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ID0104001800

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    Deutscher Bundestag - 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1950 1327 40. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1950. Geschäftliche, Mitteilungen . . . 1328B, 1386D Zustimmung des Bundesrats zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung von Leistungen an Kriegsopfer 1328C Anfrage Nr. 27 der Zentrumsfraktion betr. die Häuser Dahlmannstraße 5 und 7 in Bonn (Drucksachen Nr. 379 und 546) 1328C I Anfrage Nr. 18 der Abg. Dr. Müller und Gen. betr. Gesetz zur Deckung der Kosten für den Umsatz ernährungswirtschaftlicher Waren (Drucksachen Nr. 278 und 585) 1328C Anfrage Nr. 34 der Abg. Goetzendorff und Gen. betr. Anteil der Heimatvertriebenen an den Stellenplänen der Ministerien (Drucksachen Nr. 414 und 593) . . . 1328D Anfrage Nr. 45 der Fraktion der KPD betr. Söldneranwerbung von Deutschen im Bundesgebiet (Drucksachen Nr. 489 und 595) 1328D Schreiben des Bundesministers für Angelegenheiten der Vertriebenen vom 14. Februar 1950 betr. Überführung der noch in den polnisch verwalteten deutschen Gebieten sowie der in Polen, der Tschechoslowakei und den südosteuropäischen Staaten lebenden Deutschen (Drucksache: Nr. 591) 1328D Zur Tagesordnung 1328D Abg. Renner (KPD) 1329A Abg. Dr. von Brentano (CDU) . 1329D Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Beendigung der Entnazifizierung (Drucksache Nr. 482) in Verbindung mit dem Antrag der Abg. Dr. Richter und Gen. betr. Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Beendigung der Entnazifizierung (Drucksache Nr. 561) 1328D, 1329D Euler (FDP), Antragsteller 1330A, 1353C Dr. Richter (DRP), Antragsteller 1332A, 1354C Dr. Gerstenmeier (CDU) . . . . 1333C Dr. von Merkatz (DP) 1336A Dr. Heinemann, Bundesminister des Innern 1338B von Thadden (DRP) 1340A Dr. Etzel (BP) 1340D, 1355A Loritz (WAV) . . . . . . . . 1342D Erler (SPD) 1344D Dr. Reismann (Z) 1349C Paul (KPD) 1351B Dr. von Brentano (CDU) . . . 1352D Interpellation der Fraktion der SPD betr. Neufestsetzung der Kohlenpreise (Drucksache Nr. 404) . . 1328D, 1355B Imig (SPD), Interpellant . 1355B, 1361C Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 1357A Rische (KPD) . . . . . . . 1359B C Dr. Blank (FDP) 1360B Dr. Seelos (BP) 1360D Loritz (WAV) 1361B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Bekanntmachungen (Drucksache Nr. 512) 1361D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Sozialpolitik über den Antrag der Frau Abgeordneten Wessel und Gen. betr. Rentenversicherung für die freien Berufe (Drucksache Nr. 488 und 62) 1362A Schüttler (CSU), Berichterstatter 1362A Krause (Z) 1362D Renner (KPD) 1363B, 1366A Frau Kalinke (DP) 1363D Frau Dr. Steinbiss (CDU) . . . 1364C Dr. Hammer (FDP) 1364D Dr. Reismann (Z) 1365B Beratung des Antrags der Abgeordneten Strauß, Dr. Horlacher, Graf von Spreti und Gen. betr. Auslandwerbung für den Fremdenverkehr in Deutschland (Drucksache Nr. 490) 1366C Strauß (CSU), Antragsteller . . 1366C Eichner (BP) 1368A Jacobs (SPD) 1368C Stahl (FDP) 1369B Dr. Brönner (CDU) 1369D Mensing (CDU) . . . . . . . 1370A Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betr. Studienkommission zur Erforschung der Möglichkeiten im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit (Drucksache Nr. 503). 1370B Dr. Bertram (Z), Antragsteller . 1370C Strauß (CSU) . . . . . . . 1371D Wönner (SPD) 1372A Harig (KPD) 1372B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Verlegung von Dienststellen des Bundes nach Berlin (Drucksache Nr. 508) 1373B Meitmann (SPD), Antragsteller 1373C, 1384C Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen . 1376B, 1386A Dr. Seelos (BP) 1378A Dr. Reismann (Z) 1379C Dr. Bucerius (CDU) 1380B Dr. Hoffmann (FDP) 1382A Neumann (SPD) 1382C Dr. Krone (CDU) 1384B Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes stehenden Personen (Drucksachen Nr. 569, 497 und 175) 1386C Nächste Sitzung 1386C Die Sitzung wird um 14 Uhr 2 Minuten durch den' Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht einmal die temperamentvollen Darlegungen meines Herrn Vorredners können die CDU/CSU-Fraktion davon abbringen, für die Beendigung der Entnazifizierung einzutreten.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut! — Abg. Dr. Schmid: Aber schwer fällt es Ihnen nicht!) Erlauben Sie mir, einen Vorbehalt zu machen und meinen juristisch unzureichenden Sachverstand damit zu entschuldigen, daß ich sage, daß mein Freund von Brentano noch von der juristischen Seite her zu der Sache sprechen und sich insbesondere mit der Frage auseinandersetzen wird, ob dieses Haus dafür kompetent ist, zu der Sache zu sprechen. Wir meinen aber, daß, ganz unabhängig davon, ob eine Rechtszuständigkeit des Bundes anerkannt wird oder nicht, diese Frage nunmehr nach allen Seiten hin von solcher Bedeutung ist, daß es diesem Hause wohl ansteht, sich mit der Sache selbst zu befassen. Und dazu darf ich mir erlauben, namens meiner Fraktion einige Ausführungen zu machen.


    (Zuruf links: Erzählen Sie uns mal vom Fall Hedler!)

    Wir sind für die Beendigung der Entnazifizierung, weil erstens nach unserer Auffassung die politische Überzeugung als solche nicht bestraft werden sollte.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts. — Zuruf des Abg. Loritz.)

    Zweitens sind wir wegen der Problematik des Verfahrens, die von allen Seiten anerkannt worden ist, für die Beendigung der Entnazifizierung; drittens sind wir für die Beendigung der Entnazifizierung, weil wir es nicht mit Lippenbekenntnissen bewenden lassen wollen bei der Tatsache, daß eine echte Chance gegeben werden muß für die Verführten, die nach Millionen zählen und auf die wir beim Neuaufbau des deutschen Vaterlandes nicht zu verzichten gewillt sind.

    (Zustimmung in der Mitte. — Zuruf links.) Und schließlich sind wir für die alsbaldige Beendigung der Entnazifizierung unter dem Gesichtspunkt,


    (Abg. Loritz: Auf einmal?)

    daß eine echte nationale Solidarität in deutschen Landen zustandekommen muß und daß diese Einigkeit nur durch eine echte Versöhnung zu erzielen ist.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das ist das erste Kapitel dessen, was wir zur Sache zu sagen wünschen.


    (Dr. Gerstenmaier)

    Erlauben Sie mir nun noch zu sagen, was wir nicht meinen, wenn wir vom Ende der Entnazifizierung sprechen. Die Beendigung der Entnazifizierung soll nach unserem Willen nicht die Anerkennung oder die Rehabilitierung der Ideologie oder der Methoden des Nationalsozialismus auch nur im Ausschnitt bedeuten.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wir wollen keine Abstumpfung der Rechtsbegriffe und des persönlichen Verantwortungsbewußtseins mit der Beendigung der Entnazifizierung verbunden sehen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Wir möchten, daß ein Mann in deutschen Landen dafür geradesteht, was er zu verantworten hat.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Wir sind der Meinung, daß der Mangel an politischer Einsicht weder prämiiert noch bestraft werden soll. Und wir sind der Meinung, daß der Mißbrauch der Macht auf jeden Fall bestraft werden muß. Wir sind jedoch nicht der Meinung, daß man sich einfach auf den Satz zurückziehen kann: Der Befehl deckt!

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wir sind uns über die Problematik dieser Sache völlig klar. Aber wir sprechen es hier aus, daß wir der Überzeugung sind, daß der Befehl nicht absolut deckt.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Was weiter bestraft werden muß, gleichgültig, ob die Entnazifizierung so oder so beendet wird, das ist die persönliche Bereicherung auf Kosten des Volkes. Wir sind auch nicht in der Lage, dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Form zuzustimmen, und zwar deshalb, weil vor allem eine Gruppe, von der wir sehen möchten, daß sie endlich zur Verantwortung gezogen wird, nachdem sie oft feige genug sich bis jetzt der Verantwortung für die Macht, die sie früher in tyrannischer Weise ausgeübt hat, entzogen hat. Mit anderen Worten: Wir wollen keine Freistellung von Hauptschuldigen. Und wir wollen, daß der Skandal um Skorzeny und Genossen aufhört. Wir möchten nicht, daß die Gesinnung, die sich in diesem Hause bekundet und die sich der Mängel des bisherigen Entnazifizierungssystems voll bewußt ist, zu einem Freibrief für politische Banditen ausgewertet wird.

    (Beifall in der Mitte.)

    Und noch eine andere Sache, meine Damen und Herren. Wir möchten auch, daß der Gerechtigkeit insofern Genüge getan wird, als wir keine Zulassung von Unbilligkeiten und Ungerechtigkeiten wünschen, etwa derart, daß die Anerkennung von Vollpensionen bei Parteibuchbeamten oder eine anderweitige Honorierung von Parteikarrieren hier noch mit der sanften Billigung dieses Hauses stattfindet.

    (Beifall in der Mitte.)

    Es wäre ein langes Kapitel, und ich finde, daß es allmählich Zeit wäre, daß sich dieses Haus damit etwas länger auseinandersetzt. Aber bei der mir zur Verfügung stehenden Redezeit kann ich es nur kurz machen.
    Nur ein Wort noch zu der politischen und außenpolitischen Seite der zur Debatte stehenden Frage. Was wir nicht meinen, was das Ende der Entnazifizierung in deutschen Landen und für das Ausland bedeuten soll, das ist, daß diese Beendigung nicht heißen soll: Resignation oder
    Widerstandslosigkeit gegenüber einer von uns mit Sorge beobachteten Tendenz, aus Verbrechern oder politischen Dummköpfen neuerdings Märtyrer oder Helden der Nation zu machen.

    (Beifall in der Mitte. — Abg. Dr. Schmid: Herr Kollege Gerstenmaier, Sie haben da nach drüben Wen haben Sie damit gemeint?)

    — Sie wissen, wo der Feind steht!

    (Beifall in der Mitte und bei der SPD. — Zurufe rechts.)

    Nur mit Bedauern können wir feststellen, wie unter dem Einfluß einer unverantwortlichen Demagogie das Bewußtsein für den Begründungszusammenhang in weiten Schichten unseres Volkes allmählich entschwindet, für den Begründungszusammenhang, in dem unser nationales Unglück steht und auch in dem Bewußtsein der anderen Völker stehen bleiben wird.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich freue mich, daß meine Fraktion mir erlaubt hat, eine Warnung auszusprechen, eine Warnung, daß es auch nach unserem Willen lebensgefährlich ist, in deutschen Landen alte gewaltpolitische Spiele und verbrecherische Instinkte neu zu betätigen, und daß wir sogar das Spiel mit derartigen Gedanken unter Strafe gestellt sehen möchten.

    (Beifall in der Mitte.)

    Es macht uns nicht den mindesten Eindruck, wenn man so etwas unter Berufung auf die nationale Ehre tut. Das haben wir alles schon einmal erlebt. Es hat damit geendet, daß der vornehmste Teil unseres deutschen Adels an den Galgen von Plötzensee, an Schlachterhaken - um genau zu sein — geendet hat. Auch die Grenzen des gegenwärtig geltenden positiven Rechts werden meine Freunde und mich nicht hindern, für die Substanz des Rechts in dieser Sache jederzeit mit dem einzutreten, was wir sind und was wir vermögen.
    In all dem — damit wir uns hier nicht mißverstehen — bleiben wir uns dessen bewußt, daß wir darin nicht Vollstrecker von Rachemaßnahmen sind. Wir wollen keine Rache! Wir wollen, daß die großen Verbrecher nach Möglichkeit von selber dafür geradestehen, was sie an dem deutschen Volk und an der Welt begangen haben. Wenn sie das nicht tun, dann wird die deutsche Nation nicht fünf gerade sein lassen! Ich rede von den Großen. Für die Kleinen treten wir für eine viel weitergehende Amnestie ein, als es bisher geschehen ist. Wir sind also nicht Vollstrecker von Rachemaßnahmen, weder der unseren noch derjenigen, die auswärtige Mächte in früheren Tagen in diesem Punkt für richtig hielten oder vielleicht heute noch da und dort zu erwägen für richtig halten. Wir sind auch nicht, indem wir das sagen, Vertreter von Siegermächten. Wir treten hier für nichts anderes ein als für die Ehre der deutschen Nation, und wir sind nicht bereit, diese Ehre der deutschen Nation in die Hände von Leuten fallen zu lassen, die sich bereits einmal als notorische Versager oder subalterne Geister erwiesen haben: Remer, Krüger und Genossen.

    (Beifall in der Mitte und links.)

    Diesen Leuten verweigern wir das Recht, auch nur durch Gesinnungsgenossen hier in diesem Saal zu Wort zu kommen.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und links.)



    (Dr. Gerstenmaier)

    Wir sind niemand verpflichtet und fühlen uns niemand verpflichtet als Deutschland und der Gemeinschaft der den Frieden und die Freiheit liebenden Völker, mit denen wir leben wollen und mit denen wir leben müssen, wenn wir eine Zukunft haben wollen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Gerade deshalb glauben wir, daß es einer genauen Erwägung bedarf, was wir in Zukunft um der Lebensmöglichkeit Deutschlands in der Gemeinschaft der anderen Völker willen in diesem Punkt zulassen dürfen und zulassen sollen. Die außenpolitische Bedeutung einer entsprechenden Gesetzgebung, wie wir sie hier vertreten sehen möchten und wie wir sie von der Bundesregierung vorgelegt sehen möchten, die außenpolitische Bedeutung der hier zur Debatte stehenden Angelegenheit kann überhaupt nicht überschätzt werden.

    (Sehr richtig! links.)

    Dem Radikalismus, der billig genug ist — es besteht ja Redefreiheit, und jeder kann sagen, was er will; sogar die Feiglinge kriechen aus ihren Löchern —, diesem neuen Radikalismus fehlt, das haben wir in den letzten Monaten bemerkt, das Augenmaß für die einfachste politische Realität. Es fehlt ihm das Gewissen für das politisch Erlaubte, und es fehlt ihm der Verstand für das politisch Aktuelle, nämlich für Europa.

    (Beifall in der Mitte und links.)

    Vor einigen Tagen habe ich einen Brief von einem. bekannten Deutschen aus Kairo bekommen. Er schreibt folgende Sätze: -
    Es ist eine Freude, festzustellen, wie sehr sich die allgemeine Stimmung im Auslande uns gegenüber verbessert hat. Bonn ist zu einem festen Begriff geworden. Ein ägyptischer Diplomat sagte mir: „Es ist schön, zu sehen, daß Ihr Land wieder einen guten Platz im europäischen Konzert eingenommen hat." Diese Äußerung erscheint mir charakteristisch für die Meinung, die ich jetzt am östlichen Mittelmeer angetroffen habe. Es gibt aber auch Kritik. Für mich ist es bedrückend, im Auslande manchmal der Ansicht zu begegnen, als wäre es Bonn gleichgültig oder gar angenehm, daß sich das in Westdeutschland in stärkerem Maße bemerkbar macht, was die Presse oft das „Wiedererwachen des deutschen Nationalismus" nennt. Es ist meines Erachtens schwer, sich etwas vorzustellen, was das gerade wieder einsetzende Vertrauen des Auslandes in uns und unseren aufrichtigen Wunsch nach Mitarbeit nachhaltiger erschüttern könnte als das öffentliche Auftreten und die Reden von Remer, Hedler, Dorls und Feitenhansl.

    (Hört! Hört! bei der SPD. Zuruf von der SPD: Nun wißt ihr es!)

    Nun noch ein zweites. Wir finden, daß es wertvoll wäre, in diesem Hause einmal auf die Rede zu sprechen zu kommen, die Mr. McCloy vor einigen Wochen in Stuttgart gehalten hat. Ich glaube, daß wir für diese Rede besonders deshalb dankbar sein sollten, weil sie die Situation wiedergibt, die viele von uns kennen, die in den letzten Jahren jenseits der deutschen Grenzen für Deutschland zu tun und zu reden hatten. Wir sind dankbar dafür, daß durch die Stimme und die Augen eines wohlwollenden Mannes, von dem wir überzeugt sind, daß er für dieses Land das
    Beste will, die Situation wiedergegeben wird, der wir draußen gegenüberstehen, die wir ins Auge zu fassen haben und um deren richtige Erkenntnis wir uns nicht selbst betrügen dürfen. Weil seine Stuttgarter Rede diese Situation redlich wiedergibt, sind wir Mr. McCloy dankbar. Wir stehen nicht an, auszusprechen, daß uns diese Reden der ungeschminkten Wahrheit unendlich viel lieber sind als die freundlichen Worte bei manchen Cocktail-Parties

    (Sehr richtig! links.)

    Trotz ihrer hohen politischen, insbesondere außenpolitischen Bedeutung glauben wir jedoch, daß wir diese Grundfragen unseres nationalen Daseins auf Grund der Geschichte, die wir an uns selber erlebt haben, mit .eigener Kraft bewältigen und vor unseren eigenen sittlichen, rechtlichen und politischen Wertmaßstäben verantworten müssen. In diesem Punkt bin ich der Meinung, daß die Angelegenheit, von der wir hier reden, nicht, jedenfalls nicht ausreichend, unter den Aspekten einer vielleicht noch so wohlmeinenden Re-education, überhaupt nicht unter pädagogischen Gesichtspunkten des Auslandes betrachtet und verstanden werden kann. Wir erbitten vom Ausland das Verständnis dafür, daß das deutsche Volk allmählich in eine Bewußtseinsepoche eintritt, in der es die Auseinandersetzung mit seiner eigenen Geschichte und die Bewältigung dieser Geschichte überhaupt erst in sich selber frei vollziehen muß. Wir würden es für außerordentlich wertvoll und förderlich halten, wenn diese Auseinandersetzung in möglichst großer Freiheit und möglichst ohne daß uns ausländische Wertmaßstäbe auferlegt werden, vollzogen werden könnte.
    Wir meinen deshalb, daß hier ein Gesetzeswerk mit eigenen, klar verantworteten Rechtsbegriffen geschaffen werden müßte, das erstens die Freiheit der politischen Überzeugung festlegt, gleichgültig ob sie uns paßt oder nicht. Hier sind wir nicht zu Konzessionen bereit. Denn das gehört zu den Staats-Grundsätzen, zu denen wir uns bekennen. Wir respektieren die Freiheit der politischen Überzeugung. Zweitens fordern wir ebenso unbedingt die Bestrafung der verbrecherischen Tat und ihrer nachgewiesenen Absicht. Drittens wollen wir die gemeine Gesinnung, gleichgültig, ob sie sich politisch oder unpolitisch ausdrückt, menschlich und national geächtet wissen. Viertens wollen wir die demagogischen Angriffe oder die bösartige Unterwühlung der Freiheit des Lebens und der Zukunft der Nation energisch bestraft wissen.
    In diesem Zusammenhang sehen wir das Problem des Abschlusses der Entnazifizierung. Die CDU/CSU-Fraktion verlangt deshalb erstens den Abschluß der Entnazifizierung mit ihrer Vermischung von politischer Gesinnung und kriminellem Tatbestand. Zweitens empfiehlt sie den Erlaß einer Amnestie. Drittens fordert sie eine korrekte Strafverfolgung dort, wo Verbrecher zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Wir fordern dabei — wie die Aufgabe auch juristisch gemacht wird — eine endgültige Heranziehung aller der Gruppen und aller der Personen, die unter den Begriff der Hauptschuldigen zu stellen sind.
    Wir machen deshalb den Vorschlag, daß die Bundesregierung möglichst bald diesem Hause ein Gesetz zum Schutz des Staates oder entsprechende gesetzliche Bestimmungen zum glei-


    (Dr. Gerstenmaier)

    chen Zweck vorlegt, und wir empfehlen, daß die bundeseinheitliche Beendigung der Entnazifizierung einen wesentlichen Teil dieses Gesetzgebungswerkes bildet Wir haben starke Bedenken — ich habe das namens meiner Fraktion hier auszusprechen — gegen die Vorlage der FDP. Wir sind in diesem Augenblick nicht in der Lage, dieser Vorlage zuzustimmen und beantragen daher auch unsererseits ihre Verweisung an den Ausschuß.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Joachim von Merkatz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 20. September 1949 ausgeführt:
    Durch die Denazifizierung ist viel Unglück und viel Unheil angerichtet worden. Die wirklich Schuldigen an den Verbrechen, die in der nationalsozialistischen Zeit und im Kriege begangen worden sind, sollen mit aller Strenge bestraft werden. Aber im übrigen dürfen wir nicht mehr zwei Klassen von Menschen in Deutschland unterscheiden,

    (Unruhe und Zurufe links)

    die politisch Einwandfreien und die nicht Einwandfreien. Diese Unterscheidung muß baldigst verschwinden!
    Diese Ausführungen im Regierungsprogramm gehören zu den wichtigsten Koalitionsvoraussetzungen, unter denen die Fraktion der Deutschen Partei damit einverstanden war,

    (Hört! Hört! links)

    daß zwei Fraktionskollegen die ihnen angebotenen Ministerien der Bundesregierung angenommen haben.

    (Wiederholte Zurufe links.)

    Bereits am 8. September 1949 hatte die Fraktion der Deutschen Partei im Bundestag einen Antrag eingebracht, in dem die Bundesregierung ersucht wurde, Gesetze zum sofortigen Abschluß der Entnazifizierung und zu einer Amnestie aller von den Folgen der bisherigen Entnazifizierung Betroffenen der Gruppen III und IV oder gleichgestellter Gruppen vorzulegen. Dieser Antrag lag in der Linie des politischen Wollens der Deutschen Partei, zu der sie sich bereits im Zonenbeirat und im niedersächsischen Landtag in den Jahren 1946 und 1947 bekannt hatte. Der Antrag hatte zum Ziel, die breite Masse aller Entnazifizierungsverfahren zum sofortigen Abschluß zu bringen und die Fortwirkung aller bei diesen Gruppen bereits erkannten Folgemaßnahmen zu beseitigen, um zunächst einmal in ihrer Breitenwirkung die politische Unterscheidung zweier Klassen von Staatsbürgern, wie das in der Regierungserklärung verlautbart war, zu beenden.
    Dieser Antrag war als ein Vorläufer weiterer Maßnahmen gedacht, um auch die Frage der Behandlung der in den Gruppen I und II eingestuften Personen nach sorgfältiger Erwägung aller politischen und rechtlichen Momente einer Revision zu unterziehen. Unter den Gruppen III und IV waren die entsprechenden Kategorien des in der britischen Zone geltenden Entnazifizierungsrechts verstanden worden, die sich mit
    den Kategorien des in den beiden anderen Zonen geltenden Rechts nicht deckten, denen aber doch andere Gruppen vergleichbar gegenübergestellt werden können und gegenübergestellt werden sollten.
    Die Fraktion der Deutschen Partei hatte zur Beseitigung der verhängnisvollen Folgewirkungen in abgeschlossenen Entnazifizierungsverfahren sich des Begriffes einer politischen Amnestie bedient, und zwar aus rein gesetzestechnischen Gründen, ohne damit einzuräumen, daß diese Verfahren nach ihrer wohlbegründeten Rechtsüberzeugung als Recht begriffen oder akzeptiert werden konnten. Sie unterwarf sich mit dieser technischen Nomenklatur einem Faktum, das aus der Entscheidung der Sieger hervorgegangen ist, weil eine Aufhebung dieses Faktums mit rückwirkender Kraft nicht möglich und auch nicht wünschenswert erschien, zumal dann neues Unrecht, neue Ungerechtigkeit und neue Verwirrung gestiftet worden wären. Darum beschied sich die Fraktion der Deutschen Partei mit einer Wirkung ex nunc und verzichtete auf den vergeblichen Versuch einer Konstruktion der Aufhebung und Beseitigung ex tunt.
    Der Rechtsausschuß hat bei Beratung dieses Antrages eine Entscheidung des Justizministeriums angesucht, da zweifelhaft wurde, ob der Bund in dieser Frage die Gesetzgebungskompetenz habe. Ebenso wie das Justizkollegium verneinte der Justizminister unter Billigung des Kabinetts aus rechtspolitischen und verfassungsrechtlichen Gründen die Bundeszuständigkeit. Der Herr Justizminister ließ sich bei seiner Stellungnahme nicht zuletzt von der Erwägung leiten, daß die Abschlußgesetzgebung in einigen Ländern bereits zu einer gewissen Reife gediehen war und daß das Justizkollegium zu Leitsätzen gekommen war, die die Aussicht auf eine Koordinierung dieser Abschlußgesetzgebung im Bundesgebiet bot, eine Entwicklung, die offenbar nicht gestört werden sollte durch die Inanspruchnahme einer Kompetenz des Bundes, deren Begründung dem Herrn Justizminister zweifelhaft erschien und die ob dieser Zweifel nach Ansicht des Herrn Justizministers einen Konflikt zwischen dem Bund und den Ländern hätte hervorrufen können. Zudem erschien dem Herrn Justizminister eine nicht nur zoneneinheitliche. sondern bundeseinheitliche Regelung der Abschlußgesetzgebung mit Rücksicht auf die Verschiedenheit der Systeme eine fast unlösbare Aufgabe mit der Gefahr neuer Ungleichheiten und neuer Ungerechtigkeiten. Der Gedanke der politischen Amnestie, wie sie von der DP zusätzlich gefordert worden war, um wirklich und effektiv die ungleiche Stellung zweier Staatsbürgerklassen zu beseitigen, wurde nicht weiterverfolgt.
    Unterdessen waren von anderen Fraktionen dieses Hauses weitere Anträge eingereicht worden, die auf eine Beendigung der Entnazifizierung abzielten. Über sie wurde im Rechtsausschuß in der Sitzung vom 13. 12. vorigen Jahres beraten. Hierbei verneinte der Herr Abgeordnete Professor Brill im wesentlichen die Bundeszuständigkeit auf Grund einer sorgfältigen Zusammenstellung der positiven Rechtsbestimmungen und der geübten Praxis. während ich als Mitberichterstatter auf den Widerspruch zwischen dem nur aus dem Bezug zum Besatzungsrecht verständlichen Artikel 139 des Grundgesetzes und den Grundrechten hinwies, namentlich auf die


    (Dr. von Merkatz)

    Grundnormen der Artikel 1 bis 3 sowie auf Artikel 23 des Grundgesetzes. Ferner vertrat ich die Ansicht, daß durch das auf das Besatzungsrecht begründete Entnazifizierungsrecht Grundnormen der Weimarer Verfassung, also Reichsrecht, abgeändert worden seien. Ich kam zu dem Ergebnis, daß das Entnazifizierungsrecht trotz seiner Aufsplitterung in die Zonensysteme und auf die Ländergesetzgebung nach Artikel 125 Absatz 2 Bundesrecht geworden sei. Für den Fall, daß man dieser Argumentation nicht folgen wolle, wies ich darauf hin, daß das Entnazifizierungsrecht im Querschnitt der drei Westzonen betrachtet zu drei Vierteln als materielles Strafrecht klassifiziert werden müsse. Hieraus würde sich gemäß Artikel 72 und 74 des Grundgesetzes mit Rücksicht auf das Bedürfnis einer einheitlichen Regelung die Pflicht zur Inanspruchnahme der Bundeskompetenz für die Abschlußgesetzgebung und zum Erlaß einer politischen Amnestie ergeben.
    Im Ergebnis traten die Vertreter der Koalitionsparteien dieser Zielsetzung bei, zumal auch die von mir vertretene Ansicht Billigung fand, daß die vom Justizkollegium vorgeschlagene Abschlußregelung keine wirkliche Beendigung der Entnazifizierung darstelle.
    Nunmehr hat die Fraktion der FDP die Initiative wieder aufgenommen, nachdem eine Initiative der Bundesregierung sowohl hinsichtlich der Bundesgesetzgebung als auch mit dem Ziel der Koordinierung der Länderabschlußgesetzgebung nicht entfaltet wurde. Die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt diesen Schritt der ihr befreundeten Fraktion der FDP,

    (Lachen links)

    o wenngleich sie mit den technischen Einzelheiten der Gesetzesvorlage nicht in allen Stücken konform gehen kann. Doch ist das unwesentlich mit Rücksicht auf die grundlegende Tatsache. daß durch den Antrag der FDP die Diskussion dieser Frage aus dem Bereich allgemeiner deklamatorischer Erwägungen herausgenommen wird. Wir kommen somit endlich zur Tat.
    Die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Gerstenmaier können meine Fraktion nicht vollinhaltlich befriedigen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Wir begrüßen an diesen Ausführungen den gemeinsamen Willen, hier endlich zu einem Abschluß zu kommen. Es gibt aber Dinge. bei denen man weder rechts noch links zu sehen hat, bei denen man einfach geradeaus zu marschieren hat und weiter gar nichts.

    (Bravo! rechts. — Zurufe von der SPD.)

    Wir haben diesen Rechtsgedanken verfolgt ohne
    Rücksicht auf den Beifall oder das Mißfallen des
    Aus- oder Inlands. Hier handelt es sich um
    grundsätzliche Fragen des Rechts, die wir in aller
    Ruhe zum Abschluß bringen wollen. Es kommt
    uns nicht darauf an, Lippenbekenntnisse zu
    machen. Wir legen den allergrößten Wert darauf, daß der Gedanke der gleichen Chance und
    der Aufhebung der verschiedenen Klassen der
    Staatsbürger auch effektiv gemacht wird, und
    zwar ausnahmslos, und daß man dann nur diejenigen faßt, die Verfehlungen begangen haben.

    (Sehr gut! rechts.)

    Die Fraktion der Deutschen Partei hat, um die Frage weiter zu fördern, auch eine Gesetzesvorlage ausgearbeitet, die ich hiermit dem Herrn
    Präsidenten übergeben darf und die am besten zusammen mit der Vorlage der FDP der Beratung unterzogen werden kann. Es handelt sich dabei — ich möchte darauf hinweisen — nicht um grundsätzliche Unterschiede zu dem Gesetz der FDP, sondern lediglich um juristische Verfeinerungen, die den uns gemeinsamen Gedanken verwirklichen, insbesondere die große Verschiedenheit des in der britischen Zone und des in der amerikanischen Zone geltenden Rechts auf einen Generalnenner zu bringen.
    Bei aller Wertschätzung des Herrn Justizministers und der hervorragenden juristischen Facharbeit des von ihm geleiteten Ministeriums,

    (Lachen und Zurufe von der SPD)

    bin ich zu meinem Bedauern einmütig mit dem Willen meiner Fraktion nicht in der Lage, seinen gewiß wohldurchdachten rechtspolitischen Überlegungen zu folgen, daß man in dieser unser ganzes Volk tief bewegenden Frage auf dem Wege des Justizkollegiums fortfahren sollte. Sie führen zwar zu einer allmählichen Beendigung der Entnazifizierung; sie löschen aber nicht dieses moderne Hexentreiben endgültig aus. Sie wälzen nicht den Stein auf das Grab einer gefährlichen Abschweifung der westlichen Zivilisation in die Gefilde totalitärer Praxis.

    (Sehr gut! rechts.)

    Sie löschen nicht endgültig diese Mißgeburt aus totalitärem Denken und klassenkämpferischer Zielsetzung aus, als die sich die Entnazifizierung entpuppt hat. Sie schlagen nicht die heimtückische Waffe der Entnazifizierung endgültig aus der Hand derer, die bisher im Konkurrenzkampf der politischen Willensbildung der Parteigegensätze sich ihrer zu bedienen wußten.

    (Zurufe links.)

    Gehen wir den Weg des Justizkollegiums weiter, dann wird das Gespenst der Entnazifizierung immer wieder aus dem Grabe aufstehen und umgehen,

    (Zustimmung rechts)

    aus einem Grab. das ihr die öffentliche Meinung des deutschen Volkes bereitet hat.

    (Sehr gut! rechts.)

    Die fachlichen Überlegungen des Justizkollegiums und mit ihm auch des Justizministeriums des Bundes leiden an dem grundsätzlichen Fehler, daß sie eine Beendigung der Entnazifizierung aus der Fortentwicklung dieser in der Ländergesetzgebung kultivierten Wucherung einer Rechtsentartung erzielen wollen. Dieser Fremdkörner in unserem Recht, diese Beleidigung unseres Rechtsgewissens,

    (Unruhe und Zurufe links)

    diese auf bürokratischem Wege geplante kalte Rache und soziale Revolution muß als totalitäre Verirrung erkannt und. nachdem einmal die reine Siegermaßnahme, nämlich die Säuberung vollzogen ist und nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, in ihrer rechtlichen Verbrämung endgültig und entschieden aus unserem Rechtssystem herausgetrennt werden.

    (Lebhafte Zurufe links. — Glocke des Präsidenten.)