Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.Heute vor 50 Jahren, am 5. Mai 1949, wurde in Lon-don der Europarat gegründet. Seine Gründungsmitglie-der waren Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Ita-lien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Schwedenund das Vereinigte Königreich. Nur wenige Monatespäter, im August 1949, traten ihm auch Griechenlandund die Türkei bei. Sämtliche an der Gründung betei-ligte Staaten erfüllte der Gedanke, Europa müsse sichnach den Schrecken des zweiten Weltkrieges und ange-sichts einer neuen, in seinem östlichen Teil erstarkendentotalitären Bedrohung enger zusammenschließen, umden geistigen, politischen und wirtschaftlichen Heraus-forderungen gewachsen zu sein. Dabei wußten sich dieGründungsstaaten einig, daß ein solcher Zusammen-schluß nur auf der Grundlage von Menschenrechten,Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sowie desStrebens nach wirtschaftlichem und sozialem Fortschrittmöglich sei.Die Bundesrepublik Deutschland trat dem Europarat1950 zunächst als assoziiertes, 1951 als Vollmitglied bei– eine Entscheidung, die in der Öffentlichkeit nichtunumstritten war. Einige fürchteten – wie Kurt Schuma-cher –, die Mitgliedschaft im Europarat könne die Ein-heit Deutschlands erschweren. Der Eintritt in den Euro-parat war der erste Beitritt der BundesrepublikDeutschland zu einer internationalen politischen Organi-sation nach dem zweiten Weltkrieg, und er hat den Wegfrei gemacht für die verantwortliche Mitwirkung undEinbindung der Bundesrepublik bei der politischen Ge-staltung eines freiheitlichen und demokratischen Europa,dem heute ganz Deutschland angehört.Ich bin sicher, daß es nicht zuletzt diese Erfahrungder Integration und der verantwortlichen Beteiligung derBundesrepublik war, die unser Land nach dem Ende desKommunismus bestärkt hat, die ebenfalls nicht unum-strittene rasche politische Erweiterung des Europaratsnach Kräften mit voranzutreiben. Den neuen Demokra-tien Mittelost- und Südosteuropas wurde die Chanceeröffnet, sich über den Europarat aktiv in die europäi-sche Wertegemeinschaft zu integrieren und zugleichentscheidende politische Unterstützung beim Aufbauihrer demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen zuerfahren. Für den schwierigen Prozeß der Transforma-tion war dies unerläßlich.Trotz mancher Kritik an der unzureichenden Umset-zung eingegangener Verpflichtungen durch einzelneStaaten hat sich die Erweiterung als der, wie ich meine,einzig richtige und auch erfolgreiche Weg erwiesen.Wer heute Bilanz zieht, wird erkennen müssen, daß sichder Europarat nicht nur bei der Bewältigung der neuenAufgaben bewährt, sondern auch seine Fähigkeit zurrechtlich-institutionellen Weiterentwicklung bewiesenhat.Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die wohlwichtigste Neuerung der vergangenen Jahre, die Schaf-fung eines einheitlichen und ständigen Gerichtshofs fürMenschenrechte, der im November des vergangenenJahres seine Arbeit aufgenommen hat und an den sichnunmehr jeder der 770 Millionen Bürger der Mitglied-staaten des Europarates direkt wenden kann. Vergessenwir auch nicht, daß bereits die Europäische Menschen-rechtskonvention von 1953, jenes grundlegende Do-kument des Europarates, das Recht der Individualbe-schwerde vorsah, das an sich schon einen Durchbruch inder Geschichte des Völkerrechts darstellt.Mehr als 170 Konventionen hat der Europarat in denvergangenen fünf Jahren verabschiedet, darunter dieEuropäische Sozialcharta, die als eine Art Pendant zurMenschenrechtskonvention den Schutz wirtschaftlicherund sozialer Grundrechte sichert, dann die EuropäischeKonvention zum Schutz vor Folter und unmenschlichenoder erniedrigenden Strafen; ebenso die Rahmenkon-vention zur Bioethik.Besondere Aufmerksamkeit verdient das unermüdli-che Eintreten des Europarates für die Rechte nationalerMinderheiten und Volksgruppen, das seinen Nieder-schlag in der 1994 verabschiedeten Rahmenkonventionzum Schutz nationaler Minderheiten und der Charta zumSchutz der Regional- und Minderheitensprachen gefun-den hat. Kaum etwas vermag die Aktualität und bleiben-de Bedeutung des Europarates besser vor Augen zu füh-ren als gerade dieses Engagement zugunsten ethnischer
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Gruppen und bedrohter Minderheiten. Vergessen wirnicht, daß es die gemeinsam entwickelten und von allenMitgliedstaaten anerkannten völkerrechtlichen Normenund menschenrechtlichen Standards des Europaratessind, die wir heute gegenüber der Bundesrepublik Jugo-slawien einfordern und verteidigen.Der Minderheitenschutz und die Situation in Kosovohaben gerade auch in den Debatten der Parlamentari-schen Versammlung des Europarates eine wichtigeRolle gespielt. Man kann daher auch nicht vom Europa-rat sprechen, ohne die Bedeutung seiner Parlamentari-schen Versammlung hervorzuheben. Mit Delegationenaus 40 Ländern – mit der vor wenigen Tagen vollzoge-nen Aufnahme Georgiens in den Europarat wird eineweitere hinzukommen – bildet die ParlamentarischeVersammlung nicht nur das größte parlamentarischeForum Europas, sondern auch eine der wichtigstenStätten der Auseinandersetzung über Aufgaben undHerausforderungen der Zukunft. Ich denke, wir habendaher allen Grund, den Kolleginnen und Kollegen desDeutschen Bundestages, die Mitglieder der Parlamenta-rischen Versammlung des Europarates waren und sind,für ihre Arbeit zu danken und ihnen auch weiterhin un-sere ausdrückliche Unterstützung zuzusichern.
Ein halbes Jahrhundert nach seiner Gründung ist derEuroparat nach wie vor Hüter des gemeinsamen euro-päischen Erbes von Demokratie, Freiheit und Menschen-rechten. Seine in 50 Jahren erworbene große Autorität,seine weitreichende Erfahrung und die immer wiederunter Beweis gestellte Fähigkeit zur Anpassung an neueHerausforderungen bleiben unverzichtbar, wenn es dar-um geht, am Ende dieses Jahrhunderts gemeinsam mitanderen europäischen Institutionen, wie der OSZE, deneuropäischen Regionalorganisationen und nicht zuletztder Europäischen Union, die Beziehungen zwischen denStaaten der europäischen Völkerfamilie zu festigen undauf der Grundlage gemeinsamer Überzeugungen undWertvorstellungen weiterzuentwickeln.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Wir setzen nun die Haushaltsberatungen fort: I. Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 1999
– Drucksachen 14/300, 14/760 –Beratung der Beschlußempfehlung des Haus-haltsausschusses
– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungBericht über den Stand und die voraus-sichtliche Entwicklung der Finanzwirt-schaft– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungFinanzplan des Bundes 1998 bis 2002– Drucksachen 14/350, 13/11101, 14/272 Nr. 79,14/625 –Berichterstattung:Abgeordnete Dietrich AustermannHans Georg WagnerOswald MetzgerDr. Günter RexrodtDr. Christa LuftIch rufe den Einzelplan 04 auf: 12. Einzelplan 04Bundeskanzler und Bundeskanzleramt– Drucksachen 14/604, 14/622 –Berichterstattung:Abgeordnete Adolf Roth
Klaus HagemannManfred HampelLothar MarkAntje HermenauOswald MetzgerDankward BuwittSteffen KampeterDr. Günter RexrodtJürgen KoppelinDr. Uwe-Jens RösselEs liegen je zwei Änderungsanträge der Fraktion derCDU/CSU und der Fraktion der F.D.P. vor. Die PDS hateinen Änderungsantrag eingebracht.Die Fraktion der CDU/CSU hat außerdem einen Ent-schließungsantrag eingebracht, über den am Donnerstagnach der Schlußabstimmung abgestimmt wird.Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an dieAussprache über diesen Einzelplan namentlich abstim-men werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache vier Stunden vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Kaum ist diese Bun-desregierung ein halbes Jahr im Amt, schon pflegt sieeinen unerträglichen Umgang mit dem Parlament.
Ich finde es unmöglich, daß wir in dieser Woche, in derder Haushalt im Mittelpunkt stehen muß, dazu gezwun-gen werden – weil Sie Ihre Mehrheiten brutal mißbrau-chen –,
Präsident Wolfgang Thierse
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gleichzeitig auch über das Staatsbürgerschaftsrecht zudiskutieren und es zu verabschieden, und daß wirgleichzeitig über eine sehr ernste Angelegenheit, näm-lich den Einsatz weiterer deutscher Soldaten in Albanienund Mazedonien, entscheiden müssen. Den Druck aufdas Parlament, dies alles in der Haushaltswoche tun zumüssen, empfinde ich als schlimm. Er hätte nicht seinmüssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn sichdas die Herren Struck und Schlauch oder die Frau Mül-ler gefallen lassen, dann ist das ihre Sache. Das sprichteigentlich nicht dafür, daß sie überzeugte Parlamentariersind.
Die SPD – und die grüne Fraktion machen sich zumAbnickverein dieser Bundesregierung.
Herr Gysi und seine Fraktion sind demokratische Ge-pflogenheiten ohnedies nicht gewohnt. Hier braucht ei-nen überhaupt nichts zu wundern.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie die Dinge mit Ihrerunerträglichen Arroganz, die oft durchbricht, so weiterbetreiben, müssen Sie sich nicht wundern, wenn wir ineine Stimmung geraten, die letztendlich auch Ihnennicht zugute kommt. Ich kann verstehen, daß Herr La-fontaine auch vor dieser Art und Weise des Umgangsmiteinander geflohen ist.
Er hat bei seiner Flucht ins saarländische Exil seinenOberbremser leider nicht mitgenommen. Im Gegenteil,er hat den Oberbremser der Steuerreform, Herrn Eichel,in den Führerstand hineingesetzt. Das war wohl auch einStück seines letzten Streiches, den er hier gespielt hat.
Wenn wir die Leistungen und das Erscheinungsbilddieser Regierung betrachten, dann ist eine Chaoskombodagegen eine geordnete Veranstaltung.
Was Sie dem Parlament in dieser Woche zumuten, istohne Beispiel.
Ich sage noch einmal: Das Haushaltsrecht ist das Kö-nigsrecht des Parlaments, und Sie wollen verhindern,daß über den Haushalt und Ihre wirtschafts-, finanz- undsozialpolitischen Fehlleistungen diskutiert wird, die sichinzwischen verheerend auf den deutschen Arbeitsmarktauswirken.
Die Regierung Schröder/Fischer ist in der Tat mitgroßen Verheißungen angetreten. Nicht nur im Wahl-kampf hat man den Bürgerinnen und Bürgern viel zuge-sagt. Ich zitiere die Regierungserklärung vom 10. No-vember. Darin haben Sie, Herr Bundeskanzler, verspro-chen:Wir machen dieses Land wieder zu einem Bewe-gungs-Ort.
Bei diesen Versprechungen haben sich die Leute nichtnur Fischers abgelegte Turnschuhe vorgestellt, sondernsie haben sich auch vorgestellt, daß Bewegung letztend-lich zugunsten von mehr Arbeitsplätzen entsteht.
Sie haben das Land in der Tat zu einem Bewegungs-ort gemacht. Jeden Tag bewegt sich die Regierung in ei-ne andere Richtung: Wirrwarr, Chaos und Verunsiche-rung auf allen Feldern der Wirtschafts-, Finanz- und So-zialpolitik. Die Wirtschaft bewegt sich in den Ab-schwung. Betriebe und Arbeitsplätze bewegen sich lei-der ins Ausland. Selbständige und Kleinverdiener bewe-gen sich aus dem Arbeitsmarkt heraus und werden inSchwarzarbeit und Arbeitslosigkeit gedrängt. Die Preisefür Benzin, Heizöl, Gas und Strom bewegen sich nachoben, und die Ökosteuer bewegt für die Umwelt über-haupt nichts.
Die Rentner bewegt die Angst vor ständig neuen Vor-schlägen der Koalition über Rentenkürzungen, und allesbewegt sich – Herr Eichel, wir möchten von Ihnen undvom Bundeskanzler etwas dazu hören – in Richtung ei-ner Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 2000.Wie steht es mit dem Arbeitsmarkt? Herr Bundes-kanzler, Sie haben versprochen – ich zitiere –:Wir wollen uns jederzeit – nicht erst in vier Jahren– daran messen lassen, in welchem Maße wir zurBekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen.In der „Wirtschaftswoche“ tickt wöchentlich dieSchröder-Uhr. Sie zeigt die Bewegungen des Arbeits-marktes seit dem Amtsantritt. Es gibt 323 112 Arbeitslo-se mehr und 337 000 Erwerbstätige weniger.Die Bundesregierung bewegt auch ihre Wachstums-prognose, sie bewegt sie nach unten. 2,8 ProzentWachstum waren es 1998. Im Jahreswirtschaftsberichtsind noch 2,0 Prozent Wachstum angekündigt worden.Jetzt werden es allenfalls noch 1,5 Prozent Wachstumbleiben.Michael Glos
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Unbeweglich ist allein die Bundesregierung – wennman sieht, was inzwischen unsere wichtigen Wettbe-werberländer, mit denen wir konkurrieren müssen, be-wegt haben. Die Auswirkungen der internationalenWirtschafts- und Finanzkrisen werden als Ausredemißbraucht. Auch hier ist die Tatsache richtig, daß zumBeispiel die USA wesentlich mehr als wir in Südost-asien und in Südamerika engagiert sind. Trotzdem istdort die Wachstumsdynamik ungebrochen. Das zeigt,daß die deutsche Konjunkturschwäche nicht nur auf dieinternationalen Wirtschafts- und Finanzkrisen zurückzu-führen ist. Sie ist zu einem gut Teil leider hausgemacht.
Die Politik Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, hatMenschen und Betriebe in Deutschland verunsichert. Siebewirkt derzeit ein Abwarten bei Investitionen. Es istganz klar, daß die lahmende Investitionstätigkeit inDeutschland sehr viel mit der Signalwirkung Ihrer soge-nannten Steuerreform zu tun hat, die Sie auf den Weggebracht haben. Hier wird in einem sogenannten Steuer-entlastungsgesetz etwas vorgelegt, was die Betriebe inWirklichkeit um 10 Milliarden DM mehr belastet. Dasist Etikettenschwindel.
Herr Eichel, Sie waren zwar damals noch nicht imAmt, aber Sie haben dieses Gesetz erst möglich ge-macht. Sie waren von der hessischen Bevölkerung nichtmehr legitimiert, im Bundesrat zuzustimmen, und habenes dennoch getan.
Herr Bundeskanzler, eines haben Sie in dem HerrnEichel: Er war ein williger Erfüllungsgehilfe von OskarLafontaine. Ich wünsche Ihnen, daß er auch ein Erfül-lungsgehilfe Ihrer Politik ist. Nur wünsche ich dabei einbißchen mehr Erfolg und Sachverstand als unter OskarLafontaine und bei ihm selbst in Hessen.Obwohl die Bürger in Hessen Sie, Herr Eichel, wiegesagt, abgewählt haben, haben Sie dies alles möglichgemacht. Das alles bewegt natürlich die Menschen inDeutschland. Ich brauche mir nur die neuen Meinungs-umfragen anzusehen: Danach hat Ihre Regierung längstdie Mehrheit in der Bevölkerung verloren, und zwarausschließlich aus diesen innenpolitischen Gründen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie bewe-gen auch Arbeitsplätze; das ist schon richtig. Mehr Ar-beitsplätze bekommen wir nur bei Kontrolleuren undSteuerprüfern und möglicherweise in der Folge auch beiRichtern und Staatsanwälten.
Das kann nicht der Sinn einer vernünftigen Regierungs-politik sein.
Als Sie noch Regierungschef in Niedersachsen wa-ren, haben Sie die Verantwortung für die Konjunkturund für Arbeitsplätze stets nach Bonn geschoben. Nunsind Sie in Bonn, und nun tragen Sie hier die Verant-wortung. Jetzt versuchen Sie diese Verantwortung wie-der abzuschieben, zum Beispiel auf das „Bündnis fürArbeit“ – eine nebulöse Veranstaltung – oder vielleichtnach Brüssel auf einen sogenannten europäischen Be-schäftigungspakt. Herr Bundeskanzler, Sie sind gewählt,um zu regieren, und nicht, um zu moderieren. Sie tragendie Verantwortung. Bündnisse und Beschäftigungspaktedürfen nicht zu einer Alibiveranstaltung werden.
Herr Bundeskanzler, es sind auch Ihre Arbeitslosen,mit denen wir es mittlerweile zu tun haben. Es ist einTrauerspiel, wenn ich als Beispiel nur einmal diese gan-zen Orgien – hätte ich beinahe gesagt – um die gering-fügigen Beschäftigungsverhältnisse nehme: Erst wolltenSie die 630-DM-Jobs auf höchstens 10 Prozent in einemUnternehmen begrenzen. Dann wollten sie die Grenzefür geringfügige Beschäftigung auf 300 DM senken. Imnächsten Akt sollte die Pauschalsteuer entfallen unddurch eine Sozialversicherungspflicht ersetzt werden.Jetzt sollen die meisten Menschen sowohl Steuern alsauch Sozialabgaben bezahlen.Wir haben einen einmaligen Vorgang: Der Präsidentdes Bundes der Steuerzahler ruft zum erstenmal zumSteuerwiderstand in diesem Land auf, weil die Steuerge-setze nicht praktikabel sind.
Selbst die Finanzämter blicken nicht mehr durch,Herr Struck. Für viele Menschen geht diese Entschei-dung an die eigene Substanz. Sie haben vielen Men-schen den 630-DM-Job kaputtgemacht, und damit neh-men Sie diesen Menschen dringend benötigtes Geldweg.Dieses unsinnige Gesetz hat zum Beispiel folgendesbewirkt: Bäckerhandwerk: 25 000 Kündigungen; Ein-zelhandel: 150 000 Kündigungen; Gebäudereiniger:140 000 Kündigungen; Zeitungsverlage finden keineZusteller mehr; die Volkshochschulen müssen teilweiseschließen, weil sie keine Dozenten mehr finden;
sogar das Erzbistum Köln hat angegeben, die Gehälterim April nicht zahlen zu können, weil die neue Rege-lung so kompliziert ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn manselbst mit Gottes Hilfe nicht mehr durchblickt, dannmuß es doch ein elendes Gesetz sein, mit dem wir es zutun haben!
Es besteht eine weitere Gefahr: Sie machen unserLand immer mehr zu einer Dienstleistungswüste. IchMichael Glos
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habe einmal die Leute in meinem eigenen Wahlkreis ge-beten, mir ihre Erfahrungen zu schildern, und habe eineHotline geschaltet.
– Sie lachen darüber. Wissen Sie, warum Sie lachen,meine Damen und Herren von der SPD? Weil Sie weitweg von den Problemen der Menschen im Land sind
und weil Sie weit von den sogenannten kleinen Leutenweg sind, für die Sie vorgegeben haben, angetreten zusein.
– Sie mögen darüber lachen, Frau Kollegin. Mich rührtes schon eigenartig an, wenn Frauen mit Tränen in denAugen kommen
und sagen: Ich habe dieses Geld, das ich mit dem 630-DM-Job verdient habe und das ich jetzt nicht mehr be-komme, dringend benötigt. – Hören Sie sich doch ein-mal in der Wirklichkeit um! Die Menschen wären dank-bar, wenn sie die Sorgen bei denen abladen könnten, de-nen sie bei der Wahl offensichtlich ein Stück mehr ver-traut haben als uns.
Sie tauchen vor diesen ganzen Problemen weg.
Sie können doch nur noch inkognito in eine Gastwirt-schaft gehen.
Gehen Sie doch einmal dort hin und fragen Sie, wie dasmit den Bedienungen und dem Service jetzt noch läuft –jetzt, wo die Ausflugslokale öffnen, nachdem das Wetterwieder schön wird.
Der Gipfel des Zynismus und der Volksverdummung– so hätte ich beinahe gesagt – der SPD ist das Verhalteneinzelner Ministerpräsidenten.
Ich nehme als Beispiel einmal den hochgelobten HerrnClement. Der bringt es fertig, am vergangenen Freitagdiesen Gesetzen zuzustimmen und damit eine Mehrheitim Bundesrat dafür zu schaffen und sich währenddessenin einem Gespräch mit dem „Focus“, der montags er-scheint, aber samstags schon auf die Agenturen geht,schon von den Gesetzen zu distanzieren und Nachbesse-rungen zu fordern.
Meine sehr verehrten Damen von der SPD, die Mehrheitder deutschen Bevölkerung wird Ihnen das auf die Dau-er nicht durchgehen lassen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben versprochen – ich zi-tiere Ihre Regierungserklärung, diesmal nicht die „Bild“-Zeitung –:Wir werden die Verwaltung schlanker und effi-zienter machen, und wir werden hemmende Büro-kratie rasch beseitigen.
– Jetzt kommt die Praxis; ich höre den Zwischenruf,Herr Kollege. Bei den 630-DM-Jobs sind beispielsweiseAn- und Abmeldungen, Unterbrechungsabmeldungen,Jahresmeldungen, Änderungsmeldungen usw. notwen-dig. Die Krankenkassen und Rentenversicherer werdenzu Hilfspolizisten der Schröder-Gesetze. Die Arbeits-ämter müssen für jeden, der für wenige Stunden einePutzhilfe beschäftigt, eine eigene Betriebsnummer ver-geben. Die Kommunen müssen 2 Millionen neue Lohn-steuerkarten ausstellen. Wo sind denn da die Verschlan-kung der Verwaltung und die Beseitigung der Bürokra-tie, verdammt noch mal?
Deswegen hat Herr Dr. Martin recht, der heute in der„Bild“-Zeitung schreibt:Die deutsche Steuerpolitik – hoffnungslos verhed-dert und verstrickt. Jetzt hat der Kanzler Korrektu-ren angekündigt.Wir sind sehr gespannt, ob Sie dürfen, Herr Bundes-kanzler.Der Herr Riester hat Ihnen heute in der „AugsburgerAllgemeinen Zeitung“ wieder die rote Karte gezeigt. Ichbin mal gespannt, wer stärker ist: Sie oder dieser Ge-werkschaftsfunktionär, der jetzt Sozialminister ist. DieRichtlinienkompetenz in unserem Land liegt nicht beimDeutschen Gewerkschaftsbund, sondern sie liegt lautVerfassung nach wie vor beim Bundeskanzler.
Ich darf aber noch einen Satz vorlesen. Es heißt indem Kommentar weiter:Löblich. Doch worin besteht der Unterschied zwi-schen dem Mann, der morgens Zeitungen austrägt,dem, der mittags eine Schülermannschaft trainiert,und dem, der abends Pizzas ausfährt?Ich kann, wenn Sie wieder korrigieren, nur raten:Machen Sie es so, daß es praktikabel und letztendlichverfassungsfest ist! Bis Ihnen etwas Richtiges einfällt,nehmen Sie dieses unsinnige Gesetz ebenso wie das Ge-setz gegen die sogenannte Scheinselbständigkeit raschwieder zurück!
Michael Glos
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Ich sage es noch einmal: Lassen Sie sich dabei wedervon Herrn Riester noch von Herrn Struck beeindrucken!Angeblich hat ja die SPD-Fraktion einen kleinen Auf-stand gegen Sie gemacht. Ihre Meinung über HerrnStruck ist weidlich bekannt; Sie haben sie vorher öffent-lich immer wieder geäußert,
ich will das deswegen an dieser Stelle nicht tun. Nur,Herr Bundeskanzler, kriechen Sie dann nicht zu Kreuz,sondern erklären Sie klipp und klar: Ich stehe hinter die-sen Dingen, will, daß sie so praktiziert werden – odersetzen Sie die Änderungen durch!
Ein weiteres Beispiel dafür, daß es nicht weitergeht,ist die sogenannte Unternehmensteuerreform. HerrEichel, da wartet ein schwieriges Geschäft auf Sie. DieKommission, die eingesetzt worden ist, hat jetzt einenVorschlag vorgelegt, der so nicht zu verwirklichen ist.Er ist untauglich, er ist nicht verfassungsfest, und eszeigt sich immer mehr, daß die Petersberger Vorschläge,die wir intensiv erarbeitet, beraten, eingebracht und imDeutschen Bundestag verabschiedet haben und die vonIhnen aus parteitaktischen Gründen torpediert undkaputtgemacht worden sind,
der richtige Weg gewesen wären.
Sie haben gestern in bezug auf die Bundesschuldenmit Unflätigkeiten und Taschenspielertricks, mit windi-gen Berechnungen für Klein-Moritz draußen – dabei ha-ben Sie die deutsche Wiedervereinigung weggelassen –,
Theo Waigel in Zweifel zu ziehen versucht. Herr Eichel,Sie werden sich an Theo Waigel letztendlich messenlassen müssen, und dann wird es heißen: Gewogen undzu leicht befunden!
Theo Waigel hat als erster Finanzminister Deutschlandsdas Gesetz von den ständig steigenden Staatsausgabendurchbrochen. 1998 waren die Ausgaben im Bundes-haushalt um 3 Prozent niedriger als vier Jahre zuvor. –Wie es beim hessischen Haushalt gewesen ist, könnenSie dann anschließend sagen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der HerrBundeskanzler hat wörtlich gesagt: „Wir wollen nicht,daß der Euro deutsch spricht.“ – Damit haben Sie fürDeutschland und für Europa einen verheerenden Kurs-wechsel eingeleitet, denn das wird als Abschied von derStabilitätspolitik verstanden.
Die Politik von Kohl und Waigel war eine Politik fürStabilität der Währung. Die internationalen Devisen-märkte haben auf Ihre neuen Signale leider reagiert.Glauben Sie nicht, daß Ihnen ein billiger Euro auf dieDauer die Aufgabe abnimmt, die strukturellen Problemedieses Landes zu lösen!
Es ist der falsche Weg, meine sehr verehrten Damen undHerren.Ich könnte jetzt Professor Jochimsen zitieren, ich tuees aus Zeitgründen nicht. Ich will nur sagen: Bei IhremAmtsantritt als Bundeskanzler haben Sie versprochen, inder EU einen gerechteren Beitrag für Deutschlanddurchzusetzen, nachdem das, was Theo Waigel erreichthabe, Ihrer Ansicht nach immer weniger ein Weg in dierichtige Richtung gewesen sei.Seit dem Berliner EU-Gipfel ist klar: Alle anderenNationen haben ihre nationalen Interessen rigoros durch-gesetzt. Der britische Beitragsrabatt bleibt erhalten. Siehätten einmal mit Ihrem Freund Tony sprechen sollen,damit er Ihnen ein Stückchen entgegenkommt. Die fran-zösische Landwirtschaft bleibt ungeschoren. Die finan-ziellen Hilfen für Spanien und Portugal steigen sogarnoch an. Die Kohäsionsfonds bleiben offen, obwohl siereduziert und geschlossen werden sollten, nachdem dieEmpfängerländer Mitglied in der Europäischen Wäh-rungsunion sind. Die Folge ist: Nur die NettobelastungDeutschlands wird im Jahre 2006 nach Angaben der EU-Kommission um 300 Millionen DM höher sei als 1999.Auch hier gibt es also nur leere Versprechungen.Der elende Krieg im ehemaligen Jugoslawien, der unsbesorgt macht – ich möchte diesen Krieg auch einmalvon der finanziellen Seite her betrachten –, wird dendeutschen Steuerzahlern, die nach wie vor die Haupt-zahler in der EU sind, neben anderen Sorgen auch nochviele finanzielle Sorgen bereiten. Ich möchte jetzt HerrnHänsch zitieren.
– Herr Kollege, Sie sollten mehr auf Ihre Genossenhören, die im Gegensatz zu anderen noch einen gutenRuf haben. Herr Hänsch hat noch einen seriösen Ruf. Erspricht bereits von 30 Milliarden Euro – das sind fast 60Milliarden DM –, die Deutschland für die Folgen desKosovo-Krieges aufbringen soll.Sicherlich müssen wir alle an einer Stabilisierung desBalkan interessiert sein. Aber wir dürfen nicht nur anden Verbrecher Milosevic und an die unerträglichenVorgänge denken, die gegenwärtig im Kosovo passie-ren; wir müssen vielmehr die Auswirkungen sehen, diedieser Krieg auf die dortigen Nachbarländer hat, zumBeispiel auf Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Wir wis-sen auch, daß wir die Menschen in diesem Teil Europasnicht alleine lassen dürfen, nur weil Milosevic und seineClique schreckliche Verbrechen zu verantworten haben.Im Gegenteil: Wir können in Westeuropa nur in Friedenund Sicherheit leben, wenn auch in diesem Teil Europaswieder die Verhältnisse in Ordnung gebracht werden,wenn also Frieden, Demokratie und Rechtsstaatlichkeitdort herrschen.
Michael Glos
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3073
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Weil wir die Voraussetzungen dafür durchsetzenwollen, sind wir letztendlich bereit – wenn alle Faktenauf dem Tisch liegen –, auch die nötigen Maßnahmenmitzutragen. Das haben wir als Opposition getan. Dieswar durchaus nicht selbstverständlich, insbesonderenicht selbstverständlich für eine Opposition, die so be-handelt wird, als ob man sie überhaupt nicht bräuchte.Aber jetzt haben Sie unsere Zustimmung wohl wiederganz gerne, weil Sie nicht wissen, wie es in Ihren eige-nen Reihen aussieht.
Herr Bundeskanzler, Sie haben heute hier Gelegen-heit, an das Mikrophon zu treten und uns mitzuteilen,wie die Mehrheiten in Ihren Reihen aussehen.
– Okay, das ist prima. – Sie haben auch Gelegenheit,wieder einmal das deutsche Parlament zu unterrichten.Sie können nicht nur Ausschüsse unterrichten, eventuellnoch mit dem Schild „Vertraulich“ an der Saaltür. Siemüssen auch hier eine ganze Reihe von Fragen beant-worten. Sie haben bisher die Opposition außen vor ge-lassen. Die Opposition ist nicht mehr unterrichtet wor-den. Am Anfang hatte es noch Gespräche gegeben, dannnicht mehr. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen,auf die ich von Ihnen gerne Antworten gehört hätte: Wieweit soll die Nothilfe der deutschen Soldaten im Ernst-fall gehen? Wie wird die Sicherheitslage unserer Solda-ten, die wir nach Albanien schicken, eingeschätzt? Wowerden sie stationiert? Wie werden sie bewaffnet sein?
– Herr Fischer, ich weiß schon, was Sie sagen wollen.Es geht nicht, daß alles nur in den Ausschüssen disku-tiert wird. Nicht alle Parlamentarier können Mitgliederdes Verteidigungsausschusses oder des AuswärtigenAusschusses sein.
Es müssen hier Beschlüsse gefaßt werden, die letzt-endlich für unser Land von großer Tragweite sind. VieleMenschen machen sich zu Recht Sorgen über dieseEntwicklung im Kosovo und über die Auswirkungen aufdie internationalen Beziehungen. Sagen Sie, Herr Fi-scher, doch einmal, was sich in den letzten fünf odersechs Wochen verändert hat. Warum muß noch in dieserWoche – quasi im Eilverfahren – der Beschluß über denEinsatz von weiteren deutschen Soldaten gefaßt werden?Wir sind grundsätzlich bereit mitzustimmen. Aber sagenSie, warum es vor zwei Wochen, als wir Sie aufgefor-dert haben, dies zu tun, nicht notwendig war und warumes jetzt notwendig ist.
Wollte man über die Feierlichkeiten zum 1. Mai hin-wegkommen?Es gibt Menschen, die haben an diesem Tag Schlüs-selerlebnisse gehabt. Herr Trittin hat auf einer Veran-staltung erfahren, wie es ist, wenn man gestört wird. Erkommt aus einem Lager, das früher selbst immer nur ge-stört hat.
So hat er nur die halbe Zeit reden können. Das sind allesneue Erlebnisse für ihn. Die Herren, die sich früher überdie Staatsmacht mokiert haben, repräsentieren sie heuteselber.Wir wollen wissen, warum dieser Beschluß erst jetztgefaßt wird und warum dies letztendlich so schnell pas-siert.
– Ich kann nur sagen, daß ich darauf eigenlich nicht ein-gehen wollte. Aber da ich permanent Zwischenrufe vonder linken Seite dieses Hauses bekomme, muß ich dar-auf hinweisen: Nach dem Leitantrag für den Parteitagder Grünen ist das Vorgehen der NATO durch schwer-wiegende völkerrechtliche Einwände in Frage gestellt.Bundestagsabgeordnete der Grünen haben die NATO-Aktionen im Kosovo mittlerweile als Angriffskrieg ge-brandmarkt. Mitglieder des SPD-Parteivorstandes habenin Unterschriftenlisten ein Ende der NATO-Aktionengefordert. Höhepunkt war der Auftritt von HerrnKlimmt bei „Sabine Christiansen“. Sein Auftreten warunsäglich und unerträglich. Oskar Lafontaine – nicht ir-gendwer – und Ministerpräsident Stolpe haben sich füreine sofortige Feuerpause ausgesprochen, ebenso derbayerische Landesverband der SPD unter der grandiosenFührung von Renate Schmidt.Noch eines in dieser Stunde: Unsere Soldaten brau-chen jetzt keine Grundsatzdiskussionen oder überflüssi-ge Strukturkommissionen, auch wenn diese von einemehemaligen Bundespräsidenten geleitet werden.
Unsere Soldaten haben Anspruch auf nachhaltige undnachdrückliche Rückendeckung für ihren schwierigenAuftrag, den sie ausführen. Dafür möchten wir unsherzlich bedanken.
Notwendiger als eine Strukturkommission ist ein Ehr-schutz für unsere Soldaten; denn man beginnt wieder,sie als Mörder zu beschimpfen. Das kann man ungestrafttun. Deswegen werden wir den Gesetzentwurf, mit demdiese Beschimpfungen unter Strafe gestellt werden – erwar im Ausschuß abschließend beraten worden –, in dernächsten Sitzungswoche erneut einbringen.
Unsere Soldaten sind keine Mörder; sie leisten Dienstfür Frieden und für Menschlichkeit. Ohne den Dienstunserer Soldaten wäre die schlimme humanitäre Kata-strophe noch größer.Michael Glos
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Herr Bundeskanzler, Sie sind derzeit EU-Ratspräsi-dent. Sorgen Sie dafür, daß auch unsere europäischenPartner ihre Verpflichtungen bei der Aufnahme vonFlüchtlingen erfüllen!
Wir brauchen auch in diesem Bereich eine gerechte La-stenverteilung in Europa. Sorgen Sie dafür, daß nichtwieder solche Dinge wie gestern geschehen! Ich glaube,es war der Kollege Schmidt, der die 5 Millionen Men-schen verunglimpft hat, die an Unterschriftenständen ih-re Sorge über das Staatsangehörigkeitsrecht und ihrEintreten für bessere Integration zum Ausdruck gebrachthaben. In einer solch schwierigen Zeit muß man versöh-nen, nicht spalten, so hat es einmal Willy Brandt gesagt.
Dieses neue Staatsbürgerschaftsrecht, das so vieleFragen offenläßt – das wurde auch in den Expertenanhö-rungen deutlich –, soll jetzt im Eilverfahren durchge-paukt werden, weil Sie Ihre linken Partner bei Launehalten wollen – das ist der einzige Grund. Sie sollten indieser schweren Zeit lieber einen Konsens suchen. Eshat niemals den Versuch gegeben, einen Konsens mituns zu suchen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, all daszeigt: Die Sorgen der Bürger werden von Rotgrün nichternst genommen. Diese Bundesregierung hat auf diegroßen Herausforderungen unseres Landes keine Ant-wort. Deswegen brauchen wir einen Politikwechsel inallen Bereichen.Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort
dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, dem Kollegen Pe-
ter Struck.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Herr Kollege Glos, IhrNiveau kennen wir. Ich denke aber, es wäre der Situati-on in unserem Lande angemessener gewesen, wenn Siehier heute etwas weniger kleinkariert und primitiv ge-sprochen hätten.
Es geht in dieser Debatte um die Grundlinien derPolitik: Schaffung von Arbeit, Steuerreform, Gesund-heitsreform, Rentenreform. Das waren und sind diedringendsten Projekte, die wir uns vorgenommen haben.Sie werden aber im Augenblick von den besorgten Fra-gen der Menschen, wie es im Kosovo und in Jugoslawi-en weitergeht, überlagert. Wenn Sie, Herr Kollege Glos,im Zusammenhang mit diesem Thema nur die Fragestellen, wieviel Geld das denn wohl kosten wird, dannzeigt das Ihre Geisteshaltung in diesen Fragen.
Wir haben in den letzten Wochen erfahren müssen,daß die Schwerpunkte der von dieser Koalition vertrete-nen politischen Grundlinien nicht mehr allein von unsbestimmt werden. Der mörderische Vertreibungskriegdes Diktators Milosevic hat uns allen drastisch vorAugen geführt, daß sich die Politik nicht in jedem Fallvorausplanen läßt. Das Morden im Kosovo und die dortstattfindenden Vertreibungen haben uns allen Entschei-dungen abverlangt, die treffen zu müssen wir in einemzivilisierten Europa nicht mehr für möglich gehaltenhätten.Mehr als 1,1 Millionen Menschen sind inzwischenvon der Soldateska aus ihrer Heimat gehetzt worden. Siewerden gejagt, ermordet, vergewaltigt, verstümmelt. Wirsehen die Bilder der Flüchtlingslager und wollen nichtwahrhaben, daß dies wirklich in Europa, wirklich vorunserer Haustür geschieht. Wir wiegen uns beim Be-trachten dieser Bilder häufig in der Hoffnung, als sähenwir im wahrsten Sinne des Wortes fern. Lange genughaben wir uns darüber hinaus in der Hoffnung gewiegt,die Probleme des Balkans irgendwie fern von uns haltenzu können. Wir können es nicht. Wir dürfen die Blut-spur, die Milosevic auf dem Balkan zieht, nicht nochgrößer werden lassen.
Wir dürfen eine weitere Destabilisierung dieser europäi-schen Region nicht zulassen. Es kann nicht sein, daß esdort brennt und der Rest Europas darüber hinwegschaut.Die Idee von einem vereinten westlichen Europabekam nach dem zweiten Weltkrieg doch deshalb einensolchen Aufwind, weil man Lehren aus der BarbareiHitlers ziehen wollte. Ein vereintes, freies Europa alsAntwort auf Völkermord, Vertreibung und Krieg – daswar der Ursprung, das war die Vision. Hinter einem ver-einten Europa steckt mehr als ein gemeinsamer Marktund Euro-Land. Nicht immer sind wir uns dessen be-wußt, welch großer Wurf uns mit der Umsetzung diesereuropäischen Idee gelungen ist. Bei manchem geht dasin der Brüsseler Routine unter. Deshalb ist es hilfreich,daß UN-Generalsekretär Kofi Annan uns Europäer inder letzten Woche in Berlin noch einmal an die Einzig-artigkeit dieser europäischen Integration erinnert hat, alser sagte:In der Geschichte gibt es wenig Beispiele für eineAussöhnung, die so vollkommen war wie die Ver-söhnung zwischen den Nationen Westeuropas, nachdem langen und brutalen Konflikt, der 1945 seinEnde fand.Michael Glos
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Wir können uns aber auf diesen Lorbeeren nicht aus-ruhen. Die Einigung Westeuropas ist gelungen. Es gehtjetzt um die Einigung ganz Europas. Polen, Tschechien,Ungarn, Estland und Slowenien sind schon auf demWeg; andere werden folgen. Aber wenn wir „ganzEuropa“ sagen, dann geht es auch darum, die jetzt nochnicht befriedete Balkanregion heranzuholen, und dafürbrauchen wir den gleichen Mut, die gleiche Weitsichtund den gleichen Willen zur Versöhnung.
Die Angriffe der NATO sind nach einer vielleicht zuausgiebigen Phase der Langmut die Antwort auf Ver-treibung und Völkermord, auf schlimmste Verstöße ge-gen Menschenrechte. Europa kann diese Fußtritte vonMilosevic gegen die Menschlichkeit nicht hinnehmen,wenn es andererseits stolz darauf ist, die höchsten Stan-dards für Menschenrechte in der Gemeinschaft zu ver-wirklichen.Meine Damen und Herren, Kofi Annan hat in Berlinbeschrieben, wie eine Lösung des Kosovo-Konfliktsaussehen muß. Sie muß sich daran messen lassen, ob dieFlüchtlinge und Binnenvertriebenen rasch und sicher inihre Heimat zurückkehren können. Wenn das der Fallist, wenn die Bewohner des Kosovo in Frieden undSicherheit unter voller Wahrung der politischen undbürgerlichen Rechte aller leben können, wird das einSieg für Europa. – So hat es Kofi Annan gesagt.Ich tue mich schwer, die Vokabel „Sieg“ zu gebrau-chen; denn es darf nicht der Eindruck entstehen, als gin-ge es der NATO um einen Sieg, gar um einen militäri-schen. Nein, es geht darum, dem Diktator Milosevic dieEinhaltung der elementarsten Menschenrechte, desRechts der Kosovaren auf Leben, Freiheit und Sicherheitin ihrer Heimat abzutrotzen. Das ist unser einziges Ziel.
Und es scheint, daß die Aussicht, dies auf dem Ver-handlungsweg zu erreichen, wieder gewachsen ist.Auf Initiative der deutschen Regierung werden dieAußenminister der G 7 gemeinsam mit Rußland morgennoch einmal ihre Vorstellungen konkretisieren. Natür-lich hoffen wir, daß dann auch Milosevic endlich wiederkonstruktiv darauf eingeht. Ich danke Ihnen, HerrAußenminister Fischer und Herr Bundeskanzler Schrö-der, für die Initiative, die Sie gerade in diesem Bereichergriffen haben, und wünsche Ihnen und uns allen gro-ßen politischen Erfolg.
Die Akzeptanz für das Vorgehen der NATO ist in derBevölkerung konstant. Dennoch werden mit jedem wei-teren Tag der Luftangriffe, mit jedem weiteren zivilenOpfer auf serbischer Seite die Fragen nach dem Endeder Aktion lauter. Die Antwort lautet: Milosevic mußmit dem Morden aufhören.
Milosevic muß der Rückkehr der Flüchtlinge ins Kosovozustimmen. Er muß mit dem Rückzug seiner Truppenbeginnen und eine Absicherung des Kosovo durch inter-nationale Truppen bejahen.Nach dem Beitrag des Kollegen Glos und nach In-formationen, die ich gerade eben erhalten habe, scheintes so zu sein, daß wir möglicherweise nicht mehr in die-ser Woche über den Einsatz weiterer Soldaten ent-scheiden wollen, weil die CDU/CSU-Fraktion Fristein-rede geltend macht; dann möge es so sein. Wir werdenausführlich beraten. Ich sage Ihnen aber klipp und klar,um das klarzustellen: Wir werden dem, was die Bundes-regierung vorgeschlagen hat, als SPD-Fraktion hier imDeutschen Bundestag zustimmen.
Insofern sind Ihre Bemerkungen, Herr Kollege Glos,auch völlig neben der Sache.Bundespräsident Herzog hat die Entscheidung derEU-Regierungschefs als den Beleg dafür gewertet, daßder europäische Zug wieder ins Rollen gekommen ist;denn sie bedeutet nach Meinung des Präsidenten nichtmehr und nicht weniger, als daß die Europäer Seite anSeite Gefahren für Leib und Leben ihrer Soldaten aufsich nehmen, um Menschenrechte und damit Demokra-tie als gemeinsame Werte durchzusetzen und zu vertei-digen.
Kollege Struck, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glos?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Struck, ich
wollte Sie nur fragen, welche Passage in meiner Rede
Sie veranlaßt hat zu sagen, wir würden Fristeinrede gel-
tend machen?
Das ist völlig falsch, das hat niemand vor. Wir wollen
lediglich, daß alle Fragen, die im Raum stehen, geklärt
werden, damit wir in Kenntnis der Tatsachen entschei-
den. Wenn Fragen offenbleiben, dann muß man die
Ausschußberatungen bis zu deren Beantwortung fortfüh-
ren.
Wir sind selbstverständlich bereit, auf die Fristeinre-
de zu verzichten, wenn Sie begründen können, warum
Sie jetzt, in dieser Woche, diesen Beschluß brauchen.
Ihre Erklärung ist schonrecht hilfreich. Herr Kollege Glos, ich will aber noch aufeinen Punkt hinweisen – vielleicht kann ihn HerrSchäuble in seinem Redebeitrag klarstellen –: Mir istDr. Peter Struck
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mitgeteilt worden, die CDU/CSU-Fraktion wolle ammorgigen Donnerstag noch einmal beraten.
– Ja, natürlich; das bestreite ich überhaupt nicht.Herr Kollege Rühe, ich darf Sie einmal ansprechen:Der Bundesverteidigungsminister und die Mitglieder derBundesregierung haben einen Beschluß im Hinblickdarauf gefaßt, den Flüchtlingen in Mazedonien und inAlbanien möglichst schnell zu helfen. Wir wollen hu-manitäre Hilfe leisten.
Das heißt selbstverständlich auch: Nachdem die Fragen,die berechtigterweise gestellt werden müssen – ich habekeine Schwierigkeiten mit diesen Fragen; auch in meinerFraktion werden sie gestellt –, von der Bundesregierungin den Ausschüssen beantwortet worden sind, müssenwir in der Tat so schnell wie möglich noch in dieserWoche entscheiden. Sollten wir uns in diesem Punkteinig sein, nehme ich diese Tatsache zufrieden zurKenntnis.
Wir Europäer müssen selbstkritisch festhalten, daßunsere Balkan-Politik in den vergangenen zehn Jahrenkurzatmig war. Wir müssen einräumen, daß das Dayton-Abkommen Bosnien-Herzegowina zwar geholfen, aberdas Kosovo-Problem bewußt ausgeklammert hat. Euro-pa muß sich mit aller Macht einschalten – auch mit mi-litärischer Macht. Wenn das Ziel erreicht ist, den Völ-kermord an den Kosovaren zu stoppen, muß sich Europaerst recht engagieren, um diese Region stärker an dieGemeinschaft heranzuführen. Albanien und Mazedonienbrauchen unsere Hilfe in stärkerem Umfang. Aber auchdas serbische Volk muß die Gewißheit haben, daß derWesten es nicht auf den Trümmern des Milosevic-Regimes sitzen läßt.
Das Engagement des Außenministers, JoschkaFischer, für einen Stabilitätspakt in dieser Region istrichtig und verdient alle Unterstützung.
Die Europäische Union muß diesen Ländern das Gefühlgeben, nicht an der Tür des Westens abgewiesen zuwerden. Das muß unser Ziel sein.Kurzfristig bedarf es noch größerer Unterstützung fürMazedonien und Albanien, damit diese Länder weiterzur Aufnahme der Flüchtlinge bereit und fähig sind. Wirbegrüßen es, daß sich die NATO, aber auch andere Län-der wie Norwegen und Österreich entschlossen haben,die humanitäre Hilfe in diesen Ländern zu intensivieren,und daß wir uns an dieser Hilfe beteiligen, wie der Bun-destag wohl in dieser Woche beschließen wird. NeueFlüchtlingslager müssen gebaut, die Grundbedürfnisseder Menschen befriedigt und Epidemien verhindert wer-den. Die Bundeswehr soll sich deshalb mit weiteren 600Soldaten an diesem rein auf Hilfe für die Flüchtlingeausgerichteten Einsatz beteiligen.Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung ist groß. DieHilfsorganisationen spüren die große Unterstützung derBürgerinnen und Bürger nicht nur in Mark und Pfennig.Viele Menschen bieten sich als freiwillige Helfer an. Invielen Orten entstehen spontane Initiativen: Schüler-gruppen engagieren sich; Kirchengemeinden organisie-ren Hilfstransporte; Studenten sammeln, um ihren Kol-legen aus dem Kosovo Überbrückungssemester inDeutschland zu ermöglichen.Ich habe von dieser Stelle aus schon oft den Soldatenfür ihren Einsatz gedankt. Ich möchte auch allen anderenMenschen, die hier helfen, dafür danken, daß sie uns mitihrem Engagement die Bestätigung für unsere Entschei-dung geben, entschieden gegen Völkermord und Ver-treibung auf unserem Kontinent einzutreten.
Die Bundesregierung und die Länderregierungen ha-ben bereitwillig Flüchtlinge aus dem Kosovo inDeutschland aufgenommen. Das ist ein Gebot derMenschlichkeit. Es ist aber auch die Aufforderung anunsere europäischen Partner, endlich auch ihren Auf-nahmezusagen in vollem Umfang nachzukommen.
Das ist eine Frage der Solidarität mit den Betroffenen,aber auch eine Frage der gerade jetzt notwendigen euro-päischen Solidarität.Ich begrüße das Angebot des Bundesinnenministers,über die Familienzusammenführung mehr Menschenzum Beispiel aus dem Kosovo in Deutschland eine Blei-be zu geben. Ich weise aber darauf hin, daß der Beitrag,den der Kollege Repnik gestern in der Geschäftsord-nungsdebatte gebracht hat, mich allerdings zu der Be-fürchtung veranlaßt, daß die CDU- und CSU-regiertenLänder diese Bereitschaft offenbar nicht haben. Ich sagedeutlich: Die Situation der Menschen im Kosovo ver-langt auch, daß wir bereit sind, mehr Menschen als bis-her aufzunehmen.
Angesichts der Leiden der Menschen, aber auch an-gesichts der Besorgnis vieler unserer Mitbürger, wie esdenn nun weitergeht, habe ich es – im Gegensatz zumeinem Vorredner – für richtig gehalten, diesem beherr-schenden und bedrückenden Thema breiteren Raum zugeben. Aber natürlich geht es in dieser Debatte auch umden Haushalt dieser Koalition.
Der Kurs unseres Haushalts 1999 – das hat die be-eindruckende Rede des Bundesfinanzministers, für dieich Ihnen noch einmal herzlich danken möchte, HerrMinister Eichel,
Dr. Peter Struck
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gezeigt – ist: mehr Investitionen und weniger Schulden.Dieser Kurs bleibt. Ich weiß, daß wir hinsichtlich desHaushalts 2000 darüber intensive Debatten führen wer-den, auch in meiner Fraktion. Es ist überhaupt kein Ge-heimnis, daß wir, wenn wir über Sparen reden müssen,nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in der Frak-tion darüber diskutieren müssen, ob diese oder jeneSparmaßnahme richtig ist. Aber im Gegensatz zu derVorgängerregierung und dem Schuldenmacher Waigelnehmen wir diese Verantwortung ernst. Das werden Sieim Haushalt 2000 auch sehen.
Der Haushalt 1999 ist übrigens der erste Haushalt seit1994, in dem die Ausgaben für die Zukunftsaufgabendieses Landes aufgestockt und nicht gesenkt wordensind.
1 Milliarde DM mehr investieren wir in Forschung undInnovation.Dies ist der erste Haushalt dieser Republik, der einerEnergiewende Rechnung trägt und auf erneuerbareEnergieträger statt auf das Risiko Atomstrom setzt.
Dafür haben wir fast 300 Millionen DM zusätzlich zurVerfügung gestellt.Dies ist ein Haushalt, der sich trotz knapper KassenLuft geschaffen hat, um soziale Fehlentwicklungen beiden Renten und bei der Familienförderung zu korrigie-ren.Dies ist ein Haushalt, der es ernst meint mit derBekämpfung der Arbeitslosigkeit. Wir haben ein2-Milliarden-Programm für 100 000 Jugendliche aufge-legt, von dem schon 60 000 Jugendliche Gebrauch ge-macht und einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz gefun-den haben. Das kann sich sehen lassen; darauf sind wirstolz.
Was Sie, Herr Kollege Glos, über das „Bündnis fürArbeit“ gesagt haben, spottet nun wirklich jeder Be-schreibung.
Ich darf Sie daran erinnern, daß auch Herr Kohl schoneinmal ein „Bündnis für Arbeit“ versucht hat, und da-mals haben Sie das nicht so abqualifiziert wie eben. Erist allerdings gescheitert, weil er sich einseitig auf dieSeite der Arbeitgeber geschlagen hat. Das werden wirnicht tun.
Wir begrüßen auch, daß dieser Tage, allen Quer-schüssen der Verbandsfunktionäre zum Trotz, mit MarkWössner, dem Aufsichtsratsvorsitzenden von Bertels-mann, einer der führenden Vertreter der deutschen Wirt-schaft unmißverständlich klargestellt hat, daß er aus-drücklich hinter dem Primat der Regierungsarbeit steht,die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. In „Capital“ erklärteWössner:Für den Kampf gegen dieses Karzinom der deut-schen Gesellschaft verdient und bekommt der Bun-deskanzler die Unterstützung der Wirtschaft.Das ist ein erfreuliches, ein ermutigendes Wort.
Ich zitiere aus einer heutigen Meldung, was ein wei-terer nicht unbekannter Vertreter der deutschen Wirt-schaft, Herr Kopper, gesagt hat.
– Da müssen Sie nicht lachen, Herr Kollege Kohl. Ichverstehe das gar nicht.
– Das ist Ihre Sache.
Hilmar Kopper, der Beauftragte der Bundesregie-rung für Auslandsinvestitionen in Deutschland, hatdie Wirtschaft zur Mäßigung im Umgang mit derrot-grünen Koalition aufgerufen. Drohungen ausStrom- und Versicherungskonzernen, Unterneh-mensteile ins Ausland zu verlegen, seien nichtglücklich, sagte Kopper dem Hamburger Magazinstern … Auch die wohlfeile Kritik des BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel im Wall Street Jour-nal am Standort Deutschland habe ausgewogenersein können.Er hat recht, der Herr Kopper.
In den letzten Wochen hatte man bei den ThemenScheinselbständigkeit und 630-Mark-Jobs – HerrKollege Glos hat sich dem auch in aller Breite und aufniedrigem Niveau gewidmet –
mitunter den Eindruck, hier gehe es gar nicht mehr umdie Sache, sondern es solle von einigen mit einer Kam-pagne ausgelotet werden, wer die Macht im Staate hat.Für meine Fraktion sage ich hier klipp und klar: Wirwollen die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Wir ma-chen keine Politik gegen die Wirtschaft, sondern wirwollen eine Politik mit der Wirtschaft zum Wohle desLandes. Aber Dialog darf nicht Diktat bedeuten. PolitikDr. Peter Struck
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wird nicht in den Verbandsspitzen gemacht, sondernimmer noch im Parlament und in der Regierung.
Wenn der sogenannte Bund der Steuerzahler jetzt zu ei-nem Steuerboykott aufruft, dann ist das eine Ungeheu-erlichkeit. Die seriöse Wirtschaft sollte sich von solchenRattenfängermethoden distanzieren.
Es kann für das Wohl dieses Landes nicht gut sein,wenn inzwischen 20 Prozent der Erwerbstätigen keineBeiträge mehr zur Sozialversicherung zahlen.
Auch Sie von der Union, allen voran Norbert Blüm, ha-ben diese Entwicklung beklagt. Aber Sie haben nichtsgetan und damit die Aushöhlung der Sozialsysteme inKauf genommen. Wir dagegen wollen nicht einer Ent-wicklung zusehen, in der immer mehr Menschen auf ei-ner Basis arbeiten, die ihnen keinerlei soziale Sicherheitgewährleistet.
Nehmen Sie das berühmte Beispiel von der Kellnerin– auch Kollege Glos hat von den Biergärten gesprochen –, die für einen Restaurantbesitzer als freie Unternehmerinarbeitet.
– Quatsch! – Sie kauft bei ihm an der Theke Speisen undGetränke, die sie dann an den Gast weiterverkauft.Wenn das dann so weit geht, daß sie regreßpflichtigwird, weil sie an der Theke zuwenig gekauft hat, da siean den Tischen zuwenig verkaufen konnte, dann ist dastiefster Frühkapitalismus. Das wollen wir nicht; so ein-fach ist das.
Wir wollen auch nicht, daß Speditionen ihre Fahrer ent-lassen und als Scheinselbständige wieder beschäftigen.Dagegen gehen wir vor.
Ich räume aber ein, daß es in der Computerbranche,im Beratungsbereich und in der VersicherungswirtschaftFälle gibt, bei denen Unterscheidungen schwierig sind.Wir müssen die Handhabung auf jeden Fall einfachermachen. Wir müssen prüfen, ob wir Einkünfte aus einernebenamtlichen Lehr- bzw. Übungsleitertätigkeit imSport steuerlich besser behandeln können. Ich habe dasangekündigt. Meine Fraktion steht dazu.
Wir sprechen über die sogenannte Übungsleiterpau-schale. Daran arbeiten wir. Das ist Konsens zwischenden Koalitionsfraktionen, dem Kanzleramt, dem Ar-beitsministerium und dem Wirtschaftsministerium. EineExpertenkommission wird zügig prüfen, wie man mitGrenzfällen umgehen kann.
Es geht hier nicht um Nachbessern. Es geht auchnicht darum, daß irgend jemand einknickt. Es geht dar-um, ein Gesetz für eine komplizierter gewordene Ar-beitswelt kompatibel zu machen. Um nicht mehr und umnicht weniger geht es.
Zur Diskussion über die 630-Mark-Beschäfti-gungsverhältnisse sage ich nur: Diese Diskussion istseltsam. Da wird im Augenblick ausgerechnet vonGroßunternehmen mit Krokodilstränen darauf abgeho-ben, daß man doch für die Kleinverdiener Verständnishaben müsse. Dieses Argument gebrauchen diejenigen,die in großem Stil normale Arbeitsverhältnisse aufgelöstund die Menschen zu Kleinverdienern gemacht haben!
So geht es nun wirklich nicht. Es kann nicht sein, daßein VW-Arbeiter, der Überstunden macht, für den Lohnaus diesen Überstunden Steuern und Sozialabgabenzahlt, daß sein Kollege aber, der nach Feierabend neben-her kellnert, dafür vom Fiskus nicht belangt werdenkann. Das kann man keinem Menschen erklären. Das istauch verfassungsrechtlich nicht verantwortbar.
Das wollten wir mit unserem 630-Mark-Gesetz än-dern. Wir haben dies getan. Wir sind von der Richtigkeitdieses Ansatzes weiterhin überzeugt.
Arbeitsminister Riester darf sich auf diesem Wege derbesonderen Solidarität der SPD-Bundestagsfraktion ge-wiß sein.
Im übrigen sollten Sie als Christdemokraten sich mitselbstgefälligen Erklärungen zurückhalten.
Was sich Ihr Vorsitzender auf diesem Feld leistet, ist
schon Dialektik vom Feinsten. Auf dem Parteitag in Er-furt hat Herr Schäuble für sich in Anspruch genommen,schon seit Jahren vor einer ungebremsten Umwandlungregulärer Beschäftigungsverhältnisse in versicherungs-freie gewarnt zu haben. – Es ist ja wunderbar, wenn Sienicken, Herr Schäuble. Aber unseriös ist das trotzdem,da Sie uns nie konkret sagen, wie Sie es denn machenwollen. Mein Vorredner, Herr Glos, hat gesagt: Wirmüssen das alles wieder abschaffen. Sie müssen mirDr. Peter Struck
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schon erklären, wie diese beiden Positionen miteinanderzu vereinbaren sind.
Sie überlassen uns die Arbeit bei der Regelung der630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse.
– Ja, klar: Wir regieren, wir machen die Arbeit auch.Ich möchte auf folgendes hinweisen: Gestern ist ineiner sehr interessanten Episode von Herrn Eichel undHerrn Solms ein Vorgang in die Öffentlichkeit gebrachtworden, an dem auch ich beteiligt war, so daß ich bestä-tigen kann, daß sowohl die Aussagen von Herrn Solmsals auch die von Herrn Eichel richtig waren.
Wir haben im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens,das an den Vermittlungsausschuß überwiesen wurde,über die Frage diskutiert, ob es denn wirklich angehtoder ob man es ändern muß, daß 630-Mark-Neben-beschäftigungsverhältnisse nicht voll in die Steuer- undVersicherungspflicht einbezogen werden – so, wiewir es dann gemacht haben. Es gab in diesem KreisZustimmung von dem damals zuständigen MinisterNorbert Blüm;
es gab Zustimmung von dem damaligen und heutigenVorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
– Moment. – Es gab auf die Frage von uns Sozialdemo-kraten: „Können wir das dann nicht machen?“ – HerrSolms hat das gestern dankenswerterweise wörtlich zi-tiert – die klare Antwort von Herrn Schäuble: Da müs-sen Sie Herrn Solms fragen.
Mit anderen Worten: Sie wollten; wir wollten. Was wirjetzt machen, ist eigentlich nur das, was wir damals be-sprochen haben. Erinnern Sie sich einmal an Ihre eigenenReden und Taten, bevor Sie hier derartig herumpolemi-sieren.
Meine Damen und Herren von Union und F.D.P., die-ser Haushalt ist ein Haushalt gegen Ihr altes „Weiterso“. Wir haben den Ansatz für zukunftsträchtige und so-zial befriedend wirkende Investitionen anheben können,obwohl wir gezwungen sind zu sparen, wie Hans Eicheldas gestern dargestellt hat. Sie haben uns ein struktu-relles Haushaltsdefizit von 30 Milliarden DM als Erb-last hinterlassen. Ihnen müßte doch die Schamröte insGesicht steigen angesichts der Watschen, die die ober-sten Bundesgerichte für die von Ihnen verantwortetePolitik in den letzten Jahren permanent austeilen.
Ich halte mich auch wegen eines Gespräches, das dieFraktionsvorsitzenden gestern mit den Richtern desBundesverfassungsgerichts gehabt haben, mit Richter-schelte zurück. Aber ich will doch sagen: Es ist schonauffällig, wie Sie auch nach Ihrer Abwahl die Verfas-sungsgerichte immer noch mit Ihrer verfehlten Politikbeschäftigen.
Theo Waigel war es erlaubt, mit den FamilienSchlitten zu fahren, obwohl die Klage gegen die Unge-rechtigkeit des bisherigen FamilienlastenausgleichsAnfang der 90er Jahre in Karlsruhe eingereicht wordenist und dort also anhängig war. Es waren dann wir, dieaufgefordert wurden, das zu korrigieren. Wir werden dasnatürlich tun, auch deshalb, weil wir schon immer derMeinung waren, daß Familien steuerlich bessergestelltwerden müßten. Das haben wir übrigens auch im Deut-schen Bundestag immer gesagt. Wir haben dafür abernie bei Ihnen die Mehrheit gefunden. Es ist schon aben-teuerlich, daß ich mir manche Kritik aus Ihren Reihen zuunseren Vorstellungen über Familienentlastung anhörenmuß. Sie haben in 16 Jahren die Familien systematischsteuerlich benachteiligt, und jetzt vergießen Sie Kroko-dilstränen.
Das Verfassungsgericht rennt bei uns offene Türen ein.Theo Waigel konnte übrigens auch bei den DDR-Sonderrenten sparen, obwohl auch in diesem Fall seitAnfang der 90er Jahre eine Klage anhängig war. Wirwerden das – das will ich hier für die Koalitionsfraktio-nen sagen – nach dem Karlsruher Spruch korrigieren.Wir müssen es korrigieren.
– Herr Kollege Glos, ich will der Bevölkerung IhrenZwischenruf mitteilen.
Sie haben gesagt, das sei ein unsinniges Urteil.
Mein Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht hin-dert mich daran, solch unsinnige Äußerungen zu tun,Herr Kollege Glos.
Theo Waigel und die Regierungen Kohl haben jahre-lang mit einer Spreizung zwischen den Steuersätzenauf private Einkünfte und auf unternehmerische Ein-künfte gearbeitet. Jetzt äußert der BundesfinanzhofZweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung.Dr. Peter Struck
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Wir müssen das in Ordnung bringen. Fast schon im Mo-natstakt werden uns im Namen des Volkes die Erblast-urteile Ihrer Politik serviert.
Das alles bei der künftigen Finanzplanung zu berück-sichtigen macht die Arbeit des Finanzministers und derBundesregierung natürlich nicht einfacher. Er hat ge-stern klargemacht, daß mit ihm der von Ihnen beschrit-tene Weg weiter hinein in den Verschuldungsstaat nichtzu machen ist. Sie, Herr Minister Eichel, haben dabeiunsere volle Unterstützung.
Wir wollen eine Unternehmensteuerreform auseinem Guß – eine Reform, die den Namen wirklich ver-dient. Daran arbeiten unsere Experten, daran arbeitet dasMinisterium. Es ist wichtig, daß die Wirtschaft vernünf-tige Rahmenbedingungen bekommt, mit denen sie mit-telfristig planen kann. Das ist wichtiger als die Frage, obwir die Reform noch in diesem Jahr verabschieden.Wichtiger ist – wenn wir sie Anfang 2000 verabschieden –,
Klarheit für die deutsche Wirtschaft zu haben. Das istdas, was sie braucht, und dies wird sie von uns auch be-kommen.
Die Eckwerte der Steuerreform wie etwa die Spitzen-steuersätze können nur im Rahmen einer finanzpoliti-schen Gesamtschau festgelegt werden. Steuerreform,Haushalt 2000, Familienentlastungsgesetz und die wei-teren Stufen der Ökosteuer müssen im Zusammenhanggesehen werden wie kommunizierende Röhren. Wirwerden dazu im Frühsommer ein Konzept vorlegen.Diejenigen, die sich heute unterbieten in den Forderun-gen nach immer geringeren Steuersätzen für Unterneh-men, müssen gewillt sein, bei der Verbreiterung derBemessungsgrundlage, bei dem Schließen von Steuer-schlupflöchern und bei dem Abbau von Subventionenebenso aktiv wie kreativ mitzuarbeiten.
Wir haben mit diesem Haushalt die ersten Steine ausdem Weg geräumt. Es war ein Anfang. In der Debattezur ersten Regierungserklärung Gerhard Schröders –damals konnten wir noch nicht ahnen, daß wir uns vorallen Dingen mit außenpolitischen Fragen beschäftigenmüssen – habe ich ein chinesisches Sprichwort zitiert,das lautet: „Jede noch so lange Reise beginnt mit demersten Schritt.“ Wir haben diese ersten Schritte jetzt ge-tan und werden unseren Weg fortsetzen, beharrlich undmit dem Ziel vor Augen: mehr Beschäftigung, mehr In-novation, mehr Gerechtigkeit.
Ich erteile nun das
Wort Herrn Dr. Wolfgang Gerhardt, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Der Kollege Struck hat zuBeginn seiner Rede gesagt, es gehe in dieser Debatte umdie Grundlinien der Politik. Darauf will ich mich einlas-sen; aber dann geht es um die Grundlinien der Politiknach innen wie nach außen.Die erste Grundlinie der Politik muß die Kenntnis-nahme der Wirklichkeit sein: Die Arbeitswelt hat sichgeändert. Die Industriegesellschaft hat sich gewandelt.Die alten, festen wöchentlichen Arbeitszeiten bestehenin großen Unternehmen so nicht mehr. Die Einheitsbe-schäftigungsverhältnisse wandeln sich. Nur die Koali-tion steckt fest. Die Koalitionsvereinbarung gilt; sienimmt die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis.
Die sozialen Sicherungssysteme sind unbeweglichgeworden – das weiß der Bundeskanzler wie auch wir –:Die Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten sind ge-schwunden; die Möglichkeit, persönliche Verantwortungungebremst ins Kollektiv, in staatliche Regelungen zuüberführen, ist vorbei.Beginnen wir mit einem Thema, das bei Ihnen in derKoalition derzeit diskutiert wird. Seit zwei Jahrzehntenversucht man, die Probleme der gesetzlichen Kranken-versicherung durch Kostendämpfungsgesetze zu kurie-ren. Wir alle kennen den begrenzten Erfolg. Die Ge-staltungsmöglichkeiten der Kassen werden jetzt wiederverengt. Die Transparenz für die Inanspruchnahme vonLeistungen wird beseitigt. Alles wird budgetiert, alleswird verriegelt, alles wird verbürokratisiert. Der freieArzt wird nach Ihrem Vorhaben in Zukunft eine ArtScheinselbständiger.
Früher galt der Spruch: Wem Gott ein Amt gibt, demgibt er auch den dazugehörigen Verstand. – Diese Hoff-nung hat Rotgrün gründlich enttäuscht.
Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt:Es ist der große Irrtum der politischen Linken, daßsich Solidarität und Wettbewerb nicht vereinbarenlassen und daß deshalb auf Wettbewerb in einemsolidarischen Gesundheitswesen verzichtet werdenmüsse.Sie fügt hinzu:Es mag manchem Politiker unbequem sein, aber esgibt keine Alternative zu mehr Wettbewerb, wenndas solidarische Gesundheitswesen erhalten bleibensoll.
Das ist die politische Grundrichtung, die eingeschlagenwerden muß. Darüber streiten wir.Dr. Peter Struck
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Diese Haltung setzt sich nahtlos fort. Lafontaine istzwar ab durch die Neue Mitte, aber sein Nachlaßver-walter, der Bundesarbeitsminister, ist noch da. Er läßtjetzt das Prinzip „Ordnung vor Arbeit“ auf den deut-schen Arbeitsmarkt niederregnen.
Dabei geht Ordnung so vor Arbeit, daß Arbeit ver-schwindet. Der deutsche Arbeitsmarkt leidet doch nicht,wie der frühere Bundesfinanzminister uns weismachenwollte, unter der Zinspolitik von Wim Duisenberg. Derdeutsche Arbeitsmarkt leidet unter strukturellen Proble-men, die Sie bis heute nicht zur Kenntnis nehmen unddie Sie mit dem Vorschlag „Mit 60 in Rente“ zu kurie-ren versuchen, als stünden nahtlos Arbeitslose zur Ver-fügung, um auf vorhandene Arbeitsplätze nachzurücken.
Diese mechanische Vorstellung vom Arbeitsmarkt wirdvon den noch vorhandenen Bodentruppen Oskar Lafon-taines wider bessere Erkenntnis verteidigt, auch in Ihrereigenen Partei.
Meine Damen und Herren, es geht nicht nur um dieFrage 630-Mark-Jobs oder Scheinselbständige; es gehtvielmehr um die Geisteshaltung, die hinter Ihren Vorha-ben steckt. Hinter dem Vorhaben, 630-Mark-Jobs zuregulieren, steckt das Denken von SPD und Grünen, daßes die nicht geben darf, die sich anders verhalten, als esin sozialdemokratischen und grünen Parteiprogrammenbeschlossen wurde. Das ist der Anschlag auf die Le-benswirklichkeit.
Jetzt sagen Sie: Da muß eine Kommission eingerich-tet werden, die das noch einmal überprüft. – Sie und dieKommission haben ja Zeit. Aber bis die Kommissionmit der Überprüfung fertig ist, haben Tausende vonMenschen in Deutschland ihren Job verloren!
Herr Bundeskanzler – dafür mache ich Sie persönlichverantwortlich –, Sie betreiben unter Ihrer Verantwor-tung einen einzigartigen Anschlag auf bestehende Ar-beitsverhältnisse in Deutschland. Sie vernichten Be-schäftigung! Das kulminiert in diesem Punkt.
Im übrigen – das sage ich jetzt auch der deutschenÖffentlichkeit, und zwar im Nachgang zu vielen Erleb-nissen, die ich im Bundestagswahlkampf hatte – hätteman das erkennen können. Die Anzeigen, die die Zei-tungsverleger heute schalten, verwundern mich doch et-was. Ich begegnete Zeitungsverlegern an einem Tag ih-res jüngsten Treffens in Goslar, an dessen Vorabend derjetzige Bundeskanzler in seiner früheren Eigenschaft alsniedersächsischer Ministerpräsident anwesend war. Dawurde mir mit strahlenden Augen erklärt, gestern seiHerr Schröder da gewesen, habe zu den berufsständi-schen Versorgungswerken positive Aussagen gemachtund erklärt, daß man die Verlage bei einer möglichenRegelung gegen den Mißbrauch der 630-Mark-Be-schäftigungsverhältnisse selbstverständlich ausnehmenwerde.
Ich kann den Zeitungsverlegern und vielen anderen inunserer Gesellschaft, die hohe Verantwortung haben,nur sagen: Es stehen genügend Informationen zur Ver-fügung, den Wahrheitsgehalt solcher Aussagen abzuklä-ren – nicht zuletzt das Parteiprogramm der Sozialdemo-kratischen Partei. Das hätte man vorher abklären kön-nen.
Jetzt bleiben viele kleine, freie Journalisten auf derStrecke, die für verschiedene Lokalredaktionen arbeiten.Jetzt bleiben viele Frauen – im übrigen auch Männer –auf der Strecke, die morgens Zeitungen austragen. Sievon den Regierungsfraktionen vernichten die Leistungs-bereitschaft in unserer Gesellschaft; denn viele sind be-reit, früh aufzustehen, etwas neben dem Hauptjob zumachen, sich etwas dazuzuverdienen.
Damit zeigen sie eigene Leistungsbereitschaft, ehe sieAnsprüche an Dritte stellen.
Dann geht es mir noch um eine dritte Abteilung, dieder Kollege Glos schon angesprochen hat. Es ist all-mählich unerträglich,
daß der Ministerpräsident von Niedersachsen, Herr Glo-gowski, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen,Herr Clement, der Chef des Kanzleramtes und viele an-dere aus der Fraktion der SPD – Herr Struck eben noch– dauernd Nachbesserungen, Veränderungen und Entge-genkommen ankündigen, das in Interviews streuen, abernicht zu ihrem Wort stehen. Das sind Schwätzer. Das istdie Glaubwürdigkeitsfrage, die gestellt werden muß.
Deshalb darf man das auch emotionalisieren. Ichwundere mich ohnehin schon darüber, wie lange diedeutsche Öffentlichkeit bereit ist, hinzunehmen, daßnamhafte Sozialdemokraten an jedem Wochenende inführenden deutschen Magazinen und Tageszeitungenanderes sagen, als sie in Abstimmungen bekunden. Daswollen wir diese Woche im Deutschen Bundestag aufdie Probe stellen.
Es geht nicht um eine etwaige Verbesserung. WennSie, Herr Bundeskanzler, Beschäftigung in Deutschlandsichern wollen, müssen Sie in dieser Woche mit uns ab-stimmen. Die Gesetze müssen weg! Das ist die einzigeAlternative.
Dr. Wolfgang Gerhardt
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3082 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Sie haben in Ihrer Rede – das konnte ich nachlesen –vor Ihrer Wahl zum Parteivorsitzenden einige Passagenzu den sozialen Sicherungssystemen nicht vorgetragen,die in Ihrem Redetext vorhanden gewesen sein müssen.Möglicherweise wollten Sie Ihren eigenen Genossinnenund Genossen die Wahrheit, die Sie und ich kennen,nicht zumuten. Wenn Sie aber Ihren eigenen Genossin-nen und Genossen die Wahrheit über die Unfinanzier-barkeit der sozialen Sicherungssysteme verschweigen,dann betrügen Sie nicht nur Ihre Genossinnen und Ge-nossen, sondern auch die junge Generation in der Bun-desrepublik Deutschland. Deshalb ist das kein Vorgang,der nur einen SPD-Parteitag beschäftigen könnte.
Ich werfe Ihnen nicht vor, daß Sie eine falsche Politikmachen, wenn ich anderer Meinung als Sie bin. MeinVorwurf trifft Sie in einem Punkt: Sie wissen genausogut wie ich, daß das, was Sie machen, falsch ist. Sie ha-ben nur nicht die Courage, das zu ändern, und das mußangesprochen werden.
Sie wissen, daß die sozialen Sicherungssysteme sonicht mehr bestehen können. Damit wir uns nicht miß-verstehen und damit kein falscher Zungenschlag in dieDiskussion kommt:
Wer wünschte sich nicht, daß die Rente auf gleichemNiveau bleiben könnte, während die Rentenversiche-rungsbeiträge gesenkt werden? Die Wahrheit ist aber,daß bei späterem Eintreten ins Berufsleben, bei frühe-rem Ausscheiden aus dem Berufsleben und bei höhererLebenserwartung der älteren Generation Adam Riesenicht widerlegt werden kann.Ihr Versuch, Adam Riese zu widerlegen, wird dieSteuerzahler erheblich Geld kosten und am Ende sowohldie ältere als auch die jüngere Generation betrügen, weilSie die jüngere so lange in unvermeidlich höhere Ren-tenversicherungsbeiträge treiben, bis das System explo-diert und damit auch die ältere Generation verliert.
Der Vorwurf gegenüber Ihrer Amtsführung, HerrBundeskanzler, richtet sich nicht nur auf das, was Sie anchaotischen Gesetzgebungsverläufen angerichtet haben.Nein, der Vorwurf gegen Ihre Amtsführung bestehtdarin, daß Sie ein Bundeskanzler sind, der die Wählerbei der Bundestagswahl mit einem Modernisierungsan-spruch gröblich getäuscht und die Neue Mitte, gebundenan Ihre Person, in die Verantwortung gebracht hat undjetzt das Programm der Regelungswut der alten Linkenauflegt. Selbst jetzt, nachdem Oskar Lafontaine weg ist,haben Sie nicht die Courage, Ihre Partei auf einen mo-dernen Kurs zu bringen. Dafür bezahlt Deutschland! Dasist der Punkt, der hier angesprochen werden muß.
Sie wissen, Herr Bundeskanzler, daß die Arbeits-märkte flexibilisiert werden müssen. Sie wissen wie ich,daß die sozialen Sicherungssysteme reformiert werdenmüssen. Sie wissen wie ich, daß die alten Finanzie-rungsgrundlagen im Gesundheitswesen nicht mehr tra-gen. Sie wissen auch, daß es ein Bockmist ist, was Sieim Hinblick auf die 630-Mark-Verträge und die Schein-selbständigkeit angerichtet haben. Sie sind aber nicht alsirgend jemand gewählt worden. Wenn Sie Ihr Amt nichtmit Courage ausführen können, müssen Sie es verlassen!
Sie müssen Ihre Fraktion in Kenntnis setzen über dieWirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren, es geht auch um den in-nenpolitischen Teil. Herr Kollege Struck, es ist bemer-kenswert, wie Sie immer wieder den Versuch unterneh-men, mit dem Thema Kosovo einen Mantel über nahezualle Streitigkeiten nach dem Motto „Es wäre besser, wirdiskutierten über das Problem; denn da sind wir unseiniger“ zu legen. Nein, meine Damen und Herren, diedeutsche Opposition findet auch zu Zeiten statt, da sichDeutschland zum erstenmal in einer so schwierigen Si-tuation wie der im Kosovo befindet.
Eine solche Aufgabe muß die Opposition wahrnehmen.
Man kann doch nicht immer über den Kosovo diskutie-ren und dabei innenpolitisch einen bleibenden Flurscha-den hervorrufen. Sie werden in die Wirklichkeit zurück-kommen, wenn hoffentlich das Problem im Kosovo ge-löst ist, die Menschen dort in ihre Heimat zurückkehrenkönnen und Sie dann auf das Elend zurückgeworfenwerden, das Sie in Deutschland im Bereich der Innen-,der Rechts- und der Wirtschaftspolitik angerichtet ha-ben.
Nein, das ist kein Weg.Sie haben vor wenigen Tagen eine Anzeige geschaltetund darauf aufmerksam gemacht, daß es wohl ganz gutsei, in der jetzigen Situation das Thema Kosovo nicht zumGegenstand parteipolitischer Erörterungen zu machen.
Als ich die Anzeige las, habe ich mir vorgestellt, wie Sieund der Bundesaußenminister reagiert hätten,
wenn die Bundesregierung Kohl/Kinkel oder wir alsF.D.P. in alter Regierungsverantwortung oder die CDUeine solche Anzeige geschaltet hätten. So wahr wie dasAmen in der Kirche ist: Sie hätten sich nicht nur nichtdanach gerichtet, sondern Sie wären schon die ganzeZeit mit Ihren Bodentruppen im Bonner Hofgarten ge-wesen und hätten gegen die NATO-Politik protestiert.
Dr. Wolfgang Gerhardt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3083
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Bemerkenswerterweise ist die Erkenntnis mit derÜbernahme von Ämtern gekommen. Ich bezweifle nur,ob die Erkenntnis ohne die Übernahme von Ämtern ge-kommen wäre. Die Frage der Glaubwürdigkeit ist abernicht an ein Amt gebunden, sondern an Erkenntnisfort-schritt – egal, in welchem Amt man ist.
Deshalb sage ich Ihnen zum Thema Kosovo ganz of-fen, was neben Übereinstimmungen jetzt notwendig ist:Uns reichen die täglichen Briefings über die Fernseh-schirme nicht mehr aus.
Das reicht auch einem großen Teil der Bevölkerungnicht mehr aus. Sie gewinnt genauso wie ich allmählichden Eindruck, daß die notwendige Kombination vonMilitärstrategie und Diplomatie so glücklich nicht mehrist, daß sie ein Stück Zusammenhalt verloren hat, daßnach dem Einstieg hier jetzt Erklärungsprobleme auf-treten. Die mögen Sie mir in Briefings oder Ausschuß-beratungen erklären können. Entscheidend ist aber, obdie Gesellschaft die Erklärungen, die sie bekommt, ak-zeptiert und ob diese Erklärungen akkurat, gut verständ-lich sind und klar wahrgenommen werden.Deshalb sage ich Ihnen: Angesichts Ihrer Ratspräsi-dentschaft möchte ich für die Fraktion der F.D.P. mehrwissen, als ich gegenwärtig in Erklärungen im Deut-schen Bundestag erhalten habe und als ich den Zeitun-gen entnehmen kann. Ich möchte von Ihnen wissen, wieSie, je länger militärische Aktionen andauern, in dennächsten Schritten politisch agieren wollen. Denn Pro-blemlösungskompetenz nach außen und die Frage dermilitärischen Behandlung im Innern gehören zusammen.Die NATO hat als Charakterbild nicht nur das Militär-bündnis, sondern sie will immer auch die politischeGrundfestigkeit nach außen ausstrahlen.Sie wissen ebenso wie der Bundesaußenminister – da-rin stimmen wir überein –, daß Probleme nicht alleinmilitärisch zu lösen sind, daß aber militärische Ent-schlossenheit dazugehört. Wir möchten allerdings be-schrieben haben, und zwar nicht nur im Nachklapp zuPressekonferenzen, wie aus Ihrer Sicht konstitutiv Pro-blemlösungen aussehen können, welche Qualität diedeutsche Bundesregierung in sie hineinlegt, mit wem sieüber Lösungen verhandelt und zu welchen Ergebnissensie in welchen Zeitabschnitten kommen will.Wir haben übereinstimmend festgestellt, daß Ruß-land eine große Verantwortung hat. Wir haben gemein-sam ausgedrückt: Wir wollen sogar, daß Rußland dieseVerantwortung wahrnimmt. Rückblickend betrachtetmuß ich sagen: Äußere Zeichen sind manchmal auchSymbole für innere Eindrücke. Unter diesem Gesichts-punkt waren der Empfang, der Umgang und die Kühleim Bundeskanzleramt, als der russische Ministerpräsi-dent Primakow hier zu Besuch war, nicht in Ordnung.
Wir spüren doch, daß eine linke Koalition in einemKrieg ein Paradoxon ist. Wir merken das an IhrenHaltungen und auch an Ihrem Vokabular. Daß Sie indieser Frage stark mit sich ringen müssen, das ist je-dem klar.
Aber deshalb können Sie nicht sozusagen den Wunschhaben, es möge keine Opposition stattfinden, nur weilSie damit Probleme haben. Vielleicht hätte die frühereBundesregierung nicht den dauernden Nachweis für ihreBündnisfähigkeit in der Weise erbringen müssen, wieSie es müssen.
Vielleicht hätte eine andere Bundesregierung sogar ehereigene Initiativen voranbringen können. Man merkt, daßSie eine deutsche Schlüsselrolle spüren; man merkt aberauch, daß Sie sie nicht klar genug wahrnehmen.
Mir reicht eben nicht aus, was bis heute erklärt wordenist.
Jetzt möchte ich eine Frage stellen, die den Einsatzvon Bodentruppen betrifft.
– Ich will im Plenum des Deutschen Bundestages vonder deutschen Bundesregierung die notwendigen Aus-künfte über ihr zukünftiges Verhalten in der Mixtur vonmilitärstrategischen Schritten und politischen Initiativen.
Wenn das von der Mehrheitsfraktion als Zumutung emp-funden wird, wie die Zurufe zeigen, dann muß das derdeutschen Öffentlichkeit mitgeteilt werden.
Ich finde, daß gerade sehr kritische Situationen im Par-lament besprochen werden müssen.Was den Einsatz von Bodentruppen anbetrifft – eineDiskussion, die wir in der ganzen deutschen Medien-landschaft haben und die viele von uns als Fragestellerim Plenum oder untereinander führen –, möchte ich fürdie Fraktion der F.D.P. erklären, daß er in den bishermandatierten NATO-Strategien für uns nicht in Fragekommt.
Für die Fraktion der F.D.P. erkläre ich – auch weil Ge-spräche mit dem amerikanischen Präsidenten bevorste-hen –, daß eine Mandatierung für deutsche Soldaten imKosovo selbst nur im Rahmen eines Mandats der Ver-einten Nationen oder, wie im Abkommen von Ram-bouillet vorgesehen, im Rahmen eines von allen Kon-Dr. Wolfgang Gerhardt
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3084 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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fliktparteien unterzeichneten Abkommens nach Zu-stimmung im Bundestag in Frage kommt.
– Ja, das steht in Ihrer Vorlage. Deshalb möchte ich wis-sen, ob Sie das auch so sehen,
ob Sie das vorgreiflich unseren Bündnispartnern mittei-len und ob der Bundeskanzler das zum Gegenstand desGesprächs mit dem amerikanischen Präsidenten zu ma-chen gedenkt. Das ist doch keine Nebenfrage, die andieser Stelle erörtert werden muß.
Kurzum: Ich will einfach wissen, welche Aktivitätenin der Sache gelten und welche Sie inhaltlich wahrneh-men. Es ist die Pflicht einer Opposition, das abzufragen;anders würden wir unserer Aufgabe nicht gerecht. Na-türlich gilt der Appell: Keine Parteipolitik! Das kannaber nicht bedeuten, sich mit spärlichen Auskünften zubegnügen. Wir wollen schon wissen, um was es geht.
Herr Kollege, den-
ken Sie an Ihre Redezeit?
Ich komme zu ei-
nem bemerkenswerten Schluß,
weil bei der Wahrnehmung der Oppositionsrolle aus den
Reihen der SPD der Zwischenruf „Spalter“ kommt.
Wissen Sie, meine Damen und Herren Kollegen, die
Opposition im Deutschen Bundestag läßt sich von den
Sozialdemokraten nicht den Mund verbieten.
Schon gar nicht von einer Partei, die sich, als wir in der
Verantwortung waren, noch nicht einmal so solidarisch
mit unseren Entscheidungen verhalten hat, wie das die
Opposition heute tut.
Nein, meine Damen und Herren, wir werden nicht
zulassen, worauf Sie hinauswollen. Sie wollen eine Ko-
sovo-Debatte führen und damit verdecken, was Sie im
Innern des Landes mit Ihren nicht erledigten Hausaufga-
ben anrichten.
Es ist Ihr gutes Recht, das zu versuchen. Die Opposition
wird das aber nicht zulassen. Sie suchen nach einem
Mäntelchen, das über alles gedeckt werden soll, erledi-
gen aber in Deutschland Ihre Hausaufgaben nicht.
Sie schweifen ab. Das lassen wir nicht zu und werden es
auch nicht zulassen.
Die Opposition hat einen breiten, klaren demokrati-
schen Auftrag der Kontrolle von Macht. Den nehmen
wir sowohl bei den strategischen Überlegungen im Ko-
sovo wie in der innen-, wirtschafts-, sozial- und finanz-
politischen Debatte wahr.
Ich erteile das Wortder Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Esist in der Tat eine außerordentlich schwierige Situation,in der wir hier den Haushalt beraten. Mir ist das in dervergangenen Woche – es wird einigen von Ihnen ähn-lich gegangen sein –, bei den Kundgebungen am1. Mai zum Tag der Arbeit, noch einmal sehr bewußtgeworden. Dort gab es nämlich fast kein anderes The-ma als den Krieg im Kosovo. Ich kann das gut verste-hen. Uns alle beschäftigt dieser Krieg mehr als jedesandere Thema.Herr Gerhardt, daß Sie ausgerechnet dieser Bundes-regierung und ausgerechnet dem Außenminister Fischervorwerfen, sie hätten nicht wirklich alles versucht, umzu einer politischen Lösung zu kommen und die Spiel-räume auszuschöpfen, das ist wirklich völlig absurd.
Reden Sie doch einmal mit den Verbündeten; sie allewerden Ihnen das bestätigen.
Ich werde später auf das Thema Kosovo zurückkom-men.Zunächst will ich den Vorwurf aufgreifen, wir wür-den nur deshalb so ausführlich darüber diskutieren, umbestimmten innenpolitischen Debatten auszuweichen.Ich muß ganz klar sagen: Das ist natürlich nicht der Fall.Kommentare und angebliche – anonyme – Zitate habenmich sehr geärgert, die besagen, daß der Krieg dieserKoalition nutze oder ihr eine zweite Chance biete. HerrGerhardt, Sie haben das ja soeben auch unterstellt. Ichsage hier ganz klar: Solche Beurteilungen sind nicht nurabsurd, sie sind schäbig und auch zynisch. Diese Koali-tion braucht keinen Krieg. Er bietet auch keine Chance,meine Damen und Herren.
Dr. Wolfgang Gerhardt
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Wir sind angetreten, um den ungeheuren Reformstauin diesem Land zu überwinden. Es geht darum, die Zu-kunftsfähigkeit zurückzugewinnen. Wir haben damit be-gonnen, und wir werden diesen Weg fortsetzen, konse-quent und aller Polemik zum Trotz; denn zu diesemWeg gibt es keine Alternative.
Wir brauchen eine umfassende Modernisierung vonStaat, Wirtschaft und Gesellschaft. Wir brauchen eineModernisierung, die ökologische Nachhaltigkeit und so-ziale Gerechtigkeit miteinander verbindet. Die von Ih-nen, von der alten Regierung geschaffenen Ungerechtig-keiten sind doch mehr als zahlreich. Damit haben wir esheute bei den sozialen und wirtschaftlichen Reformen zutun, mit den Ungerechtigkeiten zwischen den sozialSchwachen und den Besserverdienenden, zwischen denFamilien mit und ohne Kinder, zwischen Männern undFrauen, aber auch zwischen Einheimischen und Frem-den. Es gibt keine Gerechtigkeit mehr zwischen den Ge-nerationen. Wir haben doch von Ihnen nicht zuletzt einzutiefst ungerechtes Steuersystem übernommen, das wirjetzt modernisieren und reformieren.
Um die Gerechtigkeitslücke zu beseitigen, um dieZukunftsfähigkeit zurückzugewinnen, brauchen wir eineentschlossene Reformpolitik. Wir müssen und werdendabei verkrustete Strukturen überwinden, eingefahreneDenkbahnen verlassen und neue Lösungen finden. Wirwerden gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerk-schaften im „Bündnis für Arbeit“ neue Wege für Be-schäftigung und Ausbildung gehen. Wir entlasten mitunserer Steuerreform untere Einkommen, Familien mitKindern und eben auch kleine und mittlere Unterneh-men.
Wir werden mit einem neuen Generationenvertragmehr Generationengerechtigkeit schaffen. Wir werdenmit unserer Gesundheitsreform endlich den Patienten inden Mittelpunkt stellen und werden mit einer neuenEnergiepolitik auf ökologische Nachhaltigkeit setzen –alles Dinge, die Sie in der Vergangenheit versäumt ha-ben und die wir jetzt anpacken werden.
Zentrales Anliegen der Koalition ist die Bekämpfungder Massenerwerbslosigkeit. Deshalb hat für uns der Er-folg des „Bündnisses für Arbeit“ auch höchste Priori-tät. Daß das für Sie, Herr Glos, eine – wie haben Sie ge-sagt? – „nebulöse Veranstaltung“ ist, wundert michüberhaupt nicht. Denn Sie haben den Erfolg des „Bünd-nisses für Arbeit“ ja nie gewollt. Sie haben 1995 durcheine völlig nutzlose Konfrontation die damaligen Ge-spräche zum Scheitern gebracht. Wir greifen sie wiederauf; denn wir wollen gemeinsam – und nur gemeinsamwird das gehen – alle Möglichkeiten zum Abbau der Ar-beitslosigkeit nutzen.
Natürlich sind die Gespräche nicht immer einfach.Sie werden auch sicherlich nicht in allen wichtigen Fra-gen zu schnellen Ergebnissen führen. Wir müssen unsalle darüber klar sein: Wir werden hier einen sehr langenAtem brauchen. Aber die Gespräche haben begonnen.Schon das allein ist ein wichtiger Erfolg. Alle Beteilig-ten, die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände unddie Regierung, müssen und werden in dem „Bündnis fürArbeit“ ihren konkreten Beitrag leisten.Man kann aber schon jetzt festhalten, daß das Pro-gramm für 100 000 Ausbildungsplätze ein voller Er-folg ist. Ich rate Ihnen: Gehen Sie in Ihre Wahlkreise,und reden Sie mit den zuständigen Sachbearbeitern derdortigen Arbeitsämter. Dort wird man Ihnen genau dasbestätigen. Das Programm ist ein echter Renner. DieNachfrage ist wesentlich größer als das Angebot. Es ge-lingt erstmals – das ist der entscheidende Punkt –, Ju-gendliche zu erreichen, zu qualifizieren und zu vermit-teln, zu denen jahrelang keine staatliche Stelle einen Zu-gang hatte. Das liegt daran, daß wir den Jugendlichenmit unserem Programm signalisieren: Ihr gehört zu un-serer Gesellschaft, ihr habt hier euren Platz, wir werdeneuch eine Lebensperspektive schaffen. Deshalb wirddieses Programm – dessen bin ich mir sicher – nicht nurSignalwirkung für 100 000 Jugendliche, sondern darüberhinaus auch für weitere Jugendliche und Unternehmenhaben. Das ist ein weiterer wichtiger Punkt, der über dieursprüngliche Zielsetzung hinausgeht.
Einen weiteren großen Schritt in Richtung Zukunfts-fähigkeit gehen wir mit dem Einstieg in eine nachhaltigeEnergiepolitik. Wir setzen auf Energieeinsparung. Hiersetzen wir auf einen neuen zukunftsfähigen Energiemix,und zwar ohne Atomenergie. Wir werden auch auf dieverstärkte Nutzung von regenerativen Energien setzen.Anreize hierfür wird – ich weiß, das ist sehr umstritten;aber ich bin mir sicher, daß wir am Ende der Legislatur-periode klare Ergebnisse haben werden – der Einstieg indie ökologische Steuerreform schaffen. Sie ist und bleibtder entscheidende Schlüssel, um die Wirtschaft ökolo-gisch zu modernisieren. Energie wird schrittweise teurerund Arbeit billiger.Der Kollege Struck hat eben schon darauf hingewie-sen: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer habenam Ende des letzten Monats – erstmals seit Jahren – einekonkrete Verbesserung auf ihrem Gehaltszettel feststel-len können, weil wir die Lohnnebenkosten um 0,8 Pro-zent gesenkt haben. Hier muß ich Sie, verehrte Damenund Herren von der Opposition, fragen: Wo ist denn IhrVorschlag zu einer sozialverträglichen Senkung derLohnnebenkosten? Bei Ihnen herrscht doch nur Sende-pause.
Kerstin Müller
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3086 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Wir wollen und werden umsteuern. Deshalb werden –das kann ich Ihnen versprechen – die zweite und dritteStufe der ökologischen Steuerreform in Kraft gesetztwerden.Wir haben ein 100 000-Dächer-Programm auf denWeg gebracht, um eine verstärkte Nutzung der Solar-energie zu fördern. Es ist weltweit das größte Programmdieser Art.Wir haben ein Förderprogramm für erneuerbare Ener-gien beschlossen, mit dem vor allem die Nutzung vonBiogas, Solarenergie und geothermischen Energien ge-fördert werden soll. Wir stellen zusätzliche Forschungs-mittel für diese Bereiche bereit. Wir bereiten jetzt aucheine entsprechende Energiesparverordnung vor.Wirtschaftsminister Müller hat die Industrie, dieUmweltverbände und die Gewerkschaften zu einembreitangelegten Energiedialog über die Konsensgesprä-che hinaus eingeladen, um gemeinsam nach neuen We-gen für eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Ener-giepolitik zu suchen. Ich sage ganz klar: Meine Fraktionbegrüßt das nachdrücklich. Wir brauchen einen solchenEnergiedialog, damit sich umweltschonende Formen derEnergieerzeugung langfristig im globalen Wettbewerbbehaupten können. Deshalb muß man schon heute dendeutschen Markt für diese Technologien erschließen,damit am Energiestandort Deutschland zukunftsfähigeArbeitsplätze in diesen Bereichen geschaffen werden.
Zu unseren Zielen gehört auch untrennbar der verein-barte Ausstieg aus der Atomenergie. Wir werden ihn –das sage ich hier auch ganz deutlich – in dieser Legisla-turperiode nicht vollziehen können, aber wir werden ihnumfassend und unumkehrbar regeln. Wir wollen ihn,wenn es irgendwie geht – das betone ich besonders fürmeine Fraktion –, im Konsens vereinbaren. Wir sind da-zu bereit. Nur, für einen Konsens braucht man natürlichauch Partner. Einen Kompromiß zu schließen bedeutetGeben und Nehmen. Wenn ich mir dagegen die Spiel-chen, die die Atomindustrie in den letzten Monaten ge-trieben hat, anschaue, habe ich den Eindruck, daß man-che in der Industrie zwar gerne nehmen, aber den Sinndes Gebens nicht ganz verstanden haben.
Im Moment spielt die Atomindustrie nur noch aufZeit. Bis heute verweigert sie die Einsicht in die Verträ-ge über die Wiederaufarbeitung mit Frankreich undGroßbritannien. Bis heute versucht sie mit allen Tricks,ihre tatsächlichen Lagerkapazitäten in den Reaktoren imdunkeln zu halten. Jetzt sollen auch noch überflüssigeAtomtransporte quer durch die Republik erzwungenwerden. Monatelang wurden völlig überzogene Zahlenüber steuerliche Rückstellungen verbreitet. Für meineFraktion möchte ich ganz klar sagen: Mit Taschenspie-lertricks und mit Verschleppung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag wird man nicht zum Konsens kom-men.
Wenn es im Konsens nicht geht, dann haben wir dieVerantwortung, den Willen der Bevölkerung zumAtomausstieg, der auch im Wahlergebnis zum Ausdruckgekommen ist, per Gesetz zu regeln. Ich möchte daherauch von dieser Stelle aus an die Vernünftigen in denReihen der Industrie appellieren: Stellen Sie Ihre Blok-kadepolitik ein! Verhandeln Sie mit uns im Konsens!Ein Konflikt würde beide Seiten, den Gesetzgeber, aberauch die Industrie, teuer zu stehen kommen. Das wollenwir nicht.
Das Leitbild der Nachhaltigkeit gilt für uns nicht nurin der Wirtschaftspolitik. Es muß auch in der Finanz-politik gelten. Sie, meine Damen und Herren von derOpposition, haben seinerzeit den finanziellen Spielraumzerstört, den man heute zur Lösung der Probleme drin-gend braucht. Schauen wir uns die Zahlen an – derFinanzminister hat sie gestern vorgetragen –: Der vor-liegende Entwurf umfaßt Ausgaben von knapp 486 Mil-liarden DM. Fast jede vierte Mark der Steuereinnahmenwird heute allein für Zinsen ausgegeben. Dieses Geldfehlt eben. Es fehlt für dringend notwendige Investitio-nen und für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Zu-kunftsfähigkeit bedeutet für uns deshalb auch, zunächsteinmal diesen finanzpolitischen Spielraum zurückzuge-winnen, um die Gesellschaft modernisieren zu können.Der vorliegende Haushaltsentwurf ist zwar ein Über-gangsentwurf, und dennoch – darauf sind wir stolz –leiten wir die Wende zu einer nachhaltigen Haushalts-politik ein. Der Regierungsentwurf wurde quer durchalle Ressorts noch einmal um insgesamt 2,3 MilliardenDM gekürzt. Das ist – das sage ich ganz klar – einwichtiger Erfolg der Haushaltspolitiker der Fraktionenvon SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
Die Nettokreditaufnahme wurde um fast 3 MilliardenDM vermindert, während die investiven Ausgaben sogarum mehr als 1 Milliarde DM erhöht wurden. Bildungund Wissenschaft fördern wir mit zusätzlich fast 1 Mil-liarde DM. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zurZukunftssicherung.Zukunftsfähigkeit und Gerechtigkeit, das bedeutetinsbesondere auch: Wir ergreifen Partei für die nächsteGeneration. Bei unserer Einkommensteuerreform stehtdeshalb die Entlastung der Menschen mit Kindern unddamit die Zukunft der Kinder im Mittelpunkt. Sie habenzwar 16 Jahre lang von Familie geredet; der Beschlußdes Bundesverfassungsgerichts hat aber gezeigt: Daswaren alles Sonntagsreden. Das hat Ihnen das Bundes-verfassungsgericht doch ins Abschlußzeugnis geschrie-ben. Ihre Politik hat den Familien geschadet. Das wer-den wir jetzt ändern. Wir werden eine familien- undkinderfreundliche Politik machen.
Mit der Verabschiedung des Steuerentlastungsgeset-zes haben wir damit bereits begonnen. Wir entlastenKerstin Müller
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Familien mit zwei Kindern bereits in diesem Jahr um biszu 1 200 DM. Wir werden sie mit der Umsetzung desFamilienurteils weiter entlasten. Die Fachabgeordnetenmeiner Fraktion haben dazu einen guten Vorschlag ge-macht. Die Richter des Verfassungsgerichts haben ge-stern in einem Gespräch gesagt, der Gesetzgeber sollePhantasie bei der Umsetzung zeigen. Wir haben das ge-tan. Wir schlagen einen Kindergrundfreibetrag vor. EinKindergrundfreibetrag, also ein steuerfreies Existenz-minimum für Kinder, das würde jedes Kind endlichgleich behandeln.
– Ich sehe, daß Sie, was die Umsetzung solcher Urteilebetrifft, mit Phantasie nicht viel am Hut haben. Ich findees wichtig, daß wir neue finanzpolitische Instrumenteentwickeln. Mir ist sehr wohl bekannt, daß es verfas-sungsrechtliche Bedenken gegen eine solche gerechteLösung gibt. Ich hoffe, daß wir sie ausräumen können.Aber wenn dies nicht möglich ist, dann muß im erstenSchritt – das ist klar – der Erhöhung des Kindergeldeseine ganz besondere Bedeutung zukommen.
Entlastungen der Familien heißt für uns Nettoentla-stungen der Familien. Für uns kommt bei der Finanzie-rung der Reform weder eine ausschließliche Umvertei-lung von Leistungen für Kinder noch die Anhebung derMehrwertsteuer in Frage. Meine Fraktion hält es für sehrviel vernünftiger, das Ehegattensplitting in ein Real-splitting umzuwandeln, wie es bereits heute für Ge-schiedene gilt. Wir wollen das Leben mit Kindern undnicht den Trauschein finanziell fördern. Dieser Gedankesoll sich durch unsere Familien- und Finanzpolitik zie-hen. Das ist gerecht und auch zukunftsfähig.
Das gilt auch für die anstehende Unternehmensteu-erreform. Wir wollen und werden mit ihr fairen Wett-bewerb ermöglichen. Wie ist es denn heute um die klei-nen und mittleren Betriebe bestellt? Sie tragen nicht nurden Löwenanteil der Ausbildungskosten, sie finanzierenmit ihren Steuern auch noch die Subventionen für dieGroßindustrie und die Konzerne. Das wollen wir ändern.Damit haben wir bei unserer Steuerreform angefangen:Um jährlich mehr als 5 Milliarden DM haben wir diekleinen und mittleren Betriebe bereits im ersten Schrittentlastet. Wir streichen auch – damit beginnen wir – un-gerechte Vergünstigungen für Großunternehmen undKonzerne. Das wird auch im Gesamtkonzept der Steuer-reform fortgesetzt werden.Unser Ziel ist ein Steuersatz von 35 Prozent. Das istrichtig.
– Es geht nicht um das Wann, sondern wir werden ihnschrittweise umsetzen. Die zentrale Frage ist, ob undwie wir ihn finanzieren können. Für uns ist völlig klar:Wir müssen ihn unter anderem durch den Abbau vonSubventionen finanzieren.Wir unterstützen ganz klar und mit allem Nachdruckdie Initiative des Wirtschaftsministers Müller; dasKirchturmsdenken mancher Lobbyisten muß endlichüberwunden werden.
Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten Wochen gehörthabe: Subventionen streichen, sicher; nur bitte nicht beimir. Ich sage ganz klar, daß es in Deutschland nicht solaufen wird, wie sich das Herr Henkel vom BDI oderandere Verbandsvertreter vorstellen, nämlich amerikani-sche Steuersätze zu deutschen Konditionen, das heißtmit deutschen Subventionen, einzuführen.
Eine echte Nettoentlastung für alle wird es nicht ge-ben. Man müßte dann nämlich sagen, wer dafür die Ze-che bezahlt. So etwas würde eine unfaire und einseitigeBelastung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mitsich bringen, die Lage der kleinen und mittleren Unter-nehmen verschärfen und neue Löcher in die öffentlichenHaushalte reißen.
Wir sind der Meinung: Jede Subvention muß auf denPrüfstand.Sehr verehrte Damen und Herren von der Opposition,die Ergebnisse Ihrer Wirtschafts- und Steuerpolitik sindeinfach niederschmetternd. Ein Gesetz nach dem anderenwird von den Gerichten für verfassungswidrig erklärt. DerGrund ist immer der gleiche – wir haben das auch gesternabend noch einmal klar erläutert –: Ihre Gesetze sind grobungerecht und verletzen ein ums andere Mal das Gleich-behandlungsgebot des Grundgesetzes. Hiervon zeugt auchdas Urteil des Bundesfinanzhofes aus der letzten Woche.Wir müssen jetzt eine große Altlast bewältigen; aber wirwerden auch dieses umsetzen.An Hand der am vergangenen Freitag vorgelegtenThesen der Kommission zur Reform der Unternehmen-steuerreform werden wir noch vor der Sommerpause einsolides und vernünftiges Stufenkonzept erarbeiten. DieZiele dafür sind klar: Kleine und mittlere Unternehmenmüssen entlastet werden. Wir müssen niedrige Steuer-sätze bei privaten und gewerblichen Einkommen errei-chen. Dafür müssen Subventionen und steuerliche Ver-günstigungen und Sonderregelungen abgebaut werden.Vor allem müssen alle Einkünfte künftig gleich behan-delt werden. Das schafft Transparenz, Gerechtigkeit, einfür Investitionen günstiges Klima, eine Stärkung desMittelstandes und Arbeitsplätze. Wir werden das umset-zen. Ich bin mir sicher, daß eine an diesen Zielen ausge-richtete Steuerreform auch die Zustimmung der Men-schen in diesem Lande finden wird.
Kerstin Müller
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Die alte Regierung ist in den vergangenen Jahren demIrrglauben gefolgt, man könne Arbeitsplätze nur schaf-fen, wenn man das soziale Netz unseres Landes syste-matisch zerstört. Begründet wurde das mit dem Anpas-sungsdruck, der wesentlich höhere Flexibilität auf demArbeitsmarkt erfordert. Natürlich brauchen wir in sehrvielen Bereichen der Wirtschaft höhere Flexibilität. Ent-scheidend aber ist doch, daß Menschen, die sich aufeinen flexiblen Arbeitsmarkt einstellen sollen, Risikeneingehen sollen und häufig ihre Arbeitsstelle wechselnmüssen, im Gegenzug mehr Vertrauen in das sozialeNetz setzen können. Deshalb ist für uns die Modernisie-rung der Wirtschaft untrennbar mit der notwendigenModernisierung unserer Sozialsysteme, etwa des Ge-sundheitswesens, verknüpft.Die in den kommenden Wochen zu beratende Reformsoll endlich gravierende strukturelle Defizite im vorhan-denen System beseitigen. Ich kann hier der Gesund-heitsministerin nur zustimmen, wenn sie sagt: Wir Deut-sche geben zwar das meiste Geld für unser Gesundheits-system aus,
aber das gesündeste Volk sind wir deshalb noch langenicht. Deshalb sehe ich das ganz klar so wie sie: Wirbrauchen auf diesem Gebiet grundlegende Reformen,und diese werden wir auch anpacken.Im Zentrum stehen für uns die Patientinnen und Pati-enten. Wir wollen ihre Rechte stärken und die Qualitätdes Gesundheitssystems durch die Stärkung der Rolleder Hausärzte sichern und verbessern. Wir wollen miteinem Globalbudget die Handlungsfähigkeit der Ärztesichern und gleichzeitig die Kostenexplosion stoppen.Nur so, nur durch beide Maßnahmen im Zusammen-hang, werden wir erreichen, daß die Beiträge stabil blei-ben und die Kosten nur im Rahmen der Lohnentwick-lung steigen.Die Reform ist sorgfältig vorbereitet worden. Jetztmuß sie auch wie geplant umgesetzt werden. DieserWeg – das sage ich hier auch – ist nicht einfach. Wir ha-ben es bei dieser Reform mit ganz mächtigen Lobby-isten zu tun, die eben nicht ohne Zeter-und-Mordio-Geschrei bereit sind, auf ihre liebgewordenen Pfründenzu verzichten.An dieser Stelle sage ich aber auch: Wer die dringendnotwendige Modernisierung durchsetzen will, der kannnicht den Weg des geringsten Widerstands gehen, dermuß eben manchmal auch solchen Lobbyisten auf dieFüße treten. Deshalb braucht die Gesundheitsministerinbei dieser Auseinandersetzung die volle Unterstützungder Grünen und der sozialdemokratischen Fraktion.
Ich betone, daß sie ebenso wie Arbeitsminister WalterRiester bei der Auseinandersetzung um die 630-DM-Jobs mit unserer Unterstützung rechnen kann.
Ich finde, insbesondere Sie, Herr Gerhardt, und IhreKollegen sollten bei diesem Thema besser schamhaftschweigen,
denn das Problem, das wir mit diesem Gesetz lösenwollen, haben Sie verursacht.
Sie haben über Jahrzehnte zugelassen, daß Unternehmensystematisch sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätzevernichten. Das konnte nicht so weitergehen. Die So-zialkassen werden geleert, sie werden ausgetrocknet.
Über dieses Problem haben wir in der letzten Legisla-turperiode hier immer wieder diskutiert. Die Lastenwerden von immer weniger Arbeitnehmern getragen.Für die Betroffenen heißt das eben allzuoft Altersarmut,weil sie später in der Sozialhilfe landen.Es gibt mit der Neuregelung, insbesondere bei derScheinselbständigkeit, Übergangsschwierigkeiten. Wirwerden diese Probleme bei der Anwendung des Geset-zes lösen. Aber für uns ist klar: An der Zielrichtung, ander Grundlage des Gesetzes halten wir fest. Die Miß-stände, die Sie produziert haben, werden und müssen injedem Fall beseitigt werden.
Es geht nicht nur um die ökologische Nachhaltigkeitund um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – nicht nurdamit wird die Zukunftsfähigkeit wiederhergestellt –,sondern wenn wir modernisieren wollen, dann brauchenwir auch mehr Demokratie, dann brauchen wir mehrWeltoffenheit. Deshalb müssen wir endlich auch dasüberkommene Staatsbürgerschaftsrecht modernisie-ren. Hierzu wird Ihnen am Freitag ein Gesetzentwurf,der auch von der F.D.P. getragen wird, vorliegen. Künf-tig soll danach eben nicht mehr die Abstammung alleindarüber entscheiden, ob jemand Inländer ist und damitzu dieser Gesellschaft gehört. Künftig werden alle Kin-der, auch die ausländischer Eltern, mit der Geburt Deut-sche sein, wenn diese in Deutschland erfolgt.Meine Damen und Herren, das ist ein historischerSchritt. Mit dieser Reform des Staatsbürgerschaftsrech-tes verabschiedet sich die Bundesrepublik vom völki-schen Abstammungsrecht und findet endlich den An-schluß an Europa.
Ich will nicht verschweigen, daß wir gern mehr er-reicht hätten, etwa daß wir den Mut zum Brückenschlagfür die erste Generation der Einwanderer durch die Hin-nahme der doppelten Staatsbürgerschaft gehabt hätten.Aber die Reform, die wir am Freitag verabschieden, istein erster, ein entscheidender Schritt; denn sie signali-Kerstin Müller
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siert zumindest den hier geborenen Kindern: Ihr gehörtzu dieser Gesellschaft. Das wird – dessen bin ich ganzsicher – das entscheidende Angebot zur Integration die-ser Kinder, aber auch ihrer Familien sein.
Wir stellen uns damit der Tatsache, daß die Bundes-republik längst ein Einwanderungsland geworden ist unddaß wir dieses Einwanderungsland gestalten wollen. Umso beschämender finde ich es, meine Damen und Herrenvon der CDU/CSU, daß Sie noch nicht einmal in derLage sind, diesen ersten Reformschritt mitzugehen.Schlimmer noch – Herr Glos hat das heute noch einmalangekündigt –: Sie halten an Ihrer unsäglichen Kampa-gne fest. Das heißt, Sie wollen die Gesellschaft weiterspalten, obwohl der geänderte Gesetzentwurf die dop-pelte Staatsbürgerschaft – zum Bedauern meiner Frakti-on – gar nicht mehr enthält. Die Kinder müssen sichnämlich mit 18 Jahren für eine Staatsbürgerschaft ent-scheiden. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte,dann ist spätestens jetzt klargeworden, daß es Ihnen nieum die doppelte Staatsbürgerschaft gegangen ist. Sinnund Zweck der Kampagne war ganz einfach parteipoliti-sche Stimmungsmache auf dem Rücken der hier leben-den Ausländerinnen und Ausländer.
Ich fordere Sie auf, daß Sie vor dem Hintergrund diesesGesetzes Ihre Kampagne einstellen.Ich frage mich vor allem – ich bin auf die Debatte amFreitag gespannt –, was eigentlich diejenigen Abgeord-neten aus Ihren Reihen, 150 an der Zahl, zu diesem Ge-setzentwurf sagen werden, die in der letzten Legislatur-periode eine Initiative zur Reform des Staatsbürger-schaftsrechts eingebracht haben. Dieser Vorschlag warfast identisch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Ichfrage mich also, ob sich Ihre Kampagne auch gegen Ihreeigenen Abgeordneten richtet. Das wäre eine interes-sante und ganz neue Variante von Oppositionsarbeit:Die CDU/CSU-Fraktion macht eine Diffamierungskam-pagne gegen ihre eigenen Abgeordneten. Sie sind offen-sichtlich nicht bereit, diese Kampagne einzustellen oderwenigstens – das wäre ja das Minimum – die Abstim-mung in Ihrer Fraktion freizugeben. Wahrscheinlichliegt es daran, daß der heimliche Vorsitzende aus Bay-ern, Herr Stoiber, das Ende der Kampagne nicht abge-nickt hat.Ich kann nur an die Abgeordneten appellieren, dieseinerzeit den Reformaufruf unterzeichnet haben: Siehaben die einmalige Chance, am Freitag das AnliegenIhres Aufrufes in die Realität umzusetzen, indem Sie un-serem Gesetzentwurf zustimmen. Ich sage auch: Sie tra-gen damit eine große Verantwortung; denn mit Ihrer Zu-stimmung fände diese historische Reform nicht nur einebreitere Unterstützung im Parlament, sondern damitkönnte der unsäglichen Unterschriftenkampagne derBoden entzogen werden. Dann könnten wir in Deutsch-land, wie sonst überall in Europa, endlich gemeinsamüber das reden, was notwendig ist, nämlich wie wir In-tegration gestalten wollen, anstatt die Augen zu ver-schließen. Deshalb fordere ich Sie im Namen von SPDund Grünen noch einmal auf: Stimmen Sie dieser Re-form des Staatsbürgerschaftsrechts am Freitag zu!
Ich möchte zum Schluß noch auf das Thema einge-hen, das uns alle in den letzten Wochen am meisten be-wegt hat, nämlich auf den Krieg im Kosovo. Im Kosovowird nicht nur über die Zukunft der Menschen in derRegion entschieden, sondern auch ein Stück weit überdie Zukunft Europas. Unser Ziel kann nur ein gemein-sames, friedliches und demokratisches Europa sein. DasEingreifen in Jugoslawien ist deshalb auch eine Ver-pflichtung. Wir müssen zukünftig rechtzeitig mit allennichtmilitärischen Mitteln einschreiten, wenn Men-schenrechte systematisch mit Füßen getreten werden.Die Möglichkeiten ziviler Konfliktlösung müssen wei-terentwickelt werden. Vor allem muß man sie einsetzen,solange sie noch Erfolg versprechen.Wie damals, als wir vor der Entscheidung standen, fra-gen wir uns in diesen Wochen dennoch: Wenn die nicht-militärischen Mittel zur Konfliktlösung versagen und wennwir nur wählen können, einem zweiten Bosnien hilfloszuzusehen oder mit militärischem Einsatz den Versuch zuunternehmen, Völkermord und Vertreibung zu verhin-dern, dürfen wir dann die Ultima ratio, das heißt den Ein-satz militärischer Gewalt, verweigern? Ich meine, wie dieMehrheit dieses Hauses: Nein, das dürfen wir nicht.In diesem Hause und in meiner Fraktion und Parteiwird über diese Frage eine meist sehr nachdenkliche undernsthafte – Herr Glos, ich finde diese Haltung sehr an-gemessen – Debatte geführt.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle hinzufügen: Es istrichtig und notwendig, daß es gerade in Deutschland ei-ne starke pazifistische Stimme gibt, die uns immer wie-der mahnt, dem Militär nicht das Handeln zu überlassen.Denn es ist ja richtig, daß Krieg immer mit der großenGefahr verbunden ist, daß das Primat der Politik verlo-rengeht. Zu Frieden und Demokratie kommen wir letzt-lich immer nur über einen politischen Weg, für den jagerade die deutsche Bundesregierung, insbesondere derAußenminister, alles in ihrer Macht Stehende getan hat,um im Rahmen des Rambouillet-Prozesses und auchjetzt zu einer politischen Lösung zu kommen.
Wir müssen nach sechs Wochen Bombardierung aberauch nüchtern bilanzieren, daß die Ziele der Luftangriffebisher nicht erreicht worden sind,
daß der fortgesetzte Massenmord und die Vertreibungder albanischen Bevölkerung im Kosovo leider nichtverhindert oder beendet werden konnten. Milosevickonnte bisher nicht zum Einlenken gezwungen werden.Das Bitterste ist: Die Rückführung der Flüchtlinge inihre Heimatorte ist völlig ungewiß.Kerstin Müller
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3090 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Gleichzeitig werden nach jeder neuen Bombennachtviele Fragen immer drängender. Ich möchte sie hiernennen: Warum werden offensichtlich mehr und mehrzivile Einrichtungen angegriffen? Ich glaube, daß sichviele fragen: Richtet sich der Krieg mehr und mehr auchgegen die Zivilbevölkerung? Entspricht – diese Fragemüssen wir uns stellen, gerade wenn wir sagen: wir füh-ren einen Krieg, um eine humanitäre Katastrophe abzu-wenden – die NATO-Strategie noch der Verhältnismä-ßigkeit der Mittel?
Ich glaube, an vielen von uns nagen diese Zweifel je-den Tag. Auch ich stelle mir diese Fragen immer undimmer wieder. Dennoch, das Dilemma ist: Ein einseiti-ger, unbefristeter Stopp der Luftangriffe würde nur – dasist meine feste Überzeugung – zu einer weiteren bluti-gen Runde im Kosovo und möglicherweise sogar zu ei-ner Ausweitung des Krieges führen. Denn was sollteMilosevic dann noch stoppen? Er hätte sich letztlichdurchgesetzt; er würde sich sogar im nachhinein in sei-ner menschenverachtenden Vertreibungspolitik bestärktfühlen. Das dürfen wir nicht zulassen.
Dennoch: Wir, das heißt das Parlament und die Re-gierung, müssen immer wieder sehr genau prüfen, obnicht eine befristete Feuerpause neue diplomatischeSpielräume schaffen könnte, ob das zum Beispiel dieMöglichkeit eröffnen würde, zumindest die verbliebenenTeile der albanischen Bevölkerung im Kosovo zum Bei-spiel durch „air drops“ zu versorgen. Wir müssen auchprüfen, ob nicht zumindest eine befristete Einstellungder Bombardierung von Montenegro sinnvoll wäre,denn dort droht eine völlige Destabilisierung mitschlimmen Konsequenzen.Ich glaube, wir dürfen auch eines nicht vergessen:Militärischer Zwang alleine reicht nicht. Die Lösungwird es nur auf politischer Ebene geben. Daher unter-stützen wir – das sage ich noch einmal ganz deutlich –nachdrücklich den Friedensplan des Außenministers unddie aktuellen Bemühungen der Bundesregierung, unterEinbeziehung Rußlands und im Rahmen der UNO aufdieser Grundlage endlich zu einer politischen Lösung zukommen. Ich glaube, das ist der einzige Weg, um denKrieg letztlich beenden zu können.
Denken Sie an die
Redezeit!
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ich komme gleich zum Schluß.
Die Lage der Flüchtlinge in Albanien und Makedo-
nien – das ist mein letzter Punkt – ist verheerend. Die
Hilfsorganisationen und die Helfer der Bundeswehr ver-
richten dort eine bewundernswerte Arbeit. Deshalb wird
auch ein sehr großer Teil meiner Fraktion dem Antrag
der Bundesregierung zustimmen.
Aber ich möchte zum Schluß noch etwas sagen: Ich
finde es beschämend, daß wir in Europa angesichts der
humanitären Katastrophe vor Ort eine Debatte über
Quoten in Europa führen. Wir müssen unbürokratisch
weitere Flüchtlinge aufnehmen, um die Länder vor Ort
zu entlasten.
Ich denke, daß diese Debatte sehr deutlich zeigt: Wir
stehen an einem Wendepunkt deutscher Innen- wie
Außenpolitik. Deutschland und Europa müssen sich auf
umfassende Veränderungsprozesse einstellen. Das Ziel
der Koalition ist ein Weg, der niemanden ausgrenzt,
nicht bei uns und nicht im Verhältnis zu anderen Natio-
nen, ein gemeinsamer Weg für Demokratie, Frieden
und Zukunftsfähigkeit. Ich hoffe, daß es uns gelingt, ihn
zu gehen.
Danke schön.
Ich erteile das Wort
nun dem Kollegen Dr. Gysi, PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Zunächst, Herr Glos: Ihre Bemer-kung zu Beginn haben wir mit großem Wohlwollen auf-genommen. Sie haben gesagt, daß die PDS-Fraktion undich demokratische Gepflogenheiten nicht gewohnt seien.Wir verstehen das als eine selbstkritische Bemerkungund zugleich als das Versprechen, uns künftig demokra-tisch zu behandeln, und sehen der Zukunft deshalb mitFreude entgegen.
Die Fraktion der PDS wird gegen den Etat des Bun-deskanzlers und des Bundeskanzleramtes stimmen.
Das hängt mit unserer äußerst kritischen Bewertung derAußen- und Innenpolitik der Bundesregierung zusammen.Seit Wochen beschäftigen der völkerrechtswidrigeAngriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien sowie dasSchicksal, die Vertreibung und die Leiden der Kosovo-Albaner die gesamte Bevölkerung. Jeden Abend in denNachrichten hören wir zwei stereotype Sätze. Der einelautet: Das Leiden der Kosovo-Albaner nimmt nicht ab;es nimmt sogar zu. Der andere lautet: Die NATO hat er-klärt, sie werde ihr Bombardement forcieren. Wenn es aberoffensichtlich so ist, daß das zumindest vorgegebene Ziel,die Leiden der Kosovo-Albaner zu lindern, mit einemBombardement nicht erreicht wird, dann wird es dochhöchste Zeit, dieses Mittel aufzugeben. Denn es führt undkann letztlich auch nicht zu einem Erfolg führen.
Kerstin Müller
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3091
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Kritik an der Bundesregierung hinsichtlich diesesKrieges ist in diesem Hause selten. Sie ist unerwünscht.Man setzt sich der Gefahr von Ausgrenzung und Diffa-mierung aus, wenn man sie dennoch übt. Ich halte sieallerdings für dringend erforderlich und weise erneutdarauf hin, daß im Bundestag eine Kritik an diesemKrieg, wie sie in der Bevölkerung besteht, völlig unter-repräsentiert ist.Herr Bundesaußenminister Fischer, Sie brauchennicht zu lächeln. Ihr Problem ist in Wirklichkeit folgen-des: Die Reden, die ich heute halte, hätten Sie vor dreiJahren wortwörtlich so gehalten.
Ihre Schwierigkeit ist doch, das zu erklären. Das ist IhrProblem.Ich möchte zunächst der These – sie ist soeben auchvon Frau Müller noch einmal aufgestellt worden –, daßvor Beginn des Krieges, insbesondere in Rambouillet,alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind, deutlichwidersprechen. Es gibt mindestens fünf Umstände, diedanach eingetreten sind, die das widerlegen:Erstens. Es wird allgemein anerkannt, daß der militäri-sche Teil des Vertragsentwurfes nicht unterzeichnungsfä-hig war, auch nicht für einen demokratischeren Präsiden-ten in Jugoslawien. Darüber wurde nicht verhandelt, lau-tet Ihr Argument. Aber weshalb ist etwas vorgelegt wor-den, was sowieso nicht unterzeichnungsfähig war? Zu er-klären ist auch nicht, weshalb während der Verhand-lungspause gesagt wurde, daß nach Rückkehr der Ver-handlungsseiten der Entwurf so, wie er vorliege, unter-schrieben werden müsse, da etwas anderes nicht mehr inFrage komme. Diesbezüglich sind also vorhandene Mög-lichkeiten niemals ausgeschöpft worden.Zweitens. Ein weiterer Umstand ist der Friedensvor-schlag von Bundesaußenminister Fischer. Hier schlagenSie plötzlich eine UN-Hoheit vor. Diesen Vorschlag hates während des Rambouillet-Prozesses zu keinem Zeit-punkt gegeben. Es gab damals viele Erklärungen, wes-halb die Hoheit unbedingt bei der NATO liegen müsse.Es wurde begründet, daß dies anders nicht gehe. WennSie drei Wochen nach Beginn des Krieges einen solchenVorschlag machen, warum haben Sie das dann nicht vorBeginn des Krieges getan?
Denn es ist doch offenkundig, daß es für Milosevic vielschwieriger gewesen wäre, nein zur UNO zu sagen. Sohaben Sie es ihm doch extrem leichtgemacht, indem ernur nein zur NATO zu sagen brauchte.Drittens. Ein weiterer Umstand besteht darin, daßAußenministerin Albright – das ist unstrittig – zur alba-nischen Seite gesagt hat – die wollte den Vertrag ja auchnicht unterschreiben –: Ihr könnt unterschreiben; denndie jugoslawische Seite unterschreibt ohnehin nicht. Esgibt also kein Abkommen. Aber wenn ihr nicht unter-schreibt, dann können wir nicht bombardieren.Viertens. Der nächste Umstand – das ist am stärk-sten – ist die Tatsache, daß die Europäische Union vorungefähr einer Woche Wirtschaftssanktionen gegen Ju-goslawien beschlossen hat. Es hat mich fast vom Hockergehauen, als ich dadurch erst einmal mitbekam, daß bisdahin noch Handel getrieben worden ist. Jetzt frage ichSie: Wenn man fünf Wochen nach Kriegsbeginn Wirt-schaftssanktionen beschließt, was hätte denn die EUdaran gehindert, diese im Oktober 1998 zu beschließen,um Jugoslawien zum Einlenken zu bewegen? Ange-sichts dessen können Sie doch nicht im Ernst behaupten,alle Möglichkeiten seien ausgeschöpft worden.
Jetzt will die NATO ein Embargo beschließen. Dasist aus mehreren Gründen interessant: Ein Embargo darfnur der Sicherheitsrat beschließen. Rußland und Chinahaben sich nie gegen Sanktionen gegenüber Jugoslawiengewandt. Sie haben sie mit unterstützt. Sie waren nurgegen eine militärische Intervention. Das heißt, manhätte versuchen können, ein solches Embargo im Si-cherheitsrat zu beschließen. Dies ist gar nicht versuchtworden.Jetzt versucht es die NATO allein und begeht schonwieder einen Völkerrechtsbruch. Die NATO darf zwarentscheiden, ob sie selber mit Jugoslawien Handel treibt;sie darf aber ein Embargo weder Mexiko, Indien nochRußland vorschreiben. Wenn sie dieses Embargo dannnoch mit militärischer Gewalt in jugoslawischen Häfendurchsetzen will, dann bedeutet das, eine deutliche Es-kalation in größerem internationalen Rahmen hinzu-nehmen. Ich kann nur feststellen: Die Grenzen der Ver-hältnismäßigkeit werden hier permanent verletzt. Diesist überhaupt nicht nachvollziehbar. Es ist nicht wahr,daß alle Möglichkeiten genutzt wurden.Fünftens. Sie sind mit Ihrer Politik hinter die vonBismarck zurückgefallen. Bismarck kannte wenigstensnoch Zuckerbrot und Peitsche. Warum gab es nicht vorund während Rambouillet, über oppositionelle Medienin Jugoslawien verbreitet, das Angebot für eine wirkli-che Integration Jugoslawiens, für eine Aufhebung derSicherheitsratssanktionen bis hin zu einer Mitgliedschaftin der Europäischen Union für den Fall, daß die Men-schenrechtsprobleme im Hinblick auf die Kosovo-Albaner und alle anderen Menschen in Jugoslawien be-friedigend gelöst werden? Es hat nie ein solches Ange-bot gegeben. Es hieß nur: Unterschreiben oder Bomben!– So kommt man eben nicht zu politischen Lösungen;das ist meine feste Überzeugung.
Von Beginn an waren auch die Kriegsziele eher ver-schwommen. Zu Beginn wurde – das können Sie dochnicht alle vergessen haben – hier von Bundesverteidi-gungsminister Scharping erklärt, es gehe darum, durchBombardierung innerhalb weniger Tage die Unterschriftvon Milosevic unter das Rambouillet-Abkommen zu er-zwingen. Ich habe damals gesagt: Wenn der Mann so ist,wie Sie ihn beschreiben, glaube ich keine Sekunde langdaran, daß er das unterschreibt. – Dazu kommt noch,daß wir jetzt wissen, daß der Vertrag gar nicht unter-schriftsfähig gewesen ist. Das wußte ich damals nicht.Ein weiterer Umstand ist hinzugekommen – Sie wissenja, daß es in der Politik leider immer auch um Gesichts-Dr. Gregor Gysi
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verlust geht –, nämlich der: Wie soll er denn seiner Be-völkerung erklären, daß er nach Tagen des Bombarde-ments etwas unterschreibt, was er auch ohne Bombenhätte haben können? Das heißt, was Sie vertreten haben,war nie besonders logisch. Davon ist heute ja auch garkeine Rede mehr. Aber man hätte es damals schon wis-sen können, daß das nicht zu erreichen ist, und manhätte es auch wissen müssen.Weiterhin wurde gesagt, es gehe um die Verhinde-rung einer humanitären Katastrophe. Ich habe hier ge-sagt, daß ich daran nicht glaube, daß ich vielmehr glau-be, daß sich die Lage in jeder Hinsicht zuspitzt und ver-schlimmert. Das ist leider eine traurige Wahrheit gewor-den. Also ist auch dieses Kriegsziel, das hier genanntwurde, nicht im entferntesten erreicht worden, ganz imGegenteil.Es kommt auch noch die Widersprüchlichkeit derAussagen der Bundesregierung hinzu. Welche Aus-künfte Ihres Ministeriums stimmen denn nun, Herr Au-ßenminister? Ich habe den Lagebericht; ich kenne dieamtlichen Auskünfte. Bis in den März 1999 hinein hatIhr Ministerium gegenüber den deutschen Verwaltungs-und Oberverwaltungsgerichten erklärt, daß es keine eth-nischen Säuberungen und keine systematischen Vertrei-bungen von Kosovo-Albanern gebe, daß vielmehr dieZivilbevölkerung das Opfer von Übergriffen – das wur-de auch betont – einzelner und das Opfer der militäri-schen Auseinandersetzungen zwischen UCK und jugo-slawischer Armee und Polizei sei. Weiter hieß es, daßman nicht davon sprechen könne, daß jemand, weil erAlbaner sei, verfolgt werde. Das haben Sie erklärt, damitdie Oberverwaltungsgerichte noch im März 1999 Ab-schiebungen von Kosovo-Albanern sogar in das Kosovogutheißen konnten. Jetzt sagen Sie, die Verfolgung seischon die ganze Zeit über gelaufen, und deshalb hättendie Bombenangriffe die Situation nicht verschlimmert.Die Wahrheit aber ist folgende: Es gab schlimmeMenschenrechtsverletzungen; es gab auch Massaker; esgab auch einzelne Vertreibungen. Aber die systema-tische Vertreibung begann mit der Bombardierung.Milosevic hat die Bombardierungen genutzt, um einesystematische Vertreibung der Kosovo-Albaner ausnationalistisch-rassistischen Gründen und aus militäri-schen Gründen zu betreiben. Das aber hätte man wissenkönnen und sogar wissen müssen. Wer den „Hufeisen-Plan“ gekannt hat, der hat das sogar schriftlich gehabt.Wenn man das gewußt hat, hätte es sich verboten, mitden Bombardierungen zu beginnen. So hätte man dieKatastrophe verhindern können, die dann eingetreten ist.
Inzwischen müssen wir zur Kenntnis nehmen – auchdas will ich deutlich sagen –, daß immer das Gegenteilvon dem eintritt, was man beabsichtigt. Ich will Ihnenein Beispiel nennen. Ich habe mir damals jenes Werkangesehen. Es sind ja 30 000 Leute, insbesondere Män-ner, über Nacht arbeitslos geworden. Sie hatten einengutbezahlten Job; sie hatten kein Interesse daran, zurArmee oder zur Polizei zu gehen. Man hätte sie dazuzwingen müssen; freiwillig wären sie dort nicht hinge-gangen. Jetzt haben sie nichts mehr; jetzt sitzen sie her-um. Sie sind außerdem wütend und haßerfüllt. Ihre Be-reitschaft, freiwillig zur Armee zu gehen, steigt. Sie ge-hen auch nicht irgendwie dorthin, sondern sie gehenhaßerfüllt dorthin. Sie gehen mit Wut im Bauch dorthin.Man kann sich doch sehr gut ausrechnen, an wem dieserHaß dann ausgelassen wird. Die NATO-Soldaten, ihrevermeintlichen Gegner, bekommen sie nicht zu fassen.Also lassen sie ihren Haß an den Kosovo-Albanern aus,an der Zivilbevölkerung. Diese sind dann die wirklichLeidtragenden. Das alles muß man wissen.
– Was ist denn das Ziel der Bombardierung von zivi-len Objekten, Herr Bundesaußenminister? Warumbombardiert man Heizkraftwerke, Elektrizitätswerke,Wasserkraftwerke? Wem schaden Sie damit? Nutzt eseinem Kosovo-Albaner, wenn die Leute in Serbien frie-ren und kein Trinkwasser mehr haben und wenn ihnendie Lebensmittel ausgehen? Wenn Sie die Elektrizitäts-werke bombardieren, dann ist doch ein Ergebnis davon,daß die Kühlanlagen ausfallen, so daß Lebensmittel ver-derben. Das ist doch ein großes Problem für die Bevöl-kerung. Das trifft doch nicht Milosevic; er hat doch ge-nug Trinkwasser. Er hat es warm; er hat genug zu essen.Das trifft immer nur die Bevölkerung. Das ist das ei-gentliche Problem.
Deshalb können Sie auch die These nicht aufrechterhal-ten, es richte sich nur gegen Milosevic und nicht gegendie Zivilbevölkerung.
Nach der Haager Landkriegsordnung und nach demGenfer Abkommen muß auch im Krieg – wenn wir jetztschon die Bedingungen im Krieg diskutieren – die Ver-hältnismäßigkeit gewahrt werden. Ich sage Ihnen: Die-ses Prinzip der Verhältnismäßigkeit wird von Nacht zuNacht mehr verletzt.Nun kann es sein, daß Sie darauf gar keinen Einflußhaben. Aber dann müßten Sie das ehrlich sagen. Dannmüßten Sie sagen: Wir hatten zwar zu Beginn das Recht,ja oder nein zu sagen, aber jetzt entscheiden wir nichtsmehr. Aber Sie verteidigen auch noch täglich das Vor-gehen, und das macht mir große Sorgen.Insofern ist es leider wahr: Da Sie meinen, jeden TagIhre Bündnistreue unter Beweis stellen zu müssen, wasAltbundeskanzler Kohl nicht mehr nötig gehabt hätte,wäre von ihm eher einmal ein Nein zu erwarten gewesenals von Ihnen. Das ist leider eine Tatsache. Ich hoffe,daß wir das überwinden.
Der Haß, der dort erzeugt wird, wird uns begleiten.Was werden die Folgen sein? Man wird viele Folgen re-gistrieren. Ich habe von dem Haß gesprochen, den eineganze Generation abtragen müssen wird: antiamerikani-sche, antideutsche, antiwestliche Stimmung. Aber eskommt noch etwas ganz anderes hinzu: Der europäi-Dr. Gregor Gysi
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3093
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sche Integrationsprozeß, durch die EU gefördert, istum Jahre und Jahrzehnte zurückgeworfen.
– Ja, er ist zurückgeworfen, und auch das Verhältnis zuRußland ist dauerhaft beschädigt.
Ich frage Sie: Wer wird den Nutzen daraus ziehen?
Europa war gerade dabei, sich ökonomisch und politischso zu entwickeln, daß es ein gleichwertiger Konkurrentder USA hätte werden können. Wir sind um Jahre zu-rückgeworfen. Die Rolle der USA als alleinige Welt-macht ist auf Jahre festgeschrieben. Sie brauchen eineneuropäischen Konkurrenten nicht mehr ernsthaft zufürchten. Schauen Sie sich nur die Abwertung des Euroim Vergleich zum Dollar an! Schauen Sie sich doch nuran, wie die Anleger in den Dollar und nicht mehr in denEuro investieren! Da haben Sie die klaren ökonomischenund politischen Konsequenzen einer Auseinanderset-zung, die hier stattgefunden hat.
Ich glaube, daß das eher die Motive der US-Führungwaren als der Schutz der Menschenrechte der Kosovo-Albaner. Denn die Politik der USA sowohl bei der Ver-treibung der Serben aus Kroatien als auch bei der Unter-stützung von Pol Pot, als auch bei den Napalmbombenin Vietnam macht mich und viele andere mißtrauischgegenüber den erklärten Zielen der USA hinsichtlichdieses Krieges.Aber es gibt noch eine andere Folge, die ich noch fürviel schlimmer halte, nämlich die Änderung derNATO-Strategie. Sie wissen sehr gut, daß die europäi-schen Regierungen bestimmte Änderungen der NATO-Strategie nicht wollten. Sie sind jetzt in Washington allebeschlossen worden, unter dem Druck der USA und mitder Begründung, daß das alles in diesem Krieg schonpraktiziert worden sei. Nicht mehr von Verteidigung desTerritoriums ist die Rede, sondern von Verteidigung derInteressen, was man natürlich ganz anders definierenkann. Es ist eine Ausweitung auf den gesamten euroat-lantischen Raum enthalten. Es ist festgeschrieben, daßman notfalls auch ohne UN-Mandat vorgehen könne. Eswird ja gerade praktiziert – wie hätte man es jetzt plötz-lich nicht mehr unterschreiben können? Es ist wieder,auch schriftlich, die Aufnahme von Lettland, Litauenund Estland diskutiert worden. Sie wissen, was das fürRußland bedeutet.Es gibt eine weitere Folge, auf die ich eigentlich erstgekommen bin, als mir mein Stellvertreter WolfgangGehrcke von dem Gespräch mit dem indischen Parla-mentspräsidenten erzählt hat. Er hat dort erläutert, wes-halb wir sehr bedauern, daß Indien Atomwaffen produ-ziert und aufstellt, und welche Spirale das auslösenkann; man sieht es an der Entwicklung in Pakistan. Dar-auf hat er mit einem Satz geantwortet, und zwar miteiner Gegenfrage: Glauben Sie im Ernst, daß die NATOJugoslawien angegriffen hätte, wenn JugoslawienAtomwaffen besäße? – Das hat mich nachdenklich ge-macht. Was werden die Diktatoren dieser Welt sichwährend des Krieges und danach sagen? Sie sagen sichdoch nicht: Wir werden jetzt demokratisch, wir haltenjetzt die Menschenrechte ein. Sie machen sich einen Ge-danken: Wie können wir so aufrüsten, daß ein Angriffmöglichst unwahrscheinlich wird? Sie kriegen ja auchmit, daß die NATO Verluste möglichst vermeiden will.Nicht nur Diktatoren, sondern auch demokratischereStaaten wie Indien, die aber ein gewisses Mißtrauen ge-genüber USA, NATO und Westen hegen, werden sichsagen: Auch wir müssen gerüstet sein, damit uns soetwas – von wem auch immer ausgehend – nicht passie-ren kann.In der Duma hat das START-II-Rüstungsbegren-zungsabkommen überhaupt keine Chance mehr, ganzegal wer dort künftig regiert oder Präsident wird. Diemilitärische Frage wird eine völlig andere Rolle als inder Vergangenheit spielen. Wir werden als Folge desKrieges ein einzigartiges Aufrüstungsprogramm in ganzvielen Staaten dieser Erde, einschließlich der NATOübrigens, erleben. Der Hauptgewinner dieses Krieges istdie Rüstungsindustrie, schon während dieses Krieges,aber auch nach dem Krieg,
weil die Abrüstung, die wir uns nach der Überwindungder bipolaren Welt erhofft hatten, nicht kommen wird.Ganz im Gegenteil: Wir werden eine schlimme Aufrü-stungsphase erleben. Das macht zumindest mir großeSorgen, weil Aufrüstung immer auch soziales Elend undimmer neue Gefahren von Kriegen und eben nicht Chan-cen für politische und friedliche Lösungen bedeutet.Deshalb glaube ich, daß die Bundesregierung hiereinen falschen Weg gegangen ist. Wenn man einenfalschen Weg gegangen ist, sollte man wenigstens dieKraft haben, ihn zu korrigieren. Nehmen Sie wenigstensauch einmal zur Frage der Verhältnismäßigkeit Stellung!Ich kann nur sagen: Wir brauchen die Beendigungdieser NATO-Angriffe. Wir brauchen den Rückzug vonPolizei und Militär Jugoslawiens aus dem Kosovo. Wirbrauchen eine UN-Friedenstruppe, die ein direkt ver-handeltes Abkommen zwischen Kosovo-Albanern undJugoslawien sichert und umsetzt. Dazu gehört die Ent-waffnung der UCK, dazu gehört aber auch, den Vertrie-benen Sicherheit zu geben, daß sie wirklich zurückkeh-ren können. Das wird ohne UNO-Truppe nicht gehen.Das akzeptiere ich; das steht auch in unserem Antragdrin. Bloß, die NATO hat sich desavouiert. Sie wirddafür nicht mehr akzeptiert werden. Dann müssen eseben andere Staaten machen, und die können es nichtschlechter.Ich füge hinzu: Es gibt immer politische Wege. Dadurch die Bomben alles schlimmer geworden ist, kannman die Bombardierung jetzt nicht mit der Begründungfortsetzen, es könnte sonst noch schlimmer werden.Nein, dieses Argument, das Frau Müller hier gebrachthat, ist, so glaube ich, absurd. Deshalb muß die Bom-bardierung unverzüglich eingestellt werden.
Dr. Gregor Gysi
Metadaten/Kopzeile:
3094 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
(C)
Es gibt natürlich auch viele innenpolitische Gründedafür, daß wir uns mit der Bundesregierung kritisch aus-einandersetzen müssen. Sie haben im Dezember vieleGesetze in den Bundestag eingebracht, denen wir zuge-stimmt haben: als es um die Verbesserung des Kündi-gungsschutzes ging, um die Reduzierung der Zuzahlungzu Medikamenten, um das Programm für 100 000 Ju-gendliche, die eine Ausbildung bekommen sollen. Demhaben wir zugestimmt. Aber seit Beginn dieses Jahres isteine Menge Murks produziert worden. Das hängt, soglaube ich, in erster Linie damit zusammen, daß Sie,Herr Bundeskanzler, sich nicht entscheiden können,wessen Interessen Sie durchsetzen wollen.
Sie wollen es gerne allen recht machen. Das Ergebnisist, daß Gesetze herauskommen, mit denen alle unzu-frieden sind. Das kann aber nicht die Lösung sein.Die Inkonsequenz sieht man am Gesetz gegenScheinselbständigkeit genauso wie beim 630-Mark-Gesetz. Aber am schlimmsten – auch das will ich deut-lich sagen – ist die ökologische Steuerreform. Sie istnicht ökologisch, sie ist für die Wirtschaft ungerecht,und sie ist extrem unsozial. Wenn Frau Müller sagt, jetzthätten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das ersteMal wieder eine Abrechnung bekommen, nach der sienetto mehr in der Tasche hätten als im Vormonat, mußsie hinzufügen, was sie jetzt für Elektrizitätsrechnungen,was sie für Heizkostenrechnungen bekommen.
– Das können Sie doch nicht leugnen. Sie können dochnicht an der einen Stelle etwas günstiger machen, aberdann die Gegenrechnung nicht zulassen – zumal SieSiemens die Gegenrechnung zubilligen: Wenn es fürSiemens denn teurer als 1 000 DM im Jahr wird, wirdder Rest über das Zollamt erstattet. Diese Möglichkeitder Erstattung hätten Sozialhilfeempfängerinnen und-empfänger, Arbeitslose, Rentnerinnen und Rentnerauch gerne. Aber denen ist solch ein Weg nicht eröffnetworden.
Auch innerhalb der Wirtschaft ist die Ökosteuer ex-trem ungerecht. Wieso muß der Dienstleistungsbereichvoll bezahlen und das industrielle Gewerbe – gerade derSektor, der die meiste Energie verbraucht – nicht? Damitverzichten Sie ja geradezu auf die ökologische Wirkung.Genauso könnte ich anführen, daß die Regelung auch in-nerhalb der Industrie ungerecht ist: Ich habe vor kurzemein Kleinunternehmen besucht, das Heizkörper herstellt.Für diesen Unternehmer kann der Betrag von1 000 DM, den er auf jeden Fall zu entrichten hat, schonfast den Ruin bedeuten. Siemens und dieses winzige Un-ternehmen gleich zu behandeln hat mit Wettbewerbsge-rechtigkeit überhaupt nichts zu tun. Auch in der Land-wirtschaft können die 1 000 DM für manche Betriebe,insbesondere für Schweinezuchtbetriebe, schon den Ruinbedeuten. Nein, das ist wirklich höchst ungerecht gestal-tet. Wenn man das erkennt, muß man es dringend refor-mieren und darf nicht stur darauf beharren.
Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, der Ostenwerde Chefsache. Irgendwie habe ich den Eindruck, daßdieser Vorgang unbearbeitet auf Ihrem Schreibtisch ver-staubt. Es wird höchste Zeit, sich seiner anzunehmen.Natürlich, das Programm für 100 000 Jugendliche wirktsich auch im Osten positiv aus. Wahr ist ebenfalls, daßdie Verstetigung der Mittel für Arbeitsbeschaffungs-maßnahmen auch in den neuen Bundesländern positiveWirkungen entfaltet.Aber wo sind die wirklich durchgreifenden Ansätze?Wann machen Sie wirkliche Regional- und Struktur-politik? Wo bleibt die Investitionspauschale für Kom-munen? Wann endlich werden die Abschlüsse aus derDDR wirklich anerkannt? Und wann gehen wir – auchSie haben auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtsgewartet – daran, Rentengerechtigkeit für die neuenBundesländer herzustellen? Nein, da passiert viel zuwe-nig. Nach wie vor werden die Leute mit Wasser-, Ab-wasser- und Straßenbaubeteiligungsgebühren so abge-zockt, daß sie ihre Grundstücke verlieren. In all diesenBereichen müßte etwas unternommen werden.Beim Bündnis für Arbeit wird es darum gehen, obletztlich ein Mehr an Arbeitsplätzen herauskommt. Bis-her gibt es einen Abbau von Arbeitsplätzen. Sie werdenum grundlegende Reformen wie den Abbau von Über-stunden, Arbeitszeitverkürzungen, Schaffung eines öf-fentlich geförderten Beschäftigungssektors nicht herum-kommen. Die Lohnnebenkosten müssen endlich nachder Wertschöpfung und nicht nach der Zahl der Be-schäftigten und der Höhe der Bruttolöhne berechnetwerden,
damit die Einstellung von Arbeitskräften nicht, wieheute, auch noch bestraft und die Entlassung von Ar-beitskräften nicht, wie heute, auch noch belohnt wird.Weil das zur Zeit so ist, steigen die Aktienkurse immerdann, wenn ein Unternehmen Entlassungen ankündigt.Genau das muß geändert werden, wenn man Wirt-schaftspolitik und Arbeitsmarktpolitik zu einer Einheitverhelfen will.
Herr Kollege, den-
ken Sie an die Redezeit, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke schön, Frau Präsi-dentin. – Dann sage ich zum Schluß noch, daß wir auchalle Maßnahmen zur Entschädigung von Verfolgtender DDR unterstützen werden. Das haben wir schon inder Volkskammer gemacht. Wir haben immer gesagt:Man erreicht Gerechtigkeit nicht, indem man manchendie Rente kürzt; man erreicht Gerechtigkeit nur, indemman den einen die Rente beläßt und die anderen dafürentschädigt, daß sie solche Renten nicht beziehen kön-nen. Das ist der Weg, um diesbezüglich Ausgleich zuschaffen. Das war auch immer unser Anspruch.Wir erwarten, Herr Bundeskanzler, daß Sie irgend-wann einmal einen Terminplan vorlegen, der besagt, wiees mit der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ostund West weitergeht. Es gibt nämlich ein Problem:Dr. Gregor Gysi
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3095
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80 Prozent Lohn kann man zwar machen, aber nicht,wenn man Preise von 100 bis 120 Prozent hat. Das aberist die Situation in den neuen Bundesländern. Deshalbbrauchen wir hier einen klaren Fahrplan.
Ein letzter Satz: Das alles umspannende Problem istund bleibt der Krieg. Ein völkerrechtswidriger Krieg,der die vorgegebenen Ziele vollständig verfehlt, derimmer unverhältnismäßiger wird,
der die europäische Integration um Jahre zurückwirft,der Haß, Feindschaft und Brutalität gerade auch gegendie Kosovaren erzeugt, muß sofort gestoppt werden.Träumen Sie nicht vom Sieg oder von bedingungsloserKapitulation, sondern von einer politischen Lösung.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, das mit dem einen Satz ist immer pro-
blematisch. Es war auf jeden Fall ein langer Satz.
Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Antje
Hermenau das Wort.
Ich beziehe mich auf die Ausführungen des Kollegen
Gysi, vor allen Dingen auf die zur Rolle der NATO und
auf seine, sagen wir, merkwürdige Auswahl pazifisti-
scher Grundpositionen.
Herr Gysi, es ist nicht das erste Mal, aber in dieser
Rede ist es mir besonders stark aufgefallen: Sie bedie-
nen sich in einer gewissen Art und Weise eines Eklekti-
zismus des Pazifismus, stellen das hier vor. Sie sagen
uns: Natürlich können wir als ehemalige DDR-Bürger –
wir sind beide aus der ehemaligen DDR – nicht einem
Krieg der NATO zustimmen. Sie bauen hier ein Haßbild
im Hinblick auf Amerika und die NATO auf, das Sie am
Montagabend, 21 Uhr, von Karl-Eduard von Schnitzler
übernommen haben. Wir zwei wissen, wovon ich rede.
Ich verlange und erwarte nicht, daß wir jetzt alle die
NATO lieben. Aber ein bißchen kritische Annäherung,
ein bißchen kritischen Verstand hätte ich schon erwartet.
Sie ergehen sich in demselben geballten Kleinbür-
gertum, das die Russen 1968 dazu bewogen hat, zur
NVA – die Sie inzwischen zu einer Friedensarmee um-
taufen wollen, was ich für eine Perfidie halte – zu sagen:
Wir können die NVA gar nicht zum Einmarsch in die
Tschechoslowakei hinzuziehen, weil die NVA unzuver-
lässig ist. – Das, was Sie hier vortragen, ist geballtes
Kleinbürgertum, aber keine differenzierte Position dazu,
wie Sie sich verhalten wollen.
Sie haben damals zum Beispiel militärische Aktio-
nen in Nicaragua unterstützt. Die waren für Sie völlig
Rechtens. Sie haben militärische Aktionen in anderen
Ländern der dritten Welt unterstützt, wo Befreiungskrie-
ge herrschten. Die waren für Sie völlig Rechtens. Daß
jetzt ein Volk unterdrückt wird – ich rede nicht von den
Serben; Sie wissen das –, ist Ihnen völlig egal. Das stel-
len Sie hier – es entspricht Ihrem Feindbild, das Sie
übernommen und nicht differenziert aufgearbeitet haben
– so eklektizistisch zur Debatte, weil wir in fünf neuen
Ländern Landtagswahlen haben. Das, Herr Gysi, ist
heute deutlich geworden.
Danke schön.
Herr Kollege Gysi,
möchten Sie antworten? – Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, ich will un-
ser unterschiedliches Verhältnis zum Kleinbürgertum
nicht weiter definieren. Dazu könnte ich eine Menge sa-
gen.
Ich glaube, daß meine Entfernung davon etwas größer
ist als Ihre.
Aber davon abgesehen: Ich habe nie behauptet, Pazi-
fist zu sein. Ich habe auch gar keine pazifistischen Ar-
gumente benutzt. Ich sage gar nicht, daß jede Gewalt-
anwendung zu jeder Zeit völlig unrechtmäßig ist. Ich
hätte immer akzeptiert, wenn die chilenische Bevölke-
rung Pinochet mit Gewalt davongejagt hätte. Ich würde
übrigens auch der serbischen Bevölkerung durchaus zu-
billigen, Milosevic mit Gewalt davonzujagen. Aber wir
beide sind dafür nicht zuständig. Das ist Sache der jugo-
slawischen Bevölkerung. Das zu akzeptieren fällt Ihnen
offensichtlich schwer.
Zweiter Punkt. Hier geht es um einen Angriffskrieg.
Ich habe das übrigens schon in meiner letzten Rede ge-
sagt: Der Angriff der Sowjetunion gegen Afghanistan
war genauso völkerrechtswidrig. Der Angriff der fünf
Staaten auf die CSSR war ebenso völkerrechtswidrig.
Daraus aber zu schlußfolgern, daß gerade Sie einem
völkerrechtswidrigen Angriff der NATO auf Jugosla-
wien zustimmen müssen, halte ich für abenteuerlich und
perfide. Das gleiche gilt für den Wandel der Positionen,
auf deren Grundlage Sie entscheiden.
Jetzt erteile ich dasWort dem Bundeskanzler Gerhard Schröder.Dr. Gregor Gysi
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3096 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchtezunächst ein paar Bemerkungen zu dem machen, wasHerr Gysi zum Kosovo-Konflikt und zu den denkbarenLösungen, wie er sie sich vorstellt, gesagt hat. Insbeson-dere aber will ich etwas zu der Art und Weise sagen, inder er argumentiert hat.Ich hatte während des Zuhörens den Eindruck, HerrGysi, daß Sie aus Tätern Opfer und aus Opfern Tätermachen wollen. Opfer ist nicht Milosevic. Opfer sindHunderttausende Vertriebene, Tausende Ermordete. Dassind die Opfer.
Milosevic und die Belgrader Führung sind die Täter.Sie haben hier deutlich gemacht, daß diejenigen, diedie Opfer mit militärischen und politischen Mittelnschützen wollen, die eigentlichen Täter sind. Das gehtnicht,
das ist Winkeladvokatentum schlimmster Sorte, HerrGysi.
Ich denke, es ist an der Zeit, gerade hier darzustellen,um was es bei dieser Auseinandersetzung geht und wieund warum sie geführt wird. Denn ich kann schon ver-stehen, daß sich viele Mitbürgerinnen und MitbürgerSorgen über die Fragen machen, wie es weitergeht undwie dieser Konflikt beendet werden kann.Deshalb ist es immer wieder sinnvoll, deutlich zumachen, was die Motive der westlichen Staatenge-meinschaft für diese Intervention waren und sind.
Das Motiv ist, das Morden im Kosovo zu beenden. Dasist das einzige, das entscheidende Motiv, das wir haben.Die militärischen Mittel, die wir dazu einsetzen, die diegesamte westliche Staatengemeinschaft dazu einsetzt,sind nicht Selbstzweck. Das muß jeder, der uns zuschautund zuhört, verstehen. Sie sind ausschließlich Mittel zueinem einzigen Zweck: das Morden im Kosovo zu be-enden. Jeder von uns, gleichgültig auf welcher politi-schen Seite er hier im Hohen Hause steht, wäre dochfroh darüber, wenn die militärischen Mittel nicht hätteneingesetzt werden müssen.
Niemand – das gilt es zu erkennen – hier im DeutschenBundestag hatte ein irgendwie geartetes Interesse daran,aus einem anderen Motiv als dem, das ich genannt habe,zu diesen militärischen Mitteln zu greifen. Als Folge des-sen gilt: Sobald die militärischen Mittel nicht mehr einge-setzt werden müssen, weil der Zweck, zu dem sie einge-setzt werden, erreicht ist oder auf andere Weise erreichtwerden kann, wird das geschehen. Die NATO, die deut-sche Bundesregierung und das deutsche Parlament bis aufdie eine Ausnahme hatten doch nur eine einzige Strategie,nämlich das Morden zu beenden. Sie wären froh gewesen,das ohne militärische Mittel zu können.So aber war die Situation nicht. Deswegen hatten wirzu einer Doppelstrategie zu greifen: Auf der einen Seiteder Not gehorchend und in Nothilfe im wahrsten Sinnedes Wortes handelnd, um Not von Menschen im Kosovozu wenden – –
– Ich komme gleich dazu. Nun halten Sie sich doch nocheinen Moment zurück. Das müßte doch selbst Ihnenmöglich sein.Ich sage also: Um Not zu wenden, haben wir in Not-hilfe und zugleich auf der Basis von Sicherheitsratsbe-schlüssen gehandelt. Deswegen ist es wirklich falsch,die völkerrechtliche Legitimation dieses Handelns dau-ernd in Frage zu stellen.
Das ist nicht richtig, meine Damen und Herren, und eswird durch die Wiederholung auch nicht richtiger.Wir hatten also eine Doppelstrategie anzuwenden.Der eine Teil dieser Strategie – aber eben nur der eineTeil – ist der militärische. Der andere und während dermilitärischen Aktionen zu keinem einzigen Zeitpunktungenutzt gelassene Teil ist der politische. Doppelstra-tegie heißt hier, militärisch handeln zu müssen, um poli-tisch weiterzukommen. Das ist der Zusammenhang, umden es geht.Noch einmal: Das Militärische ist kein Selbstzweckund wird es nie werden, solange wir hier etwas zu sagenhaben. Aber wir mußten dieses Mittel einsetzen, umeiner politischen Lösung näherzukommen.Jetzt wird gesagt: Ihr seid ihr nicht nähergekommen.– Das ist ganz schrecklich falsch, meine Damen undHerren.
– Wenn Sie einmal anfingen nachzudenken, bevor Siedazwischenrufen, würden Sie darauf kommen, warumdas falsch ist: Wenn Sie sich einmal anschauen, wie diepolitische Situation zu Beginn dieses Konfliktes, zu Be-ginn der militärischen Maßnahmen war – da wende ichmich insbesondere an Sie, Herr Gerhardt –, dann könnenSie feststellen, daß zu Beginn dieser militärischen Maß-nahmen die westliche Staatengemeinschaft eine Positionvertreten hat, die durch die berühmten fünf Punkte, dieSie kennen, beschrieben wird.Die westliche Staatengemeinschaft, die NATO, hatdiese fünf Punkte immer wieder besonders betont: er-stens Rückzug der militärischen und der paramilitä-rischen Einheiten und der Sonderpolizei.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3097
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Der zweite Punkt betraf die Rückkehr der Flücht-linge – zum einen, um keiner weiteren DestabilisierungMazedoniens und Albaniens Vorschub zu leisten, aberauch, weil sonst wirklich die Gefahr besteht, daß West-europa in großem Umfang die Flüchtlinge aufnehmenmuß. Wir haben ein eigenes Interesse daran, daß dieMenschen dort, in ihrer Heimat, leben können und nichtbei uns Zuflucht suchen müssen – was sie jetzt tun undwobei wir alle zusammen ihnen auch helfen.Der dritte Punkt war: Damit die Flüchtlinge zurück-kehren können, muß es eine internationale militärischeSchutztruppe geben, und zwar deshalb eine militäri-sche, weil sie in der Lage sein muß, diese Menschen zuschützen; denn diese haben schrecklichste Erfahrungengemacht, was es heißt, ohne Schutz zu sein.Deshalb ist, bezogen auf die Schutztruppe, eineswirklich abenteuerlich: Zu glauben, mit ein paar Blau-helmen – wie vielen auch immer –, die nach internatio-nalem Recht bestenfalls in der Lage sind, sich selber undvielleicht in Nothilfe jemanden, der neben ihnen steht,zu verteidigen, den Schutz für die Flüchtlinge, die ihreHeimat wiederhaben wollen, garantieren zu können, dasist abenteuerlich.
Das widerspricht im übrigen auch allen Erfahrungen,die in Bosnien gemacht worden sind. Niemand weiß dasso gut wie der Kollege Rühe, der damals zuständig war.Wir haben dort die Erfahrung machen müssen, daß vonden gleichen Leuten die Blauhelmsoldaten der UNOan Pfähle gekettet worden sind, als Geiseln benutzt wur-den und zynisch und höhnisch zur Schau gestellt wordensind. Wollen Sie das im Kosovo wieder haben? Oderwie stellen Sie sich das vor, meine Damen und Herren?
Es geht kein Weg daran vorbei, daß man dort eine gutausgerüstete Truppe, die logistisch auch handeln kann,braucht, um die Flüchtlinge zu schützen. Diese Truppeist aber kein Selbstzweck; das muß man den Menschen,die sich Sorgen machen und auf diese Debatten schauen,immer wieder klarmachen. Wir wollen sie dort nichthaben, weil uns nichts anderes einfiele oder weil wirirgendein Land besetzen wollten. Nein, diese Schutz-truppe dient ausschließlich dazu, zurückkehrendenFlüchtlingen Schutz zu gewähren und damit Frieden inder Region zu garantieren. Das ist ein Motiv für dieseTruppe,
und das muß sie können, aber ohne einen Kern derNATO kann sie es eben nicht.Warum, glauben Sie denn, sagt die Belgrader Füh-rung vor dem Hintergrund der Bosnien-Erfahrung: un-bewaffnete – ja, bewaffnete – nein?
– Ich sage es doch nur, weil Sie – mir ist das jedenfallsso aufgefallen – als eine Art Strafverteidiger aufgetre-ten sind und weil Sie den Versuch gemacht haben, ausOpfern Täter zu machen. Deswegen muß ich das be-tonen.Ich sage noch einmal: Das sind die Motive. Jetzt wirdgesagt, wir hätten mit unseren Maßnahmen politischnichts erreicht. Ich habe deutlich gemacht, wie die Si-tuation am Anfang war: Wo stand die Staatengemein-schaft? Auf den Standpunkten, die ich genannt habe. Wostand Milosevic? Da, wo er bedauerlicherweise immernoch steht. Wo stand Rußland? Rußland – ich sage dasmit allem Respekt vor der russischen Führung – hattesich am Beginn dieses Konfliktes nicht in der Lage ge-sehen, im Sicherheitsrat einer Resolution nach KapitelVII der Charta der Vereinten Nationen zuzustimmen,und hat diese Position über ganz lange Zeit beibehalten.Rußland hat sich zum Beispiel nicht in der Lage gese-hen, zunächst als eigene Position und dann in der Ver-mittlerrolle, das deutlich zu machen und zu übernehmen,worum es geht, nämlich daß die Flüchtlinge Schutzdurch eine Truppe brauchen, über deren Ausrüstung ichmich geäußert habe.In der NATO hatten wir zudem Diskussionen überdie Notwendigkeit, Bodentruppen einzusetzen. Dassind die Debatten, die Sie alle kennen – insbesonderein der Öffentlichkeit Großbritanniens, aber auch in an-deren Ländern; ich will keine weiteren besonders nen-nen. Was ist in der Zwischenzeit als Ausfluß der ver-folgten Doppelstrategie geschehen? Die NATO debat-tiert nicht über Bodentruppen. Ich betrachte das – nichtnur, aber auch – als Erfolg unserer Diskussionen undBemühungen.
Ich habe deutlich gemacht – gleichgültig, wo: inAmerika ebenso wie in anderen westlichen Hauptstäd-ten; in Amerika übrigens in Übereinstimmung mit demKollegen Dr. Kohl –, daß und warum Deutschland keineBodentruppen einsetzen wird. Insofern gibt es gar nichtskritisch zu hinterfragen – es sei denn, man fragt nur,weil man in der Frage den Eindruck nahelegen will, esgäbe eine andere Position der deutschen Bundesregie-rung. Die gibt es aber nicht. Wir haben uns deutlich da-zu geäußert, daß und aus welchen Gründen wir keineBodentruppen wollen. Das hat außenpolitische Gründe,das hat innenpolitische Gründe, das hat aber auch denGrund, daß wir wirklich davon überzeugt sind, daß dieNATO – wie es gestern der französische Präsident ge-sagt hat – keinen Anlaß hat, ihre Strategie zu ändern,weil diese Strategie zu greifen beginnt. Sie können dasan den Bewegungen, die es in der letzten Zeit gegebenhat, erkennen. Dabei sind die Veränderungen der russi-schen Position natürlich das Wichtigste.Ich habe der Presse entnommen und bin dankbar da-für, daß Sie, Herr Dr. Kohl, ebenso wie viele andere mitJelzin geredet haben. Ich sage ausdrücklich: Jeder Ge-sprächskontakt, der insbesondere mit Mitgliedern derrussischen Führung aufgenommen wird und der demZiel dient, auf einer rationalen Basis zu einer politischenBundeskanzler Gerhard Schröder
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3098 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Lösung zu kommen, ist der deutschen Bundesregierungund ist, glaube ich, uns allen hochwillkommen.
Es hat also nicht zuletzt durch die Erfolge derTschernomyrdin-Mission, hinter der der Wille des russi-schen Präsidenten steht, Annäherung in der Sache und inzentralen politischen Positionen gegeben. Was wir nochhinbekommen müssen und woran gearbeitet wird, ist,die Frage zu beantworten, wie das eigentlich mit demZeitpunkt ist. Die nachvollziehbare und klare Positionder westlichen Staatengemeinschaft ist immer gewesenund ist noch: Wir müssen verifizierbar sehen können,daß mit dem Rückzug begonnen wird. Das ist ein ganzwichtiger Punkt, der früher übrigens auch nicht so hieß.Der Rückzug muß also begonnen werden, nicht beendetsein, ehe die Bombardements ausgesetzt werden können.Aber begonnen! Dann kann man über eine Aussetzungreden. Ich denke, man kann spüren, kann sehen, daß sichdie Positionen auch in dieser Frage anzunähern begin-nen.Vielleicht kann man dazu kommen, die Frage zu be-antworten: Wie definiert man „beginnen“? Gibt es einenfixierbaren Zeitpunkt, zu dem das eine und das anderepassiert? Ist das eine Möglichkeit weiterzukommen? Ichfinde, daß es lohnt, solche Diskussionen in das Bündnishineinzutragen. Ich sage auch mit Freude, daß ich demAußenminister, der sich wirklich krummgelegt hat, umzu diesen Erfolgen zu kommen, dafür sehr dankbar bin.
Die politischen Direktoren der G 7 haben zusammen mitRußland eine Position fixiert, die vor vier Wochen sonoch nicht denkbar gewesen wäre. Daß sich die G-7-Staaten auf Außenministerebene morgen in Bonn mitRußland treffen werden, war vor vier Wochen nichtmöglich, ist aber jetzt geleistet.Ich denke, meine Damen und Herren, dies alles zeigtzweierlei: einmal, daß es ganz schrecklich falsch wäre,der Bundesregierung zu unterstellen, sie hätte nur aufdie militärischen Maßnahmen gesetzt, was leider gele-gentlich geschieht, und zum anderen, daß es falsch wäre,zu glauben, es hätte sich als Folge der militärischenMaßnahmen nichts bewegt. Von einem bin ich nach wievor fest überzeugt: Ohne die militärischen Maßnahmenwären wir noch dort, wo wir am Anfang waren. Das giltes zu erkennen. Auf diesem Hintergrund muß man danndie Frage bewerten: War das richtig? War es angemes-sen?
– Da ist es wieder! Sie erliegen immer wieder der Ver-suchung, aus Opfern Täter zu machen.
Sie verwechseln immer wieder Ursache und Wirkung.Ich befürchte, Sie verwechseln es nicht, weil Sie zudumm wären, das anders zu begreifen, sondern Siewollen es nicht begreifen. Das ist der eigentliche Punkt.
Ich glaube also, daß die Bemühungen, die wir unter-nommen haben, wirklich Bewegung gebracht haben –Herr Glos, übrigens Bewegung in die richtige Richtung,nicht in die falsche.
Sie sollten gelegentlich – ich sage das bei aller meinerFreude, bayerischer Polemik, in diesem Fall fränkischerPolemik, zuzuhören – bei Ihrer Argumentation auchWahrhaftigkeit nicht völlig außen vor lassen.
Meine Damen und Herren, wir haben aber durch diepolitischen Aktivitäten noch ein bißchen mehr erreicht.Es ist am Anfang nicht so gewesen, daß die Rolle derVereinten Nationen in diesem Prozeß unumstritten ge-wesen wäre. Es ist nicht so gewesen, daß der General-sekretär der Vereinten Nationen, ausgestattet mit derUnterstützung der gesamten Europäischen Union, einge-schlossen natürlich die Unterstützung der Bundesregie-rung, zu seinem Teil für die politische Bewegung hatsorgen können. Nein, das ist am Anfang nicht so gewe-sen. Es war schon so, daß die deutsche Bundesregierung,daß der Außenminister, daß auch ich dazu beigetragenhaben, und zwar dadurch, daß wir in Brüssel die Staats-und Regierungschefs mit dem Generalsekretär zusam-mengebracht haben. Damit haben wir dazu beigetragen,daß die UN mehr und mehr die ihr auch nach unserer fe-sten Überzeugung zukommende Rolle spielen kann.Auch das war am Anfang keine Selbstverständlichkeit.Ich denke also, wenn man einen Strich darunter ziehtund fair ist, muß man sehen, daß diese Doppelstrategiepolitisch ohne Alternative war und zu greifen beginnt.In dem Zusammenhang noch ein Punkt: Es war vordiesem Hintergrund nicht in Ordnung, von blinder Ge-folgschaftstreue zur NATO zu reden.
Diejenigen, die diesen Vorwurf erhoben haben und mei-nen, ihn weiter aufrechterhalten zu müssen, sollten sichdoch einmal mit der Entwicklung auseinandersetzen unddanach ihren Vorwurf überdenken; denn das ist eine Artund Weise der Auseinandersetzung, die fehlgeleitet istund die auch Narben hinterläßt.Vielmehr verhält es sich genau umgekehrt: Ohne diepolitische Festigkeit, mit der wir den militärischen Teilbegleitet haben, und ohne die völlige Unbezweifelbar-keit der Solidarität der Deutschen im Bündnis hätteBundeskanzler Gerhard Schröder
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3099
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uns die objektive Möglichkeit gefehlt, die politischenErfolge, die wir errungen haben, zu erzielen.
Ohne diese nahtlose Bündnissolidarität hätte man be-stenfalls über die Versuche einer deutschen Bundesre-gierung gelächelt, sich außerhalb dieser Solidarität umeine politische Lösung zu bemühen. Das wäre völligunmöglich gewesen.
Eine Bemerkung zu den Flüchtlingen. Deutschlandhat in der EU beispielhaft – ich füge hinzu: wieder ein-mal – seine humanen Verpflichtungen erfüllt, insbeson-dere auch die Menschen in unserem Land. Wir habenjeden Grund, ihnen dafür dankbar zu sein.
Aber auch die Forderung – ich weiß nicht, von wem sieerhoben worden ist – an die deutsche Bundesregierung,auf öffentlichen und auf nichtöffentlichen Wegen Druckauf die Partner in der EU auszuüben, genauso wie wirFlüchtlinge aufzunehmen, ist richtig. Nur, der EU-Ratspräsident – das wissen diejenigen, die auch einmalmit europäischen Angelegenheiten befaßt waren – kannnichts anordnen. Die Entscheidungen über die Aufnah-me von Flüchtlingen werden noch immer auf nationalerEbene getroffen, zum Beispiel in Frankreich, in Groß-britannien oder in anderen Staaten. Trotzdem möchte ichdarauf hinweisen: Es kann nicht sein, daß wir hier überdie Aufnahme des nächsten Flüchtlingskontingents dis-kutieren, ohne deutlich zu machen, daß auch die anderenStaaten erst einmal ihre Pflicht tun müssen. Das solltenwir hier auch deutlich sagen.
Ich bin ziemlich sicher, daß dann, wenn es einer politi-schen Lösung hilft, wenn es sein muß und wenn auchdie anderen Staaten ihre Aufgaben erfüllt haben, dieDeutschen nach wie vor großzügig sein werden. Aberdie politische Debatte muß auch über die Partner in derEU und deren Verpflichtungen geführt werden.Darüber hinaus werden der Außenminister und derVerteidigungsminister bis ins kleinste, auch in den Aus-schüssen, begründen, daß und warum wir vor allem Al-banien helfen müssen.
Ich finde, daß das auf der Hand liegt. Die dortigenFlüchtlingsströme kann keine der zivilen Organisationen– sei sie auch noch so gut ausgerüstet – wirklich bewäl-tigen. Das ist der Grund, warum wir der Meinung sind,daß die Bundeswehr in einer solchen Situation helfensoll und muß. Daß die Voraussetzungen für einen weite-ren Einsatz von Bundeswehrsoldaten erfüllt sind, weildie Zahl der Flüchtlinge dramatisch zugenommen hat,konnten Sie in den letzten Tagen auf den Bildschirmensehen. Deshalb ergibt sich die Notwendigkeit, über ei-nen weiteren Einsatz von Bundeswehrsoldaten zu ent-scheiden, aus der Dramatik der dortigen Situation.Eine parlamentarische Entscheidung über einen sol-chen Einsatz der Bundeswehr ist notwendig, weil uns dasBundesverfassungsgericht in seinem Urteil vorgeschrie-ben hat, daß der Bundestag jedem, aber auch wirklich je-dem Einsatz zustimmen muß, bei dem die Gefahr besteht,daß sich deutsche Soldaten – was auch bei humanitärenEinsätzen möglich ist – im Falle eines Angriffs verteidi-gen müssen. Es besteht also eine verfassungsgerichtlicheNotwendigkeit, vor einem solchen Einsatz die Zustim-mung des Deutschen Bundestages einzuholen.Es mag den einen oder anderen nachdenklich ma-chen, ob uns das, was uns das Bundesverfassungsgerichtauferlegt hat, wirklich noch Handlungsmöglichkeiten insolchen Konfliktfällen eröffnet.
Das ist eine theoretische Debatte; denn wir haben uns andie Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zuhalten. Wir werden das auch tun und davon keinen Mil-limeter abweichen.
Es wird deutlich, daß unsere Strategie ohne Alterna-tive war und ist. Sie beginnt zu greifen.Ich möchte ein paar Bemerkungen zur innenpoliti-schen Situation machen. Ich möchte gerne das Zerrbildüber die deutsche Gesellschaft, auch über die deutscheWirtschaftsgesellschaft, das die Vorredner vermittelthaben, richtigstellen. Es ist gesagt worden, die Arbeits-losigkeit sei gestiegen. Das ist falsch. Wenn Sie sicheinmal die Zahlen für März 1998 anschauen
– ich werde nur zwei Zahlen anführen; die werden auchSie sich merken können –, dann stellen Sie fest, daß imMärz 1998 4,7 Millionen Menschen arbeitslos waren,während im März 1999 4,3 Millionen Menschen arbeits-los waren. Auch die Zahlen für April 1999, die ich nochnicht habe, werden vergleichsweise niedriger sein. Nunkönnen Sie sagen: 400 000 Arbeitslose weniger, das in-teressiert uns überhaupt nicht. – Aber uns interessiert das!Es ist wichtig, daß dieser Unterschied aufgezeigt wird.
Sprechen wir einmal über Jugendarbeitslosigkeit: Beiden unter 25jährigen ist die Arbeitslosigkeit um 11 Pro-zent zurückgegangen, insgesamt ist sie leider nur um7 Prozent zurückgegangen. Die Jugendarbeitslosigkeitist signifikant abgesunken, und zwar seit Novemberletzten Jahres. Das ist ein großer Erfolg, den Sie nichtkleinreden sollten.
Bundeskanzler Gerhard Schröder
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3100 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Er kommt insbesondere den jungen Menschen im OstenDeutschlands zugute.Wir haben das 100 000-Ausbildungsplätze-Pro-gramm aufgelegt.
– „So wenig erfolgreich“. Es ist interessant, daß ausge-rechnet Sie das sagen. Wann haben Sie denn jemals inden 16 Jahren, in denen Sie regiert haben, ein solch er-folgreiches Programm aufgelegt? Sie haben die jungenLeute doch alleine gelassen. Die haben Sie doch garnicht interessiert.
Wir haben dieses Programm auf den Weg gebracht.Nach den Zahlen für Mai 1999 sind 100 000 junge Men-schen mehr in Ausbildung und/oder Beschäftigung.
– Wir werden einmal sehen, wie lange. Sie werden sichwundern, was uns noch einfällt, um diesen jungen Leu-ten Möglichkeiten zu geben. Seien Sie sich da ganz si-cher. Eine Pennerei, wie Sie sie in dieser Frage an denTag gelegt haben, hört jedenfalls auf.
Was Sie zu den Wachstumszahlen gesagt haben,wundert mich sehr. Es ist richtig: Die Institute rechnenfür das erste Halbjahr mit weniger Wachstum. Sie sagenganz deutlich, womit das zu tun hat: mit den internatio-nalen Einflüssen, die insbesondere auf den Export Wir-kungen gezeitigt haben, die zu den vermindertenWachstumszahlen führen.
Aber die gleichen Institute sagen – noch sehr vorsichtig,man kann nur hoffen, daß sie recht behalten –, daß es inder zweiten Hälfte dieses Jahres mit dem Wachstumnach oben geht. Sie prognostizieren für das nächste Jahrein Wachstum von 2,6 Prozent. Statt sich darüber zufreuen und mitzuhelfen, daß sich hier die psychologi-schen Wirkungen entfalten können, stellen Sie sich insmosernde Abseits und kritikastern nur. Wir brauchenund wir wollen dieses Wachstum!
Es ist übrigens wahr, daß die Zahlen nur zum Teilaus den wirtschaftlichen Antriebskräften erklärbar sind.Keine Frage, insbesondere im Osten des Landes sind sieauch aus dem erklärbar, was die Bundesregierung überdie Bundesanstalt für Arbeit auf dem zweiten Arbeits-markt tut. Es macht Sinn, einmal zu erklären, warum esdiesen zweiten Arbeitsmarkt geben muß. Es ist dochnicht so, daß es hier einen einzigen unter uns gibt, dereinen zweiten Arbeitsmarkt als Selbstzweck betrachtet,der sich ihn wünscht. Jeder, der im ersten Arbeitsmarktsein Einkommen und Auskommen findet, ist uns lieb.
Aber wir wissen, daß der ständige Strukturwandel,nirgendwo so dramatisch sichtbar wie im Osten unseresLandes, Ungleichzeitigkeiten produziert. Es sind Un-gleichzeitigkeiten, die damit zu tun haben, daß die Ver-nichtung alter Arbeitsplätze ein ständiges Merkmal die-ses Strukturwandels ist, den im übrigen niemand auf-halten kann und aufhalten darf. Wir wissen, daß durchden Strukturwandel auch neue Arbeitsplätze entstehen,aber bedauerlicherweise nicht zur gleichen Zeit, nichtam gleichen Ort und nicht für alle Qualifikationen. Hiersetzen unsere Bemühungen an, in Zusammenarbeit mitden Ländern im Rahmen von Strukturpolitik, auch re-gionaler Strukturpolitik, und durch Qualifizierungsmaß-nahmen, die die Leute fit machen, Beschäftigung auchauf dem ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Natürlichsind für die Zeit zwischen der Vernichtung alter unddem Aufwuchs neuer Arbeitsplätze Arbeitsbeschaf-fungsmaßnahmen auf dem zweiten Arbeitsmarkt nötig.Der Grund für deren Existenz ist, diese Ungleichzeitig-keit zu überwinden.Früher, als Sie noch regierten, gab es pünktlich vorWahlen immer einen enormen Aufwuchs der Arbeitsbe-schaffungsmaßnahmen. Infolgedessen veränderten sichdann auch die Arbeitsmarktzahlen positiv. Leider war esnur so, daß man unmittelbar nach den Wahlen vergaß,wie dieser Aufwuchs zustande gekommen war, und ihnauch nicht weiterführte.
Das ist die Erfahrung, die die Menschen im Osten unse-res Landes mit Ihnen gemacht haben: vor Wahlen immermehr Arbeitsplätze, nach Wahlen pünktlich ein Ende derMaßnahmen.
Das Interessante ist nun, daß die Menschen im Ostenjetzt eine andere Erfahrung machen, nämlich die, daßwir die Arbeitsmarktmaßnahmen, die Sie vor Wahleninitiiert haben, unabhängig von Wahlterminen versteti-gen.
Wir werden, meine Damen und Herren, 6,3 Milliar-den DM mehr für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen spe-ziell im Osten ausgeben. Das hilft den Menschen, Arbeitzu finden, sich zu qualifizieren und sich Chancen im er-sten Arbeitsmarkt zu suchen und zu eröffnen. Wir wol-len das und werden es deshalb weiterführen. Diese Poli-tik ist eine fundamental andere Arbeitsmarktpolitik, alsSie sie gemacht haben. Diesen Unterschied – seien Siesich dessen sicher – werden wir den Menschen deutlichmachen.
Sie werden dann auch verstehen, daß das Geld kostet,aber daß es besser ist, Arbeit zu bezahlen, als Arbeits-losigkeit bezahlen zu müssen.
Bundeskanzler Gerhard Schröder
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3101
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Ich will ein paar Bemerkungen zu den hier heiß dis-kutierten Fragen der Scheinselbständigkeit, der arbeit-nehmerähnlichen Selbständigkeit und den 630-Mark-Arbeitsverhältnissen machen. Worum geht es dabeiüberhaupt? Es ist von einigen Rednern – ich habe genauzugehört – zu Recht darauf hingewiesen worden, daßsich diese ganzen Probleme auf den Bereich konzentrie-ren, den man Dienstleistungssektor nennt. Das ist wahr.So hatten wir im Dienstleistungssektor das interessantePhänomen, daß sich dieser wachsende Sektor des erstenArbeitsmarktes anders ausfächerte als der Sektor derProduktion. Dies hatte Folgen für die arbeitenden Men-schen, für die Rentenversicherung, die Sozialversiche-rung und die Krankenversicherung.Ich habe den Satz, die Sozialsysteme hätten keinAusgaben-, sondern nur ein Einnahmenproblem, immerfür einen törichten Satz gehalten. Ich sage ohne Abstri-che: Das ist ein törichter Satz.
Wir haben da natürlich auch Ausgabenprobleme. Aberumgekehrt ist es genauso töricht, angesichts der Ent-wicklungen auf dem Dienstleistungssektor zu ver-schweigen, daß wir ein Einnahmenproblem bekommen,wenn wir es so weiterlaufen lassen. Alle unsere sozialenSicherungssysteme werden nämlich auf absehbare Zeitso bleiben. Man kann zwar Ergänzungen vornehmen;man wird das sogar tun müssen. Aber sie sind an Voll-erwerbsarbeitsverhältnisse gekoppelt. Für diese werdenBeiträge in die Sozialkassen gezahlt, von denen wieder-um Renten, Leistungen der Krankenkassen und andereSozialleistungen finanziert werden.Wenn wir, meine Damen und Herren, jetzt nicht poli-tisch darauf reagieren und gestatten, daß sich der dyna-mischere Teil des Arbeitsmarktes völlig anders als unserbisheriges System entwickelt, dann ist doch völlig klar,daß die Sozialkassen riesige Schwierigkeiten bekommenund es dort zu Erosionen kommt. Das kann doch nie-mand wollen.Ich vermute, das war auch der Hintergrund jener Bot-schaft, die gestern der Bundesfinanzminister und heuteder Fraktionsvorsitzende der SPD an die Adresse derUnion, mit der das diskutiert worden ist, gerichtet haben,daß nämlich bei einer Volkspartei, die nicht nur einenTeil der Bevölkerung vertritt und auch nicht nur aufeinen Teil von Wählerschaft sieht, die Sensibilität fürdieses Problem, das es objektiv gibt, natürlich größer istals bei einer Klientelpartei. Das ist ja klar.
Deshalb haben mich die Differenzen zwischen CDU undF.D.P. insoweit auch gar nicht verwundert, denn sie ha-ben etwas mit unterschiedlichen Funktionen zu tun.Wenn das aber so ist, meine Damen und Herren, daßwir aufpassen müssen, daß sich der dynamischere Teildes Arbeitsmarktes, der Wirtschaft nicht in Richtung aufdie Zerstörung der sozialen Sicherungssysteme entwik-kelt – damit würde Solidarität in der Gesellschaft zu exi-stieren aufhören –, dann müssen wir handeln.
Es stellt sich allenfalls die Frage nach dem Wie desHandelns.
– Ich komme ja dazu; machen Sie sich mal keine Ge-danken. Mir ist schon klar, daß Sie über ernsthafte Fra-gen ungern diskutieren,
aber glauben Sie nicht, daß Ihre Dölmerei draußen ver-fängt. Das werden Sie schon noch erleben.Es geht also um die Frage nach dem Wie. Erstensgeht es um die Frage, wie diejenigen zu behandeln sind,die als Selbständige erscheinen, obwohl sie nach allem,was man tatsächlich weiß, in Wirklichkeit Arbeitnehmersind. Es geht also um die sogenannten Scheinselbstän-digen. Hier muß man Regelungen finden. Ich denke, daßdas, was im Streit ist und überprüft werden muß, insbe-sondere der Zeitpunkt ist, in dem festgestellt wird, ob sieselbständig oder scheinselbständig sind und zu welchemZeitpunkt die Folgen sowohl für den betroffenen Arbeit-nehmer als auch für den Arbeitgeber einsetzen.Wird Scheinselbständigkeit festgestellt – das war frü-her übrigens schon genauso –, besteht die Pflicht desArbeitnehmers zur Versicherung und die Pflicht des Ar-beitgebers zur Beitragszahlung. Ich halte es nicht für ge-rechtfertigt, diese Pflicht auf einen früheren Zeitpunktals den der Feststellung zu beziehen.
Ich denke, das wird einer der Punkte sein, über denernsthaft geredet werden muß.
– Das ist überhaupt kein neuer Vorschlag. Es ist einfachein Gebot der Fairneß, meine Damen und Herren,
daß man jemanden mit den Konsequenzen eines Geset-zes erst dann belastet, wenn die entsprechenden Fest-stellungen verbindlich getroffen worden sind.Der zweite Punkt betrifft ein schwieriges Problem, dasProblem der Abgrenzung zwischen Sozialversicherungs-recht und Arbeitsrecht. Also hat die Feststellung, daßScheinselbständigkeit statt Selbständigkeit vorliegt, aucheine Konsequenz in arbeitsrechtlicher Hinsicht. Hier mußman zu besseren Abgrenzungen kommen. Das betrifftsehr viele Menschen, die im Medienbereich arbeiten. Ichfinde, angesichts der Tatsache, daß weit mehr als zehnJahre in diesem Sektor nichts, aber auch gar nichts getanworden ist – es ist doch Ihr Versagen, mit dem wir es hierzu tun haben, meine Damen und Herren –,
Bundeskanzler Gerhard Schröder
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3102 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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kann und muß man über solche Abgrenzungsproblemereden.
Es gibt weiter die arbeitnehmerähnlichen Selb-ständigen in diesem Sektor. Das sind Menschen, die alsSelbständige akzeptiert sind, aber nur für einen be-stimmten Unternehmer arbeiten. Dabei geht es schlichtum die Frage: Soll man hinnehmen, daß sich die Betrof-fenen überhaupt nicht sozialversichern müssen, sichauch nicht zwischen Alternativen entscheiden müssen,aber dann, wenn etwas schiefgeht, in die Sozialhilfefallen und damit den Beitragszahlern, die ihr Leben langtreu und brav ihre Beiträge gezahlt haben, zur Last fal-len, oder soll man das nicht zulassen? In dem Gesetzsteht, daß das nicht zugelassen wird. In dem Gesetz stehtaber auch – diesen Punkt muß man erwähnen –, daßniemand, der eine Versicherung, welcher Art auch im-mer, hat, gezwungen werden soll, in die Sozialversiche-rungskassen einzuzahlen.Dies ist ein vernünftiger Weg, den man sich aber auchunter dem folgenden Aspekt anschauen sollte: Es wirdeingewandt, daß man auf diese Weise den Existenzgrün-dern den Schritt in die volle Selbständigkeit erschwerenwürde. Es wird dann folgendermaßen argumentiert: DerExistenzgründer hat zunächst nur einen Auftraggeber, vondem er abhängig ist; er ist also in einer arbeitnehmerähn-lichen Situation. Aber dieser Existenzgründer hat dieChance, den Schritt aus der abhängigen Beschäftigung indie volle Selbständigkeit zu gehen, indem er sich mehrereAuftraggeber sucht. Ich bin absolut dafür, daß diese Re-gelung aufrechterhalten bleibt.
– Nein, es ist ja gar nicht so.Schon im Gesetz ist die Regelung enthalten, daß derBetroffene 50 Prozent und mehr seiner Beitragsleistung– wozu er verpflichtet ist – an die Sozialkassen erlassenbekommen kann. Ich bin uneingeschränkt der Auffas-sung, daß sich die Kommission, gegen die Sie so pole-misiert haben, genau anschauen muß, ob es nicht Sinnmacht, jemanden für drei oder auch fünf Jahre ganz vondieser Verpflichtung freizustellen. Nach dieser Zeit kannman nämlich genau feststellen, ob er den Schritt in dieSelbständigkeit geschafft hat oder ob er ein arbeitneh-merähnlicher Selbständiger geblieben ist. So pragma-tisch ist die Regelung.
– Angesichts Ihres Geschreis muß ich sagen, daß es nurdie folgende Alternative gibt: Entweder findet man eineRegelung, die diesen Sektor auf möglichst angemesseneWeise anderen Sektoren gleichstellt, oder man findetdiese Regelung nicht. Sie aber verwechseln Flexibilitätmit dem Recht auf Ausbeutung. Das ist Ihr Problem,meine Damen und Herren.
In beiden Bereichen geht es um die Frage, ob maneine Entwicklung auf dem ersten Arbeitsmarkt stoppenkann, die die sozialen Versicherungssysteme – unabhän-gig von der Frage, wie man sie reformieren kann – zer-stören würde, wenn man sie weiter zulassen würde, sowie Sie es offenkundig vorhatten. Unsere Antwort lau-tet: nein.
Ich räume ein, daß dieses Thema Gegenstand einerAuseinandersetzung ist, was angesichts der Diskussionüber einen Sektor, in dem so lange Mißbrauch betriebenwurde – das haben Sie zugelassen –, nicht verwundernkann. Natürlich gibt es im Rahmen dieser DiskussionAuseinandersetzungen um schwierige, aber wichtigeAbgrenzungsfragen. Diese Probleme werden so gelöstwerden, daß die notwendige Solidarität gewährleistetwird, ohne daß das Recht des einzelnen auf ein selbstbe-stimmtes Arbeitsleben eingeschränkt wird. Das ist dieAufgabe, die wir lösen werden.
In der Debatte sind viele Einwände gegen dieSteuerpolitik dieser Regierung gemacht worden.
Ich kann diese Kritik schon aus intellektuellen Gründennur schlecht nachvollziehen.
Was haben wir mit unserer Politik, zu der wir ohneWenn und Aber stehen, bisher erreicht? Wir habenschon vor den Wahlen gesagt, daß wir Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer, also diejenigen, die nicht sovielin der Tasche haben, entlasten werden.
Das haben wir gemacht. Schauen Sie sich die Verände-rung beim Eingangssteuersatz und die Veränderungenfür Familien mit Kindern an. Da beißt die Maus keinenFaden ab: Wenn die Entlastungsmaßnahmen voll grei-fen, wird die Entlastung für Familien mit Kindern 2 500DM pro Jahr betragen. Das ist versprochen und wird ge-halten. Die Veränderungen sind auf den Weg gebracht.
Nun können Sie das kritisieren; damit habe ich über-haupt kein Problem. Aber dann müssen Sie sich auchvorwerfen lassen, daß Sie keine Entlastung von Familienmit Kindern wollen, sondern etwas anderes.
Damit würde eine Entwicklung fortgesetzt, die das Bun-desverfassungsgericht wiederholt auf den Plan gerufenhat. Auch da gilt es einmal in aller Klarheit zu sagen: Eswaren doch nicht unsere Steuergesetze, die beim Bun-Bundeskanzler Gerhard Schröder
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desverfassungsgericht durchgefallen sind, sondern IhreSteuergesetze!
Es gehört schon eine gehörige Portion Dreistigkeit dazu,angesichts dessen, was Sie selber an verfassungswidri-gen Steuergesetzen zu verantworten haben, uns auf ver-fassungsrechtliche Bedenken hinzuweisen. Das ist schondreist!
Seien Sie sicher: Der Weg, der eingeschlagen wordenist, nämlich auch und gerade im Steuerrecht soziale Ge-rechtigkeit mit Stärkung der Wirtschaftskraft zu verbin-den, wird weitergegangen.
Der Herr Finanzminister hat gestern dargestellt, wie dieeinzelnen Schritte aussehen und in welcher Abfolge sieumgesetzt werden.
Sie können sicher sein, daß Sie früh genug damit be-schäftigt werden. Aber Sie müssen sich schon entschei-den, was Sie uns vorwerfen wollen: Auf der einen Seitesagen Sie, alles gehe zu schnell und zu hektisch. Auf deranderen Seite klagen Sie, Sie wüßten nicht früh genug,was kommen soll und was nicht.Nein, seien Sie ganz sicher: Der Bundesfinanzmi-nister wird diese Reform, die nur in Stufen zu realisierensein wird, sehr sorgfältig vorbereiten und Ihnen Schrittfür Schritt im Parlament vorlegen, so daß wir eine breiteDiskussion über die Fragen führen können: Erstens. Werist verantwortlich für das, was in der Vergangenheit ge-macht worden ist, was die Familien ins Abseits gestellthat und was ganz offenkundig verfassungswidrig war?Zweitens. Wer ist verantwortlich für die Besserung desZustandes, die das Gericht uns aufgegeben hat? Wir ha-ben uns doch nicht danach gedrängt, Ihre Versäumnisseauszugleichen, sondern das Bundesverfassungsgerichthat uns das aufgegeben.Wir werden es tun, Schritt für Schritt. Dann werdenwir das, was sich die Koalition vorgenommen hat, ins-besondere auf dem Gebiete des Steuerrechts, umsetzen,nämlich die zweite und dritte Stufe der Ökosteuer-reform, den Familienlastenausgleich und die Unterneh-mensteuerreform. Vermutlich müssen wir uns, wenn dasnicht europaweit zu schaffen ist – daran arbeiten wir –,auch mit einer vernünftigeren Variante der Besteuerungvon Kapitalerträgen auseinandersetzen. Dann werdenwir Ihnen ein Gesamtkonzept vorlegen. Über dieses Ge-samtkonzept wird dann politisch diskutiert, ebenso wieüber diesen Haushalt und die sozialpolitischen sowie dieaußenpolitischen Maßnahmen, die diese Regierung ver-antwortet. Dann werden wir sehen, wie weit wir damitkommen. Wir sind da nicht ängstlich. Wir sind davonüberzeugt, daß der Weg, den wir im Äußeren wie im In-neren eingeschlagen haben, ein richtiger Weg ist. Wirwerden ihn unbeirrt fortsetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Gregor
Gysi.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Ich verstehe überhaupt nicht, weshalbSie sich so aufregen. Die Kurzintervention ist ein selbst-verständliches parlamentarisches Recht, das wir Ihnennoch nie abgesprochen haben. Nehmen Sie es doch ein-fach so hin.Herr Bundeskanzler, ich möchte zu zwei Dingen, dieam Beginn Ihrer Ausführungen standen, etwas sagen:Weder in meiner Rede noch insgesamt durch die PDShat es je eine Verwechslung von Tätern und Opferngegeben. Opfer ist zweifellos in erster Linie die Zivilbe-völkerung des Kosovo, und das seit langer Zeit. Ich habeein Vertriebenenlager besucht. Ich habe mit vielen dortgesprochen. Es sind zum großen Teil PDS-Gruppen, diein den neuen Bundesländern ankommende Vertriebeneunterstützen und direkte Hilfe leisten. Da hat es alsonoch nie eine Verwechslung gegeben. Es gibt ein zwei-tes Opfer, das allerdings häufig vernachlässigt wird: Dasist zunehmend die serbische Zivilbevölkerung, derTrinkwasser fehlt, der die Lebensmittel ausgehen usw.Nur, falls Sie mit dem Begriff „Opfer“ die NATOmeinten: Die ist allerdings für mich nicht Opfer; das istwahr. Wenn man einen völkerrechtswidrigen Angriffs-krieg beginnt und immer mehr zivile Objekte bombar-diert, dann kommt man eben in eine völlig andere Rolleund Bewertung.Täter ist selbstverständlich die jugoslawische Regie-rung um Milosevic hinsichtlich all der Menschenrechts-verletzungen, die sie zu verantworten hat. Das ist klar.Da gab und gibt es keine Verwechslung.
Nur, auch die NATO ist auf Grund der immer stärkerenBombardierung ziviler Objekte weiß Gott nicht unschul-dig, weder in einem völkerrechtlichen noch in einemhumanen und zivilisatorischen Sinne.Eine zweite Bemerkung – Herr Bundeskanzler, dahabe ich mich sehr gewundert –: Das Ziel dieses Kriegessoll doch sein, das Morden im Kosovo, wie Sie gesagthaben, zu beenden und die Leiden der Kosovo-Albanerzu lindern. Jetzt stellen aber wir und auch andere fest,daß dieses Morden nicht aufgehört hat, sondern vielschlimmer geworden ist. Die Leiden haben noch zuge-nommen. Deshalb muß man auch unter diesem Ge-sichtspunkt den Krieg an sich in Frage stellen.Sie sagen, das sei falsch, weil der Krieg Erfolge habe,und bewerten die Bewegung der russischen Regierungund die neuen Aktivitäten von Kofi Annan als Erfolg.Bundeskanzler Gerhard Schröder
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Nur, das ist ein bißchen winkeladvokatisch. Denn dasZiel des Krieges bestand doch nicht darin, Kofi Annanoder die russische Regierung in Bewegung zu setzen,sondern darin, das Leiden der kosovo-albanischen Be-völkerung zu beenden.
Davon aber kann keine Rede sein. Es ist ständigschlimmer geworden. Da das so ist, kann ich nur sagen:Wenn das Leiden der Kosovo-Albaner so wäre wie vorBeginn des Krieges, wäre es immerhin geringer. Des-halb ist der Krieg falsch. Er führt nicht zu dem ur-sprünglichen Ziel – vielleicht zu einem anderen –, unddas ist das Hauptproblem.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat jetztder Vorsitzende der Fraktion der CDU/CSU, Dr. Wolf-gang Schäuble.Dr. Wolfgang Schäuble (von derCDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meineverehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn man demBundeskanzler zugehört hat, hat man ein wenig denEindruck gehabt, daß die deutsche Politik – der Einzel-plan 04 ist immerhin Anlaß zur Generalaussprache überdie Politik der Bundesrepublik Deutschland; der Bun-deskanzler hat dazu eine Stunde gesprochen – im we-sentlichen aus der Krise im Kosovo und aus 630-Mark-Verträgen besteht. Das ist schon ein bißchen wenig,Herr Bundeskanzler, im Hinblick auf die PerspektivenIhrer Politik.
Nun ist es wahr, notwendig und unvermeidlich, daßdie Krise im Kosovo die Debatte hier und auch die Ton-art überlagert. Ich will der Versuchung widerstehen,Herr SPD-Vorsitzender Schröder, auf Ihre koalitions-internen Streitigkeiten, was das Verhältnis zwischenSPD und PDS in Schwerin oder Magdeburg anbetrifft,einzugehen. Es ist angesichts dessen, daß Ihre Mehrheitim Bundesrat auf der Zusammenarbeit mit der PDS be-ruht, schon bemerkenswert, wie Sie hier miteinanderumgehen.
Wir als CDU/CSU-Fraktion haben die Ziele und Ak-tionen der NATO sowie die Beteiligung der Bundeswehrdaran unterstützt. Wir haben das geschlossener getan alsgroße Teile Ihres eigenen Regierungslagers. Wir habenes innerhalb der klaren Grenzen getan, die sich durch dieBeschlußlage ergeben und von denen wir immer gesagthaben, sie dürften nicht in unkontrollierbarer und unkal-kulierbarer Weise überschritten werden; es dürfe keineunkontrollierbare Eskalation geben.Ich bin sehr froh, daß Sie meinen Warnungen in derletzten Debatte – das betrifft insbesondere den Vize-kanzler – vor einer Übersteigerung der Rhetorik, diepolitische Lösungen erschwert, inzwischen gefolgt sind.Auch das ist gut. Über all dies braucht nicht gestritten zuwerden; es bleibt bei unserer geschlossenen Haltung.Wir sind in dieser Frage geschlossener und verläßlicherals Teile Ihres eigenen Regierungslagers.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben eine halbe Stunde zudiesem Thema gesprochen, und Sie haben nicht eineeinzige der Fragen, die die Kollegen Glos und Gerhardtgestellt haben, beantwortet.
Es hilft nichts. So sehr wir uns in bezug auf die Unaus-weichlichkeit des Handelns der NATO und der Beteili-gung der Bundesrepublik Deutschland und der Bundes-wehr daran einig sind – daß es uns allen schwerfällt, istebenfalls keine Frage –, so sehr müssen Antworten ge-geben werden, damit die Menschen es auch verstehen.Natürlich wird zunehmend die Frage gestellt, ob denndie Ziele, die die NATO hinsichtlich einer künftigenRegelung im Kosovo genannt hat, so noch erreichbarsind. Wir erleben jetzt seit sechs Wochen Tag für Tagdie NATO-Aktionen. Wer plausibel sein will, wer dieZustimmung der Bevölkerung, der Öffentlichkeit undder großen politischen Gruppierungen erhalten will, dermuß realistisch mit den Fragen der Menschen umgehenund muß auf sie Antworten geben. Deswegen entsprichtdas Ausweichen und das Verweigern von Antwortennicht Ihrer Verantwortung.Ich füge eine Bemerkung hinzu. Der Kollege Ger-hardt und der Kollege Glos haben es gesagt: Seit Wo-chen werden weder der Deutsche Bundestag noch diegroße Oppositionsfraktion, die die Politik der Regierungunterstützt, über die Beratungen innerhalb der Atlanti-schen Allianz vor und nach dem Washingtoner Gipfelaußer in Form von Pressemitteilungen und Fernseh-statements in irgendeiner Weise unterrichtet. Auch IhrDebattenbeitrag hat dazu keinerlei Antwort gegeben.
Wenn man sich an Ihre öffentlichen Erklärungen,Herr Bundeskanzler, hält, dann ist es furchtbar schwie-rig. Sie haben in Ihrer Erklärung zum 1. Mai gesagt: DieBundesregierung hat jede denkbare diplomatische undpolitische Initiative ergriffen usw. Dann heißt es: DieStaats- und Regierungschefs der Europäischen Unionhaben sich die Vorschläge der Bundesregierung auf deminformellen Gipfel in Brüssel zu eigen gemacht, und siefanden Eingang in die Beschlüsse auf dem Gipfel derNATO in Washington. Weiter haben Sie gesagt: Derdeutsche Vorschlag zur Entwicklung eines Stabili-tätspakts für die Balkanstaaten hat dabei breite Unter-stützung gefunden. – Wir hätten das gern ein wenig ge-nauer gewußt. Denn laut einer Agenturmeldung vom4. Mai haben Sie gesagt, allerdings sei der Einfluß derDeutschen in der NATO gering. 90 Prozent des Mate-rials und der Kosten des Kosovo-Kriegs würden von denUS-Amerikanern getragen. Dies erkläre, wer das SagenDr. Gregor Gysi
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habe. – Ich frage: Was gilt denn jetzt? Machen Sie esdoch ein bißchen weniger großsprecherisch. Sagen Siedas vielmehr lieber etwas genauer und realistischer.Wenn es öffentlich nicht geht, dann sagen Sie vertrau-lich und informell – auf unsere Vertraulichkeit könnenSie sich verlassen –, was wirklich Stand der Abspra-chen, der Überlegungen und der Beratungen innerhalbder NATO ist.
Ich möchte eine weitere Bemerkung hinzufügen. Ichmeine die Anzeige der SPD zum Europawahlkampf. Sieist ganzseitig; Sie haben genügend Geld. Das ist in Ord-nung. Wir haben sie ja gesehen. Ich will auch weiternicht dafür werben. Aber eines geht nicht – da muß ichwidersprechen –, nämlich eine Seite lang mit demKosovo-Thema Europa-Wahlkampf zu machen – imMittelpunkt der ganzen Anzeige steht die große Verant-wortung, die Sie angeblich für das Kosovo tragen – undim letzten Satz der Anzeige zu schreiben:Zugleich appelliert die SPD an das Verantwortungs-gefühl aller Parteien, den Konflikt im Kosovo nichtzum Gegenstand des Wahlkampfes zu machen.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein solches Maß anScheinheiligkeit geht dann doch zu weit.
Das will ich Ihnen in aller Ruhe und aller Freundschaftsagen: Sie nähren mit solchem Verhalten – manche sa-gen, das sei ziemlich typisch für Sie, auch für Sie per-sönlich – doch den Verdacht, daß es Ihnen auch in denernsten Zeiten der Krise im Kosovo in erster Linie uminnerparteiliche Rücksichtnahme, in zweiter Linie uminnenpolitische Positionsgewinne und überhaupt nichtum die Sache geht.
Der Verdacht, daß Sie diese Haushaltswoche mit al-len möglichen anderen Debatten überlagern, weil Sievon der Problematik der Haushaltspolitik und der Politikdieser Bundesregierung insgesamt ablenken wollen, istnicht von uns erhoben worden.
Die Frage ist nicht beantwortet, warum über den Antraghinaus, in dieser Haushaltswoche das Staatsangehörig-keitsrecht in zweiter und dritter Lesung zu behandeln –darüber haben wir gestern diskutiert; in der Geschäfts-ordnungsdebatte hat übrigens der Geschäftsführer derSPD aus angeblich vertraulichen Telefongesprächen sei-nes Fraktionsvorsitzenden mit einem Kollegen wahr-heitswidrig berichtet,
was auch eine eigene Art des Umgangs zwischen Frak-tionsvorsitzenden ist; Herr Kollege Struck, reden Sieeinmal mit Ihrem Geschäftsführer, damit er wieder einMinimum von Anstand einhält
und nicht noch aus vertraulichen Gesprächen verleum-derische Behauptungen macht –, vorgesehen war, dasMandat für die Bundeswehr im Kosovo-Konflikt in die-ser Woche zu erweitern – eine Debatte, die Ihnen nichtleichtfällt, die der SPD nicht leichtfällt, die den Grünennicht leichtfällt und die auch der CDU/CSU-Fraktionnicht leichtfällt. Die Begründung, warum dieser Antragerst in dieser Woche, quasi überfallartig, im DeutschenBundestag eingebracht wird, obwohl der Verteidi-gungsminister und der SPD-Fraktionsvorsitzende ihndoch seit Wochen angekündigt haben,
auch in Presseerklärungen, haben Sie nicht gegeben. DerGrund ist entweder, daß Sie sich nicht getraut haben,früher den Antrag auf eine ordnungsgemäße Erweite-rung des Mandats einzubringen, oder daß Sie von derHaushaltsdebatte ablenken wollen.
Deswegen sage ich Ihnen in aller Entschiedenheit:Wir stehen zu der Unterstützung, die wir beschlossenhaben. Es bleibt dabei; wir werden auch weiterhin ver-läßlich sein: für die NATO, für die Bundeswehr, für dieBeteiligung der Bundesrepublik. Wir werden genausoklar dabei bleiben, daß es keine unkontrollierbare Eska-lation geben darf und daß auch der erste Schritt dazufalsch ist. Aber wir werden Sie bei aller Unterstützungder Ziele nicht aus der Verantwortung entlassen.
Sie müssen zunehmend erklären, ob diese Ziele, wie sievor Wochen Grundlage unserer Beschlußfassung waren,nach den internen Überlegungen der NATO überhauptnoch erreichbar sind oder was sich verändert.
Sie werden eines Tages auch erklären müssen, wenn dieZiele nicht zu erreichen sind, was der Grund dafür ge-wesen ist und was Sie falsch gemacht haben, so daß dieZiele nicht erreicht werden konnten. Aus dieser Verant-wortung werden wir Sie nicht entlassen können. Da wirdIhnen kein Schauspielertrick helfen.
Ich will in diesem Zusammenhang auch sagen: HerrBundeskanzler, wenn Worte einen Sinn machen, dannhaben Sie in Ihrem Debattenbeitrag eben Ihren Bun-desinnenminister kräftig gerügt. Das mag berechtigtsein; nur muß es dann klar sein. Der Bundesinnenmi-nister hat uns angegriffen, weil wir gesagt haben: Wirhaben doch schon ein paar hunderttausend Menschenaus dem Kosovo in Deutschland. Es ist doch eine Irre-führung der Öffentlichkeit, wenn gesagt wird: Die Deut-schen haben 10 000 Menschen aufgenommen, und wirwerden doch in dieser schlimmen Situation der Vertrie-benen und Flüchtlinge in Mazedonien und Albaniennicht kleinlich sein und weitere aufnehmen. – NatürlichDr. Wolfgang Schäuble
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nicht! Aber wenn die deutsche Öffentlichkeit das Gefühlhaben soll, sie würde von den politisch Verantwortli-chen verstanden, gehört auch dazu, darauf hinzuweisen,daß die 10 000 im Grunde nur ein ganz kleiner Teil sind.Wir haben doch in den letzten Jahren eine starke Zu-wanderung von Menschen aus dem Kosovo und aus Al-banien gehabt. Es sind eher Hunderttausende, die sich inDeutschland aufhalten, als nur 10 000.
Wenn Sie nun sagen, ehe man über eine Erweiterung desdeutschen Kontingents redet, sollen zunächst einmalauch die anderen in der Europäischen Union ein paaraufnehmen, dann haben Sie Ihren Innenminister kriti-siert. Der hat nämlich über eine Erweiterung des deut-schen Kontingents geredet, ohne daß die anderen in derEuropäischen Union bisher durch die deutsche Präsi-dentschaft zur Solidarität veranlaßt wurden.
Im übrigen sage ich noch einmal gegen alle Verleum-dungen, die Sie versuchen – das werden Sie am Freitagnoch einmal machen –: Wir brauchen die Hilfs- undAufnahmebereitschaft unserer Bevölkerung. Wir könnenstolz sein auf das große Maß an Hilfsbereitschaft in allenTeilen unserer Bevölkerung. Wir sollten damit pfleglichumgehen.
Das heißt auch, daß wir nicht ohne Not in der Frageder Integration ausländischer Mitbürger Streit fortsetzen,wo wir ihn nicht fortsetzen müssen. Das Angebot vonCDU und CSU steht: Wir können auf der Basis beiderGesetzentwürfe den Weg einer gemeinsamen Lösung ge-hen. Dazu sind wir bereit. Sie dagegen sind dazu nicht be-reit; Sie haben dieses Angebot brüsk zurückgewiesen.
Damit spalten Sie unser Volk: Sie können die Tatsache,daß 5 Millionen Menschen Ihr Vorhaben der regelmäßi-gen doppelten Staatsangehörigkeit, das Sie Gott seiDank aufgegeben haben – das ist unser Erfolg, und denlassen wir uns nicht kleinreden –, ablehnen, nicht igno-rieren. Wenn Sie das im Deutschen Bundestag als „wi-derwärtig“ bezeichnen, stellen Sie sich gegen die Bevöl-kerung in Deutschland,
und das sollten demokratisch Verantwortliche niemalstun.
Deswegen appelliere ich noch einmal an Sie: GebenSie den unsinnigen Versuch des „Augen zu und durch“und „Weg mit Schaden, koste es, was es wolle“ auf, undlassen Sie uns versuchen, eine gemeinsame Lösung zufinden! Ihr Gesetz enthält keinen Ansatz, der die Integra-tion ausländischer Mitbürger in unserem Lande fördert.
Wir haben dazu ein umfassendes Konzept. Deswegenbieten wir Ihnen an: Suchen wir eine gemeinsameLösung! Wenn Sie Ihren eigenen Weg gehen wollen,spalten Sie die Bevölkerung und schaden der Aufnah-mebereitschaft.
Entweder wollen Sie dieses Vorhaben im Schattender Haushaltsdebatte durchziehen, oder Sie wollen vonder Haushaltsdebatte ablenken. Deswegen sage ich –auch das gehört in diese Debatte hinein –: Diese Debatteentlarvt das Scheitern Ihrer Regierung. Manche habenmit dem Rücktritt Lafontaines vor ein paar Wochen dieHoffnung verbunden, es werde nun besser. Denn derStart Ihrer Regierung war ja nach der Auffassung aller –selbst nach Ihrer eigenen Auffassung – ein einziges De-saster. Manche haben gehofft, das sei eine zweite Chan-ce, die Chance auf einen neuen Anfang. Aber es istnichts besser geworden, seitdem sich Lafontaine aus derPolitik zurückgezogen hat. Ob es ein dauerhafter Rück-zug ist, bleibt ja abzuwarten.In den ersten Wochen Ihrer Regierungszeit haben Siein der Gesetzgebung eine große Hektik verbreitet – daging alles in die falsche Richtung –, seit Weihnachtensind wir nur noch damit beschäftigt nachzubessern. HerrBundeskanzler, es geht doch nicht um die Korrektur vonEntscheidungen, die in 16 Jahren der Regierung vonHelmut Kohl getroffen wurden. Sie sind doch zur Zeitausschließlich mit der Korrektur Ihrer eigenen Entschei-dungen beschäftigt.
Nach Hektik und Korrektur ist jetzt in Wahrheit totalerStillstand eingetreten.Die Bevollmächtigte des Landes Nordrhein-West-falen beim Bund hat in diesen Tagen zu einer Ausstel-lungseröffnung eingeladen, die gestern abend in derLandesvertretung Nordrhein-Westfalen stattfand. Ichdachte, diese Ausstellung am Tag vor der Debatte überIhren Einzelplan sei das Motto dieser Haushaltsdebatte.Der Titel der Ausstellung lautet nämlich „Der Leere ge-wahr“. Das ist das Kennzeichen dieser Haushaltsdebatte.
Sie sind ja gelegentlich sehr mit Bekleidungsfragen be-schäftigt gewesen. Inzwischen stellen wir fest, desKanzlers neue Kleider sind wie des Kaisers neue Klei-der: Wer genau hinschaut, findet nichts. Die Politik die-ser Regierung ist durch vollständigen Stillstand gekenn-zeichnet.Sie haben angekündigt, den vielgelobten Aufbau Ostzur Chefsache machen zu wollen. Die Ankündigung, derKanzler mache etwas zur Chefsache, ist längst zu einerDrohung geworden. Hier haben Sie noch einmal davongeredet, was die Menschen in den neuen Bundesländernempfinden. Ihr Staatsminister im Kanzleramt hat es fer-tiggebracht – auch das paßt zum Titel „Der Leere ge-wahr“ –, ein Interview zu geben, das die „ThüringerAllgemeine Zeitung“ nicht drucken konnte. Veröffent-licht wurde nur ein Bild des Staatsministers – und imübrigen hinreichend weißer Raum. Dies ist inzwischenkennzeichnend für die Ergebnisse rotgrüner Regierungs-Dr. Wolfgang Schäuble
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politik: Genau hingeschaut, bleibt nichts – „Der Leeregewahr“.
Anhand einiger Fragen, die wir hier diskutieren, willich Ihnen das aufzeigen. Was ist das für ein Finanzmi-nister, der in seiner Haushaltsrede ständig ankündigt, imnächsten Haushalt solle gespart werden? Meine Damenund Herren, wir beraten gerade den Haushalt 1999. Indiesem Haushalt gibt es die seit Jahrzehnten höchste Stei-gerungsrate der Ausgaben: 6,3 Prozent mehr Ausgaben.
Das ist genau dieselbe Politik: Zuerst gehen Sie in diefalsche Richtung, und dann kündigen Sie an, daß Sie denMist nächstes Jahr wieder halbwegs in Ordnung bringenwerden. Sparen Sie doch jetzt und nicht erst 2000! Siesteigern die Ausgaben.
Sie haben 30 Milliarden DM Steuermehreinnahmenfür den Bundeshaushalt 1999 und kommen nicht hin.Wir hatten Ihnen einen Haushaltsentwurf vorgelegt. Derh
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Laßt uns den
Waigelschen Haushalt nehmen; wir werden keinen bes-
seren hinbekommen. – Da hatten wir eine Steigerungs-
rate der Ausgaben von 1,9 Prozent. Jetzt haben wir eine
Ausgabensteigerung von 6,3 Prozent. So zerrüttet man
die Grundlagen von Wachstum, Investition und Be-
schäftigung.
Herr Bundeskanzler, jetzt haben Sie wieder einen Ta-
schenspielertrick gemacht und gesagt, die Arbeitslosen-
zahl sei im März 1999 um 400 000 niedriger gewesen
als im März vergangenen Jahres. Das ist richtig, unbe-
stritten. Aber, Herr Bundeskanzler, die Arbeitslosigkeit
war 1998 von – –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wenn Sie so nett wären, jetzt wieder dem
Redner zu folgen.
VerehrteKolleginnen und Kollegen, liebe Freunde der CDU/CSU-Fraktion, lassen Sie uns doch über die Arbeitslo-sigkeit reden. Es ist wichtig, hier einiges klarzustellen.Die Arbeitslosenzahl ist von Januar bis Oktober 1998saisonbereinigt um über 400 000 gesunken. Wenn Siedie Zahlen von März 1999 mit den Zahlen von März1998 vergleichen, stellen Sie fest: Das sind genau die400 000, um die die Arbeitslosenzahl unter der Regie-rungsverantwortung Ihres Vorgängers Helmut Kohl ge-sunken ist. Das ist die Wahrheit.
Herr Bundeskanzler, seit Sie regieren, haben wir nurnoch Stagnation. Die Zahl der Arbeitsplätze ist gesun-ken; die Arbeitslosigkeit stagniert saisonbereinigt. AberSie müssen die Wahrheit sagen: Da die Zahl der Er-werbspersonen durch die demographische Entwicklunglaufend zurückgeht, bedeutet eine Stagnation der Ar-beitslosigkeit in Wahrheit eine Verschlechterung aufdem Arbeitsmarkt. Das ist die Folge Ihrer Politik: vonVerunsicherung der Wirtschaft, Steuerchaos, ständigenAnkündigungen und Korrekturen, Höherbelastungen.Sie haben gesagt, Sie kümmern sich um den Mittelstand.Das ist die schlimmste Drohung, die man gegenüberdem Mittelstand aussprechen kann.
Sie haben selber gesagt: Die wirtschaftliche Ent-wicklung hängt nicht nur von Zahlen, sondern auch vonPsychologie ab. Verehrter Herr Bundeskanzler, verehrteKolleginnen und Kollegen von Rotgrün, das Durchein-ander, das Chaos, die ständigen Steuererhöhungen, ein-schließlich der teilweisen Korrekturen, führen zu dertiefgreifendsten Verunsicherung, die für die Wirtschaftin allen Bereichen, im produzierenden Gewerbe wie imDienstleistungsgewerbe, überhaupt möglich ist. Deswe-gen ist Ihnen die konjunkturelle Entwicklung wegge-brochen. Sie verschlechtert sich von Monat zu Monat.Ihre Ausrede, das sei außenwirtschaftlich bedingt, ent-larvt sich bei einer ruhigen, genauen Betrachtung durcheinen europäischen Vergleich: Die Entwicklung inDeutschland ist im Vergleich zu der anderer europäi-scher Länder seit Oktober 1998 signifikant schlechter.
Der Deutsche Aktienindex entwickelt sich schlechter alseuropäische Aktienindizes. Wenn es in Deutschland aufeinmal schlechter läuft als in anderen europäischen Län-dern, kann die Ursache, Herr Bundeskanzler, nicht inSüdamerika liegen. Sie liegt vielmehr im Kanzleramtund in Ihrer Regierung.
Ich will Ihnen das einmal an den wenigen Beispielen,um die sich die ganze Debatte dreht, darlegen: 630-Mark-Verträge, Scheinselbständigkeit, Ökosteuer. Wasist das Problem Ihrer Politik? Natürlich haben wir lang-fristige Probleme; darüber besteht doch gar kein Streit.Daß ein arbeitskosten-, ein lohnkostenorientiertes So-zialversicherungssystem auf Dauer ein Problem hat,wenn ein größerer Teil der Beschäftigung sozialversi-cherungsfrei ist, ist völlig unstreitig. Die Frage ist, wieman es löst.Dr. Wolfgang Schäuble
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3108 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Sie sind nach dem Prinzip vorgegangen, zuerst zuhandeln und dann nachzudenken, wie man vorgehenkönnte, um anschließend gegebenenfalls zu korrigieren.Ich würde vorschlagen: Wir denken zuerst darüber nach,wie wir das Problem lösen können, und dann handelnwir. Das wäre der bessere Weg mit weniger Verunsiche-rung.
Das eigentliche Problem Ihrer Politik besteht darin,daß es Ihnen in Wahrheit überhaupt nicht darum gegan-gen ist, irgendwelche sachlichen Probleme zu lösen. Ih-nen ist es statt dessen darum gegangen, das Geld wiedereinzukassieren, das Sie von Oktober bis Dezemberfälschlicherweise und leichtfertigerweise ausgegebenund verschwendet haben. Das ist das Problem.
Ich komme jetzt zum Stichwort Ökosteuer. Darunterverstehen die Menschen, daß das Steuersystem Anreizezum Energiesparen gibt. Das nennt man Ökosteuer. Wiewollen Sie unter diesem Gesichtspunkt vertreten, daßder Steuersatz um so niedriger ist, je höher der Energie-verbrauch ist? Das ist doch grober Unfug. Das zeigtauch, daß es Ihnen nur darum geht, Einnahmequellen zuerschließen. Es geht Ihnen nicht um die Lösung einessachlichen Problems.Wenn Sie das Problem Energieverbrauch und Um-weltschutz in Angriff nehmen wollen, dann müssen Siein Gottes Namen darüber nachdenken, wie Sie es ver-meiden können, daß der Umweltschutz gegen die Ar-beitsplätze ausgespielt wird. Darüber haben Sie nichtnachgedacht. Sie haben im Wege des Nachbesserns dengrößten Unfug beseitigt. Aber dabei ist ein solcherKrampf herausgekommen, daß es nur noch um das Ab-kassieren und nicht mehr um eine sachliche Lösunggeht.
Ich komme nun zu den Scheinselbständigen und den630-Mark-Verträgen. – Lassen Sie uns ganz ruhig blei-ben. – Ich habe schon auf dem Leipziger Parteitag mei-ner Partei – ich weiß gar nicht mehr, wann der war; dasliegt schon ein paar Jahre zurück – gesagt: Wir habenein Problem und jede Lösung ist schwierig. Die Tatsa-che aber, daß jede Lösung schwierig ist, ändert nichtsdaran, daß wir ein Problem haben. Deswegen haben wirdaran gearbeitet; wir hatten noch keine richtige Lösunggefunden. Das haben wir immer zugegeben.
– Ach was, wir waren schon auf dem Weg.
– Ich sage es Ihnen doch gerade. Sie können das Pro-blem nur lösen, wenn Sie den Abstand zwischen Trans-fereinkommen und Arbeitseinkommen so verändern,daß sich auch geringer bezahlte Arbeit, auch Teilzeitar-beit lohnen. Wenn die Menschen ohne Arbeit genauso-viel Geld haben wie die mit Arbeit, dann geht es nicht.
– Ja, natürlich. Deswegen waren wir beim Kombilohn,den Sie blockiert haben.Sie können das Problem nur in einem Gesamtkonzeptlösen. Dieses Gesamtkonzept muß das Ziel „Arbeit füralle“ verfolgen. Es muß mehr Flexibilisierung und An-reize enthalten, auch geringer bezahlte und geringerqualifizierte Arbeit aufzunehmen, weil das besser ist, alsgar keine Arbeit zu haben. Nur wenn Sie die Elementeder Eigenverantwortung stärken und mehr Flexibilitätund Differenzierung durchsetzen, werden Sie es schaf-fen.Sie wollten aber nur ein Abkassiermodell verwirkli-chen. Was war es sonst? Bei Ihnen stand doch dieÜberlegung im Vordergrund, den Zuschuß zur Renten-versicherung – Sie brauchten 4,5 Milliarden DM für dieRentenversicherung – nicht zu 100 Prozent vom Bundbezahlen zu lassen, sondern zu 57 Prozent von den Län-dern und Gemeinden. Das war Ihr Ansatz. Das ist genauder Weg, auf dem Politik scheitert und der ins Chaosführen muß. Deswegen ist das, was Sie gemacht haben,nicht nur ungenügend, sondern es schadet unseremLand, weil es unser Land nicht voranbringt, sondern zu-rückwirft.
Manchmal wird einem fast schwindelig, wenn mandie Agenturmeldungen liest. Ich habe gestern eineAgenturmeldung von „dpa“ von 17.18 Uhr gelesen.Darin hat Herr Riester – er ist immer noch Arbeitsmi-nister, auch wenn er nicht so häufig da ist; er wird auchnicht mehr oft da sein, wenn man die Debatte richtigverfolgt – erklärt, er habe mit Bundeskanzler Schröderin einem Gespräch vereinbart, das 630-Mark-Gesetznicht zu verändern. Auch beim Gesetz für die arbeit-nehmerähnlichen Selbständigen gebe es aktuell keinenÄnderungsbedarf. „Das“ – so Riester wörtlich – „ist diegemeinsame Position von Gerhard Schröder und mir.“In der Agenturmeldung von „Reuters“ von 17.53 Uhrwar zu lesen, Schröder habe bei dem Treffen mit denjungen Abgeordneten den klaren Willen gezeigt, in bei-den Bereichen – 630-Mark-Jobs und Scheinselbständig-keit – Probleme nicht nur durch Korrekturen an der Um-setzung der Regelungen, sondern auch durch Geset-zesänderungen zu lösen. – Ja, was gilt denn nun? Nichteinmal 35 Minuten beträgt die Halbwertszeit Ihrer Er-klärungen, Herr Bundeskanzler.
Weil Ihnen nicht einmal mehr die Korrektur Ihres ei-genen Unfugs gelingt und Sie sich immer mehr darinverstricken, machen Sie jetzt den Ansatz zur Methode,überhaupt nicht mehr zu entscheiden. Ich habe schon infrüheren Debatten gesagt: Nichts gegen ein „Bündnisfür Arbeit“, wenn es nicht dazu dient, VerantwortungDr. Wolfgang Schäuble
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3109
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zu verwischen. Für die politischen, für die gesetzgeberi-schen Entscheidungen bleiben Regierung und Parlamentverantwortlich und für die Tarifentscheidungen die Ta-rifpartner.Das „Bündnis für Arbeit“ wird mehr und mehr zurAlibiveranstaltung; es wird nichts entschieden. Wenndas „Bündnis für Arbeit“ den Sinn haben sollte, daß sichdie Verantwortlichen von Politik, Regierung, Wirtschaftund Gewerkschaften darauf verständigen, daß man inden jeweiligen Entscheidungen der Bekämpfung der Ar-beitslosigkeit und der Schaffung von Beschäftigung denVorrang gibt, dann wäre das wunderbar. Nur, davonkönnen wir nichts erkennen. In der Regierungspolitikund in Ihren Entscheidungen wird jedenfalls der Be-schäftigung kein Vorrang gegeben. Vielmehr fällt sieabsolut unter den Tisch. Auch die Tarifverträge gebendem Gesichtspunkt der Beschäftigung bisher keinenVorrang in unserem Lande.Aber die Methode, nicht mehr zu entscheiden undauszuweichen, erscheint erfolgversprechend für Sie. ImZusammenhang mit der Energiepolitik haben Sie einpaar Monate lang im rotgrünen Lager so hin und her ge-quatscht, daß einem fast schon das Mitleid kommenkonnte. Sitzt der Herr Trittin noch auf der Regierungs-bank? Ist er noch anwesend?
Steht er überhaupt noch für die Regierungspolitik?
Die energiepolitischen Fragen sind schwierig. UnserLand braucht Klarheit. Wir brauchen eine langfristig si-chere Energieversorgung, die auch globaler Verant-wortung gerecht wird und die die Risiken minimiert.Das sind schwierige Fragen. Aber die müssen Sie dochentscheiden!Was macht jetzt der Wirtschaftsminister? – Er hat inder kurzen Zeit, in der er Herrn Lafontaine vertreten hat,sowieso viele Ideen gehabt. – Er setzt jetzt eine Kom-mission ein, in der alle Parteien, alle gesellschaftlichenGruppen zusammen palavern sollen, damit man als Re-gierung ja nicht mehr entscheiden muß. Sagen Sie doch,was Ihre Position ist, und lassen Sie uns dann darüberstreiten, ob das der richtige Weg ist! Weichen Sie Ihrerpolitischen Verantwortung und der parlamentarischenEntscheidung nicht aus!
Der Herr Müller hat als Wirtschaftsminister den Vor-schlag gemacht, man könne die Steuern für die Unter-nehmen um so viel senken, wie die Unternehmerver-bände ihrerseits in der Lage seien, Vorschläge für denAbbau von Subventionen zu machen.
– Das ist eine gute Idee. Nur, dann brauchen wir keinenWirtschaftsminister. Dann sollten wir wirklich – ichweiß nicht, welchen Einzelplan das betrifft, DietrichAustermann – das Ministergehalt streichen. Der Mannist völlig überflüssig, wenn er nicht selber Vorschlägemachen kann.Sie wollen die Verantwortung für Ihre Entscheidun-gen immer wegschieben. Auch der Herr Eichel redetschon davon – ich habe das am Sonntag im Fernsehengesehen –: In der Steuergesetzgebung sei er gerne bereit,die Vorschläge zu machen, für die es einen Konsenszwischen den gesellschaftlichen Gruppen gebe.Der Herr Scharping will inzwischen die Fragen, wiedie künftige Struktur der Bundeswehr aussehen soll,durch eine große Kommission untersuchen lassen. Ichhabe nichts dagegen.
Ich habe Respekt vor Richard von Weizsäcker und vorallen Mitgliedern der Kommission sowieso.
Aber ich sage Ihnen: Wenn Sie nicht die Kraft haben, alsRegierung selber zu entscheiden, dann sind Sie fehl amPlatze. Sie müssen die Verantwortung tragen.
Das Ergebnis Ihrer Politik ist: Erst Hektik in die fal-sche Richtung, dann Bemühungen um Korrektur dessen,was falsch war, dann Verlagerung der Verantwortungauf irgendwelche Konsensrunden, bei denen nichts her-auskommt. Das Ergebnis Ihrer Politik ist Stillstand indiesem Lande – so wie auf dem Arbeitsmarkt.Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Ich weiß viel-leicht besser als andere,
daß es schwierig ist, Reformen in diesem Lande durch-zusetzen. Das ist keine Frage. Warum soll man darüberstreiten? Wir haben in diesen Tagen 50 Jahre dasGrundgesetz. Wir sind eine hochentwickelte, komplexeund komplizierte Gesellschaft. Wir haben gestern abendauch mit den Mitgliedern des Verfassungsgerichts ineinem Punkt darüber diskutiert. Das ist alles wahr. Abergerade weil dies kompliziert ist, ist es eine Katastrophe,daß diese Regierung, die mit dem Versprechen angetre-ten ist, Reformen für unser Land durchzusetzen,
durch ihre Unfähigkeit den Begriff der Reformen ineinem solchen Maße diskreditiert.
Auch das schadet unserem Land. Unser Land brauchtInnovationen.
Sie haben es immer noch nicht verstanden: Wenn wirmehr Innovationen wollen, wenn wir mehr Reaktions-Dr. Wolfgang Schäuble
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3110 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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fähigkeit auf die Entwicklungen wollen, die auf demArbeitsmarkt, in der Arbeitswelt und in der Gesellschaftstattfinden – die gesellschaftlichen Veränderungen sind:der Altersaufbau, die Tatsache, daß die Hälfte allerHaushalte Einpersonenhaushalte sind, und die Globali-sierung –, und wenn wir die notwendigen Anpassungenan die sich verändernde Wohlstandsgesellschaft errei-chen wollen, müssen wir die Kräfte der Veränderungstärken.
Das geht nicht mit bürokratischem Zentralismus. Des-wegen sind Sie auf dem Berliner Gipfel in der Europäi-schen Union gescheitert. Wer anfängt, nur ein paar Mil-liarden hin- und herschieben zu wollen, hat schon verlo-ren. Sie hätten stärker auf die Verwirklichung des Sub-sidiaritätsprinzips in Europa setzen müssen. Nicht euro-päische Beschäftigungsprogramme lösen unsere Pro-bleme am Arbeitsmarkt, sondern die Stärkung der Be-triebe – durch Arbeitgeber, Gewerkschaften und Be-triebsräte –, die Stärkung der Eigenverantwortung sowiemehr Flexibilität im Arbeitsrecht und im Kündigungs-schutzrecht. Das ist der richtige Weg. Alle Entscheidun-gen, die Sie getroffen haben, waren falsch.
Zur Rückgängigmachung aller Reformen für mehrEigenverantwortung. Jetzt ist die Gesundheitsministerinvöllig und hoffnungslos in die Frage verstrickt, wie siedas Gesundheitssystem und die gesetzlichen Kranken-kassen bezahlbar halten will. Unsere behutsamen, maß-vollen, natürlich umstrittenen, aber in der Richtungrichtigen Schritte, Elemente der Eigenverantwortung zurFörderung von Sparsamkeit in die sozialen Sicherungs-systeme einzuführen, waren vernünftig und notwendig.Sie haben das rückgängig gemacht. Den demographi-schen Faktor aus der Rentenversicherung zurückzuneh-men und jetzt nach Kassenlage über die Rente zu disku-tieren ist Unfug und im übrigen das schlimmste Unrechtim Hinblick auf die langfristige Sicherheit unserer Ren-ten.
Sie machen eine Steuerpolitik, die überhaupt nichtmehr von Entlastung der Wirtschaft und von Arbeits-plätzen, sondern nur noch von Umverteilungsmodellenredet.
Sie hatten im Oktober des letzten Jahres einen Spiel-raum von 20 Milliarden DM für eine Nettoentlastung imJahre 1999. Diesen Spielraum haben Sie verwirtschaftet.Inzwischen ist eines unstreitig – das ist in der Debatteschon gesagt worden; Michael Glos und der KollegeGerhardt haben es dargelegt –: Natürlich war auch unserPetersberger Modell Einwänden und kritischen Fragenausgesetzt – es gibt nichts, bei dem es nicht auch kriti-sche Einwände gibt. Wenn man aber in diesen Wochendie Hilflosigkeit Ihrer Bemühungen zur Unternehmen-steuerreform sieht, dann zeigt sich immer mehr, daß wirauf dem richtigen Weg waren. Es wird immer klarer,welch schwere Verantwortung Sie, Herr Bundeskanzler,als damaliger Ministerpräsident von Niedersachsen,Herr Eichel, Herr Lafontaine und all die anderen Blok-kierer, auf sich geladen haben, als Sie in der vergange-nen Legislaturperiode Schritte für eine Entlastung derWirtschaft und für Arbeitsplätze blockiert haben. DaßSie jetzt nicht zu einer Politik fähig sind, die die Steuer-und Abgabenbelastung schrittweise reduziert, das ist daseigentliche Elend, wo es doch darum geht, in unseremLande für mehr Beschäftigung und für Arbeit für alle zusorgen.
Der Start ist Ihnen gründlich mißlungen; das ist un-streitig. Die Richtung Ihrer Politik ist falsch. Es fehlt dieSubstanz in Ihrer Politik.
– Ja, es sind traurige Geschichten. Aber leider sind siealle wahr.
Wir erleben nach etwas mehr als 100 Tagen einedramatische Verschlechterung des Wirtschaftsklimas,der Investitionsbereitschaft, der Konjunktur und derWirtschaftswachstumserwartungen
sowie eine Stagnation am Arbeitsmarkt, wo wir im letz-ten Jahr saisonbereinigt noch einen Rückgang der Zahlder Arbeitslosen um 400 000 zu verzeichnen hatten.
Viele – auch in Ihren eigenen Reihen – haben gehofft,daß Sie nach dem Abgang von Lafontaine – wenn esdenn geholfen hätte, sollte es mir sehr recht sein; ichhabe keine Schadenfreude wegen des Elends, das Ihrefalsche Politik produziert, weil mir das Land und dieMenschen, die Opfer dieser Politik sind, leid tun – dieChance zu einem zweiten Anfang, zu einem neuen Startnutzen würden. Jetzt aber sind Sie dabei, diese zu ver-tun.Der „Spiegel“ hat in diesen Tagen gefragt: Was wirdden Kanzler als nächstes davon abhalten – zuerst war esLafontaine, dann war es der Krieg im Kosovo –, das zutun, wofür er gewählt wurde? Meine Antwort ist ein-fach, und sie ist bitter: Sie sind nicht in der Lage, das zutun, wofür Sie gewählt wurden und was Ihre Verant-wortung ist, weil Sie vor der Wahl keine Vorstellunghatten, wofür Sie überhaupt Kanzler werden wollten. AnKanzleramtszäunen rütteln, letztlich aber keine Vor-stellung von der Politik des Landes haben!
Das rotgrüne Lager ist zerrissen.
Dr. Wolfgang Schäuble
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3111
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– Entschuldigung, es ist doch herzzerreißend, wie es inder SPD zugeht. Daß Sie in der eigenen Fraktion, ob-wohl Sie und die Fraktionsvorsitzenden Struck undSchlauch dafür waren, das 630-Mark-Gesetz und dasScheinselbständigengesetz zu korrigieren, aufgelaufensind, ist doch ein Menetekel; Sie haben auch in IhrerSPD-Fraktion keine Unterstützung.Die Grünen – ach du lieber Himmel – sind ja wirklichnur noch ein Bild des Jammers. Sie sind einmal fürIdeen angetreten, hatten mal ein paar Punkte. Das einzi-ge, was sie noch hier und zusammenhält, sind die Postenund die Angst, sie zu verlieren – nichts anderes.
Diese Zerrissenheit und Ihr Mangel an Substanz sindder Grund, der Sie auch beim nächstenmal hindert, unserLand voranzubringen. Es liegt an der Inhaltsleere IhrerPolitik, an der Tatsache, daß es nur noch um Medienin-szenierung, Ereignismanagement, Talk-Shows und sonstetwas geht, um nacktes Überleben. Im Augenblick sindSie nur noch mit der Frage beschäftigt, wie Sie über denGrünen-Parteitag hinwegkommen, ohne daß Ihnen dieKoalition auseinanderfliegt. Und dann kommt wiederdas Postengeschacher um die EU-Kommission. DieSubstanz des Landes und der politischen Probleme be-schäftigt Sie überhaupt nicht.
Ich sage Ihnen: Die Menschen werden dieser Tatsachezunehmend gewahr, so wie es die Ausstellung in derLandesvertretung Nordrhein-Westfalen gestern abendzeigte. Die Bevölkerung merkt es, sie wird der Leeregewahr.Herr Bundeskanzler, Sie werden Ihrer Verantwortungnicht gerecht!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat jetzt
der Kollege Klaus Hagemann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Schäuble,
Sie haben soeben in einer sehr polemischen Weise fest-
gestellt, daß die Richtung dieser Regierung nicht stim-
me. Ich bin ganz anderer Meinung: Die Weichen sind
seit dem 27. September in die richtige Richtung gestellt
worden, nämlich für mehr Innovation, für mehr soziale
Gerechtigkeit. Dies ist in den letzten 16 Jahren unter
Ihrer Verantwortung leider vergessen worden.
Sie haben, sehr geehrter Herr Dr. Schäuble, in Ihrer
35-minütigen Rede wichtige Probleme nicht angespro-
chen, haben keine Antworten darauf gegeben. Ich
möchte diese Probleme in Frageform ansprechen: Wie
wollen Sie denn das Problem der Verschuldung lösen?
Wie soll man einen Haushalt, der mit 1,5 Billionen DM,
1 500 Milliarden DM, belastet ist, für den in diesem Jahr
82 Milliarden DM allein an Zinsen aufgebracht werden
sollen, in den nächsten Jahren in den Griff bekommen?
Ich stelle auch Fragen zu den 630-Mark-Jobs. Dazu ha-
ben Herr Kollege Schäuble und Herr Gerhardt nur ge-
sagt: Die Gesetze müssen weg. Aber Alternativen haben
sie nicht aufgezeigt. Soll es wieder massenhaften Miß-
brauch geben? Soll es wieder Illegalität geben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hage-
mann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Westerwelle?
Ja, bitte.
Herr Kollege, da
Sie gleich am Anfang Ihrer Rede die Regelungen der
630-Mark-Jobs verteidigen, möchte ich Sie auf eine
Meldung hinweisen, die seit etwa zwei Stunden über die
Ticker läuft. Darin äußert der haushaltspolitische Spre-
cher Ihres Koalitionspartners, Herr Metzger, genau die
Kritik, die beispielsweise auch unser Vorsitzender vor-
getragen hat. Nach ADN heißt es: Der grüne Haus-
haltsexperte Oswald Metzger kritisierte am Mittwoch in
scharfer Form das Konzept von Bundesarbeitsminister
Walter Riester. – Jetzt kommt der entscheidende Satz:
Dabei handele es sich um eine Einladung zur Schwarz-
arbeit.
Wie stehen Sie dazu? Stimmen Sie dieser Einschät-
zung zu? Wenn Sie das tun, werden Sie dann etwas ver-
ändern?
Ich kenne die Äußerungenvon Herrn Metzger nicht. Ich weiß auch nicht, ob er sichtatsächlich in dieser Art und Weise geäußert hat.Ich habe die Frage gestellt: Wo sind Ihre Alternati-ven?
Wollen Sie wieder zu der alten Regelung zurückkehren,
durch die es möglich war, massenhaft Mißbrauch zu be-treiben, daß Leute sich von der Zahlung ihrer Sozialbei-träge befreien konnten und daß diejenigen, die ordentli-che Arbeitsverträge abgeschlossen haben, diese Kostenübernehmen müssen? Sind das die Lösungen, die Sieanbieten? Sie haben keine Antwort auf diese Frage ge-geben.
Ich muß noch eine Frage an Herrn Dr. Schäublerichten: Wo ist Ihre Stellungnahme zu den Erblast-Dr. Wolfgang Schäuble
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3112 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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urteilen, die das Bundesverfassungsgericht fast vierwö-chentlich fällt und in denen die Leistungen und Fehllei-stungen Ihrer Politik beurteilt werden? Diese Frage ha-ben Sie auch nicht beantwortet.Sie haben darauf hingewiesen, daß die Ausgaben imHaushalt weiterhin steigen würden. Natürlich steigensie, aber nicht in der Größenordnung, die Sie genannthaben. Die Haushaltsausgaben steigen nur um 1,2 Pro-zent. Das will ich hier richtigstellen. Das haben die Be-ratungen im Haushaltsausschuß ergeben.Sie haben auch davon gesprochen, daß die rotgrüneMehrheit durch ihre Gesetze Geld verschwende. Ich fra-ge Sie: Ist die Kindergelderhöhung Geldverschwen-dung?
Sind die Regelungen der Steuergesetzgebung, durch diedie Familien, die Arbeitnehmer und auch die mittelstän-dischen Betriebe entlastet werden, Geldverschwendung?Wenn Sie dieser Meinung sind, dann haben Sie abereine seltsame Auffassung.Wenn ich mir die Haushaltsberatungen – um zu demThema zurückzukehren, das ich eigentlich behandelnsoll – anschaue, dann frage ich mich, wo die Sparvor-schläge der Union waren, von denen die Rede gewesenist. Sie waren nicht vorhanden. Die „FAZ“ hat heute ineinem Kommentar in ihrem Wirtschaftsteil kritisiert, daßdie Union und die F.D.P. durch ihre Anträge nur drauf-gesattelt haben. Ihr Vorschlag bestand darin, bei der ak-tiven Arbeitsmarktpolitik zu streichen, obwohl wir – dasmuß man bedenken – hier wirklich nur das fortsetzen,was Sie als sogenannte Wahlkampf-ABM vor der Bun-destagswahl begonnen haben. Dies wollen wir versteti-gen und weiterführen. Sie kritisieren genau das, was inIhrer Regierungszeit schon falsch war.Sie haben immer wieder unsere Öffentlichkeitsar-beit kritisiert und haben dabei nicht bedacht, daß geradeim Hinblick auf die wichtigen Gipfel, die in den näch-sten Tagen in Bonn oder in anderen deutschen Städtenstattfinden bzw. stattgefunden haben, auch eine entspre-chende Öffentlichkeitsarbeit vonnöten ist, damit dieJournalisten entsprechend unterstützt werden und damitsich unser Land so darstellen kann, wie es notwendig ist.Wir müssen diese Chance nutzen. Deswegen kommtIhre Kritik nicht an.Ich möchte noch einen anderen Titel, über den ichBericht erstattet habe, ansprechen, nämlich die Ent-wicklung der Baukosten für das neue Bundeskanzleramtin Berlin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage?
Herr Koppelin, selbstver-
ständlich. Wenn wir nicht zu den Druckern gehen müs-
sen, können wir diskutieren.
Herzlichen Dank, Herr
Kollege. Ich hatte schon die ganze Zeit gewartet.
Sie haben nach Sparvorschlägen gefragt. Wir disku-
tieren unter anderem über den Etat des Bundeskanzlers.
Können Sie der vielleicht staunenden Öffentlichkeit
mitteilen, was die Dolmetscherin kostet, die der Herr
Bundeskanzler jetzt dringend benötigt? Teilen Sie unse-
re Auffassung, daß diese Frau eine Scheinselbständige
ist, da sie sich vom Bundeskanzleramt nicht fest ein-
stellen lassen will und nur den Auftraggeber Bundes-
kanzler hat?
Nur nach Ihrer Definitionist die Dame scheinselbständig. Diese Auffassung habenSie in den Beratungen des Haushaltsausschusses immerwieder deutlich gemacht. Auch in dem vorliegendenGutachten des Bundesrechnungshofes ist deutlich nach-gewiesen, daß Ihre Auffassung nicht zutrifft: Die Dameist für das Bundeskanzleramt nur beschränkt tätig, undsie bekommt weitere Aufträge.Da Sie die Kosten angesprochen haben: Im Gutachtendes Bundesrechnungshofs ist auch deutlich herausge-stellt worden, daß gleichzeitig erhebliche Kosten imAuswärtigen Amt eingespart werden. Lieber Herr Kop-pelin, wir erinnern uns – das möchte ich deutlich unter-streichen – an Ihre „Draufsattelungsanträge“, die Sieimmer wieder gestellt haben. Lenken Sie davon durchIhre Bemerkungen nicht ab!
Ich möchte auf die Kostenentwicklung beim Bun-deskanzleramt zu sprechen kommen. Bis zum 27. Sep-tember war die Marschrichtung, daß die Baukostenknapp 400 Millionen DM betragen sollten. Nach demRegierungswechsel kamen die Baufachleute – ichmöchte fast sagen: zur Beichte – ins Bundeskanzleramt,um darauf hinzuweisen, daß sie diesen Betrag nicht hal-ten könnten und daß sie mit Mehrkosten von mindestens40 bis 45 Millionen DM rechneten.Das ist eine Entwicklung, die so nicht hingenommenwerden darf. Zusätzliche Vorstellungen haben zusätzli-che Aufträge und damit zusätzliche Gelder notwendiggemacht. Es ist zu kritisieren, daß die Baukosten nichtunter Kontrolle gehalten werden konnten. Durch„Marschbefehl“ wurde dies verhindert.Ich war Bürgermeister und habe in der Kommunal-politik viele Bauprojekte politisch mit zu verantwortengehabt. Wenn Baukostensteigerungen von 10 bis 15Prozent, wie wir sie jetzt beobachten, in der Kommunal-politik angefallen wären, dann hätte das zu einem mittle-ren Erdbeben geführt. Ich hoffe, daß die Kostenent-wicklung der Baumaßnahmen des Bundeskanzleramtes,genauso die Kostenentwicklung anderer Baumaßnahmenin Berlin eingehalten wird. Hohe Anforderungen kom-men auf uns zu. Wenn jetzt plötzlich Gelder für ein Pro-zeßkostenrisiko eingestellt werden sollen, dann frage ichmich, was mit diesem Geld beabsichtigt ist. Wir müssengenau hinschauen, damit keine weiteren Kosten verne-belt werden. In den weiteren Beratungen müssen wirdieses Problem im Blick haben.Die Personalkosten wurden schon angesprochen.Auch auf diesem Gebiet sind im Bundeskanzleramt er-Klaus Hagemann
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hebliche Veränderungen vorgenommen worden. ImEuropabereich, im Kulturbereich und in der Verantwor-tung für Aufbau Ost sind Aufgaben hinzugekommen.All das hat mehr Stellen gebracht. Von uns wurden mehrStellen bewilligt, um das Büro des Bundeskanzlers au-ßer Dienst, Helmut Kohl, hinsichtlich des Personals or-dentlich auszustatten.Ich möchte zum Schluß meiner Rede kommen; ichhabe nur wenige Minuten Zeit gehabt. Wir haben in denHaushaltsberatungen intensiv gearbeitet, um Einsparun-gen vorzunehmen. Wir haben 2,5 Milliarden DM einge-spart. Dafür haben wir im Ausschuß heftig gekämpft.Was wir in den Beratungen erlebt haben, war aber nurein laues Lüftchen, wenn wir auf das blicken, was imnächsten Haushaltsjahr und in den darauffolgenden Jah-ren auf Grund der hohen Verschuldung und der vielenzu zahlenden Zinsen auf uns zukommt. Wir sind gutenMutes, die Probleme erfolgreich anzupacken und wei-terhin die Regierungspolitik in die richtige Richtunglenken zu können. Wir werden unsere Entscheidungenim Interesse des Volkes treffen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Dr. Michael Luther,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Während der Rede des Bun-deskanzlers habe ich mir eine Frage gestellt: Ist derAufbau Ost überhaupt noch Chefsache? Auf jeden Fallhat der zuständige Staatsminister im Kanzleramt heutenicht geredet; vielmehr hat er gestern zum allgemeinenFinanzhaushalt gesprochen. Für mich stellt sich die Fra-ge, ob dieser Bereich jetzt in das Finanzministerium ab-geschoben wird.Ich achte Herrn Schwanitz. Ich meine, er ist gutwil-lig. Allein, wir haben in den letzten Wochen festgestellt,daß er ohne Einfluß ist, leider nichts bewirkt und zu ei-nem Ankündigungspolitiker wird.
Wir haben ihn als einen Ankündigungsminister vonLuftblasen erlebt. Das Interview in der „Thüringer All-gemeinen“ ist für mich nichts Besonderes, sondern sym-ptomatisch für unsere Erlebnisse.Lassen Sie mich das an einem Beispiel erläutern:Herr Schwanitz hat angekündigt, 100 Milliarden DM fürden Aufbau Ost bereitzustellen, 10 Milliarden DM mehrals im vergangenen Jahr. Was ist dazu zu sagen? Zu-nächst einmal muß kritisch festgestellt werden, daß ge-mäß einer Rechenvorschrift die Ausgaben, die im Ostenausgegeben werden, addiert werden müssen. Das be-deutet, auch die Ausgaben, die für die Bundesbauten inBerlin ausgegeben werden, werden zu den Aufbau-Ost-Mitteln gezählt. Aber nicht nur das, es geht noch weiter:Um 6,4 Milliarden DM steigt der Zuschuß zur Sozial-versicherung. Gemäß dieser Rechenmethode und derMeinung von Herrn Schwanitz sind auch das Mittel fürden Aufbau Ost. Wenn man das hinterfragt, stellt manfest, daß die Ökosteuer, die in den neuen Bundesländernbezahlt wird, in den Ausgaben wieder als Mittel für denAufbau Ost auftaucht. Ich halte es für einigermaßen in-fam, das als besondere Leistung für den Aufbau Ost hin-zustellen.
Ich stelle fest: Die Mittel für den Aufbau Ost gehenzurück. 100 Millionen DM weniger werden für den so-zialen Wohnungsbau ausgegeben, 200 Millionen DMweniger für die Förderung der regionalen Wirtschafts-struktur. Im Ausschuß für die Angelegenheiten der neu-en Länder hat Herr Professor Pohl vom Wirtschaftsin-stitut in Halle dargestellt, was in den neuen Bundeslän-dern geschehen muß. Er hat gesagt, wir hätten in denneuen Bundesländern ungefähr 6 Millionen Arbeitsplät-ze, bräuchten aber, um ein dem Westen vergleichbaresNiveau zu erreichen, zirka 6,3 bis 6,5 Millionen Ar-beitsplätze.
– Ich sage gleich etwas dazu.Nach wie vor findet ein Strukturwandel in den neuenBundesländern statt. An vielen Stellen werden wir auchnoch einen Personalrückgang erleben, ich nenne als Bei-spiele den öffentlichen Dienst und die Bauwirtschaft,deren Situation wir alle kennen. Wenn Sie das betrach-ten, kommen Sie nicht an der Feststellung vorbei, daßman in den neuen Bundesländern in Zukunft 1 Millionneue Arbeitsplätze schaffen muß. Wachstumsbranchensind die Industrie und das Dienstleistungsgewerbe. Bei-de sind gewachsen, stehen auf stabiler Grundlage undhaben zweistellige Wachstumsraten. Das ist ein Erfolgder alten Bundesregierung, die dafür die Grundlagengelegt hat.
Die Antwort auf die Frage, was heute zu tun ist, istklar: Es muß die Politik fortgesetzt werden, die für mehrInvestitionen in den neuen Bundesländern sorgt. Dafürbrauchen wir dieselben investiven Mittel, zum Beispieldie GA-Mittel, wie im vergangenen Jahr und nicht we-niger. Deshalb bitte ich Sie, wenn Sie es mit dem Auf-bau Ost wirklich ernst meinen: Stimmen Sie unserementsprechenden Antrag zum Haushalt zu!Wir brauchen allerdings nicht solche Vorschläge, wieSie sie zum Thema Infrastruktur gemacht haben. Siebieten zum Beispiel dem Freistaat Sachsen den Bau derA 14 nur unter der Bedingung an, daß die Mittel dafürdurch Kürzungen bei anderen Straßenbaumaßnahmengewonnen werden. Ich meine, so kann man keine Politikfür die neuen Bundesländer und für den Aufbau Ost be-treiben.
Sagen Sie nicht, Sie hätten nicht genügend Geld. Wirhaben heute schon öfter gehört, wie hoch dieses Jahr derKlaus Hagemann
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3114 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Aufwuchs im Haushalt ist: 30 Milliarden DM. Aber wirkönnen natürlich auch keine sozialistischen Experimentegebrauchen.
Meine letzte Bemerkung bezieht sich auf den zweitenArbeitsmarkt. Es ist festzustellen, daß AB-Maßnahmenkeine Brückenfunktion hin zum ersten Arbeitsmarkt ha-ben. Sie sind als sozialpolitische Maßnahmen notwen-dig, aber man muß um ihre Funktion wissen. Ein wirk-sames Mittel, um Brücken in den ersten Arbeitsmarkt zubauen, ist das Instrument des Lohnkostenzuschusses fürOstdeutschland. Die Arbeitsämter bestätigen uns das: 50bis 60 Prozent der so Geförderten behalten später ihrenArbeitsplatz. Auf Grund dieses Erfolges ist das ein sehrwichtiges Instrument.
Die diesbezüglichen Meldungen, die wir von den Ar-beitsämtern erhielten, standen in den sächsischen Zei-tungen; sie stammen von Herrn Germann vom Landes-arbeitsamt in Sachsen. Ab diesem Monat gibt es dafürkaum mehr Geld. Wer so Politik betreibt, muß sich nichtwundern, daß er am Leben und an den Bedürfnissen derneuen Bundesländer vorbei regiert.
Meine Damen und Herren, die Union ist die Parteider deutschen Einheit, und für die Union bleibt der Auf-bau Ost ein wichtiger Baustein der Politik.Schönen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Rolf Schwanitz
das Wort.
Herr Kollege Dr. Luther, Sie
haben mich freundlicherweise angesprochen. Das gibt
mir die Gelegenheit, dazu etwas zu sagen.
Erstens. Wir sollten uns nicht vorwerfen, wer wann
geredet hat. Ich habe gestern gesprochen; da war von Ih-
rer Seite niemand da. Der Begriff Aufbau Ost fiel über-
haupt nicht. – Ich denke, das sollten wir lassen.
Kommen wir zu den Dingen, die Sie hier angespro-
chen haben, zu der sogenannten GA-Förderung und der
aktiven Arbeitsmarktpolitik Ost.
Zunächst zum Thema GA-Förderung. Selbstver-
ständlich kann man sich bei vielem mehr wünschen,
aber das, was wir für diesen Haushaltstitel einstellen,
entspricht exakt dem, was Sie noch im letzten Herbst in
dem sogenannten Entwurf von Herrn Waigel für das
Haushaltsjahr 1999 vorgesehen hatten. Sie haben sich
hier vorne hingestellt und gejubelt, welche Aufbaulei-
stung für Ostdeutschland mit diesem Haushaltsansatz
erbracht wird.
Herr Luther, ein Stückchen weniger Scheinheiligkeit an
dieser Stelle würde Ihnen guttun.
Ich würde Ihnen übrigens auch empfehlen, einmal
den Blick auf die Landeshaushalte Ost zu richten. In
diesen sind nämlich die Komplementärmittel in gleicher
Höhe eingestellt, wie wir sie im Bundeshaushalt veran-
schlagt haben. Sie sollten gelegentlich auch mit dem
einen oder anderen Finanzminister Ost reden. Dann hö-
ren Sie nämlich interessante Zwischentöne über die
Schwierigkeiten, komplementär zu finanzieren. All das
gehört zur Wahrheit.
Nun zur aktiven Arbeitsmarktpolitik. Bevor Sie
hier in kollektive Gedächtnislosigkeit verfallen,
möchte ich Sie an eines erinnern: Als Sie im letzten Jahr
im Haushaltsentwurf für das Jahr 1999 die Mittel einge-
stellt haben – übrigens in exakt gleicher Höhe –, haben
Sie gejubelt, Sie würden die aktive Arbeitsmarktpolitik
auch im Folgejahr, also 1999, verstetigen. Damals haben
wir gesagt: Das glauben wir nicht. Wir haben zugelegt,
haben gegenüber dem Wahlkampfetat Ihrer Regierung
16 Prozent mehr eingestellt. 20 Milliarden DM insge-
samt für aktive Arbeitsmarktpolitik! Bei den Strukturan-
passungsmaßnahmen wurden für das Jahr 1999 allein im
Bereich des Landesarbeitsamtes Sachsen gegenüber dem
Vorjahr 200 Millionen DM mehr als das eingestellt, was
Sie bereits im Herbst für 1999 bejubelt haben. Jetzt aber
stellen Sie sich hier hin und sagen: Das reicht alles nicht.
Im übrigen werden Sie in dieser Woche – ich glaube,
das muß man der Öffentlichkeit einmal sagen – einen
Antrag stellen, in dem Sie als CDU fordern werden, daß
die Zuschüsse zur Bundesanstalt für Arbeit um 7,8 Mil-
liarden DM gekürzt werden.
Und die F.D.P. wird sich hinstellen und eine Kürzung in
Höhe von 6 Milliarden DM verlangen.
Ich kann nur sagen: Wenn man das umsetzen wollte,
was Sie – selbstverständlich morgen, nicht heute; heute
paßt es etwas schlecht – mit Ihren Änderungsanträgen be-
wirken wollen, dann hätten wir die aktive Arbeitsmarktpo-
litik in Ostdeutschland bereits im April einstellen müssen.
Das ist der Gipfel der Scheinheiligkeit, Herr Luther.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Erwiderung hat
zunächst der Kollege Dr. Michael Luther das Wort.
Herr Schwanitz,ich freue mich, daß ich Ihnen Gelegenheit geben konnte,heute in der Debatte zum Einzelplan 04 – Bundeskanzlerund Bundeskanzleramt –, zu der dieses Thema eigent-lich gehört, ein paar Bemerkungen zum Aufbau Ost ma-chen zu können.
– Ich war gestern im Plenum.Dr. Michael Luther
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3115
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(D)
Zweitens. Ich glaube, wenn wir uns heute darüberunterhalten, was für den Aufbau Ost und die neuenBundesländer wichtig ist, dann müssen wir sagen, wel-che politischen Schwerpunkte wir setzen wollen.Ich habe heute sehr aufmerksam der Rede des Bun-deskanzlers gelauscht.
In einer Stunde Redezeit ging es 35 bis 40 Minuten langum das Thema Kosovo – ich denke, das ist ein wichtigesThema –, 10 Minuten um die Erklärung der Verfah-rensweise in bezug auf die Scheinselbständigkeit und inzwei oder drei Sätzen um den Aufbau Ost. Das ist ein-fach zuwenig. Außerdem ist es viel zuwenig, wenn esdarum geht, Signale zu setzen, in welche Richtung derAufbau Ost geführt werden sollte.
Ich habe hier ganz klar formuliert, was für uns wichtigist: Die Mittel müssen in die Investitionen fließen.Herr Schwanitz, ich kann nichts dafür, wenn in Sach-sen-Anhalt – wahrscheinlich haben Sie sich dort mit denFinanzministern unterhalten – im letzten Jahr über200 Millionen DM an GA-Mitteln nicht abgerufen wor-den sind, weil das Land Sachsen-Anhalt nicht in der La-ge war, diese Mittel kozufinanzieren. Ich denke, diesePolitik sollte kein Vorbild für die Politik des DeutschenBundestages sein. Wir sollten vielmehr die Länder un-terstützen, die versuchen, Investitionen insgesamt zu be-fördern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Mark,
Sie haben jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Es war höchste Zeit, daß Sozialdemokratenund Bündnisgrüne die politische Verantwortung inDeutschland übernommen haben,
um auch im Bereich der Kultur tragfähige Konzepte fürdie Kulturpolitik des Bundes umzusetzen. Der Erfolgunserer Bemühungen zeigt sich in drei Punkten: in derBündelung der kulturellen Mitverantwortung unter Wah-rung der Kulturhoheit der Länder, im Wachstum desKulturetats und schließlich in der Rückkehr zu Wertenwie Ehrlichkeit und innovativem Verantwortungsbe-wußtsein in bezug auf die politische Gestaltung.Die Zusammenfassung der früher auf verschiedeneMinisterien verstreuten kulturellen Aufgaben in einerBehörde und ihre Aufwertung durch einen eigenen, imKanzleramt angesiedelten Staatsminister verdeutlichenden großen Stellenwert, den die Kulturpolitik für dieseRegierung einnimmt.
Die Bündelung der kulturellen Aufgaben und ihreAufwertung tragen bereits erste Früchte. Seit langemwurde nicht mehr so viel und so konsequent auf allenPolitikebenen der Bundesrepublik über Kulturpolitiknachgedacht wie in den letzten Monaten. Noch nie wardie Wertschätzung und der Stellenwert der Kulturpolitikim Vergleich mit anderen Politikfeldern so hoch wiejetzt. Die bundespolitische Aufwertung wirkt sich auchauf Länder und Kommunen aus. Wir sind stolz darauf,daß wir eine neue Kulturdiskussion angestoßen habenund daß wir trotz aller finanzieller Probleme, die wirvorfanden, konsequent daran arbeiten, diese Diskussionmateriell und mental zu fundieren und Kultur alsGrundbedürfnis bzw. Grunddaseinsfunktion anzuerken-nen und durchzusetzen.
Der Kulturetat ist deutlich gewachsen, und zwar auffast 1,8 Milliarden DM.
Wer will, daß Deutschland im Ausland wieder als Kul-turnation wahrgenommen wird, der muß auch perspek-tivisch und konzeptionell in die Kultur investieren, dermuß die Kulturschaffenden und ihre Institutionen unter-stützen und ein künstlerisch kreatives Klima schaffen.Wir tun dies auch, weil wir wissen, daß Kultur nicht erstseit heute wieder zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktorgeworden ist, der Arbeitsplätze schafft und Lebensqua-lität fördert, insbesondere die urbane. Es wird sich nochzeigen: Die Attraktivität des Standortes Deutschlandwird durch das weltweit einmalige, dezentrale undhochwertige Kulturangebot im Sinne weicher Standort-faktoren mit gesichert und begünstigt.Vor diesem Hintergrund ist auch die Verdoppelungder Fördermittel für die Hauptstadt Berlin von60 Millionen DM auf 120 Millionen DM zu sehen. Dasgilt ebenso für Weimar, die Kulturhauptstadt Europas1999, für die wir die ursprünglich vorgesehenen Mittelvon 5 Millionen DM auf 18,2 Millionen DM erhöht ha-ben.
Diese Förderungen für Berlin und Weimar, aber auch fürBonn lassen die bereits separat festgelegten Etatpositio-nen der einzelnen Zuschußempfänger unberührt.Die Investitionen in die Kultur der neuen Bundes-länder haben wir für 1999 separat um 90 Millionen DMerhöht
und eine Verpflichtungsermächtigung von 30 MillionenDM für das Jahr 2000 ausgesprochen. Die für Kultur zu-ständigen Ministerien der neuen Bundesländer haben in-zwischen Projekte angemeldet, die sie zu 50 Prozentmitfinanzieren, so daß es zu einem großen Investitions-schub von fast einer viertel Milliarde DM kommen wird.
Das ist gut für die Kultur, für die Bauwirtschaft und fürdie Beschäftigung. Das alles ist kein Strohfeuer, sondernein konkreter Beitrag zur Vollendung der inneren Ein-heit in Deutschland und zur Angleichung der Lebens-verhältnisse in Ost und West.Dr. Michael Luther
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3116 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Der Kulturetat macht deutlich, daß durch die Sozial-demokraten wieder Ehrlichkeit und Verantwortungsbe-wußtsein in die Politik zurückkehren, denn die Aufstok-kung der Haushaltsmittel wird von Konzepten undHandlungskriterien begleitet.Man kann verantwortungsbewußte Kulturpolitik desBundes nicht nach dem Gießkannenprinzip oder nachGutsherrenart machen. Auch lautes Protestieren kannkein Beurteilungskriterium sein. Förderkriterien müs-sen klar formuliert und nachvollziehbar sein. Was wirbrauchen, sind langfristige Konzepte zu Fördergrundla-gen, die den Zuwendungsempfängern Planungssicher-heit, aber auch Flexibilität und Eigenverantwortung ver-schaffen. Wir brauchen eine sinnvolle und abgestimmteAufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, undwir brauchen die ehrliche und beständige Überprüfung,ob die Fördergründe noch vorliegen und ob die Mittelsachgerecht verwendet werden. Qualitätskontrolle darfbei der Kulturförderung des Bundes kein Fremdwortsein. Der Kulturhaushalt 1999 trägt erste Entwicklungs-ansätze in dieser Richtung.Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs sind die beidenEmigrantenorchester aus Prag und Ungarn, die Bam-berger Symphoniker und die Philharmonia Hungari-ca, nicht bedeutungslos geworden, aber der ursprüngli-che, in einer bestimmten historischen Situation entstan-dene Fördergrund ist weggefallen. Die Fairneß gegen-über allen anderen Orchestern in Deutschland gebietetes, die Förderung zurückzufahren oder zu beenden. Inwelchen Schritten dies geschehen wird, ist differenziertzu betrachten. Das objektive Ausloten von neuen För-dermöglichkeiten, Kooperationen, Fusionen und ähnli-chem soll und muß im Einzelfall in solche Änderungs-konzepte einfließen. Kein Orchester der Welt kannüberleben, wenn die Förderbedingungen von heute aufmorgen gravierend negativ verändert werden. Wir habendeshalb die Kürzungen bei beiden Orchestern vollstän-dig zurückgenommen.Föderalismus heißt, daß sich der Bund auf die Förde-rung von Kultur mit gesamtstaatlicher Bedeutung undinternationaler Reputation zu beschränken hat. Zu diesenkulturellen Werten von nationalem Rang gehören zumBeispiel die Bayreuther Festspiele und das DeutscheMuseum in München. Auch hier wurden die Kürzungenzurückgenommen.In den nächsten zehn Jahren werden für den Ausbauder Museumsinsel in Berlin 900 Millionen DM in dieStiftung Preußischer Kulturbesitz investiert. Der Bundträgt so dafür Sorge, daß die ursprünglich auf 20 Jahreangelegten Baumaßnahmen beschleunigt werden undder Baustellencharakter Berlins auf zehn Jahre reduziertwird.Aufgabe des Bundes ist es aber auch, übergreifendeKonzepte zu entwickeln, um seiner gesamtstaatlichenVerantwortung gerecht zu werden. Dazu gehören zumBeispiel ein Konzept zur Erhaltung, Pflege und Finan-zierung der Weltkulturgüter in Deutschland und einKonzept für die Gedenkstätten in Deutschland, bei de-nen wir die interdisziplinäre Vernetzung der For-schungsbereiche anstreben und fordern.Die Deutsche Welle erhält, genau wie letztes Jahr,knapp über 600 Millionen DM aus dem Kulturhaushalt.Die Deutsche Welle hat damit Probleme, weil sich eini-ge Prämissen ihrer Arbeit verändert haben. Trotzdemmuß eine kurze Durststrecke intelligent überstandenwerden. Dabei setze ich auf die Flexibilität im Manage-ment der Deutschen Welle. Die Bundesregierung unter-stützt den Auslandrundfunk mit mehr als einem Drittelder im Kulturetat zur Verfügung stehenden Mittel. Wirtun dies aus gutem Grund, denn die Deutsche Welle lei-stet insbesondere im Bereich des Hörfunks hervorragen-de Arbeit. Dies wird gerade durch die seit Beginn desKosovo-Krieges spontan ausgeweitete Berichterstattungwieder deutlich.
Die derzeitige schwierige Situation des Senders hat zu-mindest bewirkt, daß über neue Konzepte, Ziele undVereinbarungen, aber auch über Programmgestaltungund -rechte nachgedacht wird. Ich ermuntere alle Betei-ligten, diese Herausforderung kreativ und innovativ an-zugehen und eine planungssichernde mittelfristigeFinanzplanung zu entwickeln, in der auch die Digitali-sierung erfaßt sein muß.Es liegen noch große Aufgaben vor uns, aber der Etatfür 1999 verdeutlicht, daß durch Sozialdemokraten undBündnisgrüne ein wichtiger Schritt nach vorne getanwurde.Mir standen leider nur wenige Minuten zur Verfü-gung; deswegen mußte ich im Schnellverfahren hiervortragen und viele Punkte weglassen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Mark,
dies war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen Bun-
destages. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen be-
glückwünsche ich Sie dazu.
Nächster Redner in dieser Debatte ist jetzt der Kolle-
ge Hans-Joachim Otto, F.D.P.-Fraktion.
Frau Prä-sidentin! Meine Damen und Herren! Die Kulturpolitikder rotgrünen Koalition kommt auf einer ungeheuer ho-hen Bugwelle daher: Da ist ein strahlender Kultur-staatsminister angekündigt und eine geradezu neue Epo-che von Kultur heraufbeschworen worden. Ein halbesJahr ist herum, und wir haben Gelegenheit, eine ersteBilanz zu ziehen.Herr Staatsminister Naumann, Sie sind wirklich einRiese in Ankündigungen, ein Riese in Schlagzeilen. Siesind allerdings ein Zwerg in der Umsetzung Ihrer zahl-reichen Ankündigungen.
Lothar Mark
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3117
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Es gibt in dieser Bundesregierung kaum einen anderenBereich, wo Anspruch und Wirklichkeit so weit ausein-anderklaffen wie gerade auf dem Gebiet der Kulturpoli-tik. Das will bei dieser Bundesregierung etwas heißen.Ich will in den wenigen Minuten meiner Redezeit, diemir zur Verfügung stehen, an drei Beispielen die hehrenAnkündigungen der neuen Bundesregierung mit demkontrastieren, was bisher geschehen bzw. unterbliebenist.Erstes Beispiel. Die neue Bundesregierung hat unteranderem erklärt, sie wolle nunmehr eine kraftvolle, star-ke Stiftungsrechtsreform auf den Weg bringen. DieF.D.P.-Fraktion hat einen entsprechenden Antrag einge-bracht. Die Bundesregierung hat dazu festgestellt, er seizwar ganz interessant, aber man werde einen neuenEntwurf vorlegen. Was ist seitdem geschehen, meineDamen und Herren? – Nichts, totale Fehlanzeige. HerrNaumann, ich frage Sie: Wann kommen Sie über mitIhrem großen Wurf der Stiftungsrechtsreform? Zurletzten Rede des Staatssekretärs Pick in diesem Zusam-menhang – er ist leider nicht mehr anwesend – muß ichsagen: Das einzige, was ihm eingefallen ist, ist eine An-einanderreihung von Bedenken gegen eine Stiftungs-rechtsreform. Es ist überhaupt nichts übriggeblieben voneinem kraftvollen Wurf.
Zweites Beispiel. Die neue Bundesregierung ist unteranderem damit angetreten – dies ist auch im Koalitions-vertrag niedergelegt worden –, ein neues umfassendesGedenkstättenkonzept entwickeln zu wollen. Auch dafrage ich mich – gestern gab es von Ihnen, Herr Nau-mann, die Pressemitteilung, daß Sie in diesem Bereichetwas tun wollen –: Wo bitte schön bleibt das neue Ge-denkstättenkonzept? Dafür bestünde allzumal Anlaß an-gesichts der Tatsache, daß in diesem Hause am 25. Junidieses Jahres die Debatte und Entscheidung über dasHolocaust-Mahnmal ansteht. Herr Staatsminister Dr.Naumann, ich möchte hier keine Holocaust-Mahnmal-Debatte führen. Aber wenn Sie schon ein so vehementerVerfechter eines Konzeptes sind, das den Bund Investi-tionsmittel in Höhe von 80 Millionen DM kostet, undgleichzeitig im Lande draußen die Gedenkstätten anauthentischen Orten, wie beispielsweise das KZ Sach-senhausen, verfallen,
dann müssen wir uns doch gemeinsam Gedanken dar-über machen, wie wir die wenigen uns zur Verfügungstehenden Gelder sinnvoll einsetzen, um nicht einfachnur ein bombastisches Projekt auf den Weg zu bringen.
Darüber wird noch zu sprechen sein. Es geht hier beilei-be nicht nur um Geld, sondern darum, dies alles ins Lotzu bringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Otto,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Von Frau
Griefahn immer. Bitte schön.
Herr Kollege Otto, Sie wa-
ren immer im Kulturausschuß, wenn auch ich anwesend
war. Deswegen müßte Ihnen nicht entgangen sein, daß
der Herr Staatsminister angekündigt hat – das ist in den
Zahlen wiederzufinden –, daß die für die Erhaltung der
Gedenkstätten vorgesehenen Gelder verdoppelt werden.
Sie können also nicht sagen: Die verfallen, und die SPD
macht statt dessen etwas anderes.
Liebe
Frau Kollegin Griefahn, die Gedenkstättenkonzeption
betrifft nicht nur – das wissen wir beide – den Bund.
Das ist eine Angelegenheit, die zwischen den Ländern
und dem Bund geregelt werden muß. Wenn Herr
Staatsminister Naumann jetzt in einer seiner zahlreichen
hehren Ankündigungen sagt, die Bundesförderung von
Gedenkstätten in den Ländern, vorzugsweise in den
neuen Bundesländern, müsse verstetigt werden, das
heißt, die Zuschüsse, die wir, die frühere Regierung
bzw. die alte Mehrheit, auf den Weg gebracht haben,
müßten über mehr als 10 Jahre laufen, dann frage ich
mich wirklich: Wo nimmt er denn die Gelder her, wenn
er an anderen Stellen sparen muß? Das große Problem
ist: Hier werden Erwartungen geweckt, die wir als Bund,
die wir alle – das prophezeie ich Ihnen – nicht erfüllen
können.
Kosten in Höhe von 80 Millionen DM im Rahmen eines
neuen Gedenkstättenkonzeptes, das ist eine Tatsache,
die wir uns sehr genau überlegen müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Otto, es
gibt den Wunsch nach einer zweiten Zwischenfrage, und
zwar von seiten des Kollegen Tauss.
Auch
Herrn Tauss kann ich nicht ablehnen. Den habe ich noch
nie abgelehnt. Bitte schön, Herr Tauss.
Lieber Herr Otto, ich bin Ihnengeradezu dankbar. Sie haben soeben beklagt, daß dasKZ Sachsenhausen verfällt. Der Zustand ist in der Tat –da sind wir uns einig – nicht sehr schön. Mich würdeinteressieren, unter welcher Verantwortung das KZSachsenhausen in den letzten Jahren verfallen konnte.Ich stelle außerdem die Frage, wo die Reform desStiftungsrechtes, die die F.D.P. immer angekündigt hat,in den letzten 16 Jahren geblieben ist,
an wem Sie gescheitert sind. In Verbindung damitmöchte ich weiter fragen, ob Sie zur Kenntnis genom-Hans-Joachim Otto
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3118 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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men haben, daß die Koalition im Herbst diesen Jahres,wie angekündigt, eine Reform des Stiftungsrechts –nicht nur in den Eckpunkten, sondern in wesentlichenPunkten klar konturiert – vorlegen wird. Haben Sie auchdas nicht zur Kenntnis genommen? Würden Sie esfreundlicherweise jetzt zur Kenntnis nehmen? NachdemSie sich mir gegenüber so freundlich geäußert haben,wäre es ein weiterer Beweis Ihrer Freundlichkeit, wennSie auch inhaltlich zur Kenntnis nähmen, was hier dis-kutiert wird.
Ihre Fra-
gen sind immer wieder charmant, aber sie gleichen sich.
Schon als es um die Stiftungsrechtsreform ging, haben
Sie mir die gleiche Frage gestellt. Sie haben es immer
darauf abgesehen, die Vergangenheit zu bewerten, und
vergessen dabei, daß Sie nunmehr seit über einem hal-
ben Jahr in der Verantwortung sind.
– Ja, ja.
Aber ich will gern Ihre Frage beantworten. Das Ge-
denkstättenkonzept der alten Bundesregierung, das ja
noch nach wie vor in Kraft ist, sieht vor, zahlreiche
wichtige Gedenkstätten vor allen Dingen in den neuen
Bundesländern zu fördern. Normalerweise ist das ja –
das wissen wir beide – eine Aufgabe der Länder, im
Falle Sachsenhausen also eine Aufgabe des Landes
Brandenburg. Da das Land Brandenburg sich nicht in
der Lage sah, für diese extrem wichtige, zentrale Ein-
richtung allein zu sorgen, hat sich der Bund bereit er-
klärt, Sachsenhausen und andere Gedenkstätten finan-
ziell zu fördern. Das war ein Verdienst der alten Bun-
desregierung, und ich bin der Auffassung, daß Sie dank-
bar sein sollten und das nicht kritisieren sollten.
Was ich hier heftig kritisiere – das werde ich auch in
Zukunft tun –, ist folgendes: Seien Sie doch in Zeiten, in
denen jeder, auch Herr Eichel, sagt, es müsse gespart
werden, vorsichtig, und machen Sie nicht schon jetzt
große Ankündigungen dahin gehend, daß sich der Bund
an der finanziellen Unterstützung für die Länder bei den
Gedenkstätten für einen Zeitraum von über zehn Jahren
beteiligen werde. Das werden Sie nicht durchhalten
können; Sie wecken Erwartungen, die Sie später nicht
einlösen können.
Meine Damen und Herren – meine Redezeit ist knapp
–, lassen Sie mich noch ein drittes Beispiel ansprechen,
das ich wirklich für schwerwiegend halte: Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von Rotgrün, Sie haben in Ihrem
Koalitionsvertrag vollmundig eine „Reform der media-
len Außenrepräsentanz“ angekündigt. Worum geht es? –
Es geht um die Deutsche Welle. Einige Vorredner, ins-
besondere Herr Mark, haben zu Recht darauf hingewie-
sen, daß wir gerade jetzt im Kosovo-Konflikt alles dafür
tun müssen – die Deutsche Welle tut es –, um die Infor-
mationsfreiheit in Serbien und im Kosovo zu gewährlei-
sten. Die Deutsche Welle leistet dort Vorbildliches; sie
hat den Etat für diesen Bereich verdoppelt.
Sie ist ein echtes Krisenradio; sie ist die meistgehörte
Rundfunkstation in dieser Region. Und was macht die
Regierung in dieser Zeit als Dank für die Leistungen der
Deutschen Welle? – Sie kürzt entgegen allen Zusagen
und allen Planungen den Etat radikal herunter. Wo ist
denn da die große „Reform der medialen Außenreprä-
sentanz“? Es handelt sich hier um eine Abstrafaktion
von Herrn Naumann persönlich gegen einen politisch
mißliebigen Sender. Das ist empörend.
Lieber Herr Naumann, es geht darum, daß Verfassungs-
grundsätze zu beachten sind. Sie können nicht nach
Gutsherrenart einfach eingreifen und sagen: Da nehme
ich einmal 30 Millionen heraus. – Hier gibt es Vorga-
ben. Die Rundfunkfreiheit gilt – das wissen wir beide,
darin stimmen wir überein – auch für die Deutsche
Welle. Der Gesetzgeber kann nicht einfach hingehen
und sagen: Ich ändere nichts an den Aufgaben, aber ich
streiche 30 Millionen DM im Etat weg.
Lieber Herr Kollege Mark, Sie haben ja in der Theo-
rie so recht, wenn Sie sagen: Wir müssen den Kulturin-
stitutionen langfristige Konzepte und langfristig tragbare
Finanzierungsmöglichkeiten anbieten; wir müssen ihnen
Planungssicherheit geben. Lieber Herr Kollege Mark,
wo ist denn die Planungssicherheit für die Deutsche
Welle? Sie ist völlig unter den Tisch gefallen.
Mir ist ja berichtet worden, daß Sie persönlich im
Haushaltsausschuß die Meinung vertreten haben, man
solle die Kürzungen bei der Deutschen Welle in dieser
Form nicht durchführen. Das ehrt Sie. Aber wo ist Ihr
Erfolg? Wo ist die Planungssicherheit, von der Sie ge-
sprochen haben? Was können Sie den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Deutschen Welle, die insbesondere
in dieser Krisenzeit Vorbildliches leisten, anbieten?
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Die Kultur-
politik ist in den Ländern und auch im Bund normaler-
weise ein Politikbereich, in dem man sich um einen
parteiübergreifenden oder fraktionsübergreifenden Kon-
sens bemühen sollte. Ich versichere Ihnen, daß die
F.D.P.-Fraktion sich auch in der Zukunft dort um Kon-
sens bemüht, wo er möglich ist, wo er angesagt ist.
Aber, lieber Herr Dr. Naumann, Ihre Politik mit den
großen Ankündigungen, mit dem großen Gestus des er-
hobenen Zeigefingers, mit dem Sie sogar bis nach Eng-
land gelaufen sind, macht es uns in vielen Fragen ver-
dammt schwer, diesen Konsens, den wir eigentlich be-
fürworten und den wir für notwendig halten, einzuhal-
ten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Otto,
Sie müssen wirklich zum Schluß kommen.
Wenn Sie,Herr Dr. Naumann, einmal aus Ihrer Wolke auf denharten Boden der politischen Realität herunterkommen,dann wird es uns gelingen, vielleicht nicht nur wiederden Konsens hier im Deutschen Bundestag zu fördern,Jörg Tauss
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3119
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sondern auch eine in der Tat erfolgreiche Kulturpolitikzu machen, die dazu führt, daß die Kulturinstitutionen inDeutschland – –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Otto,
kommen Sie bitte zum Schluß.
Liebe
Frau Vizepräsidentin, Sie haben zwei – –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hier werden keine
Dialoge mit der Präsidentin geführt. Ihre Redezeit ist
abgelaufen.
Jawohl.
Ich komme zum Ende.
Herr Dr. Naumann, kommen Sie zurück auf den Bo-
den der Realität! Lassen Sie die Ankündigungen sein!
Dann können wir zusammenarbeiten.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich möchte Sie darauf verweisen, daß wir
noch zwei Redner vor der namentlichen Abstimmung
haben. Ich möchte Sie ausdrücklich darum bitten, auch
diesen beiden Reden noch die volle Aufmerksamkeit zu
widmen und die notwendigen Gespräche außerhalb des
Plenarsaals zu führen.
Jetzt spricht für die Bundesregierung der Staatsmini-
ster Dr. Michael Naumann.
D
Verehrte Vizepräsidentin! Herr Abgeordne-ter Naumann, ich verstehe ja, daß Sie nach drei Jahr-zehnten ununterbrochener Regierungsbeteiligung – –
– Das habe ich gesagt: Otto.
– Herr Otto.
– Pardon.
– Gott sei Dank, vor allem die Verwandlung.Lieber Herr Otto, eines steht fest: Nach drei Jahr-zehnten ununterbrochener Regierungsbeteiligung stehenSie mit Ihrer Partei unter einer Art postelektoralemSchock. Sie können sich gar nicht vorstellen, was esheißt, in der Opposition zu sein.
Wir haben jetzt vier Jahre Zeit. Das heißt, die „leeren An-kündigungen“, die Sie hier monieren, sind nichts anderesals Darstellungen unserer Regierungspläne. Wir werdensie mit Ihrer vielversprochenen Hilfe auch durchsetzen.Das dauert sicherlich nicht eine Woche, nicht zwei Wo-chen und auch nicht sechs Monate, sondern ebenjene Zeit,die wir sinnvoll zu nutzen wissen werden.
Lassen Sie mich gleich zu Beginn meinen Dank andie Berichterstatter aussprechen. Sie haben mit ihrerkonstruktiven Arbeit die Haushaltsberatungen begleitetund damit ermöglicht, daß diese Regierung ihre sehrrealen kulturpolitischen Initiativen umsetzen kann.Seit einigen Monaten bereichert eine in der Tat enga-gierte Debatte, die manchen etwas schrill in den Ohrenklingen mag, ganz einfach weil sie ungewöhnlich ist undin der Vergangenheit nicht stattgefunden hat, Deutsch-lands und Europas Kulturpolitik, den politischen Diskursim Lande. Diese neue, bisweilen konfliktreiche Form desgesellschaftlichen Selbstverständnisses mit vielen Stim-men – dazu zähle ich natürlich auch diejenigen der Oppo-sition – erweitert die politische Kultur unseres Landes.Das ist keine Diskussion im Wolkenkuckucksheim. Dageht es in der Tat um einen hohen und wertvollen Etat.Das war und bleibt die Absicht der Bundesregierung:der Innovationskraft und der Phantasie, die der künstle-rischen Tätigkeit mehr als allen anderen menschlichenTätigkeiten zu eigen ist, genau jenen freiheitlichenRaum zu eröffnen, in der Idee des Kulturstaates be-schlossen ist.
Noch etwas, Herr Otto: Ich habe zwei Jahrzehntemeines Lebens als Journalist zugebracht. Ich weiß Art. 5des Grundgesetzes zu schätzen. Niemand in der Deut-schen Welle – und übrigens auch nicht Sie – darf mirvorwerfen, daß ich mit parteipolitischen Maximen inden Etat dieser Institution einzugreifen gedenke.
– Sie dürfen es vorwerfen, aber Sie werden es nicht be-legen können.Die neue Bundesregierung hat einen kulturpolitischenEtat vorgefunden, der an entscheidenden Stellen erhöhtworden ist. Das Ergebnis kann sich sehen lassen:60 Millionen DM mehr für die Hauptstadtkultur,120 Millionen DM mehr für die Kulturförderung inOstdeutschland.
Hans-Joachim Otto
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3120 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Auf Grund einer haushaltstechnischen Verfügungkönnen von diesen 120 Millionen DM ungefähr 30 Mil-lionen DM – obwohl schon eingeplant – erst im kom-menden Jahr ausgegeben werden. Dies allein hat dieOpposition dazu verführt, uns eine sogenannte Kultur-lüge Ost zu unterstellen. Angesichts dieses Sachverhal-tes – der Kulturetat für die neuen Länder liegt um 100Prozent höher als der vorangegangene – den Begriff„Lüge“ zu gebrauchen ist selbst lügenhaft.
Im übrigen dürfen wir bei der Beurteilung der Erhö-hung der Kulturfördermittel nicht übersehen, daß unserePolitik traditionelle Subventionsstrukturen übernom-men hat, die es zu korrigieren gilt. Das werden wir inden nächsten Jahren tun – behutsam und unter Rücksichtauf gewachsene Strukturen. Unter dieser Begleitmusikparteipolitische Präferenzen zu artikulieren, davon wirdnicht die Rede sein. Vielmehr wird untersucht werden,wie sinnhaft klassische Subventionspolitik im kultur-politischen Bereich noch ist.
Zu den schönsten Kulturinstitutionen der Republikzählt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Sie bildetdas Kernstück der kulturellen Identität der Hauptstadt.Ich habe mich für eine zügige Nachfolge an der Spitzeder Stiftung eingesetzt. Der neue Präsident, ProfessorLehmann, hat nach langen, langen Diskussionen, diewährend der vorangegangenen Legislaturperiode dieseStiftung lähmten, bereits zum 1. Februar die Nachfolgeangetreten. Der neue Generaldirektor, Professor Schuster,wird mit ihm zusammenarbeiten. Ich konnte ihn, HerrGlos, den Bayern entreißen – mit Vergnügen!
Sie fragen, was die Regierung in den vergangenenMonaten kulturpolitisch angestoßen hat: Auf europäi-scher Ebene kämpfen wir, unterstützt von den Kulturmi-nistern Frankreichs, Italiens, Englands und anderer Län-der um die Beibehaltung des gebundenen Ladenpreisesfür Bücher. Da wenigstens hoffe ich auch auf die Un-terstützung der Opposition.
Die medienpolitische Interessenvertretung des Bun-des wird in Zusammenarbeit mit den Ländern allfälligenAngriffen aus %rüssel auf die Strukturen des dualenRundfunksystems und hier des öffentlich-rechtlichenFernsehens gestärkt widerstehen.
Mit unseren osteuropäischen Nachbarn, zumal mitPolen, intensivieren wir die Gespräche um die Rückfüh-rung sogenannter Beutekunst. Ich hoffe und glaube, daßsich diese Gespräche in der richtigen Richtung ent-wickeln. Sie werden behutsam geführt und sollten – dar-um bitte ich Sie – nicht Gegenstand parteipolitischerDiskussionen sein.
Mit Frankreich werden wir den Austausch junger mu-sisch interessierter Schüler zwischen den Hauptstädtenin dem Projekt des „Voltaire-Stipendiums“ fördern.Ja, Herr Otto, wir wollen das Stiftungsrecht in An-griff nehmen – nicht um den Staat aus seiner kulturpoli-tischen Verantwortung zu entlassen, sondern um dieIdee einer Zivilgesellschaft, die ihrem eigenen kulturel-len Anspruch gerecht wird, zu befördern.
Dies ist keine leere Ankündigung, sondern wir tun diesmit der Behutsamkeit, die dieses schwierige Thema ver-dient.
Ihre Partei war 16 Jahre lang darum bemüht, diesesRecht zu verändern; es ist ihr nicht gelungen. Uns wirdes gelingen.
Wir haben ein äußerst erfolgreiches Bündnis für denFilm gegründet, was die Rechte der unabhängigen Pro-duzenten in Deutschland gegenüber den öffentlich-rechtlichen Anstalten stärken wird. Ich betone aus-drücklich, daß dieses Bündnis nicht nur in Zusammen-arbeit mit der Regierungskoalition, sondern auch mitKooperation und unter Einbeziehung des außerordent-lichen Sachverstandes meines Beinahe-NamenskollegenNeumann von der Union aus dem kulturpolitischen Aus-schuß zustande gekommen ist. Ich glaube, daß wir inZusammenarbeit mit Frankreich und Italien hier einennicht unbeträchtlichen Erfolg erzielen und dafür sorgenkönnen, den europäischen Film und vor allem den deut-schen Film wieder der Bedeutung zuzuführen, die ihmvon seinem ästhetischen Anspruch, aber auch seinemKönnen her zukommt.
Bitte gestatten Sie mir noch einige Anmerkungen zudem zentralen kulturpolitischen Thema der letzten Wo-chen und Monate, dem Holocaust-Mahnmal. Ich stehenicht an zu sagen, daß wir es waren, die vorgeschlagenhaben, diese für die nationale Identität wichtige Debattein den Bundestag zu verlagern. Der Bundestag wird überdieses Mahnmal entscheiden. Der Kulturausschuß desBundestages wird – davon gehe ich aus –, nachdem dieentsprechenden Anträge vom Bundestag an den Aus-schuß überwiesen worden sind, in Kürze eine entschei-dungsfähige Grundlage vorlegen können.
Daß ich nach wie vor für eine erweiterte Konzeptioneines Holocaust-Mahnmals eintrete, mag nicht als billigeEinflußnahme mißverstanden werden. Ich finde es be-dauerlich, Herr Otto, daß Ihnen die Summe von 80 Mil-lionen DM fast schon als eine Art Vorwurf über dieLippen geht. Hier möchte ich gerne Peter Struck zitie-ren, der ganz richtig gesagt hat: Dies ist in diesem Zu-Staatsminister Dr. Michael Naumann
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3121
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sammenhang die allerletzte Frage, die diskutiert werdensollte.
Unser Land hat seine moralische und kulturelle Ver-pflichtung, sich im Prozeß des Erinnerns seiner eigenenGeschichte zu stellen und ihrer ungezählten Opfer zugedenken, mit großem Ernst wahrgenommen. Ich glau-be, daß die entsprechenden Debatten im Bundestag dasauch widerspiegeln werden.Kluge Kulturpolitik wird der Politik im allgemeinenzu einer glücklicheren Zukunft verhelfen. Eine Erlösungvon allem gesellschaftlichen Übel – auch dem alltägli-chen – wird aber auch die beste Kulturpolitik nichtmöglich machen. Sie gedeiht nur in einer sozial gerech-ten, freien Gesellschaft, und sie ist zugleich deren Be-dingung.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Norbert Lammert.
Frau Präsiden-tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn das Urteils-vermögen und die Durchsetzungskraft des Staatsmi-nisters für Kultur auch nur annähernd so eindrucksvollwären wie seine Medienpräsenz und seine Liebe zurrhetorischen Selbstdarstellung, dann brauchten wir dieseDebatte wahrscheinlich gar nicht zu führen.
Denn wir streiten nicht über den Rang der Kultur. Aberüber das Mißverhältnis von Ansprüchen und Leistungenwird man reden dürfen.Wenige Monate nach Konzentration der Aufgabender nationalen Kulturpolitik im Kanzleramt, die ich aus-drücklich begrüßt habe, und der Installierung eines leib-haftigen Staatsministers für Kultur und Medien ist dieanfängliche Begeisterung zunehmend einer immer grö-ßeren Ernüchterung gewichen. Der erste von MichaelNaumann zu vertretende Kulturhaushalt ist ein solchesDokument der Entzauberung. Nach der pompösenOuvertüre folgt ein eher tristes Melodram; denn jetztwird die Diskrepanz zwischen den öffentlichen Ankün-digungen und den tatsächlichen Absichten und Be-schlüssen dieser Regierung offenkundig.
Herr Naumann läuft mit einer fröhlichen Attitüdedurch die Haushaltsberatungen, erklärt, daß er ganz an-dere Vorstellungen über die Dotierung wichtiger Kultur-einrichtungen habe, als sie die von ihm vertretene Regie-rung in ihrem Haushaltsentwurf beschlossen hat, undunterstellt mit einer bemerkenswerten Selbstverständ-lichkeit, daß im parlamentarischen Haushaltsverfahrendas Parlament die Pannen beseitigt, die seine Bundesre-gierung im Haushaltsentwurf selbst verursacht hat. Nunstehe ich nicht an, Herr Kollege Mark, ausdrücklich zubestätigen, daß uns das gelungen ist. Wir haben durcheine beachtliche Kooperation der Kultur- und der Haus-haltspolitiker eine Reihe dieser Macken beseitigen kön-nen.
Wir geben heute mit unseren Anträgen die Gelegenheit,wichtige, noch unerledigte Probleme zu lösen.Ich will, weil wir auch dazu einen Antrag vorgelegthaben, ein Stichwort aufgreifen, das vorhin schon ange-sprochen worden ist. Die Mittel für die Deutsche Welle– unabhängig von der Frage, daß sie einen gesetzlichenProgrammauftrag hat, unabhängig davon, daß es ein-stimmige Beschlüsse der Aufsichtsgremien unter Betei-ligung der Bundesregierung gibt – ausgerechnet ineinem Augenblick zu kürzen, in dem die besondere –nicht nur medienpolitische – Aufgabe dieser Sendean-stalt für jeden offenkundig ist, ist ein Schildbürger-streich, auf den man erst einmal kommen muß und derbesonders peinlich ist, wenn er jetzt in der Zuständigkeitdes Kanzleramtes veranstaltet wird.
Wir werden im Deutschen Bundestag gewiß nochGelegenheit haben, über die Medienpolitik der Bundes-regierung oder das, was sie dafür hält, im einzelnen zureden. Das kann heute nicht abschließend behandeltwerden.Der Kollege Otto hat zu Recht darauf hingewiesen,daß zu den besonderen Vorlieben von Herrn Staatsmi-nister Naumann die Ankündigung von Programmen ge-hört. Nun will ich keinen Augenblick bestreiten, HerrNaumann, daß den allermeisten der von Ihnen angekün-digten Programme ein gewisser Reiz durchaus nicht ab-zusprechen ist. Noch schöner wäre es, wenn sie nichtfolgenlos blieben und wenn zwischen den Ankündigun-gen sowie den meistens innerhalb weniger Tage in Aus-sicht gestellten Vollzugsterminen und dem Zeitpunkt, andem dann tatsächlich etwas Verhandlungsfähiges vor-gelegt wird, nicht immer größere Abstände entstehenwürden. Das wäre ganz gewiß auch im Interesse der Be-ratungskultur dieses Parlaments und insbesondere deszuständigen Ausschusses erwünscht.Ich möchte gern auf einen anderen Punkt zu sprechenkommen, bei dem meines Erachtens ein Mißverständnisder Amtsaufgaben eines Staatsministers für Kultur ge-geben ist. Das ist die bei Ihnen, Herr Naumann, ausge-prägte Neigung, mit der Gebärde eines Zensors durchdas Land zu reisen und allen öffentlichen Kulturein-richtungen zuallererst Zensuren für das zu erteilen, wasjedenfalls Ihren Ansprüchen nicht genügt.Da werden die Berliner Filmfestspiele öffentlich vor-geführt. Das Ergebnis eines zehnjährigen gründlichenDiskussionsprozesses über die Errichtung eines Mahn-mals in Berlin wurde in Bausch und Bogen mit dem nunStaatsminister Dr. Michael Naumann
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wirklich peinlichen Vergleich, das sei Speersche Archi-tektur, zurückgewiesen. Sie empfehlen nun, den Entwurfin modifizierter Form zu realisieren. Die Aufmerksam-keit der britischen Öffentlichkeit wird durch den Hin-weis erzeugt, daß die Berichterstattung der britischenMedien Ihren Ansprüchen nicht genüge. Sie äußern sichauch zur Rolle der Wehrmacht mit einem der unsägli-chen Pauschalurteile, die sich für einen für Kultur ver-antwortlichen Vertreter der Bundesregierung von selbstverbieten sollten.In den letzten Tagen habe ich wieder unnötigerweisediskriminierende Bemerkungen über Privateigentümervon Kunst- und Kulturgütern im Zusammenhang mitRechtsansprüchen wegen stattgefundener Enteignungengelesen.
Herr Kollege
Lammert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Griefahn?
Sofort.
Es ist ein Thema nicht erst dann angemessen öffent-
lich behandelt, wenn der leibhaftige Staatsminister für
Kultur ihm die Ehre einer öffentlichen Kommentierung
hat angedeihen lassen. Manchmal wäre es schlicht und
ergreifend hilfreich, wenn Sie einmal zu einem Sachver-
halt nichts sagen würden,
statt diejenigen, die mit großem Engagement bei der Sa-
che sind, wahrscheinlich nicht beabsichtigt, aber regel-
mäßig gegen sich aufzubringen.
Bitte schön.
Herr Kollege, stimmen Sie
mir zu, daß es, obwohl es einen zehnjährigen Diskussi-
onsprozeß um das Holocaust-Mahnmal gegeben hat, zu
keiner Entscheidung im letzten Jahr gekommen ist und
daß diese Entscheidung hätte getroffen werden können,
wenn sich alle einig gewesen wären? Stimmen Sie mir
zu, daß es sehr verdienstvoll ist, daß Herr Naumann die-
sen Knoten durchgeschlagen hat, um die Diskussion
einer Lösung zuzuführen?
Das erste ist mir
auch aufgefallen. Beim zweiten kann ich Ihnen beim be-
sten Willen nicht zustimmen.
Ich habe auch nicht den Eindruck, daß es der Diskus-
sion gut bekommen ist, daß der in der Bundesregierung
nun für dieses Thema Verantwortliche das Bemühen von
vielen Sachverständigen und Experten, von Künstlern,
Architekten und Journalisten, die sich über zehn Jahre
hinweg um dieses Thema gekümmert
und am Ende einen Vorschlag zu realisieren empfohlen
haben, in Bausch und Bogen zurückgewiesen hat, wie
das passiert ist.
Ich kritisiere nicht das Interesse an der Umsetzung
eines Ergebnisses, sondern ich kritisiere die Attitüde,
die ich vorhin angesprochen habe, nämlich erst allen zu
erklären, daß sie offenkundig nicht hinreichend Sachver-
stand mitbringen, um dann selber einen Vorschlag zu
präsentieren, der sich kleinlaut an genau dem Ergebnis
orientiert, das man zunächst kategorisch abgelehnt hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Kon-
zept künftiger Kulturpolitik können wir bisher nicht er-
kennen. Das einzige, was sich erkennen läßt, ist die Nei-
gung zur Konzentration kulturpolitischer Anstrengungen
in der Hauptstadt Berlin. Nun kann kein Zweifel daran
bestehen, daß sich der Kulturstaat Bundesrepublik
Deutschland insbesondere in seiner Hauptstadt darstel-
len muß. Aber klar sein muß auch, daß die erwünschte
und notwendige Aufstockung der Bundesmittel für na-
tional bedeutende kulturelle Einrichtungen in Berlin
nicht zu Lasten bedeutender kultureller Einrichtungen in
anderen Teilen unseres Landes erfolgen darf. Die Bun-
desrepublik Deutschland ist ein Kulturstaat, der vom
kulturellen Reichtum in der regionalen Vielfalt lebt.
Eine Berliner Republik, die ihr Selbstverständnis als
Kulturstaat auf die Hauptstadt reduziert, wird es mit der
Union ganz gewiß nicht geben.
Wir werden hoffentlich in ruhigerer Stunde Gelegen-
heit haben, über wichtige Aufgabenstellungen der Kul-
turpolitik miteinander zu reden.
Ich will eine abschließende Bemerkung machen. Die
Kulturpolitik eignet sich noch weniger als andere Berei-
che zur Selbstinszenierung. Zugleich ist die Versuchung
in diesem Bereich ganz offenkundig noch größer als an-
derswo. Ein Medium, das selbst die Botschaft ist, ist als
Medium eher zuviel und als Botschaft entschieden zu-
wenig.
In der Kulturpolitik geht es um Wirkung, nicht um Wir-
bel. Die CDU/CSU-Fraktion wird in ihrer Kulturpolitik
mit Nachdruck darauf hinwirken, daß genau diese Ge-
wichtung eingehalten wird.
Ich schließedie Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächstüber die Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU,F.D.P. und PDS.Änderungsantrag der CDU/CSU, Drucksache 14/904:Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Dr. Norbert Lammert
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Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti-onsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposi-tion abgelehnt worden.Änderungsantrag der CDU/CSU, Drucksache 14/905:Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Auch dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionabgelehnt worden.Änderungsantrag der F.D.P., Drucksache 14/914:Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti-onsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposi-tion abgelehnt worden.Änderungsantrag der F.D.P., Drucksache 14/915:Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Auch dieser Änderungsantrag ist bei dem eben festge-stellten Stimmenverhältnis abgelehnt worden.Änderungsantrag der PDS, Drucksache 14/946: Werstimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – DerÄnderungsantrag ist mit den Stimmen des gesamtenHauses mit Ausnahme der PDS, die zugestimmt hat, ab-gelehnt worden.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-plan 04 in der Ausschußfassung. Die Fraktion der SPDverlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schrift-führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätzeeinzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? – Das ist derFall. Ich eröffne die Abstimmung. –Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer,mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab-stimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)Ich rufe auf: 13. Einzelplan 05Auswärtiges Amt– Drucksachen 14/605, 14/622 –Berichterstattung:Abgeordnete Uta Titze-StecherAntje HermenauHerbert FrankenhauserDr. Werner HoyerDr. Barbara HöllNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Dazuhöre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-sen.Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst demAbgeordneten Herbert Frankenhauser das Wort.
Frau Präsi-dentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auchwenn in der vorangegangenen Zeit bereits sehr viel über––––––*) Seite 3128 Cdie Problematik des sogenannten Kosovo-Konfliktes ge-sprochen worden ist, kann dieses ebenso drängende wieungelöste Problem in der Berichterstattung über denEinzelplan des Auswärtigen Amtes nicht unberücksich-tigt gelassen werden.Ich darf daran erinnern, daß es auch bei der Einzel-planberatung im Haushaltsausschuß zur „HumanitärenHilfe“ zu intensiven Beratungen und – sagen wir eseinmal – auch zu Schwierigkeiten innerhalb der Koaliti-onsfraktionen bei der notwendigen Etatisierung gekom-men ist, die aber durch unseren Vorstoß für eine ange-messene, realistische Budgetierung dann doch noch zu-friedenstellend geregelt werden konnte, indem nunmehreine – zumindest vorübergehend ausreichende – Ein-stellung der Mittel im Einzelplan 60 beschlossen wordenist.Bei aller gebotenen Zurückhaltung muß nachgefragtwerden, ob denn dieses katastrophale Ausmaß der Ver-treibung aus dem Kosovo und deren teils unbeschreibli-che Folgen wirklich nicht zumindest annähernd abseh-bar waren. Müssen wir nicht alle mit Bestürzung fest-stellen, daß offensichtlich weder die Europäische Unionnoch die NATO ausreichend fähig und in der Lage ist,unverzüglich und effektiv auf solche Notsituationen zureagieren, um tatsächlich umfassende Hilfe bringen zukönnen?Kann es denn sein, daß die Bundesregierung einer-seits als Erfolg verkündet, daß „fast 50 000 Plätze zurUnterbringung von Vertriebenen in Mazedonien“ bereit-gestellt worden sind, andererseits aber darauf hinweist,daß es am Dienstag dieser Woche allein 9 000 neue undinsgesamt bereits mehr als 193 000 Flüchtlinge aus demKosovo allein in Mazedonien gibt, die zum großen Teilnicht untergebracht und versorgt werden können?
Es konnte mir bislang niemand schlüssig erklären,weshalb es für die Europäische Union und die NATOnicht einmal möglich sein soll, ausreichend Zelte undTrinkwasser zur Verfügung zu stellen. Allen Berichtenvor Ort ist zu entnehmen, daß das UNHCR organisato-risch völlig überfordert sein soll.
Dies ist schlimm genug. Aber was macht die Europäi-sche Gemeinschaft? Ich fordere deshalb die Bundesre-gierung auf, im Rahmen ihrer EU-Präsidentschaft alleszu tun, um eine effiziente, sofort einsetzbare Organisati-onseinheit „Humanitäre Hilfe“ im europäischen Ver-bund zu schaffen. Es ist auch dringend geboten, daß sichdie Bundesregierung engagiert dafür einsetzt, dasUNHCR zu einer wirklich effektvollen und leistungsfä-higen Organisation umzugestalten.Völlig unverständlich ist die Haltung der Bundesre-gierung, insbesondere als Präsidentschaft der EU, in derFrage der Flüchtlingsaufnahme. Zunächst erklärte voretwa acht Tagen Herr Bundesinnenminister Schily mitausdrücklicher Zustimmung des SPD-Fraktionsvorsit-Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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zenden Struck, daß keine weiteren Flüchtlinge in derBundesrepublik aufgenommen werden sollten.
Eine Woche später dann wieder eine Kehrtwendung,nach der jetzt doch zusätzlich 10 000 Flüchtlinge in derBundesrepublik aufgenommen werden sollen.
Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft,und wir alle haben ein Interesse daran, die Verbindlich-keit dieser Werte auch weiterhin zu stärken und uns ge-gen alle Rezepte ethnischer und kultureller Konfronta-tion zur Wehr zu setzen. Es gilt, das europäische Eini-gungswerk fortzuführen und das Bekenntnis zur Würdedes Menschen, das dem Wertekatalog unserer Verfas-sung und gemeinsamer europäischer und internationalerGrundüberzeugung entspricht, gerade auch in Krisen mitglaubwürdigem Leben zu erfüllen.Zu den großen Aufgaben der Europäischen Uniongehört demzufolge auch eine gemeinsame Flüchtlings-politik. Jedes Land in der Europäischen Union mußeinen angemessenen Teil der Flüchtlinge übernehmen.Deutschland darf nicht mehr als alle anderen zusammenübernehmen. Wenn 10 000 von 13 000 ausgewiesenenKosovaren allein nach Deutschland kommen, ist es mitder humanitären europäischen Solidarität offensichtlichnicht so weit her.
Mit enttäuschtem Blick auf die bisher sehr geringeAufnahme von Flüchtlingen in anderen Staaten der Eu-ropäischen Union kann man nur feststellen, daß mit lee-ren Versprechungen Menschen in Not nicht geholfenwerden kann. Die Bundesregierung muß bedauerlicher-weise zur Kenntnis nehmen, daß die Quoten für dieAufnahme von Flüchtlingen, deren Erfüllung zugesagtworden ist, zum Beispiel in Norwegen nur bei 36 Pro-zent, in Österreich bei 23 Prozent, in Schweden bei15 Prozent und in Dänemark bei 10 Prozent liegen.Auch sonst kann man nur Enttäuschendes von derdeutschen EU-Präsidentschaft berichten. Der EU-Haushalt von 1999 bis 2006 wird entgegen den Ankün-digungen um über 20 Prozent – ohne Berücksichtigungder Inflationsrate – steigen. Die für die Osterweiterungbislang vorgesehenen Mittel sind völlig unrealistisch.Von der vollmundig angekündigten Nettoentlastung derBundesrepublik Deutschland ist faktisch nichts geblie-ben.
Eine Neuorganisation und eine neue Struktur der EUsind nicht erkennbar. Im Rahmen der deutschen EU-Präsidentschaft ist noch nicht einmal ein Vorstoß unter-nommen worden – zumindest ist mir ein solcher nichtbekannt –, den unvorstellbaren Mißstand, daß in mehrals zwölf Staaten der EU Subventionsbetrug keinenStraftatbestand darstellt, abzustellen. Offensichtlich istder neue Leiter des Planungsstabes im AuswärtigenAmt, Herr Schmierer, noch überfordert – er ist als Ex-vorsitzender des Kommunistischen Bundes West-deutschlands nunmehr in der Vergütungsgruppe A 16gelandet –, seinen Sponti-Spezi auf solche Problemstel-lungen hinzuweisen.
Übrigens bin ich gespannt, Herr Minister Fischer, obIhr Kollege Riester bei Herrn Schmierer, der zunächst jaeinen Werkvertrag erhalten mußte, nicht noch Schein-selbständigkeit feststellen muß.
Das ist eine der Merkwürdigkeiten, die es seit dem Re-gierungswechsel zu Rotgrün gibt.Für die wundersamen Wandlungen möchte ich nurzwei Beispiele anführen.
– Wenn ich mehr Redezeit zur Verfügung hätte, könnteich diese Beispielliste auch ausweiten, Herr Fischer. –SPD und Grüne haben sich im Rahmen der Haushaltsbe-ratungen 1997 vehement gegen die Genehmigung derLieferung von Fregatten an die Türkei ausgesprochen.Heute muß man als Tatsache feststellen: Der Waffenex-port hat noch nie so gut wie unter Fischer und Schröderfloriert.
Von dem Antrag der Grünen vom November 1997,für „Humanitäre Minenräumung“ in den Haushalt 199899,1 Millionen DM einzustellen, sind jetzt noch immer-hin „beachtliche“ 17 Millionen DM übriggeblieben.
Besonders interessant wird auch die Entwicklung desVerhältnisses zwischen Bundesregierung und Koali-tionsfraktionen bezüglich der Ausstattungshilfe. Wäh-rend es die Grünen im Haushaltsausschuß zunächst ab-gelehnt haben, den Bericht der Bundesregierung übereine Neukonzeption der Ausstattungshilfe überhaupt zurKenntnis zu nehmen, hat der Bundesinnenminister be-reits Zusagen, die aus dem Programm finanziert werden,bis zum Jahr 2002 gegeben.Im übrigen bleibt – da sind wir gespannt – abzuwar-ten, welche Auswirkungen die Ankündigungen des der-zeitigen Bundesfinanzministers auf den Einzelplan 05des Haushaltes haben werden.Es ist an dieser Stelle angebracht, auch allen Mitbür-gerinnen und Mitbürgern, die derzeit in humanitärenOrganisationen oder in der Bundeswehr in Albanien undMazedonien mit hohem Engagement einen vorbildlichenDienst leisten, herzlich zu danken und ihnen hohe Aner-kennung zu zollen.Vielen Dank.
Das Wort hatjetzt die Abgeordnete Uta Titze-Stecher.Herbert Frankenhauser
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Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Tatsache, daß zum Ein-zelplan 05 bisher keine Anträge vorliegen, kennzeichnetdas große Einvernehmen, das im Haushaltsausschußzumindest bei diesem Etat geherrscht hat.Im Einzelplan 05 für den Geschäftsbereich des Aus-wärtigen Amtes sind für das laufende Haushaltsjahr1999 insgesamt 3,641 Milliarden DM etatisiert. Dies be-deutet gegenüber dem zweiten Regierungsentwurf derneuen Regierung eine Absenkung um rund 18 MillionenDM oder 0,5 Prozent. Dies war das Ergebnis der parla-mentarischen Beratungen im Haushaltsausschuß.Das Volumen des Einzelplans 05 verteilt sich, grobgesagt, auf drei große Bereiche.Der erste Bereich umfaßt die Betriebskosten, diesich auf das Ministerium selbst und die 223 Auslands-vertretungen des Bundes beziehen.
– Also, Herr Irmer. Am besten sind immer diejenigenGags, die einem spontan einfallen. – Auf den BereichBetriebskosten entfallen 42,6 Prozent des Gesamtetatsdes Auswärtigen Amtes. In Ziffern sind dies 1,549 Mil-liarden DM. Dem in bundeseigener Verwaltung geführ-ten Auswärtigen Dienst sind insbesondere folgendeAufgaben zugewiesen: Vertretung der Interessen derBundesrepublik Deutschland im Ausland, Pflege undFörderung der auswärtigen Beziehungen, Informationder Bundesregierung über die Verhältnisse und Ent-wicklungen im Ausland.Herr Außenminister – ich drehe mich vom Mikronicht weg; wenn ich das täte, dann würden mich die Ab-geordneten, die Adressaten meiner Rede, nicht hören –:Ich bedanke mich bei Ihnen ausdrücklich dafür, daß dasAuswärtige Amt die Lageberichte zum Kosovo, auf de-ren Grundlage bis zuletzt Abschiebeurteile von Gerich-ten gefällt worden sind, zurückgezogen hat. Es warhöchste Zeit.
Der Auswärtige Dienst leistet Hilfe und Beistand fürDeutsche im Ausland. Er arbeitet mit bei der Gestaltungder internationalen Rechtsbeziehungen, beispielsweisebei der Arbeit an der Reform der UNO. Er koordiniertim Rahmen der Politik der Bundesregierung alle die au-ßenpolitischen Beziehungen betreffenden Vorhabenstaatlicher und anderer öffentlicher Einrichtungen. An-gesichts der Fülle der genannten Aufgaben denken wir,daß das dafür vorgesehene Finanzvolumen ausreichendist.Überproportionale Zuwächse bei den Betriebskostensind auf den Berlin-Umzug zurückzuführen. Für dieNeuausstattung des Dienstgebäudes in Berlin – HerrMinister, für diese Entscheidung können Sie nichts; wirHaushälter hätten es gern anders gehabt – stehen 48,7Millionen DM zur Verfügung. Für dieses Jahr sind da-von 35 Millionen DM etatisiert. Der Rest wird überVerpflichtungsermächtigungen bereitgestellt. Die Be-triebskosten des Dienstes sind fast vollständig flexibili-siert.Die Personalkosten sind zwar ausreichend veran-schlagt. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß es beieiner außergewöhnlichen Steigerung des Dollarkurses zuRisiken kommen kann, die aber nicht nur dieses Haus,sondern alle Häuser betreffen können, die im AuslandPersonal haben.Weil ich gerade beim Thema Personal bin: Ich bittedas Haus dringend, dafür Sorge zu tragen, daß für dieverbleibenden 85 Mitarbeiter des einfachen Dienstes,für die eine Zusage besteht, am derzeitigen Dienstort zuverbleiben, Arbeitsplätze durch eine großzügige Aus-stattung der in Bonn verbleibenden und unter Personal-not leidenden Arbeitseinheiten gefunden werden. Wirmüssen uns im Haushaltsausschuß fraktionsübergreifenddarüber verständigen, ob wir Stellen aus dem Perso-nalüberhang mit dem kw-Vermerk „Wegfall mit Aus-scheiden des Stelleninhabers“ versehen und auf die si-cherlich auch für das Haushaltsjahr 2000 zu erbringendeEinsparquote anrechnen. Die betroffenen Menschenkönnen nichts für unsere parlamentarische Entscheidungwegzuziehen.Der zweite große Bereich im auswärtigen Etat ist derKulturhaushalt. Darüber hat Herr Naumann aus kom-petenter Sicht gesprochen. Auch im auswärtigen Etatwird Kulturarbeit geleistet, die sich auswärtige Kultur-politik, AKP, nennt. Die Substanzgarantie für die AKPkonnte dadurch umgesetzt werden, daß der stetige Ab-wärtstrend, den die ehemalige Regierung zwischen 1995und 1998 zu verantworten hatte, in einen klaren Auf-wärtstrend umgekehrt wurde. Dies geschah übrigens aufausdrücklichen Wunsch des Ministers selbst. Die Zu-nahme der Mittel um 3,6 Millionen DM in 1999 setztsich auch in der mittelfristigen Finanzplanung fort.Dieses Signal halte ich für sehr wichtig, weil der– ich zitiere – „Kulturdialog als neue Dimension einerAußenpolitik der Zukunft“ entwickelt werden muß, soBundespräsident Roman Herzog anläßlich der erstenKonferenz „Deutsch-Russisches Kulturforum PotsdamerBegegnungen“ am 27. April dieses Jahres. Aber nichtnur für den Bundespräsidenten, für uns alle ist der Kul-turdialog ein unerläßlicher Beitrag zur Bildung eineseuropäischen Selbstverständnisses sowie eine Brückezwischen Deutschland und den Völkern der Welt, eineBrücke, die es angesichts der ethnischen Auseinander-setzungen im Kosovo, aber nicht nur dort, zu stabilisie-ren gilt, weil dies für das Überleben der Völker wesent-lich ist.Nach dem Ende des kalten Krieges und zu Beginndes neuen Jahrtausends wird das Muster der Bündnis-und Feindschaftsbildung unter den Nationen nicht oderimmer weniger von Ideologien geprägt, sondern immermehr durch Kulturen. Die bipolare Machtstruktur deskalten Krieges ist durch eine Mischung uni- und multi-polarer Systeme abgelöst worden. Die Folge davon ist,daß Nationen ihre Identität zunehmend mehr auf derGrundlage der eigenen Herkunft, Religion, Sprache,Sitten und Wertvorstellungen definieren bzw. sich re-orientieren.
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Wenn man den Thesen von Samuel Huntington folgt– Stichwort „Kampf der Kulturen“ –, dann werden sichdie Konfliktherde der Zukunft vor allem entlang derBruchlinien der Kulturen und weniger auf Grund vonMacht- und Wirtschaftsinteressen entwickeln. Unabhän-gig davon, ob man die dort beschriebenen Szenarien fürdas nächste Jahrhundert teilt, besteht für uns die Pflicht,Politik nach Maßgabe kultureller und zivilisatorischerWertvorstellungen zu gestalten. Ich denke, dieser Pflichtsind wir bei der Aufstellung des Haushaltes des Aus-wärtigen Amtes vorbildlich nachgekommen. – Ich habeeigentlich erwartet, daß Sie jetzt zustimmen, auch Sie,meine Damen und Herren von der Opposition.
Konkret haben wir im Kulturbereich den Stipendien-titel erhöht. Dies war wegen sinkender Stipendienverga-bezahlen und entsprechender öffentlicher Reaktionenauf den Rückgang ausländischer Stipendiaten an deut-schen Hochschulen, die Sie ja kennen, dringend erfor-derlich. Mein Dank gilt hier einvernehmlich allen Be-richterstattern. Gemeinsam haben wir dafür gesorgt, daßStipendienvergabe, Austauschmaßnahmen, Beihilfen fürNachwuchswissenschaftler, Studenten und Hochschul-praktikanten aus dem Ausland, Betreuung und Nachbe-treuung durch die dafür vorgesehenen Organisationen,DAAD, Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Fulbright-Kommission – ich kann sie jetzt nicht alle aufzählen –,auf angemessenem Niveau durchgeführt werden können.Mit Blick auf die Osterweiterung und die damit er-forderlich werdenden Integrationsangebote von unsererSeite her haben wir ebenfalls einvernehmlich Mittel fürdie Bewilligung von Stipendien für polnische Studentenan der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an derOder und ebenso einen Zuschuß an den Bundesverbandder deutsch-polnischen Gesellschaft bereitgestellt.
– Ich bedanke mich, Herr Kollege Urbaniak. – Ich mußdas immer wieder betonen, daß gerade im Kulturbereichzwischen den Berichterstattern größtes Einvernehmenherrschte.Konkret möchte ich noch zwei Titel nennen, die zwarin den Bereich der politischen Aufgaben des Amtes fal-len, aber doch im Zusammenhang mit den europäischenIntegrationsmaßnahmen zu sehen sind: Da ist einmal dieFörderung des europäischen Gedankens, der sich in ei-nem erhöhten Zuschuß an die Europäische Akademie inBerlin ausdrückt, dann die Errichtung eines Haushalts-ansatzes für das „Haus der Deutsch-Polnischen Zusam-menarbeit in Gleiwitz“. Ich denke, auch das ist eine An-erkennung durch das Haus wert.
Ich gebe zu, diese Aufstockungen nehmen sich be-scheiden aus, aber angesichts der Haushaltszwänge undSparvorgaben zeigt sich gerade bei solchen Vorhaben,daß der durch die neue Regierung vorgelegte Haus-haltsentwurf mehr als ein paar korrigierende Duftmar-ken setzt. Er konkretisiert eigentlich bereits vollzogenepolitische Weichenstellungen, so die europäische Inte-grationsidee. Sie ist ein gesamteuropäisches Anliegen;das spiegelt sich auch im Haushalt wider. Insofern gehtes heute nicht mehr um das Ob, sondern nur noch umdie Gestaltung des Wie und Wann der Osterweiterung,wie Sie, Herr Bundesaußenminister, in Ihrer historischenund wegweisenden Rede vor dem Parlament in Straß-burg am 12. Januar dieses Jahres im Zusammenhang mitder Osterweiterung und der Forderung nach mehr De-mokratie formuliert haben. So hieß es in einem „Zeit“-Artikel; dieses Lob kann ich vollständig mittragen undgebe es weiter.Es ist mir der Kürze der Zeit wegen nicht möglich,ausführlich auf die Programmarbeit sowie die BereicheFörderung des Schulwesens im Ausland und internatio-nalen Zusammenarbeit im Schulbereich, kurz Schul-fonds genannt, einzugehen. Ich kann mir aber nicht ver-kneifen, folgendes zu sagen. Ich bitte Sie, Herr Fischer,spitzen Sie die Ohren, denn hier geht es um viel Geld.Im Rahmen der „Bemerkungen zur Haushalts- und Wirt-schaftsführung des Bundes 1998“ hat der Bundesrech-nungshof detailliert Stellung zu dem SchwerpunktthemaVerwaltung und Nutzung von Liegenschaften durch denBund genommen.
– Auch wenn es vor Ihrer Zeit war, ist das AuswärtigeAmt besonders davon betroffen, weil Sie auch jetzt nochsehr viele Liegenschaften im Ausland haben.Speziell zu den deutschen Schulen im Ausland hatder Rechnungsprüfungsausschuß – und das ist das Par-lament – nachdrücklich die Empfehlungen des BRHzum Aufbau eines Liegenschaftsmanagements zur Ver-wertung und Nutzung der Liegenschaften unterstützt,und zwar sollen zur Kostenentlastung des Bundes undzur Gleichbehandlung der deutschen Schulen im Aus-land Schulträgern in geeigneten Fällen bundeseigeneGrundstücke zum Erwerb angeboten werden. Es hat sichherausgestellt, daß die Schulen, die auf eigenen Grund-stücken erbaut werden, wesentlich besser gepflegt underhalten werden und den Bund weniger kosten. Das istnormale Erfahrung, und diese sollten wir uns zunutzemachen.Bitte verwerten Sie unverzüglich die nicht benötigtenLiegenschaften; der Haushaltsausschuß wird es Ihnendanken.Abschließend möchte ich im Zusammenhang mit derAuslandskulturarbeit dafür plädieren, daß die Flexibili-sierungsmaßnahmen im Bereich der Personalwirtschaftauf Zuwendungsempfänger ausgedehnt werden, bei-spielsweise auf das weltweit agierende Goethe-Institut.Dies würde zum langen Atem, den die Kulturarbeitbraucht, beitragen.Der dritte große Ausgabenbereich mit knapp 25 Pro-zent oder rund 891 Millionen DM Anteil am GesamtetatUta Titze-Stecher
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ist der allgemeine Bewilligungsteil, also derjenige Teil,in dem die politischen Ausgaben veranschlagt sind. Hierhaben wir die stärksten Schwankungen zu verzeichnen,im Haushalt 1999 einen Zuwachs von 6 Prozent.Der Zuwachs entsteht vor allem durch die Kosten fürKonferenzen im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft. Wirhaben da knapp 6 Millionen DM mehr etatisiert. Wirhaben den deutsch-tschechischen Zukunftsfonds von20 Millionen DM auf 40 Millionen DM einvernehmlichverdoppelt – der Dank geht an alle.
Wir haben auf Grund der Zusage des AltbundeskanzlersKohl gegenüber der Witwe von Yzak Rabin einen neuenTitel mit einem Ansatz von 2,5 Millionen DM für denAufbau des Yzak-Rabin-Centers for Israel Studies in Je-rusalem etatisiert.
Auch das halten wir für extrem wichtig, weil die Fund-Raising-Bemühungen sowohl in England als auch inFrankreich nach Aussagen von Frau Rabin von der deut-schen Haltung in diesem Punkt abhängig gemacht wer-den. Hier sind wir gegenüber dem Altbundeskanzler,dem Staat Israel und der Witwe Rabin im Wort. Wir ste-hen auch inhaltlich hinter diesem Projekt, das sich mitFragen des Nahost-Friedensprozesses beschäftigen wird.Ich gehe bewußt jetzt nicht auf das ein, was ich mirdazu noch notiert habe. Auch im Einzelplan 23, auf dendie Kollegen später eingehen werden, wird sicher aus-drücklich auf die durch die neue Bundesregierung er-höhten Mittelansätze für die deutsch-palästinensischeEntwicklungszusammenarbeit hingewiesen werden.Im Bereich der allgemeinen Bewilligungen für politi-sche Ausgaben haben wir – ebenfalls einvernehmlich –durch Umschichtungen die Mittel für humanitäre Hilfs-maßnahmen im Ausland außerhalb der Entwicklungshil-fe erhöht, wenn auch nur um 1 Million DM – ein Zei-chen.Die aktuelle Entwicklung des Kosovo-Konflikts hatalle Ansätze in den dafür zuständigen Einzelplänen 05,06, 14 und 23 über den Haufen geworfen, so daß wir unsgezwungen sahen – Herr Kollege Frankenhauser hat esbereits erklärt –, angesichts der offensichtlichen Kostenfür die Folgen des humanitären Einsatzes einen eigenenHaushaltstitel mit 300 Millionen DM Sonderleistungendes Bundes für humanitäre Hilfe zu schaffen. Wir habenauch das einvernehmlich geschafft, und wir denken, daßdiese Entscheidung wieder einmal deutlich macht, daßim Vordergrund eines militärischen Einsatzes mit demZiel der Verhinderung der humanitären Katastrophe diekonkrete Hilfe für die betroffenen Flüchtlinge stehenmuß.
Das gewährleisten wir natürlich mit diesem Haushalts-ansatz.Der Antrag der Bundesregierung „Deutsche Beteili-gung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang mitdem Kosovo-Konflikt“, über den hoffentlich am kom-menden Freitag, also übermorgen, vom Parlament ent-schieden werden wird, ist eine aktuelle Reaktion auf dieHilferufe der humanitären Hilfsorganisationen, die sichden Anforderungen der täglich um Tausende von Men-schen anwachsenden Flüchtlingsströme nicht mehr ge-wachsen sehen und daher die unmittelbare Beteiligungund Unterstützung aller notwendigen Hilfsmaßnahmendurch die NATO anfordern. Neben den NATO-Ver-bündeten haben bisher auch acht Partnernationen Betei-ligung zugesagt.Dieser umfassende Beitrag der NATO soll sowohlden Flüchtlingen mit den gebotenen Maßnahmen helfenals auch – ich denke, auch das wissen Sie, zumindest dieKollegen der Facharbeitsgruppen, richtig einzuschätzen– zur Stabilisierung der überforderten NachbarstaatenMazedonien und Albanien beitragen.
Wir haben einen neuen Ausschuß für Menschenrech-te, der sich all dieser Fragen annimmt, die unter derÜberschrift der humanitären Hilfsmaßnahmen gestreiftwerden. Was die Höhe der notwendigen Kosten für dieBetreuung der Flüchtlinge betrifft, war dieser Ausschußder erste, der sich bei uns gemeldet hat. Diese Tatsachemöchte ich ausdrücklich zu Protokoll geben.Die zusätzlichen Kosten des Einsatzes von bis zu1 000 weiteren Soldaten des Heeres, der Luftwaffe, derMarine und der zentralen Sanitätsdienststellen für hu-manitäre Hilfsleistungen werden für 12 Monate auf 330Millionen DM beziffert. Ich denke, daß sowohl derAußenminister als auch der Verteidigungsminister aufdiesen Antrag dezidiert eingehen werden. Ich ersparemir deswegen weitere Details. Ich denke, daß mit denvorgesehenen 330 Millionen DM im Einzelplan 60 dieerforderlichen Mittel zumindest für dieses Jahr vorhan-den sind. Wir halten dies für haushaltsrechtlich korrekt.Wir haben einvernehmlich – Dank an alle Kollegen –die Leistungen an Organisationen und Einrichtungenim internationalen Bereich – wie zum Beispiel an dasIRK, UNICEF, UNHCR und UNRWA – aufgestockt.Dabei wissen wir alle, daß die deutschen Beiträge iminternationalen Vergleich beschämend gering sind.Besonders hervorheben möchte ich, daß auf Antragder Arbeitsgruppe „Menschenrechte“ der Regierungs-fraktionen die Mittel für das „Büro der Menschenrechts-hochkommissarin“ und für den „VN-Fonds für Folterop-fer“ aufgestockt worden sind. Wir haben die Förderungder Menschenrechte durch das Auswärtige Amt eben-falls erhöht. Damit werden die Feldmissionen der Hoch-kommissarin für Menschenrechte und die Maßnahmenzur Stärkung der Handlungsfähigkeit auf dem Feld derKonfliktprävention und Konfliktregelung unterstützt.Außerdem haben wir einen Posten für Vorbereitungs-maßnahmen des zivilen Friedensdienstes eingestellt. Mit200 000 DM unterstützen wir die Gründung eines For-schungszentrums für OSZE-Studien beim Institut fürFriedensforschung und Sicherheitspolitik an der Univer-sität Hamburg.Ute Titze-Stecher
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3128 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Weil meine Redezeit abgelaufen ist, will ich noch ab-schließend eine Bemerkung zur Ausstattungshilfe ma-chen. Die Ausstattungshilfe insgesamt befindet sich inder Diskussion. Das heißt, die Frage der Fortführungund Ausgestaltung der Ausstattungshilfe für ausländi-sche Streitkräfte ist auf Leitungsebene noch nicht ent-schieden. Ich halte dies für ein außerordentlich wirksa-mes und sinnvolles Instrument der außenpolitischen Ar-beit.
– Ja, ich kann dies wirklich einschätzen. – Ich denke,daß man angesichts globaler Veränderungen nicht dieFrage der Fortführung, sondern nur die Frage der Aus-gestaltung zu entscheiden hat. Schwerpunktmäßig kannman nennen: andere Justierungen und Orientierungenbei der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in ent-legenen Gebieten durch Sanitätsstationen der Streitkräf-te, bei der Ausbildung in technischen Berufen für denEinsatz im Falle von Naturkatastrophen und bei derFlüchtlingsversorgung. Das heißt, man muß die Aus-stattungshilfe anpassen, damit die Absicht der neuenBundesregierung, sich an neuen Anforderungen zuorientieren, die die Fähigkeiten der Empfängerländer zurTeilnahme an Friedensmissionen und Konfliktverhütungstärken, insgesamt unterstützt wird.Da wir die meisten Punkte einvernehmlich geregelthaben, ist meine Bitte an die Opposition gerechtfertigt:Wir stimmen in jedem Fall dem Haushalt des Einzel-plans 05 zu. Ich bitte Sie, dasselbe zu tun!
Bevor wir inder Debatte fortfahren, möchte ich Ihnen das von denSchriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergeb-nis der namentlichen Abstimmung über den Einzel-plan 04, den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers unddes Bundeskanzleramtes, bekanntgeben: AbgegebeneStimmen 612. Mit Ja haben gestimmt 334, mit Nein ha-ben gestimmt 278, Enthaltungen gab es keine. Der Ein-zelplan 04 ist damit angenommen worden.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 612davon:ja: 334nein: 278JaSPDBrigitte AdlerGerd AndresRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseDr. Eberhard BrechtRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkWolf-Michael CatenhusenDr. Peter Wilhelm DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenRudolf DreßlerDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannChristel HanewinckelAlfred HartenbachAnke HartnagelKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumUwe HikschReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensJohannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerHans-Ulrich KloseWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickDr. Uwe KüsterWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderWaltraud LehnRobert LeidingerKlaus LennartzEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Christa LörcherErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfMichael Müller
Uta Titze-Stecher
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3129
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Jutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea NahlesVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Willfried PennerDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Gerhard RübenkönigMarlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserOttmar SchreinerGerhard SchröderGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Reinhard Schultz
Volkmar Schultz
Ewald SchurerDr. R. Werner SchusterDietmar Schütz
Dr. Angelica Schwall-DürenErnst SchwanholdRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseDr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerHans-Joachim WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekHelmut Wieczorek
Jürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Klaus WiesehügelBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMarieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerAnnelie BuntenbachEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtMonika KnocheDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeKlaus Wolfgang Müller
Kerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstClaudia Roth
Christine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Antje VollmerLudger VolmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
NeinCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtHans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor BlankDr. Heribert BlensPeter BleserDr. Norbert BlümDr. Maria BöhmerSylvia BonitzWolfgang Börnsen
Dr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberKlaus Bühler
Hartmut Büttner
Dankward BuwittManfred Carstens
Leo DautzenbergHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke EymerIlse FalkDr. Hans Georg FaustIngrid Fischbach
Herbert FrankenhauserDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisDr. Heiner GeißlerGeorg GirischMichael GlosDr. Reinhard GöhnerDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundCarl-Detlev Freiherr vonHammersteinGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtNorbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Ursula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekJosef HollerithDr. Karl-Heinz HornhuesSiegfried HornungJoachim HörsterHubert HüppePeter JacobyVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer3130 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 199
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Susanne JaffkeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlBartholomäus KalbSteffen KampeterIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertDr. Helmut KohlManfred KolbeNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausDr. Martina KrogmannDr. Paul KrügerDr. Hermann KuesKarl LamersDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertDr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Klaus Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Julius LouvenDr. Michael LutherErich Maaß
Erwin MarschewskiDr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Günter NookeFranz ObermeierEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffDr. Bernd ProtznerDieter PützhofenThomas RachelDr. Peter RamsauerHelmut RauberChrista Reichard
Katherina ReicheErika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt RossmanithAdolf Roth
Norbert RöttgenDr. Christian RuckVolker RüheDr. Jürgen RüttgersAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenGerhard ScheuNorbert SchindlerDietmar SchleeBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Hans Peter Schmitz
Michael von SchmudeBirgit Schnieber-JastramDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzReinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika SchuchardtWolfgang SchulhoffClemens SchwalbeDr. Christian Schwarz-SchillingWilhelm-Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertRudolf SeitersWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteCarl-Dieter SprangerWolfgang SteigerAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblThomas StroblMichael StübgenEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschWilly Wimmer
Werner WittlichDagmar WöhrlElke WülfingPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannBenno ZiererWolfgang ZöllerF.D.P.Hildebrecht Braun
Ernst BurgbacherJörg van EssenUlrike FlachHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Heinrich Leonhard KolbGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünther Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Detlef ParrCornelia PieperDr. Günter RexrodtDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerCarl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeJürgen TürkDr. Guido WesterwellePDSMonika BaltPetra BlässMaritta BöttcherEva Bulling-SchröterRoland ClausHeidemarie EhlertDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsFred GebhardtDr. Gregor GysiDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeSabine JüngerDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerUrsula LötzerDr. Christa LuftHeidemarie LüthAngela MarquardtManfred Müller
Kersten NaumannRosel NeuhäuserDr. Uwe-Jens RösselChristina SchenkGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungendes Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPUAbgeordnete(r)Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSUWir fahren in der Debatte fort. Ich gebe dem Abge-ordneten Dr. Werner Hoyer das Wort.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Meine Vorrednerin hat soviele Details zutreffend berichtet, daß ich selbst in denFällen nicht auf die Details eingehen möchte, in denenich anderer Meinung bin, wie zum Beispiel bei denMitteln für die Minenräumung und für die Ausstattungs-hilfe. Ich möchte mich in meiner Rede auf ein paar we-nige Schwerpunkte konzentrieren.Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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Unsere Beratungen waren fair und sachbezogen. Da-für insbesondere der Hauptberichterstatterin und den an-deren Kolleginnen und Kollegen herzlichen Dank. MeinDank gilt dem Hause, das mit großem Engagement mit-gearbeitet hat. An dieser Stelle gilt mein Dank auch denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern des AuswärtigenAmtes einschließlich aller Auslandsvertretungen insge-samt für ihre geleistete großartige Arbeit.
Neun Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes über denAuswärtigen Dienst sieht sich dieser Dienst außerge-wöhnlichen Herausforderungen und Belastungen gegen-über. Er muß diese Belastungen unter immer größerenSparzwängen bewältigen, während ihm auf der anderenSeite immer mehr Serviceleistungen für die Bürgerinnenund Bürger abverlangt werden. Deswegen ist im Aus-wärtigen Dienst, der mittlerweile vom Personalumfangher wieder den Umfang von vor der Wende hat undgleichzeitig insbesondere in den Reformstaaten Mittel-,Ost- und Südosteuropas und in Zentralasien zahlreicheneue Auslandsvertretungen betreibt, bei den Einsparun-gen das Ende der Fahnenstange erreicht.In den letzten Jahren ist die deutliche Leistungsstei-gerung der Wirtschaftsabteilungen unserer Auslands-vertretungen zu Recht gewürdigt worden. Auch bei derauswärtigen Kulturpolitik hat es viel frischen Wind ge-geben, trotz mancher schmerzlicher Entscheidungen.Aber bei alldem bleibt ein Bereich der deutschen Aus-landsvertretungen immer weiter zurück, obwohl hier dergrößte Arbeitsdruck herrscht: die Rechts- und Konsu-larabteilungen der Botschaften und Generalkonsulate.Dieser Bereich mag nicht so spektakulär sein, und ermag auch ein nicht so schönes politisches Profil bieten;aber er ist enorm wichtig und total überlastet. Ein Blickin die Auslandsvertretungen, insbesondere in dem Ge-biet der früheren Sowjetunion und praktisch im gesam-ten Mittel- und Osteuropa, zeigt, wie kritisch die Ver-hältnisse geworden sind. Es ist deshalb höchste Zeit, denBereich der Rechts- und Konsularabteilungen der Aus-landsvertretungen von den Rasenmäher-Stellenkürzun-gen auszunehmen.Ich weiß, wie schwer dies ist. Wir haben es in denletzten Jahren oft genug versucht und sind am Finanz-minister gescheitert. Aber noch weitere Kürzungen ver-trägt dieser Bereich nicht.
Die F.D.P.-Fraktion stellt deshalb auch in der Plenar-debatte erneut den Antrag, bei den Stellenkürzungen imHaushaltsgesetz die ausdrückliche Herausnahme derRechts- und Konsularabteilungen der Auslandsvertre-tungen vorzusehen.
Diese Abteilungen sind auch vorgeschobene Postender inneren Sicherheit und sollten deshalb den anderenöffentlichen Diensten, wie Polizei, Justiz und Zoll, diesich um innere Sicherheit bemühen, nicht nachstehen.Ich merke an dieser Stelle ausdrücklich an, daß derAntrag, den wir hier erneut vorlegen, neben dem Aus-wärtigen Dienst auch für den gesamten Bereich desBKA und BGS – und dort nicht nur für die Polizeivoll-zugsbeamten –, für das deutsche Patent- und Markenamtsowie für den Zoll und die Justiz gilt. Ich sage das des-halb, weil ich als Berichterstatter für diese Ressorts nichtnoch einmal ausdrücklich das Wort ergreifen kann.Ich bedaure, daß die Koalition unserem Antrag imHaushaltsausschuß aus taktischen Gründen nicht zu-stimmen konnte. Aber ich habe sehr wohl die Signaleaufgenommen, daß man für den Haushalt des Jahres2000 in dieser Frage eine Öffnung ins Auge faßt. Wirwerden darauf zurückkommen.Die F.D.P. bekennt sich zu dem Gesetz über denAuswärtigen Dienst. Das Gesetz war ein großes Anlie-gen Ihres Vorvorgängers Hans-Dietrich Genscher, undes war ein Quantensprung in der Entwicklung der deut-schen Diplomatie und der materiellen Grundlagen desDienstes. Natürlich wissen wir alle, daß noch viele am-bitiöse Vorhaben aus diesem Gesetzeswerk der Realisie-rung bedürfen, und wir wissen auch, wie schwer diesangesichts knapper Kassen ist. Wir sind von der Oppo-sition früher oft genug dafür kritisiert worden. Nun kanndie frühere Opposition selber gestalten. Sie wird dabei inder F.D.P. einen gesprächsbereiten Partner finden, auchwenn es zum Beispiel darum geht, dem Thema Personal-reserve zu Leibe zu rücken.
Der Begriff ist sicherlich unglücklich, aber was sichdahinter verbirgt, ist die dringende Notwendigkeit, di-plomatische Vertreter Deutschlands im Ausland endlichangemessen auf ihre Aufgaben vorzubereiten.Herr Minister, ich appelliere an Sie, gemeinsam mitdem Parlament hier den Einstieg beim Haushalt 2000 zufinden. Einen Weg müssen wir auch finden, um dieStrukturprobleme des Dienstes insbesondere bei derÜbernahme von Anwärtern und bei der langen Wartezeitauf die Übernahme als Beamte auf Lebenszeit zu be-wältigen. Was diese Fragen angeht, hängt der Auswär-tige Dienst hinter allen anderen Ressorts der Bundes-regierung zurück.
– Das ist bekannt, und das ist auch keine Frage vonSchuldzuweisung. Aber wenn wir uns hier entschließenkönnten, auch unter uns Haushältern, diesem Problembeim nächstenmal tatsächlich zu Leibe zu rücken, dannwäre schon sehr viel gewonnen. Es ist gut, wenn so et-was einmal protokollfest wird.
Die deutsche Außenpolitik wird gegenwärtig natür-lich völlig von dem Thema Kosovo überlagert. Aber so-sehr uns die Bewältigung der akuten Situation beschäf-tigt und aufrüttelt und sosehr sie Kräfte bündelt, sowichtig ist es doch auf der anderen Seite, über den TagDr. Werner Hoyer
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hinaus zu denken und die Frage zu stellen, wie deutscheAußenpolitik jenseits vom Kosovo aussehen wird.Denn es gilt auch, Lehren zu ziehen, insbesondere ineiner Zeit, in der die internationalen Organisationenweiterentwickelt werden und diese Weiterentwicklungan uns teilweise vorbeigeht, wir uns zumindest ange-sichts unseres Zeitdrucks diesem Thema nicht hinrei-chend zuwenden können. Bei aller Emotionalisierungauf Grund der Kosovo-Krise muß die Entscheidung überKrieg und Frieden, über den Einsatz unserer Soldaten,ebenso wie die Entscheidung über die deutsche Einbet-tung in internationale Sicherheitssysteme mit kühlemKopf und analytischem Verstand getroffen werden.Noch so berechtigte Empörung, noch so verständlicheWut sind niemals ein guter Ratgeber und erst recht keineLegitimation, die Achtung vor dem Völkerrecht zu rela-tivieren bzw. Dilemmata zum Beispiel zwischen Völker-recht einerseits und ethisch begründeter Handlungsnot-wendigkeit andererseits, in denen man sich hin und wie-der befinden kann, einer vermeintlich einfachen Auflö-sung zuzuführen.Der Vertrag von Amsterdam gibt einige Hinweise,indem er die institutionellen Voraussetzungen für dieWeiterentwicklung der gemeinsamen europäischenAußen- und Sicherheitspolitik schafft. Es gilt, diese mitLeben zu erfüllen, damit Europa nicht noch einmal einso jammervolles Bild abgibt, wie dies im Kosovo-Kriegder Fall ist. Wo waren denn Gesicht und Stimme Euro-pas, als hier die wichtigsten Entscheidungen getroffenwurden? Nach dem Vertrag von Amsterdam wird sichkeiner mehr herausreden können, daß es die institutio-nellen Voraussetzungen nicht gebe. Es gibt sie. Es stelltsich nur die Frage nach dem politischen Willen und derEntschlossenheit der europäischen Akteure, sie zu nut-zen.
Die wichtigste Weichenstellung, die wir in der näch-sten Zeit werden vornehmen müssen, betrifft das Ver-hältnis der internationalen Organisationen zueinander.Wenn wir eines aus der Katastrophe auf dem Balkangelernt haben sollten, dann ist dies die Erkenntnis, daßwir auf der einen Seite hinsichtlich der Systeme koope-rativer Sicherheit und auf der anderen Seite hinsichtlichder Systeme kollektiver Verteidigung Ordnung in unserDenken bringen müssen. Die NATO ist eben keineErsatz-UNO und würde sich völlig überheben, wollte siesich in diese Richtung entwickeln.UNO und OSZE sind Systeme kooperativer Sicher-heit, die konfliktverhindernd, konfliktentschärfend undkonfliktbeendend nach innen wirken sollen. NATO undWEU sind zunächst einmal Systeme kollektiver Vertei-digung, die ihre allererste Aufgabe darin zu sehen ha-ben, der Bedrohung eines oder mehrerer Bündnispartnervon außen entgegenzuwirken.Die NATO hat, um dieses Ziel erreichen zu können,eine Integrationstiefe erreicht wie kein anderes Verteidi-gungsbündnis in der Geschichte zuvor. Das schafft auchAbhängigkeiten. Das Recht der nationalen Parlamente,über die Beteiligung der eigenen Soldaten an militäri-schen Auseinandersetzungen in jedem einzelnen Fallselbst zu entscheiden, darf hierdurch nicht ausgehöhltwerden. Denn die NATO hat ihre einmalige Integrati-onstiefe nur dadurch erreichen können, daß sie zualler-erst als ein System kollektiver Verteidigung verstandenworden ist.Dies muß auch bei der Realisierung des neuen strate-gischen Konzeptes der NATO so bleiben. Wir solltenvorsichtig sein, einmal so eben von der „neuen NATO“zu sprechen.
– Sie sprechen vielleicht nicht davon. Aber manch ande-rer spricht und schreibt ganz fröhlich darüber.
– Das wäre in der Tat ein Kollateralschaden; denn dannmüßten wir über den Vertrag sprechen, und zwar hier,und wir müßten über seine in der Substanz veränderteGestalt abstimmen.
Die dann zu erwartende Debatte beinhaltet Risiken –deswegen will ich sie nicht –, die zum Gegenteil dessenführen könnten, was wir brauchen. Wir brauchen eineleistungsfähige, tief integrierte und auf Grund ihrespolitischen Zusammenhalts starke Nordatlantische Allianz.Alles, was sie schwächen könnte, sollte vermieden wer-den.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, daß wirhier in Deutschland einen breiten Konsens darüber ha-ben, daß die Mitgliedstaaten der Allianz ihre Entschei-dungen in den Rahmen des Völkerrechts und unter dasMandat der Völkergemeinschaft stellen. Vielleicht re-sultiert aus dem Kosovo-Krieg eine gewisse katalytischeWirkung, an deren Ende der Multilateralismus wiedereine Chance bekommt.Das setzt dann allerdings voraus, daß wir uns der Re-form von OSZE und UNO beherzt zuwenden.
Viele wollten das in den letzten Jahren nicht, weil sie dieUNO unter- und die NATO überschätzt haben. BeidenOrganisationen, die wir auch in Zukunft vor allem in ih-rer originären Funktion brauchen werden, wird man da-mit nicht gerecht. Natürlich wird es möglicherweisewieder Dilemmasituationen geben. Was tun, wenn diemoralische Verantwortung zum Handeln zwingt, aberder Legitimator nicht handlungsfähig ist?
Denn dann ist leicht die Büchse der Pandora geöffnet.Deshalb muß deutlich bleiben, daß die Berufung auf dieethische Notsituation das Völkerrecht nicht zur Dispo-Dr. Werner Hoyer
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3133
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sitionen stellen darf. Wir müssen deutlich machen, daßdas Völkerrecht nicht in einen künstlichen Gegensatz zuEthik und Moral gebracht werden darf, sondern fürsich genommen eine höchst moralische Qualität besitzt.Also muß der absolute Ausnahmecharakter einersolchen Notsituation klar sein. Wir müssen über dieKriterien diskutieren, die als Sicherung gegen eine miß-bräuchliche Nutzung des Arguments der humanitärenNotsituation herangezogen werden könnten. Denn be-denken wir: Es könnten auch andere auf die Idee kom-men, diesen Argumentationszusammenhang für ihreZwecke und Ziele zu bemühen.Meine Damen und Herren, Cora Stephan schreibt inder „Welt“ vom 1. Mai:Es ist ... ein schrecklicher Irrtum, wenn Politikerauf Moralmission behaupten, in Fragen von Lebenund Tod komme es nicht so auf die Regeln und dieFormen an. Nichts könnte falscher sein. Mit Regelnund Regularien schützen sich Soldaten und Armeenund die Gesellschaften, die sie entsenden, seit Tau-senden von Jahren vor der völligen Entfesselungdes Krieges und vor dem eigenen Irrtum.Das heißt für uns, daß wir eine Verpflichtung haben,den Menschen in Serbien eine Perspektive zu geben, unddies muß eine europäische Perspektive sein. Deswegenstimme ich den Überlegungen, soweit sie bisher schondeutlich geworden sind, bezüglich eines Stabili-tätspakts für den Balkan zu. Nur, wir müssen dieseChance mit Verstand und Engagement ergreifen, nichtmit dem alten Rigorismus der Friedensbewegung, die– da bemühe ich noch einmal Cora Stephan – die Politikwieder zu bestimmen scheint:diesmal nicht mit einem pazifistischen, sondern miteinem moralischen Imperativ, der ebenfalls dazuangetan ist, alle Argumente unterhalb der großenmoralischen Geste für belanglos zu erklären.Am Ende kommt in der Tat wieder Politik, meineDamen und Herren, und die hat sehr viel weniger, alswir uns das wünschen, mit Prinzipien zu tun als mitAbwägen, mit Vermitteln und mit Kompromissen. Des-wegen ist es an der Zeit, daß wir über diesen furchtbarenKrieg hinausdenken und nicht nur fragen, wie wir denKrieg bewältigen können, sondern auch, wie wir denFrieden gewinnen und bewahren können.Herzlichen Dank.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Rita Grießhaber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Zeitengroßer außenpolitischer Herausforderungen verhandelnwir heute einen Haushalt, der schon in sogenanntennormalen Zeiten einen großen prozentualen Nachholbe-darf im Vergleich zum Gesamthaushalt aufweist. Seitder deutschen Einheit und dem Zerfall der Sowjetunionhaben sich nicht nur in Mittel- und Osteuropa gewaltigeVeränderungen vollzogen, auch die Entwicklung in Asi-en und Afrika stellt die deutsche Außenpolitik vor neueund große Herausforderungen. Im Haushalt des Aus-wärtigen Amtes hat sich das nur in den Jahren unmittel-bar nach 1990 widergespiegelt. Danach herrschte wiederBescheidenheit.Bescheidenheit in der finanziellen Ausstattung be-deutet jedoch nicht Bescheidenheit in den politischenZielen. Das gilt nicht nur für die Bundesregierung; dasgilt ganz besonders auch für den Außenminister. Nun istes sicher richtig: Es gibt keine grüne Außenpolitik. Aberwir Grüne wissen sehr zu schätzen, welche AkzenteJoschka Fischer in den letzten Monaten gesetzt hat:
Das geht vom Empfang des chinesischen Menschen-rechtlers Wei Jinsheng bis hin zu seinem unermüdlichenEinsatz für eine politische Lösung im Kosovo. Es ist derFischer-Friedensplan, der den UN-Generalsekretär wie-der ins Rampenlicht rückt. Dieser Plan legt nicht um-sonst Wert auf die Einbindung Rußlands und das Bemü-hen um ein UN-Mandat für eine Sicherheitstruppe, dieihren Namen verdient.Für diesen engagierten Einsatz in den letzten Wochenund Monaten möchte ich dem Minister herzlich danken,aber nicht nur dem Minister, sondern auch den Mitar-beiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes.
Sie mußten sich ja nicht nur auf den neuen Minister ein-stellen. Die EU-Ratspräsidentschaft gleich nach demRegierungswechsel war und ist eine große Herausforde-rung. Der Krieg im Kosovo fordert alle über ihre Gren-zen hinaus.
Auch wenn der Krieg, den Milosevic gegen die Be-völkerung des Kosovo begonnen hat, zur Zeit alles über-schattet, gilt unsere Sorge auch unvermindert der Ent-wicklung in Rußland. Es ist gut, daß Rußland auf diepolitische Bühne zurückgekehrt ist, zuerst über dieKontaktgruppe in Rambouillet, jetzt mit dem russischenKosovo-Beauftragten Tschernomyrdin. Unser Bemühenmuß es jetzt sein, alles zu tun, damit Rußland von derserbischen Schutzmacht zum Vermittler im Kosovowird.Wohin sich Rußland entwickeln wird, ist noch langenicht entschieden. Es ist die Aufgabe des Westens undder deutschen Außenpolitik, die Kräfte für Demokratieund Marktwirtschaft zu stützen. Auch in Rußland be-ginnt, wenn auch zaghaft, die Diskussion, wie neue ag-gressive, totalitäre Systeme an ihrer Ausbreitung gehin-dert werden können. Ob es solchen Ansätzen gelingt,mehrheitsfähig zu werden, wird über die Zukunft Ruß-lands entscheiden. Unsere Rußlandpolitik braucht mehrDr. Werner Hoyer
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3134 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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als Männerfreundschaften und Wirtschaftskredite. Siemuß substantiell den schwierigen Demokratisierungs-prozeß unterstützen.
Das Ende der Blockkonfrontation zeigt, daß es beiimmer mehr Konflikten nicht um zwischenstaatliche,sondern um innerstaatliche Auseinandersetzungen geht.Gerade deshalb brauchen wir eine Reform der Verein-ten Nationen. Wir brauchen einen Sicherheitsrat, derseiner weltpolitischen Verantwortung gerecht wird, undwir brauchen ein Völkerrecht, in dem die Durchsetzungder Menschenrechte und die Wahrung staatlicher Souve-ränität zu einem neuen Gleichgewicht finden, Herr Hoy-er. Mit Kofi Annans Worten:Regierungen dürfen sich nicht mehr hinter Staats-grenzen verstecken können, wenn sie Menschen-rechte verletzen.Wie schwer es der Europäischen Union immer nochfällt, zu einer gemeinsamen Außenpolitik zu finden,hat einmal mehr die Diskussion in der Menschenrechts-kommission der Vereinten Nationen in Genf gezeigt. Soist es im Rahmen der EU-Präsidentschaft nicht gelun-gen, eine Resolution zu China einzubringen. Um sowichtiger waren die klaren Worte von AußenministerFischer in Genf. Zehn Jahre nach der blutigen Nieder-schlagung der Demokratiebewegung muß die chinesi-sche Führung wissen, daß die Massaker von damalsnicht vergessen sind und daß die Menschenrechtsverlet-zungen von heute nicht gebilligt werden.
Die Notwendigkeit eines starken europäischen Enga-gements wurde in diesem Hause schon viel beschworen.Ich begrüße sehr, daß die Kollegen Schäuble undLamers in ihrem gestern in der „FAZ“ veröffentlichtenPapier betonen, daß auch sie die vom Außenminister inStraßburg angestoßene Verfassungsdebatte wollen.
Wenn es hier Gemeinsamkeiten geben soll, setzt diesallerdings voraus, daß Sie Ihre innerparteilichen Diskus-sionen über den europapolitischen Kurs entscheiden. Füruns bedeutet Europa: demokratische Strukturen, einerechtsstaatliche Verfassung und transparente Institutio-nen. Diese Verdeutlichung, daß Europa gelebte und le-bendige Demokratie sein soll, daß der Wille, sich ge-meinsam demokratische Strukturen und Institutionen zuschaffen, Europa ausmacht, kommt mir in Ihrem Papierzu kurz. Denn ein Verfassungsvertrag Europas darf nichtnur eine einfache technokratische Gebrauchsanweisungsein. Die Debatte um die Verfassung selbst ist eineChance, die Legitimität der EU zu festigen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zumSchluß zu dem Thema zurückkommen, das uns zur Zeitam meisten beschäftigt. Ein Ende des Krieges im Koso-vo wird es nur geben, wenn wir allen involvierten Län-dern Perspektiven in einer gesamteuropäischen Frie-densordnung bieten. Dafür brauchen wir ein langfristigangelegtes Konzept, mit dem wir den Weg Südosteuro-pas nach Europa unterstützen, das heißt einen Stabili-tätspakt für die Region.
Er muß auf den verschiedenen Ebenen Signale für dieHeranführung der Region an die EU aussenden.Der 50. Geburtstag des Europarates, den wir heutebegehen, und andere Jubiläen in diesem Jahr führenuns vor Augen, wie wichtig multilaterale Einrichtun-gen von der UNO und der NATO bis zur OSZE warenund sind. Auch Südosteuropa braucht mehr multinatio-nale Netze.Sehr beeindruckt hat mich in diesem Zusammenhangdie Rede der bulgarischen Außenministerin Michailowaim Auswärtigen Ausschuß. Es ermutigt, zu hören, inwelchem Umfang die Prinzipien der EU in Bulgarienangekommen sind. Die Bemühungen um einen fairenAusgleich mit den nationalen Minderheiten und die An-strengungen über die Landesgrenzen hinweg zu einerguten Kooperation mit allen Nachbarn – beispielhaft da-für steht der bulgarisch-mazedonische Vertrag – sindwichtige Silberstreifen am südosteuropäischen Horizont.Das Gegenteil – das ethnisch-nationalistische Macht-prinzip in Belgrad, das die ganze Region destabilisiertund noch in Angst und Unruhe versetzt – darf in Europakeine Zukunft haben.Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Fred Gebhardt.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! „Deutsche Außenpolitik ist Frie-denspolitik“, so heißt es in der bündnisgrünen-sozial-demokratischen Koalitionsvereinbarung. Wie weit dieserSatz von der Realität entfernt ist, erfahren wir seit nun-mehr sechs Wochen. Heute ist der Tag 43 des Kriegesgegen Jugoslawien, und ein Ende ist nicht in Sicht. Istdas eine neue deutsche Friedenspolitik?Dabei hätte die neue Regierung durchaus die Mög-lichkeit gehabt, die Ernsthaftigkeit der Koalitionsverein-barung unter Beweis zu stellen. Sie hätte deutliche Zei-chen setzen können, wie sie ihre Friedenspolitik ent-wickeln möchte. Das ist nicht geschehen. Statt einenBeitrag zur Zivilisierung der internationalen Beziehun-gen zu leisten und die Zusage der alten Bundesregierungzur Beteiligung der Bundeswehr an einem NATO-Einsatz in Jugoslawien zumindest einer Überprüfung zuunterziehen, hat sie den Marschbefehl unterzeichnet.Statt ein deutliches Signal in Richtung Abrüstung zusetzen, zumindest jedoch weiterer Aufrüstung eine Ab-Rita Grießhaber
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sage zu erteilen, überschlagen sich die Beschaffungs-vorhaben geradezu.Dies ist beschämend genug für eine Regierung, dieangetreten ist, Friedenspolitik mehr Raum zu geben.
Vollends zur Farce wird die neue Friedenspolitik durchdie deutsche Beteiligung am Krieg der NATO gegen Ju-goslawien. Meine Damen und Herren, ich gehöre einerGeneration an, die den letzten großen Krieg noch selbsterlebt hat. Das ist sicher ein Grund dafür, daß ich heutenicht zu denen gehöre, die im Vertrauen auf eine überle-gene Militärtechnik einem Krieg zustimmen – schon garnicht, wenn er rechtswidrig ist.In jedem Krieg sind Menschen die Leidtragenden.Dies ist bei diesem Krieg, der angeblich aus humanitä-ren Gründen geführt wird, nicht anders. Keine einzigeder bisher abgeworfenen Bomben hat dazu geführt, dasLeid der kosovo-albanischen Bevölkerung zu vermin-dern. Im Gegenteil: Die Vertreibungen und Greueltaten,die von der jugoslawischen Armee, von den Paramilitärsund Polizeieinheiten ausgehen, sind weiter eskaliert. Essind die Kosovaren, gegen die sich der Haß entlädt, andenen Vergeltung für die NATO-Bombardierungengeübt wird.
Es sind nicht nur die Kosovaren, die unter diesenAngriffen leiden. Angeblich richtet sich der Krieg nichtgegen das jugoslawische Volk, sondern nur gegen seineFührung.
Aber das gesamte Volk leidet. Die Bomben der NATOfallen längst nicht nur auf militärische Ziele,
sondern zerstören die Infrastruktur, verseuchen die Um-welt und vernichten damit auf lange Zeit die Lebens-grundlagen der Bevölkerung.
Angesichts dieser umfassenden Zerstörung zu behaup-ten, daß der Krieg aus humanitären Gründen geführtwerden muß, ist zynisch.
Wenn Friedenspolitik ihrem Namen gerecht werden soll,kann es nur eine Konsequenz geben: Der Krieg, dernichts gelöst hat, aber alles verschlimmert, muß beendetwerden.
Die deutsche Außenpolitik wird immer mehr vonmilitärischen Überlegungen dominiert.
Und es ist zu allem Überfluß eine Regierung aus Sozial-demokraten und Bündnisgrünen, die sich anschickt, die-se von den Konservativen begonnene Entwicklung zuvollenden.Die Haushaltsplanung der neuen Bundesregierungsieht allein für Auslandseinsätze der Bundeswehreinen Betrag von 1,25 Milliarden DM vor. Ich rede hiervon der momentanen Planung. Denn welche Einsätze imNATO-Rahmen noch kommen – jetzt, da die neueNATO-Strategie offiziell beschlossen ist –, kann bei derFreude der neuen Regierung an militärischen Interven-tionen nicht abgesehen werden.Demgegenüber stehen folgende Zahlen für friedens-politische Aktivitäten: Gerade einmal 69 MillionenDM sind für humanitäre Hilfeleistungen vorgesehen,10,7 Millionen DM für friedenserhaltende Maßnahmender Vereinten Nationen und 17 Millionen DM für Minen-räumung im Rahmen der Ausstattungshilfe. Selbst wennman noch die an anderer Stelle im Haushalt eingefügtenPosten von 5 Millionen DM für den zivilen Friedens-dienst und 2 Millionen DM für Konfliktforschung hinzu-rechnet, übersteigt die Summe der friedenspolitischenMaßnahmen der neuen Bundesregierung nur knapp denBetrag von 100 Millionen DM.Die Gegenüberstellung der Zahlen zeigt deutlich, wodie Bundesregierung ihren Schwerpunkt setzt. Die Poli-tik der Bundesregierung spiegelt wider, was die Rich-tungsdebatte um die neue NATO-Strategie ausmachte:Bei allen Details ging es im Kern um die Frage, ob dermilitärische Faktor gestärkt, ob sein Einfluß ausgebautbzw. auf altem Niveau gehalten wird. Die Ergebnisseder Debatte zeigen, wohin der Weg geht: zu einer Stär-kung des militärischen Faktors. Dies ist nicht der Wegzu einem zukunftsträchtigen Frieden in Europa oder garweltweit. Das neue Strategiekonzept der NATO machtden Frieden nicht sicherer, sondern gefährdet ihn be-trächtlich.
Darüber täuscht auch nicht der Außenminister hin-weg, der seiner Klientel in der „taz“ noch vor demJubelgipfel, nämlich am 15. April, weiszumachen suchte:Das Kosovo ist und bleibt ein Ausnahmefall. Nie-mand sollte denken, das sei die neue Regel derneuen NATO.
– Nein, Herr Fischer, so ist es nicht.
Jugoslawien wird nicht die Ausnahme bleiben. Es mar-kiert den Beginn einer neuen Strategie.Fred Gebhardt
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Im übrigen, meine Damen und Herren: Wie glaub-würdig ist es, wenn die selbsternannten Wächter dergemeinsamen Werte diese in Jugoslawien mit Bombenund Raketen angeblich verteidigen, sie ihnen aber inihrem eigenen NATO-Haus nicht einmal deutlicheWorte wert sind, wie das Beispiel Türkei zeigt?Schließlich sind die dortigen Verhältnisse denen imKosovo gar nicht so unähnlich.Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich bin nichtder Ansicht, daß die NATO gegen die Türkei Waffen-gewalt androhen oder anwenden sollte. Dies lehne ichab, so wie ich auch Bombenangriffe auf Jugoslawienablehne. Jedoch finde ich es unerträglich, daß die NATOkeinen ernsthaften Versuch unternommen hat, die Tür-kei von ihrem Krieg gegen die kurdische Bevölkerungabzubringen.
Daß sie in ihrem eigenen Bündnis die Einhaltung derMenschen- und Minderheitenrechte nicht einmal mitoffenen Worten anmahnt, wirft ein bezeichnendes Lichtauf die Doppelmoral der NATO-Partner, stellt dieGlaubwürdigkeit ihrer Werteverteidigung in Frage undgibt einen erschreckenden Ausblick auf das, was zu er-warten sein mag, wenn die neue NATO-Strategie erstvollends entfaltet wird.Wie glaubwürdig ist eine Politik, die Kriegführung ausangeblich humanitären Gründen legitimiert, jedoch dieeigenen Grenzen vor den Menschen verschließt, die dieHauptleidtragenden des Konflikts sind, der durch Bombennoch verschärft wird? Es ist beschämend, mit welcherVehemenz am mehr als fragwürdigen Konzept der fastausschließlichen Hilfe vor Ort festgehalten wird, obwohldie Hauptaufnahmeländer mit ihrer unzureichenden Infra-struktur vom Andrang der Flüchtlinge überfordert sindund eine weitere Destabilisierung der gesamten Regiondroht. Auch die vom Innenminister gerade erfolgte Zusa-ge zur Aufstockung des Vertriebenenkontingents auf20 000 ist angesichts der bislang mehr als 600 000 Men-schen, die in Anrainerstaaten Jugoslawiens Zuflucht ge-sucht haben, weiterhin unzureichend. Ich glaube, die De-vise kann nicht sein, weitere Militärpakte dieser Art auf-rechtzuerhalten. Die Devise muß vielmehr lauten: Abrü-sten, Reduzieren des Militärs, Abbau seines Einflusses.Die Stärkung der NATO ist der falsche Weg. Zu leichtund zu schnell führt er – das erleben wir in diesen Tagen– in den Krieg. Wir werden diesen Weg nicht mitgehen.
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesminister Joschka Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchtemich bei den Vorrednerinnen und Vorrednern rechtherzlich für das bedanken, was sie über den Auswär-tigen Dienst gesagt haben. Ich freue mich ganz beson-ders über die angekündigte Unterstützung bei den kom-menden Haushaltsberatungen.
– Des ganzen Hauses! Wenn es das ganze Haus wäre,wäre ich hochzufrieden. Wenn noch der Finanzministerdabei wäre, wäre ich noch zufriedener;
denn eine der Übungen ist: Die Fachpolitikerinnen undFachpolitiker sind sich beim Einzelplan des Außenmini-sters – und nicht nur dort – in der Regel über die not-wendige Verstärkung schnell einig, aber das sagt nichtsüber das Gesamtergebnis aus.Angesichts der Situation, die der Finanzministeroffenbart hat, und angesichts dessen, was an Sparzwän-gen auf uns zukommt – ich möchte keine parteipoli-tische Wertung vornehmen, sondern das einfach nur inden Raum stellen –, fürchte ich, daß wir sehr beten müs-sen, damit vieles von dem, was versprochen wurde, aucheingehalten wird.Sie haben einige richtige Punkte angesprochen, HerrKollege Hoyer. Das betraf die Personalausstattung, vorallen Dingen den Nachwuchs. Ich denke, die Qualitätdes Nachwuchses ist der Ast, auf dem der AuswärtigeDienst der Bundesrepublik Deutschland zu Recht sitztund auf den er stolz sein kann. Ihn würden wir mit Kür-zungen absägen.
Wenn es sieben Jahre und mehr dauert, bis das Probe-verhältnis beendet ist und es zu einer Festeinstellungkommt, dann wird sich das auf den ausgewählten Nach-wuchs auswirken. Die Konkurrenz um hochqualifizier-ten Nachwuchs ist heute groß. Die Bezahlung ist auchbei denen sehr gut, die eine Karriere beginnen, wenn siedie entsprechenden Voraussetzungen mitbringen. DerAuswärtige Dienst lebt noch viel mehr als andere Be-reiche der Bundesverwaltung von der Qualität derBeschäftigten. Insofern sehe ich das mit großer Sorge.Gestatten Sie mir aber, daß ich all die vielen Proble-me, die Sie angesprochen haben, angesichts der drän-genden politischen Fragen, auf die ich hier zu sprechenkommen möchte, in den Hintergrund stelle. Ich teile dasmeiste von dem, was in den Detailfragen angesprochenwurde.Lieber Fred Gebhardt, wir müssen nicht einer Mei-nung sein. Aber ich frage mich, warum es angesichts derdramatischen Situation im Kosovo zu einem solchenAusblenden von wesentlichen Teilen der Realitätkommt.
Ich würde diese Diskussion ja ernsthaft führen, wenn esnicht einen zehnjährigen Vorlauf mit Milosevic und sei-ner Politik gäbe. Das wird regelmäßig ausgeblendet.
Es wird regelmäßig ausgeblendet, daß es nicht eineblutrünstige, kriegslüsterne NATO gibt. Statt dessen ha-Fred Gebhardt
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ben wir zehn Jahre Appeasement-Politik gemacht – esgab ein Nichteingreifen, das die UN in eine substantielleKrise führte. Ich erinnere an die Bilder von an Laternen-pfähle angebundenen, vergeiselten Blauhelmen, die alle,die ein Interesse an starken Vereinten Nationen haben,im Mark erschüttert haben müssen, weil sie diese Insti-tution im Kern geschwächt haben.Ich darf doch daran erinnern, daß die „sicheren Hä-fen“, die auf Beschluß des Sicherheitsrates eingerichtetwurden, dazu geführt haben, daß wir bis heute nicht ge-nau wissen, was aus den 6 000 bis 7 000 Männern ge-worden ist. Wir gehen davon aus, daß sie in Massengrä-bern liegen, obwohl sie sich eigentlich in die Obhut derVereinten Nationen in Srebrenica begeben haben.Wir haben doch die Erfahrung gemacht, daß allesversucht wurde, damit es nicht zur militärischen Inter-vention kommt, daß Peace keeping Vorrang hatte. Dashatte zur Konsequenz, daß dies 200 000 Menschen inBosnien mit dem Leben bezahlen mußten, daß es Mas-senvergewaltigungen von Frauen und Konzentrationsla-ger gegeben hat. Es gab doch eine barbarische Vertrei-bungspolitik und in Bosnien sogar eine Vernichtungs-politik gegenüber den Muslimen. Das kann man dochnicht ignorieren.Dies alles ging von einer bestimmten Politik aus. Dasmöchte ich Ihnen, lieber Fred Gebhardt, und auch allenanderen sagen. Die „Frankfurter Rundschau“ ist über je-den Verdacht, daß sie eine Postille von Kriegstreibernsei, erhaben. Ich kann nur empfehlen, ihre Dokumenta-tionsseite vom 28. April 1999 zu lesen. Dort wurde dieDenkschrift des jugoslawischen Historikers Vaso Cu-brilovic von 1937 in einer nur wenig gekürzten Form –Wiederholungen wurden herausgenommen – über dieVertreibung der Albaner veröffentlicht. Man könntemeinen, das wäre das Programm des Jahres 1999. Es istaber 1937 geschrieben worden. Dies war auch dieGrundlage der Erklärung der serbischen Akademie derWissenschaften von 1986. Auf dieser Grundlage fußt diePolitik, die wir heute sehen. Daher verstehe ich nicht,daß man nicht begreift, daß es sich hierbei um eine völ-kische Politik handelt, die sich auf die Überhöhung dereigenen Nation gründet, die einen Kampf um Lebens-raum gegenüber einem anderen Volk programmatischthematisiert und dann mit den brutalsten Mitteln – zudenen man sich schon damals bekannt hat – umzusetzenversucht. Dies ist seit 1991/92 im ehemaligen Jugosla-wien der Fall. Nur das hat die Völkergemeinschaft zumEingreifen gezwungen und zwingt sie weiterhin zumEingreifen; ansonsten würden wir dieses Europa nichtwiedererkennen.
Ich kann Ihnen diesen Artikel nur zur Lektüre emp-fehlen. Es wird Ihnen dann wie Schuppen von den Au-gen fallen. Man wird dies allerdings nicht verstehen,wenn man – das ist natürlich eine völlig andere Diskus-sion – an alten Feindbildern aus dem Kalten Krieg fest-hält – man hat zu der Zeit ja auch auf unterschiedlicherSeite gestanden – und meint, die Fortsetzung des KaltenKrieges gegen die NATO unter heutigen Bedingungenführen zu können. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie werdenmerken, daß Sie sich da täuschen. Es geht im Kosovonicht nur um Menschenrechte. Es geht nicht nur um dasSchicksal von mittlerweile über 1 Million Menschen. Esgeht nicht nur um das furchtbare Schicksal der Ermor-deten und der Vertriebenen. Es geht auch darum, ob indieser Region das Europa der Integration die Zukunftbestimmen wird oder ob man zum Europa der Vergan-genheit zurückkehrt.
Wenn man mit den Anrainerstaaten spricht, stellt manfest, daß alle drei Dinge wollen: Sie wollen Demokra-tie, sie wollen einen ähnlichen Wohlstand wie wir ihnhaben – den wollen sie durch den Beitritt zur EU ge-währleisten –, und sie wollen Sicherheit; die wollen siedurch den Beitritt zur NATO gewährleisten. Das ist derKern dessen, worum es geht. Unter NATO verstehendiese Länder nicht, daß sie – ich komme nachher nocheinmal darauf zu sprechen – an einem neuen imperiali-stischen Großunternehmen zur Beherrschung der Weltteilhaben sollen. Nein, sie wollen Sicherheit in ihrenGrenzen, sie wollen Sicherheit voreinander und für sich.Das ist es, was sie mit der NATO verbinden. Sie wollenwirtschaftliche Entwicklung und einen ähnlichen Wohl-stand, eine Teilhabe an Lebenschancen, wie wir sie ha-ben, durch den Beitritt zur Europäischen Union ge-währleisten. Ich sage ganz bewußt: Auf der Grundlagevon Demokratie gehört für uns das serbische Volk mitseinen legitimen Interessen selbstverständlich mit dazu.
Die große Tragödie – das kann man doch auch undgerade aus der deutschen Geschichte lernen – ist esdoch, daß immer dann, wenn sich der Name eines Vol-kes zum nationalistischen Programm überhöht und dannnoch mit dem Zusatz „groß“ versehen wird, solche Din-ge passieren wie jetzt in Jugoslawien. „Großdeutsch-land“ hieß es bei uns: Was hat das in unserem Land anFurchtbarem angerichtet! Wenn ich „Großserbien“ oderirgendein anderes nationalistisches Adjektiv in Verbin-dung mit dem Namen eines Staates höre, dann weiß ichimmer schon: Es läuft auf die Selbstzerstörung einesVolkes hinaus. Jeder dieser Nationalismen auf demBalkan hat ja ein solches Programm, das Veränderun-gen auf den Landkarten mit sich bringt, die auf Vertrei-bungen, auf Mord und auf Totschlag hinauslaufen. Ichkann davor nur warnen. Insofern müssen gerade dieLänder dieser Region an das Europa der Integration her-angeführt werden. Das ist die Aufgabe unseres Stabili-tätspaktes.
Wünschen Sie, daß ich die Fragen, die heute morgenvom Kollegen Glos gestellt worden sind, heute beant-worte, oder soll ich sie in der Freitagsdebatte beantwor-ten? In den Ausschüssen haben wir sie schon beantwor-Bundesminister Joseph Fischer
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tet. Wenn Sie sie auch im Plenum beantwortet wün-schen, kann ich sie jetzt beantworten.
– Gut, dann kann ich Ihnen vielleicht vor der Fraktions-sitzung eine klare Antwort geben. Die Frage nach derBewaffnung würde ich gerne dem Kollegen Scharpingfür seine Haushaltsdebatte überlassen, weil sie in der Tateine originäre Frage des Verteidigungsministeriums ist.Ich habe mir diese Frage aus der Rede von HerrnGlos extra aufgeschrieben: Wie weit soll die Nothilfedurch deutsche Soldaten im Ernstfall gehen? – DieNothilfe bezieht sich innerhalb des Stationierungsge-bietes – und zwar nur innerhalb des Stationierungsge-bietes – auf in Gefahr geratene Angehörige internatio-naler humanitärer Organisationen und auch auf Mitglie-der nationaler humanitärer Organisationen der Bundes-republik Deutschland. Sie bezieht sich auch auf Angehö-rige von verbündeten Streitkräften im Stationierungsge-biet.Ich möchte auch die Frage „Warum jetzt?“ gleich be-antworten. Ich habe das schon heute morgen im Aus-schuß erläutert. Wir wußten, daß die Stationierung vonBodentruppen angesichts der Situation humanitär not-wendig ist. Der Kollege Pflüger war in Albanien; er hatdie Situation vor Ort erleben können. Die aktuellenTagesnachrichten bringen immer neue Vertreibungs-zahlen. Albanien ist willens, das Problem innerhalb sei-ner Grenzen zu lösen, aber ohne internationale Hilfe da-zu nicht in der Lage. Wir haben erlebt, daß die humani-tären Organisationen überfordert sind, wenn das Militärdas nicht macht. Die NATO hat jetzt einen entsprechen-den Stab in Albanien disloziert. Es sollen dort etwa8 000 Soldaten zum humanitären Einsatz kommen. DieBundesrepublik Deutschland will sich daran mit bis zu1 000 Soldaten beteiligen, um die humanitäre Katastro-phe dort abwenden zu können.Mit Blick auf die Finanzen füge ich gleich hinzu:Wir werden die Herausforderung haben, winterfesteQuartiere zumindest für einen Teil der Vertriebenen ein-richten zu müssen, selbst wenn wir – was ich hoffe –unverzüglich zu einem Schweigen der Waffen und– unter internationalem Schutz – zu einer Rückkehr derVertriebenen in den Kosovo – aber dort haben wir esebenfalls mit massiven Zerstörungen zu tun – kommenkönnen.Ich kann Ihnen nur nochmals klar versichern: Wirwollten – und das haben wir erreicht – eine solche Ent-scheidung nicht vor dem Gipfel in Washington treffen,weil die Debatte um das Ja oder Nein von Bodentrup-pen vorher sehr viele Unklarheiten geschaffen hat undweil wir sonst eine ganz andere Debatte bekommenhätten. Darüber hinaus wollten wir die Dinge so durch-arbeiten, daß auch nicht der Hauch eines Zweifels daranbestehen kann, daß es sich nicht um die Dislozierungvon Bodentruppen durch die Hintertür handelt.Eines will ich Ihnen klipp und klar sagen – der Bun-deskanzler hat das heute schon betont –: Die Bundes-regierung lehnt eine Veränderung ihrer bisherigen Posi-tion zum Thema Bodentruppen ab; und ich kenne auchkeine Stimmen im Bündnis, die diese Veränderung for-dern. Wir sehen dazu keine Notwendigkeit. Meines Er-achtens wäre jede Bundesregierung auch völlig auf demIrrweg, wenn eine solche Entscheidung – so sie dennnotwendig werden würde – nicht offen als eine strategi-sche Änderung im Parlament diskutiert würde. Das wür-de die Mehrheit dieses Hauses erfordern. Diese Mehr-heit ist nicht gegeben; das sagen wir allen Bündnispart-nern, und zwar auf allen Ebenen: ob in Washington, obin Brüssel, ob bilateral, ob in Telefonkonferenzen, diefast täglich stattfinden.Das waren ganz offensichtlich – auch das muß einein der Verantwortung stehende Bundesregierung zurGrundlage ihrer Entscheidung machen – die Gründedafür, daß wir die Entscheidung zum jetzigen Zeit-punkt eingefordert haben. Das hat nichts – das wurdeuns ja immer unterstellt – mit einem Parteitag zu tun;der findet später statt. Es hat nichts mit dem 1. Mai zutun; ein solches Argument ist albern. Ausschlaggebendwar allein dieses sachliche und, wie ich finde, sehrzwingende Argument. All dies haben wir Ihnen jetztdargelegt.Bei der Nothilfe geht es nicht um Selbstverteidigung.Aber können wir denn zum Beispiel französischen Part-nern, mit denen wir im Süden Albaniens gemeinsamhumanitär tätig sind, falls sie in eine bedrohliche Situa-tion kommen, die Nothilfe verweigern?
Können wir diese Nothilfe humanitären Organisationenim Stationierungsgebiet, wenn sie in eine prekäre Situa-tion kommen, verweigern? Allen Ernstes: Nein. Es gehtnur um diese Nothilfe und um nichts anderes. Ich bitte,das festzuhalten.Es wurde die Frage der Apache-Hubschrauber unddamit die Frage einer Nothilfe im Gebiet der Bundes-republik Jugoslawien angesprochen. Das wird durcheine Formulierung, die wir bewußt in den Antrag hin-eingeschrieben haben, ausdrücklich ausgeschlossen.Zur Sicherheitslage unserer Soldaten wird der Vertei-digungsminister sicher noch ausgiebig Stellung nehmen.Nur soviel: Es geht um die Sicherheitslage in einemSpannungsgebiet, in einem kriegsnahen Gebiet: in Alba-nien und in Mazedonien. Das wollen wir nicht verheh-len. Ich möchte jedoch hinzufügen: In der Frage des En-gagements von Bodentruppen auf dem Boden der Bun-desrepublik Jugoslawien waren wir mit der Extraction-Force-Entscheidung wesentlich weiter als mit der jetztvor uns liegenden Entscheidung. Ich bitte Sie, auch daszu berücksichtigen.Der Bundesverteidigungsminister wird auch nochausführlich zu der Frage Stellung nehmen, wo die deut-schen Truppen stationiert werden. Sie werden imSüden Albaniens stationiert. Im Norden sollen es dieNiederländer und die Italiener sein, im Süden die Deut-schen und die Franzosen. Aber auch die Niederländerund die Italiener stehen nicht in dem Ruf, einenBodenkrieg indirekt, sozusagen durch die Hintertür, be-ginnen zu wollen.Bundesminister Joseph Fischer
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Neben der Frage der Bewaffnung sind das die Fragen,die gestellt wurden. Wir wurden gebeten, sie hier imParlament zu beantworten. Ich hoffe, ich konnte sie soausreichend beantworten, daß Sie damit zufriedenge-stellt sind.Wir hoffen, daß es auf dem G-8-Gipfeltreffen morgengelingt, gemeinsam mit Rußland und gemeinsam mit un-seren westlichen Partnern auf der Ebene der G 8 einenentscheidenden Schritt voranzukommen, so daß wir denFünf-Punkte-Plan in eine Kapitel-VII-Resolution umset-zen können. Wir glauben nicht, daß wir das schon morgenwerden erreichen können. Aber daß wir uns einen ent-scheidenden Schritt dorthin bewegen können, dieser Ver-such wird den Schweiß aller Edlen wert sein.Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben von Anfang aneine initiative Politik im Rahmen des Bündnisses zubetreiben versucht, und ich denke, das ist auch einiger-maßen gelungen. Der Fünf-Punkte-Friedensplan, derStabilitätspakt, die Einbeziehung von Kofi Annan, dieverstärkte Einbeziehung Rußlands und der VereintenNationen, all dieses zusammengenommen zeigt, daß wireine dynamische politische Rolle gespielt haben, aller-dings immer im Bündnis. Der Bundeskanzler hat heutezu Recht darauf hingewiesen: Dies alles wäre nichtmöglich gewesen, wenn in der Frage unserer militäri-schen Solidarität nicht zweifelsfrei Klarheit darüber be-standen hätte, daß wir im Bündnis, in der Solidarität mitunseren Bündnispartnern handeln und in dieser Solida-rität dann auch stehen, wenn sie gefragt ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch inaller Kürze den NATO-Gipfel ansprechen. Eine völligeVerkennung der Situation! Ich kann Ihnen nur sagen:Sie müssen die Ausgangspapiere kennen und mit demabgleichen, was wir jetzt erreicht haben. Das ist einKompromiß, selbstverständlich. In der US-Innenpolitikbekommen Sie nichts durch, was eine Unterstellung derNATO unter die UN mit sich brächte. Man mag das tei-len oder nicht teilen, es ist ein politisches Faktum, mitdem man rechnen muß. Und wenn man ein Bündnis mitden USA für unverzichtbar hält, und ich halte es – dasscheint uns zu unterscheiden – in der Tat für unverzicht-bar, dann muß man sich darauf einstellen. Selbst für einvereinigtes Europa wäre ein Verzicht auf die Präsenz derUSA in Europa meines Erachtens eine völlig falscheEntwicklung, die große Risiken mit sich brächte. Aberwenn ich dies in Rechnung stelle, dann muß ich eineKompromißformulierung finden. Nur, gerade auf demHintergrund der Kosovo-Erfahrung sage ich Ihnen: DerKosovo wird die Ausnahme bleiben. Das sage ich nicht,weil ich Ihnen hier ein X für ein U vormachen will, son-dern es zeigt sich: Die NATO ist ein Sicherheitsbündnisin Europa und für Europa. Alles andere wäre eine Über-forderung der NATO und würde sie letztendlich gefähr-den oder gar auf ihre Zerstörung hinauslaufen.
Alle in Washington haben – das hören Sie hinter verschlos-senen Türen und hinter vorgehaltener Hand – diese Erfah-rung mittlerweile auch als die ihre begriffen und entspre-chend umgesetzt. Dort hat niemand mehr von der „neuenNATO“, wie wir das ja noch vor einem halben Jahr, auchhier im Hause, gehört haben, von der Vision einer neuenNATO, sozusagen von einer raumausgreifenden Junior-partnerin für die Supermacht USA gesprochen, sondern esist völlig klar: Es handelt sich hier um ein Sicherheitsbünd-nis, um ein Bündnis für Europa und in Europa.Ich denke, wir sind gut beraten, dies auch im Zu-sammenhang mit anderen Organisationen zu sehen. DieOSZE in ihrer Funktion gewinnt nichts als Alternative,sondern als Ergänzung, auch und gerade als eine zweiteSicherheitssäule für die europäische Sicherheit. Das-selbe gilt für die Vereinten Nationen.Ich denke, gerade durch den Kosovo-Krieg sind zweiDinge klar geworden: Wir können für die Sicherheit inEuropa nicht auf die Partnerschaft mit Rußland ver-zichten, wobei Rußland sich durch seine Blockadehal-tung im UN-Sicherheitsrat ein Stück weit selbst auseiner produktiven Rolle herausgebracht hat, und wirkönnen auf eine substantielle Reform der VereintenNationen nicht verzichten.
Wenn das richtig ist und nicht nur leere Sprüche sind,was ich hier von allen Fraktionen über die Rolle derVereinten Nationen höre, dann müssen wir allen Ernsteseine Reform voranbringen, die eine Selbstblockade desSicherheitsrates als Inhaber des Gewaltmonopols in derTat verhindert.
Der Kollege Gysi hat heute morgen hier erklärt, inWirklichkeit würden die Amerikaner den Kosovo-Kriegführen, um Europa in neue Abhängigkeiten zu bringen;man könne das auch an der Entwicklung des DAX imVerhältnis zum Dow-Jones und ähnlichem ablesen.
Also, das ist nun wirklich Unfug. Das wird nur nochübertroffen von manchen Analysen in vollautonomenBlättern, die ich jüngst gelesen habe – das ist dann nochetwas kurioser. Ich kann euch sagen, liebe Leute: Das isteinfach abwegig. Das Problem des Unilateralismus istdoch nicht, daß hier eine böse Absicht einer US-imperialistischen Weltbeherrschungsstrategie besteht. Erist vielmehr das Ergebnis des Zusammenbruchs der So-wjetunion – woran dies wohl gelegen hat, das ist eineFrage, die ihr euch selbst mal stellen müßt –, und vor al-len Dingen ist er ein Ergebnis der Schwäche zum BeispielEuropas, zum Beispiel der Vereinten Nationen, die letzt-endlich immer noch den Strukturen des Kalten Kriegesund der unmittelbaren Nachkriegszeit verhaftet sind.
Bundesminister Joseph Fischer
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3140 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Wenn man eine Reform der Strukturen der VereintenNationen will, dann muß man sich in der Tat die Fragestellen, inwieweit man neue Konflikte, die nach dem Zu-sammenbruch von Staaten entstehen, regeln kann. Hiergibt es in der Tat einen Zusammenhang zwischen demKurdistan-Problem und dem Kosovo-Problem, zwischenOstwestafrika/Zentralafrika und dem Kosovo-Problem. Eswäre interessant, diese Zusammenhänge jenseits derIdeologien und der Polemik vertiefend zu erörtern. Ichmöchte nur hinzufügen: Wenn man eine solche Reformwill, dann muß man in der Tat eine Möglichkeit schaffen,daß das Veto im UN-Sicherheitsrat durch eine äußerstqualifizierte Mehrheit überwunden werden kann, oderman muß dieses Veto so an bestimmte Grundlagen derVereinten Nationen, etwa an bestimmte Konventionen,binden, daß es nicht mehr im nationalen Interesse genutztwerden kann. Wenn man das nicht macht, wird es immerwieder dazu kommen, daß die Staaten das Veto-Recht inihrem Sinne mißbrauchen.Wenn zum Beispiel die Volksrepublik China aus ih-rer Sicht zu Recht beleidigt und empört darüber ist, daßMazedonien Taiwan anerkannt hat, und deswegen dieVetokarte zieht, wenn es um die Verlängerung einessinnvollen Blauhelm-Mandats in Mazedonien geht, dannmacht dies das Problem klar, auf das ich hinweisenmöchte.
Ich muß mich jetzt aus Zeitgründen auf diese Punkte be-schränken. Ich hätte gern noch etwas zur Agenda 2000,zu Europa, zu den Menschenrechten und zur verändertenRolle Deutschlands in Europa und in der Welt in diesemZusammenhang gesagt. Aber meine Redezeit ist bereitsabgelaufen.Lassen Sie mich zum Abschluß nur noch eines hinzu-fügen: Wenn wir das alles tatsächlich zu einem politi-schen Ganzen zusammenfügen, dann werden wir fest-stellen, daß das letztendlich auf die Vollendung deseuropäischen Einigungswerkes hinausläuft. Ich sagedies ganz bewußt, und zwar so, wie ich es auch gesternim Europaparlament gesagt habe. In seiner Abschiedsre-de hat François Mitterrand gesagt: Nationalismus – dasist der Krieg. – Das Europa der Integration ist der Frie-den. Das erleben wir seit Jahrzehnten. Dieses Europa derIntegration zu vollenden war die Aufgabe des BerlinerGipfels. Vor uns liegt die Aufgabe, Frieden auf demsüdlichen Balkan zu stiften. Zu unserer Aufgabe gehörtauch die Integration von Ländern mit sehr schwachenÖkonomien wie Mazedonien, Albanien und anderenStaaten. Das wird für unser Land mit der größtenVolkswirtschaft in der Europäischen Union nicht weni-ger, sondern mehr Lasten, aber auch mehr Chancen mitsich bringen. Insofern ist die Vollendung der europäi-schen Integration, also die Herausbildung des politi-schen Subjekts „Europäische Union“, die große Auf-gabe, vor der wir ganz unmittelbar stehen und die wirbewältigen müssen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Professor Dr. Karl-Heinz Horn-
hues.
Frau Präsi-dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehrgeehrter Herr Minister! Heute morgen haben MichaelGlos und Wolfgang Schäuble schon deutlich gemacht– das ist auch in der vergangenen Sitzungswoche disku-tiert worden –, daß wir bezüglich der Grundfragen desKosovo-Konflikts hinter der Bundesregierung stehenund sie unterstützen. Wir sind Ihnen, Herr Minister, fürIhre hier gegebenen Antworten dankbar. Wir bittenallerdings dringend darum, die Opposition auch über dieweiteren Schritte – wie angemahnt und erbeten – inten-siv zu informieren; denn auch uns fällt es nicht immerganz leicht, jeden Schritt der Bundesregierung in diesemZusammenhang ohne weiteres zu verstehen. Es bedarfab und zu einer Erläuterung.
Ich wünsche, daß sich die Hoffnungen, die hier ange-klungen sind und die mit dem bevorstehenden G-8-Treffen verbunden werden, auch in dem angekündigtenMaße erfüllen werden. Wir hoffen, daß mit der NATO-Strategie letztendlich das erreicht werden kann, wasvorher nicht erreicht werden konnte, nämlich daß Ruß-land ins gemeinsame Boot zurückkehrt. Dies wäre wohlkaum denkbar gewesen, wenn die NATO nicht gehan-delt hätte. Zu glauben, dies hätte man vorher erreichenkönnen war blanke Illusion. Es ist lange versucht wor-den, mit Rußland im Rahmen der Beratungen in denVereinten Nationen zu einem Handlungskonzept zu ge-langen. Es gelingt erst jetzt.Dafür will ich denjenigen danken, die sich darumbemüht haben. Vor allen Dingen möchte ich demjenigenDank sagen, der Rußland die entscheidende Weichen-stellung zurück zu uns gegeben hat. Ich meine den russi-schen Präsidenten. Vor allen Dingen er war es, der inden letzten Tagen klar und deutlich entschieden hat, wo-hin der Weg Rußlands in letzter Konsequenz führen soll.Ich hatte die Gelegenheit, mit seinem Beauftragten indieser Frage, Herrn Tschernomyrdin, unmittelbar nachseiner ersten Rückkehr aus Belgrad zu sprechen. In binsicher, daß Rußland – auch um seiner eigenen Positionin Europa willen – mit größter Ernsthaftigkeit alle An-strengungen unternehmen wird, um zu einem Ergebniszu kommen, das unseren Grundvorstellungen entsprichtund mit dem wir einverstanden sein können. Mein be-sonderer Dank gilt der russischen Seite.
Ich habe mich gefreut, daß der Bundeskanzler heutemorgen dem russischen Präsidenten gedankt hat. DieserDank war überfällig. Ich habe mir eben aus dem Com-puter die Überschriften der Presseberichte zu seinemAntrittsbesuch in Moskau herausgesucht. Die Über-schrift in der „taz“ lautete: „Für Jelzin reichen heute30 Minuten“. Gleichzeitig berichtete die „taz“, Schröderhabe die halbe russische Opposition getroffen. Es gibtnoch ein paar andere Überschriften dieser Art.Bundesminister Joseph Fischer
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Ich freue mich, daß sich der Bundeskanzler einesBesseren besonnen hat. Er hat begriffen, daß Jelzin, überden so viel geredet, gelächelt und geschimpft worden ist,in dieser entscheidenden Phase vielleicht derjenige ist,der endlich zu einer Lösung verhelfen kann: Frieden fürdie Menschen im Kosovo, Rückkehr der Flüchtlinge inihre Heimat und eine langfristig sichere Zukunft.
Die Debatten in Rußland machen deutlich, daß diesalles nicht einfach ist. Wer sich die Resolutionen unsererverehrten Kolleginnen und Kollegen in der Duma, demrussischen Parlament, ansieht, der begreift, daß es füreine Regierung nicht besonders leicht ist, wenn sie dasParlament total gegen sich hat. Wir sollten begreifen,was wir vor uns haben, wenn wir davon reden, Rußlandmüsse ins europäische Boot, und wenn wir sagen, wirwollen mit Rußland gemeinsame Sache machen.Dieses russische Parlament ist zweifelsfrei frei ge-wählt und vertritt eine völlig andere Auffassung als wir.Dies gilt leider nicht nur für die Kommunisten und dieAnhänger von Schirinowskij, sondern auf breiter Front.Dies muß uns für die Zukunft zu denken geben. Wirmüssen überprüfen, in welchem Umfang es uns möglichsein kann, im Dialog mit unseren russischen Kollegenunsere Auffassungen einander so anzunähern, daß derGedanke „Rußland in Europa“ nicht nur eine Hoffnungbleibt, sondern gelebte Wirklichkeit wird.
In Rußland stehen im Dezember Wahlen an. Dies solltenwir im Auge haben. Wir können und wollen in diesemBereich unseren Beitrag leisten.Noch ist das Ziel nicht erreicht; Sie, Herr Minister,haben darauf hingewiesen. Wir müssen uns davor hü-ten, die Welt von morgen gestalten zu wollen, bevorwir den Punkt, von dem aus wir gestalten können, tat-sächlich erreicht haben. Ich gebe Ihnen recht, daß esnotwendig ist, über die Welt von morgen nachzuden-ken. Die Grundidee eines Stabilitätspakts für denBalkan ist richtig und findet unsere Unterstützung. Einsolcher Plan bedarf der Konkretisierung. Dies gilt vorallen Dingen dann, wenn das Problem Kosovo – soGott will – bald gelöst sein sollte. Ich erinnere daran,daß in diesem Hause, als in Dayton verhandelt wurde,ähnliche Gedanken erörtert und ähnliche Pläne ge-schmiedet worden sind. Als Dayton die Probleme an-scheinend löste, haben wir alle miteinander – ich sagedas bewußt – unsere Begeisterung für eine derartigeInitiative schnell vergessen; es gab schließlich andereProbleme, die vor uns lagen.Ich mahne an, bei der Grundidee auch dann zu blei-ben, wenn die Probleme, die uns jetzt zu diesen Überle-gungen führen, gelöst sind. Wir könnten schon einigender Länder, die wir im Blick haben, Beweise dafür ge-ben, daß unsere Reden sie nicht einfach nur für denMoment beruhigen sollen; vielmehr können wir einigekleine Schritte tun, die ihnen die Gewißheit geben, daßunserem Bemühen Ernsthaftigkeit zugrunde liegt.Frau Kollegin Grießhaber hat eben die bulgarischeAußenministerin zitiert. Es war schon überzeugend, wiediese die Haltung ihres Landes dargelegt hat. Es wäresicherlich auch für sie leichter, ihr Parlament in derDebatte über die Öffnung des eigenen Luftraums fürNATO-Flugzeuge zu überzeugen, wenn sie ein Wortvon uns darüber hören würde wie wir Bulgarien bei sei-nen Problemen intensiver als bisher zu helfen gedenken.
Rumänien steht vor ähnlichen Problemen. All dieseLänder haben riesige Probleme und brauchen mehr alsVersprechungen für die fernere Zukunft.Es gibt noch ein Land, das wir beinahe ganz verges-sen haben: die Slowakei. Die Slowakei haben wir beiden Verhandlungen um die EU-Erweiterung nicht ausökonomischen Gründen außen vor gelassen, sondernwegen demokratischer Defizite. Diese sind inzwischenbehoben.
Herr Außenminister, ich wäre Ihnen außerordentlichdankbar, wenn im Rahmen unserer Ratspräsidentschaftnoch eine Initiative ergriffen und der Slowakei deutlichgemacht werden könnte, daß sie uns jetzt willkommenist und in den Kreis der Beitrittsländer aufgenommenwerden könnte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Zu-kunftsperspektiven sind schon andiskutiert worden, aufallen Seiten machen sich viele Gedanken. Im Raum stehtimmer auch die Frage, ob man nach dem, was geschehenist, verlangen kann, daß die Menschen wieder zusam-menleben. Wenn sie nicht wollen und man sie nicht da-für gewinnen kann, wird dieses vermutlich unmöglichsein. Ich habe am vergangenen Donnerstag in Berlineiner Tagung beigewohnt, bei der auf die gleiche Frageder Bischof von Berlin gesagt hat: Ich bin Vertriebener,ich stamme aus Westpreußen; ich hätte mir 1945/46 nievorstellen können, daß wir Deutsche und Polen so zu-sammenleben, wie wir heute zusammenleben.Meine sehr geehrten Damen und Herren, das hat rund50 Jahre gedauert, und ich glaube, wir brauchen auchhier einen langen Atem; denn die Perspektive auf eineZukunft in Europa für diese Region zu eröffnen heißtauch, unser Leitbild von Europa als Maßstab zu nehmen.Es kann kein anderes geben, weil es sonst nicht mehrunser Europa ist. Ich will unser Europa behalten. Dem-entsprechend muß unsere Politik auf diesen Punkt aus-gerichtet werden. Alle Überlegungen anderer Art, soberechtigt sie im Moment sein mögen, sollten wir bei-seite lassen.Heute haben wir den 5. Mai. Ich bin Mitglied derdeutschen Delegation des Europarates und insoweit einwenig bekümmert, daß außer dem Präsidenten heutemorgen niemand gemerkt hat, daß dieses für uns einmalunglaublich wichtige Gremium, durch das wir Mitgliedin der europäischen Staatengemeinschaft wurden, heuteDr. Karl-Heinz Hornhues
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50 Jahre alt wird. Auch Sie, Herr Außenminister, habenkeine Zeit gefunden, etwas dazu zu sagen.Wenn wir jetzt Strukturveränderungen angehen, müs-sen wir uns über eines klar sein: Versprechungen zu ma-chen, die nur begrenzt zu halten sind, macht wenig Sinn.Wir müssen uns die Frage stellen, welche Rolle die In-stitutionen, die wir haben, also zum Beispiel der Europa-rat, in dem 40 europäische Nationen, also fast alle, Mit-glied sind
– Entschuldigung, 41; Georgien ist dazugekommen –,spielen können. Der ehemalige ungarische Premier- undAußenminister, Horn, hat recht, wenn er morgen im„Stern“ – so habe ich es gerade in einer Agenturmeldunggelesen – sagt: Von Deutschland hängt es stark ab, wiesich Europa weiterentwickelt. – Deswegen meine drin-gende herzliche Bitte, diese Fragen aufzunehmen. Ichglaube, daß wir da eine ganz wichtige führende Rollespielen können.Ein letztes Wort noch an Sie, Herr Minister. Ichmöchte Ihnen noch zwei Dinge mitgeben, die mir wich-tig sind. Eines ist das Schicksal von Rugova. Er war fürviele von uns Gesprächspartner; wir haben ihn immerwieder gedrängt, Gewalt zu meiden und zur Lösung sei-ner Probleme nicht zur Gewalt zu greifen. Er bedarf un-serer Unterstützung und Hilfe sowie der Freiheit desReisens.
Ein Weiteres: Am gestrigen Tage zu dieser Stundehat die jugoslawische Marine den Hafen von Montene-gro blockiert und alles dichtgemacht. Auch dort kämpftjemand, der sich unseren Ideen verpflichtet fühlt und imvergangenen Jahr noch mit uns diskutiert hat, der mon-tenegrinische Präsident Djukanovic. Wir sollten auchMontenegro trotz all dem anderen, was uns sonst nochbeschäftigt, nicht völlig vergessen. Es könnte sonst sein,daß uns neues Unheil droht.
Zum Schluß ein Wort des Dankes an die Haushälterdafür, daß sie immer wieder unsere Ideen aufgreifen. Ichdarf auch für den Fachausschuß und seinen Vorsitzen-den sagen, daß wir dafür immer sehr dankbar sind.Der zweite Dank gilt all denjenigen, die sich mitBlick auf das Kosovo engagieren – den Spendern, denHilfsorganisationen, den Menschen, die im einzelnentätig sind. Aber ich möchte in dieser Stunde vor allenDingen auch den Soldaten danken, unseren eigenen,aber auch den Alliierten. Fast die ganze britische Garni-son aus meinem Wahlkreis – ich habe keine deutschenTruppen in meinem Wahlkreis – ist im Einsatz. In mei-nem Wahlkreis leben Hunderte und Aberhunderte vonbritischen Frauen und Kindern, die an ihre Männer undVäter denken. Sie sollten genauso in unsere Gedankeneinbezogen sein wie unsere eigenen Soldaten, vor allenDingen deren Familienangehörige, die es unter der Last,unter der sie Tag für Tag leiden müssen, manchmalschwer genug haben, wenn sie sich die Frage stellen,wie es morgen aussieht, was sie noch zu erwarten haben.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat
jetzt Kollegin Uta Zapf.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Erlauben Sie, daß ich meine Ausfüh-rungen hauptsächlich unter die Überschrift Stabilität undSicherheit stelle. Ich glaube, das ist angesichts der Dis-kussion, die wir in den letzten Wochen zu führen hatten,ein angemessener Blickwinkel, um hier Stellung zunehmen.Ein chinesischer Fluch lautet: „Mögest du in interes-santen Zeiten leben!“ In der Tat leben wir in interessan-ten und, wie ich hinzufügen möchte, auch in schwerenZeiten, aber ob uns dies zum Fluch oder zum Segen ge-reicht, wird davon abhängen, wie wir die Herausforde-rungen der vor uns stehenden Probleme meistern.Diese Bundesregierung wurde gleich am Anfang ihrerAmtszeit mit drei großen Herausforderungen konfron-tiert, deren Lösung eine Weichenstellung für die zu-künftige Sicherheitsarchitektur Europas bedeutet. Dieswaren: erstens die Erweiterung der Europäischen Union,zweitens die NATO-Osterweiterung zusammen mit derNeurorientierung der NATO-Strategie und drittens na-türlich der Konflikt im Kosovo.Die neue Bundesregierung hat Kontinuität in derAußenpolitik versprochen, und Kontinuität bedeutet dasVorantreiben des Erweiterungsprozesses der Europäi-schen Union in dem Bewußtsein, daß dies ein Kernele-ment europäischer Sicherheit ist, denn Europa ist nichtnur eine Veranstaltung zur Stärkung der Wirtschafts-kraft, sondern es ist zunehmend auch ein Begriff fürgemeinsame Sorge um Ökologie, um soziale Systemeund natürlich um Stabilität und Sicherheit.Kontinuität bedeutet auch Einbindung in die transat-lantische Partnerschaft, weil wir wissen, daß das Bünd-nis ein wichtiger Garant für den Frieden ist. Kontinuitätbedeutet aber gleichzeitig Fortentwicklung, indem manden neuen Herausforderungen durch neue Konfliktenach dem Ende der Ost-West-Konfrontation Rechnungträgt und den Wandel in den internationalen Beziehun-gen aktiv mitgestaltet. Diese Bundesregierung wirdhierbei – wie bisher schon – auch in Zukunft ihren poli-tischen Handlungsspielraum nutzen.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die ersteHerausforderung der neuen Bundesregierung liegt in derRatspräsidentschaft der Europäischen Union. Die Ver-tiefung und Erweiterung der EU – es wurde hierschon angeführt – erfordert politische und institutionelleReformen. Daß dies in der Tat bei so vielen Teilnehmer-staaten nicht so einfach ist, zeigen die Verhandlungenzur Agenda 2000. Ich denke, die Bundesregierung hatDr. Karl-Heinz Hornhues
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die Ratspräsidentschaft genutzt, um einen tragfähigenKompromiß zu erreichen.
– Da kann man ruhig einmal klatschen; das finde ichauch. –
Die Reformen müssen aber weitergetrieben werden, da-mit die Erweiterung der EU auch tatsächlich gelingt.Es ist auch ein Erfolg der deutschen Ratspräsident-schaft, daß die Krise um die EU-Kommission erfolg-reich beigelegt und die Vertrauensverluste in Europaminimiert werden konnten.Die ökonomischen und politischen Verflechtungenund Interdependenzen sowie die gemeinsamen Kriterienim Bereich Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit unddemokratische Strukturen sind Voraussetzungen einertragfähigen Sicherheit im europäischen Raum. Die Er-weiterung der EU um die bisherigen Beitrittskandidatenwird die europäische Sicherheit deshalb stärken. DieKosovo-Krise hat das Bewußtsein dafür geschärft, daßdie Einbindung der südosteuropäischen Staaten in dieeuro-atlantischen Strukturen in unserem außen–, stabi-litäts- und sicherheitspolitischen Interesse liegt undeinen wichtigen Ansatz zur Prävention und nachhaltigenKonfliktregelung in diesem Raum darstellt.
Wir begrüßen und unterstützen deshalb ausdrücklichden von der Bundesregierung vorgelegten Plan zu einemStabilitätspakt auf dem Balkan, der den südosteuropäi-schen Ländern langfristig eine EU-Beitrittsperspektivegibt.
Dieser Ansatz ist notwendig, um den betreffenden Län-dern einen Anreiz zu geben, die Demokratisierung vor-anzutreiben und einer Politik entgegenzutreten, derentraurige Folgen wir im Kosovo-Konflikt sehen.Es gibt in Europa ein bislang ungelöstes, schwierigesProblem, über das wir im Moment nicht reden, das aberauch außen- und sicherheitspolitische Aspekte undebenso hohe Relevanz hat, nämlich die Frage des EU-Beitritts der Türkei. Das unglückliche Ergebnis des Lu-xemburger Gipfels hat das Verhältnis zur Türkei be-schädigt, mehr noch in der Folge die Vorgänge um dieVerhaftung Öcalans. Wir können kein Interesse daranhaben, daß sich die Türkei von Europa abwendet. DerNATO-Partner Türkei muß eine Beitrittsperspektive ha-ben. Die Türkei muß aber ebenso wie andere Beitritts-kandidaten die Kopenhagener Kriterien erfüllen. Hierliegt ein Schlüssel zur Lösung des Kurden-Problems.
Wir begrüßen, daß die Bundesregierung neue Ak-zente im Verhältnis zur Türkei gesetzt hat bzw. setzenwill. Ich zitiere Gerhard Schröder, der am Anfang seinerRegierungszeit gesagt hat, daß er sich „mit großemNachdruck für die weitere Heranführung der Türkei andie Europäische Union“ einsetzen werde. Ich halte diesfür einen wichtigen Aspekt, so schwierig auch die Dis-kussion bei uns ist. Unter sicherheitspolitischen, aberauch unter innenpolitischen Gesichtspunkten müssen wirdiese Diskussion führen, und zwar möglichst bald.
Kolleginnen und Kollegen, EU und NATO waren fürWesteuropa immer der Garant für Stabilität und Frieden.Die Erweiterung von EU und NATO um mittelosteuro-päische und südosteuropäische Länder bleibt dem Zielverpflichtet, Stabilität in Europa zu festigen.Ohne die feste Einbindung Rußlands in eine Partner-schaft wird dieses Ziel nicht erreicht werden können.Wir können dankbar sein, daß es die NATO-Rußland-Grundakte gibt, auch wenn das Verhältnis zur Zeitetwas getrübt erscheint. Diese Grundakte ist eineGrundlage, auf der eine Sicherheitspartnerschaft mitRußland weitergetrieben werden muß. Ich bin der Kol-legin Grießhaber und dem Kollegen Hornhues dankbar,daß sie das Verhältnis zu Rußland ausdrücklich und imselben Sinne, wie ich es verstehe, angesprochen haben.In bezug auf diese partnerschaftliche Bindung, diewir brauchen, war auch die Diskussion um die neueNATO-Strategie so wichtig. Ich danke der Bundesregie-rung – Herr Fischer, Sie haben den Punkt vorhin er-wähnt –, daß sie in der Tat einen erheblichen Beitrag zurGestaltung dieser neuen NATO-Strategie in eine Rich-tung geleistet hat, die wir nur erfreulich finden können.
Die Bekenntnisse zur Verantwortung für Stabilitätund Sicherheit im euro-atlantischen Raum, zur Partner-schaft mit Nichtmitgliedstaaten, zum Dialog und zurfriedlichen Streitbeilegung sowie zur Abrüstung undRüstungskontrolle sind wichtige, zukunftsweisendeKernelemente dieser neuen NATO-Strategie. Wir solltensie als Grundlage für Stabilität in unserem Raum nutzen.In diesen Prinzipien liegt eine Chance für eine neue sta-bile Sicherheitsarchitektur. Diese Ansätze müssen mitNachdruck weiterentwickelt werden.Ich darf, wenn auch nur am Rande, noch erwähnen,daß auch die Diskussion um den Einsatz atomarer Waf-fen in der NATO wohl keine Verstörung bewirkt hat,sondern eher einen heilsamen Nachdenkens- und Dis-kussionsprozeß auslösen wird; denn nun wird auch in-nerhalb der NATO über dieses Thema diskutiert werden.
Zukünftige Aufgabe europäischer Sicherheitspolitikist es, das Zusammenspiel aller Organisationen, wie UN,OSZE, EU und NATO, zu verbessern und damit einsicherheitspolitisches Netzwerk zu schaffen. „Inter-locking“ und nicht „interblocking institutions“ sind Zieldieser Politik. Nur dann wird Krisenprävention auf al-len Ebenen möglich werden: ökonomisch, ökologisch,Uta Zapf
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sozial, diplomatisch und durch militärische Strukturenabgesichert. Ich denke, dies ist ein wichtiger Aspekt.Wie fragil die Stabilität im gewünschten gemeinsa-men Haus Europa ist, haben der Bosnien- und der Koso-vo-Konflikt gezeigt. Wir müssen aus diesen Erfahrungendie Lehren ziehen. Prävention darf angesichts von Mas-senvertreibung und Völkermord vor unserer Haustürnicht länger ein Lippenbekenntnis sein. Die neue Bun-desregierung hat Krisenprävention in ihren Koalitions-vereinbarungen ausdrücklich als vordringliche Aufgabefestgehalten.Wer Prävention will, muß die Vereinten Nationenund die OSZE stärken und reformieren. Herr MinisterFischer, ich bin Ihnen dankbar für Ihre deutlichen Wortezur Reform der UNO. Ich glaube, ich hätte das hier nichtso deutlich auszudrücken gewagt, weil dies doch im-merhin ein schwieriger und langwieriger Prozeß ist.
Konkret bedeutet dies vorrangig die Stärkung derOSZE, die ihre politische Stärke auch in Krisenzeitengerade durch die erfolgreichen Verhandlungen zur An-passung des KSE-Vertrages bewiesen hat. Hier hat dieBundesregierung einen wesentlichen Beitrag geleistet.Der KSE-Vertrag bleibt nach dieser Anpassung einwichtiger Eckpfeiler europäischer Stabilität und Sicher-heit. Ich erinnere daran, mit welcher Besorgnis wir zueinem gewissen Zeitpunkt die Diskussion um dieNATO-Strategie mit der Diskussion um die KSE-Anpassungsverhandlungen verbunden haben. Ich denke,in beiden Fällen ist es gelungen, zu einem sehr gutenErgebnis zu kommen, mit dem wir leben können.Zur Stärkung der OSZE gehören die personellen undfinanziellen Mittel, damit sie die ihr zugewiesenen Auf-gaben erfüllen kann. Neben der Vertrauensbildung undder Abrüstung ist der Bereich der zivilen Konfliktrege-lung immer wichtiger geworden. Dort sind der OSZEenorme zusätzliche Aufgaben erwachsen. Die durchge-führten und laufenden OSZE-Missionen zeigen, wiewirksam diese Art der Intervention sein kann. Leiderwird über diese Erfolge nicht viel gesprochen; berichtetwird nur, wenn Blut fließt.Wir unterstützen deshalb nachdrücklich die Pläne zurpolitischen und operativen Stärkung der OSZE, die derChairman in Office, Knut Vollebaek, am 28. April inWien vorgetragen hat. Die OSZE wird und muß nachder Beendigung des Kosovo-Krieges eine führendeRolle bei der Integration südosteuropäischer Krisenre-gionen in die europäischen und die euroatlantischenStrukturen spielen.
Dies setzt aber eine wesentliche Verbesserung ihrer ope-rationellen Fähigkeiten voraus. Die Aufgaben werdenweit über die Anforderungen hinausgehen, die zum Bei-spiel die Aufstellung der Kosovo-Verifikationsmission andie OSZE stellte, und dies war schon schwierig genug.Deshalb sind die Ausbildung und der Aufbau einesPools von geeigneten Frauen und Männern zum Einsatzin solchen Missionen, wie die Bundesregierung es jetztauf den Weg gebracht hat, ein wichtiger Ansatz. DieOSZE braucht solche Fachleute, die in Konfliktsituatio-nen schnell einsetzbar sind, sozusagen diplomatische„stand-by forces“. Wie wichtig dies ist, zeigen, wie ge-sagt, die Schwierigkeiten bei der KVM.Ich freue mich auch darüber, daß jetzt der zivileFriedensdienst auf den Weg gebracht wurde. Diese„peace corps“ können in Konfliktgebieten in der zivilenGesellschaft wichtige Arbeit leisten. Dafür brauchen siedie Ausbildung und die soziale Absicherung, die jetztgewährleistet werden.
Eine weitere Lehre aus dem Kosovo-Konflikt ist, daßwir dazu beitragen müssen, die Selbstblockade des UN-Sicherheitsrates und damit seine Entscheidungsunfähig-keit in Konflikten aufzulösen. Dies wird – ich habeschon erwähnt, daß ich sehr froh bin, daß Minister Fi-scher dies deutlich hervorgehoben hat – nur langfristigdurch eine Reform der UN gesichert werden können.Um so erfreulicher ist es, daß sich der Generalsekretärder UN in die Bemühungen um eine Friedenslösung imKosovo eingeschaltet hat. Dank der Anstöße des Fi-scher-Planes ist Bewegung in die internationale Diskus-sion gekommen. Wir hoffen auf ein UN-Mandat.Es hat sich auch gezeigt – das wurde von den Kolle-ginnen und Kollegen schon erwähnt –, wie wichtig esist, daß Rußland in die Suche nach einer politischen Re-gelung eingebunden wird. Wir begrüßen, daß Rußlandbereit ist, durch seine Vermittlungstätigkeit einen Bei-trag zur Friedenslösung zu leisten. Wir alle wünschenuns, daß dies möglichst schnell geschieht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ei-nen letzten Punkt ansprechen. Es liegt in unserem urei-genen Interesse, daß eine weitere DestabilisierungSüdosteuropas verhindert wird. Milosevic betreibtKriegsführung durch Vertreibung von Menschen ausdem Kosovo: Krieg gegen die albanischen Kosovarenund Krieg durch Destabilisierung der Nachbarländer. Erversucht, diese Region in ein Chaos zu stürzen. Deshalbist Hilfe für Mazedonien und Albanien vorrangig, undzwar Hilfe zur Bewältigung der Probleme, die aus derVertreibung von fast 1 Million Menschen entstehen.Diese Hilfe ist schnell nötig. Ich denke, am Freitag die-ser Woche werden wir entsprechend entscheiden.Ich habe deshalb kein bißchen Verständnis für diekleinliche Diskussion über die Aufnahme von Vertrie-benen in den europäischen Ländern. Ich möchte HerrnMinister Schily für seine diesbezügliche Initiative aus-drücklich danken. Ich fordere aber vor allen Dingen dieanderen europäischen Länder auf, ihre Kleinlichkeitendlich aufzugeben. Wie oft haben wir in Europa Soli-darität und Stabilität beschworen! Hier ist ein ganz kon-kreter und schnell umzusetzender Punkt, an dem wirdies einlösen können. Es wäre ein gutes Zeichen, wenndies geschähe.Ich danke Ihnen.
Uta Zapf
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Für die
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Andreas Schok-
kenhoff.
Herr Prä-sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alsder ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl vor zweiJahren gesagt hat, die politische Einigung Europas seieine Frage von Krieg und Frieden, hat er bei der damali-gen Opposition Hohngelächter geerntet.
Sie, Herr Außenminister, haben von diesem Pult aus dendamaligen Bundeskanzler verspottet, ihm Sentimentali-tät und falsches Pathos vorgeworfen. Heute würden Siewohl nicht mehr feixen.
Die politische Einigung Europas ist eine Frage vonKrieg und Frieden – damit hat Helmut Kohl unbeirrt vonallen Anfeindungen ausgedrückt, was für uns, dieCDU/CSU, seit fünf Jahrzehnten die außenpolitischeGrundüberzeugung ist und auch künftig bleiben wird:Wir Deutsche haben ein existentielles Interesse an derEinigung Europas sowie ein existentielles Interesse ander Nordatlantischen Allianz. Mit der Wirtschafts- undWährungsunion haben wir einen entscheidendenSchritt zur Politischen Union Europas erreicht. Der wirt-schaftliche Teil muß dringend durch den außen- undsicherheitspolitischen Teil der europäischen Einigungergänzt werden.Der Kosovo-Konflikt zeigt einmal mehr, daß alleindie Vereinigten Staaten von Amerika in der Lage sind,NATO-Operationen zu führen. Es ist aber keineswegsselbstverständlich, daß die Amerikaner immer dieHauptverantwortung für die Sicherheit in und für Europaübernehmen. Die Europäische Union muß auch in derAußen- und Sicherheitspolitik ein ebenbürtiger Partnerder USA werden und endlich den europäischen Pfeilerder NATO schaffen.
Die politische und strategische Rolle der VereinigtenStaaten in Europa hat am Ende dieses Jahrhunderts nichtan Bedeutung verloren. Im Gegenteil: Wir Europäer unddamit auch wir Deutsche sind es, die einen stärkerenBeitrag zu unserer eigenen Sicherheit leisten müssen,und zwar nicht nur militärisch, sondern auch politischund diplomatisch. Nur ein starkes und handlungsfähigesEuropa, das eigenständig entscheiden und operierenkann, ist ein relevanter Partner Amerikas.Herr Hoyer, Sie haben darauf hingewiesen, daß durchden Vertrag von Amsterdam neue Instrumentarien ge-schaffen werden. Auf dem Kölner Gipfel in wenigenWochen wird erstmals ein Hoher Repräsentant der Ge-meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik benannt. Eskommt jetzt darauf an, daß die Wahl auf eine Persön-lichkeit fällt, die politischen Rang besitzt und Regie-rungserfahrung hat, so daß sie der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik Autorität nach außen und innenverleihen kann. Dieser Repräsentant muß die EU in Kri-sensituationen vertreten, und er muß dem Rat eigeneVorschläge unterbreiten können. Der Vorschlag, dieseFunktion mit der des WEU-Generalsekretärs zu verbin-den, findet unsere ausdrückliche Zustimmung.Die Katastrophe auf dem Balkan macht allerdingsauch deutlich, daß der Vertrag von Amsterdam bei wei-tem nicht ausreicht, um aus der Europäischen Unioneine diplomatische und militärische Macht zu machen.Eine effiziente Gemeinsame Außen- und Sicherheits-politik setzt weitere Integrationsschritte voraus. Wirbrauchen im zweiten Pfeiler der Europäischen Unioneine spezifische Klausel über die verstärkte Zusammen-arbeit, die es einer Gruppe von Mitgliedstaaten ermög-licht, gemeinsame diplomatische und militärische Maß-nahmen durchzuführen, die nicht von allen Mitglied-staaten getragen werden. So haben wir es ja auch bei derWirtschafts- und Währungsunion gemacht: Es habeneben nicht alle Mitgliedstaaten ihre eigene Währung zu-gunsten des Euro aufgegeben. Ebenso darf auch beimAufbau eines diplomatischen und sicherheitspolitischenInstrumentariums der Europäischen Union nicht daszögerlichste Mitgliedsland das Tempo bestimmen.Wir müssen auch in der Außen- und Sicherheitspoli-tik endlich dazu kommen, daß es mehr Mehrheitsent-scheidungen gibt. Um nur ein Beispiel zu nennen: DieArt und Weise, wie die EU bei der Umsetzung der Zoll-union mit der Türkei vertragsbrüchig wird, weil ein Mit-gliedsland die anderen daran hindert,
verbindlich zugesagte Verpflichtungen zu erfüllen, isteines internationalen Akteurs unwürdig.
Die deutsche Präsidentschaft hat die Reform der In-stitutionen und Entscheidungsverfahren verschoben. Siemuß aber unverzüglich in Angriff genommen werden,um die politische Handlungsfähigkeit Europas zu er-möglichen. Die Europäische Union braucht einen ge-meinsamen und zentralen diplomatischen Apparat zurKrisenbewältigung und zur Erarbeitung gemeinsamereuropäischer Positionen. Nach den schlimmen Erfah-rungen in Bosnien-Herzegowina haben wir alle einepräventive Diplomatie gefordert. Aber in Dayton habenwir, wie unsere amerikanischen Partner, das ThemaKosovo ausgeklammert. Wir waren auf den Krieg imKosovo genauso unvorbereitet wie auf die anderenKriege auf dem Balkan. Aber was uns noch viel mehr zudenken geben muß, ist: Wir haben nicht nur keine prä-ventive Diplomatie, nein, wir haben auch keine Diplo-matie für die Phase nach Beendigung der militärischenAktionen.Karl Lamers hat in der letzten Sitzungswoche dieFragen gestellt, auf die wir eine Antwort brauchen,wenn wir das gemeinsame Handeln der Europäer vomEnde her bedenken wollen: Ist Rambouillet überhauptnoch umzusetzen? Können die Kosovo-Albaner über-haupt wieder in der Bundesrepublik Jugoslawien unterserbischer Führung leben? Karl-Heinz Hornhues hat die-se Frage vorhin wiederholt. Wir müssen auch Tabus
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brechen: Entspricht die Vorstellung von einem multi-ethnischen, freien und demokratischen Jugoslawienvielleicht unseren politischen Idealen, nicht aber denpolitischen Realitäten auf dem Balkan? Das sind Fragen,die die Bundesregierung nicht öffentlich erörtert.Natürlich gibt es keine Alternative zu den Luftschlä-gen gegen den Apparat von Milosevic. Aber um die Ak-zeptanz dafür weiterhin zu erhalten, müssen wir, mußdie Bundesregierung die Sprachlosigkeit in bezug aufdie politischen Ziele überwinden, denen diese militäri-schen Aktionen dienen.Auf solche Fragen werden die Europäer auch in Zu-kunft keine Antwort finden, wenn die Europäische Uni-on nicht über einen eigenen diplomatischen Apparat zurAnalyse und Planung verfügt, der dem Rat eigenständigHandlungsvorschläge unterbreitet. Der Hohe Vertreterder Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mußdie volle und direkte Verantwortung für diesen Apparatbekommen.Wir brauchen eine europäische Rüstungs- und Ab-rüstungspolitik, die die zwischenstaatliche Kooperationüberwindet und langfristig eine integrierte Verteidi-gungsindustrie ermöglicht. Als ein Schritt in dieseRichtung muß die im Vertrag von Maastricht vorgese-hene europäische Rüstungsagentur endlich die Verant-wortung für konkrete Beschaffungsprogramme übertra-gen bekommen und für die Programme mit einem Etatausgestattet werden.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU steht ohneWenn und Aber zur Wertegemeinschaft der NATO. ImInteresse dieser gemeinsamen Werte und im Interesseunserer eigenen Sicherheit brauchen wir eine europäi-sche Diplomatie und Verteidigung innerhalb des trans-atlantischen Bündnisses. Kürzungen im Verteidigungs-haushalt – dazu kommen wir gleich – zeugen angesichtsder außen- und sicherheitspolitischen Lage und der hu-manitären Katastrophe auf dem Balkan von einer fal-schen Prioritätensetzung.Wir fordern die Bundesregierung und die Koalitions-fraktionen auf, die Fähigkeit der EU zu eigenständigemHandeln auf dem Gebiet der Außen-, Sicherheits- undVerteidigungspolitik zu stärken. An unserer Bereitschaftdazu bestand nie ein Zweifel. Jetzt müssen Sie Ihrenpolitischen Willen klarstellen. Wenn die Koalitionsfrak-tionen intern zwischen Pazifismus und internationalerVerantwortung lavieren, schaden sie den Interessen derBundesrepublik Deutschland.Vielen Dank.
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05
– Auswärtiges Amt – in der Ausschußfassung. Wer
stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Dann ist der Einzelplan 05 mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU, der
F.D.P. und der PDS angenommen.
Ich rufe auf:
14. Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
– Drucksachen 14/613, 14/622 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Volker Kröning
Bartholomäus Kalb
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel
Es liegt je ein Änderungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS vor. Die Fraktion
der F.D.P. hat zum Einzelplan 14 außerdem einen Ent-
schließungsantrag eingebracht, über den am Donners-
tag nach der Schlußabstimmung abgestimmt werden
wird.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die
Aussprache über diesen Einzelplan namentlich abstim-
men werden. Das wird kurz nach 19.00 Uhr sein.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster
Redner der Kollege Dietrich Austermann von der
CDU/CSU.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Bei den Haushaltsberatungengeht es vorrangig um Ausgaben und Einnahmen, umTitel, Kapitel und Steigerungsraten. Dies überdeckt ge-legentlich, daß hinter allem eine große Zahl von Men-schen, von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst steht, de-ren Arbeit ermöglicht oder gestaltet wird. Immerhin istder Verteidigungsminister Chef von 60 Prozent allerMitarbeiter des öffentlichen Dienstes des Bundes. Wennes nach den Finanzen, nach den Gehältern geht, umfaßtsein Bereich leider nur 40 Prozent, dennoch eine großeZahl.Gerade in der gegenwärtigen Situation von Kampf-einsätzen gegen die Politik eines aggressiven Diktatorsmuß deshalb mit einem Dank an die Soldaten und Sol-datinnen, zivilen Mitarbeiter und Wehrpflichtigen be-gonnen werden, die im Auftrag des deutschen Parla-ments im Inland und jetzt zur Wiederherstellung vonFreiheit und Menschenwürde auch im Ausland, zumSchutz von Schutzlosen und in Erfüllung von Ver-pflichtungen innerhalb der westlichen Verteidigungsge-meinschaft ihren Dienst leisten.
Ich finde die Art und Weise, wie die Debatte läuft, gut.Ich begrüße es, daß wir den Soldaten unseren gemein-sam Dank zum Ausdruck bringen. Es ist natürlich trotz-dem die Frage zu stellen, ob und wie das, was sich inletzter Zeit geändert hat, von unterschiedlichen Seitenbewertet wird.Dr. Andreas Schockenhoff
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3147
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Dies dürfte mein einziger kritischer Ansatz sein: Icherwarte angesichts der Position von Union und F.D.P. inden Fragen dieses Einsatzes, in den Fragen der Arbeitunserer Soldaten, daß manche Arroganz und mancheÜberheblichkeit offizieller Sprecher – auch der Regie-rung – uns gegenüber zurückgedreht wird, um uns dieGeschichte nicht so schwer zu machen. Dies sollte ins-besondere dann gelten, wenn man sich vor Augen führt,wie groß die Zahl derjenigen ist, die hinter dem stehen,was die Regierung macht.Wir stellen bei der Beratung des Verteidigungsetatsnatürlich die Frage, ob die Soldaten für einen derartigenDienst gut genug ausgerüstet, ausgebildet und mit einemklaren Auftrag eingesetzt werden. Bisher kann dieseFrage mit einem eindeutigen Ja beantwortet werden.Vor wenigen Tagen hat der Bundesverteidigungsmi-nister eine Bestandsaufnahme über die Bundeswehr ander Schwelle zum 21. Jahrhundert vorgelegt. Darin heißtes:Deutsche Sicherheitspolitik ist an klaren Wertenausgerichtet. Die Basis liegt im Grundgesetz und inder westlichen Wertegemeinschaft. Die Glaubwür-digkeit dieser Politik wird durch Streitkräfte unter-stützt, die unseren Verpflichtungen gegenüber demBündnis und für die Sicherheit und Stabilität in undfür Europa gerecht werden.Diese richtige Beschreibung stellt einen Extrakt aus4 000 Seiten dar, die im Verteidigungsministerium alsBasis dieser sogenannten Wehrstrukturkommission er-arbeitet worden sind.Der Bundesverteidigungsminister hat in dieser um-fangreichen Bestandsaufnahme darauf hingewiesen, daßdie konzeptionellen und planerischen Vorgaben für dieBundeswehr in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts gelegtworden seien und daß Organisation und Struktur im we-sentlichen immer noch auf die Landes- und Bündnis-verteidigung ausgerichtet seien. Er vertritt die Auffas-sung, daß die grundlegende Veränderung der sicher-heitspolitischen Lage in Europa eine Anpassung der Fä-higkeiten unserer Streitkräfte an das erweiterte Aufga-benspektrum der Allianz und die zunehmende Teilnah-me an Friedenseinsätzen erfordert. In seinem Berichtverweist er dazu auf den seiner Ansicht nach begrenztenUmfang und die Zusammensetzung der Krisenreak-tionskräfte – was ja wohl nur heißen kann, daß er dieErwartung ausspricht, deren Zahl solle erhöht werden –,das zunehmende personelle Fehlen im Führercorps, vorallem bei den Unteroffizieren, sowie die unzureichendeMateriallage und die fehlenden finanziellen Vorausset-zungen im Verteidigungshaushalt.Wenn das so ist, dann wundert man sich über die Ab-sicht des Finanzministers – dazu ist in letzter Zeit eini-ges zu unserer Kenntnis gelangt –, daß er den Umfangdes Einzelplans 14 im Jahre 2000 von jetzt 47 Milliar-den DM auf 45 Milliarden DM reduzieren will. Das wä-re eine unerträglich niedrige Größenordnung, wenn dieAufgaben, die hier beschrieben worden sind, tatsächlicherfüllt werden sollen.Nimmt man dies als maßgebliche Kriterien für dieNotwendigkeit, eine grundsätzliche Überprüfung derBundeswehr vorzunehmen, muß man sich allerdingsüber die jetzt eingesetzte Wehrstrukturkommissionwundern, insbesondere über die personelle Zusammen-setzung. Nicht daß einem einzigen der ausgewähltenMitglieder der Kommission der Respekt versagt werdensoll! Aber hier scheint es mehr um die Frage eines ge-sellschaftlichen Konsenses zu gehen – vielleicht einenneuen runden Tisch in Verteidigungsfragen – und weni-ger um knallharte Fakten. Ich frage mich schon, wasWaltraud Schoppe, Richard Schröder oder Ignatz Bubis,aber auch der ehemalige Bundespräsident und verschie-dene Politikwissenschaftler dazu beitragen können, dieFrage zu beantworten, was es in Zukunft mit der strate-gischen Aufklärungsfähigkeit, mit der Fähigkeit zumweitreichenden Lufttransport und mit Rüstungskapazi-täten auf sich haben soll. Diese Fragen haben Sie, HerrScharping, nämlich in der Bestandsaufnahme Ihres Mi-nisteriums erwähnt. Da wundert es nicht, daß der Bun-deswehr-Verband ein eigenes Expertengremium grün-det, das diese Kommission vor sich hertreiben will. Wiegesagt: Nichts gegen die Persönlichkeiten, die benanntund berufen worden sind. Wenn man sich aber die Fragestellt, ob sie der Aufgabe, die sie haben – aus der Be-standsaufnahme die richtigen Schlußfolgerungen zu zie-hen –, gerecht werden, sind die Zweifel der Union, soglaube ich, angebracht.Meine Damen und Herren, in der Bestandsaufnahmehat der Bundesverteidigungsminister den Ausblick wiefolgt beschrieben – dieser Ausblick ist gewissermaßender Handlungsauftrag –: In Zukunft werden Krisenvor-beugung und Konfliktbewältigung sowie Partnerschaftund Kooperation an Bedeutung gewinnen. Die Bundes-wehr muß Fähigkeiten entwickeln, um diese Aufgabenwirksamer wahrnehmen zu können. Die im Auftrag derBundeswehr enthaltenen Aufgaben werden dazu im we-sentlichen auch weiter Gültigkeit behalten. Dazu gehö-ren Landes- und Bündnisverteidigung wie eine Überprü-fung und Neubewertung der gesamten Rüstungsplanung.Soll es tatsächlich so sein, daß die Kommission Emp-fehlungen an das einzig zur Entscheidung berufeneGremium, den Bundestag, abgibt, welche Waffen be-schafft werden, wieviel Soldaten zu den Krisenreakti-onskräften gehören und mit welchen Ländern Rüstungs-kooperation betrieben wird?
Ich teile die Position des Kollegen Kröning, der mitRecht gesagt hat: Über die Größe der Bundeswehr, dieZahl der Soldaten und die Bewaffnung wird vom Bun-destag entschieden und nicht von den ehrenwerten Mit-gliedern dieser Kommission.Offensichtlich handelt es sich hier nur um weiße Sal-be für die Grünen und eine größer werdende Zahl vonKollegen der SPD, die sich im Prinzip eine ganz andereArmee wünschen: kleiner und vielleicht auch ohneWehrpflicht. Aber das ist nicht die Position der Union.Ich komme zu den Haushaltsberatungen und denZahlen. Die Beratungen waren von einem angesichts derSituation unverständlichen Hickhack innerhalb derDietrich Austermann
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3148 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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rotgrünen Koalition und zwischen den rotgrünen Haus-hältern und dem Verteidigungsminister selbst geprägt.Da verrät man kein Geheimnis; man plaudert nicht ausSitzungen, sondern beschreibt nur das, worüber auch dieZeitungen berichtet haben. An zwei verschiedenen Ta-gen mußte die Sitzung unterbrochen werden, damit unterEinschaltung der Fraktionsvorsitzenden, des roten undder grünen, zwischen den Parteien vermittelt werdenkonnte. In der Zeitung war zu lesen, der Verteidigungs-minister habe mit seinem Rücktritt gedroht.
Lassen wir einmal dahingestellt, ob er das tatsächlichgemacht hat. Die Zeitungen sind jeden Tag voll davon.Irgendein Minister droht immer gerade mit Rücktritt –leider nicht Herr Trittin; das Rücktrittsangebot könnteman annehmen. Heute hat angeblich Herr Riester mitRücktritt gedroht. Es gab Konflikte mit Kollegen in dereigenen Partei.Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß die Opposition,jedenfalls F.D.P. und CDU/CSU, den Minister in derFrage gestützt hat und stützen mußte, welche finanziel-len Möglichkeiten die Bundesregierung tatsächlich hat.
Wenn man sich diese Situation vor Augen hält, dannstellt man fest, daß sie in den letzten 17 Jahren einmaligwar. Übrigens ist auch die Größe dieses Haushaltes ein-malig.Wir stellen fest: Sie haben mit Ihrer Mehrheit imHaushaltsausschuß den Verteidigungsetat gegenüberdem Waigel-Entwurf um eine halbe Milliarde DMgekürzt. Der Plafond beträgt 47 Milliarden DM, Zu-wachsmöglichkeiten sind ausgeschlossen. DieserHaushalt ist die Basis für den Haushalt des Jahres2000. Ich habe von den Gefahren, die darin liegen,gesprochen.Wir müssen uns vor Augen halten, daß mit diesemum eine halbe Milliarde DM abgeschmolzenen Etat be-sondere Risiken und Belastungen finanziert werdenmüssen: die Devisenentwicklung, die Mehrausgabenvon 500 Millionen DM im Rahmen der Gehaltserhöhungfür die im Verteidigungsministerium tätigen Beschäf-tigten des öffentlichen Dienstes, der Bosnien-Einsatz,Kampfeinsätze, humanitäre Einsätze. Insgesamt mußman feststellen: All diese Kosten überschreiten in derSumme deutlich den Betrag von 1,5 Milliarden DM, unddies bei einem gegenüber unserem Entwurf reduziertenAnsatz.Wenn ich diese Fingerhakeleien im Haushaltsaus-schuß sehe – rotgrüne Politiker gegen den Verteidi-gungsminister –, kann ich nur empfehlen, Herr Schar-ping, sich gelegentlich umzusehen, um festzustellen, obIhnen die eigene Truppe noch folgt. Damit meine ichnicht Soldaten, Soldatinnen und Wehrpflichtige. Es gehtschließlich darum, Mehrheiten zu haben für das, was Sietun und dienstlich anordnen müssen.Die Bundeswehr soll für mehr Auslandseinsätze fitgemacht werden. Das liegt, wie eine Zeitung in denletzten Tagen schrieb, in der Logik der neuen NATO-Strategie. Aber wer dieser Logik folgt, muß wissen, daßer eine Armee nicht für ein Kosovo 2 umrüsten unddann, wenn es soweit ist, zu Hause behalten kann, weilihm die Sache politisch oder militärisch zu heiß ist.Deshalb geht es bei der Strukturkommission in Wahrheitwohl eher um die Frage, ob dieses Maß an Verantwor-tung auch tatsächlich gewollt ist.Die Frage, ob die Wehrpflicht beibehalten werdensoll oder nicht, werden wir hier im Hause beantwortenmüssen. Das sollte nicht diese Kommission tun.Meine Damen und Herren, in der Bestandsaufnahmeist dargestellt, daß wir fähig sind, internationale Rü-stungsvorhaben gemeinsam mit anderen Ländern zu be-wältigen. Ich habe da so meine Zweifel, wenn ich sehe,daß in den letzten sieben Monaten kein einziger Vertrag,kein einziges Abkommen, weder über den Tiger nochüber das GTK, endgültig abgeschlossen und unterzeich-net worden ist. Man muß hier eigentlich sagen: Im Ge-schäftsgang herrscht Stillstand der Rechtspflege. Offen-sichtlich besteht nicht mehr die Fähigkeit, internationaleProjekte auch zeitgerecht abzuwickeln. Welchen Beitragdie Strukturkommission hier leisten kann, muß offen-bleiben.Zur Kritik am Verteidigungsminister, die in diesenTagen geäußert worden ist, gehört auch das, was derKollege Kröning in einem in den letzten Tagen in dieZeitungen lancierten Aufsatz geschrieben hat. Er fordert,bis zum Jahr 2005 solle die Bundeswehr auf 270 000Mann reduziert und das Zivilpersonal um 20 Prozentverringert werden. Man kann sagen, das spiele keineRolle. Da wir aber gemeinsam die Auffassung vertreten,daß hier über die Größe der Bundeswehr entschiedenwird, muß gelegentlich auch das ernst genommen wer-den, was ehrenwerte Kollegen aus dem Verteidigungs-ausschuß dazu gesagt haben.Was bedeutet die Reduktion der Zahl der Bundes-wehrsoldaten auf 270 000 in der gegenwärtigen Situati-on, in der wir möglicherweise mehr Soldaten für Krisen-reaktionskräfte brauchen? Die Zahl der zivilen Mitar-beiter um 20 Prozent zu reduzieren heißt, daß wir 90 000Mitarbeiter weniger haben. 60 000 Soldaten und 30 000zivile Mitarbeiter bis zum Jahre 2005 abzubauen heißt,daß es pro Jahr 15 000 öffentliche Mitarbeiter wenigerim Zuständigkeitsbereich des Verteidigungsministersgeben wird.Ich glaube, daß dies deutlich macht, daß die Unter-stützung, die der Minister braucht und die er von unsbekommt, bei weitem nicht in der gesamten Truppe,wenn ich diese Bezeichnung für die Abgeordneten vonSPD und Grünen wählen darf, vorhanden ist. Dies isternst zu nehmen, da es in den Haushaltsberatungen be-reits den ersten Versuch gab – ich habe das vor ein paarMonaten gesagt –, die Zahl der Berufssoldaten und derWehrpflichtigen deutlich zu reduzieren.Lassen Sie mich etwas zum Beschaffungs- und Ma-terialhaushalt sagen. Die Finanzierung aller wesentli-chen Großvorhaben der Bundeswehr – Panzerhaubitze,Dietrich Austermann
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3149
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Hubschrauber Tiger und NH 90, Eurofighter, Fregatte124, Einsatzgruppenversorger und U-Boote Klasse 212– ist gesichert. Festzustellen bleibt, daß gleichwohl keineinziges internationales Vorhaben in den letzten siebenMonaten unterzeichnet worden ist.Es bleibt weiter festzustellen, daß wir große Problemebei Vorhaben haben, für die ein aktueller Bedarf besteht.Ich nenne das Stichwort Superfuchs. Herr KollegeWieczorek, wir haben vor einiger Zeit gemeinsam ent-schieden – das ist inzwischen Jahre her –, ein gepanzer-tes Fahrzeug für etwaige Krisenreaktionskräfte bereitzu-stellen. Das Fahrzeug ist bis heute nicht funktionsfähig.Das gleiche gilt für die Panzerabwehrrakete langerReichweite; die Entwicklung läuft seit 15 Jahren. Dasgleiche gilt für den NH 90, der zu schwer ist. Das glei-che gilt für den Tiger, der sich von Apache nur durch dieReichweite seiner Bewaffnung unterscheidet, wobei be-dauerlich ist, daß ein zweites dieser Fluggeräte heute inAlbanien abgestürzt sein soll. Der Tiger ist noch nichtfunktionsfähig, obwohl wir bereits im Jahre 1995 die Se-rienvorbereitung beschlossen haben. Er ist nicht in derLage, herkömmliche Waffensysteme zu nutzen. Ent-scheidungen sind auch zur raumgestützten Aufklärungzu treffen, um Bedrohungen, insbesondere aus demMittleren Osten, zu verifizieren.Überprüfungen sollte es auch bei den Kosten der Ein-sätze der Flugbereitschaft geben. Das ist eine Position,die wir, SPD, Grüne, CDU/CSU und F.D.P., gemeinsamvertreten. Die Flugbereitschaft erfüllt auch sachfremdeAufträge für andere Ressorts. Besonders engagiertscheint hier der Umweltminister zu sein. Die Beschrän-kung des Ansatzes könnte nach unserer Meinung aufreine Bundeswehreinsätze erfolgen.Nachdem wir im Berichterstattergespräch denWunsch geäußert haben, auch die Liste der Inlandsflü-ge zu bekommen, hätte ich gern – ich tue es nun überdas Protokoll – den Bundesumweltminister gefragt, ober bereit ist, offenzulegen, welche Flüge er mit derFlugbereitschaft seit dem Regierungswechsel unter-nommen hat, und darüber Auskunft zu geben, ob dieseFlüge auch tatsächlich dienstlichen Anlässen gedienthaben.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.Wir fordern Sie auf, der Bundeswehr die Mittel zur Ver-fügung zu stellen, die sie in der schwierigen Situationtatsächlich braucht. Das heißt für uns nicht, daß wir zu-sätzliche Mittel benötigen. Eine Zeitung schrieb voneiner Kriegssteuer. Es ist völlig abwegig, eine solche fürnotwendig zu halten. Bei einem Haushalt von 485 Mil-liarden DM sind Ausgaben in Höhe von 1,5 MilliardenDM in diesem Jahr für den Kosovo und alles, was dazu-gehört, durchaus zu bewältigen.Wir wollen, daß der Verteidigungsetat eine Größen-ordnung behält, die ihm darüber hinaus die sonstigenAufgaben erledigen hilft. Deswegen fordern wir in die-sen Haushaltsberatungen, dem Verteidigungsetat zu-sätzliche 770 Millionen DM bereitzustellen. Wir bittenSie hierbei um Ihre Unterstützung.
Wir erwarten dabei insbesondere die Unterstützung derRegierungsparteien, im Interesse der Arbeit, die Ihr Mi-nister hat. Wir werden dem Verteidigungsetat zustim-men, weil wir finden, daß es notwendig ist, unsererBundeswehr vom ganzen Haus die Unterstützung zu ge-ben, die sie für ihren schwierigen Auftrag braucht.Herzlichen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Volker Kröning von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 1999ist für die Bundeswehr und das Bundesministerium derVerteidigung in dreifacher Hinsicht von Bedeutung.Erstens. Das Ressort ist wie alle Ressorts dem Zwangzur Konsolidierung – ich sage mit dem Bundesministerder Finanzen: zur Sanierung der Staatsfinanzen – unter-worfen. Dies war und ist bei der Reduzierung der Aus-gabenzuwachsrate und der Bewältigung der Lohn- undGehaltsrunde 1999 schmerzhaft.Zweitens. Wir befinden uns mit der Haushaltswirt-schaft des Ministeriums und der Planung der Bundes-wehr in einer Umbruchsituation. Zum einen will Mini-ster Scharping die modernen Methoden der Haushalts-führung, insbesondere Budgetierung und Controlling,verbunden mit Kosten- und Leistungsverantwortung,ausbauen. Darin hat er unsere volle Unterstützung. Aufdiesem Wege sind wir im Laufe der Beratungen desHaushalts – im Parlament mehr als in der Regierung –einen großen Schritt vorangekommen. Zum anderen istinzwischen, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, dieKommission „Zukunft der Bundeswehr“ eingesetzt wor-den. Ungeachtet dessen, Herr Kollege Austermann, wirddie Bestandsaufnahme, die der Minister gleichzeitigvorgelegt hat, nicht nur diese Kommission beschäftigen,sondern auch die Ausschüsse, und das sicherlich nichterst in einem Jahr, sondern sofort. Damit erweist sichnicht nur der Verteidigungshaushalt 1999, sondern auchder Verteidigungshaushalt 2000 – das ist vorauszusehen– als Übergangshaushalt – ich möchte lieber sagen: alsBrückenhaushalt – zwischen alter und neuer Bundes-wehrplanung. Spätestens zum Haushalt 2001 brauchenwir – unabhängig davon, welche Kommissionsergebnis-se zu welchem Zeitpunkt vorliegen werden – eine Pla-nungsgrundlage von Dauer.Drittens – das hat heute schon den ganzen Tag be-herrscht –: Wir befinden uns in einem internationalenbewaffneten Konflikt, einem Krieg, wie man ohne Um-schweife sagen sollte. Darauf haushaltspolitisch zu rea-gieren, ohne die außenpolitische Handlungsfähigkeit derRegierung und den innenpolitisch besonders wichtigenEntscheidungsvorrang des Parlaments zu beeinträchti-gen, ist uns gelungen. Das sollte Anerkennung finden.Die bisherigen Signale der Zustimmung zum Verteidi-gungshaushalt zeigen auch das richtige Echo.
Dietrich Austermann
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3150 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Die geplanten, errechneten und belegten militäri-schen Aufwendungen der Bundeswehr, besonders derLuftwaffe und des Heeres, sind in den Haushalt inte-griert, zunächst wie bisher im Einzelplan 14, dann aberauch – zumindest für dieses Jahr – im Einzelplan 60.Die regulären Aufgaben der Bundeswehr in den Berei-chen der Landes- und der Bündnisverteidigung werdennicht mehr, sondern weniger als bisher tangiert. Dassollte auch die bisherige Koalition und neue Oppositi-on beachten. Die humanitären Aufwendungen, zu de-nen sich die Bundesregierung bisher in einem europa-weit herausragenden Maße bereit gefunden hat – auchund nicht zuletzt die humanitären Maßnahmen, die dieBundeswehr leistet –, werden zusammenfassend finan-ziert.Lassen Sie mich nach diesen Vorbemerkungen einpaar einzelne Blicke auf die Haushaltsberatungen 1999werfen und auch einen Ausblick auf 2000 geben. DerHaushaltsausschuß hatte bereits 1996 beschlossen, sichüber die Ausgaben der Bundeswehreinsätze im ehe-maligen Jugoslawien quartalsweise berichten zu lassen.Anläßlich der Haushaltsberatungen für dieses Jahr habenwir im Hinblick auf die aktuelle Lage, die noch vollerUnwägbarkeiten steckt und über das Haushaltsjahr hin-weg noch nicht überschaubar ist, sogar darum gebeten,einen monatlichen Bericht zu erhalten.Über den Bericht zum April werden wir noch in dernächsten Sitzungswoche sprechen müssen. Aus den Be-richten zu den Monaten Januar bis März 1999 ergibt sichaber, daß der Ausgaben- und Kostenrahmen für SFOR,also für den Einsatz der Bundeswehr in Bosnien, einge-halten wird. Da die Finanzierung dieser Friedenseinsätzeaus dem Einzelplan 14 erfolgt, sollte beizeiten geprüftwerden, ob und inwieweit man diesen Einsatz reduzie-ren kann. Dabei ist klar, daß bei solch einer Entschei-dung im Hinblick auf die Instabilität in der ganzen Re-gion, die ja leider nicht ab-, sondern zugenommen hat,besondere Sensibilität nötig ist.Die Beschlüsse des Bundestages zu den weiteren Ein-sätzen, nämlich im Zusammenhang mit dem Kosovo –also vom Oktober und November 1998 über den Februar1999 bis zu der Entscheidung, die in dieser Woche zutreffen sein wird –, hat der Haushaltsausschuß ebenfallsim notwendigen Umfang umgesetzt. Gegen Zahlenspe-kulationen, die besonders in den letzten Wochen ange-stellt worden sind und mit denen teilweise Schindludergetrieben worden ist,
spreche ich vor der Öffentlichkeit aus, daß der Luftwaf-feneinsatz bei weitem noch nicht den vorgesehenen, ausdem Einzelplan 14 zu finanzierenden Umfang erreichthat. Dasselbe gilt für den Einsatz des Heeres, der ausdem Einzelplan 60 finanziert wird.Ich bleibe dabei: Die Verteilung der Finanzierung –selbst der Finanzierung der Einsätze im Balkan – aufverschiedene Einzelpläne ist haushaltssystematisch un-befriedigend und politisch sicher eher nachteilig alsvorteilhaft. Aber für dieses Jahr ist mehr Spielraum alsin der Vergangenheit geschaffen worden. Nach gegen-wärtigem Ermessen reicht der Ansatz aus.
Militärisch ist also hinreichend Vorsorge getroffenworden. Das ist die Verantwortung des Haushaltsaus-schusses, und das ist die Verantwortung, über die in die-ser Stunde Rechenschaft abgelegt werden muß. Dochebenso klar darf ich namens beider Koalitionsfraktionensagen: Wenn neue Beschlüsse zu fassen sind, muß undwird sich auch der Haushaltsausschuß damit befassen.Was wir nicht mehr im Rahmen der Haushaltsaufstel-lung erreichen können, werden wir im Haushaltsvollzugleisten.Dasselbe gilt für die humanitären Maßnahmen. Dieaußerordentlichen Anstrengungen, die der Bundesmi-nister der Verteidigung und die Bundeswehr auf huma-nitärem Gebiet unternommen haben und weiter unter-nehmen werden, gehen nach dem Beschluß des Haus-haltsausschusses in der Bereinigungssitzung nicht zuLasten der finanziellen Vorsorge für militärische Einsät-ze. Mit 300 Millionen DM, die sich schon 14 Tage spä-ter als dringend nötigt erwiesen haben, haben wir viel-mehr Vorsorge für die Leistungen aller Ressorts getrof-fen. Leider Gottes oder auch Gott sei Dank muß man sa-gen, daß diese Vorsorge zur Zeit vor allen Dingen derhochengagierten und der hochleistungsfähigen Bundes-wehr obliegt.Herr Minister, ich darf nicht nur der Truppe, sondernauch Ihnen und dem in dieser Woche in Bonn anwesen-den Parlamentarischen Staatssekretär Walter Kolbow fürIhr Engagement danken.
Gerade weil der Einsatz der Bundeswehr im Rahmender NATO humanitär begründet wird, haben wir unsbemüht, auseinanderzuhalten, was auf der einen Seitemit dem Waffengang und hoffentlich bald mit einer Ab-sicherung des Waffenstillstandes und eines Friedenspro-zesses zusammenhängt – ich nehme an, diese Thematikwird, wenn wir erst über ein ziviles Aufbauprogrammreden werden, noch in eine ganz andere Dimension hin-einwachsen – und was auf der anderen Seite im engen,strengen Sinne humanitär ist. Das ist die unmittelbareHilfe für Menschen in der Not, die zur Zeit leider nuraußerhalb und nicht innerhalb des Kosovo möglich ist.Wie ich schon angedeutet habe, rechne ich damit, daßallein diese Aufgabe – vom zivilen Aufbauprogrammganz zu schweigen – noch mehr kosten wird, als uns zurZeit klar ist. Mir sind aber die materiellen Kosten zurVerhinderung von immateriellen Opfern allemal lieberals eine Schädigung von Leib und Leben der Menschen.
Der Einzelplan 14, also das Verteidigungsbudget,aber auch die übrigen, in anderen Einzelplänen veran-schlagten Verteidigungsausgaben nach den Kriteriender NATO haben durch die Zunahme der Auslands-Volker Kröning
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3151
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einsätze den Charakter eines Zwitters bekommen. Zumeinen sind die klassischen Aufgaben der Landes- undBündnisverteidigung zu finanzieren, doch zunehmendauch neue Aufgaben, die sich schon lange vor dem50-Jahres-Gipfel der NATO abgezeichnet haben.Der frühere Verteidigungsminister Rühe hat sich da-mit bereits im Rahmen des Verteidigungshaushaltesherumschlagen müssen, und auch wenn Minister Schar-ping die für 1999 gefundene Lösung als Entlastung emp-finden wird, ja muß – und wir alle teilen dieses Gefühl –,sollten die künftigen Verteidigungshaushalte alte undneue Aufgaben und Ausgaben integrieren.Nach dem Ergebnis des Berichterstattergesprächeshätte die Summe von Plafond und militärischen Verstär-kungsmitteln 47,381 Milliarden DM statt nunmehr47,490 Milliarden DM betragen, aber der Plafond wäremit 47,319 Milliarden DM höher als mit nunmehr47,049 Milliarden DM ausgefallen. Doch wichtiger undfür die Zukunft entscheidend ist, daß wir mit der erhöh-ten Beteiligung des Ressorts aus dem Verkauf von Ma-terial und Grundstücken mit insgesamt bis zu 232 Mil-lionen DM im Jahr 1999 einen Schritt in Richtung einereffektiven Verstärkung der investiven Ausgaben getanhaben. Dieses war ein ausdrücklicher Wunsch des Ver-teidigungsausschusses, ich glaube, sogar ein einmütigerWunsch dieses Ausschusses, und ich freue mich, daßwir im Laufe der Verhandlungen diesem Interesse auchRechnung tragen konnten.Dies und die Einführung der Budgetierung bei denUniversitäten der Bundeswehr, den Bundeswehrkran-kenhäusern und dem Flugmedizinischen Institut derBundeswehr, auf die sich das Verteidigungsministeriumund das Finanzministerium bisher nicht hatten verstän-digen können, und der Ausbau der gegenseitigen Dek-kungsfähigkeit im Verteidigungshaushalt zugunsten derVerbesserung der Informationstechnologien zeigen, daßsich die parlamentarischen Beratungen trotz allerSchwierigkeiten und trotz aller Begleitmusik gelohnthaben. Dies ist der Nutzen für das Ressort, den wir fest-halten sollten, dies ist der Nutzen für die Bundeswehr,über den ich froh bin.
Doch auch der Nutzen für den Gesamthaushalt darfnicht verschwiegen werden. Die Einsparungen im Rah-men der globalen Minderausgabe sollen nach demWillen des Haushaltsausschusses im Bereich der nicht-investiven Ausgaben erfolgen. Dabei will ich festhalten– und dies trägt auch der Besonderheit des Verteidi-gungshaushalts Rechnung –: So bedenklich globaleMinderausgaben im allgemeinen sind – ich nehme an,davon wird noch die Rede sein –, globale Minderausga-ben also, die nicht schon im Rahmen der Haushaltsauf-stellung aufgelöst sind, so sehr sollte respektiert, ja ge-radezu appelliert werden, daß diese Verantwortung imZeichen des Strukturwandels der Verteidigung von derFachpolitik wahrgenommen wird, also vom Verteidi-gungsminister und vom Verteidigungsausschuß.Dagegen ist der Haushaltsausschuß den Wünschendes Verteidigungsausschusses zur Personalstrukturnicht gefolgt – bis auf eine Verbesserung bei der Ent-sendung deutschen Personals zu den Vereinten Natio-nen, für die sich auch Herr Minister Scharping beson-ders eingesetzt hat. Die weitgehenden Vorschläge desAusschusses zur Personalstruktur dagegen hätten – ichbitte um Verständnis, daß wir das geltend machen müs-sen – die Ergebnisse der Kommission „Zukunft derBundeswehr“ und/oder eigenständige Entscheidungendes Ressorts in der nächsten Zeit präjudiziert. Zwischendem Ressort und dem Finanzministerium ist leider nochnicht einmal die bisher geltende Zielstruktur 340 000abgestimmt. Ich nehme an, daß das im Hinblick auf neueEntwicklungen auch gar nicht mehr passieren wird.Um so mehr betone ich, daß es keinen Beförderungs-stau geben wird. 1999 werden wie 1998 durch soge-nannten Ermächtigungsvermerk Beförderungsstellen,die sogenannten Supplementärstellen, für Oberstabs-feldwebel und Stabsfeldwebel, an der Zahl 900, zur Ver-fügung stehen. Dazu kommen, wie im Regierungsent-wurf vorgesehen war, 10 Unteroffiziers- und 64 Offi-ziersstellen, die 1999 im Ministerium für Beförderungengenutzt werden können.Weitere Anträge zur Personalstruktur, die mögli-cherweise gesondert zu finanzieren gewesen wären oderzu finanzieren sein werden, lagen und liegen dem Haus-haltsausschuß nicht vor.Im übrigen hat der Verteidigungsausschuß auf Antragder Koalitionsfraktionen die Bundesregierung um einenBericht zur Beförderungssituation aller Besoldungs-gruppen und auch zur Situation der Wehrdienstleisten-den gebeten. Diesen Bericht, der demnächst vorliegensoll, müssen die Ausschüsse auswerten. Aus ihm werdenKonsequenzen gezogen werden müssen. Deshalb, aberauch nur deshalb, meine Damen und Herren von derF.D.P., können wir heute Ihren Anträgen auf Erhöhungdes Wehrsoldes und auf Vereinheitlichung der Bundes-wehrbesoldung in Ost und West nicht nähertreten. Dieswürde im übrigen nicht nur die Bundeswehr betreffen,sondern die gesamte Bundesverwaltung. Ich darf aller-dings darauf hinweisen – das ist eine Mitteilung derletzten Tage –, daß das Problem der unterschiedlichenBezahlung bei den Auslandseinsätzen unserer Soldatenim Bereich der Exekutive in Kürze gelöst sein wird.
– Ich hatte mich auch dafür eingesetzt. Aber für uns wardas zum damaligen Zeitpunkt – leider Gottes – nochnicht entscheidungsreif.
Der Verteidigungshaushalt hat in den zurückliegen-den Jahren tiefe Einschnitte erfahren. Das ist uns wohlbewußt. Das ist oft genug hier debattiert worden. Siefolgten oft einer unsoliden, ja hektischen Haushalts- undFinanzpolitik und griffen sogar während eines laufendenHaushaltsjahres öfter in den Verteidigungshaushalt ein.Dies verursachte die bekannten desolaten Zustände, be-sonders bei der Material- und Gebäudeerhaltung. Diesschuf sogar – das wissen wir – Mißtrauen und Frustra-tion in der Truppe.Volker Kröning
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3152 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Wir lehnen solche Spardiktate ab. Aber zugleich kön-nen und wollen wir keine Füllhörner ausschütten. Wirwollen nichts versprechen, was wir nicht halten könnenund was auch Sie, meine Damen und Herren von derCDU/CSU-Fraktion, nicht gehalten haben, als Sie nochan der Regierung waren.Ihren Antrag auf Ausweitung des Verteidigungshaus-haltes noch über das Maß der Nominal- und Effektiv-stärke hinaus, die ich beschrieben habe, lehnen wir ab.Er ist genauso konzeptionslos, wie es die frühere Regie-rungspolitik auf diesem Feld war. Der haushaltspoliti-schen Realität wird sich – das muß man, wenn auchschweren Herzens, für die Zukunft feststellen – keinRessort – ich betone: kein Ressort – verschließen kön-nen. Aber wir haben den Willen, die sich aus der Sanie-rung der Staatsfinanzen ergebenden Notwendigkeiten imRahmen eines kooperativen Umgangs zwischen Fach-politikern und Haushältern durchzusetzen.
Wir setzen dabei auf gescheite und vor allen Dingen auffaire Lösungen. Dafür gibt es Beispiele aus den letztenWochen und Monaten.
– Über Intelligenzquotienten streite ich mit niemandem.Auch in den nächsten Jahren ist mit harten und zähenVerhandlungen angesichts der Spannung zwischen Teil-interessen und Gesamtinteressen zu rechnen. Nur einsorgfältig konzipierter Haushalt kann mehr als ein Jahrüberstehen, kann von Dauer sein. Uns alle in den Koali-tionsfraktionen eint das Ziel – ich hoffe, auch in derBreite dieses Hauses –, einer Organisation wie der Bun-deswehr und den Menschen, die ihr und uns dienen, diePlanungssicherheit zu geben, die sie brauchen.Schönen Dank.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Jürgen
Koppelin von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich habe während der Haus-haltsberatungen schon manches Mal für meine Fraktionzum Einzelplan 14 Stellung nehmen dürfen. Ich habewie die beiden Vorredner immer zu einzelnen Positionendes Haushaltes Stellung genommen. Ich gestehe aller-dings, daß es mir bei dieser Haushaltsberatung – zueinem Zeitpunkt, zu dem deutsche Soldaten im Auslandim Auftrag der NATO einen schweren Dienst tun – nichtleichtfällt, meinen Blick nur auf den Haushalt und aufeinzelne Haushaltspositionen zu richten.Natürlich beklagen auch wir Freien Demokraten, daßder Haushalt des Verteidigungsministers erneut reduziertwurde und daß die Vorbelastungen für diesen Haushaltweit über 1 Milliarde DM betragen. Dennoch erkenneich an – das will ich ausdrücklich betonen –, daß derVerteidigungsminister um seinen Etat gekämpft hat.Herr Kollege Kröning, als Sie eben dem Minister ge-dankt haben, hat sich das gut angehört. Aber der Dankkostet auch nichts. Sie hätten den Minister bei denHaushaltsberatungen unterstützen sollen. Das wäre dasRichtige gewesen.
Kollege Austermann hat schon darauf hingewiesen:Die Reduzierungen im Einzelplan 14 durch die rotgrü-nen Abgeordneten wären sicherlich noch höher ausge-fallen, wenn nicht die Opposition den Verteidigungsmi-nister massiv unterstützt hätte.
Doch heute, da die Bundeswehr mit zirka 6 000 Bun-deswehrangehörigen auf dem Balkan ihren Beitrag zumEinsatz der NATO im Kosovo erbringt, in einer Zeit, woAngehörige der Bundeswehr im Ernstfall ihr Leben zumSchutz der Menschen im Kosovo einsetzen, wo Soldatender Bundeswehr einen schwierigen und gefährlichenAuftrag erfüllen, müssen Diskussionsbeiträge darüber,ob diese oder jene Kostenstelle im Haushalt ausreichendist, in den Hintergrund treten. Wir Freien Demokratensind davon überzeugt, daß bei dieser Debatte über denHaushalt des Bundesverteidigungsministers andere Ant-worten als nur eine Diskussion über den Haushalt selbstgegeben werden müssen.Die Soldaten der Bundeswehr, die durch die Ent-scheidung des Parlaments zusammen mit den Angehöri-gen der anderen NATO-Staaten im Ausland dem Auf-trag nachgehen, den wir als Parlament gegeben haben,erwarten von uns klare Aussagen darüber, wie wir zurBundeswehr und zu den Soldaten der Bundeswehr ste-hen.So geht in dieser Stunde der Debatte über den Vertei-digungsetat zuallererst ein Dank und eine Anerkennungan die Soldaten der Bundeswehr, die jetzt einenschwierigen Auftrag erfüllen.
Wir verbinden damit den innigen Wunsch, daß sie allevon diesem Auslandseinsatz heil und gesund wieder zu-rückkommen. Wir sagen zu, daß wir alles unternehmenwerden, damit der Schutz unserer Soldaten, die einenverantwortungsvollen und gefährlichen Dienst versehen,ein vorrangiges Ziel bleibt. Wir hoffen sehr, daß dieserEinsatz bald beendet ist, und dabei setzen wir sehr starkauf die russische Diplomatie.Wir fühlen auch mit den Angehörigen unserer Sol-daten, die in dieser Zeit sicherlich in großer Sorge sind.Wir denken an die vielen Flüchtlinge, die die Auseinan-dersetzungen auf dem Balkan erleiden und ertragenmüssen. Wir denken auch an die unschuldigen Opfer,die dieser Krieg schon gefordert hat.Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Soldatenverdienen jedoch nicht nur unsere volle Solidarität undVolker Kröning
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unsere Unterstützung. Sie haben auch Anspruch aufgleiche Besoldung. Ein Bundeswehrangehöriger aus denneuen Bundesländern erhält noch immer 13,5 Prozentweniger Sold als ein Soldat aus den alten Bundeslän-dern. Wer für Deutschland Frieden und Menschenrechteschützt, der verdient auch den gleichen Sold. Das ist un-sere Auffassung.
Wir Freien Demokraten haben deshalb einen Antrag ge-stellt, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Wir bitten umdie Unterstützung aus allen anderen Fraktionen.Für die F.D.P.-Fraktion will ich die heutige Debattenutzen, um Ihnen, Herr Bundesverteidigungsminister,den Respekt meiner Fraktion für Ihre Amtsführung aus-zusprechen.
Natürlich bewerten wir das eine oder andere aus unsererSicht auch anders. Aber es bleibt unser Respekt. Wirkönnen es deswegen nicht gutheißen, wenn, wie am1. Mai auf einer Kundgebung in Ludwigshafen gesche-hen, Demonstranten Sie bei Ihrer Rede stören und mitSprechchören und Trillerpfeifen niederschreien wollen.Es muß in dieser Debatte jedoch auch gefragt werdendürfen, ob solche Demonstranten nicht ermuntert wer-den, wenn es Mitgliedern der Bundesregierung, wie derParlamentarischen Staatssekretärin Altmann, erlaubtbleibt, in einer Anzeige zu behaupten, die Bundesregie-rung führe zur Zeit einen Angriffskrieg.
Herr Minister, ich frage Sie: Wie können Sie mit dieserParlamentarischen Staatssekretärin noch an einem Kabi-nettstisch sitzen?
Darauf haben wir eine Antwort verdient. Es ist ebenso-wenig erträglich, daß sich Mitglieder der Fraktion derGrünen – Herr Verteidigungsminister, es ist immerhinIhr Koalitionspartner – dieser Auffassung in Anzeigenangeschlossen haben. Herr Verteidigungsminister, wassagen Sie dazu, daß Teile Ihres grünen Koalitionspart-ners Sie persönlich eines Angriffskrieges bezichtigen?Wir Freien Demokraten werden zum Haushalt desVerteidigungsministers eine namentliche Abstimmungbeantragen. Damit geben wir besonders der Fraktion derGrünen Gelegenheit, öffentlich zu zeigen, ob sie diePolitik des Verteidigungsministers noch mittragen will.Wir werden dann sehen, wie die ParlamentarischeStaatssekretärin Altmann und die anderen Mitglieder derFraktion Bündnis 90/Die Grünen, die von einem An-griffskrieg gesprochen haben, abstimmen werden. Ichsage in Richtung von Bündnis 90/Die Grünen: Wennman in Regierungsverantwortung ist, dann darf sich eineFraktion bei dieser Abstimmung nicht davonschleichen.
Wir werden sehr genau darauf achten, wer an der Ab-stimmung teilnimmt.In dieser Situation sind klare Aussagen und ein klaresBekenntnis zur Bundeswehr angezeigt. Dafür gehört füruns Freie Demokraten auch die Fortsetzung der bisheri-gen Form für öffentliche Gelöbnisfeiern. Sie, HerrVerteidigungsminister, haben sich dazu bekannt. Aberwie steht es mit Ihrem Koalitionspartner?
Das Verhalten von Herrn Trittin bei einer öffentlichenGelöbnisfeier in Berlin sowie die Aussagen und Forde-rungen der Kollegin Angelika Beer – sie ruft gerade da-zwischen –, die sich für Störungen der öffentlichen Ge-löbnisfeiern ausspricht, sind ja nicht vom Tisch und beivielen noch in schlechter Erinnerung. Herr Verteidi-gungsminister, es wäre gut, wenn Sie dazu in dieser De-batte ein Wort sagen würden.Lassen Sie mich auf das beherrschende Thema Koso-vo zurückkommen. Sie, Herr Minister, haben auf derKundgebung in Ludwigshafen gesagt: „Europa kann nurein friedlicher Kontinent bleiben, wenn die Menschen-rechte überall respektiert werden.“ Dem stimmen wir zu.Deshalb ist es weiterhin notwendig, daß wir denjenigenentschieden entgegentreten, die die Menschenrechteverletzen. Es ist wahr, daß dann, wenn die NATO jetztbeim Einsatz im Kosovo scheitert, nicht nur die Glaub-würdigkeit der NATO verloren wäre, sondern auch dieFolgen für die gesamte Stabilität in Europa unüberseh-bar wären.Was sagen Sie eigentlich, Herr Verteidigungsmi-nister, denjenigen aus Ihrer Fraktion, die nun, wie zumBeispiel der Kollege von Larcher, eine Feuerpause for-dern, oder die, wie der Kollege Hermann Scheer, einenStopp der NATO-Angriffe fordern und die Angaben derNATO in Zweifel ziehen? Was sagen Sie zu den Äuße-rungen des Bundesumweltministers Trittin auf der Ver-anstaltung in Göttingen, und was sagen Sie zu den Äu-ßerungen des fahnenflüchtigen Oskar Lafontaine inSaarbrücken am 1. Mai?
Ich wiederhole hier noch einmal, Herr Bundesvertei-digungsminister: Die F.D.P.-Fraktion unterstützt Sie.Aber wir fragen auch: Haben Sie noch die Unterstützungvon allen Teilen der eigenen Koalition? Die Angehöri-gen der Bundeswehr, die jetzt im Kosovo-Konflikt imEinsatz sind, haben darauf doch wohl eine Antwort ver-dient.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt wurde, wie derVerteidigungsminister bereits vor längerer Zeit ange-kündigt hat, eine Wehrstrukturkommission eingesetzt.Diese soll Vorschläge über Auftrag, Umfang, Ausrü-stung und Ausbildung der Streitkräfte unterbreiten. Ichverhehle nicht, daß sich die F.D.P.-Bundestagsfraktionbei der Besetzung dieser Kommission auch andere per-Jürgen Koppelin
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sonelle Konstellationen hätte vorstellen können. Wirhätten es begrüßt, wenn zum Beispiel der DeutscheBundeswehr-Verband dabeigewesen wäre oder Expertender Fraktionen an der Arbeit der Kommission beteiligtworden wären.
Bei der Gelegenheit, Herr Verteidigungsminister,möge man sich einmal vorstellen, Unternehmen wieVolkswagen oder Siemens hätten eine Kommission ge-gründet, um ein Zukunftsprogramm zur Strukturierungzu entwerfen, und in diese hohe kirchliche Würdenträgerberufen. Ich glaube, das würde nicht ganz so gut funk-tionieren. Sie verfahren aber genau nach diesem System.Da das Parlament an der Kommissionsarbeit nichtbeteiligt worden ist, verwundert es natürlich nicht, wennnun begleitende Diskussionsbeiträge aus den Fraktionenkommen. Ich warne allerdings davor, eine Reduzierungder Bundeswehrstärke nur mit Blick auf den Haushalt zufordern, wie das der Kollege Volker Kröning von derSPD schon früher und eben auch noch einmal getan hat.Kollege Kröning, Verteidigungspolitik macht man nichtje nach Haushaltslage, sondern nach den jeweils erfor-derlichen Notwendigkeiten.
Bei jeder Diskussion um die Zukunft der Bundes-wehr, Herr Kollege, sollten wir nicht vergessen, daß aufdeutschem Boden die Bürger noch nie so frei waren, soohne Furcht und Gefahr von außen waren. Dazu habendie Soldaten der Bundeswehr einen großen Beitrag ge-leistet. Auch bei der Erfüllung ihrer internationalenAufgaben werden sie immer das bleiben, was sie gewe-sen sind: Soldaten in einer Demokratie. Diesen Soldatenund allen Angehörigen der Bundeswehr fühlen wir Frei-en Demokraten uns verpflichtet. Aus dieser Verpflich-tung heraus, Herr Kollege Kröning, und nicht, weil IhrHaushalt uns überzeugt, wird die Freie DemokratischePartei auch als Oppositionspartei dem Einzelplan 14,dem Etat des Verteidigungsministers, zustimmen.Vielen Dank für Ihre Geduld.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Angelika Beer vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
HerrPräsident! Verehrte Damen und Herren! Wir stehen vorwichtigen Veränderungen im sicherheits- und verteidi-gungspolitischen Bereich und gleichzeitig vor derschwierigen Herausforderung, daß wir unsere Vorstel-lungen nicht bruchlos umsetzen können, sondern zu-nächst, Herr Kollege Koppelin, die Versäumnisse derletzten Regierung, die auch Sie mitgetragen haben, inmöglichst konstruktiver und zukunftsweisender Art ab-arbeiten müssen. Aus diesem Grunde ist in diesemHaushalt noch wenig von unserer grünen oder auch rot-grünen Handschrift zu lesen.Ich will durchaus die Punkte hervorheben, die wir fürpositiv und vorwärtsweisend halten. An der Stellemöchte ich insbesondere darauf hinweisen, daß es sichnach wie vor um einen Übergangshaushalt handelt. Ichhabe das schon einmal erwähnt; wir sehen aber ganzklar, daß wir uns eine Politik des „Weiter so“, wie Siesie betrieben haben – das hat ja auch zur verschärften fi-nanziellen Situation beigetragen –, keineswegs erlaubenkönnen.Natürlich dürfen wir nicht vergessen, daß der tragi-sche und grausame, von Milosevic zu verantwortendeKrieg im Kosovo vor allen Dingen die Versäumnisse derVergangenheit deutlich macht, nicht nur im konkretenpolitischen Alltag, sondern auch bei der Schaffung derGrundlagen für eine andere Politik. Es wird deutlich,daß die internationale Staatengemeinschaft eben nochnicht über Mittel verfügt, um auf einen solchen Konfliktrechtzeitig einzuwirken. Das liegt zum einen an derSchwäche der OSZE und anderen internationalen Or-ganisationen. Die Folgerung daraus für uns ist aber, daßdie OSZE und die Vereinten Nationen gestärkt werdenmüssen und nicht marginalisiert werden dürfen.
Auf der nationalstaatlichen Ebene, die ich auch an-sprechen möchte, ist ebenfalls viel nachzuholen. Ausdiesem Grunde haben wir in den Einzelplänen des Aus-wärtigen Amtes und des BMZ die Mittel für zivile Kon-fliktbewältigung zum erstenmal wieder erhöht, nach-dem sie in den letzten Jahren stagnierten bzw. reduziertwurden.Welche Rolle wollen wir der Bundeswehr in diesemZusammenhang zuweisen? – Sie kann eine unterstüt-zende Rolle annehmen. Allerdings stehen wir dann inder Verantwortung, daß das Primat der Politik und dieKontrolle des Parlaments auch in Zukunft gewährleistetbleiben. Die Bundeswehr ist bisher noch nicht genügendauf die anspruchsvollen Aufgaben internationaler Frie-denssicherung vorbereitet.Wenn ich im folgenden einige Überlegungen dazuanstelle, will ich in keiner Weise die Ergebnisse derKommission „Zukunft der Bundeswehr“ vorweg-nehmen. Im Gegenteil, ich begrüße ausdrücklich die Zu-sammensetzung der Kommission und deren Unabhän-gigkeit sowie deren Arbeitsteilung. Gerade die Unab-hängigkeit von Politikern halte ich für begrüßenswert.Ansonsten hätte ich Zweifel, ob diese Kommission dengewaltigen Aufgaben gewachsen ist.Wir gehen davon aus, daß es der Kommission trotzdes hohen Erwartungsdrucks gelingen wird, ein breitesSpektrum von Optionen zu überprüfen und diese ausge-wogen zu bewerten. Ihre Einberufung wird die Grundla-ge für die notwendigen politischen Entscheidungenschaffen.Es ist ja keineswegs so, Herr Kollege Austermann,daß die Kommission dann die Entscheidungen trifft,sondern sie soll die Optionen so vorbereiten, daß diePolitik – Parlament und Verteidigungsminister – dieKonsequenzen aus dieser Arbeit ziehen kann.Jürgen Koppelin
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Ich halte es auch für ganz besonders notwendig – esist schon merkwürdig, daß das bei Ihnen noch nicht an-gekommen ist –, daß wir eben nicht im EilverfahrenEntscheidungen übers Knie brechen wollen,
sondern daß die Ergebnisse insbesondere für die Betrof-fenen, für die Soldaten, kalkulierbar sein müssen. Des-wegen ist der Zeitraum der Arbeit dieser Kommissionauch richtig gesetzt.
Ich möchte betonen, daß ich es begrüße, daß sich derMinister für eine öffentliche Diskussion während derArbeit der Kommission ausgesprochen hat. Gerade vordem Hintergrund der neuen Aufgaben, die doch auf derHand liegen – wir sehen heute, daß die Bundeswehr denAufgaben der Zukunft nicht gewachsen ist; das wirddoch an jeder Entscheidung, die wir hier zu treffen ha-ben, deutlich –, ist es notwendig, transparent und offenzu diskutieren.Ich sage Ihnen eines: Die Öffentlichkeit, die Gesell-schaft, ist nicht mehr mit Beruhigungspillen, wie Sie siein den letzten Jahren nur noch angeboten haben, zufrie-denzustellen. Die Gesellschaft will ja die Zukunft derBundeswehr und deren Aufgaben und Strukturen tragen.Dazu muß man aber Mut zur Transparenz haben unddarf nicht mit Scheuklappen diese Diskussion zu verhin-dern suchen. Dafür sind Sie, Herr Breuer, prädestiniert.Sie haben die Arbeit der Kommission schon im vorhin-ein diskreditiert, Sie haben die personelle Zusammenset-zung diskreditiert.Wir sprechen uns in eineinhalb Jahren wieder. Dannsind Sie nämlich aus dem Film heraus; dann wissen Sieüberhaupt nicht mehr, was Sicherheitspolitik der Zu-kunft bedeutet.
Angesichts der Tatsache, daß Interessenpolitik, garnationale Interessenpolitik, im traditionellen Sinn defi-nierte Interessenpolitik in einem integrierten Europa garnicht mehr zeitgemäß ist, stellen sich viele die Frage,wozu die Bundeswehr überhaupt noch gebraucht wird.Vor diesem Hintergrund sehe ich die Aufgabe dieserKommission und des Parlaments darin, ein außen- undein friedenspolitisches Konzept zu entwickeln, eineKonzeption, in der die Bundeswehr Bestandteil einerpräventiven Außen- und Sicherheitspolitik sein wird.Ich gehe davon aus, daß die Veränderungen der Bun-deswehr angesichts der zukünftigen Aufgaben zu einerReduzierung der bisherigen Hauptaufgabe, nämlich derLandesverteidigung, führen werden. Ich denke, daß diesnatürlich auch Folgen für die Strukturen und Aufgabenhaben wird. Wir gehen davon aus, daß aufgrund der si-cherheitspolitischen Rahmenbedingungen und der Ent-wicklung der Aufgaben die Streitkräfte der Bundeswehrdeutlich reduziert werden können, um so den Spielraumzu gewinnen, sie personell und materiell besser auf ihreAufgaben vorzubereiten.Aus Sicht der Grünen – daraus mache ich überhauptkeinen Hehl – sollte an die Stelle der Wehrpflicht unddes Zivildienstes ein freiwilliger Dienst treten, da dieWehrpflicht auf Dauer aus unserer Sicht gesellschaftlichnicht mehr zu rechtfertigen ist.
Allerdings gehen wir offen mit dieser Position in die öf-fentliche Auseinandersetzung. Wir haben ja gesehen,daß fast quer durch alle Parteien ähnliche Diskussionenlaufen.Welche anderen Aufgaben könnte es für die Bundes-wehr geben? – Grüne Vorstellungen zielen auf eineEntnationalisierung der Sicherheitspolitik. Es ist klar,daß dies unter den gegenwärtigen Bedingungen des in-ternationalen Systems nicht umsetzbar ist, auch nicht inKürze. Trotzdem meinen wir, daß man in diese Richtungdenken muß und auch erste Schritte tun sollte.Die Bundeswehr kann nicht die zentrale Institutionpräventiver Politik sein. Das ist die Aufgabe der Diplo-matie, der zivilen Politik und – zunehmend in der Ge-sellschaftswelt – die Aufgabe der Zivilgesellschaft. Un-ser Konzept präventiver Sicherheitspolitik zielt auf dieIntegration dieser verschiedenen Handlungsebenen, diesich ergänzen und die sich nicht gegenseitig ausschlie-ßen sollten. Damit muß eindeutig der Primat der Politikund des Zivilen vor dem Militärischen gewährleistetsein.Das Ziel einer präventiven Sicherheitspolitik für dieBundesrepublik Deutschland ist eine langfristig ange-legte Politik der Reduzierung und Vermeidung von Ge-walt sowie die Herstellung einer politischen Ordnung,die Frieden in der internationalen Politik gewährleistenwill. Wir wissen, daß Konflikte nicht aus der Welt ver-bannt werden können. Das ist auch die bittere Erfahrungder heutigen Tage. Uns geht es aber um die zivile undfriedliche Bearbeitung von Konflikten bzw. um dieDeeskalation von Gewalt, wenn es zu einem gewaltsa-men Konfliktaustrag kommt, und um die Wiederher-stellung einer friedensfähigen Situation. Zu entspre-chenden Maßnahmen muß man den Mut haben, bevorman gezwungen wird, Militär einzusetzen.
Weil Sie es nicht verstehen, sage ich: Das bedeutetdie Weiterentwicklung der internationalen Rechtsord-nung, einer internationalen Strukturpolitik und dieSchaffung regionaler und internationaler Instrumente fürKonfliktfrüherkennung, rechtzeitiges Eingreifen und –für die Zeit nach einem Konflikt; auch daran müssen wirdenken – die Schaffung von Instrumenten für eine Frie-denskonsolidierung.Wo nichts anderes möglich ist, müssen wir die An-wendung militärischer Mittel zur Verhinderung undAbwehr von Gewalt im Rahmen der internationalenGemeinschaft sehr genau – Einzelfall für Einzelfall –prüfen und gemeinsam auf einer eindeutigen völker-rechtlichen Grundlage, falls notwendig, vorgehen.Angelika Beer
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Wir treten dafür ein, daß Soldaten, die in schwierigeund gefährliche Situationen geraten können, optimalausgerüstet sind. Gleichzeitig – das ist meiner Ansichtnach die wichtigere Rolle – werden Einsätze in Zukunftnicht klassische Kampfeinsätze sein,
sondern Einsätze, in denen Soldaten im Sinne der Agen-da für den Frieden handeln können und handeln müssen.Auch deshalb wollen wir uns im Rahmen der VereintenNationen an Stand-by-Agreements beteiligen. Die er-sten Schritte auf diesem Weg sind gemacht.Diese komplexen Anforderungen – ich weiß, daß Siediese Überlegungen nicht gewohnt sind – gehören zurSicherheitspolitik dazu. Sie werden Auswirkungen aufdie Ausbildung der Soldaten und natürlich auch auf denEinzelplan 14 haben.
Wir dürfen die Möglichkeiten einer präventiven Poli-tik aber auch nicht überschätzen. Wenn es uns gelingt,diese Politik zunächst in Europa konkret werden zu las-sen, sie weiterzuentwickeln und so die Transformations-staaten und neuen Demokratien in ein solches Konzeptzu integrieren, sind wir einen wichtigen Schritt weiter-gekommen, der sehr viel mehr zur Stabilität beiträgt alsdie Polemik, die Sie sich heute zum Teil erlaubt haben.
Herr Koppelin, Sie versuchen, die Koalition mit Zi-taten und Unterstellungen gerade in der Frage des Koso-vo-Einsatzes zu spalten, in der wir Gott sei Dank einenbreiten Konsens haben. In diesem Zusammenhang frageich Sie nur, ohne daß ich die Beschlüsse Ihres F.D.P.-Landesparteitages angreifen will: Was sagen Sie denn zuder heutigen Entscheidung des F.D.P.-Landespartei-tages, auf dem eine sofortige und einseitige Beendigungder Luftwaffeneinsätze gefordert wird? Setzen Sie sichdamit argumentativ auseinander, anstatt sich in Polemi-ken zu ergießen, die weder den betroffenen Menschenim Kosovo noch dem Bündnis, noch der Politik für dieZeit nach dem Krieg auch nur ansatzweise helfen!
Frau
Kollegin Beer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Nolting?
Aber gerne, da Sie, Herr Kollege Nolting, heute nicht
reden durften.
Bitte
schön, Herr Nolting.
Frau Kollegin
Beer, vielleicht können Sie sich daran erinnern, daß ich
in der ersten Runde der Haushaltsdebatte geredet habe.
Deshalb hat der Kollege Koppelin heute gesprochen.
Wie stehen Sie denn zu Ihrer Aussage, die Sie am
29. April im „Morgenmagazin“ um 7.37 Uhr gemacht
haben,
nämlich zu möglichen Kollateralschäden bei Luft-
schlägen gegen Jugoslawien? In diesem Zusammenhang
haben Sie unter anderem gesagt: Ich möchte dieses Wort
Kollateralschaden nicht benutzen, und ich denke, wenn
Zivilisten ermordet werden, muß man das auch so sagen.
Stehen Sie noch heute zu dieser Aussage, daß das,
was die NATO dort betreibt, Mord ist?
Natürlich stehe ich noch zu dieser Aussage, genauso wie
ich zu einer anderen Aussage stehe, die Sie ebenfalls
hätten zitieren können – leider haben Sie es nicht getan
–, nämlich daß ich es für falsch halte, immer zu sagen,
es gebe keine völkerrechtlichen Zweifel, wenn es sie
gibt.
Sie sind eindeutig vorhanden, und deswegen bin ich für
Klarheit in der Sprache. Das Wort Kollateralschäden bin
ich, wenn Zivilisten umkommen, gleich auf welche Art,
nicht bereit zu benutzen.
– Ich habe mich nicht zu entzaubern. – Herr Kollege
Nolting, Sie können sich wieder setzen.
Frau
Kollegin Beer, erlauben Sie auch eine Zwischenfrage
des Kollegen Braun?
Herr
Kollege Braun.
Herr
Braun, bitte schön.
Frau Beer,
nachdem Sie Ihre damalige Äußerung in diesem Hause
noch einmal bestätigt haben: Wären Sie bereit, zum
Stichwort Mord den Wortlaut des § 211 des Strafgesetz-
buches nachzulesen, wo der Gesetzgeber vorsätzliche
Tötung aus niedrigen Beweggründen oder aus anderen
besonders zu mißbilligenden Gründen als Mord qualifi-
ziert?
Dasbrauche ich mir jetzt nicht durchzulesen. Sie wissen ge-Angelika Beer
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nau, daß wir wissen und anerkennen, daß die NATOinsgesamt 50 Prozent ihrer Angriffe abgebrochen hat,weil sie nicht ausschließen konnte, daß Zivilopfer ge-troffen werden. Sie wissen auch, daß wir, wenn dieLuftschläge zivile Ziele getroffen haben, jede Anschul-digung eindeutig zurückgewiesen haben, wenn der Ver-dacht geäußert worden ist, man habe bewußt und gezieltZivilisten angegriffen. Da gibt es überhaupt keine Diffe-renz, und dabei können Sie es belassen.
– Nein, ich möchte jetzt fortfahren und damit auch zumEnde kommen.
– Das ist nicht ungeheuerlich, sondern eine andere De-batte.Ich habe eben aufgezeigt, wie man Möglichkeitenentwickeln kann, gestaltend auf internationale Politikeinzuwirken. Unstrittig ist das Ziel: die Zivilisierung derinternationalen Beziehungen. Strittig ist der Weg, daviele ein pessimistisches Bild von den internationalenBeziehungen haben. Eine vorausschauende Politik wirdzwar im Moment Mittel beanspruchen, und sie mußpolitisch durchgesetzt werden; dafür müssen auf mittlereund längere Frist Ressourcen auf nationalstaatlicher wieinternationaler Ebene zur Verfügung gestellt werden.Sonst werden wir den politischen Anforderungen, dieauch Auswirkungen auf die Streitkräfte haben, nicht ge-nügen können.Unsere Überlegungen einer präventiven Sicher-heitspolitik zielen darauf, wie eine solche Politik mittelsder Bundeswehr unterstützt werden kann. Der Krieg imKosovo – damit will ich dann auch schließen – machtdie Dringlichkeit von Maßnahmen zur Entwicklung die-ser präventiven Politik deutlich, damit wir in Zukunftnicht mehr erst dann handeln, wenn das Kind in denBrunnen gefallen ist, sondern schon früher.Ansonsten, Herr Kollege Koppelin, empfehle ich Ih-nen, am Freitag eine Aktuelle Stunde oder eine Sonder-sitzung zu den Aussagen der Abgeordneten Beer zu be-antragen.
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Koppelin das
Wort.
Die Kollegin Beer hat
das angesprochen, was meine Parteifreunde in Thürin-
gen geäußert haben. Ich will dazu gerne Stellung neh-
men, Kollegin Beer; ich hätte das auch in Frageform
gemacht. Das sind genau die Fragen, die auch mein
Parteivorsitzender heute bei der großen Aussprache ge-
stellt hat und die meine Parteifreunde, vor allem in den
neuen Bundesländern, stellen.
Ich bedaure ausdrücklich – das will ich hier einmal sa-
gen, Kollegin Beer; darauf können Sie später eingehen,
denn Sie können gleich auch reden, wenn Sie wollen –,
daß der Bundeskanzler zu diesen Fragen heute nicht
Stellung genommen hat. Das macht manche Entschei-
dung schwer. Ich hoffe, daß gleich der Verteidigungs-
minister Stellung dazu nehmen wird.
Wenn Sie mir vorwerfen, Kollegin Beer, ich wollte
mit meiner Rede eine Spaltung der Koalition herbeifüh-
ren: Das habe ich überhaupt nicht nötig, denn das haben
Sie mit Ihrer Rede selber gemacht.
Zur Er-
widerung erteile ich das Wort der Kollegin Beer.
Herr
Kollege Koppelin, wenn Sie die gesamte Debatte ver-
folgt und sich vielleicht etwas besser informiert hätten,
dann hätten Sie der Bundesregierung heute nicht unter-
stellen können, daß sie nicht in der Lage gewesen sei,
auf alle Fragen zum Kosovo-Einsatz zu antworten. Das
ist dezidiert und ausführlich geschehen. Sie hätten hier
im Plenum sitzen sollen, statt mit weiteren Unterstellun-
gen zu versuchen, einen so wichtigen humanitären Ein-
satz, den wir unternehmen wollen und den wir nachher
auch noch in den Ausschüssen diskutieren wollen, in
eine solche Polemik der Oppositionsdebatte hineinzu-
ziehen.
Ich habe Sie nur gebeten, sich mit den Argumenten
Ihrer Partei auseinanderzusetzen, anstatt anderen zu un-
terstellen, daß sie nicht wissen, was sie tun. Wir wissen,
was wir tun. Wir wollen dieses Mandat, um den Flücht-
lingen in Albanien durch einen humanitären Einsatz der
Bundeswehr endlich Hilfe zu gewähren. Denn das müs-
sen wir tun, wenn es um die Menschen geht.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Winfried
Wolf von der PDS-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt offen-sichtlich manchmal Gemeinsamkeiten zwischen derCDU/CSU, der F.D.P. und der PDS. Beim letzten Bei-trag hatte ich bei Ihnen, Herr Breuer und Herr Koppelin,den Eindruck, daß Sie wie ich die Vorrednerin alsTraumtänzerin einschätzen, wobei das für uns – hier be-ginnt dann der Unterschied – ein Alptraum ist. Es gehtnämlich um den Alptraum Krieg. Ich glaube, daß diesAngelika Beer
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gerade bei dem Einzeletat Rüstung das bestimmendeThema ist und sein sollte.Nachdem in den letzten Tagen etwas Bewegung indie Position der NATO und der Bundesregierung ge-kommen ist, könnten wir uns möglicherweise darübereinig sein, daß schwere Fehler in diesem Krieg began-gen wurden. Ich möchte dazu ein Zitat anführen: Der er-ste Fehler ist der,… daß man die UNO beiseite geschoben hat ... Werinternationalen Frieden will, muß das internatio-nale Recht stärken … Und das internationale Rechtkann nur durch die Vereinten Nationen konstituiertwerden, nicht durch andere, die sich selbst manda-tieren …Der zweite große Fehler war,… die augenblickliche Schwäche Rußlands soschamlos auszunutzen … Wir werden auf der Weltkeinen Frieden erreichen können ohne Rußland.– Herr Koppelin, ich glaube nicht, daß momentan aufdie russische Diplomatie gesetzt wird. Es wird auf dieSchwäche Rußlands gesetzt und mit IWF-Krediten ge-pokert.
Weiter das Zitat:Wir hören jetzt oft den Satz, die NATO müsse ihrGesicht wahren. Sie könne jetzt nicht anders, siemüsse jetzt siegen … Wir sollten uns fragen: Wes-sen Sieg wäre dieser Sieg eigentlich? Was bedeuteteigentlich Gesichtswahrung gegenüber dem Elendder Menschen, die unter diesem Krieg leiden?
Es geht nicht um Sieg und nicht um Gesichtswah-rung. Es geht darum, Menschenleben zu retten …in Jugoslawien.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei diesen Ein-gangspassagen handelt es sich um Zitate aus der Redevon Oskar Lafontaine am 1. Mai dieses Jahres in Saar-brücken. Von daher hätte man etwas Nachdenklich-keit auf den Bänken der Sozialdemokratie erwartenkönnen.
In Saarbrücken gab es dazu ungeteilten Beifall.Es ist einfach eine Tatsache: Dieser Krieg wird vonTag zu Tag unmenschlicher. Gerade war über den Tik-ker zu lesen, daß Bill Clinton, in dessen Namen derKrieg vor allem geführt wird, angekündigt hat, dieBombardements zu verschärfen. Es werden inzwischenüberwiegend zivile Ziele angegriffen. Dies wird vonNATO-Sprecher Shea noch zynisch kommentiert, wenner zum Beispiel die Bombardierung einer Tabakfabrikmit der weltweiten Kampagne gegen Nikotingenuß inVerbindung bringt.Das Schlimme ist: Wir können in der Presse schwarzauf weiß lesen, daß es primär zivile Ziele sind, die ange-griffen werden. Das können wir nicht nur in den dreiAusgaben der Zeitung „Gegen den Krieg“, die die PDSherausbrachte,
sondern auch in der „Welt am Sonntag“ vom letztenSonntag. Dort wird beschrieben, daß immer mehr zivileZiele angegriffen werden. Weiter heißt es wörtlich:Was könnte die NATO auch anderes tun? Boden-truppen will sie nicht einsetzen. Die erkannten mi-litärischen Ziele sind weitgehend abgearbeitet.Das ist die Sprache des Krieges: Bombenziele werdenabgearbeitet.Es war übrigens erneut Oskar Lafontaine in seinerRede am 1. Mai, der auf diese Sprache einging und dortsagte:Würden diese Leute, wenn die eigenen Frauen undKinder ums Leben kamen, davon sprechen, daßKollateralschäden eingetreten sind?Die Sprache lügt hier an dieser Stelle. Eine korrekteÜbersetzung des Begriffs „Kollateralschaden“ müßtelauten: ein seitlich aufgetretener Schaden, eine Nebener-scheinung des Krieges. Wenn aber ein Flüchtlingstreck,wenn ein Zug, wenn Busse, wenn Wohnsiedlungen undFernsehanstalten bombardiert werden, dann waren diezivilen Opfer nicht die Nebensache, sondern die Haupt-sache. Sie waren das Wesen dieser Angriffe.
So sieht die bisherige Bilanz des Krieges aus: Getrof-fen wird primär die Zivilbevölkerung. Nach den vorlie-genden glaubwürdigen Zahlen kamen bisher 1 200 Men-schen, überwiegend Zivilistinnen und Zivilisten, umsLeben.
Selbst wenn es sofort einen Waffenstillstand geben wür-de, ist festzustellen: Das Land wurde nach Einschätzungvon Spezialisten auf den Entwicklungsstand von 1945zurückgebombt. Diese Schäden bezahlt nicht die FamilieMilosevic; sie werden von den Menschen in Montene-gro, in Serbien, im Kosovo und in der Wojwodina
und inzwischen auch von den Vertriebenen und Flücht-lingen in Makedonien und in Albanien bezahlt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vielfache Hin-weis auf die Verbrechen der Milosevic-Regierung hat indieser Debatte eine Rechtfertigungsfunktion. Diese Ta-ten, soweit sie belegt sind, werden nicht bestritten. Siewurden von uns vor Beginn des Krieges dargelegt, siewurden zu Beginn des Krieges dargelegt, und sie wur-Dr. Winfried Wolf
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den auch heute wieder in der Debatte von Gregor Gysidargelegt.
Aber entscheidend ist: SPD und Bündnisgrüne und dieseBundesregierung handeln hier eindeutig als Rechtsbre-cher. Die erwähnten Verbrechen rechtfertigen in keinerWeise ihr Tun.Gerade das war die Auffassung der gleichen Betei-ligten. Es waren Angelika Beer und Ludger Volmer, dievor knapp einem Jahr in diesem Bundestag feststellten –ich zitiere –:… die Menschenrechtsverletzungen durch serbi-sche Militär- und Polizeikräfte entbinden die inter-nationale Staatengemeinschaft nicht von derRechtsförmlichkeit eigenen Handelns … Selbst beider schwersten aller denkbaren Menschenrechts-verletzungen, einem Völkermord, wäre … keineAbweichung von der Notwendigkeit einer autori-sierenden Resolution des Sicherheitsrates möglich.Und weiter formulieren Frau Beer und Herr Volmer undandere Abgeordnete der Grünen laut Bundestagsproto-koll vom 19. Juni 1998:Eine deutsche Beteiligung an einem NATO-Einsatzohne UNO-Mandat … würde fundamental gegendie Verfassung der Bundesrepublik Deutschlandverstoßen.Worte, die mit Leidenschaft vor zehn Monaten hier ge-sprochen wurden. Selbst bei Völkermord nur mit UNO-Mandat!
Doch genau diese völkerrechtlichen Positionen wer-den von der neuen Regierung weggefegt.
Kollege Willy Wimmer von der CDU, ehemalsStaatssekretär im Verteidigungsministerium, hat es vorwenigen Tagen in einem Interview mit der „Süddeut-schen Zeitung“ auf den Punkt gebracht.
Er sagte:Die Bombenangriffe zerstören mehr, als sie schüt-zen. Sie schützen die Flüchtlinge nicht … Sie zer-stören aber das Rechtsdach, unter dem wir in Euro-pa leben.Ein Parlamentarier der Opposition, von den Christen!
Werte Kolleginnen und Kollegen, SPD und Grünehandeln mit ihrer Politik in Jugoslawien eindeutig nachdem Grundsatz: Was kümmert uns unser Geschwätz vongestern? Das gilt übrigens für den Etat Verteidigunginsgesamt.In der Haushaltsdebatte in diesem Saal am 26. No-vember 1997 führte die Kollegin Beer aus:Wir beantragen heute die Streichung von 4,846 Mil-liarden DM aus dem Einzelplan 14– Verteidigung –als Signal für die Möglichkeit des Einstieges … ineinen neuen Gesellschaftsvertrag.
Dann wandte sich Frau Beer an die Regierung Kohlund an Verteidigungsminister Rühe.
Herr
Kollege Wolf, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Austermann?
Selbstverständlich.
Bitte
schön, Herr Austermann.
Herr Kollege,
ich lese gerade in Ihrer lustigen Selbstdarstellung, daß
Sie Aktionär bei Daimler-Chrysler sind.
Das irritiert mich deshalb, weil, wenn ich das richtig
sehe, die Firma Daimler-Chrysler ja einer der größten
Rüstungsproduzenten in Deutschland ist. Können Sie
mir erklären, wie das mit Ihrem Engagement, das Sie
hier eben so sichtbar zum Ausdruck gebracht haben, zu
vereinbaren ist?
Herr Kollege Austermann,erstens müßten Sie korrekt zitieren. Aber Sie wissen ja,daß im Bundestagshandbuch steht, daß ich kritischerAktionär bei Daimler-Chrysler bin und vorher beiDaimler war.
Zweitens wissen Sie selber und die Öffentlichkeitnatürlich auch, daß kritische Aktionäre eine Aktie ha-ben, um die minimalen Möglichkeiten der Demokratie,die es bei diesen Molochen und Großkonzernen gibt, aufDr. Winfried Wolf
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den Hauptversammlungen zu nutzen. Ich werde in dernächsten Woche in der Schleyer-Halle in Stuttgart an-wesend sein, das Wort ergreifen und zu dem Thema re-den, so wie ich vor knapp einem Jahr auf der Hauptver-sammlung am 17. September in der Schleyer-Halle ge-redet habe. Damals habe ich die Frage gestellt: HerrSchrempp, wird es möglich sein, daß eine rotgrüne Re-gierung in der Lage ist, den Eurofighter und andere Auf-rüstungsprojekte zu stoppen? Darauf hat Herr Schrempplaut Protokoll geantwortet: Herr Dr. Wolf, das wirdnicht möglich sein. Diese Projekte werden alle durchge-führt werden, egal wer in Bonn oder Berlin konkret dieRegierung stellt.
Das zeigt die Macht dieser Konzerne, und das zeigt,wie wichtig es ist, als kritischer Aktionär diese Fragenzu stellen.
Ich habe vorhin die Kollegin Beer mit ihrer Redevom 26. November 1997 zitiert. Sie hat gesagt, daßRüstungsetats für einen Gesellschaftsvertrag gekürztwerden sollen. Die Kollegin geht weiter. Sie sagte da-mals: Da der neue Gesellschaftsvertrag mit Ihnen, HerrRühe und Herr Kohl, nicht zu machen ist, hoffen wir,„daß wir schnellstmöglich selber in die Verantwortungkommen“.Diese Hoffnung ging auf. Das Versprechen einessolch neuen Gesellschaftsvertrags wird von der neuenRegierung jedoch Tag für Tag gebrochen. Die Friedens-dividende, die 1990 versprochen wurde und die es unterder Regierung Kohl nicht gab, gibt es auch unter derRegierung Schröder nicht; der Rüstungsetat 1999 wirdnicht reduziert, er steigt. Auch hier zeigt sich die pureKontinuität der Politik von Rühe und Scharping. AlleAufrüstungsprogramme, die von den Grünen in denletzten Legislaturperioden gekürzt werden sollten, wer-den fortgesetzt. Und es wird noch weit schlimmer kom-men: Diesen Krieg werden auch die deutschen Steuer-zahlenden begleichen müssen, zum Beispiel durch einemühsam versteckte Kriegssteuer in Form einer erneuterhöhten Mehrwertsteuer.Werte Damen und Herren, die PDS bleibt bei ihremNein zum Rüstungsetat. Sie fordert – inzwischen weit-gehend allein – das, was bis vor wenigen Monaten auchdie Grünen gefordert haben:
massive Kürzungen im Wehretat für einen Gesell-schaftsvertrag, für ein soziales, ökologisches, gerechtesund ziviles Land. Wir fordern – seit dem ersten Tag desKrieges und heute erst recht und verstärkt – mit zuneh-mend mehr Abgeordneten der SPD und einer Minderheitder Grünen das sofortige Ende dieses Krieges und densofortigen Stopp der Bombardements.Danke schön.
Ich er-
teile dem Kollegen Dr. Ludger Volmer das Wort zu
einer Kurzintervention.
Der Vorredner hat gerade einige Äußerungen angespro-chen, die die Kollegin Beer und ich in der Vergangen-heit zur völkerrechtlichen Grundlage eines eventuellenmilitärischen Einsatzes der NATO gemacht haben. Dazumöchte ich folgendes ausführen, Herr Kollege Wolf.Niemand bestreitet, daß es richtig war, danach zu fragen,ob es für eine eventuelle militärische Aktion eine ausrei-chende völkerrechtliche Grundlage gibt. Diese Diskus-sion ist bis heute strittig geführt; es gibt sehr unter-schiedliche Meinungen dazu. Auch die Völkerrechtlerund Verfassungsrechtler mögen dazu weiterhin unter-schiedlicher Meinung sein.Ich möchte von Ihnen nur eine Antwort haben, dieSie und Ihre Fraktion bis heute nicht gegeben haben.Alle, aber auch wirklich alle Versuche sind von dieserBundesregierung unternommen worden, auf dem Ver-handlungswege zu einer friedlichen Lösung zu kommenund den beginnenden Völkermord zu stoppen. Wie ge-hen Sie damit um, daß in dieser bestimmten historischenSituation nicht nur diese Regierung, sondern das ge-samte Parlament und jeder einzelne in das Entschei-dungsdilemma geraten ist, zwischen völkerrechtlicherLegalität und moralischer Legitimität und Verpflich-tung, dort einzugreifen, abwägen zu müssen?Ich nehme jedem, der anderer Meinung ist als ich sel-ber, die Ernsthaftigkeit seiner Entscheidung ab, wennich erkennen kann, daß er sich diesem Dilemma zwi-schen Legalität und Legitimität wirklich ausgesetzt hat.Das kann ich bei Ihnen und bei Ihrer gesamten Fraktionnicht erkennen. Wie Bundesminister Fischer in der letz-ten Debatte zu Recht dargestellt hat, betätigen Sie sichals Weißwäscher von Milosevics Politik, weil Sie nichtbereit sind,
zu beschreiben, welche Greueltaten im Kosovo stattfin-den.Den Krieg hat nicht die NATO begonnen; den Krieghat ein Despot gegen einen Teil seines eigenen Staats-volks angezettelt. Genauso, wie wir beschreiben können,daß ein Militäreinsatz ohne Zustimmung des Sicher-heitsrats der Vereinten Nationen einen völkerrechtlichenMangel aufweist, genauso können wir sagen, daß dasgesamte Völkerrecht eine große Lücke in dem Bereichaufweist, wo es keine Regelungen dafür vorsieht, wiedie internationale Gemeinschaft vorgehen kann, wenn ineinem innerstaatlichen Konflikt ein Despot einen großenTeil seines eigenen Volkes massakriert.
Dr. Winfried Wolf
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Daraus kann und muß man ableiten, daß es in be-stimmten historischen Situationen eine Art übergesetzli-chen Notstand und eine Art Nothilfeverpflichtung gibt.Aus dieser singulären Tatsache kann man nun geradenicht ableiten, daß dies zum Völkergewohnheitsrechtwird.Von daher ist es richtig, kritisch darauf hinzuweisen,daß es diese völkerrechtlichen Mängel gibt. Ich lasse mirdiese Kritik von jedem gefallen, der sich dem Dilemmawirklich aussetzt. Ich lasse sie mir aber nicht von je-mandem gefallen, der die Realität verbiegt, nur um seineigenes Weltbild zu retten.
Zur Er-
widerung Herr Kollege Wolf.
Sehr geehrter Herr Kolle-
ge Ludger Volmer! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wenn das Weltbild angesprochen wird, dann kann ich
sagen, daß es bei mir immer das gleiche war, aber ein
anderes, als Sie hier unterstellen.
Es war gegen den Putsch in Griechenland am 21. April
1967 gerichtet, gegen den Vietnamkrieg, gegen den
Einmarsch in Afghanistan, gegen den Prager Einmarsch
der Sowjets. Genauso ist es gegen diesen Krieg in Jugo-
slawien gerichtet.
Was das Gewohnheitsrecht betrifft, Herr Kollege
Ludger Volmer, kann ich nur sagen: Ich gehe fest davon
aus – die Kollegen, die einigermaßen rational denken
können, auch –, daß damit ein Paradigmenwechsel ein-
getreten ist, daß damit wirklich Gewohnheitsrecht ge-
schaffen werden wird. Das hat sich ganz konkret auf der
NATO-Tagung zur 50-Jahr-Feier in Washington nieder-
geschlagen, wo gesagt wurde, daß die NATO-Charta so
geändert wird, daß das nicht eine Ausnahme, sondern
regelmäßig möglich ist.
Wenn Sie, Kollege Ludger Volmer, sagen, daß alle
Versuche vor Beginn des Krieges am 24. März unter-
nommen worden seien, um diesen Krieg nicht führen zu
müssen, dann verweise ich auf drei Tatbestände.
Erstens. Im Herbst letzten Jahres gab es ein Abkom-
men zwischen Holbrooke und Milosevic. In diesem
Abkommen wurde festgelegt, daß 2 000 OSZE-
Beobachter ins Land kommen sollen. Diese wurden
nicht gebracht. Es wurden maximal 1 300 zur Überwa-
chung entsandt. Trotzdem wird in den Berichten des
Auswärtigen Amtes – und zwar aktualisierten Berichten,
nicht irgendwelchen alten Berichten von Beamten der
CDU – geschrieben, daß sich die Lage in diesem Zeit-
raum verbessert habe.
Zweitens. In Rambouillet hat es sich unserer Ansicht
nach um eine erpresserische Situation Jugoslawien ge-
genüber gehandelt.
Das ist spätestens dann deutlich geworden, liebe Kolle-
gen von der SPD, als Sie selber den Vertrag sehen
konnten. Ich kenne viele SPD-Kollegen, die jetzt, nach-
dem sie den Vertrag mit Annex B gelesen haben, sagen:
Ja, das war Erpressung. So kann es nicht sein. Das ist
ein reiner Kapitulationsvertrag.
Drittens. Denken Sie daran, daß in Rambouillet,
nachdem Milosevic unter diesem Druck in vielen Punk-
ten nachgegeben hat,
der entscheidende Punkt der war, ob UN-Truppen im
Land sein würden oder NATO-Truppen im Kosovo sein
würden. Da wurde gesagt: Niemals UN, es müssen
NATO-Truppen sein. Jetzt sagen Sie: Wir holen die
UNO wieder herein; sie müsse irgendwie in der interna-
tionalen Truppe drin sein. Das geht zurück zu dem, was
in Rambouillet erreicht worden ist.
Zum Schluß, werter Kollege Ludger Volmer – –
Herr
Kollege Wolf, Ihre Zeit ist zu Ende.
Haben Sie mit dem Kolle-
gen Ludger Volmer verglichen? – Aber okay. Ich darf
nicht kommentieren.
Für dieBundesregierung spricht nun der Bundesminister derVerteidigung, Rudolf Scharping.
Dr. Ludger Volmer
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Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-gung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Vor wenigen Tagen ist eine Umfrage veröffent-licht worden, die nach der Vertrauenswürdigkeit und derGlaubwürdigkeit öffentlicher Institutionen fragte. DiePolizei lag mit 84 Prozent an der ersten Stelle, die Bun-deswehr und das Bundesverfassungsgericht mit 73 bzw.74 Prozent folgten in dieser Wertschätzung an zweiterStelle.Diese Wertschätzung ist gut begründet. Sie macht dasausgeprägte Vertrauen in der Bevölkerung deutlich. Ichdenke, man sollte am Anfang dieser Debatte sagen, daßman auf die Leistungen der Bundeswehr ebenso stolzsein kann, wie man keinen Grund hat, sie in irgendeinerWeise zu verstecken, weder hinter Kasernenmauernnoch sonstwo.
Die Leistungen sind auch deshalb so erstaunlich, weildie Bundeswehr wie kein anderer Bereich, der von derPolitik zu verantworten wäre, seit der deutschen EinheitVeränderungen durchmachen mußte. Die Zahl der Sol-daten in Deutschland ist von 700 000 auf 340 000 ge-sunken, die Zahl der Zivilbeschäftigen von über 200 000auf 140 000, die Zahl der Mitarbeiter allein in der terri-torialen Wehrverwaltung von 78 800 auf 56 500. Da-durch ist der Anteil, den wir für Verteidigungsausgabenin Relation zum Bruttoinlandsprodukt ausgeben, von 3,0auf 1,5 Prozent ebenfalls halbiert worden.Gleichzeitig müssen die Angehörigen der Bundes-wehr mit Belastungen fertig werden, von denen ich jetztnur einige nenne. Das Defizit bei den Unteroffizierenergibt sich zum Beispiel daraus, daß die Laufbahn derUnteroffiziere im Verhältnis zu den Laufbahnen in Poli-zei und Bundesgrenzschutz hinsichtlich der Besoldungund der Beförderungsmöglichkeiten zurückgeblieben ist.
Man muß das offen aussprechen; denn sonst gibt es kei-nen Grund, irgend etwas zu ändern. Dasselbe gilt übri-gens für die Ost-West-Besoldung und für manches ande-re.Ich erwähne das nicht nur, um eine Leistung zu be-schreiben, sondern um auch bei dieser Etatdebatte nocheinmal zu bekräftigen: Angesichts solcher tiefgreifendenVeränderungen, die übrigens auch Herausforderungenfür die betroffenen Menschen und ihre Familien bedeu-tet haben, gilt für die Zukunft unverändert das Prinzipplanerischer und sozialer Sicherheit. Wenn man Ände-rungen herbeiführen will, muß man dafür eine sichereGrundlage haben.
Ich sage dies auch im Zusammenhang mit diesem Haus-halt.Trotz dieser erheblichen Veränderungen – ich könntesie mit vielen anderen Beispielen und Zahlen belegen –nimmt die Bundeswehr im übrigen Verpflichtungen fürdie Gesellschaft wahr, von denen – jedenfalls nach mei-nem Empfinden – in der Öffentlichkeit zuwenig gespro-chen wird, was bedeutet, daß darüber auch zuwenig In-formationen und Bewußtsein vorhanden sind. Wir habenzur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit im Rahmendes Programmes, das der Bundesarbeitsminister dan-kenswerterweise und mit großem Erfolg aufgelegt hat,5 000 zusätzliche Plätze für Wehrdienstleistende bereit-gestellt, die arbeitslos sind. Wir haben die Zahl der Aus-bildungsplätze um 200 erhöht und damit den absolutenLöwenanteil bei der Erhöhung der Zahl der Ausbil-dungsplätze im Bereich der Bundesverwaltung erbracht.Wir geben im Jahre 1999 für zivilberufliche Ausbildung2,2 Milliarden DM aus. Damit ist die Bundeswehr dergrößte Investor in Ausbildung in der gesamten Bundes-republik Deutschland.
Im übrigen geben wir noch 3,7 Milliarden DM für ab-solut verteidigungsfremde Aufgaben aus. Ich könntesie im einzelnen darstellen. Ich nenne nur ein Beispiel,was ich schon mit Blick auf künftige Haushaltsberatun-gen erwähne, um Neugierigen das Informationsbedürf-nis zu befriedigen. In dieser Summe sind 770 MillionenDM für die Finanzierung der Bauverwaltung der Länderenthalten.
Wenn ein großes Bedürfnis bestehen sollte, sich mitdem Verteidigungshaushalt so auseinanderzusetzen, wieich es manchmal vermute – um nicht zu sagen: befürchte –,dann werden genau diese Ausgaben auf den Prüfstandkommen; denn eines will ich absolut deutlich machen:In einer Zeit, in der dauerhaft immer stärker internatio-nales Krisenengagement der Bundeswehr gefordert ist,wird in der militärischen Leistungsfähigkeit, in der Aus-bildung und in der Ausrüstung der Bundeswehr nichtseingespart werden können. Es wird auch nichts einge-spart werden. Wer der Auffassung ist, man müsse nachSparmöglichkeiten suchen, der findet sie dort, wo ich siegerade geschildert habe. Dabei wünsche ich dann jedemviel Vergnügen.
Herr
Bundesminister Scharping, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Koppelin?
Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-
gung: Aber gerne.
Bitte
schön, Herr Koppelin.
Herr Minister, ich binIhnen für den Hinweis sehr dankbar, welchen Beitrag
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die Bundeswehr an die Bauverwaltung der Länder zahlt.Ich will ausdrücklich erwähnen, daß Rheinland-Pfalz indieser Angelegenheit eine positive Ausnahme ist. Neh-men Sie zur Kenntnis, daß die F.D.P.-Fraktion im Haus-haltsausschuß dazu einen Antrag gestellt hat, um Sieauch von diesen Kosten zu entlasten, daß aber die rot-grüne Koalition diesen Antrag leider abgelehnt hat?Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-gung: Herr Koppelin, ich hätte es, ehrlich gesagt, auchfür falsch gehalten, wenn man dies übers Knie bricht;
denn Sie weisen zu Recht auf das gute Beispiel des Lan-des Rheinland-Pfalz hin. Sie wissen aber auch, daß esbei Ihrem Beispiel eine gewisse Zeit gebraucht hat, umdie Bauverwaltung so zu modernisieren, daß man dieVereinbarungen mit ihr treffen konnte, die jetzt seitensdes Bundesverteidigungsministeriums gerade mit die-sem Teil der Bauverwaltung abgeschlossen werden. DieLänder sind da – mit Verlaub und völlig unabhängig vonparteipolitischen Konstellationen – insgesamt auf demrichtigen Weg, manche etwas schneller als andere. Ichwill das jetzt nicht weiter ausführen.Ich wollte auf diese zivilen und gesellschaftlichenLeistungen der Bundeswehr aufmerksam machen, nichtnur im Zusammenhang mit Ausbildung oder Leistungenfür die Bauverwaltung oder anderem. Dasselbe gilt fürden Sport, die Umwelt, den Aufbau Ost, die Kranken-häuser und das Rettungswesen, an dem sich die Bun-deswehr im zivilen Interesse beteiligt. Die Rettungsflü-ge, die von Bundeswehrhubschraubern unternommenwerden, dienen zu 99 Prozent zivilen Zwecken.Vor diesem Hintergrund – einschließlich der Hilfe inKatastrophenfällen – kann ich nur sagen: Wer über denHaushalt redet, muß sich auch noch mit einer anderenTatsache auseinandersetzen. Wenn mir Ministerpräsi-denten geschrieben haben, ihr habt uns freundlicher-weise bei der Katastrophe Hochwasser geholfen, ihrhabt uns freundlicherweise bei der Schneekatastrophe inGaltür geholfen – das haben uns die Österreicher ge-schrieben –, ist hinzuzufügen, daß wir die Einsätze dortbisher unter „Übungsbetrieb“ abgerechnet haben. Inso-fern ist die Hilfe für die, die sie bestellen, kostenfrei.Wenn jemand das Bedürfnis hat, betriebswirtschaftlicheErwägungen konsequent durchzudeklinieren, dann kön-nen wir das gerne tun. Aber ich bin ziemlich sicher, daßeine Vielzahl von Abgeordneten, die diese Erwägungabstrakt für richtig halten mögen, schon bei der kriti-schen Prüfung allein der Kleinststandorte der Bundes-wehr die Frage stellen würden, ob wir hier nicht dasPrinzip, Arbeitsplätze in den Regionen zu sichern, demPrinzip der Wirtschaftlichkeit vorziehen sollten. Das isteinfach eine Tatsache.
Vor diesem Hintergrund sage ich – auch mit Blickauf die Zukunft –: Denjenigen, der glaubt, daß er einerVerkleinerung der Bundeswehr – aus welchen Grün-den auch immer – das Wort reden müßte – daß man überdiese Frage unbefangen nachdenken muß, ist völlig klar –,weil man zum Beispiel im Verhältnis zum Bruttoinlands-produkt und im Verhältnis zu den Steuereinnahmen desBundes Einsparungen erzielten könnte, warne ich.
Denn die Bundesrepublik Deutschland ist in der Reiheder NATO-Staaten – das sind bekanntlich 18; ich lasseIsland einmal für einen Moment außerhalb der Betrach-tung – bei ihren Aufwendungen für Sicherheit und Ver-teidigung auf dem 14. Platz angekommen. Man kannnicht dauerhaft außenpolitisch in der ersten Reihe seinwollen, wenn man sicherheitspolitisch auf dem 14. Platzist. Das ist eine banale Tatsache.
Das wird auch nicht dadurch geändert, daß man invielen anderen Bereichen die Fähigkeit ausbauen muß– das habe ich hier im Parlament immer wieder unter-stützt und will es auch heute sagen –, internationalesEngagement und Friedenssicherung zunächst zu gründenauf die Stärkung internationaler Organisationen, auf Kri-senprävention, auf Krisenbewältigung, auf die Hilfe beider Beseitigung von Ursachen, aus denen gewalttätigeAuseinandersetzungen entstehen können.Damit komme ich zu dem internationalen Engage-ment, das die Bundeswehr in Zukunft viel stärker prä-gen wird als in der Vergangenheit. Krisenprävention undKrisenbewältigung sind Stichworte, die nicht nur in derneuen NATO-Strategie eine Rolle spielen, sondern diedie Bundeswehr schon jetzt sehr praktisch prägen, ihrLeben bestimmen, ihre Fähigkeiten manchmal deutlichstärker beanspruchen, als auf Dauer – jedenfalls beigleichbleibenden Fähigkeiten – verantwortbar wäre. Dasgilt für Bosnien-Herzegowina, das gilt für die humanitä-re Hilfe in Mazedonien und Albanien, das gilt für dieStand-by-Arrangements. Das sage ich jetzt den Kollegender CDU/CSU.
– Das können wir gerne tun.Daß die Bundesregierung es absolut ernst meint mitder Stärkung internationaler Organisationen, können Siedaran erkennen, daß wir im ersten halben Jahr unsererAmtszeit mit den Vereinten Nationen – ich habe mitdem Herrn Generalsekretär dreimal darüber gesprochen –Gott sei Dank eine Vereinbarung getroffen haben, diedie Geschwindigkeit und die Effizienz in der Reaktionder Vereinten Nationen verbessern hilft. Damit sind wirdann in einer Reihe mit sehr vielen zivilisierten Staaten,die das ebenfalls tun und den Vereinten Nationen ent-sprechende Fähigkeiten und entsprechende Kräfte an-noncieren, damit sie ihre Arbeit schneller und besser er-ledigen können. Ich halte das für einen großen politi-schen Fortschritt.
Ich will jetzt eine Frage im Rahmen des Gesamt-themas Kosovo beantworten. In dem Antrag der Bun-Jürgen Koppelin
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desregierung wird von einem Mandat der Vereinten Na-tionen oder einem Abkommen gesprochen und in beidenFällen von der Voraussetzung, daß es einen konstituti-ven Beschluß des Deutschen Bundestages gibt. Ichglaube, damit ist die Frage, die offengeblieben war, be-antwortet.Da wir in diesen Fragen bisher einen sehr großenKonsens hatten – ich hoffe, das bleibt so –, will ich Ih-nen ebenso deutlich sagen: Es steht ausdrücklich keineAbsicht dahinter, sich in irgendeiner Form am Bodenaußerhalb Albaniens und Mazedoniens und außerhalbdes humanitären Auftrages bzw. der anderen Mandate,die erteilt sind, zu engagieren. Ich will das sehr deutlichsagen. Ich kann nicht ausschließen – aber das ist schoneine fast spekulative Debatte über die Entwicklungen inden nächsten Tagen oder Wochen –, daß wir schnellerzu einem VN-Mandat als zu einem Abkommen kommenwerden. Es ist durchaus möglich, daß ein VN-Mandatdem Abkommen vorausgeht und die Chancen zu seinemAbschluß verbessert. Auf diese Dinge sollte man sicheinrichten.Da der Deutsche Bundestag ohnehin für den Fall, daßdas geschieht, nach seiner Meinung und Zustimmunggefragt werden muß, denke ich, ist der humanitäre Cha-rakter insgesamt zweifelsfrei.
Herr
Kollege Scharping, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Irmer?
Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-
gung: Ja, bitte.
Herr
Irmer.
Herr Minister Scharping, ichweiß, daß auch Sie die Vorlage der Bundesregierung soverstehen wie ich und daß Sie deshalb meine Frage mitja beantworten werden.
In den Diskussionen unter den Abgeordneten ist folgen-de Frage aufgetreten: Eine Passage in der Beschlußvor-lage der Bundesregierung, die Sie gerade zitiert haben,ist auf Grund drucktechnischer Probleme nicht klar zuerkennen. Dort wird von einem UN-Mandat und Frie-densabkommen und davon gesprochen, daß ein erneuterBeschluß des Deutschen Bundestages auf jeden FallVoraussetzung ist. Das bezieht sich doch auf die ZiffernI, II und III in gleicher Weise, das heißt auf die Aus-weitung der humanitären Hilfsleistungen, auf die Aus-weitung des Drohnenauftrages und auf die Nothilfe-aktionen. Es ist nämlich heute nachmittag gefragt wor-den, ob sich das – im Druck sieht das so aus – nur aufden dritten Teil bezieht. Ich verstehe es doch richtig, daßes sich auf alle drei vorgeschlagenen Maßnahmen be-zieht?Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-gung: Die Antwort ist die von Ihnen erwartete.
Sie verstehen das richtig.
Ich will jetzt noch etwas zu diesem ernsten Themasagen. Manchmal vergaloppiert man sich in Formulie-rungen; davon soll übrigens auch ein Verteidigungsmi-nister nicht völlig frei sein. Sie werden gleich merken,was ich meine.Ich habe gerade eine „dpa“-Meldung in die Hand be-kommen, aus der ich auszugsweise zitieren will:Flüchtlingsberichte über Greueltaten häuften sichDie Flüchtlinge hatten vor allem Verletzungen anRücken, Beinen und Händen. Einer konnte keinenFinger mehr bewegen, weil seine Hände nach denSchlägen schwer geschwollen waren.Man muß wissen, diese Menschen waren bei der Spe-zialpolizei in Pristina inhaftiert.60 Männer, die zur gleichen Zeit abgeführt wordenwaren, befänden sich noch in der Gewalt der Poli-zei, hieß es.Die Vertriebenen … sind nach Angaben desUNHCR traumatisierter denn je. Viele seien inTränen aufgelöst und hysterisch. Wieder häuftensich Berichte, serbische Paramilitärs hindertenMänner an der Flucht oder holten sie unterwegsvon den Traktoren … An der Grenze kommenpraktisch nur Frauen, Kinder und Alte an.Viele Flüchtlinge berichten laut UNHCR vonErschießungen.Ich zitiere das einfach und knüpfe, ohne das überzu-bewerten, den schlichten Hinweis an, daß sich jeder, dersich wie der Kollege Gysi oder der Kollege Wolf – siebenutzten zum Beispiel die Formulierung, der Krieg ha-be am 24. März begonnen –
äußert, nach der Methode betätigt: Ich muß die Augennur fest schließen und meine Phantasie möglichst an-strengen, dann bekomme ich auch genau das ideolo-gische Bild zusammen, das ich schon immer von derWelt hatte. Das ist die Methode, die dahinter steckt.
Ich muß all diesen Kollegen sagen: Wer allerlei Er-örterungen, ob rechtlicher oder sonstiger Natur, anstellt,ohne auch nur einen einzigen Satz auf die seit Monatenvon Vertreibung, Mord, Erschießung und anderen Greu-eltaten betroffenen Menschen zu verwenden, der hat inmeinen Augen jede moralische, jede politische und jededemokratische Glaubwürdigkeit eindeutig beschädigt,die in einer auf Menschen orientierten Politik der Maß-stab sein müßte.
Bundesminister Rudolf Scharping
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Das humanitäre Mandat ist notwendig geworden. Ichkann das sehr genau nachvollziehen. Ich erinnere michan die Telefonate mit dem Kollegen Fischer in der Nachtvon Karfreitag auf Ostersamstag. Ich weiß, wie das La-ger in Blace, diese Schlammwüste, freigeräumt wordenist. Nur deshalb, weil die Bundesregierung innerhalbvon zehn Stunden zusagen konnte, sie werde Menschennach Deutschland ausfliegen, sie werde eine europäischeInitiative ergreifen, sie werde noch am Ostersamstag mitHilfsflügen beginnen. Ich weiß, wie das entstanden ist.
Ich will Sie auf einen einzigen Punkt aufmerksammachen, lieber Herr Kollege Wolf – das „lieber“ strei-chen Sie besser gleich wieder –:
Sie haben kritisiert, es seien nur 1 300 OSZE-Beobachter ins Land gekommen. Soll ich Ihnen einmalan Hand unserer Unterlagen zeigen, wie oft wir uns mitder jugoslawischen Regierung herumschlagen mußten,damit für die Leute überhaupt ein Visum erteilt wordenist? Soll ich Ihnen einmal erzählen, daß sie sogar ver-weigert hat, einem Rettungshubschrauber die Einflug-genehmigung zu erteilen? Ich könnte noch weitere Bei-spiele nennen. Ich will Ihnen aber nicht zuviel Ehre an-tun.
Ich möchte auch die CDU/CSU auf einen Umstandaufmerksam machen, den ich einem Interview vom20. Januar 1999, veröffentlicht in der „Saarbrücker Zei-tung“, entnehme. Die Frage war: „Fordern Sie, daß dieNATO militärisch im Kosovo eingreift?“ Die Antwortwar: „Ich sehe eine große Gefahr für Europa. Deswegenmuß entschlossen politisch gehandelt werden, ohne daßman militärische Optionen ausschließt, etwa durch dasGerede von deutschen Ministern.“ Dann war die Frage:„Macht Ihnen die Rolle eines Oppositionspolitikers zuschaffen, der nur appellieren, aber nicht handeln kann?“Ich zitiere den Schluß der Antwort: „Die deutsche Re-gierung ist weggetaucht. Fischer schielt auf die eigeneBasis, anstatt auf die Toten im Kosovo zu blicken.“
Nun ist der Kollege Rühe – wie leider häufiger in sol-chen Debatten – nicht anwesend. Ich will bei dieser Ge-legenheit aber noch einmal sehr deutlich sagen, daß die-se Bocksprünge – im Januar heißt es: man darf keinemilitärische Option ausschließen, Fischer taucht weg, erschielt nur auf die eigene Basis; im März sagt man danngenau das Gegenteil – auch nicht gut für die Glaubwür-digkeit von Politik sind, da man dann den Eindruckbekommen muß, es ginge je nach Stimmung mal in dieeine und mal in die andere Richtung.
Weil es in der Hoffnung auf einen großen Konsensum die Frage geht, wie sich die Angelegenheit mit demhumanitären Mandat gestalten wird, hoffe ich sehr, daßalle Mitglieder des Deutschen Bundestages – ich schlie-ße die Bundesregierung ausdrücklich ein – weiterhin dieKraft haben, zwei Dinge im Auge zu behalten: die Men-schen, die von einer grausamen Vertreibung und Verfol-gung betroffen sind, und die Maßnahmen, die man da-gegen treffen muß. Ich hoffe, daß diese Maßnahmennicht mehr allzu lange militärischer Art sein müssen.Das müßte man aber sehr sorgfältig darstellen, wennman diese Hoffnung im einzelnen begründen wollte. Da-für fehlt mir jedenfalls heute die Zeit.Ich will etwas zu den Entwicklungen im Zusammen-hang mit den Folgerungen für die Bundeswehrstruktursagen. Das strategische Konzept der NATO unterschei-det nicht mehr zwischen Krisenreaktionskräften undHauptverteidigungskräften. Das wird auch für die Streit-kräfteplanung innerhalb der Bundeswehr und übrigensauch für die Arbeit der Kommission Folgen haben. Ichverstehe die Schwierigkeiten insbesondere der Kollegender CDU/CSU-Opposition. Es sind nun wirklich eineReihe von Leuten in der Kommission versammelt, dieden großen Vorteil haben, große Autorität und großepersönliche Integrität mit großer Unabhängigkeit zuverbinden – das übrigens auch mit enormem Sachver-stand. Daß zum Beispiel der ehemalige BundespräsidentRichard von Weizsäcker Vorsitzender einer Kommissi-on zur Reform der Vereinten Nationen war, scheint Ih-nen entgangen zu sein. Wenn es aber um internationalePolitik und die Stärkung internationaler Organisationengeht, ist es klug, einen Mann mit dieser Integrationsfä-higkeit, mit dieser Autorität, mit diesem Ansehen undmit diesen Kenntnissen internationaler Politik zu haben.Ich nehme an, Sie haben auch nichts dagegen, daßAgnes Hürland-Büning dabei ist. Ich könnte Ihnen nochviele andere als Beispiel nennen. Ich kenne Ihre Verle-genheit.Was die von Ihnen so apostrophierten kirchlichenWürdenträger angeht: Ich möchte Sie damit vertraut ma-chen – dazu muß ich mich jetzt aber sehr kurz fassen –,daß zum Beispiel der Chef der Deutschen Bank sagt:Wenn ich mich mit neuen Fragen beschäftigen will –auch mit neuen Geschäftsfeldern –, dann muß ich Leutevon außerhalb der Bank, von außerhalb der Betriebs-und der Volkswirtschaft hören. – Sie haben offenbar einVerständnis der Entwicklung von Politik, das auf einPuzzle von Fachkenntnissen im engsten Sinne des Wor-tes setzt. Daraus entsteht keine politische Perspektive.
Wenn Sie sich später einmal die Ergebnisse anschau-en werden Sie sich – darüber schließe ich schon heuteeine Wette mit Ihnen ab –, über die Kritik, die Sie jetztleichtfertig äußern, ziemlich ärgern müssen. Ich bin miraber auch sicher, daß Sie einen Weg finden werden,dann zu sagen, Sie hätten Ihre Kritik ja geäußert, damitdie Ergebnisse gut werden, und das hätten Sie dann we-nigstens auch geschafft. Ich bin mir ziemlich sicher, daßes so kommen wird.
Bundesminister Rudolf Scharping
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(C)
Ich will noch im Zusammenhang mit dem, was derKollege Austermann gesagt hat, einen zweiten Hinweisgeben und dann zum Schluß kommen. Kollege Auster-mann, alles, was Sie im Zusammenhang mit internatio-nalen Projekten – ob das jetzt der „Tiger“, der „NH90“, das „GTK“ oder etwas anderes ist – gesagt haben,ist falsch. Zum Beispiel habe ich im Dezember 1998 inBrüssel die Regierungsabkommen unterschrieben. Ichgebe Ihnen noch einen zusätzlichen Hinweis. Wenn Sieeinmal in die Bestandsaufnahme blicken, dann werdenSie feststellen, daß Sie dieser Bundesregierung, was dieAusrüstung der Bundeswehr angeht, einen Zustand hin-terlassen haben, bei dem man sich an manchen Stellenwirklich die Haare raufen müßte. Denn das, was wir indiesem Haushalt aufwenden müssen, um Material ein-satzfähig zu halten, ist auf einem unverantwortlichhohen Niveau, und zwar nur deshalb, weil das in derVergangenheit nicht ordentlich geplant, nicht ordentlichgepflegt und auch nicht ordentlich finanziert worden ist.
– Sie verläßt der Mut auch nie.
Herr Minister, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Auster-
mann?
Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-
gung: Gerne.
Ich glaube, HerrMinister, Sie haben es viel schwerer, wenn Sie bei derwichtigen Frage, wie man zur Bundeswehr steht, die un-geordneten Truppen in Ihren eigenen Reihen sehen.
Ich möchte drei Fragen stellen.Erstens. Vorhin haben Sie Kritik an Abwesendenvorgebracht. Jetzt sind Sie dabei, den fünften Beschlußzum Thema internationale Einsätze im Kosovo zu fas-sen. Über vier ist bisher entschieden worden. Gibt eseinen einzigen, bei dem Sie bestreiten können, daß dieUnion geschlossen zugestimmt hat?Zweitens. Ich möchte auf Ihre Feststellung von ebenzurückkommen.
– Ich habe Ihnen vorhin die Frage erspart, was denn mitder Lüge von Herrn Fischer in bezug auf das Rambouil-let-Abkommen war. – Ich möchte Ihnen, Herr Minister,die Frage stellen: Wann ist beispielsweise im Hinblickauf „GTK“, wann ist beispielsweise im Hinblick auf den„Tiger“ mit den Franzosen eine verbindliche Vereinba-rung unterzeichnet worden, die etwas über Stückzahlenund über Vertragsinhalte vorsieht? Ich kenne die Ver-einbarung vom Dezember 1998. Sie wissen genau wieich, daß es bis heute keine verbindliche Festlegung gibtund daß noch nicht einmal das Fluggerät fertig ist.Drittens. Sie haben kritisiert, daß, was die Materialer-haltung betrifft, nur unzureichende Mittel vorhandensind. Ist es nicht so, daß Ihre eigenen Freunde Sie imHaushaltsausschuß im Stich gelassen haben, als es umdie Frage ging, Mittel in ausreichendem Maße zur Ver-fügung zu stellen? Dabei haben wir natürlich daran ge-dacht, daß das für Materialerhaltung und -instandsetzungaufgebracht werden soll.
Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-gung: Zum ersten. Ich stimme Ihnen zu: Sie alsCDU/CSU haben diese Beschlüsse geschlossen unter-stützt – auch die F.D.P., auch die Grünen,
auch die SPD. Das ist auch gut so.Zum zweiten. Sie dürfen bitte nicht von mir verlan-gen, daß ich in einem halben Jahr alles das abschließe,was Sie – ich meine nicht Sie persönlich – mir auf denSchreibtisch gelegt haben.
Das schaffe ich nicht. Ich arbeite gerne 18 oder 20 Stun-den am Tag – wenn es sein muß; leider muß es im Mo-ment oft sein –, aber ich kann nicht Vorgänge, die Siezum Teil seit Jahren versucht haben zu bearbeiten – ichunterstelle gar keine schlechten Absichten oder sonstetwas –, innerhalb kürzester Zeit abschließen. Sie wissenselbst, wie schwierig das manchmal ist. Ich weiß jedochauch, daß wir den deutsch-französischen Gipfel und dasTreffen der Verteidigungsminister am Rande derHerbsttagung gebraucht haben, um mit Frankreich undanderen wenigstens das Regierungsabkommen zu unter-schreiben. Auf dieser Grundlage gibt es einen Industrie-vertrag. Ich hoffe – aber das ist eine Hoffnung –, daß dervor den Sommerferien endgültig fertig wird.Das dritte beantworte ich Ihnen privat, damit ich nochZeit für eine kurze Bemerkung habe, wenn Sie, HerrPräsident, es mir gestatten.Im Zusammenhang mit dem strategischen Konzepthaben wir immer gesagt, die NATO soll Krisenpräven-tion und Konfliktbewältigung bloß nicht irgendwie be-treiben, sondern dabei strikt an die Charta der VereintenNationen sowie an die Beachtung des internationalenRechtes gebunden sein und weiterhin den festen Willenzur Kooperation mit Rußland, der Ukraine und anderenStaaten haben. Das hat Konsequenzen im Zusammenhangmit dem Haushalt und der künftigen Entwicklung desHaushaltes des Verteidigungsministeriums. Ich will aus-drücklich sagen: Die Haushaltsberatungen waren – war-um sollte man das verschweigen? – zum Teil auch in-Bundesminister Rudolf Scharping
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nerhalb der Fraktion, innerhalb der Koalition – nichtFraktion – streitig.
Das ist auch nicht anders zu erwarten. Denn wir müssenuns – das ist nun mal leider so – mit der Tatsache aus-einandersetzen, daß wir alle zusammen von Ihnen einenHaushalt übernommen haben, in dem 25 Prozent derSteuereinnahmen nur zur Bedienung von Zinsen ausge-geben werden müssen.
Natürlich kann und wird sich die Bundeswehr auchdem notwendigen Konsolidieren der öffentlichen Finan-zen nicht entziehen. Das ist völlig klar. Das hat sie jabewiesen – der Verteidigungsminister, hoffe ich, durchsein Verhalten im Zusammenhang mit den Haushalts-beratungen auch. Wenn man den Haushalt fair beurtei-len will, muß man allerdings zwei Gesichtspunkte anfü-gen: Das erste ist: Wir sind schon im Mai, und insofernist eine solche Brücke akzeptabel. Das zweite ist: DieKoalition hat, und zwar in deutlicher Veränderung des-sen, was früher gemacht worden ist, zum erstenmal Glo-balbudgets zur Verfügung gestellt. Sie hat zum ersten-mal Möglichkeiten einer effizienten und flexiblen Be-wirtschaftung von Haushaltsmitteln zur Verfügung ge-stellt. Sie hat zum ersten Mal eine Regelung über diemilitärischen Verkäufe getroffen, die es mir ermögli-chen, jetzt von den dauernd reklamierten Blicken auf dieFlugbereitschaft zu den Taten zu kommen, die notwen-dig sind. Die werden auch geschehen. Der Investitions-anteil steigt. Er ist insgesamt dennoch zu niedrig. Das isteine eingeleitete und hoffentlich durchzuhaltende Ent-wicklung.Das heißt unter dem Strich: Ich rate jedem ab,Sicherheitspolitik eines Landes nach kurzfristigen Er-wägungen zu beurteilen. Das geht einfach nicht. DerHaushalt für das Jahr 1999 ist in einer zu Teilen durch-aus streitigen Debatte zu einem wirklich vernünftigenErgebnis gekommen. Auf dieser Grundlage wird dieBundeswehr das bleiben, was sie in der Vergangenheitwar: trotz mancher Belastungen zuverlässig, handlungs-fähig und innovativ.Ich finde, das Parlament hat guten Grund – die Bun-desregierung ohnehin –, den Angehörigen der Bundes-wehr, aber auch den Familien der Angehörigen der Bun-deswehr ausdrücklich Dank zu sagen und einen hohenRespekt auszusprechen;
denn das, was sie leisten, ist für das Ansehen und die Si-cherheit unseres Landes von zentraler Bedeutung.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Paul Breuer für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Jeder, der sich mit der Verteidi-
gungs- und Sicherheitspolitik über längere Zeiträume
beschäftigt hat – aber nicht nur solche Kollegen hier in
diesem Hohen Hause –, spürt, daß der Verteidigungs-
haushalt 1999 etwas Besonderes an sich hat: nicht, weil
er von einer neuen Regierung zu verantworten ist, son-
dern deshalb, weil er der erste Haushalt in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland ist, der zu
einem Zeitpunkt endberaten wird, zu dem sich deutsche
Soldaten innerhalb eines Einsatzes der NATO in einem
bewaffneten Konflikt befinden. Das heißt, daß man hier
nicht business as usual machen kann, sondern man muß
mit einer besonderen Sensibilität und unter Anlegung
besonderer Kriterien an diese Beratungen herangehen.
Das fordert jeden hier in diesem Hause, Regierung und
Opposition.
Aber eines darf nicht vorkommen – und das ist das,
was ich soeben in der Auseinandersetzung mit Frau Beer
sehr deutlich empfunden habe –: daß man den Eindruck
haben muß, daß man in der Regierung und in der Koali-
tion nicht zu dem steht, was von der Führung der Regie-
rung eigentlich gewollt wird.
Frau Beer, Sie sagen immer, Sie seien zerrissen. Ich sa-
ge Ihnen: Wer, wie Sie es getan haben, das, was leider in
Kauf genommen werden muß, daß nämlich in Jugosla-
wien Opfer in der zivilen Bevölkerung leider nicht ver-
mieden werden können, Mord nennt, unterstellt demje-
nigen, der in Deutschland die Hauptverantwortung für
die Bundeswehr hat, der der Inhaber der Befehls- und
Kommandogewalt ist, nämlich dem Verteidigungsmi-
nister, daß er ein Mörder sei. Und es geht noch weiter:
Er unterstellt es diesem Hause, denn wir haben mit der
konstitutiven Zustimmung zu diesem Auftrag ja den
Weg dafür frei gemacht. Das ist, Frau Kollegin Beer
– mit Verlaub gesagt –, ein Skandal. Das ist nicht trag-
bar.
Herr Kollege Breu-
er, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ange-
lika Beer?
Ich möchte ihre Frage erstzu einem späteren Zeitpunkt zulassen, um jetzt im Zu-sammenhang fortfahren zu können.
Ich habe mich eben gefragt, wen der Verteidigungs-minister, als er die Mahnungen im Zusammenhang mitdem Haushalt ausgesprochen hat, hier in diesem Hauseeigentlich gemeint hat. Ich habe beobachtet, Herr Kolle-ge Scharping, daß Sie während Ihrer Rede vorzugsweisein die Richtung Ihrer eigenen Fraktion geschaut haben.Ihre Körpersprache war sehr verräterisch. Ich habe ge-sehen, daß Sie dabei Ihre Augen vor allen Dingen aufden sehr geschätzten Kollegen Volker Kröning gerichtethaben. Herr Kollege Scharping, Sie haben einen gutenBundesminister Rudolf Scharping
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Grund, Ihren Kollegen anzuschauen; denn eben dieserKollege hat in meinen Augen die Herausforderung, dieich eben beschrieben habe, nämlich einen Haushalt zueinem Zeitpunkt zu beraten, an dem sich die Bundes-wehr in einem bewaffneten Konflikt befindet, überhauptnicht erkannt.
Herr Kollege Kröning, Sie haben in diesen Haus-haltsberatungen deutlich gemacht, daß es zunächst ge-plant war, bei der Bundeswehr, die eine schwierige Zeitdurchmacht, mehr als 1 Milliarde DM einzusparen. Siehätten es zu verantworten gehabt, daß den Soldaten, diesich im Konflikt befinden, Sicherheit in Form einer gu-ten Ausrüstung verweigert worden wäre, nur weil Siehier mit der Ärmelschonermentalität eines BuchhaltersPolitik zu machen versuchen. Dies ist nicht zulässig.
Herr Kollege Kröning, wenn Sie den Verteidigungs-haushalt wie jeden anderen Haushalt – Sie haben es jageschafft – um zwei mal 0,5 Prozent kürzen – Ihr Zwil-ling Metzger war dabei –, dann haben Sie die besonde-ren Herausforderungen, die an den Verteidigungshaus-halt 1999 gestellt werden, auch nicht annähernd erkannt.Das muß deutlich festgestellt werden.
Das heißt, wenn wir allen Soldaten der Bundeswehr,aber insbesondere den Soldaten, die sich in dem jetzigenschwierigen Einsatz befinden, unseren besonderen Dankaussprechen – das möchte ich hiermit tun –, dann tunwir das insbesondere deshalb, weil sie ihren Dienst trotzder Attentate, die Sie auf den Haushalt zu verüben ver-suchen, verrichten.
Das ist unglaublich.
Herr Kollege Breu-
er, ich möchte einen Augenblick unterbrechen. Ich
möchte alle Kolleginnen und Kollegen daran erinnern,
daß wir uns hier in einer sehr ernsten Debatte befinden.
Ich finde es deshalb nicht angemessen, auch nicht mit
Blick auf die folgende namentliche Abstimmung, wenn
sich Kollegen im Saal unterhalten, während über dieses
Thema diskutiert wird. Ich möchte alle Kollegen bitten,
an dieser Debatte teilzunehmen, oder ihre Gespräche
draußen zu führen. Ich bitte um Ihr Verständnis.
Vielen Dank, Herr Präsi-
dent. Das hilft insbesondere dem Redner. Aber es er-
leichtert auch den Dialog.
Wenn ich das Ergebnis der bisherigen Beratungen
über den Verteidigungshaushalt am heutigen Tag zu-
sammenfasse – Herr Kollege Kröning, hier spreche ich
Sie ganz persönlich an –, dann muß ich feststellen, daß
die rotgrünen Haushälter etwa 700 Millionen DM aus
dem Verteidigungshaushalt, über den zu einem Zeit-
punkt beschlossen wird, an dem sich die Bundeswehr
einer besonderen Bewährungsprobe stellen muß, her-
ausgestrichen haben. Wir stellen heute den Antrag, dies
wieder rückgängig zu machen. Wir fordern Sie von der
Koalition dazu auf: Unterstützen Sie unseren Antrag;
denn die besondere Bewährungsprobe für die Bundes-
wehr muß in diesem Hause gewürdigt werden.
Wenn wir demnächst darüber diskutieren, meine sehr
verehrten Kollegen Verteidigungspolitiker insbesondere
bei der SPD, dann sagen Sie nicht: Wir konnten nichts
dafür. Aber wir haben mit besonders grimmigen Ge-
sichtern gegen den Antrag Ihrer Fraktion gestimmt. –
Damit kommen Sie nicht durch. Sie haben jetzt die
Chance, unserem Antrag zuzustimmen und damit deut-
lich zu machen, daß Sie die besondere Herausforderung
erkennen. Stimmen Sie nicht zu, versagen Sie in dieser
Frage.
Herr Kollege
Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Kröning?
Gerne.
Herr Kollege Breuer, bevor
ich Ihnen meine Frage stelle, möchte ich folgende Be-
merkung machen: Ich muß Ihnen überlassen, zu beur-
teilen, ob Sie vorhin zugehört haben und ob Sie noch
ernst genommen werden wollen, wenn Sie nach Ihren
Ausführungen dem Verteidigungshaushalt zustimmen.
Gestatten Sie mir folgende Frage: Können Sie mir be-
stätigen, daß der Regierungsentwurf für den Bundes-
haushalt 1999 eine Ausgabenzuwachsrate von 1,7 Pro-
zent vorsah und daß der Haushaltsentwurf nunmehr,
nach den Beratungen des Haushaltsausschusses – ihr
Abschluß fand unter dem wenn auch unterschiedlich
starken Beifall aller Ausschußmitglieder statt –, nur
noch eine Ausgabenzuwachsrate von 1,2 Prozent bein-
haltet?
Können Sie mir bestätigen, daß der Verteidigungshaus-
halt zunächst um 1,3 Prozent steigen sollte und daß er
nun zusammen mit den Verstärkungsmitteln für militäri-
sche und humanitäre Aufgaben um mehr als 1,8 Prozent
steigt? Spricht das nicht für sich selbst?
Herr Kollege Kröning,zum ersten Teil Ihrer Frage: Obwohl leider zu erwartenist, daß Sie unseren Erhöhungsvorschlägen, deren Um-setzung den Etat auf die Höhe des Entwurfes der Vor-Paul Breuer
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gängerregierung führen würde, nicht zustimmen werden,werden wir dem Verteidigungsetat aus der besonderenVerantwortung für den Verteidigungsetat in dieser be-sonderen sicherheitspolitischen Situation gleichwohl zu-stimmen. Wir tun das nicht deshalb, weil wir Ihnen undIhrer Tätigkeit zustimmen, sondern weil auch wir alsOpposition in einer besonderen Verantwortung stehenund diese Verantwortung tragen wollen.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage. Versuchen Sie dochnicht, dieses Verwirrspiel zu betreiben. Tatsache ist, daßSie den Verteidigungsetat zweimal, genau wie die ande-ren Haushalte, trotz der besonderen Belastung um0,5 Prozent geschoren haben. Sie haben darüber hinausdem Verteidigungsetat die notwendigen Personalver-stärkungsmittel – Stichwort „Tarifrunde 1999“ – nichtzugeführt. Deswegen beinhaltet der Verteidigungsetatweniger als vorgesehen. Diese Tatsache muß hier deut-lich ausgesprochen werden.
Ich möchte nun ein paar Worte zur Wehrstruktur-kommission sagen. Herr Bundesminister Scharping, ichbin davon überzeugt, daß Sie mittlerweile insgeheim– Sie werden es hier nicht eingestehen – zugeben müs-sen, daß sich das Erstaunen vor dieser Kommission undihr Effekt in der Öffentlichkeit, den Sie erzielen wollten– sie ist zwar respektabel besetzt, aber hinsichtlich ihrerZuzammensetzung erscheint sie recht willkürlich; deraktuelle sicherheits- und verteidigungspolitische Sach-verstand einzelner Mitglieder muß sehr hinterfragt wer-den –, in Grenzen halten. Ihre Erwartung, daß die Öf-fentlichkeit oder auch der Deutsche Bundestag vor die-ser Kommission in Ehrfurcht erstarren, ist jedenfallsnicht eingetreten.
Frau Kollegin Beer, wenn Sie sagen, wir sollten ein-mal darauf achten, wo wir in anderthalb Jahren am Endedieser Diskussion stehen, dann will ich Ihnen entgegnen:Sie sollten einmal darauf achten, wo Sie in anderthalbJahren mit Ihren politischen Positionen überhaupt sind.
Wenn man insbesondere für Verteidigungs- und Sicher-heitspolitik den Anspruch erheben muß, berechenbarund zuverlässig zu sein, dann muß ich feststellen, daßSie das Beispiel einer politischen Persönlichkeit sind,die gerade diesen Kriterien nicht entspricht. Das istmeine Erfahrung mit Ihnen aus der Vergangenheit – beiallem persönlichen Respekt, den ich vor Ihnen habe.
Herr Kollege Breuer,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Nolting?
Bitte schön.
Herr Kollege
Breuer, sind Sie mit mir einer Meinung, daß man vor
allen Dingen die Betroffenen in diese Zukunftskommis-
sion hätte mit einladen müssen, zum Beispiel den Bun-
deswehr-Verband und die Jugendorganisationen, um de-
ren Zukunft es in einer Zukunftskommission gerade
geht?
Herr Kollege GüntherNolting, das ist eine Kritik, die wir gemeinsam und zuRecht geäußert haben.
Die Notwendigkeit, die Betroffenen in die Beratungender Kommission einzubeziehen, ist vom Minister nichterkannt worden. Er hat einen schwerwiegenden Fehlergemacht, weil er über die von mir eben erhobenen Be-denken hinaus einen Beitrag dazu geleistet hat, daß jetztauch noch andere als diejenigen, von denen man dasohnehin schon erwartet hat, die Ergebnisse dieserKommission von außen bezweifeln werden. Jetzt wer-den es auch die Betroffenen selbst sein.Herr Kollege Kröning, ich habe Ihre Kommentareeben schon vernommen.
Mit Ihrem Vorschlag, die Bundeswehr auf 270 000 Sol-daten zu reduzieren,
während der von Ihnen getragene Minister davonspricht, die Kommission arbeite ergebnisoffen, versu-chen Sie, das Ergebnis der Kommission zu präjudizie-ren. Sie sagen ja von vornherein, was Sie mindestensfordern. Ich will Sie darauf hinweisen, daß mit der Um-setzung dieser Zielvorgabe 150 bis 200 Bundes-wehrstandorte gefährdet würden. Das sind 150 bis 200Orte, an denen auch Kolleginnen und Kollegen IhrerFraktion – die SPD ist ja eine Volkspartei, die in derFläche Kandidaten aufstellt – künftig kandidieren undgewählt werden wollen. Sie befürworten einen Abbauvon 15 000 Soldaten pro Jahr in einer Zeit, in derDeutschland sicherheitspolitisch herausgefordert ist; dasollte man den Soldaten nicht ihre Existenzgrundlagenehmen, insbesondere nicht denjenigen, die heute imAusland eingesetzt sind. Das ist nicht verantwortbar,was Sie hier machen.
Meine Damen und Herren, sie sollten darüber hinaussehen – das sage ich allerdings auch an die Adresse derKollegen von der F.D.P. –, daß man mit Forderungennach einer Reduzierung der Wehrpflicht auf fünf Mo-nate und der Aufstellung von Krisenreaktionskräften miteiner Stärke von 150 000 ungeheuer sorgfältig umgehenmuß. Ich bin der Meinung – diese Meinung wird vonvielen in meiner Fraktion geteilt –,
Paul Breuer
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daß man die Krisenreaktionsfähigkeit weiterentwickelnmuß. Wer aber die Prioritäten in der Bundeswehr auf dieKrisenreaktionsfähigkeit legen will, setzt einen falschenSchwerpunkt. Er setzt sich nämlich selbst unter Druck,zukünftig auf allen möglichen Schauplätzen diesesKontinents, vielleicht sogar in seiner Nähe, mit deut-schen Soldaten vertreten sein zu müssen. Diese Gefahrmuß man sehen.Ähnliche Überlegungen stimmen mich, Herr KollegeScharping, bedenklich im Hinblick auf die Stand-by-arrangements. Unsere Nachbarn, auch unsere Partner,schätzen die deutsche Leistungsfähigkeit, ob es die finan-zielle oder eine andere ist, zumeist höher ein als wirselbst. Sie verstehen das Geschäft ganz gut, uns ständig,insbesondere dann, wenn es um Geldzahlungen geht,moralisch unter Druck zu setzen. Wer vorschnell Arran-gements trifft, setzt sich mehr unter Druck, als er esvielleicht selbst glaubt.
Deshalb muß man bei diesen Stand-by-arrangementsvorsichtig sein.Meine Damen und Herren, wenn ich den Bundes-haushalt für den Bereich der Verteidigung insgesamtbetrachte, stelle ich eines fest: Wir dürfen insbesonderenicht dem Fehler unterliegen, zu glauben – ich appellieredamit noch einmal an Sie, Herr Kollege Kröning –, mankönne die Probleme der Finanzierung der Bundeswehrbei noch so großen Rationalisierungsanstrengungen derBundeswehr aus der Substanz der Bundeswehr lösen.Das geht nicht. Sie versuchen das durch Ihren Vor-schlag, die Stärke auf 270 000 Mann zu begrenzen. Dasist der Versuch, die Gesundung eines Körpers auf derBasis einer Amputation herbeizuführen. Das geht nicht,er gesundet dabei nicht. Zunächst einmal müssen wir aufder Basis einer sicherheitspolitischen Analyse darüberreden, ob es auf Dauer vertretbar ist, daß der Verteidi-gungsetat keine realen Zuwächse bekommt. Ich bin derMeinung, der Verteidigungsetat müsse mittel- und lang-fristig real im Vergleich zum Bundeshaushalt wachsen.Nur auf dieser Basis ist die Aufrechterhaltung der Si-cherheit und der Verteidigungsfähigkeit dieses Landesgewährleistet sowie die Möglichkeit, internationale Bei-träge zur Stabilität zu leisten, gegeben.
Der Versuch der Lösung der Probleme durch Aderlaß undAmputation ist untauglich. Sie werden damit scheitern.Untauglich ist auch der Versuch, die Probleme derBundeswehr zu verdrängen, indem man nicht den Muthat zu sagen: Wir brauchen mittelfristig und langfristigfür die Bundeswehr mehr Geld; die Zeiten, in denen die-ser Etat nach der sicherheitspolitischen Veränderung derWelt, nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes unter an-deren Gesichtspunkten gesehen werden konnte undmußte, sind vorbei; die Friedensdividende kann nichtweiter ausgeschüttet werden. – Das ist die Feststellung,die zunächst einmal getroffen werden muß.Sie wissen genausogut wie ich, daß der Verteidi-gungsetat, wenn er auf der Basis der Werte von 1989fortgeschrieben worden wäre, heute nicht in der Grö-ßenordnung von 48 Milliarden DM existierte, sondernfast den doppelten Umfang haben würde. Aber wir müs-sen feststellen – Verteidigungsminister Scharping hatdas selbst neulich in Expertenrunden gesagt –, daßwir heute mit vergleichbaren Nationen hinsichtlich derFinanzausstattung zum Teil nicht mehr mithalten kön-nen, weil wir von der Friedensdividende zu üppig Ge-brauch gemacht haben.Selbst wenn Sie darauf verweisen würden, wir hättendas ja auch gemacht, die Vorgängerregierung habe esauch gemacht, würde ich dasselbe sagen und würde ein-räumen, daß es vielleicht falsch war, dies zum Schlußimmer noch so zu machen. Wir müssen aber heute er-kennen, daß sich die Situation verändert hat; sonst kön-nen wir unseren Beitrag für Frieden und Stabilität, denwir leisten wollen, innerhalb der NATO und innerhalbEuropas nicht so erbringen, wie es notwendig erscheint.
Meine Damen und Herren, am Ende noch eine Stel-lungnahme zu der Frage der Unterstützung der schwieri-gen und herausfordernden Anstrengungen, die die Bun-deswehr heute im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt unternehmen muß: Sie können sich über diegrößte Oppositionspartei, über die CDU/CSU, in diesemZusammenhang überhaupt nicht beschweren. KollegeAustermann hat eben richtigerweise darauf hingewiesen,daß wir Sie in allen Entscheidungen, die bisher getroffenworden sind, anteilmäßig stärker unterstützt haben, alsdas bei Teilen der Koalition der Fall gewesen ist. Dasgilt auch für die öffentlichen Äußerungen.Ich will einmal versuchen, an einem Beispiel ausmeinem eigenen Wahlkreis deutlich zu machen, was„Unterstützung“ beispielsweise aus der SPD heißenkann. In meiner Heimatstadt Siegen hat sich die Ar-beitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen – das isteine ehrbare Organisation; Mitglieder dieser Organisa-tion sind auch hier mit im Raume – öffentlich geäußert.Da heißt die Schlagzeile in der Siegener Zeitung: „AsFmacht gegen Krieg mobil“.
– Nun ist das, Frau Kollegin Wohlleben, kein Artikelvom Sommer des letzten Jahres, sondern ein Artikelvom 27. April 1999. Da sammelt die AsF Unterschriftendafür, daß „ ... um Himmels willen ...“ die Luftangriffeeingestellt werden sollen.
Dann schaue ich mir einmal an, an wen diese Unter-schriften geschickt werden sollen. – Ja, nicht etwa an dieBundes-SPD, sondern in diesem Artikel steht, manwolle diese Unterschriften der NATO übersenden.Wann versteht es die Sozialdemokratie in all ihrenTeilen, wer die NATO eigentlich ist? – Die NATO istnicht Herr Solana, die NATO sind wir alle gemeinsam;die NATO ist Herr Scharping,
Paul Breuer
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die NATO ist Herr Bundeskanzler Schröder. MachenSie doch nicht den Versuch,
von dieser Verantwortung, die wir haben, abzulenken.Wissen Sie, was ich beschämend finde? – Ich findebeschämend, daß zwei Bundestagskollegen von der SPDdiesem Treiben der Arbeitsgemeinschaft sozialdemo-kratischer Frauen ohne öffentlichen Kommentar zuse-hen. Es kann doch nicht sein, daß Sie von uns verlangen,Ihnen Unterstützung zu geben, während Ihnen die eige-nen Leute von Ihrer vielbeschworenen Basis diese Un-terstützung versagen. Mit Verlaub: Einige Kollegen inder CDU/CSU fühlen sich bei aller Unterstützung undgrundsätzlicher Zustimmung durch dieses Treiben miß-braucht. Das kann so nicht weitergehen.Ich bedanke mich.
Ich gebe das Wort zu
einer Kurzintervention dem Kollegen Günther Nolting.
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Breuer,
Sie haben das Diskussionspapier der F.D.P. gerade kriti-
siert. Ich denke, Sie sollten es einmal lesen. Dann kämen
Sie zu einer neuen Bewertung.
In diesem Diskussionspapier sprechen wir uns ein-
deutig für die Beibehaltung der Wehrpflicht aus. Wir
wollen allerdings Grundwehrdienstleistende in Zukunft
nicht mehr auf Funktionsstellen einsetzen und kommen
deswegen zu einer Verkürzung der Grundwehr-
dienstzeit.
Wir wollen mit diesem Diskussionspapier eine Stär-
kung der Bundeswehr insgesamt erreichen. Wir wollen
die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr erhöhen – über den
Mangel auf diesem Gebiet haben wir heute ja einiges
gehört –, und wir stellen diese Vorschläge zur Diskussi-
on. Es muß in einer Demokratie möglich sein, auch ab-
weichende Meinungen vorzutragen, in einem Papier zu-
sammenzufassen und zur Diskussion zu stellen.
Ich sage aber auch, daß wir unsere Überlegungen auf
Grund außen- und sicherheitspolitischer Gesichtspunkte
und nicht, wie Sie es gerade getan haben, auf Grund re-
gionalpolitischer Überlegungen vorgestellt haben. Ich
halte es für falsch, heute all diejenigen, die Änderungs-
vorschläge machen, in eine bestimmte Ecke zu stellen
und zu argumentieren, wegen dieser Vorschläge müßten
soundso viele Standorte geschlossen werden.
Sie betreiben damit eine Politik auf dem Rücken der
Soldaten und schüren Ängste. Dies darf einfach nicht
sein. Sehen Sie sich unser Papier noch einmal an! Dann
werden Sie zu einer anderen Schlußfolgerung kommen.
Vielen Dank.
Das Wort zur Erwi-
derung hat der Kollege Breuer.
Herr Kollege Nolting, ich
will meine Antwort kurz halten, da ich gerade das Wort
gehabt habe.
Der Hauptvorwurf, den ja nicht wir alleine Ihnen ma-
chen – auch aus Ihrer Fraktion gab es diesen Vorwurf;
ich könnte Herrn Kinkel zitieren –, ist, daß Sie die fal-
schen Vorschläge zur falschen Zeit machen. Den
Grundwehrdienst auf fünf Monate zu reduzieren hieße,
die Glaubwürdigkeit der allgemeinen Wehrpflicht in
Frage zu stellen.
Angesichts der Tatsache, daß der Kollege Mölle-
mann, der beileibe kein Befürworter der allgemeinen
Wehrpflicht ist und der den Übergang zu einer Berufs-
armee möchte, sagt, dies sei das richtige Signal auf dem
Weg des Übergangs zu einer Berufsarmee, können Sie
erkennen, welche Mißverständnisse Sie mit diesem Pa-
pier auslösen können.
Zu einer Erklärung
zur Aussprache nach § 30 der Geschäftsordnung gebe
ich nunmehr das Wort der Kollegin Angelika Beer.
HerrPräsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ichmöchte eine Richtigstellung zu einer Aussage treffen,die in dieser Debatte gefallen ist. Der Kollege Noltinghat mir während der Debatte ein Zitat vom 29. Aprilvorgehalten, das ich bestätigt habe. Mit dem darin ent-haltenen Begriff „ermordete Zivilisten“, der auch vondem Kollegen Nolting genannt wurde, wollte ich wäh-rend des Gesprächs innerhalb der Sendung auf die Grau-samkeit des Sterbens hinweisen. Ich habe diese Aussageaber nicht im Hinblick auf eine strafrechtliche Bewer-tung gemacht.Ich möchte hier richtigstellen, daß der Begriff „getö-tete Zivilisten“ der richtige und zutreffende Begriff ist.Ich möchte dies insbesondere aus zwei Gründen auchqua Protokoll richtigstellen, damit keine Unklarheitbleibt. Erstens war keiner der Fehlschläge während derLuftangriffe durch die NATO – ich habe das vorhinschon gesagt – gewollt oder ist fahrlässig riskiert wor-den. Es gibt keinen chirurgisch sauberen Krieg; leiderkommt es dabei auch zu Fehlschlägen und Opfern unterZivilisten.Der zweite Grund, warum ich das richtigstellenmöchte, ist insbesondere die Rede des Herrn Dr. Wolfvon der PDS, der nach mir gesprochen hat und der inPaul Breuer
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dieser Debatte mit keinem einzigen Wort das mörderi-sche Treiben von Milosevic erwähnt hat.
Ich sage Ihnen, Herr Wolf: Die Soldaten der NATO, diejetzt im Einsatz sind, sind keine Mörder, sondern Sol-daten, die den Auftrag haben, die Kosovo-Albaner zuschützen, zu retten und irgendwann frei in ihre Heimatzurückzuführen.
Herr Kollege Wolf,
ich kann Ihnen das Wort leider nicht mehr geben, da die
Aussprache geschlossen ist. Ich erlaube mir nur den
Hinweis, daß nach § 30 der Geschäftsordnung Äußerun-
gen zurückgewiesen werden können, die auf die eigene
Person gemünzt sind, oder Äußerungen richtiggestellt
werden können.
Deswegen kann der Kollege Wolf – obwohl ich vestehe,
daß er sich hat melden wollen – keine Erwiderung mehr
geben; die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst
über die Änderungsanträge.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/903. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und PDS gegen die übrigen Stimmen des Hauses ab-
gelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Druck-
sache 14/916. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-
men von CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/950. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen?
– Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abge-
lehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 14 in der Ausschußfassung. Die Fraktion der F.D.P.
verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, soweit sie das noch nicht
gemacht haben, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
– Sind alle Urnen besetzt? – Dann eröffne ich die Ab-
stimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das sei-
ne Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht
der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird
Ihnen später bekanntgegeben. Wir setzen die Beratun-
gen fort.
Ich rufe auf:
15. Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
– Drucksachen 14/618, 14/622 –
Berichterstattung: Abgeordnete Antje Hermenau
Dr. Emil Schnell
Michael von Schmude
Jürgen Koppelin
Dr. Barbara Höll
Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der
PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Kollege Michael von
Schmude.
Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die abschlie-ßenden Beratungen im Haushaltsausschuß zu diesemEinzelplan haben in erschreckender Weise verdeutlicht,daß die rotgrüne Entwicklungspolitik weit hinter denselbstgesteckten Zielen zurückbleibt und die Erwartun-gen der Länder der Dritten Welt enttäuscht. Das wareigentlich vorherzusehen; denn es deckt sich mit der ge-nerellen Politik dieser Bundesregierung: vollmündigeAnkündigungen, die sich dann als leere Versprechungenentpuppen. Frau Ministerin, das ist eine Känguruhpoli-tik: große Sprünge und nichts im Beutel.
Ich halte fest: Der Einzelplan 23 schloß 1998 mit7,9 Milliarden DM ab. Ihr Regierungsentwurf lag dannbei 7,8 Milliarden DM. Jetzt wurden Sie im Haushalts-ausschuß um weitere 40 Millionen DM gerupft. Das istdas Ergebnis. Der neue Stellenwert der Entwicklungs-politik wird auch daran deutlich, daß die Entwicklungs-hilfe – sozusagen unter „ferner liefen“ – der vorletztePunkt Ihrer Koalitionsvereinbarung ist. So spiegeln esdie Zahlen wider, Frau Ministerin. Sie werden sich mitIhrem Haushalt an dem Ist-Ergebnis von 1998 messenlassen müssen.Wie sieht das Zahlenwerk im einzelnen aus? Der alteRegierungsentwurf beinhaltete noch Verstärkungsmittelaus Forderungsverkäufen in Höhe von 200 MillionenDM. Die wurden Ihnen in Etappen auf ganze 76 Millio-nen DM zusammengestrichen. Dann hat man Ihnen nochden Verstärkungsvermerk weggenommen. Das habenSie gar nicht bemerkt.Die Barmittel bei der FZ wurden Ihnen um 244Millionen DM gekürzt. Sie haben sich dafür vom Bun-desminister der Finanzen 20 Millionen DM für dieMittel- und Osteuropaförderung durch Umschichtun-gen aus dem Einzelplan 60 wiedergeholt. Aber dieseMittel hatten Sie bereits im vergangenen Jahr zur Be-Angelika Beer
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wirtschaftung zur Verfügung. Sie haben sich vom Fi-nanzminister nach Strich und Faden über den Tischziehen lassen.Frau Ministerin, Sie werden noch einmal kräftig zurKasse gebeten. Denn Sie haben akzeptiert, daß IhrHaushalt mit einem Dollar-Kurs von 1,6695 DM ge-rechnet wurde. Inzwischen liegt der Dollar bei 1,84 DM.Das kostet Sie möglicherweise weitere 50 MillionenDM. Dafür können Sie sich unter anderem bei Herrn La-fontaine bedanken, der den Euro in unverantwortlicherWeise weichgeredet und damit das Vertrauen in dieneue Währung aufs Spiel gesetzt hat.
Wir von der CDU/CSU begrüßen nachdrücklich, lie-ber Kollege Dr. Schnell, die Ausweitung der Verbundfi-nanzierung. Wir warnen diese Regierung allerdings voreiner leichtfertigen, leichtsinnigen Kreditvergabe. Derdeutsche Steuerzahler kann zu Recht erwarten, daß dieBonitätsprüfungen weiterhin sorgfältig vorgenommenwerden und daß nicht durch Ihre politische Einflußnah-me unnötige Kreditrisiken aufgebaut werden.Sie haben für Ihre Schuldenerlaßpolitik in IhremHaushalt keinen erkennbaren Spielraum; Sie haben da-für keine finanzielle Vorsorge getroffen. Aber vor allemfehlt Ihnen das Konzept. Es darf nicht nur darum gehen,Schulden zu erlassen und koordiniert mit anderen zuhandeln, sondern es muß darum gehen, gemeinsam dieUrsachen der Überschuldung zu beseitigen, und das darfnicht zu einer Verschlechterung der Zahlungsmoral beiden Ländern der Dritten Welt führen.
Dafür haben Sie die EU-Ratspräsidentschaft und denGipfel von Berlin eben nicht genutzt. Die Absprachen,die Sie getroffen haben, sind nicht geeignet, dieses Zielzu erreichen. Ja, man könnte über den Berliner Gipfelsagen: Außer Spesen nichts gewesen.Sie haben angekündigt, die multilaterale Zusam-menarbeit gegenüber der bilateralen zu verstärken.Das hat man in Brüssel gern gehört; denn es paßt über-haupt nicht zu der deutschen Forderung, den EU-Beitrag für unser Land zu senken. Wir waren uns imHaushaltsausschuß über die Fraktionsgrenzen hinwegimmer darin einig, daß im Gegenteil die bilaterale Zu-sammenarbeit zu Lasten der multilateralen gestärktwerden muß. Das wäre auch den Nichtregierungsorga-nisationen zugute gekommen. Vor allem hätten wir dieKontrolle über die Verwendung der Mittel, die wir fürdie Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen, in derHand behalten.Der Europäische Rechnungshof deckt in seinen Be-richten immer wieder Fälle von Mißbrauch, von Ver-schwendung auch beim Europäischen Entwicklungs-fonds auf, was ja angesichts der Skandale in der EU-Kommission niemanden wundert. In diesem Zusam-menhang kann ich überhaupt nicht verstehen, wie Sie,Frau Ministerin, für den Europäischen Entwicklungs-fonds freiwillig Gelder nach Brüssel überweisen, diedort als Festgelder angelegt werden, weil man sie über-haupt noch nicht braucht. Mit dieser Art von deutscherGroßzügigkeit entsteht ein völlig falscher Eindruck.Man fördert damit in Brüssel die Politik des leichtenGeldes.Auf unser Drängen hin haben Sie wenigstens 66 Mil-lionen DM aus diesem Titel gestrichen. Es hätten abernoch weitere 75 Millionen DM sein können. Die wärenbei der Finanzierung der Kosovo-Hilfe besser angelegtgewesen als in Brüssel. Oder wollen Sie hier, beim EEF,eine Haushaltsreserve verstecken, wie Sie es auch beiden viel zu niedrig angesetzten Einnahmen aus Zins undTilgung gemacht haben?Sie, Frau Ministerin, sitzen ja nun auch im Bundessi-cherheitsrat. Da bin ich schon sehr überrascht über IhreWandlung. Erst kürzlich hat diese Regierung – übrigensauf dem Höhepunkt der Öcalan-Auseinandersetzungen –eine Gewährleistung zur Lieferung von U-Booten andie Türkei beschlossen. Erst kürzlich ist unter IhrerMitwirkung die Lieferung von Fährschiffen, die manauch als Truppentransporter einsetzen kann, an Indone-sien freigegeben worden. Ich stelle das einmal fest.Neue politische Akzente haben Sie da offensichtlichnicht gesetzt, Frau Ministerin.Es ist Ihnen auch nicht gelungen, die Fäden der Ent-wicklungspolitik nun voll in die Hand zu bekommen.Der Bundesfinanzminister verfügt im Einzelplan 60weiterhin über erhebliche Mittel für die Beratungshilfefür mittel- und osteuropäische Staaten. Außerdem ver-fügt er noch über einen Ansatz von 300 Millionen DMfür humanitäre Hilfe im Kosovo. Um die Federführungbei der Vergabe dieses Geldes streiten sich – das habenwir ja im Haushaltsausschuß erlebt – das Außenministe-rium und das Verteidigungsministerium, obgleich ei-gentlich auch hier der Bundesminister für wirtschaftli-che Zusammenarbeit und Entwicklung ein Wort mitzu-reden hätte. Ich vermisse Ihre Aktivitäten auf diesemGebiet.
Wir stellen fest, Herr Kollege Schuster: Handwerkli-che Fehlgriffe, rückläufige Haushaltsmittel und man-gelnder Sparwille zeichnen diesen Einzelplan aus. DieHoffnungen der Nichtregierungsorganisationen werdenebenso enttäuscht wie die Hoffnungen der Länder derDritten Welt.Wir lehnen diesen Haushalt deshalb ganz entschiedenab.
Bevor ich das Wortweitergebe, darf ich das von den Schriftführern undSchriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentli-chen Abstimmung zum Einzelplan 14, Geschäftsbe-reich des Bundesministeriums der Verteidigung, be-kanntgeben. Abgegebene Stimmen 584. Mit Ja habengestimmt 549, mit Nein haben gestimmt 30, Enthaltun-gen 5. Der Einzelplan 14 ist damit angenommen.Michael von Schmude
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3174 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 583;davon:ja: 548nein: 30enthalten: 5JaSPDBrigitte AdlerGerd AndresRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Dr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseDr. Eberhard BrechtRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Edelgard BulmahnDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenRudolf DreßlerDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannChristel HanewinckelAlfred HartenbachKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensJohannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerHans-Ulrich KloseWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfDr. Uwe KüsterWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderWaltraud LehnRobert LeidingerKlaus LennartzDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Erika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea NahlesVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Willfried PennerDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Marlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserOttmar SchreinerGerhard SchröderGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Reinhard Schultz
Volkmar Schultz
Ewald SchurerDr. R. Werner SchusterDietmar Schütz
Dr. Angelica Schwall-DürenErnst SchwanholdBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Hans-Joachim WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekVizepräsident Rudolf Seiters
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Helmut Wieczorek
Jürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Klaus WiesehügelBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtHans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor BlankRenate BlankDr. Heribert BlensDr. Norbert BlümFriedrich BohlDr. Maria BöhmerSylvia BonitzWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachDr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberKlaus Bühler
Hartmut Büttner
Dankward BuwittManfred Carstens
Peter H. Carstensen
Leo DautzenbergHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerMaria EichhornRainer EppelmannAnke EymerIlse FalkDr. Hans Georg FaustIngrid FischbachDirk Fischer
Herbert FrankenhauserDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisDr. Heiner GeißlerGeorg GirischDr. Reinhard GöhnerDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtNorbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichUrsula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekJosef HollerithDr. Karl-Heinz HornhuesSiegfried HornungJoachim HörsterHubert HüppePeter JacobySusanne JaffkeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlBartholomäus KalbSteffen KampeterIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertManfred KolbeNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausDr. Martina KrogmannDr. Paul KrügerDr. Hermann KuesKarl LamersDr. Karl A. Lamers
Dr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Julius LouvenDr. Michael LutherErich Maaß
Erwin MarschewskiDr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Günter NookeFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Friedbert PflügerRuprecht PolenzMarlies PretzlaffDr. Peter RamsauerHelmut RauberChrista Reichard
Erika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt RossmanithAdolf Roth
Norbert RöttgenDr. Christian RuckVolker RüheAnita SchäferHeinz SchemkenGerhard ScheuNorbert SchindlerDietmar SchleeBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Michael von SchmudeBirgit Schnieber-JastramDr. Andreas SchockenhoffReinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika SchuchardtDiethard W. Schütze
Clemens SchwalbeDr. Christian Schwarz-SchillingWilhelm-Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertRudolf SeitersWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteCarl-Dieter SprangerWolfgang SteigerAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblThomas StroblMichael StübgenDr. Rita SüssmuthDr. Susanne TiemannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschWerner WittlichDagmar WöhrlElke WülfingPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannBenno ZiererWolfgang ZöllerBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMarieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKlaus Wolfgang Müller
Kerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstClaudia Roth
Christine ScheelRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Antje VollmerLudger VolmerHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
Vizepräsident Rudolf Seiters
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3176 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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F.D.P.Hildebrecht Braun
Ernst BurgbacherJörg van EssenUlrike FlachPaul K. FriedhoffHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünther Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Cornelia PieperDr. Günter RexrodtDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerDr. Dieter ThomaeDr. Guido WesterwelleNeinSPDUwe HikschBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSylvia VoßPDSMonika BaltPetra BlässMaritta BöttcherEva Bulling-SchröterRoland ClausHeidemarie EhlertDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsFred GebhardtDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeSabine JüngerGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerUrsula LötzerDr. Christa LuftHeidemarie LüthAngela MarquardtManfred Müller
Kersten NaumannRosel NeuhäuserDr. Uwe-Jens RösselChristina SchenkGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertDr. Winfried WolfEnthaltenSPDChrista LörcherDr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENWinfried HermannMonika KnocheIrmingard Schewe-GerigkEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungendes Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPUAbgeordnete(r)Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSUNun gebe ich das Wort für die SPD-Fraktion demKollegen Dr. Emil Schnell.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Kolleginnen und Kollegen! An diese neue Qua-lität von Polemik muß man sich erst einmal gewöhnen.
Sie ist unerhört; das kennen wir von früher nicht. DiesePolemik ist weit überzogen und paßt – das muß ich ganzklar sagen – überhaupt nicht zu dem Konsens, den wir inden ganzen Stufen der Beratungen vom Berichterstatter-gespräch bis zu den Haushaltsberatungen hatten. Nichtumsonst hat der Kollege Koppelin angekündigt, daß dieF.D.P. unserem Haushaltseinzelplan 23 zustimmen will.Das hebt sich davon schon deutlich ab. Ich denke, dasmuß korrigiert werden. Hier muß man einiges richtig-stellen.Gleich vorweg: Das Ist von 7,9 Milliarden DM für1998 hat doch Gründe und Ursachen. Diese liegen in er-ster Linie darin, daß überplanmäßige Ausgaben entstan-den sind, weil Sie nicht in der Lage waren, Ihren Haus-halt so aufzustellen und zu fahren, daß die Gelder für dieZwecke, für die sie eigentlich hätten reichen müssen,auch tatsächlich ausreichen. Es gibt also ganz klareMängel im Haushalt 1998, die hier zutage treten.
Eine weitere Bemerkung vorweg. Die Qualität unse-rer Ministerinnen und Minister in der Bundesregierungbemißt sich nicht nach der Höhe des Plafonds oder desHaushaltes; sie ist unabhängig davon. Das sind allesgute Leute.
Man hat heute den ganzen Tag über den Eindruck ge-habt, als ob es irgendeinen Zusammenhang zwischendem Kampf um möglichst hohe Plafonds und der Qua-lität der Ministerinnen und Minister gäbe. Das möchteich von mir weisen. Die Qualität der Oppositionsfrak-tionen kann sich ja auch nicht danach bemessen, in wel-chem Volumen Erhöhungsanträge gestellt werden.
Es ist unerhört, daß Sie – wie das eben der Kollege vonSchmude getan hat – mangelnden Sparwillen unterstel-len und gleichzeitig den ganzen Tag über versuchen,einen Erhöhungsantrag nach dem anderen durchzubrin-gen. Das ist so unglaubwürdig, daß es hier ganz klar ge-sagt werden muß.
Zu den Beratungen des Einzelplanes 23 kann man sa-gen, daß es gute Beratungen waren. Die Ministerin, dasHaus, die Kolleginnen und Kollegen aus dem AWZ undbesonders die Koalitionspolitiker aus dem Bereich derEntwicklungspolitik können zufrieden sein. Wir – dieKollegin Hermenau und ich – haben versucht, alle An-regungen, die Anträge, die Grundüberlegungen und dieImpulse aus dem Vorfeld der Beratungen in die Ent-scheidungen mit einzubeziehen. Natürlich müssen wirVizepräsident Rudolf Seiters
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uns am Kontext des Gesamthaushaltes orientieren undam Realistischen und Möglichen entlanggehen. Das ha-ben wir versucht.Der Haushalt ist nach den Beratungen trotz unab-dingbarer Sparbemühungen nicht wirklich kleiner alsvor den Beratungen. Warum das so ist, werde ich gleichausführen. Damit ist ein Schwerpunkt der Regierungs-bildung auch Schwerpunkt geblieben. Ich will nocheinmal sagen: Die Regierung, hier der Finanzminister,hatte 0,5 Prozent eingesammelt, um Schwerpunkte zusetzen und um Spielräume zu bekommen. Sie wollteSchwerpunkte bei der Entwicklungspolitik, bei For-schung, Bildung, Ausbildung und Technologie und na-türlich auch bei der Arbeit setzen. Diese drei Schwer-punkte wurden dadurch finanziert. Wir haben bei allenHaushalten nochmals 0,5 Prozent eingespart, ohne dieAnstrengungen der Schwerpunktsetzungen zu konterka-rieren.Zu den Zahlen. Vor den Haushaltsberatungen hattenwir für 1999 Barmittel von 7,8 Milliarden DM und 7,44Milliarden DM Verpflichtungsermächtigungen. ZumSoll 1998 der alten Regierung Kohl stellt das eine er-hebliche Steigerung dar. Die Fehlaussagen des Kollegenvon Schmude muß ich hier einmal klarstellen.
Gerade bei den VEs, die für die zukünftige Gestal-tung des Entwicklungsetats so wichtig sind, wurde umzirka 500 Millionen DM aufgestockt. Nach den Bera-tungen im Haushaltsausschuß ergibt sich bei einer ge-ringfügigen Kürzung der Barmittel, aber einer deutli-chen Verstärkungsmöglichkeit ein neuer Verfügungs-rahmen, der bei 7,854 Milliarden DM liegt. Er liegt alsoum 54 Millionen DM höher als im Regierungsentwurf.Bei den VES haben wir noch einmal um 145 MillionenDM aufgestockt und landen bei zirka 7,587 MilliardenDM. Ich behaupte hier also ganz kühn, daß der Haushaltjetzt noch zukunftsfähiger ist, als es der Entwurf der Re-gierung war.Unsere grundsätzlichen Forderungen der Vergangen-heit schlagen sich als neue Impulse im Regierungsent-wurf nieder. Wenn ich mir die Reden der vergangenenJahre und die Forderungen, die wir damals an die alteRegierung gestellt haben, anschaue und mit dem ver-gleiche, was wir in wenigen Wochen umgesetzt haben,erfüllt mich das mit einer gewissen Befriedigung, was jain der Politik nicht alltäglich ist. Ich muß schon sagen:Wir haben viele Schwerpunkte umgesetzt.Wir wollten die Bündelung der Zuständigkeiten imEntwicklungsressort: Bundessicherheitsrat, Transform-länder, Lomé, Weltsozialgipfel, Habitat. Das alles hatdie Bundesregierung umgesetzt. Allerdings gibt es nochKonzentrationspotentiale im Regierungsapparat. Auseinigen Ministerien müßte man streng entwicklungs-politische Aufgabenbereiche eigentlich ins BMZ über-führen. Das muß ich hier schon anmerken.
– Das ist einfach so. Das spart Planstellen, das spart fi-nanzielle Mittel, die wir letztendlich wieder für Ent-wicklungspolitik freimachen können. Das kann nur gutsein. Dafür brauchen wir aber erfahrungsgemäß natür-lich die Unterstützung des Kanzlers und des Finanzmi-nisters; das ist völlig klar. Deshalb der Appell in Rich-tung Regierungsbank.Wir wollten eine Entschuldungsinitiative für dieärmsten Länder. Das wollten nicht nur wir, sondernauch Tausende Bürgerinnen und Bürger und sehr vieleNGO. Zum Ergebnis kann man sagen: Die Bundesregie-rung hat auf Initiative der Bundesministerin für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für denKölner Gipfel der acht Staats- und Regierungschefs imJuni 1999 einen Schuldenerlaßvorschlag ausgearbeitet.Ziel ist die deutliche Entlastung hochverschuldeter ar-mer Länder. Ich denke, nach der notwendigen Prüfungder verschiedenen Modelle, die jetzt ansteht, wird wahr-scheinlich im Herbst der erste Schritt gemacht werden.Ich denke, dieser Erfolg kann sich sehen lassen.
Die Zusammenarbeit mit unseren NGO ist ge-stärkt. Wir haben den Titel um immerhin 200 Mil-lionen DM, also um 6 Prozent, aufgestockt, weil wir derMeinung sind, daß die Nichtregierungsorganisationeneine unschätzbare und aufopferungsvolle Arbeit in vie-len Ländern der Welt leisten. Dafür spreche ich unserenNGO unseren besonderen Dank aus. Diese Leistungenstellen eine wichtige Ergänzung und Verstärkung derstaatlichen deutschen und internationalen Entwicklungs-zusammenarbeit dar.Nun kurz zu den wichtigsten Ergebnissen der Bera-tungen im Haushaltsausschuß.Die humanitäre Hilfe wurde schon angesprochen: Esgibt einen Titel von 300 Millionen DM im Einzelplan60, der auch zur Entlastung des Einzelplans 23 dienensoll. Ich betone hier noch einmal: Es kann nicht sein,daß dieser Titel, wie sich hier und dort andeutet, imPrinzip vom Einzelplan 14 aufgesaugt wird. Es mußvom Finanzminister sichergestellt werden, daß nichtnach dem Windhundprinzip gearbeitet wird, sondernnach dem Prinzip der gleichmäßigen Berücksichtigungder Aktivitäten in verschiedenen Bereichen: Inneres,Auswärtiges Amt, Verteidigung, aber eben auch Ent-wicklungshilfe.Nach zehn Jahren Kampf haben wir den Haushalts-vermerk für den Schuldendienstverzicht. Das war eineForderung, die wir immer wieder vorgebracht hatten unddie von Ihnen damals, als Sie regierten, abgelehnt wur-de. Jetzt haben wir im Einzelplan 32 die Möglichkeit,über den ursprünglich vorgesehenen Rahmen hinausnach Zustimmung durch den Haushaltsausschuß Ent-schuldung zu ermöglichen, nach der Devise: Verspro-chen – gehalten.Wir haben – das hatte der Kollege von Schmudeschon angedeutet – endlich die Verbundfinanzierungso eingestellt, wie wir es schon seit Jahren gefordert ha-ben. Auch hier haben wir also das gehalten, was wir ver-sprochen haben. Dafür stehen 95 Millionen DM Ver-pflichtungsermächtigungen zur Verfügung. Wir werdenin jedem Jahr einen Bericht bekommen, der darüberAuskunft gibt, in welchen Ländern in welchem UmfangDr. Emil Schnell
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– auch über den Kreis der Länder mit gutem Risiko hin-aus – dieses Instrument angewendet wurde. Verbundfi-nanzierungsprojekte sollen dazu dienen, privates Kapitalin Entwicklungsprojekte einzubeziehen. Ich denke, ge-rade angesichts des zu erkennenden Trends, daß die Pri-vaten sich international zunehmend aus der Entwick-lungshilfe zurückziehen, ist das ein richtiges Signal. Wirbrauchen privates Kapital, privates Engagement in denLändern der Welt, in denen besondere Probleme existie-ren. Natürlich muß man dazu auch die gesetzlichenRahmenbedingungen und damit die Verläßlichkeit her-stellen. Hier ist dann wieder eine Aufgabe im Bereichder Beratung für uns, um zu solchen Systemen zu kom-men.Wir haben 200 Millionen DM Mehreinnahmen ausdem Forderungsverkauf ermöglicht. Davon fließen124 Millionen DM in den allgemeinen Haushalt und 76Millionen DM zur Verstärkung der FZ in den Haushaltdes Entwicklungsministeriums.Für den zivilen Friedensdienst gibt es nun einen Ex-tratitel. Wir haben dort 5 Millionen DM eingestellt, diedann, wenn ein überzeugendes Konzept vorliegt, freige-geben werden. Wir wollten damit nicht den DED ärgern,sondern sicherstellen, daß die Teilhabe privater Trägerweitgehend neutral möglich wird. Ich denke, das Hauswird diese Aufgabe lösen, obwohl wir aus vielen kriti-schen Publikationen wissen, daß die Ministerin hier kei-ne leichte Aufgabe haben wird.Zur entwicklungspolitischen Bildung möchte ichfolgendes sagen: Der Titel wurde schon im Regie-rungsentwurf deutlich aufgestockt. Wir haben imHaushaltsausschuß noch einmal etwas draufgelegt, sodaß wir bei 6 Millionen DM angekommen sind. Ichbetone das hier noch einmal, weil uns einige schlechtinformierte NGO unterstellt haben, daß wir diesenTitel gekürzt hätten. Das ist nicht wahr. Wir haben ge-nau das Gegenteil getan: Wir haben noch etwas – im-merhin 25 000 DM – draufgelegt und damit ein ganzklares Signal gesetzt.Nach den Kürzungen des UNDP-Titels haben wirnoch etwas draufgelegt, 10 Millionen DM. Aber ichbitte darum, diesen Bereich in Zukunft verläßlich zuverhandeln und über mehrere Jahre klarzumachen, umwelche Größenordnungen es hier geht.Bei der TZ mußten wir anerkennen, daß dort Engpäs-se herrschen. Deswegen haben wir noch einmal 20 Mil-lionen DM bar draufgelegt und 50 Millionen DM beiden Verpflichtungsermächtigungen. Als Gegenfinanzie-rung haben wir im EEF 66 Millionen DM gekürzt. Ichmöchte aber dazusagen, daß man hier nicht beliebig ein-greifen kann, da uns sonst überplanmäßige Ausgaben insHaus stehen könnten.Ich möchte zum Schluß sagen, daß es noch einigeweitere kleinere Veränderungen gibt. Sie werden imLaufe der Diskussion sicher dargestellt werden.Abschließend möchte ich mich recht herzlich bei denKolleginnen und Kollegen, bei der Ministerin und demHaus für die gute Zusammenarbeit und die zügige Zuar-beit bedanken. Ich möchte Sie alle darum bitten, demEinzelplan 23 zuzustimmen. Ich bedanke mich rechtherzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die F.D.P.-
Fraktion hat der Kollege Joachim Günther das Wort.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herrn! Der Haushalt1999 liegt nun auf dem Tisch. Herr Kollege von Schmu-de hat einige Eckzahlen genannt. Diese braucht mannicht zu wiederholen. Ich würde es so sagen: DieEuphorie der ersten rotgrünen Regierungstage ist demAlltag gewichen. Wenn man die einzelnen Etatpostendes Einzelplanes 23 betrachtet, dann kann man sagen:Das Machbare wurde im Ausschuß geregelt, undSchwerpunkte konnten zum Teil auch fraktionsübergrei-fend auf einen Nenner gebracht werden.Was wir allerdings nicht erreichen konnten, Frau Mi-nisterin – oder muß man sagen: was Sie nicht erreichenkonnten? –, war die Umsetzung Ihrer Ankündigungenaus der ersten Zeit. Sie hatten sich das Ziel gesetzt, diewirtschaftliche Zusammenarbeit, das BMZ wieder inden Kernbereich der Politik zurückzuführen. Sie habendie Bündelung der entwicklungspolitischen Aufgabenvorantreiben wollen. Wenn man Sie an diesen Aufgabenmißt, dann ist der Haushalt eindeutig zu kurz gesprun-gen. Diese Ziele sind nicht erreicht worden.
Damit sind wir wieder bei der Realität angelangt.Unserer Meinung nach gilt es, zu einzelnen Punktenganz kurz etwas aufzuzeigen.Wir sind der Meinung, daß der Einzelplan 23zukünftig besser strukturiert werden sollte. Wir brau-chen klare sektorale und regionale Schwerpunktesowie eine stärkere Konzentration auf Förderungsmög-lichkeiten mit geringem Zuschußanteil,
zum Beispiel die Förderung privater Existenzgründun-gen und privatwirtschaftlich koordinierte Infrastruktur-projekte.
Das Prinzip Marktwirtschaft muß auch auf den ver-schiedenen Ebenen der Entwicklungszusammenarbeitgelten. Wir brauchen mehr Transparenz und Wirksam-keit im Bereich der staatlichen und privaten Entwick-lungszusammenarbeit. Wir brauchen eine Verbesserungder Kooperation und Koordinierung zwischen den Pro-jektträgern. Wir brauchen vor allem verläßliche Wirk-samkeitsanalysen und Erfolgskontrollen. Auch die Ver-gabe von Fördermitteln sollte zukünftig im Wettbewerbder Durchführungsorganisationen bei Geber- und Part-nerländern erfolgen. Wer effizientere Hilfe zu günstige-ren Konditionen leistet, muß den Zuschlag erhalten.Dr. Emil Schnell
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Ein Förderungsschwerpunkt sollte aus unserer Sichtauch der Aufbau eines funktionierenden Finanzsek-tors in den Entwicklungsländern sein. Dazu gehört dieFörderung von Mikrokreditprogrammen. Die Mikrofi-nanzierung zählt zu den besten und erfolgreichsten Mit-teln zur Bekämpfung von Armut in den Entwicklungs-ländern. Durch Zugang zu Sparen und Kredit wird dieSelbsthilfefähigkeit der ärmsten Menschen nachhaltigverbessert. Wir konnten uns davon erst vor kurzem inSüdafrika überzeugen. Die positiven Erfahrungen mitdiesem Programm haben gezeigt, daß insbesondereFrauen diese Chance zur Verbesserung ihrer Lebensver-hältnisse nutzen. Deshalb sollte die Bundesregierungden Ansatz der deutschen Entwicklungspolitik fürMikrofinanzierungsprojekte weiter verstärken.Das gleiche gilt für die sogenannten öffentlich-privaten Partnerschaften. Die dreijährige Erfahrungmit diesen Partnerschaften zeigt, daß beim Zusammen-wirken von öffentlichen Entwicklungsträgern und pri-vater Wirtschaft betriebswirtschaftliche Rentabilität undentwicklungspolitischer Nutzen keine Gegensätze seinmüssen. In den gemeinsamen Projekten fließen die Bei-träge der Wirtschaft und der Entwicklungspolitik sozusammen, daß sie einer rein öffentlichen Lösung deut-lich überlegen sind.Daß direkte und indirekte positive Auswirkungender Entwicklungshilfe auf die heimische Wirtschaftnicht nur legitim, sondern auch von großer Bedeutungfür den Standort Deutschland sind, hat eine soeben vomBMZ veröffentlichte Studie bewiesen. Daß Entwick-lungshilfe nicht nur den Empfängerländern, sondernauch der heimischen Wirtschaft zugute kommt, ist imGegensatz zu mancher ideologischen Verbohrtheit keinMakel, sondern durchaus im Sinne einer entwicklungs-politisch verantwortungsbewußten Arbeitsteilung, die imübrigen auch bei uns zu Hause eine höhere Akzeptanzder Entwicklungspolitik nach sich ziehen würde.Nach der vorgelegten Studie hat die Entwicklungs-hilfe nicht nur ein erhebliches Handel schaffendesPotential, von dem sowohl Geber als auch Nehmer inkomplementärer Weise profitieren, sondern darüber hin-aus auch einen hohen Stellenwert für die Schaffung undden Erhalt von Arbeitsplätzen in Deutschland.Durch das entwicklungspolitische Engagement in denEntwicklungsländern werden ferner Investitionsmög-lichkeiten für deutsche Unternehmer und damit neueExportchancen geschaffen. Dies führt in den Entwick-lungsländern, die sich marktwirtschaftlich orientieren,im Endeffekt zu einer entwicklungspolitisch gewolltenMarktöffnungsfunktion.Gerade vor diesem Hintergrund ist es ein unhaltbarerZustand, daß im 6. und 7. Europäischen Entwicklungs-fonds lediglich 6 bis 10 Prozent der Aufträge an deut-sche Unternehmen gingen, wohingegen unsere französi-schen, britischen und italienischen Partner jeweils um die20 Prozent erhielten. Besonders kraß ist dieses Mißver-hältnis bei Bauaufträgen, von denen jeweils 24 Prozent anfranzösische und italienische Unternehmen gingen, andeutsche Unternehmen lediglich 4 Prozent. Die Bundes-regierung sollte hier dringend ihre Gestaltungsmöglich-keiten im Rahmen der EU-Präsidentschaft nutzen, umdiesen Trend umzukehren und sicherzustellen, daß deut-sche Unternehmen bei der Auftragsvergabe im Rahmender zukünftigen europäischen Entwicklungspolitik ange-messen berücksichtigt werden.
Der Einzelplan 23 läßt – entgegen der Ankündigungder Regierung – auch keine Trendwende hin zur Multi-lateralisierung der Entwicklungspolitik erkennen; dasmuß man deutlich sagen.Aus unserer Sicht besonders bedauerlich ist, daß derdeutsche Beitrag für das Entwicklungsprogramm derVereinten Nationen, UNDP, um 25 Prozent gekürztwurde. Das UNDP ist mit Abstand die effizienteste dergroßen multilateralen Geberorganisationen. Eine Kürzungder deutschen Beiträge ist aus unserer Sicht ein falschesSignal und steht auch im Widerspruch zu Ihrem Koali-tionsvertrag, in dem Sie das anders verankert haben.
Ich glaube, wenn wir zu den Ausgangswerten zu-rückkommen und das BMZ wieder im Kernbereich derPolitik auftritt, kann auch das wahr werden, was Sievorhin angekündigt hatten, daß wir dem Einzelplan 23zustimmen. Im Moment können wir das noch nicht.
Ich gebe das Wortder Kollegin Dr. Angelika Köster-Loßack, Bündnis 90/Die Grünen.
Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen natürlich alle,daß Geld allein keine ausreichende Grundlage für einenachhaltige Entwicklungspolitik ist. Ohne angemesseneFinanzausstattung aber bleiben auch die besten Ab-sichten wirkungslos.
Wenn Weltbankpräsident Wolfensohn feststellt – das isteine Feststellung, die über unseren nationalen Rahmenhinausgeht –, daß die weltweite Armut immer mehr zu-nimmt und gleichzeitig die öffentliche Entwicklungshil-fe den tiefsten Stand seit 50 Jahren erreicht hat, dannwird das Mißverhältnis von Bedarf zu realen Zuwen-dungen deutlich. Die Zahlen erspare ich mir jetzt. Siesind vorgetragen worden.Ich möchte hier ganz klar sagen: Nachdem die alteKoalition den Haushalt des Bundesministeriums fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kon-tinuierlich heruntergefahren hat, ist jetzt erstmals eineTrendumkehr geschafft.
Joachim Günther
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3180 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Wir Grüne hatten in den letzten Jahren immer wiedergefordert, daß die Talfahrt des BMZ-Haushalts gestopptwerden muß. Das ist gelungen, und darauf können wirauch ein bißchen stolz sein. Angesichts der vielfältigenAufgaben, denen sich die Entwicklungspolitik widmenmuß, insbesondere bei der Konfliktprävention, will ichnicht verhehlen, daß wir uns einen größeren Aufwuchsgewünscht hätten. Obwohl wir die finanziellen Bela-stungen, die die rotgrüne Koalition geerbt hat – dieseAltlasten haben wir von Ihnen übernommen –, berück-sichtigen müssen, werden wir darauf achten, daß sichder positive Trend für unseren Einzelplan in den näch-sten Jahren fortsetzen wird.
Unserer Staatssekretärin und unserer Haushaltsbe-richterstatterin möchte ich an dieser Stelle besondersdanken. Sie haben sich im Verein mit der Spitze desHauses darum bemüht und erfolgreich dafür eingesetzt,daß der Entwicklungsetat trotz finanzpolitischerSchwierigkeiten einen Zuwachs verzeichnet.
Der Verfügungsrahmen, also die tatsächlich zur Verfü-gung stehenden Mittel, wurde nochmals um 91 Millio-nen DM erhöht. Der Vergleich, der von manchem, sounter anderem von Herrn von Schmude, angestellt wird,nämlich daß der Haushalt 1999 gegenüber dem Ist-Haushalt 1998 gesunken ist, geht ins Leere. Man kannden Ist-Haushalt 1998 nur mit dem Ist-Haushalt 1999vergleichen. In einem Jahr können wir das, und so langegilt, daß der Haushaltsentwurf 1998 bzw. der Entwurfder alten Koalition unser Vergleichsmaßstab ist. Gegen-über beiden ist eine Steigerung festzustellen.Ganz besonders wichtig ist aus meiner Sicht – daswurde bereits angesprochen – die deutliche Steigerungder Verpflichtungsermächtigungen. Gegenüber dem Re-gierungsentwurf der alten Koalition gibt es hier eineSteigerung um fast 400 Millionen DM. Das ist für diekünftige Entwicklungszusammenarbeit von zentralerBedeutung, weil dadurch die Handlungsspielräume er-weitert werden.
Deutlich wird der größere Stellenwert, den wir derEntwicklungspolitik zuordnen, wenn man sich die Be-reiche genauer ansieht, in denen erste neue Initiativengestartet wurden. Wir, die wir jahrelang in der Opposi-tion für diese Konzepte gestritten haben, wissen sehr ge-nau um die Bedeutung der eingeleiteten Maßnahmen.Wir werden gemeinsam mit der Regierung, mit demBMZ und mit der Ministerin an ihrer zügigen Umset-zung arbeiten.Gerade angesichts des Kosovo-Krieges ist es wichtig,rechtzeitig zivile Konfliktlösungen anzustreben und um-zusetzen.
Wir müssen in Zukunft mit allen friedlichen Mitteln zuverhindern suchen, daß zur Durchsetzung von Men-schenrechten militärische Mittel eingesetzt werden müs-sen.Natürlich hat der Fall des Eisernen Vorhangs die bisdahin latenten Konflikte, die in der Vorherrschaft eth-nisch-religiöser Gruppen oder in der Unterdrückung vonethnischen und religiösen Minderheiten wurzeln, zumAusbruch kommen lassen. Die Aufgabe von Entwick-lungspolitik als Friedenspolitik – wie das auch von derMinisterin zentral vertreten worden ist – besteht darin, inunseren Partnerländern durch eine Verbesserung derwirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischenRahmenbedingungen zum Abbau solcher strukturellerKonfliktursachen beizutragen.
Das wird allerdings nur dann gehen, wenn wir in einengleichrangigen auf Informationen gegründeten Dialogeintreten. Postkoloniale Arroganz ist hier fehl am Platzund führt nur in die Sackgasse.
Die Entwicklungspolitik soll auch den Aufbau zivi-ler Konfliktlösungsmechanismen unterstützen – unddas bei bewußter Einbindung von zivilgesellschaftlichenRessourcen auch in den Ländern des Südens. So wird imHaushalt 1999 – das ist schon angesprochen worden –zum erstenmal Geld für einen zivilen Friedensdienst be-reitgestellt, der von der vorherigen Koalition in dieserForm immer abgelehnt worden ist. Deswegen sollte diealte Koalition heute auch keine Krokodilstränen darübervergießen, wie enttäuscht die Länder des Südens oderdie hiesigen NRO sind.
Es geht bei diesem zivilen Friedensdienst darum, dievielfältigen Erfahrungen, die es auf diesem Gebiet imNorden und im Süden seitens staatlicher und nichtstaat-licher Organisationen gibt, einzubeziehen. Deswegenwar es auch ganz wichtig, daß hier ein Titel im Haushaltverankert worden ist. Es geht in den nächsten Wochendarum, gemeinsam über ein tragfähiges Konzept zu dis-kutieren, damit endlich ein mit entwicklungspolitischenMitteln und Zielsetzungen ausgestatteter ziviler Frie-densdienst aufgebaut werden kann. Wenn wir einen sol-chen Friedensdienst zur Zeit der Eroberung Osttimorsdurch die indonesische Regierung in Aktion gehabt hät-ten, dann wäre den Menschen Osttimors sehr viel erspartgeblieben. Es wäre nicht über die Jahre hinweg einDrittel der Bevölkerung ermordet worden.
Ganz besonders wichtig ist in diesem Zusammenhangnatürlich auch, daß die Mittel für die entwicklungspoli-tische Bildung einen deutlichen Zuwachs von6 Millionen DM erfahren. Das bedeutet eine Steigerungvon über 40 Prozent. Dieses Geld ist notwendig, damitDr. Angelika Köster-Loßack
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auch bei uns das Wissen um die Zusammenhänge unddas Bewußtsein für die Notwendigkeit entwicklungs-politischer Zusammenarbeit auch im Bereich der Frie-denssicherung gestärkt werden. Es ist notwendiger dennje, den Menschen in unserem Land zu vermitteln, daßdie Gelder, die wir für die Entwicklungszusammenarbeitausgeben, weder überflüssig noch verloren sind. Es giltzu verdeutlichen, daß die Entwicklungszusammenarbeitin unser aller Interesse ist, sei es aus ökologischen, so-zialen, humanitären und friedenspolitischen Gründen,sei es aus wirtschaftlichen Gründen.Es muß auch deutlich gemacht werden, daß die mei-sten Gelder für sinnvolle Projekte und Programme aus-gegeben werden, die tatsächlich den Menschen in denLändern des Südens zugute kommen. Ich begrüße es indem Zusammenhang außerordentlich, daß die rotgrüneRegierung, die Spitze unseres Hauses die multilateraleZusammenarbeit stärken will. Gerade wir haben immerdavor gewarnt, die Entwicklungspolitik zu renationali-sieren und dabei nur die Exportinteressen unserer Wirt-schaft im Auge zu haben. Es ist nämlich so, daß man das– im Gegensatz zu dem, was vorhin vor allen Dingen inAngriffen auf den EEF bezüglich Verschwendungsskan-dalen usw. gesagt wurde – genausogut bei vielen Kre-ditvergaben und Kreditabsicherungen durch Hermes, diewir in den letzten Jahrzehnten in den Sand gesetzt ha-ben, anbringen kann. Ich verweise noch einmal auf In-donesien.
Es kommt natürlich darauf an – da sind wir durchauskritisch –, die multilaterale Hilfe besser aufeinander ab-zustimmen. Das ist vor allem für die Entwicklungszu-sammenarbeit der EU notwendig. Die institutionelleZersplitterung wird ein Ende haben. Ein neuer Kommis-sionspräsident und eine neu zusammengesetzte Kom-mission mit neu definierten Aufgaben werden neue Be-dingungen schaffen. Ich glaube, daß das nicht nur aufdem Gebiet der EU von Bedeutung ist, sondern natürlichgenauso auf dem Gebiet der Vereinten Nationen. Des-wegen ist es ganz wichtig, daß die Kürzungen, die beimEntwicklungsprogramm der Vereinten Nationen zu-nächst vorgenommen werden sollten, zumindest teilwei-se zurückgenommen wurden. In Zukunft wird es jedochdarauf ankommen, die Entwicklungsinstitutionen derVN noch viel stärker zu unterstützen und gleichzeitiginterne Reformprozesse voranzutreiben, die eine wirk-same Zusammenarbeit ermöglichen.Zur Entschuldungsinitiative ist schon einiges gesagtworden. Ich möchte nur noch dazusagen, daß bei denVeranstaltungen, die ich in dem Bereich mache – auchbei den Kirchen –, durchaus verstanden worden ist, daßwir uns von seiten der rotgrünen Regierung bemühen,eine Halbierung der Vorlaufzeit, die für die ärmstenLänder angesetzt wurde, und eine Anhebung der Höheder Schuldenerlasse zu erreichen. Ich glaube, daß wirjetzt, nachdem Deutschland in der Frage des Schulden-erlasses international jahrelang als Bremser aufgetretenist, gut damit leben können, daß wir eine Vorreiterrolleübernehmen.Die Initiativen der neuen Regierung, die ich heute nurangerissen habe, machen deutlich, daß die Entwick-lungszusammenarbeit endlich einen neuen Stellenwert inder deutschen Politik gewonnen hat.Vielen Dank.
Ich gebe dem Kol-
legen Carsten Hübner von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ich willes gleich vorwegschicken: Der nun zu beschließendeHaushalt des Einzelplans 23 hat mit der von Ihnen in derKoalitionsvereinbarung angekündigten „entwicklungs-politischen Kehrtwende“ leider nicht viel zu tun. Ichbedauere das um so mehr, Frau Ministerin, als ich dievon Ihnen vertretenen struktur- und entwicklungspoliti-schen Eckwerte oftmals durchaus teile. Das ändert abernichts an der Tatsache, daß Sie sie in einem Kabinett, indem Entwicklungspolitik statt Pflichtprogramm wohldoch nicht vielmehr als politische Kür ist, offenbar nichtdurchsetzen können.In einer Zeit verschärfter Konflikte in weiten Teilender Welt, in einer Zeit zunehmender Armut und der Ab-kopplung ganzer Regionen von der globalen Entwick-lung ist aber genau diese Haltung gegenüber der Ent-wicklungspolitik nicht nur kritikwürdig, sondern glatt-weg unverantwortlich. Ich frage Sie: Wo tragen Sie dennin der notwendigen Konsequenz dem Umstand Rech-nung, daß den rund 900 Millionen Menschen in den In-dustriestaaten etwa 4,9 Milliarden Menschen in den so-genannten Entwicklungsländern gegenüberstehen, daßrund 1,5 Milliarden Menschen auf der Welt täglich mitweniger als einem Dollar auskommen müssen und daßsich zum Beispiel in den Nachfolgestaaten der Sowjet-union, also ganz in unserer Nähe, die Zahl der Armenvon 1989 bis heute mehr als verzehnfacht hat, also147 Millionen Menschen dort weniger als 4 Dollar proTag zur Verfügung haben? Das sind die entwicklungs-politischen Herausforderungen, denen wir – natürlichnicht allein; das ist klar – gerecht werden müssen.Ein Blick auf den Einzelplan 23 belegt: kein spürba-res Anwachsen des Haushaltes und damit keine Annähe-rung an die internationale Zielstellung von 0,7 Prozentdes Bruttosozialprodukts für öffentliche Entwicklungs-hilfe. Statt dessen dümpelt der Haushalt bei etwa0,3 Prozent, liegt jetzt sogar noch 37 Millionen DM un-ter Ihrem eigenen ersten Etatentwurf für 1999. Darin in-begriffen sind weitere Einschnitte bei den Zahlungen fürdie verschiedenen entwicklungspolitisch relevanten UN-Organisationen. Letztlich haben Sie noch nicht einmaldie Kürzung bei UNDP rückgängig gemacht; das ist jaschon angesprochen worden.Eine solche Politik ist von ihrem Charakter her kurz-sichtig und wird damit weder dem Schlagwort – aller-dings in einem weiteren Sinn – „good governance“ nochdem Anspruch der Nachhaltigkeit von politischen Maß-Dr. Angelika Köster-Loßack
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nahmen, geschweige denn einer substantiellen entwick-lungspolitischen Kehrtwende gerecht. Wenn ich gar andie aus der Sicht meiner Fraktion unbedingt notwendigebilaterale Flankierung der HIPC-Schuldeninitiativezum G-7-Gipfel erinnere, dann verschwindet die ver-kündete Kehrtwende gleich ganz hinter einer Nebel-wand, die noch dichter werden wird, je länger der wider-sinnige, aber deswegen nicht weniger teure NATO-Kriegseinsatz gegen Jugoslawien dauert. Wir alle – ichdenke dabei auch an meine Fachkolleginnen und-kollegen der anderen Fraktionen – werden uns nochwundern, wenn die Rechnung für diesen Krieg präsen-tiert wird, wenn auch aus dem Haushalt des BMZ diehorrenden Summen für eine falsche internationale Poli-tik aufgebracht werden und diese damit nicht mehr fürzivile Konfliktprävention und eine nachhaltige globaleEntwicklung zur Verfügung stehen.Zurück zu der Frage der bilateralen Schulden – unsereentsprechenden Änderungsanträge liegen vor –: Mit demHaushalt 1999 wird keine neue Weichenstellung vorge-nommen, wird eben nicht die Tür für einen konsequentenSchuldenerlaß aufgestoßen, wie er etwa von der „Erlaß-jahrkampagne“ und dem Gros der entwicklungspoliti-schen NGOs gefordert wird. Nicht einmal ein Verzichtauf Tilgung und Zinsforderungen gegenüber den ärmstenund am wenigsten entwickelten Ländern ist vorgesehen.Das ist ein schwaches Bild – einmal ganz abgesehen da-von, daß auch darüber hinaus die Struktur des vorherigenHaushalts nicht aufgebrochen wurde, um aktueller, ak-zentuierter, zielgruppenorientierter und letztlich einfacheffektiver auf die drängenden Herausforderungen reagie-ren zu können und neue Impulse zu geben.Das ist nicht allein eine Frage des Geldes – das wis-sen Sie so gut wie ich –, das ist eine Frage des politi-schen Gestaltungswillens und natürlich eine Frage derSpielräume, die Sie, Frau Ministerin, liebe Kolleginnenund Kollegen von der Koalition, in dieser Regierungwohl erst noch durchsetzen müssen.Meine Fraktion kann dem vorliegenden Einzelplan 23aus den genannten Gründen jedenfalls nicht zustimmen.
Das Wort hat dieBundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul.Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: HerrPräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kolle-ge Schnell hat die unsinnigen Behauptungen, die hierzum Haushalt aufgestellt worden sind, bereits zurück-gewiesen. Ich will an dieser Stelle nur noch einmal dar-auf hinweisen: Die Notwendigkeit des Umsteuerns stelltsich über mehrere Jahre. Denn ein Haushalt, der in denletzten sechs Jahren von den hier sitzenden Parteien um9 Prozent reduziert worden ist, der als Steinbruch be-nutzt worden ist, kann nicht schnell wieder voll aufge-baut und erweitert werden.
Sie haben ja mit dazu beigetragen, daß die Vorausset-zungen geschaffen wurden, die wir jetzt ändern müssen.Ich möchte aber unabhängig davon ein paar grund-sätzlichere Anmerkungen machen, von denen ich finde,daß wir sie heute hier diskutieren sollten. Entwicklungs-politik ist Friedens- und Zukunftspolitik. Sie ist wiejede Friedens- und Zukunftspolitik eine Frage des Ar-beitens mit wirklich langem Atem. Die Tragödie im Ko-sovo lehrt uns, daß wir endlich ernst machen müssen miteiner Politik der Krisenprävention.
Die Entwicklungspolitik steht vor der Aufgabe, ge-meinsam mit der Außen- und Sicherheitspolitik, dazubeizutragen, daß Krisen in der Welt erst überhaupt nichtentstehen können. Das ist die allerwichtigste Aufgabe,und zwar nicht nur aus humanitären Gründen, nicht nurum der Menschen Willen, sondern auch aus ökonomi-schen Gründen. Denn die dafür zu veranschlagendenKosten sind um ein Vielfaches geringer als die Kostender Beseitigung der Folgen von Kriegen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sollten doch alleeinmal ehrlich sein. Denken Sie an die Debatte über denVerteidigungshaushalt, die wir vorhin hatten. Es ist dochso, daß in Ihren Reihen die Faszination des Militärischenallemal höher ist als die Faszination der Krisenprä-vention.
– Jawohl, das ist so.
– Das sehen Sie doch auch. Das ist doch ersichtlich, daskann man mit Händen greifen. – Solange das so ist, solange wird es kein Umdenken geben. Ich appelliere anSie alle umzudenken. Die Faszination der Krisenprä-vention muß alle Menschen bewegen.
Gerade die Kosovo-Katastrophe erfordert, daß wirüber den Tag hinaus sehen
und langfristige Strategien der Krisenprävention entwik-keln. Es kommt darauf an, den politischen Gestaltungs-willen zu nutzen.Und jetzt einmal an die Adresse von Herrn Hübner,der das natürlich hier so locker-flockig sagen kann: Esgeht darum, daß in diesem Bereich zwei neue Eckpfeilergesetzt werden, auf die ich deutlich hinweisen will unddie wir auch in unserer Politik setzen. Der erste ist Ab-bau von Krisenursachen. Der Zugang zu Land, Wasserund Bodenschätzen ist häufig die Ursache für gewaltsa-me Auseinandersetzungen. Unsere entwicklungspoliti-schen Maßnahmen – wir setzen allein in der Region desNahen Ostens dafür 200 Millionen DM ein – zeigen, daßCarsten Hübner
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es erfolgversprechende Ansätze zu einem besseren Kri-senmanagement in diesem Bereich gibt. Das ist ein akti-ver Beitrag zur Friedenssicherung.
Regionale Integration kann helfen, zwischenstaatli-che Krisenursachen zu verringern. Sie kann vor allenDingen wirtschaftliche und gesellschaftliche Verbin-dungen schaffen, die stabilisierend wirken und bei denenauch ein politischer Dialog möglich ist. Wir sehen in un-serem Haushalt für die Unterstützung dieser regionalenStrukturen rund 100 Millionen DM vor und setzen damitim Rahmen unseres Handlungsspielraums einen entspre-chenden Schwerpunkt.Der zweite große Pfeiler besteht in der Förderunggesellschaftlicher Mechanismen zur gewaltfreienKonfliktlösung. Eine Gesellschaft, die es allen Indivi-duen und Gruppen, auch ethnischen Gruppen, ermög-licht, ihre Interessen zu artikulieren, und die über Me-chanismen zum Ausgleich dieser Interessen verfügt, be-sitzt die besten Voraussetzungen für ein friedliches Zu-sammenleben. Deshalb ist die Unterstützung von Demo-kratisierung und von Partizipation sowie die Entwick-lung der Zivilgesellschaft ein wichtiger Beitrag, denMenschen den Umgang damit nahezubringen. Deshalbist dieser Ansatz ein ganz wichtiges Instrument zur Frie-denssicherung. Ihn unterstützen wir mit 200 MillionenDM.
Eine unabhängige und auch für arme Menschen zu-gängliche Justiz stellt ebenso wie die Transparenz unddie Berechenbarkeit des Staates als Gesetz- und Verord-nungsgeber eine entscheidende Voraussetzung fürRechtssicherheit und den Schutz der Menschenrechtedar. Vertrauen die Menschen dem Rechtssystem ihresStaates, so sind erhebliche Konfliktpotentiale ausge-schaltet. Hierzu kann Entwicklungspolitik einen wichti-gen Beitrag leisten. Das tun wir mit unserem Haushalt,den wir vorlegen.
Darüber hinaus werden wir das Instrument des zivilenFriedensdienstes – dieser Punkt ist mehrfach angespro-chen worden – entwickeln. Damit setzen wir einenwichtigen Schwerpunkt bei der Krisenprävention undder Friedenssicherung.Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt ansprechen,der uns heute den ganzen Tag beschäftigt hat, nämlichdie Frage, was wir für die Unterstützung und vor allenDingen für die Stabilisierung des Kosovo und der be-troffenen Nachbarländer tun können, zum Beispiel fürMazedonien und Albanien, aber natürlich darüber hinausauch für Bulgarien, Rumänien und Bosnien-Herzegowina. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich dar-auf hinweisen, daß wir als Bundesministerium für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Mittel fürMaßnahmen eingestellt haben, die über Nothilfe undHilfe für Flüchtlinge hinausgehen. Für mittel- und lang-fristige Stabilisierungsmaßnahmen sind im Haushalt desBundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit35 Millionen DM für Albanien, 45 Millionen DM fürMazedonien und in der letzten Woche 25 Millionen DMfür Bulgarien eingeplant worden. Für Rumänien sind27 Millionen DM vorgesehen, für Bosnien-Herzegowina32 Millionen DM.Darüber hinaus hat die Gebergemeinschaft zusammenmit der Weltbank in der letzten Woche für die betroffe-nen Länder in der Region ein Unterstützungspaket inHöhe von rund 130 Millionen US-Dollar geschnürt,durch das die Staatengemeinschaft ihre Solidarität mitden betroffenen Ländern eindrucksvoll bekräftigt undihre rasche Unterstützung deutlich gemacht hat.Ein weiterer Punkt. Um des zukünftigen Friedenswillen dürfen wir nicht zulassen – das ist eine grund-sätzliche Überlegung –, daß vor allen Dingen die armenEntwicklungsländer immer weiter ins Abseits der Welt-wirtschaft gedrängt werden. Es gibt zwei Trends: Dereine Trend besteht darin, daß der private Finanztrans-fer in die Entwicklungsländer drastisch zurückgegan-gen ist – in den letzten drei Jahren um 50 Prozent – unddaß er sich auf nur wenige Länder und wenige Sektorenkonzentriert. Das ist unakzeptabel. Deshalb haben wirunter anderem unsere Entschuldungsinitiative einge-bracht. Wir haben die Unterstützung unserer Partnerlän-der, in der Weltbank und beim Währungsfonds für die-sen Ansatz gefunden. Er trägt dazu bei, endlich Zukunft-schancen vor allem für die ärmsten verschuldeten Ent-wicklungsländer zu schaffen. Erkennen Sie dies einfachals Erfolg an,
und tragen Sie mit dazu bei, daß diese Initiative im öf-fentlichen Bewußtsein bekannter wird!Der andere Trend betrifft die öffentlichen Finanzmit-tel. Hier will ich an eine Entwicklung erinnern: 1988 lagder Anteil der öffentlichen Finanzmittel für die Ent-wicklungszusammenarbeit am Bruttosozialprodukt inden Geberländern bei 0,34 Prozent. Er ist im Jahr 1997auf 0,22 Prozent des Bruttosozialproduktes zurückge-gangen. Nach vorläufigen Berechnungen betrug derAnteil im letzten Jahr weniger als 0,2 Prozent des Brut-tosozialprodukts der OECD-Mitgliedsländer. Das ist einabsolut unakzeptabler Zustand. Er kann nicht hinge-nommen werden.
Wenn die privaten und die öffentlichen Entwick-lungsmittel nicht mehr fließen würden, dann würde einTeil dieser Welt ins Abseits gedrängt. Das dürfen wirnicht zulassen. Willy Brandt hat nach wie vor recht: Wirkönnen auf Dauer nicht in Frieden und Wohlstand leben,wenn es Regionen auf der Welt gibt, die in tiefster Ar-mut leben. Deshalb müssen wir dazu beitragen, daß sichdas ändert.
Wir wollen den gegenwärtigen Abwärtstrend unsererEntwicklungsleistungen am Bruttosozialprodukt, der,Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
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3184 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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wie ich eben dargestellt habe, für die Industrieländerinsgesamt gilt, stoppen. So hat es der Bundeskanzlergemäß der Koalitionsvereinbarung auch in seiner Regie-rungserklärung unterstrichen. Der vorliegende Haus-haltsentwurf für den Einzelplan 23 leistet die dazu er-forderliche Wende.Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der vom Haus-haltsausschuß jetzt vorgeschlagenen Höhe der Ver-pflichtungsermächtigungen liegen wir um 630 MillionenDM bzw. um 9 Prozent über dem Verfügungsrahmen,den die alte Regierung für 1999 vorgesehen hatte. Damitist der Grundstein für künftig steigende Leistungen inder Entwicklungszusammenarbeit gelegt. Erkennen Siedas doch einfach einmal an, zumal Sie selber Verant-wortung getragen haben.
Üben Sie vielleicht auch einmal ein Stück Selbstkritik,in diesem Bereich bisher nicht so aktiv gewesen zu sein.Ich möchte zum Schluß kommen. Jenseits jeder par-teipolitischen Diskussion: Wichtig ist – ich sage dasnoch einmal –, daß wir uns umorientieren und daß Kri-senprävention und Friedenssicherung das politischeDenken beherrschen. Deshalb werden wir die Entwick-lungszusammenarbeit ausbauen und dazu beitragen, daßdie Umorientierung, die wir jetzt geschaffen haben, inZukunft anhält. Ich fordere jeden dazu auf, uns in die-sem Sinne zu unterstützen.Ich bedanke mich sehr.
Das Wort hat der
Kollege Klaus-Jürgen Hedrich, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsi-dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! FrauMinisterin, ich weiß nicht, ob Sie sich wirklich bewußtwaren, was Sie zu Beginn Ihrer Ausführungen gesagthaben. Kollegen dieses Hauses zu unterstellen, vom Mi-litärischen möglicherweise stärker als von Konflikt-und Krisenprävention fasziniert zu sein, ist eine Unge-heuerlichkeit.
Ich darf Sie in aller Form bitten, dies zurückzuneh-men. Wenn Sie bei dieser Formulierung bleiben, dannkündigen Sie damit den Konsens auf, den wir sowohl inder Kosovo-Frage – wir werden das unserer Fraktions-führung dementsprechend darstellen – als auch seit fast20 Jahren in der Entwicklungspolitik haben. Ich sagenoch einmal: Ihre Äußerung ist ein ganz starkes Stück.
Frau Ministerin, wir tadeln Sie übrigens nicht dafür,daß Sie sich gegenüber dem Finanzminister nicht habendurchsetzen können. Das kennen wir. Aber wir müssenSie kritisieren, wenn Sie sich an Ihren eigenen Ankündi-gungen messen lassen wollen. Ich möchte Ihnen dazueinmal die von der Bundesregierung offiziell veröffent-lichten Haushaltszahlen vortragen. Es geht um den Ver-gleich des Haushaltes 1998 mit dem Haushalt 1999.
– Die Zahl für 1998 liegt bei 7,924 Milliarden DM. IhrHaushaltsansatz dagegen, der jetzt noch niedriger ist alsim Entwurf, liegt bei 7,763 Milliarden DM. Ich kann dasdoch nicht ändern; das ist der Sachverhalt.Ich möchte mich allerdings ausdrücklich bei denKollegen von der Koalition im Fachausschuß bedanken.Die meisten Dinge haben wir gemeinsam beschlossen,lieber Kollege Werner Schuster. Aber euch ist es, wennich das so persönlich sagen darf, genauso gegangen, wiees uns so manches Mal gegangen ist: Die Haushälter ha-ben von den Haushaltsansätzen nichts, aber auch garnichts übernommen.Gegenüber dem Kollegen Schnell, der hier begrüßthat, daß weitere Zuständigkeiten im Ministerium kon-zentriert werden, darf ich meine Feststellung wiederho-len, daß auch wir das bereits in der ersten Ausschußsit-zung und auch hier im Parlament ausdrücklich begrüßthaben. Aber gerade vor diesem Hintergrund klingt dieEingangsbemerkung der Ministerin um so merkwürdi-ger, um keinen anderen Ausdruck zu benutzen. Jetztsitzt das BMZ nämlich im Bundessicherheitsrat. Wäh-rend die Leitung des Hauses durch die Lande reist, ge-gen Waffenexporte zu Felde zieht und große Redenschwingt, wird im Bundessicherheitsrat Waffenexportenzugestimmt. Auch hier passen wieder Anspruch undWirklichkeit nicht zusammen.
Über die Frage des zivilen Friedensdienstes werdenwir übrigens in einen Diskussionsprozeß mit den interes-sierten Gruppen im Lande eintreten; wir haben uns be-wußt darauf verständigt, das nicht im Rahmen einer An-hörung zu machen. Ein Fachgespräch im Rahmen diesesDiskussionsprozesses wird Anfang Juni stattfinden.
Hier kann ich übrigens die Bundesregierung nur nocheinmal ausdrücklich auffordern, endlich ein schlüssigesKonzept vorzulegen. Der uns zugeleitete Entwurf desBMZ ist durchaus diskussionswürdig. Ich mache aberdarauf aufmerksam, daß wir so lange nicht endgültigdarüber diskutieren können, wie die Bundesregierungkein Konzept vorlegt. Ich hoffe, daß Sie es durchsetzenkönnen – hier ist übrigens insbesondere das AuswärtigeAmt gefordert, insofern kann der Kollege das gleich zurKenntnis nehmen –, daß bis zum 2. Juni eine einheitli-che Position der Bundesregierung vorliegt, auf derenBasis wir dann mit den interessierten Personengruppenund Institutionen aus der Republik diskutieren können.Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
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Eine vorletzte Bemerkung: Die Schuldeninitiativewurde ebenfalls mit großem Aufwand angekündigt. In-zwischen erklären die internationalen Finanzinstitutio-nen, die sogenannten IFIs, daß sie nicht über die ent-sprechenden Finanzmittel verfügen, um eine solcheSchuldeninitiative umzusetzen. Die Franzosen und Ja-paner haben ausdrücklich erklärt, daß sie mit den jetzi-gen Vorschlägen nicht einverstanden sind. Wir hoffen,Frau Ministerin – in unserem gemeinsamen Interessedarf ich das hier zum Ausdruck bringen –, daß es Ihnenbis zum G-8-Gipfel gelingt, diese Dinge auszuräumen,damit wir wirklich ein Zeichen zugunsten der ärmerenLänder dieser Erde setzen können.Ich möchte aber an dieser Stelle noch einmal ganzausdrücklich die Position der CDU/CSU wiederholen:Es ist für niemanden in Deutschland – und auch wederfür den europäischen Steuerzahler noch für den japani-schen und amerikanischen Steuerzahler – verständlich,wenn diese Entschuldungsinitiative nicht mit einer kla-ren Konditionierung versehen wird. Das heißt, es mußsichergestellt werden – ich wiederhole das, was ichschon letztes Mal gesagt habe –, daß das Geld wirklichdort ankommt, wo es hingehört: Es muß für die Be-kämpfung der Armut auf der Erde eingesetzt werden; sokönnte wirklich ein Beitrag zu mehr Frieden auf der Er-de geleistet werden. Sie hatten ja recht mit Ihrem Ein-wand, daß die Armut in den letzten Jahren zugenommenhat.Heute nachmittag fand – die Friedrich-Ebert-Stiftungwar Mitveranstalter – eine Lateinamerika-Konferenzstatt, auf der deutlich gemacht wurde, daß trotz allerwirtschaftlichen Fortschritte die soziale Kluft in denmeisten unserer Partnerländer zunimmt. Solange diesder Fall ist, werden wir mit unserer Entwicklungspolitikimmer nur notdürftige Reparaturmaßnahmen durchfüh-ren können. Das kann natürlich nicht der Sinn einer Ent-schuldungsinitiative sein. Vielmehr muß sie so angelegtsein, daß unsere Partnerländer verpflichtet werden, dasGeld wirklich für die Armen und für die Sicherstellungvon Grundbedürfnissen zu verwenden.
Zum Schluß will ich durchaus meine Genugtuungnicht verhehlen, daß Sie jetzt erneut erklärt haben, daßSie sich die Sprangerschen Kriterien – Menschenrechte,Rechtsstaatlichkeit, soziale Marktwirtschaft – zu eigenmachen. Daraus entnehme ich: So schlecht kann diePolitik Ihrer Vorgänger nicht gewesen sein; wenn Siesich daran ein Beispiel nehmen, wird aus Ihrer Politikvielleicht noch etwas Gutes.
Ich gebe das Wort
Frau Bundesministerin Wieczorek-Zeul.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Lie-
be Kolleginnen und Kollegen! Wenn ein Mißverständnis
entstanden sein sollte, dann will ich das an dieser Stelle
ausräumen.
Meine Darlegungen zur Faszination der Krisenprä-
vention und des Militärischen war nicht als Vorwurf
an Abgeordnete oder irgendeine Fraktion gerichtet. Las-
sen Sie uns bitte doch einmal gemeinsam überlegen:
Wenn Entwicklungshelfer vor Ort tätig sind, um Kon-
flikte verhindern zu helfen, und es daraufhin gar nicht zu
Konflikten kommt, dann findet dies im öffentlichen Be-
wußtsein keinen Niederschlag. Das ist ja ein Teil des
Problems in diesem Bereich. Militärische Aktionen und
Auseinandersetzungen dagegen finden im öffentlichen
Bewußtsein immer ihren Niederschlag.
Mein Punkt war – ich glaube, Sie alle stimmen darin
mit mir überein –, daß wir dazu beitragen müssen, daß
die sehr gute Arbeit, die vor Ort geleistet wird, damit
Konflikte gar nicht erst entstehen, auch im öffentlichen
Bewußtsein stärker deutlich wird. Denn nur wenn das
der Fall ist, werden wir die entsprechenden finanziellen
Veränderungen schaffen, die notwendig sind.
Ich glaube, das hat auch Ihnen gegenüber klargestellt,
was gemeint war, und ich denke, dem können auch Sie
zustimmen. – Vielen Dank.
Zu einer Kurzinter-
vention hat Kollege Dr. Werner Schuster das Wort.
Vorweg: HerrHedrich, Sie werden mir sicher zustimmen, daß esleichter ist, europaweit eine militärische Maßnahme zukoordinieren, als mit dem gleichen Umfang, der glei-chen Präzision und der gleichen Professionalität eineabgestimmte Förderung von zivilgesellschaftlichen Struk-turen zu initiieren.
Aber der eigentliche Grund für meine Kurzinterven-tion ist Ihr Hinweis auf den Haushalt. Niemanden hättees mehr gefreut als mich persönlich, wenn dieser Haus-halt noch ein paar Millionen DM mehr ausgewiesenhätte.Wenn Sie gestern gehört haben, was der neue Finanz-minister uns für das Jahr 2000 angekündigt hat, FrauMinisterin, dann bin ich sehr vorsichtig. Wenn wir alsoim Jahr 2000 nicht mehr Geld bekommen, dann müssenwir über die Fraktionsgrenzen hinweg dreierlei angeben:Erstens. Wir müssen Prioritäten setzen. Ich sage mitIhnen: Das können die Fachausschüsse besser als dieHaushälter. Es muß aufhören, daß die Haushälter gemein-same Fachausschußbeschlüsse mit Vorschlägen zum Um-verteilen, zum Umschichten nachträglich korrigieren. Daskann nicht gehen. Damit nehmen Sie uns jedes Interesse,ernsthaft über Sparmaßnahmen nachzudenken.
Klaus-Jürgen Hedrich
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3186 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Zweitens. Es muß aufhören, daß Geld für Dinge aus-gegeben wird, die man schlicht als Verschwendung be-zeichnen kann.
– Sein Vertreter sitzt ja da, er hört mir zu, er kennt michlange genug.Herr von Schmude, ich teile Ihre Meinung, daß aufder EU-Ebene häufig das Geld nicht so ausgegebenwird, wie wir uns das vorstellen. Aber die Konsequenzheißt nicht, multilaterale Hilfe zu stoppen, sondern end-lich die überfälligen Reformen auf der EU-Ebene, überdie wir vor 14 Tagen hier diskutiert haben, durchzuset-zen.
Dann macht EU-weite Entwicklungszusammenarbeitnämlich Sinn.Ich möchte jetzt noch einmal ein Beispiel für Ver-schwendung aus einem ganz anderen Bereich anführen,das mich sehr nachdenklich macht – wir kümmern unszu wenig um Verschwendungsprojekte –: Bei mir wirdin absehbarer Zeit der ICE von Köln nach Frankfurtvorbeifahren. Weil man auf Tempo 300 beharrt, kostetdas Ganze 9 Milliarden DM. Bei Tempo 200 könntenwir 5 Milliarden DM sparen, von den Vorteilen für dieÖkologie ganz abgesehen. Mit dem zusätzlichen Betragvon 5 Milliarden DM erreichen wir einen Zeitgewinnvon drei Minuten, indem die Fahrzeit von 51 auf 48 Mi-nuten verringert wird. Das muß man sich einmal vor-stellen!
Die gleiche „Gaudi“ geht auch in Zukunft bei weiterenICE-Planungen los. Das kann nicht angehen. Wir solltenwirklich zusehen, wo wir systematisch sparen können.Damit bin ich beim eigentlichen Punkt, Herr Hedrich.Wir brauchen eine systematische Evaluation. In diesemPunkt sind wir Entwicklungspolitiker den anderen Res-sorts weit voraus, unbeschadet der Tatsache, Frau Mini-sterin, daß wir aus gutem Grund, wie Sie wissen, wei-tergehende Vorschläge haben. Wie manche von Ihnenwissen, habe ich vor drei Jahren nachgefragt, in welchenMinisterien es überhaupt Evaluationsreferate gibt. Nir-gendwo, außer beim BMZ, sonst nur Fehlanzeigen! Die„Frankfurter Rundschau“ hat damals getitelt: Systemati-sche Erfolgskontrolle – das unbekannte Wesen in Bonn.Dieser Zustand muß beendet werden. Wir brauchen inallen Bereichen Evaluationen, denn wir haben nur zweiAlternativen: Entweder wenden wir die Rasenmäher-methode an, oder wir sind bereit, aus Fehlern zu lernenund das Geld gezielt auszugeben. Dazu fordere ich alle,uns, die Vertreter der Fachausschüsse, die Haushälterund natürlich zuallererst das Ministerium, auf.Ich bedanke mich.
Das war eine etwas
originelle Auslegung der Geschäftsordnung in bezug auf
die Kurzintervention.
Ich denke, Sie haben noch weitere Beispiele aus Ihrem
Wahlkreis auf Lager, die sicherlich ebenso interessant
sind.
Damit sind wir am Ende der Aussprache und kom-
men nunmehr zu den Abstimmungen, und zwar zunächst
zu den Abstimmungen über die Änderungsanträge der
Fraktion der PDS.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/951. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen
die Stimmen der PDS abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/952. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenergebnis
abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 23 in der Ausschuß-
fassung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Einzelplan ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis
90/Die Grünen gegen die Stimmen der anderen Fraktio-
nen angenommen.
Ich rufe auf:
16. Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
– Drucksachen 14/607, 14/622 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Schneider
Hans Jochen Henke
Matthias Berninger
Dr. Werner Hoyer
Heidemarie Ehlert
17. Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
– Drucksachen 14/300, 14/622 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Schneider
Hans Jochen Henke
Matthias Berninger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Christa Luft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Hans Jochen Henke, CDU/CSU.
Herr Präsident!Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ty-pisch für den Gesamthaushalt 1999 sind diese Einzel-pläne des Bundesministeriums der Justiz und des Bun-desverfassungsgerichtes nicht, zumindest nicht typischDr. R. Werner Schuster
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3187
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in zweierlei Hinsicht: Zum einen gehören sie bekann-termaßen nicht zu den großen, sondern zu den ganzkleinen Ministerien, mit einem Budgetanteil von geradeeinmal 0,3 Prozent. Zum anderen sind diese Einzelpläne– Gott sei's gelobt – im Windschatten der Turbulenzengeblieben, die wir sowohl finanz- wie haushaltspolitischvor, mit und auch nach Oskar Lafontaine erleben dürfen.Im Justizhaushalt werden Zuwächse vermieden, Stelleneingespart und Erwartungen gedämpft.In den Beschlußempfehlungen zum Haushalt 1999sieht das anders aus. Dieser Haushalt ist größer als allseine Vorgänger. Alle Fachleute machen ungeteilt dasSparen zur ersten Staatspflicht. Diese Regierung machtnun ihrerseits mit erhöhten Steuern und Abgaben dasSparen zur ersten Bürgerpflicht.Wo man konsolidieren müßte, wird spendiert. Wo dieChance bestünde, bereits jetzt die Staatsquote spürbarzurückzuführen, wird die Eigenverantwortung von Bür-gerinnen und Bürgern beschnitten. Wo der Staat sichstärker auf seine Kernaufgaben zurückziehen könnte,huldigt diese Regierung einem universellen Anspruchund der alleinigen Zuständigkeit der Politik.
Ich frage mich, was diese Regierung tun wird, wenn sichdie Konjunktur wegen dieser Regierung so entwickelt,wie es viele Sachverständige prognostizieren. Sie habendie Privatisierungspolitik der Regierung Kohl beklagt.Jetzt versuchen Sie, mit den durch die Verschiebungdieser Privatisierung geschönten Zahlen und deren Fort-setzung, unter anderem bei Post und Telekom, den Ein-druck finanzpolitischer Solidität zu erwecken. DieserVersuch wird scheitern.Sparsam hingegen ist Ihr Einzelplan, Frau Ministerin,der Einzelplan der Justiz. Selten gab und gibt es hierKonflikte zwischen Regierung und Opposition. Gleich-wohl ist die Arbeit des Justizministeriums, der Bundes-gerichte und Bundesbehörden in diesem Ressort vonganz entscheidender Bedeutung für das Regierungshan-deln, für den Interessenausgleich in unserer Gesellschaftund für die Fortentwicklung des Rechts.Lassen Sie mich an dieser Stelle aus gutem Grundeden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesju-stizministeriums für ihren Einsatz danken.
Es war in den letzten Monaten und ist auch jetzt sicher-lich nicht immer einfach, eine juristisch einigermaßenhinnehmbare Umsetzung der chaotischen politischenMaßnahmen zu erreichen, die mit dem System „trial anderror“ zum Markenzeichen der Regierung Schröder ge-worden sind.Ich jedenfalls will die Hoffnung nicht aufgeben, daßmit engagierter Unterstützung der Männer und Frauenim Bundesministerium der Justiz auch das Chaos besei-tigt wird, das Minister Riester bei den geringfügigenBeschäftigungsverhältnissen und im Kampf gegen diesogenannte Scheinselbständigkeit angerichtet hat. Daspricht vieles für seine gewerkschaftlichen Erfahrungenim Umgang mit kleinen Selbständigen und nicht organi-sierten Kleinverdienern.Es ist schon grotesk: Alle Welt spricht der Entbüro-kratisierung das Wort und fordert den schlanken Staat,und dieser Minister schafft Arbeitsplätze in der Büro-kratie und zerstört sie am Markt.
Wo Entrümpelung angesagt wäre, wird gewerkschaftli-cher Sperrmüll dazugestellt, obwohl von Neuer Mitte alsMarkenzeichen der Regierung Schröder die Rede ist.Ihr Haus, Frau Ministerin, steht in einem arbeitsrei-chen Jahr. Zahlreiche europäische Regelungen sind innationales Recht umzusetzen, zentrale Gesetze stehenzur Reform und zur Überarbeitung an. Ich möchte auchhier die Hoffnung nicht aufgeben, daß trotz des Regie-rungswechsels die für eine effiziente Verwaltung drin-gend nötigen Schritte wie Kosten-Leistungs-Rechnung,Budgetierung, Berichtswesen und Zielvereinbarungenkonsequent weiterverfolgt und umgesetzt werden. Wonötig, ist hier konzentrierter und konzertierter Druck derMinisterien auf das BMF in seinen Widerständen auszu-üben. Ich denke, es lohnt sich, auch hier von den Besteninnerhalb und außerhalb der Republik zu lernen.Allerdings, Frau Ministerin, stellt sich da die Frage,ob die lineare Reduzierung von Personal wirklich dasMaß aller Dinge sein kann, zumal diese lineare Kürzungganz offensichtlich nicht gleichermaßen für alle in dieserRegierung gilt: Für die Bundesministerien sieht derHaushalt 1999 490 zusätzliche Stellen vor. Für die Öko-steuer werden allein 524 zusätzliche Zöllner gebraucht.– Wo es ihr paßt, kann diese Koalition großzügig sein.Ob das die richtigen Stellen sind, ist füglich zu hinter-fragen.Ein Beispiel dazu aus Ihrem Einzelplan: 560 Patent-prüfer – über dieses Problem haben wir verschiedentlichgesprochen – waren vor zehn Jahren beim Bundespa-tentamt beschäftigt. Tatsächlich sind es jetzt noch 546.Die politisch gewollte Reduzierung der Zahl der Mitar-beiter auf den Stand von vor der Wiedervereinigung istalso Realität. In der gleichen Zeit hat aber die Zahl derPrüfungen um mehr als 50 Prozent zugenommen. DerHaushaltsausschuß hat jetzt einem Zuwachs der Stellenum 22 Prüfer zugestimmt, von denen acht durch lineareKürzung gleich wieder kassiert werden und sechs aufbisherigen kw-Stellen sitzen.Wenn das so weitergeht, habe ich Sorge. Wir müssengerade in solchen Bereichen vom Rasenmäher zumFeinschnitt, vom Buschmesser zum Skalpell übergehen.Sage niemand, hier gehe es nur um Prüfbeamte. Es gehtum massive strukturelle wirtschaftliche Interessen. Dieentsprechenden Argumente sind im einzelnen hinrei-chend ausgetauscht worden.Ich möchte nochmals, wie im Ausschuß, unterstrei-chen: Wir bitten die Regierung herzlich und erwarten,uns bis zur Vorlage des Haushalts 2000 in wenigen Wo-chen ein schlüssiges Gesamtkonzept für das Patent-und Markenamt vorzulegen, das zeitnahe Entschei-dungen über eingereichte Anträge sicherstellt.Hans Jochen Henke
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Klarheit hätten wir auch gerne in einer zweiten Frage,und zwar was die Kosten für die notwendigen Sanie-rungs- und Umbaumaßnahmen des künftigen Sitzes desBundesverwaltungsgerichts in Leipzig anbetrifft. Dasist schon ein bemerkenswertes Projekt. Auf den Zahlen-salat möchte ich hier aus Zeitgründen im einzelnen nichteingehen.Ich freue mich, wenn die Kosten bei den primärenHochbauleistungen durch einen scharfen Wettbewerbum 38 Prozent gesenkt werden können. Ich finde esauch gut, wenn der Bundesrechnungshof genau hinsieht.Aber keinerlei Verständnis, Frau Ministerin, habe ichdafür, daß Sie mit dem beschriebenen Zahlenwust denHaushaltsausschuß – ich will diesen Begriff bewußt sogebrauchen – belästigen. Sagen Sie abgestimmt undnachvollziehbar, was benötigt wird und was Sie wollen.Dann können wir darüber sehr konkret und verantwort-lich entscheiden. Aber werfen Sie bitte nicht wie in derArt manch anderer Politiker erst einmal kräftig Staub indie Luft, um dann die anderen darin stehen und erstickenzu lassen.Es gäbe noch einige weitere Punkte anzumerken undzu kritisieren, zum Beispiel das leidige Thema derWehrgerichtsbarkeit. Hier bestanden gerade zum jet-zigen Zeitpunkt überhaupt kein Anlaß und keine Not,den diesbezüglichen Merktitel zu streichen.
Ich denke außerdem an manche Ansätze und Kosten fürdie Öffentlichkeitsarbeit, die angesichts der Kassenla-ge auch in Ihrem Ressort verzichtbar gewesen wären.Frau Ministerin Däubler-Gmelin, Sie haben eine gro-ße Reform des Gerichtswesens angekündigt. Sie wol-len im Sommer Vorschläge für eine Zivilrechtsreformund bis zum Jahreswechsel für eine Reform der straf-rechtlichen Rechtsmittel vorlegen. Es ist bedauerlich –dies ist eine Fußnote –, daß zu diesem Thema gerade ge-stern und heute in Ihrem Haus mit dem Max-Planck-Institut ein Workshop stattfindet. Es wäre schön gewe-sen, wenn den interessierten, zuständigen Mitgliederndieses Hohen Hauses durch eine besser abgestimmteTerminierung wenigstens teilweise eine Teilnahmemöglich gewesen wäre.Eine solche Reform ist kein Selbstzweck. Es gilt,sorgfältig die Vorteile einer solchen Reform gegenmöglicherweise damit verbundene Risiken und Konse-quenzen abzuwägen. In die gewachsene, überkommene,überwiegend bewährte Struktur sollte nur insoweit ein-gegriffen werden, als überzeugend Besseres an ihreStelle tritt.Wir begehen in diesen Tagen das 50jährige Jubiläumunseres Grundgesetzes. Länger hat keine Verfassung inder Geschichte unseres Landes Bestand gehabt. Wennwir über Gesetze, über eine Justizreform und über dasRecht sprechen, dann geht es nicht zuletzt um dasGrundgesetz, seine Bewahrung und seine aktuelle Fort-schreibung. Der Beitrag gerade des Bundesverfas-sungsgerichts kann in diesem Zusammenhang nichthoch genug veranschlagt und gewürdigt werden.Wir Politiker haben zwar immer wieder Artikel in dasGrundgesetz eingefügt, mit denen dann und wann auchüber das grundsätzlich grundgesetzlich zu Regelnde hin-aus Festlegungen getroffen worden sind. Gerade den-noch ist es dem höchsten Gericht entscheidend undrichtungsweisend gelungen, immer zwischen Wichtigemund Unwichtigem zu entscheiden, nicht zuletzt anläßlichdes jüngsten Familienurteils und sicherlich auch innächster Zukunft anläßlich der anstehenden Entschei-dung über die Besteuerung von Einkommen aus unter-nehmerischer und privater Tätigkeit.Es kommt sicherlich nicht von ungefähr, daß dasBundesverfassungsgericht – der Herr Verteidigungsmi-nister hat das hier vor eineinhalb Stunden ebenfalls aus-geführt –, zusammen mit der Polizei und der Bundes-wehr, mit einer Zustimmung von fast Dreiviertel derBevölkerung das höchste Ansehen aller öffentlichenInstitutionen unseres Landes genießt.Frau Präsidentin, Frau Ministerin, werte Kolleginnenund Kollegen, ich warte mit großer Spannung auf denJuli. Ich hoffe, daß es dieser Regierung im Gegensatz zuvielen ihrer sozialdemokratischen Vorläufer in den 70erund 80er Jahren gelingen wird, den Haushaltsentwurffür das Jahr 2000 so rechtzeitig vorzulegen, daß dieBürgerinnen und Bürger in diesem Jahr bei ihrem Silve-sterfeuerwerk wissen, was ihnen von der Regierung inZukunft zugemutet werden wird.
Denn Feuerwerk dient zumeist auch dem Zweck, böseGeister fernzuhalten oder diese zu vertreiben.
Angesichts Ihrer bisherigen Politik gehe ich davonaus: Die Deutschen werden nicht nur wegen des Jahrtau-sendwechsels in diesem Jahr kräftiger Feuerwerk ab-schießen als je zuvor.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Carsten Schneider, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Henke hat bereits dar-auf hingewiesen: Der Haushalt des Bundesministeriumsder Justiz, der Einzelplan 07, ist einer der kleinerenHaushalte des Bundes. Seine Ausgaben in Höhe von731,3 Millionen DM machen gerade einmal 0,15 Pro-zent des gesamten Bundeshaushalts aus. Damit ist er imVergleich zu den Finanzvolumina anderer Ministerien,etwa des Bundesverteidigungsministeriums, ein Zwerg.Aber es wäre meines Erachtens grundverkehrt, wollteman seine Bedeutung ausschließlich am Investitions-potential messen.Mit dem Haushalt des Bundesjustizministeriums wirdzugleich auch über die Richtlinien der Rechtspolitik ent-schieden – man könnte sagen: über die Entwicklung derHans Jochen Henke
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3189
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Rechtsordnung in unserem Land –, so daß Schwerpunkt-setzungen im Einzelplan 07 gravierende Auswirkungenauf wesentliche Aspekte unseres gesellschaftlichen Le-bens haben.Nun ist der Spielraum der Haushaltsgestaltung, inunserem Fall der Justizpolitik, angesichts der Haus-haltslage, die der Bundesfinanzminister gestern deutlichgemacht hat – sie wurde in ganz erheblichem Maße vonunserer Vorgängerregierung verursacht –, sehr gering.Die Verschuldung gestattet es uns nicht, all das zu tun,was wir auf dem Wunschzettel haben. Ich werde im ein-zelnen noch darauf eingehen. Vielmehr müssen wir Ab-striche machen. Bei einer Gesamtverschuldung von1,4 Billionen DM, die zu der enormen Belastung fürZins- und Schuldendienste allein in diesem Jahr in Höhevon 82,1 Milliarden DM führt, werden die Spielräumefür eine aktive Gestaltung einer modernen, zukunftswei-senden Rechtspolitik sehr eng.Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit einer un-beweglichen, verkrusteten Politik hat zwar zur Abwahlderjenigen, die das verursacht haben, der CDU/CSU-F.D.P.-Koalition, geführt – ich denke, das war das Feu-erwerk –,
aber ihre Erblast hängt uns wie ein Klotz am Bein.Dennoch haben wir – ich denke da vor allen Dingenan die Frau Ministerin – versucht, einen Neuanfang zumachen. Bei der Gestaltung des Haushaltsplans des BMJhaben wir klare Schwerpunkte gesetzt, die das Profil un-serer Justizpolitik prägen werden. Ich nenne in diesemZusammenhang nur kurz den Ausbau des DeutschenPatent- und Markenamtes, die Streichung des Titels fürdie Wehrstrafgerichtsbarkeit, die Förderung des Täter-Opfer-Ausgleichs.Aber zunächst einmal zurück zu den Zahlen. DieAusgaben des BMJ werden gegenüber dem Vorjahr um40 Millionen DM auf 731,3 Millionen DM steigen –eine äußerst maß- und verantwortungsvolle Steigerung,die der allgemeinen Haushaltslage Rechnung trägt.Gleichzeitig bedeutet dies jedoch eine Kürzung desHaushaltsansatzes gegenüber dem zweiten Regierungs-entwurf für 1999 um knapp 6,1 Millionen DM oder0,82 Prozent, was fast ausschließlich zu Lasten derVerwaltungsaufwendungen geht.Es ist den Haushältern der Koalitionsfraktionen zudanken, die den ersten Schritt zur Sanierung dieses ma-roden Staatshaushaltes, den wir übernommen haben,gemacht haben. Der Haushalt 2000 – Herr Henke, Siehaben das bereits angesprochen – wird noch viel schwie-riger sein; ich denke aber, daß wir es schaffen werden.
434,1 Millionen DM sind Personalausgaben, 151 Mil-lionen DM entfallen auf sächliche Verwaltungsausgabenund 54,8 Millionen DM auf Zuweisungen und Zuschüs-se. Außerdem stehen noch 103 Millionen DM für Inve-stitionen zur Verfügung. Den Löwenanteil der Ausgabenstellen somit mit 62 Prozent die Personalkosten. Derüberproportionale Zuwachs im Bereich der Investitionenist vor allem auf Baumaßnahmen zurückzuführen – dassind insgesamt 12 Prozent der Gesamtausgaben. Hiersind vor allem der Umbau des ehemaligen Reichsge-richtsgebäudes in Leipzig für das Bundesverwaltungsge-richt, der Bau des Patentamtes, der Neubau des Bundes-gerichtshofes und des Internationalen Seegerichtshofesin Hamburg zu nennen.Bei dieser Gelegenheit möchte ich der Ministerinmeinen Dank aussprechen, daß der Regierungswechselnicht zu einem radikalen personellen Kahlschlag im Mi-nisterium geführt hat. Im Gegenteil: Da es um Qualitätgeht, wurde ausgesprochen pfleglich mit den Mitarbei-tern umgegangen; es ging nicht um deren Parteibuch.Über die Bereiche Investitionen und Personal wirddie Leistungsfähigkeit der Justiz in diesem Haushaltsichergestellt und, wo es angesichts der finanziellenSituation möglich ist, auch verbessert. Allein für dasPatent- und Markenamt in München wurde der Perso-nalansatz um 16 Stellen erhöht – 16 dringend benötigteStellen, um die in den letzten Jahren immer wieder ver-geblich gekämpft wurde und die nun endlich durch dieseBundesregierung ermöglicht wurden.
Natürlich würden wir angesichts des Arbeitsanfalls beimDPMA gerne wesentlich mehr Prüfer einstellen. Abermit Rücksicht auf die Haushaltslage ist das derzeit leiderdas Maximum.Allerdings haben wir im Ausschuß nach entsprechen-den Erläuterungen einem 25prozentigen Aufwuchs beiden Kosten für die Informationstechnik und bei der Ver-besserung der Patentdokumentation und -informationmittels elektronischer Datenverarbeitung zugestimmt.Ich erhoffe mir dadurch eine Steigerung der Leistungs-fähigkeit und damit eine Verbesserung der kritischenSituation bei der Bearbeitung der Prüfanträge im Patent-amt. Damit betonen wir die Bedeutung, die wir der in-ternationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaftund vor allem unserer mittelständischen Unternehmenzumessen. Es muß in Zukunft schneller als in 16 Jahrenmöglich sein, die Patentanmeldung und -prüfung unsererErfinder für unsere Wirtschaft nutzbar zu machen.
Auch dies ist ein Neuanfang, ein Versuch, die Blockadeaufzuheben.Gänzlich gestrichen haben wir das Kapitel 08, dieWehrstrafgerichtsbarkeit; Kollege Henke, Sie habendas angesprochen. Es fällt mit dem Haushalt 1999 er-satzlos weg. Damit ziehen wir die Konsequenzen ausunserer langjährigen Forderung nach Streichung diesesin unseren Augen völlig überflüssigen Kapitels. Art. 96Abs. 2 GG sieht zwar die Möglichkeit einer Einrichtungvon Wehrstrafgerichten vor, doch ist nach meinem Er-achten und nach dem meiner Fraktion längerfristig nichtdavon auszugehen, daß solche Wehrstrafgerichte jemalseingerichtet werden.Ein Knackpunkt innerhalb der Haushaltsberatungenbildete der Investitionstitel des Bundesverwaltungsge-Carsten Schneider
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richtes. Dabei geht es um die Investitionen für den Um-bau des ehemaligen Reichsgerichtsgebäudes in Leipzig.Unstreitig war und ist unter den Beteiligten die Bedeu-tung des Umzuges in dieses Gebäude. Einen erheblichenDissens gab es jedoch zwischen dem BMJ und dem zu-ständigen Ministerium für Verkehr, Bau- und Woh-nungswesen einerseits und dem Finanzministerium unddem Rechnungshof andererseits über die voraussichtli-che Höhe der Gesamtkosten.
Der ursprüngliche Ansatz lag bei 169 Millionen DM.Der Ausschuß hat nach ausführlichen Beratungen – dagebe ich Ihnen recht, Herr Hoyer – beschlossen, diesenAnsatz auf 135 Millionen DM zu kürzen.Wir haben es uns in diesem Fall nicht leichtge-macht, haben viele Gespräche geführt und Besichti-gungen vor Ort unternommen, um uns ein Bild machenzu können. Letztlich konnte aber in Zeiten knapperKassen die Argumentation des Bauministeriums alsausführenden Organs nicht überzeugen. Der Ausschußwar der Meinung, daß das Bauvorhaben auch mit we-sentlich niedrigeren Kosten ohne gravierende Beein-trächtigung der Funktion des Bundesverwaltungsge-richts durchgeführt werden kann. Er hat sich dahermehrheitlich für einen erheblich geringeren Investiti-onsansatz entschieden. Wir glauben, daß wir damitdem Prinzip der Sparsamkeit ebenso gerecht werdenwie der Notwendigkeit, diesen historischen Ort demföderalen System wieder nutzbar zu machen.
Diskussionsbedarf gab es auch zu Kapitel 02 bei denüberregionalen Einrichtungen im Interesse von Gesetz-gebung, Rechtsprechung und Verwaltung. Der Ansatzfür das Servicebüro der Deutschen Bewährungshilfee. V. in Köln für Täter-Opfer-Ausgleich und Kon-fliktschlichtung wurde auf Antrag der Koalitionsfraktio-nen um 150 000 DM erhöht; die entsprechenden Mittelwurden entsperrt. Dies entspricht dem politischen Wil-len der Koalition. Rechtspolitik muß nach unserer An-sicht freiheitliche, rechtsstaatliche und soziale Politiksein, die der Menschenwürde und dem Schutz derSchwachen verpflichtet ist.
Dazu gehört auch das Verfahren des Täter-Opfer-Ausgleichs.Strafrecht und Strafprozeßrecht sollen durch diesesrelativ neue Instrument gestärkt und mit neuen Akzentenversehen werden. Wir sehen darin einen wesentlichenneuen Ansatz für die Rehabilitation von Straftätern, diedamit in ganz anderem und viel stärkerem Maße ge-zwungen werden, sich mit ihrer individuellen Schuldauseinanderzusetzen. Zugleich hilft dieses Instrumentden Opfern, ihre Opferrolle zu verarbeiten und zu über-winden, im Idealfall zu einer Aussöhnung zu gelangen –Täter-Opfer-Ausgleich als eine Form gesellschaftlicherBefriedung. Diese Bedeutung des Täter-Opfer-Aus-gleichs haben die Regierungsparteien seinerzeit aus-drücklich im Koalitionsvertrag vereinbart. Aus diesemGrunde kam es zu dieser Erhöhung durch den Haus-haltsausschuß.
Bauchschmerzen bereitete uns als Ausschußmitglie-dern in diesem Zusammenhang allerdings die Tatsache,daß die Länder den auf sie entfallenden Kostenanteil nurungern oder gar nicht aufbringen wollen.
Der hälftige Anteil der Länder an den ursprünglich vor-gesehenen 300 000 DM ließ leider immer wieder aufsich warten – eine bedauerliche, kurzsichtige Verhal-tensweise seitens der Bundesländer.
Wenn wir uns dennoch zur Erhöhung und Entsperrungdes Ansatzes entschlossen haben, dann auch in derHoffnung, daß die Länder nicht aus den Vereinbarungenund aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Ich ap-pelliere daher an die Bundesländer, ihren Verpflichtun-gen nachzukommen, und ich bitte Sie, Frau Ministerin,nachdrücklich, sich dafür bei den Bundesländern einzu-setzen.
Noch ein Wort zum Einzelplan 19, Bundesverfas-sungsgericht. In guter Tradition sind wir hier so verfah-ren, daß der Einzelplan von Kürzungen ausgenommenwurde. Im Gegenteil: Auf Grund der Arbeitsbelastungdes Bundesverfassungsgerichts haben wir zwei zusätzli-che Stellen in den Haushalt 1999 eingestellt. Auch diesgehört zu den neuen Akzenten, von denen ich vorhinsprach. Eine Stelle – das sei noch angemerkt – ist für diePresse- und Öffentlichkeitsarbeit bestimmt; das Bundes-verfassungsgericht hat uns in letzter Zeit mit mehrerenUrteilen davon überzeugen können, daß das sehr not-wendig ist.Ich möchte zum Schluß kommen und – auch weildies mein erster Haushalt war – den Kolleginnen undKollegen Berichterstattern herzlich für die offene, ko-operative Atmosphäre danken, die unsere Beratungengeprägt hat. Mein Dank gilt auch der Ministerin und ih-rem Haus, die stets ansprechbar waren und durch kolle-giale Offenheit glänzten.Ich habe manchmal bedauert, daß die Beratungen imAusschuß nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind. Ichdenke, so manches Vorurteil über Politik oder Politiker,so mancher Anfall der gängigen Politikverdrossenheitließe sich durch Zuhören aus der Welt schaffen.Ich danke Ihnen.
Carsten Schneider
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3191
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Schneider, dies war Ihre erste Rede hier im Plenum des
Deutschen Bundestages. Im Namen aller Kolleginnen
und Kollegen möchte ich Sie dazu recht herzlich be-
glückwünschen.
Es spricht jetzt für die F.D.P.-Fraktion der Kollege
Rainer Funke.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben sich fürdiese Legislaturperiode viel vorgenommen: die Justizre-form, die Reform der Juristenausbildung, im materiellenRecht wesentliche Teile des Urheberrechts und dieÜbernahme zahlreicher europäischer Richtlinien und –auch das will ich erwähnen – die Novellierung des Be-treuungsrechts.Ich begrüße es ausdrücklich, daß Sie der Versuchungwiderstanden haben, das Parlament mit Schnellschüssenzu überfallen. Wir haben in der Vergangenheit gesehen,was der Arbeitsminister für Pfuscharbeit abgeliefert hat.
– Das ist die reine Wahrheit. Das wissen Sie selber. –Ich begrüße es, daß Sie der guten Tradition des Hausesentsprechend solide durchdachte Vorschläge, mit dernicht notwendigerweise das ganze Haus einverstandenzu sein braucht, vorlegen wollen, also handwerklich or-dentliche Arbeit liefern möchten.Wir sind also gespannt auf Ihre groß angekündigteJustizreform unter dem Stichwort der „Dreistufigkeit“.Das sind keine neuen Gedanken. Einer Ihrer Vorgänger,Herr Minister Jahn, hat dies bereits in den 70er Jahrenvorgeschlagen. Es ist dann zu Recht in die Mottenkisteder Rechtsgeschichte eingegangen. Wir wollen sehen,was jetzt bei Ihnen geschieht.
Es ist nicht so, daß wir es in die Mottenkiste tunwollen, aber Sie dürfen sich nicht von dem KollegenDiller leiten lassen, mit dem Sie sich gerade unterhalten,nämlich von den rein fiskalischen Gesichtspunkten. ImMittelpunkt muß stehen, daß der Rechtsuchende seinRecht bekommt. Alles andere können wir vergessen.Wenn wir das nicht schaffen, werden wir nämlich denRechtsfrieden in der Bundesrepublik Deutschland nichtsicherstellen können.
Wenn es darum geht, allein aus Sparzwängen zumBeispiel Verfahrensgesetze zu ändern und Rechtsbehelfezu kappen, werden Sie uns sicherlich nicht auf IhrerSeite finden. Aber für jede solide, ordentliche Arbeit, diedem Rechtsuchenden hilft, werden wir dasein.Zur Justizreform gehört sicherlich die Verbesserungder Juristenausbildung. Auch dies sollte nicht aus-schließlich unter dem Gesichtspunkt des Sparzwangs er-folgen, so wie es manche Länder jetzt noch sehen. DasZiel einer Reform der Juristenausbildung muß sein, diejungen Juristen für die Anforderungen der Justiz, derVerwaltung, der Anwaltschaft und der freien Wirtschaftgut auszubilden, damit sie zum Beispiel auch in Europaim Dienstleistungsgeschäft wettbewerbsfähig sind.Der Bundestag wird sich im Rahmen seiner Kompe-tenzen, nämlich im Rahmen des deutschen Richtergeset-zes, an dieser Diskussion intensiv beteiligen. Wir ver-folgen mit großem Interesse die Anregungen der Länder,zum Beispiel von Baden-Württemberg durch Herrn Pro-fessor Goll. Dies sind gute Ansätze, die wir gerne be-gleiten.
– Natürlich. Herr Kollege Geis, ich weiß, daß der Frei-staat Bayern dort immer besonders kreativ ist.
Der Ansatz, die jungen Juristen gezielter für ihrespätere berufliche Tätigkeit auszubilden, scheint uns ge-nau der richtige Weg zu sein. Die praxisbezogene Aus-bildung darf aber auch nicht dazu führen, daß wir in ein-zelnen Berufszweigen eine zu frühe Zugangssperre ha-ben. Hier muß vor allem mit den Anwälten eine intensi-ve Diskussion geführt werden. Die Neigung zum „clo-sed shop“ gibt es nämlich nicht nur bei den Notaren; siekönnte bei der Juristenschwemme gegebenenfalls auchbei den Anwälten vorhanden sein.Im materiellen Recht sehe ich mit großer Sorge, daßdas Justizministerium manche europäische Richtlinienicht mehr im Verhältnis 1:1 umsetzt, sondern ausideologischen Gründen jetzt noch kräftig draufsattelt –Beispiele: Überweisungsrecht und das europäischePublizitätsrecht. Dort wird aus ideologischen Gründengegen die Interessen der deutschen Wirtschaft gearbei-tet.
– Mittelstand, natürlich. – Frau Ministerin, bei den Stif-tungen, bei den Vereinen wollen Sie die Publizität ein-führen. Bei dem Überweisungsgesetz beziehen Sie, oh-ne daß Sie das nach den europäischen Richtlinien müß-ten, das gesamte Bankrecht mit ein. Dieses ist wenighilfreich.Ich glaube, das Justizministerium muß sich wiederstärker als bisher bewußt sein, daß es die Rechtsförm-lichkeit zu prüfen hat und verhindern sollte, daß Pfusch-arbeit durch andere Ministerien – ich nenne hier das Ar-beitsministerium, aber auch das Finanzministerium –abgeliefert wird.Das Patent- und Markenamt liegt uns als Liberalenganz besonders am Herzen. Wir sind als Eigentumspar-tei natürlich auch daran interessiert, daß das geistigeEigentumsrecht besonders geschützt wird. Damit es ge-schützt werden kann, bedarf es der besonderen Ausge-staltung des Patent- und Markenamtes. Es ist in der Tatein nicht hinnehmbarer Zustand, daß insbesondere imMarkenbereich Stellen fehlen und Markeneintragungenviel zu spät erfolgen. Darauf sollten Sie Ihr Augenmerkganz besonders lenken. Die F.D.P. hat im Ausschuß ent-
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3192 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
(C)
sprechende Anträge gestellt. Wir werden sie hier imHause noch beraten. Ich fordere Sie auf, diesen Anträ-gen zuzustimmen. Dann können Sie zeigen, daß SieHüterin dieses geistigen Eigentums sind.Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, wir dan-ken den Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums fürdie bislang geleistete Arbeit. Wir werden Ihr Haus undSie bei Ihrer Arbeit kritisch, aber auch konstruktiv be-gleiten.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat jetztder Kollege Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grü-nen.
Kollegen! Frau Ministerin! Diese Haushaltsdebatte stehtvon Anfang an im Schatten des Krieges. Ich denke, auchbei der Befassung mit dem Haushalt des Justizbereichskann man sich diesem Thema nicht ganz entziehen. Ichwill deshalb mit drei Grundsatzfragen, die durch diesenKrieg auch in der Rechtspolitik aufgeworfen werden,beginnen. Vielleicht kann man darüber auch eine Dis-kussion in diesem erlauchten Kreise führen.Für mich ist es – ich bedauere, daß Herr MinisterScharping inzwischen gegangen ist; er hat das nämlichimmer wieder angefordert – völlig unbezweifelbar, daßMenschenrechtsverletzungen aufhören müssen, daßder Schutz von Menschenrechten, gerade auch der Ko-sovaren, wirksam durchgesetzt werden muß. Zu denMenschenrechten rechne ich nicht nur den Schutz vorMord, den Schutz vor Vertreibung, den Schutz vor derZerstörung der Lebensgrundlagen, sondern auch dasRecht auf Selbstbestimmung, auf Herstellung autonomerRechte, auf Freiheit von Unterdrückung. Darüber wer-den wir uns in diesem Hause wahrscheinlich weitgehendeinig sein; das hoffe ich jedenfalls.Schwieriger wird es schon bei der Frage, ob Men-schenrechte und die Pflicht zum Schutz von Menschen-rechten teilbar sind, ob man also sagen kann: In einemuns nah gelegenen Teil Europas müssen wir eingreifen –vom Krieg rede ich gleich – und in einem anderen Teilkönnen wir zusehen, dahin können wir möglicherweisesogar Waffen liefern – wie das auch in der Vergangen-heit geschehen ist –, die dann zur Unterdrückung, zurVerletzung der Menschenrechte gebraucht oder miß-braucht werden.Ganz schwierig wird es bei der Frage: Ist der Krieg,der jetzt geführt wird, völkerrechtlich berechtigt? Gibtes eine völkerrechtliche Grundlage? Wir sind uns dochwahrscheinlich darüber einig, daß ein UNO-Mandat,das eine völkerrechtliche Grundlage liefern könnte, nichtbesteht. Es gab verschiedene Versuche, die völkerrecht-liche Basis zu begründen: Nothilferecht, das Recht aufBeistand und das höhere Recht des Schutzes der Men-schenrechte.Nach meiner Meinung – aus ihr habe ich nie einenHehl gemacht – reichen diese Rechtsgrundlagen nichtaus, um einen Krieg völkerrechtlich zu rechtfertigen.Deshalb – damit verlasse ich das Thema – ist es richtigund wichtig, daß wir sagen, Rechtspolitik ist inzwischenglobale Rechtspolitik und nicht nur Rechtspolitik für dieBundesrepublik Deutschland. Daher gehört zur Rechts-politik – das haben wir in der Koalitionsvereinbarungfestgeschrieben –, daß die UNO so reformiert wird – dasist heute vormittag bereits angesprochen worden –, daßsie handlungsfähig ist und bleibt und nicht wegen Ein-zelinteressen einiger Großmächte in der UNO als Mitteldes Völkerrechts blockiert werden kann.Die Bundesregierung will sich dafür einsetzen – sosteht es auch in der Koalitionsvereinbarung –, das Ge-waltmonopol der Vereinten Nationen zu bewahren.Ich sage nach diesem Krieg: Sie will sich dafür einset-zen, das Gewaltmonopol wiederherzustellen. Das ist ei-ne wichtige, eine zentrale Aufgabe, und ich glaube, esist eine der wichtigsten Fragen für Krieg und Frieden inden nächsten Jahren.Bundesdeutsche Rechtspolitik ist immer mehr – wirstellen das im Ausschuß an Hand der Themen fest –europäische Rechtspolitik. Wir beschäftigen uns mitEU-Richtlinien, mit europaweiter Verbrechensbekämp-fung oder, wie zuletzt in der Anhörung, mit der Betrugs-bekämpfung in der EU. Wenn man aber sagt, wir wolleneine europäische Staatsbürgerschaft – die haben wirjetzt, und die meisten von uns wollen sie auch –, dannmüssen wir auch sagen, wir wollen eine europäischeStaatsbürgerschaft, die mindestens soviel wert ist wiedie deutsche Staatsbürgerschaft, das heißt, sie soll auchmit Grundrechten ausgestattet sein. Deshalb wollen wirEuropa demokratisieren. Wir wollen dem EuropäischenParlament mehr Rechte geben, und wir wollen für Euro-pa eine Grundrechtscharta. Wir wollen die Grundrechtein die europäischen Verträge oder vor die europäischenVerträge schreiben.Die Frau Ministerin hat dazu vor wenigen Tagen eineRede gehalten. Ich finde sie hervorragend. Eigentlichmüßten alle Fraktionen dieses Hauses die Bundesregie-rung dabei unterstützen, die Diskussion über dieseGrundrechtscharta in Europa auf den Weg zu bringenund möglichst bald, am besten in dieser Legislaturpe-riode, spätestens aber in der nächsten, zu einem Ab-schluß zu bringen, damit wir eine europäische Grund-rechtscharta bekommen, die sich etwa an der Chartader Vereinten Nationen, die auch sonst in vielen Berei-chen vorbildlich sind, messen lassen kann. Ich denke,das ist ein wichtiges Ziel. Wir wünschen der Ministerinviel Glück dabei und werden sie bei diesen Bemühungenheftigst unterstützen.
Rechtspolitik für die Bundesrepublik Deutschland– davon war bisher im wesentlichen die Rede – bestehtfür die neue Regierung, für die neue Koalition zunächsteinmal, wie auch in vielen anderen Bereichen, darin,Versäumnisse der letzten zwölf Jahre nachzuholen undFehler zu korrigieren. Daran arbeiten wir; wir habendarüber schon mehrfach gesprochen.Rainer Funke
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3193
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Wir müssen Fehler und Fehlentwicklungen nach demEinigungsvertrag korrigieren, die zu untragbaren Unge-rechtigkeiten bei vielen Menschen in der ehemaligenDDR führten. Davon sind nicht Hunderte, nicht Tausendeoder Zehntausende, sondern Hunderttausende betroffen,die jetzt auf rechtliches Handeln warten. Wir haben dieZusage des Justizministeriums, der Frau Ministerin, daßdas noch in diesem Sommer auf den Weg gebracht wird.Diese Regelung ist dringend überfällig, weil es mitjedem Jahr, das ins Land geht, schwieriger wird, noch zuwirksamen und rechtlich vertretbaren Regelungen zukommen. Wir müssen vieles korrigieren, was vorherlange Zeit gegolten hat.Reparatur der Rechtspolitik heißt auch, daß wirRechtsvorhaben, die zum Teil viele Jahrzehnte alt sind,nun endlich umsetzen wollen. Einige sind angesprochenworden, zum Beispiel die Justizreform, die ansteht. Dageht es nicht in erster Linie darum zu sparen, sondern dageht es in erster Linie nach meiner Auffassung darummehr Gerechtigkeit dadurch herzustellen, daß Gerichts-verfahren so rasch durchgeführt und zu Ende gebrachtwerden können, daß die Menschen nicht verstorben sind,bis ein rechtskräftiges Endurteil steht, daß sie also zuihrem Recht kommen.Bärbel Bohley, die bekannte Bürgerrechtlerin, hateinmal einen Satz geprägt, der unendlich viel über dieRechtsordnung der Bundesrepublik aussagt: „Wir habenGerechtigkeit gesucht und haben den Rechtsstaat be-kommen.“ Der Begriff Rechtsstaat war in diesem Fallenicht unbedingt nur positiv gemeint; Rechtsstaat hatte indiesem Punkt vielmehr auch sehr viel mit Rechtsmittel-staat zu tun. Wir wollen die Rechtsordnung so verän-dern, daß die Gerichte entlastet und somit in die Lageversetzt werden, in annehmbarer, in angemessener Zeitzu Endurteilen zu kommen und den Bürgerinnen undBürgern – und zwar allen, nicht nur denen, die vieleRechtsmittelinstanzen finanziell durchstehen können –nicht nur das Recht geben, das ihnen zusteht, sondernihnen auch Gerechtigkeit zukommen zu lassen.Das ist die Aufgabe, vor die wir gestellt sind. Es isteine große Aufgabe, da haben Sie recht. Es haben sichschon viele Bundesregierungen daran versucht und sindzu keinem positiven Ergebnis gekommen. Wir wollendas anpacken. Ich denke, wir sind auf dem richtigenWege. Wir müssen sehen, daß wir die Reform noch indiesem Jahr soweit voranbringen, daß wir spätestens imnächsten Jahr erste Ergebnisse vorweisen können.Im Strafrecht wollen wir das Sanktionsrecht zeitge-mäßer gestalten. Die Ministerin hat sich häufig auch Ta-del eingehandelt, weil sie eine Reihe von Vorschlägen indie öffentliche Debatte geworfen hat – die Stichwortesind Fahrverbot, Strafgeld, elektronische Fußfessel, ver-stärkter Täter-Opfer-Ausgleich und gemeinnützige Ar-beit –, die nicht nur auf Zustimmung gestoßen sind. Ichfinde es gut, daß sich schon seit einigen Monaten Straf-verteidigertage, Richtertage und Juristentage intensivmit diesen Fragen beschäftigen und daß wir über dieBoulevardzeitungen auch eine Diskussion in der Ge-samtbevölkerung darüber haben: Wie kann man imSanktionsrecht zu neuen Formen kommen, die dieRichter entlasten, die vor allen Dingen die Gefängnisseentlasten und die damit auch mehr Gerechtigkeit her-stellen können? Die Ministerin hat – das weiß sie auch –in einigen dieser Punkte schon jetzt unsere Zustimmung.Das ist bei der gemeinnützigen Arbeit und auch beimverstärkten Täter-Opfer-Ausgleich der Fall. Hinsicht-lich der anderen Punkte muß man nach der sachkundi-gen Diskussion entscheiden, was man umsetzen undverwirklichen kann.Wir werden alle diese Vorhaben begleiten. Wir sindaber nicht nur für die Veränderung des Strafrechts, son-dern wir wollen auch – das ist, wie ich denke, eine ganzwesentliche Aufgabe der Rechtspolitik für die Bundes-republik Deutschland – mehr Freiheit wagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Strö-
bele, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
auch mehr Freiheit wagen. Wir wollen ein Zeugnisver-
weigerungsrecht für Journalisten ausbauen, das die
vierte Gewalt stärkt. Wir wollen ein Informationsfrei-
heitsgesetz und ein Antidiskriminierungsgesetz. Wir
wollen außerdem endlich der aufgeklärten und geläu-
terten Rechtsauffassung in der Bevölkerung Rechnung
tragen und eine gesetzliche Regelung für gleichge-
schlechtliche Partnerschaften schaffen. Lassen Sie uns
aus diesem Rechtsstaat einen Staat machen, von dem
auch Bärbel Bohley und diejenigen, die zu uns in diesen
Staat Bundesrepublik Deutschland gekommen sind,
dann sagen können: Wir haben nicht nur den Rechtsstaat
bekommen, sondern wir haben auch Gerechtigkeit
bekommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnenund Kollegen, die Kollegin Sabine Jünger, PDS-Fraktion, will ihre Rede zu Protokoll geben.*) Sind Siedamit einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch.Deshalb erteile ich das Wort jetzt der Bundesministerinder Justiz, Herta Däubler-Gmelin.Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin derJustiz: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Man merkt es in der Tat: Die Haushaltsrunde 1999neigt sich dem Ende zu. Ich möchte anfangen mit einemDank an den Haushaltsausschuß, insbesondere an dieHaushaltsberichterstatter – lassen Sie mich die derKoalition zuerst nennen – an Carsten Schneider, derheute seine erste – wie ich finde, sehr eindrucksvolle –Rede gehalten hat, ganz besonders an Matthias Bernin-ger, aber auch an die anderen Kolleginnen und Kolle-gen. Denn wir können feststellen: So klein der Etat desBundesministers der Justiz auch ist, so deutlich ist doch,daß es eine Änderung, eine Akzentverschiebung, eineandere Weichenstellung gegeben hat. Ich finde das gut.––––––––––––*) Anlage 3Hans-Christian Ströbele
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3194 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Natürlich bin ich der Auffassung, daß wir eine ange-messene Ausstattung brauchen, um die Aufgaben desBundesministeriums der Justiz mit all dem, was Sieheute zu Recht angemahnt haben, effizient und ange-messen erfüllen zu können. Wir haben – das ist, glaubeich, sehr deutlich herauszuheben – durch den Regie-rungswechsel erreicht, daß die ständige Streichorgie dervergangenen Jahre aufgehört hat und daß wir gegenüberdem Waigel-Entwurf eine Steigerung – wenn auch einesehr maßvolle – bekommen haben. Diese Steigerungbewegt sich – mühsam ernährt sich das Eichhörnchen –im Bereich von etwa 10 Millionen DM. Gemessen andem Ansatz von Herrn Waigel ist das, was der Haus-haltsausschuß beschlossen hat, besser. Dafür bedankeich mich. Sie werden sehen: Der Dank ist immer der er-ste Schritt zu einer Bitte; die kommt später.Ich bin der Meinung, daß die Finanzierungsentschei-dungen deutlich machen, daß die Rechtspolitik andereund, wie ich glaube, notwendige und richtige Akzentebekommen hat. Ich meine damit nicht nur, daß man denTitel der Wehrstrafgerichtsbarkeit – das alte Ärgernis– endlich gestrichen hat. Das hätten Sie in den letzten 16Jahren wirklich machen können; wie Sie wissen, war ichimmer dafür. Es geht auch darum – Herr Schneider hatdas schon erwähnt –, daß bei der Teilfinanzierung desBüros des Täter-Opfer-Ausgleichs oder auch der Teil-finanzierung des Deutschen Forums für Kriminalprä-vention sehr deutlich gemacht wird, daß wir im BereichStrafen, Strafvollzug und Strafrechtspolitik in den letz-ten Jahren in der Sackgasse, an der Brandmauer ange-kommen waren.Wir wissen ganz genau, daß die Landesjustizministerneue Gefängnisse bauen müssen, und zwar in allenLändern. Bayern – um das nicht zu vergessen – sprichtbeim Bau von Strafanstalten sogar von einem „Straf-vollzug light“. Gleichzeitig klagen alle darüber, daß dieÜberfüllung der Gefängnisse dramatisch zunehme unddaß der Resozialisierungsvollzug, auf den wir doch imInteresse der Opfer dringend angewiesen sind, praktischnicht mehr möglich sei.Daraus ziehen wir in mehrfacher Weise die Konse-quenzen: auf der einen Seite mit den Finanzierungsent-scheidungen, über die ich bereits gesprochen habe unddie heute schon dargelegt wurden, und auf der anderenSeite – ich bin dem Kollegen Ströbele sehr dankbar, daßer darauf hingewiesen hat – mit alternativen Strafsy-stemen. Das muß einer der Schwerpunkte sein. Ich er-wähne das, weil ich Sie darum bitte, in den nächstenJahren diesen Weg mit uns zu gehen. Wir bitten Sie,nicht – wie es jetzt schon wieder der Fall ist – jeden Tagein neues Gesetz einzubringen, nach dem dieses oder je-nes schärfer bestraft werden soll. Wir müssen statt des-sen Schwerpunkte bilden, zielgenau vorgehen und alter-native Strafen vorsehen. Das wird noch eine MengeDiskussion hervorbringen. Wir werden uns bemühen,die Diskussionen sachlich so vorzubereiten, daß wir unseinigen können.Die Zielsetzung aber muß klar sein: Wir müssen wegvon dem alleinigen Strafmodell „Entweder Geldstrafeoder Knast“. Die Annahme „Je mehr Knast, desto deut-licher der Kriminalitätsschutz“ ist nicht richtig. Wirmüssen ganz klar sagen: Unsere Gesetze sind dazu da,befolgt zu werden. Wir müssen aber neben Geldstrafeund Knast andere Sanktionen dort einsetzen, wo dasmöglich ist, wo wir sie brauchen und wo sie wirksamsind.
Ich darf das aufgreifen, was Sie, sehr verehrter HerrKollege Henke – ich bedanke mich bei Ihnen ebenso wiebei Dr. Hoyer in ganz besonderer Weise für die Unter-stützung –, gesagt haben: Man muß bei der Umsetzungdessen, was der Finanzminister verkündet hat, überle-gen, wo sinnvollerweise gespart werden kann. LassenSie mich eines erwähnen: Wir hätten es auch im Bereichdes Justizhaushaltes viel leichter, wenn die Situationnicht so wäre, wie sie jetzt nach 16 Jahren der Koalitionaus CDU, CSU und F.D.P. ist.Natürlich werden wir ganz deutlich machen müssen,daß zukünftige Personalkürzungen im Bereich desBundesjustizministeriums bedeuten, daß Aufgaben, die– Sie alle haben darauf hingewiesen – dringend erfor-derlich sind, nicht mehr erfüllt werden können. Deswe-gen habe ich die Bitte, daß Sie mit uns dafür sorgen, daßsie in Zukunft möglich werden.Sie haben alle – auch dafür bedanke ich mich, und ichwerde es selbstverständlich weitersagen – die Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter des Bundesministeriums derJustiz deutlich gelobt. Ich halte dieses Lob für völlig be-rechtigt. Aber dieses reicht nicht, sondern dem Lob mußdann auch ein Eintreten für angemessene Arbeitsbedin-gungen und da, wo es sinnvoll und für die Aufgabener-füllung notwendig ist, auch für eine Vermehrung derStellen folgen.Ganz besonders gilt das neben dem Bereich des Bun-desministeriums der Justiz, wo wirklich – das wissen Sie –sehr sparsam gewirtschaftet wird, für den Bereich desDeutschen Patent- und Markenamtes. Auch da giltwieder: Wir hätten es leichter, wenn nicht in den letztenJahren Schritt für Schritt die Kapazität zurückgefahrenworden wäre. Ich bin dem Haushaltsausschuß dankbar,daß wir auch hier eine Akzentverschiebung hinbekom-men haben, daß wir wissen, es geht wieder aufwärts.Aber es wird nicht reichen. Völlig richtig ist: Wir wer-den uns etwas Neues einfallen lassen müssen. Wir habenschon darüber geredet, wir haben auch die entsprechen-de fachliche Unterstützung. Aber daß wir darauf achtenmüssen, daß Erfindungen in unserem Lande gut betreutwerden, daß wir die Patentprüfung und die Anmeldungs-fristen effizienter gestalten müssen, ist gar keine Frage.Natürlich müssen wir auch darauf sehen, daß die inter-nationale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Patentsy-stems deutlich gemacht wird. Ich glaube, da werden Siemir alle zustimmen.Nur: Dazu braucht man Investitionen nicht nur in dieEDV, sondern dazu braucht man auch Investitionen indie Menschen. Für eine vernünftige Organisationsreformund das, was dazugehört, sorgen wir schon.Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren,daß wir für die nächsten Jahre viel zu tun haben. LassenBundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
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Sie mich einen Punkt aufgreifen. Lieber Herr Henke, Siewissen ganz genau, daß beim Umbau des Reichsge-richtsgebäudes für das Bundesverwaltungsgericht dasBundesministerium der Justiz eigentlich nur Durchlauf-stelle ist. Der Streit, von dem Sie zu Recht gesprochenhaben, war auf der einen Seite der mit den für den BauVerantwortlichen, die gesagt haben, es koste mehr, undauf der anderen Seite der mit dem Bundesministeriumder Finanzen, von dem gesagt wurde, es koste weniger.Ich sage Ihnen, was mein Interesse ist: Wir müssendas Reichsgerichtsgebäude funktional und würdig alseinen der Mittelpunkte der Stadt Leipzig umbauen. Dar-über gibt es keinen Zweifel.
Wer dann hinterher in bezug auf das, was es gekostethat, recht hat, darüber können wir uns dann unterhalten.Für mich ist am wichtigsten, daß die Planung jetzt nichtumgestellt werden muß. Wenn die Planung angehaltenwerden müßte, wenn neu ausgeschrieben werden müßte– der Haushaltsausschuß hat ja Gott sei Dank gesagt,daß das nicht der Fall sei –, dann, meine Damen undHerren, würde das bedeuten, daß die Funktion des Bun-desverwaltungsgerichts in der Tat sehr eingeschränktwäre. Damit wäre ich nicht einverstanden. – Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich brauche gar nicht
mehr zu fragen; die Frau Ministerin gestattet eine Frage.
Frau Ministerin,wir stimmen ja in dem, was Sie sagen, und dem, was ichgesagt habe, völlig überein. Aber stimmen Sie mit mirauch darin überein, daß es doch notwendig wäre, regie-rungsseitig vielleicht eine Stelle, eine Instanz zu schaf-fen, die in irgendeiner Weise klärt, koordiniert, ab-stimmt, bevor dann ein solches Projekt mit einem geän-derten Ansatz Eingang in den Haushaltsentwurf und inden Antrag an den Haushaltsausschuß findet?Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin derJustiz: In dem Antrag war es schon noch richtig. Aber esist im Laufe der Diskussionen des Haushalts – HerrHenke, das wissen Sie auch – leider Gottes etwas verun-klart worden. Daß Sie diese Kritik hier bei mir abladen –gut, ich habe ein relativ breites Kreuz –, das gehört sichin einer solchen Debatte; daß es nicht zutrifft, wissen Sieauch. Daß man hergehen und das Reichsgerichtsgebäudejetzt so umbauen muß, daß das Bundesverwaltungsge-richt fristgerecht und vernünftig einziehen und seine Ar-beit tun kann und daß das Gebäude gut aussieht, das istklar.Jetzt lassen Sie mich noch etwas sagen: Wir haben imletzten halben Jahr ziemlich viel von dem repariert, wasSie uns übriggelassen haben. Das DNA-Gesetz wareiner der Punkte.
– Lieber Herr Dr. Hoyer, auch wenn Sie es nicht gernehören, stimmt es doch.Ein weiterer Bereich ist Europa, auf den der verehrteKollege Funke hingewiesen hat. Herr Henke, Sie warenso freundlich, darauf hinzuweisen, daß hier eine Reihevon Richtlinien umgesetzt werden müßten. Völlig rich-tig! Aber das sind alles Dinge, die schon längst hättenumgesetzt werden müssen.
Sie haben zu Unrecht gesagt, daß wir auf Grund unse-rer ideologischen Vorgaben bei der Überweisungs-richtlinie – als ob man bei Banküberweisungen ideolo-gisch sein könnte! – über die eigentliche Zielsetzunghinausgehen. Wir haben lediglich festgestellt, daß zwi-schen einer Überweisung ins Ausland und einer Über-weisung im Inland kein Unterschied gemacht werdendarf. Die Beseitigung dieses Unterschieds haben Sie,Herr Funke, als Sie Staatssekretär waren, noch nichteinmal erwogen.Wissen Sie, was ich besonders drollig finde? – 1993hätten Sie die GmbH & Co-Publizitätsrichtlinie um-gesetzt haben müssen. Nicht ein fernes Europa hat Ihnenoktroyiert, diese Richtlinie umzusetzen; vielmehr habenauch die Minister der Bundesrepublik dies mitbeschlos-sen. Sie haben diese Richtlinie nicht umgesetzt. Am 22.April dieses Jahres hat der EuGH die BundesrepublikDeutschland verurteilt, diese Richtlinie umzusetzen. Dasist ein Ärgernis. So etwas tut man nicht, schon gar nicht,wenn Sie so viel auf Europa setzen, wie Sie immer be-haupten.
Aber der Höhepunkt ist, daß ich von meinem verehrtenKollegen, den ich so schätze, eine Presseerklärung,nachdem ich darauf hingewiesen habe, daß die Richtli-nie umgesetzt werden muß, erhalte, in der ich ermahntwerde. Ich muß diese Erklärung vorlesen – sie ist wirk-lich zu hübsch –:Die Justizministerin sollte lieber deutsche Interes-sen vertreten, als mittelständische Unternehmen zubeschimpfen.Die Presseerklärung beinhaltet den Hinweis, daß ich lie-ber eine sachgerechte Änderung der Richtlinie durchset-zen sollte. Merke: Ich soll eine Richtlinie durchsetzen,die sein Minister mit unterschrieben hat! Das ist wirk-lich drollig.
– Davon kann keine Rede sein. Ich setze lediglich dasum, was mir durch Urteile vorgegeben ist. Das wissenSie auch ganz genau.So etwas macht einem natürlich mehr Arbeit als nö-tig. Aber ich möchte mich ausdrücklich für diese Pres-seerklärung bedanken. Ich fand sie wirklich drollig.
Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
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3196 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999
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Ich danke, daß vorhin die Grundrechtscharta er-wähnt wurde. Wir wollen erreichen, daß in Europa dieEntscheidungen für eine soziale und rechtsstaatlicheDemokratie, die wir schon seit langem auf nationalerEbene getroffen haben, ebenfalls durchgesetzt werden.In diesem Zusammenhang ist eine Grundrechtschartagenau das, was wir wollen. Wir wollen diese Initiative ineinem Monat beim Europäischen Rat in Köln einbrin-gen. Wir erhoffen uns dafür eine sehr große Mehrheit.Bei den Vorarbeiten zur Justizreform, die Sie ange-sprochen haben, sind wir glücklicherweise zusammenmit den Ländern – übrigens mit Baden-Württembergund Bayern; um das gleich zu erwähnen – einen gutenSchritt vorangekommen. Ich hoffe, daß wir ähnlich wiebei der Ausgestaltung des Sanktionensystems hier baldin die Sachentscheidungen eintreten können.Lassen Sie mich den Dank, den ich am Anfang mei-ner Rede ausgesprochen habe, wiederholen. Aber bittedenken Sie auch an meinen Satz: Jeder Dank ist immerdie erste Stufe für die nächste Bitte. Ich kann Ihnen ga-rantieren: Diese Bitte wird in der Tat bei der Verab-schiedung des nächsten Haushalts geäußert werden.Wenn wir das durchsetzen wollen, was Sie alle gemein-sam gefordert haben, dann brauchen wir dringend IhreHilfe. Ich fände es sehr schön, wenn wir sie bekommenwürden.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Norbert Geis, CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Wir feiern in denkommenden Wochen das 50jährige Bestehen unsererVerfassung. Sie ist die freiheitlichste Verfassung – dasist heute schon betont worden –, die wir je in unsererGeschichte hatten. Sie gehört zu den freiheitlichstenVerfassungen in der ganzen Welt. Als der Ostblock zu-sammengebrochen ist, haben viele der dann wieder auf-erstandenen Länder unsere Verfassung als Vorlage ver-wendet, um die eigenen staatlichen Verhältnisse zu ord-nen.Unsere Verfassung beginnt mit dem klassischen Satz:„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und denMenschen ...“ Damit ist dem säkularisierten Staat, wieich meine, eine Grundrichtung vorgegeben worden, dieer beachten muß, wenn er sich nicht selbst untreu wer-den will. Zu dieser Grundrichtung gehört die besondereHervorhebung des Rechtes auf Leben und die besonde-re Hervorhebung des Schutzes von Ehe und Familie.Frau Ministerin, Sie haben in den letzten Wochendankenswerterweise das Problem der Spätabtreibungenaufgegriffen. Sie haben vorgeschlagen, die Spätabtrei-bungen von behinderten Kindern über das Standesrechtzu regeln. Das heißt, über das Standesrecht soll Sorgedafür getragen werden, die Spätabtreibungen behinderterKinder, die außerhalb des Mutterleibes schon lebensfä-hig wären, zu verhindern oder zumindest ihre Anzahl zureduzieren. Ich danke Ihnen dafür ausdrücklich.Ich glaube aber nicht, daß man dieses Ziel durch dasärztliche Standesrecht erreichen kann. Man sollte dasdiskutieren. Ich glaube auch nicht, daß es richtig wäre,die 22-Wochen-Frist, die wir 1995 aus ethischen Grün-den abgeschafft haben, wieder einzuführen. Es wirdletztendlich nur gelingen, diesem Anliegen gerecht zuwerden, wenn wir versuchen, die derzeit weitgefaßtemedizinische Indikation präziser zu formulieren.Das Verfassungsgericht hat uns in seinem Urteil vom28. Mai 1993 – auf Grund dieses Urteils ist die jetzigeBeratungsregelung eingeführt worden – aufgegeben,nach einer geraumen Zeit zu prüfen, ob diese Beratungs-regelung tatsächlich zu einem besseren Schutz der un-geborenen Kinder führt. In diesem Jahr sind seit dieserEntscheidung sechs Jahre vergangen. Ich halte den Le-bensschutz für eine fundamentale Frage, in der es umeinen wichtigen Auftrag unserer Verfassung geht. Auchdas Justizministerium sollte sich daher im nächsten Jahrum die Prüfung dieser Frage bemühen.Im Zusammenhang mit der Verfassung stellt derSchutz von Ehe und Familie einen weiteren wichtigenPunkt dar. Wir sehen in dem Vorhaben der Grünen – dieMinisterin sieht es anders –, die gleichgeschlechtlichenLebensgemeinschaften den ehelichen Lebensgemein-schaften gleichzustellen, den Versuch, diese Grundrich-tung unserer Verfassung zu verwässern. Dem werdenwir uns entgegenstellen. Wir werden versuchen, dasnicht zuzulassen. Insoweit warten wir den Gesetzent-wurf ab. Dies möchte ich dazu bei dieser Gelegenheitsagen.Frau Ministerin, Sie haben in den letzten Wochen mitRecht – Herr Ströbele hat das aufgegriffen – eine Grund-rechtscharta für Europa gefordert. Wir unterstützen Siein diesem Anliegen. Wir meinen aber, daß es nicht umeine Grundrechtscharta gehen kann, sondern daß es umeinen Verfassungsvertrag für Europa insgesamt gehenmuß. Wir meinen, daß der Vorschlag, den die CDU aufdem Erfurter Parteitag gemacht hat, richtig ist, eineGruppe von Experten zu benennen, die sich Gedankendarüber macht, wie ein solcher Verfassungsvertrag fürEuropa gewichtet sein soll. Es geht um die Frage, wasdie Europäer eigentlich zusammenhält, was die WerteEuropas sind und wie wir diese Werte in einer Verfas-sung umsetzen können. Ich halte diese Forderung desErfurter Parteitages für sehr richtig. Dies möchte ich hierunterstreichen.
In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf daseingehen, was Sie aus der Presseerklärung, die ich ver-faßt habe, zitiert haben. Frau Ministerin, uns ist es beidieser Richtlinie um den Schutz unserer mittelständi-schen Unternehmen gegangen. Wir haben in Deutsch-land anders als in vielen anderen europäischen Ländernviel mehr mittelständische Unternehmen, die Personen-gesellschaften sind und die deshalb – es geht bei dieserRichtlinie um Offenlegung der Bilanzen – nach meinerBundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 1999 3197
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Auffassung nicht wie die Aktiengesellschaften dazuverpflichtet sind, ihre Bilanzen offenzulegen. Gewöhn-lich muß der Unternehmer selbst für seine Entscheidun-gen einstehen. Diese Entscheidungen gehen im Grundegenommen keinen Dritten etwas an. Wenn wir uns aufdiesem Gebiet sehr reserviert verhalten haben, wenn wirversucht haben, den mittelständischen Unternehmen tat-sächlich einen Dienst zu erweisen, dann sollte man dasnicht abqualifizieren. Meine Bitte an Sie war, das zu tun,was uns zugegebenermaßen nicht gelungen ist: Unter-nehmen Sie während der EU-Präsidentschaft noch ein-mal einen Versuch, um in dieser Richtlinie die deut-schen Interessen, die insgesamt eine Besonderheit imVergleich zu den übrigen europäischen Ländern dar-stellen, besser zu berücksichtigen. Vielleicht gelingt esIhnen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Koso-vo-Konflikt wirft natürlich seine Schatten auch auf dieRechtspolitik. Wir erleben in diesen Tagen, wie in derBundesrepublik Deutschland wiederum Plakate mit derParole „Soldaten sind Mörder“ aufgehängt werden. Wirhalten dieses Vorgehen für eine schlechte Sache undverurteilen es. Unsere Soldaten, die wirklich Leib undLeben wagen, werden durch solche Plakate beschimpftund fühlen sich auch getroffen; das wissen wir. Deswe-gen wollen wir den Gesetzentwurf, über den wir in derletzten Legislaturperiode keinen Beschluß gefaßt haben,den wir aber im Ausschuß bereits beraten und verab-schiedet hatten, wieder vorlegen, um einen besseren Eh-renschutz für die Soldaten zu erreichen.Lassen Sie mich noch ein Wort zur inneren Sicherheitsagen; das ist, wie ich meine, nach wie vor ein wichtigesThema der Rechtspolitik. Ich habe kein Verständnis da-für, daß im Rahmen der Diskussionen zum 50jährigenBestehen unserer Verfassung immer wieder Stimmenlaut werden, die sagen, mit der Einführung der Wohn-raumüberwachung sei ein Angriff auf unseren Rechts-staat geschehen. Wir wollten mit diesem Gesetz und mitder Änderung von Art. 13 des Grundgesetzes nichts an-deres, als den Schutz der Freiheit unserer Bürger errei-chen. Das müssen endlich einmal die anerkennen, diemeinen, wir hätten damit einen Anschlag auf unserenRechtsstaat verübt. Das hatten wir nie im Sinn, und daswar nie unsere Absicht.
Im Zusammenhang mit der inneren Sicherheit istauch davon zu sprechen, daß die Schwerkriminalität be-kämpft werden muß. Wir sind der Meinung, daß für dieZulassung der Telefonüberwachung endlich auch dieGründe ausreichen sollten, die wir schon bei den Bera-tungen über die Wohnraumüberwachung verabredethatten. Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf zur Einbe-ziehung der Korruption und des schweren sexuellenMißbrauchs in die Verdachtstatbestände bei der Tele-fonüberwachung vorgelegt. Ich hoffe sehr, daß wir zu-sammen mit Ihnen, meine Damen und Herren von derSPD, hier zu einer Einigung kommen. Diese hatten wirja vor anderthalb Jahren schon einmal hergestellt.Wenn wir uns Gedanken über die innere Sicherheitmachen, sollte auch ein Wort zur sogenannten Alltags-oder Kleinkriminalität gesagt werden. Wenn wir anStraßenecken, auf Schulhöfen oder auch in der Nähe vonFixerstuben, in deren Umfeld ja sehr oft eine offeneSzene entsteht, Kleindealereien zulassen, dann werdenwir uns ganz schnell einer Rauschgiftkriminalität ge-genübersehen, der wir nicht mehr Herr werden. Deswe-gen muß dem schon von Anfang an entgegengewirktwerden. Das gleiche gilt auch für die Verwahrlosungvon öffentlichen Anlagen, für Graffitischmierereien undnatürlich auch für den Ladendiebstahl.Gegen diese „kleinen“ Delikte, über die Sie lächelnmögen, müssen wir wirklich ernsthaft vorgehen, um zuverhindern, daß unsere Bürgerinnen und Bürger ent-täuscht werden, sich abwenden, in gewissem Maße vonder Öffentlichkeit absondern und sozusagen in eine in-nere Immigration begeben und sich vor allen Dingen– darin sehe ich eine echte Gefahr – nicht mehr mit ihrerUmwelt identifizieren. Wir laufen Gefahr, dadurch einKlima zu schaffen, das Kriminalität noch mehr ermög-licht. Ich bitte Sie wirklich einmal, dieses Anliegen sozu sehen und Ihre Polemik wegzulassen. Versuchen Siedoch einmal zu verstehen, um was es uns dabei geht.
– Gut, wenn Sie nicht polemisch waren,entschuldige ichmich.Ein letztes Wort noch: Zum Bereich der inneren Si-cherheit gehört natürlich auch der Strafvollzug. Hier be-steht ja auf Grund des Beschlusses vom 1. Juli 1998,wonach wir die Arbeit von Gefängnisinsassen besser zubewerten haben, Diskussionsbedarf. § 200 des Straf-vollzugsgesetzes wurde für verfassungswidrig erklärt;also müssen wir eine Regelung finden. Hierzu gibt es jabereits auch Überlegungen im Justizministerium. Wirwerden Sie, Frau Ministerin, wie ich denke, bei IhrenVorhaben unterstützen können, zum einen eine bessereBezahlung durchzusetzen und zum anderen so etwas wieeine Good-time-Regelung vorzusehen, gemäß der durchArbeitsleistung ein Teil der Gefängnisstrafe – allerdingsin einem vernünftigen Rahmen; darüber müssen wirnoch diskutieren – erlassen werden kann.Ich meine, daß wir in diesem Zusammenhang aucheinen Blick auf den Strafvollzug insgesamt werfen soll-ten. Frau Präsidentin, dies ist mein letzter Punkt. Ichhalte sehr viel von dem Ziel der Resozialisierung, weilein resozialisierter Täter nicht so schnell rückfällig wird.Insofern ist in der Tat die Resozialisierung die besteVerbrechensbekämpfung.
Auf der anderen Seite darf man aber nicht blauäugigsein. Wir haben in Gefängnissen oft den Zustand, daßdort Häftlinge aus 100 Nationen vertreten sind aus un-terschiedlichen Kulturkreisen, mit unterschiedlichenWertvorstellungen, mit unterschiedlichen Religionen,vor allen Dingen mit unterschiedlichen Sprachen. Dawird es sehr schwer sein, dem Resozialisierungsgedan-ken gerecht werden zu können. Deswegen ist es unserAnliegen, daß in § 2 des Strafvollzugsgesetzes, in wel-Norbert Geis
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chem bestimmt ist, daß die Resozialisierung an ersterStelle zu stehen hat – so jedenfalls kann man § 2 ausle-gen –, auch die Sicherheit der Bevölkerung aufgenom-men wird.Frau Ministerin, ich denke, daß wir in vielen Fra-gen versuchen können, zu einer gemeinsamen Rege-lung zu finden. Wir unterscheiden uns allerdings auchin sehr vielen elementaren Fragen der Rechtspolitik.Das ist nun einmal so zwischen Opposition und Re-gierungspartei.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Geis,
Ihr letzter Punkt war noch ganz schön lang.
Jetzt erteile ich der Kollegin Herta Däubler-Gmelin
zu einer Kurzintervention das Wort.
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich
nur deswegen gemeldet, weil der verehrte Kollege Geis
mich in zwei Punkten, die auch mir ganz besonders
wichtig sind, angesprochen hat.
Ich bedanke mich zunächst einmal dafür, daß Sie klarge-
stellt haben, worum es Ihnen eigentlich in der Presseer-
klärung bei der Umsetzung der GmbH & Co-Richtlinie
geht.
Wenn es Ihnen um den Schutz des Mittelstands und nur
um Personengesellschaften geht, dann glaube ich in der
Tat, daß das auf einem Mißverständnis beruht. Dann
werden wir zusammenkommen, weil die Publizitäts-
pflicht ja nur für solche Personengesellschaften besteht,
deren persönlich haftende Gesellschafter Kapitalgesell-
schaften sind. Das heißt, in diesem Punkt müssen wir
nachbessern. Hier hat der EuGH die Bundesrepublik
verurteilt. Das ist das, was wir tun. Möglicherweise
kommen wir da zusammen.
Der zweite Punkt betrifft die Spätabtreibungen. Ich bin
wirklich der Meinung, wir werden uns damit in der
kommenden Zeit sehr sorgfältig befassen müssen. Ich
bin deswegen dankbar für das, was Sie gesagt haben.
Warum? Es handelt sich hierbei nicht alleine um die
schrecklichen Erscheinungen, von denen wir lesen, son-
dern es sind auch besonders tragische Fälle. Wir dürfen
bitte nicht vergessen: Das hat alles mit der Diskussion
um die Frage, die uns möglicherweise trennt und die
sich auf Schwangerschaftsabbrüche bezieht, nichts zu
tun, sondern es handelt sich hierbei immer um Frauen,
um Mütter, um Eltern, die sich bewußt für das Kind ent-
schieden hatten und die dann auf der Basis von präna-
taler Diagnostik erfahren haben, daß mit einer schweren
Behinderung oder Krankheit des Kindes zu rechnen ist.
Jetzt ist die Frage, wie wir hier vorgehen. Ich habe Ih-
ren Worten entnommen – und ich bin dankbar für diese
Aussage –, daß wir eine eugenische Indikation nicht ein-
führen. Ich muß Ihnen sagen: Ich mache da auch nicht
mit. Wir führen auch keine embryopathische Indikation
ein. Es ist aber fraglich, ob wir die medizinische Indika-
tion einschränken können. Ich fürchte, daß das gar nicht
gehen wird, weder zeitlich noch begrifflich.
Weil diese Probleme so groß sind, habe ich mich da-
zu entschlossen – dazu möchte ich Sie auch herzlich
einladen –, eine Expertenkommission einzusetzen, die
uns sagt, was man wirklich tun kann, um das eine, näm-
lich diese schrecklichen Spätabtreibungen, nicht mehr
geschehen zu lassen, aber auf der anderen Seite auf die
Frauen, die sich auf ihr Kind gefreut haben, aber jetzt
eben ein ernsthaft an Leben und Gesundheit beeinträch-
tigtes Kind erwarten, nicht zu viel Druck auszuüben.
Das habe ich gesagt. Das ist eine ganz schwierige Situa-
tion, und ich danke Ihnen, wenn Sie da mitmachen.
Das, Frau Präsidentin, wollte ich noch sagen.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Wir stimmen
zunächst über den Einzelplan 07, Bundesministerium
der Justiz, ab. Wer stimmt für den Einzelplan 07 in der
Ausschußfassung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Damit ist der Einzelplan 07 gegen die Stimmen
von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 19, Bundesverfassungsgericht. Wer stimmt für die-
sen Einzelplan in der Ausschußfassung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Einzelplan 19
einstimmig angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 6. Mai 1999,
9.30 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.