Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie alle herzlich zu unserer Haushaltswoche.Wir werden in dieser Woche wie vereinbart die Haus-haltsberatungen durchführen. Dies ist Gegenstand un-serer Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b, die ich hiermitaufrufe:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2015
Drucksache 18/2000Überweisungsvorschlag:Haushaltsauschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungFinanzplan des Bundes 2014 bis 2018Drucksache 18/2001Überweisungsvorschlag:HaushaltsauschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind imRahmen der Haushaltsberatungen für die heutige Aus-sprache im Anschluss an die Einbringung des Haushaltes– ich nenne jetzt etwas abgerundete Zahlen – sechsein-halb Stunden, am Mittwoch neun Stunden, am Donners-tag neuneinhalb Stunden und am Freitag noch einmaldreieinhalb Stunden vorgesehen. Ich darf fragen, ob sichdagegen Einwände erheben? – Das ist offenkundig nichtder Fall. Dann können wir so verfahren.Ich erteile das Wort zur Einbringung des Haushaltsdem Bundesminister der Finanzen, Herrn Dr. WolfgangSchäuble.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Eigentlich wäre dies heute unsere erste Sitzungnach der Sommerpause gewesen. Diese erste Sitzungsollte sich mit dem Bundeshaushalt 2015 befassen. Statt-dessen haben wir uns bereits vor einer Woche getroffen,um über Waffenlieferungen an die Kurden im Irak zusprechen. Das zeigt deutlich, dass die Lage anders ist alsnoch vor wenigen Wochen.Zum Krieg im Irak und Syrien kommt der Krieg inder Ukraine hinzu. Auch Libyen wird erneut von Gewalterschüttert. Wir sehen unvorstellbaren islamistischenTerror in weiten Teilen des Nahen und Mittleren Ostensund auch in Afrika. Dazu kommt noch die Ebola-Bedro-hung. Das alles befindet sich in unmittelbarer Nachbar-schaft.Zugleich schwächelt unser europäisches Wirtschafts-umfeld. Fortdauernd hohe Defizite, die Wettbewerbs-und die dadurch entstehende Wachstumsschwäche ingroßen Ländern der Euro-Zone machen auch der deut-schen Wirtschaft zunehmend zu schaffen. Die gegenwär-tige Ballung von Krieg im Umfeld der EuropäischenUnion, Reformstau und die daraus folgende wirtschaftli-che Stagnation in wichtigen europäischen Ländern, dasAuf und Ab in wichtigen Exportmärkten wie China undAmerika, das alles wirkt sich auch auf Deutschland aus.Obwohl wir alles in allem eine recht robuste Kon-junktur haben – das wird auch heute wieder in den ak-tuellen Meldungen bestätigt –, haben wir eine Abschwä-chung hinnehmen müssen. Man soll die Quartalszahlenaber nicht überbewerten. Wir haben keinen Grund, jetztin voreiligen Pessimismus zu verfallen. Wir müssen al-lerdings die Realität zur Kenntnis nehmen, und diese ist,dass sich das wirtschaftliche Umfeld etwas eingetrübthat.Wir brauchen deshalb Ernsthaftigkeit in der Beurtei-lung der Lage und Disziplin im Handeln. Wir müssenuns auf das Wesentliche fokussieren und konzentrieren.Daraus folgt – das ist sehr umstritten –, dass wir geradein dieser Lage unsere solide, verlässliche, stabilitäts-orientierte Politik entschlossen und unaufgeregt fortset-zen müssen.
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Alles andere würde zu einer neuen Vertrauenskrise füh-ren, und das wäre das Letzte, was wir jetzt in Europa indieser Lage gebrauchen könnten. Deswegen ist es zen-tral, dass wir in unserer Haushaltspolitik konsequentKurs halten. Bundeshaushalte ohne Neuverschuldungsollen ab 2015, ab nächstem Jahr, Normalität werden.Wir haben das vor der Wahl versprochen, wir haben esnach der Wahl vereinbart, und jetzt setzen wir es um.
Die „schwarze Null“ ist kein Selbstzweck, aber siesteht für Verlässlichkeit; sie steht dafür, dass wir halten,was wir versprochen haben. Nur so können wir das Ver-trauen in den Wirtschaftsstandort Deutschland erhalten.Wir haben uns dieses Vertrauen in den letzten Jahrenmühsam wieder erarbeiten müssen. Schließlich hat dieglobale Finanz- und Wirtschaftskrise auch Deutschlandwirtschaftlich stark zurückgeworfen. Man hat schon ver-gessen, dass wir 2009 einen Rückgang unseres Inlands-einkommens von über 5 Prozent hatten. Der Bundes-haushalt 2015 und die Finanzplanung bis 2018 stehen fürVerlässlichkeit. Diese Verlässlichkeit ist elementar, fürInvestoren wie für Verbraucher. Unsere Politik steht fürStabilität, gerade in einer Phase wirtschaftlicher undpolitischer Anspannungen aufgrund kriegerischer Kon-flikte in der Ukraine und im Nahen und Mittleren Osten.Verlässlichkeit, Stabilität, halten, was man verspro-chen hat – dazu zählt auch, sich an europäische Regelnzu halten. Alle sollten sich an europäische Regeln hal-ten; wir haben sie mit beschlossen. Indem der Bundes-haushalt 2015 und unsere Finanzplanung bis 2018 keineneuen Schulden vorsehen, erfüllen wir unsere europäi-schen Verpflichtungen. Wir haben nämlich die Ver-pflichtung übernommen, unsere Schuldenquote Schrittfür Schritt zu senken. Wir haben im Koalitionsvertragvereinbart, dass wir sie zügig wieder auf 60 Prozent desBruttoinlandsprodukts zurückführen, womit wir dannerst die Obergrenze des Stabilitäts- und Wachstumspaktseinhalten. Wir streben für 2018 eine Schuldenquote von65 Prozent an. Wir sind also auch 2018 noch über derSchuldengrenze, aber wir sind auf dem Weg zu ihr. DieQuote lag 2012, also vor zwei Jahren, bei über 80 Pro-zent. Wenn wir die Schuldenquote nicht zurückführenwürden, dann hätten wir 2018, bezogen auf die Schul-denquote, 450 Milliarden Euro mehr Schulden – nur da-mit man weiß, worüber wir reden.Indem wir halten, was wir versprechen, schaffen wirVertrauen. Gerade wenn es so scheint, als würden wirweniger rosigen Zeiten entgegensehen, ist es umso wich-tiger, dass wir alles dafür tun, das grundlegende Ver-trauen in unsere Politik zu erhalten. Denn ginge das Ver-trauen verloren, dann ginge die Bereitschaft derWirtschaftsteilnehmer verloren, ihr Geld, ihre Kraft undihre Fähigkeiten in unserem Land und in Europa einzuset-zen. Vertrauen – das wissen die Ökonomen seit LudwigErhard – ist der wichtigste Rohstoff in einer Ordnung dersozialen Marktwirtschaft.
Wir brauchen in erster Linie private Investitionen, umdie wirtschaftliche Leistungs- und WettbewerbsfähigkeitDeutschlands und Europas zu erhalten. Bei privaten In-vestitionen muss man sich auf verlässliche Rahmenbe-dingungen verlassen können. Wir haben sie derzeit inDeutschland; Investoren können darauf vertrauen, dasssie erhalten bleiben. Grundlage dafür ist unsere stabili-tätsorientierte Finanzpolitik. Wir haben in den letztenJahren bewiesen – auch das muss man angesichts einerzunehmenden Debatte in unserem Land und um unserLand herum immer wieder ins Gedächtnis rufen –, dasseine stabilitätsorientierte Finanzpolitik die beste Politikfür Wachstum und Beschäftigung ist. Es ist wahr, dasswir besser als andere aus der wirtschaftlichen Krise he-rausgekommen sind, weil wir unsere Defizite zurückge-führt haben und damit zugleich mehr Wachstum undmehr Beschäftigung erzielt haben. Wer seine Defizitenicht zurückgeführt hat, hat weniger Wachstum erzielt.Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass man durch eine Erhö-hung der Defizite mehr Wachstum schaffen kann. Das istein bequemer, aber ein falscher Weg. Wir werden diesenWeg nicht gehen.
Im Übrigen ist die Mobilisierung privater Investitio-nen volkswirtschaftlich wirkungsvoller als jedes staatli-che Ausgabenprogramm. Das gilt nicht nur für die Ver-kehrsinfrastruktur. Es gilt genauso für Informations- undKommunikationstechnologien, es gilt für die Energie-netze, aber es gilt natürlich vor allem für Investitionen inMaschinen und Ausrüstungen in den Unternehmenselbst. Das ist das Entscheidende; denn hier liegt derSchlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes.Hier liegt übrigens auch der Schlüssel zum wirtschaftli-chen Erfolg Europas. Bei unserer demografischen Ent-wicklung – weniger Menschen und älter werdende Men-schen – und bei unserem im weltweiten Vergleich hohenNiveau sozialer Sicherheit entstehen Wachstumspoten-ziale – es hilft alles nichts – nur aus Innovationen undaus leistungsfähiger Infrastruktur. Es gibt keinen Wegdaran vorbei.
Es ist auch eine einfache Wahrheit, dass Investitions-projekte für Kapitalanleger Renditeerwartungen enthal-ten müssen. Sonst werden sich Kapitalanleger nicht en-gagieren. Deswegen müssen wir auch über neue Formender Aufgabenteilung zwischen Staat und Privaten nach-denken. Kooperation zwischen Staat und Privaten kannaber natürlich nicht heißen, dass der Staat die Risikenträgt und die Privaten die Gewinne machen. So wäre dieArbeitsteilung nicht richtig. Die richtige Arbeitsteilungist, dass der Staat für einen verlässlichen Rechtsrahmensorgt und Private ihre Leistungen gegen Entgelt und beiÜbernahme des unternehmerischen Risikos anbieten.Warum sollte das, was bei den Telefon- und Energienet-zen alles in allem gut funktioniert, nicht auch im Ver-kehrsbereich stärker einzusetzen sein, zumal andereLänder das erfolgreich vormachen? Wir brauchen hierbessere Möglichkeiten für private Investoren. Wir arbei-
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ten daran. Wir weiten planmäßig, Schritt für Schritt, dieLkw-Maut – Toll Collect – aus. Wir machen auch ande-res. Wir werden das in dieser Legislatur fortführen undauch in der nächsten fortsetzen. Das erreichen wir besserdurch eine Finanzierung durch die Nutzer. Ein Engage-ment privater Investoren wird übrigens erst dann richtigsinnvoll, wenn sie ihre Investitionen an den tatsächli-chen Bedürfnissen der Nutzer ausrichten können. Dassorgt dann für ein passgenaues und effizientes Angebot,und damit ist auch den Nutzern gedient. Deutschland lei-tet übrigens auf der Ebene der G-20-Staaten gemeinsammit Indonesien und Mexiko eine Arbeitsgruppe, dieStandards entwickelt, wie privates Kapital in die Finan-zierung von Infrastrukturinvestitionen gelenkt werdenkann.Natürlich arbeiten wir auch daran, den Bereich Infra-struktur stärker für Investitionen der Versicherungswirt-schaft, der Pensionskassen und der anderen großen Ka-pitalsammelstellen zu öffnen. Dazu überprüfen wir,inwieweit Regulierung Investitionsmöglichkeiten unnö-tig versperrt. Ich füge hinzu: Wir gehen dabei vorsichtigvor, weil ein Übermaß an Risikoübernahme mit der Ver-lässlichkeit von Versicherungen nicht zu vereinbaren ist.Die deutsche Versicherungsbranche hat sich in derFinanz- und Bankenkrise als sehr widerstandsfähig er-wiesen. Das dürfen wir nicht gefährden.Gute und verlässliche Rahmenbedingungen für pri-vate Investitionen flankieren wir mit gezielten staatli-chen Investitionen. Der wichtigste und erste Schwer-punkt ist der Bereich Bildung, Wissenschaft undForschung. Der Bund übernimmt von den Ländern – dashaben wir vor kurzem so beschlossen und umgesetzt –vollständig die Zahlungen der Leistungen nach demBAföG. Mehr Schüler und Studenten erhalten Zugangzum BAföG. Wir passen die Regelsätze an die Entwick-lung der Lebenshaltungskosten an. Wir finanzieren wei-ter den Hochschulpakt und sorgen so für zusätzliche Stu-dienplätze. Wir stocken auch das Sondervermögen„Kinderbetreuungsausbau“ ein weiteres Mal auf. Im Üb-rigen ist mit den Ländern verabredet, dass die Entlastun-gen durch die Übernahme des BAföG für zusätzliche In-vestitionen in Schulen und Hochschulen genutzt werden.Wir steigern die Ausgaben für Wissenschaft und For-schung kontinuierlich, 2015 um 1 Milliarde Euro. In dergesamten Legislaturperiode haben wir für Forschung zu-sätzliche Mittel in Höhe von 3 Milliarden Euro einge-plant, vor allem für die Exzellenzinitiative und für denPakt für Forschung und Innovation. Wir sind bei denForschungsausgaben international in der Spitzengruppe.Mit unserer starken Forschung und Entwicklung, mitden hohen Ausrüstungsinvestitionen auch in unserer In-dustrie steht Deutschland bei den besonders wachstums-relevanten Investitionen im internationalen Vergleich gutda. Das relativiert manchen oberflächlichen Quotenver-gleich, der in den internationalen Statistiken durch Bau-booms gelegentlich sehr verzerrt dargestellt wird. Auchdaran muss man gelegentlich erinnern.
Das alles ist kein Grund, sich auszuruhen. Wir müs-sen das weiter ausbauen, weil wir Wachstum eben nurüber Innovationen erreichen. Ich wiederhole es: Bei un-serer demografischen Entwicklung – wir werden weni-ger und älter – können wir Wachstum nicht durch mehrKöpfe steigern, sondern nur durch kreative Köpfe, dieInnovationen vorantreiben und dadurch Wachstumschaffen. Wachstum durch Innovation bedeutet übrigensHightech. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregie-rung letzte Woche die neue Hightech-Strategie beschlos-sen hat. Diese Hightech-Strategie trägt dazu bei, dass diehohe Innovationsfähigkeit unseres Landes weiterhin eineunserer herausragenden Stärken bleibt. Dies erklärtübrigens, warum wir im Augenblick besser als andereeuropäische Länder dastehen. Auch das muss man sichgelegentlich anschauen. Wenn man die Ausgaben fürForschung und Entwicklung in Europa vergleicht, findetman eine Erklärung, warum die Entwicklung in einzel-nen Ländern unterschiedlich ist. Das sage ich immerwieder, wer auch immer es hören mag oder nicht.Wir brauchen kreative Antworten auf die Herausfor-derungen unserer Zeit. Gute Ideen müssen schnell in in-novative Produkte und Dienstleistungen umgesetzt wer-den. Der Wettbewerb wird immer schneller. Deswegenmuss die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaftimmer enger werden. Wir konzentrieren uns als Bundes-regierung auf Felder mit einer großen Innovationsdyna-mik. Wir werden kleine und mittlere Unternehmen sowietechnologieorientierte Unternehmensgründungen unter-stützen. Wir sorgen für günstige Rahmenbedingungenbei der Fachkräftesicherung, bei der Finanzierung undbei anderen gesellschaftlichen, technischen und rechtli-chen Voraussetzungen.In unserem zweiten Schwerpunkt, Infrastruktur – sohaben wir es auch im Koalitionsvertrag vereinbart –, in-vestieren wir zusätzlich 5 Milliarden Euro Bundesmittelin Straßen, Schienen und Wasserstraßen in dieser Legis-laturperiode, 1 Milliarde Euro bereits im kommendenJahr. Im Übrigen kommt hinzu: Die vom Bund geradeauf den Weg gebrachten und die schon in der letzten Le-gislatur beschlossenen massiven Entlastungen der Län-der und Kommunen stärken auch deren Investitionskraftim Bereich von Verkehr und Infrastruktur. Durch dieÜbernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alterund bei der Erwerbsminderung – der Bund hat sie vollübernommen – werden die Kommunen in Deutschlandin diesem Jahr um fast 5,5 Milliarden Euro entlastet.Dies muss man immer wieder in Erinnerung rufen.
Die so entstandenen Spielräume sollten die Kommu-nen und auch die Länder möglichst konsequent für In-vestitionen nutzen. Es ist übrigens erfreulich, dass wirbei den Kommunen einen massiven Anstieg der Investitio-nen feststellen können. Auch hier sind gute Rahmenbedin-gungen entscheidend. Dazu zählt, dass wir die Leistungs-fähigkeit unseres föderalen Staats insgesamt erhalten.Auch die Länder müssen ihre gesamtstaatliche Verant-wortung wahrnehmen. Auch sie müssen sich an dieSchuldenbremse, wie sie für die Länder im Grundgesetz
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steht, halten, und sie müssen im Übrigen an der Einhal-tung unserer gesamtstaatlich übernommenen europäi-schen Verpflichtungen mitwirken. Deswegen wollen wirden Stabilitätsrat, der die Finanzsituation von Bund undLändern überwacht, mit zusätzlichen Kompetenzen aus-statten, damit er in Zukunft Haushalte zurückweisenkann, die den gemeinsam vereinbarten und im Grundge-setz festgelegten Regeln der Schuldenbremse und auchden Regeln des europäischen Fiskalvertrags widerspre-chen. Das, was wir in Europa brauchen, müssen wir auchim bundesstaatlichen Verhältnis berücksichtigen.
Der Bund hat übrigens die Länder in den vergangenenJahren – auch das muss einmal gesagt werden – massivunterstützt. Schon in den 90er-Jahren hat es eine starkeVerlagerung von Anteilen an den jährlichen Steuerein-nahmen vom Bund zu den Ländern gegeben. Das wirktbis heute fort. Ohne diese Verlagerung läge der Anteildes Bundes an den gesamtstaatlichen Steuereinnahmenheute um rund 6 Prozent höher und der Anteil der Län-der um 6 Prozent niedriger.Das prominenteste Beispiel für diese Verlagerungsind die Umsatzsteueranteile, die der Bund den Ländernfür die Einbeziehung der ostdeutschen Länder in den ge-samtdeutschen Länderfinanzausgleich abgetreten hat.Bei aller Kreativität der gegenwärtigen Vorschläge zumkünftigen Schicksal des Solidaritätszuschlags nach Aus-laufen des Solidarpakts II, und zwar Ende 2019, darf die-ser Zusammenhang mit der Übertragung von Mehrwert-steueranteilen vom Bund auf die Länder, zu derenAusgleich der Solidaritätszuschlag wesentlich mit einge-führt worden ist, nicht unterschlagen werden. Auch da-ran muss man die Länder erinnern.
Das zeigt, dass die Spielräume des Bundes für weite-res Entgegenkommen gegenüber den Ländern sehr be-grenzt sind. Es muss bei den begonnenen Verhandlungenzur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungenvor allem darum gehen, den Gesamtstaat, die Bundes-republik Deutschland, die aus Bund und Ländern be-steht, handlungsfähiger zu machen. Die Länder müssensich auch ernsthaft an den Überlegungen beteiligen, wiedieser Gesamtstaat noch effizienter und leistungsfähigerwerden kann. Nur auf Mittel des Bundes zu schielen,greift zu kurz.Es muss in erster Linie um eine sachgerechte Aufga-benzuordnung zwischen den staatlichen Ebenen und esdarf eben nicht um bloße Finanzverschiebungen gehen.Wir brauchen klare Verantwortlichkeiten. Jede Aufgabesollte am besten von der staatlichen Ebene erfüllt undfinanziert werden, die sie am effizientesten erfüllenkann. Das heißt, dass bei Leistungen, bei denen es prak-tisch und vor Ort Handlungs- und Entscheidungsspiel-räume gibt, die diskretionäre Entscheidung gestärkt wer-den und dann auch die Finanzverantwortung vor Ortliegen sollte; denn so fördern wir effizienten und sparsa-men Mitteleinsatz. Umgekehrt sollten gesamtstaatlichbedeutsame Aufgaben, die bundeseinheitlich erfüllt wer-den müssen, in der Finanzverantwortung des Bundes lie-gen. Mit der vollständigen Übernahme des BAföG durchden Bund haben wir einen wichtigen Schritt in genaudiese Richtung getan.Bund und Länder brauchen für die Erfüllung ihrerAufgaben eine angemessene Finanzausstattung. Dabeimuss man sagen: Die Finanzkennzahlen des Bundes sinddeutlich schlechter als die der Länder. Die Zinsbelastun-gen des Bundeshaushaltes – jeder, der sich damitbeschäftigt, weiß es – sind im Verhältnis zu Steuerein-nahmen und Gesamthaushalt doppelt so hoch wie dieZinsbelastungen der Länderhaushalte. Auch das mussman bei den Verhandlungen gelegentlich sagen. Unseregesamtstaatliche Finanzpolitik ist nur dann tragfähig,wenn wir am Verzicht auf Neuverschuldung bei denLändern und beim Bund festhalten, was im Übrigen dieHandlungsspielräume für Investitionen von Bund undLändern gleichermaßen erhöht.Wir sollten aus Anlass dieser Haushaltsdebatte aucheinen kritischen Blick auf die Struktur unserer Haushaltewerfen, gerade vor dem Hintergrund des demografischenWandels. Es hat in den vergangenen Jahrzehnten – dasist nicht zu kritisieren, aber man muss es im Blick haben –eine Verschiebung von Ausgaben zulasten von Investi-tionen und zugunsten von eher gegenwartsorientiertenSozialausgaben gegeben. Dafür gab es im Einzelnen im-mer gute Gründe. Dennoch müssen wir wieder stärkerauf die Zukunftsorientierung unserer Ausgaben achten.Das Bundesfinanzministerium legt regelmäßig langfris-tige Tragfähigkeitsberechnungen für unsere öffentlichenHaushalte vor. Sie zeigen, dass wir bei dauerhafter Ein-haltung der Schuldenbremse die Tragfähigkeitsrisikenunserer öffentlichen Finanzen insgesamt in den Griffbekommen können. Aber sie zeigen auch, dass diesMaßnahmen erfordert, um den Druck vor allem aus denSozialversicherungssystemen auf den Bundeshaushaltabzufedern. Tragfähigkeit ergibt sich nicht von selbst.Deswegen war es zum Beispiel richtig, dass die Be-schlüsse zur Erleichterung des Rentenbezugs für lang-jährig Erwerbstätige mit dem Auftrag verbunden wur-den, eine generelle Lösung für einen flexiblerenRenteneintritt zu finden.
Unsere älter werdende Gesellschaft braucht die Älte-ren, ihr Wissen, ihre Arbeitskraft, ihre Einsatzbereit-schaft. Deswegen müssen wir darauf achten, dass esnicht zu stärkeren finanziellen Fehlanreizen kommt,durch die Menschen früher aus dem Berufsleben ausstei-gen, während die finanziellen Lasten bei der Allgemein-heit verbleiben. Der selbstbestimmte Renteneintritt beimehr finanzieller Eigenverantwortung, das ist die zen-trale Aufgabe einer Flexirente und das stärkt die Tragfä-higkeit. Übrigens hat das die ganz überwiegende Mehr-heit unserer Bürger verstanden. Deshalb ist es wichtig,dass wir jetzt substanziell bei der Flexirente etwas errei-chen. Da sind die Politik wie die Tarifpartner gefordert.
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Flexibilisierung des Renteneintritts zählt genauso zuden wichtigen Rahmenbedingungen für mehr private In-vestitionen wie eine auch geopolitisch sichere Energie-versorgung mit wettbewerbsfähigen Energiepreisen.Dazu haben wir mit der EEG-Novellierung einen erstenwichtigen Schritt getan.Der Abbau von Handelsbarrieren stärkt immer dasWachstum. Das gilt für den europäischen Binnenmarkt,und das gilt für das Transatlantische Freihandelsabkom-men, das wir erfolgreich zum Abschluss bringen müs-sen.
So viel will ich zum Transatlantischen Freihandelsab-kommen an dieser Stelle dann doch sagen: Es erfordertein Aufeinanderzugehen beider Seiten ohne übertriebeneÄngste mit dem Ziel eines Ausgleichs zwischen derwohlstandsfördernden Erleichterung wirtschaftlichenAustauschs und dem Respekt vor kulturell begründetenund demokratisch legitimierten Vorstellungen und Re-geln beider Seiten. Aber vielleicht bieten ja die weltpoli-tischen Krisen dieser Tage auch eine Chance, sich derBedeutung der westlichen Wertegemeinschaft auf beidenSeiten des Atlantiks wieder bewusster zu werden.
Zu guten und verlässlichen Rahmenbedingungen fürprivate Investitionen zählt, dass wir auch in der Steuer-politik halten, was wir versprochen haben. Es bleibt,meine sehr verehrten Damen und Herren, bei dem zuge-sagten Verzicht auf Steuererhöhungen.
Gleichzeitig müssen wir bei einer immer komplizierterund stärker werdenden internationalen Verflechtung un-sere Steueransprüche auch konsequent und vernünftigdurchsetzen. Das wird zunehmend schwieriger. Die Aus-nutzung von unterschiedlichen steuerrechtlichen Regu-lierungen in einer globalisierten Welt mit globalisiertenFinanzmärkten ist eine unglaubliche Herausforderung,die wir gar nicht national, allein in den Griff bekommenkönnen. Deswegen müssen wir europäisch und globalentschieden in diese Richtung wirken. Wir tun das. DieChancen für internationale Regulierung steigen: Interna-tional ist das Bewusstsein gewachsen, dass die Staatenletztlich in einem Boot sitzen.Wir haben zuletzt in der Europäischen Union mit derÄnderung der Richtlinie über das gemeinsame Steuer-system der Mutter- und Tochtergesellschaften einenwichtigen Schritt getan, um rein steuerlich motivierteGewinnverschiebungen einzudämmen.Die Bundesregierung hat diese Entwicklung auf derEbene der G 20 wie der OECD von Anfang an maßgeb-lich vorangetrieben, und wir werden das weiter tun. Wirwerden in zwei Wochen beim G-20-Finanzministertref-fen in Australien konkrete Schritte – natürlich auch inVorbereitung auf den G-20-Gipfel im November in Bris-bane – vorbereiten. Wir richten im Oktober in Berlin dieJahrestagung des Global Forum on Transparency andExchange of Information for Tax Purposes aus, die glo-bale Konferenz der OECD für den Informationsaus-tausch, bei der es zugleich um die Bekämpfung vonSteuervermeidung durch internationale Regulierungengeht. Das wird vermutlich eine der größten Steuerkonfe-renzen weltweit sein. Die Größe allein ist aber nicht sowichtig; entscheidend ist, dass bei dieser Tagung über30 Staaten eine Vereinbarung über einen automatischenInformationsaustausch bei Finanzkontendaten ab 2017unterzeichnen werden. Das ist ein großer Schritt, und esist erfreulich, dass wir in so kurzer Zeit über 30 Staatendafür gewinnen konnten, diese Vereinbarung Ende Okto-ber hier zu unterschreiben.
Wir werden in Kürze auch die gemeinsam mit denBundesländern erarbeitete maßvolle Verschärfung derRegeln für die strafbefreiende Selbstanzeige voranbrin-gen. Die strafbefreiende Selbstanzeige hat sich alsRechtsinstitut trotz aller öffentlichen Debatte bewährt.Wir verlängern nun die strafrechtlichen Verjährungsfris-ten für Steuerhinterziehung, und wir heben die Zu-schläge bei der Nachzahlung hinterzogener Steuern an.Darüber hinaus arbeiten wir in Zusammenarbeit mitunseren europäischen Partnern an intelligenten, punktge-nauen Formen steuerlicher Förderung von Forschungund Entwicklung im Zusammenhang mit der Nutzungvon Patenten aus eigener Forschung.Auch hier muss das Prinzip durchgesetzt werden, dasseine vor Ort erbrachte echte Forschungsleistung begüns-tigt wird und nicht einfach nur steuerliche Gestaltungs-möglichkeiten eröffnet werden, sodass es zu einer Verla-gerung der Besteuerung in das niedriger besteuerndeAusland kommt. Das ist der falsche Weg. Wir müsseneigene Forschungsleistungen begünstigen – auch steuer-lich –, und es darf nicht zu einem fortgesetzten Aus-nutzen unterschiedlicher Regelungen zur Minderung derSteuerbelastung kommen.
Wir bringen in Kürze Maßnahmen zur Verbesserungder steuerlichen Förderung von Wagniskapitalfinanzie-rung auf den Weg, indem wir den öffentlichen Investi-tionszuschuss steuerfrei stellen. Gerade auch in unseremälter werdenden Deutschland brauchen wir eine Grün-dungskultur, eine Haltung der Neugier und auch die Hal-tung, scheitern zu dürfen und neu anfangen zu können;denn sonst gibt es keine Gründungskultur. Wenn jedesScheitern mit dem Risiko verbunden ist, dass es für im-mer ist, macht es keinen Sinn. Deswegen ist es auchwichtig, dass wir erfahrenen Managern und Kapitalge-bern, die Start-up-Unternehmen unterstützen, helfen undihnen keine Steine in den Weg legen.
Wir werden in Deutschland und in Europa im globa-len Wettbewerb, der immer härter wird, nur mit Arbeits-plätzen, die auf technologischen Innovationen beruhen,wirtschaftlich konkurrenzfähig bleiben. Billiger als an-
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dere werden wir in Deutschland und in Europa nichtwerden, sondern wir können nur besser und innovativerals andere bleiben und, wo nötig, werden.Wir sollten uns keiner Illusion hingeben: Wenn wirmit unserem Lebensstandard und unserer vergleichs-weise hohen sozialen Absicherung in der globalisiertenWelt mithalten wollen, dann müssen Deutschland undEuropa an der Spitze der Innovationsentwicklung blei-ben.
Deswegen dürfen wir uns nicht der Illusion hingeben,dass wir, anstatt an der Spitze der Innovationsentwick-lung zu bleiben, die Probleme mit einem immer größe-ren Einsatz öffentlicher Mittel und mit immer höherenDefiziten lösen werden. Das ist eine große Gefahr undeine große Illusion.
Die Forderung in Europa, immer mehr öffentlicheGelder unter Inkaufnahme immer höherer Defizite undVerschuldungen einzusetzen, führt in die Irre. Wachstumund Arbeitsplätze entstehen nicht durch immer höhereDefizite. Sonst hätten wir aktuell wirklich keine Pro-bleme. Es tut mir leid: Wenn es mit höheren Defizitenund Schulden leichter wäre, dann dürften wir eigentlichkeine Probleme haben; denn die Verschuldung der In-dustrieländer – damit wir wissen, wovon wir reden – istwieder auf dem Niveau, auf dem es am Ende des Zwei-ten Weltkrieges gewesen ist. Durch eine Steigerung wer-den wir nur neue Ungewissheiten, neue Blasen, Unsi-cherheiten und Volatilität, aber keine strukturelle Lösungunserer Probleme erreichen. Deswegen helfen nur Inno-vationen, Strukturreformen, Investitionen, verlässlicheRahmenbedingungen und eben vor allen Dingen Ver-trauen in die Nachhaltigkeit.Man kann allein mit öffentlichem Geld Arbeitsplätzeund Wachstum nicht dauerhaft herbeikaufen. Es bringtauch nichts, im Zusammenhang mit Wachstum und Be-schäftigung einfach auf die Europäische Zentralbank zuschielen. Sie tut, was sie kann, aber sie hat ihr Instru-mentarium im Wesentlichen ausgereizt, wie man an denaktuellen Entwicklungen sehen kann. Billiges Geld kannWachstum eben auch nicht erzwingen. Sonst hätten wirderzeit keine Probleme.
Es ist doch auffallend – das hören Sie nicht gern, aberes ist eine Tatsache –: Bei sinkendem Zinsniveau – dasZinsniveau ist aktuell so niedrig wie selten zuvor – steigtin wichtigen europäischen Ländern die private Spar-quote. Die Ökonomen können das nur schwer erklären.Sie sagen: Eigentlich müssten sinkende Zinsen dazu füh-ren, dass man weniger spart. Das Gegenteil ist der Fall,und das zeigt, dass psychologische Fragen eine viel grö-ßere Wirkung haben. Bei sinkenden Zinsen steigt inwichtigen europäischen Ländern die Sparquote!In Deutschland haben wir übrigens eine starke Kon-sumnachfrage, die die wesentliche Stütze unserer wirt-schaftlichen Entwicklung ist. Das wiederum zeigt, dassdas Vertrauen in die Nachhaltigkeit unserer Finanzenwirtschaftlich von einer gar nicht zu überschätzendenBedeutung ist.Im Übrigen hat der Sachverständigenrat zur Begutach-tung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutsch-land in seinem letzten Jahresgutachten 2013/2014 aus-drücklich auf die Gefahr hingewiesen, dass zu hoheErwartungen an die Handlungsmöglichkeiten der Euro-päischen Zentralbank am Ende nur die Durchsetzung dernotwendigen Budget- und Strukturreformen durch diepolitisch Verantwortlichen in den Mitgliedstaaten schwä-chen könnten. Auch das muss man sich wieder und wie-der ins Gedächtnis rufen.Obwohl Liquidität heute eher im Übermaß vorhandenist, bleibt der Zugang zu Kapital für kleine und mittlereUnternehmen in Teilen Europas infolge der Finanzkriseimmer noch beeinträchtigt. Dieses Problem ist auchdurch mehr Liquidität nicht zu beseitigen. Die entschei-dende Frage ist: Warum gelingt es nicht, diese reichlichvorhandenen Mittel stärker in die unternehmerischen In-vestitionen zu leiten?Das ist eben der Punkt: Nachhaltiges Wachstum ent-steht nur durch Innovationen, durch unternehmerischeIdeen und ihre Umsetzung. Wo das ausbleibt, stimmendie Rahmenbedingungen nicht. Diese müssen wir aufeuropäischer wie nationaler Ebene weiter verbessern.Das bedeutet Strukturreformen, Verbesserung der Wett-bewerbsfähigkeit, Stärkung von Forschung und Ent-wicklung. Deswegen lege ich zusammen mit meinemfranzösischen Kollegen Michel Sapin anlässlich unseresinformellen Finanzministertreffens am Freitag undSamstag dieser Woche gemeinsame Vorschläge vor, wiewir die nationalen und europäischen Umfelder für Inves-titionen, und zwar nicht nur für Finanzierungen von In-vestitionen, sondern auch für tatsächliche Möglichkeitenfür Investitionen, verbessern können. Das ist der ent-scheidende Punkt.In diesem Zusammenhang ist auch wichtig: Die Ban-kenunion, die kurz vor ihrer Umsetzung steht – die Euro-päische Zentralbank ist gerade in der entscheidendenVorbereitungsphase für den Aufbau der EuropäischenBankenaufsicht –, wird die Leistungsfähigkeit und dieKrisenresistenz der europäischen Banken verstärken.Wir arbeiten an regulatorischen Erleichterungen fürlangfristige Investitionen durch Kapitalsammelstellen.Wir arbeiten auch an der Wiederbelebung des Marktesfür Hochqualitätsverbriefungen in Europa, der durch dieBankenkrise in Misskredit geraten ist. Wir arbeiten aneinem robusten Rahmen für Unternehmensanleihen.Auf der Ebene der G-20-Staaten entwickeln wir in derschon erwähnten Arbeitsgruppe mit Indonesien und Me-xiko Standards für Qualitätsverbriefungen von Mittel-standskrediten. Standards von Verbriefungen heißt übri-gens nicht, dass die Zentralbanken die entscheidendenKäufer für solche Verbriefungen sein müssen. Nein, wirwollen sie in erster Linie marktfähig machen – um es mitfreundlicher Zurückhaltung zu sagen.
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Ein wachstumsfreundliches Umfeld, und zwar nur einsolches Umfeld, fördert private Investitionen. Deshalbmuss jedes Land in Europa für sich selbst wettbewerbs-fähiger werden. Jedes Land muss Strukturreformen aufden Arbeitsmärkten umsetzen. Das ist schwierig zu ma-chen; das weiß ich. Die Länder, in denen das notwendigist, müssen die Leistungsfähigkeit und Effektivität ihreröffentlichen Verwaltung steigern. Das jedenfalls machtdie Länder für Investitionen attraktiver.Natürlich hilft die Leistungsfähigkeit der Verwaltun-gen auch, sicherzustellen, dass die schon bereitstehendenEU-Mittel tatsächlich abgerufen werden. Auch das istein Kapitel für sich. Das gilt gerade für das Thema Be-kämpfung der Arbeitslosigkeit und vor allen Dingen derimmer noch viel zu hohen Jugendarbeitslosigkeit in eini-gen Ländern Europas.Frau Bundeskanzlerin, Sie werden erlauben: Bereitsvor einigen Jahren haben die Staats- und Regierungs-chefs nach hartem Ringen darüber, ob 6 Milliarden Eurohierfür nicht zu wenig seien, die Einrichtung eines sofortzur Verfügung gestellten Fonds zur Bekämpfung der Ju-gendarbeitslosigkeit beschlossen. Werte Kolleginnenund Kollegen, es kann einfach nicht hingenommen wer-den, dass von diesen 6 Milliarden Euro bis heute prak-tisch nichts abgeflossen ist.
Entschuldigung, da bleibt mir fast die Stimme weg. Mankönnte auch sagen: Da bleibt einem tatsächlich das Wortim Halse stecken.
Alle sind sich einig, dass die Bekämpfung der Jugend-arbeitslosigkeit dringend ist. 6 Milliarden Euro werdenbereitgestellt, und es wird sogar gesagt, das reiche nicht.Dann aber muss man nach ein paar Jahren feststellen,dass von diesem Geld kaum etwas abgeflossen ist. Dashat etwas mit den Verwaltungsstrukturen in den betroffe-nen Ländern zu tun. Aber es ist im Übrigen auch eineHerausforderung in dieser neuen Periode von Europäi-schem Parlament und Europäischer Kommission, die Ef-fizienz des Mitteleinsatzes in Europa deutlich zu erhö-hen. Da gibt es bei der EU wirklich viel Luft nach oben.Öffentliche Investitionen in Europa müssen auf lang-fristiges und nachhaltiges Wachstum ausgerichtet sein.Sie sollten sich konzentrieren auf Forschung und Ent-wicklung, Bildung und Ausbildung, Innovationen undStart-up-Unternehmen, den digitalen Sektor, eine gute,überregionale Verkehrsinfrastruktur, die Finanzierungvon kleinen und mittleren Unternehmen und die Ener-giewende.Wir haben die Europäische Investitionsbank mit Blickauf diese Ziele gestärkt; wir haben auch ihr Kapital we-sentlich erhöht. Auch der EU-Haushalt und die europäi-schen Struktur- und Investitionsfonds müssen konse-quent auf die Zukunftsfähigkeit Europas ausgerichtetwerden.Und da wir alle einig sind, dass wir eine Energieunionund eine digitale Union in Europa brauchen – mit euro-päischer Netzwerkinfrastruktur, mit guten Bedingungenfür europäische Player im Hard- und Softwarebereich –,müssen wir in Europa einfach nur noch die Vorausset-zungen in der Regulierung dafür schaffen. Das ist eineder zentralen Aufgaben in dieser neuen Periode europäi-scher Politik.
Die Europäische Union – man kann es nicht oft genugsagen – muss sich auf das konzentrieren, was die Mit-gliedstaaten alleine nicht mehr leisten können. Das be-trifft vor allem die grenzüberschreitenden Netze vonVerkehr, Energie und Telekommunikation. Hier muss dieeuropäische Ebene leistungsfähiger werden und die re-gulatorischen Voraussetzungen dafür schaffen, dass dasweltweit ja eher im Übermaß vorhandene und anlagesu-chende Finanzvolumen tatsächlich in diesen Bereicheninvestiert wird. Das ist eine Frage der Regulierung, umdie Voraussetzungen zu schaffen, dass das Kapital auchinvestiert werden wird.Aber noch einmal: Wachstum in Europa heißt ebenauch, dass alle Staaten ihre Hausaufgaben machen. Wirhaben uns gemeinsam viel vorgenommen. Aber das, wasan Haushaltssanierungen, an Strukturreformen angekün-digt wurde – und angekündigt haben wir alle das oft –,muss auch konsequent umgesetzt werden. Es bleibt da-bei: Solange wir eine gemeinsame Währung und eine ge-meinsame Geldpolitik, aber keine gemeinsame Finanz-und Wirtschaftspolitik haben, so lange bleibt es beson-ders unverzichtbar, dass sich alle an Absprachen und Re-geln halten.Man muss daran erinnern: Viele Ökonomen haben ge-sagt, eine Währungsunion ohne gemeinsame Finanz-und Wirtschaftspolitik geht gar nicht, jedenfalls nicht aufDauer. Dann haben wir den Stabilitäts- und Wachstums-pakt geschaffen, damit es doch geht. Aber es geht nur,wenn wir uns an die Regeln halten. Das ist auch keineFrage von Sturheit oder Beliebigkeit, sondern eine Vo-raussetzung für die Stabilität unserer gemeinsamenWährung.Ein bedeutender amerikanischer Präsident hat einmaleinen Wahlkampf geführt mit dem Slogan: „It’s theeconomy, stupid!“ Wir könnten heute auch einfach sa-gen: „It’s the implementation, stupid!“ Einfach nur im-plementieren, machen, umsetzen, was man angekündigthat – darauf kommt es an. Nur dann werden wir nachhal-tig Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit Europas und sei-ner Staaten gewinnen.Wir müssen uns in dieser sich schneller und stärkerglobalisierenden Welt wirtschaftlich behaupten. UnserZiel in Deutschland und in Europa ist die Sicherung derLeistungskraft der westlichen Welt. Es geht auch umHandlungsfähigkeit in wirtschaftlichen und politischenKrisen, die uns auch in Zukunft ereilen können und si-cherlich auch ereilen werden. Es geht am Ende auch umdie Grundlagen von Sicherheitspolitik, innen- wie au-ßenpolitisch. Wir schaffen Stabilität und Berechenbar-keit; wir geben Orientierung.
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4466 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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Wenn wir in den Krisen dieser Monate – vor allem imVerhältnis zu Russland – mit unseren europäischen Vor-stellungen von Außen- und Sicherheitspolitik, wie siedie Bundeskanzlerin wieder und wieder von diesem Pultaus definiert hat, erfolgreich sein wollen – nämlich nichtEinsatz militärischer Mittel zur Durchsetzung von Inte-ressen, sondern Partnerschaft, Zusammenarbeit, Aus-tausch, freiheitlicher Wettbewerb –, dann, verehrte Kol-leginnen und Kollegen, müssen wir wirtschaftlich undgesellschaftlich stark sein – und damit attraktiv. Die Weltbeobachtet genau, ob Europa dem Anspruch, den es anandere stellt, selbst genügen wird; darauf kommt es an.Vertrauen, das die Welt in Europa hat, aber auch Ver-trauen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, das wirselbst in unsere Zukunft haben, ist letztlich die Grund-lage unserer Überzeugungskraft. Unsere Außen- undSicherheitspolitik gründet darauf, und eine stabilitäts-orientierte Finanzpolitik leistet einen kleinen, aber not-wendigen Beitrag.Herzlichen Dank.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bun-desfinanzminister, ich habe Ihnen aufmerksam zugehörtund festgestellt, dass wir in Deutschland keine Problemehaben, wenn überhaupt, nur einige Aufgaben; unsereNachbarn haben Probleme. Ich kann Ihnen eines versi-chern: Das hat mit der Lebenswirklichkeit vieler Men-schen sehr, sehr wenig zu tun.
Ich will vorab darauf eingehen, dass Sie einen Etat-entwurf ohne Neuverschuldung vorlegen. Ich sage: Re-spekt, und zwar deshalb, weil das mehrfach von IhrenVorgängern angekündigt, aber nie erreicht worden ist.Das ist jetzt der Fall. Das ist für Linke, die die schwarzeNull nicht als heilige Kuh anbeten, trotzdem sehr wohlein Ereignis.Die entscheidende Frage wird allerdings sein: Reali-sieren Sie das dann auch im Haushaltsvollzug? Denn dasist bei allen Entwürfen entscheidend. Und die zweiteFrage ist – darauf müssen wir genau achten –: Um wel-chen Preis wird die schwarze Null bzw. der Verzicht aufNeuverschuldung erzielt?Ich will als Zweites unbedingt erwähnen, dass in kür-zester Frist der zweite Haushaltsentwurf vorliegt. Dabeigebührt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in denMinisterien, besonders auch im Finanzministerium, ganzherzlicher Dank. Sie haben Tolles auch für die Opposi-tion geleistet. Ich will das deshalb voranschicken.
Meine Damen und Herren, die Linke kritisiert denHaushaltsentwurf aus folgenden Gründen:Erstens. Dieser Haushalt ist das Gegenteil von verant-wortungsvoller Politikgestaltung. Zentrale Herausfor-derungen der Politikgestaltung, das heißt die Moderni-sierung des Bildungswesens, der Infrastruktur und derEnergienetze und die Überwindung des Investitions-staus, finden sich im Haushalt nicht ausreichend wieder.Die Investitionsquote stagniert in Deutschland seit Jah-ren. Seit zehn Jahren liegen wir – teilweise um 2 bis3 Prozent – unter dem europäischen Durchschnitt.Was Sie hier dargestellt haben, ist real nur ein Tropfenauf den heißen Stein. Selbst das DIW mahnt: Die ma-rode Infrastruktur wird zur Gefahr für die Wirtschaft inDeutschland. Die Bruttoinlandsinvestitionen des Staatessind geringer als die Abschreibungen. Jedes Unterneh-men, das so agieren würde, wäre in einigen Jahren inKonkurs gegangen. Aber Sie betreiben diese Politik seiteinigen Jahren. 120 Milliarden Euro müssten in dennächsten Jahren investiert werden. Aber Sie tun viel zuwenig.Jährlich verfällt in Deutschland Infrastruktur im Wertvon 4 Milliarden Euro. Es reicht deshalb nicht aus, HerrSchäuble, zu sagen: Die Rendite ist für Unternehmen dasEntscheidende. Nein, die Rendite kann nicht der aus-schlaggebende Punkt sein. Investitionen in die Infra-struktur sind für die Menschen in diesem Lande wichtig.
Bei Ihnen finden Investitionen derzeit vor allen Din-gen auf einem Feld statt: Sie reden über die Dobrindt-Maut, und Sie sprechen hier von Verlässlichkeit und Ver-trauen. Angesichts der Maut muss ich feststellen: Das,was Sie hier aufführen, ist Kasperletheater.
Es ist konzeptionslos, ein bürokratisches Monster undverschlingt öffentliche Mittel. Was es bringen wird, weißkein Mensch. Sie verärgern sogar unsere ausländischenNachbarn, und zwar nicht nur in West und Süd, sondernauch im Osten. Das ist doch ein Riesenproblem, und dashat überhaupt nichts mit Vertrauen zu tun.
Jetzt sind Ihre Begründungen: Seehofer muss liefern.Sie wollen nicht das Schicksal der FDP teilen. – Wassind das denn für Argumente bei diesem doch so wichti-gen Thema? Hören Sie auf mit diesem Unsinn! DieKanzlerin hat doch im Rededuell mit Steinbrück gesagt:Die Maut wird nicht kommen. Das war doch eine rich-tige Äußerung. Jetzt wird in den Debatten darüber dau-ernd der Koalitionsvertrag als Begründung genannt.Aber ob ich die Wehrpflicht, den Atomausstieg oderÄhnliches nehme: Sie haben schon oft Koalitionsver-träge gebrochen. Hören Sie auf mit dem Unsinn derMaut! Das verärgert nur die Menschen in diesem Land.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014 4467
Dr. Dietmar Bartsch
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Zweitens. Haushaltsrisiken scheinen für Sie einFremdwort zu sein. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Un-ser Grundsatz heißt: ‚Kein Finanzmarkt, kein Finanzpro-dukt, kein Finanzmarktakteur ohne Aufsicht‘.“ Das Ge-genteil ist der Fall. Die Sparkassen und Volksbankenregulieren Sie. Die müssen immer mehr Leute einstellenund werden schon irre ob der Regulierung. Aber bei denGroßen rollt die Kasinokugel weiter. Bei den Invest-mentbankern haben Sie fast nichts gemacht.
Sie können doch nicht die Kleinen totregulieren und beiden anderen mehr oder weniger nichts machen. Das istdoch ein Riesenproblem.
Nun war gestern wieder von der Finanztransaktion-steuer die Rede. Es ist wunderbar, dass hier noch mehrDruck entsteht. Wir haben das damals in den Bundestageingebracht. Tun Sie etwas auf europäischer Ebene! Siehaben unsere Unterstützung. Wann wird die Trans-aktionsteuer endlich eingeführt? Dann kommt doch Geldin die Kassen, und die Transaktionen auf dem Finanz-markt werden etwas verlangsamt.
Kommen wir zu den Haushaltsrisiken. Wenn ich dasrichtig gelesen habe, ist das Bruttoinlandsprodukt inDeutschland im zweiten Halbjahr zurückgegangen. Ist daskein Problem? Die Bauinvestitionen sind um 4,2 Prozentzurückgegangen. Im Bereich der Ausrüstungen ist einRückgang um 0,4 Prozent zu verzeichnen. Der Ifo-Ge-schäftsklimaindex ist zum dritten Mal in Folge gefallen.Das sind doch reale Probleme und Risiken. Im Übrigenführen die Wirtschaftssanktionen gegen Russland, diewir für grundsätzlich falsch halten, natürlich dazu, dassdie Exporte nach Russland zurückgegangen sind, insbe-sondere in den neuen Bundesländern. In meinem Hei-matland Mecklenburg-Vorpommern sind beispielweisedie Exporte von Fleisch, Milch, Gemüse und Käse deut-lich zurückgegangen. Das ist ein Problem. Das mussman wenigstens reflektieren.
Das Agieren Deutschlands in den aktuellen Krisen-herden wie dem im Irak macht deutlich – ich will auf diepolitische Debatte gar nicht detailliert eingehen –: Daswird immens viel Geld kosten. Dieses Geld ist teilweisevöllig falsch angelegt. Zu diesem Schluss komme ichinsbesondere dann, wenn ich mir die Debatte vor Augenführe, dass der Verteidigungsetat ob dieser Risiken er-höht werden soll.
Mit diesem Kurs gefährden Sie aufs Gröbste die Zukunftdes Landes.
Drittens. Sie haben keine gesellschaftliche Vision vonunserem Land. Sie versprechen im Koalitionsvertrag:„Unser Maßstab für eine erfolgreiche Politik ist die Le-bensqualität der Menschen …“ Wenn dem doch nur sowäre, dann wäre es wunderbar.
Aber vieles, was Sie im Koalitionsvertrag niederge-schrieben haben, bleibt folgenlos, wird wie zum Beispielbei der Mütterrente völlig falsch finanziert oder führt,wie das Betreuungsgeld zeigt, zu den vorausgesagtenvöllig negativen Entwicklungen.
Sie haben versprochen: „Wir wollen: Gute Arbeit füralle – sicher und gut bezahlt“. Was sagen Sie den2,9 Millionen Arbeitslosen und insbesondere den über1 Million Langzeitarbeitslosen in diesem Land, derenZahl im Vergleich zum vergangenen Jahr um 1 Prozentgestiegen ist, oder den 500 000 Menschen, die im Alteroder aufgrund von Erwerbsminderung auf Grundsiche-rung angewiesen sind? Nennen Sie das gute Lebensqua-lität der Menschen? Nein, das kann man nicht so nennen.Das hat überhaupt nichts mit Gerechtigkeit zu tun.
Außerdem geht die Schere zwischen Arm und Reichin unserem Land immer weiter auseinander. Wenn die500 reichsten Deutschen über ein Vermögen von615 Milliarden Euro verfügen – das ist das Doppelte desBundeshaushalts –, dann wissen Sie genauso gut wie ich,dass da etwas nicht in Ordnung ist. Da muss man dochetwas tun. Angesichts dessen muss man doch über Ver-teilungsgerechtigkeit reden.
Man kann dann nicht einfach sagen: Steuern erhöhen wirauf keinen Fall. – Vielmehr muss man diese Vermögen-den zur Kasse bitten. Wie ich höre, denken Sie über dieAbschaffung des Solidaritätszuschlags nach. Darüberkann man sicherlich reden. Aber das muss gegenfinan-ziert werden, und zwar von denjenigen, die von derKrise profitiert haben. Bei diesen ist schließlich etwas zuholen.
Was ist denn daran gerecht, wenn in den vergangenen15 Jahren die Produktivität um 16 Prozent gestiegen ist,die Tariflöhne aber statistisch gesehen nur um 10 Pro-zent zugelegt haben? Da läuft doch etwas schief. DieVermögen werden immer größer. Ein Drittel der Men-schen hat kein Vermögen oder hat Schulden, während1,1 Millionen Menschen Vermögensmillionäre sind. Daist etwas schief in Deutschland. Die Schere geht immerweiter auseinander. Angesichts dessen darf man nichtnur zuschauen, sondern muss etwas dagegen tun, auchim Haushalt.
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4468 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Dr. Dietmar Bartsch
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Sie sagen immer: Der soziale Etat ist der größte, undwir tun doch so unsagbar viel.
– Ja, es ist richtig, dass der Sozialetat mehr als die Hälftedes Bundeshaushalts ausmacht. Das wissen die Haushäl-ter aller Fraktionen.
Das ist das Ergebnis von Politik. Diese hohen Sozialkos-ten sind das Ergebnis Ihrer Politik, die so viel Bedürftig-keit und Not produziert. Das ist die Ursache für diesenhohen Etat.
Haushaltspolitik darf nicht einer imaginären schwar-zen Null geopfert werden. Eine Politik um der schwar-zen Null willen, die die Schulden von heute in kaputteStädte und Gemeinden, marode Gesundheits-, Kultur-und Bildungseinrichtungen unserer Enkel tauscht, ist derfalsche Weg. Es ist keine Neuverschuldung notwendig,wir können das finanzieren, wenn wir eine andere Steu-erpolitik betreiben. Wir wollen keine allgemeinen Steu-ererhöhungen und auch nicht den Weg in den Schulden-staat beschreiten. Das Gegenteil ist der Fall.Lassen Sie uns die Haushaltsberatungen nutzen, da-mit sinnvolle Vorschläge Ihren Entwurf hin zu mehr so-zialer Gerechtigkeit relevant verändern können.Danke schön.
Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Carsten
Schneider das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mitdem Haushalt 2015, den die Regierung hier eingebrachthat, beginnt eine Zeitenwende. Es ist der erste Bundes-haushalt seit mehreren Jahrzehnten, mit dem der Versuchunternommen wird – ich hoffe, wir werden es auchschaffen –, die Neuverschuldung nicht nur zu reduzie-ren, sondern sie gänzlich auf null zu setzen. Das hat esseit 1969 nicht mehr gegeben.Wir als Sozialdemokraten haben uns im Regierungs-programm zur Bundestagswahl vorgenommen, genaudies zu erreichen. Wir haben 2009 in der Großen Koali-tion hier im Bundestag die Schuldenbremse mit be-schlossen, und wir werden sie vorfristig, nämlich schonim Jahr 2015, erreichen. Das ist ein Quantensprung, aufden wir Sozialdemokraten stolz sind.
Dies wird von einer breiten Mehrheit im DeutschenBundestag, von den Kollegen der Union und, wie ich ge-hört habe, auch von der Linkspartei und, wie ich ver-mute, grundsätzlich auch von den Grünen, getragen.Über den Weg dahin streiten wir.Es ist richtig, Kollege Bartsch, dass wir in der Steuer-politik, gerade was die Verteilungsfrage betrifft, Unter-schiede in der Koalition haben. Wir haben uns nicht aufalle Punkte einigen können, die Bestandteil unseres Re-gierungs- und Wahlprogramms waren. Das bleibt einerpolitischen Entscheidung im Anschluss an die nächsteBundestagswahl vorbehalten.Trotzdem haben wir die Wachstumskräfte, die inDeutschland derzeit die Konjunktur stützen und für diegute Entwicklung verantwortlich sind, nämlich die Bin-nennachfrage, extrem gestärkt. Das Wichtigste dabei istdie ab dem 1. Januar 2015 beginnende Einführung desgesetzlichen Mindestlohns. Er wird allein in meinemHeimatland Thüringen für über ein Drittel der Beschäf-tigten für die größte Lohnerhöhung sorgen, die diese Be-schäftigten jemals erreicht haben. Das ist ein Fortschritt,auf den wir Sozialdemokraten stolz sind.
Aber nicht nur der Mindestlohn wird eine Stütze derKonjunktur sein und zu höheren Steuereinnahmen füh-ren, sondern auch die Tarifabschlüsse. Nun weiß ichnicht, Kollege Bartsch, ob die von Ihnen genannten Zah-len inflationsbereinigt waren oder nicht. Wahrscheinlichwaren sie inflationsbereinigt,
was die Steigerung betrifft. Nichtsdestotrotz sehen auchwir, ähnlich wie die Deutsche Bundesbank, Luft nachoben, was die Lohnentwicklung betrifft. Die Tarif-abschlüsse müssen in den nächsten Jahren höher werden,und der Anteil der Arbeitnehmer an der gesamtwirt-schaftlichen Leistung muss gerechter ausfallen; das istgar keine Frage.
Ja, wir haben auch eine Diskussion über die Zukunfts-investitionen. Ich finde, völlig zu Recht; denn die Ana-lyse, dass wir in weiten Teilen von der Substanz lebenund die öffentliche, aber auch die private Investitionsbe-reitschaft – Stichwort „Kapitalstock der Unternehmen“ –schwach ist, ist nicht neu. Ich würde sie auch nicht in-frage stellen. Ich glaube viel eher, dass sie richtig ist unddass wir darauf Antworten geben müssen.Wir tun das in Teilen durch die Verabredung im Ko-alitionsvertrag, was die Investitionen im Bereich Ver-kehr betrifft – 5 Milliarden Euro mehr – und was denBildungsbereich betrifft – 6 Milliarden Euro mehr; hinzu
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014 4469
Carsten Schneider
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kommen 3 Milliarden Euro mehr für Forschungsausga-ben. Das ist ein klarer Trend nach oben. Die Zukunfts-ausgaben werden verstetigt, aber das wird sicherlichnicht ausreichen.Aus diesem Grund unterstütze ich grundsätzlich dieÜberlegungen sowohl des Bundeswirtschaftsministersals auch des Bundesfinanzministers, das enorme Sparka-pital, das in Deutschland zur Verfügung steht, für Inves-titionen zu akquirieren, sei es in Unternehmen, sei es indie öffentliche Infrastruktur, also da, wo es um Nutzer-finanzierung geht. Ich halte die Diskussion über dieGründe, die 2008 in die Finanzkrise geführt haben, näm-lich dass die Überschüsse, die wir hier erwirtschaftet ha-ben, ins Ausland exportiert und nicht in Deutschland in-vestiert wurden, für absolut überfällig.Wir brauchen die hiesigen Unternehmensgewinneund die hiesige Sparquote für Investitionen in Deutsch-land, damit wir zukunftsfähig bleiben.
Wir wollen nicht wieder die Situation erleben, dass Le-bensversicherungen, Banken und andere Kapitalanlegerihre hier erwirtschafteten Ersparnisse im Endeffekt imAusland anlegen. Ich verweise auf die Geldverluste, diewir bei den amerikanischen Subprime-Papieren erlebthaben. Von daher, Herr Minister, sehe ich die Wiederbe-lebung des ABS-Marktes, also des Marktes für forde-rungsbesicherte Wertpapiere, kritisch.
Sicher ist es so, dass die mit Unternehmenskreditenbesicherten Papiere nicht in dem Maße gehandelt wor-den sind wie andere. Nur, wer kontrolliert das? Ichglaube, dass wir die Chance viel besser nutzen müssen,die Bereinigung des Bankensektors im Verlaufe diesesJahres durch eine unabhängige, qualifizierte Prüfungdurch die europäische Bankenaufsicht, also durch dieEuropäische Zentralbank, vornehmen zu lassen. Wirmüssen dafür sorgen, dass die sogenannten Zombieban-ken, die nur noch durch das billige Geld der EZB am Le-ben erhalten werden, aber nicht mehr dafür sorgen, dassneu gegründete Unternehmen, die Innovationen vorneh-men, finanziert werden, vom Markt verschwinden. Dasheißt für Deutschland im Zweifel: kritische Eingriffe.Sie sind aber notwendig, um den Steuerzahler langfristigvor weiteren Schäden zu bewahren und außerdem umzusätzliche Wachstumsimpulse zu schaffen.Herr Minister, ich finde, Sie haben zu Recht auf dieInitiative zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeithingewiesen. Es bringt nichts, große Summen – hier6 Milliarden Euro – in den Raum zu stellen, die im End-effekt nicht abfließen. Ja, wir als Exportnation – heutehieß es, dass wir im letzten Monat Exporte im Wert vonüber 100 Milliarden Euro getätigt haben; das zeigt, dasswir immer noch eine Exportnation sind; wir sollten alsoden Teufel nicht an die Wand malen – haben ein großesInteresse daran, dass der europäische Binnenmarkt funk-tioniert, dass unsere Partner in Frankreich und Italienüber eine stabile Wirtschaftsentwicklung verfügen kön-nen. Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir die vorgege-benen Spielräume innerhalb des Stabilitäts- und Wachs-tumspaktes nutzen. Das heißt: Strukturreformen und imGegenzug mehr Zeit beim Defizitabbau. Das Gleiche ha-ben wir in Deutschland in den Jahren 2005 und 2006 inder Großen Koalition gemacht, und zwar erfolgreich. Icherinnere daran, dass wir damals das höchste Haushalts-defizit hatten, und dagegen sind wir mit wirklichenStrukturreformen angegangen.Mit Herrn Renzi und Herrn Hollande haben wir es miteinem Ministerpräsidenten und einem Präsidenten zutun, die solche Reformen – vielleicht zu spät – in Angriffnehmen. Wir als Deutscher Bundestag haben das größteInteresse daran, dass die beiden Länder Italien undFrankreich stabil bleiben, dass sie wirtschaftlich voran-kommen und dass dort keine Extremisten an die Machtkommen. Deswegen sollten wir sie auf ihrem Weg un-eingeschränkt unterstützen.
Herr Minister, meine Damen und Herren, ich will aufeinen letzten Punkt eingehen: auf die Besteuerung desFinanzsektors. Die heutige Haushaltsdebatte ist in die-sem Zusammenhang bereits ein Anfang. Bisher mussman sagen: Da tut sich nichts. Wir werden das Banken-insolvenzrecht mit der Schaffung der Europäischen Ban-kenunion ändern. Das wird uns im Herbst dieses Jahreshier im Deutschen Bundestag beschäftigen. Das Ganzeist ein richtiger Schritt. Aber klar ist auch, dass die Kos-ten der Krise, die auch wir in Deutschland zu schulternhaben, vom Steuerzahler getragen wurden. Der Finanz-sektor hat dazu keinen Beitrag geleistet. Im Gegenteil:Die zukünftig auszugestaltende Bankenabgabe – siewird zu leisten sein, wenn auf europäischer Ebene eineBank pleitegeht – bedeutet, dass der Finanzsektor dieKosten dafür tragen muss.In Deutschland ist diese Abgabe nicht steuerabzugs-fähig, in anderen europäischen Ländern schon. Ähnlichist es mit der Finanztransaktionsteuer. Ihre Einführungwar die Voraussetzung für die Zustimmung der SPD undauch der Grünen zum europäischen Fiskalpakt. Ich er-warte diesbezüglich substanzielle Fortschritte auf euro-päischer Ebene, damit wir diejenigen, die die Krise mitverursacht haben, tatsächlich an den Kosten ihrer Bewäl-tigung beteiligen.
Das ist eine Frage der öffentlichen Legitimation von De-mokratie.Ich sage das auch in Richtung Frankreich und Italien;beide Länder spielen in diesem Bereich eine Schlüssel-rolle. Diese Länder dürfen nicht nur fordern, dass wir ih-nen beim Defizitabbau und bei der Wachstumsstimulie-rung helfen, sondern sie müssen auch die Lobbyisten zurSeite drängen und gemeinsam mit uns dafür sorgen, dasswir eine gerechtere Besteuerung des Finanzsektors inDeutschland zustande bringen.
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4470 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Carsten Schneider
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Sie haben dazu, Herr Minister, die volle Unterstützungdes Deutschen Bundestages. Wenn wir das bis Ende desJahres nicht schaffen sollten, werden wir sehr wohl über-legen müssen, ob wir dazu nicht national Regelungentreffen und vorangehen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Kindler für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Minister Schäuble! Wir habenes hier auch gerade in der Haushaltsdebatte gehört: DieGroße Koalition lobt sich selbst für den Haushalt 2015.
Aber wir müssen als Haushälter beim Haushalt natürlichauch ins Detail gucken. Wenn wir ins Detail gucken,dann sehen wir: Es gibt drei zentrale Defizite in diesemHaushalt: Das erste ist das Hoffen auf die gute Konjunk-tur. Zweitens. Es gibt kaum Investitionen. Dieser Haus-halt lebt von der Substanz. Das dritte ist der unsozialeGriff in die Rentenkasse und in den Gesundheitsfonds.Das ist wahrlich kein Grund, sich selbst zu loben. Das istwaghalsig. Das ist zukunftsvergessen.
Mit diesem Haushalt 2015 wollen Sie keine neuenSchulden mehr bei den Banken aufnehmen, aber Sienehmen neue Schulden bei der Infrastruktur auf. Sienehmen neue Schulden bei der Zukunft auf, weil Siekaum investieren. Sie nehmen neue Schulden bei denKrankenkassen auf. Sie nehmen neue Schulden bei derRentenversicherung auf. Ihr Haushalt, Herr Schäuble,hat eine große versteckte Verschuldung.
Schauen wir uns die drei zentralen Defizite doch ein-mal konkret an:Erstens. Das Hoffen auf die Konjunktur. Sie profitie-ren enorm von der guten Konjunktur, von den historischniedrigen Zinsen, von den guten Steuereinnahmen, undSie gehen davon aus, dass das alles so rosarot bleibt bis2018. Sie rechnen mit jährlich 3,8 Prozent Steigerungbei den durchschnittlichen Steuereinnahmen. Schondann, wenn man nur einen halben Prozentpunkt wenigerannimmt, 3,3 Prozent, haben Sie eine große Lücke von14 Milliarden Euro im Finanzplan.Herr Schäuble, Sie haben selber darauf hingewiesen:Es gibt international viele große Krisen, in Syrien, imIrak, in der Ukraine und anderswo. Das alles kann Aus-wirkungen auf Unternehmen, auf die Konjunktur haben.Schon die Steuerschätzung im Mai hat nach unten ge-wiesen und gezeigt, dass man sich eigentlich nicht aufdie gute Konjunktur verlassen kann. Aber in IhremHaushalt ist keine Vorsorge getroffen. Es sind keine Ri-siken eingepreist. Das hat nichts mit einer seriösenHaushaltsplanung zu tun.
Das hat vielmehr damit zu tun, dass Sie strukturellnicht an diesen Haushalt ranwollen. Sie wollen keinestrukturellen Reformen machen. Sie wollen auch nichtwirklich gerechte Ausgabenkürzungen vornehmen. Siewollen nicht an den Subventionsabbau ran, wodurchman Milliarden Euro, gerade im umweltschädlichen Be-reich, einsparen könnte. Sie wollen nicht an gerechteEinnahmeverbesserungen ran.
Sie wollen nicht darangehen, diesen Haushalt wirklichstrukturell zu konsolidieren. Aber wir brauchen keine ro-sarote Haushaltspolitik; wir brauchen eine strukturelle,eine engagierte Haushaltspolitik.
Das zweite große Defizit, das zentrale Defizit in die-sem Haushalt, ist die versteckte Verschuldung bei denInvestitionen. Dieser Haushalt lebt von der Substanz.Die Investitionsquote sinkt im Finanzplan bis 2018 auf8 Prozent. Deutschland hat jetzt schon eine der niedrigs-ten Investitionsquoten weltweit. Das stellt man fest,wenn man die Volkswirtschaften vergleicht. Damit ver-schulden Sie sich massiv. Investitionen, die Sie heutenicht tätigen, sind die Kosten und Schulden von morgenund übermorgen.
Das Vermögen des Staates sinkt dadurch, die versteckteVerschuldung steigt – und das trotz Ihrer sehr optimisti-schen Annahmen bei den Steuermehreinnahmen.Wenn wir uns das einmal anschauen, stellen wir fest:Sie rechnen von 2014 bis 2018 im Finanzplan in derSumme mit 111 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen.Nur, es ist völlig unklar, wo das Geld eigentlich bleibt.Es versickert im Etat, ohne Gestaltungsanspruch, ohnePrioritäten. Es ist nicht klar, wo das Geld bleibt. Es istnur klar, dass es eben nicht investiert wird. Die Investi-tionsquote sinkt auf 8 Prozent, und das ist ein echtes Ar-mutszeugnis der Bundesregierung. Das ist nicht genera-tionengerecht.
Was heißt das konkret? „Unterlassene Investitionen“,das klingt sehr haushaltstechnisch. Aber diese unterlas-senen Investitionen haben sehr reale Auswirkungen aufdie Bürgerinnen und Bürger, auf unsere Gesellschaft, aufdie Unternehmen in diesem Land. Jede zweite Brücke istsanierungsbedürftig, ist baufällig. In Zukunft müssen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014 4471
Sven-Christian Kindler
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viele Bahn- und Straßenbrücken gesperrt werden, wennsie jetzt nicht saniert werden.Wir wissen auch: Jeder dritte Bürger in diesem Landhat kein schnelles Internet. Das ist gerade für die Men-schen im ländlichen Raum ein großes Problem, weil siesozialökonomisch abgehängt werden.In den Schulen bröckelt der Putz von der Decke. Esgibt nicht genug Ganztagsplätze. Darunter leiden Kinderund Eltern.Die Investitionen in den Klimaschutz und in die Ener-giewende werden drastisch zurückgefahren. Das führtdazu, dass das Klima weiter zerstört wird. Das führtdazu, dass Arbeitsplätze im Handwerk und im Mittel-stand gefährdet werden.Von außen hat dieser Haushalt eine polierte, glän-zende Fassade, dahinter bröckelt es gewaltig. Das Fun-dament wackelt gewaltig. Sie fahren diese Gesellschaftauf Verschleiß. Das ist eine Versündigung an unserer Zu-kunft.
Vor meiner Zeit im Bundestag habe ich im Unterneh-menscontrolling eines Industriebetriebes gearbeitet. Ichsage Ihnen: Mit einer solchen Unternehmensstrategie,mit einer solchen Finanzpolitik kann kein Unternehmenmittelfristig überleben.Wenn wir uns den Haushalt anschauen, dann sehenwir, dass wir ein gutes Marketing, eine gute PR-Abtei-lung haben. Aber in der Forschungs- und Entwicklungs-abteilung fehlt das Geld. Es wird nicht in die Mitarbeiterinvestiert. Die Maschinen in der Werkshalle sind kaputtund werden bald zerfallen. Die Buchhaltung muss krea-tive Buchführung machen und den Haushalt und die Bi-lanz für die Gesellschafter ordentlich schönen. Mit einersolchen Geschäftspolitik kann kein Unternehmen mittel-fristig überleben. Da geht jedes Unternehmen mittelfris-tig insolvent. Ihre Bilanz, Herr Schäuble, ist einfachnicht ehrlich. Ihr Haushalt lebt von der Substanz.
Ich komme zum dritten großen Defizit Ihres Haushal-tes. Sie greifen mit vollen Händen in den Gesundheits-fonds und in die Rentenkasse. Die Rentenreformen derGroßen Koalition führen erstens nicht dazu, dass dasProblem Altersarmut gelöst wird, sie führen aber zwei-tens dazu, dass die Rentenkasse bis 2018 leer ist. Dasgroße schwarze Loch hinterlassen Sie der nächsten Re-gierung. So droht ein sinkendes Rentenniveau bei stei-genden Beitragssätzen. Das ist eine große versteckteVerschuldung bei der Rentenkasse. Dies alles wird unsnoch teuer zu stehen kommen.
Und Sie greifen für den Haushalt 2015 ungeniert inden Gesundheitsfonds mit 2,5 Milliarden Euro und neh-men damit Schulden bei den Krankenkassen auf. Daswird massive Auswirkungen auf die Beitragszahlerinnenund Beitragszahler haben. Schon jetzt hat ein Drittel al-ler Kassen angekündigt, dass sie 2015 Zusatzbeiträge fürdie Versicherten erheben wollen. Sie finanzieren diesenHaushalt auf dem Rücken der einfachen Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer. Das ist extrem unsozial.
Mit diesem Haushalt produzieren Sie ganz viele Ver-lierer. Wer sind die Verlierer Ihrer Haushaltspolitik? DieVerlierer sind die Kinder und Jugendlichen, denen es anguter Bildung und Betreuung fehlt. Die Verlierer sind diegesetzlich Krankenversicherten, die bald Zusatzbeiträgezahlen müssen. Die Verlierer sind Beschäftigte mit klei-nen und mittleren Einkommen, die nachher die Zechezahlen werden. Die Verlierer sind aber auch Unterneh-men, deren Transportwege kaputt sind und die im ländli-chen Raum keinen Zugang zu schnellem Internet haben.Die Verlierer sind die Kommunen, deren versprocheneEntlastung von 5 Milliarden Euro auf 2018 verschobenwird. Die Verlierer sind das Klima und die Umwelt, dieweiter zerstört werden. Die Verlierer sind auch dieFlüchtlinge in vielen Kriegen der Welt, weil humanitäreHilfe nicht ausreichend bereitgestellt wird.
Angesichts dieser vielen Verlierer Ihrer Haushalts-politik fordere ich Sie auf, die Haushaltsberatungen für2015 für Verbesserungen zu nutzen. Hören Sie auf, sichselbst zu loben und sich selbst zu feiern. Gehen Sie diezentralen Defizite im Haushalt an. Wir werden Ihnendazu solide und durchfinanzierte Alternativen vorlegen.Vielen Dank.
Ralph Brinkhaus erhält nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist janotwendig, dass die Opposition den Haushaltsentwurfkritisiert, aber zwei Dringe fand ich sehr befremdlich.Herr Bartsch von den Linken: Habe ich Sie richtig ver-standen? Sie kritisieren die Russland-Sanktionen, weilsie die Wirtschaftskraft in Deutschland beschädigen?
Selbst als Wirtschafts- und Finanzpolitiker muss ich sa-gen: Es gibt Dinge auf der Welt, die wichtiger sind alswirtschaftliches Wachstum.
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4472 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Ralph Brinkhaus
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Herr Kindler von den Grünen, ich finde es drollig,dass die Grünen kritisieren, wir würden hier in Deutsch-land nicht genug investieren. Ich nehme in meinem Hei-matbundesland Nordrhein-Westfalen wahr, dass dort dergrößte Investitionsverhinderer Ihr grüner Bundesum-weltminister Remmel ist.
Wenn wir über Investitionen reden, dann müssen wiruns auch die Rahmenbedingungen ansehen. Was Sie dabetreiben, ist schon aller Ehren wert. Ich glaube, so vielkönnen wir gar nicht falsch machen, wie Sie es an derStelle tun.Ich wollte eigentlich auf etwas anderes hinaus. DieFußballweltmeisterschaft hat stattgefunden. Wir habensie gewonnen und haben richtig gefeiert – die einen inRio und die anderen hier in Deutschland. Wenn wir inder Wirtschaft einen schönen Abschluss tätigen, dannwird gefeiert. Wenn in der Familie ein gutes Ereignisstattfindet, dann wird gefeiert. Wann feiert eigentlich diePolitik einmal das, was gut läuft? Wann freut sich diePolitik eigentlich, wenn etwas richtig gut läuft?
Es ist doch so: Jedes Mal, wenn etwas gut gelaufenist, wenn zum Beispiel die Beschäftigungssituation gutist, wir wirtschaftlich stark sind oder wir einen ausgegli-chenen Haushalt haben, dann rennen hier alle mit einerLeichenbittermiene durch die Gegend und reden von dernächsten Katastrophe und von den schlimmen Dingen,die da kommen. Es sollte unabhängig davon, welcherPartei wir angehören, zu unserem Selbstverständnis ge-hören, dass wir uns auch einmal freuen, wenn etwas gutgelaufen ist. Ich glaube, heute ist ein Anlass dazu.
Diese Freude manifestiert sich in drei Zahlen:299,5 Milliarden Euro, 299,5 Milliarden Euro und 0 Euro.Das sind die Einnahmen, die Ausgaben und die Nettokre-ditaufnahme von 0 Euro. Ich kann nur das wiederholen,was ich auch anlässlich der Einbringung des Haushalts2014 gesagt habe: Generationen von Finanzministernwären froh gewesen, wenn sie heute hier an der Stellevon Wolfgang Schäuble gesessen hätten.
Ein Finanzminister – diese Spitze muss ich als Nord-rhein-Westfale einfach bringen – wäre besonders frohgewesen, und zwar Herr Walter-Borjans, der nämlichüberhaupt nicht mit dem, was er in Nordrhein-Westfalenhat, klarkommt.Dieser ausgeglichene Haushalt ist zustande gekom-men, obwohl wir weder Steuern erhöht noch neue einge-führt haben. Dieser ausgeglichene Haushalt ist zustandegekommen, obwohl wir Kommunen und Länder im mitt-leren zweistelligen Milliardenbereich entlastet habenund entlasten werden. Dieser Haushalt ist zustande ge-kommen, obwohl wir in ganz wichtigen Zukunftsberei-chen – Herr Kollege Schneider hat es gerade erläutert –nicht gespart haben, sondern zum Beispiel im BereichBildung und Forschung draufgelegt haben. Meine Da-men und Herren, das ist aller Ehren wert.
Es wurde gemeinhin kritisiert, dass der Haushalt mitRisiken behaftet ist. Ja, mein Gott! Ist das je anders ge-wesen? Gab es je einen Haushalt, der nicht mit Unsi-cherheiten und Risiken behaftet war? Das ist doch im-mer so. Zukunft hat nun einmal die Eigenschaft, dass sieunsicher ist. Die Tatsache, dass es Risiken gibt, ist nichtdas Entscheidende. Das Entscheidende ist, wie wir mitdiesen Risiken umgehen und was wir daraus machen.Man kann die Risiken benennen – sie sind von denRednern alle aufgeführt worden –: Natürlich gibt es einkonjunkturelles Risiko. Das heißt, wir müssen uns nochmehr anstrengen, damit die Wirtschaftskraft in diesemLand erhalten bleibt. Das gilt insbesondere für den Ar-beitsmarkt. Der Haushalt ist vom Arbeitsmarkt abhän-gig. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir viele Men-schen in Brot und Arbeit bringen. Natürlich haben wirein niedriges Zinsniveau. Wenn ich mir angucke, was dieEZB momentan so treibt, dann denke ich, dass es nochlange Zeit so niedrig bleiben wird.Es gibt auch noch andere Risiken. Momentan wirdzum Beispiel höchstrichterlich über die Brennelemente-steuer entschieden. Damit müssen wir uns beschäftigen.Wir können auch nicht länger das machen, was wir inden vergangenen Jahrzehnten gemacht haben, nämlichdie Friedensdividende ernten und den Verteidigungs-haushalt zur Spardose des Bundeshaushaltes machen.Das geht nicht.Es wäre skandalös – das ist ganz richtig; das ist ebenangesprochen worden –, wenn wir die Menschen, die hu-manitäre Hilfe brauchen, im Stich lassen, weil wir sagen:Wir interessieren uns nur für uns. – Das geht nicht, unddas muss auch im Haushalt abgebildet werden. Das istalles ganz richtig.
Wir müssen auch über unsere Investitionen nachden-ken. Das gilt sowohl für Investitionen im Bereich der di-gitalen Welt und der Energienetze als auch im Bereichder Verkehrsinfrastruktur. Ich bin froh, dass wir diesbe-züglich neue Wege gehen. Man sollte aber bei aller Kri-tik – auch wenn sie berechtigt ist – eines nicht aus demAuge verlieren: Wir haben nicht die Infrastruktur einesEntwicklungslandes. Wir gehören immer noch zu denTop Ten dieser Welt. Wir müssen nur dafür sorgen, dassdas so bleibt.Es ärgert mich schlichtweg, wenn vonseiten der Zei-tungen so getan wird, als wenn dieses Land in den nächs-ten zehn Minuten auseinanderfällt. Das ist schlichtwegnicht wahr. Das stellt auch das, was in der Vergangenheitvernünftigerweise an Investitionen getätigt wurde, in einschlechtes Licht. Das ist falsch.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014 4473
Ralph Brinkhaus
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Jetzt kann man sich überlegen, wie man mit diesenHerausforderungen umgeht.
Da gibt es zum einen eine Antwort aus dem letzten Jahr-hundert, die uns zu dem Elend geführt hat, das wir heutebei vielen Haushalten dieser Welt haben: Wenn man einProblem auf der Ausgabenseite hat, dann erhöht man dieEinnahmen, indem man sich mehr verschuldet oder dieSteuern erhöht. – Das ist ziemlich unintelligent und wirdder Gestaltungsfähigkeit von uns Haushältern – ichschaue Norbert Barthle und Johannes Kahrs an – nichtgerecht. Ich glaube, dass wir das besser können; wir kön-nen andere Antworten geben. Wenn das die Politik ausdem letzten Jahrhundert, wenn das Haushalt 1.0 war,dann können wir auch Haushalt 4.0 machen.Haushalt 4.0 heißt, dass wir einfach mal intelligentereFragen stellen, dass wir uns die Frage stellen, wie wirdie vorhandenen Mittel, die wir jedes Jahr ausgeben,besser einsetzen können, sodass wir die Aufgaben bessererfüllen und mehr erreichen können.
Meine Damen und Herren, diese Frage wird leider vielzu selten gestellt.
Ich gebe Ihnen einige Beispiele dafür:Erstes Beispiel: Priorisierung. Wo gibt es eine Priori-sierung der Themen, die uns jetzt wirklich wichtig sind?Sind wir bereit, für die Sachen, die uns wirklich wichtigsind, an anderer Stelle Opfer zu bringen? Wir haben dasan einer Stelle hervorragend durchexerziert: Wir habenin den letzten Jahren Bildung und Forschung im Bundes-haushalt priorisiert. Wir haben gesagt: Wir sparen an vie-len Stellen, aber dort gibt es einen Mittelaufwuchs. –Das war eine Priorisierung, wie wir sie auch in anderenBereichen brauchen.Zweites Beispiel: Effizienz. Wie effizient setzen wirdenn eigentlich unsere Mittel ein? Fangen wir mit demStraßenbau an: Wie effizient sind unsere Raumord-nungs- und Planfeststellungsverfahren? Was verlierenwir da? Was ist die Zusatzlast, die im Straßenbau durchgut gemeinte Umweltmaßnahmen entsteht? Ich will nureines sagen: Eine Grünbrücke kostet 3 bis 6 MillionenEuro; damit können wir auch 1 Kilometer Autobahnbauen.Wie sieht es eigentlich mit den Ausschreibungsver-fahren in Deutschland aus? Sind sie effizient, oder brin-gen sie mittlerweile Nachteile für die Wirtschaft hier?Wie sieht es mit den Bewirtschaftungskosten und ähnli-chen Sachen aus? Da ist noch viel Luft.Zur Effizienz in der Beschaffung. Wir alle wissen,dass wir beispielsweise im Bereich des Bundesverteidi-gungsministeriums Beschaffungsprobleme haben. Ichmeine, das kann man an dieser Stelle nicht verschwei-gen; das können wir besser. Ich bin sehr froh, dass un-sere Bundesverteidigungsministerin genau das jetzt zumSchwerpunkt ihrer Arbeit macht.
Das ist richtig und gut.Dritter Bereich: soziale Ausgaben. Wir schlagen uns– auch das ist angesprochen worden – mit dem Problemder Langzeitarbeitslosigkeit herum; wir schaffen esnicht, sie zu senken, obwohl wir dort Milliarden reinste-cken. Sie als Haushälter wissen: Leider stecken wir vielzu viel in die Verwaltung und viel zu wenig in Maßnah-men, die direkt bei den Langzeitarbeitslosen ankommen.Auch da haben wir Potenzial nach oben.
Meine Damen und Herren, es gibt viele Bereiche, indenen wir mit unseren Mitteln effizienter umgehen kön-nen, als wir es bisher getan haben. Es ist natürlich unbe-quem, da heranzugehen. Es ist viel einfacher, zu sagen:Na, machen wir doch ein bisschen mehr Schulden, unddann wird das alles schon irgendwie funktionieren. –Das hier ist der unbequeme Weg, der untere Weg, dersteinige Weg; aber wenn wir seriös arbeiten wollen, dannmüssen wir diesen Weg gehen.
Wir müssen uns auch fragen, ob wir noch in der Lagesind, Strukturen infrage zu stellen. Wir unterhalten uns– der Bundesfinanzminister hat es angesprochen – überdie Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Das kann sichnicht nur darauf erstrecken, dass wir einen Verteilungs-kampf um den Soli führen, sondern wir müssen auch beiden Strukturen, bei der Wettbewerbsfähigkeit etwas ver-ändern. Wir müssen den Ländern mehr Handlungsspiel-raum, mehr Autonomie geben. Auch das kann dazu füh-ren, dass wir haushalterisch viel besser dastehen als inder Vergangenheit. Ich glaube, auch da sollten wir heran-gehen.Ein letzter Punkt, der für die Haushaltspolitik 4.0 sehrwichtig ist: Wir sollten nicht auf jedes Thema aufsprin-gen, das gerade durch die Medien und Gazetten getrie-ben wird, sondern sollten sehr langfristig agieren. Damöchte ich noch mal den Bereich von Frau Wanka, denForschungsbereich, herausgreifen. Wir haben hier inDeutschland sehr langfristig in unsere Spitzenfor-schungsinstitute investiert, ob es nun das Helmholtz-,Leibniz-, Fraunhofer- oder Max-Planck-Institut ist. Wirhaben über Jahrzehnte hinweg eine Struktur geschaffen,um die uns die ganze Welt beneidet und die uns sehr vielnützt, auch in der wirtschaftlichen Entwicklung. Das istein Bereich, bei dem Prioritäten gesetzt worden sind, beidem langfristig gearbeitet worden ist. Ich würde mirwünschen, dass die Haushaltspolitik 4.0 so erfolgt.
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4474 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Ralph Brinkhaus
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Jetzt gibt es einige Leute, die aktuell in den Medien,in Büchern und wo auch immer sagen: Ihr seid viel zusehr auf die schwarze Null fixiert. Das ist doch über-haupt nicht notwendig. Lasst uns das doch noch mal einbisschen verschieben. Momentan gibt es noch so vieleProbleme, die wir lösen müssen; momentan ist nicht dieZeit dafür. – Ich frage Sie, meine Damen und Herren:Wann ist denn die richtige Zeit, um einen ausgegliche-nen Haushalt zu haben, wenn nicht jetzt?
Im Übrigen haben wir das mit unseren sozialdemo-kratischen Kollegen im Koalitionsvertrag vereinbart.Wir ziehen das durch, und zwar ohne Steuererhöhungenund ohne neue Steuern. Genau dadurch schaffen wir Ver-trauen bei den Menschen. Die Menschen glauben an dieWirtschaftspolitik, wenn man verlässlich handelt, undnicht, wenn man seine Konzepte alle Nase lang wech-selt, wie das – das ist der nächste Punkt – auf europäi-scher Ebene leider viel zu oft der Fall ist. Ich gebeWolfgang Schäuble absolut recht: Die Tatsache, dassDeutschland der Stabilitätsanker in Europa ist, weil wireinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen, nützt auch deneuropäischen Nachbarländern. Das nützt den anderenWirtschaftsnationen viel mehr, als wenn wir mit noch ei-nem Programm und noch einem Programm aus derHüfte schießen. Ich denke, wir haben nicht nur eine Ver-antwortung in Deutschland, sondern wir haben auch eineVerantwortung gegenüber Europa. Wir werden dieserVerantwortung in den Haushaltsberatungen gerecht wer-den. Wir werden wieder um die Positionen ringen. Wirhaben mit den Haushältern Norbert Barthle undJohannes Kahrs an der Spitze gute Truppen am Start.Herr Kindler und Herr Bartsch, wir werden Ihre Vor-schläge natürlich aufgreifen.
Wir werden darüber streiten und wahrscheinlich zu demErgebnis kommen, dass sie nicht so gut sind. Aber damitmüssen Sie dann leben.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen gute Beratungen.Danke schön.
Das Wort erhält nun der Kollege Johannes Kahrs für
die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Kollege Brinkhaus hat dankenswerter-weise eine in weiten Teilen sehr sozialdemokratischeRede gehalten.
Dafür möchte ich mich natürlich sehr herzlich bedanken.Insbesondere möchte ich mich für die gute Zusammenar-beit bedanken, die wir im Haushaltsausschuss pflegen.SPD, CDU und CSU arbeiten hier hervorragend zusam-men. Selbst CDU und CSU arbeiten im Haushaltsaus-schuss gut zusammen.
Ich finde, das ist bemerkenswert. Das ist gut, und dassollte auch so bleiben.Der Bundeshaushalt umfasst 3 000 Seiten. Auf einerSeite steht, dass es Einnahmen aus Krediten vom Kredit-markt gibt, Kapitel 3201. Dort standen 2013 noch22 Milliarden Euro neue Schulden. Für das Jahr 2014standen dort 6,5 Milliarden Euro neue Schulden. Für dasJahr 2015 steht dort einfach ein Strich. Das ist eine großeLeistung. Diese Leistung ist mit den letzten Haushaltenvorbereitet worden. Es gab auch im letzten Haushalt Ri-siken. Wir haben sie gesehen und hier lange darüber dis-kutiert. Die Frage war, ob man die 6,5 Milliarden Eurohalten kann oder nicht. Die Haushälter haben sie amEnde gehalten. Das war nicht ganz einfach. Ich glaube,dass wir alle zur Kenntnis nehmen müssen: Das ist keinFetisch. Wir machen das nicht, weil wir die schwarzeNull wollen. Die schwarze Null ist nicht das Kriterium.Wir wollen keine neuen Schulden machen. Das ist derwesentliche Punkt, weil das bedeutet, dass dieses Landsolide wirtschaftet und wir uns nicht irgendwann in dergleichen Situation wiederfinden, in der sich zurzeit vieleLänder in Europa befinden. Das kann keiner wollen. Dashat etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun. Mankann dagegen anlaufen. Man kann sagen, man will neueSchulden machen. Aber ich habe weder von HerrnBartsch gehört, dass er neue Schulden machen möchte,noch habe ich von Herrn Kindler gehört, dass er neueSchulden machen möchte.
Das heißt, dieses Haus ist sich einig: Wir wollen keineneuen Schulden machen.
Ich finde, das ist doch mal ein Konsens. Den kann manhervorheben. Ich glaube, Herr Schäuble, mit einem sol-chen Bundestag im Rücken kann man vernünftig undverlässlich arbeiten.Jetzt geht es darum, dass wir das tun, was zu meinergroßen Freude der Kollege Brinkhaus angekündigt hat. Erhat davon gesprochen, dass man in dem vorgelegtenHaushalt Prioritäten setzen muss, dass man umschichtenmuss. Ich wollte darauf eigentlich erst später zu sprechenkommen; denn erst auf Seite 11 meines Redemanuskriptssteht: Ich bin mir sicher, das Parlament wird den Regie-rungsentwurf wie in jedem Jahr an einigen Punkten ver-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014 4475
Johannes Kahrs
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ändern und dadurch verbessern. Sollten sich Gestal-tungsspielräume ergeben, werden wir sie nutzen, um mitmehr Investitionen unser Land noch weiter voranzubrin-gen. – Da der Kollege Brinkhaus für die CDU/CSU of-fensiv eingefordert hat, dass wir diesen Haushalt verän-dern und als Parlament Prioritäten setzen, insbesondereim Bereich Investitionen, bin ich mir sicher, insbeson-dere wenn ich in die Gesichter meiner Kollegen NorbertBarthle und Bartholomäus Kalb aus dem Haushaltsaus-schuss sehe, mit denen wir ja gut zusammenarbeiten,dass wir dieser Einladung der Fraktionsspitze der CDU/CSU folgen werden und in den HaushaltsberatungenPrioritäten setzen werden.Ich glaube, dass es wirklich wichtig ist, dass es – ge-rade bei Investitionen im Verkehrsbereich – Transpa-renz, Steuerung und Kontrolle gibt. Wir werden gemein-sam dafür arbeiten. Mehr Geld heißt auch mehrVerantwortung. Jeder Bürger muss nachvollziehen kön-nen, wo das Geld landet. Das ist, glaube ich, die richtigeRichtung. Wir werden diesen Weg beschreiten.
Hier ist gesagt worden, wir würden nur keine neuenSchulden machen, aber etwas anderes würde uns nichteinfallen. Ehrlich gesagt, das kann nur behaupten, werdiesen Haushalt nicht gelesen hat. Wir haben im Koali-tionsvertrag der Großen Koalition festgelegt, dass wir inden nächsten Jahren 23 Milliarden Euro investieren wol-len. Das ist eines der größten Investitionsprogramme, diees bisher gegeben hat. Wenn man wissen will, wo genauinvestiert werden soll, muss man das einfach lesen. Kol-lege Kindler, der jetzt leider nicht zuhört, hat hier ein-fach nur sehr wolkig von allen möglichen Berichten ge-sprochen. Das war sehr ungefähr und sehr theoretisch. Erhat immer Allgemeinplätze bemüht und fiel von einemzum anderen. Da ich seine Rede schon zur Einbringungdes Haushaltes 2014 gehört hatte, kann ich sagen, dassnichts Neues vorkam.Wenn man diesen Haushalt anschaut, dann stellt manfest, dass die Große Koalition sehr genau und sehr konkretwird. Allein 2015 werden zum Beispiel die Kommunenum 1 Milliarde Euro entlastet. Das heißt: 500 MillionenEuro höherer Bundesanteil an den Kosten der Unter-kunft, 500 Millionen Euro höherer Gemeindeanteil ander Umsatzsteuer. Das alles wird jetzt kommen. Daswird dazu führen, dass die Kommunen in der Lage sind,ihre Aufgaben besser wahrzunehmen. Ich glaube, dasmuss man auch betonen.Gleichzeitig ist es so, dass wir in dieser Legislatur-periode 6 Milliarden Euro für Bildungsaufgaben, Kin-derkrippen, Kitas, Schulen und Hochschulen investieren.Das heißt zum Beispiel für 2015, dass der Bund alleindie Kosten für das BAföG übernimmt. Auch das kannman einmal erwähnen.
Hier wird immer gesagt, der Bund macht nichts und wirdrücken uns. Vielmehr ist es ganz konkret so, dass derBund allein die Kosten für das BAföG übernimmt unddie Länder entlastet.
Das heißt, wir als Bund können, was das BAföG angeht,sehr viel freier agieren. Auf der anderen Seite sind dieLänder entlastet. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt.Wir sind die Partei, die das BAföG damals erfunden hat.Wir haben es unter Willy Brandt durchgesetzt. Wir wol-len das BAföG weiter ausbauen. Wenn diese Große Ko-alition das tut, ist das richtig, wichtig und gut.
Da man ja im Konkreten bleiben soll, Herr Kindler,und nicht immer nur wolkig sein sollte: Es ist so, dass wirdas Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ in dieserWahlperiode auf 1 Milliarde Euro aufgestockt haben. Dasheißt, auch in diesem Jahr wird etwas passieren. Für For-schung werden wir 3 Milliarden Euro zusätzlich zur Ver-fügung stellen. Auch in diesem Jahr wird hier viel Geldfließen. Wir geben in dieser Legislaturperiode 5 Milliar-den Euro zusätzlich für Infrastruktur aus. In diesem Jahrheißt das 1 Milliarde Euro on top: 700 Millionen Eurofür die Straße, 200 Millionen Euro für die Schiene und100 Millionen Euro für die Wasserstraße. Auch hierglauben wir, dass das zu wenig ist. Wir haben ja geradevom Kollegen Brinkhaus gehört, dass die CDU/CSUund die SPD gemeinsam für Umschichtungen in diesemEtat arbeiten werden, um mehr Geld für diesen Bereichausgeben zu können.
– Was die Maut angeht, würde ich vorschlagen, dass wiralle in diesem Hohen Hause und in diesem Land uns ein-fach zurückhalten. Ich glaube, die ganze Mautdebatteblamiert uns alle. Im Ergebnis ist es doch besser, dassman den Gesetzentwurf abwartet.
Wenn man den Gesetzentwurf hat, dann kann man überihn reden, diskutieren und streiten. Alles, was vorherdazu stattfindet, ist – ich sage mal – ein bisschen Pop-corntheater. Jeder macht sich lustig, von links nachrechts. In der Sache hilft es niemandem. Man muss die-sem Minister die faire Chance geben, einen Gesetzent-wurf vorzulegen. Dann kann man darüber reden. Ichfinde, die Reihenfolge ist ein bisschen durcheinanderge-raten.
Wenn das passiert ist, kann man auch in diesem Hausevernünftig arbeiten. Es gibt einen Koalitionsvertrag. Indiesem steht, zu welchen Konditionen dieser Gesetzent-wurf vorgelegt werden muss. Am Ende muss auch mehrGeld für Investitionen dabei herauskommen. Darauf
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Johannes Kahrs
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freuen wir uns. Darauf warten wir. Wir alle werden denMinister darin unterstützen, dass es vernünftig funktio-niert.Weiterhin haben wir in dieser Koalition mehr Geld fürden Städtebau vorgesehen – das halte ich für einen ganzwichtigen Punkt –, insbesondere für das Programm „So-ziale Stadt“.
– Genau. – Wir werden alleine in diesem Jahr 400 Mil-lionen Euro zusätzlich für die Entwicklungszusammen-arbeit ausgeben. Die Rentenversicherung wird einendeutlich höheren Bundeszuschuss als im letzten Jahr be-kommen. Für die Eingliederung Arbeitsuchender wer-den wir 350 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügungstellen. Und so geht das weiter. Wenn sich die Opposi-tion hier hinstellt und ein bisschen nölt, dass diese Re-gierung nicht weiß, was sie will, und dass die „schwarzeNull“ nur ein Fetisch ist, muss ich sagen: Das ist absurd.Keiner von uns kämpft für eine „schwarze Null“; dafürgibt es zu viele.
Was wir tun, ist: Wir kämpfen dafür, dass wir keineneuen Schulden machen. Ich glaube, das ist ein wesentli-cher Punkt.Da Kollege Brinkhaus ja gerne Nordrhein-Westfalenerwähnt: In Nordrhein-Westfalen haben wir eine rot-grüne Regierung. Die hat ein Land übernommen, so wieSchwarz-Gelb es hinterlassen hat. Dass sie Schwierig-keiten haben und dass sie jetzt daran arbeiten, diesesLand nach vorne zu bringen,
und Walter-Borjans eine schwere Aufgabe hat, das wis-sen wir, Herr Brinkhaus. Wir Sozialdemokraten wollen,dass es der Regierung in Nordrhein-Westfalen einfachergemacht wird, diese schwarz-gelbe Last zu beseitigen.
Wir wollen Kommunen und Länder entlasten und ihnenhelfen, damit die Menschen in Nordrhein-Westfalenmerken: Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen wirkt ge-nauso gut wie die Große Koalition im Bund.Vielen Dank.
Nun erhält die Kollegin Karawanskij für die Fraktion
Die Linke das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste! Sie haben ja gerade, Kollege Kahrs, vielEigenlob verteilt,
gerade in Bezug auf die Kommunalfinanzen. Wenn Siedie 1 Milliarde Euro erwähnt und gesagt haben, dass Siebei der Kindertagesbetreuung finanzielle Unterstützungleisten, muss ich Ihnen sagen: Das sind alles kleineTrostpflästerchen. Das Übel ist damit noch nicht besei-tigt; das ist also keine Lobeshymnen wert.Wir haben natürlich Kommunen, die in den letztenJahren sehr gut dagestanden und Überschüsse erwirt-schaftet haben. Aber ihnen steht doch eine erschreckendgroße Anzahl an Kommunen gegenüber, die arm und vorallen Dingen auch strukturell unterfinanziert sind. Ichbin der Meinung, es ist höchste Eisenbahn, hier zu han-deln. Wir brauchen eine umfassende Gemeindefinanz-reform,
eine Gemeindefinanzreform, die allen Kommunen hö-here und vor allen Dingen stabile Einnahmen bringt, da-mit die Pflichtaufgaben, aber auch die freiwilligen Auf-gaben erfüllt werden können.Genau deshalb haben wir in diesem Hohen Hauseschon den Antrag eingebracht, die Gewerbesteuer zuerhalten und sie zu einer Gemeindewirtschaftsteuer wei-terzuentwickeln. Wir schlagen zudem zwei Sofortmaß-nahmen vor: Erstens wollen wir eine kommunale Inves-titionspauschale einführen. Zweitens wollen wir dieGewerbesteuerumlage an den Bund sofort und die an dieLänder schrittweise aussetzen, und zwar bis 2019.
Hier muss auch darüber diskutiert werden, dass derkommunale Anteil am Gesamtsteueraufkommen ange-hoben werden muss. Wir brauchen eine sozial gerechteSteuerreform, und wir müssen den Länderfinanzaus-gleich reformieren. Auch dazu liegt unser Konzeptschon vor. Wir laden Sie gerne zur Diskussion darüberein. Das muss grundsätzlich angepackt werden.
Es gibt einen zweiten Bereich, den ich ansprechenmöchte, und zwar die Finanzmarktregulierung – dazuhaben wir schon etwas gehört –, bei der Sie ebenfalls nurHalbgares produzieren. Ganz aktuell geht es um dasKleinanlegerschutzgesetz, das ich herausgreifen möchte.Damit soll der Graue Kapitalmarkt stärker reguliert wer-den. Aber auch hier produzieren Sie nur Halbgares. IhrBlick ist sehr stark auf die Prospektpflicht und das Infor-mationsblatt fokussiert. Doch viel Papier bringt nochlange kein gutes Ergebnis, vor allen Dingen nicht, wasdie Regulierung angeht.Sie schießen zum Teil über das Ziel hinaus. So soll eskeine abgestuften Regelungen für Genossenschaften,Vereine und Initiativen geben, die eben nicht, wie imFall Prokon, mit utopischen Renditeversprechen locken,sondern auf alternative, solidarische Finanzierungsmittel
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014 4477
Susanna Karawanskij
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setzen. Wir Linke fordern seit langem, dass der GraueKapitalmarkt nicht nur umfassend und lückenlos zu re-gulieren ist, sondern dass wir in diesem Bereich aucheine einheitliche und effektive Finanzaufsicht brauchen.Es kann zum Beispiel nicht sein, dass für den einen Teilder Kontrolle die Gewerbeämter zuständig sind, für denanderen Teil dagegen die Finanzdienstleistungsaufsicht.Deswegen brauchen wir eine einheitliche Aufsicht. Hiermuss auch bei der BaFin selbstverständlich personellund finanziell aufgestockt werden.
Sie übersehen einen weiteren Punkt, und zwar, dassnur noch die Finanzinstrumente und Akteure und Ver-triebspraktiken zugelassen werden sollten, die letztend-lich auch transparent und vom Risiko her beherrschbarsind, vor allen Dingen aber zur Absicherung realer Ge-schäfte dienen. Hier brauchen wir einen Finanz-TÜV,der erst einmal genau prüft und dann zulässt, also dasbisherige Prinzip umkehrt. Einen solchen Finanz-TÜVeinzuführen, wäre ein weitsichtiger und ökonomischsinnvoller Schritt.Meine Damen und Herren von der Regierungsbank,legen Sie mehr politischen Biss an den Tag! VerkennenSie vor allen Dingen die Probleme in den Kommunennicht! Regeln Sie das! Werden Sie da aktiv!
Und vor allen Dingen: Machen Sie eine ordentlicheFinanzmarktregulierung und nicht so ein halbgaresZeug!Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Barthle für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Die Zeiten ändern sich wirklich:Während die Haushaltspolitiker noch vor nicht allzu lan-ger Zeit von der Euro-Krise geschüttelt wurden, habenderzeit unsere Außenpolitiker Sorgenfalten im Gesicht.Die Haushälter dagegen bewegen sich mit einem Lä-cheln auf dem Gesicht. Haushalts- und Finanzpolitikmacht derzeit wirklich Freude. Das liegt an der Tatsache,dass wir mit dem Haushaltsentwurf für 2015 einen histo-rischen Moment erreichen, den man nicht genug würdi-gen kann; denn, meine Damen und Herren, seien wirdoch mal ehrlich: Über Jahre und Jahrzehnte hinweg– auch vor Franz Josef Strauß’ ausgeglichenem Haushalt1969 – wurde der deutschen Bevölkerung immer wiedererklärt: Wir müssen jetzt investieren, damit wir in derZukunft sparen; wir müssen jetzt etwas für die Wirt-schaftsförderung tun, damit wir in der Zukunft sparen;wir müssen jetzt etwas für die Jugend tun, damit wir inder Zukunft die Rendite haben; wir müssen jetzt die Ar-beitslosigkeit bekämpfen, damit wir in der Zukunft ein-sparen können. – Was war das Ergebnis dieser Mär? DerSchuldenberg wuchs beim Bund auf 1,3 Billionen Euro,gesamtstaatlich auf 2,3 Billionen Euro.
Mit diesem Haushalt 2015 schaffen wir endlich den Um-stieg, kommen wir weg von dieser Mär, die letztendlichdoch nichts anderes war als eine Legitimations- bzw. Ar-gumentationsschleife, um dem jeweiligen Finanzminis-ter, egal von welcher Partei, das Handwerkszeug zu ge-ben, um mehr Geld ausgeben zu dürfen, als er hatte. Vondieser Politik der vergangenen Jahre verabschieden wiruns in dieser Großen Koalition endgültig. Damit sindCDU und CSU die wahren Modernisierer in diesemLand. Herr Kollege Kindler, wahre Modernisierungheißt: Raus aus dieser ewigen Schuldenfalle, hinein inausgeglichene Haushalte! Dass die SPD diesen Weg mit-trägt und sich beteiligt – sogar die Grünen und die Lin-ken sagen: wir wollen auch keine neuen Schulden –, dasist aller Ehren wert und eine große Leistung der deut-schen Sozialdemokratie. Ich würde mir wünschen, dassso mancher Sozialist oder Sozialdemokrat auf europäi-scher Ebene, sei es in Frankreich, sei es in Italien, sichvielleicht ein klein wenig an diesem Weg orientiert.
Der Finanzminister hat nochmals begründet, warumwir dieses tun; die „schwarze Null“ ist ja kein Selbst-zweck. Ich will das nicht wiederholen, sondern will nurnoch mal betonen: Wir erwarten eine doppelte Rendite.Die eine Rendite besteht darin, dass wir, wenn derSchuldenberg nicht weiter wächst und damit auch dieZinsausgaben nicht wachsen, tatsächlich neue Finanzie-rungsspielräume eröffnen für die Zukunft. Herr KollegeKindler, das ist die beste Politik für die nachfolgendeGeneration: wenn die Kinder und Jugendlichen späternicht noch mehr Schulden zu tragen haben, sondern sichauf eine Perspektive ohne neue Schulden verlassen kön-nen, auf dauerhaft ausgeglichene Haushalte.Die zweite Rendite – auch darauf hat der Bundes-finanzminister hingewiesen – ist das unglaubliche Ver-trauen, das wir gewinnen: Vertrauen bei den Bürgerin-nen und Bürgern, nicht nur in Deutschland, auch inEuropa, und Vertrauen vor allem in der Wirtschaft, beiden Investoren. Deshalb nochmals: Wir erreichen das Zielder „schwarzen Null“ – davon sind wir fest überzeugt –;denn unsere Haushalte für die kommenden Jahre sindnicht auf Kante genäht. Auch wenn es konjunkturelleSchwankungen geben wird, sind wir zuversichtlich, die-ses Ziel halten zu können. Das baut auf dem auf, was wirin der Vergangenheit bereits gemacht haben: Das wareine solide Politik, die darin bestand, die Ausgabenstei-gerungen moderat zu halten und gleichzeitig in Zu-kunftsbereiche zu investieren.Ich will es wiederholen: Die Ausgaben für Bildung,Forschung, Wissenschaft und Kultur haben im Jahre2005 noch 11,4 Milliarden Euro betragen. 2018 werdenes 22,8 Milliarden Euro sein. Das ist eine Verdoppelung
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4478 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Norbert Barthle
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der Ausgaben. Alleine der Bildungsetat wird sich von8,5 Milliarden Euro im Jahre 2005 auf voraussichtlich17,5 Milliarden Euro im Jahre 2018 mehr als verdop-peln. Das sind die Zukunftsinvestitionen, die wir tätigen,und sie werden sich nachhaltig auswirken.
Dass wir im Bereich der Verkehrsinfrastruktur einenhohen Investitionsbedarf haben, ist auch im Hinblick aufden Ausbau der digitalen Infrastruktur unbestritten.5 Milliarden Euro mehr sind hier ein klares Zeichen. Da-rüber hinaus haben wir uns in der Koalition bereits da-rauf verständigt: Wenn wir zusätzliche Spielräume ent-decken, dann wollen wir sie ganz gezielt für dieInfrastruktur einsetzen. Ich glaube, auch das ist einewichtige Verabredung.An dieser Stelle erlaube ich mir den Hinweis, dass einerheblicher Teil der öffentlichen Investitionen natürlichauch von Ländern und Kommunen getätigt wird. Des-halb zur Erinnerung: In der 17. Legislaturperiode habenwir Länder und Kommunen um round about 60 Milliar-den Euro entlastet.
Wir werden diese Politik der Entlastung der Kommunenund der Länder fortsetzen; das ist gar keine Frage. DieseEntlastung wird durch neue Zusagen ergänzt, die wir ge-macht haben.Lieber Kollege Kindler, Sie tragen hier vor, das allessei Makulatur. Das kennen wir von jeder Haushaltsbera-tung; das wird immer wieder vorgetragen. Viele Spiel-räume, die wir uns erarbeitet haben,
sind eben darauf zurückzuführen,
dass wir solide gewirtschaftet haben. Deshalb haben wirniedrige Zinsen,
gute Beschäftigungszahlen und gute Steuereinnahmen.
Lassen Sie mich auf das Thema „Bund und Länder“zurückkommen. Die Neugestaltung der Finanzbeziehun-gen steht an. Lassen Sie mich deshalb nochmals daranerinnern: Der Bund hat mit 1,3 Billionen Euro mehr alsdoppelt so hohe Schulden wie die Länder. Wenn mansich die Pro-Kopf-Verschuldung anschaut, dann siehtman, dass nur zwei Länder, nämlich Bremen und Berlin,eine höhere Pro-Kopf-Verschuldung als der Bund haben.Ansonsten haben wir die größte Schuldenlast zu tragen.Diese Unwucht spiegelt sich auch bei den Zinszah-lungen wider. Der Finanzminister hat auch schon daraufhingewiesen: 2013 haben wir noch 31,3 Milliarden Euroan Zinsen gezahlt, was gut 10 Prozent unserer Ausgabenentspricht. Bei den Ländern waren es 17,6 MilliardenEuro. Das entspricht einem Anteil der Zinsausgaben vonweniger als 6 Prozent.Diese gute Haushaltslage der Bundesländer spiegeltsich auch beim Defizit in Höhe von 1,9 Milliarden Eurowider, das die Gesamtheit der Länder im Jahre 2013 zutragen hatte. Die Gesamtheit der Kommunen hatte in ih-ren Kernhaushalten sogar einen Überschuss in Höhe von1,7 Milliarden Euro vorzuweisen.Sie sehen also: Das Gesamtsystem des Ausgleichsund der Bund-Länder-Finanzbeziehungen kann so falschnicht sein. Dass es lokal und regional große Unter-schiede gibt, ist unbestritten. Hier werden wir sicherlichhelfen müssen, aber das muss zielgenau und so passie-ren, dass der Begriff der Solidarität richtig definiertwird; denn ich nehme überrascht zur Kenntnis, dass dieBundesländer Solidarität derzeit vor allem so definieren,dass sie sagen: Keiner von uns soll weniger haben, aberalle mehr. – Wenn das das Verständnis von Solidaritätist, dann sagen wir: Gut, dann darf auch der Bund nichtweniger haben, und alle sollen mehr haben. – Die Frageist dann nur, woher das Geld kommen soll.
Es wird also noch einiger Anstrengungen bedürfen,dieses Problem in den kommenden Monaten zu lösen.Aber nochmals: In der 17. Legislaturperiode haben wirbereits erhebliche Zugeständnisse gemacht und erhebli-che Leistungen für die Länder und Kommunen über-nommen. Ich erinnere nur an die Grundsicherung imAlter, an die Kosten der Unterkunft, an die Entflech-tungsmittel, an die Kindergelderhöhung über das FAG,an den Hochschulpakt, an die Fluthilfe und an den Kita-ausbau.In dieser Legislaturperiode kommen nochmals12 Milliarden Euro für die Länder und Kommunenhinzu. Als Stichworte nenne ich die Entlastung derKommunen in Höhe von zunächst 1 Milliarde Euro, dieBAföG-Übernahme, das Sondervermögen „Kinderbe-treuung“, den Hochschulpakt und die Eingliederungs-hilfe in Höhe von 5 Milliarden Euro pro Jahr ab 2018.Wenn ich dazu noch die Erwartungen der Kommunenaddiere, dann komme ich auf round about fast 100 Mil-liarden Euro, die aus dem Bundeshaushalt in die Haus-halte der Länder und Kommunen fließen und damit zuderen Entlastung beitragen. Aber damit ist die Grenzeder Belastungsfähigkeit des Bundeshaushaltes erreicht.Das muss allen klar sein.
Das muss auch die Vorgabe bei allen neuen Debattenüber Altschuldentilgung, über Euro-Bonds, über Bund-Länder-Bonds und über die Zukunft des Soli sein. Ak-tuell läuft über die Medien die Meldung, dass der Bun-desfinanzminister über eine Neugestaltung des Solinachdenke, verbunden mit der Falschmeldung, er planeSteuerhöhungen. Steuererhöhungen sind aus Sicht der
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Norbert Barthle
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CDU/CSU-Fraktion in dieser Periode ausgeschlossen.Wir werden auf keinen Fall Steuern erhöhen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wortzum Verteidigungsetat sagen. Auch dieser Etat spieltderzeit in der öffentlichen Debatte eine große Rolle.Wenn es Ziel der NATO sein sollte, 2 Prozent des Brut-toinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben,dann werden wir uns als langfristiges Ziel daran orientie-ren; gar keine Frage. Derzeit aber ist der Verteidigungs-etat mit genügend Mitteln ausgestattet.Im vergangenen Jahr sind fast 1 Milliarde Euro in denBundeshaushalt zurückgeflossen, weil einige Beschaf-fungsvorhaben nicht rechtzeitig umgesetzt werden konn-ten. Grund dafür war, dass manche Firmen nicht recht-zeitig geliefert haben. Wir hatten, nebenbei bemerkt, fürden Einsatz in Afghanistan 1,4 Milliarden Euro in denHaushalt eingestellt. Dieses Jahr sind es noch 460 Mil-lionen Euro, und zwar ohne dass der Plafond abgesenktwurde. Auch da gibt es also entsprechende Reserven.Insofern kann man davon ausgehen, dass die Verteidi-gungsministerin derzeit mit dem Geld, das wir ihr zurVerfügung stellen, auskömmlich wirtschaften kann. Wiedas in den kommenden Jahren aussehen wird, ist einezweite Frage. Aber darauf werden wir uns einstellenkönnen.Ich schließe mit der Aussage: Der Haushalt 2015stellt einen historischen Wendepunkt in der Haushalts-und Fiskalpolitik der Bundesrepublik Deutschland dar.Noch nie konnten sich eine Bundeskanzlerin und einBundesfinanzminister vor die deutsche Öffentlichkeitstellen und sagen: Wir kommen mit dem Geld aus, dasuns die Steuerzahler geben und das wir aus sonstigenQuellen erwirtschaften. – Und dabei bleibt es.Danke.
Das Wort erhält nun die Kollegin Anja Hajduk für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Brinkhaus möchte feiern; Herr Kahrs freutsich, dass an der Stelle neuer Schulden nun Striche imFinanzplan zu sehen sind. Ich kann Ihnen nur sagen:Diese Selbstgefälligkeit treibt einem eher die Sorgenfal-ten auf die Stirn.
Wir sagen ja gar nicht, dass die „schwarze Null“ fürden Haushalt 2015 und die Finanzplanperiode – das ist jaIhr Ziel – falsch ist. Aber Sie können sich doch nicht derEinsicht verschließen, dass die „schwarze Null“ letztlichnicht der richtige Maßstab ist, um zu bewerten, ob wirfinanzpolitisch auf einem zukunftsgerechten Kurs sind.Das müssen Sie doch eingestehen; so klug sollten Siedoch sein.
Wissen Sie, warum? Einige Kollegen mögen sich fra-gen: Was will sie denn? Die „schwarze Null“ ist doch gut.
Die „schwarze Null“ in der Finanzplanperiode bedeutetleider auch – das haben Sie so ausgestaltet –, dass das öf-fentliche Vermögen bis zum Jahr 2018 stetig schrumpft.Der Vermögensverzehr ist in Ihrer Finanzplanung ange-legt. Weil das so ist, ist auch klar: Diese „schwarze Null“reicht nicht aus. Sie ist nicht zukunftsgerecht.Sie müssen den Menschen einmal erklären – das mussauch Herr Schäuble erklären –: Warum steigt bei Ihnendie Ausgabenlinie bis zum Jahr 2018 um satte 10 Prozent,und warum schrumpft parallel dazu die Investitionsquoteum ein Fünftel? Mit dieser Erkenntnis müssen Sie sichauseinandersetzen. Das bedeutet letztendlich: DieserFinanzplan steht nicht für Verlässlichkeit. Dieser Finanz-plan steht für Verschleiß.
Die Investitionsquote, der Anteil der Investitionen,sinkt bedenklich. Herr Barthle, setzen Sie sich doch ein-mal mit der eigenen Finanzplanung auseinander, auf dieSie so stolz sind! Hinzu kommt, dass das zu einem Zeit-punkt stattfindet, zu dem die Steuereinnahmen durch-schnittlich um 3,8 Prozent wachsen sollen. 3,8 Prozentdurchschnittliches Steuerwachstum – das ist eine enormpositive Entwicklung. Und zu einem Zeitpunkt, zu demman so eine enorm positive Entwicklung hat – von miraus auch vor dem Hintergrund einer viel zu langen Ver-schuldungsperiode, aber auch eines mangelnden Sanie-rungswillens –, muss man umdrehen und das öffentlicheVermögen wieder aufbauen. Davon ist leider bei Ihnennichts zu sehen.
Ich muss noch einen Punkt draufsetzen: Deswegenstimmt es mich auch so bedenklich, dass aus demFinanzministerium Veröffentlichungen kommen, in de-nen festgestellt wird, dass es in Deutschland angeblichgar keine Investitionsschwäche gebe. Es ist zwar richtig:Den Immobilienboom in manchen europäischen Län-dern sollte man nicht als positives Beispiel für Investi-tionsstärke beschreiben. Aber gleichzeitig steht in denUnterlagen, dass wir ein Problem bei den Brutto-anlageinvestitionen der öffentlichen Haushalte haben.Das muss man nur ehrlich interpretieren. Deswegen:Auch diese Erklärungen treiben einem die Sorgenfaltenauf die Stirn.
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Anja Hajduk
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Ich möchte noch zu einem anderen Punkt kommen:Herr Schäuble hat heute den Vorschlag gemacht, denSoli umzubauen. Er will die Einkommensteuer, die Kör-perschaftsteuer und die Kapitalertragsteuer zukünftig er-höhen und den Soli dabei wahrscheinlich irgendwie inte-grieren.Auch wir Grüne meinen, man sollte den Soli nichteinfach abschaffen. Stattdessen muss man den Solidari-tätszuschlag neu begründen. Man kann ihn nicht einfachso einbehalten. Er ist, verknüpft mit einem Solidaritäts-versprechen, zusätzlich von den Leuten eingenommenworden.Deswegen sage ich Ihnen: Man sollte ernsthaft da-rüber nachdenken, den Soli zu nutzen, um das Altschul-denproblem wirklich anzugehen, und man sollte mit ihmweiterhin ein Solidaritätsversprechen verbinden, undzwar für die Regionen in Deutschland, die nicht eine sohohe Finanz- und Wirtschaftskraft haben. Das Einsackendes Soli ohne eine gute Zielvorgabe wäre ein Armuts-zeugnis für die föderale Ordnung. Ich hoffe, Sie werdendiesen Weg nicht gehen.Schönen Dank.
Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege
Lothar Binding.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie esdenen, die schon seit vielen Jahrzehnten Wahlkämpfemit begleiten, gegangen ist. Mir sind dabei Sätze begeg-net wie: Mit dem Geld auskommen, das man euch gege-ben hat! – Die Politik ist unfähig, mit dem Geld – undwir zahlen so viele Steuern – auszukommen, das wir ihrgegeben haben. – Ihr sollt keine neuen Schulden ma-chen! – Neue Schulden kosten unsere Zukunft.Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so gegangen ist. Werhat das noch nicht gehört? Ich glaube, die meisten habenes gehört. Verbände, Kammern, Stiftungen haben Gut-achten dazu erstellt, wie schädlich Schulden für die Zu-kunft sind. Das haben wir gelernt; alle gaben uns dieseAufgabe. Und jetzt muss man fairerweise sagen: DieseAufgabe löst dieser Haushalt. Ich glaube schon, dass daseine besondere Leistung ist.
Aber damit ist Politik natürlich nicht zu Ende, und ichglaube, wir müssen uns auch an ein neues Gefühl ge-wöhnen. Bisher war es ja relativ einfach: Wenn jemandeine neue Verantwortung, neue Aufgaben übernehmenund Probleme lösen wollte, schöne Ideen oder Wünschehatte, was haben wir dann gemacht? Wir haben langediskutiert, und wenn es keine Lösung gab, gab es amEnde neue Schulden, und damit war das Problem eigent-lich gelöst.
Im Ergebnis waren die Effekte dieser Politik abernicht ganz so angenehm. Sie lassen sich in etwa mit ei-nem Zollstock messen – für die Älteren von Ihnen ist dasein Déjà-vu; denn den hatte ich vor einigen Jahren schoneinmal ausgeklappt.
Das stellt die ungefähr 2 Billionen Euro Schulden, diedie Politik in den letzten Jahrzehnten aufgebaut hat, dar.
Einen großen Anteil hat natürlich Schwarz-Gelb – Gelbwar übrigens fast immer dabei –; auch Schwarz-Rot istdabei.
Auch Rot-Grün war natürlich dabei; dann kam noch ein-mal Schwarz-Gelb.Und immer war es die jeweilige Opposition, diewusste, dass die neuen Schulden böse sind. Diesmal – somuss man sich das vorstellen – kommt erstmals keinMillimeter obendrauf. In diesem Jahr wird der Zollstockerstmals nicht verlängert.
Wenn es uns gelingt, diesen Zollstock in den nächstenJahren nicht mehr zu verlängern, dann sind wir, glaubeich, auf einem ganz guten Weg.Allerdings braucht das sicherlich auch eine anderePolitik. Dazu gehört zum Beispiel die Gewöhnung da-ran, dass Einzelpläne nicht mehr automatisch wachsen.Es gibt Einzelpläne, die sogar unanständig stabil bleiben –auch in diesem Haushalt. Ich will nur einen nennen: DerEtat für Entwicklungspolitik wächst zurzeit zu wenig.
Wir haben gar keine Übung, damit umzugehen, mehr zuwollen, aber zunächst nicht mehr zu haben, weil wir indieser Legislaturperiode die Steuern nicht angehen. Siebleiben unverändert; das ist aber eine Zukunftsaufgabe.Wir müssen ein neues Gefühl entwickeln. Diese Art derDeckung innerhalb eines Haushalts haben wir in derForm nicht zwingend geübt. Notwendig sind auch mehrInvestitionen. Es ist schon mehrfach vorgetragen wor-den: Wenn man die Investitionen erhöhen will und derHaushalt stabil bleibt, dann muss man neue Ideen haben.Zurzeit gibt es die Idee der Aktivierung privaten Kapi-tals. Das ist sicherlich ein eigenes Kapitel für die nächs-
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Lothar Binding
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ten Monate. Aber es zeigt, dass wir kreativ sein werdenmüssen, um die Aufgaben zu lösen, vor denen wir ste-hen.Es ist übrigens keine ganz neue Idee. Es ist nicht so,dass noch niemand versucht hätte, keine neuen Schuldenzu machen. Nehmen wir zum Beispiel die mittelfristigeFinanzplanung von Stoltenberg in den 80er-Jahren:Auch er hatte einen Entschuldungspfad, der bei null en-dete. Die Grafiken von Hans Eichel zeigen, dass auch erdiesen Plan hatte. Auch Peer Steinbrück hatte diesenPlan. Warum hat das eigentlich nie geklappt? Lag dasam Parlament? Haben wir immer obendrauf gesattelt?Die ehrliche Antwort lautet: Nein. Die Ziele hatten wir,aber es kamen besondere Situationen dazwischen wiedie Wiedervereinigung, die Wirtschaftskrise um 2000oder die Finanzkrise 2007/2008. Das waren Krisen, dieuns besondere Aufgaben aufgegeben haben. Damitkonnten wir in der damaligen Situation keinen Haushaltmit einer Nullverschuldung machen.Ich hoffe mit unserem Finanzminister, dass uns so et-was nicht wieder passiert. Wer wollte das ausschließen?Dass der Haushalt Zukunftsrisiken enthält, weiß jeder.Deshalb müssen wir besondere Überlegungen anstellen,um sie auszuschließen. Ich will einige Punkte anspre-chen: Wir haben zurzeit niedrige Zinsen; das hilft demHaushalt. Die niedrige Arbeitslosigkeit hilft dem Haus-halt und den Sozialkassen. Wir haben über die Zeit einordentliches Wachstum erreicht; das hilft dem Haushalt.Wir haben einen Exportüberschuss; auch das hilft demHaushalt. Allerdings ist das nur in Verbindung mit derStärkung der Binnennachfrage zukunftsfähig. Wenn derExportüberschuss sich so weiterentwickelt, dann ist erohne Binnennachfrage auch nicht ganz ungefährlich fürEuropa.Wir brauchen also neue Ideen, um den Haushalt zu-kunftsfest zu machen. Johannes Kahrs und CarstenSchneider haben einige genannt: die Stärkung von For-schung und Entwicklung sowie die Stärkung von Inno-vationen. Wirtschaftsminister Gabriel will ein Venture-Capital-Gesetz machen, um Mittel für die Forschungs-förderung der privaten Industrie und zur Entwicklungvon Innovationen zu generieren, die unseren Haushaltzukunftsfest machen.Wir haben des Weiteren mit dem BEPS eine wichtigeAufgabe, nämlich die internationale Steuergestaltung zu-rückzudrängen und zu versuchen, die Einnahmeseite zustärken, zunächst ohne die Steuersätze zu erhöhen, son-dern indem wir erst einmal alle motivieren, ihre Steuernfair zu zahlen, statt die Gewinne ins Ausland zu verla-gern. Finanzminister Schäuble hat gesagt: Wir braucheneinen automatischen Informationsaustausch. – Das istseit 20 Jahren unser Wunsch, und wir sind froh, dass esdamit jetzt einen großen Schritt vorangeht. Man musssich klarmachen, welche Leistung das ist: Viele Finanz-ämter in vielen anderen Ländern haben vielleicht garkeine große Neigung, vollständig transparent zu machen,was bei ihnen passiert, und die Informationen nachDeutschland zu liefern. Umgekehrt ist es ähnlich: Wirhaben diese Neigung auch nicht ohne Weiteres. Dasmacht deutlich, was zwischen den Ländern passierenmuss, damit fair Steuern gezahlt werden.Wir wissen: Selbst wenn wir das machen, gibt es in-ternationale Konzerne, die sich auf dem Rücken einzel-ner Länder, die eine unfaire Steuerpolitik machen, ausru-hen. Dagegen müssen wir, denke ich, internationalvorgehen.
Denn das ist letztendlich ein Race to the Bottom. Dasheißt, Land A senkt die Steuern so weit, bis auch Land Bdie Steuern entsprechend gesenkt hat, und das geht letzt-lich so weiter, bis sich die Unternehmen in einem Dritt-land ansiedeln. Zum guten Schluss hat keiner mehrSteuern und Industrieansiedlungen. Das können wir na-türlich nicht wollen.
Es gibt eine Aufgabe – das wurde schon verschiedent-lich angesprochen –, die wir im Moment nicht lösenkönnen. Natürlich wird mit diesem Haushalt nicht jedeUngerechtigkeit vermieden. Es gibt eine ungerechte Ver-mögensverteilung, eine ungerechte Einkommensvertei-lung sowie eine ungerechte Verteilung von Arbeit undArbeitseinkommen. Deshalb bleibt es eine Aufgabe fürdie Zukunft, Gerechtigkeit herzustellen. Diese werdenwir angehen, auch in den nächsten Legislaturperioden.Wir wissen, dass wir das private Kapital noch auf ganzandere Weise aktivieren müssen. Die Bodewig-Kommis-sion hat festgestellt, dass wir pro Jahr mindestens 7 Mil-liarden Euro mehr an Investitionsmitteln brauchen.Tatsächlich haben wir im Koalitionsvertrag nur 5 Mil-liarden Euro für vier Jahre verabredet. Daran sieht man:Wir üben auch Selbstkritik. Ohne Selbstkritik könntenwir die Leistungen im Rahmen dieses Haushalts garnicht erbringen. Insofern passen Eigenlob und Selbstkri-tik sehr gut zusammen. Erst in diesem Spannungsver-hältnis können wir eine gute Zukunft schaffen. Da hilftweder Schönreden noch Schlechtreden. Ein halbwegsobjektiver Blick auf die Aufgaben hilft uns, sorgt dafür,dass wir gute Politik machen, und sichert unsere Zu-kunft.
Das Wort hat der Kollege Norbert Brackmann für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Kollege Binding hat eben darauf hingewiesen, dasses bereits drei Finanzminister gab, die eine Nullver-schuldung unmittelbar vor Augen hatten. Ich möchte er-gänzen – so viel Reverenz an die Adresse der CSU musssein –: Es gab noch Theo Waigel. Vier Finanzministerstanden also unmittelbar davor, eine schwarze Null zuschreiben. Das ist nicht immer ganz einfach. Schon Bert
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Norbert Brackmann
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Brecht hat gesagt: „Ja, mach nur einen Plan! Sei nur eingroßes Licht! Und mach dann noch nen zweiten Plan.Geh‘n tun sie beide nicht.“ Damit unser Plan in Erfül-lung geht und Bert Brecht nicht recht behält, ist nicht derPlan das Ziel. Vielmehr muss das Ergebnis stimmen. Wirgehen jedenfalls voller Überzeugung in die anstehendenHaushaltsberatungen, dass wir die gesetzlichen Grundla-gen dafür schaffen, dass wir im nächsten Jahr erstmaligkeine Neuverschuldung haben werden. Dies ist keineSelbstverständlichkeit.
Es gibt Grund zur Freude, aber keinen Grund zur Eu-phorie. Wir haben allein als Bund 1,1 Billionen EuroSchulden. Die daraus resultierende Zinslast ist riesig.Wir freuen uns darüber, dass die Zinslast zurzeit etwasgeringer ist als in den letzten Jahren. Noch 2008 habenwir 40 Milliarden Euro dafür aufgewendet. Im nächstenJahr sollen es nur noch 28 Milliarden Euro sein. Dengrößten Teil der Schuldenlast trägt allerdings der Bund.Vergleicht man die Staatsverschuldung in den letztenJahren, dann stellt man fest, dass sich die Staatsverschul-dung von Bund und Ländern von 2012 auf 2013 um30 Milliarden Euro verringert hat. Zwei Drittel der Ent-schuldung entfallen allerdings auf die Länder. Dennochdarf man nicht vergessen: Der Bund macht in dieser Le-gislaturperiode – genauso wie schon in der letzten –zahlreiche finanzielle Zugeständnisse und erbringt Kom-pensationsleistungen, von denen die Länder und dieKommunen profitieren. So werden die Länder und Kom-munen bei der Grundsicherung im Alter, der Erwerbs-minderung sowie den Kosten der Unterkunft und derHeizung, der Exzellenzinitiative, beim Hochschulpakt2020, beim BAföG und bei der öffentlichen Betreuungvon Kindern unter drei Jahren entlastet. Immer mehrLeistungen erbringt der Bund, um Kommunen und Län-der zu unterstützen. Das ist auch gut so, weil es denMenschen in Deutschland zugutekommt.
Es wurde vorhin darauf hingewiesen, dass auch Risi-ken bestehen, und zwar nicht nur im Ausland, sondernauch innerhalb Deutschlands. Wir werden noch in die-sem Herbst über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen sprechen. Das birgt angesichts derDiskussionen nicht unerhebliche Risiken für den Bund.Die Länderfinanzminister sind sich einig, dass sie– möglichst ohne Gegenleistung – vom Bund 35 Milliar-den Euro mehr haben wollen, ohne eine Antwort daraufzu geben, woher das Geld kommen soll.Ich möchte das, was der Kollege Norbert Barthle vor-hin gesagt hat, noch ergänzen: Die Länder haben bisherüberproportional profitiert. So sollen wir als Bund 2014nach der Steuerschätzung insgesamt 1,5 Prozent Mehr-einnahmen, die Länder 3 Prozent Mehreinnahmen ha-ben. Schaut man auf die Entwicklung der Einnahmenvon 2013 bis 2018, dann stellt man fest, dass nach derPrognose der Zuwachs für den Bund 43 Milliarden Eurobeträgt, der für die Länder hingegen 53 Milliarden Euro.Wenn man sich diese Rechnung vor Augen führt, dannmüssten eigentlich die nächsten Gespräche über dieBund-Länder-Finanzbeziehungen genau umgekehrt lau-fen. Wir als Bund müssten sagen, was wir von den Län-dern zum Ausgleich für diese unterschiedliche Entwick-lung haben wollen. Das wäre natürlich unrealistisch.
Wir dürfen dem Geld nicht hinterherlaufen, sondernmüssen ihm entgegengehen. Der Kollege Brinkhaus hatdas Haushalt 4.0 genannt. Wir brauchen eine effizienterePolitik. Wir dürfen nicht übereinander reden und vondem jeweils anderen ohne Gegenleistung etwas fordern,sondern müssen uns darauf besinnen, was wir inDeutschland in unserer Verwaltung machen können undwie wir Einnahmen generieren, über deren Verteilungwir uns hinterher unterhalten können.
Wir haben das einmal in der letzten Föderalismus-kommission mit den Ländern hinbekommen, indem wirdie Einnahmen aus der Kfz-Steuer von den Ländern aufden Bund übertragen haben. Wir stellen heute fest, dasswir, nachdem wir am 1. Juli die Kfz-Steuer komplettübernommen haben, nur noch die Hälfte der Beschäftig-ten haben, die die Länder hatten. In diesen waren ur-sprünglich einmal 3 300 Beamte damit beschäftigt, wirsind jetzt bei 1 771. Die EDV-Kosten sind gesunken, undder Bürger hat überhaupt keinen Nachteil dadurch. DieseEffizienzrendite gibt es auch an anderer Stelle, und da-rüber werden wir diskutieren müssen.
Schauen wir uns zum Beispiel die Umsatzsteuer an.Wir haben 16 Steuerverwaltungen der Länder plus eineSteuerverwaltung des Bundes. Wenn wir uns die euro-päischen Berichte anschauen und uns die Umsatzsteuer-betrügereien vergegenwärtigen, dann stellen wir fest,dass der Betrug häufig nach demselben Strickmuster ge-schieht. Firmen ziehen die Vorsteuer in dem einen Landein, gehen dann in ein zweites Land und anschließend inein drittes. Nach Tschechien gehen sie übrigens nicht;denn in Tschechien gibt es einen automatischen Daten-abgleich, wodurch man einen Betrug sehr schnell fest-stellen würde. In Deutschland ist das aber schlichtwegnicht möglich, weil wir uns mit den Ländern nicht da-rüber einigen können, einen automatischen Datenab-gleich durchzuführen. 16 unterschiedliche EDV-Systemezu harmonisieren, bedeutet einen mehrjährigen Auf-wand, und das Ergebnis ist nicht einmal sichergestellt.
Das BMF hat bereits vor einigen Jahren ermitteln las-sen, welche Rendite zu erzielen wäre, wenn wir unsereSteuerverwaltung auf eine neue gemeinsame Grundlagestellen würden. Über 11 Milliarden Euro Effizienzren-dite könnten wir jährlich erzielen. Das muss unser Zielauch für diesen Haushalt sein. Wir müssen die Initiativeergreifen und Mehreinnahmen schaffen, Bürgerfreund-
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lichkeit erhalten und das Geld von denjenigen nehmen,die es dem Staat vorenthalten wollen. Dann, glaube ich,haben Bund und Länder gemeinsam etwas davon, unddie schwarze Null bleibt Realität und nicht nur Plan.Vielen Dank.
Ebenfalls für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege
Bartholomäus Kalb das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Wenn man so lange dem Deut-schen Bundestag angehören darf wie ich und in derHaushaltspolitik mitwirken darf, dann darf man sagen:Heute ist für einen Haushälter wirklich ein Tag derFreude und der Genugtuung. Der Bundesfinanzministerhat vorhin einen Haushaltsentwurf für das Jahr 2015 vor-gestellt, in dem zum ersten Mal in der Zeit, in der ich da-bei sein darf, absolut keine Neuverschuldung mehr vor-gesehen ist. Ich denke, das darf auch gewürdigt werden.
Wolfgang Schäuble ist der dritte Finanzminister, demes tatsächlich gelingt, einen ausgeglichenen Haushaltohne neue Schulden vorzulegen. Ich darf daran erinnern:Es war vor 45 Jahren der Bayer Franz Josef Strauß und eswar in den 1950er-Jahren der Passauer Abgeordnete FritzSchäffer – auch ein Bayer; er war damals Bundesfinanz-minister –, die ebenfalls einen ausgeglichenen Haushaltvorlegen konnten. Nach Schäffer und Strauß kamen vieleandere Finanzminister. Nun ist Wolfgang Schäuble keinBayer, aber zumindest ein Südstaatler; das sollte unsfreuen. Ich darf sagen – ich kann hier natürlich nicht mitder schwäbischen Hausfrau dienen –: Auch ein umsichtigagierender badischer Hausvater ist gut für dieses Land,das seit nunmehr 65 Jahren besteht. Herzlichen Glück-wunsch!
Die Menschen draußen meinen, es sei ganz einfach,das alles zustande zu bringen. Sie hören, dass das Statis-tische Bundesamt sprudelnde Steuereinnahmen vermel-det, weswegen sie glauben, es könne nicht so schwersein, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Im Ge-genteil: Diesem Haushaltsentwurf ging unglaublichharte Arbeit voraus; das war eine ganz gewaltige He-rausforderung. Wir hatten zwar mehr Steuereinnahmen,aber gleichzeitig mussten wir enorm gestiegene Aufga-ben bewältigen. Ich erinnere an das – von meinen Vor-rednern sind schon viele Beispiele genannt worden –,was wir in den Bereichen Bildung und Forschung, Erzie-hung und Kinderbetreuung, Sicherstellung der Sicher-heit nach innen und nach außen, soziale Absicherungund kommunale Entlastung zusätzlich leisten.Dass die Steuereinnahmen gestiegen sind und die So-zialkassen heute so gut dastehen, ist keine Selbst-verständlichkeit, sondern auch Ergebnis einer wirtschaft-lichen Entwicklung, zu der wir ganz maßgeblichbeigetragen haben, indem wir die Weichen dafür gestellthaben. Wir haben heute mit über 42 Millionen Erwerbs-tätigen in der Bundesrepublik Deutschland Gott seiDank die höchste Zahl aller Zeiten. Wir haben heuteGott sei Dank die höchste Zahl an versicherungspflichtigBeschäftigten. Das ist natürlich Ergebnis einer klugenPolitik, gepaart mit dem Fleiß und der Kreativität derMenschen sowie dem Ideenreichtum unserer Unterneh-mer. Daraus ergibt sich auch die Robustheit unsererWirtschaft und unseres Arbeitsmarktes.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutsch-land hat bewiesen, dass Konsolidierung, Sparen, Schul-denbegrenzung und strukturelle Reformen richtig sind.Nur dadurch ist es uns gelungen, vom einst als „krankerMann Europas“ apostrophierten Land zum Spitzenreiter,zum Stabilitätsanker und zum Wirtschaftsmotor inEuropa zu werden. Heute sind wir zum Glück in derLage – der Bundesfinanzminister hat es in seiner Redeangesprochen; es wäre wünschenswert, es würde nochmehr geschehen –, auch jungen Menschen aus andereneuropäischen Ländern bei uns eine Chance zu bieten.Wir alle wissen, dass man unsere Auffassungen in Pa-ris und in Rom nicht immer ganz teilt. Aber gerade dieLänder, die es schwer hatten, die Reformländer – ichdenke an die baltischen Staaten, an Irland, an Spanien,an Portugal, aber auch an Griechenland und Zypern –,haben enorme Anstrengungen unternommen und einenvernünftigen Kurs der Konsolidierung eingeschlagen.Man kann nur sagen: Respekt für das, was hier geleistetworden ist! In Richtung Finanzmärkte sei gesagt: UnsereMaßnahmen haben sich als richtig erwiesen. Zu Beginnder Finanzkrise ist der Versuch unternommen worden,auszutesten, wie stabil der Euro sein werde. Heute trautsich niemand mehr, einen solchen Test noch einmaldurchzuführen, weil alle wissen, dass man damit gegeneine Wand laufen würde, dass ein solcher Versuchschiefgehen würde. Auch hier haben sich die Maßnah-men, die wir gemeinsam mit der EZB zur Stabilisierungdes Euro ergriffen haben, als absolut richtig und erfolg-versprechend erwiesen. Vielleicht sollte man in einerDebatte wie dieser auch sagen: Viele Maßnahmen, diewir hier nach intensivsten Beratungen und Diskussionenbeschlossen haben, sind seinerzeit von der Bevölkerungnicht nur als gut angesehen worden. Heute stellen wiraber fest: Diese Maßnahmen haben sich als absolut rich-tig erwiesen.Ich nenne ein zweites Beispiel. Es ist schon gesagtworden: Es gab Finanzminister und Situationen, bei de-nen wir schon nahe an der schwarzen Null, am ausgegli-chenen Haushalt waren. – Theo Waigel hätte 1989 fürdas Haushaltsjahr 1990 einen ausgeglichenen Haushaltvorlegen können. Dann kam aber die Wiedervereini-gung; ich sage nicht „leider“, sondern „Gott sei Dank“.Es war ein Glück, es war ein Segen, dass die Teilung un-seres Vaterlandes und unseres Kontinents mit Mauer,Stacheldraht und Schießbefehl friedlich überwundenwerden konnte.
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Bartholomäus Kalb
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Ich nenne ein weiteres Beispiel. Nicht alle Maßnah-men, die wir ergriffen haben, als uns 2008/09 die Wirt-schafts- und Finanzkrise größte Sorgen bereitet hat, wur-den seinerzeit von der Bevölkerung als absolut richtigangesehen. Aber das Ergebnis hat unsere Politik bestä-tigt. Sie hat sich als richtig erwiesen. Vielleicht sollteman das auch öffentlich sagen. Wir mussten den Ban-kensektor stabilisieren, haben daran noch zu arbeiten.Aber wenn sich herausstellt, wenn es eine Tatsache ist,dass alle Garantien, die wir für diesen Bereich ausgege-ben haben, nicht in Anspruch genommen worden sind,dass das ohne einen einzigen Eurocent an Verlust geblie-ben ist, dann zeigt das, dass die Maßnahmen richtig wa-ren, dass sie zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Leis-tungsfähigkeit beigetragen haben und dass sie zumErhalt der Arbeitsplätze und zum Aufbau neuer Arbeits-plätze beigetragen haben. Ich denke, das ist dann auchein Beweis dafür, dass politisch gut und richtig gehan-delt worden ist. Heute können wir uns darüber freuen,dass Deutschland gut dasteht, dass die Wirtschaft stabilist, dass der Arbeitsmarkt robust ist.Wir können nur hoffen, dass die Ereignisse von derUkraine bis zum „arabischen Krisenbogen“, wie esMichael Stürmer formuliert hat, nicht dazu führen, dasses einen Wirtschaftseinbruch, einen konjunkturellen Ein-bruch in Europa oder gar eine Weltwirtschaftskrise gibt.Damit hoffe ich auch, dass es nicht zu dem kommt, wasBundesfinanzminister Schäuble in einem Interview ge-genüber der Neuen Passauer Presse zum Ausdruck ge-bracht hat: Denn wenn die Welt einstürzen würde, dannsähe alles ganz anders aus. Wir hoffen, dass wir einegute Zukunft haben, dass die Krisen bewältigt werden,auch und gerade durch die Anstrengungen der Bundesre-gierung insgesamt und der Frau Bundeskanzlerin im Be-sonderen. Dann haben die Menschen im Lande, dann ha-ben die Menschen in Europa eine gute Zukunft.Herzlichen Dank.
Die Kollegin Antje Tillmann hat für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuschauer und Zuhörer! „Kommunen erzielten imJahr 2013 einen Überschuss von 1,1 Milliarden Euro“,so titelte das Statistische Bundesamt am 21. März diesesJahres. Im ersten Halbjahr 2014 waren es sogar bereitsüber 5,3 Milliarden Euro. Die kommunalen Spitzenver-bände rechnen für die Jahre 2014 bis 2016 damit, dassdie Städte und Gemeinden jährlich jeweils über 4 Mil-liarden Euro mehr einnehmen, als sie ausgeben.Dieser Erfolg ist natürlich ganz zuvorderst Lohn der-jenigen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpoliti-ker, die die Haushalte auch auf lokaler Ebene in denGriff zu bekommen versuchen. Großer Dank dafür! Na-türlich macht es mehr Spaß, an die Wählerinnen undWähler Geschenke zu verteilen, als zu sparen. Wennman das auch noch ehrenamtlich tun muss, dann ist daseiner hohen Anerkennung wert.
Aber der Dank gilt natürlich auch Ihnen als Bürgerin-nen und Bürger; denn seit einiger Zeit achten Sie beiWahlen sehr wohl darauf, dass Sie sich Vertreter in dieParlamente wählen, die Ihnen nicht nach dem Motto„Was kostet die Welt?“ Versprechungen machen. Sieachten in Ihrer Verantwortung als Bürger dieses Landesdarauf, dass wir als Politiker mit dem Geld, das Sie unszur Verfügung gestellt haben, ordnungsgemäß umgehen.Herzlichen Dank, dass Sie uns da den Rücken stärken!
Aber der Erfolg der Kommunen ist auch ganz ent-scheidend davon geprägt, was wir in den letzten Jahrenzugunsten der Kommunen entschieden haben. Bei derGrundsicherung im Alter beträgt die jährliche Entlastung5 Milliarden Euro. Die Mittel für den Ausbau der Kin-derbetreuung sind auf 1 Milliarde Euro aufgestockt wor-den. Die Beteiligung an den Betriebskosten für die Kin-derbetreuung wird 2017 weiter erhöht. Im Vorgriff aufdas Bundesteilhabegesetz entlastet der Bund die Kom-munen noch einmal um jährlich 1 Milliarde Euro.Ich kenne durchaus das Problem der Durchschnitte.Was nützt es einer schlecht aufgestellten Kommune,wenn die Kommune neben ihr Überschüsse macht? Wirmüssen an dieser Stelle aber immer wieder daran erin-nern, dass der Ausgleich zwischen den Kommunen zu-vorderst Länderaufgabe ist. Es ist Aufgabe der Länder,über die kommunalen Finanzausgleiche sicherzustellen,dass Gelder, die wir ihnen geben, tatsächlich dort an-kommen, wo sie gebraucht werden. Die Länder konntensich in den vergangenen Jahren nicht beklagen; dennauch sie haben die Neuverschuldung von null bisher nurknapp verpasst. Im Jahr 2013 betrug sie noch insgesamt1,9 Milliarden Euro. Im ersten Quartal 2014 beträgt sieknapp über null. Das liegt nicht nur ganz wesentlich anden Kollegen in den Landtagen, die versuchen, dieHaushalte zu konsolidieren, sondern auch an den Mit-teln, die der Bund weitergereicht hat: 5 Milliarden Eurofür Bildung, Komplettübernahme des BAföG; Entflech-tungsmittel von über 2,6 Milliarden Euro fließen bis2019 an die Länder. Wir danken den Finanzministern,die ihre Versprechen einhalten, diese Gelder an dieKommunen weiterzureichen oder für Bildung vor Ortauszugeben. Leider tun das nicht alle Finanzminister. Ichbin aber froh, dass mein Finanzminister in Thüringenversprochen hat, die BAföG-Ersparnis sofort für Bil-dung und Forschung in den Hochschulen Thüringensauszugeben.
Nun zum Bund. Der Bund nimmt dank des Finanz-ministers, aber auch dank der Haushälterinnen undHaushälter im nächsten Jahr keine neuen Schulden auf.Das einmal zu schaffen, ist super; Herr Brinkhaus hat
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014 4485
Antje Tillmann
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darauf hingewiesen. All denen, die meinen, wir freutenuns heute zu viel, kann ich nur den Hinweis geben: Wirwissen, dass es ein noch viel schwierigerer Weg ist,diese Null zu halten. Selbstverständlich kennen wir dieKrisen und die Auswirkungen auf die Wirtschaft. ImRahmen der Föderalismuskommission werden wir übereine Neuaufteilung der Bund-Länder-Finanzbeziehun-gen sprechen.Liebe Frau Hajduk, Sie mahnten gerade Solidaritätmit den Schwächeren an. Ich sage selbstbewusst ausThüringer Sicht: Gott sei Dank sind wir nicht mehr diearme Region der Republik.
– Das ist auch keine Kritik. Ich sage nur: Die Schwäche-ren sind nicht nur im ehemaligen Osten.
Viele neue Bundesländer können selbstbewusst sa-gen: Wir haben viel geschafft.
Ich danke Herrn Finanzminister Schäuble, der in denvergangenen Tagen in mehreren Interviews deutlich ge-sagt hat: Auch wenn der Solidarpakt ausläuft, wird esSolidarität mit den Schwächeren geben. – Ich meine: DieRegionen können sehr wohl im Westen und im Osten lie-gen; denn die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Län-dern haben schon Erhebliches erreicht. In vielen Berei-chen sind wir sogar besser als manch westdeutschesLand. Darauf sind wir stolz.
Haushalte kann man sanieren, indem man spart oderindem man in den Bereichen, in denen es zu höherenSteuereinnahmen kommen kann, diese auch generiert.Wir haben über Wirtschaftswachstum gesprochen. DieSenkung von Arbeitslosigkeit führt zu weniger Kostenund mehr Steuereinnahmen, ohne dass es irgendjeman-dem wehtut, ganz im Gegenteil. Wir konzentrieren unsim Finanzausschuss sehr wohl auch auf das Thema „ge-rechte Steuereinnahmen“. Das Stichwort BEPS wurdeschon genannt. Wir wollen Steuerschlupflöcher stopfen.Wir wollen, dass sich jeder nach seiner Leistungsfähig-keit an den Einnahmen des Staates beteiligt. Wir wollenDokumentationspflichten nur da einführen, wo sie tat-sächlich zur gerechten Besteuerung erforderlich sind.Wir wollen aber auch bei der Steuervereinfachung wei-termachen; ich weiß, dass viele dieses Wort nicht mehrhören können. Wir planen, die Bürger und Bürgerinnenvon Aufzeichnungspflichten und der Einreichung vonBelegen zu entlasten. Künftig soll der Bürger seine Steu-ererklärung abgeben und Belege nur noch dann kopierenmüssen, wenn in seinem Fall etwas anders ist als imNormalfall. Auch da können wir den Steuerzahlerinnenund Steuerzahlern erhebliche Arbeit ersparen. Das gehenwir an.
– Danke, Herr Binding.Auch beim Thema „Vereinbarkeit von Familie undBeruf“ gehen wir weiter voran. Wir werden die Leistun-gen des Arbeitgebers zur besseren Vereinbarkeit beiPflegebedürftigkeit und bei der Betreuung von Kindernsteuerfrei stellen. Wir werden die private Altersvorsorgenoch mehr fördern, als wir es bisher schon getan haben.Wir werden sicherstellen, dass Bürgerinnen und Bürgernur die Steuern zahlen, die gesetzlich vorgesehen sind.Auch da sind wir auf einem guten Weg. Im Herbst wer-den dazu viele Gesetze verabschiedet.Ich komme zur dritten Säule. Um die staatlichenFinanzen in Ordnung bringen zu können, ist sicherzu-stellen, dass Steuergelder nicht dorthin fließen, wo sienicht hingehören. In diesem Zusammenhang möchte ichdas Stichwort „Bankenunion“ nennen. Wir haben in derVergangenheit mit Steuergeldern Banken retten müssen.Das hat uns alle verärgert. Wir gehen im nächsten Monatunser Vorhaben an, eine europäische Bankenunion zu in-stallieren. Wichtigstes Anliegen in Bezug auf diese Ban-kenunion ist es, dass wir keinen Euro der Steuerzahlerin-nen und Steuerzahler mehr in Bankenrettungen steckenmüssen.Herr Kollege Bartsch, wie Sie auf die Idee kommen,wir hätten bisher nicht reguliert, ist mir nicht klar.
Ihr Kollege Troost aus dem Finanzausschuss kann Ihnenvon 30 zum Teil erheblichen Regulierungen erzählen.Wir haben zum Beispiel die Vorstände in Haftung ge-nommen und die Boni reduziert. Wir werden nun mit dereuropäischen Bankenunion dafür sorgen, dass diejeni-gen, die Risiken eingehen, auch dafür zahlen müssen.Dies wird nicht zuletzt der Bankenfonds sicherstellen.Wir tun dies letztendlich für die normalen Steuerzahle-rinnen und Steuerzahler. Denn jeder Euro, den wir nichtfür Bankenrettungen ausgeben müssen – dort gehört dasGeld im Übrigen auch nicht hin –, steht uns zur Verbes-serung der Finanzsituation und für Investitionen zur Ver-fügung. Künftige Generationen werden es uns danken.Lassen Sie uns heute den Weg zu einem geordnetenFinanzsystem in Deutschland gehen. Ich lade Sie dazurecht herzlich ein.
Weitere Wortmeldungen zur Allgemeinen Finanzde-batte liegen nicht vor.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums des Innern, Einzelplan 06.Das Wort hat der Bundesminister des Innern,Dr. Thomas de Maizière.
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4486 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
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Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung bringtheute den Haushalt 2015 ein. Erst vor wenigen Wochenhaben wir den Haushalt für das Jahr 2014 beschlossen.Wir haben über viele innenpolitische Themen diskutiert,zum Beispiel über die IT. Mittlerweile ist die DigitaleAgenda beschlossen. Mittlerweile habe ich den Entwurfeines IT-Sicherheitsgesetzes vorgelegt.Viele andere Themen sind wichtig und beschäftigenuns. Ich nenne sie stichwortartig: der NSU und dessenweitere Aufarbeitung, die NSA und die Spionageabwehrin Verbindung mit den wichtigen Beziehungen zwischenuns und den Vereinigten Staaten von Amerika, die digi-tale Verwaltung und die Investitionen in Netze desBundes, der Datenschutz, insbesondere die EU-Daten-schutzverordnung, die Tarifeinheit, die Frage, ob wirOlympische Spiele in Deutschland wollen
und welche Rolle wir dabei einnehmen, die Sportförde-rung und vieles andere mehr. All das haben wir disku-tiert und werden es auch weiterhin diskutieren.Ich möchte mich heute in meiner Rede auf zwei The-men konzentrieren, die uns in diesen Tagen besondersbeschäftigen und in den nächsten Jahren weiterhin be-sonders beschäftigen werden. Das ist einmal das ThemaSicherheit und einmal das Thema Asyl und Migration.Zunächst zum Thema Sicherheit. Deutschland ist ei-nes der sichersten Länder in der Welt. Die Zahl der poli-zeilich registrierten Straftaten liegt seit Jahren unter6 Millionen. Wir haben sogar eine geringfügige Senkungbeobachten können. Dennoch haben heute mehr Men-schen als früher das Gefühl, dass die Zahl der Straftatenin Deutschland zunimmt. Das liegt möglicherweise darinbegründet, dass die Zahl der unmittelbar persönlichwahrnehmbaren Straftaten gestiegen ist. So belegen dieaktuellen Zahlen, dass die Zahl der Wohnungseinbrücheim letzten Jahr um 3,7 Prozent gestiegen ist. Dies ge-schieht nicht zum ersten Mal. Wir sind zwar noch nichtso weit wie Anfang der 90er-Jahre, aber seit zwei oderdrei Jahren steigt die Zahl der Einbruchdiebstähle.Im Bereich des Kfz-Diebstahls haben wir zwar nur ei-nen geringfügigen Anstieg um 0,5 Prozent. Regional istdas aber sehr unterschiedlich. In bestimmten Ballungs-zentren und bestimmten Grenzregionen im Osten undNorden haben wir es mit besorgniserregenden Fallzahlenzu tun. Darauf müssen wir reagieren, und darauf habenBund und Länder reagiert. Bund und Länder haben aufder letzten Innenministerkonferenz den Einbrechern indiesem Land gemeinsam den Kampf angesagt. Wir müs-sen regional ermitteln. Die Länder müssen gut zusam-menarbeiten. Die Länder müssen gut mit dem Bundzusammenarbeiten. Wir müssen international besser zu-sammenarbeiten; denn wir haben es mit international or-ganisierter Bandenkriminalität zu tun.Wir haben auch ein Maßnahmenpaket gegen diegrenzüberschreitende Kfz-Kriminalität erarbeitet. Wirhaben den deutsch-polnischen Polizeivertrag zu Endeverhandelt. Wir sind in Schlussverhandlungen mit derTschechischen Republik über einen entsprechenden Ver-trag. Mit meinen französischen und niederländischenKollegen arbeite ich bei der Bekämpfung grenzüber-schreitender Kriminalität mit Hochdruck zusammen.In vielen dieser Fälle – ich sagte es – stellen wir ver-stärkt Bezüge zur Organisierten Kriminalität, zur Ban-denkriminalität fest. Wir nennen es Vorfeld-OK – derBegriff der Organisierten Kriminalität ist in der Krimi-nalistik eng definiert –; faktisch ist es Organisierte Kri-minalität. Rund 78 Prozent der 2013 in Deutschlandgeführten Ermittlungsverfahren im OK-Bereich hatteninternationale Bezüge – in 128 Staaten. Die Zentralendieser international agierenden Banden liegen in Italien,in den Balkanstaaten, in Georgien, in Russland; und im-mer sind deutsche Staatsbürger dabei.Auf diese Entwicklungen müssen unsere Ermittlungs-behörden antworten. Um Schritt zu halten, entwickelnPolizei und Staatsanwaltschaften neue Bekämpfungs-strategien. Das BKA, Europol und Interpol arbeiteninternational mit Partnern zusammen. Wir werden dem-nächst, noch im November, einen Deutschen, nämlichden Vizepräsidenten des BKA, als Präsidenten von Inter-pol haben – ein schöner Erfolg für Deutschland.
Wir arbeiten, wo es eben geht – um es mal so zu for-mulieren –, mit den Regierungen vor Ort zusammen. Esist jedoch auch die Aufgabe des Gesetzgebers, dafürSorge zu tragen, dass unseren Ermittlern im Kampf ge-gen das international organisierte Verbrechen die nötigenInstrumente zur Verfügung stehen. Dafür haben wir unsin der Koalition auf Ziele geeinigt: Wir haben vereinbart,die Geldwäschebekämpfung zu intensivieren. Wir müs-sen endlich den Rahmenbeschluss der EuropäischenUnion zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität indeutsches Recht umsetzen. Wir werden die Abschöpfungvon Vermögen aus Straftaten vereinfachen. Denn es trifftdie OK und vor allem die Führer der OK am allermeis-ten, wenn das, worum es geht, nämlich das Geld aus Ver-brechen, eingezogen wird.
Bei all diesen Vorhaben haben wir keine Zeit zu verlie-ren. Mein Kollege Maas und ich arbeiten deshalb mitHochdruck daran, diese Vorhaben zügig umzusetzen.Meine Damen und Herren, eine größer werdende Be-drohung für die öffentliche Sicherheit in Deutschlandstellt weiterhin der islamistische Extremismus dar. Ichbin von Herzen froh, dass sich die ganz überwiegende,große Mehrheit der Moslems gerade in den letzten Tagenüber ihre Verbände öffentlich davon distanziert hat.
Das ist ein großer Beitrag zur Stärkung des inneren Zu-sammenhalts und isoliert diejenigen, die sich für ihrepolitischen Zwecke fälschlicherweise auf den Islam be-rufen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014 4487
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Wir haben in den vergangenen Jahren im Bereich desSalafismus eine steigende Anhängerzahl festgestellt; wirschätzen die Zahl auf rund 6 000. Derzeit bereiten unsvor allem die Reisebewegungen radikalisierter deutscherIslamisten oder von Islamisten anderer Staatsangehörig-keit aus Deutschland große Sorge. Seit 2012 wissen wirvon mehr als 400 Ausreisen aus Deutschland in syrischeKampfgebiete und vermehrt auch in den Irak. Es gibtHinweise, dass dabei mehr als 40 Personen ums Lebengekommen sind, einige davon als Selbstmordattentäterim Irak. Über 100 Islamisten sind bisher zurückgekehrt,viele frustriert, aber andere mit Kampferfahrungen; siehaben gelernt, zu hassen und zu töten, sie sind vernetzt,sie sind ausgebildet und möglicherweise bereit zum Wis-senstransfer zu anderen. In manchen Szenen gelten sieals Helden. Wir wollen verhindern, dass diese radikali-sierten Kämpfer ihren Dschihad in unsere deutschenStädte tragen.
Ich will es noch einmal ernster sagen: Wenn wir nichtwollen, dass deutsche Soldaten an der Seite von Kurdengegen IS bzw. ISIS kämpfen, dann müssen wir wenigs-tens dafür sorgen, dass nicht Männer und Frauen ausDeutschland an der Seite von IS gegen Kurden, gegenJesiden und gegen Christen kämpfen.
Wir setzen dabei auf die Arbeit unserer Sicherheitsbe-hörden; sie arbeiten gut. Am vergangenen Wochenendesind vier Rückkehrer – es handelt sich in diesem Fall umPersonen aus dem Bereich der al-Schabab – auch dankder Zusammenarbeit mit dem kenianischen Dienst aufihrem Weg nach Deutschland verhaftet worden. Drei vonihnen sitzen in Haft. Wir denken darüber hinaus intensivdarüber nach und prüfen, welche neuen Maßnahmen wirin Deutschland kurzfristig ergreifen können, um gegendie Aktivitäten des IS in Deutschland vorzugehen. Sehrschnell werden dazu Entscheidungen fallen.Ich möchte noch etwas zum Thema Asyl sagen. Ichdenke, das erwarten Sie von mir, und das ist angesichtsder Lage auch angemessen. Deutschland ist ein Einwan-derungsland geworden, und die meisten Menschen inunserem Land stehen der Zuwanderung inzwischen posi-tiv gegenüber. Das ist ein großer Fortschritt gegenüberden 70er- und 80er-Jahren.
Angesichts der Tatsache, dass wir wegen des demografi-schen Wandels künftig dringend auf mehr Zuwanderungangewiesen sein werden, ist das eine gute Nachricht. Esgibt kein einziges Handwerkerforum, in dem ich nichtauf das Thema Zuwanderung und Fachkräftemangel an-gesprochen werde. Das ist auch angesichts der Tatsache,dass gerade jetzt die Zahl der Menschen, die als Asylbe-werber Schutz in unserem Lande suchen, massiv an-steigt, eine gute Nachricht. Der UN-Flüchtlingskommis-sar Guterres, der eine klare Aussprache normalerweisenicht scheut, hat in den letzten Tagen gesagt:Deutschland spielt eine führende Rolle beim Flücht-lingsschutz und dient als positives Beispiel …Im Jahr 2013 wurden in der Europäischen Union435 000 Asylanträge registriert. Allein auf Deutschlandentfielen davon 30 Prozent. Für das laufende Jahr zeich-net sich ein Anstieg ab. Ich rechne für dieses Jahr mit200 000 oder vielleicht sogar etwas mehr Asylanträgenin Deutschland. Angesichts der Lage in den Ländern undKommunen, die an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeitgelangen, müssen wir nach Lösungen suchen. 2014 ha-ben wir das entsprechende Bundesamt mit zusätzlichenStellen und Sachmitteln für die schnellere Bearbeitungder Verfahren gestärkt. Für 2015 sprechen wir noch überdie entsprechenden Haushaltsauswirkungen.Da mit einer kurzfristigen Umkehr dieses Trends an-gesichts der geopolitischen Lage leider nicht gerechnetwerden kann, müssen wir alles dafür tun, die tatsächlicheAufnahmebereitschaft in Europa für die wirklich schutz-bedürftigen Flüchtlinge, für die schutzbedürftigen Asy-lanten längerfristig zu erhalten. Ein dringend notwendi-ger Schritt – damit spreche ich die Grünen noch einmalan – ist deshalb der Gesetzentwurf zu den sicheren Her-kunftsstaaten, mit dem wir die faktische Armutsmigra-tion, zum Teil aus Ländern, die einen EU-Beitrittskandi-datenstatus haben, reduzieren wollen. Ich werbe andieser Stelle noch einmal ausdrücklich um die Zustim-mung zu diesem Gesetzentwurf im Bundesrat.
Wir brauchen aber auch dringend eine gemeinsameeuropäische Antwort auf die steigenden Flüchtlingszah-len und die verheerende Situation im Mittelmeerraum.Deshalb haben mein französischer Freund und KollegeBernard Cazeneuve und ich eine Initiative gestartet, diewir heute in Form eines Briefes an die EU-Kommissionsenden – gemeinsam mit unseren polnischen und spani-schen Kollegen sowie mit unserer britischen Kollegin.Wir wollen eine gemeinsame europäische Antwort aufdiese Herausforderung. Diese Initiative umfasst siebenPunkte:Erstens. Wir wollen mit Blick auf die Zuwanderung indie Europäische Union eine bessere Kontrolle der exter-nen Grenzen der Europäischen Union. „Mare Nostrum“war als Nothilfe gedacht und hat sich als Brücke nachEuropa herausgestellt. Das kann nicht auf Dauer so sein.Deswegen soll „Mare Nostrum“ im Herbst durch ein an-deres Mandat abgelöst werden, durch eine Operation, dieetwas weiter gefasst ist als laufende Frontex-Operatio-nen.Zweitens. Wir müssen darauf bestehen, dass alle Län-der, egal ob sie im Norden, in der Mitte oder im SüdenEuropas liegen, sich an die Regeln halten, die sie selberunterschrieben haben.
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4488 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Das heißt, alle Flüchtlinge, alle Asylbewerber, die an-kommen, müssen registriert werden. Es müssen ihre Fin-gerabdrücke genommen werden, und sie müssen in denLändern, in denen sie ankommen, menschenwürdig undanständig aufgenommen werden.
Die Tatsache, dass wir das als Punkt einer Initiative her-vorheben, zeigt, dass wir dort Mängel haben.Drittens. Wir sind auch in der Europäischen Unionbereit zu einer koordinierten gemeinsamen Politik derRückführung in Länder, in die sie unter humanitären Ge-sichtspunkten möglich ist.Viertens. Wir wollen überlegen, ob wir für die Län-der, bei denen das Bestehen eines Rechtes auf Asylziemlich klar ist, zu einem schnelleren Asylverfahren– auch in Europa – kommen, damit schneller klar ist,wer bleiben darf.Fünftens. Das ist ein wichtiger und neuer Punkt. Wirsind sogar bereit, darüber zu sprechen, ob wir auf frei-williger Basis zeitlich befristet die Länder entlasten, dieüberproportional viele Flüchtlinge aufnehmen. Natürlichmuss sich jedes Land an seine Verpflichtungen halten.Dies geschieht zwingend unter Anrechnung der Lasten,die die Länder bereits schultern, die besonders vieleFlüchtlinge aufgenommen haben. Faktisch haben wirnämlich in nur 10 von 28 europäischen Ländern eineAufnahme von Flüchtlingen in nennenswertem Umfang.Eine solche Verteilung – manche fordern sie seit langem –ist nicht einfach zu organisieren. Wir werden viele De-batten darüber führen müssen. Aber wenn bestimmteLänder an der Grenze ihrer Aufnahmekapazität sind,dann müssen wir über eine zeitlich befristete, auf frei-williger Basis erfolgende Veränderung sprechen, natür-lich unter Anerkennung des geltenden Regelwerks.Sechstens. Wir wollen in Europa verstärkt gegen denMenschenhandel kämpfen. Denn alles, was wir hier anFolgen bei den Menschen erleben, hat mit der verbreche-rischen Aktivität von Menschenhändlern in Afrika undin Europa, auch unter Beteiligung von Deutschen, zutun. Gegen diese müssen wir viel entschlossener als bis-her vorgehen.
Siebtens. Wir brauchen einen viel koordinierteren, ge-meinsamen, kohärenten – so nennt man das – Ansatzgegenüber den Transitstaaten und gegenüber den Her-kunftsstaaten. Wir alle wissen, wie schwierig es in Li-byen ist. In Libyen ist es schwieriger als in Marokko.Wir wissen, dass Eritrea und Somalia komplizierteStrukturen haben. Wir können dies nicht einfach nur ta-tenlos hinnehmen, sondern wir müssen mit gemeinsamereuropäischer Außenpolitik, mit Flüchtlingspolitik, mitEntwicklungspolitik und mit der Innenpolitik ganz an-ders auf diese Länder zugehen und mit ihnen arbeiten.Ich hoffe, dass mit diesen sieben Punkten etwas inBewegung kommt, was auch Deutschland hilft. Wir er-warten, dass wir am 9. und 10. Oktober, wenn sich dieeuropäischen Innenminister treffen, ein entsprechendesMaßnahmenpaket beschließen können.Wir brauchen einen klugen Umgang mit Zuwanderern.Dafür brauchen wir einen Kompass. Mein Kompass istganz einfach: Ja zur Aufnahme politisch Verfolgter. Ja zurAufnahme von Flüchtlingen aus Krisengebieten. Neinzur Fehlleitung von Menschen in wirtschaftlicher Notins Asylsystem. – Wir stehen in Deutschland vor großenHerausforderungen. Gerade in den Bereichen Sicherheitund Migration ist es unsere gemeinsame Verantwortung,die Weichen gegebenenfalls neu zu stellen. Wir wollenhier die Gemeinsamkeit der Demokraten und nicht eineBelastung des Zusammenhalts unserer Gesellschaft. Wirwollen nicht, dass manche politisch davon Nutzen ha-ben. Eine Grundlage dafür legt auch der Haushalt desJahres 2015.In diesem Sinne freue ich mich auf die anstehendenBeratungen und viel Unterstützung.
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Jan
Korte das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Bevor wir uns den Haushaltsberatungen zu-wenden, möchte ich für die Fraktion Die Linke zu dem,was in Wuppertal unter dem Stichwort Scharia passiertist, zwei, drei Sätze verlieren. Ich fand die Reaktion desInnenministers und des Justizministers angemessen undsinnvoll. Wir sind auch bereit, wenn es nötig ist, unskonstruktiv in gegebenenfalls anstehende Gesetzesände-rungsverfahren einzubringen. Wichtiger finde ich aber,um das klar zu sagen: Was ist die richtige Antwort da-rauf, wenn religiöse Fanatiker, egal woher sie kommen,junge Menschen am Feiern hindern wollen? Die Antwortdarauf kann nur sein, am nächsten Wochenende mehr zufeiern. Wenn religiöse Fanatiker jungen Menschen dasRecht absprechen wollen, ordentliche Rockmusik zu hö-ren, dann ist die Antwort darauf, mehr Rockmusik zu hö-ren, und zwar noch lauter. Das ist die richtige Antwortder Gesellschaft.
Für uns als Politiker gilt natürlich, dass wir mehr indi-viduelle Freiheit, mehr Rechte für Migranten, mehr Inte-gration, mehr Teilhabe und vor allem mehr Wertschät-zung auch für die vielen Tausend Muslime organisierenmüssen, die in unserem Land mit uns zusammenleben.
Mehr Lob ist heute nicht drin, Herr Minister.Wir kommen nun zum zweiten Punkt. Ich meine, esist schon bemerkenswert, dass Sie in Ihrer Rede nicht ei-nen Satz zu Edward Snowden, zur NSA und zum Über-
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Jan Korte
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wachungsskandal der letzten Monate verloren haben. Esist wirklich der Hammer, dass Ihnen dazu nichts einfällt.Seit Snowden, seit über einem Jahr, ist unsere Gesell-schaft – ich weiß ja nicht, inwieweit das bei Ihnen ange-kommen ist – eine andere geworden. Das Nichtstun derBundesregierung liegt natürlich darin begründet, dassSie im Hinblick auf den Kampf gegen den internationa-len Terrorismus im Kern dasselbe Denken haben – dassnämlich der Zweck die Mittel heiligt – und dass Sie na-türlich ganz, ganz dicke darin verstrickt sind. Das habenwir hier schon oft dargelegt. Das hatte aber leider keinenachhaltige Wirkung.Deswegen will ich heute einen anderen Gedankenvortragen; vielleicht bewegt er etwas im Hinblick aufIhre Innenpolitik. Es geht um die Frage: Was bedeutetdas, was wir von dieser Dimension seit mittlerweile übereinem Jahr wissen, eigentlich für die Gesellschaft? Mas-senhafte anlasslose Überwachung ist ein schleichendesGift für jede Demokratie. Der Soziologe WolfgangSofsky hat in einem treffenden Buch zur Verteidigungder Privatsphäre geschrieben:Wer jederzeit damit rechnen muß, ins Visier zu ge-raten, der paßt sich freiwillig an.Das ist bei all dem, was wir in den letzten Monatengehört haben, die große Gefahr; denn das können wirnicht wollen. Wir wollen keine Anpassung. Wir wollenWiderspruch. Wir wollen Ungehorsam, Engagement undaufrechten Gang. In Ihrer Rede, die Sie eben vorgetragenhaben, hätten Sie dazu etwas sagen müssen. Dass Sie dasnicht getan haben, ist wirklich nicht zu fassen.
Und: Die freie Gesellschaft ist auf einen geschütztenprivaten Raum angewiesen, in dem wir unsere privaten,intimen, politischen Dinge bereden können, frei vonÜberwachung. Aber dafür tun Sie nichts.Drittens. In genau dieselbe Richtung weist auch IhrVerhalten im Hinblick auf die parlamentarische Kon-trolle. Sie ist übrigens nicht nur für die Opposition, son-dern auch für die Abgeordneten der Koalitionsfraktionenwichtig. Sie sitzen hier ja nicht als Pressesprecher derBundesregierung.
Vielmehr haben gerade die Innenpolitiker, auch die derKoalitionsfraktionen, die Aufgabe, die Bundesregierungund die Behörden zu kontrollieren. Das klappt gar nicht.Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Seitanderthalb Jahren verwenden wir – zumindest diejeni-gen, die parlamentarische Kontrolle ernst nehmen – amTelefon, sei es im Gespräch mit Mitarbeitern, sei es imGespräch mit Journalisten oder sonst wem, die Rede-wendung: Nicht am Telefon.
Das kann doch nicht allen Ernstes der Normalzustandsein, wie wir parlamentarische Kontrolle ausüben! Esmüsste Sie doch bewegen, dass es nicht mehr möglichist, am Telefon parlamentarische Kontrolle zu organisie-ren. Das kann es nicht sein, und dagegen müssen wir,alle Parlamentarier, gemeinsam entschieden vorgehen.
Schauen wir uns im Bereich der Kontrolle das Verhal-ten der Bundesregierung im Detail an. Es gab eineAnhörung im Untersuchungsausschuss. Nicht irgendje-mand, sondern der ehemalige Präsident des Bundesver-fassungsgerichts, Professor Dr. Hans-Jürgen Papier,sagte sinngemäß, dass die Auslandsaufklärung des Tele-kommunikationsverkehrs im Ausland durch den BNDohne eine gesetzliche Grundlage verfassungswidrig ist.Das ist, wie ich finde, ein durchaus massiver Vorwurf.Darüber kann man nicht einfach hinweggehen, wie Siees leider tun.Um hier ein wenig Bewegung hineinzubringen, hatmeine Fraktion in Bezug auf die Aussage Hans-JürgenPapiers und die Position der Bundesregierung eine de-taillierte Anfrage formuliert. Sie haben es wirklich hin-bekommen, auf elf detaillierte Fragen mit gerade einmal13 Zeilen zu antworten – ohne einen Satz des Nachden-kens, ohne mit einem Satz die Vorwürfe von Hans-Jürgen Papier und anderen führenden Verfassungsrecht-lern zu prüfen. Es ist doch wirklich nicht in Ordnung,gegenüber dem Bundestag, der hier eine Aufgabe zu er-füllen hat, so zu reagieren.
Wenn das nicht schon Hammer genug ist, will ich Ih-nen nicht vorenthalten, was Sie in Ihren Abschlusssätzenschreiben. Die Bundesregierung antwortet – ich darf zi-tieren –:Der Respekt vor dem Deutschen Bundestag gebie-tet, dass die Bundesregierung zunächst die Ergeb-nisse des Untersuchungsausschusses abwartet. DieArbeit des Untersuchungsausschusses steht erst amAnfang. Aus den Ergebnissen wird die Bundes-regierung die notwendigen Konsequenzen ziehen.Zitat Ende. Das ist wirklich der Hammer, noch so einenfrechen Satz hinterherzuschieben – wo wir doch wissen,dass Sie vonseiten der Bundesregierung nun wirklichmaßgeblich die Arbeit dieses Untersuchungsausschussesmit allen Mitteln torpedieren. So eine Antwort ist wirk-lich der Hammer!Übersetzt bedeutet das für alle Abgeordneten, egalwelcher Partei sie angehören, dass Sie im Bereich der In-nenpolitik nicht bereit sind, zum Thema ÜberwachungKleine Anfragen zu beantworten, schriftliche Fragen zubeantworten, mündliche Fragen zu beantworten, weil jader Untersuchungsausschuss noch tagt – wahrscheinlichnoch die gesamte Legislaturperiode. Wir alle, die wir imBereich der Innenpolitik tätig sind, können nach Hausegehen, wenn bis dahin nichts mehr beantwortet wird. Ichfinde, dieses Verhalten ist an Arroganz nicht zu überbie-ten, und fordere Sie wirklich auf, endlich Ihrer Aufgabenachzukommen, der Opposition und überhaupt allen
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Jan Korte
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Parlamentariern, die gewählt worden sind, um Sie zukontrollieren, ordentliche Auskunft zu geben!
In dem Sinne – vierter Punkt – geht natürlich auch derheute vorliegende Einzelplan 06 – Bundesinnenministe-rium – genau diesen Weg weiter. Um auch einmal anZahlen zu verdeutlichen, was ich eben im Bereich derparlamentarischen Kontrolle darzustellen versucht habe,schauen wir uns einmal die Relationen an: Das BKA soll416 Millionen Euro bekommen, das Bundesamt für Ver-fassungsschutz 209 Millionen Euro. Wie das dort aufge-teilt wird und ob wir das sinnvoll finden oder nicht, istdann im Bereich der Haushaltsberatungen zu diskutieren.Aber wenn man sich anschaut, was die Bundesbeauftragtefür den Datenschutz und die Informationsfreiheit demge-genüber bekommen soll, muss man feststellen: Das sindschlappe 9 Millionen Euro – in einer Zeit, wo der Daten-schutz angesichts von Überwachung und Geheimdienst-kontrolle eigentlich auf Platz eins der Agenda des Innen-ministeriums stehen sollte.Es geht noch weiter: Auch das IT-Sicherheitsgesetz,das Sie vorgelegt haben, werden wir in zukünftigenHaushaltsberatungen mit Zahlen untermauern müssen.Dafür sind vorgesehen – um noch ein paar Zahlen zunennen –: 133 Stellen für das BSI, 79 Stellen für dasBKA, 55 Stellen für das Bundesamt für Verfassungs-schutz, ganze 4 Stellen für die Bundesbeauftragte fürden Datenschutz. Das ist nicht angemessen. Wir fordernSie zu einer grundlegenden Umkehr in diesem Bereichauf, so auch in der Stellen- und Finanzpolitik im Bereichder Innenpolitik.
Zum Schluss. Meine Fraktion und ich meinen, dasswir in der Innenpolitik in der Tat einen grundlegendenRichtungswechsel brauchen. Wir brauchen eine Debatteüber strukturelle Reformen bei den Geheimdiensten. Diesind lange angekündigt worden. Bis jetzt habe ich nurmitbekommen, dass beim Bundesamt für Verfassungs-schutz ein Besucherzentrum eröffnet wurde; mehr habeich noch nicht gehört.
Ich finde, das ist zu wenig. Wir sind im Übrigen bereit– und tun das auch als Linke –, mit den Geheimdienstenzu diskutieren, wie dort mehr Kontrolle, mehr Refor-men, möglich sind. Die Bundesbeauftragte für den Da-tenschutz muss gestärkt werden, und sie muss schon vor2016 völlig unabhängig werden.Ich fasse zusammen: Der Bundestag muss auch imBereich der Innenpolitik seiner Aufgabe gerecht werdenkönnen, die Bundesregierung, die Behörden zu kontrol-lieren. Deswegen: Hören Sie mit dem Mauern und Ver-weigern auf! Es ist grundsätzlich so, dass man den Obe-ren immer auf die Finger schauen sollte. Im Bereich derInnenpolitik muss man auch Ihnen von der Bundesregie-rung im Speziellen auf die Finger schauen. Das werdenwir als linke Opposition mit großem Engagement undgroßer Freude weiter tun; darauf können Sie sich verlas-sen. Ich freue mich auf konstruktive Debatten in dennächsten Wochen und Monaten.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Martin Gerster für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Ich denke, heute ist in der Tat ein historischer Tag, wirerleben ein historisches Jahr. Ich will noch einmal in Er-innerung rufen, was wir heute Morgen in der Allgemei-nen Finanzdebatte, bei der Einbringung des Bundeshaus-halts durch den Bundesfinanzminister, hier feststellenkonnten: Wir haben einen ausgeglichenen Haushalt vor-gelegt bekommen, wir machen keine weiteren Schuldenmehr; diese Botschaft muss auch bei den Haushaltsbera-tungen zum Einzelplan 06 an allererster Stelle stehen.
Man muss an dieser Stelle auch einmal klar sagen: Dassind natürlich harte Rahmenbedingungen, denen wir unsalle natürlich ganz gezielt und bewusst unterworfen ha-ben. Deswegen will ich an dieser Stelle auch noch malein Dankeschön aussprechen an die Mitglieder der Ko-alitionsfraktionen, aber natürlich auch an das Bundes-innenministerium, speziell an den Bundesinnenminister;denn ich bin der Meinung, dass bereits in den vergange-nen Jahren die einzelnen Bereiche des Bundesinnen-ministeriums einen erheblichen Beitrag dazu geleistethaben, dass wir jetzt über einen ausgeglichenen Haushaltberaten und ihn dann auch beschließen können. Deswe-gen will ich einfach noch einmal darauf hinweisen, HerrBundesinnenminister, dass es doch völlig klar ist, dassnicht alle Wünsche – insbesondere in Ihrem Geschäfts-bereich – erfüllbar sind; denn Sie haben eine ganz beson-dere Herausforderung zu meistern, da der Personalanteilin Ihrem Haushalt sehr groß ist und Ihr Haushalt durcheine große Bandbreite gekennzeichnet ist. Sie habenaber natürlich auch strukturell und ganz aktuell enormeHerausforderungen zu bewältigen. Ich darf für die SPD-Fraktion hier einmal sagen: Aus unserer Sicht haben Siebei Ihrer Rede zur Einbringung Ihres Haushalts geradeeben die richtigen Schwerpunkte gesetzt.
Ich will auch deutlich machen, dass wir sehr froh undglücklich sind, dass die Förderung des wichtigen Be-reichs der Integration und der Integrationskurse, die wir
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Martin Gerster
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beim letzten Mal in einem gemeinsamen großen Kraftakthinbekommen haben, nachdem es mit den Bildungsmit-teln nicht so geklappt hatte, wie wir uns das gewünschthatten, jetzt fortgeschrieben wird. Ich will ausdrücklichwürdigen, dass im Haushalt jetzt bereits von vornherein244 Millionen Euro dafür eingestellt bzw. veranschlagtsind, weil ich glaube, es ist ein sehr gutes Zeichen, dassMenschen, die in unser Land kommen, auch bereit sind,Integrationskurse zu besuchen, und sagen: Jawohl, dasbringt mich nach vorne, das tue ich für meine eigene be-rufliche und Lebensperspektive. – Es ist aber doch auchwichtig für unsere Gesellschaft, dass wir dieses Angebotmachen, und da es so gut angenommen wird, sollten wirhier natürlich entsprechend nachsteuern und die notwen-digen Plätze von vornherein bereitstellen.
Ein zweiter wichtiger Punkt – Sie haben das ja auchselbst angesprochen – sind die kriegsähnlichen Kon-flikte, die rund um Europa bedauerlicherweise zuneh-men und natürlich eine besondere Herausforderung be-inhalten – insbesondere für Ihr Ressort. Ich will andieser Stelle einfach auch noch einmal in Erinnerung ru-fen, dass bereits im Haushalt 2014 300 zusätzliche Stel-len für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ste-hen. Jetzt satteln wir noch einmal mindestens 50 Stellendrauf. Das ist absolut notwendig. Wer mehr fordert,muss sich natürlich auch überlegen, ob es überhauptmöglich wäre, mehr qualifiziertes Fachpersonal in sokurzer Zeit zu gewinnen, sodass diese Stellen dann auchbesetzt werden könnten. Deswegen glaube ich, dass eswichtig ist, hier mit Augenmaß voranzugehen und trotz-dem im Blick zu behalten, dass alle Asylanträge gut,qualifiziert und individuell beschieden werden. Dabeisollten wir trotz der steigenden Zahl natürlich auch nichtdas Ziel aus den Augen verlieren, die Zeit für die Bear-beitung eines Asylantrags zu verkürzen, wie wir das imKoalitionsvertrag gemeinsam verabredet haben.Ich möchte jetzt gerne noch einige Sätze zum ThemaBundespolizei sagen. In den letzten Tagen gab es immerwieder seltsame Medienberichte, wonach die Bundes-polizei pleite sei. Das ist natürlich – das muss man andieser Stelle einfach auch einmal klar sagen – Humbug.Die Bundespolizei geht nicht pleite. Wir haben hier jazwei zuständige Minister: den Bundesinnenminister deMaizière von der Union und natürlich den Bundes-finanzminister Wolfgang Schäuble, der früher auch ein-mal Innenminister war. Beide kennen sich hier gut ausund haben eine entsprechende Expertise. Deswegen ge-hen wir vonseiten der SPD-Fraktion davon aus, dass sichdie zwei zusammensetzen und die kurzfristigen Eng-pässe – sollten sie tatsächlich vorhanden sein – beseiti-gen;
denn es kann natürlich nicht sein, dass irgendwelcheProphezeiungen in Medienberichten zur Realität wer-den. Die Erwartung der SPD-Fraktion ist hier klar.Allen, die jammern und sagen, hier werde der Sicher-heitsbereich vernachlässigt, will ich einfach noch einmalin Erinnerung rufen, dass wir als Große Koalition bereitsein großes Stellenhebungspaket für diese Legislatur-periode auf den Weg gebracht haben. Insgesamt werdenüber 1 300 Beamtinnen und Beamte befördert; in diesemJahr erfolgt die Beförderung der zweiten Tranche. Dassollten wir nicht verheimlichen, sondern offensiv ver-künden. Das gehörte nicht nur letztes Jahr erwähnt, son-dern das gehört jedes Jahr erwähnt.Ich muss auch vonseiten der SPD-Fraktion sagen: Wirsind sehr froh, dass insbesondere der mittlere Dienst imBereich der Bundespolizei davon profitieren wird, dassauch im nächsten Haushaltsjahr Mittel für Beförderun-gen von der Besoldungsgruppe A8 auf A9 vorgesehensind. Insofern sage ich: Das, was darüber hinaus nochmöglich ist, sollten wir noch einmal besprechen. Aberdie Ausgaben für die Bundespolizei mit einem großenAnteil im Haushalt sollten wir nicht aus den Augen ver-lieren. Das Gleiche gilt für unsere Einrichtungen undBehörden im Bevölkerungsschutz und bei der Katastro-phenhilfe.Noch ein Wort zum Sport. Die SPD-Fraktion freutsich sehr, dass die Mittel für „Jugend trainiert für Olym-pia“ und „Jugend trainiert für Paralympics“ wieder imHaushalt eingestellt sind. Aber wenn die Jugend jetzt fürOlympia und für die Paralympics trainiert, dann solltenwir auch die Bewerbung für Olympia offensiv vorantrei-ben.
Zunächst lassen wir den DOSB entscheiden. Aber dannwollen wir gemeinsam dafür werben, dass wir nicht nurFußballweltmeister werden können, sondern auch einhervorragender Ausrichter der Olympischen und Para-lympischen Spiele in unserem Land sein können.
– Herzlichen Dank. – Ich freue mich auf die weiterenBeratungen und auf die gute Zusammenarbeit, die wirbereits bei der letzten Haushaltsdebatte hatten.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr In-nenminister, weil Sie uns direkt angesprochen haben,will ich mit dem Thema Flüchtlinge beginnen. Ich findees gut, dass wir uns bereit erklären, mehr Flüchtlinge ausIrak und Syrien aufzunehmen. Wir brauchen hier einegemeinsame europäische Anstrengung, um die humani-täre Situation durch Aufnahme von Flüchtlingen wiedurch humanitäre Hilfe vor Ort zu entspannen.
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4492 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Volker Beck
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Aber es ist unanständig, wenn wir bestimmte Flücht-lingsgruppen, etwa die aus dem Balkan und die aus Irakund Syrien, in der Debatte gegeneinander ausspielen.
Sie selber haben mit Ihrem Sieben-Punkte-Plan geradeanerkannt: Das Dublin-System, bei dem der Artikel 16 aGrundgesetz hinsichtlich der Regelungen zu sicherenHerkunfts- und Drittstaaten Pate stand, ist in seinerDurchführung faktisch gescheitert. Ich nenne hier nurItalien und Griechenland. Sie wissen selber, welche Pro-bleme dort aufgetreten sind.Die Hypothese, dass man über ein ganzes Land pau-schal sagen kann: „Das ist für alle Gruppen gleicherma-ßen sicher“, stimmt einfach nicht. Es stimmt bei diesendrei Balkanstaaten für zwei Gruppen besonders nicht:für die Gruppe der Roma und für die Gruppe der Homo-sexuellen. Diese werden in diesen Ländern diskriminiertund verfolgt. Das kann man nicht einfach vom Tisch wi-schen und sagen: Das schauen wir uns im Sinne eines in-dividuellen Grundrechts auf Asyl gar nicht mehr an. –Das ist das falsche Konzept. Deshalb lehnen wir das ab.
Die Behauptung, der Gesetzentwurf zu den sicherenHerkunftsstaaten entlaste die Kommunen, stimmt nungar nicht. Sie wissen genau: In vielen Fällen werden An-träge von Flüchtlingen aus diesen Ländern ganz schnellals „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Es wirddurch dieses Gesetz keine Verfahrensbeschleunigungund deshalb auch keine Entlastung geben. Das sind allesSchalmeiengesänge. Hier soll eine Kampagne gegen dieFlüchtlinge gemacht werden. Aber dieses Gesetz wirdkeine Hilfe für die Kommunen sein.Ich bin dafür, dass wir den Kommunen helfen. Ich binauch dafür, dass wir darüber reden: Wie gehen wir indiesem Land mit Flüchtlingen um? Wenn das Asylbe-werberleistungsgesetz, das das Bundesverfassungsge-richt für verfassungswidrig erklärt hat, gestrichen wird,dann helfen wir den Kommunen bei den finanziellenLasten unmittelbar. Machen Sie das! Bringen Sie einenentsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg.
Wenn wir jetzt bis hinein in die CDU entdecken – die-sen Wandel will ich wohlwollend anerkennen –, dassman sich im Rahmen der Aufnahme von Flüchtlingenaktiv bemühen und engagieren muss, dann müssen wirauch darüber reden: Wie gehen wir mit diesen Menschenum? Dann muss auch klar sein: Residenzpflicht, dasAsylbewerberleistungsgesetz, aber auch Vorrangprüfungbeim Zugang zum Arbeitsmarkt müssen weg. Wir dürfendiese Menschen nicht als Lasten begreifen. Wenn wir sieaufnehmen, um ihnen Schutz zu gewähren, müssen wirauch ihre Potenziale sehen und ihnen die Möglichkeitgeben, ihre Potenziale in unsere Gesellschaft einzubrin-gen.
Dieses Geschacher wird Ihnen mittlerweile Gott seiDank auch draußen im Lande übel genommen. UlrichSchneider vom Paritätischen Gesamtverband hat heutegesagt, dass es unanständig ist, diese Gruppen in einemparteipolitischen Geschacher gegeneinander auszuspie-len, dass es unanständig und unsinnig ist, die Einstufungals sichere Herkunftsstaaten zum Beispiel gegen Verbes-serungen bei der Altfallregelung zu verdealen. Entwederist ein Herkunftsstaat tatsächlich sicher – dann muss mandie Einstufung nicht verdealen – oder nicht. Entweder isteine Altfallregelung humanitär geboten – dann mussman sie nicht zum Preis für eine Zustimmung zu irgend-welchem Unsinn machen – oder nicht. Also lassen Sieuns das sachlich betrachten und zu einer vernünftigen In-nenpolitik zurückkehren.
Eine bessere Einwanderungspolitik heißt auch: Will-kommenskultur und nicht Diffamierung. Über einenPunkt haben Sie in diesem Zusammenhang übrigens garnicht gesprochen: über Ihren Gesetzentwurf zur Ände-rung des EU-Freizügigkeitsrechts. Darin ist viel Europa-rechtswidriges enthalten. Darin ist aber zum Beispielauch eine Maßnahme beim Kindergeldbezug enthalten,gegen die man im Prinzip gar nichts haben kann. Sie hatbloß dummerweise mit den EU-Freizügigkeitsrechtengar nichts zu tun. Aber der Bundesrechnungshof hat Ih-nen einen Bericht auf den Tisch gelegt, in dem steht,dass es einen Kindergeldbetrug von Tausenden von deut-schen Beamten gab. Soweit ich weiß, sind deutsche Be-amte überwiegend keine Bulgaren und Rumänen.
– Ja, man soll ja nie behaupten, dass etwas zu 100 Pro-zent so ist; da könnte man immer eine Ausnahme finden.Zum Thema Menschenhandel haben Sie gesagt: Damüssen wir energischer vorgehen. – Das teile ich vollund ganz. Aber bitte lassen Sie uns nicht über Strafrechts-ästhetik streiten. Das meiste davon ist strafbar, und dazugibt es einen alten Entwurf aus dem BMJ, den ich imWesentlichen – bis auf einige Details – gar nicht ver-kehrt finde. Das lohnt den Streit nicht.Lassen Sie uns endlich den Opfern des Menschenhan-dels helfen! Ein Opfer von Menschenhandel darf nicht indie Situation zurückgeschoben werden, aus der es ge-raubt und hierher verbracht wurde, sodass es wieder ineine Zwangssituation kommt. Opfer von Menschenhan-del brauchen einen Aufenthaltstitel, und zwar unabhän-gig davon, ob sie vor Gericht aussagen oder nicht.
Denn oftmals – das wissen auch Sie – sind die Kinderoder die Eltern der Opfer noch im Heimatland. Wenn dieOpfer hier vor Gericht aussagen wollen, werden sie da-mit unter Druck gesetzt. Wenn wir ihre Familie auch ho-
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Volker Beck
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len und retten, können wir erwarten, dass sie aussagen,aber ansonsten funktioniert das einfach nicht.Nun zu einem Thema, das uns alle umtreibt: die ak-tuelle Sicherheitslage. Wie gehen wir mit den FragenISIS, „Scharia-Polizei“, Islamisten und Salafisten um?Der erste Punkt ist, finde ich: Wir sollten uns zügigdaranmachen, die UN-Resolution 2170 umzusetzen, wasAufgabe der Innenpolitik ist. In der Resolution stehtnämlich: Wir müssen den Fluss von Kämpfern aus unse-ren Ländern in diese Region stoppen. – Ich verstehenicht, dass in diesem Zusammenhang dauernd über neueGesetzgebung geredet wird, während gleichzeitig dasbestehende Recht überhaupt nicht zur Anwendungkommt.Personalausweisgesetz bzw. Passgesetz erlauben esschon heute, Reisepässe zu entziehen und den Geltungs-bereich des Personalausweises auf die BundesrepublikDeutschland zu beschränken. Auch Ausländern kannman die Ausreise – wie Deutschen, nach den gleichenVoraussetzungen wie im Passgesetz – verbieten. Abervon einem Anwendungsfall, in dem man das wirklichdurchgesetzt hätte, habe ich bis jetzt nichts gehört. Ichhabe vom Innenminister Jäger des Landes Nordrhein-Westfalen mit Blick auf das Personalausweisgesetz ge-hört, dann stünde die Beschränkung ja nur in einer Datei.Da müsste man natürlich dafür sorgen, dass in solchenFällen ein Sichtaufdruck auf den Personalausweiskommt, damit jede Fluggesellschaft beim Eincheckenweiß: Dieser Mensch darf keinen Flug ins Ausland neh-men; der muss hierbleiben.Da müssen Sie rangehen. Sie sollten nicht nach neuenGesetzen schreien, sondern das Notwendige endlich aufden Weg bringen und die geltenden Gesetze auch an-wenden.
Am Wochenende gab es ja die Diskussionen zur„Scharia-Polizei“ in Wuppertal. Es ist völlig klar: Aufdeutschen Straßen übt die Hoheitsgewalt nur die deut-sche Polizei aus und sonst niemand. Auf unseren Straßendarf im privaten Bereich niemand anders Uniform tragenals Funken im Karneval und Schützenvereine, die sichsolche Hoheitsgewalt auch nicht anmaßen.Der Innenminister in Nordrhein-Westfalen hat einentsprechendes Verbot durchgesetzt. Gut so! Aber wirmüssen auch aufpassen, dass wir es bei solchen Punktenmit der Aufregung unter den Innenpolitikern nicht über-treiben. Der Kollege Herrmann aus Bayern hat jetzt ei-nen „Sondergipfel“ gefordert; wir müssten das gesamtedeutsche Recht mal durchforsten, um zu prüfen, ob es„islamistenfest“ ist. – Meine Güte: Über islamistischenTerrorismus reden wir seit dem 11. September 2001, dersich tragischerweise in dieser Woche zum 13. Mal jährt. –Wir haben unsere Gesetze darauf geprüft, und wir müs-sen sie einfach umsetzen. Wir sollten nicht die innen-politische Diskussion nach dem Drehbuch dieser Halb-starken aus Wuppertal führen. Die lachen sich doch insFäustchen. Sie sind doch die Helden in ihrer Szene,wenn sie mit einer Weste, die sie hinten aus einem Pkwgeholt und ein bisschen beklebt haben, die ganze deut-sche Innenpolitik auf die Palme bringen und verrücktmachen. Da heißt es: konsequente Anwendung desRechts.Wir sind in einer Haushaltsdebatte. Wo ist der Bereichder Prävention? Ich habe den Haushaltstitel „Deradikali-sierungsprogramme für die islamistische Szene“ vergeb-lich in Ihrem Einzelplan gesucht. Ich finde, in diesemBereich müssen wir mehr machen. Wir können uns nichtauf ein paar Modellprojekte zurückziehen.
Dazu passt auch, dass Ihre bisherigen Programmenicht erfolgreich waren. Das Bundesamt für Verfas-sungsschutz hatte eine Helpline. Ich habe gestern auf derHomepage gesehen, dass sie im September 2014 einge-stellt wurde. Man lässt das jetzt vom Bundesamt für Mi-gration machen.
Kollege Beck, achten Sie bitte auf die Zeit.
Aber nur Aussteigerprogramme am Ende des Radika-
lisierungsprozesses zu finanzieren, reicht nicht aus. Wir
müssen den Einstieg verhindern, indem wir den Men-
schen das Gefühl geben: Ihr seid hier zu Hause, und wir
setzen uns mit euren Konflikten und Problemen demo-
kratisch auseinander.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Stephan Mayer das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich bin davon überzeugt,dass es uns selten so stark ins Bewusstsein kommt wiederzeit, dass die unterschiedlichen Krisenherde auf unse-rem Globus ganz unmittelbare Auswirkungen aufDeutschland und auch auf die Sicherheit in Deutschlandhaben. Wer vielleicht bisher glaubte, dass wir auf einerInsel der Seligen leben und das, was in der Ukraine, imMittleren Osten und in manchen Teilen Afrikas passiert,keine Auswirkungen auf Deutschland hat, der wird,glaube ich, jetzt ganz deutlich eines Besseren belehrt.Wir sehen dies zum einen im schon erwähnten deutli-chen Anstieg des islamistischen Fundamentalismus inDeutschland. Wir haben annähernd 6 000 Salafisten inDeutschland, und ich glaube, es bedarf hier auch einesklaren Aufschreis aller überzeugten Demokraten, dass esnicht hinnehmbar ist, dass Personen in Deutschland, de-nen gegenüber wir loyal sind und denen wir unsere frei-heitlich-demokratischen Rechte gewähren, ganz offen
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4494 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Stephan Mayer
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skandieren, dass sie im Zweifel die Scharia vor deut-sches Recht setzen.Genauso unerträglich ist es, was sich in den letztenWochen leider Gottes auch in vielen Orten Deutschlandsabgespielt hat, nämlich antiisraelische und antijüdischeDemonstrationen mit volksverhetzendem Charakter.Dies darf in Deutschland nicht passieren.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,ebenso inakzeptabel sind die Umtriebe der Anhänger des„Islamischen Staates“ in Deutschland. Das ist nicht hin-nehmbar, und wir müssen auch deutlich dagegen vorge-hen, dass auf deutschen Straßen und Plätzen Fahnen des„Islamischen Staates“ mit dem Logo des „IslamischenStaates“ geschwenkt werden. Wenn die Unterstützung sogroß ist, wie im Verlauf der vorhergehenden Wortmel-dungen durchaus deutlich wurde, dann möchte ich ganzklar dafür plädieren, dass wir die Sympathiewerbung fürterroristische Organisationen wieder unter Strafe stellen.Lassen Sie uns dies tun. Das war schon einmal der Fallund ist dann leider Gottes 2003 abgeschafft worden.Aber es spricht überhaupt nichts dagegen, dass wir die-sen Straftatbestand wieder einführen.
Kollege Mayer, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung des Kollegen Beck?
Selbstverständlich. Sehr gerne.
Ich habe zwei Fragen, damit wir den Sachverhalt im
Zusammenhang mit den §§ 129 a und 129 b Strafgesetz-
buch klären. Würden Sie zustimmen, dass jede Mitglied-
schaft in einer terroristischen Vereinigung und jede
Unterstützungshandlung wie Geldsammlungen oder Re-
krutierungshandlungen nach dem bestehenden Recht
selbstverständlich strafbar sind? Würden Sie mir viel-
leicht auch darin zustimmen, dass wir im deutschen
Recht nicht nur das Werben oder Sympathiebekundun-
gen für ISIS unter Strafe stellen können, sondern das ab-
strakt für alle terroristischen Vereinigungen machen
müssen? Und was machen wir dann mit dem Satz, den
wir dann der politischen Beurteilung und Artikulation
entziehen: „Wir sind dankbar dafür, dass die syrische
PKK die Jesiden aus der Hand der ISIS befreit hat.“? Die
PKK ist eine verbotene Terrororganisation. Das, was ich
gerade im Zusammenhang mit den Jesiden gesagt habe,
wäre nach Ihrem Vorschlag eine strafbare Aussage. Ich
meine, Ähnliches hier im Hause schon gehört zu haben.
Herr Kollege Beck, selbstverständlich ist die Mit-
gliedschaft in einer terroristischen Organisation in
Deutschland heutzutage unter Strafe gestellt; das ist auch
richtig so. Aber was leider Gottes nicht unter Strafe ge-
stellt ist, ist, auf den Plätzen und Straßen in Deutschland
seine Sympathie für den „Islamischen Staat“ offen zu
bekunden.
Da der „Islamische Staat“ kein Verein ist, kann er nach
dem derzeit in Deutschland geltenden Vereinsrecht nicht
verboten werden.
Es ist deshalb umso wichtiger, dass wir die Sympathie-
werbung für derartige Bewegungen unter Strafe stellen.
Herr Kollege Beck, ich fordere Sie auf, sich zusammen
mit Ihrer Fraktion unserer Initiative und unserem
Wunsch anzuschließen.
Sie könnten dabei ganz deutlich Ihre demokratische Ge-
sinnung zum Ausdruck bringen.
Was das Verbot der PKK angeht: Herr Kollege Beck,
die Einstufung erfolgt durch das Bundesinnenministe-
rium. Wir Parlamentarier, denen nicht die gleichen Infor-
mationen zur Verfügung stehen wie beispielsweise dem
Bundesinnenministerium, sollten uns hier nicht zu inten-
siv darüber auseinandersetzen, ob die PKK eine terroris-
tische Organisation ist oder nicht.
Ich bin der festen Überzeugung, dass es nach wie vor
gute Gründe gibt, die PKK in Deutschland als terroristi-
sche Organisation einzustufen. Solange das Gegenteil
nicht bewiesen wird und solange nicht offenkundige Tat-
sachen vorgebracht werden, die dafür sprechen, hier eine
Veränderung vorzunehmen, sollten wir uns mit solchen
Forderungen und Wünschen wie den Ihrigen sehr zu-
rückhalten.
Kollege Beck, Sie müssen abwarten, ob eine zweite
Frage oder Bemerkung Ihrerseits zugelassen wird. Ich
mache darauf aufmerksam, dass hier kein Dialog entste-
hen darf. Wir müssen trotz allem in der Debatte vorwärts
kommen.
Erlauben Sie eine weitere Frage des Kollegen Volker
Beck?
Sehr gerne.
Vielen Dank. – Ich glaube, es ist gut, dass wir unsauch in der Öffentlichkeit über solche Fragen fachlichaustauschen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014 4495
Volker Beck
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Ich habe nicht gesagt, dass die PKK von der Terror-liste gestrichen werden soll. In der Tat möchte ich mehrvon den Diensten erfahren, bevor ich mir dazu ein neuesUrteil anmaße. Aber würden Sie mir vor dem Hinter-grund, dass es sich hier eindeutig um eine Vereinigungnach § 129 b und möglicherweise sogar nach § 129 ahandelt, zustimmen, dass es nicht sinnvoll wäre, diepolitische Debatte in der Öffentlichkeit dahin gehend zubeschneiden, dass man den Satz, den ich vorhin genannthabe, unter Strafe stellt? Man muss diese Aussage nichtfür richtig halten. Aber die entscheidende Frage lautet:Ist er strafbar? – „Ich bin dankbar, dass die syrische PKKdie Jesiden aus der Hand der ISIS befreit hat“: Soll einsolcher Satz strafbar werden oder nicht?
Herr Kollege Beck, zu dem Satz, den Sie nun zwei-mal vorgetragen haben, sage ich ganz offen: Das hatnichts mit Sympathiewerbung zu tun.
Es ist doch ein großer Unterschied, ob man auf demPotsdamer Platz in Berlin oder auf dem Marienplatz inMünchen freudestrahlend die Fahne des „IslamischenStaates“ schwenkt oder ob man sagt, dass man Erkennt-nisse hat, die belegen, dass Kämpfer der PKK dazu bei-getragen haben, Jesiden oder Christen zu befreien. Dashat doch nichts mit Sympathiewerbung zu tun. Das istvielmehr die Feststellung einer Tatsache. Herr KollegeBeck, Sie müssen doch die Sachverhalte voneinandertrennen. Es darf nicht hingenommen werden, dass dieIS-Fahne in Deutschland straffrei geschwenkt werdendarf und dass man sich straffrei für den IS und seine Be-strebungen offen aussprechen kann.
Der Herr Bundesinnenminister hat es schon erwähnt:400 Deutsche sind bislang in den syrischen Bürgerkrieggezogen, um dort zu kämpfen. Wir dürfen unseren Blickaber nicht nur auf diese 400 aus Deutschland Ausgereis-ten richten. Mittlerweile sind über 3 000 Menschen ausganz Europa nach Syrien ausgereist. Erst vor wenigenWochen ereignete sich ein tragischer Zwischenfall inBrüssel. Ein Franzose, der auch die marokkanischeStaatsbürgerschaft besaß, brachte vier Menschen im Jü-dischen Museum in Brüssel um. Er war über Frankfurteingereist. Wir müssen uns ganz klar vor Augen halten:Was vor wenigen Wochen in Brüssel passiert ist, hättegenauso gut in Berlin, in Frankfurt oder in München pas-sieren können. Deshalb sind alle aufgerufen – allen vo-ran die Verfassungsschutzämter –, hierauf einen intensi-ven Blick zu werfen. Ich sage ganz offen: Wir müssenim Hinblick auf die anstehenden Haushaltsberatungenintensiv darauf achten, unser Bundesamt für Verfas-sungsschutz personell und finanziell so auszustatten,dass es den gewachsenen Herausforderungen gerechtwerden kann.
Es geht nicht darum, den Verfassungsschutz abzu-schaffen, wie Sie von den Linken, Herr Kollege Korte,es immer wieder stereotyp fordern, sondern es geht da-rum, die Kompetenzen des Verfassungsschutzes in man-chen Bereichen zu stärken
und insbesondere für die notwendige personelle Ausstat-tung des Verfassungsschutzes zu sorgen.Es ist gut, dass bisher schon alles dafür getan wurde,die Ausreise von Dschihadisten nach Möglichkeit zuverhindern. Da war der Verfassungsschutz durchausschon erfolgreich. Ich glaube, dies gilt es herauszustel-len. Ich finde es aber auch richtig, dass intensiv geprüftwird, ob nicht auch die Möglichkeiten und die rechtli-chen Kompetenzen erweitert werden müssen, um dieRückreise von Dschihadisten nach Deutschland zu ver-hindern. Ich bin der Innenministerkonferenz sehr dank-bar, dass sie sich dahin gehend derzeit intensive Gedan-ken macht.Uns alle zieht natürlich die Entwicklung im Bereichdes Asyls in ihren Bann. Es ist vom Bundesinnenminis-ter schon erwähnt worden, dass in diesem Jahr aller Vo-raussicht nach über 200 000 Erstanträge in Deutschlandgestellt werden und wir darüber hinaus noch weitereFlüchtlinge aus Syrien aufnehmen. Ich glaube, man kannwirklich mit Fug und Recht behaupten – das Zitat vonHerrn Guterres ist schon erwähnt worden –: Deutschlandist hier vorbildlich. Ich finde es teilweise etwas schade,dass von manchen Seiten immer zu vermitteln versuchtwird, dass wir unserer Verantwortung nicht gerecht wür-den und Deutschland nicht solidarisch sei. Das Gegenteilist der Fall. 30 Prozent aller Asylbewerber in ganz Eu-ropa nimmt allein Deutschland auf. Ich glaube, das kannsich sehen lassen.
Gleichwohl stehen alle politischen und staatlichenBereiche in Deutschland derzeit vor einer großen He-rausforderung. Es bedarf mit Sicherheit eines konzertier-ten Ansatzes, um dieser großen Herausforderung gerechtzu werden. Wenn man sich die Schutzquote der Asylbe-werber in Deutschland ansieht, dann muss man feststel-len: Sie liegt im Durchschnitt bei 30 Prozent. Nur, wennman sich die einzelnen Herkunftsländer wiederum an-sieht, dann stellt man fest, dass die Unterschiede sehrgroß sind. Die Quote liegt zwischen teilweise 100 Pro-zent, wie bei den syrischen Flüchtlingen, und, wie beiden Asylbewerbern aus den Ländern des westlichen Bal-kans, bei annähernd 0 Prozent.Wenn man sich einmal vor Augen hält, Herr KollegeBeck, dass 20 Prozent aller Asylbewerber in Deutsch-land alleine aus den drei Ländern Serbien, Bosnien-Her-zegowina und Mazedonien kommen, dann ist doch fol-gender Gedanke alles andere als abwegig: Wenn dieSchutzquote bei den Asylbewerbern aus diesen drei ge-nannten Ländern bei 0,1 Prozent oder maximal 0,2 Pro-zent liegt,
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4496 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Stephan Mayer
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müssen wir die Kapazitäten, die wir in Deutschland ha-ben, in erster Linie für die freihalten, die in höchstemMaße schutzbedürftig sind und denen in höchstem MaßeGefahr für Leib und Leben droht. Deswegen möchte icheines deutlich betonen: Der Ball liegt im Spielfeld derGrünen.Ich möchte noch eines deutlich machen: Wir habenaus meiner Sicht in Deutschland eine große Empathieder Bevölkerung gegenüber schutzbedürftigen Flüchtlin-gen, gegenüber Menschen, die politisch verfolgt werdenund denen Gefahr für Leib und Leben droht. Ich möchtewirklich dafür sorgen – ich glaube, das ist eine Aufgabe,die wir hier als Bundestag haben –, dass diese hohe Em-pathie und Solidarität der deutschen Bevölkerung auchaufrechterhalten werden.
Deswegen ist es aus meiner Sicht wichtig, dass am19. September der Bundesrat dem Gesetz zu den siche-ren Herkunftsstaaten zustimmt. Genauso wichtig ist es,dass andere EU-Länder, allen voran Italien, auch ihrerVerantwortung und ihren rechtlichen Verpflichtungennachkommen. Es kann nicht weiter angehen, dass zumBeispiel Italien wie im letzten Jahr 60 000 Flüchtlingeaufnimmt, aber von diesen 60 000 Flüchtlingen geradeeinmal 28 000 registriert und den Rest über Österreichund Deutschland teilweise in die skandinavischen Län-der weiterreisen lässt.
Auch andere EU-Länder müssen ihrer rechtlichen Ver-pflichtung nachkommen.Wir als Bundestag sind unserer Verpflichtung, dasBundesamt für Migration und Flüchtlinge entsprechendpersonell auszustatten, schon im Haushalt 2014 nachge-kommen, indem wir 300 zusätzliche Stellen geschaffenhaben. Weil in manchen Reden insinuiert wird, es werdenicht ordentlich geprüft, Anträge würden schnell abge-lehnt und die Mitarbeiter des BAMF kämen ihrer Ver-pflichtung nicht nach, möchte ich in aller Deutlichkeiteine Lanze für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter desBundesamtes für Migration und Flüchtlinge brechen.
Die machen einen guten Job. Sie stehen momentan, ge-nauso wie viele andere auch, vor großen Herausforde-rungen. Deswegen ist es richtig, dass zusätzliche Stellenschon jetzt im Haushaltsentwurf ausgebracht sind undman sich im parlamentarischen Verfahren möglicher-weise über weitere Stellenmehrungen unterhalten wird.Ich möchte nicht versäumen, noch darauf hinzuwei-sen, dass insbesondere die finanzielle, aber auch die per-sonelle Ausstattung der Bundespolizei den aktuellengroßen Herausforderungen nicht gerecht wird. Wir dür-fen uns in diesen Haushaltsberatungen nicht nur auf dieStellenmehrungen beim BAMF konzentrieren. Ichglaube, insbesondere was die Situation bei der Bundes-polizei anbelangt, ist vieles der Beschwer nicht über-trieben, sondern durchaus berechtigt. Wir als Haushalts-gesetzgeber stehen hier klar in der Verantwortunggegenüber den Beamtinnen und Beamten in der Bundes-polizei.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, zumAbschluss noch ein herzliches Dankeschön. Sehr geehr-ter Herr Bundesinnenminister, ich möchte es nicht ver-säumen, Ihnen dafür zu danken, dass es Ihnen gelungenist, insbesondere in einem sehr konstruktiven Miteinan-der mit dem Bundesaußenminister, einen langgehegtenWunsch der Vertriebenenverbände, vor allem des Bun-des der Vertriebenen, in die Tat umzusetzen, nämlichdass wir in Deutschland endlich einen nationalen Ge-denktag für die deutschen Heimatvertriebenen undFlüchtlinge feiern können. Erstmals wird dies am20. Juni des nächsten Jahres passieren. Es war ein langerWeg dahin; aber endlich sind wir so weit. Ich glaube, dasist etwas, worauf wir alle stolz sein können, worauf wiruns freuen können. Vielen herzlichen Dank für IhrenEinsatz in diesem Bereich.Danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein zen-trales innenpolitisches Thema der letzten Monate ist un-zweifelhaft der Umgang mit schutzsuchenden Menschenin Deutschland. Die Debatte lässt sich meines Erachtenskurz zusammenfassen: Je größer die Herausforderungenfür die Flüchtlingspolitik sind, desto hartherziger sinddie Vorschläge aus dem Innenministerium. Da hat michauch heute, Herr Innenminister, nicht überzeugt, was Siehier vorgetragen haben; denn ich fand es sehr abstraktund nicht konkret.Bei der großen Zahl von Flüchtlingen, die hier Schutzsuchen, ist das, was Sie bisher in Gesetzesvorschlägenvorgelegt haben, im Grunde Ausdruck des Ziels – eswird immer wieder deutlich –: Man will abschotten, undman will vor allen Dingen abschrecken. Das kann ausunserer Sicht nicht die richtige Antwort sein.
Um ein Beispiel zu nennen: Das erste zentrale Vorha-ben ist die Einstufung von Serbien, Mazedonien undBosnien-Herzegowina als sogenannte sichere Herkunfts-staaten. Asylanträge von Menschen aus diesen Ländernsollen pauschal abgelehnt werden. In den Debatten hierin diesem Hause haben Sie die Verletzung von Men-schenrechten, insbesondere der Roma aus diesen Län-
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Ulla Jelpke
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dern, massiv bagatellisiert. Wir hoffen deswegen weiter-hin, dass dieser Gesetzentwurf im Bundesrat scheitert.Wir werden auf jeden Fall unseren Beitrag dazu leisten.Trotz der Not dieser Menschen scheuen Sie von derCDU/CSU sich nicht, die Flüchtlinge gegeneinanderauszuspielen. Sie suggerieren, es sei ausreichend Platz inden Flüchtlingsunterkünften, wenn es Asylsuchende ausden Balkanstaaten nicht mehr gäbe. Das verdrehtschlicht und einfach Ursache und Wirkung und ist daherfalsch. Seit vier Jahren steigen in Deutschland und inGesamteuropa die Asylbewerberzahlen. Spätestensdurch den Krieg in Syrien, aber auch aufgrund der Si-cherheitslage in Afghanistan, in Somalia, in Eritrea undin jüngster Zeit auch wieder im Irak steigen die Flücht-lingszahlen. Darauf hätten Deutschland und die Bundes-regierung vorbereitet sein müssen.Bund, Länder und Kommunen hätten ebenfalls re-agieren können und reagieren müssen. Das Versagen denFlüchtlingen anzulasten, ist meines Erachtens pure Stim-mungsmache. Wer wirklich Flüchtlingsschutz will, mussden Kommunen endlich finanziell unter die Arme grei-fen und sie wirklich entlasten.
Herr Innenminister, Sie haben hier heute angekündigt,dass es eine neue EU-Initiative zur Verteilung derFlüchtlinge geben soll. Wir begrüßen das sehr. Wir ha-ben hier immer wieder vorgetragen, dass es in Gesamt-europa eine andere, eine humanitäre Flüchtlingspolitikgeben muss. Aber auch hier möchte ich erst einmal ab-warten, was wirklich vorgelegt wird. Denn bisher istdie Flüchtlingspolitik auch von deutscher Seite her un-solidarisch gegenüber anderen Ländern. Sie wissenganz genau – Sie haben kürzlich mit dem italienischenInnenminister geredet –, dass Italien wenigstens60 000 Flüchtlinge gerettet hat. Jetzt wird einfach davongeredet, dass Frontex II das übernehmen soll. Wie dasgenau ablaufen soll und wie vor allen Dingen die EU-Grenzländer, die eine enorme Belastung zu tragen haben– wie Griechenland und Italien –, mit der Flüchtlingsflutfertigwerden sollen, das ist im Grunde genommen nachwie vor nicht beantwortet.Die Dublin-III-Verordnung ist in der Tat gescheitertund muss unseres Erachtens weg. Das unwürdige Hin-und-her-Geschiebe der Flüchtlinge muss endlich einEnde haben.
Meine Damen und Herren, aus dem BMI sind in denvergangenen Monaten immer wieder Gesetzesinitiati-ven im Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrechts vorge-legt worden. Sie alle tragen unseres Erachtens das Giftvon Abschottung und Abschreckung in sich. Ich gebe ei-nige Beispiele: Im Asylbewerberleistungsgesetz wollenSie noch mehr Möglichkeiten für Leistungskürzungenschaffen. Die Hürden für eine Ausweisung, also eineAbschiebung, sollen gesenkt werden. Abschiebehaft sollleichter verhängt werden können. Das Freizügigkeits-recht für EU-Bürger wird populistischen Scharfmacherngeopfert, die überall nur Betrug und Missbrauch witternwollen. Dieser Politik der Abschreckung und Abschot-tung werden wir mit aller Macht weiter entgegentreten.So kann man keine solidarische Flüchtlingspolitik entwi-ckeln.Ich danke Ihnen.
Die Kollegin Dr. Eva Högl hat nun für die SPD-Frak-
tion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ichmöchte zu Beginn hier feststellen, dass diese Koalitionacht Monate hart gearbeitet hat und dass wir gerade inder Innenpolitik seit Beginn der 18. Legislaturperiodeeine ganze Menge erreicht haben und eine ganze Mengeverbessert haben für die Bürgerinnen und Bürger.
Ich möchte Herrn Bundesinnenminister de Maizièreund auch Frau Staatsministerin Özoğuz – sie hat nämlichdaran mitgewirkt – ganz herzlich dafür danken, dass wirinsbesondere bei dem Thema „Migration, Einwande-rung, Zuwanderung“ wichtige Vorhaben auf den Weggebracht haben. Ich will drei nennen:Das eine ist – daran erinnere ich heute; es ist bishernoch nicht genannt worden –: Wir haben endlich die Op-tionspflicht abgeschafft.
Das haben wir gemeinsam hier beschlossen, und wir ha-ben damit einen wirklichen Erfolg für junge Menschenmit Migrationsgeschichte und für unsere gesamte Ge-sellschaft erzielt. Das ist ein Meilenstein in der deut-schen Innenpolitik.
Zweitens. Ich unterstütze für die SPD-Fraktion ganzausdrücklich den Gesetzentwurf zum Thema „SichereHerkunftsstaaten und erleichterter Zugang für Flücht-linge zum Arbeitsmarkt“. Wir haben ihn hier gemeinsammit großer Mehrheit beschlossen. Ich hoffe sehr, dass am19. September auch der Bundesrat so weise und so gutberaten ist, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Es gehtdarum, dass wir die wichtige Entscheidung treffen kön-nen, wer von denen, die hier Schutz suchen, bleibenkann und auch eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkthaben kann.Drittens. Ich möchte daran erinnern, dass wir es kurzvor der Sommerpause geschafft haben – auch das ist einwichtiger Erfolg für uns –, mit dem Bundeshaushalt2014 Geld für eine gute Politik im Bereich Migration zur
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Verfügung zu stellen, nämlich 40 Millionen Euro zusätz-lich für die Integrationskurse. Es ist wichtig, dass wirden Menschen die Chance geben, sich bei uns gut zu in-tegrieren. Außerdem sind die 300 Stellen für das Bun-desamt für Migration und Flüchtlinge zu erwähnen. Dasind wir noch nicht am Ende. Da brauchen wir nochmehr, um bei der Bearbeitung von Asylverfahren weiter-zukommen, aber das war schon einmal ein großerSchritt.Ich nenne einen weiteren Punkt. Den Staatssekretärs-bericht zum Thema Einwanderung hat die Bundesregie-rung auf den Weg gebracht, und der wird uns im Parla-ment noch weiter beschäftigen. Dadurch ist es möglich– das begrüßen wir; die Bundesregierung hat da gut vor-gelegt –, dass wir einmal auf der Basis von Fakten da-rüber sprechen: Wer kommt eigentlich zu uns ins Land?Was müssen wir an welcher Stelle der Gesetze verbes-sern? Was funktioniert ganz gut? Da liefert der Staatsse-kretärsbericht für uns eine gute Grundlage.Ich freue mich, dass ich auch bei den Reden des Ko-alitionspartners, insbesondere von Ihnen, Herr deMaizière, festgestellt habe, dass wir eine große Überein-stimmung haben in den großen Linien der Einwande-rungspolitik, in den großen Linien der Flüchtlingspolitik.Ich freue mich, dass wir auch hier heute noch einmalganz deutlich sagen: Deutschland – Sie haben es gesagt,Herr de Maizière – ist ein Einwanderungsland. Wir wol-len den Menschen, die hier Schutz suchen, zumindestzeitweilig ein Zuhause geben und zu unserer Verantwor-tung stehen.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, weltweit sind 40 Millionen Menschen auf derFlucht. Selbstverständlich können wir nicht alle in Eu-ropa oder gar in Deutschland aufnehmen; viele von ih-nen sind Binnenflüchtlinge. Aber wir müssen sehr gutdarüber nachdenken, wie wir unserer Verantwortung ge-recht werden. Die weltweiten Krisen – Ukraine, Nahost,Irak – zeigen uns, dass eine Konsequenz dieser Krisenist, dass Menschen weltweit auf der Flucht sind. Eswurde schon gesagt: Wir haben plötzlich festgestellt, wienah diese Krisen sind und wie viel das mit uns inDeutschland zu tun hat. Deswegen ist es wichtig, dasswir uns auch heute in der Haushaltsdebatte sehr sorgfäl-tig und sehr gründlich darüber Gedanken machen, werbei uns bleiben kann, wen wir aufnehmen, für wen wirMittel für eine gute Integration zur Verfügung stellenund zu wem wir leider sagen müssen: Ihr könnt nichthierher kommen bzw. müsst wieder gehen. – Das gehörtzur Wahrheit dazu. Wir wissen, dass bitterarme Familienin allen Teilen der Welt ihre letzten Ersparnisse zusam-menkratzen, um ein oder zwei Mitglieder ihrer Familienach Deutschland zu schicken. Wem wollen wir übel-nehmen, dass Menschen ihr Glück suchen, dass sie hier-her kommen, dass sie sagen: „Meine Bedingungen vorOrt sind nicht gut, deshalb mache ich mich auf den Wegnach Deutschland“? Aber es ist falsch, liebe Kolleginnenund Kollegen, dass wir all diese Menschen auf den Wegdes Asylrechts verweisen. Dahin gehören sie nicht. Fürdiese Menschen müssen wir andere Möglichkeitenschaffen, ihr Glück zu suchen und es auch zu finden,auch bei uns in Deutschland.
Deshalb kommt es sehr darauf an, liebe Kolleginnenund Kollegen – da hoffe ich auf große Übereinstimmunghier im Bundestag –, dass wir eine Balance schaffen unddass es uns gelingt, diese Balance gut auszugestalten. Ei-nerseits geben wir schutzbedürftigen Menschen dieChance, hierherzukommen, vorübergehend oder sogardauerhaft. Wir schaffen auch in der Bevölkerung einegroße Akzeptanz für die Flüchtlinge aus anderen Teilender Welt, damit sie hier aufgenommen werden können.Wir sind alle froh, dass wir inzwischen eine andere Dis-kussionskultur haben als Anfang der 90er-Jahre und dasses eine große Bereitschaft gibt, diesen Menschen Schutzzu geben.
Aber wir müssen andererseits ganz deutlich sagen:Wer nicht bleiben kann, muss irgendwann wieder gehen.Dazu müssen wir vor allen Dingen die Verfahren verkür-zen. Das ist eine ganz wichtige Forderung. Wir habenambitioniert festgehalten, dass wir die Verfahren auf dreiMonate verkürzen wollen. Es ist nur fair, richtig und ge-recht, Menschen schnell zu sagen, ob sie hier für eineWeile oder auch für länger bleiben können oder nicht.Deswegen bleibt es unsere Aufgabe, das Bundesamt fürMigration und Flüchtlinge weiterhin mit mehr Stellen zuunterstützen und beste Arbeitsbedingungen zu schaffen,damit im Sinne der Flüchtlinge schneller geprüft und dieVerfahren verkürzt werden können.
Wenn die Menschen hier sind, dann müssen sie or-dentlich untergebracht werden, ordentlich versorgt wer-den und Gesundheitsleistungen bekommen. Das ist nichtnur eine Aufgabe der Kommunen, sondern auch eineAufgabe des Deutschen Bundestages. Deshalb müssenwir nicht nur die Kommunen unterstützen, sondern auchdas Asylbewerberleistungsgesetz überarbeiten. Das tunwir gerade. Wir müssen auch die Gesundheitsversorgungverbessern. All diejenigen, die sich die Lage der Flücht-linge in den Unterkünften anschauen, stellen fest, dasssie nicht optimal ist. Auch wenn sie nur kurzfristig beiuns sind, müssen wir hier noch Anstrengungen unterneh-men.
Wenn wir die Flüchtlinge ermuntern wollen, einenFuß in unseren Arbeitsmarkt zu setzen, und ihnen denZugang erleichtern wollen, dann müssen wir auch dieSprachkurse ausbauen. Die Integrationskurse sind nichtfür die Flüchtlinge. Wir müssen für die Flüchtlinge Rah-menbedingungen schaffen, damit sie auf unserem Ar-beitsmarkt Fuß fassen und hier ihren Beitrag leisten kön-nen.Wir haben noch eine ganze Menge am Wickel, meineDamen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.Wir werden uns künftig noch mit dem EU-Freizügig-keitsrecht beschäftigen. Das Bleiberecht und Aufent-haltsrecht sowie das Asylbewerberleistungsgesetz wer-
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den Gegenstand unserer Debatten sein. Ich würde michsehr freuen, wenn wir mit großer Geschlossenheit undGemeinsamkeit im Sinne der betroffenen Menschen dienötigen Weichen stellen könnten. Das tun wir auch mitdem Bundeshaushalt.
Ich möchte gern noch ein weiteres Thema anspre-chen, das für uns alle sehr wichtig ist und das mich per-sönlich besonders beschäftigt, nämlich das Thema NSUund Schlussfolgerungen daraus. Vor einem Jahr habenwir den Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsaus-schusses im Deutschen Bundestag verabschiedet. Es istbald drei Jahre her, dass die NSU-Terrorgruppe aufflogund der NSU-Terror bekannt wurde. Deswegen erinnereich an dieser Stelle daran – das hat auch etwas mit demHaushalt zu tun –, dass wir die Voraussetzungen dafürschaffen müssen, endlich die Konsequenzen aus diesemschrecklichen Skandal und aus den Fehlern, Versäumnis-sen und Unzulänglichkeiten ziehen zu können. Dasbleibt für dieses Parlament eine dauerhafte Aufgabe. DerThüringer Untersuchungsausschuss hat uns auf 1 800Seiten drastisch vor Augen geführt, wie stark das Versa-gen war, wie desaströs die Arbeit der Ermittlungsbehör-den war. Deswegen ist es unsere Aufgabe, die richtigenKonsequenzen daraus zu ziehen und Polizei, Verfas-sungsschutz und Justiz grundlegend zu reformieren.
Justizminister Maas hat schon zwei Gesetzentwürfeauf den Weg gebracht; dazu wird im Rahmen der Justiz-debatte sicherlich gleich gesprochen werden. Ich möchteaber einmal an die Reform des Verfassungsschutzes erin-nern. Herr Minister de Maizière, wir haben das bereitsvereinbart. Es ist gut, dass wir das in Ruhe angehen undmit den Ländern besprechen. Wir müssen nun bald aberwirklich vorankommen; denn es gibt eine ganze Mengezu tun. Ich möchte an dieser Stelle sehr deutlich sagen,dass es für uns wichtig ist, die Zentralstellenfunktion desBundesamtes für Verfassungsschutz auszubauen. FürBund und Länder ist diese Zentralstellenfunktion desBundesamtes wichtig.Wir müssen auch eine ganze Menge im Bereich derV-Leute reformieren. Da reicht es nicht, einfach nurKleinigkeiten zu verändern. Das muss auf ganz andereGrundlagen gestellt werden. Wir müssen die Kontrollenweiter verbessern. Deswegen wäre es sehr gut und rich-tig und wichtig, die Reform des Verfassungsschutzeshier im Deutschen Bundestag zügig anzugehen und siemit größter Beteiligung aller auch zu verabschieden.Es ist schon eine ganze Menge zum Thema Salafis-mus gesagt worden. Der Kampf gegen den Salafismusbleibt eine wichtige Aufgabe und Herausforderung. Eswird sicherlich noch Gelegenheit geben, sich darüberauszutauschen. Das, was bisher von den Kolleginnenund Kollegen dazu gesagt wurde, kann ich, auch im Na-men der SPD-Fraktion, vollumfänglich unterstützen.Mehr kann ich heute an dieser Stelle nicht dazu sagen.Nur so viel: Es darf uns nie wieder passieren, wie es unsleider beim Rechtsextremismus passiert ist, dass den Si-cherheitsbehörden ein so wichtiges Thema von derAgenda rutscht. Es darf nicht passieren, dass unsere Si-cherheitsbehörden nicht so gut aufgestellt sind – das be-trifft Polizei, Verfassungsschutz und Justiz –, dass sie dieGefahr, die sich hinter dem gewaltbereiten Islamismusverbirgt, übersehen oder nicht angemessen reagieren.Deswegen müssen wir entsprechend tätig werden.Ich bin bereits als Befürworterin der OlympischenSpiele in Berlin geoutet worden. Ja, ich würde michfreuen, wenn Deutschland die Olympischen Spiele aus-trägt. Mit Johannes Kahrs muss ich das mit Hamburgnoch auskämpfen. Aber wenn es 2024 oder 2028 Berlinwird, wäre das natürlich super.
– Ich hoffe, dass wir dann auch einen Flughafen haben,lieber Herr Beck.
– Wir werden dann einen Flughafen haben.Ich freue mich auf die weitere konstruktive Debattezum Haushalt des Innern.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Monika Lazar das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich möchte den Faden der Kollegin Högl aufnehmen undetwas zu den Konsequenzen aus dem NSU-Untersu-chungsausschuss sagen. Es gab einen fraktionsübergrei-fenden, einheitlichen Antrag, für den wir alle waren. Vorder Sommerpause haben wir hier im Bundestag nochüber unsere grünen Zusatzvorschläge debattiert. Mankann wirklich sagen: Es liegt alles auf dem Tisch. Daserste Jahr nach der Bundestagswahl ist vorbei. Deswe-gen kann ich Sie in dem, was Sie gesagt haben, nur un-terstützen: Wir alle müssen in die Puschen kommen undzusehen, dass wir vorankommen. Die angesprochenenMinisterien müssen entsprechende Vorlagen erarbeiten.Der Aufgabenkatalog ist sehr vielfältig.Wir sind uns auf alle Fälle darin einig, dass wir unsim Bereich der Prävention weiter engagieren müssen. ImEtat des Innenministeriums gibt es das Programm „Zu-sammenhalt durch Teilhabe“, das die Zivilgesellschaft,insbesondere im ländlichen Raum, stärken soll. Das istein gutes Programm. Es ist mit 6 Millionen Euro etati-siert und galt bisher nur für die ostdeutschen Bundeslän-der. Nun wird es sinnvollerweise auf ganz Deutschlandausgeweitet. Die Zahlen bleiben allerdings die gleichen.Wenn man von 5 Ländern auf 16 ausweitet, der Etat aberbei 6 Millionen Euro bleibt, dann ist dies natürlich nicht
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Monika Lazar
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genug. Es braucht keine höhere Mathematik, um zu er-kennen, dass diese Rechnung nicht aufgeht.
Das muss sich noch ändern. Wir werden im Laufe derHaushaltsberatungen auf alle Fälle den Antrag stellen,die Gelder von 6 Millionen Euro auf 10 Millionen Eurozu erhöhen. Ansonsten führt das zu Frustration bei allen,die an diesem Programm teilhaben wollen. Das kannnicht in unserem Sinne sein.
Auch bei der Sportförderung gibt es nach wie vorgroße Baustellen. Das Innenministerium hat es im Prin-zip erkannt, gehandelt wurde bisher aber nicht ausrei-chend. Ich glaube, wir alle sind froh, dass der Fehler derbeabsichtigten Kürzung der Mittel für „Jugend trainiertfür Olympia“ und „Jugend trainiert für Paralympics“ er-kannt und die Kürzungen jetzt zurückgenommen wur-den, sodass es da entsprechend weitergeht.Allerdings hat der Innenminister in der ersten Sitzungdes Sportausschusses Strukturreformen unter anderemim Bereich der Spitzensportförderung angekündigt. Dasist mittlerweile ein Dreivierteljahr her. Wir haben ge-dacht, dass Sie uns mit dem Haushalt für das nächsteJahr Ihre Vorstellungen dazu unterbreiten; aber bis jetztkönnen weder wir noch die Öffentlichkeit erkennen, wasda geändert werden soll. Wir Grüne können da gerneDenkanstöße geben. Zum Beispiel könnten Sie sich da-für starkmachen, dass nicht mehr der Medaillenspiegelfür die Höhe der Fördergelder ausschlaggebend ist, son-dern zum Beispiel die Mühen im Antidopingkampf oderdie Ermöglichung einer dualen Karriere. Auch wäre esdringend nötig, über das Durcheinander bei der Athle-tenförderung zu sprechen.Ausdrücklich loben möchte ich, dass nun die Gelderfür die Nationale Anti Doping Agentur, NADA, festeingeplant sind. Wir gehen davon aus, dass damit dasübliche Hickhack der letzten Jahre vorbei ist. Die Bun-desregierung und die Koalition müssen da ihrer Verant-wortung dauerhaft gerecht werden. Aber auch die Mittel,die jetzt in den Haushaltsplan eingestellt wurden, rei-chen nicht; denn die NADA hat uns im Sportausschusssehr eindrücklich und plausibel erklärt: Wenn wir aufdem Gebiet der Dopingkontrollen, vor allem bei der Prä-vention von Doping, nachhaltigen Erfolg haben wollen,reicht 1 Million Euro bei weitem nicht. – Die NADA sel-ber spricht von 10 Millionen Euro. Es ist klar, dass mandas wahrscheinlich nicht auf einmal hinbekommt; aberdie Tendenz muss da entsprechend sein.
Das Thema Doping verfolgt uns momentan auch auseinem anderen Anlass: Am 23. Oktober jährt sich zum40. Mal die Gründung der DDR-Arbeitsgruppe „Unter-stützende Mittel“. Hier wurde erstmals die Abgabe vonDopingmitteln an Minderjährige staatlich verordnet.Auch 24 Jahre nach der Wiedervereinigung ist in diesemBereich noch längst nicht alles Unrecht aufgearbeitet.Die Opfer des Dopings von damals, die zum Teil bisheute seelisch und körperlich leiden, verdienen unserebreite Unterstützung, über die geleistete Einmalzahlunghinaus.
Auch das wäre ein Beitrag zum gesellschaftlichen Zu-sammenhalt. Ich habe wirklich große Hoffnung, dass wirda in den nächsten Jahren vorankommen und etwas Geldzur Verfügung stellen. Das sind wir den Opfern schuldig.Vielen Dank.
Mein Respekt, Kollegin Lazar. Sie sind bei diesem
Punkt tatsächlich die erste Rednerin, die es geschafft hat,
wirklich in der Redezeit zu bleiben.
Das muss man einmal anmerken.
Das Wort hat der Kollege Dr. André Berghegger für
die Unionsfraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Staatist und bleibt Hüter unserer Rechts- und Werteordnung.Er allein ist für die Durchsetzung von Recht und Gesetzverantwortlich. Im Mittelpunkt unseres innenpolitischenHandelns liegt naturgemäß die innere Sicherheit – übri-gens eines der Themen, die die Bürger unter dem Stich-wort „subjektives Sicherheitsgefühl“ am meisten bewe-gen. Deswegen sind wir bei der gezielten Provokationder sogenannten Scharia-Polizei sehr wachsam; wir neh-men sie sehr ernst. Unsere Rechts- und Werteordnungsteht nämlich nicht zur Disposition. Wir werden entspre-chend handeln.
Sicherheit und Freiheit sind zwei Begriffe, die un-trennbar miteinander verbunden sind: Jede Maßnahmezur Gewährleistung der Sicherheit auf der einen Seitebeschränkt auf der anderen Seite die Freiheit. Trotzdemmüssen wir umsichtig und selbstbewusst handeln. Wirsind dankbar und glücklich zugleich, in einem in diesemSinne sicheren und freien Land in Europa leben zu dür-fen. Der Blick in andere Teile der Welt zeigt mehr dennje: Es gibt viele – viel zu viele – Regionen, in denen sta-bile Verhältnisse fehlen und in denen die Menschen inAngst und Schrecken leben. Ich bin der Bundeskanzlerinund der Bundesregierung deswegen sehr dankbar dafür,dass sie sich gemeinsam mit Deutschlands Partnern fürStabilität und damit auch für die Freiheit der Menschenin diesen Regionen einsetzen.
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Dr. André Berghegger
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In dieser globalen Situation sind die wirtschaftlichenRahmenbedingungen naturgemäß schwieriger gewor-den. Dennoch erleben wir zurzeit eine außergewöhnlicheSituation: Das erste Mal seit 1969 haben wir einen aus-geglichenen Haushalt ohne neue Schulden. Ich glaube,das kann man gar nicht oft genug betonen.
Dieser Einzelplan umfasst rund 5,7 Milliarden Euro.Das Absinken um rund 170 Millionen Euro im Vergleichzum letzten Jahr beruht im Wesentlichen auf dem ge-planten Absinken im Bereich der Einführung des Digi-talfunks, sprich: des Abbaus der Haushaltsreste dort, undder Erstattung für die Durchführung der Fluggast- undReisegepäckkontrollen.Zur Struktur dieses Einzelplans nur wenige Stich-worte: Es ist ein bunter Strauß an Behörden und Aufga-ben. Wenn ich richtig gezählt habe, sind es 18 Behördeninklusive Ministerium; rund 60 Prozent der Ausgabensind Personalausgaben, und zwei Drittel der Ausgabenentfallen auf den Bereich der inneren Sicherheit im en-geren, eigentlichen Sinne. Deswegen möchte ich zweiThemengebiete herauspicken und etwas ausführlicheransprechen; sie sind heute – wen wundert es? – schonhäufiger erwähnt worden.Erstens: die Asylbewerberzahlen und die Integra-tionsarbeit. Deutschland ist ein attraktives Land für vieleMenschen in dieser Welt und Wunschziel. Nach denZahlen des Statistischen Bundesamtes stieg die Zuwan-derung auf Rekordniveau. 2013 erlebten wir die stärksteZuwanderung seit 20 Jahren. Die Zahl der Erstanträgevon Asylbewerbern hat sich im Vergleich zum letztenJahr um 60 Prozent auf die erwähnten gut 200 000 er-höht bzw. wird sich erhöhen.Von den Auswirkungen vor Ort kann sich, glaube ich,jeder persönlich ein Bild machen. In meinem Wahlkreis,im Landkreis Osnabrück, gibt es eine Erstaufnahmeein-richtung in Bramsche-Hesepe. Wenn man mit Vertreternder Kommunen vor Ort über die Situation spricht und sieselbst sieht, erkennt man unzweifelhaft sofort: Wir allestehen vor einer großen Herausforderung. Der Bund leis-tet wichtige Beiträge zur Bewältigung dieser Herausfor-derung, natürlich durch die Aufnahme der Flüchtlinge– das ist gar keine Frage –, aber auch durch die Hilfeleis-tung in den Krisengebieten vor Ort. Ich glaube, das istgenauso wichtig; denn wenn es möglich ist, müssen wirversuchen, dafür zu sorgen, dass es den Menschen in ih-rer angestammten Heimat gut geht. Deshalb wird es im-mer verschiedene Maßnahmen geben, denen wir unswidmen müssen.
Ich glaube, das hat auch der mehrfach zitierte UN-Flüchtlingskommissar, Herr Guterres, mit Blick aufDeutschland so gesagt.Wir erwarten, dass die Entwicklung anhält. Die Ent-wicklung ist aber nicht planbar. Wir werden deshalb ver-suchen, diese Entwicklung an verschiedenen Stellen zubeeinflussen. Der Minister hat vorhin den eindrucksvol-len Sieben-Punkte-Plan mit den verschiedenen Eingriffs-möglichkeiten erwähnt. Bereits 2014 wurden 300 zu-sätzliche Stellen im BAMF zur Beschleunigung derAsylverfahren eingerichtet; 50 weitere werden in diesemJahr folgen, um den Menschen zu helfen, die wirklichder Hilfe bedürfen. Wir müssen uns weiter anstrengen– ohne Frage –, aber das bedeutet auch, dass Entlastungan anderer Stelle nottut. Die Einstufung der drei mehr-fach angesprochenen Länder als sichere Herkunftsländerwürde sicherlich helfen. Das sagen nicht nur wir; das hatvor wenigen Tagen auch der Leiter des BAMF in einerBerliner Tageszeitung erwähnt. Eine Lösung wäre hierwünschenswert, zumal es nur um eine Verfahrensverein-fachung geht. Natürlich ist es im Einzelfall weiter mög-lich, die politische Verfolgung darzulegen. Wir hoffenauf ein gutes Ergebnis in diesem Sinne.Unser Innenminister hat gesagt: Alle haben Anspruchauf ein Asylverfahren; alle, die politisch verfolgt wer-den, haben Anspruch auf Schutz. Wir können aber nichtalle Mühseligen und Beladenen aufnehmen. – Dem kannich mich nur anschließen. Insbesondere für die hoheZahl syrischer Flüchtlinge im Rahmen des Resettlement-Programms sowie für Integrationskurse werden wir imVergleich zu den Vorjahren 49 Millionen Euro mehr be-reitstellen. Damit stehen dem BAMF für die Themen In-tegration und Migration insgesamt über 300 MillionenEuro zur Verfügung. Ich denke, das ist eine beachtlicheSumme.
Der zweite Bereich, den ich ansprechen möchte, istder Bereich der Bundespolizei. Der Etat beträgt knapp2,5 Milliarden Euro und entspricht damit rund der Hälftedes gesamten Einzelplans. Auch hier sehen wir einenvielfältigen Aufgabenbereich. Die Absenkung in diesemBereich ist im Vergleich zu anderen Aufgabenbereichengeringer ausgefallen, da wir durch Umschichtungen denBereich „Festigung der IT-Struktur“ mit 12 MillionenEuro verstärken konnten.Der Großteil der Mittel wird naturgemäß für das Per-sonal ausgegeben. Das Programm zur Hebung von rund1 300 Stellen bei der Bundespolizei, das wir 2014 be-gonnen haben, werden wir 2015 fortsetzen. Das schafftRaum für verdiente Beförderungen, motiviert die Mitar-beiter und steigert die Attraktivität des Arbeitgebers. ImRahmen des Machbaren, das heißt unter Wahrung derhaushaltspolitischen Grundsätze, müssen wir aber auch– Stephan Mayer hat das vorhin angesprochen – überden Stellenplan nachdenken. Das gilt auch für andereBehörden des Bundes; ich denke insbesondere an dasBSI. Das erfährt, glaube ich, jeder von uns in Gesprä-chen vor Ort. Das oberste Ziel muss aber immer der aus-geglichene Haushalt sein, ein Haushalt ohne Neuauf-nahme von Schulden.Ich möchte an dieser Stelle gerne für die Solidaritätmit unseren Polizeibeamten werben, die den Rechtsstaatvertreten und sich jeden Tag für ihn einsetzen. VielenDank für die tagtägliche Arbeit!
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Dr. André Berghegger
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Es ist unsere Aufgabe, für einen ausgewogenen Haus-halt in Ihrem Einzelplan zu sorgen, Herr Minister. Ichglaube, dieser Entwurf bietet eine gute Grundlage dafür.Ich freue mich auf die kommenden Gespräche.Vielen Dank für das freundliche Zuhören.
Das Wort hat die Kollegin Fograscher für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Die krisenhaften Entwicklungen in der Welt habenganz konkrete und spürbare Auswirkungen auch aufDeutschland. Deutlich wird das an den steigenden Zah-len von Menschen, die auf der Flucht vor Krieg, Terrorund Vertreibung sind und bei uns Zuflucht suchen. DieZahl der Asylanträge steigt, ebenso die Zahl der Bewilli-gungen. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir Vorsorgegetroffen haben und bereits im Haushalt 2014 für dasBundesamt für Migration und Flüchtlinge 300 zusätzli-che Stellen geschaffen haben und dass jetzt im Haus-haltsjahr 2015 weitere 50 Stellen vorgesehen sind. Da-rüber, ob die im Haushalt vorgesehenen und imVergleich zu 2014 konstanten Mittel für die Integrations-kurse angesichts der rasch steigenden Zahlen anerkann-ter Asylbewerber ausreichen, müssen wir in den anste-henden Haushaltsberatungen ergebnisoffen diskutieren.Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt,wie Sie, Herr Bundesinnenminister, auch heute wiedergesagt haben. Doch die internationalen Krisen sind eineHerausforderung für die innere Sicherheit: die Radikali-sierung junger muslimischer Männer, die Rückkehr vonExtremisten aus Syrien und dem Irak, die meist deutscheStaatsangehörige sind, und die etwa 6 000 Salafisten, diein Deutschland die Scharia als islamisches Recht durch-setzen wollen. Wir sind hier doppelt gefordert: Auf dereinen Seite müssen wir die Dschihadisten stärker über-wachen, Aus- und Einreise mehr kontrollieren, Pässeeinziehen, alle bestehenden Möglichkeiten der deut-schen Gesetze nutzen. Auf der anderen Seite dürfen wiraber keinen Generalverdacht gegen die große Mehrheitder Muslime, die friedlich in unserem Land lebt, schü-ren. Wir brauchen einen Spagat zwischen Härte gegen-über den Feinden von Demokratie, Freiheit und Vielfaltsowie Solidarität mit unseren Mitbürgerinnen und Mit-bürgern.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir sind dankbarfür das vielfältige ehrenamtliche Engagement von Bür-gerinnen und Bürgern, zum Beispiel beim THW, bei denFeuerwehren, bei Projekten gegen Rassismus und Frem-denfeindlichkeit, bei Initiativen für Toleranz und Inte-gration. Dieses Engagement kann sich nur entfalten,wenn auch der Bund und vor allem das BMI weiterhinfinanzielle Unterstützung leisten. Wir müssen Lösungenfinden, damit sich der Bund weiterhin aktiv am Zivil-schutz beteiligt und der Zivilschutz mit dem Bevölke-rungs- und Katastrophenschutz besser vernetzt wird.Eine rechtskonforme Lösung für die Ausstattung derFeuerwehren zu finden, wäre besser für die Motivationvon Ehrenamtlichen als Kürzungen oder gar ein kom-pletter Ausstieg des Bundes.
Auch zivilgesellschaftliche Projekte im Bereich derDemokratieförderung, Toleranz und Gewaltpräventionmüssen besser ausgestattet werden; denn aktuelle Ereig-nisse zeigen, dass im Bereich der Demokratieförderungund Toleranz gegenüber Andersdenken in Deutschlandnicht alles zum Besten bestellt ist. Ich erinnere an dieDemonstrationen in Berlin. Wütende Menschen arabi-scher Herkunft haben wegen des Gazakonflikts anti-semitische Parolen bei Demonstrationen in Deutschlandgebrüllt. Das ist beschämend. Leider – auch das ist be-schämend – griff die Polizei nicht ein. Seit Jahren zeigenmehrere Studien konstant, dass circa 20 Prozent allerDeutschen – diese hohe Zahl ist besorgniserregend – an-tisemitische Einstellungen haben.Ein weiteres Beispiel: Eine Studie der Antidiskrimi-nierungsstelle des Bundes hat festgestellt, dass ein Groß-teil der Deutschen Sinti und Roma nicht als gleichbe-rechtigte Bürgerinnen und Bürger wahrnimmt. DieVorurteile gegen diese Bevölkerungsgruppe sitzen tief.Auch die sinkende Wahlbeteiligung, die ihren trauri-gen Tiefpunkt bei der vergangenen Landtagswahl inSachsen hatte, zwingt uns zum Handeln. Die Wahlbetei-ligung betrug nur 49,2 Prozent. Nicht einmal die Hälfteder Wahlberechtigten hat also den Weg zur Urne gefun-den oder ihre Stimme per Briefwahl abgegeben. WelcheLegitimation hat ein Parlament, wenn nur wenige zurWahl gehen? Welche Legitimation haben Entscheidun-gen und Gesetze, wenn sie von Parlamenten beschlossenwerden, die von weniger als der Hälfte der Wahlberech-tigten gewählt sind?Ich begrüße daher die Initiative von Sigmar Gabriel,ein Bündnis aller demokratischen Parteien ins Leben zurufen, um die Wahlbeteiligung zu steigern. Die SPD hatbereits eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die entspre-chende Vorschläge erarbeiten und diese dann mit allenanderen interessierten Parteien diskutieren soll.Wir müssen weiter für unsere Demokratie werben.Wir müssen die wichtige Arbeit der Bundeszentrale fürpolitische Bildung stärken, in den Kitas und Schulen al-tersgerecht über Demokratie aufklären, zum Mitmacheneinladen, Vorurteile abbauen, Wissen über andere Reli-gionen und Kulturen vermitteln.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt2015 wird der erste Haushalt seit 46 Jahren sein, bei demkeine neuen Schulden aufgenommen werden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014 4503
Gabriele Fograscher
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Der Haushalt des BMI trägt seit Jahren zur Konsolidie-rung bei. Wenn sich durch den künftigen Schuldenabbauneue Handlungsspielräume ergeben, dann muss davonauch das BMI mit seinen zahlreichen Aufgaben wie derinneren Sicherheit, der Prävention, der Integration, derFörderung des Ehrenamtes und der politischen Bildungprofitieren.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Einen schönen Nach-
mittag von mir Ihnen allen!
– Nein. Ich sagte nur: Guten Tag bzw. einen schönen
Nachmittag von mir! Nein, Herr Beck, Sie können jetzt
nicht gehen. Sie lauschen jetzt Herrn Gienger.
Eberhard Gienger hat das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Natürlich auch einen schönen Nachmittag von mir! Ichfreue mich, dass auch der Sport hier zur Sprache kommt.Schließlich ist der Sport ein zentraler Bestandteil des ge-sellschaftlichen Zusammenlebens. Das zeigt sich insbe-sondere an den 27 Millionen Mitgliedschaften im Deut-schen Olympischen Sportbund und nicht zuletzt auch anden über 90 000 Sportvereinen in Deutschland. Sport istsomit die größte Bürgerbewegung in unserem Land.Dass der Sport auch zu einem Imagegewinn bzw. zueiner Veränderung der Wahrnehmung auch im Auslandführen kann, hat zuletzt die Fußballweltmeisterschaft2006 unter Beweis gestellt. Dies ist auch der Grund,weshalb der Bund und hier das Bundesministerium desInnern den Sport fördern, und zwar in diesem Jahr mit139 Millionen Euro und im kommenden Jahr mit140 Millionen Euro.Angesichts der gewachsenen Konkurrenz bei Olym-pischen Spielen, Weltmeisterschaften und anderen inter-nationalen Wettbewerben wollen wir durch eine gezielteSportförderung dazu beitragen, dass wir weiterhin zurWeltspitze gehören. Dies wollen wir durch verschiedenezentrale Maßnahmen erreichen. Dazu gehört die Grund-förderung der Bundessportfachverbände, unter anderemfür Stützpunkttraining oder Lehrgänge. Dazu gehörenaber auch Maßnahmen zur gezielten Olympiavorberei-tung im Rahmen der Top-Team-Förderung. Eine solidefinanzielle Basis muss auch für das Leistungssportperso-nal bereitgestellt werden. Eine weitere tragende Säuledes Spitzensports besteht schließlich aus den Olympia-stützpunkten und den Bundesleistungszentren. Der ge-samte Umfang der Fördermaßnahmen beläuft sich aufimmerhin fast 85 Millionen Euro.Spätestens seit den Olympischen Spielen 2008 in Pe-king erfährt auch der Behindertensport in der internatio-nalen Aufmerksamkeit zunehmende Bedeutung. Diesbegrüßen wir natürlich sehr. Wir unterstützen den Leis-tungssport von Menschen mit Behinderungen. Dies giltsowohl für die Bundesstützpunkte im Behindertensport,die wir mit 3,5 Millionen Euro unterstützen, als auch fürdas notwendige Leistungssportpersonal, für das wir1,5 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Im Übrigenwerden von der Bundesregierung schon seit langem diegleichen Förderkriterien zugrunde gelegt, und es wird inRelation zur Kaderstärke die anteilig gleiche Unterstüt-zung gewährt wie auch bei den nichtbehinderten Athle-tinnen und Athleten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne das Institut fürAngewandte Trainingswissenschaft und das Institut fürForschung und Entwicklung von Sportgeräten wären wirim internationalen Wettbewerb kaum so erfolgreich undkonkurrenzfähig. Die komplexe Trainings- und Wett-kampfforschung sowie die Technologieentwicklung tra-gen wesentlich zum Erfolg unserer Athletinnen und Ath-leten bei. Die Nachfrage bei den Instituten ist nach wievor sehr hoch. Deswegen werden wir auch im kommen-den Jahr in diese Forschungseinrichtungen 13 MillionenEuro investieren. Dabei stehen die Kooperationen vonIAT und FES mit zum Teil über 20 Spitzensportverbän-den weit oben; über 30 dieser speziellen Projekte sindenorm vielschichtig und anspruchsvoll.Auch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft nimmt– mit einer ganzheitlichen und problembezogenen Per-spektive – im wissenschaftlichen Verbundsystem einezentrale Stellung ein. Auch hier wollen wir durch dieverschiedenen Forschungsprojekte Unterstützung ein-bringen, deren Relevanz weit über den Spitzensport hi-nausgeht. Hier ist exemplarisch das Forschungsprojekt„Rückenschmerz“ zu nennen. Den Aufwuchs im Haus-halt des BMI für 2015 um 1 Million Euro für das Bun-desinstitut für Sportwissenschaft begrüßen wir dahersehr.Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass wirdie Sportförderung unter die Lupe nehmen wollen. Zu-sammen mit dem organisierten Sport wollen wir zu einerOptimierung und einer Effizienzsteigerung kommen.Deswegen werden wir unter anderem, Frau Lazar, am13. Oktober 2014 eine Anhörung im Sportausschussdurchführen,
wo Sie sich dann entsprechend einbringen können.
Viele weitere sportpolitische Ziele fallen ebenfalls indie Zuständigkeit des BMI, zum Beispiel die Förderungder internationalen Sportbeziehungen. Dies ist besonders
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Eberhard Gienger
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wichtig im Hinblick auf die derzeitigen Herausforderun-gen und Konflikte. So konnte zum Beispiel in den letz-ten Jahren die Zusammenarbeit mit der VolksrepublikChina, mit Israel und mit den palästinensischen Gebietenverbessert und ausgebaut werden. Auch auf europäischerEbene haben wir viele zentrale Wegmarken erreicht,zum Beispiel die Förderung von Fair Play sowie die Be-kämpfung von Rechtsextremismus, Diskriminierung undGewalt im und durch den Sport.Erfolge im Spitzensport und die Förderung durch denBund machen nur dann Sinn und haben ihre Berechti-gung, wenn sie auf eine saubere Art und Weise erstrittenwerden. Der nationale und grenzüberschreitende Kampfgegen Doping im Sport zählt daher zu den wichtigstenAufgaben. Dafür wollen wir über 5 Millionen Euro bereit-stellen. Die Dopingprävention fällt darunter, die Doping-forschung und -analytik, die Europäische Beobachtungs-stelle für neue Dopingsubstanzen, die Beratungsstelledes Vereins doping-opfer-hilfe und schließlich auchMaßnahmen zur direkten Dopingbekämpfung; aber auchder Zuschuss an die Anti-Doping-Weltagentur wird wei-tergeführt. Entsprechend den Zusagen im Koalitionsver-trag werden wir die Zuwendungen an die Nationale AntiDoping Agentur in Deutschland um 1,25 Millionen Euroerhöhen.Auch planen wir ein Antidopinggesetz. Aber wieschwierig es ist, ein solches Antidopinggesetz einzufüh-ren, sieht man schon allein daran, dass offensichtlichvonseiten der Grünen die Freigabe von Haschisch gefor-dert wird
und im Antidopinggesetz dann der Konsum von Ha-schisch zu einer Straftat werden soll.
Sie sehen daran, wie schwierig es ist, ein solches Gesetzüberhaupt durchzusetzen.
Herr Kollege – –
Ich bin gleich fertig.
In jedem Falle darf ich sagen, dass von uns ein sehr
solider Sporthaushalt vorgelegt wurde. Wir schreiben die
Kontinuität in der Sportförderung fest. Ich möchte mich
an dieser Stelle beim Bundesinnenminister, beim Bun-
desfinanzminister und schließlich auch bei den Haushäl-
tern bedanken, die für uns Überschläge und Klimmzüge
gemacht haben und dies natürlich mit harter Arbeit un-
terlegt haben.
Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege Gienger. – Nächster Redner für
die SPD: Matthias Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Herr Kollege Gienger, ich danke Ihnen,dass Sie wenigstens überwiegend in Ihrer Rede IhrenSchwerpunkt auf den Bereich des Sports gelegt haben.Daran möchte ich nahtlos anschließen. Der Sport ist beiuns ein Politikfeld, das wir oftmals unterschätzen. HerrMinister, ich verstehe, dass Sie die Sportpolitik und dieOlympiabewerbung in Ihrer Rede nur in der Überschrifterwähnen konnten, weil Sie noch viele andere Felder zubeackern haben.In der Bundesrepublik sind – Kollege Gienger hat da-rauf hingewiesen – 27 Millionen Menschen Mitgliedereines Sportvereins. Darüber hinaus gibt es weitere, dieSport treiben, ohne in einem Verein zu sein, indem sieeinfach joggen oder in ein Fitnessstudio gehen. Danebengibt es natürlich auch viele Menschen, die Sport passivkonsumieren, indem sie sich zum Beispiel am Samstag-abend die Sportschau angucken. Für all diese müssenwir etwas tun, Herr Minister.Zunächst einmal herzlichen Dank an den Bundes-innenminister und die Kolleginnen und Kollegen derSportabteilung für die Erstellung dieses Haushaltsent-wurfs. Die Kolleginnen und Kollegen dort sind in keinerleichten Situation, trotzdem haben sie uns eine gute Ent-scheidungsgrundlage vorgelegt.Wenn man den Haushaltsentwurf 2015 in die Handbekommt, dann legt man ihn erst einmal neben denHaushalt 2014, bildet Salden und schaut, was beim Sportunter dem Strich herauskommt. Sie wissen natürlich,dass im Haushalt das, was unter dem Strich heraus-kommt, oben steht; man muss also gar nicht nach untenschauen. Ganz oben steht, dass die Sportförderung von139,5 Millionen Euro auf 140,1 Millionen Euro angeho-ben wird, und das, Herr Minister, ist ein sehr gutes Zei-chen. Herzlichen Dank!
– Herr Kollege Hahn, Sie sagen „gigantische Steige-rung“. Sie müssen sehen: Wenn man versucht, im Ge-samthaushalt keine Schulden mehr anzuhäufen, dann istes aller Ehren wert, dass die Mittel für einzelne Felder,wie für den Sport, noch angehoben werden. Ich finde,das sollten wir auch entsprechend würdigen.
Die nackten Zahlen des Haushalts sind Ausdruck derPolitik, die wir betreiben wollen. Wenn wir uns die ein-zelnen Titel anschauen und diese den entsprechenden Ti-teln im Haushalt 2014 gegenüberstellen, dann stellen wir
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Matthias Schmidt
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an einigen Stellen einen Zuwachs und an anderen Stelleneine Kürzung fest.Wir haben uns sehr gefreut, dass es einen Zuwachs anMitteln bei „Jugend trainiert für Olympia“ und bei „Ju-gend trainiert für Paralympics“ gibt, sodass hier das Ni-veau aus dem Jahre 2013 wieder erreicht wird, und wirfreuen uns, dass die Universiade durchgeführt wird unddas Deutsche Turnfest und die Europäischen MakkabiSpiele gefördert werden.Zu IAT und FES hat Kollege Gienger schon etwas ge-sagt. Auch hier bin ich sehr froh, dass wir das Niveaudes letzten Jahres fortschreiben können. Das ist sehrwichtig für den Sport.Ähnlich wichtig ist die Förderung der NADA. Dorthaben wir im letzten Jahr 1 Million Euro draufgelegt, umauf ungefähr 4,3 Millionen Euro zu kommen. Diese Mil-lion ist fortgeschrieben und um noch einmal eine Viertel-million Euro erhöht worden. Frau Kollegin Lazar, Siehatten sich ein bisschen darüber beklagt, dass das von10 Millionen Euro noch zu weit entfernt sei. Die Förde-rung der NADA ist eben nicht alleine Aufgabe des Bun-des,
sondern hier gibt es auch noch andere Beteiligte. Wirwollen die Länder und auch den organisierten Sportnicht aus der Verantwortung entlassen. Ich stelle aberfest: Der Bund ist hier seiner Verpflichtung nachgekom-men, und das ist auch gut so.
Zu den Kürzungen, die uns natürlich nicht so gut ge-fallen: Hier ist zum einen das Leistungssportpersonal zunennen. Die Mittel dafür werden um 1,27 MillionenEuro verringert. Darüber müssen wir im Ausschuss si-cherlich noch einmal ausführlich reden.Eine Sache, die uns besonders wehtut und zufällig350 000 Euro ausmacht, ist die Kürzung beim Posten„Jahresplanungen der Behindertensportverbände“. Ichhoffe, dass es hier keinen Zusammenhang mit den Pos-ten „Jugend trainiert für Olympia“ und „Jugend trainiertfür Paralympics“ gibt. Genau darüber wollen wir imAusschuss noch einmal ausführlich diskutieren, um zuschauen, was wir anschließend daraus machen.Vielen herzlichen Dank.
Danke, Herr Kollege Schmidt. – Der letzte Redner in
dieser Debatte: Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen
zuerst einmal der Regierung dafür danken,
dass sie wesentliche Anliegen, die uns im Parlament
beim letzten Haushalt, beim Haushalt 2014, gemeinsam
beschäftigt haben, bereits im Haushalt 2015 verankert
hat.
– Herr Kollege Beck, ich glaube, solche Anliegen wie
Integrationskurse – 40 Millionen Euro mehr – und
die humanitäre Aufnahme syrischer Flüchtlinge – 9 Mil-
lionen Euro mehr – oder ein erhöhter Ansatz für das
Technische Hilfswerk
haben uns gemeinsam beschäftigt, und die Regierung hat
dies fortgeschrieben.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage vom
Kollegen Beck?
Herr Beck, bitte.
– Das freut mich.
Auch ich will jederzeit Ihrer Majestät und der Regie-
rung meinen Dank aussprechen.
Damit ich das in voller Inbrunst tun kann, will ich Sie
fragen, wo die 40 Millionen Euro stehen. Unter dem
Haushaltstitel 684 12-219 – Durchführung von Integra-
tionskursen – steht unter „Soll 2014“ 244 077, also
244 Millionen Euro, und unter „Soll 2015“ findet sich
die identische Zahl: 244 077. Wo sind da die 40 Millio-
nen Euro geblieben?
Herr Kollege Beck, das kann ich ganz einfach erklä-ren. Sie müssen überlegen, was Sie vergleichen.
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4506 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Dr. Reinhard Brandl
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Im Haushaltsentwurf 2014 waren diese 40 MillionenEuro im Titel für die Integrationskurse nicht enthalten.Dann haben wir als Parlament hier in diesem Haus be-schlossen, diesen Titel um 40 Millionen Euro zu erhö-hen.
Was die Regierung dann gemacht hat, ist, den Beschluss,den wir hier gefasst haben, im Haushalt 2015 nachzu-zeichnen.
Dafür habe ich mich bedankt.
– Natürlich hält sich die Regierung im Haushalt 2014 andie Beschlüsse des Parlaments.
Aber was sie für das Jahr 2015 gemacht hat, ist, die Be-schlüsse des Parlaments proaktiv nachzuzeichnen.
Ich hoffe, dass wir diese Form der Zusammenarbeit auchin diesem Haushalt an der einen oder anderen Stelle fort-setzen können.
Meine Damen und Herren, Sie werden sich nichtwundern, dass wir als Koalition den Regierungsentwurfgrundsätzlich mittragen können.
Aber wir müssen feststellen, dass seit der Aufstellungdes Haushalts im Frühsommer die Welt nicht stehen ge-blieben ist. Verschiedene Vorredner haben bereits denAnstieg der Asylbewerberzahlen genannt. Dieser He-rausforderung müssen wir im Haushalt und im parla-mentarischen Verfahren begegnen.Wir werden auch prüfen, ob wir zum Beispiel im Be-reich des Einzelplans 06 sinnvolle Unterstützungsmaß-nahmen für die Ukraine mitfinanzieren können. Deutsch-land hat eine internationale Verantwortung. Wir werdendieser Verantwortung gerecht werden. Wir werden dabeidie Regierung im Haushaltsausschuss aktiv unterstützen.
Die verschiedenen Krisenherde in der Welt sind aucheine latente Bedrohung für unsere Sicherheit im Inland.Es wurde ebenfalls angesprochen: Im Moment sind über400 Inländer, Deutsche oder aus Deutschland stam-mende Bürger, in den Dschihad bzw. nach Syrien ge-reist. Möglicherweise wollen sie zurückkommen undden Kampf in Deutschland und in Europa fortsetzen. Wirwerden uns deswegen in den Haushaltsberatungen inten-siv mit der Ausstattung der verschiedenen Sicherheitsbe-hörden des Bundes beschäftigen und überprüfen, ob siedieser Herausforderung mit den Mitteln, die ihnen zurVerfügung stehen, in ausreichender und guter Form ge-recht werden.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte dieGelegenheit nutzen, ein Thema anzusprechen, das unsim Haushaltsausschuss sehr beschäftigt, das heute abernoch nicht Gegenstand der Debatte war, nämlich die ITdes Bundes. Die IT des Bundes kann man natürlich unterKriterien wie Kosten und Leistungsfähigkeit messen.Aber man muss sie auch unter dem Kriterium der Sicher-heit messen.Im Grundgesetz ist die Eigenverantwortlichkeit derRessorts verankert. Das hat sich bewährt. Das hat aberim Bereich der IT dazu geführt, dass es innerhalb derBundesverwaltung eine Vielzahl von kleinen und kleins-ten IT-Inseln mit eigenen Netzen und Rechenzentrengibt.
Das hat Folgen. Es wird für die Ressorts und für die Be-hörden immer schwieriger, die gestiegenen Sicherheits-anforderungen zu gewährleisten. Die Haushaltsmittelund das Fachpersonal sind knapp. Synergiepotenziale,die man zum Beispiel durch eine gemeinsame Beschaf-fung heben könnte, werden nicht oder nur kaum genutzt.Die Handlungsfähigkeit der Regierung, zum Beispiel imFall einer großen IT-Krise, ist durch diese verstreutenZuständigkeiten eingeschränkt.Die Bundesregierung hat am 20. August – der Minis-ter hat es erwähnt – die Herausforderungen und die er-forderlichen Maßnahmen in ihrer Digitalen Agenda sehreindrucksvoll und prägnant beschrieben. Ich verweise indiesem Zusammenhang vor allem auf das Kapitel „Inno-vativer Staat“.Dieses vom Kabinett beschlossene Dokument unter-streicht den Willen dieser Koalition, den digitalen Wan-del aktiv zu gestalten, und es eröffnet im Bereich derBundesverwaltung die Chance, bei einer ressortübergrei-fenden Zusammenarbeit, beim Betrieb und Aufbau vonNetzen und Rechenzentren endlich voranzukommen.Wir werden einen solchen ressortübergreifenden Ansatzim Haushaltsausschuss unterstützen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zumSchluss der Debatte als Hauptberichterstatter noch einpaar allgemeine Bemerkungen zum Haushalt machen.Mit diesem Haushalt macht der Bund keine neuenSchulden mehr.
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Dr. Reinhard Brandl
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– Das ist eine historische Zäsur, auf die man nicht oft ge-nug hinweisen kann, Herr Beck. – Strukturell ist bereitsder Haushalt 2014 ausgeglichen.
Meine Damen und Herren, das ist nicht nur ein Saldo,der sich aus der Haushaltsrechnung ergibt, sondern derausgeglichene Haushalt ist ein Versprechen, das wir denMenschen und den kommenden Generationen gegebenhaben.
Wir dürfen dieses Versprechen auch nicht leichtfertigbrechen, wenn wir das Vertrauen der Menschen in denStaat insgesamt nicht gefährden wollen.
Dieses Versprechen einzulösen, ist nicht ganz einfach.Wir können nicht jeden Wunsch, der an uns herangetra-gen wird, erfüllen. Schwierig ist es vor allem, wenn erohne Gegenfinanzierungsvorschlag geäußert wird.Wir müssen uns immer auf die vorsichtige Seite stel-len. Es kann zum Beispiel sein, dass sich im Haushalts-verlauf Tatsachen, Sachverhalte ergeben, mit denen manbei der Aufstellung noch nicht gerechnet hat. Früherhätte man dann neue Schulden gemacht. Das geht jetztnicht mehr. Der damit verbundene Vertrauensverlustwäre gigantisch.Meine Damen und Herren, ich führe das deswegenaus, weil das der Kern der Begründung ist, warum wirim Haushalt 2014 vorsorglich eine Haushaltssperre mit-beschlossen haben. 5 Prozent der Ausgaben sind für denNotfall erst einmal gesperrt. Erst wenn absehbar ist, dassbei den Einnahmen und Ausgaben alles nach Plan läuft,wird das Geld freigegeben.Ich hoffe, dass dies in wenigen Wochen – nach Aus-wertung der August-Zahlen – der Fall ist und die Behör-den, insbesondere auch im Geschäftsbereich des Bun-desministeriums des Innern, wieder voll auf ihre Ansätzeund Ausgabenreste zugreifen können. In der Zwischen-zeit haben wir mit dem Bundesfinanzministerium dasgute Einvernehmen erreicht, dass unabweisbare Ausga-ben auch in diesem Fall genehmigt und geleistet werdenkönnen. Ich weiß, dass man für Maßnahmen wie Haus-haltssperren keinen großen Applaus erntet. Aber sie die-nen einem großen Ziel: die Zeiten der immer weiter stei-genden Schulden zu beenden.Unter dieser Maßgabe werden wir in den nächstenWochen verhandeln. Wir werden versuchen, die zahlrei-chen Anliegen, die heute in der Debatte von den Fach-politikern geäußert worden sind, mit unterzubringen.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeitbei den Haushaltsberatungen 2015.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Brandl. – WeitereWortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor.Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz,Einzelplan 07.Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat der Bundes-minister Heiko Maas.Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Auch im Haushaltsjahr 2015 stelltunser Ministerium, das Ministerium der Justiz und fürVerbraucherschutz, einen doppelten Rekord auf. Wir ha-ben zum einen die geringsten Ausgaben, zum anderenaber prozentual die höchsten Einnahmen. 73 Prozent un-serer Ausgaben sind durch eigene Einnahmen gedeckt.Der Dank geht insbesondere an eine gut geordnete nach-geordnete Behörde, das Bundesamt für Justiz, genausowie an das Patent- und Markenamt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werdenaus dem Ministerium in den kommenden Wochen, jateilweise sogar in den kommenden Tagen wichtige Ge-setzgebungsvorhaben abschließend im Kabinett behan-deln, um sie dann dem Parlament zur weiteren Beratungund schließlich auch zur Beschlussfassung vorzulegen.Ein Gesetzentwurf, der eben beim Einzelplan 06 schonvon Herrn de Maizière angesprochen wurde, nämlich zurUmsetzung der Empfehlung des NSU-Untersuchungs-ausschusses, liegt Ihnen bereits vor.Ich will insbesondere drei Gesetzentwürfe erwähnen,die wir Ihnen in Kürze zuleiten wollen. Das ist zum ei-nen das Gesetz zur Änderung des Sexualstrafrechtes. Esgeht um das Gesetz, in dem unter anderem die Verjäh-rung beim sexuellen Missbrauch erst ab dem 30. Lebens-jahr des Opfers einsetzen soll, weil wir festgestellt ha-ben, dass viele Missbrauchte erst sehr spät beginnenkönnen, darüber zu reden.Wir verschärfen die Regelungen zur Strafbarkeit derHerstellung und Verbreitung von kinderpornografischenErzeugnissen. Auch da wissen wir, dass Strafrecht nichtallein helfen kann. Wir haben die Mittel für die Präven-tion schon im letzten Haushaltsjahr ganz wesentlich an-gehoben. Aber wir sind auch der Auffassung, dass ge-rade in diesem Bereich Strafbarkeitslücken nichtakzeptabel sind, und deshalb wollen wir sie schließen.Wir werden uns zum Dritten in dem Gesetzentwurfmit dem Thema Cybermobbing auseinandersetzen undauch hier Strafbarkeitsregeln einführen, weil wir selberdarüber erschrocken sind, dass junge Menschen darunterso sehr leiden, dass sie bis hin in den Selbstmord getrie-ben werden.Ein zweiter wichtiger Gesetzentwurf, den wir inner-halb der Regierung beraten und auch demnächst vorle-gen wollen, betrifft die Mietpreisbremse. Ich will nocheinmal darauf hinweisen: Bereits seit 2009 steigen inDeutschland zumindest in den Ballungsgebieten die
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4508 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Bundesminister Heiko Maas
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Mieten. Ich nenne einige aktuelle Zahlen: Münster hatein Plus von 34 Prozent zu verzeichnen, in Hamburg be-trägt der Mietpreisanstieg 28 Prozent sowie in Münchenund Berlin jeweils 20 Prozent. Deshalb ist die Einfüh-rung einer Regelung überfällig, dass die Miete bei Wie-dervermietung nur noch insoweit steigen kann, dass sieum 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmieteliegt.Ich will noch auf einen anderen Punkt hinweisen, derimmer wieder angesprochen worden ist: Die Mietpreis-bremse ist keine Investitionsbremse, weil sie für Neu-bauten gar nicht gilt. Es gibt aber viele Tausend Men-schen, die darauf warten, dass die Mietpreisbremseendlich Realität wird.
Wir werden den Gesetzentwurf zur Frauenquote inder Bundesregierung endberaten. Der Teil, den das Jus-tiz- und Verbraucherschutzministerium dazu beisteuert,nämlich die Änderung des Aktiengesetzes, also die Ein-führung einer gesetzlichen Quote in den Aufsichtsräten,ist ein überfälliger Schritt. Ich will auch hierzu aktuelleZahlen nennen. Bei den Top-200-Unternehmen ist dieEntwicklung in den Aufsichtsräten rückläufig. Nur15 Prozent der dortigen Mandate sind mit Frauen be-setzt. Bei den DAX-Unternehmen ist die Entwicklung inden Vorständen ebenfalls rückläufig. Der Anteil vonFrauen in den Vorständen beträgt 6,3 Prozent.Wir werden nur die Quote für die Aufsichtsräte ge-setzlich festlegen. Aber wenn eine britische Studie ak-tuell zu dem Ergebnis kommt, dass von 45 untersuchtenWirtschaftsnationen Deutschland bei der Vertretung vonFrauen in Führungspositionen den letzten Platz ein-nimmt, dann ist es wirklich Zeit, dass wir dieses Gesetzjetzt auf den Weg bringen.
Meine Damen und Herren, auch im Verbraucher-schutz sind bereits nicht unwesentliche Dinge auf denWeg gebracht worden. Aber wir haben uns insbesonderefür die kommende Zeit einiges vorgenommen. Ich willnur aktuelle Dinge kurz ansprechen.Fast 50 Prozent aller Ausgaben in Deutschland wer-den heute ohne Bargeld abgewickelt. Überweisungen,Lastschriften und Bankkarten: Für all dies braucht einMensch ein Girokonto. Trotz mancher Anstrengung inder Vergangenheit bleibt es aber bedauerlicherweise eineTatsache: Noch immer wird zu vielen Menschen inDeutschland ein eigenes Bankkonto verweigert. Die Be-troffenen geraten dabei – das erkennen wir immer wie-der – in einen Teufelskreis. Wer kein eigenes Konto hat,erweckt Misstrauen und hat es schwerer, einen Arbeits-platz zu finden und eine Wohnung anzumieten, und istauch bei vielen anderen lebenswichtigen Dingen einge-schränkt. In der kommenden Woche tritt nun die EU-Richtlinie in Kraft, mit der das Girokonto für jeder-mann endlich Wirklichkeit werden soll. Wir haben imKoalitionsvertrag festgelegt, dass wir diese Initiativeunterstützen. Die Bundesregierung beginnt nun mit derUmsetzung und verfolgt dabei das klare Ziel, die Diskri-minierung beim Zugang zum Girokonto grundsätzlich zubeenden. Ich finde, dass das ein guter Anlass ist, vertieftin die Arbeit einzusteigen.
Ein eigenes Konto eröffnet die Chance, am Finanzle-ben teilzuhaben. Aber es ist für viele Verbraucherinnenund Verbraucher auch zu einem Risiko geworden. Dashängt vor allen Dingen mit den hohen Zinsen für Über-ziehungskredite zusammen. Wir müssen sicherstellen,dass die Dispozinsen in Zukunft nicht, wie es in der Ver-gangenheit und der Gegenwart noch viel zu häufig derFall ist, zu einer Schuldenfalle für Verbraucherinnen undVerbraucher werden. Ich will gar nicht in Abrede stellen,dass es Kreditinstitute gibt, die darauf bereits mit ver-nünftigen Maßnahmen reagieren. Aber ich will auch inaller Deutlichkeit sagen: Wenn ich mir die eine oder an-dere Begründung der Banken für ihre hohen Überzie-hungskreditzinsen anschaue, dann komme ich zu demSchluss, dass eine Bank, deren Geschäftsmodell aufÜberziehungszinsen von bis zu 14 Prozent angewiesenist, kein wirkliches Geschäftsmodell hat. Niemand kannmir erzählen, dass dem nicht so ist. Deshalb werden wirhier tätig.
Wir wollen zukünftig die Banken in dieser Sache stär-ker in die Verantwortung nehmen. Die Zinsen und dieHöhe der Zinssätze müssen offengelegt werden. Dasschafft mehr Transparenz als bisher. Wir wollen außer-dem eine Beratungspflicht schaffen. Wenn ein Verbrau-cher über lange Zeit tief in den roten Zahlen steckt, dannsoll die Bank künftig ihren Kunden ansprechen. Sie sollihm aufzeigen, welche Alternativen es zu den teurenDispokrediten gibt und wie er zum Beispiel durch eineUmschuldung aus der Schuldenfalle herauskommenkann. Ich finde, dass das eigentlich eine Selbstverständ-lichkeit ist, erst recht dann, wenn man der Werbung derBanken im Fernsehen glauben darf. Da die Realität lei-der anders ist, wollen wir mit einer Beratungspflicht derEntwicklung auf die Sprünge helfen. Das ist nach wievor bitter nötig.
Das ist weder eine Bevormundung noch eine Überregu-lierung. Ich bin der Auffassung, dass moderne Verbrau-cherpolitik insbesondere dann sinnvoll ist, wenn sie ver-braucherfreundliche Entwicklungen anstößt. Sie ersetztsicherlich nicht die Eigenverantwortung der Verbrau-cher. Aber wir wollen mit solchen Maßnahmen Rechteund vor allen Dingen den Rahmen schaffen, in dem dieVerbraucherinnen und Verbraucher ihre Eigenverantwor-tung wahrnehmen können.Die Politik tut gut daran, gute Ideen – das ist in denbereits erwähnten Fällen auch so gewesen – aus Wissen-schaft, NGOs und der Zivilgesellschaft noch stärker alsbisher zu berücksichtigen. Wir werden dies in meinemMinisterium auch tun. Im Herbst nimmt der neu einge-richtete Sachverständigenrat für Verbraucherfragen seine
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Bundesminister Heiko Maas
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Arbeit auf. Wenn es seit Jahrzehnten selbstverständlichist, dass die sogenannten Wirtschaftsweisen der Bundes-regierung Ratschläge geben, dann ist es vielleicht sogarüberfällig, dass es einen vergleichbaren Sachverständi-genrat gibt, der der Bundesregierung Hilfestellung undHinweise gibt, wenn es darum geht, die Rechte der Ver-braucherinnen und Verbraucher zu schützen und auch ih-nen eine starke Stimme zu geben. Das tun wir jetzt.Wir werden das Projekt der Marktwächter auf denWeg bringen, wenn uns die entsprechenden Mittel zurVerfügung gestellt werden. Dieses Projekt ist außeror-dentlich wichtig. Wir wollen mit den Finanzmärkten be-ginnen und es dann im Internetbereich fortsetzen. Dieverbraucherschutzrelevanten Maßnahmen, die wir in derdigitalen Welt auf den Weg bringen müssen, werden unssicherlich noch viel Arbeit bereiten.Sie sehen, wir sind außerordentlich dankbar dafür,dass die Arbeit, die wir uns vorgenommen haben, auchmit ausreichenden Mitteln ausgestattet wird. Dazu wol-len wir in den anstehenden Beratungen unseren Teil bei-tragen.Herzlichen Dank.
Danke, Heiko Maas. – Nächster Redner in der De-
batte ist Roland Claus für die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-ehrter Herr Bundesminister! Traditionsgemäß lässt dieOpposition bei der Beratung über den Justizhaushalt im-mer eine gewisse Milde walten. Das hat zum einen denGrund darin, dass es eine ganze Reihe von Vorhaben, dieSie soeben angekündigt haben, gibt, die durchaus unsereUnterstützung finden, das hat zum anderen aber auch da-mit zu tun, dass die Opposition natürlich ihrerseits an ei-ner leistungsfähigen Justiz interessiert ist, sind es dochhäufig erst die Gerichte, die parlamentarischen Mehrhei-ten oder auch Verwaltungen Einhalt gebieten, wenndiese zuweilen geltendes Recht brechen oder in Einzel-fällen dagegen verstoßen. Dass das vorkommt, haben Siejüngst bei den Kommentierungen von Beobachtungenvon Bundestagsabgeordneten meiner Fraktion wahrge-nommen. Daraus folgt: Die Opposition wird dem Justiz-minister zuweilen helfen, und deshalb sollte umgekehrtgelten: Der Justizminister sollte es sich mit der Opposi-tion nicht verscherzen. Ich denke, da können wir Einig-keit erzielen.
Es gibt eine Reihe von Gründen, die diesen Haushaltumso vieles wichtiger machen, als er es bisher schonwar. Zwei davon heißen NSU, NationalsozialistischerUntergrund, und NSA, die amerikanische Sicherheitsbe-hörde, und die Enthüllungen Edward Snowdens. Ichdenke, da geht es nicht mehr mit einem Weiter-so, dasind neue Ansätze gefragt. Wir müssen uns doch nur ein-mal eines vor Augen halten: Während wir in diesen Mi-nuten diesen Etat beraten, werden erneut Daten vonHandys und von PCs auch aus der Mitte des Parlamentsauf US-amerikanischen Servern gesammelt. Jetzt istdoch die Frage: „Wollen wir uns daran gewöhnen, oderwollen wir uns dagegen zur Wehr setzen?“, wobei wirfür Letzteres wären.
Die Gefahr besteht doch darin, dass mit einer schlei-chenden Unterwanderung des Rechtsstaates bisherigeStandards der Vergangenheit angehören. Deshalb, denkeich, müssen wir die Idee des Rechtsstaates neu denken,um die Idee vom Rechtsstaat zu bewahren.
Ich würde in dem Zusammenhang gern die Bundes-kanzlerin zitieren, die am 23. Februar 2012 auf der Ge-denkveranstaltung für die Opfer des NSU zu den Hinter-bliebenen gesagt hat:Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutsch-land verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um dieMorde aufzuklären, um die Helfershelfer undHintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer ge-rechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zu-ständigen Behörden in Bund und Ländern mitHochdruck.Es sind seitdem zweieinhalb Jahre vergangen. DieUntersuchungsausschüsse im Bundestag, im ThüringerLandtag und in anderen Landtagen brachten zutage, dassdieses Versprechen der Kanzlerin schon deshalb nicht er-füllt werden kann, weil nach dem Tod der beiden NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos ungezählte Aktenvernichtet wurden. Ich frage mich, ob aus dem Verspre-chen der Bundeskanzlerin einerseits und den massivenVorwürfen der Untersuchungsausschüsse an Verfas-sungsschutz, Polizei und auch die Justiz andererseitsnicht der Schluss zu ziehen wäre, auch im Haushalt desMinisteriums die Vorsorge zu treffen, um hier zu ande-ren Ansätzen zu kommen.Wo bleibt beispielsweise ein Titel „Aufarbeitung vonJustizversagen beim NSU“, wo bleiben die Ansätze zurbesseren Fort- und Weiterbildung von Juristinnen undJuristen auf diesem Gebiet? Wir haben festgestellt:Nichts ist wirklich aufgeklärt. Es waren Prozesse, diemit den Begriffen Schreddern, Vertuschen, Korpsgeist-verhalten und Kompetenzwirrwarr zu beschreiben sind.Nur eine Frage: Konnte V-Leuten bei den Nazis Geldund Straffreiheit wirklich ohne staatsanwaltschaftlicheBeteiligung zugesichert werden? Ich denke, wer Zivil-courage will, muss hier auch Justizcourage zeigen.
Ich meine natürlich eine Justizcourage, die den LeutenMut und nicht Angst macht.Bekanntlich irrt Justitia manchmal. Den Bundestagund damit uns alle erreichen viele Vorschläge, so etwaswie einen Justizopferfonds einzuführen.
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4510 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Roland Claus
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Ich denke einmal, Sie werden das ganz sicher andersnennen. Aber so etwas auf den Weg zu bringen, wäreschon ein wichtiger Schritt; denn es gibt viele Betrof-fene, und für sie wäre schon die nächste Instanz eine In-stanz zu viel.Herr Minister, ich will noch ein paar Worte zum Be-reich des Verbraucherschutzes sagen. Da haben wir esmit einer Einzigartigkeit, ja mit einem Kuriosum zu tun.Wir haben ein Bundesministerium der Justiz und fürVerbraucherschutz, und wir haben ein Bundesamt fürVerbraucherschutz. Wenn man das so hört, geht man wieselbstverständlich davon aus, dass dieses Bundesamt imGeschäftsbereich dieses Ministeriums angesiedelt ist. Istes aber nicht! Angesiedelt ist dieses Bundesamt im Ge-schäftsbereich des Ministeriums für Ernährung undLandwirtschaft. Ich glaube, da haben Sie sich ganzschön über den Tisch ziehen lassen, Herr Bundesminis-ter. Wir wollen, dass dort, wo Verbraucherschutz drauf-steht, auch Verbraucherschutz drin ist. Dass das klar ist!
Dass die Linke in Regierungsverantwortung guteDinge auf den Weg bringen kann, können Sie auch daransehen, dass die Regierung in Brandenburg mit der Ver-braucherschutzministerin Anita Tack den von Ihnenschon genannten Bundesratsbeschluss zur Begrenzungvon Dispozinsen initiiert und dann auf den Weg gebrachthat. Wenn die Bundesregierung diesem Vorschlag jetztzustimmen will, haben wir einiges erreicht.
Wir werden Ihnen in den Beratungen erneut einigeVorschläge unterbreiten, wie wir mit dem Deutschen Pa-tent- und Markenamt in München noch besser umgehenkönnen. Sie wissen, da sind wir immer für Vorschlägegut. Erfreulich ist, dass die Bundesregierung den Vor-schlägen aus der Opposition diesmal schon im Ansatzein Stück weit gefolgt ist – ein viel zu kleines, wie wirmeinen; aber wir bleiben dran. Insofern stehen wir vorspannenden Beratungen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Claus. – Nächste Rednerin
in der Debatte ist Elisabeth Winkelmeier-Becker für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Viele Finanzminister haben es versucht und haben esauch beherzt angekündigt, aber unser Finanzminister,Dr. Schäuble, schafft es jetzt. Ich möchte deshalb an denAnfang meiner Rede mein Lob, meinen Dank und meineAnerkennung an die Haushälter der Fraktionen und derKoalition richten, dass sie dazu beigetragen haben, dasszum ersten Mal der Entwurf eines Haushaltes ohne Neu-verschuldung vorgelegt wird. Ich denke, wir werden unsalle sehr darum bemühen, dass dieser Entwurf das Ge-setzgebungsverfahren übersteht, sodass am Ende einausgeglichener Haushalt stehen wird.
Nicht nur als Rechtspolitikerin, sondern auch als Mut-ter von drei Kindern, Großmutter eines kleinen Enkel-kindes und als Nordrhein-Westfälin freue ich mich sehrdarüber. In Nordrhein-Westfalen sind wir im Momentanderes gewohnt: Da trinkt die Regierung nur noch Lei-tungswasser und kann sich noch nicht einmal Sprudelleisten,
weil man dort eben nicht so talentiert im Umgang mitGeld ist.
Ich möchte auf den Justizhaushalt eingehen, der derkleinste aller einzelnen Haushalte ist. Er umfasst0,16 Prozent des Gesamtvolumens der Einnahmen und0,22 Prozent des Gesamtvolumens der Ausgaben. DurchGebühren und Einnahmen in seinem Geschäftsbereichliegt die Deckungsquote aber bei immerhin 73 Prozent.Das sind natürlich Zahlen, mit denen wir Rechtspolitikeruns beim Finanzminister beliebt machen können. UnserSchwerpunkt liegt eben nicht im Verteilen von Geld,sondern in guten Regeln, in guter Rechtspolitik.Aber so ganz ohne Geld geht es natürlich auch nicht.Aus dem Einzelplan Justiz und Verbraucherschutz wer-den zum Beispiel die Bundesgerichte finanziert. HerrMinister, wir waren am vergangenen Freitag beim Bun-desverwaltungsgericht, als dort die Amtseinführung sei-nes neuen Präsidenten und seines neuen Vizepräsidentenstattfand. Es wurden Reden gehalten, und es wurde auchdie Bedeutung des Bundesverwaltungsgerichtes heraus-gehoben. Sie selber haben Gustav Radbruch zitiert, dergesagt hat: Gerade die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist derSchlussstein des Rechtsstaats, weil sie den Bürgern dieMöglichkeit gibt, gegen Eingriffe seitens des Staates undder Verwaltung vorzugehen. Es war gerade 25 Jahre undeinen Tag her, dass die erste Montagsdemo stattgefundenhat, bei der die Menschen genau darum gekämpft unddafür demonstriert haben. Ich denke, wir haben da einemsehr würdigen Akt beigewohnt.Aber im gleichen Atemzug, Herr Minister, nehmenSie dort eine Stelle weg. Sie streichen eine Richterstelleund ziehen die Stelle praktisch ins eigene Haus, gebendas Geld also für zusätzliche eigene Ministerialbeamteaus. Das, denke ich, geht nicht. Wir können nicht dasBundesverwaltungsgericht, Teil der dritten Staatsgewalt,hier behandeln wie eine nachgeordnete Behörde. Danimmt man Geld aus dem einen Haushalt und verleibt esdem eigenen ein. Dazu ist das Bundesverwaltungsge-richt zu wichtig. Wir haben einige große Planungsvorha-ben. Bei denen ist es nicht untypisch, dass sich Gerichts-verfahren anschließen. Die dürfen nicht deshalb länger
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014 4511
Elisabeth Winkelmeier-Becker
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dauern, weil wir weniger Richter und mehr Ministerial-beamte haben.
Wir haben in der Rechtspolitik ein sehr breit gefä-chertes Feld von Themen. Man kann nicht alles beleuch-ten. Ich möchte heute vor allem auf das eingehen, waswir in der Rechtspolitik gerade vonseiten der Union tunwollen, um den Mittelstand, den wirtschaftlichen, aberauch den gesellschaftlichen Mittelstand, zu stärken, weiler das Rückgrat unserer Wirtschaft und auch der Gesell-schaft ist. Er ist es deshalb wert, dass man sich hier be-sonders um ihn kümmert.Wir haben in diesem Zusammenhang vor der Som-merpause bereits das Gesetz zur Bekämpfung von Zah-lungsverzug im Geschäftsverkehr beschlossen und damitden exorbitanten Zahlungsfristen, die es teilweise gab,ein Ende gesetzt. Wir haben uns da ganz bewusst ge-meinsam für die mittelstandsfreundliche Variante ent-schieden. Wir wollen nicht dabei stehen bleiben, sondernviele Punkte, die der Koalitionsvertrag enthält, jetzt aufdie Agenda setzen.Als erstes Beispiel nenne ich das Insolvenzrecht. Hierbrauchen wir mehr Planungssicherheit für Unternehmen.Wir haben in der Vergangenheit verstärkt Fälle geschil-dert bekommen, in denen Insolvenzverwalter hohe For-derungen an Unternehmer oder typischerweise an kleineHandwerker gestellt haben, die Jahre zuvor ihrem Ge-schäftspartner, der später in Insolvenz gegangen ist, Kre-dite gegeben, Zahlungsfristen eingeräumt haben – völliggeschäftstypische Vorgänge, auch gewünschte Vorgänge,gerade in Branchen, die saisonabhängig sind. Diese Un-ternehmer, diese Handwerker wurden dafür bestraft,dass sie ihrem Geschäftspartner solche Fristen einge-räumt haben.Wir denken, es kann nicht sein, dass so etwas imNachhinein bestraft wird, nämlich dadurch, dass nochJahre später das Geld, das man für erbrachte Leistungenbekommen hat, in die Konkursmasse zurückgeholt wer-den kann. Hier müssen wir trennen zwischen geschäfts-typischem und gewünschtem Verhalten auf der einenSeite und missbräuchlichen Fallgestaltungen auf der an-deren Seite, die es natürlich auch gibt und bei denen eineAnfechtung berechtigt ist. Hier müssen wir uns um Kri-terien kümmern, die das eine vom anderen trennen. Wirhaben das vereinbart. Sie haben es auch versprochen. Ichhoffe, dass wir bald eine gute Beratungsgrundlage be-kommen und das dann auch noch in das laufende Ge-setzgebungsverfahren zum Konzerninsolvenzrecht ein-beziehen können.
Ein zweiter Punkt ist das Gewährleistungsrecht, auchgerade für Handwerker ein wichtiger Punkt. Da gibt eseine Unwucht zulasten mittelständischer Unternehmen,gerade in den Fällen, in denen die Produkte, die verwen-det werden, die zum Beispiel eingebaut werden, uner-kannte Mängel haben. Nehmen Sie als Beispiel denHandwerker, der Fliesen einbaut, die äußerlich makellossind, aber dann schnell brüchig werden! Dann kann seinKunde ihn in Anspruch nehmen. Er muss alles wiederherrichten, kann seinerseits natürlich seinen Lieferantenin Anspruch nehmen, bleibt aber auf den Kosten desEinbaus oder Umbaus sitzen, obwohl sein Lieferantmöglicherweise schuldhaft schlechtes Material gelieferthat. Da wollen wir einen Regressanspruch etablieren, da-mit derjenige haftet, der den Mangel auch zu verantwor-ten hat.
Ein weiterer Punkt, um es unseren mittelständischenexportorientierten Firmen einfacher zu machen: Wir dis-kutieren im Moment auch auf europäischer Ebene überdie Etablierung einer neuen Gesellschaftsform, die es er-leichtern soll, in verschiedenen europäischen Staaten un-ternehmerisch tätig zu sein. Im Moment liegt ein Richtli-nienvorschlag zur SUP, Single Member Company, aufdem Tisch, der sich am angelsächsischen Vorbild orien-tiert. Aus unserer Sicht gibt es Nachteile beim Vertrau-ensschutz, was notariell geprüft wird oder nicht. Wir ha-ben sehr schwache Vorgaben beim Haftungskapital, undwir haben – auch das ist relevant – deutlich schlechtereRahmenbedingungen bei der Mitbestimmung der Arbeit-nehmer im jeweiligen Kontrollgremium. Das ist nichtunsere Vorstellung von einer neuen europäischen Gesell-schaftsform.
Wir wollen einen besseren Ansatz. Den gibt es auchschon. Die SPE, eine andere Gesellschaftsform, orien-tiert sich mehr an unserem System. Hier habe ich dieherzliche Bitte – ich glaube, wir sind uns hier einig; dasentnehme ich Ihrer Reaktion –, dass wir uns auf euro-päischer Ebene rechtzeitig aufmachen, um bei anderenLändern Verbündete zu suchen; denn nicht jeder findetautomatisch das deutsche System besser als das angel-sächsische. Ich bin davon überzeugt, dass unser Systemmaßgebliche Vorteile hat und dass es sich lohnt, es auchauf europäischer Ebene zu etablieren.Der nächste Punkt bezieht sich auf die Frauenquote.Ich freue mich sehr, dass wir in dieser Legislaturperiodemaßgebliche Schritte machen werden, damit es letztlichauch in den Führungspositionen nur noch auf die Quali-fikation und nicht mehr auf das Geschlecht ankommt.
Ich bin auch dankbar, wenn wir in dieser Phase daraufachten, wie das Ganze praktikabel umgesetzt werdenkann; und wir sollten ein offenes Ohr dafür haben, wo esin der Praxis Umsetzungsschwierigkeiten gibt. Sie sindnaturgemäß da am größten, wo die Gremien kleiner sindoder auch die Familienbindung eines Unternehmens grö-ßer ist. Für ein familiengebundenes Unternehmen – an-ders ist die Situation in einem nichtfamiliengebundenenUnternehmen – ist es schwierig, die Frauenquote zu er-füllen, wenn es nur Söhne gibt. Ich bin sehr dankbar,dass wir die Freiheit und die Flexibilität haben, daraufeinzugehen; denn davon wird die Akzeptanz der Frauen-
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Elisabeth Winkelmeier-Becker
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quote abhängen und damit auch die Frage, wie sehr siefunktioniert.Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einen Wi-derspruch hinweisen. Maßgebliche Impulse für dieseFrauenquote kamen aus Europa. Die JustizkommissarinViviane Reding hat Druck gemacht und unsere Diskus-sion ein Stück weit mitbestimmt. Jetzt haben wir den Be-fund, dass gerade bei der Europäischen Gesellschaft, derSE, diese Quote nicht verbindlich gilt, sondern nur fürAktiengesellschaften. Das ist letztendlich ein Parado-xon; das muss man wirklich sagen. Von Europa kamdiese Vorgabe, und jetzt ist die europäische Gesell-schaftsform geradezu der Ausweg, um sich der ver-pflichtenden Vorgabe zu entziehen. Das betrifft Firmen,die eigentlich klare Kandidaten für diese Quote wären:BASF, SAP, Allianz usw. usf. Ich rege an, dass wir aufeuropäischer Ebene vorschlagen, dass dieser Wider-spruch aufgehoben wird. Ich lege dem Minister ansHerz, dies in Brüssel anzusprechen.
Die letzten Sekunden nutze ich für ein Thema, das zu-nehmend wichtiger wird. Das betrifft die Situation derSyndikusanwälte. Es gibt ein aktuelles, viel beachtetesUrteil des Bundessozialgerichtes, das sich auf die ge-setzliche Rentenversicherung bezieht und auf die Frage,unter welchen Bedingungen Syndikusanwälte davon be-freit werden können. Es gibt eine langjährige Praxis: An-gestellte Syndikusanwälte können dann, wenn sie wei-sungsungebunden, rechtsgestaltend und beratend für einUnternehmen tätig sind, im Versorgungswerk der Rechts-anwälte bleiben. Das ist bisher die Grundlage für berufli-che Verläufe, die sehr flexibel sind, die von den Unter-nehmen erwartet werden und die einen Mehrwert anErfahrung bieten. Wenn das unterbunden wird, dannführt das zu sehr viel Verunsicherung und zu schlechte-ren Ergebnissen. Es ist klar: Wer durch einen beruflichenWechsel aus seiner gewohnten Altersversorgung ausstei-gen muss, wird sich den Wechsel dreimal überlegen.
Frau Kollegin.
Wir sind daran interessiert, an einer flexiblen und
sachgerechten Lösung zu arbeiten, und haben uns das
auch fest vorgenommen. Die ersten Vorschläge und
Überlegungen liegen bereits vor. In diesem Sinne wer-
den wir weiter dafür sorgen, dass gute Rahmenbedin-
gungen für unseren wirtschaftlichen und gesellschaftli-
chen Mittelstand gegeben sind. Ich wünsche uns
weiterhin gute Beratungen.
Herzlichen Dank.
Danke, Frau Kollegin. – Nächster Redner in der De-
batte: Dr. Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen.
Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Wahrlich, wir diskutieren hier einen besonderen Etat.Der Kollege Roland Claus sprach von Milde der Opposi-tion. Keine Sorge: Ich werde sparsam damit umgehen.Der Minister und Sie, Frau Winkelmeier-Becker, ha-ben erwähnt, dass wir über den mit Abstand kleinstenEtat eines Ministeriums in der Bundesregierung reden.Ich will den Zuschauerinnen und Zuschauern ein illus-tratives Beispiel geben: Allein die Kürzung, die dieGroße Koalition im letzten Haushalt in der Nacht derBereinigungssitzung an den Mitteln für das Verteidi-gungsressort vorgenommen hat – das waren 400 Millio-nen Euro –, entspricht fast den Ausgaben, die HeikoMaas im Jahr 2015 tätigen können soll, nämlich414 Millionen Euro. Man könnte versucht sein, zu den-ken, wir würden hier über einen Geschäftsbereich derBundesregierung reden, der unbedeutend wäre.In dieser Debatte – das will ich auch als Hauptbericht-erstatter für diesen Etat sagen – ist bereits deutlich ge-worden: Es geht nicht nur um Geld. Wir alle – egal vonwelcher Fraktion – haben Interesse an einem funktionie-renden Justizsystem. Natürlich braucht es hier vor allemkluge und gut gemachte Regeln. Ich will der Koalitionan einer Stelle entgegenkommen: Man braucht im Be-reich des Verbraucherschutzes sogar kluge Regeln undNormen.Jetzt kommt das große Aber. In einem Bundesminis-terium der Justiz und für Verbraucherschutz, dessenTeile erst noch zusammenwachsen müssen, ist Geld viel-leicht nicht alles, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen,da geht ohne Geld manchmal auch nichts. Da reicht esnicht aus, dass nur ein Drittel der Mittel für den Verbrau-cherschutz bei dem Neuzuschnitt der Ministerien in dasBMJV gelangt ist. Der Verbraucherschutz ist, wie auchim Haushalt 2014, leider immer noch chronisch unterfi-nanziert.
Ich will dies an zwei Themen deutlich machen. DieMarktwächter wurden bereits angesprochen. Im letztenHaushalt hat die Koalition Mittel für eine Anschubfinan-zierung für einen Marktwächter im Bereich des Finanz-markts in Höhe von 2,5 Millionen Euro eingestellt. Siehaben sich in Ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen,Marktwächter für den Finanzmarkt und für die digitaleWelt zu schaffen. Damit Sie mich richtig verstehen: Dasist auch bitter notwendig.Wenn wir eine Lehre aus der Finanzkrise ziehen soll-ten, dann ist es, dass wir die Lobby der Verbraucherin-nen und Verbraucher stärken müssen. Heute Morgensprach Wolfgang Schäuble über die Industrie 4.0, überdie Digitalisierung unserer Wirtschaft und über neue Ge-schäfts- und Nutzungsmodelle. Wenn wir auch darauseine Lehre ziehen wollen, dann muss die Lehre heißen,dass die Lobby, die Interessenverbände und die Machtder Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Be-reich unbedingt gestärkt werden müssen.
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Dr. Tobias Lindner
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Es reicht eben nicht aus, wenn Sie die Mittel imEtatansatz nur um 800 000 Euro erhöhen wollen. DerVerbraucherzentrale Bundesverband selbst spricht voneinem Bedarf für eine Anschubfinanzierung in Höhe von7 Millionen – und nicht von 3,3 Millionen Euro, die esdann eigentlich wären. Wenn beide Marktwächter dannhoffentlich aktiv sind, kommt mittelfristig ein Finanzbe-darf von insgesamt etwa 14 bis 15 Millionen Euro aufuns zu.Bevor die geschätzten Kollegen Gröhler und Rohdemir später entgegnen, dieses Geld sei in Zeiten einerschwarzen Null nur schwer im Einzelplan zu finden, willich schon jetzt erwidern: Was Sie eben nicht tun können,liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koali-tion, ist, einen Koalitionsvertrag zu verabschieden undzu sagen: Alle nicht prioritären Vorhaben müssen ausden Einzelplänen finanziert werden. – Dann schneidenSie die Ministerien neu zu – das können Sie ja tun; esgibt durchaus Gründe dafür, das so zu sehen, wie Sie essehen –, statten dann die Häuser aber nicht mit den Mit-teln aus, die erforderlich sind, um diesen Koalitionsver-trag umsetzen zu können. Nein, ich will es viel deutli-cher sagen: Sie haben ein Ministerium geschaffen, aufdas Ihr eigener Koalitionsvertrag nicht anwendbar ist,liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich will einen zweiten Punkt im Bereich des Verbrau-cherschutzes erwähnen: die institutionelle Förderung.Jetzt steht zwar ein Grüner vor Ihnen, aber ich habe michin meinem Studium viel mit Ludwig Erhard und den Vä-tern der sozialen Marktwirtschaft befasst.
Ich habe mich lange gefragt: Was würde wohl LudwigErhard in einer Situation wie der heutigen sagen,
in der wir es zunehmend mit Lobbyinteressen, Digitali-sierung und Internationalisierung unserer Wirtschaft zutun haben? – Wenn man in Schriften von Erhard undEucken schaut, dann sieht man, dass dort sehr wohl da-von gesprochen wird, dass wir mündige Konsumentin-nen und Konsumenten brauchen, dass wir das abbauenmüssen, was der Fachmann oder die Fachfrau als Infor-mationsasymmetrie bezeichnet.Wenn wir mündige und mächtige Verbraucherinnenund Verbraucher brauchen, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, dann geht es eben nicht, was Sie in Ihrem Haus-haltsentwurf bei den Mitteln für den VerbraucherzentraleBundesverband und die Stiftung Warentest vorsehen.Die Mittel für den Verbraucherzentrale Bundesverbanderhöhen Sie nur in sehr geringem Maße; damit kann mannicht einmal Tarifsteigerungen auffangen. Bei der Stif-tung Warentest toppen Sie das noch: Sie setzen nicht nurdas, was in Ihrem Koalitionsvertrag auf Seite 125 steht,nämlich dass die Zuwendungen erhöht werden sollen,nicht um – nein, Sie kürzen die Mittel sogar. Das ist einWiderspruch zu dem, was Sie vor einem Jahr verabredethaben. Da werden wir Grüne Ihnen in den Haushaltsbe-ratungen aufzeigen, was wir anders machen würden undwie wir die institutionelle Förderung der Arbeit für dieVerbraucherinnen und Verbraucher stärken würden.
Ich will zum Schluss kommen. Als Hauptberichter-statter freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit denKolleginnen und Kollegen hier im Hause, im Haushalts-ausschuss, mit Roland Claus, Dennis Rohde und Klaus-Dieter Gröhler; ich freue mich auf die Zusammenarbeitmit dem Ministerium. Ich hoffe, dass wir am Ende dieserHaushaltsberatungen nicht nur – wie heute – irgendwiefröhlich sind, dass wir einen Haushaltsplan ohne neueSchulden vor uns haben, sondern dass wir in ein paarWochen auch einen Verbraucherschutz- und Justizetatendberaten werden, der den Herausforderungen der Zeitwirklich gerecht wird und ein wirklicher Etat für denVerbraucherschutz ist.Ich danke Ihnen.
Danke, Herr Kollege Lindner. – Nächster Redner in
der Debatte: Dennis Rohde für die SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Deutschland ist das Land der Ideen und Innovationen:Ingenieurskunst, medizinischer Fortschritt, Logistik,Transport und zukunftsweisende Entwicklungen im In-ternet
stehen exemplarisch für eine führende Rolle auf demMarkt der Ideen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion wol-len, dass das auch so bleibt. Denn unsere Wirtschaft ver-dankt einen guten Teil ihrer Stärke und Robustheit ebengerade dem Erfindungsreichtum von Unternehmern, vonWissenschaftlern und von Tüftlern. Diese Stütze unsererWirtschaft wollen wir schützen und noch weiter verstär-ken: schützen zum einen durch ein Urheberrecht, das aufder Höhe der Zeit ist, schützen aber auch – ich möchtedas zum Hauptgegenstand meiner Rede zum Entwurfdes Einzelplans 07 machen – durch eine Stärkung derArbeit des Deutschen Patent- und Markenamtes.Das deutsche Patent genießt nicht von ungefähr im in-ternationalen Kontext den Ruf, ein goldenes Patent zusein. Auch darum geht beim Deutschen Patent- und Mar-kenamt eine beeindruckend hohe Zahl von Patentanträ-gen ein. Allein im Jahr 2013 wurden über 60 000 Patenteangemeldet, darunter auch ein großer Teil von ausländi-schen Antragstellern: Antragsteller aus den VereinigtenStaaten von Amerika, aus Japan, der Republik Korea,aus Österreich, Schweden oder Taiwan. Das zeigt deut-
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Dennis Rohde
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lich: Das deutsche Patent genießt Wertschätzung in allerWelt.Aber gerade dieser Stellenwert des deutschen Patentsbringt Herausforderungen mit sich, die wir nicht auf dielange Bank schieben können, sondern die wir jetzt anpa-cken und lösen müssen. Zu den genannten über 63 000Patentanmeldungen, die das DPMA 2013 erreichten,kommen nämlich noch 15 500 Gebrauchsmusteranträge,60 000 Anträge auf Eintragung einer Marke und 55 000Beantragungen zum Schutz eines Designs hinzu.Die Quantität der Prüfungen allerdings ist nur die eineSeite der Medaille. Modernste Elektronik, Informations-technologie, Biotechnologie, aber auch die Globalisie-rung – das alles fordert immer größeres Fachwissen, eineimmer größere Wissenstiefe auch in Bezug auf Details,und das immer auf dem aktuellsten Stand von Forschungund Technik und insbesondere von bereits vergebenenPatenten.Derzeit gibt es im DPMA etwa 170 000 offene Vor-gänge. Dass eine gewisse Zahl von Patentanträgen im-mer in Bearbeitung ist, liegt in der Natur der Sache; aberder Rückstau wächst Jahr für Jahr. Die Anzahl der nichtbearbeiteten Anträge steigt jährlich um circa 5 000 an.Ich möchte an dieser Stelle dem KoalitionskollegenKlaus-Dieter Gröhler danken. Lieber Herr Kollege, Siehaben bereits im Juni betont, dass wir die Personalstruk-tur des DPMA einer kritischen Betrachtung unterziehenmüssen. Dem kann ich nur beipflichten. Das vorhandenePersonal und das Antragsaufkommen müssen in einemvernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Wir wollenin der Großen Koalition, dass das deutsche Patent wei-terhin attraktiv und ein goldenes Patent ist.
Das wollen wir aus guten Gründen, nämlich weil es ga-rantiert, dass unser Land seinen Erfindern auch weiter-hin den bestmöglichen patentrechtlichen Schutz bietet,und weil es damit der Absicherung der Innovationskraftunserer Republik dient, einer Innovationskraft, die es zubewahren gilt.Meine Damen und Herren, egal wer seinen Zeigefin-ger mahnend erheben wird: Die Große Koalition will,dass das DPMA vernünftig ausgestattet ist und seinenAuftrag, das intellektuelle Eigentum zu schützen, ver-nünftig angehen kann. Aber ich sage auch deutlich – dasunterscheidet uns von Teilen der Opposition; das wirdauch durch einen Blick auf Ihren Antrag, Kollege Claus,aus dem letzten Haushaltsjahr deutlich –: Wir werdenganz bestimmt nicht irgendwelche Fantasiezahlen fürzusätzliche Personalstellen in den Haushalt einstellen.Wir werden nicht einfach ohne Sachverstand Verände-rungen vornehmen, deren Umfang planlos und derenNachhaltigkeit zweifelhaft ist. Nein, wir wollten undwerden keinen Blindflug ohne Navigationsgeräte betrei-ben.
Das müssen wir auch nicht. Das Patent- und Markenamthat nunmehr eine Personalbedarfsermittlung vorgelegt.Diese werden wir in der Koalition kritisch begutachtenund dann die sich daraus ergebenden richtigen Schritteeinleiten – im Sinne der Innovationskraft unseres Lan-des, aber eben auch mit Blick auf gestaltende Führungeines ausgeglichenen Haushalts.Der Schutz der Wirtschaftskraft ist übrigens auch Be-standteil unseres Verständnisses von Verbraucherschutz.Nein, das ist kein Widerspruch – ganz im Gegenteil:Eine gute Verbraucherpolitik schützt und stärkt nämlichauch diejenigen Unternehmer, die ihr Geschäft redlichbetreiben. Für diejenigen, die schon in der Vergangen-heit zum Beispiel ihre Angebote im Internet deutlich alskostenpflichtig ausgewiesen haben, waren klarere Rege-lungen zur Kennzeichnung kein Verlust an Gestaltungs-möglichkeiten, sondern ein Gewinn an Wettbewerbs-gleichheit. Das gilt übrigens auch für andere Bereiche.Die Einführung des Bestellerprinzips bei den Immobili-enmaklern schafft Wettbewerbsgleichheit und schütztdiejenigen, die bereits heute die Kosten durch den Be-steller des Auftrags bezahlen lassen und dadurch eineschwierigere Wettbewerbsposition vorfinden.
Unsere Reform im Bereich des Anlegerschutzes unddie Einrichtung eines Finanzmarktwächters sorgen da-für, dass seriösen Akteuren auf dem Finanzmarkt nichtvon windigen Anbietern, die sich durch die Täuschungvon Kleinanlegern bereichern wollen, der Rang abgelau-fen wird. Und indem wir uns für Fahrgastrechte einset-zen, sei es in der Bahn, im Flugzeug oder im Fernbus,belohnen wir die Beförderungsunternehmen, die schonjetzt die Rechte der Passagiere achten, statt sich vor ih-ren Pflichten zu drücken.Meine Damen und Herren, ich habe deutlich gemacht,dass auch im Geschäftsbereich des Bundesministers derJustiz und für Verbraucherschutz nicht nur über schein-bar trockene Rechtssetzungs- und Rechtsdurchsetzungs-akte entschieden wird. Eine gute Justizpolitik und einweitsichtiger Verbraucherschutz sind auch wirtschafts-politisch wichtige Aufgaben. Sie bestimmen über unserZusammenleben, aber eben auch über die Frage derWirtschafts- und Innovationskraft unseres Landes. Indiesem Sinne wird die Große Koalition weiterhin gestal-tend die vor uns liegenden Herausforderungen angehen.
Danke, Herr Kollege Rohde. – Nächster Redner in der
Debatte: Harald Petzold für Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenKolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Liebe Besu-cherinnen und Besucher auf den Besuchertribünen! Viel-leicht hatte die eine oder der andere von Ihnen im ver-gangenen Jahr Gelegenheit, sich den DokumentarfilmNach Wriezen anzugucken. Für diejenigen von Ihnen,die bis jetzt noch nicht Gelegenheit dazu hatten, sage ichganz kurz etwas zum Inhalt: Der von mir hochgeschätzte
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Harald Petzold
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brandenburgische NachwuchsdokumentarfilmregisseurDaniel Abma hat in dem Film die Lebensgeschichte von– so würde man umgangssprachlich sagen – drei ganzharten Jungs aufgezeigt, von drei jungen Männern, dieziemlich harte Straftaten begangen haben und dafürlange Haftstrafen absitzen mussten. Aber es ging ihmnicht so sehr um die Straftaten an sich oder um den All-tag in der JVA Wriezen, sondern sehr viel stärker um denWeg dieser drei jungen Männer wieder zurück in die Ge-sellschaft und damit um die Resozialisierung von Täternund um die Wichtigkeit eines funktionierenden gesell-schaftlichen und sozialen Umfelds.Wenn ich als neu gewählter Obmann meiner Fraktionfür den Ausschuss Justiz und Verbraucherschutz heutezum ersten Mal zu diesem Haushalt spreche, dann möchteich das nicht gleich mit einer Breitseite von Kritik tun– Herr Claus hat ja Milde der Opposition angekündigt –,sondern auf ein positives Beispiel für gelungene Justiz-politik hinweisen. Denn im Land Brandenburg ist untergemeinsamer Regierungsverantwortung von SPD undLinken eine gute Justizpolitik betrieben worden.
– Sie brauchen sich nicht aufzuregen, Herr Kollege vonNotz; Sie haben an der Stelle ja mitgemacht. – In Bran-denburg hat ein Neudenken von Justizpolitik stattgefun-den. Dort wird vor allen Dingen auf Resozialisierung ge-setzt, und es wurde ein Justizvollzugsgesetz auf den Weggebracht, das genau diesen neuen Schwerpunkt setzt.
Herr Justizminister Maas, ich möchte Sie einladen,wenn sich die Rauchwolken der Landtagswahlen verzo-gen haben, mit mir und mit den Mitgliedern des Rechts-ausschusses einmal gemeinsam nach Brandenburg zufahren und sich dort mit dem erfolgreichen Justizminis-ter Helmuth Markov zu treffen und über genau diese Re-sozialisierungspolitik im Rahmen der Justizpolitik desLandes Brandenburg zu sprechen;
denn ich denke, dass die Justizpolitik dort einen erfolg-reichen Weg darstellt. Wie gesagt, die Kolleginnen undKollegen von den Grünen brauchen das Atmen nicht zuvergessen. Sie sind ja möglicherweise ab dem Wochen-ende mit uns und der SPD in Thüringen mit dabei.
Dann können wir zusammen auch nach Thüringen fah-ren und uns dort alles anschauen.
Es gibt weitere Gemeinsamkeiten zumindest mit lin-ker Justizpolitik, die ich ansprechen möchte. Das ist zumeinen die Frage der Zinsbremse. Sie haben dieses Vorha-ben angesprochen, Herr Justizminister Maas. Branden-burg hat hier eine Initiative im Bundesrat auf den Weggebracht.Auch in der Frage der Rehabilitierung von nach § 175StGB verurteilten schwulen Männern haben Sie dasLand Brandenburg und mich an Ihrer Seite. Es lohntsich, auch darüber zu sprechen.Ich möchte aber auch auf Dinge hinweisen, die wirnoch als Manko benennen müssen. So hat JustizministerMarkov sehr stark betont, dass das Ziel der Resozialisie-rung durch die bislang nicht erfolgte Einbeziehung vonGefangenen in die Renten- und Sozialversicherung kon-terkariert wird. Ich erlaube mir, Frau Präsidentin, mit Ih-rer Genehmigung, den Minister zu zitieren. Er hat ge-sagt:Dass die von Gefangenen geleistete Arbeit derzeitnicht bei der gesetzlichen Renten-, Kranken- undPflegeversicherung berücksichtigt wird, hat verhee-rende Auswirkungen auf die Zeit nach der Haftent-lassung.
Die entstandenen Versicherungslücken führen zusehr niedrigen Altersrenten, die selbst die Mitglied-schaft in der Krankenversicherung als Rentner inFrage stellen. Denn Ansprüche auf Leistungen dergesetzlichen Pflegeversicherung oder auch auf Er-werbsminderungsrente können nur bei Einhaltungbestimmter Vor- bzw. Mindestversicherungszeitengeltend gemacht werden. Die Bundesregierung, inderen Zuständigkeit das Sozialversicherungsrechtliegt, weigert sich jedoch beharrlich, die überfälligeÄnderung des Renten- und Sozialversicherungs-rechts in Angriff zu nehmen. Das ist inakzeptabel!Wie gesagt, auch deswegen, Herr Minister Maas, giltmeine Einladung, hier mit Brandenburg ins Gespräch zukommen.
Zweiter Punkt. Die Nationale Stelle zur Verhütungvon Folter ist eigentlich etwas, bei dem wir inhaltlichübereinstimmen. Aber wir müssen feststellen: DieseStelle, die zuständig ist für die Überprüfung von Straf-vollzugs- und Untersuchungshaft, von Jugendstrafvoll-zug, Jugendarrest usw., ist unterfinanziert und kann ge-genwärtig ihre Aufgabe, nämlich Misshandlungen durchregelmäßige unangemeldete Besuche in allen Haft- undGewahrsamseinrichtungen in Deutschland vorzubeu-gen, nicht annähernd erfüllen. An dieser Stelle verweiseich auf Ihren eigenen, also von der Koalitionsmehrheitbeschlossenen Entschließungsantrag, der besagt, dassder Finanzanteil des Bundes auf 180 000 Euro zu erhö-hen ist. Dies findet sich bislang nicht im Haushaltsent-wurf wieder. Diesen Punkt werden wir nicht akzeptieren.Hier melden wir Änderungsbedarf an.
Dritter Punkt: die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.Herr Minister, Sie waren am letzten Donnerstag mit mirgemeinsam auf dem Charity-Dinner dieser Stiftung, aufdem Spendengelder eingeworben wurden. Sie selbst ha-ben in Ihrem Grußwort die zentralen neuen Projekte ge-würdigt. Ich möchte Sie an dieser Stelle in Ihren Bemü-hungen bekräftigen, die beiden großen Projekte „Fußball
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Harald Petzold
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für Vielfalt – Fußball gegen Homophobie“ und „Archivder anderen Erinnerungen“ tatsächlich so zu unterstüt-zen, dass die Stiftung diese umfangreiche Arbeit auchleisten kann. Die Erhöhung des Stiftungskapitals, die wirim Frühjahr beschlossen haben, ist inzwischen geflos-sen. Aber auch damit ist es nach wie vor nicht möglich,die Stiftung so auszustatten, dass Bildung und For-schung und die wissenschaftliche Arbeit in auskömmli-cher Art und Weise ausfinanziert werden können. Hierfordern wir ebenfalls entweder eine Aufstockung desStiftungskapitals oder – aus unserer Sicht wäre das sogarnoch viel besser – eine institutionelle Förderung in Höhevon 250 000 Euro. Wir fordern darüber hinaus – FrauPräsidentin, ich sehe, dass es hier vorne blinkt –
die Aufstockung des Fonds „Härteleistungen für Opferextremistischer Übergriffe“.Abschließend: Unsere Unterstützung wäre Ihnen auchsicher, wenn Sie tatsächlich einen Gesetzentwurf zurEinführung einer Mietpreisbremse einbringen würden.Im Moment verdient der vorgelegte Gesetzentwurf denNamen noch nicht. Wir werden an dieser Stelle Nach-besserungen einfordern.Vielen Dank.
Danke schön, Herr Kollege. – Nächster Redner in der
Debatte: Dr. Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Minister Maas, Sie haben jaeine nüchterne und trockene Haushaltsrede gehalten.
Aber sie hat es in sich gehabt.
In der Sache hat sie es in sich gehabt. Ich glaube, dieseRede hat gezeigt, dass das Justizressort zwar den kleins-ten Einzeletat hat, dass die Justizpolitik in der Sacheaber sehr stark aufgestellt ist.
Von daher begrüße ich die Justizpolitik, wie sie sich beiuns im Parlament im Rechtsausschuss widerspiegelt– Frau Künast, schön, dass Sie hier sind –
und wie sie von Minister Maas heute vorgetragen wor-den ist.Sie haben ein großes Vorhaben gar nicht besonderspointiert betont, nämlich die Reform der Strafprozess-ordnung. Sie ist für mich einer der wesentlichen Punktedieser Legislaturperiode. Es geht um eine umfassendeÜberarbeitung der StPO, wesentlicher Paragrafen desStrafgesetzbuches, und um eine Reform vom Ermitt-lungsverfahren über das Zwischenverfahren bis hin zumHauptverfahren.In den einzelnen Kommissionen, die Sie gebildet ha-ben, werden das Rechtsmittelverfahren und das Vollstre-ckungsverfahren überarbeitet werden. Sie werden grund-legend darüber diskutieren, wie der Beschuldigtenstatusdefiniert werden muss. Sie werden darüber diskutieren,wie es mit dem Richtervorbehalt, zum Beispiel im Hin-blick auf § 81 a der StPO, etwa bei der Blutentnahme,aussieht. Es wird auch um die Regelungen zu Befangen-heitsanträgen gehen, wenn sie verspätet kommen. Vonihnen ahnt oder weiß man frühzeitig; sie werden dannaber doch nicht gestellt, um das Verfahren zu verzögern.
Wir werden darüber diskutieren, ob solche Befangen-heitsanträge nicht als verspätet gestellt anzusehen sindund dann zurückgewiesen werden müssen. Wir werdenauch darüber diskutieren, ob es nach den §§ 407 ff. derStPO beim Strafbefehl nicht einen höheren Strafrahmengeben muss. Ich muss sagen: Wir haben hier ein Projekt,das mit viel Sorgfalt angegangen werden muss. Sie ha-ben eine Kommission eingesetzt, die Sachverstand hat.Ich würde mir wünschen, dass das Parlament frühzeitigbeteiligt wird und wir nicht vor vollendete Tatsachen ge-stellt werden, sondern intensiv und von Anfang an mit-diskutieren können.
In einem zweiten Punkt, sehr geehrter Herr Minister,muss ich Sie auf eine Situation hinweisen, die nicht neuist, die aber durch das, was wir jetzt als „Scharia-Poli-zei“ erleben, medial gegenwärtig wird. Aber das ist einThema, das, wie gesagt, alt ist. Wir haben bereits in un-seren Reden zum Haushalt 2011/2012 eine eigene Stelleim Bundesjustizministerium gefordert, um das Phäno-men des Scharia-Rechts näher zu beleuchten. Sie habenin Ihrem Ministerium eine Stelle, die sich ausschließlichdamit beschäftigt, Licht in das Dunkel des Scharia-Rechts und dieser Paralleljustiz zu bringen, eine Stelle,für die wir im Haushalt A 13 bis B 3 vorgesehen haben,also eine wirklich solide Stelle. Sie soll dieses Phäno-men erst einmal beleuchten, damit wir aufgrund soliderKenntnisse Schlussfolgerungen ziehen können und nichtSpekulationen oder Vermutungen anstellen müssen. Seitzwei Jahren ist diese Stelle besetzt. Ich bitte Sie, in Ih-rem eigenen Ministerium zu überprüfen, wie der Sach-stand ist und was da herausgekommen ist. Wir solltenkeine wilden Diskussionen über einen Sachverhalt füh-ren, über den wir zu wenig wissen. Sie müssen hier fürAufklärung sorgen. Ich glaube, wir haben frühzeitig da-rüber diskutiert, und Sie haben die notwendigen Voraus-setzungen in Ihrem Ministerium. Auch da erwarten wirAufklärung.
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Dr. Patrick Sensburg
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Ein weiterer Punkt – die Kollegin Winkelmeier-Becker hat ihn angesprochen – ist das Thema Insolvenz-ordnung, hier die Änderung der §§ 133 und 142. Es gibtin vielen Gewerben und vielen Handwerksbereichen,insbesondere im Baustoffhandel, immer wieder Fällevon ganz normalen Stundungen. Die aktuelle Rechtspre-chung führt dazu, dass man sich bis zu zehn Jahre nacheiner Stundung nicht sicher sein kann, ob möglicher-weise der gestundete und dann gezahlte Betrag in die In-solvenzmasse fällt. Das führt zu großer Rechtsunsicher-heit bei den Unternehmen.Es geht hier für die Wirtschaft um einen zwei-, teil-weise wird sogar gesagt, dreistelligen Millionenbetrag.Hier müssen wir etwas tun. Hier fällt auseinander, wasder Gesetzgeber mit der Insolvenzanfechtung meinteund was die Rechtsprechung inzwischen immer öfter inEinzelfallentscheidungen darunter versteht. Wir sind esder Wirtschaft schuldig, dass wir hier zügig handeln. Ichfreue mich, dass die Union sich gemeinsam mit der SPDjetzt dieses Themas annimmt. Ich glaube, das könnte et-was sein, wo die Opposition mit einsteigt; denn diesesThema ist wichtig für unsere Wirtschaft insgesamt. Ichwürde mich freuen, wenn wir Rechtspolitiker uns dessengemeinsam annehmen könnten.
Ein weiteres Thema, auch angesprochen von FrauWinkelmeier-Becker, ist das Thema Syndikusanwälte.Syndikusanwälte gibt es in Deutschland seit dem Mittel-alter; das ist nichts Neues. In der Bundesrechtsanwalts-ordnung stehen sie seit 1959. Jetzt kam im April 2014eine Entscheidung des Bundessozialgerichtes, die dieVerhältnisse auf den Kopf stellt, weil Syndikusanwälteihr zufolge nicht mehr im Versorgungswerk rentenversi-chert sein können. Das geht nicht, meine Damen undHerren. Hier müssen wir Klarheit schaffen! Rund einViertel der deutschen Anwälte sind Syndikusanwälte,30 000 bis 40 000. In der gegenwärtigen Situation habendiese Anwälte keine Klarheit mehr bezüglich der Renten-versicherung bei den Versorgungswerken. Das müssenwir angehen. Diese Entscheidung des Bundessozialge-richtes ist eine Einzelentscheidung, die schwerst nach-vollziehbar ist. Wenn Unklarheit herrscht, ist die Politikin der Pflicht, Klarheit zu schaffen, und das werden wirin der Koalition angehen.
Ich möchte nur noch auf zwei Punkte eingehen. Einerliegt mir am Herzen als Berichterstatter für Mediation.Wir haben in der letzten Legislaturperiode mit allenFraktionen einstimmig ein Mediationsgesetz verabschie-det. Nach langem Ringen, auch mit dem Bundesrat, imVermittlungsausschuss, ist es uns gelungen, zu einemguten Ergebnis zu kommen. Dieses Mediationsgesetzwird in der Fachwelt positiv angenommen. Jetzt geht esum die Umsetzung, um die Rechtsverordnung, die dasBundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutzam 31. Januar dieses Jahres zur Diskussion gestellt hat.Ich bin mir sicher, dass diese Rechtsverordnung in dennächsten Wochen und Monaten auch verabschiedet wird;das Bundesjustizministerium arbeitet mit Hochdruck da-ran. Ich glaube, dass wir den Bereich der Mediation stär-ken können, wenn wir nun auch durch diese Rechtsver-ordnung Klarheit bezüglich der Ausbildung haben. DasGesetz ist in Kraft; aber die Rechtsverordnung mussnoch kommen. Bald zwei Jahre nach Veröffentlichungdes Gesetzes ist die Zeit reif, durch die Rechtsverord-nung eine Abrundung der Mediation zu schaffen, insbe-sondere weil uns neue Bereiche, ODR und ADR, eineVerordnung und eine Richtlinie aus Europa, beschäfti-gen. Die Richtlinie müssen wir umsetzen. Konsistenz imBereich der außergerichtlichen Streitbeilegung mussZiel unserer Rechtspolitik sein. Dafür müssen wir jetztgemeinsam mit dem Bundesjustizministerium die richti-gen Weichen stellen.Letzter Punkt. Kollege Lindner, ich war begeistertvon Ihrer Rede; ich kannte Sie so gar nicht als Unterstüt-zer und Freund der sozialen Marktwirtschaft. Das freutmich, muss ich ganz ehrlich sagen.
Sie müssen jetzt nur mal überlegen, ob Sie in IhrerPartei richtig sind; denn um Sie herum sind nicht geradedie Unterstützer der sozialen Marktwirtschaft.
Was Sie gesagt haben, war gut; aber man muss sichhin und wieder schon fragen, ob man sich in der eigenenFraktion mit den Thesen, die man aufstellt, noch wieder-findet. Herr Kollege, Sie haben das Leitbild des mündi-gen Bürgers betont. Der mündige Bürger muss natürlichauch da im Vordergrund stehen, wo es um Datenschutz,Datensicherheit geht. Wir haben nicht nur die Magnus-Hirschfeld-Stiftung – Herr Petzold hat diese Stiftung an-gesprochen –, wir haben auch die Bundesstiftung Daten-schutz.
Ich würde mir sehr wünschen, dass wir den Fokusauch einmal auf die anderen Bereiche, die im Bereichdes Etats des Bundesministeriums der Justiz liegen, rich-ten. Ich glaube, dass es keine glückliche Überlegung ist,die Bundesstiftung Datenschutz in die Stiftung Waren-test zu überführen und sie damit aufzulösen. Wenn manüberlegt, was allein im Bereich „NSA, Ausspähen vonDaten, Datenkriminalität durch Organisierte Kriminali-tät“ in Deutschland passiert, dann steht es uns gut an,eine Stiftung Datenschutz zu haben, sie zu stärken undsie nicht völlig ohne Mittel dastehen zu lassen. DieMagnus-Hirschfeld-Stiftung hat damals den höchstenEinzelposten im Einzelplan 07 – Bundesjustizministe-rium – gehabt. Wir hatten in der letzten Legislaturpe-riode vereinbart, dass es keine weiteren Einzelzahlungenmehr gibt. Jetzt haben wir wieder 1,75 Millionen Euro
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Dr. Patrick Sensburg
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bereitgestellt. Für die Bundesstiftung Datenschutz habenwir das nicht gemacht. Wir müssen uns schon Gedankenmachen, wie wir auch diesen Bereich stärken und derBundesstiftung Datenschutz alle Möglichkeiten gebenkönnen, für uns Bürger da zu sein.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und für dieToleranz der Präsidentin, –
Sie kennen sie nicht.
– mich eine knappe Minute länger reden zu lassen.
Danke schön.
Das ist die Milde heute im Raum.
Nächste Rednerin: Katja Keul für Bündnis 90/Die Grü-
nen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Minister Maas, bevor ich zumrechtspolitischen Tagesgeschäft komme, will ich an die-ser Stelle ein paar Worte zum Thema der Sondersitzungin der letzten Woche sagen. Waren Sie als Justizministereigentlich in irgendeiner Weise in die Entscheidung ein-gebunden, Kriegswaffen an die kurdischen Peschmergazu liefern? Nicht, dass ich eine Verfechterin des Bundes-sicherheitsrates bin – im Gegenteil: ich halte die gängigePraxis sogar für verfassungswidrig, weil Artikel 26 desGrundgesetzes für Waffenexporte die Entscheidung desgesamten Kabinetts vorsieht –;
aber selbst der Erfinder des Bundessicherheitsrates,Franz Josef Strauß, hat das Justizressort dabei berück-sichtigt. Ist es wirklich so, dass die Kanzlerin den Kreisder Einbezogenen jetzt weiter beliebig verkleinert hat?Ich finde, das sollten Sie nicht einfach so hinnehmen.
Eine Waffenlieferung an nichtstaatliche Kampftrup-pen ohne eindeutige Anfrage der Zentralregierung halteich schlicht für völkerrechtswidrig. Daran ändert aucheine Zwischenlandung in Bagdad nichts. Ein Kollegewollte mir sogar erklären, die Peschmerga seien quasiein Teil der irakischen Armee. Das ist nun wirklich völ-lig absurd, da Bagdad selber gerade keine Waffen an diePeschmerga liefert. Besonders bedenklich finde ich es,wenn einige das Völkerrecht als kleinkarierte Förmeleiabtun; denn die Einhaltung des Rechts ist national wieinternational die Grundlage für Frieden und Freiheit. Da-ran zu erinnern, sollte unter anderem die Rolle des Jus-tizministers sein. Eine Verteidigungsministerin, die stolzdarauf ist, ein Tabu zu brechen, kann Sie in dieser Rollejedenfalls nicht ersetzen.Echte Friedensförderung ist das, was die DeutscheStiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeitseit Jahren leistet: die Beratung von Ländern, die einendemokratischen Rechtsstaat aufbauen wollen.
Leider fehlen diesen Programmen oft die Richter undStaatsanwälte. Hier sollte dringend das Dienstrecht an-gepasst werden, damit diejenigen, die sich in Auslands-missionen engagieren, nicht um ihre Inlandskarrierengebracht werden.Zu Recht fördern Sie rechtsstaatliche Entwicklungenin anderen Ländern wie beim Rechtsstaatsdialog mitChina und der Kampagne „Law – Made in Germany“.Manchmal beschleicht mich das Gefühl, wir könnten imInland auch bald so eine Kampagne gebrauchen.Zu viele halten unseren funktionierenden Rechtsstaatfür so selbstverständlich, dass sie vergessen, dass mandieses System auch hegen und pflegen muss, um es zuerhalten. Wenn Richterinnen und Richter darunter lei-den, dass es nur noch um Schnelligkeit und Erledigungs-zahlen geht und die Qualität der Urteile immer wenigerwertgeschätzt wird, dann haben wir insgesamt ein Pro-blem und dann braucht es auch den Bundesminister derJustiz, um gegenüber dem Finanzressort, aber auch ge-genüber den Ländern deutlich zu machen, welche Be-deutung das Vertrauen in die Rechtsprechung für dasFunktionieren unserer Gesellschaft hat.Sie sind deswegen auch gefordert, die unsäglichenSchiedsgerichte in TTIP und CETA zu verhindern.
Vor der Sommerpause hatten Sie laut und deutlich ge-sagt, dass es so etwas mit Ihnen nicht geben wird. Jetztlese ich auf www.tagesschau.de, dass bei CETA genaudiese Klagerechte bereits im Vertragstext stehen. Wasunternehmen Sie denn jetzt dagegen?
Vertrauen kann auch dadurch aufs Spiel gesetzt wer-den, dass wir als Gesetzgeber immer schneller immerneue Reformgesetze verabschieden. Das ist nicht nur fürdie Rechtsanwender eine Zumutung. Nehmen wir alsBeispiel das Insolvenzrecht. Statt jetzt eine mittelmäßiggelungene Neuregelung zum Konzerninsolvenzverwal-ter auf den Weg zu bringen und im nächsten Jahr das An-fechtungsrecht zu reformieren, sollten Sie den Gesetz-entwurf vielleicht noch einmal zurücknehmen und dann
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Katja Keul
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ein Gesetz auf den Weg bringen, das die drängendenProbleme miterfasst.
– Vielen Dank.
Auch der Gesetzentwurf zur Kinderpornografie solltenoch einmal überdacht werden, besonders hinsichtlichdes missglückten Vorschlags zur Strafbarkeit bloßstel-lender Bilder.
Die überfälligen Anpassungen an die EU-Richtlinie sindsicherlich angebracht. Es gibt aber Überlegungen, wiedas Sexualstrafrecht grundsätzlich neu geordnet und ent-schlackt werden könnte. Ich denke hier an den Vorschlagdes Deutschen Juristinnenbundes zu einer systemati-schen Neuordnung der §§ 174 bis 177 Strafgesetzbuch,der es wert ist, bedacht zu werden.Es gibt aber auch Fälle, bei denen die Belastung derMenschen gerade durch eine Verzögerung des Gesetzes-verfahrens gravierend ist. Sie haben zum Beispiel ange-kündigt, den steigenden Mieten durch die Mietpreis-bremse einen Riegel vorzuschieben. Das ist ja gutgemeint; aber wenn diese Mietpreisbremse noch Monateauf sich warten lässt, dann war das ein Bumerang, da Sieallen die Gelegenheit geben, vorher schnell noch einmalherauszuholen, was herauszuholen ist.
Auch bei der Frauenquote, die angeblich bis Ende desJahres verabschiedet sein soll, erleben wir, dass die zeit-liche Verzögerung leider nicht der Verbesserung des Ent-wurfes dient, sondern den Auseinandersetzungen zwi-schen den Koalitionspartnern. Sie wissen ja, dass IhrVorschlag uns Grünen längst nicht weit genug geht.Wenn Ihr Koalitionspartner jetzt noch weitere Aufwei-chungen verlangt, kann ich nur sagen: Standhaft bleiben,sonst bleibt von der Quote gar nichts mehr übrig.Dann gibt es da noch sinnvolle Projekte, die schon solange in der Diskussion sind, dass ich nicht verstehe, wa-rum sich da gar nichts mehr tut. Ein Stichwort hier istder Whistleblower-Schutz bzw. – auf Deutsch – derSchutz der Hinweisgeber. Wir Grünen haben bereits inder letzten Legislatur nach umfangreichen Fachgesprä-chen einen Entwurf vorgelegt, den die Mehrheitsfraktio-nen abgelehnt haben. Von Ihnen haben wir dazu immernoch nichts gesehen. Wir können den Entwurf gernenoch einmal vorlegen. Sie können aber auch, wenn Sienächste Woche auf dem Deutschen Juristentag in Hanno-ver sind, Herr Minister, den Parlamentarischen Abendder Grünen-Bundestagsfraktion besuchen. Dort werdenwir den Entwurf noch einmal zur Diskussion stellen.Wenn Sie dann überzeugt sind, können Sie den Gesetz-entwurf selber einbringen und ihm so die erforderlicheMehrheit verschaffen.
Bis dahin erst einmal vielen Dank für Ihre Aufmerk-samkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin.
Falls Sie sich wundern, dass es hier bei uns etwas un-
ruhig ist: Das liegt daran, dass wir heute – ich weiß
nicht, wie es Ihnen geht – Probleme mit dem Sound ha-
ben.
Manche klugen Reden – das gilt fraktionsübergreifend –
sind sehr schlecht zu verstehen. In der laufenden Debatte
können wir das nicht mehr ändern; aber wir werden ver-
suchen, den Ton heute Abend neu einpegeln zu lassen.
Es wäre ja schade, wenn diese großartigen Beiträge nicht
für alle zu hören wären. Das ist heute wirklich extrem
schwierig. Wenn ich blöd gucke, dann hat das nichts mit
Ihrer Rede zu tun, sondern mit meinem eingeschränkten
Hörvermögen.
Nächste Rednerin ist Elvira Drobinski-Weiß für die
SPD.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herrenauf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Alle reden von TTIP, wir auch. Aber im Moment findeich CETA viel wichtiger. Seit 2009 verhandeln die EUund Kanada über ein umfassendes Handelsabkommen.Das Abkommen soll, ähnlich wie TTIP mit den USA,Handelshemmnisse senken und Kooperationen bei derStandardsetzung entwickeln. Sowohl die EU als auchKanada versprechen sich davon ein gesteigertes Wirt-schaftswachstum und einen Zuwachs an Arbeitsplätzen.So weit, vielleicht so gut. Aber schauen wir einmal ge-nauer hin.Ich möchte es deutlich sagen: Es gibt mehrere Passa-gen – das ist eben schon kurz angeklungen –, die wir So-zialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehr kritischsehen. Aber raus muss auf jeden Fall das Kapitel überdie außergerichtlichen Streitschlichtungsverfahren, auchbekannt als Investorenschutzabkommen.
Es kann doch nicht sein, dass zwischen zwei Staaten mitentwickelten Rechtssystemen Investoren die Möglich-
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Elvira Drobinski-Weiß
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keit haben, die EU oder ihre Mitgliedstaaten direkt aufEntschädigung für entgangene Gewinne oder sogenannteindirekte Enteignung zu verklagen.Lange hieß es: Am 25. September soll der formelleAbschluss der Verhandlungen durch Paraphierung desVertragstextes erfolgen. Letzte Woche folgte dann dieBotschaft: Die EU-Behörde will die Verhandlungen zuCETA für abgeschlossen erklären, ohne den Text vorherparaphiert zu haben. Die Paraphierung ist vielleicht„nur“ eine Formalie, aber eine mit Symbolcharakter.Hier wird doch der Versuch unternommen, die Kritik desParlamentes zu umgehen. Das müssen wir verhindern.Die Regelung zum Investorenschutz muss raus, sowohlaus CETA als auch aus TTIP.
Was bewegt die Menschen derzeit, verbraucherpoli-tisch betrachtet, in Deutschland? Einige Punkte hat derHerr Bundesjustizminister, der auch für den Verbrau-cherschutz zuständig ist, genannt. Ein kurzer Blick durchdie Schlagzeilen der letzten Tage: „EZB senkt Leitzinsauf 0,05 Prozent“. Die Frage der Verbraucherinnen undVerbraucher: Geht die Enteignung weiter? Wälzen dieBanken den EZB-Strafzins auf mein Konto ab? – Oder:„Tricksen leicht gemacht! Sind Hotelbewertungen im In-ternet verlässlich?“ Oder: „Millionen Deutsche werdenonline abgezockt“. Die Frage der Verbraucherinnen undVerbraucher: Tappe ich nach der Button-Lösung, dieeine Verbesserung gebracht hat, in eine neue Falle? Ichnenne hier als Stichworte die Hausaufgabenhilfe geradefür unsere jüngeren Zuhörerinnen und Zuhörer und denRezeptzugang.Oder: „Umstrittener Fahrdienst Uber: Legal, illegal –sch(…)egal“. Die Frage der Verbraucherinnen und Ver-braucher: Ist das Unternehmen Uber mit den offensicht-lich akzeptierten Mitfahrgelegenheiten vergleichbar?Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dies ist na-türlich eine kleine, zugegeben auch provokante Aus-wahl. Wir wissen: Das Themenspektrum ist viel größer,und die Reaktionen der einzelnen Konsumenten auf sol-che Schlagzeilen sind sicherlich sehr verschieden. Klarist: Folgt man den Ergebnissen der Verbraucherfor-schung und erkennt an, dass es sowohl den verletzlichenwie den vertrauenden als auch den verantwortungsvollenVerbraucher gibt, bedarf es verschiedener Arten der An-sprache und Unterstützung dieser Gruppen seitens derPolitik. Herr Kollege Lindner, nochmals als Hinweis fürSie: Den mündigen Verbraucher, die mündige Verbrau-cherin gibt es nicht.Antworten auf bzw. Lösungen für die sehr vielfältigenFragen und Probleme am Finanzmarkt oder in der digita-len Welt zu finden, steht in dieser Legislaturperiode klarim Vordergrund unserer Verbraucherpolitik. Das spiegeltsich auch im Haushalt des Bundesministeriums wider.Wir werden zukünftig verschiedene Verbraucherzentra-len in den Bereichen Finanzmarkt und digitale Welt miteiner Marktwächterfunktion ausstatten, um die Konsu-menten in die Lage zu versetzen, sich am Markt sichererzu bewegen. Zudem wollen wir weitere im Koalitions-vertrag festgeschriebene Projekte voranbringen wie zumBeispiel die Einsetzung des Sachverständigenrats; derHerr Bundesminister hat bereits darauf hingewiesen.Nicht neu im Koalitionsvertrag und bereits über meh-rere Jahre bezuschusst ist etwa die Stiftung Warentest.Als unbestechliches Portal für Produktbewertung, aberauch als Informationsplattform verdient sie weiterhinunsere größte Anerkennung und finanzielle Unterstüt-zung.Wir sehen aber auch die europäische Dimension desVerbraucherschutzes. Das Netzwerk der EuropäischenVerbraucherzentren – hier vor allem das EuropäischeVerbraucherzentrum in Kehl – leistet seit Jahren hervor-ragende, grenzüberschreitende Dienste. Diese Funk-tionsfähigkeit muss unbedingt weiter sichergestellt wer-den.Mit Blick auf die eben zitierten Schlagzeilen müssenwir uns aber auch die Fragen gefallen lassen: Haben wirschon alle Problembereiche im Blick? Investieren wirgenug unserer Mittel in die Forschung der Verbraucher-politik? Wie können wir die aktuell zur Verfügung ste-henden Haushaltsmittel optimal verteilen?Der Herr Minister hat die Stichpunkte Mietpreis-bremse und Bestellerprinzip im Maklerrecht bereits an-gesprochen. Weitere Stichpunkte sind ein bildungs- undwissenschaftsfreundliches Urheberrecht; gesetzliche Re-gelungen über die Höhe der Dispozinsen und das wich-tige „Konto für jedermann“ wurden genannt.Diese Arbeitsvielfalt im Bereich Verbraucherpolitikerfordert jedoch auch in unserem Ministerium die ent-sprechende Man- und Womanpower. Ich unterstütze denAusbau der personellen Ausstattung und fordere, dieräumliche Trennung von Justiz- und Verbraucherpolitikim BMJV im Sinne einer effektiven Arbeitsatmosphäreschnellstmöglich zu beenden.Vielen Dank.
Danke, Frau Kollegin. – Der nächste Redner ist
Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, aus Augsburg.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Die Ereignisse der letzten Wochen haben uns den Werteines funktionierenden Rechtsstaats vor Augen geführt.Der Schutz der Würde des Menschen und die Gewähr-leistung von Recht und Gerechtigkeit sind zentrale Auf-gaben der Politik.Wir haben uns gemeinsam auf den Weg gemacht, umgegen Zwangsprostitution und Menschenhandel zukämpfen. Die Ergebnisse der Gespräche, die bislang ge-
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Dr. Volker Ullrich
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führt worden sind, sind vielversprechend, aber nochnicht zufriedenstellend.
Wir haben bei zahlreichen Punkten noch keine Einigkeiterzielt, die wir aber eigentlich erzielen müssten, wennwir es mit dem Schutz der Opfer wirklich ernst meinen.Wir sind in der Frage des Weisungsrechtes beim Prosti-tutionsgesetz nicht weitergekommen. Die Fragen desMindestalters, der Gesundheitsuntersuchungen und derverpflichtenden Beratungen stehen noch im Raum. Es istauch nicht absehbar, wann das Bundesjustizministerium,gemeinsam mit dem Bundesfamilienministerium, end-lich den Gesetzentwurf vorlegt. Wir dürfen nicht mehrzögern. Wir werden uns langsam für unser Zögern ver-antworten müssen, wenn wir hier nicht endlich zu einerpolitischen Entscheidung kommen. Es gilt: WenigeFrauen haben einen gesetzlichen Schutz; viele Frauen,die jetzt Hilfe benötigen, haben keinen gesetzlichenSchutz. Das müssen wir ändern.
Es sei in dieser Debatte auch auf die Ereignisse derletzten Tage in Sachen Scharia-Polizei hingewiesen. Esgilt der Satz, dass die Scharia nicht mit unserer freiheit-lich-demokratischen Grundordnung in Einklang zu brin-gen ist.
Wer die Scharia und die Dschihadisten unterstützt, derwill nichts anderes, als die freiheitlich-demokratischeGrundordnung zu beseitigen. Ich glaube, dass wir da-rüber debattieren sollten, weil die Frage nicht erlaubt ist,ob es noch harmlos ist, wenn es nur 10 sind, oder ob eszu tolerieren sei, wenn es 100 sind. Wo fangen wir an,und wo hören wir auf? Wenn unser Rechtsstaat angegrif-fen wird und Meinungen geäußert werden, die mit derWürde des Menschen nicht vereinbar sind, dann hat derStaat gemäß dem Motto „Wehret den Anfängen“ sofortzu handeln. Um diese Umtriebe zu verhindern, brauchenwir gesetzliche Grundlagen, die über das reine Ver-sammlungsrecht hinausgehen. Der Rechtsstaat musswehrhaft sein. Wehret den Anfängen!
Wir brauchen auch härtere Gesetze für diejenigen, diefür Terrorbanden wie ISIS Sympathie haben und interna-tionale Dschihadisten unterstützen. Wer für radikaleSalafisten und Unterstützer von ISIS Sympathie zeigt,geht nichts anderes als eine Art geistige Komplizen-schaft mit Tod und Terror ein. Dem muss mit Mitteln desStrafrechts begegnet werden.
Meine Damen und Herren, die Frage der Wirksamkeitdes Rechtsstaats wird auch durch das Verfahren be-stimmt. Vertrauen in den Rechtsstaat kann nur wachsenund gleichbleiben, wenn die Verfahren zügig abge-schlossen werden und Überlastungsvorkommnisse anunseren Gerichten minimiert werden oder gar der Ver-gangenheit angehören. In diesem Zusammenhang ist eszu begrüßen – das ist eine gute Leistung –, dass trotz ei-nes ausgeglichenen Haushaltes der Justizetat in diesemJahr leicht ansteigt und es im Großen und Ganzen keineStellenkürzungen bei den Gerichten gibt, die dem Bundobliegen.Ganz anders sieht es in einigen Ländern aus. FrauKollegin Keul, ich verstehe Ihre Irritation über Verfah-rensfehler nicht, wenn in den Ländern, wo die Grünen inder Regierung sind, wie Baden-Württemberg und Rhein-land-Pfalz bei der Justiz gespart und Stellen abgebautwerden. Sie können sich nicht hier beklagen, wenn dort,wo die Grünen Verantwortung tragen, die Justiz totge-spart wird. Das ist kein redliches Verhalten.
In Baden-Württemberg werden 2015 30 Millionen Euround 2016 40 Millionen Euro bei der Justiz eingespart. InRheinland-Pfalz fallen in den nächsten zwei Jahren86 Stellen in der Justiz weg. Ich glaube, wir sollten denKolleginnen und Kollegen in den Ländern signalisieren:Es gibt nur ein einheitliches Funktionieren unseresRechtsstaates. Die Gesetze, die der Bund beschließt,müssen durch eine funktionierende Justiz in den Ländernangewandt werden. Wenn die Länder in diesem Bereichkürzen, gefährden sie Stück für Stück das Vertrauen inden Rechtsstaat und seine Funktionsfähigkeit. Dagegensollten wir uns alle gemeinsam wenden.
Bei allen Detailfragen zu vielen Themen, über die wirrechtstechnisch debattieren und die wir in vielen Punk-ten angehen, bleibt eines unsere vordringlichste Auf-gabe: der Schutz der Würde des Menschen und die Gel-tung des Rechts und der Gerechtigkeit. Lassen Sie uns indiesem Sinne gemeinsam über den Justizhaushalt bera-ten und die Beratungen zu einem guten Abschluss brin-gen!Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege Ullrich. – Nächster Redner in
der Debatte ist Metin Hakverdi für die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die sozialdemokratische Fraktion freut sich,dass mit dem Einzelplan 07, über dessen Entwurf wir ge-rade diskutieren, die Verbraucherpolitik in unseremSinne konsequent und adäquat weiterentwickelt wird.Das betrifft die zielgerichtete weitere Stärkung der Ver-braucherzentralen. Geld, das wir in diesen Bereich in-vestieren, ist doppelt gut investiert. Erstens sparen wirden Bürgerinnen und Bürgern wertvolle Zeit, indem wirdie Verbraucherzentralen so ausstatten, dass sie im Be-reich der Finanzmärkte und der Banken eine Markt-wächterfunktion übernehmen. Zweitens hat die bloße
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4522 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Metin Hakverdi
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Existenz von Marktwächtern eine positive Auswirkungauf den Markt selbst. Die Anbieter von Finanzproduktenwerden in Kenntnis der Marktwächter bei der Entwick-lung und dem Vertrieb ihrer Produkte in Zukunft vor-sichtiger sein; und das ist auch gut so.Besonders wichtig ist, dass auch im Bereich der digi-talen Welt eine weitere Stärkung des Verbraucherschut-zes stattfinden wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen,ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal die AGB-Ände-rungen bei Facebook, Amazon, iTunes oder anderen In-ternetanbietern gelesen haben. Wer möchte auch seineLebenszeit darauf verwenden, dies wöchentlich zu tun?Wir finden es richtig, dass sich einzelne Verbrauchernicht mit den AGB herumschlagen müssen. Wir müssenunsere Verbraucherzentralen befähigen, als Anwälte derVerbraucherinnen und Verbraucher zu agieren. Das tunwir nun, indem wir ihnen die finanziellen Mittel geben,um für die Verbraucher einzutreten.Wir werden aber auch die rechtlichen Rahmenbedin-gungen verbessern. Gesetz zur Verbesserung der zivil-rechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützendenVorschriften des Datenschutzrechts, das hört sich kom-pliziert an, ist aber in der Sache ganz einfach. In Zukunftmüssen Internetdienstleister, die mit den Daten ihrerKunden nicht sorgfältig umgehen, damit rechnen, dassnicht nur einzelne Kunden gegen sie vorgehen werden.In Zukunft werden wir dafür sorgen, dass diese Dienst-leister es mit den Verbraucherzentralen zu tun bekom-men, die wir entsprechend finanziell ausstatten. Das istWaffengleichheit. Das ist sozialdemokratische Politik,und das macht den konkreten Unterschied für jede ein-zelne Verbraucherin und jeden einzelnen Verbraucheraus.
Zu einer Debatte über den Haushalt gehört aber auch,dass die Rechtspolitik in einem breiten Sinne aufgegrif-fen wird. Ein Thema, dessen Beratungen wir in dennächsten Monaten aufnehmen und im nächsten Jahr in-tensiv fortführen werden, ist die Sterbehilfe. DiesesThema treibt die Menschen in unserem Land um. MeinerAnsicht nach ist es wichtig, dass wir nicht eine entkop-pelte Gesinnungsethikdebatte führen, die die Nöte undSorgen der betroffenen Menschen aus den Augen ver-liert. Menschenwürdiges Sterben ist kein abstrakter Ge-genstand einer Ethikdebatte. Menschenwürdiges Sterbenist eine sehr konkrete Angelegenheit. Es kommt auf diekonkrete Situation der betroffenen Menschen an. Dasind der Suizidwillige, die behandelnden Ärzte und dieAngehörigen. Diese müssen im Fokus bleiben. Die einegute und richtige Entscheidung wird es in dieser Fragewohl nicht geben.
Aber am Ende werden wir eine vertretbare Entscheidungtreffen müssen.Eine gute und richtige Entscheidung werden wir beider Einführung der Mietpreisbremse treffen. Mir ist siebesonders wichtig. In Wilhelmsburg, einem HamburgerStadtteil, in dem der Wahlkreis liegt, in dem ich gewähltwurde, hat im letzten Jahr eine Internationale Bauaus-stellung stattgefunden. Diese soll eine Aufwertung be-wirken, die ich übrigens sehr unterstütze. Die Menschenhaben aber Angst, verdrängt zu werden. In vielen Einzel-gesprächen haben sie mir ihre Ängste geschildert. Siewollen nicht den Stadtteil verlassen, in dem sie aufge-wachsen sind. Ich möchte nicht, dass die Wilhelmsbur-gerinnen und Wilhelmsburger wegziehen müssen, weilsie sich die Mieten nicht mehr leisten können. Wohn-raum muss bezahlbar bleiben, in Wilhelmsburg genausowie in Bergedorf und Harburg, genauso wie in Berlin,München, Frankfurt oder an anderen Orten Deutsch-lands.
Die Bürgerinnen und Bürger müssen, nachdem sie dieMiete gezahlt haben, noch genug im Portemonnaie ha-ben, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Umdas zu erreichen, brauchen wir die Mietpreisbremse.Auch wenn wir mit den Kolleginnen und Kollegen vonder Union noch Einzelfragen klären müssen, sage ichden Bürgerinnen und Bürgern in Wilhelmsburg, Harburgund Bergedorf: Die Mietpreisbremse wird kommen, undsie wird gut, und sie wird helfen.
Abschließend möchte ich Ihre Aufmerksamkeit aufein weiteres Gerechtigkeitsproblem lenken. Es geht umdie Frauenquote in Aufsichtsräten. Zitat:Solange Selbstregulierung erfolgversprechend ist,bedarf es gerade keiner gesetzlichen Quoten.Diese Annahme von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich als falsch erwiesen. Die be-schlossene Selbstverpflichtung von 2001 hat eben nichtzu Chancengleichheit der Frauen in Spitzenpositionender Wirtschaft geführt. Der Minister hat in seiner Ein-gangsrede die Zahlen genannt. Dieser Diskriminierungder Frauen – machen wir uns nichts vor; um nichts ande-res handelt es sich – muss gesetzgeberisch entgegenge-treten werden. Ich bin überzeugt, dass die Frauenquotein Aufsichtsräten ein erster Schritt ist. Gelingt es derWirtschaft nicht, auch in Vorständen eine deutliche Er-höhung des Anteils von Frauen zu erreichen, wird derGesetzgeber wieder tätig werden müssen. Alle sind gutberaten, es nicht darauf ankommen zu lassen.Glück auf! Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in der
Debatte ist Mechthild Heil für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-gen! In allen Debatten zu verbraucherpolitischen Fragenwird immer der gleiche Gegensatz zwischen der Wirt-
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Mechthild Heil
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schaft und den Verbrauchern konstruiert. Für meinenGeschmack haben sich leider viel zu viele mit diesemFeindbild gut angefreundet. Ja, es gibt viel zu viele, diedas sogar befeuern. Die Wirtschaft auf der einen Seiteruft dann immer: Lasst uns doch in Ruhe. Je wenigerEingriffe, umso besser. – Die Verbraucherverbände unddie NGOs auf der anderen Seite sagen uns: Wir brauchenmehr Regeln, wir brauchen ein härteres Durchgreifen bishin zum Totalverbot von bestimmten Produkten. Nur sokönnen wir die Verbraucher richtig schützen.Auch heute hören wir Ähnliches. Wir hören, die Dis-pozinsen müssten gedeckelt werden. Das, Herr MinisterMaas, ist nicht Gegenstand unseres Koalitionsvertrags,auch wenn Sie das heute hier so gesagt haben. Wir hö-ren, vermeintlich ungesunde Lebensmittel sollten mitWarnfarben gekennzeichnet werden und dürften nurnoch beschränkt beworben werden. Das Gleiche gilt fürmanche Finanzanlageprodukte. Der Kreativität sindwirklich keine Grenzen gesetzt. Der Politik wird einganz langer Wunschzettel vorgelegt: Es soll gebremst,gedeckelt und verboten werden. Das Misstrauen gegen-über der Wirtschaft wird geschürt. Auf der anderen Seitewird die moralische Überlegenheit der eigenen Positionnicht mehr infrage gestellt.Ein Beispiel aus dem großen Forderungskatalogmöchte ich Ihnen geben. Wir alle – ich glaube, das istunstrittig – essen zu süß, zu fettig und zu salzig. Da wiralle unbelehrbar sind, soll das verboten werden. Gefor-dert wird alles Mögliche – von der Fettsteuer über dieVerbannung von Süßigkeiten aus den Regalen bis hin zurVerringerung der Abfüllmenge von Limonaden. Aberglaubt jemand, auch hier von uns, wirklich ernsthaft,dass diese Verbote uns am Ende alle weniger krank, we-niger dick oder weniger unglücklich machen? Und: Willirgendjemand von uns in einem solchen Verbotsstaat le-ben? Ich kann die Frage beantworten: Ich will das nicht.Deshalb kann unsere Antwort nur heißen: Beide Seitentragen Verantwortung, auf der einen Seite die Wirtschaft,auf der anderen Seite die Kunden. Wir als Koalition ent-lassen keinen der beiden Partner aus seiner Verantwor-tung.
Wirtschaft und Verbraucher sind keine Gegensätzeoder sogar Feinde. Sie bedingen einander. Aber ihr Um-gang miteinander braucht bestimmte Regeln. Ichmöchte, wenn ich darf, an der Stelle die Verbraucherzen-trale Bundesverband zitieren, die wunderbar formuliert:Die Idee des Verbraucherschutzes ist so eng mitdem Schutz des Gemeinwohls verbunden, dass derStaat es sich nicht leisten kann, die Verbraucherpo-litik nur als … Kontrapunkt der Wirtschafts- undIndustriepolitikzu betrachten.Verbraucherpolitik ist Wirtschaftspolitik von derNachfrageseite.Wir können es uns deshalb nicht leisten, die Dingeanders zu sehen, weil es den Verbrauchern schadenwürde. Ich möchte das an einigen Beispielen verdeutli-chen:Am 1. August 2014 ist das neue Honoraranlagebera-tungsgesetz in Kraft getreten. Neben der klassischen Be-ratung auf Provisionsbasis können sich nun die Verbrau-cher auch gegen ein Honorar beraten lassen. So weit, sogut. Ja, es können bei Beratern auch Fehlanreize beste-hen. Sie können mehr an ihren eigenen Geldbeutel den-ken als an den Geldbeutel ihrer Kunden. Aber das giltfür einen Honorarberater genauso wie für einen Berater,der auf Provisionsbasis arbeitet.Nun hören wir immer wieder Forderungen, die provi-sionsbasierte Beratung solle komplett abgeschafft wer-den. Ich finde, das ist völliger Unsinn. Denn wir müssenan die Menschen denken, die sich kein 50- bis 100-Euro-Beratungshonorar pro Stunde leisten können, um zumBeispiel eine Haftpflichtversicherung abzuschließen.Was würde denn mit ihnen passieren?Wir sind nicht gewählt, um immer neue Regulie-rungs- oder Verbotsorgien zu betreiben. Das wäre meistsicherlich der einfachere Weg; aber es ist fast immer derfalsche Weg. Mit Verboten, mit Deckeln, mit Bremsenwerden wir die verbraucherpolitischen Fragen unserermodernen Zeit nicht beantworten – nachhaltig schon garnicht.Ich plädiere für eine wissenschaftliche, empirischfundierte Verbraucherpolitik. Sie greift auf das Sachver-ständnis von Experten zurück, auf Erkenntnisse aus derVerbraucherforschung und auf die Ergebnisse der Markt-beobachtung, zum Beispiel durch die spezialisierten Ver-braucherzentralen. Wir werden einen Sachverständigen-rat einrichten. Die Pläne liegen schon, das haben wireben gehört, in der Schublade des Verbraucherministeri-ums. Herr Minister, ich würde mich wirklich freuen,wenn sie, wenn sie bei Ihnen schon vorliegen, auch dasLicht der Öffentlichkeit erblicken würden, zumal die Ar-beit schon im Oktober aufgenommen werden soll.Wir stellen erneut Gelder für die Verbraucherforschung,nämlich 637 000 Euro, und für die Finanzierung einer Stif-tungsprofessur Verbraucherrecht, nämlich 225 000 Euro,zur Verfügung.Außerdem sorgen wir für eine intensivere Marktbeob-achtung durch die Verbraucherzentralen. Wir hatten be-reits im letzten Haushaltsjahr, im Jahre 2013, dem vzbv2,5 Millionen Euro als Anschubfinanzierung für den Fi-nanzmarktwächter zur Verfügung gestellt. Mit diesemGeld können die Verbraucherzentralen erstmals die wert-vollen Erkenntnisse, die sie aus ihrer flächendeckendenBeratung erhalten, systematisch erfassen, und die Datenkönnen dann erstmals ausgewertet, analysiert und amEnde auch uns als Politikern zur Verfügung gestelltwerden. Diese 2,5 Millionen Euro sind bis jetzt imHaushaltsentwurf 2015 ebenfalls veranschlagt. Ich alsVerbraucherschutzbeauftragte der CDU/CSU-Fraktionwürde diese Summe natürlich gerne auf die von uns an-gedachten 4,5 Millionen Euro erhöhen, vorausgesetzt,dass das Modell des Finanzmarktwächters wirklich trägtund wir es in andere Bereiche ausweiten wollen.
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Mechthild Heil
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Außerdem erhöhen wir die institutionelle Förderungdes Verbraucherzentrale Bundesverbandes und stärkendamit „die Stimme der Verbraucher“, wie sich dieserVerband selber nennt.Darüber hinaus gibt es viele Bereiche, in denen wirVerbraucherpolitik gestalten, ohne dass es sich im Haus-halt widerspiegelt. Einige Beispiele:Wir wollen Verbraucherinformationen verständlichergestalten, zum Beispiel bei den Allgemeinen Geschäfts-bedingungen oder bei den Beratungsprotokollen. Wirwollen eine Diebstahlsperre für Handys durchsetzen.Wir wollen eine transparente Kennzeichnung von ho-möopathischen Mitteln. Wir sorgen für sichere Lebens-mittel, klare Kennzeichnung, artgerechte Tierhaltungund dafür, dass die Bevölkerung bei Verstößen gegen dasLebensmittelrecht frühzeitig und realistisch gewarntwird. Wir fördern einen gesunden Lebensstil, indem wirdie Menschen zu einer gesunden Ernährung, aber auchzu ausreichend Bewegung motivieren. – Das sind nur ei-nige Beispiele. Wir wissen alle, dass Verbraucherschutzeine Querschnittsaufgabe ist und fast alle Politikbereichebetrifft.Mit unserer Verbraucherpolitik schauen wir aberwirklich über den Tellerrand Deutschlands und auch Eu-ropas hinweg. Wir erkennen, dass es Produkte gibt, dieeben nicht unter so fairen und nachhaltigen Bedingungenwie bei uns in Deutschland hergestellt werden. Ich denkeda zum Beispiel an den Bereich Kleidung. Unser Ent-wicklungsminister Gerd Müller hat dieses Thema aufge-nommen. Gemeinsam mit der Wirtschaft werden Min-deststandards entwickelt. Am Ende soll ein Label stehen,das den Verbrauchern die Entscheidung für einen nach-haltigen Konsum erleichtert.Das ist ein gutes Beispiel. Wir, die CDU/CSU, dieKoalition, sind die verbindende Kraft zwischen denKunden und der Wirtschaft, und deshalb ist unsere Ver-braucherpolitik auch so erfolgreich.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Klaus-Dieter
Gröhler, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Da-men und Herren! Als letztem Redner zu dem Einzelplangestatten Sie mir vielleicht eine allgemeine Einleitung.Der Kollege Lindner wartet schon darauf; das ist sehrgut.Ich will Sie noch einmal ein Momentchen zurückfüh-ren. Heute vor einem Jahr standen wir alle auf der Straßeund haben fleißig Wahlkampf gemacht. Damals passiertees mir, dass ich in meinem Wahlkreis in Berlin am Rü-desheimer Platz ein älteres Ehepaar traf. Auf meineFrage: „Darf ich Ihnen das Regierungsprogramm derCDU/CSU mitgeben?“, antworteten sie mir: Wir habennicht viel Zeit. – Ich dachte: Typisch Pensionäre. Aberdann sagte der Mann zu mir: Nennen Sie mir dreiGründe, warum wir Sie wählen sollen! – Ich erwiderte:Erster Punkt. Damit Angela Merkel Kanzlerin bleibt!
Zweiter Punkt. Damit es keine Steuererhöhungen gibt!
Dritter Punkt. Damit es in Zukunft keine neuen Schuldenmehr gibt.
Daraufhin sagte der Mann zu mir: Okay, über dieMerkel kann man nicht meckern. – Originalton Berlin.Das ist, glaube ich, mit das höchste Lob, das ein Berlinerverteilen kann.
– Ich sehe vom Kollegen Luczak Zustimmung an derStelle. – Der Mann fuhr fort: „Junger Mann,“ – ich weißnicht, ob das seine Distanz zur Politik darstellen sollteoder für mich ein Lob sein sollte – „das mit den Schul-den glauben Sie doch selbst nicht. Die Politik ist dochviel zu verliebt in immer neue Projekte, und Sie werdenaus dieser Spirale nie rauskommen. Gucken Sie sich ein-mal die Geschichte der Republik an! Sie haben immerneue Schulden gemacht.“Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob dieserBürger sich an das Gespräch erinnert, wenn er jetzt inder Zeitung von der schwarzen Null liest – vielleichtguckt er ja auch Parlamentsfernsehen; bei dem schönenWetter aber eher nicht –,
aber ich will ihm Pars pro Toto zurufen: Wir haben die-ser Versuchung widerstanden. Dieser Haushalt ist ausge-glichen.Warum erzähle ich diese kleine Geschichte, meineDamen und Herren?
Weil sie auch bei den Haushaltsberatungen für einen sokleinen Etat wie den von Minister Maas leitend seinmuss, weil wir auch bei einem so kleinen Etat in Zukunftder Versuchung widerstehen müssen, immer noch wasobendrauf zu packen. Wir als Haushaltsgesetzgeber ha-ben in zwei Dritteln der Zeit der Existenz des Bundesta-ges – fast auf den Tag genau vor 65 Jahren war die ersteSitzung des Bundestags – einfach nur etwas obendraufgepackt und in den Haushaltsberatungen gesagt: Wenn
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Klaus-Dieter Gröhler
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hier noch etwas fehlt und da noch etwas fehlt, weiten wireinfach den Etat aus.Damit ist jetzt Schluss. Das ist für uns eine größereHerausforderung, auch für die Arbeit der jeweiligen Be-richterstatter. Wenn wir in Zukunft an der einen oder an-deren Stelle feststellen: „Da fehlt etwas“, dann werdenwir einen Deckungsvorschlag machen müssen. Das istfür die Politik vielleicht eine zusätzliche Hürde, aber dasmacht es auch ein Stück weit spannender.An drei Punkten des Haushalts, glaube ich, lohnt essich, noch einmal vertieft hinzuschauen:Erstens. Die Rechtsweggarantie aus Artikel 19 unse-res Grundgesetzes – das klang bei meinen Vorrednerneben schon so ein bisschen an – muss natürlich mit Le-ben gefüllt sein. Ich hatte vor einigen Tagen eine Gruppechinesischer Schülerinnen und Schüler zu Besuch. Siefragten mich: Wie funktioniert in Deutschland ein Straf-prozess? – Dann habe ich versucht, ihnen das in wenigenMinuten darzustellen. Sie bekamen ganz leuchtende Au-gen. Was ich ihnen natürlich nicht gesagt habe, ist, dassder eine oder andere Bürger, der einen Zivilprozessführt, was die Länge der Verfahren angeht, am Rechts-staat schon ein ganz klein wenig zweifelt. Wenn mansich die Situation bei den Verwaltungsgerichten als Ein-gangsinstanz anschaut, dann weiß man, dass zwischendem Moment, wo man zum Gericht geht, und dem Mo-ment, wo man tatsächlich Recht bekommt, viele Jahreliegen können.Das Abziehen einer Stelle aus dem Bundesver-waltungsgericht zugunsten des Ministeriums – FrauWinkelmeier-Becker hat hier darauf hingewiesen – ist ander Stelle aus meiner Sicht das falsche Signal, auch dasfalsche Signal an die Länder. Darüber werden wir redenmüssen. Wenn im Koalitionsvertrag steht, wir wollendas Rechtsprechungsmonopol des Staates stärken, ille-gale Paralleljustiz werden wir nicht dulden, dann werdenwir an dieser Stelle entsprechend handeln müssen.
Mein Kollege Rohde hat seine Ausführungen zuRecht weitestgehend auf das Patentamt beschränkt. Las-sen Sie mich sagen: Auch das ist eine Frage effektivengewerblichen Rechtsschutzes. Der Laden muss vernünf-tig laufen, wenn ich das zusammengefasst sagen darf.Dass es lange dauert, bis man sein Patent bekommt,hängt nicht nur mit der Personalsituation, sondern auchmit der erfreulichen Situation zusammen, dass die Zahlder Anträge inzwischen von 59 000 Patentanträgen imJahr auf inzwischen 63 000 gestiegen ist. Es gibt heute13 Prozent mehr Patentanträge als noch vor vier Jahren.Es gibt in den Patentämtern eine Menge offener Stellen.Insofern ist es nicht die richtige Argumentation, vomMinisterium zusätzliche Stellen für die Patentämter zufordern. Wir werden uns in den nächsten Tagen vertieftanschauen müssen, ob die Mitarbeitergewinnung imAmt vernünftig läuft, ob die Anforderungen an Neuein-stellungen vielleicht zu hoch sind. Eines kann ich unter-streichen, lieber Kollege Rohde, die Koalition wird kei-nen Blindflug ohne Navigationsgerät machen. Wir sindnicht die Opposition. Wir sind die Koalition. Das unter-scheidet uns nicht nur an dieser Stelle ganz besonders.
Stichwort „Verbraucherschutz“. Hierfür geben wirnur aus dem Etat von Minister Maas 29 Millionen Euroaus; 4,5 Millionen Euro mehr. Durch die Einführung dersogenannten Marktwächter – zu dieser Begrifflichkeitsage ich gleich noch etwas – dürfen die bisherigen Auf-gaben des Verbraucherschutzes nicht vernachlässigt wer-den. Es darf kein Ungleichgewicht geben. Darauf hat dieVerbraucherzentrale Bundesverband hingewiesen. Michstört aber der Begriff „Marktwächter“. Auf diesen soll-ten wir es auf Dauer nicht verkürzen.
– Ja, das ist durchaus richtig. Aber wenn wir darüber in-tensiver sprechen, auch fachlich, lieber Herr Kollege,dann müssen wir berücksichtigen, dass es um die ver-braucherorientierte Beobachtung des Finanzmarktes geht.Wir sollten bei den Leuten auf Dauer nicht den Eindruckerwecken, dass der Wächter der ist, der auch Strafenkann, sondern er beobachtet erst einmal. Dementspre-chend sollten wir ihn auch ausstatten. Die eigentlicheBearbeitung der Vorgänge ist nachher eine hoheitlicheAufgabe, die sicherlich nicht der Bundesverband oderdie einzelnen Landesverbraucherzentralen wahrnehmenkönnen. Insofern sollten wir an dieser Stelle vorsichtigmit der Begrifflichkeit sein.Ein letztes Wort. Erfreulich ist das PräventionsprojektDunkelfeld, meine Damen und Herren, also der Schutzvor pädophilen Männern. Die Mittel für dieses Projektwerden von früher 250 000 auf nun 560 000 Euro imJahr erhöht. Ich finde das sehr erfreulich.
– Ich sehe, der Kollege Claus möchte meine Redezeitverlängern. Gerne.
Der Kollege Claus möchte gerne eine Zwischenfrage
stellen. Ich gehe davon aus, dass Sie zustimmen. – Bitte
schön, Herr Kollege Claus.
Vielen Dank. – Da unsere Vorschläge nun zum zwei-ten Mal mit dem Begriff „Blindflug“ geadelt wurden,bleibt mir nichts weiter übrig, als Sie zu fragen, ob Siebereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir diese Vor-schläge unter den Berichterstattern für den Einzelplan 07in der vorigen und in der vorvorigen Beratung in diver-sen BE-Gesprächen bei mehreren Besuchen beim Pa-tentamt erarbeitet haben. Der Kollege Rohde hätte be-stimmt nichts dagegen, wenn Sie den Kollegen Bindingin unserem Parlament als Kronzeuge für die solide Erar-
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Roland Claus
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beitung dieser Vorschläge zurate ziehen könnten. Ichfrage: Können Sie zur Kenntnis nehmen, dass es sich beiden Vorschlägen nicht um Blindflüge handelt, sondernum solide durchdachte Überlegungen?
Herr Kollege Claus, wenn ich in einem Patentamt fast
10 Prozent aller vorhandenen und im Haushaltsplan aus-
gewiesenen Stellen immer wieder unbesetzt habe, dann
stellt sich aus meiner Sicht erst einmal die Frage: Wie
bekomme ich die Stellen besetzt? Es stellt sich für mich
dann nicht die Frage, ob man zusätzliche Stellen in den
Haushaltsplan einstellen muss. Insofern haben wir offen-
sichtlich eine unterschiedliche Auffassung.
Ich verstehe, dass man aus Oppositionssicht sagt, dass
der Haushaltsansatz falsch sei. Aber vielleicht stimmen
Oppositionssicht und tatsächliche Situation nicht über-
ein.
Ich bin aber sehr zuversichtlich, wenn ich dies ab-
schließend sagen darf – die letzten Berichterstatterge-
spräche waren über Fraktionsgrenzen hinweg konstruk-
tiv –, dass wir auch in dieser Frage miteinander zu einem
guten Ergebnis kommen werden. Die Opposition wird
sehen, dass sie nicht Milde walten lassen muss, weil ein
anständiger Bundeshaushalt vorgelegt wurde, sowohl
mit Blick auf Einzelplan 07 als auch darüber hinaus. Ich
bin sicher, dass wir den Haushalt im Spätherbst beschlie-
ßen können.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen zu diesem
Einzelplan liegen nicht mehr vor.
Wir kommen damit zu dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15.
Das Wort hat Bundesminister Hermann Gröhe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die gesundheitliche Versorgung in unserem Land ist gut,ja sogar sehr gut. Eine Befragung des Allensbach-Insti-tuts vom April dieses Jahres hat ergeben, dass acht vonzehn Befragten erklärten,
sie seien grundsätzlich sehr zufrieden mit dem Gesund-heitswesen in der Bundesrepublik Deutschland. Dassollte uns ein Ansporn sein, ein Ansporn, die Zufrieden-heit weiter zu steigern, aber auch ein Ansporn, die He-rausforderungen anzugehen, vor denen unser Gesund-heitswesen steht. Das ist zuallererst die demografischeEntwicklung, das ist aber auch unser Anspruch, medizi-nischen und medizintechnischen Fortschritt allen Men-schen in diesem Land zugutekommen zu lassen. Bei derBewältigung dieser Herausforderungen sollten wir unsalle an den Bedürfnissen der Menschen orientieren undihnen nachhaltige Hilfe zuteilwerden lassen.
Wir alle wissen, dass eine wachsende Zahl ältererMenschen in unserem Land viele aktive Seniorinnen undSenioren bedeutet, die sich mit Lebensfreude in das ge-sellschaftliche Leben einbringen. Zugleich werden wiraber auch immer mehr Menschen unter uns haben, die inhohem Alter schwer mehrfach erkranken oder der Pflegebedürfen. Eine gute und umfassende Versorgung für je-den ist deshalb eine zentrale politische Aufgabe. Bereitsin diesem Jahr haben wir wichtige politische Entschei-dungen getroffen; ich nenne nur das Stichwort „Stärkungder Hausarztverträge“. Diesen Weg werden wir fortset-zen.Was haben Bundesregierung und Koalition vor?Erstens die Schaffung zukunftsstarker Pflegestruktu-ren. Eine spürbare Ausweitung der Leistungen, die wirim ersten Pflegestärkungsgesetz nun auf den Weg brin-gen, ist nur der erste Schritt. Sie wissen, dass es auch da-rum geht, den Menschen verstärkt genau die Hilfe zuteil-werden zu lassen, die sie persönlich auch benötigen.Zweitens die Sicherung zukunftsfester Versorgungs-strukturen. Diese brauchen wir flächendeckend, in guterQualität, bedarfsgerecht, in Stadt und Land.Drittens exzellente Rahmenbedingungen für For-schung und Innovation. Denn für eine zukunftsfähigeVersorgung sind Innovationen nicht nur bei Medikamen-ten oder einzelnen Behandlungsmethoden, sondern auchbei den Versorgungsstrukturen insgesamt unverzichtbar.Und viertens und nicht zuletzt den Ausbau der Prä-vention. Sie sollte bereits in Kita und Schule beginnen,aber eben auch nicht im Berufsleben, ob im Betrieb oderim Büro, enden.
Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich etwaszu diesen einzelnen Punkten ausführen. Die Pflegesteht in den nächsten Jahren ganz oben auf der Agendadieser Bundesregierung. Bereits vor der Sommerpausehaben wir in der ersten Lesung das erste von zweiPflegestärkungsgesetzen beraten. Es sieht ab 1. Januardes nächsten Jahres spürbare Verbesserungen für Pfle-gebedürftige, ihre Angehörigen und auch wichtige Ver-besserungen im Alltag der Pflegekräfte vor. Und wirsorgen gleichzeitig vor. Mit dem Pflegevorsorgefondswollen wir künftige Beitragsanstiege dämpfen.
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Bundesminister Hermann Gröhe
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Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz werden wirden Weg zu einer verbesserten Qualität in der pflegeri-schen Versorgung fortsetzen. So soll die bisherige Unter-scheidung zwischen Pflegebedürftigen mit körperlichenEinschränkungen und Demenzkranken der Vergangen-heit angehören und es zu einer besseren, individuellenBewertung der Pflegebedürftigkeit kommen. Dies istuns, dies ist auch mir persönlich ein wichtiges Anliegen.
Seit April dieses Jahres läuft die Erprobung des neuenBegutachtungssystems. In über 4 000 Fällen werdenPflegebedürftige nach dem bisherigen und dem neuenBegutachtungssystem bewertet. Die so gewonnenen Er-fahrungen wollen wir dann gleich zu Beginn des nächs-ten Jahres in die Erarbeitung des Gesetzes zur Umset-zung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs einbringen.Meine Damen, meine Herren, der zweite Schwer-punkt: zukunftsfeste Versorgungsstrukturen. Gerade füreine älter werdende Gesellschaft ist eine gut erreichbaremedizinische Versorgung, ambulant wie stationär, vonbesonderer Bedeutung. Das gilt für Stadt und Land ingleicher Weise.Ältere Menschen brauchen oftmals eine andere medi-zinische Versorgung. Sie leiden aufgrund des hohen Al-ters häufig unter chronischen oder unter Mehrfacher-krankungen. Menschen mit demenziellen Erkrankungenkönnen weniger selbst Partner im Prozess der Behand-lung sein, brauchen andere pflegerische und ärztlicheZuwendung.Das sind nur einige Beispiele, die deutlich machen,vor welchen Herausforderungen unser Versorgungssys-tem steht. Deshalb brauchen wir auch hier das Versor-gungsstärkungsgesetz, das ich noch im Herbst diesesJahres vorlegen werde. Ich möchte die gesundheitlicheVersorgung der Menschen im Kontext des demografi-schen Wandels weiterentwickeln und um neue Instru-mente ergänzen. Dabei liegt mir die Sicherstellung derVersorgung gerade im ländlichen Raum besonders amHerzen.Fest steht: Wir brauchen eine bessere Verteilung derÄrztinnen und Ärzte. So haben wir gerade in manchenGroßstädten immer wieder eine ärztliche Überversor-gung; in einigen ländlichen Regionen fehlen aber bereitsÄrztinnen und Ärzte oder drohen angesichts des Durch-schnittsalters der niedergelassenen Ärztinnen und Ärztealsbald zu fehlen. Deswegen sollten wir mit gezieltenMaßnahmen sowohl die Überversorgung abbauen alsauch der Unterversorgung rechtzeitig begegnen.Dabei geht es nicht zuletzt um die hausärztliche Ver-sorgung. Der Hausarzt bzw. die Hausärztin ist der ersteAnsprechpartner für Menschen, wenn es um ihre Ge-sundheitsfragen geht. Deshalb werden wir die Regelun-gen zur Förderung der Weiterbildung in der Allgemein-medizin erweitern und die Anzahl der zu förderndenStellen erhöhen.
Zu einer guten Versorgung gehört auch, dass die Ver-sicherten nicht wochenlang auf einen Facharztterminwarten müssen. Mit Terminservicestellen der kassenärzt-lichen Vereinigungen werden wir hier Abhilfe schaffen.
Auch möchte ich die Verzahnung zwischen dem am-bulanten und dem stationären Sektor weiter verbessern,um eine gut abgestimmte Versorgung gerade der chro-nisch und mehrfach erkrankten Menschen zu gewähr-leisten. Um möglichst frühzeitig Maßnahmen zur Si-cherstellung der Versorgung in einer Region ergreifen zukönnen, schlage ich vor, die Regelungen für die Bildungsogenannter Strukturfonds dahin gehend zu ändern, dasssie in Zukunft eingerichtet und tätig werden können,schon bevor eine akute Unterversorgung droht, um ange-sichts der Altersstruktur der niedergelassenen Ärztinnenund Ärzte rechtzeitig Maßnahmen ergreifen zu können.Schließlich werden wir Krankenhäusern zunehmenddie Möglichkeit zur Teilnahme an der ambulanten ärztli-chen Versorgung eröffnen müssen, wenn der Landesaus-schuss einen entsprechenden Versorgungsbedarf festge-stellt hat, der von niedergelassenen Ärztinnen undÄrzten nicht abgedeckt werden kann.
Klar ist, dass wir in Zukunft Krankenhäuser brau-chen, die gut aufgestellt sind und sich einer qualitätsge-sicherten Versorgung verpflichtet fühlen. Qualität ist fürmich das entscheidende Kriterium einer patientenorien-tierten Krankenhausplanung. Es gilt, gut erreichbareKrankenhäuser der Grund- und Regelversorgung zu si-chern und zugleich die Spitzenmedizin, wie sie zum Bei-spiel an den Universitätskliniken und auch in ihren Am-bulanzen angeboten wird, angemessen zu honorieren. Indiesem Sinne arbeiten wir seit Mai mit Vertretern derBundesländer in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe aneiner Krankenhausreform. Ich will mich an dieser Stelle– am Montag war die jüngste Sitzung – bei allen Vertre-tern der Bundesländer ausdrücklich für die vertrauens-volle Zusammenarbeit bedanken. Unser Ziel ist es, biszum Ende des Jahres Eckpunkte zu erarbeiten, die dannim nächsten Jahr in einem entsprechenden Gesetz umge-setzt werden.Der Stärkung der Versorgung und der besseren Ver-netzung der Sektoren dient auch das E-Health-Gesetz,das ich Ihnen noch in diesem Herbst vorstellen möchte.Mit ihm sollen Anreize für eine schnellere Nutzung me-dizinischer Daten, wie zum Beispiel die Nutzung vonNotfalldaten mithilfe der elektronischen Gesundheits-karte, geschaffen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sagte bereits:Wir brauchen auch im Gesundheitswesen verstärktForschung und Innovation, wenn es um Versorgungs-strukturen geht. Mit einem Innovationsfonds, zu demwir ebenfalls im Versorgungsstärkungsgesetz gesetzli-che Regelungen verankern werden, wollen wir 300 Mil-lionen Euro jährlich in die innovative Entwicklung vonVersorgungsstrukturen und in die Versorgungsforschunginvestieren. Schließlich wird alsbald das bereits gesetz-
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Bundesminister Hermann Gröhe
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lich verankerte Qualitätsinstitut mit seiner Aufbauarbeitbeginnen, um mit verlässlichen Kriterien und Transpa-renz zur Qualitätssicherung beizutragen.Auch in unserem Haushalt sollen die Aufwendungenim Bereich Forschung nach unserem Vorschlag deutlicherhöht werden, auf nunmehr 25,5 Millionen Euro. Dabeigeht es um Strategien zur Bekämpfung von Krebs, aberauch um eine bessere Versorgung von Menschen, die anseltenen Erkrankungen leiden. Ich denke zum Beispielan den Förderschwerpunkt der Bildung eines zentralenInformationsportals über seltene Erkrankungen.Schließlich werden wir noch in diesem Jahr den Ent-wurf eines Präventionsgesetzes vorlegen, mit dem wirdas Ziel verfolgen, gesundheitsförderndes Verhalten vonder Kita über die Schule und den Arbeitsplatz bis hineinin die Altenpflege bzw. die Altenhilfe zu fördern.Hinsichtlich der Zahlen darf ich darauf hinweisen,dass im Einzelplan 15 auch der Zuschuss an die gesetzli-che Krankenversicherung für das Jahr 2015 um 1 Mil-liarde Euro steigen soll und wir damit die Zusagen ausdem Haushaltssicherungsgesetz einhalten. Das möchteich unterstreichen.Lassen Sie mich angesichts der guten medizinischenVersorgung in unserem Land und der Herausforderun-gen, die wir bewältigen wollen, damit dies so bleibt, be-wusst den Blick auf einen Krisenherd richten, auf dieRegion Westafrika, auf die Herausforderung durch dieEbola-Erkrankung. Die betroffenen afrikanischen Staa-ten sind mit der Bekämpfung dieser Epidemie überfor-dert. Sie haben weder die Infrastruktur noch ausreichendmedizinisches Personal, um diese todbringende Krank-heit in den Griff zu bekommen. Sie brauchen die Solida-rität der Staatengemeinschaft. Sie brauchen auch unsereSolidarität.
Das Robert-Koch-Institut und das vom Bundesge-sundheitsministerium institutionell geförderte Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin haben bereits im Märzzur Bekämpfung der Epidemie Expertinnen und Exper-ten nach Afrika und zur WHO entsandt. Derzeit arbeitenacht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Robert-Koch-Instituts und fünf Mitarbeiter des Bernhard-Nocht-Insti-tuts in Guinea und in Nigeria. Ihnen, aber auch allen an-deren Helferinnen und Helfern der unterschiedlichenHilfsorganisationen sei an dieser Stelle ausdrücklich fürihren eindrucksvollen Einsatz gedankt.
Darüber hinaus hat das Kompetenz- und Behand-lungszentrum Nord in Hamburg, UniversitätsklinikumEppendorf, im vergangenen Monat einen an Ebola er-krankten senegalesischen WHO-Mitarbeiter zur Behand-lung aufgenommen. Auch den Ärztinnen und Ärzten so-wie den Pflegekräften dort gilt mein herzlicher Dank fürdie ihm zuteilwerdende Behandlung. Wir wünschen ihmnatürlich von Herzen ein Gelingen dieser Behandlung.
Wir werden alsbald Mittel für ein Trainingsprogrammdes Robert-Koch-Instituts zum Umgang mit Ebola-Ver-dachtsfällen zur Verfügung stellen. Es soll einen Beitragdazu leisten, Helferinnen und Helfer zu trainieren, damitsie sich bei der Behandlung der Erkrankten und der einerErkrankung Verdächtigen selbst schützen können, indemsie die Schutzmaßnahmen beachten. Oft hält die Angstvor der Ansteckung die Hilfspersonen davon ab, zu hel-fen. Dieses Trainingsprogramm wird alsbald auf denWeg gebracht werden. Wir leisten also auch in diesemBereich unseren Beitrag in enger Zusammenarbeit mitdem Entwicklungshilfeministerium, dem Außenministe-rium und dem Forschungsministerium. Dafür bin ichdankbar.Ich freue mich nun auf die vor uns liegenden Debat-ten, natürlich in Sonderheit auf die Debatten mit den Be-richterstatterinnen und Berichterstattern im Haushalts-ausschuss.In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist
Dr. Gesine Lötzsch, Die Linke.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Frau Schmidt, wieder haben Sie beieinem Gesundheitsthema die Leitung. Wer weiß, viel-leicht bereiten Sie sich ja auf neue Aufgaben vor; aberich will meine Zeit damit nicht vertrödeln.
Meine Damen und Herren! Der Bundesrechnungshofhat uns gerade darauf hingewiesen, dass die Ausgabenfür den Gesundheitsfonds in den letzten Jahren fast dop-pelt so schnell gestiegen sind wie die Einnahmen. DieLösung kann aber nicht darin bestehen, immer weiter dieKrankenkassenbeiträge zu erhöhen. Meine Fraktion fin-det: Wir müssen grundsätzlicher an die Dinge herange-hen. Wir müssen hier im Bundestag über krankma-chende Arbeit sprechen und gemeinsam etwas dagegentun.
Die Chefs mehrerer Krankenkassen haben den deutschenArbeitgebern pauschal eine Mitschuld am dramatischenAnstieg der sogenannten Burn-out-Erkrankungen undDepressionsfälle in deutschen Unternehmen zugespro-chen.Deutsche Arbeitnehmer leisten nach Erkenntnissender EU-Kommission im Durchschnitt mehr Überstundenals ihre Kolleginnen und Kollegen in den europäischenNachbarländern.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014 4529
Dr. Gesine Lötzsch
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In keinem Land der Eurozone gibt es einen so gro-ßen Unterschied zwischen der tarifvertraglich ver-einbarten Wochenarbeitszeit und der tatsächlichenWochenarbeitszeit wie in Deutschland.Das stellte der zuständige EU-Kommissar fest. Ich finde,das sollte uns zu denken geben.
In Deutschland entstehen durch arbeitsbedingte psy-chische Belastungen volkswirtschaftliche Kosten inHöhe von 6,3 Milliarden Euro im Jahr. Laut aktuellerStudie der Betriebskrankenkassen sind darin 3 Milliar-den Euro direkte Kosten für die Krankheitsbehandlungund 3,3 Milliarden Euro Produktionsausfallkosten ent-halten. Die Vorstandsvorsitzenden mehrerer Kranken-kassen forderten nun eine Stärkung der Gesundheitsvor-sorge in den Betrieben. Sie, Herr Minister Gröhe, habendiesen Appell der Krankenkassen unterstützt. Das istgut, aber Appelle reichen nicht. Ich finde, wir müssenhandeln.
Die Art und Weise, wie wir in unserer Gesellschaft le-ben und arbeiten, macht immer mehr Menschen krank.Wer auf knallharte Konkurrenz, maximale Arbeitsver-dichtung und 24-Stunden-Flexibilität setzt, der überfor-dert jeden einzelnen Menschen, aber auch unser Gesund-heitssystem. Darum, finde ich, muss es uns gelingen,unsere Arbeits- und Lebenswelt solidarischer und ge-rechter zu gestalten. Dann könnten auch die Gesund-heitskosten bzw. Krankheitskosten rapide sinken.
Vielleicht sollten wir auch einmal ernsthaft darüberdiskutieren, wie wir die Arbeitgeber stärker an den Ge-sundheitskosten beteiligen, die sie direkt verursachen.Man könnte zum Beispiel für jede geleistete Überstundeden Krankenkassenbeitrag des Arbeitgebers um 50 Pro-zent erhöhen. Ich glaube, eine solche Maßnahme würdemit Sicherheit mehr Wirkung zeigen als alle mündlichenAppelle.
Damit der Finanzminister mit einer „schwarzen Null“in die Geschichte eingehen kann, hat er sich vorgenom-men, ab 2015 ohne neue Schulden auszukommen. Dasist ja heute sehr oft erwähnt worden. An dieser Stellemöchte ich allerdings den Kollegen Norbert Brackmannvon der Union – ich glaube, er ist gerade nicht im Saal –aus dem Haushaltsausschuss besonders lobend hervorhe-ben. Er war, glaube ich, der Einzige, der heute daraufverwiesen hat, dass wir noch jede Menge alte Schuldenhaben. Das sollte bei aller Euphorie über die „schwarzeNull“ nicht vergessen werden.
– Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen, gehe ich gernedarauf ein; ansonsten geht es auf meine Redezeit.
Wie wird der Bundeshaushalt vom Bundesfinanz-minister entlastet? Dies gelingt mit willkürlichen Hin-und Herschiebungen. Zum Beispiel wird der Zuschussfür den Gesundheitsfonds um insgesamt 6 MilliardenEuro für zwei Jahre gekürzt. Ab 2017 soll der Zuschussdann wieder auf 14,5 Milliarden Euro steigen. Ich finde,mit diesem Hin- und Herschieben wird kein einzigesProblem wirklich gelöst.
Die Verschiebung in die Sozialsysteme geht natürlichvor allen Dingen auf Kosten der Geringverdiener, diedurch höhere Krankenkassenbeiträge für diese Art derkreativen Buchführung zahlen müssen. Das finde ich un-gerecht. Das lehnen wir Linke ab.
Zum Abschluss möchte ich noch auf zwei Kürzungs-positionen, die vorgeschlagen sind – wir beschließen denHaushalt ja erst Ende des Jahres –, eingehen, die ich fürnicht sachgerecht halte. Zum einen soll bei der gesund-heitlichen Aufklärung gekürzt werden und zum anderenbei internationalen Aufgaben. Für die gesundheitlicheAufklärung steht ein Posten, der sowieso nicht übertrie-ben groß ist, zur Verfügung. Ich will daran erinnern, dassimmer mehr Menschen krank werden, weil sie sich zumBeispiel falsch ernähren.
Darum ging es gerade auch beim Thema Verbraucher-schutz. Die Lebensmittelindustrie steckt ein Vielfachesin die Werbung für versalzene, überzuckerte und fettigeProdukte. In dieser Situation ist es, glaube ich, nichtrichtig, die Mittel für die Aufklärung zu kürzen. Es wäregeradezu absurd.
Letzter Punkt. Herr Gröhe, Sie haben sehr eindrucks-voll berichtet, wie sich die Bundesrepublik, insbeson-dere das Robert-Koch-Institut, in der Ebola-Frage enga-giert. Darum ist es umso verwunderlicher, dass geradedie Mittel für die internationalen Aufgaben gekürzt wer-den sollen. Denn in Zeiten einer globalisierten Weltmuss auch ein Gesundheitsminister global denken undschnell handeln. Ich glaube, das gelingt nicht mit einerKürzung auf genau diesem Gebiet.Der Haushaltsentwurf bedarf aus Sicht der Linken ei-ner grundsätzlichen Überarbeitung. Aber dafür habenwir ja bis November Zeit. Wir werden mit Elan und vie-len Vorschlägen an die Sache gehen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner für die SPD-Fraktionist Dr. Karl Lauterbach.
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Frau Präsidentin! Herr Minister! Meine sehr verehr-ten Damen und Herren! Ich will zunächst kurz auf dieEinlassungen von Frau Lötzsch zu sprechen kommen.Sie erwähnten – das stimmt auch –, dass wir am Arbeits-platz immer mehr Stress haben. Das ist richtig, und da-gegen unternehmen wir etwas. Ich hoffe daher, dass wirIhre Unterstützung bekommen, wenn Andrea Nahleshier die Antistressverordnung verabschieden will. Dannwerde ich Sie an Ihre Worte erinnern. Denn es hilftnichts, ein Problem zu benennen, aber nicht konstruktivmitzuarbeiten, wenn es um die Lösung geht.
Das Gleiche gilt auch für die Vorbeugemedizin. Es istrichtig, dass wir in den Betrieben mehr Prävention brau-chen. Es ist aber auch richtig – das hat der Minister ebenin seiner Rede angekündigt, und wir haben es hier schonmehrfach vorgetragen –, dass wir noch in diesem Jahrein Präventionsgesetz vorlegen werden, das eine bessereVorsorgemedizin in den Betrieben zum Ziel hat. Somithoffe ich dann ebenfalls auf Ihre Unterstützung.
Und schließlich: Sie sagten, Sie würden beklagen,dass wir alte Schulden haben. Das höre ich mit großemInteresse. Das steht nämlich im Widerspruch zu den Vor-schlägen, die wir in fast jeder Plenardebatte von Ihnenhören und deren Umsetzung darauf hinauslaufen würde,dass wir sogar neue Schulden machen müssten. Das istein Widerspruch.
Ich glaube, wenn man auf die erste Phase dieser Re-gierungszeit zurückschaut, kann man mit Blick auf dieGesundheitspolitik – ohne sich zu Unrecht zu loben oderdie Dinge zu selbstgerecht darzustellen – sagen: Wir ha-ben eine Menge geschafft. Zum Beispiel ist es uns trotzstetig steigender Bedarfe, neuer, innovativer Produkteund zum Teil auch sehr teurer Produkte gelungen, dieKosten im Bereich der Arzneimittelversorgung im We-sentlichen zu begrenzen. Wir haben das Preismoratoriumfortgesetzt. Wir haben den Herstellerrabatt mit 7 Prozentauf einem Niveau gehalten, das passt. Wir haben mit denHausarztverträgen Anreize für eine evidenzbasierte Ge-nerikabehandlung geschaffen; das funktioniert gut. Au-ßerdem haben wir die Qualitätssicherung durch dieChronikerprogramme und die Disease-Management-Programme verbessert. Mittlerweile bekommt der größteTeil der Patienten in Deutschland eine wissenschaftlichgut gesicherte Medizin, dort, wo möglich, in Form vonGenerika, und dort, wo nicht in Form von Generikamöglich, auf der Grundlage von unter Berücksichtigungder Kosten-Nutzen-Relation verhandelten Preisen.Vor Jahren ist das nicht möglich gewesen. An diesenReformen arbeiten wir gemeinsam seit vielen Jahren.Diese Arbeit wurde in der ersten Phase dieser Legislatur-periode fortgesetzt. Da gab es also keinen Bruch, son-dern eine kontinuierliche Weiterentwicklung, für die wirim Ausland gelobt werden. Hier müssen wir gemeinsamweiter an einem Strang ziehen.
Zum Zweiten. Ich weise darauf hin: Wir haben einegroße Ungerechtigkeit in unserem System beseitigt, undzwar gemeinsam – hierfür möchte ich mich ausdrücklichauch bei den Kolleginnen und Kollegen von der Unionbedanken –: Wir haben die Gesundheitsprämie bzw. diekleine Kopfpauschale abgeschafft. Sie hätte für unsereRentner eine nicht unerhebliche Belastung dargestellt;denn es ging um einen Sozialausgleich, der von derSteuer abhängig gewesen wäre. Jetzt gibt es einkom-mensabhängige Zusatzbeiträge, die für einen Geringver-diener gering und für einen Gutverdiener entsprechendhöher ausfallen. Arbeitslose, die Arbeitslosengeld I oderII empfangen, müssen gar keinen Zusatzbeitrag bezah-len. Ich sage es einmal so: Das ist zwar nicht ganz dieBürgerversicherung – das räume ich hier ein; sie wäremir zu jedem Zeitpunkt lieber –,
aber ein wichtiger Fortschritt. Angesichts dieses wichti-gen Fortschritts sage ich: Dafür muss man der Uniondanken. Das ist eine Richtungsänderung, ein ganz ge-zielter Schritt in Richtung von mehr Solidarität.Die Pflegereform wurde von Minister Gröhe schonangesprochen. Auch sie ist eine Reform mit Augenmaß.Klar ist: Wenn wir in der Lage wären, den neuen Pflege-bedürftigkeitsbegriff jetzt einzuführen – flächendeckend,in ganz Deutschland, sofort –, dann müssten wir das tun,und dann wäre es verantwortungslos, das nicht zu tun.Die Wahrheit ist aber: Ein so großes Experiment– den Pflegebedürftigkeitsbegriff, der für so viele Men-schen, für mehr als 2 Millionen zu Pflegende, die Orga-nisation und Bezahlung ihrer Versorgung regelt, auf ei-nen Schlag zu verändern – wäre nicht verantwortbar.Zuvor müssen wir mit den Projekten, in die wir 4 000 zuPflegende einbeziehen, erst einmal schauen, wie derneue Pflegebegriff funktioniert. Bis dahin dynamisierenwir die Leistungen. Auch da wäre mehr möglich gewe-sen; aber 4 Prozent sind 4 Prozent. Wir bringen im Prin-zip so etwas wie ein flexibles Budget bei der Verhinde-rungspflege und der Kurzzeitpflege; das ist etwas, wasan der Basis immer wieder gewünscht wurde. Das istauch ein Vertrauensbeweis gegenüber den Angehörigen,die das Geld dann besser disponieren können, ohne dassjeder Euro genau dokumentiert werden muss.Wir schaffen etwa 20 000 bis 25 000 zusätzliche Be-treuungsstellen. Die Betreuungsstellen – sowohl bei derteilstationären als auch bei der stationären Pflege – sindvon absoluter Bedeutung: Das sind die Stellen, die dafürsorgen, dass die Menschen, die Pflege benötigen, auchwirklich gepflegt werden können, dass die gut ausgebil-deten Pflegekräfte nicht die ganze Zeit mit, ich sage ein-mal, Beobachtungsleistungen wie „Läuft er hierhin,dorthin?“ verbringen, die auch einmal Gespräche führenkönnen, Zeit haben, sich einfach hinzusetzen und mitden zu Pflegenden etwas zu machen. Daher sind die Be-treuungsleistungen von allergrößter Bedeutung. Dass wir
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Dr. Karl Lauterbach
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durch die Veränderung des Schlüssels mindestens20 000 zusätzliche Stellen schaffen, ist eine große Leis-tung. Das wird paritätisch bezahlt. Damit wird unser So-zialstaat in eine Richtung ausgedehnt, wo der größte Be-darf besteht. Dafür möchte ich mich bei allen, die daranmitgewirkt haben, ganz ausdrücklich bedanken.
Ich selbst stehe zu der Schaffung einer Rücklage von1,2 Milliarden Euro; unsere gesamte Fraktion steht zudiesem Beschluss. Das ist keine unsinnige Verwendung.Wir sehen durchaus Bedarf, für die Babyboomer-Gene-ration, die irgendwann als Kollektiv in die Pflegebedürf-tigkeit übertreten wird, Geld zurückzulegen. Jetzt kannman sagen: „Das Geld verzinst sich nicht so gut“; aberes ist besser, man hat auch bei niedriger Verzinsung et-was zurückgelegt, als dass man, wenn man Geld braucht,gar nichts zurückgelegt hat. Somit haben wir dieseRücklage zum „Entsparen“ im Jahr 2035. Das ist etwas,wozu wir gemeinsam stehen; das ist etwas Sinnvolles.Gepaart mit den Verbesserungen der Pflegeleistungenund Investitionen in die Vermeidung von Pflegebedürf-tigkeit durch eine bessere Hausarztmedizin, durch bes-sere Prävention und durch eine bessere Integration derLeistungen machen wir unser Pflegesystem langfristigbezahlbarer und auch leistungsgerechter.Ich komme zum Abschluss auf den Krankenhaussek-tor zu sprechen; da haben wir vieles vor. Wir müssen imKrankenhaussektor aus meiner Sicht in allererster Linieein Problem lösen, das mittelfristig größer sein wird alsjedes andere Problem dort. Dieses Problem ist damit zubeschreiben, dass wir in der Qualifikation und auch inder Zahl in den Krankenhäusern in Deutschland mittel-fristig viel zu wenige Pflegekräfte haben werden.
Insbesondere in der Stationspflege werden wir zu we-nige Pflegekräfte haben. Die Funktionspflege wird nocheinigermaßen funktionieren; aber an der Stationspflegehaben die Krankenkassen meistens kein großes Inte-resse, weil sich das in den Gesamtausgaben nicht wider-spiegelt. Wie die Krankenhäuser die Mittel verwenden,ist der Krankenkasse egal. In den Krankenhäusern sindes oft die Ärzte, die mit den Pflegekräften um Einkünftekonkurrieren und somit im Prinzip den Kuchen dortnoch kleiner machen. Es ist auch so, dass sehr häufigkurzfristig Gewinne gemacht werden, indem in derPflege gespart wird. Dieses Sparen bei der Pflege ist fürdie Patienten sehr gefährlich,
weil es einer der wichtigsten Gründe für vermeidbareKrankenhausinfektionen ist. Vermeidbare Krankenhaus-infektionen, das bedeutet, dass man an etwas erkrankt,was mit der Indikation, wegen der man in die Klinik ge-kommen ist, nichts zu tun hat. Hier werden zum TeilMenschen schwer krank und versterben nach Routine-eingriffen, bei denen niemals mit einer solchen Kompli-kation zu rechnen gewesen wäre. Langfristig werden dieStationen und die Kliniken, wenn wir hier nicht gegen-steuern, zu einem Sicherheitsrisiko für die Patienten.Das müssen wir vermeiden. Bei allen Manövern, die wirbei der Krankenhausreform machen – das sind eineganze Menge –, wird das ein wichtiges Ziel sein müssen.Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, dann gewinnenwir die jungen Leute nicht, die wir für die Pflege brau-chen. Man kann heute nämlich junge Leute mit einer gu-ten Qualifikation, die sich eine Stelle aussuchen können,nicht für einen Beruf gewinnen, der unterbezahlt ist, beidem man sehr stark gestresst und sozusagen vom Burn-out bedroht wird und bei dem man in der Hierarchieganz unten steht. Daher brauchen wir hier die Unterstüt-zung aller im Haus, und ich bin mir sicher, dass wir siezum Schluss auch bekommen werden.In diesem Sinne danke auch ich Ihnen für die vorzüg-liche Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Ekin Deligöz,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn ich mir den Etat 2015 des Gesundheitsministeri-ums anschaue, dann sehe ich vier große Baustellen: Dieerste ist sicherlich die Pflegereform, die zweite ist dieglobale Minderausgabe, die dritte sind die verschiedenenModellmaßnahmen im Drogenbereich, und die vierte– das ist die größte Baustelle überhaupt – ist der Bundes-zuschuss zum Gesundheitsfonds.Durch die Senkung des Beitragssatzes in der GKVfehlen den Kassen schlicht und einfach mehrere Milliar-den Euro. Die Versicherten werden das ausgleichen müs-sen. Immer mehr Kassen – das ist ein großes Thema beidiesem Haushalt – kündigen schon jetzt an, dass sie Zu-satzbeiträge erheben müssen. Zusatzbeiträge bleibenZusatzbeiträge. Man kann sie nicht sozial begründen,sondern das sind zunächst einmal Kosten für die Versi-cherten.Zusätzlich kommen die 2,5 Milliarden Euro hinzu,um die die Regierung den Bundeszuschuss kürzen will,wodurch das Gesundheitssystem noch mehr belastetwird, und das bei gleichzeitigem Anstieg der Ausgabenfür Gesundheit und Behandlung in dieser Gesellschaft,die auch vom demografischen Wandel betroffen ist. Daskann man nicht einfach übergehen, und vor allem kannich nicht aufhören, immer wieder zu sagen: Dieser Bun-deszuschuss ist keine Gefälligkeitszahlung.
Er drückt die Solidarität der Steuerzahler mit den Erzie-henden, den Familien und den Kindern in einem gesetz-lichen Versicherungssystem aus. Es geht hier um die be-rühmten versicherungsfremden Leistungen. Deshalb istdas auch keine Großtat. Weil Sie mit der Kürzung desBundeszuschusses die Mehrbelastung der Versicherten
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Ekin Deligöz
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schlicht und einfach von vornherein geradezu mit anle-gen und nochmals steigern, werden wir hierzu einen Än-derungsantrag stellen, um den Bundeszuschuss auf diegesetzlich vorgesehene Summe aufzustocken.Wer sind die Versicherten? Das will ich auch nocheinmal dazu sagen: Nach der Statistik 2010 hat dieHälfte der Versicherten im gesetzlichen Versicherungs-system ein Monatsbrutto von unter 1 500 Euro, selbstwenn ich die ALG-II-Empfänger herausnehme. Fürdiese Familien sind diese Kosten schlicht und einfachreal vorhanden. Sie müssen sie tragen. Das ist nicht so-zial gerecht. Sozial gerecht wäre eine Entlastung undnicht eine stärkere Belastung.
Ich wünschte mir, Sie hätten gerade in einer solchenPhase, in der es uns gut geht, den Mut, die Haushalts-konsolidierung nicht auf Kosten der Versicherten, son-dern durch strukturelle Reformen anzugehen. Dazu ge-hört auch die Bürgerversicherung. Mir fallen hier nochein paar andere Einzelpläne ein, an die wir sehr wohl he-rangehen könnten, zum Beispiel an den Subventionsab-bau außerhalb Ihres Haushaltes. Diesen Mut vermissenwir aber leider im gesamten Haushalt, durchgehend inallen Einzelplänen.
Schauen wir uns das Beispiel Pflege an. Ja, HerrMinister, wir unterstützen Sie absolut, dass wir hierLeistungsverbesserungen brauchen und dass wir die Be-lange der Pflegebedürftigen und der Angehörigen ernstnehmen müssen. Wir sind komplett bei Ihnen, dass es ander Zeit ist, das Ganze zu überdenken. Sie gehen hier einpaar Schritte an, die wir durchaus mittragen können.Die wichtigen Fragen lassen Sie aber unbeantwortet.Wir brauchen hier eben gerade keine kleinen Schritte,sondern wir brauchen auch hier einen Systemwechselhin zu einer Pflegebürgerversicherung, und wir brauchenauch den neuen Pflegebegriff, weil das die Grundlagedes Wandels ist und nicht am Ende dieses Prozesses ste-hen kann. Deshalb wünschte ich mir, dass Sie hier einbisschen schneller vorangehen würden.
Das, was Sie mit dem Pflegevorsorgefonds vorschla-gen, halte ich für schwierig. Hier will ich als Haushälte-rin argumentieren. Natürlich sagen Sie: Damit bauen wirdem demografischen Wandel ein Stück weit vor. Aufdas, was kommt, müssen wir uns vorbereiten. – Daswird aber nicht funktionieren. Warum wird das nichtfunktionieren? Irgendwann einmal wird der Anteil derMenschen, die versichert sind, zurückgehen. Das giltaber auch für den Anteil der Beitragszahlerinnen undBeitragszahler. Dadurch kommt weniger Geld in dieKasse. Der Beitragssatz wird aber konstant bleiben odervielleicht sogar steigen. Damit haben Sie nicht das er-reicht, was eigentlich erreicht werden sollte.Ihre Idee ist ja, Geld anzusparen, um eine Rücklagezu bilden. Aus den anderen Bereichen in der Politik ler-nen wir, dass angespartes Geld in öffentlicher HandBegehrlichkeiten weckt. Diese Begehrlichkeiten werdenkommen. Die Frage ist, ob Sie das angesparte Geld biszu dem Zeitpunkt, an dem es gebraucht wird, halten kön-nen, ohne den Begehrlichkeiten nachzugeben.Diese Kritik am Pflegevorsorgefonds kommt nichtnur von den Grünen, sondern sie kommt auch aus Ihreneigenen Reihen und von vielen Sachverständigen in denAnhörungen. Ich finde, mit dieser Kritik müssen Sie sichauseinandersetzen. Wenn es um Nachhaltigkeit geht,dann darf eine solche Kritik nicht einfach beiseitege-wischt werden, sondern sie muss ernst genommen wer-den. So wie Sie es machen, wird es nicht funktionieren.
Ich will noch drei weitere Punkte nennen. Der erstePunkt ist die globale Minderausgabe von 6,5 MillionenEuro in Ihrem Haushalt. Das klingt erst einmal nach we-nig Geld, ist es aber nicht. In diesem Haushalt haben Siewenig Spielraum. Um dieses Geld zu erwirtschaften,müssen Sie irgendwo kürzen. Wird das bei der Krebsfor-schung sein? Werden das die Mittel für die chronischKranken sein? Wird die Kürzung womöglich andereModelle treffen? Wie auch immer: Irgendwo wird esschmerzen. Ich hoffe, wir finden einen Weg, wie wir ge-meinsam damit umgehen können.Der zweite Punkt sind die seltenen und vernachlässig-ten Krankheiten. Ich bin froh, dass wir Grüne das Themabereits im Haushalt für 2014 angesprochen haben, undwir werden an diesem Thema konsequent dranbleiben.All das, was über die Ebolaepidemie ausgeführt wird,bestätigt mich darin, dass wir dieses Thema nicht gering-schätzen dürfen. Es ist auch unsere Pflicht als Haushäl-ter, Antworten auf diese Herausforderungen zu findenund zu sehen, was im Bundeshaushalt 2015 dazu mög-lich ist.Der dritte Punkt sind die Drogenmodellmaßnahmen.In den letzten Haushaltsberatungen war es ein Anliegender Grünen, dass die Mittel für diese Projekte nicht ge-kürzt werden. Ich danke Ihnen, Herr Minister, dass Sieunsere Anregungen aufgenommen haben, im BereichCrystal Meth aktiver zu werden und Projekte zu fördern.Die öffentliche Debatte zeigt, dass die Zeit dafür gekom-men ist. Aber – jetzt kommt das große Aber – Sie habenkeine neuen Mittel bereitgestellt, sondern sie mit denMitteln für die Infoknotenstelle im Bereich Sucht zu-sammengelegt. Das ist wirklich mehr als bedauerlich.Deshalb werden wir an diesem Punkt dranbleiben.Mir fallen noch ein paar weitere Punkte auf.
Frau Kollegin Deligöz, bitte kommen Sie zum
Schluss.
Danke, mein letzter Satz. – Bei den ersten beidenPunkten, Bundeszuschuss und Pflege, besteht politischer
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Ekin Deligöz
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Dissens; das wird auch so bleiben. Bei allen anderenPunkten hoffe ich auf eine gute und konstruktive Zusam-menarbeit.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege
Rudolf Henke, CDU/CSU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Worum geht es ei-gentlich, wenn wir einen solchen Haushalt wie den desBundesgesundheitsministeriums diskutieren? Es gehtum genau die Aufgaben, die die Menschen im Gesund-heitsbereich, denen wir für ihre Leistung danken, über-nommen haben: Leben retten, Gesundheit erhalten,Krankheit heilen, Leiden lindern und Sterbenden helfen,so gut es geht.Die Erfüllung dieser Aufgaben zu ermöglichen: Dasgenau ist der Grund dieser Haushaltsberatung. Das ge-nau ist der Zweck der Arbeit des Ministeriums. Das ge-nau ist unsere Aufgabe, wenn wir über diesen Haushaltdiskutieren. An diesen Zielen können und müssen wiruns messen lassen.
Ich weiß, dass wir natürlich mit Recht eine Debatteüber Wartezeiten im Gesundheitswesen führen. Aber ichwill auch sagen, dass in kaum einem anderen Land derWelt die Wartezeiten auf einen Termin für eine notwen-dige Operation so kurz sind wie bei uns.
Ich will auch sagen, dass in kaum einem anderen Landder Welt die Eigenbeteiligung an den Kosten für Ge-sundheit niedriger ist als hier. Ich will auch sagen, dassin kaum einem anderen Land der Welt die Versorgungder Kranken, die auf der Schattenseite der Gesellschaftleben, so zuverlässig wie in Deutschland ist.
Es lohnt sich, sich dafür einzusetzen, dass das in Zukunftso bleibt.
Damit das in Zukunft so bleibt, müssen wir in denRahmenbedingungen einen Dreiklang herstellen. DieserDreiklang besteht aus einer guten wirtschaftlichen Ent-wicklung – gute wirtschaftlicher Entwicklung nützt derLeistungskraft im Gesundheitswesen –, einer guten Be-schäftigungslage – eine gute Beschäftigungslage nütztder Finanzkraft der gesetzlichen Krankenkassen – undstabilen öffentlichen Finanzen. Stabile öffentliche Finan-zen helfen uns dabei, kein Geld mehr in Zinszahlungenzu verbrennen und so zu mehr Spielräumen zu kommen.Weil wir uns dieses Zusammenhangs bewusst sind– stabile öffentliche Finanzen, Wachstum und Beschäfti-gung –, beraten wir heute zum ersten Mal seit 1969 ei-nen Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung, eine Punkt-landung. Dass das ohne steigende Steuern geht und wirdamit ein wesentliches Versprechen erfüllen, ist schonein Grund zur Genugtuung. Ich bin kein Anhänger vonStolz, aber Genugtuung darf in einem solchen Moment,glaube ich, sein.
Wir halten die nationale Schuldenregel mit großemSicherheitsabstand ein. Bis zum Ende des Jahres 2015wird die tatsächliche Neuverschuldung kumuliert umrund 100 Milliarden Euro unter der nach Schuldenregelzulässigen Neuverschuldung liegen. Das ist auch vor-bildlich für andere in Europa.Wenn ich mir als „verflossener“ Abgeordneter desLandtags von Nordrhein-Westfalen einen kleinen Blickdarauf erlauben darf, wie man sich in meinem Heimat-land, wo morgen eine Haushaltsdebatte stattfindet undein Nachtragshaushalt beraten wird, quält, dann stelleich fest: Alleine durch diesen Nachtragshaushalt, der für2014 vorgelegt worden ist, steigt die Neuverschuldungdort von 2,4 auf 3,2 Milliarden Euro. Und mit demHaushalt 2015 kommen nach der Schätzung des dortigenFinanzministers weitere 2,3 Milliarden Euro hinzu.Lieber Herr Kollege Lauterbach: Ja, natürlich magman in Zeiten, in denen sich nicht jede Kostenentwick-lung im Gesundheitsbereich in den Vergütungen bei-spielsweise in den Krankenhäusern abbildet, davon spre-chen, dass manche Krankenhäuser in der Tat aufMehrleistungen, die sie im Zusammenhang mit Arztstel-len erbringen müssen, reagieren, indem sie in der Pflegenicht das tun, was notwendig ist. Aber gestatten Sie mirals jemandem, der das lange mitverfolgen konnte, dochden kleinen Hinweis: Der Hauptgrund dafür, dass esKrankenhäusern finanziell schlecht geht, ist nicht dieTatsache, dass wir hier auf Bundesebene Stop-and-Go-Betrieb bei der Finanzierung der Krankenhäuser haben– das ist auch die Wahrheit, das haben wir ja –, sondernist das Versagen etlicher Bundesländer – Nordrhein-Westfalen gehört leider trotz dieser Schuldenentwick-lung dazu – bei der Investitionsfinanzierung der Kran-kenhäuser.Wenn man sich anguckt, dass heute bei einem Bedarfvon 6 Milliarden Euro 2,7 Milliarden Euro von den Län-dern bereitgestellt werden und die Krankenhäuser ebennicht die Betriebskosten durch Abschreibungen für dieInvestitionen ausgleichen können, dann ist das, findeich, eine Aufgabe, der wir uns dann, wenn im Dezemberdie Vorschläge aus der Bund-Länder-Kommission kom-men, widmen müssen. Das werden wir sicherlich auchtun. Ich bin froh, dass die Durchsetzungsstärksten vonuns und diejenigen, die am besten unterrichtet sind– dazu gehören ja auch Sie, Herr Lauterbach –, dort mit-wirken. Das ist sehr gut.
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Rudolf Henke
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Zehn Jahre nach dem Rekordschuldenstand in Höhevon damals 8,3 Milliarden Euro steht die gesetzlicheKrankenversicherung, verehrte Frau Deligöz, weiter aufeinem sehr soliden finanziellen Fundament. Und der Ge-sundheitsfonds und die Krankenkassen verfügen amEnde des ersten Halbjahres über Reserven in einer Grö-ßenordnung von insgesamt rund 26,6 Milliarden Euro –16,2 Milliarden Euro bei den Krankenkassen und10,4 Milliarden Euro beim Gesundheitsfonds.Ich habe zwar Verständnis dafür, dass Sie versuchen,immer wieder an etwas zu mäkeln, aber in Wirklichkeitsind doch der Gesundheitsfonds und die Liquiditätsre-serve so ausgestattet, dass es nicht etwa wegen der Haus-haltstechnik zu steigenden Beiträgen kommt, sonderndas führt lediglich zu einem Schwanken der vorhande-nen Reserve. Das zeigt die Stabilität einer Finanzarchi-tektur, für die wir alle gemeinsam sehr viel getan haben.Ich finde, Sie streuen den Menschen an dieser Stelle einbisschen Sand in die Augen und locken sie auf einen Irr-weg.
Meine Damen und Herren, unser Bundesminister fürGesundheit, Hermann Gröhe, hat auf Vorhaben hinge-wiesen, die wir als Gesetzgeber im nächsten Jahr undschon beginnend im nächsten halben Jahr diskutierenwerden. Dabei geht es um die Frage der Versorgungs-struktur, die Frage des Megathemas Krankenhaus, dieaktuell wird, wenn die Bund-Länder-Kommission ihreErgebnisse vorlegt, und die E-Health-Thematik.Ich will auf einen Punkt aufmerksam machen, der mirbesonders am Herzen liegt. Das ist das Thema Präven-tion; denn Prävention, und zwar sowohl Verhaltensprä-vention als auch Verhältnisprävention, ist von einer zen-tralen Bedeutung. Vielleicht ist sie die einzige Chance,künftige Kostenbelastungen, die wir sonst hätten, zu ver-meiden – wenn es uns gelingt, die Menschen für Präven-tion zu gewinnen und sie ihnen so zu organisieren, dasssie sie tatsächlich nutzen. Ich glaube, das ist der eigentli-che Auftrag, wenn wir über das Präventionsgesetz spre-chen.Meine letzte Bemerkung. Wir werden im Laufe derkommenden Monate auch über das Thema der Suizid-assistenz sprechen. In der Debatte zum Justizhaushaltheute hat jemand gesagt: Wenn wir dieses Thema be-kommen, dann soll man das nicht mit ethischen Grund-satzfragen überladen.
Das mag zwar alles so sein, aber ich glaube, es ist trotz-dem wichtig, sich auch darauf zu besinnen, ob das Lebenin des Menschen Hand gegeben ist, ob wir das Leben er-werben wie ein Gut, das in unser Eigentum rückt. Nie-mand verdankt sein Leben sich selbst. Weil das so ist,liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Her-ren, glaube ich auch nicht, dass das Leben – weder daseigene noch das fremde – in unsere eigene Verfügunggegeben ist. Deswegen, finde ich, gehört auch das zu ei-ner solchen Debatte.Ich bedanke mich sehr, dass Sie mir zugehört haben.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Pia
Zimmermann, Fraktion Die Linke.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich selber habe viele Jahre in der Pflegegearbeitet, und ich habe in den letzten Wochen und Mo-naten viele Pflegeeinrichtungen besucht und mit denKolleginnen und Kollegen, aber auch mit den Pflegebe-dürftigen und den Angehörigen gesprochen. Drei ganzgravierende Punkte sind mir dabei immer wieder aufge-fallen: Erstens klagen alle über zu wenig Zeit für gutePflege und zweitens darüber, dass es einen Mangel anSelbstbestimmung darüber gibt, was mit dem zu Pfle-genden oder der zu Pflegenden getan wird. Der drittePunkt war die unzureichende und unübersichtliche ge-samte Pflegeinfrastruktur in unserem Land.Herr Minister Gröhe, Sie müssen, denke ich, Ihrenpflegepolitischen Leitsatz überdenken. Sonst wird esweiter so sein, dass diese Bundesregierung die Pro-bleme, die wir in der Pflege haben, nicht anpackt. DennIhr sogenanntes Pflegestärkungsgesetz ist eine Mogelpa-ckung.
Die Leistungen der Pflegeversicherung werden nämlichfaktisch nicht erhöht, sondern nur an die Kostenentwick-lung der letzten Jahre angepasst, und das auch nochschlecht. Das, was Sie jetzt machen, ist ein Nachholendessen, was in den letzten Jahren versäumt wurde. Einequalitative Verbesserung der Pflege ist dabei nicht he-rausgekommen. Das, Herr Minister Gröhe, ist eine Pfle-gepolitik, die ziemlich fahrlässig ist.
Ich bin auch der Meinung, dass die Alarmsignale, diewir haben, längst bei Ihnen angekommen sein müssen.Denken Sie doch an die vielen Überlastungsanzeigenvon Pflegekräften. Ihre Zahl steigt, und sie zeigt, wieüberlastet die Menschen in diesem Beruf sind. Oder neh-men Sie die Verweildauer in den Pflegeberufen, die sie-ben Jahre kaum übersteigt. Das muss uns doch deutlichmachen, dass die Menschen, die in der Pflege arbeiten,am Limit sind, weil Personal fehlt, der Arbeitsdrucksteigt und sie ihre Arbeit nicht mehr so machen können,wie sie es in der Ausbildung gelernt haben. Hinzukommt noch, dass sie am Ende schlecht bezahlt werden.In diesem Zusammenhang möchte ich ganz ausdrück-lich meine wirklich starke Empörung darüber zum Aus-druck bringen, dass der Betreiber des Seniorenheimes„Haus der Geborgenheit“ im Kreis Recklinghausen, dieMantra Sozial GmbH, elf Pflegerinnen gekündigt hat,die eine Überlastungsanzeige geschrieben haben. Sogeht es nun wirklich nicht.
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Pia Zimmermann
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Aber solange Pflege dem Wettbewerb und dem Profit-streben ausgesetzt ist und Wohlbefinden und gute Ver-sorgung nicht zählen, wird sich hier nichts ändern. DerZusammenhang zwischen der Personalsituation und derVersorgungsqualität ist bekannt. Somit ist eines klar: Wirbenötigen endlich höhere Pflegesätze für eine bessere Fi-nanzierung der professionellen Pflege.Das allein aber reicht nicht. Wir benötigen ebensoeine bundeseinheitliche, verbindliche Personalausstat-tung in der stationären Altenpflege. Die bestehende mas-sive Unterdeckung darf nicht länger zulasten der Ange-stellten, der Pflegenden, der Patienten und der Menschenmit Pflegebedarf gehen. Viele Pflegebedürftige habenmir gesagt, dass sie ihr Selbstbestimmungsrecht in ganzvielen Fällen nicht mehr wahrnehmen können. Ich willdas an dem Beispiel einer 92-jährigen Heimbewohnerin,die ich getroffen habe, deutlich machen. Mit Unterstüt-zung wäre sie sehr wohl in der Lage, ihren Toilettengangallein zu bewältigen. Das kann sie aber nicht, weil diepersönliche Assistenz, die sie dazu benötigt, aus Zeit-gründen fehlt. Wie wird nun verfahren? Es wird auf In-kontinenzeinlagen ausgewichen. Damit kann die Frau imBett bleiben und braucht nicht mehr zur Toilette ge-bracht zu werden. Das sind skandalöse Zustände. Dassind Auswirkungen einer verfehlten Pflegepolitik derletzten Jahre.
Gute Pflege achtet die Würde der Pflegebedürftigen.Dieser Grundsatz muss endlich Eingang in Ihre Politikfinden.
Meine Damen und Herren, am 21. September jährtsich der Welt-Alzheimertag zum 20. Mal. An diesemTag soll auf die schwierige Situation von Menschen mitdemenziellen Erkrankungen und ihren Familien auf-merksam gemacht werden. Dieser Tag soll auch daraufaufmerksam machen, dass diese Situation veränderbarist. Sie ist veränderbar durch politisches Handeln. Dieetwa 1,5 Millionen an Demenz erkrankten Menschenwerden aber weder in diesem Jahr noch im nächsten Jahrin der Pflege mehr Unterstützung erfahren, jedenfallsnicht so viel Unterstützung, wie sie tatsächlich brauchen,um ihr Leben würdevoll zu gestalten. Ob überhaupt nochetwas in dieser Legislaturperiode geschieht, steht in-frage. Denn wenn es Ihnen mit einer vollumfänglichenPflege tatsächlich ernst wäre: Warum haben wir dannnicht schon die gesetzlichen Grundlagen für die Einfüh-rung des neuen Pflegebegriffs, der den demenziell Er-krankten gerecht wird und sie angemessen erfasst? Ichwill Ihnen gleich die Antwort darauf geben. Das passiertnicht, weil diese grundlegende Neuausrichtung derPflege zu teuer ist. Herr Minister Gröhe, eines ist dochklar: Gute Pflege kostet nun einmal Geld; es gibt sienicht zum Nulltarif.
Die geplante Erhöhung der Beitragssätze reicht bei wei-tem nicht aus.
Unser Konzept der solidarischen Bürgerinnen- undBürgerversicherung schafft eine gute Finanzierungs-grundlage und entlastet zudem Bezieher niedriger undmittlerer Einkommen und nimmt gleichzeitig Bezieherhoher Einkommen in die Verantwortung. Haben Sie end-lich den Mut, mit einer gerechten Pflegefinanzierung diebestehenden Missstände aufzuheben und zu einer guten,auskömmlichen Pflege zu kommen! Haben Sie den Mut,die Chefärztin und die Pflegekraft entsprechend ihrenEinkommen an der Finanzierung der Pflegeversicherungzu beteiligen! Kommen wir also zu einer Ausweitungder Beitragspflicht auf alle Einkommen und Einkom-mensarten! Wir sollten zusätzlich zu den Löhnen die Un-ternehmensgewinne und die Kapitalerträge einbeziehenund die Beitragsbemessungsgrenze abschaffen. Daswäre eine gerechte Angelegenheit. Zudem dürfen wir dieIntegration der privaten Versicherung in die soziale Pfle-geversicherung nicht vergessen. Dass das möglich ist,haben wir schon bei einer anderen Versicherungsart ge-lernt. Sie brauchen also nicht zu behaupten, dass dasnicht möglich sei.
Frau Kollegin Zimmermann, bitte kommen Sie zum
Schluss.
Ich komme zu meinem letzten Satz. – Wir, die Linke,
sind die Partei der Pflegegerechtigkeit. Wir fordern Sie
auf, Herr Minister Gröhe: Packen Sie das Problem der
Pflege endlich ernsthaft an; denn gute Pflege ist ein
Menschenrecht.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die SPD hat jetzt das Wort Petra
Hinz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister Gröhe! Liebe Frau Staatssekretärin undBeauftragte des Ministeriums! Ich fange fast jedes Malmeine Rede gleich an, zumindest in diesem Jahr, weilwir zwei Haushalte zu beraten haben. Ich bin immerwieder sehr erstaunt darüber, dass, obwohl wir hier fastgebetsmühlenartig erklären, welche Auswirkungen derGesundheitsfonds hat und was wir im Bereich der Pflegeauf den Weg gebracht haben, dieses nicht positiv zurKenntnis genommen wird. Es geht mir nicht darum, dassuns recht gegeben wird, sondern in diesem Fall mussman zur Kenntnis nehmen, was richtig ist.
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Petra Hinz
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Frau Zimmermann, ich beziehe mich jetzt auf Sie, ichkönnte mich aber auch auf Frau Deligöz von den Grünenbeziehen. Etwas einfach nur zu skandalisieren oderDinge zu überzeichnen, halte ich für falsch. Sie wollendie Dinge nicht positiv würdigen. Sie haben gesagt, diePflegepolitik sei fahrlässig, und Sie haben noch andereskritisiert. Das hat eine fatale Wirkung, weil Sie all dasmit Ihrer Kritik überdecken, was von uns tatsächlich aufden Weg gebracht worden ist, was den Menschen Chan-cen eröffnet, und zwar denen, die gepflegt werden, unddenen, die pflegen. Diese Menschen werden in Zukunftdarüber informiert, welche Möglichkeiten sie haben undwelche Rechte sie bekommen.Bringen Sie sich bitte in den parlamentarischen Dia-log ein, wenn es auch negative Einzelfälle gibt, die zukritisieren sind. Nehmen Sie aber auch zur Kenntnis,dass die Pflegepolitik, die diese Koalition auf den Wegbringt, weder fahrlässig noch sonst irgendetwas in dieserArt ist.
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die Einrichtung desGesundheitsfonds nicht dazu führen wird, dass die Kas-sen geplündert werden. Ganz im Gegenteil: Das Geld,das jetzt nicht benötigt wird, wurde in den Haushalt ein-gestellt, um in anderen Bereichen investieren zu können.Das ist auch richtig so.
Ich habe im Rahmen der Haushaltskonsolidierungmeiner Stadt, Essen, etwas sehr deutlich gemacht – dasmache ich jetzt auch hier –, nämlich dass Konsolidierung,Einsparung oder der Verzicht auf Neuverschuldung nichtdas oberste Ziel sind. Das ist auch nicht unbedingt das,was gute Politik ausmacht. Aber Geld einzusparen undauf Neuverschuldung zu verzichten, ergibt doch dannSinn, wenn man die eingesparten Mittel für andere Pro-jekte verwendet und damit zur Schaffung von sozialerGerechtigkeit beiträgt.Gerade im Gesundheitsbereich geht es oft um Quer-schnittsthemen. Ich bin sehr froh darüber, dass wir mehrin die Bildung investieren. Wir haben es in dieser Koali-tion geschafft, das Programm „Soziale Stadt“ wieder mitmehr Geld auszustatten. Wir investieren Geld, um Um-weltschäden zu verhindern. Ich nenne als Beispiel dieSanierung von Bahnschienen zur Lärmreduzierung oderandere Maßnahmen, die vor Verkehrs- oder Fluglärmschützen.Warum sage ich das? Investitionen in Bildung habengerade im Gesundheitsbereich große Auswirkungen. Esgibt einschlägige Literatur, die deutlich macht, dass ge-rade die Menschen, die ausgebildet, informiert und auf-geklärt sind, wesentlich gesundheitsbewusster als andereMenschen sind und mehr für ihre Gesundheitsvorsorgetun. Insofern ist die Investition in Bildung und Aufklä-rung genau die richtige Investition.Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, dassdie Pflegepolitik fahrlässig sei. Frau Zimmermann, es istgerade von meinen Fachkollegen sehr ausführlich, aberauch vom Minister deutlich dargelegt worden, welcheDinge in diesem Jahr noch angegangen werden sollen.Wir als Haushälter haben die Aufgabe, all das, was dieFachpolitiker und auch das Ministerium im Laufe desJahres auf den Weg bringen, nachzuvollziehen und dafürzu sorgen, dass das auch tatsächlich im Haushalt umge-setzt wird. Weil das inhaltlich schon diskutiert wurde,belasse ich es jetzt bei der Aufzählung von Spiegelstri-chen.Den Alltag der zu Pflegenden und der Pflegerinnenund Pfleger zu verbessern – das wird auf den Weg ge-bracht. Die Pflege muss genauer bzw. auf den Punkt ab-gestimmt werden – auch das sieht das Gesetz vor. Wirwerden die Leistungen verbessern; auch das steht im Ge-setz, und das ist mehrfach hier beschrieben worden. Wiegesagt, werden auch die pflegenden Angehörigen ge-stärkt. Jeder, der schon einmal Angehörige gepflegt hat,mitbekommen hat, wie Familienmitglieder gepflegt wer-den, oder schon einmal Pflegeheime aufgesucht hat, umsich zu informieren, weiß, was dort geleistet wird. Des-wegen ist dieser Punkt ganz besonders wichtig.Diejenigen, die pflegen, ob es nun Angehörige oderMitarbeiter in Pflegeheimen sind, brauchen – auch da-rüber ist schon berichtet worden – wesentlich mehr Zeit.Auch dem wird im Gesetzentwurf Rechnung getragen.
Der Einzelplan 15, Gesundheit, ist ein Querschnitts-haushalt: Er umfasst den Bereich Pflege und Ausbildungsowie die Veränderung des Berufsbildes. Dabei geht esnicht nur um das Berufsbild des Pflegers, sondern auchum die medizinischen Veränderungen und die damit ver-bundenen Auswirkungen auf die Ausbildung. Durch denEinzelplan 15, aber auch durch den Einzelplan 30, Bil-dung und Forschung – er betrifft das Ressort von FrauWanka –, wird vieles auf den Weg gebracht.Zu den Eckdaten des Regierungsentwurfs, über wel-chen wir in den nächsten Wochen und Monaten zu bera-ten haben: Der Haushaltsentwurf umfasst für den Ge-sundheitsetat Gesamtausgaben von rund 12,1 MilliardenEuro. Für gesundheitspolitisch relevante Maßnahmensind rund 78,3 Millionen Euro veranschlagt. Das ist ei-gentlich die Summe, über die wir im Einzelnen zu spre-chen haben. Da geht es um Forschungsvorhaben. Dageht es um Modellprogramme. Da geht es um Maßnah-men zur gesundheitlichen Aufklärung. Gerade in diesemBereich muss weiter investiert werden. Es geht um Kam-pagnen zur Information der Bevölkerung. Außerdemgeht es um folgenden wichtigen Punkt – ich bin demHerrn Minister sehr dankbar dafür, dass er es angespro-chen hat; ich denke, ich sage das stellvertretend für vielevon uns –: um die Frage Ebola und darum, inwieweit dasRobert Koch-Institut hierbei international gefragt ist. Essei an dieser Stelle allen Helferinnen und Helfern dank-gesagt.Eins werde ich Ihnen als Hauptberichterstatterin fürden Einzelplan des Ministeriums für Gesundheit zusa-gen: Das Protokoll dieser Sitzung, das heute angefertigtwird – mit allen Vorwürfen, mit allen unzutreffenden,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014 4537
Petra Hinz
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aber auch zutreffenden Hinweisen und Anregungen –,werden die Berichterstatter in ihrem nächsten Gesprächgerne auswerten. Alle aufgeworfenen Fragen werden wirschlussendlich klären. Ich habe die Hoffnung, dass in derabschließenden Plenardebatte gegen Ende des Jahresnicht wieder Dinge behauptet werden, die eindeutignicht stimmen.Wir haben im zurückliegenden Haushalt 2014, denwir erst vor kurzem verabschiedet haben, zum BeispielModellmaßnahmen zur Förderung der Kindergesund-heit berücksichtigt. Wir haben den entsprechenden Be-trag im Haushaltsentwurf 2015 auf 1 Million Euro ange-hoben. Wir müssen genau nachfragen, was im Einzelnenvorgesehen ist. Insgesamt erwarte ich vom Ministerium,dass uns bezüglich der Modellmaßnahmen wirklich imDetail dargelegt wird, welche Maßnahmen auf den Weggebracht worden sind, welche Maßnahmen auf den Weggebracht werden, welche Evaluierungen vorliegen, so-dass wir bzw. der Fachausschuss dann tatsächlich mitar-beiten können.Im zurückliegenden Haushalt haben wir gewährleistet– das war mir ein sehr wichtiges Anliegen –, dass die fi-nanzielle Unterstützung von durch Blutprodukte HIV-in-fizierten Personen – es geht also um Menschen, die un-verschuldet in eine lebensbedrohliche Situationgekommen sind – mit 10 Millionen Euro zumindest biszum Jahr 2017 in der bisherigen Form fortgeführt wird.Das heißt nicht, dass darüber hinaus Finanzierungen vonuns gewährleistet werden. Sie haben zugesagt, dass Siesich mit den Vertretern der Länder, des DRK und derWirtschaft weiterhin an einen Tisch setzen, um zu einerzufriedenstellenden Regelung zu kommen. Ich möchteSie bitten, darauf im Berichterstattergespräch aufmerk-sam zu machen und darüber zu informieren.Auch internationale Beziehungen sind hier angespro-chen worden. Ich möchte in diesem Zusammenhang aufdie WHO verweisen, zu deren Finanzierung wir als dritt-größter Beitragszahler einen nicht gerade unerheblichenBeitrag leisten. Um einmal zu zeigen, wie nah uns dieWHO ist: Im Oktober trifft sich das Gesunde-Städte-Netzwerk; Vertreter von Kommunen und Städten ver-schiedener Länder treffen sich, um sich auszutauschen.Zwei Themen stehen dabei eigentlich im Vordergrund.„Pflege und Gesundheit“ ist auch ein kommunalesThema. Insofern müssen auch wir hier darauf achten,dass wir die Kommunen in den Bund-Länder-Beziehun-gen mitnehmen.
Jetzt liegt der Gesetzentwurf vor. Wir können mit derArbeit beginnen. Ich habe von den Fachkolleginnen und-kollegen meiner Fraktion schon einige Hinweise be-kommen, welche Punkte im Einzelplan jetzt offensicht-lich nicht zu finden sind, obwohl sie gesellschaftsrele-vant sind und in verschiedenen Organisationenübergreifend diskutiert werden. Auch hier werden wirnatürlich sehen, inwieweit wir dies im Haushaltsgesetzentweder explizit erwähnen oder aber neu veranschlagenwerden.Ich habe gerade die WHO genannt. Die Frage ist: Wiedefiniert man Gesundheit? Gesundheit kann ja nicht nurdie Abwesenheit von Krankheit sein. Die WHO hat be-reits 1948 den Begriff „Gesundheit“ ganz klar definiert:Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen kör-perlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens undnicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebre-chen.In diesem Sinne wünsche ich uns eine gute Beratung,auf dass die Menschen, die unsere Unterstützung brau-chen, sich in unserem Einzelplan, in unserem Haushaltwiederfinden.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Harald Terpe,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Trotz kranker Krankenhäuser heilt der Gesundheits-fonds den Bundeshaushalt.“ So könnte eine Ihrer ge-sundheitspolitischen Botschaften zur ersten Lesung desBundeshaushalts lauten.Frau Hinz, Sie haben gesagt, wir skandalisierten. Dasmuss ich in aller Form, jedenfalls für die Bündnisgrünen,zurückweisen, zumal unsere Kollegin Deligöz gesagthat, auf welchen Feldern wir zusammenarbeiten.Ich möchte an der Stelle auch Kollegen Henke an-sprechen, der zu uns gesagt hat, wir würden den Men-schen Sand in die Augen streuen, wenn wir sagen, dass2,5 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds genom-men werden; denn diese würden doch nur aus der Rück-lage genommen. Aber wenn die Rücklage zu groß ist,gehören die Rücklagegelder zunächst einmal der Ge-sundheitspolitik, und man kann sie für Verbesserungenin den Gesundheitsstrukturen verwenden. Man kannauch sagen: Es sind Beitragsgelder; sie gehören den Bei-tragszahlern.
Insofern kann man nicht einfach sagen, wir würden denMenschen Sand in die Augen streuen.Ich werde am Beispiel der Krankenhäuser nachzuwei-sen versuchen, wo wir das Geld gut verwenden können.Nicht jedes Krankenhaus, aber zunehmend mehr Kran-kenhäuser sind finanziell und/oder personell oder struk-turell erkrankt. Es ist beileibe nicht so, dass für alle dieseSachen die Bundespolitik zuständig ist. Das klang auchbei Herrn Henke schon an, der gefragt hat: Wie ist denndas mit der Investitionsfinanzierung? – Darauf werdenwir zurückkommen.Jedenfalls ist es so, dass wir uns in der Problem-analyse wahrscheinlich gar nicht so groß unterscheiden.Es ist auch richtig, dass unter Leitung des Gesundheits-ministers eine Arbeitsgruppe für die Krankenhäuser ins
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4538 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Dr. Harald Terpe
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Leben gerufen worden ist, in der solche Probleme hof-fentlich angesprochen werden. Es war hier die Rede da-von, dass die durchsetzungsstärksten Parlamentarier da-ran teilnehmen. Wir sind nicht daran beteiligt, aber dasist auch nicht so schlimm, wenn denn die durchsetzungs-stärksten, die daran beteiligt sind, auch die richtigensind.
Die Problemanalyse zeigt, dass in den Krankenhäu-sern Betriebsmittel zweckentfremdet werden, beispiels-weise für die Investitionsfinanzierung. Was hat das zurFolge? Das hat zur Folge, dass ein Druck auf die Perso-nalstellen bei der Pflege entsteht. Das wissen wir alle: Esgibt viel zu wenig Pflegestellen. Der Kollege Lauterbachhat es auch berichtet. Ich stimme ihm ausdrücklich darinzu, dass wir ein Problem haben werden.Es ist aber nicht so, dass das Problem dadurch ent-steht, dass letztendlich eine Konkurrenz zwischen ärztli-chen und Pflegestellen vorhanden ist, was die Bezahlungbetrifft, sondern es ist auch an dieser Stelle wieder dieInvestitionsfinanzierung, die den Krankenhäusern fehlt.
Es gibt mehrere namhafte Beispiele aus der Bundesrepu-blik dafür, dass direkt gesagt wird: Wenn wir weiter in-vestieren, wird das bei uns auf Kosten von Pflegestellenpassieren. – Ich nenne da einmal den Fall Freiburg, wodas anschaulich wurde.Wir haben einen Investitionsstau von 3 MilliardenEuro oder sogar mehr pro Jahr. Seit mindestens siebenJahren wird das diskutiert. Schon in der letzten GroßenKoalition war das der Fall. Da müssen wir Abhilfeschaffen. Wir haben Unter-, Über- und Fehlversorgungim Krankenhausbereich. Ich bin dem Minister dankbar,dass er das Problem für den ambulanten Bereich schonangesprochen hat. Aber das gilt natürlich auch für denKrankenhausbereich. Ich sage Ihnen voraus: Versichertewollen nicht Über- und Fehlversorgung subventionierenund dann vielleicht sogar von Unterversorgung betroffensein. An der Stelle muss etwas geschehen.
Es ist auch eine Folge unserer Krankenhauspolitik,dass wir eine Arbeitsverdichtung in den Krankenhäusernhaben. Es sind nicht nur die Pflegekräfte, die eine Ar-beitsverdichtung haben. Wir treffen zunehmend auchjunge Kollegen, denen es wirklich reicht. Ärztliche Kol-leginnen und Kollegen sagen: Jeden Tag wird etwas vonder Leistungsstatistik in den Krankenhäusern erzählt, da-mit die Defizite, die in den Krankenhäusern bestehen,ausgeglichen werden.Ich möchte bei dem Beispiel der Unterversorgungbleiben. Hier könnte der Schlüssel für die dringend be-nötigte Reform der Versorgungsstruktur liegen, alleinschon aus der Not geboren. Stationäre und ambulanteVersorgung dürfen nicht mehr isoliert betrachtet werden.Deswegen wundert es mich, dass das Strukturgesetzschon im Herbst kommt, obwohl die Gespräche über dieKrankenhausversorgung noch nicht abgeschlossen sind.Für uns gehört das im Grunde genommen zusammen. InIhrem Koalitionsvertrag wurde es noch isoliert betrach-tet. Ich höre jetzt aber auch vom Minister die Einschät-zung, dass man das zusammen sehen muss.Wir Bündnisgrünen schlagen eine sektorenübergrei-fende Versorgungsplanung vor, und zwar nicht zum ers-ten Mal. Dazu wollen wir das gemeinsame Gremiumnach § 90 a SGB V aufwerten. Im ersten Schritt, viel-leicht als Modell gedacht, könnte das bedeuten, dass derSicherstellungsauftrag bezüglich der medizinischen Ver-sorgung in unterversorgten Regionen oder von Unterver-sorgung bedrohten Regionen auf dieses Gremium über-geht. Das wäre insofern gut, als dann schon dieKommunikation geübt würde, die man beispielsweisezur Beantwortung der Frage braucht: Beteiligt sich diegesamte bundesrepublikanische Gesellschaft an der In-vestitionsfinanzierung? Da würden wir niemals einenBlankoscheck ausstellen wollen, damit nur die Länder-haushalte entlastet werden, sondern mit diesen Mittelnwollen wir auch die Strukturreform vorantreiben, dieÜberversorgung in den Griff bekommen und eine ge-meinsame Versorgungsplanung aufgrund konkreter Be-darfsplanung in den Regionen installieren. Aus diesemGrund sagen wir: Wir müssen Gremien schaffen, dieverantwortungsvoll mit den Mitteln umgehen.
Hier schließt sich der Kreis, und wir sind wieder beimBundeshaushalt; denn es sollen Gelder aus dem Gesund-heitsfonds zur Haushaltssanierung verwendet werden.Das macht aber Versicherungsgelder zur Verschiebungs-masse; denn sie sollen genutzt werden, um Steuerlöcherzu stopfen. Das darf man nicht wegdiskutieren. Darüberhinaus stellen wir Gesundheitspolitiker nicht sicher, dassdie Investitionsquote gesteigert wird, sondern sie bleibtgenauso gering wie im Bundeshaushalt insgesamt. Dasmüssen wir ändern.In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussion,auch im Zusammenhang mit dem Haushalt. Wir betonennoch einmal, dass wir auf jeden Fall konstruktiv mitar-beiten werden.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege
Irlstorfer, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kolle-gen! Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf desHaushaltsgesetzes 2015. Mit dem Entwurf, den Bundes-finanzminister Dr. Schäuble heute Vormittag eingebrachthat, setzen wir auch in Europa ein Zeichen, indem wir in
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014 4539
Erich Irlstorfer
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2015 ohne Neuverschuldung auskommen werden.Gleichzeitig möchte ich darauf hinweisen, dass ein aus-geglichener Haushalt keine Selbstverständlichkeit dar-stellt und naturgemäß eine starke Wirtschaftsleistung vo-raussetzt. Aus diesem Grunde möchte ich unterstreichen,dass wir uns strukturell auch weiterhin auf die wandeln-den Bedingungen auf dem Weltmarkt, in der Informa-tionstechnologie, in Wissenschaft und Forschung vo-rausschauend einstellen müssen. Wissenschaft undForschung sind Kernbereiche einer zukunftsorientiertenWirtschaftspolitik, aber auch einer sich ständig entwi-ckelnden Gesundheits- und Pflegepolitik. AusreichendeMittel für diese Bereiche müssen auch weiterhin einenEckpunkt unserer Haushaltspolitik darstellen.Im Gesundheitsbereich sind zur Verbesserung derVersorgung, aber auch zur Begrenzung der Kostensteige-rungen weitergehende Anstrengungen in der Versor-gungsforschung und die Förderung von Innovationennötig. Der geplante Innovationsfonds hat zwar viele Be-gehrlichkeiten geweckt; aber unter der Bedingung einerumsichtigen Mittelvergabe bin ich zuversichtlich, dasser ein zielführendes Instrument für die wissenschaftlichfundierte Ausgestaltung des künftigen Gesundheitswe-sens darstellt.
Mit dem für die nächsten Monate geplanten Gesetz zurVerbesserung der Versorgungsstruktur werden wir hier-für die Voraussetzungen schaffen.In der gesetzlichen Krankenversicherung steigen dieAusgaben bekanntlich schneller als die Einnahmen. Diesist vor allem auf den demografischen Wandel, aber auchschlicht und ergreifend auf Leistungsverbesserungen zu-rückzuführen,
die wir alle natürlich wollen und auch befürworten. Eine,wenn auch nur vorübergehende, Kürzung des Bundeszu-schusses 2014 und 2015 ist vor dem Hintergrund derLeistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitswesensauch Ausdruck einer erfolgreichen Gesundheitspolitik.Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir mit demHaushaltsentwurf für 2015 eine Reihe moderater Mittel-erhöhungen planen, etwa für Aufklärungsmaßnahmenauf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchssowie für Modellmaßnahmen und Forschungsvorhabenauf diesem Gebiet. Wir wollen den im Haushalt 2014erstmals eingesetzten Betrag von 3 Millionen Euro fürPflegekampagnen in derselben Höhe auch 2015 für dieMobilmachung nutzen.
Mit dem GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiter-entwicklungsgesetz haben wir nicht nur den Grundsteinfür das neue Qualitätsinstitut gelegt, sondern wir habenauch den Krankenkassen das Recht zurückgegeben, dieHöhe ihrer Beitragssätze festzulegen.Mit den Pflegestärkungsgesetzen werden wir auch inder Pflegeversicherung substanzielle Änderungen vor-nehmen. Die im Koalitionsvertrag vereinbarten Erhö-hungen des Beitragssatzes zunächst um 0,3 und dann um0,2 Prozentpunkte stecken den finanziellen Rahmen un-serer ambitionierten Pflegepolitik in dieser Wahlperiodeab. Mit dem Pflegevorsorgefonds streben wir bekannter-maßen eine Abmilderung der finanziellen Konsequenzendes demografischen Wandels in der Pflegeversicherungan. Wir werden das Leistungsvolumen der Pflegeversiche-rung in dieser Wahlperiode also um insgesamt 5 Milliar-den Euro pro Jahr – das heißt um mehr als 20 Prozent –erhöhen, und wir beginnen damit nicht irgendwann, son-dern sofort zum 1. Januar 2015.
Mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz wird eineReihe notwendiger Schritte unternommen:Wir werden Unterstützungsleistungen wie Kurzzeit-,Verhinderungs-, Tages- und Nachtpflege erweitern undsie besser miteinander kombinierbar machen. Damit wer-den Pflegebedürftige und pflegende Angehörige glei-chermaßen entlastet.Menschen in der Pflegestufe 0, vor allem Demenz-kranke, erhalten erstmals Anspruch auf Tages-, Nacht-und Kurzzeitpflege.Wir werden die Rahmenbedingungen der sogenann-ten niedrigschwelligen Angebote verändern. Es werdenneue zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungeneingeführt, etwa für Hilfe im Haushalt oder Alltagsbe-gleiter und ehrenamtliche Helfer.Besonders wichtig ist aber auch folgender Punkt: DerZuschuss für Umbaumaßnahmen steigt von bisher2 557 Euro auf jetzt 4 000 Euro pro Maßnahme. Mit ei-nem rechtzeitigen Umbau können die Menschen derNotwendigkeit der stationären Pflege oftmals vorbeugenund länger in ihren eigenen vier Wänden bleiben. In ei-ner Pflege-WG zum Beispiel kann sogar ein Betrag vonbis zu 16 000 Euro eingesetzt werden. Für Pflegehilfs-mittel des täglichen Verbrauchs steigen ebenfalls die Zu-schüsse. Die Bedeutung dieser Zuschüsse dürfen wirnicht unterschätzen.
Mit der zweiten Stufe der Pflegereform werden wirdann bis 2017 einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffeinführen. Dies ist notwendig, da der bisherige Pflegebe-dürftigkeitsbegriff rein somatisch ausgerichtet war, nunaber auch andere wesentliche Aspekte wie Kommunika-tion und soziale Teilhabe berücksichtigt werden. Damitwerden insbesondere Verbesserungen für Menschen mitDemenz oder psychischen Problemlagen einhergehen.Ich möchte im Rahmen der Finanzdebatte allerdingsdaran erinnern, dass zwischen Bund und Ländern geradein Finanzierungsfragen noch Diskussionsbedarf in zweiBereichen besteht: erstens in der Krankenhausfinanzie-rung und zweitens in der Finanzierung der Reform derPflegeausbildung. Wir als Union und gerade auch als
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4540 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Erich Irlstorfer
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CSU sind der Überzeugung, dass unsere Antwort aufFachkräftemangel in den Pflegeberufen nicht Schulgeld,sondern Schulmittelfreiheit und attraktive Rahmenbe-dingungen heißen muss.
Wir werden in den nächsten Wochen darüber diskutie-ren, wie wir die Pflegeberufe modernisieren und zu-kunftsfähig machen, damit wir der täglich steigendenZahl an Pflegebedürftigen in den privaten Haushalten,aber auch in den stationären Einrichtungen sowie in un-seren Kliniken bestmöglich qualitativ begegnen.
Ich möchte auch ganz klar sagen: Ob diese Maßnah-men jetzt Generalistik, integrierte Ausbildung oderPflege 2030 heißen,
ist mir völlig egal. Klar muss sein, dass Krankenpflegeund Altenpflege ein gemeinsames Wissens- und somitAusbildungsfundament benötigen. Ein Dreiklang in derPflege aus Stärkung der Pflegebedürftigen, Stärkung derAngehörigen und Stärkung der Pflegekräfte durch ver-besserte Ausbildung ist unser großes Ziel. Denn die Ver-besserungen müssen am Bett, in der Familie, aber auchbei unseren 950 000 in der Pflege beschäftigten Men-schen ankommen – das ist unser Kompass, das ist unserAnspruch.In diesem Sinne: Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das
Wort Burkhard Blienert.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Zum Gesundheitsfonds ist in dieser Debatte schon vielesgesagt worden; manches war richtig, manches war nichtganz so richtig. Mein Kollege Karl Lauterbach hat dasGanze für unsere Fraktion insgesamt sehr richtig einge-ordnet. Ich kann mich ihm nur anschließen; er hat dierichtigen Bemerkungen zum Gesundheitsfonds gemacht.Der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums um-fasst jedoch weitere Bereiche.Der zweite wesentliche Bereich sind die in der Ver-antwortung des Bundes liegenden Einrichtungen wie dieBundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, das Deut-sche Institut für Medizinische Dokumentation und Informa-tion – wie die BZgA in Köln ansässig –, das Paul-Ehrlich-Institut, das Bundesinstitut für Arzneimittel undMedizinprodukte in Bonn sowie das meistens – auchheute schon – genannte und bekannte Robert-Koch-In-stitut in Berlin. Diese Einrichtungen des Bundes sind derinteressierten Öffentlichkeit aufgrund ihrer Aufgaben-struktur mehr oder weniger bekannt. An dieser Stelle istes jedoch einmal geboten, sich bei den dortigen Beschäf-tigten für ihren bisherigen Einsatz und ihre Arbeit zu be-danken.
Gleiches gilt natürlich für die Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter im Gesundheitsministerium, die – es ist schongesagt worden – eine Menge Aufgaben vor sich haben;denn wir müssen jetzt viele dringende Sachen auf denWeg bringen.Die Zuständigkeit für die Kranken- und Pflegeversi-cherung sowie für den Bereich der Drogen- und Sucht-politik spiegelt sich ebenfalls im Haushalt wider. Daherist auch das eindeutig festzustellen: Mit diesem ersten ei-genen Haushalt der Großen Koalition gehen wir nunkonsequent unseren eingeschlagenen Weg weiter: Vor-sorge stärken und Hilfe ausbauen, und dies alles im Zu-sammenspiel mit einer verantwortungsvollen Haushalts-politik.Mit diesem Haushalt sind wir in der Lage, die Bedeu-tung der wichtigen gesundheitspolitischen Kampagnender schwarz-roten Gesundheitspolitik zu unterstreichen.Wir reagieren auf die gesellschaftlichen Herausforderun-gen einer alternden Bevölkerung, indem wir die Pflege-leistungen ausbauen und zukunftssicherer machen. Wirsorgen vor, indem wir Beratungsstellen und Modellpro-jekte auskömmlich finanzieren.Die Herausforderungen im Gesundheitsbereich sindnicht klein. Pflege, Krankenhaus und Prävention sindnur einige der riesigen Aufgabenblöcke in der Gesund-heitspolitik, die es in den nächsten Wochen und Monatenzu bewerkstelligen gilt. Wir lesen, sehen und hören tag-täglich, an welchen Stellen in diesen Bereichen Hand-lungsbedarf besteht.Exemplarisch möchte ich auf den komplexen Bereichder Suchtprävention hinweisen. Nach wie vor ist hierCrystal Meth das große Thema. Fast wöchentlich gibt eshierzu neue Meldungen, die schockieren. Die betroffe-nen Regionen fordern zu Recht Antworten auf die Frage,wie der Problematik nun endlich Einhalt geboten werdenkann. Insbesondere Sachsen und Bayern haben hier mas-sive Probleme, die endlich angegangen werden müssen.Die Bilder der von Crystal gezeichneten Menschen müs-sen aus den Medien verschwinden. Wir müssen vor Ortinsbesondere gefährdete Jugendliche und junge Erwach-sene schützen und vor den schrecklichen Folgen desDrogenkonsums warnen. Hierzu braucht es ausreichendAnlaufstellen und Beratungsangebote in den Regionen.Aber nicht alles hat zunächst etwas mit Geld zu tun.Ein zweiter Themenkomplex, den ich nennen möchte, istder Bereich Tabak. Nichtraucher- und Passivraucher-schutz darf nicht nur auf dem Papier stehen, sondernmuss nun konsequent in allen Bereichen verankert wer-den.
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Burkhard Blienert
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Nichtraucherschutz hängt immer auch eng mit Kinder-und Jugendschutz zusammen.
Vor diesem Hintergrund muss das Tabakwerbeverbotnun endlich auch in der Bundesrepublik umgesetzt wer-den.
In diesem Zuge müssen wir auch den Boom von E-Shishas und E-Zigaretten bei jugendlichen Konsumentenstoppen. E-Shishas und E-Zigaretten haben in den Hän-den von Kindern und Jugendlichen nichts zu suchen.
Um dafür zu sorgen, braucht es nicht viel Geld. Dafürbraucht es lediglich die Entschlossenheit, das Jugend-schutzgesetz zu ändern und damit den Jugendschutz zustärken.Auch im Bereich des Alkohols muss, insbesonderewegen des mancherorts leider verbreiteten Komasaufensbei Jugendlichen, im Sinne einer präventiven Gesund-heitspolitik gehandelt werden.Ich begrüße es außerordentlich – das möchte ich andieser Stelle sagen –, dass BundeswirtschaftsministerGabriel endlich eine Novellierung der Spielverordnungeinleiten will. Das von der Automatenindustrie prakti-zierte System der Spiele ist im eigentlichen Sinne krank.Hier muss gehandelt werden. Manches Bundesland hatim Rahmen seiner Möglichkeiten schon gehandelt. DasLand Berlin hat es vorgemacht, der Bund kann nachzie-hen.Einiges ist also ohne viel Geld, sondern vielmehr mitsinnvoller und konsequenter Gesetzgebung zu erreichen.Aber natürlich müssen wir für den gesamten Suchtbe-reich und die damit verbundenen Probleme auch entspre-chende finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Lautdem vorliegenden Regierungsentwurf sind wir hierbeigemeinsam auf einem guten Weg.
Diese Regierung hat den Irrsinn des ehemaligen libe-ralen Gesundheitsministers, im Bereich des Drogen- undSuchtmittelmissbrauchs zu kürzen, gestoppt. Es hatnichts mit Liberalismus zu tun, wenn man die Menschenmit ihren Süchten alleinlässt. Liberal ist es vielmehr, jen-seits des Strafrechts Wege aus der Sucht zu finden. Hiermüssen der Staat und die Gesellschaft Lösungen für diebetroffenen Menschen finden. Der Entwurf sieht in die-sem Bereich Steigerungen vor, insbesondere bei den sowichtigen Modellmaßnahmen und Forschungsvorha-ben. Das ist richtig und wichtig.Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Ende möchteich noch auf ein in den nächsten Wochen anstehendessehr wichtiges Gesetzgebungsverfahren eingehen. Esgeht um das Präventionsgesetz. Erst ein sorgsam ausfor-muliertes Präventionsgesetz, in dem insbesondere auchdie oben genannten Aspekte ihren Niederschlag finden,stellt einen notwendigen Überbau für die Ziele einer vor-sorgenden Gesundheitspolitik dar. Hier müssen nebenvielen anderen Themen Aspekte der Suchtpräventionverankert werden. Nur wenn dies gelingt, können die be-reitgestellten Finanzmittel ihre gesamte Wirkung entfal-ten. Anderenfalls werden nur Symptome behandelt, dieWurzel des Problems bleibt dann jedoch verschont. Inso-fern bleibt uns allen noch viel zu tun.Ich bin guter Dinge, dass die konstruktive Zusam-menarbeit der Vergangenheit zwischen uns Fachpoliti-kern, den Haushältern und dem Ministerium auch diesesMal erfolgreich verlaufen wird. Dies ist der zweiteHaushalt, den wir innerhalb weniger Wochen beraten.Insofern müssen wir stark darauf achten, ob die Pro-gramme und Projekte greifen. Diese müssen wir evaluie-ren, um eine gezielte und wirkungsvolle Förderung zuerreichen, um die richtigen Fragen zu stellen, zum Bei-spiel, warum die soziale Situation immer noch unmittel-bar auf die gesundheitliche Situation wirkt und wo Prä-vention sinnvollerweise ansetzt.
Die Herausforderung wird wieder einmal sein, dasvorhandene Geld gerecht und nachhaltig an den ent-scheidenden Stellen für die Gesundheit der Bevölkerunggewinnbringend einzusetzen. In diesem Sinne wünscheich uns allen gute Beratungen in den nächsten Wochen.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Der Kollege Monstadt ist jetzt der
nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Da ich fast am Schluss dieserDebatte zum Einzelplan 15 spreche, darf ich mir erlau-ben, auf einige mir besonders wichtige Aspekte hinzu-weisen.Gesundheitspolitik ist von ihrem Selbstverständnisher immer daran ausgerichtet, Probleme anzugehen undlangfristige Entwicklungen möglichst positiv zu beein-flussen. Dabei haben wir es uns in dieser Koalition zumZiel gesetzt, dass der Zugang zu einer qualitativ hoch-wertigen Gesundheitsversorgung für alle Bürgerinnenund Bürger in unserem Land unabhängig von Alter, Ge-schlecht, Wohnort und Geldbeutel gesichert ist und auchin Zukunft gewährleistet sein muss.
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4542 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 9. September 2014
Dietrich Monstadt
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Wir wollen mit einer guten Gesundheitspolitik auchdie wirtschaftlichen Rahmenbedingungen positiv beein-flussen. Zudem sollen und müssen wir auch die Belas-tungen der kommenden Generationen im Blick behalten.
Dies alles geschieht vor dem Hintergrund zunehmendschwieriger werdender Rahmenbedingungen. Das Statis-tische Bundesamt hat berechnet, dass in Deutschland dieZahl der Personen, die 80 Jahre oder älter sind, zwischen2011 und 2050 von 4,3 Millionen auf 10,2 Millionensteigen wird. Damit wird es fast so viele Menschen indiesem hohen Alter geben wie unter 20-Jährige, die danngerade noch 15,6 Prozent der Bevölkerung ausmachenwerden. Das ist aus meiner Sicht eine nachhaltig schwie-rige Prognose, auf die wir unabhängig vom jeweiligenpolitischen Lager gemeinsam reagieren müssen. Dennkonkret bedeutet dies weniger Einnahmen und mehrAusgaben. In diesem Zusammenhang kann die Arbeitder Haushälter und der an der Erarbeitung des Bundes-haushalts 2015 Beteiligten nicht oft genug gewürdigtwerden. Ein Stopp für neue Schulden ist die Investitionin die Zukunft, ist Gerechtigkeit für unsere Kinder undEnkel.
An dieser Stelle drücke ich meinen ausdrücklichenDank auch an unseren Bundesminister für Gesundheit,Hermann Gröhe, aus, der mit der Kürzung des Bundes-zuschusses für den Gesundheitsfonds für die Jahre 2014und 2015 ein Signal in Richtung Haushaltskonsolidie-rung auch und insbesondere mit Blick auf die Zukunftgesetzt hat. Herr Minister, das war und bleibt die richtigeEntscheidung.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt auch im Hin-blick auf Generationengerechtigkeit ansprechen: den ge-planten Pflegevorsorgefonds. Meine Damen und Herrenvon der Opposition, eines möchte ich an dieser Stelle inaller Deutlichkeit unterstreichen: Der Pflegevorsorge-fonds ist das geeignete Instrument, um die Belastungdurch die sogenannte Babyboomer-Generation in derZukunft teilweise aufzufangen. Mit einem Kapitalvolu-men in Höhe von rund 40 Milliarden Euro ist er geeig-net, die Spitzenbelastung ab dem Jahr 2035 abzufedern.Damit geben wir schon heute ein Signal für das, was unswichtig ist: Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeitunserer Wirtschaft auch in der Zukunft.
Die CDU-geführte Bundesregierung erweist sich somitals finanzieller und konjunktureller Stabilitätsanker. Dasist vor allen Dingen gelebte und tatsächlich umgesetzteGenerationengerechtigkeit.Wir sollten diese angesprochenen Aspekte in fastallen Bereichen der Gesundheitspolitik beachten. Dasdurch den Minister angekündigte Präventionsgesetz bie-tet ebenfalls die Chance, hier nachhaltige Impulse zu set-zen. Ziel muss es sein, das Bewusstsein jedes Einzelnenfür die Früherkennung und den Ausbau gesundheitsför-dernder Maßnahmen wieder vollumfänglich zu schärfen.Nur so kann die Teilhabe der Betroffenen an der Arbeits-welt und Gesellschaft in Gesundheit positiv beeinflusstwerden.Für mich als Berichterstatter meiner Fraktion für Dia-betes und Adipositas, den größten nicht übertragbarenVolkskrankheiten in unserem Land, muss hier die Forde-rung nach mehr Eigenverantwortlichkeit in den Fokusrücken. Ich weiß mich dort einig mit unseren Verbrau-cherpolitikern. Mechthild Heil hat auch in der Vorde-batte überzeugend eine gesunde Ernährung und mehrBewegung eingefordert.
Die Zahlen belegen: Diabetes und Adipositas werdenwie ein Tsunami auf unsere Bevölkerung und uns alsverantwortliche Politiker zurollen. Schon heute leidenrund 8 Millionen Menschen an Diabetes. Es ist von einerzusätzlichen Dunkelziffer in Höhe von 2 bis 3 Millionenauszugehen. Rund 60 Prozent aller Frauen und Männersind übergewichtig. Ein Viertel der Bevölkerung ist adi-pös, mit schwerwiegenden Folgeerkrankungen, die zuhohen Belastungen der Betroffenen und des Systemsführen. Erschreckend ist, dass die Zahl der betroffenenKinder und Jugendlichen kontinuierlich und drastischansteigt.Aufgrund dieser starken Zunahme führt dies für unserGesundheitssystem zu Belastungen, die nur unter aller-größten Anstrengungen zu schultern sein dürften. Diabe-tes und seine Folgeerkrankungen belasten unser Gesund-heitssystem mit direkten Kosten in Höhe von circa48 Milliarden Euro jährlich. Die durchschnittlichen Kos-ten der Versorgung sind bereits von 4,9 Milliarden Euroim Jahr 2002 auf heute 6,3 Milliarden Euro gestiegen.Neuere Zahlen dürften noch höher liegen. Daher halteich die für den Bereich Prävention und Aufklärung vor-gesehenen 43 Millionen Euro für den richtigen Impuls,Herr Minister, um ein Umdenken in der Zukunft auf denWeg zu bringen.Durch gezielte Präventions- und Aufklärungsmaß-nahmen können wir die Entwicklung von Krankheitenwie Diabetes verlangsamen oder gar verhindern. In die-sem Zusammenhang ist nach meiner Auffassung einKonzept erforderlich, das dezidierte Präventionsstrate-gien sowie Früherkennungs- und Versorgungsmaßnah-men beschreibt. Eine nationale Diabetesstrategie könntesolch ein Konzept darstellen. Darüber muss in dennächsten Wochen auch mit den Ländern intensiv disku-tiert werden.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zumAbschluss noch kurz auf das bevorstehende Versor-gungsgesetz II eingehen. Für mich als Abgeordneten ausMecklenburg-Vorpommern mit einem Wahlkreis, derüberwiegend im ländlich geprägten Raum liegt, ist dieSicherstellung einer flächendeckenden ärztlichen Ver-sorgung eine der zentralen Herausforderungen.Mit dem Versorgungsstrukturgesetz der vergangenenLegislatur haben wir bereits wichtige Reformen in die-sem Bereich auf den Weg gebracht. Aber die Umsetzungdurch die Selbstverwaltung ist in manchen ländlichen
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Dietrich Monstadt
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Regionen – auch in der Region, die ich hier vertrete –nach wie vor nicht ausreichend, um die Probleme vorOrt, die an Geschwindigkeit zunehmen, in den Griff zubekommen. Deshalb ist es zwingend notwendig, die be-reits eingeführten Reformen nun weiterzuführen, sie andie fortschreitenden Veränderungen anzupassen undnoch zukunftsfähiger zu machen. Lassen Sie uns ge-meinsam daran arbeiten!Meine Damen und Herren, ich kann für mich sagen,dass ich über das bisher Erreichte froh bin. Wenn mansich als Gesundheitspolitiker im Jahr 2010 mit einemDefizit von circa 10 Milliarden Euro konfrontiert sahund jetzt über Reserven von insgesamt circa 26 Milliar-den Euro sprechen kann – auch Rudolf Henke hat dasangesprochen –, ist dies ein klares Zeichen dafür, dassdie Union mit ihren Partnern über Jahre hinweg mit Au-genmaß die richtigen Entscheidungen getroffen hat.
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt fördert dieGenerationengerechtigkeit, und er geht die Probleme derZukunft in unserem Land entschlossen an. Ich werbedeshalb um Ihre Zustimmung.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege
Heiderich.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Werte Zuhörer am heutigen späten Nachmittag! Auchwenn es eben schon mehrfach angesprochen worden ist,will ich es wiederholen: Wir beraten mit dem Haushalt2015 zum ersten Mal einen Haushalt, der in sich ausge-glichen ist. Ja, es ist richtig: Dieser Gesundheitsetat trägtdazu ein Stück weit bei. Aber ich meine, wir Parlamenta-rier sollten darüber froh sein, dass es uns mit diesemHaushalt zum ersten Mal gelingt, das eigene Lebenselbst und nicht auf Kosten unserer Kinder zu finanzie-ren. Deswegen ist das, was wir mit diesem Haushalt ma-chen, ein deutlicher Schritt nach vorn.Es ist nicht richtig, wenn die Opposition an dieserStelle den Eindruck zu erwecken versucht, als würdenhier zulasten der Patienten oder anderer Sparmaßnahmenumgesetzt. Ich habe eben wieder gehört, dass es hieß,aufgrund dieser Kürzung würden bei den Kassen Mil-liarden Euro fehlen. Oder es heißt – um aus der letztenHaushaltsdebatte zu zitieren –: Mit jeder Kürzung pro-vozieren Sie Beitragssatzsteigerungen. – Oder: Wenn ander einen Stelle gekürzt wird, dann wird an andererStelle Geld fehlen, und die Beiträge werden steigen.Wie sieht denn die Realität aus? Als Haushälter, dersich mit den Zahlen ja immer ein wenig mehr beschäfti-gen muss, habe ich mir das einmal etwas genauer ange-sehen.Nehmen wir den Gesundheitsfonds. Der Gesundheits-fonds hatte vor genau einem Jahr, in der Mitte des Jahres2013, einen Bestand von 11,1 Milliarden Euro. Am Endedes Jahres 2013 waren es dann 13,6 Milliarden Euro. Inder Mitte dieses Jahres waren es 10,4 Milliarden Euro.Das heißt, der Bestand sank von 11,1 Milliarden Euroauf 10,4 Milliarden Euro. Es hat sich also nicht beson-ders viel verändert. Ich glaube, da können Sie nicht sa-gen, durch diese Kürzung sei an anderer Stelle Negativeshervorgerufen worden.
Nehmen wir die Krankenkassenrücklagen.
Mitte des Jahres 2013 hatten wir einen Bestand von16,6 Milliarden Euro. Am Ende des Jahres 2013 hattenwir einen Bestand von 16,8 Milliarden Euro. Wir habenjetzt, nach der Hälfte des Jahres 2014, einen Bestand von16,2 Milliarden Euro, und jeder weiß, dass sich zumEnde des Jahres diese Entwicklung durch höhere Ein-nahmen noch weiter verbessert. Also, wenn Sie hier vor-tragen, es sei durch massive Kürzungen irgendwo einNachteil für die Versicherten entstanden, dann ist dasschlicht und einfach nicht richtig.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, es isteben schon mehrfach darauf hingewiesen worden, dassfür die zukünftigen Ausgaben die Frage der Präventioneine bedeutende Rolle spielt, und das ist richtig. Wir ha-ben für Prävention und Aufklärung etwa 45 MillionenEuro in diesem Haushalt und können damit eine Reihevon Maßnahmen umsetzen. Aber ich will einmal ganzkonkret auf das eingehen, was Minister Gröhe am An-fang gesagt hat: Insbesondere in Kita und Schule müssenwir ansetzen. – Ich habe mir einmal zwei Maßnahmenherausgesucht, die Pilotcharakter haben:Es gibt aus Baden-Württemberg, von der UniversitätUlm ausgehend, von einem Professor Steinacker ein Pi-lotprogramm an den Schulen, das inzwischen 50 000Kinder erfasst, über fünf Jahre läuft und mit ganz her-vorragenden Ergebnissen bei den Kindern und in denSchulen angekommen ist. Ich glaube, wir müssenschauen, was wir aus solchen Beispielen lernen können,und sie dann auch entsprechend weiter unterstützen.
Ein zweites Beispiel, das wir selbst im eigenen Hauseseit vielen Jahren betreiben, ist die sogenannteKlasse2000. An der Klasse2000 sind mithilfe eines Trä-gervereins 2013/2014 insgesamt etwa 18 000 Schulkin-der beteiligt. Die Evaluierung dieses Projektes unddieser Maßnahmen kommt ebenfalls zu positiven Ergeb-
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Helmut Heiderich
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nissen: Auch in späteren Schuljahren haben die Kinderaus dieser Betreuung in der Grundschule etwas fürs Le-ben mitgenommen und stehen in Fragen der Gesundheitdeutlich besser da als andere Kinder.Aber ich wundere mich etwas, wenn ich dann lese– Zitat –: Nach wie vor wollen mehr Schulen mitma-chen, als finanzierbar ist. Mit weiteren Finanzmittelnkönnten wir noch deutlich mehr Schulen in Deutschlandeinbeziehen. – Meine sehr verehrten Kolleginnen undKollegen, wenn ich dann auf Rückfrage höre, dass eshier – bei einem Haushalt von 12,1 Milliarden Euro –um einen Betrag von 220 000 Euro geht, muss ich sagen:Ich glaube, dass wir in der Fachdebatte und in der Haus-haltsdebatte der nächsten Wochen und Monate an diesenbeiden Stellen noch einmal ansetzen und dies positivweiterentwickeln sollten, damit wir mehr Schulen, mehrSchüler und mehr Projekte bedienen können. DennMinister Gröhe hat vollkommen recht: Wenn wir in derSchule ansetzen, haben Präventionsmaßnahmen die bes-ten Effekte.
– Deswegen sollten wir uns gemeinsam bemühen, FrauKollegin, und ich bin sicher, dass wir das gemeinsamhinbekommen.
Lassen Sie mich noch einen zweiten Punkt kurz an-sprechen. Wir sagen immer: Alle sollen den gleichen Zu-gang zum Gesundheitssystem haben. – Der wesentlicheZugang – da sind wir uns auch einig – ist der Hausarzt,ist das Hausarztsystem. Da gab es nun in der letzten Wo-che zwei Presseveröffentlichungen, aus denen ich hierzitieren möchte. Die eine betrifft eine Studie – die Fach-leute kennen sie –, die gemeinsam mit der UniversitätTrier durchgeführt worden ist. Der Artikel trägt dieÜberschrift „Deutschland droht der große Hausarztman-gel“. Dort heißt es:Gegenwärtig sind noch 40 Prozent aller niederge-lassenen Ärzte Allgemeinmediziner. Doch nur elfProzent aller Mediziner entscheiden sich, Facharztfür Allgemeinmedizin zu werden.Wenn man das so weiterrechnet, kommt man tatsächlichzu dem Ergebnis, das die Welt hier als Überschrift ge-wählt hat.Es gibt dann, auch aus der letzten Woche, vom 4. Sep-tember, eine weitere Veröffentlichung, vom Verband derErsatzkassen, wo er sagt: Trotz all der Maßnahmen, diewir gemeinsam schon gemacht haben, um das Hausarzt-system zu verbessern, sind wir dort noch nicht wesentlichvorangekommen. – Ich will auch hier zwei Beispiele nen-nen: Auf der einen Seite würden momentan etwa 750 Haus-ärzte fehlen, auf der anderen Seite seien 5 500 – sienennen das hier „überzählige“ – Hausärzte in den Über-versorgungsgebieten vorhanden. Auch hier müsse einbesserer Ausgleich geschaffen werden.Dann kommt er noch auf die von uns geschaffene Mög-lichkeit des freiwilligen Aufkaufs überflüssiger Arztsitzezu sprechen. Hierzu wird zitiert, das sei in drei Jahrennur ein einziges Mal passiert.Wenn das wirklich so sein sollte, dann müssen wiruns hier gemeinsam bemühen, mit dem Versorgungs-strukturgesetz II, das Minister Gröhe ja schon angekün-digt hat, an dieser Stelle noch etwas mehr nachzuarbei-ten.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ichwill noch darauf verweisen, dass wir im Koalitionsver-trag gemeinsam einen Masterplan Medizinstudium 2020verankert haben. Dieser Masterplan soll dafür sorgen,dass bis 2020 ein Ausgleich zwischen den unterversorg-ten und den überversorgten Gebieten stattgefunden hat.Da ich davon ausgehe, dass ein Medizinstudium mindes-tens fünf Jahre dauert, müssen wir mit dem Haushalt2015 die Grundlagen dafür legen, dass wir 2020 dortbesser dastehen, als das hier vom vdek und von der Stu-die prognostiziert wird. Darum bitte ich Sie in den Bera-tungen des Haushaltes.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister,vielen Dank fürs Zuhören.
Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da
der Kollege Heiderich der letzte Redner zum Einzel-
plan 15 war, sind wir am Schluss der heutigen Tagesord-
nung angekommen.
Morgen findet hier im Plenarsaal um 9 Uhr eine Ge-
denkstunde aus Anlass des 75. Jahrestages des Beginns
des Zweiten Weltkrieges statt.
Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages be-
rufe ich auf morgen, Mittwoch, den 10. September 2014,
10.30 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen
einen schönen Abend.