hat damals über seine Tätigkeit berichtet und nicht ohne Stolz darauf hingewiesen, daß er im Zuge der politischen Säuberung seiner Behörde von insgesamt 11 vorhandenen Beamten dort 7 entlassen habe. Dann heißt es unter anderem auch, daß nach seinem Urteil die Entnazifizierung nach dem Gesetz Nr. 8 sowohl gerecht als auch versöhnlich gewesen sei;
fast 500 Fälle seien bearbeitet worden — der Mann selbst war offensichtlich daran nicht unbeteiligt —, und beim Aufbau der Spruchkammer habe er, dieser Landrat, tatkräftig mitgewirkt. Ich möchte das deshalb sagen, weil dieser Landrat — dem ich gar keinen Vorwurf daraus mache, dem ich aber einen Vorwurf daraus mache, daß er heute hier eine völlig andere Rede gehalten hat — Euler heißt.
Es ist unbestreitbare Tatsache, daß die vielfältigsten, uns allen sehr unerwünschten Einflüsse sich auf die Durchführung des Säuberungsverfahrens nachteilig ausgewirkt haben. Unbefugte Einflüsse gingen bis zu alliierten Dienststellen hinauf, die die sogar nach dem Wortlaut des Gesetzes vielleicht möglichen gerechten Ergebnisse in ihr Gegenteil verfälscht haben. Die Praxis der Spruchkammern war örtlich außerordentlich unterschiedlich. Die Eingriffe der Militärregierungen trieben diese Verschiedenheit noch weiter. Im zeitlichen Verlauf seit 1945 stellte sich heraus, daß mit dem immer größeren Abstand vorn Jahre 1945 die Entscheidungen auch gegen politisch sehr verantwortliche Persönlichkeiten des Dritten Reiches immer milder wurden. Sie hielten keinen Vergleich mehr aus mit den ersten Entscheidungen gegen unter Umständen recht harmlose Mitläufer.
Schon um, dieser Ungerechtigkeiten willen, die den Grundsatz der Gleichheit vor dem Recht verletzen, muß eine Bereinigung dieser Materie
kommen. Das ist auch uns völlig klar, auch noch aus einem anderen Grunde. Im Jahre 1945 war die Nationalsozialistische Partei wirklich atomisiert. Statt durch eine Art revolutionären Zupackens die Partei ihrer Häupter zu berauben, hat die schwerfällige Maschinerie der politischen Säuberung dazu beigetragen, den früheren Nationalsozialisten ein Maß von Zusammengehörigkeits- und Solidaritätsgefühl einzuflößen, das sie zu einem großen Teil nicht einmal während des Dritten Reiches gehabt haben.
Wird dieser Sachverhalt in seiner ganzen Tragweite erkannt, dann muß daraus auch der notwendige Schluß auf entschiedene Beendigung der Säuberungsverfahren hergeleitet werden. Man kann nicht lange Jahre hindurch einen erheblichen Teil des ganzen Volkes mindestens äußerlich — in der Praxis ist es ja gar nicht so — als Staatsbürger minderen Rechts behandeln. Wir wollten schon bei unserer Haltung zu den von den Alliierten gewünschten kriminellen Tatbeständen des Säuberungsrechts darlegen, daß bei der Beurteilung politischer Tatbestände nicht die Maßstäbe des gemeinen Rechts anzuwenden seien.
Aber nun kamen die Verfahren. Wie sollte man all die verschiedenen Motive erforschen, welche die große Masse der Mitglieder der NSDAP in die Partei hineingebracht haben? Ein großer Teil unseres Volkes bejahte das Regime aus Irrtum, andere aus Verblendung, andere aus Profitsucht, andere deshalb, weil andere, klügere Köpfe, wie zum Beispiel der Herr Schacht, offensichtlich auch mittaten, andere aus Bequemlichkeit und — nicht zu vergessen ein nicht unerheblicher Teil auch wirklich aus echtem Idealismus, in der irrigen Meinung, durch aktive, anständige Mitarbeit an dieser Bewegung könne man für unser Volk etwas Nützliches und sozial Ersprießliches tun. Diese verschiedenen Beweggründe sind einer prozessualen Erforschung überhaupt nicht zugänglich. Man kann dem Menschen nicht ins Herz sehen. Man muß bei einem solchen Versuch in äußeren Indizien steckenbleiben, wie oft etwa der Hitlergruß erwiesen oder die Kirche besucht wurde. Hat nicht jeder Nazi seinen Renommierjuden gehabt, mit dem er vor der Spruchkammer beweisen konnte, daß er im Grunde seines Herzens doch ein anständiger Mensch gewesen ist? Noch viel schlimmer wäre es, wenn wir dazu übergehen würden, wie es vielerorts leider Gottes geschehen ist -- und auch gerade in der Ostzone bis zum heutigen Tag geschieht —, das Verhalten nach 1945 nun etwa als Beweis für eine nationalsozialistische oder nichtnationalsozialistische Vergangenheit anzusehen. Es sind mancherlei Einflüsse auch auf alliierter Seite spürbar geworden, wonach besondere Willfährigkeit aliierten Dienststellen gegenüber mit einem entsprechend milden Säuberungsurteil belohnt wurde. Man sollte nach Möglichkeit ohne weiteres anerkennen, daß es gilt, auch diesen Dingen auf den Grund zu gehen.
Daß die wirklichen Verbrecher vor die ordentlichen Gerichte gehören, ist unbestrittene Meinung aller. Deshalb bedauern wir es — und das ist heute noch nicht ausgesprochen worden —, daß die Alliierten durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30. Januar 1946 die Hochverratsparagraphen 80 bis 94 des deutschen Strafgesetzbuchs aufgehoben haben. Damit ist uns Deutschen die Möglichkeit genommen worden, alle jene Männer vor einem deutschen Gericht zur Verantwortung zu ziehen, die an der hochverräterischen Festigung der Macht Hitlers im Frühjahr 1933 aktiv teilgenommen haben.
Der Weg vom Kaiserhof zur Reichskanzlei be- gann zwar mit einer ordnungsmäßigen Berufung durch den Reichspräsidenten. Er führte dann aber doch weiter, und zwar über den Reichstagsbrand und die verfassungswidrige Inhaftierung von Abgeordneten zu einer ganzen Serie weiterer Verfassungbrüche. Die überlebenden Mitwirkenden jener hochverräterischen Handlungen haben nie unter der Anklage des Hochverrats vor einem deutschen Gericht gestanden. Zu ihnen gehören Schacht, Papen, von Schröder und wie sie alle heißen.
Die Nürnberger Kriegsverbrechertribunale haben sich nur damit beschäftigt, was jene Männer und viele andere dazu im Ausland oder an Ausländern verübt haben. Was für ein Maß an Schuld sie dem deutschen Volk gegenüber auf dem Gewissen haben, ist dort nicht zur Sprache gekommen.
Solange nun solche Männer durch die bisherige Gesetzgebung nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnten, darf man nicht das große Heer der politisch ihnen doch nur folgenden Menschen weiterhin in die Säuberungsgesetzgebung einzufangen suchen. Das ist ein Widerspruch in sich. Es wäre eine Aufgabe gewesen, den Nutznießern des Dritten Reiches ihre Beute wieder abzujagen. Ich gebe zu, es war nicht einfach, den Nutznießer so zu definieren, daß nicht neben dem Schuldigen auch der Unschuldige gepackt worden wäre. Aber mit gutem Willen hätte dieses Problem angepackt werden können und müssen, wenn es nicht gerade die Profiteure des Dritten Reiches gewesen wären, die sich beizeiten durch ihre aktive Tätigkeit und ihre angebliche Sachkunde in der Wirtschaft von heute des Schutzes einflußreicher alliierter und anderer Stellen versichert hätten. Ich könnte Ihnen hierfür eine ganze Reihe von Beispielen aus meinem eigenen Lande und auch aus anderen Zonen benennen. Auch hier gilt der Spruch, daß man nicht den kleinen Nationalsozialisten anfassen darf, solange sich der Nutznießer noch seiner Beute erfreut. Wir haben nur die eine Hoffnung — und hoffentlich tun Sie dabei dann einmal mit uns einen guten Schritt nach vorwärts —, daß die kommende Lastenausgleichsgesetzgebung der Frage
der Kriegs- und Rüstungsgewinne ihre ganz besondere Aufmerksamkeit zuwendet. Wir werden das Unsere dazu tun.
Das Säuberungsgesetz hat einen populär gewordenen Begriff geschaffen, den des Mitläufers. Es handelt sich hierbei um die große Masse jener individuell wirklich harmlosen Personen, die sich infolgedessen auch keinerlei Schuld bewußt sind und die es nahezu als Verfolgung empfinden, wenn sie überhaupt mit einem Spruchkammerverfahren in Berührung gekommen sind. Aber gerade durch ihre Masse haben sie kollektiv das Dritte Reich immerhin erst ermöglicht und am Leben gehalten. Auch wir sind dafür, durch einen rückhaltlosen Schlußstrich die Mitläufer keinen weiteren Beschränkungen mehr zu unterwerfen.
Einen Hinweis muß ich mir hier gestatten, nämlich den, daß Angehörige der führenden Intelligenzschicht aus Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, die sich bei der Spruchkammer so sehr darum bemüht haben, als Mitläufer eingestuft zu werden, sich doch eigentlich ein klein wenig schämen müßten, bei dieser bösen Sache mitgelaufen zu sein.
Wer mitläuft, kann nicht führen! Das eine oder das andere! Wir wollen keine neuen Gesetze fordern. Wir glauben aber, daß jene Mitläufer, die wir hier im Auge haben, aus politischem Anstand darauf verzichten sollten, an irgendeiner Stelle unseres öffentlichen Lebens je wieder einen Führungsanspruch zu erheben.
Es gibt zwei große Menschengruppen, die bei der politischen Säuberung außer jedem Verhältnis zu anderen Schichten der Bevölkerung hart angefaßt worden sind. Das eine ist die Beamtenschaft. Auf den öffentlichen Dienst konzentrierte sich ja zu Beginn die Aufmerksamkeit sowohl der deutschen als auch der alliierten Säuberungsbehörden. Es wurden Maßnahmen verlangt, die bei vollkommen gleichartiger politischer Vergangenheit in keinem Verhältnis zu den Maßnahmen gegenüber Angehörigen anderer Berufe standen. Außerdem. wurde wenig Rücksicht darauf genommen, daß die Beamtenschaft während des Dritten Reiches unter einem viel stärkeren politischen Druck stand als jeder andere Beruf.
Die zweite Schicht ist die der jungen Menschen in den Jahrgängen von 1913 ab. Die Jugendamnestie hat ja nur die Jahrgänge von 1919 ab erfaßt. Von der ersten Stunde ihres neuen öffentlichen Wirkens seit 1945 an hat die Sozialdemokratische Partei gefordert, daß die Jahrgänge ab 1913 in jeder Weise von der politischen Säuberung ausgenommen werden.
Man kann die Menschen, die 1933 noch nicht wahlberechtigt waren, nicht für das Entstehen des Dritten Reiches verantwortlich machen.
Eine viel größere Verantwortung trifft die ältere Generation, die Eltern, die Schulhäuser, die gesamte politisch erhitzte Atmosphäre der Jahre bis 1933. Gewiß, aus diesen Jahrgängen ist eine ganze Anzahl von wirklich aktiven Nationalsozialisten hervorgegangen. Aber war das so verwunderlich? Hat es nicht sehr viele Menschen gegeben — und es waten nicht die schlechtesten —, die bis zum Ausbruch des Krieges und darüber hinaus wirklich geglaubt haben, der Nationalsozialismus sei eine gute Sache und würde dem deutschen Volke einen Aufstieg in wirtschaftlicher Blüte und sozialer Gerechtigkeit bringen? Kann man jener jungen Generation einen Vorwurf daraus machen, daß sie, die bewußt in Unkenntnis über die größeren politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge gelassen wurde, der die Erfahrungen und Kenntnisse der älteren Generation fehlten, sich von der äußeren Fassade blenden ließ? Es müssen sehr viele anständige Menschen positiv auch im nationalsozialistischen Staat und seinen Organisationen mitgearbeitet haben. Sonst hätte der Nationalsozialismus bei allem seinem Terror gar nicht so lange be-bestehen können.