Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Hinweis des Kollegen Erler auf einen Bericht über meine Tätigkeit als Landrat in Hersfeld in den Jahren 1945 und 1946 gibt mir die sehr willkommene Gelegenheit, einige Worte zur Richtigstellung zu sagen. Damals war der Mitwirkungsspielraum innerhalb der deutschen Exekutive — zu einem Zeitpunkt, als das Gesetz über die Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus überhaupt noch nicht galt, sondern die Exekutive in der amerikanischen Zone unter dem Gesetz Nr. 7 der Besatzungsmacht stand — außerordentlich begrenzt. Mein Verhalten hat die Bevölkerung bei den nachfolgenden Wahlen anerkannt. Sie erkannte an, daß ich von dem Platz eines Landrates aus alles getan habe, um einen möglichst großen Kreis von solchen Menschen, die nicht irgendwie als aktive Träger des Nationalsozialismus bezeichnet werden konnten, vor den •Folgen des Gesetzes Nr. 7 der amerikanischen Besatzungsmacht zu bewahren. Wenn Sie sich nähere Auskunft darüber holen wollen, dann gehen Sie nach Hersfeld. Ich habe die Auskunft, die Sie bekommen werden, in keiner Weise zu fürchten.
Aber nun etwas anderes. Wir sind als politische Partei bereits im Frühjahr 1946 mit ersten Anträgen im Hessischen Landtag hervorgetreten. Im Frühjahr 1947 sind erneut umfangreiche Anträge, die unsere Partei eingebracht hatte, im Hessischen Landtag behandelt worden. Dabei haben wir leider feststellen müssen, daß wir nicht die Unterstützung der Sozialdemokratischen Partei fanden, die uns sehr erwünscht gewesen wäre, um die Einheitsfront aller deutschen Parteien herzustellen in dem Sinne, daß wir hätten Initiative entwickeln können, um das Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus so einzuschränken und abzumildern, daß ein Teil der verhängnisvollen Folgen, die schon damals mit aller Klarheit vorauszusehen waren, vermieden worden wäre. Da die Frage des historischen Verlaufs von Ihnen aufgeworfen worden ist, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, wäre es ein Verstoß wider die Wahrheit, wenn ich hier nicht aussprechen würde, daß leider die Besinnung, die wir Ihnen schon früher gewünscht hätten, erst viel zu spät gekommen ist. Sie sind sehr lange Zeit Träger einer sehr scharfen Entnazifizierung gewesen und haben Gelegenheiten, die Ihnen geboten waren, um eine Einheitsfront mit dem Ziel einer Milderung und Abschwächung der Entnazifizierung in den Landesparlamenten herzustellen, nicht in dem Sinne unterstützt, wie das erforderlich gewesen wäre.
Wenn wir heute hier unseren Gesetzentwurf besprechen, dann stellen wir zwar fest: die Einsicht, daß die Entnazifizierung sich als sehr wenig segensvoll für die Heraufführung demokratischer Zustände in Deutschland erwiesen hat, ist allgemein geworden. Man wehrt sich aber noch dagegen, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Das spielt heute in die Frage der Bejahung oder Verneinung der Zuständigkeit des Bundes hinein. Wir bedauern ganz außerordentlich, daß sowohl der Herr Innenminister als auch die Vertreter der CDU die Zuständigkeit des Bundes glaubten verneinen zu sollen.
Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, die politische Verantwortung, von der man ausging, als es sich darum handelte, die Entnazifizierung einzuleiten, nimmt den Entnazifizierungsgesetzen nicht den Charakter strafrechtlicher Ahndung, und was besonders bedauerlich ist, meistens gar nicht der Ahndung von Taten, sondern nur von Gesinnungen und Haltungen. Wir haben kein entscheidendes Argument dagegen gehört, daß die Entnazifizierung strafrechtlichen Charakters sei, und ich glaube, in Anbetracht des Charakters der meisten Sühnemaßnahmen läßt sich gar nicht leugnen, daß die Entnazifizierung — ungeachtet dessen, daß ihr eigentlicher Zweck etwas anderes war — doch ihren Mitteln und Methoden nach durchaus als eine strafrechtliche Maßnahme angesehen werden muß.
Ich glaube, die vertiefte Unterhaltung über diese Frage im Ausschuß wird zu dem Ergebnis führen, daß eine Mehrheit für die Bejahung der Bundes-Zuständigkeit zu finden sein wird.
Lassen Sie mich noch auf einen praktischen Gesichtspunkt hinweisen, der nicht bestritten werden kann. Gerade die Regelung auf Landes-basis mit dem Ergebnis, daß die in den Ländern ergehenden Entnazifizierungsschlußbestimmungen völlig verschiedenartigen Inhalts sind, sollte uns auf den richtigen Weg führen. Die Entnazifizierungsschlußgesetze in einigen Ländern - und es ist kein Zufall: gerade in den Ländern, in denen die Sozialdemokratie eine beherrschende Stellung innehat — führen eben tatsächlich nicht zur Beendigung der Entnazifizierung, sondern in gewisser Weise zu ihrer Verewigung. Beispielsweise befinden sich in dem von der hessischen Landesregierung erlassenen Gesetz zwei Bestimmungen,
die klar herausstellen, daß es bei der zukünftigen Personalpolitik auf die Einstufung nach den Kategorien des Entnazifizierungsgesetzes ankommen solle. Es ist uns durchaus unerwünscht, Ländergesetze zu ermöglichen, die einen derartigen Inhalt haben. Wenn die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung unter anderem die Beendigung, und zwar die schnellstmögliche Beendigung der Entnazifizierung verheißen hat, dann konnten wir darunter nicht die Durchführung von Entnazifizierungsschlußgesetzen in den einzelnen Ländern verstehen, und so ist das wohl auch von der Regierung damals nicht verstanden worden. Nein, damals war mit Recht
daran gedacht, die Entnazifizierung durch ein einheitliches Gesetz auf Bundesbasis zu beenden. Um dieses Gesetz werden wir kämpfen, und wir hoffen, daß wir es in diesem Bundestag durchsetzen werden.