Meine Damen und Herren! Die soziale Marktwirtschaft soll soziale Sicherheit bieten. Was heißt soziale Sicherheit anders als Sicherheit des Arbeitsplatzes? Die Sicherheit des Arbeitsplatzes zu schaffen, ist das Ziel, das uns wahrscheinlich alle eint. Wenn wir diesen Antrag eingebracht haben, so haben wir das in der Überzeugung getan, daß alle; die in diesem Hause versammelt sind, sich für dieses Ziel einsetzen werden, daß aber nicht nur wir, die wir in diesem Hause sind, etwas dazu zu sagen haben, sondern daß auch außerhalb des Hauses in Deutschland eine Reihe von maßgebenden Persönlichkeiten vorhanden ist, die in der Vergangenheit und auch in der jetzigen Zeit auf diesem Gebiet gearbeitet 'haben.
Wenn man nun einwendet, der Vorschlag einer Studienkommission verzögere möglicherweise die Lösung des ganzen Problems, so glaube ich nicht, daß dieser Einwand richtig ist. Die gegenwärtige Arbeitslosigkeit ist ja nicht nur eine saisonale Arbeitslosigkeit, die mit Mitteln bekämpft werden könnte, die heute eingesetzt und morgen wirkeam werden würden. Die Arbeitslosigkeit, unter der wir alle leiden, hat sicherlich auch strukturelle Gründe und Gründe, die in dem gesamten Wirtschaftssystem liegen. Die strukturelle Arbeitslosigkeit und die systembedingte Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, ist eine Aufgabe, die sich nicht von heute auf morgen erledigen läßt. Das ist eine Aufgabe, über deren Bewältigung die Besten des deutschen Volkes nachdenken sollten. Ich glaube deshalb, daß wir mit einer solchen Studienkommission wohl etwas erreichen körnten. Vor allem glaube ich, daß eine solche Studienkommission keineswegs eine Verzögerung mit sich zu bringen braucht, da die sofort möglichen Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von der Regierung pflichtgemäß erforscht und eingesetzt werden müssen. Diejenigen Mittel aber die zur Bekämpfung der strukturellen Arbeitslosigkeit und der systembedingten Arbeitslosigkeit notwendig sind, werden wir alle zusammen erarbeiten können. Ich erinnere mich, daß auch seitens der Regierung der Wunsch an uns herangetragen worden ist. in diesen Fällen zusammenzuarbeiten. Insbesondere hat der Herr Abgeordnete Wellhausen darauf hingewiesen, daß er eine formelle Einladung auch an die Opposition ergehen ließ, auf diesem Gebiet mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Dieser Einladung folgen wir gern. Es ist ja auch im Ausland so, daß bei Problemen, die nicht durch sofortige Maßnahmen gelöst werden können, besondere Kommissionen eingesetzt werden um in diesen Kommissionen das Für und Wider eingehend zu erörtern. Es ist auch nicht notwendig, daß diese Kommission einen sehr großen Umfang hat. Ich kann mir vorstellen, daß zu der Kommission selbst nur eine Reihe von Mitgliedern der in Betracht kommenden Ausschüsse zu gehören braucht, daß eine geringe Anzahl von Sachverständigen hinzuzutreten hätte, daß im übrigen aber die Kommission nach Art eines Untersuchungsausschusses zu verfahren hätte und dann die verschiedenen in Betracht kommenden Stellen dazu hören könnte.
Die Einigkeit, die dann möglicherweise in dem Kommissionsbericht erzielt wird, dürfte geeignet sein, unserer ganzen Wirtschaftspolitik einen gewissen Impuls zu geben. Die zukünftige Entwicklung der Arbeitslosigkeit ist noch völlig ungeklärt. Wir wissen keineswegs, ob nicht in Zusammenhang mit der steigenden Arbeitsleistung
des einzelnen Arbeiters in den nächsten Monaten und Jahren noch eine zusätzliche Arbeitslosigkeit zu befürchten ist. Auch hier müssen entsprechende langfristige Arbeitsbeschaffungsprogramme ausgearbeitet werden.
Wir vom Zentrum haben eine ganz bestimmte Vorstellung davon, wie die Erholung der deutschen Wirtschaft durchgeführt werden sollte. Wir haben dazu einen Antrag überreicht. Wesentlich scheint uns aber zu sein, daß überhaupt eine aktive Konjunkturpolitik getrieben wird. Wir sind der Ansicht, daß die bisher getroffenen Maßnahmen als Maßnahmen zur Beseitigung der Ursachen der langfristigen Arbeitslosigkeit keineswegs ausreichen. Nur eine entschlossen aufbauende Politik, die rechtzeitig die Auffangpositionen für die infolge der Rationalisierungswelle — die die gesamte europäische Wirtschaft erfaßt hat - freiwerdenden Arbeitslosen schafft, kann mit diesem Problem fertig werden.
Als solche produktiven Maßnahmen müßten in dem Ausschuß im einzelnen folgende erörtert werden: die sofortige Inangriffnahme des Wiederaufbaus der zerstörten Städte, nach Möglichkeit die Herausführung des Baugewerbes aus dem saisonalen Charakter, die sofortige Wiederaufnahme des Handelsverkehrs mit dem, Osten und dem Südosten sowie die Liberalisierung nur Zug um Zug mit der Liberalisierung des Handels auch seitens der anderen Länder, ferner eine Einfuhrlenkung auf die Rohstoffe hin und die tunlichste Vermeidung der Einfuhr von industriellen und Lebensmittelrohstoffen aus dem Dollarraum; eine Exportförderung durch Festsetzung eines richtigen Wechselkurses, die Ausnutzung des deutschen und ausländischen technischen Fortschritts insbesondere beim Verkehrsgewerbe durch Einführung neuartiger Beförderungsmethoden und durch die Inangriffnahme der Beseitigung der strukturell bedingten Verkehrskrise. Vor allem müssen auch die nicht kostendeckenden Tarife der Bundesbahn beseitigt werden. Das landwirtschaftliche Pachtungswesen und der Düngerabsatz müssen in dieser Kommission eingehend besprochen und die Förderungsmaßnahmen untersucht werden. Der Aufbau dezentralisierter Industrien auf dem Lande muß geprüft werden. Es muß ein echter Leistungswettbewerb durch scharfe Monopolkontrolle erörtert werden. Die richtige Lenkung der Gegenwertmittel und des allgemeinen Kapitalstroms wäre ebenfalls zu erörtern.
Um eine aktive Politik zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit zu ergreifen, darf auch der Staat, der der größte Konsument des Marktes ist, was seine Einnahmen, aber auch was seine Ausgaben anbelangt, sich nicht versagen. Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen hinsichtlich der Landmelioration und der Sicherstellung der landwirtschaftlichen Bestellung ist eine bevorzugte Aufgabe der staatlichen Politik und einer entsprechenden Steuer- und Kreditpolitik.
Die Arbeitslosigkeit ist ja nur ein Teilproblem der allgemeinen Not. Schon heute ist das Wort von den Stiefkindern der Erholung geprägt worden. Damit sind die etwa 9 Millionen Sozialrentner, Kriegsversehrten, Kriegshinterbliebenen und Arbeitslosen gemeint. Dieser Kreis der Stiefkinder der Erholung wird sich, wenn nicht alsbald eingegriffen wird, noch weiter vergrößern. Dieser Bevölkerungskreis leidet unter ganz erheblichem Unterkonsum. Manche Familien können sich kaum die notwendigsten Lebensmittel kaufen. Hier herrscht brutal die Diktatur des Bezugsscheins „Geld". Eine Kluft hat sich aufgetan, die allgemeines Mißtrauen und eine steigende Unzufriedenheit in diesen weiten Schichten aufkommen läßt. Die Entwurzelung dieser Stiefkinder der Erholung ist so stark, daß nur eine ganz entschlossene Politik die Gefahr einer sozialen Auseinandersetzung größten Ausmaßes und damit einen Zusammenbruch unseres jungen Staates vermeiden kann.
Wenn wir in dieser Kommission zu einem praktischen Vorschlag kommen würden, dann dürfte vor allem von Bedeutung sein, daß die Zusammenarbeit der verschiedenen Ministerien eindeutig geklärt wird. Die Abstimmung der Notwendigkeiten zwischen den einzelnen Ressorts, zwischen Finanz- und Wirtschaftsministerium, wird von besonderer Wichtigkeit sein.