Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht einmal die temperamentvollen Darlegungen meines Herrn Vorredners können die CDU/CSU-Fraktion davon abbringen, für die Beendigung der Entnazifizierung einzutreten.
Erlauben Sie mir, einen Vorbehalt zu machen und meinen juristisch unzureichenden Sachverstand damit zu entschuldigen, daß ich sage, daß mein Freund von Brentano noch von der juristischen Seite her zu der Sache sprechen und sich insbesondere mit der Frage auseinandersetzen wird, ob dieses Haus dafür kompetent ist, zu der Sache zu sprechen. Wir meinen aber, daß, ganz unabhängig davon, ob eine Rechtszuständigkeit des Bundes anerkannt wird oder nicht, diese Frage nunmehr nach allen Seiten hin von solcher Bedeutung ist, daß es diesem Hause wohl ansteht, sich mit der Sache selbst zu befassen. Und dazu darf ich mir erlauben, namens meiner Fraktion einige Ausführungen zu machen.
Wir sind für die Beendigung der Entnazifizierung, weil erstens nach unserer Auffassung die politische Überzeugung als solche nicht bestraft werden sollte.
Zweitens sind wir wegen der Problematik des Verfahrens, die von allen Seiten anerkannt worden ist, für die Beendigung der Entnazifizierung; drittens sind wir für die Beendigung der Entnazifizierung, weil wir es nicht mit Lippenbekenntnissen bewenden lassen wollen bei der Tatsache, daß eine echte Chance gegeben werden muß für die Verführten, die nach Millionen zählen und auf die wir beim Neuaufbau des deutschen Vaterlandes nicht zu verzichten gewillt sind.
Und schließlich sind wir für die alsbaldige Beendigung der Entnazifizierung unter dem Gesichtspunkt,
daß eine echte nationale Solidarität in deutschen Landen zustandekommen muß und daß diese Einigkeit nur durch eine echte Versöhnung zu erzielen ist.
Das ist das erste Kapitel dessen, was wir zur Sache zu sagen wünschen.
Erlauben Sie mir nun noch zu sagen, was wir nicht meinen, wenn wir vom Ende der Entnazifizierung sprechen. Die Beendigung der Entnazifizierung soll nach unserem Willen nicht die Anerkennung oder die Rehabilitierung der Ideologie oder der Methoden des Nationalsozialismus auch nur im Ausschnitt bedeuten.
Wir wollen keine Abstumpfung der Rechtsbegriffe und des persönlichen Verantwortungsbewußtseins mit der Beendigung der Entnazifizierung verbunden sehen.
Wir möchten, daß ein Mann in deutschen Landen dafür geradesteht, was er zu verantworten hat.
Wir sind der Meinung, daß der Mangel an politischer Einsicht weder prämiiert noch bestraft werden soll. Und wir sind der Meinung, daß der Mißbrauch der Macht auf jeden Fall bestraft werden muß. Wir sind jedoch nicht der Meinung, daß man sich einfach auf den Satz zurückziehen kann: Der Befehl deckt!
Wir sind uns über die Problematik dieser Sache völlig klar. Aber wir sprechen es hier aus, daß wir der Überzeugung sind, daß der Befehl nicht absolut deckt.
Was weiter bestraft werden muß, gleichgültig, ob die Entnazifizierung so oder so beendet wird, das ist die persönliche Bereicherung auf Kosten des Volkes. Wir sind auch nicht in der Lage, dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Form zuzustimmen, und zwar deshalb, weil vor allem eine Gruppe, von der wir sehen möchten, daß sie endlich zur Verantwortung gezogen wird, nachdem sie oft feige genug sich bis jetzt der Verantwortung für die Macht, die sie früher in tyrannischer Weise ausgeübt hat, entzogen hat. Mit anderen Worten: Wir wollen keine Freistellung von Hauptschuldigen. Und wir wollen, daß der Skandal um Skorzeny und Genossen aufhört. Wir möchten nicht, daß die Gesinnung, die sich in diesem Hause bekundet und die sich der Mängel des bisherigen Entnazifizierungssystems voll bewußt ist, zu einem Freibrief für politische Banditen ausgewertet wird.
Und noch eine andere Sache, meine Damen und Herren. Wir möchten auch, daß der Gerechtigkeit insofern Genüge getan wird, als wir keine Zulassung von Unbilligkeiten und Ungerechtigkeiten wünschen, etwa derart, daß die Anerkennung von Vollpensionen bei Parteibuchbeamten oder eine anderweitige Honorierung von Parteikarrieren hier noch mit der sanften Billigung dieses Hauses stattfindet.
Es wäre ein langes Kapitel, und ich finde, daß es allmählich Zeit wäre, daß sich dieses Haus damit etwas länger auseinandersetzt. Aber bei der mir zur Verfügung stehenden Redezeit kann ich es nur kurz machen.
Nur ein Wort noch zu der politischen und außenpolitischen Seite der zur Debatte stehenden Frage. Was wir nicht meinen, was das Ende der Entnazifizierung in deutschen Landen und für das Ausland bedeuten soll, das ist, daß diese Beendigung nicht heißen soll: Resignation oder
Widerstandslosigkeit gegenüber einer von uns mit Sorge beobachteten Tendenz, aus Verbrechern oder politischen Dummköpfen neuerdings Märtyrer oder Helden der Nation zu machen.
— Sie wissen, wo der Feind steht!
Nur mit Bedauern können wir feststellen, wie unter dem Einfluß einer unverantwortlichen Demagogie das Bewußtsein für den Begründungszusammenhang in weiten Schichten unseres Volkes allmählich entschwindet, für den Begründungszusammenhang, in dem unser nationales Unglück steht und auch in dem Bewußtsein der anderen Völker stehen bleiben wird.
Ich freue mich, daß meine Fraktion mir erlaubt hat, eine Warnung auszusprechen, eine Warnung, daß es auch nach unserem Willen lebensgefährlich ist, in deutschen Landen alte gewaltpolitische Spiele und verbrecherische Instinkte neu zu betätigen, und daß wir sogar das Spiel mit derartigen Gedanken unter Strafe gestellt sehen möchten.
Es macht uns nicht den mindesten Eindruck, wenn man so etwas unter Berufung auf die nationale Ehre tut. Das haben wir alles schon einmal erlebt. Es hat damit geendet, daß der vornehmste Teil unseres deutschen Adels an den Galgen von Plötzensee, an Schlachterhaken - um genau zu sein — geendet hat. Auch die Grenzen des gegenwärtig geltenden positiven Rechts werden meine Freunde und mich nicht hindern, für die Substanz des Rechts in dieser Sache jederzeit mit dem einzutreten, was wir sind und was wir vermögen.
In all dem — damit wir uns hier nicht mißverstehen — bleiben wir uns dessen bewußt, daß wir darin nicht Vollstrecker von Rachemaßnahmen sind. Wir wollen keine Rache! Wir wollen, daß die großen Verbrecher nach Möglichkeit von selber dafür geradestehen, was sie an dem deutschen Volk und an der Welt begangen haben. Wenn sie das nicht tun, dann wird die deutsche Nation nicht fünf gerade sein lassen! Ich rede von den Großen. Für die Kleinen treten wir für eine viel weitergehende Amnestie ein, als es bisher geschehen ist. Wir sind also nicht Vollstrecker von Rachemaßnahmen, weder der unseren noch derjenigen, die auswärtige Mächte in früheren Tagen in diesem Punkt für richtig hielten oder vielleicht heute noch da und dort zu erwägen für richtig halten. Wir sind auch nicht, indem wir das sagen, Vertreter von Siegermächten. Wir treten hier für nichts anderes ein als für die Ehre der deutschen Nation, und wir sind nicht bereit, diese Ehre der deutschen Nation in die Hände von Leuten fallen zu lassen, die sich bereits einmal als notorische Versager oder subalterne Geister erwiesen haben: Remer, Krüger und Genossen.
Diesen Leuten verweigern wir das Recht, auch nur durch Gesinnungsgenossen hier in diesem Saal zu Wort zu kommen.
Wir sind niemand verpflichtet und fühlen uns niemand verpflichtet als Deutschland und der Gemeinschaft der den Frieden und die Freiheit liebenden Völker, mit denen wir leben wollen und mit denen wir leben müssen, wenn wir eine Zukunft haben wollen.
Gerade deshalb glauben wir, daß es einer genauen Erwägung bedarf, was wir in Zukunft um der Lebensmöglichkeit Deutschlands in der Gemeinschaft der anderen Völker willen in diesem Punkt zulassen dürfen und zulassen sollen. Die außenpolitische Bedeutung einer entsprechenden Gesetzgebung, wie wir sie hier vertreten sehen möchten und wie wir sie von der Bundesregierung vorgelegt sehen möchten, die außenpolitische Bedeutung der hier zur Debatte stehenden Angelegenheit kann überhaupt nicht überschätzt werden.
Dem Radikalismus, der billig genug ist — es besteht ja Redefreiheit, und jeder kann sagen, was er will; sogar die Feiglinge kriechen aus ihren Löchern —, diesem neuen Radikalismus fehlt, das haben wir in den letzten Monaten bemerkt, das Augenmaß für die einfachste politische Realität. Es fehlt ihm das Gewissen für das politisch Erlaubte, und es fehlt ihm der Verstand für das politisch Aktuelle, nämlich für Europa.
Vor einigen Tagen habe ich einen Brief von einem. bekannten Deutschen aus Kairo bekommen. Er schreibt folgende Sätze: -
Es ist eine Freude, festzustellen, wie sehr sich die allgemeine Stimmung im Auslande uns gegenüber verbessert hat. Bonn ist zu einem festen Begriff geworden. Ein ägyptischer Diplomat sagte mir: „Es ist schön, zu sehen, daß Ihr Land wieder einen guten Platz im europäischen Konzert eingenommen hat." Diese Äußerung erscheint mir charakteristisch für die Meinung, die ich jetzt am östlichen Mittelmeer angetroffen habe. Es gibt aber auch Kritik. Für mich ist es bedrückend, im Auslande manchmal der Ansicht zu begegnen, als wäre es Bonn gleichgültig oder gar angenehm, daß sich das in Westdeutschland in stärkerem Maße bemerkbar macht, was die Presse oft das „Wiedererwachen des deutschen Nationalismus" nennt. Es ist meines Erachtens schwer, sich etwas vorzustellen, was das gerade wieder einsetzende Vertrauen des Auslandes in uns und unseren aufrichtigen Wunsch nach Mitarbeit nachhaltiger erschüttern könnte als das öffentliche Auftreten und die Reden von Remer, Hedler, Dorls und Feitenhansl.
Nun noch ein zweites. Wir finden, daß es wertvoll wäre, in diesem Hause einmal auf die Rede zu sprechen zu kommen, die Mr. McCloy vor einigen Wochen in Stuttgart gehalten hat. Ich glaube, daß wir für diese Rede besonders deshalb dankbar sein sollten, weil sie die Situation wiedergibt, die viele von uns kennen, die in den letzten Jahren jenseits der deutschen Grenzen für Deutschland zu tun und zu reden hatten. Wir sind dankbar dafür, daß durch die Stimme und die Augen eines wohlwollenden Mannes, von dem wir überzeugt sind, daß er für dieses Land das
Beste will, die Situation wiedergegeben wird, der wir draußen gegenüberstehen, die wir ins Auge zu fassen haben und um deren richtige Erkenntnis wir uns nicht selbst betrügen dürfen. Weil seine Stuttgarter Rede diese Situation redlich wiedergibt, sind wir Mr. McCloy dankbar. Wir stehen nicht an, auszusprechen, daß uns diese Reden der ungeschminkten Wahrheit unendlich viel lieber sind als die freundlichen Worte bei manchen Cocktail-Parties
Trotz ihrer hohen politischen, insbesondere außenpolitischen Bedeutung glauben wir jedoch, daß wir diese Grundfragen unseres nationalen Daseins auf Grund der Geschichte, die wir an uns selber erlebt haben, mit .eigener Kraft bewältigen und vor unseren eigenen sittlichen, rechtlichen und politischen Wertmaßstäben verantworten müssen. In diesem Punkt bin ich der Meinung, daß die Angelegenheit, von der wir hier reden, nicht, jedenfalls nicht ausreichend, unter den Aspekten einer vielleicht noch so wohlmeinenden Re-education, überhaupt nicht unter pädagogischen Gesichtspunkten des Auslandes betrachtet und verstanden werden kann. Wir erbitten vom Ausland das Verständnis dafür, daß das deutsche Volk allmählich in eine Bewußtseinsepoche eintritt, in der es die Auseinandersetzung mit seiner eigenen Geschichte und die Bewältigung dieser Geschichte überhaupt erst in sich selber frei vollziehen muß. Wir würden es für außerordentlich wertvoll und förderlich halten, wenn diese Auseinandersetzung in möglichst großer Freiheit und möglichst ohne daß uns ausländische Wertmaßstäbe auferlegt werden, vollzogen werden könnte.
Wir meinen deshalb, daß hier ein Gesetzeswerk mit eigenen, klar verantworteten Rechtsbegriffen geschaffen werden müßte, das erstens die Freiheit der politischen Überzeugung festlegt, gleichgültig ob sie uns paßt oder nicht. Hier sind wir nicht zu Konzessionen bereit. Denn das gehört zu den Staats-Grundsätzen, zu denen wir uns bekennen. Wir respektieren die Freiheit der politischen Überzeugung. Zweitens fordern wir ebenso unbedingt die Bestrafung der verbrecherischen Tat und ihrer nachgewiesenen Absicht. Drittens wollen wir die gemeine Gesinnung, gleichgültig, ob sie sich politisch oder unpolitisch ausdrückt, menschlich und national geächtet wissen. Viertens wollen wir die demagogischen Angriffe oder die bösartige Unterwühlung der Freiheit des Lebens und der Zukunft der Nation energisch bestraft wissen.
In diesem Zusammenhang sehen wir das Problem des Abschlusses der Entnazifizierung. Die CDU/CSU-Fraktion verlangt deshalb erstens den Abschluß der Entnazifizierung mit ihrer Vermischung von politischer Gesinnung und kriminellem Tatbestand. Zweitens empfiehlt sie den Erlaß einer Amnestie. Drittens fordert sie eine korrekte Strafverfolgung dort, wo Verbrecher zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Wir fordern dabei — wie die Aufgabe auch juristisch gemacht wird — eine endgültige Heranziehung aller der Gruppen und aller der Personen, die unter den Begriff der Hauptschuldigen zu stellen sind.
Wir machen deshalb den Vorschlag, daß die Bundesregierung möglichst bald diesem Hause ein Gesetz zum Schutz des Staates oder entsprechende gesetzliche Bestimmungen zum glei-
chen Zweck vorlegt, und wir empfehlen, daß die bundeseinheitliche Beendigung der Entnazifizierung einen wesentlichen Teil dieses Gesetzgebungswerkes bildet Wir haben starke Bedenken — ich habe das namens meiner Fraktion hier auszusprechen — gegen die Vorlage der FDP. Wir sind in diesem Augenblick nicht in der Lage, dieser Vorlage zuzustimmen und beantragen daher auch unsererseits ihre Verweisung an den Ausschuß.