Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich teile zunächst mit, daß der Ältestenrat in seiner gestrigen Sitzung vereinbart hat, daß in der kommenden Sitzungswoche wegen der Haushaltsberatungen keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunden und keine Aktuellen Stunden stattfinden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann werden wir so verfahren.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir über Geschäftsordnungsanträge abstimmen. Zwischen den Fraktionen und der Gruppe der PDS war vereinbart, den Tagesordnungspunkt 10 - zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der steuerrechtlichen Wohneigentumsförderung - heute nach der Debatte über die Bundeswehr zu beraten, obwohl die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses erst gestern abend verteilt wurde. Die Gruppe der PDS hat nun gestern nachmittag ihre Zustimmung zu dieser Vereinbarung zurückgezogen und die Absetzung des Tagesordnungspunktes beantragt. Die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. haben fristgerecht einen Antrag eingereicht, von der Frist für den Beginn der Beratung abzuweichen.
Wird das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? - Frau Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gerade weil wir der Auffassung sind, daß dieses Gesetz so wichtig ist, haben wir zunächst Fristverzicht erklärt, und zwar vor der abschließenden Beratung in den betreffenden Ausschüssen. In dieser Nacht, um 0.30 Uhr, ist dieses Paket auf den Tischen der Fraktionen und der Gruppe gelandet. Es kann keiner - ich denke: wirklich keiner - hier sagen, daß es ausreichend in den Fraktionen und in der Gruppe beraten werden konnte.
Es war nicht mehr möglich, Änderungsanträge, Entschließungsanträge usw. in der Gruppe bzw. in den Fraktionen ausreichend zu beraten. Deswegen haben wir den Fristverzicht zurückgezogen. Ich denke,
gerade weil das Gesetz so wichtig ist, ist es notwendig, gründlich zu beraten. Erst am Mittwochabend zwischen 22 Uhr und 23 Uhr fanden mehr als 50 Einzelabstimmungen und die Schlußabstimmung im federführenden Ausschuß statt. Über 20 Änderungen am Regierungsentwurf wurden vorgenommen. Ich denke, das zeugt eher von Schludrigkeit beim Einbringen des Gesetzes.
Ein wichtiger Vorschlag - wichtig vor allen Dingen für die Betroffenen -, wie die Einbeziehung der Haus- und Grundstückskäufe nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz, wurde mit der Begründung abgelehnt, daß die Zeit für die Beratung fehle. Der Gipfel allerdings ist die Formulierung eines Ermächtigungsparagraphen, wonach das Finanzministerium nach der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag noch beliebig am Gesetz herumarbeiten darf. Da muß man sich schon fragen: Wer ist denn hier nun eigentlich der Gesetzgeber?
Gravierende Fehler, wie sie u. a. beim Mietenüberleitungsgesetz passiert sind, also bei der Frage, ob nun Mietsteigerungen möglich sind und ob das bei dem Vorhandensein von Bad und/oder Zentralheizung möglich ist, sind so eigentlich vorprogrammiert. Die Folgen solcher Fehler in mit heißer Nadel gestrickten Gesetzen sind, daß Tausende von Gerichtsverfahren gegen Mieterinnen und Mieter in den neuen Bundesländern stattfinden.
Das Gesetz soll am 1. Januar 1996 in Kraft treten. Eine Vertagung heute auf die nächste Sitzungswoche würde diesen Termin nicht gefährden. Ich denke, wir tragen als Gesetzgeber durchaus Verantwortung. Wir, die Abgeordneten des Bundestages, sind kein politisches Kasperletheater, bei dem die Bundesregierung mit den Figuren spielt. Stimmen Sie deshalb mit mir einer Vertagung zu.
Herr Kollege Hörster.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Geschäftsführerkollegen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Joachim Hörster
haben mich gebeten, für uns alle dafür zu plädieren, den Antrag der PDS abzulehnen.
Wir hatten in voller Kenntnis des Beratungsstandes vereinbart, dieses Gesetz heute zu verabschieden. Die Beratungsdauer hatte lediglich den Hintergrund, daß man dieses Gesetz auch bis in die letzten Verästelungen gründlich beraten wollte. Daß noch zusätzliche Änderungsanträge aufgesetzt wurden, Frau Enkelmann, beruhte auf der Tatsache, daß das Bundesfinanzministerium in wesentlichen Teilen Formulierungshilfen geleistet hat, um Wünsche zu erfüllen, die im Ausschuß mit dem Ziel vorgetragen worden sind, das Gesetz noch besser und exakter zu machen.
Aus diesem Grunde ist Ihr Antrag, die Beratung heute abzusetzen, nichts anderes als Obstruktion. Denn wenn es Ihnen um die Sache gegangen wäre, hätten Sie diesen Gedanken sehr viel früher haben können. Der Beratungsstand war hinreichend klar. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Antrag der PDS abzulehnen.
Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Dann kommen wir zur Abstimmung.
Zunächst stimmen wir über den Absetzungsantrag der PDS ab. Wer stimmt dafür, den Tagesordnungspunkt 10 abzusetzen? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Absetzungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., von der Frist für den Beginn der Beratung abzuweichen und den Gesetzentwurf heute in zweiter und dritter Beratung zu behandeln? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit der erforderlichen Mehrheit angenommen. Der Tagesordnungspunkt 10 wird nach der Aussprache zur Bundeswehr aufgerufen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13a und b sowie die Zusatzpunkte 12 bis 14 auf:
13. a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung 40 Jahre Bundeswehr - 5 Jahre Armee der Einheit
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften
- Drucksachen 13/1801, 13/2209 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses
- Drucksache 13/2547 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Augustinowitz Dieter Heistermann
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/2548 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann Jürgen Koppelin
Ernst Kastning Oswald Metzger
ZP12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Willibald Jacob und der weiteren Abgeordneten der PDS
Abschaffung der Wehrpflicht - Drucksache 13/580 —
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Angelika Beer, Christian Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fortsetzung der Bundeswehrreduzierung und Verzicht auf Umstrukturierung der Bundeswehr für weltweite Kampfeinsätze
- Drucksache 13/2499 —
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
ZP14 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten der PDS
Kampfeinsätze der Bundeswehr - Drucksachen 13/136, 13/1880 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Lamers Karsten D. Voigt Ludger Volmer
Ulrich Irmer
Andrea Lederer
Zum Wehrrechtsänderungsgesetz liegen ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung drei Stunden vorgesehen. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir danken heute der Bundeswehr für ihre Leistungen im Dienste unserer freiheitlichen Demokratie. Die Bundeswehr ist jetzt
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
40 Jahre alt. Seit fünf Jahren dient sie als Armee der Einheit. Unser Dank und unsere Anerkennung gelten ihr für den Beitrag, den sie in dieser Zeit für Frieden und Freiheit geleistet hat. Ich spreche diesen Dank im Namen vieler Mitbürger und Mitbürgerinnen aus.
Wir haben uns in diesem Jahr aus gutem Grund in vielen Diskussionen und auch in nachdenklichen Gesprächen an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert. Die Bundesrepublik Deutschland hat seither - gemeinsam mit ihren Freunden und Partnern in Europa und in Nordamerika - einen guten, einen erfolgreichen Weg zurückgelegt. Und wir erinnern uns dankbar an die große Aufbauleistung in den vergangenen 50 Jahren.
Seit fünf Jahren ist Deutschland wiedervereinigt. Wir haben allen Grund zur Zuversicht, daß Friede und Freiheit unserem Volk erhalten bleiben, wenn wir den Willen haben, unsere Freiheit zu verteidigen. Frieden und Freiheit bedingen einander; sie sind unlösbar miteinander verbunden.
Vor 50 Jahren begann die längste Friedensperiode der neueren deutschen Geschichte. Die Bundeswehr hatte und hat ihren eigenen, ganz wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung. Ohne die Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland für die politische und militärische Integration in die westliche Gemeinschaft wäre all dies nicht denkbar gewesen. Wir können stolz sein auf unsere Bundeswehr. Ihre Einsatzbereitschaft und ihr Ausbildungsstand finden hohe internationale Anerkennung.
Die Bundeswehr ist die erste Wehrpflichtarmee einer Demokratie in Deutschland. Ihr Leitbild ist der Bürger in Uniform. Persönliche Freiheit, Menschenwürde und Recht sind die Fundamente ihrer inneren Verfassung; sie bestimmen ihren Auftrag seit ihrer Gründung.
Die Bundeswehr war Teil eines fundamentalen Neuanfangs - politisch und moralisch. Ihr Selbstverständnis und ihre Tradition sind ganz wesentlich von den freiheitlichen Werten der deutschen Militärgeschichte geprägt, wie sie sich etwa mit Namen von Reformern wie Schamhorst verbinden. Der Geist des deutschen Widerstands gegen die nationalsozialistische Diktatur gehört ebenso zum ethischen Fundament, auf dem die Bundeswehr seit ihrer Gründung aufbaut. Ich nenne hier aus gutem Grund vor allem die Männer und Frauen des 20. Juli 1944.
Als im Jahr 1950 erste Überlegungen zu einem möglichen Beitrag Deutschlands zur Verteidigung Westeuropas angestellt wurden, stand die deutsche Politik noch ganz im Banne der Katastrophe, die der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg verursacht hatten. Damals ließ sich Konrad Adenauer von
vier Einsichten leiten, die untrennbar zusammengehörten:
Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland konnte Freiheit und Sicherheit nicht aus eigener Kraft erhalten und fördern; sie brauchte den Schutz anderer, allen voran der Vereinigten Staaten von Amerika.
Zweitens. Um die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland zu gewinnen, war ein aktiver Beitrag zur Verteidigung des Westens notwendig.
Drittens. Sicherheit für Deutschland und Sicherheit vor Deutschland - wie unsere Nachbarn es damals sahen -, dieser scheinbare Gegensatz der Nachkriegspolitik konnte nur durch eine konsequente Politik der Westintegration gelöst werden.
Ein zusammenwachsendes, friedliches, stabiles und prosperierendes Westeuropa würde dann viertens auch eine Anziehungs- und Ausstrahlungskraft entfalten, die die Einheit ganz Europas und die Wiedervereinigung Deutschlands begünstigen müßte.
Die Integration war fortan Ziel und Gestaltungsprinzip deutscher Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Integration sollte Europa Frieden und Freiheit sowie Deutschland die Einheit bringen. Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO am 5. Mai 1955 und die Aufstellung der Bundeswehr nur zehn Jahre nach Kriegsende waren ein historischer Schritt. Heute wissen wir: Es war der richtige Schritt. Die Geschichte hat Konrad Adenauer recht gegeben.
Am 12. November 1955 händigte der erste Bundesminister der Verteidigung, Theodor Blank, den ersten freiwilligen Soldaten der neuen Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland hier in Bonn ihre Ernennungsurkunden aus.
Gewaltige Schwierigkeiten waren zu überwinden. Sie wurden rasch gemeistert. Insbesondere unter der tatkräftigen Führung von Franz Josef Strauß wurden der Aufbau und die Struktur der Bundeswehr in den ersten Jahren entscheidend vorangebracht.
- Sie werden doch wenigstens zugeben, daß Sie heute hier nicht die Geschichte umschreiben können; das ist es doch, was Sie wollen.
-Warten Sie doch erst einmal ab, was jetzt kommt! Dann haben Sie gleich Grund zum Klatschen.
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
- Sie waren nicht dabei. Sie waren in jenen Jahren auf Straßen und Plätzen und haben gegen die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland demonstriert.
Leute Ihres Schlages haben gestern und heute keinen Beitrag zur Freiheit geleistet
und werden dies sicherlich auch morgen nicht tun.
- Herr Abgeordneter, das paßt heute gut: Sie sind und bleiben ein Trittbrettfahrer der Geschichte, aber kein Gestalter.
Aber auch alle Nachfolger von Franz Josef Strauß im Amt des Verteidigungsministers - ich denke, Frau Kollegin, jetzt werden Sie zufrieden sein -, KaiUwe von Hassel, Gerhard Schröder, Helmut Schmidt, Georg Leber - ihn nenne ich mit besonderer Sympathie -, Hans Apel, Manfred Wörner, Rupert Scholz und Gerhard Stoltenberg, haben einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, daß die Bundeswehr das wurde, was sie heute ist. Wir schulden allen herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, mehr als acht Millionen Männer und Frauen haben in den vergangenen vier Jahrzehnten in der Bundeswehr ihren Beitrag zur Sicherung des Friedens und der Freiheit geleistet. Dazu gehören auch bereits über 200 000 Wehrpflichtige aus den neuen Bundesländern, die in den letzten fünf Jahren ihren Dienst getan haben.
Wenn ich die Leistungen der Angehörigen unserer Bundeswehr anspreche, dann will ich in diesen Dank ganz ausdrücklich deren Ehepartner und Kinder einbeziehen. Ihnen wurden und werden oft große persönliche Opfer bei der Gestaltung des gemeinsamen Lebensweges zugemutet. Auch dies verdient unseren besonderen Respekt und unsere besondere Anerkennung.
Meine Damen und Herren, unsere Streitkräfte haben im Einigungsprozeß Außergewöhnliches geleistet: im Zusammenführen der Sold aten und im Bereich des sich neu entwickelnden Zusammenlebens ebenso wie in der militärischen Integration. Seit dem
3. Oktober 1990 - ich finde, dies ist etwas, was alle zur Kenntnis nehmen sollten - hat sich am Beispiel der Bundeswehr gezeigt, was erreichbar ist, wenn Deutsche aus Ost und West aufeinander zugehen und sich mit Tatkraft und mit Offenheit im Umgang miteinander einer gemeinsamen Aufgabe widmen. Es waren große Anstrengungen nötig, um die Nationale Volksarmee aufzulösen, ihre Einrichtungen und Geräte zu übernehmen und zugleich die Bundeswehr in den neuen Ländern aufzubauen.
Noch wichtiger als diese Entscheidungen im mehr technischen Bereich war es, die Aufgabe zu lösen, das menschliche Miteinander zu gestalten. Die Bundeswehr hat Streitkräfte zusammengeführt, die einmal verschiedenen Bündnissystemen angehört haben. Die Integration von 11 000 ehemaligen Soldaten der NVA in die Bundeswehr ist eine Leistung, die historisch wohl einmalig ist; ich sage dies voller Respekt.
Die Bundeswehr muß sich heute auf vielfältige neue Aufgaben einstellen. Dies erfordert eine Umgliederung, die sich zum Teil sehr schwierig gestaltet. Ich finde, daß auch diese Anstrengung in der Öffentlichkeit viel zu wenig gewürdigt wird. Denken wir an die Widerstände, auf die der notwendige Strukturwandel in anderen Bereichen unserer Gesellschaft stößt, so ist die Bereitschaft der Soldaten der Bundeswehr zum Umdenken alles andere als selbstverständlich.
Es ist im übrigen schon bemerkenswert - auch das gehört in diese Stunde -, daß gerade jetzt in vielen Standorten in der Bundesrepublik Deutschland der Wirtschaftsfaktor Bundeswehr neu entdeckt wird. Ich kann mich noch gut an die vielen Proteste gegen Manöverschäden und vieles andere mehr erinnern. Diese neue Wertschätzung tut der Bundeswehr gut, übrigens auch den alliierten Streitkräften.
Jahrelang konnte ich beispielsweise in meiner Heimat die törichte Parole „Ami go home" an den Wänden lesen. Jetzt schreiben mir zum Teil die gleichen Bürgermeister, die damals für diese Parole einstanden, erbitterte Briefe und fordern den Verbleib unserer Freunde und Partner. So ändern sich die Zeiten. Auch das gehört zum Bild der Gegenwart.
Meine Damen und Herren, die existenzielle Bedrohung unseres Landes ist nach dem Ende von Ost-West-Konflikt und Kaltem Krieg verschwunden. Die internationale Lage hat sich in den letzten Jahren grundlegend, ja dramatisch verändert. Die internationale Verantwortung Deutschlands ist nach der Wiedervereinigung gewachsen.
Deutschland braucht auch weiterhin Streitkräfte, die zur Landesverteidigung befähigt bleiben. Sie müssen aber auch im Bündnisrahmen zur Krisenreaktion fähig sein und schließlich für die Völkergemeinschaft zur Verfügung stehen, wenn unsere Hilfe geboten erscheint.
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Schon in der Vergangenheit - auch das gehört zur Geschichte der letzten 40 Jahre - hat sich die Bundeswehr in zahllosen Hilfseinsätzen und in neuen Einsätzen im Rahmen internationaler Friedensmissionen vielfach bewährt. Auf diese Tradition des Helfens kann die Bundeswehr in einer besonderen Weise stolz sein.
So hat sie bei Sturmfluten, Schneekatastrophen, Waldbränden, Hungersnöten, Erdbebenkatastrophen und Überschwemmungen vielen Menschen Hilfe leisten können. Ich erinnere vor allem an die Hilfsaktion während der Sturmflut im Februar 1962 in der Küstenregion zwischen Hamburg und Bremen, bei der rund 40 000 Soldaten der Bundeswehr im Einsatz waren. Unvergessen bleibt, wie damals die Bundeswehr den Menschen in Not Beistand geleistet hat.
Zugleich unterstützt unsere Bundeswehr die Vereinten Nationen dabei, deren Aufgaben bei der Friedenssicherung zu erfüllen. Wesentlich ist, daß wir unseren Bündnispartnern zur Seite stehen, wenn es darauf ankommt, bedrängten Menschen zu helfen und dem Frieden zu dienen, so wie unsere Verbündeten über vier Jahrzehnte für uns und unsere Sicherheit und nicht zuletzt für die Freiheit Berlins einstanden.
Die Soldaten unserer Partner zeigen im früheren Jugoslawien, was Solidarität bedeutet. Stellvertretend für sie alle nenne ich die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und Belgien. Das gilt auch für unsere italienischen Freunde, die auf ihrem eigenen Territorium einen wichtigen Beitrag leisten.
Vor wenigen Monaten haben Bundesregierung und Bundestag den Einsatz von Bundeswehreinheiten zum Schutz und zur Unterstützung der schnellen Eingreiftruppe im früheren Jugoslawien beschlossen. Unsere Soldatinnen und Soldaten erfüllen dort eine Pflicht, die das vereinte Deutschland im Rahmen der Völkergemeinschaft wahrnimmt. Sie leisten damit einen Dienst für uns alle, vor allem jedoch für die ganz unmittelbar Betroffenen, für die leidenden Menschen in dieser Region.
Wir hoffen zuversichtlich, daß die sich jetzt bietende Chance zum Frieden genutzt wird. Mit dem Kabinettsbeschluß vom Dienstag dieser Woche zur Unterstützung der multinationalen Friedenstruppe bei der Umsetzung einer künftigen Friedensvereinbarung wollen wir dazu unseren Beitrag leisten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stehen heute vor vielfältigen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Diese können wir nur gemeinsam mit unseren Partnern und Freunden bewältigen. Jüngstes Beispiel ist die Gründung des Deutsch-Niederländischen Korps vor gerade zwei Monaten. Welchen Weg wir in diesen Jahrzehnten zurückgelegt haben, veranschaulicht u. a. die Tatsache, daß deutsche und niederländische Offiziere sich als Kommandeure dieses Korps abwechseln und damit bedeutende Teile der Streitkräfte der jeweils anderen Nation befehligen werden. Vor 40, vor 30 oder noch vor 20 Jahren hätten wir dies gemeinsam für unmöglich erachtet. Daß das nicht mehr unmöglich ist, ist eine großartige Entwicklung, für die wir dankbar sind.
Wie weit wir in Europa dabei fortgeschritten sind, verdeutlicht auch die enge deutsch-französische Zusammenarbeit im Eurokorps, vor allem aber in der deutsch-französischen Brigade. Ein weiteres Beispiel für die sich immer noch weiterentwickelnde militärische Zusammenarbeit im Bündnis ist die verstärkte deutsch-amerikanische Integration auf Korpsebene. Mit all diesen nicht mehr rein national besetzten Stäben und Verbänden bringen wir gemeinsam mit unseren Partnern im Bündnis unseren festen Willen zum Ausdruck, uns den sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit zu stellen.
Vor allem die Vereinigung wichtiger Teile der deutschen Streitkräfte mit Einheiten europäischer Verbündeter weist weit in die Zukunft. Sie dient dem Ausbau der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsidentität, und sie stärkt zugleich den europäischen Pfeiler in der Atlantischen Allianz.
Die enge Zusammenarbeit der Bundeswehr mit Truppenteilen anderer Bündnispartner in gemeinsamen Verbänden ist für die Männer und Frauen, die hier zusammenarbeiten, zugleich, wie ich denke, eine gute Chance der Begegnung. Hier können sich Freundschaften zwischen Angehörigen verschiedener Nationen im Alltag bewähren. Man hat die Chance, sich besser kennenzulernen.
Zugleich leistet die Bundeswehr im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden einen aktiven Beitrag zur Heranführung der Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas an die Strukturen der Atlantischen Allianz. Die jüngsten gemeinsamen Manöver beispielsweise in Polen sind ein deutlicher Ausdruck für den Geist der Verständigung und Zusammenarbeit, der diese Länder mit der NATO verbindet. In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich auch die Paten- und Partnerschaften zwischen grenznahen deutschen Garnisonen und polnischen und tschechischen Einheiten.
Meine Damen und Herren, wer als Soldat durch Gelöbnis oder Eid bekundet, unserer Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, der hat Anspruch auf die Unterstützung aller gesellschaftlichen Kräfte. Er hat Anspruch auf die Unterstützung des ganzen Volkes.
Denn von ihm wird erwartet, daß er in letzter Konsequenz bereit ist, Gefahren für Leib und Leben in Kauf zu nehmen. Gerade in diesen Tagen denken wir in Trauer an jene Soldaten, die in Ausübung ihres dienstlichen Auftrags ihr Leben verloren haben.
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Wir sollten niemals vergessen: Es ist die junge Generation unseres Landes, die in der Bundeswehr ihren Dienst tut. Aus der Sicht meiner Generation kann ich sagen: Es ist die Armee unserer Söhne. Als verantwortungsbewußte und engagierte Mitbürger stellen sie sich für uns alle in eine besondere Pflicht.
Wehrpflicht ist und bleibt Ausdruck der Bürgerverantwortung in einer freiheitlichen-demokratischen Grundordnung. Meine Damen und Herren, der Wehrdienst ist die vom Grundgesetz vorgesehene Normalität.
Die Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen ist die Ausnahme. Ich sage das so bewußt, weil es manche im Lande gibt, die dies andersherum haben möchten.
Wer Rechte hat, hat auch Pflichten. Es gehört, wie ich denke, zum Erziehungsauftrag unserer Bildungseinrichtungen, an diese einfache Wahrheit immer wieder zu erinnern. Überall kann davon mehr die Rede sein.
Ich füge ganz ausdrücklich hinzu: Ich habe großen Respekt vor denen, die Ersatzdienst leisten. Diejenigen, die ihren Dienst in Krankenhäusern, auf Intensivstationen oder in Pflegeeinrichtungen für Schwerstbehinderte tun, verdienen ebenfalls unsere Anerkennung.
Gleichwohl wiederhole ich: Der Wehrdienst ist der vom Grundgesetz, unserer Verfassung, vorgesehene Regelfall.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich wünsche mir für diese Wochen der Erinnerung an 40 Jahre Bundeswehr, daß möglichst viele in unserem Land darüber nachdenken, welchen Weg wir in diesen vier Jahrzehnten genommen hätten, wenn die Soldaten der Bundeswehr ihre Pflicht nicht erfüllt hätten.
Konrad Adenauer hat anläßlich seines Appells vor den Soldaten der im Aufbau begriffenen Bundeswehr am 20. Januar 1956 in Andernach gesagt - ich zitiere -:
Das deutsche Volk sieht in Ihnen die lebendige Verkörperung seines Willens, seinen Teil beizutragen zur Verteidigung der Gemeinschaft freier Völker, der wir heute wieder mit gleichen Rechten und Pflichten wie die anderen angehören. Dieser unser Beitrag und die enge Zusammenarbeit .mit unseren Verbündeten ... bedeuten für uns mehr als eine vertragliche Verpflichtung; sie sind uns eine Herzenssache.
Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr - in Heer, Luftwaffe und Marine - haben ihren Einsatzwillen und ihre Leistungsfähigkeit in den letzten 40 Jahren immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Das persönliche Engagement aller Bundeswehrangehörigen - der Männer und der Frauen, der Wehrpflichtigen, der Zeit- und Berufssoldaten, der Reservisten, der Beamten und der Arbeitnehmer - wird auch in Zukunft die notwendige Einsatzbereitschaft und -fähigkeit verbürgen. Nur so können wir Frieden und Freiheit gemeinsam mit unseren Freunden und Partnern sichern und garantieren.
Wir können uns - ich glaube, das ist ein wichtiges Bekenntnis von uns allen - auf diese Bundeswehr verlassen, eine Armee des Friedens, unsere Armee, auf die wir stolz sein können.
Es spricht jetzt der Fraktionsvorsitzende der SPD, Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 40 Jahre Bundeswehr sind Anlaß zum Dank, zum Dank an jene 8 Millionen Frauen und Männer, die in der Bundeswehr seit ihrer Gründung Dienst dafür geleistet haben, daß sich dieses Land friedlich und freiheitlich entwickeln konnte.
40 Jahre Bundeswehr sind auch Anlaß zur Anerkennung, sowohl für die politischen Leistungen, die mit ihrem Aufbau verbunden sind, wie auch für den enormen Beitrag, den die Bundeswehr gemeinsam mit unseren Freunden und Verbündeten für die Sicherheit dieses Landes geleistet hat.
40 Jahre Bundeswehr sind auch Anlaß zu einer kritischen Bilanz. In diesem Sinne war es nach den Erfahrungen der deutschen Geschichte nicht selbstverständlich, daß eine demokratieverträgliche, besser gesagt: eine demokratieunterstützende Institution mit der Bundeswehr gefunden werden konnte. Im Unterschied zu früheren Epochen wurde mit der militaristischen Tradition durch den Aufbau der Bundeswehr gebrochen und die geschichtliche Hypothek aus der Nazizeit in eine angemessene Wehr- und Verteidigungspolitik umgesetzt.
Mit ihrem verteidigungspolitischen Auftrag und mit ihrer verfassungsrechtlichen Verankerung, dem Konzept der Inneren Führung und dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform wurde der Bundeswehr ein Fundament gegeben, das einer Demokratie angemessen ist.
Nicht nur der Primat der Politik, auch die Konzeption der Streitkräfte als Wehrpflichtarmee haben zur gesellschaftlichen Offenheit und zur demokratischen Verankerung der Bundeswehr entscheidend beigetragen.
Deshalb ist auch der Dienst jener acht Millionen Frauen und Männer in den Streitkräften oder in der Bundeswehrverwaltung wichtig für eine zivile Kultur der Bundeswehr und zugleich eine entscheidende Basis ihrer Legitimation. Aus diesem Grund
Rudolf Scharping
betonen wir auch für die Zukunft die Notwendigkeit, an der Wehrpflicht festzuhalten.
Die große Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert die Bundeswehr als ein notwendiges Instrument zur Wahrung unserer äußeren Sicherheit. Wenn man über die historischen Weichenstellungen in der Geschichte der Bundeswehr und der Bundesrepublik Deutschland redet, dann darf man die glücklichen Umstände deutscher Außen- und Sicherheitspolitik nicht unerwähnt lassen. Die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Gemeinschaft der westlichen Demokratien, die Westintegration der Bundesrepublik, bildete nicht nur einen stabilen äußeren Rahmen für die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft, sondern sie hat gleichzeitig entscheidend den Aufbau und die Ausrichtung der Bundeswehr geprägt als eine Armee im Bündnis.
Deshalb betonen wir: Die militärische Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die NATO war und bleibt wesentlicher Bestandteil unserer Außenpolitik, war wesentlicher Bestandteil der Aussöhnung und ist jetzt ein festes Fundament dafür, daß aus Partnern auch Freunde geworden sind, zwischen denen Krieg nicht mehr denkbar ist.
In diesen Rückblick auf 40 Jahre Bundeswehr schließen wir ausdrücklich die Würdigung der Arbeit der Bundeswehr bei der Gestaltung einer gesamtdeutschen Streitmacht ein. Seit dem 3. Oktober 1990 hat die Bundeswehr etwa 10 000 ehemalige Soldaten der NVA integriert. Das ist eine große Leistung, wenn man berücksichtigt, daß auch 200 000 Wehrpflichtige aus den östlichen Bundesländern mittlerweile Dienst in der Bundeswehr getan haben.
Wenn wir heute also von einer gesamtdeutschen Bundeswehr sprechen können, dann verbergen sich dahinter enorme Anpassungsleistungen, große Anstrengungen, Einsatzbereitschaft und auch Führungsfähigkeit. Man darf dabei nicht vergessen, daß die Bundeswehr in ihrer gesamtdeutschen Dimension aus einem tiefgreifenden Umstrukturierungsprozeß hervorgegangen ist. Die Streitkräfte wurden von etwa 600 000 auf 370 000 Soldaten reduziert, die zivilen Mitarbeiter von 230 000 auf etwa 160 000. In nur vier Jahren wurden zudem 200 Standorte in den westlichen Bundesländern geschlossen, in den östlichen Bundsländern 2 300 Standorte der NVA übernommen und weitgehend aufgelöst.
Dieser Prozeß ist noch nicht abgeschlossen. Für die Gegenwart und die nähere Zukunft gilt: Wir brauchen einen stabilen Rahmen. Die bisher viermalige Umstrukturierung der Bundeswehr und die noch immer nicht abgeschlossenen Maßnahmen signalisieren, daß dem Einsatzwillen und der Bereitschaft der Soldatinnen und Soldaten ein zukunftsweisendes Konzept noch nicht gegenübersteht.
Es ist für die Sozialdemokraten aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Bundeswehr einen Beitrag zur Überwindung der kulturellen Spaltung leistet. Georg Leber hat bei der Festsitzung des Verteidigungsausschusses zu Recht auf die Bedeutung der Wehrpflicht auch für die innere Einheit unseres Landes hingewiesen und darauf, daß der gemeinsame Dienst von jungen Menschen aus den neuen und den alten Bundesländern Verständigung miteinander und Verständnis füreinander fördert.
Meine Damen und Herren, gerade weil die Bundeswehr in den 40 Jahren ihrer Existenz einen anerkannten Platz in unserem demokratischen Rechtsstaat gefunden hat, gerade weil sie auf eine freiheitliche demokratische Verfassung gründet, konnte sie auch einen guten Beitrag zur Fähigkeit unseres Landes, sich zu verteidigen, und zur Sicherheit unseres Landes, zur Integration in der NATO und zur Friedenssicherung leisten. Das ist, allen anderen aktuellen Debatten und Meinungsverschiedenheiten zum Trotz, eine beispielhafte Leistung.
Die Sozialdemokratie hatte nicht immer - das will ich genauso offen ansprechen - ein in der Politik hier und da zwischen Regierung und Opposition umstrittenes, aber in den Grundsätzen so ungebrochenes Verhältnis zu Streitkräften. Das hat mit dem Charakter der bewaffneten Macht im Kaiserreich und der tradierten Rolle der Streitkräfte bis hinein in die Weimarer Republik zu tun, das hat zu tun mit der Befürchtung, die damals zu Recht bestand, daß Streitkräfte im Innern eingesetzt und zugunsten autoritärer Kräfte mißbraucht werden könnten. Gleichwohl war die Sozialdemokratie nie eine pazifistische Partei, sondern sie hat auch schon in der ersten Republik ihre Unterstützung von Streitkräften von der Existenz eines kollektiven Sicherheitssystems und der Demokratisierung und Demokratieverträglichkeit der damaligen Wehrmacht abhängig gemacht,
Bedingungen, die leider nicht erfüllt waren.
Vor dem Hintergrund des rassistischen Vernichtungskrieges der Nationalsozialisten und der tiefen Spaltung Deutschlands nach 1945 hat die SPD am Beginn der zweiten Republik gegen die Wiederbewaffnung gerungen. Das war aber, sorgfältig betrachtet, eine Ablehnung, die nie aus pazifistischer Verweigerung herrührte, sondern den internationalen Handlungsbedingungen geschuldet war. Denn schon 1952 hat die Sozialdemokratie formuliert, daß sie gemeinsame Anstrengungen zur Sicherung des Friedens und der Verteidigung der Freiheit auch mit militärischen Mitteln befürwortet, wenn sie in die Bemühungen um Wiedervereinigung und ein europäisches Sicherheitssystem, in die Gleichberechtigung der Teilnehmer an einem solchen System und in die demokratisch-parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte selbst eingebettet bleiben. Diese Bedingungen sind heute erfüllt. Deshalb fällt es uns nicht schwer, sondern wir sind fest davon überzeugt, daß unter solchen Bedingungen Streitkräfte in einer Demokratie mit einer festen demokratischen Verankerung sinn-
Rudolf Scharping
voll und angesichts der äußeren Bedingungen unseres Landes nach wie vor notwendig sind.
Ich erwähne, meine Damen und Herren, diese Entwicklung auch, um deutlich zu machen, daß die SPD mit ihren Erfahrungen und auf ihnen aufbauend einen richtungsweisenden Beitrag zum Aufbau der Streitkräfte geleistet hat, von Streitkräften, die der Freiheit und der Demokratie und dem Frieden gleichermaßen verpflichtet sind. Denn unter der geistigen Führung eines meiner Vorgänger, des, wie ich denke, nun wirklich bedeutenden Abgeordneten Fritz Erler, begann die sozialdemokratische Opposition, sich 1956 aktiv und prägend an der Ergänzung des Grundgesetzes um die Wehrverfassung zu beteiligen. Das fand auch auf der Seite der Angehörigen der Bundeswehr Respekt und Anerkennung. Ich will, um ein Wort von Ulrich de Maizière aufzugreifen, ganz deutlich sagen, daß diese parlamentarische große Koalition mit Fritz Erler und Richard Jaeger, mit dem wir manche Konflikte, manche Sträuße auszufechten hatten, durch Regelungen wie Befehls- und Kommandogewalt, allgemeine Wehrpflicht, Institution des Wehrbeauftragten und die genannten Elemente einen Aufbau der Bundeswehr ohne einen Verfassungskonflikt ermöglicht hat.
Unter dem Einfluß von Fritz Erler, der zusammen mit Georg Leber in der Kluft zwischen Armee und Arbeiterschaft eine - ich sage: eine - der Ursachen für das Scheitern der Weimarer Republik sah, hat sich die SPD zur Landesverteidigung bekannt und das Konzept der inneren Führung als ein Markenzeichen sozialdemokratischer Verteidigungspolitik im Gegensatz zur alten Tradition des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, von der Nazizeit gar nicht zu reden, durchgesetzt.
Deshalb bleibt für uns der Satz „Der Soldat bleibt auch in Uniform Staatsbürger" der Leitsatz für eine moderne Stellung der Streitkräfte in der Demokratie.
Meine Damen und Herren, wir haben uns längs dieser grundsätzlichen Erwägungen und Überzeugungen verhalten.
Ohne die Verdienste anderer zu schmälern, will ich doch sagen, daß die drei sozialdemokratischen Verteidigungsminister Helmut Schmidt, Georg Leber und Hans Apel sowie der damalige Wehrbeauftragte Karl Wilhelm Berkhan einen wesentlichen Anteil daran haben, daß die Streitkräfte in Struktur und Ausrüstung, in Ausbildung und innerem Gefüge ein modernes und der Gesellschaft angemessenes Gesicht erhielten. In jener Zeit wurde unter der Führung von Willy Brandt und später von Helmut Schmidt die gesellschaftliche Integration der Bundeswehr gefördert und vorangebracht. Dies geschah in vielen Reformen, die auch heute noch tragfähig sind: Schaffung der Universitäten der Bundeswehr, Einführung der Weißbücher, Reorganisation des Rüstungsbereiches, die nach den Erfahrungen, die man mit bestimmten Beschaffungsvorhaben gemacht hatte, dringend erforderlich war,
Neuordnung der Ausbildung und der Bildung der Soldaten, staatsbürgerlicher Unterricht, weibliche Sanitätsoffiziere, Traditionserlaß. All das sind Stichworte für das demokratische Fundament und für sozialdemokratische Verteidigungspolitik; dies reicht bis hin zur Stärkung der Position des Vertrauensmannes.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit dem Stichwort Traditionserlaß möchte ich hinzufügen, daß es unredlich wäre, frühere Auseinandersetzungen zu verschweigen. Es war nicht selbstverständlich - auch bis heute ist es leider nicht selbstverständlich -, daß man sich uneingeschränkt, wie es richtig wäre und wie wir es fordern, auf die demokratische, die verfassungsorientierte Tradition von Streitkräften beruft. Es war damals und es ist leider auch heute hier und da noch notwendig, harte, zum Teil bittere Auseinandersetzungen um diese Orientierung zu führen; denn sie war weder in der Bundeswehr noch in ihrer politischen Führung in den 50er und 60er Jahren selbstverständlich. Die Auseinandersetzungen um den Namen mancher Kaserne zeigen, daß diese Orientierung auch heute noch nicht völlig selbstverständlich geworden ist.
Die Bundeswehr steht heute vor einer dritten großen Zäsur. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Juli 1994 beinhaltet zwei entscheidende Festlegungen: Erstens ist neben dem Einsatz zur Landes- und Bündnisverteidigung der Einsatz bewaffneter Streitkräfte auch im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit wie beispielsweise der Vereinten Nationen möglich. Zweitens ist die Bundesregierung verpflichtet, für einen solchen Einsatz der Bundeswehr die konstitutive Zustimmung des Parlaments einzuholen. Die Bundeswehr ist Parlamentsheer, und manchem Eindruck zum Trotz: Sie muß auch Parlamentsheer bleiben und darf nicht Instrument alleine einer Regierung oder gar einer Partei werden.
Deshalb sind wir der Auffassung, daß es ein Bundeswehraufgabengesetz geben sollte, in dem Auftrag, Form und Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung beim Einsatz der Streitkräfte geregelt werden. Das wäre eine sinnvolle und notwendige Ergänzung der guten Entwicklung der letzten Jahrzehnte.
Für Deutschland bleibt nämlich nicht nur die Einbettung in die NATO, sondern bleiben auch das politische Engagement und die Präsenz der Vereinigten Staaten in Europa wesentlich. Ihre Präsenz und die der anderen Freunde und Verbündeten hat diesem Land erheblich geholfen in seiner äußeren Sicherheit, schließlich auch in der Gestaltung seiner staatlichen Einheit. Allerdings, für die Zukunft wird eine
Rudolf Scharping
Reform der NATO angesichts der großen Umbrüche in den internationalen Beziehungen notwendig, und sie muß mit dem Ziel betrieben werden, das transatlantische Bündnis aufrechtzuerhalten.
Neben die Stärkung des Bündnisses muß die Stärkung der Europäischen Union treten. Ich sage das aus zwei Gründen. Wir sollten an der Maxime festhalten, daß ein geeintes Deutschland auch der europäischen Einheit bedarf. Und wir sollten auch daran festhalten, daß die Sicherung und dauerhafte Stabilität für demokratische und friedliche Entwicklungen in Europa nicht allein abhängig sein können von der Stärkung militärischer und auf Sicherheit orientierter Bündnisse, sondern genauso die wirtschaftliche, die soziale und kulturelle Verständigung und Integration in Europa brauchen.
Also ist die mögliche Erweiterung beider Organisationen miteinander verbunden, und dabei wird zu berücksichtigen sein, daß kluge Außen- und Sicherheitspolitik immer Rußland an der Schaffung eines europäischen Sicherheitsraumes beteiligt und einbezieht.
Meine Damen und Herren, für den Westen Europas ist uns das gelungen, und die Sozialdemokratie stimmt ausdrücklich zu, daß mit der Schaffung der deutsch-französischen Brigade, aber auch durch das deutsch-niederländische Korps ein Beitrag zur europäischen Sicherheit und zur europäischen Ausrichtung und Integration der Streitkräfte geleistet wird. Allerdings, gerade der Krieg im ehemaligen Jugoslawien führt eindringlich vor Augen, daß eine Renationalisierung der Außenpolitik für diesen notwendigen Prozeß kontraproduktiv ist.
Einheitliches außen- und sicherheitspolitisches Handeln ist zwingend erforderlich, um in Europa Konflikte zu verhindern, sie zu begrenzen oder sie zu beenden, wenn der Ausbruch gewaltsamer Auseinandersetzungen nicht zu unterbinden war. Dabei kommt der politischen Einbettung der Verteidigungspolitik in eine Strategie der Prävention von Konflikten entscheidende Bedeutung zu. Und es bleibt für die Zukunft auch dabei, daß politische, nicht militärische Lösungen im Vordergrund unseres Handelns stehen.
In diesem Zusammenhang ist es dann wichtig und richtig zu betonen: Die SPD steht für Landes-, und sie steht für Bündnisverteidigung. Die SPD hat wiederholt deutlich gemacht, daß sie es für außerordentlich wünschenswert hält, daß Deutschland entsprechend seinen Fähigkeiten die Vereinten Nationen bei der Friedensbewahrung, also beim Peacekeeping, unterstützt. Die SPD plädiert in diesem Zusammenhang für die Aufstellung einer speziell ausgerüsteten und ausgebildeten Truppe, die den Vereinten Nationen zur Verfügung steht und im Rahmen ihrer Aktivitäten eingesetzt wird. Wir halten es für einen Fehler nicht nur der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, sondern auch gegenüber den Vereinten Nationen und ihrer Wirksamkeit, daß Entscheidungen des Weltsicherheitsrates manchmal erst mit monatelanger Verzögerung durchgesetzt oder umgesetzt werden können. Auch deshalb wäre es gut, wenn Deutschland eine speziell ausgerüstete und ausgebildete Truppe zur Verfügung stellte, die ein rascheres Umsetzen von Entscheidungen des Weltsicherheitsrates ermöglicht.
Damit wird die Bedeutung der Vereinten Nationen nicht gemindert, die ja im wesentlichen darin besteht, zivile, globale, gemeinsame Entwicklung voranzubringen. Deshalb sage ich auch hier: Die sozialdemokratische Politik bleibt der Sicherung des Friedens, dem Willen zu weiterer Abrüstung, einer restriktiven Exportpolitik und der Solidarität und Gerechtigkeit gegenüber Partnern, gegenüber sozial Schwächeren und gegenüber späteren Generationen verpflichtet.
Wenn wir diesem Anspruch gerecht werden wollen, dann muß Deutschland mehr und solidarisch handeln, und dann darf das deutsche Handeln nicht reduziert werden auf hier und da notwendige, unvermeidliche, richtige Beiträge zur militärischen Sicherung von Frieden, sondern dann muß der Schwerpunkt des deutschen Engagements in einer friedlichen Entwicklung, in gegenseitiger Hilfe und in der Unterstützung von Schwächeren liegen.
Meine Damen und Herren, ich will mich zum Ende meiner Bemerkungen namens der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei den Angehörigen der Bundeswehr für ihren Dienst, der ein Dienst für den Frieden ist, bedanken, bei den Soldaten und Soldatinnen im aktiven Dienst genauso wie bei den Reservisten der Bundeswehr, bei den Vorgesetzten genauso wie bei den Untergebenen. Ich betone: Unser Dank gilt insbesondere den Wehrpflichtigen, die ihren Wehrdienst leisten, der heute nicht nur schwieriger, sondern hier und da auch politisch schwieriger begründbar geworden ist. Dennoch bleibt die Wehrpflicht das konstitutive Element einer in der Demokratie verankerten Streitmacht.
Wir wollen nicht vergessen, den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundeswehr zu danken und mit Trauer und Anerkennung auch jener 2 440 Männer zu gedenken, die im Dienst der Bundeswehr und für unser Land ihr Leben verloren haben.
Die Bundeswehr hat in den 40 Jahren ihres Bestehens eine verfassungsmäßig bewährte Aufgabenverteilung zwischen Streitkräften und ziviler Verwaltung, zwischen militärischem Kommando und dem Primat der politischen Führung erfahren. Wir sagen also allen daran Beteiligten Dank und Anerkennung und wünschen eine Zukunft in Frieden. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Soldatinnen und
Rudolf Scharping
Soldaten wünschen wir Zufriedenheit in ihrem Dienst und persönlich eine gute Zukunft.
Als nächster spricht der Kollege Paul Breuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 40 Jahre Bundeswehr und fünf Jahre Armee der Einheit, zwei Anlässe, die Grund genug dafür sind, die Leistungen der aktiven und ausgeschiedenen Soldaten und der Zivilbediensteten der Bundeswehr zu würdigen. Es geht darum, dankbar dafür zu sein, daß die Geschichte der Bundeswehr eine Erfolgsgeschichte sein konnte.
40 Jahre Frieden und Freiheit für die Menschen im Westen Deutschlands, fünf Jahre Freiheit für alle Deutschen. Dies ist mit ein Verdienst der Bundeswehr.
Meine Damen und Herren, dieser Weg der Bundeswehr war nicht selbstverständlich. Am Anfang der Diskussion um die Wiederbewaffnung, in den 50er Jahren, standen tiefe Meinungsverschiedenheiten in unserem Volk einander gegenüber. Es wurde sehr emotional über die Frage gestritten, wie diese erste deutsche Bürgerarmee in der Demokratie verfaßt sein werde.
In dieser Debatte ist schon darauf hingewiesen worden, daß Scharnhorsts Aussage „Der Bürger in Waffen und die allgemeine Wehrpflicht untermauern den Willen des Volkes, Freiheit durch Mitverantwortung zu verteidigen", für das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform Pate stand. Es war aber hart umstritten. Dieses Leitbild des Staatsbürgers in Uniform hat sich bis heute bewährt. In der damaligen Zeit, in den 50er Jahren, wurde darüber gestritten, meine Damen und Herren, wie groß der Beitrag des einzelnen sein konnte. „Ohne mich" war eine Parole, die es damals gab, und diese Parole ist - das muß im Hinblick auf manche Diskussionen über die allgemeine Wehrpflicht leider gesagt werden - heute wieder in unserer Bevölkerung vorhanden.
Bei aller Verankerung der Bundeswehr in der deutschen Bevölkerung, die groß ist, ist dies ein Punkt, der unsere Aufmerksamkeit stärker verdient.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang will ich mich auch auf die Debatten der letzten Tage beziehen. Herr Scharping, jeder von uns hat Probleme mit seinem Terminkalender. Es steht mir überhaupt nicht zu, über den Ihren zu urteilen. Aber meinen Sie im nachhinein nicht auch, daß manche Vermutungen und Verwirrungen der letzten Stunden und Tage vermeidbar gewesen wären, wenn Sie gestern abend beim Zapfenstreich dabeigewesen wären?
Es kommt ja, geschätzter Herr Kollege Scharping, nicht von ungefähr, daß solche Vermutungen immer direkt aufkommen. Ich habe gestern abend - und ich war nicht alleine damit - bei den Demonstranten auch Juso-Fahnen sehen müssen.
Ich glaube nicht, daß dort irgend jemand Fremdes die Fahne der Jungsozialisten in der SPD mißbraucht hat, sondern daß es Jungsozialisten gewesen sind.
Auf der anderen Seite, Herr Kollege Scharping, kenne ich natürlich sehr geschätzte Kollegen Ihrer Fraktion, die für die Bundeswehr eintreten und viel Gutes tun. Es ist notwendig, daß nicht nur Sie, Herr Scharping, sich darum bemühen, sondern daß die SPD sich insgesamt darum bemüht, diese Widersprüchlichkeit in Ihrer Partei zu beseitigen.
Wenn wir über die Geschichte der Bundeswehr reden, liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin - -
- Entschuldigung, Herr Präsident, dies ist nicht mir als erstem passiert, daß man, weil hier keine Rückspiegel eingebaut sind, den Präsidentenwechsel nicht zur Kenntnis nehmen kann.
Meine Damen und Herren, die Aufstellung der Bundeswehr stand von Anfang an im Zusammenhang mit dem Wunsch der Deutschen im freien Teil Deutschlands nach Souveränität und nach Wiedervereinigung. So stellte Konrad Adenauer 1952 fest: „Nur die Beteiligung an einer integrierten westlichen Streitmacht gewährleistet die Sicherheit Deutschlands und bereitet den Weg zur Wiedervereinigung." Adenauer erfuhr damals zum Teil herbste Kritik. Ihm wurde der Vorwurf gemacht, durch das klare Einbinden der damaligen Bundesrepublik in das westliche Bündnis eine Politik, die gegen die Einheit gerichtet sei, zu betreiben. Er hat mit seiner Vision recht behalten, und der 3. Oktober 1990, der Tag der deutschen Einheit, hat ihn eindrucksvoll bestätigt.
Wichtig, meine Damen und Herren, ist die Feststellung, daß an der Schwelle, am Anfang der Aufstellung der Bundeswehr, das Streben nach Souveränität
Paul Breuer
und das Streben nach Integration und Kooperation stand. Die Bundeswehr hat mit ihrem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, das dem Soldaten prinzipiell die gleichen Rechte wie den zivilen Bürgern gibt, einen neuen Meilenstein in der deutschen Wehrgeschichte gesetzt. Mit dem unpolitischen Soldaten der Reichswehr, der nicht einmal wählen durfte, haben wir in der Bundeswehr Schluß gemacht.
Es gibt natürlich in der deutschen Wehrverfassung viel mehr an Neuem, was von Ihnen, Herr Fischer, wenn ich mich denn mit Leuten Ihrer Prägung auseinandersetze, zum Teil gar nicht zur Kenntnis genommen wird.
Wenn ich die Vorwürfe von Militarismus höre und die Soldaten der Bundeswehr in der Eingebundenheit in unser friedliebendes Volk und die deutsche Wehrverfassung sehe, dann ist es beschämend, daß Ihre Leute gestern abend als Demonstranten vor den Gattern standen und „Mörder! Mörder! " riefen.
Es ist beschämend, Herr Fischer.
- Brüllen Sie sich hier ruhig aus.
Ich will mich gar nicht allzu lange mit der grünen Bürgermeisterin der Stadt Bonn beschäftigen.
Aber eines ist mir in den letzten Tagen noch einmal deutlich geworden.
Das, was Sie in den letzten Wochen versucht haben - der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und dieser Partei einen staatstragenden Anstrich zu geben, auch im Hinblick auf internationale Verantwortung -, das ist in den letzten Tagen und auch gestern abend absolut gescheitert.
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr hat in der Menschenführung Erfolg gehabt, aber sie hat natürlich auch Rückschläge erlitten. Für einen Rückschlag steht nach wie vor der Name eines sehr schönen Ortes in Baden-Württemberg, nämlich Nagold.
Aber wir haben es durch gemeinsame Anstrengungen der Regierungen, durch gemeinsame Anstrengungen des Parlaments, durch gemeinsame Anstrengungen in der Bundeswehr geschafft, derartig Danebengegangenes zu überwinden und trotzdem zu einem großen Erfolg zu kommen. An dieser Stelle darf ich insbesondere den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages aus den letzten Jahrzehnten und auch unserer heutigen Wehrbeauftragten Claire Marienfeld herzlich für ihre Arbeit danken.
Die Bundeswehr war von Beginn an eine Bündnisarmee, was ja im Hinblick auf die deutsche Geschichte nicht selbstverständlich war, die wie ein Krater zu Beginn der 50er Jahre die Aufstellung der neuen deutschen Streitkräfte belastete. Eine große Hürde des Mißtrauens mußte von den deutschen Soldaten in dieser neuen Armee überwunden werden.
Herr Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Köhne?
Bitte sehr.
Herr Kollege, Sie haben eben von Menschenführung gesprochen. Was halten Sie von der Menschenführung der Feldjägertruppe, die in ihrem Schlachtruf „Knüppel frei" zum Ausdruck gekommen ist?
Ich weiß nicht, woher Ihre profunde Kenntnis der Feldjägertruppe stammt.
Ich bestreite, daß es bei den Feldjägern in der Bundeswehr üblich ist, sich mit derartigen Parolen im täglichen Dienst zu beschäftigen.
Es ist schon bezeichnend, Herr Kollege, daß Ihnen in einer solchen Debatte, in der es darum geht, den Soldaten für 40 Jahre Frieden und Freiheit Dank zu sagen, nichts Besseres als eine derartige Parole einfällt.
Mit der Wiedervereinigung unseres Volkes, meine Damen und Herren, stand nicht nur unser ganzes Volk, sondern insbesondere auch die Bundeswehr vor einer großen Herausforderung. Gerade dort, wo die Gräben der deutschen Teilung und der Spaltung am tiefsten waren, dort, wo man in der ehemaligen NVA durch eine gezielte Erziehung zum Haß versucht hatte, die Menschen gegeneinander aufzubringen, gerade dort mußte es gelingen, sehr schnell zueinanderzukommen. Wir können heute dankbar fest-
Paul Breuer
stellen, daß dies mit der Bundeswehr und in der Bundeswehr sehr schnell gelungen ist.
Das stand ja in keinem Regiebuch. Genausowenig wie es in einem politischen Regiebuch stand, wie die deutsche Einheit hergestellt werden konnte, stand es in keiner Vorschrift der Bundeswehr, in welcher Art und Weise mit deutschen Soldaten, die aus der ehemaligen NVA in die Bundeswehr integriert werden sollten und mußten, umzugehen war. Es waren vielfach schwierige menschliche Begegnungen, die dort stattfanden. Das wird den Kollegen, die die NVA aus der Wendezeit kennen, noch gut in Erinnerung sein. Ich sage noch einmal herzlichen Dank an Rainer Eppelmann, den Abrüstungs- und Verteidigungsminister der DDR in der ersten frei gewählten Regierung.
Es war für uns schon eine ganz besondere Erfahrung und Situation, diesen Menschen, die zum Teil auch mißbraucht worden sind, zu begegnen und ihre Fragen zu hören und zu sehen, daß sie damals in eine ungewisse Zukunft gingen.
Ich stelle heute fest: Wir haben aus dieser ungewissen Zukunft für viele in der Bundeswehr eine gute Zukunft auf dem Boden unserer freien Verfassung in unserem freien Bündnis gemacht. Das ist eine tolle Sache, meine Damen und Herren.
Die deutsche Einheit hat uns insgesamt stark herausgefordert, nicht zuletzt auch finanziell. Besser gesagt: Das Wegräumen der Trümmer des Sozialismus hat uns so herausgefordert, auch die Bundeswehr. Die letzten Jahre waren oftmals dadurch geprägt, daß in der Bundeswehr an allen Ecken und Kanten gespart werden muß. Ich denke, wir, Bundeswehr und Politik, haben es geschafft, die Einsatzfähigkeit trotzdem zu bewahren. Aber es gibt auf dem harten Weg des Sparens, Umstrukturierens und Rationalisierens noch große Herausforderungen. Wir haben keine Mark zuviel. Es lohnt, den Schweiß der Edlen zu vergießen, um die neuen Strukturen in der Bundeswehr, die natürlich immer mit menschlichen Herausforderungen befrachtet sind, aufzubauen. Dafür braucht die Bundeswehr unsere Begleitung und unsere Unterstützung.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen gestern abend gegangen ist. Was geht in den Köpfen von deutschen Soldaten vor, die der freiheitlichsten Demokratie dienen, die es auf deutschem Boden je gegeben hat, wenn sie ertragen müssen, daß die Chaoten dort „Mörder! Mörder!" schreien und der freiheitlichste Rechtsstaat nicht in der Lage ist, das zu unterbinden.
Ich habe mich dabei sehr unwohl gefühlt. Das war gestern abend beschämend.
Wir sollten alle Anstrengungen unternehmen, damit das geändert werden kann.
- Hören Sie doch auf, Herr Kollege. Als Mensch auf dem Weg in der Geschichte kann man sich täuschen. Das kann jedem passieren und ist vielen passiert. Aber wenn man sich täuscht und es dann, wenn die Zeiten sich ändern, nicht zugibt und immer noch die alten Platten abspielt, so wie Sie das tun, dann ist das nicht in Ordnung. Das muß deutlich gesagt werden.
Ich will noch einmal auf gestern abend eingehen.
- Ja, das war ein großes Erlebnis. Schade, daß Sie nicht dabei waren. Nur, man hätte dann befürchten müssen, daß Sie sich auch dort danebenbenehmen, Herr Kollege Fischer.
DIE GRÜNEN]): Da haben Sie mal keine
Sorgen!)
Vor uns stand gestern die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Ich und andere auch hatten Gelegenheit, sie bei ihrer Reaktion auf diese beschämenden Rufe zu beobachten.
Ich hoffe, daß dieses Erlebnis von gestern abend ein Stück mit dazu beigetragen hat, daß eine Änderung in dieser Beziehung erfolgen kann.
Ich will jetzt noch eines feststellen - mich animieren diese Zwischenrufe natürlich ganz besonders:
Was die deutschen Soldaten tun, das tun sie in unserem Auftrag. Das beschließt das deutsche Parlament. Es gibt den Primat der Politik. Wer „Mörder! Mörder!" ruft, der beleidigt nicht nur die Soldaten, sondern insbesondere auch das freigewählte Parlament der Bundesrepublik Deutschland.
Herr Kollege Breuer, Sie müssen zum Abschluß Ihrer Ausführungen kommen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam die Bundeswehr, die jungen Menschen in unserem Lande, die wir als Wehrpflichtige in der Zukunft benötigen, auf ihrem Weg für eine freiheitliche Demokratie in diesem Lande und in einem freiheitlichen Europa unterstützen!
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Angelika Beer.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dr. Kohl, Sie haben sich gestern einen wahrscheinlich lang gehegten Wunsch mit der Inszenierung des Großen Zapfenstreichs anläßlich des 40. Jahrestages der Bundeswehr erfüllt. Im Bonner Hofgarten haben Sie sich im Mittelpunkt des Fackelscheins postiert.
Mit einem Riesenaufgebot an Polizisten und einem faktischen Ausnahmezustand am gestrigen Nachmittag und Abend in der Bonner Innenstadt
haben Sie die Rahmenbedingungen geschaffen, um Ihr Bekenntnis zur Remilitarisierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg
und Ihr Bekenntnis zum Zwangsdienst zu vertreten.
Wir Grünen haben nach ausführlicher Diskussion, in der es einzelne durchaus lesenswerte Stellungnahmen gab, Ihre Einladung zur Teilnahme an diesem Zapfenstreich abgelehnt. Ich freue mich ganz besonders, daß die grüne Oberbürgermeisterin in Bonn
sämtlichen Diffamierungsversuchen im Vorfeld widerstanden hat und ein Grundrecht der freien, demokratischen Grundordnung, das heute so oft schon zitiert worden ist, nämlich das Recht auf Demonstrationsfreiheit und freie Meinungsäußerung, hochgehalten und die Demonstrantinnen und Demonstranten gestern abend begrüßt hat.
Ich möchte aber trotzdem feststellen, daß die Diffamierungen im Vorfeld und das Bedrohungsszenario, das aufgebaut worden ist, weil versucht werden sollte, diesen pompösen Zapfenstreich, der einer ganz schlechten militaristischen preußischen und dann auch deutschen Tradition entstammt, zu verhindern, mich an die Diffamierung der Friedensbewegung damals erinnern. Wir, die wir gestern abend dort gestanden haben - ich rede nicht von denen, die „Mörder" geschrieen haben; ich halte davon überhaupt nichts und weise das zurück-,
waren dort, weil wir zu der Tradition der Friedensbewegung stehen, die von diesem Platz, dem Hofgarten, 1981 und auch danach weltweit Signale gegen die atomare Aufrüstung, gegen die Militarisierung gesendet hat, und sie heute mit einem demokratischen und friedensbewegten Protest verteidigen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute in die Diskussion zum vierzigjährigen Bestehen der Bundeswehr einen Antrag eingebracht, in dem wir die weitere drastische Reduzierung der Bundeswehr fordern und uns dafür einsetzen, die jetzt stattfindende Umrüstung zu einer Armee, die auf mögliche weltweite Kampfeinsätze vorbereitet wird, zu beenden. Wir werden heute gegen den Antrag auf Reduzierung der Wehrdienstzeit auf zehn Monate stimmen, nicht weil wir gegen die Reduzierung sind, sondern weil wir für die Abschaffung der Wehrpflicht sind, weil wir meinen, daß jede Art von Zwangsdienst beendet werden muß.
Wir würdigen die Leistungen der Zivildienstleistenden - die Sie, Herr Scharping, heute nicht einmal mit einem Satz erwähnt haben -,
aber wir meinen, daß dies kein Zwang sein darf. Wir sind für freiwillige zivile Dienstleistungen. Die j gen Leute dürfen nicht unter Zwang - und dann auch noch mit Ungleichberechtigungen - eingezogen werden.
In Richtung von Frau Ministerin Nolte, aber auch der F.D.P., die heute sicherlich noch die Gelegenheit nutzen wird, endlich die Einbeziehung der Frauen in die Bundeswehr hier einzufordern,
sage ich: Dieser fehlverstandene Feminismus und
diese fehlverstandene Emanzipation treffen auf unse-
Angelika Beer
ren massiven Widerstand, aber nicht nur auf unseren, sondern auch auf den der Gesellschaft.
Frau Ministerin Nolte, Sie haben gestern betont, gerade die Frauen hätten einen wesentlichen Anteil am Aufbau der Bundeswehr. Das ist aus meiner Sicht ein Schlag ins Gesicht der Trümmerfrauen, die die Trümmer des Faschismus in Deutschland weggeräumt haben.
Diese Frauen haben einen wichtigen Anteil an einer antimilitaristischen und friedlichen Grundüberzeugung in unserer Gesellschaft.
Nun sind es wahrscheinlich gerade diese Grundüberzeugungen, die durch die Strategien der Bundesregierung scheibchenweise revidiert werden sollen. Das, was uns heute so schön unter „militärischer Handlungsbereitschaft", „Verantwortung der Bundeswehr" , „Souveränität Deutschlands" und „internationalen Verpflichtungen" verkauft wird, ist nichts anderes als das, was im Rahmen dieser Krisenreaktionskräfte konstruiert wird: Sondereinheiten, Führungszentren, die schon in Richtung Generalstab gehen, und weltweite Kampfeinsätze. Unter diesen Voraussetzungen werden rigide Jubelveranstaltungen zum Geburtstag der Bundeswehr durchgezogen.
Wer als Soldat durch Gelöbnis oder Eid bekundet hat, unserer Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht auf Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, der braucht in der Tat die Unterstützung aller gesellschaftlichen und demokratischen Kräfte: um sein Grundrecht auf Verweigerung durchzusetzen, und sei es nachträglich, wenn er für eine Politik der nationalen Interessendurchsetzung mißbraucht wird.
Symptomatisch sind die Verstärkung der militärischen Komponenten der Außenpolitik, die Demontage des Blauhelmkonzeptes der Vereinten Nationen.
Hier sind Sie, Herr Rühe, federführend. Sie haben z. B. im „Spiegel" gesagt: Nie wieder Blauhelme alleine; die Grünhelme müssen immer dabeisein, damit man sich notfalls wirksam schützen und durchsetzen kann. - Sie sind derjenige, der das Konzept einer vernünftigen Peace-keeping-Operation, die wir durchaus für richtig halten, abbaut und zu militarisieren versucht, der alleine der NATO die Entscheidungsbefugnis zu Kampfeinsätzen zugestehen will und der UNO das Mäntelchen der politischen Unfähigkeit umzuhängen versucht. Für diese Unfähigkeit sind Sie verantwortlich, weil unsere finanziellen Ressourcen verschwendet werden, um Riesenprojekte wie den Jäger 90 zu finanzieren und Krisenreaktionskräfte auszurüsten, während der UNO und auch der OSZE nicht genügend Geld zur Verfügung gestellt wird.
Ich möchte das Wort - auch heute oft gebraucht -„Bündnisfähigkeit" erwähnen. Bündnisfähigkeit wird uminterpretiert. Die Möglichkeit der einseitigen Abrüstung - das darf man heute schon gar nicht mehr benennen - wird als Gefahr eines Weges in die Isolierung der deutschen Außenpolitik und als Gefahr eines deutschen Sonderweges diffamiert. Diese Wortwahl ist typisch für den demagogischen Diskussionsmarathon der letzten Wochen. „Sonderweg" ist die Bezeichnung für den preußischen und deutschen Militarismus, der in diesem Jahrhundert zu den zwei Weltkriegen und zum deutschen Nazismus geführt hat. Wenn sich jemand in diese Tradition stellt, dann sind es nicht die Abrüstungsbefürworter, sondern diejenigen, die gestern den Großen Zapfenstreich abgehalten haben.
Wir möchten - auch mit unserem Antrag - darauf hinweisen, daß noch Zeit für eine Kurskorrektur der deutschen Außenpolitik ist. Wir möchten deutlich machen, daß es einen finanziellen, vor allen Dingen aber den politischen Spielraum gibt - wenn der Wille vorhanden ist; ich sage das gerade im Blick auf die jetzigen Konflikte und die sich anbahnenden Konflikte in Europa, aber auch darüber hinaus -, die zivilen Strukturen endlich mit den Mechanismen der frühzeitigen Konfliktlösung zu versehen und diese Mechanismen auch zum Einsatz zu bringen.
Ich spreche von der Stärkung der OSZE, von der Stärkung der Vereinten Nationen, von der Stärkung konfliktschlichtender Blauhelmkonzeptionen und der Verantwortung der Vereinten Nationen und nicht von „peace enforcement" oder „peace implementation" , die zur Zeit dauernd in den Vordergrund gedrängt werden.
Diese zivilen Strukturen sind in unserer Gesellschaft mehrheitlich gewollt. Das zeigen nicht nur die Umfragen; das zeigen auch die Wahlergebnisse. Schauen Sie sich doch an, woher Sie Ihre Wählerstimmen bekommen. Wer von den Jugendlichen unter 20 Jahren teilt denn Ihre Vorstellungen von der Bundeswehr? Diese Jugendlichen haben die Courage, zu verweigern und Zivildienst zu leisten. Für sie treten wir ein, wenn wir die Abschaffung der Wehrpflicht fordern.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt, daß der Große Zapfenstreich dem Ziel einer
Angelika Beer
friedlichen gesellschaftlichen Außenpolitik widersprochen hat. Wer keinen Krieg führen will, wer die Menschen nicht zum Kriegführen motivieren will, braucht diese Rituale nicht. In diesem Sinn: Helm ab zur Abrüstung!
Frau Kollegin Beer, gestatten Sie eine Nachfrage des Kollegen Geißler, wenn Sie schon keine Zwischenfrage zulassen wollen?
Eine Nachfrage?
Eine Zwischenfrage.
Ich gestatte die Zwischenfrage, wenn sie nicht auf die Redezeit unserer Fraktion angerechnet wird. Meine Redezeit ist vorbei; deshalb muß ich das sagen.
Frau Kollegin Beer, da in fast allen Staaten der Welt Wehrdienstverweigerer rechtlich nicht anerkannt werden, teilweise im Gefängnis landen, in Irrenhäuser verbracht, zur Zwangsarbeit verurteilt werden, zur Zeit der Friedensbewegung 1982, 1983 und 1984 friedensbewegte Bürgerinnen und Bürger in den Diktaturen des Ostens verhaftet und unterdrückt worden sind und wir in Deutschland als einziger Staat das Recht auf Wehrdienstverweigerung - ebenso wie das Demonstrationsrecht - in der Verfassung verankert haben, frage ich Sie: Würden Sie nicht bitte einmal anerkennen, daß dieser Staat gerade deswegen verteidigungswert ist und daß Sie damals Ihre Demonstrationen nur deswegen durchführen konnten, weil es die Bundeswehr und die NATO gibt?
Herr Kollege Geißler, ich würde mir wünschen, daß Sie Grundrechte, die bei uns in der Tat weitgehender sind als in anderen Staaten, vor allen Dingen aber auch weitgehender sind als in NATO-Mitgliedstaaten, gegenüber unseren Bündnispartnern genauso massiv vertreten. Sorgen Sie dafür, daß die Kriegsdienstverweigerer in der Türkei nicht inhaftiert und in den Knast gesperrt werden!
Sorgen Sie dafür, daß dieses Grundrecht zu sagen: wir sind nicht bereit zur Ausübung des Dienstes an der Waffe, wir sind nicht bereit, einen tatsächlich stattfindenden Mord an der kurdischen Bevölkerung
mit dem Gewehr zu begehen und auf sie zu schießen, überall eingehalten wird!
Sorgen Sie dafür, daß bei uns die Demokratie aufrechterhalten wird und daß die Kriegsdienstverweigerer nicht aus den eigenen Reihen ständig diffamiert und als Drückeberger hingestellt werden!
Dieses Grundrecht zu verteidigen heißt noch lange nicht, Zwangsdienste zu etablieren. Darüber sind wir in unserer Gesellschaft hinaus. Wir haben in Deutschland infolge unserer historischen Erfahrung allen Grund, mit gutem Beispiel voranzugehen und die Verpflichtung, den Dienst an der Waffe zu leisten, endlich zu streichen.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerhardt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einen entscheidenden Unterschied zu der eben vorgetragenen Position der Kollegin gleich vorweg: Unserem Land wird heute international großes Vertrauen entgegengebracht. Das ist das Verdienst vieler, vieler in der Gesellschaft und vieler Bürger. Aber es ist auch das Verdienst unserer Soldaten, weil sie zum erstenmal in der Geschichte unseres Landes international als Verteidiger einer Demokratie angesehen werden.
Deshalb gehören bei einem solchen Jubiläum unsere Soldaten, auch wenn sie ihren Dienst ansonsten in Kasernen und anderswo versehen, auf die Plätze der Demokratie, wie gestern abend.
Sie brauchen sich dafür nicht zu entschuldigen; sie können sich dort im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen. Denn auch sie haben eine Gewissensentscheidung getroffen: Sie haben sich mit ihrem Gewissen verpflichtet, notfalls mit der Waffe in der Hand Freiheit und Leben von Menschen einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft zu verteidigen, und dafür danken wir ihnen.
Auch sie dienen dem Frieden. Kein Soldat wünscht sich mehr Frieden als der, der sich bewußt entscheidet, seine Pflicht nach der Verfassung zu erfüllen.
Der Aufbau und die Organisation der Bundeswehr vor 40 Jahren haben auf einem ganz anderen Hintergrund begonnen, als wir das in der Geschichte unseres Landes gewohnt waren. Es kam zur demokratischen Einbettung der deutschen Streitkräfte in eine
Dr. Wolfgang Gerhardt
freiheitliche und offene Gesellschaft. Wir sprechen doch deswegen vom Staatsbürger in Uniform. Wir wissen, daß die Bundeswehr zum erstenmal in der Geschichte unseres Landes ihrem Auftrag verpflichtet ist, niemand anderen anzugreifen, sondern uns in den Grenzen unseres Staatswesens zu verteidigen, für das wir uns eine Verfassung gegeben haben.
Wir wissen doch auch, daß heute Befehl, Gehorsam und Disziplin, militärische Führung in Form der inneren Führung, zum erstenmal in der Geschichte unseres Landes nicht mehr einer überhaupt nicht demokratisch legitimierten Führungspersönlichkeit dienen, sondern im Grunde einer demokratischen Wertegemeinschaft verpflichtet sind. Das ist ein gewaltiger Unterschied, den wir jetzt erleben dürfen. Deswegen muß man sich bei solchen Jubiläen dieser entscheidenden Grundlagen immer wieder bewußt werden. Das war die entscheidende Grundlage für die Akzeptanz der Bundeswehr in unserer Gesellschaft. Das war auch die entscheidende Grundlage für ein anderes, ein neues Bild eines deutschen Soldaten, das sich deutlich von dem unterscheidet, das andere vorher abzugeben gezwungen wurden.
Das ist die Chance auch für die Zukunft. Denn die Bundeswehr hat zwei ganz kritische, aber wichtige Aufgaben bewältigt, die man nach 40 Jahren nennen muß: Das war erstens zum erstenmal in der Geschichte unseres Landes die erfolgreiche Einbindung einer deutschen Armee in eine offene, demokratisch verfaßte Gesellschaft, und das war zweitens die Gewährleistung einer glaubwürdigen Landes- und Bündnisverteidigung gemeinsam mit unseren Verbündeten, ohne die der Wiederaufbau und die Wiedervereinigung unseres Landes in Frieden und Freiheit nicht möglich gewesen wären.
Das war die erste deutsche Armee, die nicht auf Sonderwege geführt und nicht in Abenteuer geschickt wurde, sondern die in die Demokratie eingegliedert war. Das ist die gewaltige Leistung von vielen Soldaten. Sie haben für uns international Vertrauen und Ansehen gewonnen. Dafür danken wir alle.
Für die Freie Demokratische Partei sage ich den Soldatinnen und Soldaten, den Beschäftigten der Bundeswehr und auch den Bürgerinnen und Bürgern, die das so wie wir sehen, Dank für ihre Arbeit, für ihre Zustimmung und für die Schaffung der Akzeptanz der Armee.
Wir sind auch durch Soldaten, durch ihren Umgang mit Soldaten anderer Nationen in der Bündnispolitik eigentlich schon viel früher, als der Zwei-plusVier-Vertrag das festgemacht hatte, aus einem Objekt der Geschlagenen zu einem geachteten Bündnispartner geworden. Viel früher haben wir Respekt gehabt, als das ein Zwei-plus-Vier-Vertrag ausdrükken kann. Das ist die ganz deutliche Leistung der Bundeswehr.
Wir haben in diesem Jahr viele Gedenkmomente, die zwischen epochemachenden Ereignissen - dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Vereinigung unseres Landes - der deutschen Nachkriegsgeschichte liegen. Wir müssen aufpassen, daß sie in diesem schnellen Ablauf nicht ein Stück geschichtliche Normalität werden, ohne daß wir uns vergewissern, warum diese Schlüsselentscheidungen und -ereignisse deutscher Geschichte uns das Glück beschert haben, heute hier so leben zu können.
Wir müssen schon ein Stück Vergewisserung betreiben, weil auch auf die neuen Herausforderungen immer ein Fingerzeig aus abgelaufenen Zeiten wichtig ist. Entscheidend ist, daß die Einbindung Deutschlands in die westliche Wertegemeinschaft und das transatlantische Verteidigungsbündnis die große politische Grundentscheidung dieses Landes waren, an der wir festhalten wollen.
Wir wissen heute, daß die Westintegration und die Bündnisfähigkeit der alten Bundesrepublik im geteilten Deutschland Garant für die heutigen Chancen sind. Wir sollten unseren Frieden damit machen. Erhard Eppler hat in einer früheren Feierstunde zum 17. Juni einmal in einem Vortrag zur Versöhnlichkeit zwischen den politischen Grundströmungen dieses Landes aufgerufen.
Es ist wahr, daß die Grundentscheidung Konrad Adenauers, damals von der sozialdemokratischen Partei heftig befehdet, richtig war. Ich sage das als Freier Demokrat sehr gelassen, weil wir diese Entscheidung gestützt haben. Aber ich erinnere eine andere große politische Kraft daran, daß auch die ersten Schritte auf die osteuropäischen Nachbarn zu, für deren Unterstützung die Freien Demokraten fast mit ihrer Existenz eine Bundestagswahl verloren hätten, dazugehören.
Jede politische Grundströmung könnte ihren Beitrag auch anläßlich einer solchen Situation positiv herausstellen. Es ist nicht nötig, darüber zu streiten.
Es gibt Leistungen, die das gemeinsam möglich gemacht haben.
Für die Koalition ist heute wichtig, zu sagen: Ich habe den Eindruck, daß im Kern das Bewußtsein, daß dieses Land das Vertrauen der anderen Länder durch Bündnisfähigkeit braucht und daß wir deshalb international handlungsfähig sein müssen, daß wir mit unseren Partnern zusammen notfalls anderen entgegentreten müssen, nicht überall beheimatet ist. Deshalb erinnere ich daran: Dieses Land muß international in Rechten und Pflichten bündnisfähig und verantwortungsfähig sein.
Das ist der Kern des Lernens aus der Geschichte. Deshalb glaube ich, man kann nicht durch Weg-
Dr. Wolfgang Gerhardt
schauen abtauchen, wenn es auf bestimmte Entscheidungen ankommt. Wer dieses Land regieren will, muß wissen, welche Geschichte dieses Land hat und welche Pflichten der Regierung dieses Landes auferlegt werden.
Wer diese Frage nicht beantworten kann, der kann hier nicht sitzen. Deshalb sitzen der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister für uns zu Recht hier. Denn das ist die positive Grundentscheidung in der Politik Deutschlands.
Ich will für die Freien Demokraten eine Grundentscheidung ausdrücklich befürworten. Die gesellschaftliche Einbettung und die Akzeptanz der Bundeswehr wären ohne die allgemeine Wehrpflicht so nicht denkbar gewesen. Sie ist die entscheidende Klammer zwischen einer Gesellschaft und den Streitkräften; sie ist zugleich Ausdruck des Willens und der Bürgerpflicht, einen eigenen Beitrag zum Schutz von Demokratie und Freiheit zu leisten.
Allein der Verfassungsrang begründet nicht die hohe politische und moralische Qualität der Wehrpflicht. Viele meinen, nach Wegfall der alten Konfrontation könne man über eine Berufsarmee nachdenken. Die Wehrpflicht wird zunehmend durch eine wachsende Zahl von Zivildienstleistenden in Frage gestellt. Nicht wenige diskutieren viele Modelle einer Freiwilligenarmee oder einer allgemeinen Dienstpflicht als Alternative zur Wehrpflicht. Ich meine und sage das für die F.D.P.: Diese Entwicklungen dürfen nicht vom politischen Kern der Wehrpflichtfrage ablenken, wer nämlich in unserem Land die Verantwortung für die Verteidigung trägt. Für mich gibt es eine ganz klare Antwort: Die Verteidigung unserer Freiheit muß auch in Zukunft die Angelegenheit aller bleiben.
Der Schutz von Freiheit und Recht ist nicht ausschließlich als Leistung von Berufssoldaten zu verstehen. Theodor Heuss hat die Wehrpflicht deshalb zu Recht als legitimes Kind einer Demokratie bezeichnet. Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat sie als konstitutives Merkmal unserer Streitkräfte genannt.
Wir sprechen uns für die Beibehaltung der Wehrpflicht aus. Sie ist Ausdruck des Willens einer Demokratie, die Verteidigung der Freiheit als ständige Aufgabe in der gesamten Gesellschaft zu verankern. Wir werden den Gedanken an Wehrpflicht nicht aufgeben, nur weil es schwieriger geworden ist, eine Wehrpflichtarmee zu organisieren.
Wehrpflicht und Wehrgerechtigkeit sind zwei Seiten einer Medaille. Wir müssen Wehrgerechtigkeit gewährleisten. Es ist deshalb Aufgabe der Politik, den Wehrdienst deutlich zu verbessern, immer wieder qualifizierten und motivierten Nachwuchs sicherzustellen.
Es ist wichtige Aufgabe in einer Demokratie, andere Meinungen zu respektieren. Es ist überhaupt keine Frage, daß Zivildienstleistende einen harten
Job versehen, daß sie Wertvolles für unsere Gesellschaft leisten. Wir respektieren ausdrücklich die Gewissensentscheidung eines Zivildienstleistenden.
Wir akzeptieren auch seinen Beitrag für eine freiheitliche Gesellschaft. Wir wehren uns nur in einem: daß über die Gewissensentscheidung so geredet wird, als wären manche das Gewissen selbst. Auch die Soldaten haben Anerkennung verdient, weil sie die gleichen Ziele der Friedenserhaltung wie die Zivildienstleistenden mit anderen Mitteln verfolgen.
Deshalb darf sich eine Gesellschaft in diesen Diskussionen nicht spalten lassen. Auch unsere Soldaten dienen dem Frieden.
Die Bundeswehr hat als Armee der deutschen Einheit in den letzten fünf Jahren die zweite große Aufbauleistung ihrer Geschichte gemeistert. Sie hat mit unglaublichem Engagement, mit viel menschlichem und kameradschaftlichem Einsatz, einen Vereinigungsprozeß ganz konkret vollzogen. Es mag im Bereich der Wirtschaft über Joint-ventures diskutiert werden, über den Kauf eines Betriebes. In der Bundeswehr haben bei dieser gewaltigen Leistung in bezug auf die ehemalige NVA Personen täglich nebeneinander diesen Vereinigungsprozeß leisten müssen. Das ist eine gewaltige Leistung der deutschen Soldaten,
auch in einer massiven Verkleinerung von über 600 000 auf demnächst 340 000 Soldaten, mit vielen Umzügen, mit Belastungen, mit familiären Problemen. Es gibt angesichts vieler Saturiertheiten einer freiheitlichen Gesellschaft in unserem Land kein Berufsbild, das Veränderungen mit diesem Tempo in einem solchen Pflichtgefühl wie die deutschen Soldaten in dieser Zeit auf sich genommen hat.
Dafür müssen wir den gesamten Familien Dank und Anerkennung aussprechen.
Fünf Jahre deutsche Einheit - das bedeutet außen- und sicherheitspolitische Souveränität. In diesen fünf Jahren hat sich Deutschland seiner gewachsenen internationalen Verantwortung für den Frieden erfolgreich gestellt. Dieser Prozeß ist angesichts der Rückkehr von Gewalt, Haß und Nationalismus und eines brutalen Terrors in der Mitte Europas noch nicht am Ende.
Wir wollen eine Kultur der Zurückhaltung üben. Sie beruht auf der historischen Erfahrung zweier Weltkriege. Sie wird auch in Zukunft, wie das der Bundesaußenminister immer ausführt, unser internationales Engagement bestimmen. Aber Zurückhaltung und Gewaltverzicht können nicht am Ende bloß Wegschauen bedeuten.
Deshalb sage ich auch hier: Die Entscheidung in der Bosniendebatte, die wir in diesem Haus geführt
Dr. Wolfgang Gerhardt
haben, eine der neuen Schlüsselentscheidungen der deutschen Politik, die sich, die sie befürwortet haben, gegenüber den Soldaten nicht leichtgemacht haben, war schwierig, aber sie war doch - das wiederhole ich hier - richtig. Sie hat eben nicht, wie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damals behauptet hat, zu einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik geführt. Sie hat auch nicht, wie die Mehrheit der SPD damals behauptet hat, zu einer Eskalation der Gewalt geführt. Die Entscheidung, die wir mit anderen getroffen haben, hat dazu geführt, daß zum erstenmal die Chance eines Friedensprozesses in BosnienHerzegowina eröffnet wird. Das ist die Wahrheit nach diesen Tagen.
Das wird später als eine große Schlüsselentscheidung des deutschen Parlaments bewertet werden; ich sehe das jedenfalls so.
Ich glaube, wir haben Glück gehabt, daß wir in unserem Land wichtige Grundentscheidungen in Kernfragen nach langer und kontroverser Beratung immer einigermaßen richtig getroffen haben. Auch diese Entscheidung, die die Bundeswehr betrifft, ist richtig getroffen worden; denn glaubwürdige Friedenswahrung muß in letzter Konsequenz auch die Bereitschaft zum Kampfeinsatz beinhalten. Das Völkerrecht kann sich nicht selbst schützen. Es muß von denen geschützt werden, die es tragen. Oder es wird nicht geschützt, und es wird nirgends mehr respektiert.
Wir wollen dort möglichst schnell zu einem Friedensschluß kommen. Der Bundesaußenminister, der Bundesverteidigungsminister und der Bundeskanzler müssen wissen: Sie haben die Unterstützung der F.D.P. bei einer deutschen Beteiligung an der vorgesehenen NATO-Friedenstruppe. Ich wünsche mir, daß der dann dafür notwendige Beschluß des Bundestages mit größerer Mehrheit gefaßt wird als der damalige Beschluß. Das wäre für die Soldaten als entscheidendes Signal der Politik in Deutschland wichtig.
Meine Damen und Herren, als dieses Land zusammengebrochen war, war die erste Forderung: Niemals wieder Krieg! Der europäische Aufbau und unser eigener Umgang mit dem Bündnis haben dazu geführt, daß wir in einer Stabilitätsgemeinschaft leben. Wir müssen alles versuchen, um Konfrontation und Renationalisierung in Europa zu verhindern. Das wird auch in Zukunft Ziel der Außenpolitik bleiben müssen. Wir werden das in engerer Abstimmung und in stärkerer gesamteuropäischer Verantwortung und Orientierung in Europa wahrnehmen müssen.
Für diese Aufgabe ist in Zukunft eines unverzichtbar: Man kann Frieden nicht schützen, man kann Menschen nicht helfen, wenn man nicht über Soldaten verfügt.
Die Bundeswehr hat Zukunft. Sie muß wissen, daß sie sich auf die politische Unterstützung der F.D.P. und der Koalition bei ihrem gewachsenen, klaren,
schwieriger gewordenen, aber demokratischen Auftrag verlassen kann.
Wer Freiheit verwirklichen und schützen will, braucht Macht. Niemals wurde das dramatischer erfahren als beim ersten Versuch einer Verfassungsgebung in Deutschland in der Paulskirchenversammlung.
Eine Demokratie braucht Streitkräfte. Unsere Soldaten sind dazu da, uns, unsere Gesellschaft in ihrer freiheitlichen Verfassung in den Grenzen unseres Landes zu verteidigen. Sie werden auch bei der Erfüllung ihrer neuen, internationalen Aufgaben das bleiben, was sie 40 Jahre für uns gewesen sind: Soldaten in der Bundeswehr, eine Armee der Freiheit und der Demokratie. Wir danken ihnen.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Graf von Einsiedel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Gerhardt, auch ich fürchte, das wird eine Schlüsselentscheidung des Parlaments sein. Wir können uns an andere, ähnliche Schlüsselentscheidungen erinnern, z. B. an die Bewilligung der Kriegskredite 1914. Hoffentlich wird diese Schlüsselentscheidung nicht solche Folgen haben.
Die große Mehrheit dieses Hauses feiert heute den 40. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr. Aber ich und die Fraktion, für die ich hier spreche, können sich diesen Festreden nicht anschließen.
- Ja, keine Fraktion, ich weiß. Für mich sind wir eine Fraktion. Ihre Geschäftsordnungstricks, die uns benachteiligen, interessieren mich nicht.
Fast 90 % der heutigen Mitglieder des Hauses waren damals, als die Wiederbewaffnung Deutschlands beschlossen wurde, höchstens Teenager oder noch jünger. Sie sind alle - ob sie nun in der Bundesrepublik oder in der DDR erwachsen geworden sind - in einem politischen Umfeld, in einem politischen Klima herangereift, das vom kalten Krieg geprägt war, von der Vorstellung, daß die militärische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion unvermeidlich oder doch nur durch die Politik der militärischen Stärke zu verhindern sei. Aber sie sind meistens nicht genug herangereift, um dieses Geschichtsbild einmal zu hinterfragen.
Ich will gar nicht bestreiten, daß die Sowjetunion mit ihrer Politik nach dem Sieg über Hitler-Deutschland viel Anlaß geliefert hatte, diese Einschätzung der Lage in Europa mit anscheinend unwiderleglichen Argumenten zu untermauern. Wer wie ich damals und noch heute die Lage anders einschätzte, galt bestenfalls als nützlicher Idiot, wenn nicht gar als Schlimmeres. Aber ich habe sie anders eingeschätzt, nicht weil ich gegenüber der Sowjetunion
Heinrich Graf von Einsiedel
blauäugig gewesen wäre, sondern weil ich sie besser kannte.
Die Unterwerfung der durch die Rote Armee unter ungeheuren Blutopfern auf beiden Seiten von der Hitler-Wehrmacht befreiten Länder zu Satellitenstaaten der Sowjetunion war aus der Angst geboren, aus einem tiefsitzenden Unterlegenheitsgefühl, aus dem Schock, daß der Vernichtungsfeldzug der Wehrmacht gegen die Sowjetunion um ein Haar, wie Stalin selber eingeräumt hat, erfolgreich gewesen wäre. Diese Satellitenstaaten sollten ein Glacis für die Festung Sowjetunion bilden, ein Vorfeld ihrer Verteidigung, keine Absprungbasis für weitere Aggressionen.
Die Drohung, Westdeutschland, die Bundesrepublik, wiederzubewaffnen hatte zunächst Erfolg: Stalin lenkte ein. Er bot einen Friedensvertrag mit Deutschland an, die Wiedervereinigung unter der Bedingung, daß das wiedervereinigte Deutschland sich keinem gegen die Sowjetunion gerichteten Militärpakt anschließen dürfe und die Oder-Neiße-Linie anerkennen müsse. Dieses Angebot kam sicher sehr spät. Aber war der Westen nicht sowieso längst entschlossen, den kalten Krieg zu führen und die Sowjetunion so lange unter militärischen Druck zu setzen, bis sie aufgab? Wie dem auch gewesen sein mag: Daß dieses Angebot der Sowjetunion nicht einmal in Verhandlungen auf seine Stichhaltigkeit hin überprüft worden ist, halte ich für einen unverzeihlichen, schlimmen Fehler der Außenpolitik Adenauers.
Wir haben damals ohne Not die Menschen in der DDR im Regen stehenlassen, und wir haben sie die Hauptlast dieses Krieges, nämlich die Reparationen an die Sowjetunion, zahlen lassen. Für mich waren die Bedingungen dieses Angebots annehmbar. Es hätte uns 40 Jahre Spaltung, 40 Jahre kalten Krieg und vielleicht 2 Billionen DM Rüstungskosten ersparen können. Wir hätten dabei sogar eine Bundeswehr zur eigenen Verteidigung haben dürfen, nicht zur Vorwärtsverteidigung, wie man die Angriffsfähigkeit der Bundeswehr umschreibt, und auch ohne weltweit einsatzfähige Krisenreaktionskräfte, wie man sie jetzt aufbauen will. Aber das wäre ja schon mehr als genug gewesen, jedenfalls für mich.
Ich weiß, Sie sind davon überzeugt: Dieses Angebot war nur ein taktisches Manöver, nur ein Trick. Aber, meine Damen und Herren, die Viererbande, wie sie in der Sowjetunion genannt wurde, die bereit war, die DDR gegen die militärpolische Neutralisierung Deutschlands aufzugeben, hat es doch gegeben. Semjonow hat mir das drei Wochen vor seinem Tode in einem Gespräch noch einmal ausdrücklich bestätigt. Er war nicht wenig stolz darauf, im letzten Moment nach Stalins Tod und vor Berijas Liquidierung von diesem Zug abgesprungen zu sein.
In einer Beziehung allerdings kam das Angebot Stalins zu früh, weil niemand im Westen Deutschlands es im Unterschied zum Osten wagen durfte, die Oder-Neiße-Linie anzuerkennen, ohne als Vaterlandsverräter zu gelten. Ich möchte es hier gleich sagen: Die größte politische Leistung, die das deutsche
Volk nach dem Zweiten Weltkrieg vollbracht hat, ist nicht der Entschluß zur Wiederbewaffnung, sondern die Anerkennung dieser Grenze, das Sich-Abfinden mit der massenhaften Vertreibung,
die, selbst wenn man sie als Strafe für die schrecklichen Verbrechen Hitler-Deutschlands ansieht, eine nur sehr schwer zu verkraftende Verletzung der Psyche von Millionen Menschen war. Aber das hat eben Generationen gedauert.
Deshalb kann ich nicht Ihren Optimismus teilen, der möglicherweise bevorstehende, mit Waffengewalt erzwungene Frieden in Ex-Jugoslawien werde bereits in einem Jahr unumkehrbar sein. Die schrecklichen ethnischen Säuberungen in Jugoslawien, die mit deutscher und NATO-Hilfe dort jetzt festgeschrieben werden sollen, werden sich als schwere Hypothek für einen dauerhaften Frieden erweisen.
Doch zurück zur Bundeswehr. In Ihren Augen war die Wiederbewaffnung die Grundlage des Friedens in den letzten 40 Jahren. Woher Sie aber wissen wollen, ohne diese Wiederbewaffnung hätte es Krieg in Europa gegeben, bleibt Ihr Geheimnis.
In meinen Augen war der Entschluß zur Wiederbewaffnung eine höchst risikovolle Provokation der Sowjetunion. Sie war nämlich das einzige Motiv, das die Sowjetunion für eine Aggression gegen Westeuropa hätte haben können, zumal die Wiederbewaffnung von recht aggressiven Attitüden begleitet war.
Erinnern Sie sich nicht mehr an die Sprüche vom Rollback der Sowjetunion bis an den Ural aus Ihren Reihen, an die Plakate der F.D.P. „Niemals Deutschland dreigeteilt", an all die großen Kundgebungen der Vertriebenenverbände, auf denen die Redner der beiden großen Parteien dem deutschen Volk versprachen, daß Wroclaw wieder Breslau heißen werde, daß Pommern, Schlesien und Ostpreußen wieder deutsch sein würden?
Unter diesen Umständen sollten die Polen und die Sowjetunion keinen Grund zu der Befürchtung haben, die Deutschen könnten doch noch einmal zur Revanche antreten? Das konnten doch nur die glauben, die vollkommen verdrängt hatten, was die Wehrmacht und die SS im Osten angerichtet hatten. Statt so stolz auf die Wiederbewaffnung zu sein, sollten Sie lieber wie der Reiter über den Bodensee zurückschauen.
Glauben Sie etwa, es war ein Zufall, daß der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie in Polen als erster Schritt die Gründung der Solidarność auf dem Fuße folgte, nämlich als die Polen nicht mehr das Gefühl hatten, sie müßten sich fest an die Sowjetunion anklammern, um diese Grenze zu sichern?
Auch bitte ich Sie, einmal darüber nachzudenken, ob die Wiederbewaffnung Deutschlands nicht eine sehr entscheidende Ursache für das Ausbleiben jeder
Heinrich Graf von Einsiedel
tieferen Reform oder Perestroika nach Stalins Tod in der Sowjetunion gewesen ist. Unter dem militärischen Druck von außen und der Bedrohung, unter der sich die Menschen dort genauso wie im Westen fühlten, war es eben für die Machthaber dort nicht leicht - jedenfalls haben sie es nicht gewagt -, Reformen einzuleiten, die zunächst immer auch eine Schwächung der zu reformierenden Strukturen darstellen.
Sie sind übrigens auf dem besten Weg, diesen Fehler jetzt zu wiederholen, nämlich mit der NATO-Erweiterung, mit dem militärischen Druck, den Sie jetzt wieder auf Rußland, das sich in einem allerschwierigsten Reformprozeß befindet, ausüben.
Sie machen sich offenbar nicht die Mühe, oder Sie sind unfähig, sich einmal in die Schuhe des vermeintlichen Gegners zu stellen. Rußland ist heute als Großmacht in Europa um Jahrhunderte, fast in die Zeit vor Peter dem Großen zurückgeworfen. Die Russen haben große Teile ihres in Jahrhunderten gewachsenen Imperiums aufgegeben. Was für Demutsgebärden erwarten Sie eigentlich noch? Sollen sie den Kreml an Walt Disney verkaufen, um die Unterwerfung komplett zu machen?
Ihre Außenpolitik ist leider viel zu stark vom Denken in militärischen statt in politischen Kategorien befangen.
Noch eine Bemerkung kann ich Ihnen nicht ersparen. Nicht nur die Sieger über Hitler, sondern auch viele Menschen meiner Generation waren aus der schrecklichen Erfahrung, die wir mit unseren Generälen gemacht haben, 1945 der tiefen Überzeugung, wir Deutschen dürften so bald nicht wieder Waffen in die Hand nehmen - das war auch das Ziel des Krieges gegen Hitler-Deutschland -, schon gar nicht unter deni Befehl von Männern, die sich durch den erneuten Ruf zu den Waffen mit dem alten Feindbild Sowjetunion nachträglich noch in ihrem bedingungslosen Gehorsam gegenüber Hitler und seiner verbrecherischen Kriegsführung weitgehend gerechtfertigt und entschuldigt wähnten. In einer Zeit, als noch jeder Widerstand gegen Hitler, nämlich in den 50er Jahren, nicht nur der kommunistische, sondern selbst der der Verschwörer vom 20. Juli, auf die Herr Bundeskanzler Dr. Kohl abgehoben hat, als Verrat angesehen wurde, wo der militärische Gehorsam noch vielen als die höchste Tugend galt, gleichgültig, wem er geleistet wurde, war es ein schwerer Rückschlag für die geistige Gesundung dieses Volkes, seine Söhne wieder in Uniform zu stecken.
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und nach dem Wegfall des vermeintlichen Grundes für die Wiederbewaffnung die nächste Enttäuschung: zunächst Abrüstung, jetzt aber schon wieder verstärkte Rüstung, statt militärischer Zurückhaltung Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Bündnisgebiets, statt Verbot des Rüstungsexports seine ständige Steigerung. Und dann das wilhelminische Primborium des Großen Zapfenstreichs mit denselben
Fackeln, die am 30. Januar 1933 unter dem Brandenburger Tor getragen worden sind.
Wir sagen nein dazu. Stoppen Sie die Militarisierung der Gesellschaft! Lassen Sie uns umkehren in Richtung konsequenter Entmilitarisierung!
Danke sehr.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister Volker Rühe.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst im Namen der ganzen Bundeswehr dem Bundeskanzler für die ehrenvollen Worte, die er an unsere Soldaten gerichtet hat, sehr herzlich danken.
Das erfüllt alle Angehörigen der Bundeswehr, die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter, mit Freude und auch mit Stolz.
Ich bin auch für die vielfältige Zustimmung und Anerkennung aus fast allen Bereichen des Deutschen Bundestages dankbar, denn bis auf PDS und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben alle unseren Soldaten ihren Respekt bezeugt. Das ist wichtig. Diese haben 40 Jahre lang einen großartigen Dienst für unser Land geleistet. Sie tun das tagtäglich weiter. Deswegen ist es wichtig, daß das an einem solchen Tage deutlich wird.
Die Bundeswehr ist die Armee der deutschen Demokratie. Sie ist eine Bündnisarmee, und sie ist eine europäische Armee. Bei diesem Dreiklang wird es bleiben.
Ich möchte ausdrücklich dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, der sich jetzt für einen kurzen Zeitraum entschuldigt hat - das ist völlig in Ordnung -, für die Würdigung danken, die er mit seinem Beitrag der Bundeswehr hat zukommen lassen.
Diese Würdigung muß sich natürlich in der Praxis bewähren und darf nicht nur in Feierstunden geäußert werden. Der jüngste Beschluß der SPD-Fraktion, was Auslandseinsätze angeht, geht in die richtige Richtung. Ich möchte hier unterstreichen, was die Kollegen Gerhardt und Paul Breuer gesagt haben: Für unsere Soldaten ist es ganz wichtig, daß soviel Konsens wie möglich herrscht; denn sie gehen in Einsätze, in denen sie notfalls ihr Leben riskieren. Deswegen
Bundesminister Volker Rühe
brauchen sie hier im Deutschen Bundestag soviel Unterstützung wie irgend möglich.
Herr Scharping hat sich in die Tradition des SPD- Fraktionsvorsitzenden Erler gestellt. Ich habe Herrn Erler damals auch mit großer Begeisterung zugehört, und ich muß sagen, daß es ein großer Anspruch ist, dem gerecht zu werden, daß dies Führungsstärke verlangen wird. Im übrigen habe ich mich auch riesig gefreut, daß jetzt die drei sozialdemokratischen Verteidigungsminister gewürdigt worden sind, daß Helmut Schmidt, Georg Leber und Hans Apel wenigstens im nachhinein eine späte Würdigung erfahren haben.
Als Verteidigungsminister weiß ich, daß es ganz hilfreich ist, wenn man schon unterstützt wird, solange man im Amt ist.
Und weil Sie von der SPD zur Zeit keinen stellen - das wird ja vielleicht noch ein bißchen dauern -, möchte ich Ihnen empfehlen, damit anzufangen, daß Sie Ihre Verteidigungspolitiker unterstützen. Denen möchte ich nämlich auch meinen Respekt sagen; sie bestehen manche schwierige Auseinandersetzung.
Beschämend ist das Auftreten der Grünen.
Herr Fischer, Sie haben gestern Kübel voll Schmutz über den Zapfenstreich ausgegossen. Es ist beschämend, daß Sie den deutschen Soldaten den Respekt verweigern.
- Dann erinnere ich an das, was Frau Beer gesagt hat. Wissen Sie, der letzte, den ich mit dem Zapfenstreich geehrt habe, war der französische Generalstabschef, Admiral Lanxade. Er hat mir geschrieben, daß er und mit ihm alle französischen Soldaten sich niemals mehr geehrt gefühlt hätten.
Wie kann der Zapfenstreich ein vordemokratisches, nationalistisches Zeremoniell sein, wenn sich die französischen Soldaten durch ihn geehrt fühlen? Es ist doch Unsinn, was Sie da verbreiten,
Im übrigen frage ich mich, wer eigentlich für die Grünen spricht. Ich sage das hier einmal, weil es wichtig ist; denn ich bezweifele, daß auch nur ein
Bruchteil Ihrer Wähler weiß, welche Positionen Sie zum Schaden unseres Landes hier vertreten.
Während Sie im Ausschuß - so Frau Beer auch hier - die Abschaffung der Bundeswehr und der NATO fordern, führen Sie eine große Diskussion darüber, daß man die Schutzzonen in Bosnien schützen muß. Hier stellt sich doch genau die Frage, was eigentlich moralisch geboten ist.
Herr Fischer, Sie haben ja erste Versuche gemacht. Ist es nicht richtig, daß es in der Situation von Srebrenica, in der Situation des früheren Jugoslawien zutiefst unmoralisch wäre, den Einsatz von Soldaten zu verweigern? Darum geht es doch. Und dann muß man ihnen auch bei einem solchen Zapfenstreich Respekt bezeugen.
Es kamen in der Vergangenheit viele Ihrer Fraktionskollegen zu mir und sagten, ich müsse mehr zum Schutz von Tuzla und von Srebrenica tun. Ich habe Hochachtung vor ihnen.
Übrigens: Wie müssen sich eigentlich diejenigen in Ihren Reihen fühlen, die die Nationale Volksarmee erlebt haben und jetzt miterleben müssen, wie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier der Armee der Demokratie und des vereinten Deutschlands den Respekt verweigern?
Frau Beer, das große Polizeiaufgebot war doch nicht wegen der Soldaten da, sondern wegen der friedlosen Störer, die sich dort versammelt hatten.
Und beim Hofgarten kommen wir ja wirklich auf den Punkt. Da fühlen sich einige Grüne auf den Schlips getreten, und sie sagen: Das ist doch eigentlich unser Platz gewesen, der Platz der großen Demonstrationen Anfang der 80er Jahre, wo man gesagt hat, der sowjetischen Hochrüstung darf nichts entgegengestellt werden. Heute wissen wir: Nur durch die Bereitschaft, dem etwas entgegenzustellen, haben wir den Frieden in Europa gesichert.
Deswegen ist es ein wirkliches Symbol, daß jetzt die eigentliche Friedensbewegung der 80er und 90er Jahre, nämlich die Bundeswehr, dort diesen Zapfenstreich durchgeführt hat, genau auf diesem Platz.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Lippelt?
Bitte, ja.
Herr Minister, wären Sie erstens bereit anzuerkennen, daß es möglicherweise einen Unterschied gibt zwischen einem vordemokratischen martialischen Zeremoniell und dem demokratischen Inhalt der Bundeswehr nach Baudissin, den wir ja nicht abstreiten?
Zweitens. Wären Sie bereit anzuerkennen, daß bei der Frage, wodurch in den 80er Jahren dieses Land vor einer möglicherweise hochgefährlichen Situation stand, in einem System, wo Raketen nur sieben Minuten von hier bis Moskau brauchten,
beide Seiten ihr Recht hatten
und nicht nur Sie, die eine hochriskante Politik betrieben haben?
Herr Kollege Lippelt, wir haben vor allen Dingen eine erfolgreiche Politik für den Frieden gemacht. Heute sind alle diese Waffen verschwunden, die hinzunehmen Sie bereit waren. Das ist genau der entscheidende Punkt.
Im übrigen: Zapfenstreiche haben alle Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt, alle Bundeskanzler; dabei wird es auch in Zukunft bleiben. Es ist eine gute Tradition der Bundeswehr, die sich dort entwickelt hat.
Meine Damen und Herren, wenn wir heute an 40 Jahre Bundeswehr denken, dann erinnern wir uns auch an die vielen Soldaten, die im Frieden ihr Leben ließen. In tiefer Trauer verneigen wir uns vor den Kameraden der Luftwaffe, die am vergangenen Sonntag mit ihrer Transall-Maschine auf den Azoren tödlich verunglückt sind. Diese Männer gehören zu denen, die seit Jahren überall auf der Welt, zuletzt auch für Sarajevo und Bosnien, Tausenden von not-leidenden Menschen Hilfe gebracht und Hoffnung gegeben haben, unter Gefahr für Leib und Leben, unter Beschuß. Um so tragischer ist es, daß sie ihr Leben auf diesem Flug gelassen haben.
Wir müssen in einer solchen Stunde daran erinnern, daß wir um diese toten Soldaten trauern. Vor
allem den Angehörigen möchte ich in dieser Stunde sagen, daß ihnen unser ganzes Mitgefühl gilt.
Vierzig Jahre Bundeswehr, fünf Jahre Armee der Einheit: Freiheit und Menschenwürde, Recht und Frieden, Solidarität mit Verbündeten, Hilfe für Menschen in Not bestimmen den Dienst der Soldaten der Bundeswehr. Diese vierzig Jahre waren vier Jahrzehnte Kriegsverhinderung in schwieriger Zeit. In vielen europäischen Krisen der Nachkriegszeit haben Bundeswehr und Nordatlantisches Bündnis der Bundesrepublik Rückhalt gegeben, und die Bundeswehr war und ist das Rückgrat der NATO-Verteidigung in Mitteleuropa.
Ich möchte eine Bemerkung von Herrn Scharping aufgreifen. Er hat vor der Gefahr der Renationalisierung gewarnt. Wolfgang Schäuble und ich haben uns angeschaut: Das ist genau der Punkt, warum wir in den letzten Jahren so energisch darum gekämpft haben, daß unsere Soldaten, die auch vor Gericht standen, an Bord der AWACS-Maschinen bleiben. Es ist ein großartiger Fortschritt, daß jetzt zwölf Nationen gemeinsam ein Flugzeug betreiben und - ob Luxemburger oder Amerikaner - jeder dieselben Informationen bekommt. Wer dort aussteigt, der führt genau diese Renationalisierung herbei.
Herr Scharping, man kann nicht das deutsch-niederländische Korps begrüßen - ich bin auf das, was wir da verwirklicht haben, stolz - und gleichzeitig darauf bestehen, daß ich, wenn es ernst wird, den niederländischen Kollegen sagen muß: Unsere Einheiten bleiben leider zu Hause bzw. im Hafen.
Wir reden doch über eine weitere Vertiefung der Gemeinsamkeiten. Das ist der Kern der Dinge: Wer die europäische Gemeinsamkeit will, wer eine Renationalisierung verhindern will, der muß uns auf diesem Wege folgen. Die Bundeswehr muß bereit sein, zusammen mit ihren Freunden, Nachbarn und Verbündeten hier ihren Beitrag zu leisten. Das ist die eigentliche Aufgabe, der Sie sich stellen müssen, wenn Sie mit uns darin übereinstimmen.
40 Jahre Bundeswehr sind auch 40 Jahre Innere Führung. Darüber hat es manche Debatten gegeben, heute aber nicht mehr. Ich muß Ihnen sagen: Ich bin zutiefst beeindruckt gewesen, als ich die Soldaten im Einsatz erlebt habe. In schwierigen Situationen, in Somalia und anderswo, hat nicht Zackigkeit gezählt, sondern Souveränität, auch die Souveränität des Feldwebels, sich auf die Kultur einzustellen und lieber ein paar Stunden zu reden und einen Brunnen zu bauen, statt nur daran zu denken, Sicherheit mit Maschinengewehren herzustellen.
Auf die Verteidigungskultur, die wir entwickelt haben und die heute ein großer Exportartikel in Richtung der neuen Demokratien in Mitteleuropa ist, können wir stolz sein. Wir sind hier auf dem richtigen Wege. Das ist der Alltag der Bundeswehr. Daran sollte niemand herumnörgeln.
Dankbar bin ich auch dafür, daß eigentlich von jedem die Leistung der Bundeswehr, was die innere
Bundesminister Volker Rühe
Einheit angeht, gewürdigt wurde. Wir wollen aber nicht nachlassen, nachdem wir so viel Lob bekommen haben. Es gilt, noch viel zu tun. Mancher Westdeutsche hat den verschütteten Idealismus in sich wieder entdeckt; das spüre ich immer wieder in Gesprächen mit Soldaten. Das sollte uns nachdenklich machen.
Ich möchte an dieser Stelle auch sagen: Ich habe ganz großen Respekt vor den Soldaten der Nationalen Volksarmee, die wußten, daß wir sie nicht übernehmen - zum Teil haben sie das selbst entschieden -, und ihren Dienst trotzdem ganz treu und loyal für einen begrenzten Zeitraum verrichtet und diesen phantastischen Übergang mit ermöglicht haben. Sie verdienen es, daß wir dies in dieser Stunde würdigen. Auch die 11 000 Männer, die heute nicht mehr in der Bundeswehr sind, haben unserem Vaterland durch ihr Verhalten loyal gedient.
Ich will aber nicht nur sagen, daß wir nicht nachlassen werden, sondern möchte das, was die Bundeswehr im Hinblick auf die innere Einheit gemacht hat, auch zur Nachahmung empfehlen. Wir haben nämlich Führungseinrichtungen von West nach Ost verlagert, die es nur einmal gibt; das ist der eigentliche Kern. So können dort auch neue Eliten entstehen.
Ich war vor einigen Tagen mit 600 jungen Offiziersschülern in Hannover zusammen; sie waren im Schnitt 21 Jahre alt. Dort wurde auch die große Verantwortung deutlich. In wenigen Jahren wird diese Ausbildung, die es nur einmal in Deutschland gibt, in Dresden stattfinden. Das ist eine Entscheidung, die sich andere vielleicht zum Vorbild machen könnten. Manche bleiben sogar in Westdeutschland, obwohl sie in asbestverseuchten Gebäuden sitzen. Ich denke da z. B. an eine Einrichtung in Köln.
Wir werden modernste Einrichtungen in München und Hannover verlassen, weil wir gesagt haben: Die Investition in die Menschen ist wichtig. Eine Führungseinrichtung, die es nur einmal in Deutschland gibt, muß es im Osten geben. Es dürfen nicht immer nur Ableger sein. Das empfehle ich zur Nachahmung.
Die Bundeswehr ist Teil des Volkes; sie gehört in unsere Mitte. Hier darf ich dankbar feststellen, daß sich nicht nur die Koalitionsparteien voll zur Wehrpflicht bekannt haben, sondern auch der Vorsitzende der SPD. Auch daraus erwächst Verantwortung; denn es gibt immer wieder andere Stimmen. Ich möchte ausdrücklich festhalten - es ist wichtig, daß das von allen gemeinsam gewürdigt wird -: Wehrdienst ist in der Demokratie ein Ehrendienst. Wir alle müssen uns Mühe geben, dies den Wehrpflichtigen deutlicher zu machen.
Wir diskutieren auch über das Wehrrechtsänderungsgesetz. Hier gibt es wichtige Veränderungen. Wir bemühen uns, wirklich einen kompakteren Dienst zu gestalten: Wehrdienst so lange wie nötig, aber auch so kurz wie möglich. Das ist gerade für unsere junge Generation und eine verbesserte Attraktivität der Bundeswehr wichtig.
Das wichtigste ist - der Bundeskanzler hat es gestern abend auch gesagt -: Wir brauchen zwar modernes Material, aber das wäre alles nichts, wenn wir nicht die richtigen Menschen hätten, die in der Bundeswehr dienen. Weil sie eine Wehrpflichtarmee ist, bekommen wir auch die richtigen Berufssoldaten. Wir wollen keine Rambos, wir wollen keine Legionäre. Das muß man im übrigen immer auch bei Auslandseinsätzen wissen: Eine Armee muß eingesetzt werden können - für die Demokratie, für das Bündnis -, aber es muß schwer sein, diese Entscheidung zu treffen. Diese Entscheidung ist schwer zu treffen, wenn es sich um eine Wehrpflichtarmee handelt.
Wir haben uns die Entscheidung schwer gemacht. Weil die Menschen das gespürt haben, hat sich ein Konsens entwickelt, den viele in den vergangenen Jahren nicht für möglich gehalten haben. Ich finde, das sollte man auch einmal sagen, weil soviel von Unbeweglichkeit gesprochen wird: Dies geschah mitten im deutschen Einigungsprozeß, als die Menschen in Dresden, Leipzig und Rostock wirklich andere Probleme hatten als Auslandseinsätze und auch die Menschen im Westen mit anpacken und für die Wiedervereinigung große Leistungen erbringen mußten. Heute gibt es ein Verständnis dafür, daß die Bundeswehr die Solidarität zurückgeben muß, die sie in der Vergangenheit erfahren hat, daß sie nicht aus dem internationalen Verbund ausscheren kann.
Deswegen möchte ich mich zum Schluß bei den Menschen in unserem Lande dafür bedanken, daß sie den Weg der Soldaten und der Bundeswehr mit so viel Verständnis begleiten.
Ich bedanke mich.
Kollege Walter Kolbow, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu vielen Ihrer Ausführungen, Herr Bundesminister der Verteidigung, habe ich meine Zustimmung zu bekunden. Dies ist auch bei der Veranstaltung meiner Fraktion vor drei Tagen deutlich geworden, auf der wir das 40jährige Jubiläum der Bundeswehr gewürdigt haben. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat dies mit Selbstbewußtsein getan, nicht nur, um die Leistungen unserer Streitkräfte herauszustellen, sondern auch, um unsere eigenen Verdienste zu würdigen. Herr Kollege Gerhardt, Sie haben das anempfohlen. Wer könnte Ihnen da widersprechen?
Die Leistungen der demokratischen Parteien, auch auf dem Sektor der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, sind identitätsstiftende Grundlagen für unser Gemeinwesen. Deshalb ist dieser Tag,
Walter Kolbow
meine Damen und Herren, auch im Parlament so wichtig.
Als Redner für eine Partei, in der Pazifisten und Pazifistinnen immer ihren angestammten Platz in Respekt vor einem wehrhaften Demokraten wie mir hatten und haben werden, will ich sagen, daß es wenig Sinn macht, den gestrigen Abend und den Ort möglicherweise als Sieg der Bundeswehr über die Friedensbewegungen darzustellen.
Ich weise auf Empfindlichkeiten, die in diesem Land bestehen, auch als jemand, der nicht bei Demonstrationen der Friedensbewegungen dabei war, hin, weil dies zur Versöhnung in unserem Lande gehört. Ihrer Einseitigkeit, meine Damen und Herren von der Koalition, steht nicht eine Einseitigkeit in diesem Lande gegenüber. Dies muß von dieser Stelle aus gesagt werden dürfen, ja gesagt werden müssen. Wir, meine Damen und Herren, haben bei der Inneren Führung, beim Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, wesentliche Grundlagen dafür gelegt.
Herr Kollege Kolbow, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breuer?
Herr Kollege Breuer, wenn Sie mich im Zusammenhang vortragen lassen wollen. Wir können so oft im Verteidigungsausschuß die Klingen kreuzen. Ich glaube zu wissen, was Sie fragen wollen. Ich komme darauf während meiner Ausführungen sicherlich noch zurück. Ich bitte ausdrücklich, dies nicht als fehlenden Respekt vor dem Kollegen Breuer zu werten, sondern ich möchte in meiner kurzen Redezeit im Zusammenhang vortragen.
Innere Führung, das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform sind Markenzeichen unseres Beitrages. Ich füge die Stichworte Bildungsreform in den Streitkräften, Bundeswehruniversitäten und Militärgeschichtliches Forschungsamt hinzu; Sie haben das auch in Ihren Aussagen zu diesem Tag gewürdigt.
Ich nenne nicht ohne Grund auch das Sozialwissenschaftliche Institut, das im Augenblick unter Ihrer Verantwortung, Herr Bundesminister der Verteidigung, ein Kümmerdasein führt. Ich rege an dieser Stelle auch an zu überlegen, ob man dieses wichtige, auch unabhängige Meinungen fördernde, im Zusammenhang mit wichtigen Fragen unserer Landesverteidigung notwendige Institut nicht der Wehrbeauftragten unterstellt und es damit dem Parlament gibt, damit wir gemeinsam mit den Streitkräften diese Leitideen der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform vertiefen können.
Wir in der parlamentarischen Opposition fühlen uns heute wie in der Gründungszeit für die Bundeswehr mitverantwortlich. Dies wird aus den deutlich bekundeten Übereinstimmungen, aber natürlich auch in den Gegensätzen zur Bundesregierung sichtbar. Ich komme darauf zurück.
Ich will hier für meine Fraktion noch einmal in Unterstreichung dessen, was mein Fraktionsvorsitzender gesagt hat, herausstellen, daß dieser Tag eine hervorragende Bedeutung ebenso deswegen hat, weil wir fünf Jahre Armee der deutschen Einheit begehen können. Auch da gibt es keinen Dissens zwischen den wesentlichen, die Streitkräfte stützenden politischen Kräften in unserem Lande.
Mir ist dabei die Botschaft des damaligen Befehlshabers in den neuen Ländern General Schönbohm im Bewußtsein, der in seinem Buch „Ein Staat, eine Armee" geschrieben und den NVA-Soldaten quasi zugerufen hat:
Wir kommen nicht als Sieger zu Besiegten, sondern als Deutsche zu Deutschen. Wir wollen gemeinsam die Zukunft gestalten, in Kenntnis der Vergangenheit. Nur dies konnte der Weg sein, der auch tragfähig war. Wir müssen eine gemeinsame Perspektive entwickeln, damit es für alle lohnend war, sich einzubringen.
Das war der Maßstab des Erfolgs, den sich die Politik gesetzt hatte. Der Erfolg ist eingetreten.
Deshalb ist nach der Vereinigung zu sagen: Die Loyalität der Bundeswehr als verläßlicher Teil unserer Demokratie steht außer Frage. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind wesentlicher Bestandteil unserer freien Gesellschaft, und sie haben zusammen mit den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen wichtigen Anteil am Aufbau des Staates. Sie stehen für die Sicherheit ein, und tagtäglich bewähren sie sich auch als demokratische Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Deswegen schulden wir ihnen und ihren Familien Dank. Weil dies so ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf man nicht blind auf die Soldatinnen und Soldaten und auf die, die sie stützen, einschlagen, auch nicht im Zusammenhang mit dem Großen Zapfenstreich. Man muß - das kann nicht befohlen werden - in unserem Lande, in unserer Demokratie, den Zapfenstreich nicht mögen - ich mag ihn -, aber man muß, so meine ich - und da richte ich mich an die links von uns stehenden Parteien und Gruppen in diesem Bundestag -, in jedem Fall soviel Gelassenheit aufbringen, ihn zu tolerieren. Das verlangen wir als Demokraten, um Sie als solche zu respektieren, von Ihnen.
Heute, im vierzigsten Jahre des Bestehens, steht die Bundeswehr vor einer weiteren Zäsur. Es ist auf das wichtige Urteil des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen worden, vor dem, Herr Kollege Rühe, nicht die Soldaten standen. Dieses Wort, glaube ich, wollten Sie so, wie es angekommen ist, nicht sagen. Vor dem Gericht stand eine Weiterentwicklung unse-
Walter Kolbow
rer Politik in bezug auf notwendige internationale Entwicklungen, und die Politik selbst stand durch den Klagevertreter Herrn Kinkel, der mit in Ihrem Kabinett sitzt, vor Gericht.
Es ist der Beharrlichkeit der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zu verdanken,
daß dies ein Parlamentsheer auch bei internationalen Einsätzen ist, meine Damen und Herren.
Weil es ein Parlamentsheer ist, bitte ich Sie - bescheiden aus der parlamentarischen Arbeit heraus, wie es dem Sprecher einer Oppositionsfraktion zukommt - zu überlegen, ob nach diesen deutlichen Worten des Verfassungsgerichts bei einem wichtigen Zeremoniell unserer Streitkräfte nicht auch die Bundestagspräsidentin auf das Ehrenpodium gehört.
Denn auch das Parlament repräsentiert unsere Streitkräfte. Sie haben das Recht, Frau Kollegin Dr. Süssmuth - so darf ich in diesem Fall sagen -,
die Ehrungen mit abzunehmen, und brauchen nicht wie wir nur auf der Besuchertribüne zu stehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die neuen Aufgaben fordern notwendigerweise eine Modernisierung der Bundeswehr. Sie muß breit angelegt sein. Sie muß die Konkretisierung des Auftrags, das Konzept der Inneren Führung, die Personalführung, die Ausbildung, die Ausrüstung, die Integration in Staat und Gesellschaft sowie die Integration der Streitkräfte in das westliche Verteidigungs- und Sicherheitsbündnis nicht nur wie bisher umfassen, sondern auch vertiefen. Ich unterstreiche ausdrücklich das zur Verbreiterung im Bündnis Gesagte, was internationale Korps betrifft und was die Grundlage der Bündnisfähigkeit ist.
In diesem Prozeß haben die Soldaten und Soldatinnen einen Anspruch auf besondere Fürsorge. Daher ist eine vorausschauende mittelfristige Bundeswehrplanung notwendig, die alle politischen, militärischen, betriebswirtschaftlichen und sozialen Faktoren sowie die Ergebnisse politischer Erwägungen einbezieht. Wir setzen uns nachdrücklich dafür ein, die Reform der Bundeswehr für alle nachvollziehbar und über einen längeren Zeitraum hinweg zu planen. Ein knapper, inhaltlich auch noch umstrittener Koalitionsvereinbarungsbeschluß von 1994 kann doch nicht die Grundlage dafür sein, meine Damen und Herren von der Koalition, wie die Bundeswehr in der Zukunft aussehen soll. Das ist zu kurz gesprungen. Das erreicht auch nicht unsere ganze Gesellschaft, die dabei mitwirken muß. Deswegen treten
wir dafür ein, in unseren Streitkräften einen Dialog über die große Bundeswehrreform zu führen, die wir nach wie vor nicht haben.
Wir sind bereit, mit unseren Kräften dabei mitzuwirken und einen Beitrag zum Konsens zu leisten.
Meine Damen und Herren, im Verhältnis von Parlament und Bundeswehr - ich habe die Bedeutung des Parlamentsheeres herausgestrichen - hat das Amt des Wehrbeauftragten einen überragenden Stellenwert. Mir ist es persönlich, aber natürlich auch politisch ein wichtiges Anliegen, dem Sozialdemokraten Karl Wilhelm Berkhan, der von 1975 bis 1985 dieses Amt vorbildlich ausübte, im nachhinein Dank zu sagen und an dieser Stelle an sein Wirken zu erinnern. Er war das Auge und das Ohr, und er war das soziale Gewissen. Das ist seither der Maßstab für die Arbeit aller Wehrbeauftragten in unserem Land.
Wir haben heute festzustellen - trotz der richtigen Worte des Herrn Bundeskanzlers und auch des Herrn Bundesministers der Verteidigung: Wehrpflicht ist und bleibt Ausdruck der Bürgerverantwortung -, daß sich die Wehrpflicht heute in einer Krise befindet. Ihre Legitimation in unserer Gesellschaft ist zumindest brüchiger geworden, wenn nicht gar brüchig. Von den jungen Männern wird sie immer weniger akzeptiert. Hier ist die Praxis gefordert, die Sie angemahnt haben. Ich habe den Eindruck, daß niemand frei davon ist, an Sonntagen feierlicher und grundsätzlicher zu sprechen als an Werktagen. Aber bei der Wehrpflicht - das muß ich Ihnen auch nach dem sagen, was Sie wieder vorschlagen - sind Sie den Sonntagsreden näher als wir.
Deswegen mahne ich an, miteinander ins Gespräch zu kommen. Ein „Weiter so!" genügt hier nicht. Die Defizite in der gesellschaftspolitischen Diskussion sind zu groß. Wir haben sie miteinander auszugleichen. Die Feststellungen der Grünen und der Gruppe der PDS hierzu müssen wir aus Überzeugung ablehnen. Die Abschaffung der Wehrpflicht ist nicht die richtige Antwort darauf.
Hier gilt: Nicht alles - und ich kenne viele ernstzunehmende Kolleginnen und Kollegen gerade unter den Verteidigungspolitikerinnen und Verteidigungspolitikern und diskutiere mit ihnen -, was gut gemeint ist, ist auch gut. In diesen Zusammenhang gehört Ihre Position zur Wehrpflicht.
Walter Kolbow
Meine Damen und Herren, die Soldatinnen und Soldaten sind von allen gewürdigt worden.
- Daran müssen Sie sich gewöhnen; denn auch Soldatinnen tragen Uniform. Ich habe mich ebenfalls daran gewöhnen müssen. Dem Anspruch auf Emanzipation werden wir auch dadurch gerecht, daß wir jungen Frauen das Recht geben, Soldatinnen zu werden, auch wenn sie es selber nicht wollen.
Ich will zum Abschluß meiner Rede deutlich machen: Wir haben in den Art. 87a und 87 b des Grundgesetzes die Aufgabenteilung zwischen den Streitkräften und der Bundeswehrverwaltung zur gemeinsamen Aufgabenerfüllung festgeschrieben. Dieses hat sich bewährt. Dabei wollen wir bleiben. Nur müssen dann auch die Bediensteten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im zivilen Bereich, merken, daß Sie, die politische Führung, mit ihnen bei der Reduzierung auf soziale Weise umgehen. Ich mahne die Behandlung der Fragen der Vertiefung des Tarifvertrages und der Sozialfürsorge an. Die Wohnungsfürsorge für unsere Bundeswehr ist eine Katastrophe. Ich will den Bundesverteidigungsminister nicht für etwas in Anspruch nehmen, was er nicht zu vertreten hat. Aber wenn der Bundesfinanzminister, weil er kein Geld mehr hat, jetzt Bundeswohnungen verkauft, müssen wir genau darauf achten, ob es sich dabei nicht auch um bundeswehreigene Wohnungen handelt,
so daß dann im Ergebnis die Bediensteten der Bundeswehr die Benachteiligten sind.
Ich will auch an die Reservisten erinnern, die einen wichtigen Dienst leisten und die auch von dieser Stelle im Deutschen Bundestag aus gesagt bekommen sollen, daß wir anerkennen, welch wichtigen Dienst sie leisten, und daß wir sie weiter brauchen.
Wir grüßen von dieser Stelle aus alle, die heute in den Kasernen sind und uns möglicherweise zuschauen oder sich eine Aufzeichnung anschauen können. Wir grüßen die Familien der Soldaten.
- Das ist ein wichtiger Anspruch, Herr Kollege Rose, den Sie in Ihrer Rede, die folgen wird, einlösen können.
Für uns gilt unverändert der Satz von Willy Brandt, der eine Gesamtwürdigung dessen darstellt, was die Bundeswehr 40 Jahre lang bewirkt hat, und der ein Wunsch in bezug darauf ist, was die nächsten 40 Jahre für unser Land Gutes bringen sollen: „Der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. "
Deswegen wünschen wir den Angehörigen der Bundeswehr Glück auf dem weiteren Weg in eine friedliche Zukunft.
Ich danke für die Geduld.
Das Wort hat der Kollege Rainer Eppelmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wußten eigentlich die Menschen in der DDR von der Bundeswehr, die in diesen Tagen ihr 40jähriges Bestehen feiern kann? Ein weitverbreitetes DDR-Wörterbuch der Geschichte charakterisierte die Bundeswehr als
... wichtigstes bewaffnetes Machtorgan des staatsmonopolistischen Regimes der BRD, dessen innenpolitische Funktion die Sicherung der monopolkapitalistischen Klassenherrschaft ist und dessen außenpolitische Funktion darin besteht, expansionistische Ziele unter militärischer Gewaltanwendung erreichen zu können.
Ich mute Ihnen allen diesen typischen SED-Text zu, weil mir wichtig ist, mit diesem Zitat deutlich zu machen, was die Menschen in der DDR nach dem Willen der DDR-Machthaber von der Bundeswehr glauben sollten.
Das Eintreten für den Frieden und die Verweigerung des Waffendienstes in der Nationalen Volksarmee
- hör doch zu! - gehörten in der DDR zu den wichtigsten Motiven für Widerstand und Opposition. Ich selber wurde endgültig zu einem politischen Menschen, als ich mich zum Dienst in den Baueinheiten der NVA entschloß und als „Spatensoldat" das Gelöbnis verweigerte, mit dem ich meinen militärischen Genossen Vorgesetzten unbedingten Gehorsam geloben sollte. Das konnte und das wollte ich nicht.
Nach dem Sturz der SED-Diktatur wurde aus dem Bausoldaten, der wegen Gelöbnisverweigerung acht Monate Militärhaft hatte abbüßen müssen, ein Minister. Ich legte großen Wert darauf, daß sich das Ministerium, an dessen Spitze ich berufen wurde, „Ministerium für Abrüstung und Verteidigung der DDR" nannte. Ich glaube auch heute noch, daß wir damit damals ein wichtiges Zeichen gesetzt hatten. Der Verteidigungsauftrag wird im Interesse der Menschen, um deren Verteidigung es geht, immer nur dann richtig begriffen, wenn er alle Möglichkeiten, zu geordneten Formen der Abrüstung zu kommen, im Blick behält.
Die Position, die meine Freunde und ich damals einnahmen, war damals keineswegs selbstverständlich. Wir begannen aber zu begreifen, daß die Vereinigung unseres geteilten Landes in Frieden und Freiheit nur dann möglich sein würde, wenn es gelingt,
Rainer Eppelmann
die Vereinigung von Volksarmee und Bundeswehr erfolgreich zu gestalten.
Welche harten Konflikte sich damit auch im ganz persönlichen Bereich ergaben, will ich Ihnen mit einer kleinen Geschichte, an die ich mich noch erinnern kann, illustrieren: Als ich zu der Zeit, in der ich Minister für Abrüstung und Verteidigung war, eines Tages nach Hause kam - ich wohnte damals noch in der Gemeinde, in der ich Pfarrer war -, war mit großen Lettern an die Wand des Hauses, in dem ich lebte, gesprüht: „Eppelmann treibt uns in die NATO". Ich habe hinterher erfahren, daß es ein lieber Mensch war, der das an die Wand gesprüht hatte. Er hat seine Sorgen öffentlich gemacht und versuchte auf diese Weise, seinem Vater etwas ins Stammbuch zu schreiben. Es war mein ältester Sohn, der das an die Wand gesprüht hat.
- Ja, und - darauf lege ich Wert - nicht ohne den Vater denkbar.
Ich erzählte diese Geschichte, um Ihnen deutlich zu machen: Die deutsche Vereinigung erfordert von allen daran Beteiligten ein neues Denken. Wir von der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR mußten unsere Auffassungen zur politischen Aufgabe der Verteidigung und zur politischen Funktion einer Bürgerarmee grundlegend überdenken. Bei allen Parallelen gab es nämlich gewaltige grundsätzliche Unterschiede zwischen Bundeswehr und Nationaler Volksarmee, zwischen NATO und WVO. Armee ist eben nicht gleich Armee, und militärisches Bündnis ist eben nicht gleich militärisches Bündnis.
Heute ist mir klar - als Pazifist sage ich das eigentlich gar nicht so gerne; aber um der Ehrlichkeit willen muß ich es sagen -: Ohne NATO und ohne Bundeswehr gäbe es heute kein demokratisches Europa mit einem demokratischen Deutschland. Davon bin ich überzeugt. Darum bin ich froh, daß es sie gegeben hat.
Im Bonner Verteidigungsministerium, in der Bundeswehr und in der Führung der Nationalen Volksarmee mußte man darüber nachzudenken beginnen, wie zwei Armeen, die sich fast vier Jahrzehnte lang als potentielle Kriegsgegner gegenüberstanden, nun zusammengeführt - zusammen geführt - werden können. Die NVA-Angehörigen sahen sich zusätzlich einer völlig ungewissen Zukunft gegenüber. Hervorragend ausgebildet und ausgestattet sahen sie, die doch wie alle anderen Bürger auch ihre persönlichen Hoffnungen und Ängste hatten, sich einer mehr als ungewissen Zukunft gegenüber.
Das politische Urteil über die Nationale Volksarmee als Klassen- und Machtinstrument der SED konnte durch diese Einsicht jedoch nicht getrübt werden. Die NVA stand immer bereit, ihren sogenannten Klassenauftrag zu erfüllen. Wir wissen heute: Diese Armee bereitete sich im Auftrag der SED-Machthaber auf die Eroberung Westberlins vor, entwickelte Pläne für die Besetzung Westdeutschlands bis zum Rhein und war - auch das wissen wir inzwischen durch die Arbeit der Enquete-Kommission - voll einsatzbereit, als in Prag und Warschau die kommunistischen Diktaturen zu wanken begangen. Erst - aber auch das muß fairerweise dazugesagt werden - in den letzten Wochen und Monaten der DDR begann sich dieser blinde Gehorsam gegenüber den Diktatoren zu wandeln. Und in der Wendezeit stellte sich die NVA in ihren allergrößten Teilen auf die Seite der ersten demokratisch gewählten Regierung in der DDR. Dafür gehört ihr Dank.
Bundesverteidigungsminister Volker Rühe hat die Überleitung der NVA in die Bundeswehr am 9. Oktober als eine Leistung gewürdigt, die historisch ohne Beispiel ist. Als einer, der an diesem Prozeß beteiligt war, kann ich dieses Urteil aus meiner Sicht bestätigen. Ich glaube, wir dürfen heute sagen: Die Integration ist - gemessen am Leben und nicht an irrationalen Träumen - beispielhaft gut gelungen. Aus Menschen, die sich als Feinde gegenüberstanden, sind Kameraden geworden. Alte Feindbilder sind innerhalb von wenigen Monaten zerbrochen. Rund 3 000 Offiziere und 7 600 Unteroffiziere der ehemaligen NVA wurden von der Bundeswehr übernommen. Bundeswehrdienststellen wurden in den neuen Bundesländern neu aufgebaut, Wehreinrichtungen, Truppenteile und Dienststellen vom Westen in den Osten verlegt. In jedem Jahr der deutschen Einheit wurden die sanitären und hygienischen Verhältnisse, wurde die Unterbringungs- und Betreuungssituation der Soldaten besonders in den neuen Bundesländern durch Milliardenbeträge massiv verbessert.
Solche Zahlen und Aussagen verdeutlichen nicht alles. Wichtig war und ist mir, welche Schicksale sich dahinter erkennen lassen. In der gesamtdeutschen Bundeswehr ist jenes Vertrauen gewachsen, das Menschen brauchen, die sich im Ernstfall total aufeinander verlassen müssen.
Inzwischen hat auf der Ebene der Wehrpflichtigen jene Durchmischung stattgefunden, die die Integration erst wirklich dauerhaft macht. Bis heute haben 200 000 ostdeutsche junge Männer ihren Wehrdienst in der Bundeswehr abgeleistet - viele von ihnen an Standpunkten, die sich in den alten Bundesländern befinden. Die Erfahrungen, die sie da mit ihren Kameraden gemacht haben, waren überwiegend positiv. Das finde ich gut. Auch in diesem Bereich wächst allmählich zusammen, was zusammengehört.
Mit dem Prinzip der Durchmischung von Wehrpflichtigen, längerdienenden Soldaten und Zivilbeschäftigten aus Ost und West wird für das Zusammenwachsen der Menschen ein besonders wichtiger Beitrag geleistet. Die Bundeswehr bereitet sich damit auf die völlig neuen Aufgaben vor, die ihr ein zusammenwachsendes Europa stellt, in dem Integration, Konfliktbegrenzung und Katastrophenhilfe in ge-
Rainer Eppelmann
meinsamer Verantwortung organisiert werden müssen.
Ich könnte hier noch sehr viel davon berichten, was ich als Pazifist und Zivilist in der Zeit der Überleitung der Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr erlebt habe. Gewiß habe ich dabei auch Fehler gemacht. Gewiß bin ich dabei von den Profis auch gelegentlich über den Tisch gezogen worden. Ich habe aber auch hohe Einsatzbereitschaft, Vermittlungsfähigkeit in schwierigen Konfliktsituationen und hohe fachliche Kompetenz bei den Männern erlebt, mit denen ich da zu tun hatte.
Auch an dieser Stelle möchte ich deutlich sagen: Es ist ein ungeheures Verdienst, daß bei der Fülle von Waffen, Munition und Material, die uns übergeben worden ist - das läßt sich heute nachweisen -, nicht eine Pistole, nicht ein Schuß Munition verlorengegangen ist. Da ist eine ganz wichtige Arbeit zur Erhaltung des inneren Friedens für uns alle geleistet worden.
Das hätte im Frühjahr 1990 alles ganz anders laufen können.
Die Gefahr eines Putsches einzelner bewaffneter Kräfte der SED-Diktatur war nicht nur ein Hirngespinst überängstlicher Gemüter.
Wenn wir heute an die Gründung der Bundeswehr vor 40 Jahren denken, dann gehört für mich auch der fünfte Jahrestag der Integration der Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr dazu. Immerhin ist das schon ein Achtel ihrer Gesamtgeschichte.
Natürlich hätte ich mir gewünscht, daß noch mehr Menschen in diesen Integrationsprozeß hätten einbezogen werden können. Ich weiß aber auch, wo die Grenzen - auch vor dem Hintergrund von Wien I und Wien II - des Machbaren und Möglichen liegen. In manchen Punkten hätte man gewiß großzügiger sein können. So halte ich es noch immer für möglich, daß Offiziere der NVA, die sich nichts zuschulden kommen ließen, ihren militärischen Rang mit einem sachlich präzisen Zusatz, z. B. Oberst a. D. oder Oberst der NVA a. D., führen dürfen.
Auch im Bereich der Versorgungsleistungen halte ich Verbesserungen noch immer für machbar. Wir sollten da so großzügig wie nur möglich verfahren. Wer hier aber kritisiert, sollte dabei fair sein. Das heißt, es geht und es ging uns in unserem politischen Bemühen um eine allgemeinverträgliche Lösung. Nicht alle Wünsche sind erfüllbar, und das Ergebnis ist nicht immer von allen zu akzeptieren. Wer zu laut über nach seiner Meinung zu schlechte Behandlung schimpft, sollte bedenken: Wenn die Geschichte anders gelaufen wäre, hätte kein Soldat und kein Offizier der Bundeswehr in der NVA anerkannt Dienst tun können. Auch hier hat sich der demokratische
Rechtsstaat als überlegen und als der menschlichere Staat erwiesen.
Die Bundeswehr ist heute eine gesamtdeutsche Armee, in der Menschen aus den alten und neuen Bundesländern gemeinsam wirken. Sie verstehen sich als „Staatsbürger in Uniform", die sich in Befehl und Gesetz nicht an eine Parteiclique, sondern an die Grundwerte unserer freiheitlichen Demokratie und ihr Gewissen gebunden fühlen. Sie verstehen sich als Angehörige einer Armee, die unlösbar in ein umfassendes Bündnis der parlamentarischen Demokratien in dem sich vereinenden Europa eingebunden ist. Sie erproben und bewältigen vor dem Hintergrund unterschiedlichster Biographien Tag für Tag alle die vielfältigen Probleme, die der Prozeß der deutschen Einheit uns allen aufgibt.
Die Bundeswehr ist zu einer Schmiede der Integration und der deutschen Einheit geworden. Die Bundeswehr als Bürgerarmee des vereinigten Deutschlands ist zu einem guten Modell dafür geworden, was wir in allen Bereichen unseres Lebens erreichen wollen und müssen. Darum muß sie, solange wir noch eine Armee brauchen, eine Bürgerarmee bleiben; sie sollte keine Berufsarmee werden und keinesfalls eine Parteiarmee, wie es die NVA war.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich, daß ich mir vor fünf Jahren diese Entwicklung zwar vorstellen konnte, daß ich keineswegs aber gewiß war, ob es sich auch realistisch umsetzen läßt. Heute kann ich voller Dankbarkeit feststellen: Das große Experiment ist gelungen. Verantwortung füreinander und die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen und sich völlig neu zu orientieren, haben sich in der Bundeswehr des vereinten Deutschlands bewährt. Dafür danke ich allen aus den alten und den neuen Bundesländern, die dazu beigetragen haben und dies geschafft haben. Danke schön ihnen allen!
Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geburtstage sind in der Regel Anlaß für Lobeshymnen, Umarmungen und oft auch Rauschzustände. Hiervon hat es in den letzten Wochen aus Anlaß des 40jährigen Bestehens der Bundeswehr reichlich gegeben. Unsere Aufgabe hier und heute ist, zu einer nüchternen Zwischenbilanz beizutragen. Das will ich aus unserer Perspektive versuchen.
Die Gründung der Bundeswehr wurde gegen den Willen eines Großteils der Bevölkerung durchgesetzt und war keineswegs d e r demokratische Neuanfang, wie es heute verklärend dargestellt wird. Sie wissen, daß damals wegen der Wiederbewaffnung Gustav Heinemann aus der CDU ausgetreten ist.
Winfried Nachtwei
Den Aufbau der Bundeswehr prägten 10 000 ehemalige Wehrmachtsoffiziere, die zur Bedingung ihrer Mitarbeit die „Rehabilitierung des deutschen Soldaten" gemacht haben. So wurde die aktive Beteiligung der Wehrmacht am nationalsozialistischen Vernichtungskrieg systematisch verdrängt und die Legende von der „sauberen Wehrmacht" und ihren sogenannten soldatischen Leistungen zur jahrzehntelangen Lebenslüge und faktisch vorherrschenden Traditionslinie in der Bundeswehr. Das ging einher mit der Achtung derjenigen ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die damals nicht mehr mitgemacht haben, der Deserteure. Das ging einher mit einem Bild von der Sowjetunion, das sich kaum von dem vor 1945 unterschied und das bis Ende der 80er Jahre so fortexistierte.
Eindeutig stellt der Traditionserlaß von 1982 fest: „Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen." Dieser Anspruch ist bis heute längst nicht durchgesetzt. In unserer Debatte zur Benennung von Kasernen nach antidemokratischen - sogenannten - „Helden" der Wehrmacht wurde das überdeutlich. Daß weiterhin, über sieben Jahre lang, Kasernen nach überzeugten nationalsozialistischen Generälen benannt sind, ist ein fortdauernder Skandal.
Kein Wunder, daß es angesichts solcher Un-Vorbilder in der Truppe des öfteren zu einem kritiklosen Rückgriff auf Wehrmachtstraditionen kommt, wie der Wehrbeauftragte selbst bemängeln mußte.
Es ist allen Armeen gemeinsam, daß ihre Soldaten gegebenenfalls für ihren Auftrag zerstören, töten und verstümmeln und dabei selbst Leben und Gesundheit riskieren müssen. Unterhalb dieser Ebene können wir aber nicht verkennen, daß sich die Bundeswehr in wesentlichen Punkten von allen früheren deutschen Armeen und der Nationalen Volksarmee unterscheidet.
Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung mit der Waffe, das verfassungsmäßige Verbot des Angriffskrieges, den Primat der Politik, die Innere Führung mit dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform", die rechtsstaatliche Bindung von Befehl und Gehorsam und vor allem die Institution des Wehrbeauftragten nenne ich als besondere Merkmale.
Die Bundeswehrangehörigen sind so sehr in die Gesellschaft integriert, daß von einem „Staat im Staate" keine Rede sein kann. Wie weit dieser hohe Anspruch der Inneren Führung auch in die Tat umgesetzt wird, muß sich jeden Tag neu erweisen. Das zeigt sich nicht zuletzt am Umgang von Vorgesetzten mit internen Kritikern. Die Männer des „Darmstädter Signals" wissen ein Lied von der oft mangelnden demokratischen Souveränität von Vorgesetzten zu singen.
Mit der Auftragserweiterung der Bundeswehr und der Forderung nach mehr Härte in der Ausbildung gerät die Innere Führung insgesamt wieder stärker unter Druck. Wenn politische Bildung vielfach vernachlässigt wird, wenn laut Bericht des Wehrbeauftragten in der Truppe wiederholt körperliche und Kollektivstrafen angewandt werden, also schikaniert wird, dann sind das beunruhigende Zeichen.
Stolz behaupteten die vorherigen Festredner, die Bundeswehr habe 40 Jahre Frieden und Freiheit garantiert. Als Angehöriger der Nachkriegsgeneration bin ich in der Tat froh, bisher keinen Krieg erlebt haben zu müssen. Aber die Tatsache, daß die Blockkonfrontation glimpflich zu Ende ging, kann das System der atomaren Abschreckung und die Rolle der Bundeswehr dabei nachträglich keineswegs heiligsprechen:
Über Jahrzehnte pflegte man in Ost und West völlig überzogene Bedrohungsbilder, kräftig geschürt von entsprechenden Rüstungsinteressen. Die atomare Abschreckung baute auf der Bereitschaft zum atomaren Völkermord auf. Sie ging schließlich mit einem sich gegenseitig hochschaukelnden Wettrüsten einher, das gigantische Summen fraß. Die Jahrzehnte des ostwestlichen Rüstungswahns waren für die soziale und ökologische Entwicklung der Menschheit verlorene Jahre.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mahlo?
Nein, jetzt nicht.
Sein tödliches Erbe - vor allem das der Atomwaffen - ist noch längst nicht bewältigt.
Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts kam in Europa ein Abrüstungsprozeß in Gang, wie er zu Friedenszeiten in der Tat ohne Beispiel ist. Auch die Bundeswehr schaffte dabei enorme Abrüstungsschritte und löste die NVA weitgehend lautlos auf. Überschattet wurde das von einer Politik der Bundesregierung, die die Lieferung überschüssiger Rüstungsgüter in Krisenländer wie die Türkei und Indonesien zuließ. Hier pervertierte Abrüstung in ihr Gegenteil.
Während in der Öffentlichkeit der Eindruck vorherrscht, es gehe mit der Abrüstung weiter, ist diese hoffnungsvollste Phase in der Geschichte der Bundeswehr in Wirklichkeit längst zu Ende, ist wieder der Rückwärtsgang eingelegt. Erstmals seit Jahren wächst der Anteil der Militärausgaben am Gesamthaushalt wieder, nämlich von 10 % in diesem Jahr auf 10,7 % im nächsten Jahr. Die Bündnisgrünen lehnen diesen neuen Aufrüstungskurs einhellig ab. Denn daß die Bundeswehr mit Kampfeinsätzen zur
Winfried Nachtwei
Bewältigung überwiegend innerstaatlicher Konflikte beitragen könnte, ist ein gefährlicher und zudem äußerst teurer Irrglaube - Ihr Irrglaube.
Möglich und nötig ist eine weitere Reduzierung der Bundeswehr, die mit der Abschaffung der Wehrpflicht einhergehen muß. Dieser Zwangsdienst, der inzwischen so schwindelerregend idealisiert wird, ist schlichtweg nicht mehr legitimierbar. Sie kennen den Bericht der Jugendoffiziere, die feststellen, daß unter Jugendlichen die Wehrpflicht einhellig abgelehnt wird.
Hierzu werden wir in Kürze einen Antrag in den Bundestag einbringen.
Seit 30 Jahren habe ich Entscheidungsprozesse junger Männer miterlebt, die sich fragen mußten: Wie halte ich es mit dem Wehrdienst bzw. mit dem Zivildienst? Über viele Jahre erforderte es besonderer Zivilcourage, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern. Wenn inzwischen Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistende in der Gesellschaft anerkannt sind, dann liegt das an ihrer sichtbar hilfreichen Arbeit, dann ist das ein echter zivilisatorischer Fortschritt.
Vertreter der Koalition versuchen in der letzten Zeit verstärkt, die Kriegsdienstverweigerer abzuwerten, ja zu diskreditieren. Um den Nachwuchssorgen der Bundeswehr entgegenzuwirken, soll der Zivildienst zur „lästigen Alternative" - so ein CDU-Antrag - und der Wehrdienst attraktiver gemacht werden.
Im Unterschied zu Ihnen habe ich gelernt - unabhängig von meiner Auffassung -, die Entscheidung der jungen Wehrpflichtigen für Wehrdienst oder Zivildienst zu respektieren. Deshalb treten wir in unserem Antrag zum Wehrrechtsänderungsgesetz dafür ein, endlich wieder dem Buchstaben des Grundgesetzes zu folgen und die Dauer des Ersatzdienstes an die des Wehrdienstes anzugleichen.
In den 80er Jahren standen Friedensbewegung und Soldaten bei Tausenden Gelegenheiten in heißen Auseinandersetzungen. Es waren Auseinandersetzungen, die oft lehrreich waren. Ich glaube, die heutige Bundeswehr wäre nicht so - auch hinsichtlich ihrer Behutsamkeit -, wie sie von der militärischen und politischen Führung nach außen dargestellt wird, wenn es nicht die Kritik und die Auseinandersetzung mit der Friedensbewegung gegeben hätte.
Inzwischen gibt es diese öffentliche Auseinandersetzung um Sicherheits- und Friedenspolitik in der Bevölkerung kaum noch. Das, denke ich, ist von übel!
Sicherheits- und Friedenspolitik geht alle an. Deshalb appelliere ich an die vielen Bürgerinnen und Bürger, die sich der Friedensbewegung zurechnen oder zurechneten: Mischt euch wieder ein! Zwischen Grün und Olivgrün liegen meist Welten. Gerade deshalb ist der kritische Dialog zwischen Friedensbewegten und Soldaten unverzichtbar.
Danke schön.
Kollege Günther Nolting, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundeswehr und alle die, die ihr als Grundwehrdienstleistende, als Freiwillige, als Reservisten oder als Zivilangestellte dienen und gedient haben, sicherten zusammen mit unseren Freunden und Partnern Deutschland und Europa vier Jahrzehnte den Frieden. Sie tun dies bis heute. Der Dienst der Bundeswehrangehörigen war und ist somit Friedensdienst und verdient als solcher Anerkennung.
Herr Kollege Kolbow, der Platz für den Zapfenstreich gestern abend war richtig. Die Bundeswehr ist eine, ist die Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland.
Herr Kollege Nachtwei, auch Sie sollten dies zur Kenntnis nehmen. Sie sollten ebenfalls die Erfolge in der Abrüstung, in der Abrüstungskontrolle anerkennen. Wenn Sie hier den Anstieg der Mittel für den Verteidigungshaushalt ansprechen, so vergewissern Sie sich bitte noch einmal: Das waren Mittel für Personalstärkung, also Gelder für tarifliche Gehaltserhöhungen. Ich denke, daß unsere Soldaten hierauf auch einen Anspruch haben.
Meine Damen und Herren, die vor 40 Jahren gegründete deutsche Bundeswehr hat ihren Auftrag zur Verteidigung Deutschlands und Mitteleuropas erfüllt. Ihre bisherige Organisationsstruktur war überwiegend auf die Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichtet. Heute dagegen müssen unsere Streitkräfte an die neuen politischen Verhältnisse angepaßt werden. Dieser Prozeß ist in Gang gesetzt worden. Dabei bleibt die feste Bindung in das Nordatlantische Bündnis die grundsätzliche Voraussetzung für eine erfolgversprechende europäische Entwicklung.
Parallel zum Umstrukturierungsprozeß der NATO hat die Bundeswehr eine bewundernswerte Leistung für die deutsche Einheit erbracht, die sich zahlreiche gesellschaftliche Institutionen und Organisationen zum Vorbild nehmen sollten. Meine Damen und Herren, die Armee der Einheit hat sich bewährt.
Ich bin zuversichtlich, daß unsere Streitkräfte in gleicher Weise Hervorragendes leisten werden, wenn es darum geht, mit ehemaligen Gegnern und
Günther Friedrich Nolting
heutigen Freunden im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden zusammenzuarbeiten. Herr Minister Rühe, Sie haben auf diesen Bereich schon hingewiesen. Das Vertrauenskapital, das hier aufgebaut wird, reicht weit über die Sicherheitspolitik hinaus in andere Politikbereiche hinüber. Darüber sind sich, glaube ich, viele nicht im klaren, die eine Armee bestenfalls als notwendiges Übel betrachten.
Die Wehrpflicht bleibt aus ideellen Gründen wie praktischen Überlegungen weiterhin ein legitimes Kind der bundesdeutschen Demokratie. Der Kollege Gerhardt hat dies schon angesprochen. Ich will aber eins dazusagen: Es muß dem in der jüngeren Vergangenheit entstandenen Eindruck entgegengewirkt werden, es handele sich hier um ein Stiefkind.
Die historisch gewachsene sehr kritische Einstellung großer Teile der Gesellschaft bzw. auch der meinungsbildenden gesellschaftlichen Gruppen würde sich bei einer Aufgabe der Wehrpflicht - wie von vielen hier im Hause gefordert - in Gleichgültigkeit wandeln. Diese Gleichgültigkeit wäre aus meiner Sicht weitaus gefährlicher für unser Gemeinwesen als jede noch so distanzierte Kritik, die immerhin noch ein gewisses Interesse deutlich macht. Dies gilt auch für öffentliche Veranstaltungen der Bundeswehr, wie z. B. gestern für den Zapfenstreich.
Meine Damen und Herren, die Meinungsfreiheit gehört zu den Grundrechten der Bundesrepublik Deutschland. Ich sage an dieser Stelle aber ganz offen: Ich schäme mich für das, was wir gestern abend von einigen sogenannten Demonstranten hören mußten.
Die Soldaten der Bundeswehr verteidigen das Recht und die Freiheit, auch das Recht und die Freiheit dieser Demonstranten. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich für die F.D.P.-Bundestagsfraktion bei der Bundeswehr, der Polizei, dem Bundesgrenzschutz und allen anderen bedanken, daß dieser Zapfenstreich gestern abend stattfinden konnte. Ich hoffe, Herr Minister, daß ähnliche öffentliche Zapfenstreiche auch in Zukunft noch stattfinden werden.
Ich halte es für mehr als bedenklich, wenn ein Kollege der traditionsreichen - ich betone ausdrücklich: traditionsreichen! - SPD den gestrigen Großen Zapfenstreich als - ich zitiere - „mieses Geburtstagsgeschenk" für die Bundeswehr bezeichnet hat. Herr Kollege Kolbow, ich hätte heute zumindest erwartet, daß Sie sich von dieser Aussage eindeutig distanzieren.
- Sie haben von Sonntagsreden gesprochen. Dann müssen Sie hier auch zeigen, wie Sie zu solchen Aussagen stehen.
Graf Einsiedel - er ist jetzt nicht mehr hier -, ich weise die Diffamierungen gegenüber den Soldaten
der Bundeswehr zurück, die Sie in diesem Zusammenhang hier vorgenommen haben. Die Bundeswehr ist demokratisch legitimiert. Aber dies werden Sie als Vertreter der SED-Nachfolgeorganisation wahrscheinlich nie verstehen. Ich habe den Eindruck, daß einige von ihnen immer noch dem alten System nachtrauern.
Meine Damen und Herren, ich denke, solch eine Geburtstagsfeier bietet auch die Möglichkeit zu einem Ausblick in die Zukunft. Ich will hier einige wenige Punkte nennen:
Erstens. Es muß eine umfassende gesamtgesellschaftliche Diskussion über die zukünftige Rolle deutscher Streitkräfte geführt werden, die die neue außenpolitische Situation Deutschlands berücksichtigt. Ausgangspunkt dafür sollte die heutige Diskussion sein, die aber auf allen Ebenen fortgesetzt werden muß. Es genügt eben nicht, hier eine Feierstunde abzuhalten und ab morgen wieder zur Tagesordnung überzugehen. Ich denke, Herr Kollege Kolbow, wir werden Sie beim Wort nehmen, auch wenn es um die Frage des Konsenses geht.
Zweitens. Es muß erreicht werden, daß zukünftig schneller klare politische Vorgaben für die Streitkräfte erlassen werden, die nicht auf Knopfdruck einen Auftrag erfüllen können, sondern die sich entsprechend vorbereiten müssen. Auch hier, denke ich, ist eine verantwortungsbewußte Opposition gefordert.
Drittens. Das Recht auf Wehrdienstverweigerung bleibt ein wichtiges Grundrecht. Wehr- und Zivildienst müssen aber im Bewußtsein der Bevölkerung, besonders der jungen Menschen, wieder in das Verhältnis zueinander gerückt werden, das das Grundgesetz ihnen zumißt.
Viertens. Der Deutsche Bundestag sollte noch in dieser Legislaturperiode die gesetzlichen Möglichkeiten schaffen, die Bundeswehr für Frauen in allen Bereichen gleichberechtigt zu öffnen, wenn diese auf freiwilliger Basis Dienst in der Bundeswehr leisten wollen.
Fünftens. Die jetzt geschaffene Bundeswehrstruktur muß sich festigen und die Streitkräfte ins nächste Jahrhundert führen. Hierzu ist es unabdingbar, daß für den Haushalt der Bundeswehr weiterhin Planungssicherheit besteht. Wenn man den Streitkräften Aufträge erteilt, bei denen sie gegebenenfalls auch ihr Leben einsetzen müssen, dann haben auch ihre Familien Anspruch auf unsere Unterstützung. Herr Kollege Nachtwei, die Soldaten haben aus dieser Frage heraus einen Anspruch auf ausreichend gutes Gerät und Ausstattung. Ich denke, das gebietet die Fürsorge, die wir gerade als Mitglieder des Verteidigungsausschusses gegenüber diesen Soldaten haben.
Sechstens. Der Grundwehrdienst muß materiell, aber auch ideell attraktiver gemacht werden. Ein erster Schritt im materiellen Bereich wird durch das
Günther Friedrich Nolting
heute hier zu verabschiedende Wehrrechtsänderungsgesetz getan. Insbesondere die Mobilitätszulage und das doppelte Verpflegungsgeld sowie das Vorziehen des Dienstzeitausgleichs auf den vierten Dienstmonat sind erste Maßnahmen, die wir begrüßen. Als weitere Schritte werden wir uns als F.D.P. dafür einsetzen, den Dienstzeitausgleich in finanzieller Form vom ersten Tag an zu gewähren. Ich denke, wir werden uns im kommenden Jahr auch über eine Wehrsolderhöhung unterhalten müssen.
Siebtens. Ein ganz wichtiger Bereich - ebenso wichtig wie die materielle Besserstellung - ist die ideelle Akzeptanz der Bundeswehr und besonders auch der Wehrpflichtigen. Hier ist die Politik gefordert, aber nicht nur sie, sondern darüber hinaus auch alle anderen gesellschaftlich relevanten Gruppen: die Kirchen, die Gewerkschaften, die Verbände und insbesondere auch die Medien.
Meine Damen und Herren, ich will auf einige wenige Vorredner kurz eingehen. Herr Kollege Nachtwei, die Grünen „gratulieren der Bundeswehr nicht". Dies habe ich einer Pressemeldung entnommen. Es heißt weiter:
Erst dann, nach der Abschaffung der Bundeswehr, haben wir einen wirklichen Grund zum Feiern.
Aber es heißt hierin auch:
40 Jahre nach der Gründung der Bundeswehr üben deutsche Soldaten für den Einsatz auf dem Balkan. Wir können Verteidigungsminister Volker Rühe für diesen unrühmlichen Schritt nicht gratulieren.
Haben Sie von den Grünen eigentlich vergessen, welche Greuel - Mord, Vergewaltigung, Verschleppung und Vertreibung - sich in diesen Gebieten abspielen bzw. abgespielt haben? Ich denke, das, was Sie hier aufgezeigt haben, ist an Menschenverachtung nicht mehr zu überbieten.
Eine Waffe ist nicht ein Übel, nur weil es eine Waffe ist. Sie wird vielmehr zum Übel in der Hand des Gangsters, der damit Geiseln bedroht oder tötet; in der Hand des Polizisten, der die Geiseln vor ihrem Schicksal rettet, ist diese Waffe etwas Positives. Genauso verhält es sich mit Streitkräften, die demokratisch kontrolliert und legitimiert zur Wahrung von Recht und menschlichen Werten eingesetzt werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Abschluß sagen: Die F.D.P. steht zu dieser Wehrpflichtarmee. Wir stehen zu dieser Armee, die in den letzten 40 Jahren Großartiges geleistet hat. Ich weiß, daß die deutsche Außenpolitik Verantwortung für 40 Jahre Frieden in diesem Vaterland trägt - wie sollte ich gerade als Liberaler das vergessen? -, aber all das, was wir erreicht haben, wäre ohne diese Bundeswehr nicht möglich gewesen.
Entschuldigen Sie bitte meine Stimme. Da weiß man eine Zweitstimme erst einmal zu schätzen.
Vielen Dank.
Kollege Dieter Heistermann, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben wahrlich Grund zum Feiern. Aber es gibt auch den Alltag der Bundeswehr, und dem möchte ich mich jetzt zuwenden.
Sie mögen es drehen und wenden, wie Sie wollen, meine Damen und Herren von der Koalition: Die Probleme sind hausgemacht. Dafür müssen Sie die Verantwortung übernehmen, auch dafür, daß die Akzeptanz der Wehrpflicht in der Bevölkerung schwindet und die Attraktivität des Wehrdienstes im Vergleich zum zivilen Ersatzdienst spürbar nachgelassen hat.
Ein Versuch der Bundesregierung, die Probleme der Bundeswehr durch einen parteiübergreifenden Ansatz zu lösen, wäre zu begrüßen gewesen. Er ist unterblieben. Auch das haben Sie zu verantworten.
Das jetzt zu beschließende Gesetz zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften beinhaltet letztendlich nicht nur die Anpassung wehrrechtlicher Bestimmungen an die veränderte sicherheitspolitische Lage, sondern es soll auch der Verstärkung von Anreizen zum Dienst als Soldat in der Bundeswehr dienen. Wird dieses Gesetz diesem Anspruch aber gerecht? Darauf geben wir Sozialdemokraten die klare Antwort: Nein, es wird nicht der große Wurf. Dieses Gesetz bleibt Stückwerk, es löst nicht die entscheidenden Probleme, und es hilft nicht mit, die Attraktivität der Wehrpflicht zu erhöhen.
Der Bundesverteidigungsminister a. D. Georg Leber hat in seiner großen Rede in der Feierstunde des Verteidigungsausschusses zum 40jährigen Bestehen der Bundeswehr in beeindruckender Weise die Bereitschaft beschrieben, dem Volk und seinem Staat zu dienen. Er sagte:
Die Bereitschaft, dem Volk und seinem Staat zu dienen, diese Einsicht muß aus der Überzeugung des ganzen Volkes wachsen. Wir müssen nach Wegen suchen, wie wir, nicht nur bei den jungen Männern, die gerufen werden, sondern in der gesamten Bevölkerung, immer wieder Einsicht wekken und stärken können, daß dieser Dienst
- das gilt, füge ich ein, auch für die allgemeine Wehrpflicht -
sich aus unserer Freiheit ergibt und daß er ein Beweis unserer Staatsgesinnung ist.
Hier wird vom Dienen gesprochen. Unterstützen wir also diejenigen jungen Menschen, die in unserer Republik in vorbildlicher Weise dienen, unterlassen
Dieter Heistermann
wir jene Versuche, zwischen den Diensten moralisch zu differenzieren. Das hilft niemandem.
Wer also die Akzeptanz und die Attraktivität der Wehrpflicht wiederherstellen will, muß verständlich erklären, warum die Wehrpflicht notwendig ist und wie die persönlichen Fähigkeiten und erworbenen Qualifikationen der Grundwehrdienstleistenden angemessen in der Bundeswehr berücksichtigt und gefördert werden können. Er wird auch Auskunft darüber geben müssen, wie die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Soldaten attraktiver gestaltet werden können, damit der Dienst in den bewaffneten Streitkräften gegenüber den Ersatzdiensten konkurrenzfähig bleibt.
Den jungen Menschen ist nicht entgangen, daß in jedem Geburtsjahrgang inzwischen die Grundwehrdienstleistenden eine Minderheit darstellen. Wer die Zahl der Kriegsdienstverweigerer, die Zurückstellungen und sonstigen Ausnahmeregelungen zusammen gewichtet, wird an dieser Tatsache nicht vorbeikommen.
In der jungen Generation und in der Bevölkerung wird anerkannt, daß diejenigen, die einen Dienst an diesem Staat leisten, allen Respekt verdienen.
Kolleginnen und Kollegen, unser Problem liegt bei der Dienstgerechtigkeit; denn über 30 % eines Jahrganges leisten überhaupt keinen Dienst. Hier liegt das eigentliche Grundübel. Junge Menschen akzeptieren nicht, daß einige zum Dienst herangezogen werden, während andere ihren privaten Lebensplanungen nachgehen können. Das verärgert junge Menschen. Hier ist die Politik gefordert. Hier ist die Bundesregierung gefordert, ihre Position einzubringen.
- Ich komme gleich zu dem, was wir bringen, Kollege Breuer.
Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf fällt auf, daß der Wehrsold nicht erhöht wird, daß das Entlassungsgeld von derzeit 1 800 DM auf 1 500 DM reduziert wird
und daß das Weihnachtsgeld von derzeit 450 DM auf 375 DM gekürzt wird.
Die Konsequenz daraus ist: Jeder Wehrpflichtige wird am Ende seines Grundwehrdienstes 375 DM weniger im Portemonnaie haben.
Dieses Geld nehmen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, um den sogenannten Mobilitätszuschlag für Grundwehrdienstleistende und anderes zu finanzieren.
Nicht zu bestreiten ist, daß dieser Mobilitätszuschlag sicherlich bei denen Freude auslösen wird, die davon profitieren. Aber es bleibt die Tatsache, daß alle Wehrpflichtigen, die weniger als 50 km vom Standort entfernt wohnen, keinen Mobilitätszuschlag bekommen und zudem weniger Entlassungs- und Weihnachtsgeld erhalten.
Wie formulierte ein Grundwehrdienstleistender so treffend: „Nicht der Wehrdienst wird entschädigt, sondern die Entfernung." Das ist eine Grundhaltung, die Sie bei vielen Wehrpflichtigen antreffen werden. Wir werden sehen, wie Sie mit diesem Problem nicht nur hier im Bundestag, sondern auch im praktischen Alltag umgehen werden.
Während der Beratungen im Verteidigungsausschuß wurde immer deutlicher, daß dieser Mobilitätszuschlag nur eingeführt wird, um die Grundwehrdienstleistenden und Zivildienstleistenden auseinanderzudividieren. Dazu reichen wir nicht unsere Hand.
Die SPD fordert seit Jahren eine Erhöhung des Wehrsolds um 2 DM pro Tag. Mit welchem Recht verweigern die Bundesregierung und die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. den sozial Schwächsten, die einen „Ehrendienst für unser Land leisten" - wie immer unter dem Beifall aller festgestellt wird -,
die überfällige Wehrsolderhöhung?
Herr Kollege Heistermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Breuer?
Da ich nur wenig Zeit habe, Kollege Breuer, möchte ich meine Ausführungen im Zusammenhang machen. Ich bitte um Verständnis.
Es wird Ihnen nicht auf Ihre Redezeit angerechnet.
Herr Präsident, Sie haben mich überzeugt.
Bitte, Herr Kollege Breuer.
Geschätzter Kollege Heistermann, eben haben Sie den Vorwurf erhoben, wir wollten Wehrdienstleistende und Zivildienstleistende
Paul Breuer
durch den Mobilitätszuschlag auseinanderdividieren. Sind Sie bereit, festzustellen, daß einer der wesentlichen Unterschiede zwischen beiden Gruppen darin liegt, daß die Zivildienstleistenden zumeist die Möglichkeit haben, in ihrem Heimatort zu wohnen, während die Wehrdienstleistenden dies gerade nicht können? Dies soll durch den Mobilitätszuschlag ausgeglichen werden. Es liegt also in der Situation der jeweiligen Gruppen begründet.
Herr Kollege Breuer, man muß sich das, was Sie eben ausgeführt haben, einmal auf der Zunge zergehen lassen; denn Sie werden doch auch feststellen müssen, daß Sie dem Wehrpflichtigen, der weniger als 50 km vom Standort entfernt wohnt, 37,50 DM aus der Tasche nehmen.
- Das ist der Tatbestand. - Und auf der anderen Seite wissen Sie, daß die Wehrpflichtigen in immer ferner von ihrer Heimat liegende Standorte einberufen werden, weil es nicht so viele Kasernen in den einzelnen Ländern gibt. Warum haben wir denn das Problem der Heimatferne? Weil durch die Struktur, die die Bundeswehr neuerdings hat, die Entfernungen zwischen Wohnort und Standort immer größer werden. Das ist aber bei den Zivildienstleistenden nicht der Fall.
Wenn Sie wirklich gerecht hätten handeln wollen, dann hätten Sie den Wehrsold um 2 DM erhöht; denn der kommt den Zivildienstleistenden in gleicher Höhe zugute.
Das wollten Sie natürlich nicht. Deshalb waren Sie gegen eine Wehrsolderhöhung.
Ich kann nur feststellen: Es gibt keine rechtfertigenden Gründe für den Mobilitätszuschlag. Ihr Verhalten in dieser Frage, den Wehrsold nicht zu erhöhen, ist schlichtweg unerträglich.
Es bleibt dabei: Wir Sozialdemokraten wollen mittel- und langfristig eine kontinuierliche Anpassung an die jährlich steigenden Lebenshaltungskosten mit dem Ziel, den Wehrsold an die Einkommen der Ausbildungsvergütung im ersten Ausbildungsjahr des öffentlichen Dienstes anzugleichen.
Wer zudem, wie im vorliegenden Wehrrechtsänderungsgesetz vorgesehen, die wöchentliche Rahmendienstzeit auf 46 Stunden verlängert und den Dienstzeitausgleich erst nach dem dritten Monat finanziell vergüten will, macht den Wehrdienst noch unattraktiver, als er heute schon ist. Dies lehnt die SPD als unsoziale Maßnahme ab.
Wer mehr Dienst anordnet, Kollege Breuer, muß vom ersten Monat an bezahlen. Kein Grundwehrdienstleistender wird dafür Verständnis aufbringen, daß die Mittelansätze für Zeit- und Berufssoldaten erhöht werden, sie aber zugleich drei Monate lang leer ausgehen. Ob die vorgesehenen Vergütungen für Soldaten mit besonderer zeitlicher Belastung bei Mehrarbeit von 12 bis 16 Stunden bzw. 16 bis 24 Stunden große Freude auslöst, darf zu Recht bezweifelt werden. Bei den Grundwehrdienstleistenden werden die Entschädigungssätze seit Jahren als unsozial gewertet.
Wir bekräftigen, daß wir in Friedenszeiten soviel wie möglich gesellschaftliche Normalität auch bei den Soldaten haben wollen, also Freizeit vor finanzieller Vergütung. Wir werden genau hinsehen, wie die Truppe mit dem Faktor Zeit und dem Faktor Freizeit umgeht.
Wo bleibt eigentlich ein flexibles Dienst-, Laufbahn- und Statusrecht, das seit fünf Jahren durch die Opposition und den Deutschen Bundeswehrverband gefordert und angemahnt wird? Wo bleibt die Einführung der Feldwebellaufbahn? Wo bleibt die Einführung einer Mannschaftslaufbahn mit kürzeren Beförderungszeiten? Wo bleibt die Begrenzung des Einberufungshöchstalters auf 25 Jahre?
Im letzten Punkt zeigt nun auch die Koalition leichte Beweglichkeit. Sie will die Einberufungspraxis bei Wehrpflichtigen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, überprüfen. Ein SPD-Antrag zum gleichen Inhalt wurde vor noch gar nicht langer Zeit abgelehnt. Kolleginnen und Kollegen, wir helfen aber der Koalition in dieser Frage gern auf die Sprünge.
Die Absicht der Bundesregierung, auch Grundwehrdienstleistende im Wehrpflichtverhältnis, die dies freiwillig wollen, außerhalb der Landes- und Bündnisverteidigung einzusetzen, lehnt die SPD ab, weil damit der Sinn und der Zweck der Wehrpflicht aufgegeben und deren Legitimation in Frage gestellt wird. Die SPD bleibt bei ihrer Auffassung, Grundwehrdienstleistende nicht außerhalb der Landes- und Bündnisverteidigung einzusetzen.
Der Status der freiwilligen Verpflichtung ist überflüssig wie ein Kropf und nur eine finanzielle Hilfsbrücke. Der Status Soldat auf Zeit oder auf Monate reicht völlig aus. Wir werden sehen, ob die Zahl der erforderlichen Weiterverpflichtungen erreicht wird, wie das die Koalition bei ihrem Strukturmodell unterstellt.
Die Dauer des Grundwehrdienstes soll auf zehn Monate verkürzt werden. Anschließend sollen die Wehrpflichtigen für zwei Monate in Verfügungsbereitschaft bleiben. Die Verkürzung auf zehn Monate ergibt sich nur aus den fehlenden Haushaltsmitteln, nicht aus einer sicherheitspolitisch begründeten Konzeption. Das Aufgeben der quartalsweisen Einberufung bei W 10 verursacht einen erheblichen organisatorischen Aufwand, allein schon deshalb, weil der bewährte quartalsweise Einberufungsrhythmus auf-
Dieter Heistermann
gegeben und statt dessen ein zweimonatiger Einberufungstermin eingeführt werden muß.
Die Anschlußbeorderung von zwei Monaten, die nur angeordnet wird, um schnell auf 370 000 Soldaten Präsenzstärke aufwachsen zu können, verursacht ebenfalls einen nicht vertretbaren Verwaltungsaufwand. Dieser Verwaltungsaufwand, der unter den heutigen politischen Bedingungen nicht zu vertreten ist und nicht notwendig wäre, verursacht zudem Kosten in zweifacher Hinsicht: erstens auf Grund der Aufrechterhaltung eines aufgeblähten Streitkräfteumfangs und zweitens auf Grund der unwirtschaftlichen Verfügungsbereitschaft von zwei Monaten, die nicht erforderlich ist. Auch wird sich die Situation der Wehrpflichtigen durch die Einführung einer Verfügungsbereitschaft von zwei Monaten nach dem normalen Grundwehrdienst nicht verbessern, da sie in dieser Zeit präsent bleiben müssen.
Die SPD tritt seit 1990 für die Verkürzung des Grundwehrdienstes auf neun Monate ein. Neun Monate Grundwehrdienst reichen aus, um bei den gegenwärtigen Sicherheitsrisiken die Wehrpflichtigen so auszubilden, daß die gemeinsame Landesverteidigung im Bündnis sichergestellt werden kann. Das sieht der Beirat für Fragen der Inneren Führung ebenso.
Für zur Alarmreserve beorderte Mannschaftssoldaten könnte die Verkürzung des Grundwehrdienstes um einen Monat erwogen werden, mit der Maßgabe, die Pflichtwehrübungstage entweder im direkten Anschluß an den Grundwehrdienst oder durch spätere Wehrübungen zu erbringen. Für nichtbeorderte Mannschaften entfiele die Wehrübungsverpflichtung nach Entlassung aus dem Grundwehrdienst.
Es gibt also bessere Alternativen zum jetzt eingeschlagenen Weg.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann nicht auf alle Bestimmungen des Wehrrechtsänderungsgesetzes eingehen. Vieles ist unausgegoren und mit heißer Nadel gestrickt.
Ein gut durchdachtes Konzept ist nicht erkennbar.
Wir erkennen durchaus an, daß einige Punkte dieses Gesetzes unsere Zustimmung erhalten können. Insgesamt aber wird der Gesetzentwurf den dringenden Notwendigkeiten für die Personallage der Bundeswehr nicht gerecht. Viele Maßnahmen sind falsch gewichtet.
Dieses Gesetz stärkt nicht die Wehrpflicht und gibt den Grundwehrdienstleistenden nicht den notwendigen Rückhalt.
Sie wissen doch wie wir, daß der Nachwuchs der Bundeswehr aus den Grundwehrdienstleistenden gewonnen werden muß. Deshalb müssen sie Ausgangspunkt aller Maßnahmen sein. Dem werden Sie mit Ihrem Gesetz nicht gerecht.
Aus den dargelegten Gründen lehnen wir das Gesetz ab.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Kollegen Dr. Klaus Rose das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Parlamentsdebatte aus Anlaß des 40jährigen Bestehens der Bundeswehr geht ihrem Ende entgegen. Den Aussagen des Kollegen Heistermann wird unser Kollege Augustinowitz entgegnen; denn es lohnt sich wirklich, manche Dinge richtigzustellen und damit im Interesse der Bundeswehr für Klarheit zu sorgen.
Ich als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses möchte der Bundesregierung herzlich Dank sagen, daß sie heute eine Regierungserklärung abgegeben hat und der Bundeskanzler selbst die Bedeutung der Bundeswehr unterstrichen hat. Unsere Soldaten haben diese Anerkennung verdient.
Zu den gestrigen Ereignissen soll von meiner Seite nur soviel gesagt sein: Die Bundeswehr sorgt für den Frieden und die Freiheit aller Mitbürger. Sie darf sich selbstverständlich an ihrem Geburtstag freuen und ein so friedvolles Zeremoniell wie gestern in aller Öffentlichkeit abhalten. Gestört hat nicht die Bundeswehr, gestört haben die Schreier.
Wer nicht versteht, daß die Bundeswehr für den Frieden und die Freiheit aller Mitbürgerinnen und Mitbürger sorgt, dem ist nicht zu helfen. Er wird ewig Außenseiter bleiben und niemals Regierungsfähigkeit erlangen. Der Kollege Fischer, der sich sonst so gerne als ein Mann innerparteilicher Stärke darstellt, wird gerade auf diesem Feld Schiffbruch erleiden. Ihm scheint offensichtlich auch der Fraktionsvorsitz wichtiger zu sein als der Eintritt für Vernunft. Er sollte die Aufgabe der Bundeswehr endlich als das ansehen, was sie seit 40 Jahren ist, nämlich die Gewährleistung der Freiheit dieses Landes.
Meine Damen und Herren, wir haben bei unserer öffentlichen Sitzung des Verteidigungsausschusses am 27. September im Wasserwerk über alle Fraktionsgrenzen hinweg Einigkeit in dem Sinne demonstriert, daß die Bundeswehr eine Armee des ganzen Volkes ist. Wir haben damals auch bewußt den früheren Bundesverteidigungsminister Georg Leber eingeladen, der als Sinn der Wehrpflicht die Integration aller Bevölkerungsschichten bezeichnet hat. Ich erwähne das deshalb, weil ich damals natürlich beobachtet habe, wie über alle Fraktionsgrenzen hinweg Beifall gespendet wurde. Auch die Grünen haben
Dr. Klaus Rose
wegen der Begeisterung über manche Aussage diesen Beifall öffentlich gezollt.
Wenn Sie aber wieder in Ihren eigenen Kreisen sind, muß ich mit riesiger Enttäuschung feststellen - ich sage das auch öffentlich -, daß ich gestern z. B. im Fernsehen den Kollegen Nachtwei unter den Randalierern gegen die Bundeswehr gesehen habe, ein Mitglied des Verteidigungsausschusses unter den Randalierern! Das halte ich nicht für mit dem, was ich mir vorstelle, verträglich.
Gestatten Sie eine Frage des Kollegen Nachtwei?
Er hat selbstverständlich das Recht, diese Darstellung des Sachverhalts noch zu bestätigen.
Lieber Kollege Rose, sind Sie bereit festzustellen, daß ich wohl bei dieser Kundgebung und auf der Straße war und dann ungefähr eine Stunde lang in dem von der Polizei gebildeten Schlauch war, daß ich aber in keiner Weise herumrandaliert habe? Sie kennen mich doch nun soweit, daß Sie das in keiner Weise annehmen können. Im Gegenteil: Ich habe dort diesen Reden nur ruhig zugehört.
Herr Kollege Nachtwei, weil ich Sie kenne, antworte ich jetzt noch einmal ganz bewußt - ich habe es ja nur im Fernsehen gesehen -: Statt daß ich Sie als Mitglied des Verteidigungsausschusses bei denen gesehen habe, die den Zapfenstreich mit der Bundeswehr begangen haben, habe ich Sie im Fernsehen leider unter denen gesehen, die gegen die Bundeswehr demonstriert haben, randaliert haben und die „Mörder" gerufen haben, was ich selber gehört habe.
Ich habe nie behauptet - vorher nicht und auch jetzt nicht -, daß Sie es selber gemacht haben, aber Sie standen unter diesen Leuten. Ich finde das sehr beschämend.
Meine Damen und Herren, wir haben heute nicht bloß diese 40 Jahre Bundeswehr, sondern auch fünf Jahre Armee der Einheit. Gerade die Wiedervereinigung und die Übernahme der Nationalen Volksarmee haben gezeigt, wie tragfähig und attraktiv die Bundeswehr ist und mit welchem demokratischen Selbstverständnis, offen und unverkrampft, viele NVA-Soldaten in die Bundeswehr integriert und von unserem System überzeugt werden konnten. Dies ist - und das möchte ich deutlich sagen - eine Pioniertat der Wiedervereinigung. Es ist kein Zufallsprodukt, sondern Ernte einer gelungenen Erziehung unserer Soldaten. Darauf läßt sich aufbauen, denn wir brauchen in Zukunft eine von allen bürgerlichen Kräften gemeinsam getragene Außen- und Sicherheitspolitik. Gerade deshalb und weil ich mich über das, was ich gerade geschildert habe, sehr ärgere, hoffe ich, daß sich auch die Vertreter der Grünen mehr auf die Seite der Bundeswehr stellen können und nicht dann, wenn es irgendwo zu schwierigen Ereignissen kommt, plötzlich wieder alles vergessen, was sie in vernünftiger Kleinarbeit auch zugunsten der Bundeswehr leisten.
Meine Damen und Herren, die CSU war und ist - lassen Sie mich das als Vertreter der CSU deutlich sagen - alles andere als nur ein Schönwetterfreund der Bundeswehr. In Fragen der Landesverteidigung und der Bundeswehr sind wir in jahrzehntelanger Kontinuität immer einen klaren Weg gegangen, ob dies das Thema der Wiederbewaffnung war, das Thema des NATO-Doppelbeschlusses
oder wie zur Zeit der deutsche Beitrag für eine Friedenslösung in Bosnien. 40 Jahre Armee in der Demokratie heißt: 40 Jahre Diskussion und politische Auseinandersetzungen um die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung, 40 Jahre politischer Streit um einen ausreichenden Verteidigungsetat und nicht zuletzt 40 Jahre Überzeugungskampf gegen die trügerische Irrlehre von Pazifismus, die noch von einigen in unserem Land wider bessere Erfahrung gepredigt wird.
Meine Damen und Herren, wie der Blick auf die Ränder Europas zeigt, benötigen wir auch in Zukunft eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit. Nicht subjektiver Pazifismus, sondern nur qualitativ hochwertige motivierte Streitkräfte bilden die Garantie für die äußere Sicherheit unseres Landes. Unsere Bürger haben Anspruch auf eine realistische, glaubwürdige und stabile Sicherheitspolitik, die sie wirklich schützt. Sie haben Anspruch auf eine Politik, die auch in Friedenszeiten nüchtern die Risiken analysiert und die nötige Vorsorge trifft.
Meine Partei hat sich immer klar zu den erweiterten Aufgaben der Bundeswehr bekannt. Das vereinte Deutschland muß sich seiner gewachsenen Verantwortung stellen. Wir dürfen dafür auch keine Sonderrolle beanspruchen.
Ich habe das Zutrauen in diese Demokratie - ich möchte das dem Kollegen von der PDS sagen, der vorhin gesprochen hat -, daß wir es jederzeit verhindern werden, daß deutsche Streitkräfte je wieder für verbrecherische Ziele mißbraucht werden. Kein Soldat, auch kein Bürger muß befürchten, daß unsere
Dr. Klaus Rose
Armee je wieder von falschen Ideologen in einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg geführt wird.
Schöne Worte des Dankes allein nützen nichts. Wir müssen deshalb auch bereit sein, den Preis zu zahlen, um unsere Bundeswehr modern und leistungsfähig zu halten. Deshalb wird heute auch von Verbesserungen gesprochen, und ich sage nochmals: Kollege Augustinowitz wird diesem Kapitel noch besondere Worte widmen.
Meine Damen und Herren, da es um unsere Sicherheit geht, müssen wir uns auch öffentlich zu unserer Bundeswehr bekennen. Für mich ist es eine Form der Undankbarkeit, wenn gefordert wird, die Bundeswehr solle sich in unserer Demokratie mit ihren Gelöbnissen in ihre Kasernen zurückziehen. Ich sage Ihnen: Das Gegenteil ist richtig. Gelöbnisse in der Öffentlichkeit sind eine Selbstverständlichkeit für eine gesellschaftlich integrierte, in die Demokratie eingebettete Armee,
und dieses öffentliche Bekenntnis zu unserer Bundeswehr ist wichtig für unsere Soldaten und wichtig für unsere Gesellschaft.
Die Bundeswehr hat in ihrer Geschichte immer wieder massive Strukturveränderungen in Anpassung an neue Aufgaben hinnehmen müssen. Das hat bekanntlich nicht so sehr die allgemeine Bevölkerung bewegt, aber das hat die Soldaten und ihre Familien getroffen. Viele Bürger in unserem Land können sich nämlich gar nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn man unseren Soldatenfamilien in kurzen Zeitabständen immer wieder Mobilität, Versetzung abverlangt.
Um so wichtiger ist es, daß wir unseren Soldaten und ihren Familien in unseren Gemeinden und Städten offen und freundschaftlich begegnen, um ihnen die jeweilige Integration leichtzumachen, daß wir sie immer wieder aufnehmen, daß wir sie akzeptieren, so daß sie sich bald auch am neuen Ort wieder zu Hause fühlen und daß sie bei der Bevölkerung merken, daß sie unterstützt sind.
Meine Damen und Herren, wir erleben, daß Soldaten in vielen Vereinen und Ehrenämtern engagierte Bürger sind, die zu erkennen geben, daß sie einen Beruf gewählt haben, den die Bereitschaft und die Begabung, die Dinge anzupacken, auszeichnet.
Ich meine, wir brauchen dringend auch eine öffentliche Diskussion über den Wert und die Wichtigkeit der Wehrpflicht. Das ist in diesem Jahr ohnehin häufig zitiert worden, aber wenn wir die Erfolgsgeschichte der Armee in der Demokratie fortschreiben wollen, dann - davon bin ich felsenfest überzeugt - müssen wir die Wehrpflicht bewahren.
Wir müssen die Wehrpflicht attraktiv halten und ihr den gesellschaftlichen Wert zukommen lassen, der ihrer Bedeutung entspricht.
Wenn wir heute unseren Soldaten der Bundeswehr danken, dann müssen wir uns in Erinnerung rufen, daß unsere Berufs- und Zeitsoldaten und unsere Wehrpflichtigen sich für Aufgaben bereithalten, die es verlangen, daß sie nötigenfalls auch ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzen. Ich weise deshalb um so entschiedener jede Diffamierung und Beleidigung unserer Soldaten zurück.
Ich muß in diesem Zusammenhang nochmals auf die sogenannte Mörder-Diskussion zurückkommen. Sie ist schändlich, sie ist beschämend, sie ist unerträglich.
Was mich an dieser typisch deutschen Diskussion so nachdenklich macht, sind die Häme und der Zynismus derer, die mit dem Selbstanspruch des Pazifisten versuchen, bitteren Unfrieden in unsere Gesellschaft zu bringen.
Ich bin persönlich äußerst unglücklich darüber, daß es dem Verfassungsgericht nicht gelungen ist, mit seinem Urteil die Klarheit zu schaffen, die die Bürger unseres Landes, wie aktuelle Umfrageergebnisse zeigen, mit Recht erwartet haben.
Meine Damen und Herren, es ist schwierig, in einer freien und pluralistischen Gesellschaft Werte und Autoritäten zu erhalten, auf die die Bürger vertrauen können und die unserem Staat Stabilität und innergesellschaftlichen Frieden geben. Gerade deshalb haben Gerichte eine besondere Verantwortung. Gerade deshalb dürfen diese Werte nicht durch falsche oder zumindest unverständliche Urteile schwierig gemacht werden. Wir werden denen entschieden widersprechen, die versuchen, die Dinge auf den Kopf zu stellen.
Meine Damen und Herren, jeder Staat hat Vorsorge zu treffen, Leben und Freiheit seiner Bürger zu verteidigen. Deshalb sage ich - wie vorhin Minister Rühe - nochmals laut und deutlich: Wehrdienst ist Ehrendienst. Es ist ein lebenswichtiger Dienst für unser Land und für die Menschen in unserem Land, für deren Lebensqualität, für ihre Freiheit und für ihren Wohlstand. Wenn jemand Wehrdienst geleistet hat, kann er immer noch alte und behinderte Menschen pflegen. Deshalb ist die Priorität auf jeden Fall auch unter diesem Gesichtspunkt zu werten.
Ich meine, wir sollten auch zukünftig für eine leistungsfähige Landesverteidigung streiten. Deshalb fordere ich alle Parteien im Deutschen Bundestag auf, sich geschlossen hinter den Auftrag der Bundeswehr zu stellen.
Wir sind gegen jede weitere Reduzierung der Stärke
der Bundeswehr; das sage ich jetzt als CSU-Politiker.
Die Wehrpflicht muß für die jungen Menschen in un-
Dr. Klaus Rose
serem Land ein attraktiver und anerkannter Dienst bleiben.
Deshalb möchte ich zum Abschluß allen Soldaten und ihren Familien sagen: Wir sind der Bundeswehr sehr dankbar. Wir sind stolz auf unsere Bundeswehr. Sie hat ihren Platz mitten unter uns. Wir brauchen sie, um weiter in Frieden leben zu können.
Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten in dieser Woche zwei Jubiläen. Das eine war der 50. Jahrestag der Gründung der UNO, das andere war der 40. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr. Was mir eigentlich Sorge bereitet, ist, daß sich der Kanzler weigert, zur UNO zu fahren, weil seine Redezeit begrenzt ist - ich bin auch für nur fünf Minuten hierhergekommen -, und daß er auch in der Bundestagsdebatte dazu nicht spricht,
während er heute zum 40jährigen Jubiläum der Bundeswehr spricht.
- Zu Beginn hat Herr Kinkel gesprochen.
Das hatte auch seine Gründe. Damit haben Sie den unterschiedlichen Stellenwert deutlich gemacht, den UNO und Bundeswehr in Ihrer Politik haben. Das darf man wohl noch kritisch und zugleich auch besorgt feststellen.
Die Bundeswehr ist im kalten Krieg entstanden. Das ist wahr. Nun vertreten alle die These, daß aus dem kalten kein heißer Krieg wurde, weil es die Bundeswehr gegeben hat. Ich halte diese These zumindest für sehr leichtfertig; denn in der Zeit, in der es keine Bundeswehr gab, ist aus dem kalten auch kein heißer Krieg geworden. Das heißt, ich glaube, daß diese zwangsläufige Feststellung abenteuerlich ist.
Wenn sie denn zutreffen sollte, müßten Sie allerdings hinzufügen, daß es dann auch berechtigt wäre, zu sagen, daß die NVA mit dafür gesorgt hat, daß aus dem kalten Krieg kein heißer wurde. Damit stünden Sie vor einer komplizierten Frage.
- Wissen Sie, mich wundert eines. An dem 3. Oktober
1990 wird vieles gewürdigt, nur eines nicht, und das
halte ich für das Entscheidende: Seit dem 3. Oktober
1990 ist endlich die Gefahr vorbei, daß es einen Krieg zwischen den beiden deutschen Staaten gibt.
Das ist, wenn Sie so wollen, das positivste Ergebnis der deutschen Einheit.
Wenn wir schon über die NVA sprechen - über die ich viel Kritisches sagen könnte -, muß ich Ihnen eines vorhalten: Es ist eine historische Leistung, daß eine Armee, die für einen Staat da ist, bei der Auflösung dieses Staates genau nicht zur Waffe greift
und daß es auch keinen solchen Befehl gab, sondern daß sie sich friedlich auflöst und mit dem Staat zusammen untergeht. Das hat es in der Geschichte noch nie gegeben. Das will ich an dieser Stelle ausdrücklich würdigen.
Sie sprechen in diesem Zusammenhang immer von der Armee der Einheit. Das ist allerdings mehr eine Illusion als eine Tatsache. Von 50 000 Berufssoldaten haben Sie 11 000 übernommen. Davon sind heute noch 2 575 in der Bundeswehr. Da kann man natürlich leicht von einer „Armee der Einheit" reden.
Sie haben dort ganz unterschiedliche Besoldungsgruppen. Wenn jetzt jemand mit 53 Jahren aus der Bundeswehr entlassen wird und er aus dem Osten kommt, bekommt er 1 844 DM und muß davon noch Sozialversicherung bezahlen. Anschließend muß er Sozialhilfe beantragen. Jemand, der von Anfang an im Westen gedient hat, bekommt 3 465 DM brutto. Das heißt: Es gibt eine klare soziale Spaltung innerhalb der Bundeswehr, übrigens zum Teil in bezug auf völlig idiotische Dinge, nämlich beispielsweise in Abhängigkeit davon, wo man den Dienstvertrag unterschreibt. Unterschreibt man ihn in Westberlin, bekommt man Westbezüge; unterschreibt man ihn zufällig in Ostberlin, bekommt man Ostbezüge. Rational ist das Ganze nicht zu erklären. Vielmehr dient es auch nur der Demütigung.
Herr Eppelmann hat erklärt, daß er umdenken mußte, daß er Pazifist war, daß er den Wehrdienst verweigert hat, daß er Abrüstungsminister werden wollte und auch wurde, daß er heute ein tiefes Bekenntnis zur Bundeswehr, zur NATO und zu internationalen Einsätzen der Bundeswehr ablegt und daß das eben daran liegt, daß die Armeen nicht gleich sind, die Bündnisse nicht gleich sind und auch offensichtlich die Kriege nicht gleich sind. Ich denke, Sie, Herr Eppelmann, hätten nur noch hinzufügen müssen, daß dieses Ihr Bekenntnis auch damit zu tun hat, daß Sie natürlich andernfalls nicht hätten CDU-Abgeordneter im Bundestag werden können und auch nicht Mitglied im Präsidium der CDU.
Dr. Gregor Gysi
Dann wären wir der Wahrheit schon etwas näher gekommen.
Ich glaube eben, daß es eine Fehlentwicklung ist, daß die Hoffnungen, die am 3. Oktober 1990 bestanden, nämlich die einer Demilitarisierung der Gesellschaft, sich völlig zerschlagen haben und wir eine permanente Militarisierung erleben.
Ich habe es doch noch erlebt: Als ich ein Kind war, war schon der Besitz einer Wasserpistole verpönt. Dann habe ich erlebt, wie sich auch unser Leben gesellschaftlich sozusagen militarisiert hat, was ich unerträglich fand. Mein Bedarf an Großen und Kleinen Zapfenstreichen und Militärparaden ist in der DDR ein für allemal gedeckt worden. Meine schwache Hoffnung, daß das wenigstens hier nicht stattfindet, haben Sie gestern zerstört. Jetzt stelle ich fest: Das gleiche Säbelgerassel, dasselbe Getue
- ja -, nur um der Bevölkerung klarzumachen, wie wichtig Ihnen das Militär ist. Deshalb veranstalten Sie doch diesen Großen Zapfenstreich, um uns an die Militarisierung der Außen- und der Innenpolitik zu gewöhnen. Genau dagegen richtet sich unser Widerstand.
Sie sind dann gestern noch weiter gegangen. Sie haben gestern das erste Mal über das Brandenburger Tor Tornados, Phantom-Flugzeuge und MiGs geschickt.
Was wollten Sie denn eigentlich der Berliner Bevölkerung zu verstehen geben? frage ich Sie. Dazu haben Sie nicht Stellung genommen.
Wir bleiben ganz entschieden dabei, daß wir die internationalen Konflikte mit nichtmilitärischen Mitteln lösen müssen. Für uns kommt ein Bundeswehreinsatz unter Blauhelmen oder anderen Helmen nicht in Frage. Deshalb wenden wir uns dagegen.
Sie wissen, daß wir gegen die Wehrpflicht sind. Ich habe jetzt keine Zeit, das hier näher auszuführen. Für uns geht es um das Signal der Entmilitarisierung, das sich damit verbinden würde, auch mit der Abschaffung der anderen Zwangsdienste.
- Eines muß ich zu dem Zwischenruf sagen: Den Pazifismus haben Sie vorhin verurteilt. Wenn überhaupt, dann hat er seinen Ursprung in der Bergpredigt. Sie nennen sich christlich; also sollten Sie einmal darüber nachdenken.
Aber wenn es schon eine Wehrpflicht gibt, dann ist es ein Skandal, daß beim Sozialabbau in erster Linie die Wehrpflichtigen herhalten müssen und natürlich nicht die Offiziere und die Berufssoldaten. Das ist Ihre Art.
Herr Kollege.
Mein letzter Satz: Wenn Sie in bezug auf Friedenspolitik glaubwürdig sein wollen, dann müssen Sie erst einmal erklären, weshalb der Waffenexport derart zunimmt. Wer so viel Waffen exportiert und so viel daran verdient, verdient letztlich an Krieg und Bürgerkrieg. Das ist der eigentliche Skandal der heutigen Situation.
Bei allen Rednern, Herr Kollege Gysi, hat es bisher geklappt, daß ich, ohne das Mikrophon einzuschalten, von hinten leise gesagt habe: Ende der Redezeit. Dann sind sie zum Schluß gekommen. Sie haben locker eine Minute weitergeredet. Das finde ich nicht fair.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker Kröning.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf die Tagesordnung zurückkommen, und zwar auf das Wehrrechtsänderungsgesetz, und darf mich dabei auf den Antrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 13/2757 beziehen.
Die SPD-Fraktion hat aus Anlaß des 40jährigen Jubiläums der Bundeswehr vielfach ihre Grundsatzposition zum Ausdruck gebracht, daß sie zur Wehrpflicht steht, d. h. zum Wehrdienst und zu den als Ersatz für den Wehrdienst gesetzlich vorgesehenen Dienstarten. Man sollte diese Dienste - Friedensdienste mit und ohne Waffe - nicht gegeneinander ausspielen.
Da kann ich mich nicht nur mit einem Appell, sondern sogar mit einer Referenz ausdrücklich an die Koalitionsfraktionen wenden: Sie haben dies heute nicht getan. Deshalb wende ich mich an die anderen Oppositionsvertreter, auch wenn ich nicht sehr hoffnungsfroh bin, sie von unserem Anliegen überzeugen zu können: Friedensdienste mit und ohne Waffe -
Volker Kröning
das sollten wir in dieser Minute noch einmal deutlich machen - haben ein gemeinsames Fundament, nämlich die Pflichterfüllung gegenüber der Allgemeinheit. In einer Zeit der Überordnung des Einzelinteresses über das Allgemeininteresse, einer ebenso ungelösten wie lösungsbedürftigen Konkurrenz von Individualismus und Solidarität ist es nicht das Geringste, neben dem Recht, das immer gegen die Pflicht ausgespielt wird, vor allen Dingen die Pflicht von Menschen gegenüber Menschen zu betonen, die in beiden Dienstarten erfüllt wird.
Das ist für uns Ausgangspunkt für zwei Initiativen, von denen eine neu und eine leider alt ist; doch nach unserem Dafürhalten sind beide überfällig. Es geht um die Gleichbehandlung der Dienstarten im Wehrpflichtgesetz und im Zivildienstgesetz, nämlich in finanzieller Hinsicht des sogenannten Dienstes im Ausland - einer Alternative zum Zivildienst - mit diesem Zivildienst und in zeitlicher Hinsicht des Zivildienstes mit dem Grundwehrdienst.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, dazu einen Blick auf den „Bericht der Bundesregierung zur Gleichbehandlung von Grundwehrdienstleistenden und Zivildienstleistenden" werfen, der schon vor anderthalb Jahren dem Deutschen Bundestag vorgelegt und neulich im Verteidigungsausschuß behandelt worden ist. Der Bericht spricht in beeindruckender Weise von einem „gesetzgeberischen Willen, ... beide Gruppen von Dienstpflichtigen gleichzustellen" und stellt fest, daß „die Problematik der rechtlichen und tatsächlichen Gleichbehandlung der Grundwehrdienstleistenden und der Zivildienstleistenden im Bewußtsein der Betroffenen besonders sensibel" ist. Ich meine, auch ein 40jähriges Jubiläum der Bundeswehr gibt Anlaß, diesen Punkt, der die Öffentlichkeit ebenfalls interessiert, noch einmal zur Sprache zu bringen.
Wer z. B. als junger Mann auch Russisch gelernt hat und sich verpflichten möchte, in Moskau Kinder und Jugendliche zu betreuen, die von Verwahrlosung bedroht sind, die Gefahr laufen, nicht einmal mehr Kindergärten und Schulen zu besuchen, stellt fest, daß sein Dienst, der im Zivildienstgesetz geregelte sogenannte Andere Dienst im Ausland - die vom Gesetzgeber selber eröffnete Alternative zum Zivildienst im Inland -, in dem Bericht der Bundesregierung überhaupt nicht erwähnt wird. Das muß ihn wundern. Denn dieser Dienst wird, anders als der Wehr- und der Zivildienst, nicht entgolten. Die Kosten für dieses Engagement müssen die jungen Leute selber tragen - oder ihre Eltern und freie Träger, die dazu oft nicht in der Lage sind.
Das ist ein krasser Fall von Ungleichbehandlung, der auch dein Zweck der Regelung zuwiderläuft, der im Gesetz ausdrücklich mit der „Förderung des friedlichen Zusammenlebens der Völker" - eine vielleicht etwas altmodisch klingende, aber nach wie vor berechtigte Formulierung - umschrieben wird. Wir fordern, daß dieses Defizit beseitigt wird.
Darüber hinaus fordert die SPD zum wiederholten Male, die Dauer von Zivildienst und Grundwehrdienst zu vereinheitlichen. Dazu sagt der erwähnte Bericht der Bundesregierung:
Dem Gesetzgeber ist durch die Unterschiede, die die beiden Dienste prägen, ein Gestaltungsspielraum eröffnet; er ist nicht zu einer schematischen Gleichbehandlung verpflichtet.
Dies ist ein seltener Fall von richtig und falsch: Richtig ist, daß der Gesetzgeber anders handeln könnte. Ob er aus rechtlichen Gründen auch anders handeln muß, will ich hier und heute offenlassen. Doch falsch ist, daß sich die Bundesregierung noch immer auf das Bundesverfassungsgericht beruft, das in der Tat die unterschiedliche Dauer von Wehr- und Zivildienst legitimiert hat.
Es bleibt nämlich ein Unikum unserer Rechtsordnung - und das ausgerechnet im Kernbereich von Rechten und Pflichten, von Dienen und Helfen, ja von Leben und Tod - daß gegen den klaren Wortlaut einer Verfassungsnorm verstoßen wird, daß - im Klartext - entgegen Art. 12a des Grundgesetzes der Zivildienst noch immer länger dauert als der Wehrdienst und nach dem vorliegenden Gesetzentwurf auch weiterhin länger dauern soll.
Die grundgesetzliche Vorschrift, daß die Dauer des Ersatzdienstes die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen darf, wird in einer für das juristisch gebildete wie für das unverbildete Publikum erstaunlichen Weise uminterpretiert:
Nicht die Dauer, sondern die Belastung wird verglichen. Die Wehrübungen werden angerechnet. Dabei werden nicht die tatsächlich geleisteten Übungen, sondern eine gegriffene Größenordnung zugrunde gelegt.
Auch diese Begründung ist beinahe überholt. Die Bundesregierung bemüht in ihrem erwähnten Bericht ein denkbar dürftiges Zitat der letzten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
- Doch, doch. Ich will mich nicht auf das Glatteis der Kritik am Bundesverfassungsgericht begeben; aber ich muß Ihnen dieses Zitat, auf das sich die Bundesregierung bezieht, vorlesen. Es heißt dort:
Der Zivildienstleistende ... ist in der Regel einem weniger strengen Dienstverhältnis unterworfen und befindet sich typischerweise in einer weniger belastenden Lebenssituation.
Jeder mag sich darauf einen Reim machen. Doch eines besagt dieser Satz: Es kommt auf die Realität an und darauf, wie sie bewertet wird.
Für uns ist die Antwort eindeutig: Längst werden nahezu alle Wehrpflichtigen, auch alle, die den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigern,
Volker Kröning
zum Dienst herangezogen. So wichtig der Wehrdienst ist, so unentbehrlich ist der Zivildienst für unsere Gesellschaft inzwischen geworden. Die Zahl der Wehrübungen ist so verschwindend gering, daß sie - selbst wenn man der bisher herrschenden Meinung folgen wollte - eine pauschale Ungleichbehandlung des Zivil- und des Wehrdienstes nicht mehr rechtfertigt.
Meine Damen und Herren, die Funktionsfähigkeit der militärischen Komponente unserer Sicherheit ist bei einer Gleichbehandlung, wie die Verfassung sie fordert oder wie sie der Gesetzgeber zumindest mit dem gegebenen Spielraum einführen sollte, nicht in Gefahr.
Die Voraussetzungen für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind somit entfallen. Der Gesetzgeber sollte keiner der beiden Gruppen von Dienstleistenden die Ernsthaftigkeit ihrer Entscheidung absprechen.
Er sollte für die Attraktivität beider Dienstarten sorgen. Er sollte endlich die Gleichwertigkeit beider Dienstarten anerkennen. Es wird Zeit.
- Sie können sich zu einer Zwischenfrage melden. - Keine der beiden Dienstarten ist „2. Klasse".
Wir bitten deshalb um Annahme unseres Antrages.
Das Wort hat der Kollege Augustinowitz, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Wehrrechtsänderungsgesetz wird die tiefgreifendste gesetzliche Eingriffsmaßnahme in die Bundeswehr in dieser Wahlperiode sein. Deswegen will ich mich auf dieses Gesetz konzentrieren.
Kernpunkt des Gesetzes ist die Verkürzung des Grundwehrdienstes auf zehn Monate, mit der Möglichkeit, freiwillig bis zu 23 Monate in der Bundeswehr zu dienen. Es gehört zur Redlichkeit dazu, zu sagen, daß es im Vorfeld dieser politischen Entscheidung Diskussionen über diese Frage in der Gesellschaft und natürlich auch in der CDU/CSU und der F.D.P., also in der Koalition, gegeben hat.
Denn es gibt in der Tat ein Problem, nämlich die Auswirkungen dieser Verkürzung auf die personelle Bedarfsdeckung der Bundeswehr.
Es ist zweifelsohne auch richtig, daß es einen gewissen Zielkonflikt zwischen der Verkürzung auf zehn Monate und der Friedensstärke von 340 000 Soldaten gibt, vor allem mit Blick auf die doch sehr stark gestiegene Quote der Wehrdienstverweigerer.
Es kommt entscheidend darauf an, daß wir diese auch vom Bundesminister immer als kompakt bezeichnete zehnmonatige Ausbildung entsprechend umsetzen. Dazu brauchen wir genügend Ausbilder, die für die Durchführung dieser kompakten und fordernden Ausbildung zur Verfügung stehen. Es ist auch politisch besonders wichtig für das Ministerium, genügend Ausbilder zu bekommen.
Wir haben gesagt, daß diese Frage intensiv diskutiert worden ist.
- Frau Kollegin Schulte, das wissen Sie genau; Sie waren doch immer dabei. - Letztlich war es so, daß dies auch von der Leitung des BMVg für machbar gehalten worden ist. Die Risiken sind also beherrschbar.
Einhergehend mit der Verkürzung des Grundwehrdienstes auf zehn Monate wird auch die Grundausbildung bei Heer und Luftwaffe auf zwei Monate reduziert. Ich möchte die Hardthöhe wirklich bitten, diese Verkürzung der Grundausbildung zu einer echten Entrümpelung zu nutzen, damit nicht immer wieder zivil erlernte Maßnahmen in der Bundeswehr neu erlernt werden müssen, z. B. Stichwort Führerschein.
Die Koalitionsfraktionen - man muß wirklich blind sein, wenn man das nicht anerkennt - haben in den parlamentarischen Beratungen im Ausschuß - das wissen Sie ganz genau, Herr Kollege Heistermann - deutliche Verbesserungen für die Grundwehrdienstleistenden mit einem Gesamtvolumen von annähernd 300 Millionen DM erreicht.
Wenn Sie ehrlich und redlich sein wollen, hätten Sie auch dies einmal erwähnen müssen.
Sie haben den Eindruck vermittelt, als ob es hier zu Kürzungsmaßnahmen gekommen wäre. Aber ich habe Ihnen angemerkt: Sie haben sich bei der Darstellung dieses Themas in Ihrer eigenen Haut nicht wohlgefühlt.
Alle Maßnahmen, die wir umgesetzt haben, haben nur ein Ziel: Die Stärkung des verfassungsmäßig vorrangigen Grundwehrdienstes. Ich möchte auf diese Punkte im einzelnen eingehen.
Das erste ist der schon zitierte Mobilitätszuschlag, ein völlig neues Instrument, das wir in der Tat dazu konzipiert haben, den Grundwehrdienst zu stärken. Ich finde, 90 DM pro Monat für jemanden, der mehr
Jürgen Augustinowitz
als 50 Kilometer fährt, und 180 DM pro Monat für jemanden, der mehr als 100 Kilometer fährt, sind bei einem Wehrsold von etwa 400 DM eine sehr deutliche Verbesserung, die man auch hier im Parlament einmal deutlich hervorheben muß.
Der zweite Punkt. Herr Kollege Heistermann, Sie haben so getan, als ob es schon seit Jahren ab dem vierten Monat Dienstzeitausgleich gäbe. Wir haben mit diesem Gesetz umgesetzt, daß der Dienstzeitausgleich auch für unsere Grundwehrdienstleistenden ab dem vierten Monat gilt. Nicht Sie, sondern wir haben das umgesetzt. Bisher war das nämlich ab dem siebten Monat der Fall.
Man kann das doch wirklich einmal sagen, wenn sich etwas verbessert hat. Tun Sie doch nicht so, als ob wir hier nur Dinge machten, die nicht passen!
Ich will hinzufügen, daß dieser Dienstzeitausgleich auch für die militärische Leitung und das Ministerium in der Regel in Geld geleistet werden soll. Aber wir wollen den militärischen Führern auch das Führungsinstrument Freizeitausgleich in Zeit lassen. Wir werden bei der Formulierung des Erlasses genau darauf achten, daß das eingehalten wird.
Die Forderung einer Gleichbehandlung zwischen Wehrdienstleistenden und Zivildienstleistenden bleibt auch beim Dienstzeitausgleich. Wir haben bei den parlamentarischen Beratungen eine Änderung des § 32 des Zivildienstgesetzes eingefordert. Die Bundesregierung ist hier in der Bringschuld.
Drittens: Verkürzung der Beförderungsintervalle. In der nächsten Zeit wird der Grundwehrdienstleistende bereits nach drei Monaten Gefreiter. Das ist nicht nur finanziell, sondern vor allem auch ideell wichtig. Wir haben außerdem bereits zum 1. Oktober dieses Jahres das doppelte Verpflegungsgeld an allen dienstfreien Tagen eingeführt. Das kostet übrigens 90 Millionen DM im Jahr, Herr Kollege Heistermann. Warum reden Sie eigentlich nicht einmal davon? Das ist doch eine positive Sache.
Das sind wichtige Erfolge der Koalitionsfraktionen für die Grundwehrdienstleistenden. Ich will deutlich machen: Das sind materielle Anreize, im Mittelpunkt unserer Bemühungen müssen aber die immateriellen Dinge stehen, auf die ich gleich noch eingehen werde. Sie sind wichtiger als die materiellen Leistungen.
Aber auch die Bundeswehr muß einen eigenen Beitrag zur Senkung der Verweigererquote leisten. Hierzu zählt insbesondere der Umgang mit den Wehrpflichtigen in der Truppe wie bei den Wehrersatzbehörden. Die Jahresberichte der Wehrbeauftragten zeigen immer wieder, daß es in diesen Bereichen noch erheblichen Spielraum für Verbesserungen gibt. Gerichtet an die Inspekteure der Teilstreitkräfte und den Generalinspekteur sage ich: Hier können Sie und die Vorgesetzten in der Truppe noch etwas tun, und darum bitten wir Sie hier im Parlament.
Nur wenn der Soldat die Bundeswehr mit dem Bewußtsein verläßt, wirklich gebraucht worden zu sein und einen sinnvollen Dienst geleistet zu haben, wird er ein positives Bild von den Streitkräften mit in das Zivilleben nehmen und in die Bevölkerung tragen.
Es ist sehr zu begrüßen, daß der Fraktionsvorsitzende der SPD heute ein klares Wort zur Wehrpflicht gesagt hat. Dafür bin ich ihm auch im Namen der CDU/CSU-Fraktion dankbar. Das ist für unsere Bundeswehr wichtig.
Aber das eine ist das Reden, das andere ist das tatsächliche Handeln. Ihr Antrag, die Dauer des Zivildienstes an die Dauer des Grundwehrdienstes anzugleichen, bedeutet doch in der Praxis die Aufgabe der allgemeinen Wehrpflicht, weil wir dann Verweigerungszahlen bekommen würden, die den Personalumfang der Bundeswehr nicht mehr sicherstellen würden.
Das ist ein unverantwortlicher Antrag, den Sie zum wiederholten Male gemacht haben. Schauen Sie, Herr Kollege, einmal nach Frankreich. Die Franzosen haben einen Grundwehrdienst von zehn Monaten. Wissen Sie, wie lange dort der Zivildienst dauert? Er dauert 20 Monate, und die Franzosen haben eine Verweigerungsquote von 5 %.
Ehrlicher sind dabei die Grünen. Die Grünen sagen: Wir wollen die Abschaffung der Wehrpflicht, um die Bundeswehr insgesamt abzuschaffen. Das ist zumindest eine ehrliche Antwort auf die Fragen, die wir uns alle stellen. Dafür muß ich sie ausdrücklich loben.
Ich möchte noch etwas Grundsätzliches zum Thema Wehrpflicht sagen: Es ist eine der grundlegenden Pflichten des Staates, seine Bürger vor äußeren Gefahren zu schützen. Für Deutschland ist diese Verpflichtung in Art. 1 Grundgesetz ausdrücklich festgeschrieben. Dem Privileg des Bürgers, vom Staat geschützt zu werden, steht die Pflicht gegenüber, als Teil unseres Staates am Erhalt der äußeren Sicherheit mitzuwirken, zumindest zeitweise mitzuwirken.
Der Bürger erfüllt diese Pflicht, indem er sich für einen Zeitraum in den Dienst der bewaffneten Streitkräfte stellt. Die allgemeine Wehrpflicht ist der greifbare Ausdruck der persönlichen Mitverantwortung des Bürgers für ein Leben der deutschen Nation in Frieden und Freiheit.
Der Grundwehrdienstleistende ist verpflichtet, treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Das bedeutet für den Grundwehrdienstleistenden, im Katastrophen-, im Spannungs- oder im Verteidigungsfall unter Einsatz seiner Gesundheit oder seines Lebens für Frieden und Freiheit unseres Volkes einzutreten. Das unterscheidet den Grundwehrdienstleistenden fundamental vom Zivildienstleistenden.
Jürgen Augustinowitz
Es ist eine entscheidende politische Führungsaufgabe, den unauflösbaren Zusammenhang zwischen Wehrpflicht und Landesverteidigung zu verdeutlichen. Landesverteidigung und Wehrpflicht sind zwei Seiten der gleichen Medaille.
Die Bundeswehr hat nach dem Ende des kalten Krieges aus Sicht vieler junger Menschen ein Begründungsproblem. Die hohe KDV-Quote ist ein Beleg dafür. Seit dem Wegfall der massiven, unmittelbaren Bedrohung Deutschlands durch den Warschauer Pakt glaubt mancher Wehrpflichtiger, daß sein Dienst in der Bundeswehr nicht mehr notwendig sei, da Deutschland mangels einer konkreten Bedrohung keine Streitkräfte mehr brauche.
Diese Fehleinschätzung ist eine Folge der oberflächlichen Begründung der Existenz der Bundeswehr während des kalten Krieges. Die Bundeswehr wurde zu wenig als Ausweis für die Souveränität Deutschlands begründet, als die Fähigkeit des deutschen Staates, seine Bürger vor Gewalt und Bedrohung von außen zu schützen. Statt dessen wurde die bequemere, weil offensichtliche Begründung der Bedrohung aus dem Osten als Existenzgrund angeführt. Dies rächt sich jetzt.
Daß sich viele Wehrpflichtige unter diesen Bedingungen gegen den Dienst in der Bundeswehr entscheiden, deren Sinn und Legitimation ihnen zum Teil nie richtig vermittelt wurde, kann nicht verwundern. Hier ist die Politik in der Verantwortung, Veränderungen durchzusetzen. Dabei spielen auch z. B. Schulen eine Rolle. Im Schulunterricht muß über dieses Thema vernünftig geredet werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, nicht von diesem Herrn.
In einer Zeit eines objektiv und subjektiv geschwundenen Bedrohungsgefühls der Menschen stehen die militärischen Führer und Unterführer der Bundeswehr vor einer völlig neuen, auch intellektuellen Aufgabe.
Die Erkenntnis, daß der Staat als nationale Schutz- und Schicksalsgemeinschaft nur dann bestehen kann, wenn Rechte und Pflichten gegenüber dem Staat gleichermaßen wahrgenommen werden, muß in das Bewußtsein der Bürger zurückgerufen werden. CDU und CSU stehen als christlich-konservative Parteien bei der Erfüllung dieser Aufgabe in einer besonderen Verantwortung und Verpflichtung.
Es ist insbesondere die Aufgabe der Verteidigungspolitik, das Begründungsproblem der Bundeswehr zu beenden. Die Bundeswehr ist und bleibt unsere Versicherung gegen die Wechselfälle der Geschichte in einer ungewissen Zeit.
Es muß deutlich werden, daß bewaffnete Streitkräfte ein entscheidendes Merkmal der Souveränität unseres Staates sind. In Deutschland ist die Bundeswehr das sichtbare Symbol unserer wehrhaften Demokratie.
Georg Leber hat zu recht bei der Feierstunde des Verteidigungsausschusses am 27. September 1995 gesagt:
Die Bundeswehr ist ein natürlicher Teil unserer staatlichen Daseinsvorsorge geworden.
Das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht hat sich bewährt. Der Erfolg der Bundeswehr ist auch ein Erfolg von Millionen Grundwehrdienstleistenden.
Es muß sichergestellt werden, daß die Bundeswehr auch unter den geänderten Bedingungen ihren Auftrag, für ein Leben der deutschen Nation in Frieden und Freiheit zu sorgen, uneingeschränkt erfüllen kann. Die Soldaten haben daher Anspruch auf unsere volle Unterstützung.
Vielen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Köhne, PDS.
Ich beziehe mich auf die Antwort vom Kollegen Breuer, der meinte, ich hätte über die Bundeswehr keine Kenntnis.
Ich habe 1972/73 im Feldjägerbataillon 720 gedient. In der Ausbildungskompanie dieses Bataillons wurde der Schlachtruf „Knüppel frei" offiziell und mit Wissen des Bataillonskommandeurs beim täglichen Antreten benutzt. Dies war ein bewußtes, gezieltes Mittel der Menschenführung, ebenso wie das gepflegte Liedgut und andere erzieherische Elemente.
Meine Frage zielte darauf zu problematisieren, in welche Richtung junge Menschen wohl geführt werden sollen, wenn sie gezwungen werden, täglich mehrmals beim Antreten den Schlachtruf „Knüppel frei" zu rufen. Eine solche, sehr zweifelhafte Art von Menschenführung, für die es auch noch diverse andere Belege gibt, ist mindestens bis Mitte der 70er Jahre in der Feldjägertruppe, die sich immer als militärische Elite gesehen hat, betrieben worden. Das ist keine Besonderheit des Feldjägerbataillons 720.
An der Feldjägerschule in Sonthofen, die jeder Feldjäger durchlaufen mußte, herrschte ein ähnlicher Geist. Dort galten bereits Jusos als subversive Elemente.
So Hauptmann Klee im Unterricht.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Diese Kritik trifft nur einen Teil der Bundeswehr. Sie trifft nicht alle Soldaten, und ich hoffe, sie trifft nur für vergangene Zeiten zu. Ich habe in der Bundeswehr auch viele Menschen mit zutiefst demokratischer Gesinnung getroffen. Ich bin heute noch froh und den
Rolf Köhne
Offizieren des Panzerbataillons, die seinerzeit mit uns am Truppenübungsplatz Ehra-Lessien waren, dankbar dafür, daß sie gegen das Absingen des Horst-Wessel-Liedes durch Teile unseres Bataillons, durch fast alle Offiziere, u. a. auch durch den Kommandierenden dieses Panzerbataillons, eingeschritten sind, und daß sie dadurch verhindert haben, daß es in diesem Bataillon zu einer Schlägerei zwischen den Faschisten und den Demokraten gekommen ist. Auch das gehört zu 40jähriger Geschichte der Bundeswehr und muß hier und heute einmal gesagt werden.
Der Kollege Breuer hat mir erklärt, er wolle nicht erwidern.
Dann schließe ich jetzt die Aussprache und gebe für eine Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung dem Kollegen Dr. Heuer von der PDS das Wort.
Danke schön, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren, Herr Breuer hat erklärt, er sei nicht bereit, mir eine Frage zu beantworten. Deswegen möchte ich dazu jetzt etwas sagen.
Herr Breuer hat gesagt - wenn ich ihn recht verstanden habe -, es gebe keine konkrete Bedrohung. Er hat weiterhin erklärt, es sei ein großer Fehler gewesen, früher nur von einer Bedrohung aus dem Osten zu sprechen.
Ich frage mich: Aus welcher Himmelsrichtung ist denn heute die Bundesrepublik Deutschland bedroht? Das möchte ich gerne von Herrn Breuer wissen.
Meine zweite Bemerkung: Hier ist gesagt worden, die Soldaten seien heute zur Landesverteidigung aufgerufen. Aber in der Realität geht es jetzt um Kampfeinsätze, die mit Landesverteidigung nicht das Geringste zu tun haben und die man mit dem Begriff der Landesverteidigung nicht verknüpfen kann.
Herr Kollege Dr. Heuer, ich habe Ihnen das Wort zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung gegeben. Sie hatten Anlaß, etwas zu sagen, wegen der Verweigerung der Zwischenfrage und der Begründung durch den Kollegen Augustinowitz - nicht Breuer.
Jetzt machen Sie einen Debattenbeitrag, und dazu haben Sie nicht das Wort. Es tut mir sehr leid. Die Erklärung haben Sie abgegeben.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Wehrrechtsänderungsgesetzes. Das sind die Drucksachen 13/1801, 13/2209 und 13/2547. Dazu liegen Änderungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD vor, über die wir jetzt zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/ 2748? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/2757? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen der SPD abgelehnt.
Wir kommen zum Gesetzentwurf. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung mit der beschlossenen Änderung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, jetzt sogleich in die dritte Beratung einzutreten, obwohl in der zweiten Beratung Änderungen angenommen wurden. Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist. - Kein Widerspruch. Dann ist das mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/2770. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Gruppe PDS abgelehnt.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/580 und 13/2499 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Jetzt kommen wir zu dem Zusatzpunkt 14, zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu Kampfeinsätzen der Bundeswehr, Drucksache 13/1880. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf der Drucksache 13/136 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Stimmenthaltung von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 10a bis 10c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der steuerrechtlichen Wohneigentumsförderung
- Drucksachen 13/2235, 13/2476 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksache 13/2784 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hildebrecht Braun
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Barbara Höll
Otto Reschke
Gerhard Schulz
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/2785 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth
Dr. Wolfgang Weng
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Christine Scheel, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Eckwerte für ein grünes Wohnungs-Selbsthilfe-Gesetz für eine soziale und ökologische Reform der Wohneigentumsförderung
zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick, Dr. Barbara Höll, Dr. Uwe-Jens Rössel und der Gruppe der PDS
Reformierung der Wohneigentumsförderung als ein Bestandteil der Wohnungsbaupolitik
- Drucksachen 13/2304, 13/2357, 13/2784 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hildebrecht Braun Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Barbara Höll
Otto Reschke
Gerhard Schulz
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
zu dem Antrag der Abgeordneten Otto Reschke, Achim Großmann, Dr. Ulrich Böhme , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Neugestaltung der Wohneigentumsförderung
zu dem Antrag der Abgeordneten Dieter Maaß , Achim Großmann, Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Wohnungsbaugenossenschaften stärken - Mitglieder steuerlich fördern
- Drucksachen 13/1501, 13/1644, 13/2771 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Reschke Dieter Maaß
Dr. Michael Meister
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS sowie ein Änderungsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und zwei Änderungsanträge des Abgeordneten KlausJürgen Warnick vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.
Sobald etwas Ruhe eingekehrt ist, werde ich die Aussprache eröffnen. - Darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, Platz zu nehmen bzw. ihre Unterhaltungen in die Lobby zu verlagern.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung hat Herr Staatssekretär Kurt Faltlhauser das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn der Schlußberatung des Gesetzes zur Neuregelung der steuerlichen Wohneigentumsförderung will ich auf einen Umstand bei der Entscheidungsfindung vorrangig hinweisen. Wir haben dieses Gesetz im Finanzausschuß und parallel im Wohnungsbauausschuß nicht nur einvernehmlich innerhalb der Koalition zu einer Entscheidung gebracht, sondern auch Einvernehmen mit der Opposition erzielt. Dies war nicht einfach, aber wir haben es trotzdem in diesem Bundestag erreicht.
Ich glaube, daß dies für das Selbstverständnis dieses Hauses gut ist. Denn es ist nicht besonders erfreulich, wenn die Mitglieder dieses Bundestages immer wieder erfahren müssen, daß die eigentlichen und letzten Entscheidungen in der Dunkelkammer des Vermittlungsausschusses schnell und mit vielen Prämissen
und nicht auf der offenen Bühne dieses Parlaments abschließend getroffen werden. Bedeutung hat dieser Umstand nicht nur für das Selbstverständnis des Bundestages, sondern auch für die Bürger, weil sie auf diese Weise klarere Entscheidungsstrukturen und Verantwortlichkeiten erkennen können. Dies ist ein Punkt, der so wichtig ist, daß er hier erwähnt werden muß. Wir werden das nicht immer durchhalten können. Aber ich glaube, dieses Beispiel ist Grund genug, es auch in anderen Bereichen zu probieren.
In diesem Sinne bedanke ich mich nicht nur für die engagierte und hochfachkundige Mitarbeit der Kollegen aus dem Wohnungsbauausschuß und aus dem
Dr. Kurt Faltlhauser
Finanzausschuß, der federführend war, sondern auch bei den Kollegen vor allem aus der Opposition, die letztlich doch mitgewirkt haben. Es war natürlich nicht immer leicht. Man ist manchmal verzweifelt. Manchmal habe ich gedacht, in München wird das wohl ein bißchen leichter werden, da gibt es klarere Mehrheiten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, die Regelung, die vorliegt, ist deutlich besser als das, was wir gegenwärtig noch im Gesetzblatt stehen haben. § 10e EStG ist eine der kompliziertesten Regelungen, die wir überhaupt im Steuerrecht haben. Manche sagen, es ist das Komplizierteste überhaupt, und niemand versteht es mehr. Das war für die Bauwilligen nicht unbedingt günstig. Wir haben jetzt die Grundlage geschaffen, daß diese Kompliziertheit abgebaut wird.
Ich finde, daß das neue Gesetz sechs Vorteile hat, die hervorzuheben sich lohnt. Erstens: administrative Vereinfachungen. Wir haben nur noch einmal eine Einkommensprüfung. Alleine das entlastet die Finanzbehörden.
Zweitens: Diese Regelung ist für die Bauwilligen berechenbarer geworden. Wenn wir etwa für den Neubau 5 000 DM mal 8 nehmen, und wenn der Bauherr zwei Kinder hat, noch einmal 1 500 DM mal 2 gleich 3 000 DM und dies mal 8 nehmen, dann kann der Bauwillige mit einem Gesamtbetrag der Förderung durch den Staat von 64 000 DM im Zeitablauf rechnen. Ich glaube, dies wird für mehr Bauwillige als bisher ein Anreiz zum Bauen sein.
Drittens: Diese Regelung ist gut für die neuen Bundesländer. Es gibt dabei vier Ansätze. Allein durch die Umstellung des Systems auf eine von der Steuerprogression unabhängige Förderung werden die Bürger gerade in den neuen Bundesländern wesentlich deutlicher als bisher gefördert, weil das Einkommensniveau in den neuen Bundesländern bedauerlicherweise noch niedriger ist. Es ist eine Regelung, die vom System her auf die neuen Bundesländer abgestellt ist. Zweiter Ansatzpunkt: Wir haben in den Ausschußberatungen die Förderung des Altbaus von 2 200 DM auf 2 500 DM angehoben. Ich habe dies sehr begrüßt, auch wenn dadurch Finanzierungsprobleme entstanden, weil der Abstand zwischen Neubauförderung von 5 000 DM und der Altbauförderung von 2 200 DM tatsächlich eine schmerzliche Förderungslücke war. Ich glaube, diese Regelung ist jetzt gut vertretbar. Dazu kommt für die neuen Bundesländer die Bürgschaftsregelung und sicherlich auch das, wofür sich besonders die Kollegen aus der SPD eingesetzt haben, die Genossenschaftsförderung.
Viertens ist diese Regelung gut für die Familien. Wir haben das Baukindergeld um 50 % aufgestockt. Das ist kein kleines Signal. Das ist ein deutliches Signal. Das kommt zu den 7 Milliarden DM unseres Familienleistungsausgleichs hinzu.
Wir müssen den Familienleistungsausgleich, wie wir
ihn Mitte dieses Jahres im Vermittlungsausschuß beschlossen haben, mit im Ergebnis 7 Milliarden DM
und die deutliche Anhebung des Baukindergeldes als ein Paket sehen. Das gehört zusammen.
Fünftens. Wir haben eine besondere Förderung der Schwellenhaushalte geschaffen. In diesem Punkt war die Anhörung interessant. Es wird immer wieder gesagt, diejenigen, die eigentlich bauen könnten, werden gar nicht gefördert. Die Anhörung hat ergeben, daß § 10e EStG schon bisher in sehr starkem Maße von Personen mit Einkommen bis 50 000 DM beansprucht wird. Genau in diesen Bereich zielt diese Förderung. Ich bin fest davon überzeugt, auch wenn es aus fiskalischen Gesichtspunkten nicht unbedingt erfreulich sein muß, daß diese Art der Förderung breitere Wirkung haben wird.
Damit ist diese Regelung auch gut für die Baukonjunktur. Wir haben dadurch gerade in der jetzigen Situation auch ein Signal für das Baujahr 1996 gesetzt.
Wir haben dabei noch ein Problem - das haben wir alle miteinander immer gesagt -: Wie wirkt die Förderung in den teuren Großstädten? Um hier ein bißchen was zu tun, wird ein Vorkostenabzug von 22 500 DM für Erhaltungsaufwendungen beibehalten, und zwar nach den Beratungen auch noch ohne Einkommensgrenze. Das ist für die Großstädte ein richtiges Signal.
Meine Damen und Herren, mein Fazit: Der heutige Freitag ist ein guter Tag für die Bauwilligen, die Familien und die Baukonjunktur.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Kollege Reschke, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einem sechzehnstündigen Marathon mit kaum einer Unterbrechung haben wir am vergangenen Mittwoch den Gesetzentwurf im Fachausschuß verabschiedet. Für mich war es in meiner langjährigen Praxis die längste Ausschußssitzung, und ich kann heute nach einer Bilanz sagen, daß es sich gelohnt hat.
Erstens. Wir haben das Ziel erreicht - das ist das Wichtigste für mich -, die Neuregelung zum 1. Januar 1996 in Kraft zu setzen, nachdem es lange Zeit unklar war, ob wir überhaupt etwas erreichen.
Zweitens. Ein Vermittlungsverfahren ist wohl auch verhindert worden. Ich halte es für ein wichtiges Ziel, daß der Bundestag damit Herr der Gestaltung bleibt. Das ist für die Zukunft wichtig; das sehe ich genauso wie der Staatssekretär.
Das neue Gesetz entspricht jahrelangen sozialdemokratischen Forderungen: erstens einkommensunabhängig, zweitens durchschaubar, drittens familiengerecht, viertens berechenbar, fünftens verwaltungsvereinfachend. Die Schränke bei manchem Steuerberater können in Zukunft ausgeräumt werden; die
Otto Reschke
Meterware „7 b/10 e" kann ins Archiv gestellt werden.
Schon 1986 forderten wir in unserem Gesetzentwurf die einkommensunabhängige Förderung. Die Koalition hat es damals abgelehnt, den komplizierten und ungerechten § 10e in eine einkommensunabhängige Regelung umzuwandeln. Die Folge war nach unserer Auffassung eine milliardenteure Fehlförderung. Wir haben über acht Jahre lang größtenteils die Falschen gefördert. Die Eigentumsquote erhöhte sich nicht; das hat sich ganz deutlich gezeigt.
Drei Bauminister kamen und gingen, und es dauerte acht Jahre, bis die Regierung ihr Versagen in der Eigentumsförderung erkannte. Erst Bauminister Nr. 4, um es chinesisch auszudrücken, ist endlich bereit, die Förderung sozial und gerecht zu gestalten. Wir freuen uns darüber, daß wir einen gemeinsamen Weg gefunden haben.
Ich sage es in vollem Ernst: Herr Minister Töpfer, wie Sie die Koalition binnen eines Jahres um 180 Grad gedreht haben, verdient Respekt und Anerkennung. Laßt es uns bei anderen Beispielen genauso tun!
Wir sind uns einig, wenn Sie sagen: Unser Weg ist richtig. - Dies ist eine klare Bestätigung für die Richtigkeit des SPD-Konzeptes, obwohl Sie mit dieser Presseschlagzeile natürlich sich selbst gemeint haben.
Unsere parlamentarische Beharrlichkeit zahlt sich jetzt für die Bauherren aus.
Erstens. Die Bauherren werden sich nun über eine Grundförderung von jährlich 5 000 DM beim Neubau und 2 500 DM beim Bestandserwerb freuen. Wir haben dringend auf einer Verstärkung beim Bestandserwerb im Blick auf die Ballungsgebiete bestanden.
Zweitens. Auch in einem anderen Punkt haben wir eine Verstärkung durchgesetzt. Der Neubau wie auch der Erwerb aus dem Bestand werden durch die Einigung bei den Vorkosten und den Erhaltungsaufwendungen gestärkt. Hier haben wir einen tragfähigen Kompromiß erzielt. Die Erhaltungsaufwendungen vor Bezug beim Erwerb einer Bestandsimmobilie sind weiterhin bis zu 22 500 DM von der Steuerbemessungsgrundlage einkommensunabhängig abzugsfähig. Eine wichtige Neuerung dabei ist, daß Mieter, wenn sie die Wohnung kaufen, in der sie wohnen, Erhaltungsaufwendungen auch noch im Jahr nach dem Kauf geltend machen können. Die neue Vorkostenpauschale, die auch die Finanzierungs-, Notar- und Gerichtsgebühren umfaßt, kann in Höhe von 3 500 DM von der Steuerbemessungsgrundlage abgezogen werden, allerdings einkommensabhängig. Auch das halten wir für richtig; obwohl hier ein kleiner Systembruch gegeben ist, sind wir für diesen Kompromiß angetreten.
Drittens. Die Anhebung des Baukindergeldes auf 1 500 DM begrüßen wir nachdrücklich. Hier ist eine
Steigerung von 50 % zu verzeichnen. Für insgesamt acht Jahre wird die Förderung pro Kind 12 000 DM betragen. Das ist ein wichtiger Schritt, eine Initialzündung für die Familienpolitik aus diesem Hause.
Diese Verbesserung kommt vor allem Familien mit Kindern im unteren und mittleren Einkommensbereich zugute. Auch beginnt der neue § 10e endlich in den neuen Bundesländern zu wirken.
Viertens. Durch die einmalige Überprüfung der Einkommensgrenze wird das Verfahren wesentlich vereinfacht. Das geben wir zu. Aber der Regierungsentwurf bot insbesondere für Freiberufler und Unternehmer die Möglichkeit, ihr Einkommen einmalig unter die 120 000- bzw. 240 000-DM-Einkommensgrenze zu senken und sie damit unwirksam zu machen. Um Manipulationen dieser Art zu verhindern, wird bei der Prüfung des Einkommens ein zweijähriger Zeitraum zugrunde gelegt. Wir halten das als Minimallösung für richtig, um Manipulationen auszuschließen.
Fünftens. Auf die Ökokomponente und die Genossenschaftsförderung im neuen Gesetz und auf das Bürgschaftsprogramm Ost wird Achim Großmann noch stärker eingehen.
Sechstens. Nicht zuletzt gehört zur Eigentumsförderung die deutlich verbesserte Vorsparförderung. Wir begrüßen die Anhebung der Einkommensgrenzen auf 50 000 bzw. 100 000 DM und die Anhebung der förderungsfähigen Höchstbeträge der Wohnungsbauprämie auf 1 000 bzw. 2 000 DM.
Damit unterstützt die SPD deutlich das Ziel, die Eigentumsquote in Deutschland weiter zu verbessern. Aber wir sagen dabei ganz deutlich. Dieses Gesetz ist ein erster Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel. Wir sagen: Eigentum ist der beste Mieterschutz, aber es müssen noch flankierende Maßnahmen dazu kommen.
Ich will aber zuvor noch sagen: Jeder Bürger kann die Eigenheimzulage nur einmal in seinem Leben in Anspruch nehmen. Es wäre für uns Sozialdemokraten sinnvoll gewesen, wenn Ehepaare, die in der Regel nur einmal bauen, ihre Förderbeträge hätten zusammenlegen können. Diesen Punkt konnten wir leider nicht durchsetzen, auch nicht gegenüber unseren Bundesländern - das geben wir gerne zu -, und zwar aus Kostengründen.
Die SPD hat die Zusammenlegung der Förderung für Ehepaare bis zum anderthalbfachen Betrag gefordert. Prinzipiell bleiben wir bei diesem Vorschlag. Wir haben diese Forderung deshalb auch in unseren Entschließungsantrag aufgenommen.
Das Problem bei der Kumulation sind für den Finanzminister die Vorzieheffekte, nicht die Mehrausgaben. Später würde der Staat ohnehin vom Objektverbrauch bei Ehepaaren profitieren, die ihre Förderung heute zusammenlegen.
Otto Reschke
Es ist ja schon gar keine Praxis mehr bei Finanzministern - das möchte ich zwischendurch anmerken -, schon heute für ihren Nachfolger zu sparen. Vielleicht ist das ein sinnvoller Hinweis, für ihre Nachfolger in naher Zukunft hauszuhalten.
Sobald es wieder Spielraum im Bundeshaushalt gibt, muß über die Einführung der Kumulationsmöglichkeit für Ehepaare neu nachgedacht werden. Dazu gehört auch die Frage besonderer Hilfe für Alleinerziehende. Wir werden diese Punkte aufgreifen.
Eine Übergangsregelung für das neue Gesetz, die sofort greift, also ab heute, ist wichtig, um Attentismus zu verhindern.
Wir hätten gern schon den 28. Juni und nicht den heutigen Tag als Stichtag für die neue Förderung mit dem neuen Wahlrecht vorgeschlagen, weil wir schon die ersten Schreiben vorliegen haben. Danach haben viele nach dem 28. Juni per Kaufvertrag eine Immobilie gekauft, die erst 1996 bezugsfertig wird, und gedacht, bereits in die neue Förderung zu kommen. Ein Stückchen Ungerechtigkeit ist also vorhanden.
Das Eigenheim-Zulagengesetz allein reicht nicht aus, um eine Eigentumsquote von 50 % und mehr zu erreichen. Die Rahmenbedingungen für die Bildung von Wohneigentum müssen deshalb in weiteren Punkten bei den in den kommenden Jahren anstehenden Beratungen im Fachausschuß entscheidend verbessert werden.
Wir fordern die Bundesregierung daher auf, weiterhin auf Möglichkeiten zur verstärkten Baulandausweisung für bauwillige Familien hinzuweisen und die Möglichkeiten dafür zu schaffen. Wir müssen das Erbbaurecht aktivieren, kostengünstiges Bauen fördern und nach meiner Einschätzung auch das Wohneigentumsgesetz bald novellieren, um eine gute Voraussetzung für Wohneigentum in den Ballungsgebieten zu haben.
Den wichtigen ersten Teil der dringend notwendigen Reform der Wohnungspolitik schließen wir heute ab. Aber Verhandlungsbedarf besteht nach wie vor. Das zeigen ja auch die noch fehlenden zwei Millionen Wohnungen, und das zeigt die Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahre 2010. Preisgünstiger Wohnraum wird dringend benötigt, und deshalb müssen wir jetzt das Dritte Wohnungsbaugesetz in Angriff nehmen. Die Unterlagen dazu liegen auf dem Tisch. Das ist eine Forderung von Sozialdemokraten aus der letzten Periode.
Die direkten und indirekten Förderungsinstrumente in der Wohnungspolitik müssen endlich harmonisiert und effizienter gemacht werden. Wir brauchen einen neuen Schub für den sozialen Wohnungsbau, nicht dessen Abschaffung, Herr Kollege Braun, vielleicht arbeiten wir auch wieder zusammen, um dieses Ziel zu erreichen.
Wir müssen die Novellierung des Baugesetzbuches angehen. Wir brauchen ein neues umweltverträgliches Stadtkonzept mit einer stärkeren Betonung des Wohnens.
Für eine höhere Baulandbereitstellung müssen die Kommunen endlich ein zoniertes Satzungsrecht haben.
Weiterhin - dies nenne ich als letzten Punkt - steht durch den Karlsruher Spruch zu den Einheitswerten die Reform der Bodenbesteuerung dringend an, damit hier nichts aus dem Ruder läuft.
Eine Menge Reformarbeit liegt vor uns. Wir sind bereit dazu, weil wir meinen, daß Wohnen ein wichtiges soziales Gut in diesem Staat ist.
Das Wort hat die Kollegin Rönsch, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich glaube, die Nachfolgeregelung zu § 10e in dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Wohneigentumsförderung, der heute zur zweiten und dritten Beratung ansteht, ist ein wichtiger Beitrag zur Unterstützung der Familien in Deutschland. Ich denke, diese Neuregelung ist aber auch für uns wichtig, weil sie zeigt, daß Parlamentarismus anders aussehen kann.
In vielen Stunden wurde gemeinsam gerungen. Ich glaube, all diejenigen, die mitgestritten haben, sind mit dem Ergebnis ausgesprochen zufrieden. Selbstverständlich, Herr Kollege Reschke: Ich gestehe ein, daß wir miteinander gerungen haben, aber nicht in allen Punkten - in einem Punkt war ich mit Ihnen einig, Frau Eichstädt-Bohlig - mit Ihnen einig werden konnten. Wir hätten uns an der einen oder anderen Stelle etwas mehr, vielleicht auch etwas anderes vorstellen können.
Wir waren uns aber von vornherein einig, daß für uns vier wichtige Kriterien ausschlaggebend sind: Zum einen wollten wir die Neuregelung familienfreundlicher gestalten. Zum anderen wollten wir die Bezieher der unteren und mittleren Einkommen wesentlich stärker berücksichtigen. Wir wollten auch -ich hoffe, daß uns dies umfänglich gelungen ist - das Steuerrecht vereinfachen und mußten uns darauf verständigen, daß das Ganze aufkommensneutral ist. Das waren vier wichtige Kriterien, die Grundlage der Beratung gewesen sind. Was wir zudem zwingend erreichen wollten, war ein Inkrafttreten zum 1. Januar 1996.
Ich habe deshalb überhaupt kein Verständnis dafür, wenn eine Gruppe heute morgen meint, die Zeit für die Beratung habe auch in den jüngsten Tagen nicht ausgereicht - viele Kolleginnen und Kollegen haben sehr ernsthaft bis zu 13 Stunden zusammengesessen -, und damit das Inkrafttreten zum 1. Januar 1996 in Frage gestellt wird.
Hannelore Rönsch
Diese neue gesetzliche Regelung bringt für die Familien in den neuen Bundesländern gegenüber dem bestehenden § 10e umfassende Verbesserungen.
Deswegen wäre es schändlich, wenn man genau diese Familien jetzt noch einmal auf einen späteren Zeitpunkt hätte vertrösten müssen, weil irgend jemand meint, nicht genug Zeit für die Beratung gehabt zu haben. Ich bin froh, daß wir heute abschließend beraten, weil wir damit für die Familien, die bauen wollen, einen guten Weg beschreiten.
Wenn wir bedenken, daß auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik die Eigentumsquote bei 41 % liegt und die Eigentumsquote in den neuen Bundesländern 24 % beträgt, dann sind wir ganz besonders aufgerufen, den Familien in den neuen Bundesländern den Weg zu Eigentum zu ermöglichen. Zudem ist zu beachten, daß die Bundesrepublik bezüglich des Durchschnittsalters beim Eigentumserwerb in Europa an der Spitze steht. Bei uns erwirbt man im Durchschnitt mit 38 Jahren Eigentum. Sehr oft haben Familien dann schon Kinder.
Es ist ein seltener Fall, daß man all das, was im Gesetzentwurf an Neuregelungen enthalten ist, als erster Redner der Koalition nicht mehr vortragen muß, weil dies schon die Opposition ganz korrekt dargestellt hat.
Ich freue mich, daß wir jetzt eine progressionsunabhängige Bauzulage von 5 000 DM haben, weil dadurch gerade die kleinen und mittleren Haushalte bevorzugt werden. Ich freue mich gleichfalls, Herr Kollege Faltlhauser - und ich danke dabei besonders auch dem Wohnungsbauminister -, daß es möglich war, die Kinderzulage auf 1 500 DM zu erhöhen. Dadurch bieten wir den Familien tatsächlich einen Anreiz zur Schaffung von Eigentum.
Ich will es einmal an einem Rechenbeispiel deutlich machen: Eine Familie mit zwei Kindern wird bei einem zu versteuernden Einkommen von 60 000 DM im Jahr künftig eine Gesamtförderung von bis zu 64 000 DM erhalten können. Ich denke, das ist eine stolze Summe. Hier wird dann der Wunsch nach Eigentum vielleicht an der einen oder anderen Stelle die Sorge vor Eigentum überlagern, und man hat dann die Möglichkeit, Eigentum zu schaffen und seinen Kindern den entsprechenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Frau Kollegin Rönsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Warnick?
Bitte.
Frau Kollegin Rönsch, können Sie mich vielleicht unterstützen? Vielleicht habe ich irgend etwas in der letzten Zeit übersehen - ich weiß nicht, ob wir eine Parlamentsreform oder etwas ähnliches hatten -: Hier wird immer davon gesprochen, daß Sie sich mit der Opposition
einig sind, daß die Opposition das schon dargestellt hat. Ich gehöre nicht dazu. Wir haben die Regierung, wir haben die Opposition. Was sind wir dann in Ihren Augen? Als Opposition werden wir von Ihnen anscheinend nicht dargestellt und wahrgenommen. Darauf hätte ich gerne eine Antwort. Vielleicht habe ich in der letzten Zeit etwas übersehen.
Herr Kollege, die Gruppe, die Sie repräsentieren, hat sich heute morgen als die Gruppe der Verhinderer dargestellt. So war es bei dem Gesetzentwurf heute morgen, und so ist es bei diesem Gesetzentwurf.
Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß Sie gerade hier, wo es fast um eine Sonderregelung für die neuen Bundesländer geht, Fristeinrede geltend machen und meinen, Sie bräuchten noch Zeit zur Beratung. An der Struktur dieses Gesetzes hat sich in den letzten drei Tagen überhaupt nichts geändert. Sie betreiben bewußt Verzögerung und Verhinderung, weil Sie ganz bewußt das Inkrafttreten verhindern wollen. Das werden wir den Bürgern in den neuen Bundesländern auch ganz deutlich machen.
Mein Kollege Schulz, der heute noch einmal darlegen wird, wie sich dieses neue Gesetz gerade für die Mitbürgerinnen und Mitbürger in den fünf neuen Bundesländern auswirkt, wird deutlich machen, daß Sie diejenigen gewesen sind, die dieses Gesetz so schnell nicht auf den Weg bringen wollten.
Frau Kollegin Rönsch, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Höll? - Bitte sehr.
Frau Kollegin Rönsch, ich hätte trotzdem gerne eine Beantwortung der Frage bezüglich der Opposition. Das kann man nicht mit dem Wort Verhinderer erklären. Das ist meines Erachtens keine parlamentarische Kategorie. Vielleicht läßt sich dieses aber nachholen.
Des weiteren möchte ich sagen: Sie sind in der Regierungsverantwortung, und Sie sind von vornherein an so ein wichtiges Gesetz mit einer Zeitspanne der parlamentarischen Beratung von sage und schreibe nur einem Monat herangegangen.
Wir haben als PDS an allen Beratungen teilgenommen, sogar bis zum Ende der 14stündigen Sitzung. Bitte behaupten Sie nicht, daß da eine ordentliche parlamentarische Arbeit noch möglich ist.
Frau Kollegin, ich habe Ihnen das Wort zu einer Zwischenfrage ge-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
geben. Sie machen aber eine Kurzintervention. Das müssen Sie vorher ankündigen. Machen Sie jetzt bitte ein Fragezeichen und kommen Sie zum Ende.
Entschuldigung, Herr Präsident. Frau Kollegin Rönsch, haben Sie zur Kenntnis genommen, daß die PDS einen eigenen Gesetzesantrag vorgelegt hat und damit nicht einfach als Verhinderer dargestellt werden kann?
Jetzt erschließt sich mir nicht ganz, warum Sie auf der einen Seite behaupten, Sie hätten nicht genügend Zeit gehabt, um die vorliegenden Gesetzesentwürfe zu beraten, auf der anderen Seite aber sagen, Sie hätten selbst einen Gesetzentwurf eingebracht. Offensichtlich hat die Zeit doch ausgereicht, die weit über einen Monat hinausging. Wenn Sie sich immer intensiv an den Beratungen beteiligt hätten, hätten Sie, glaube ich, wie 98 % des Hauses mitgestalten können. Aber dies haben Sie nicht gewollt.
Ich bin heute nicht bereit, hier mit Ihnen über den Parlamentarismus zu diskutieren. Das werden wir bei einer anderen Debatte machen. Ich werde meine Zeit heute nutzen, um über den Wohnungsbau, vielleicht auch mit Ihnen, zu streiten, damit auch Sie Erkenntnisse gewinnen können, die Sie über 40 Jahre DDR schmählich vermissen mußten.
- Nein. Aber man hofft und wünscht sich, wenn man die Nachfolge einer Partei antritt, die nichts anderes getan hat, als Wohnraum zu vernichten, daß man sich dann einfach schlau macht.
- Wenn Sie damit die Plattenbauten meinen, Frau Kollegin Höll - das ist das letzte, was ich von Ihrer Seite an Zwischenrufen aufnehme -: Bis 1989 mußte man ausgesprochen privilegiert sein, um in Berlin , der Hauptstadt der DDR, eine Plattenwohnung zu bekommen.
Hellersdorf, Marzahn, Hohenschönhausen - wer wohnt denn da? Man mußte wirklich relativ systemtreu sein, um überhaupt eine dieser Wohnungen beziehen zu dürfen, und jetzt tun Sie so, als seien diese Wohnungen nicht mehr zu beziehen und zu bewohnen.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind eigentlich heute hier zusammengekommen, um die Weiterentwicklung der Eigentumsförderung zu
diskutieren. Ich freue mich, daß es uns gelungen ist, dies gemeinsam zu tun.
Ich denke auch, daß es gerade für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern ausgesprochen sinnvoll ist, daß wir die Altbauförderung auf 2 500 DM pro Jahr hochsetzen konnten; denn auch dies ist ein Betrag, mit dem man eine Wohnung oder ein Haus aus dem Bestand kaufen kann. Diese Förderung gilt zwar in ganz Deutschland, aber gerade die Bürger in den neuen Bundesländern werden daran speziell partizipieren.
Ich erhoffe mir davon - auch wieder besonders in den neuen Bundesländern - eine Privatisierungsoffensive, damit gerade Familien mit Kindern, die sonst auf dem Wohnungsmarkt doch oft erhebliche Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche haben, durch unsere gemeinsame Regelung aller demokratischen Kräfte in der Zukunft mehr, besseren und schöneren Wohnraum bekommen.
Das Wort hat die Kollegin Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Töpfer! Herr Faltlhauser!
- Das werde ich bei Gelegenheit wieder machen, Herr Kansy.
Einen kurzen Satz zum Beratungsverfahren: Ich muß schon sagen, daß die Zeit sehr knirsch war, aber nicht die Zeit zur Beratung. Das sollte man, glaube ich, wirklich deutlich unterscheiden.
Herrn Thiele ist es gelungen, uns sehr ausführlich alle Einzelpunkte beraten zu lassen, und dafür möchte ich mich jenseits aller inhaltlichen Differenzen bedanken, auch wenn Herr Thiele nicht da ist.
Ich muß aber sagen - an dieser Stelle sollten wir in Zukunft auch noch etwas achtsamer mit Gesetzen umgehen -, wir sollten darauf achten, den Ministerialbeamten und -angestellten die Zeit, die sie brauchen, um nach unseren Beratungen ein Gesetz zu erarbeiten, zu geben.
Zum Inhalt: Ich muß sagen, daß ich trotz dieser großen Koalition der Zufriedenheit doch etwas Wasser in den Wein gießen muß. Wir selbst sehen dieses Gesetz mit zwiespältigen Gefühlen.
Einerseits ist eindeutig klar - das möchten wir auch anerkennen -, daß gegenüber dem § 10e EStG
Franziska Eichstädt-Bohlig
deutliche Fortschritte erreicht worden sind. Darum sollte man nicht herumreden.
Trotzdem möchte ich begründen, an welchen Stellen wir nach wie vor deutliche Bauchschmerzen haben und warum wir diesen Erfolgen und auch einigen sehr positiven Einzelpunkten zum Trotz das Gesetz in der Gesamtheit ablehnen.
Ich möchte den wichtigsten Punkt nennen; ich habe ihn auch bei meiner Einstiegsrede zu diesem Thema und auch im Ausschuß angesprochen: Für uns war nicht die Diskussion Aufkommenssteigerung versus Aufkommensneutralität, sondern Aufkommensneutralität kontra Geldeinsparung wichtig, und ich bedauere sehr, daß Sie die Diskussion in dieser Richtung kein einziges Mal mitgetragen haben.
Wir sind nach wie vor der Meinung, daß bei den Einkommensgrenzen zu großzügig verfahren worden ist, daß der Vorkostenabzug ein zu großzügiges und auch systemwidriges Geschenk ist und daß wir deutlichere Einsparungen gebraucht hätten, wie sie in unserem Antrag auch vorgesehen waren.
Wenn man da strenger herangegangen wäre, wäre das auch möglich gewesen. Dieses Geld bräuchten wir nicht nur zur Haushaltskonsolidierung und für die Lösung der Probleme, die Herr Waigel sonst hat, sondern wir bräuchten es gerade für den Einzelplan 25, für das Wohngeld, für die Städtebauförderung, für den sozialen Wohnungsbau. Diese Ungleichheit in den Proportionen muß ich wirklich massiv kritisieren. Ich bedaure sehr, daß sie nie Gegenstand der Diskussion waren.
Zum zweiten Punkt. Wir haben jetzt einen sehr wichtigen Punkt hereinbekommen; das ist die Förderung des Erwerbs von Anteilen an Genossenschaften. Das finde ich im Grundsatz sehr positiv. Ich möchte besonders Herrn Großmann für die engagierte Art danken, in der er sich dafür eingesetzt hat, daß in den Länderdiskussionen und in all den Zwischengesprächen dieser Punkt immer wieder angesprochen und jetzt auch einbezogen worden ist.
Das finde ich im Grundsatz sehr wichtig und sehr unterstützenswert.
Trotzdem haben wir uns auch an dieser Stelle enthalten. Ich werde gleich sagen, was unsere Sorge dabei ist. Sie von der Koalition haben mit dieser Förderung den Genossenschaften praktisch etwas aufgezwungen, was für Genossenschaften systemwidrig ist. Die Qualität von Genossenschaften besteht im Solidarprinzip und in der Verantwortung für das Gemeinschaftseigentum. Das ist der Unterschied zum Individualeigentum. Der Wert wird nicht aus der Genossenschaft individuell herausgezogen, sondern man beläßt ihn dort. Das macht Genossenschaftswohnungen preisgünstig, und das ist das sozial- und gesellschaftspolitisch Hervorragende an Genossenschaften. Mit Ihrer Forderung, Individualeigentum zur Auflage zu machen, wenn ein Genossenschaftsmitglied die Zulage bekommen soll, haben Sie das Solidarprinzip empfindlich gestört.
Frau EichstädtBohlig, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Liebe Frau Eichstädt-Bohlig, ist Ihnen bekannt, daß auch jetzt nach dem Wohneigentumsgesetz der einzelne Eigentümer Verantwortung für das gemeinschaftliche Eigentum hat?
So weit, wie das Gemeinschaftseigentum vernünftig gepflegt wird. Er soll den Wert des Eigentums aber für sich selbst realisieren können. Bei der Genossenschaft ist das nicht möglich. Das ist eine hohe Qualität und nicht, wie Sie sagen, ein negativer Aspekt bei Genossenschaften. Darüber sollten wir ausführlicher diskutieren. Denn gerade darin besteht der Unterschied zwischen beiden Eigentumstypen.
Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, den Ökobonus. Das finde ich ganz toll, und dafür will ich mich bedanken. Ich habe ein bißchen das Gefühl, daß auch wir dazu unseren Beitrag geleistet haben. Daß Sie den Mut haben, Eigentumsförderung mit CO2-Minderung und anderen ökologischen Kriterien zu verknüpfen, finde ich wirklich sehr toll. Ich hoffe, daß das greift und daß es ein Stück Vorarbeit für die nächste Wärmeschutzverordnung ist, um daraus generelle Ziele für ökologisches Bauen zu machen. Ich bedanke mich, daß das gelungen ist, und hoffe, daß es in diesem Sinne wirkt.
- Ja, danke.
Trotzdem möchte ich einen bedenkenswerten Punkt anfügen. Es ist in der ganzen Debatte leider nicht gelungen, den Aspekt der Zersiedlung, der nach wie vor ein großes Problem bei diesem Gesetz ist, intensiver zu problematisieren. Insofern bleibt es dabei, daß ich die bautechnische Seite hervorragend finde, die stadtstrukturelle und siedlungspolitische Seite aber mit großer Sorge sehe. Das Gesetz, wie es momentan angelegt ist, ist ein Instrument zur weiteren Zersiedlung. Diese Tendenz sollten wir beobachten, und wir sollten prüfen, ob es nicht Instrumente gibt, dem entgegenzuarbeiten.
Lassen Sie mich einen letzten Aspekt aufgreifen, der eigentlich gar nicht zur Wohneigentumsförderung gehört, der aber nach der Methode „Ostpolitische Schwierigkeiten müssen in anderen Gesetzen durch Art. X oder Y geregelt werden" hineingekommen ist. Meiner Meinung nach ist er nicht ausreichend geregelt. Wir haben deshalb einen Ande-
Franziska Eichstädt-Bohlig
rungsantrag dazu gestellt. Das ist die Grunderwerbsteuerbefreiung für alle Vermögens-, Bereinigungs-
und Zuordnungsfälle, die im Osten nach wie vor anstehen und die bis 1996 in keiner Weise geregelt waren.
Im Grundsatz haben Sie - das finde ich auch sehr gut - der Verlängerung bis 1999 zugestimmt. Damit sind wir völlig d'accord. Darüber brauchen wir uns nicht zu streiten. Aber die Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände hat dringend darum gebeten, nicht nur diesen Tatbestand bis 1999 zu verlängern, sondern gleichzeitig die Vereinigungen und Anteilsvereinigungen und die Aufspaltung kommunaler Gesellschaften, die derzeit auf Grund von Gemeindeänderungen oder zu schnellen und zu kurz gegriffenen Gesellschaftsgründungen in der Startphase dringend nötig sind, steuerfrei zu stellen. Darum haben wir den Ergänzungsantrag, der neulich im Ausschuß abgelehnt worden ist, nochmals gestellt. Interessanterweise haben wir im Ausschuß allerdings etliches an Zustimmung quer durch die Fraktionen bekommen. Wir bitten Sie sehr eindringlich. Es sind wirklich fast Peanuts. Aber für den Osten und die Kommunen dort ist es ein sehr wichtiger Punkt. Wir haben Sorge, daß dort die Vermögensbereinigung nicht solide vonstatten geht, wenn ständig das Steuerhindernis dazwischensteht.
Insofern habe ich die dringende Bitte: Stimmen Sie dem zu! Es handelt sich überhaupt nicht um etwas Ideologisches. Sie machen damit nichts Grünes. Vielmehr helfen Sie den ostdeutschen Städten und den städtischen Wohnungsbaugesellschaften.
In diesem Sinne bedanke ich mich für das gesamte Verfahren; ich fand es sehr korrekt und kollegial.
Das Wort hat der Kollege Braun, F.D.P.-Fraktion.
Wertes Präsidium! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die deutsche Bevölkerung; heute bringen wir eine Reform zu Ende, die vielen, vielen Menschen in unserem Land neue Hoffnung geben wird. Normalerweise verhält es sich so, daß in unseren Zeiten von diesem Platz aus die Bevölkerung um Verständnis dafür gebeten werden muß, daß vom Staat weniger Leistungen erbracht werden können, weil die finanzielle Situation des Staates schlecht ist. Aber wir können heute Hunderttausenden von Menschen verkünden, daß sie in Zukunft die Chance haben werden, Wohneigentum zu erwerben, Menschen, die bisher dazu nicht in der Lage waren. Das ist eine sehr, sehr gute Nachricht.
Das war natürlich nicht deshalb möglich, weil wir plötzlich das System der wundersamen Geldvermehrung erlernt hätten, nein, ganz im Gegenteil. Die Reform kostet den Steuerzahler keinen Pfennig zusätzlich. Wir haben uns an die Vorgaben der Kostenneutralität gehalten.
Für viele Menschen in den unteren und mittleren Einkommensgruppen Geld freizubekommen war deswegen nur dadurch möglich, daß wir es denen weggenommen haben, die deutlich mehr verdienen. Das müssen wir hier offen sagen. Wir nehmen vielen auch Geld weg zugunsten einer Umschichtung, die wir gemeinsam wollen.
Ich bin der Meinung, daß es hocherfreulich ist, wenn wir mit diesem Gesetz heute einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, daß die Eigentumsquote in unserem Land steigen wird, eine Eigentumsquote, die bei uns, im reichsten Land Europas, niedriger liegt als irgendwoanders in Europa.
Herr Kollege Braun, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Larcher?
Bitte sehr.
Kollege Braun, mit Freuden höre ich Ihr großes Lob über dieses Gesetz. Können Sie mir sagen, warum es so viele Jahre gedauert hat, bis Sie zu dieser Erkenntnis gelangt sind?
- Ich meine natürlich Ihre Partei und nicht Sie persönlich.
Ehrlich gesagt, ich bin mit dieser Reform seit Februar dieses Jahres befaßt, wie alle, die wir heute zusammensitzen. Wir haben heftig diskutiert, alle haben auch heftig dazugelernt und viele Dinge von außen aufgenommen. Wir sind insgesamt zu dem Ergebnis gekommen, daß die Grundrichtung, die wir eingeschlagen haben, für unsere Zeit richtig ist. Ich wüßte nicht, wem hier ein Vorwurf zu machen wäre.
- Ich sage Ihnen ehrlich: Vor acht Jahren habe ich meine segensreiche Wirkung als Stadtrat in München entfaltet. Ich war damals noch nicht in dem Maße in der Lage, auf die Willensbildung hier Einfluß zu nehmen.
Lassen Sie mich fortfahren.
Wichtig ist, daß wir eine Reform zustande gebracht haben, die viel schwieriger war als der Familienlastenausgleich. Denn dort standen etliche Milliarden zusätzlich zur Verfügung; hier ging es darum, kostenneutral ganz neue, und zwar effizientere, Wirkungen insgesamt zu erzielen.
Was wir anstreben, ist gesellschaftspolitisch gewollt. Wir wollen ein Volk von Eigentümern; denn Eigentum macht frei. Selbst der beste Mieterschutz - durch noch so mieterfreundliche Gesetze - gibt dem
Hildebrecht Braun
einzelnen nicht die Freiheit und Unabhängigkeit, die Eigentum gewährt. Wir tragen auch zu einem Wandel der Stellung des einzelnen in unserer Gesellschaft bei. Aus vielen Mietern werden viele Eigentümer werden. Das ist einer der ganz zentralen Wünsche von uns, nämlich daß Mieter ihre eigenen vier Wände, in denen sie bisher schon wohnten, kaufen können. Das führt zu mehr Eigenverantwortlichkeit, aber eben auch zu mehr Unabhängigkeit. Das ist genau das, was wir wollen.
Wohneigentum ist eine besonders gute Form der Altersvorsorge. Wer die eigenen vier Wände rechtzeitig erworben hat, hat weniger Angst vor dem Leben im fortgeschrittenen Alter. Ich möchte auf einige Bestandteile der Änderung eingehen.
Die Zulagenregelung insgesamt schafft Sicherheit für den einzelnen, der vor der Entscheidung steht, ob er sich die Investition leisten will oder nicht - ein unschätzbarer Vorteil.
Das Baukindergeld ist um 50 % angehoben worden. Das ist in unserer Zeit eine enorme Zuwachsrate. Dies war eine ausdrückliche Forderung der F.D.P. ebenso wie die Forderung, das Bausparen wieder attraktiv zu machen. Dies ist durch eine Anhebung der Einkommensgrenzen um nahezu 100 % gelungen.
Ganz besonders wichtig ist, daß es noch gelungen ist, die Grundförderung für den Erwerb aus dem Bestand anzuheben. Denn gerade durch diesen Schritt werden viel mehr Mieter in die Lage versetzt, Eigentümer zu werden. So wird sich das neue Fördersystem nicht nur zugunsten des Wohnungsbaus auf dem flachen Land auswirken, sondern es fließt auch Fördergeld in die Städte, die zusätzliches Wohneigentum dringend nötig haben. Denn gerade dort ist die Wohneigentumsquote besonders gering.
Zugleich schaffen wir hiermit eine Förderkomponente zugunsten der neuen Bundesländer. Denn dort wird der Kauf aus dem Bestand ganz besonders häufig Wirklichkeit werden. Und wir leisten einen Beitrag dazu, die von den Parteien des Bundestags geforderte Privatisierung von kommunalen Wohnungsbeständen im Osten deutlich zu erleichtern.
Wir haben das Bürgschaftsverfahren für die neuen Bundesländer erweitert. Das steht zwar nicht ausdrücklich im Gesetz, aber zwischen allen Beteiligten ist vereinbart worden, daß für die neuen Bundesländer eine Bürgschaftsregelung geschaffen wird, wonach es dem einzelnen, der eben nicht, wie im Westen, die Möglichkeit hatte, Wohneigentum zu bilden und damit einen Grundbetrag anzusammeln, erleichtert wird, Kredite zu bekommen. Die Kredite werden zudem billiger werden, weil ein Teil staatlich verbürgt wird. Das ist eine gezielte, sehr preiswerte echte Hilfe für die neuen Bundesländer.
Der Vorkostenabzug wurde reduziert, aber er bleibt progressionsabhängig. Das ist richtig und notwendig, weil auf diese Weise die Nachteile für diejenigen, die wir jetzt doch kräftig zur Ader lassen,
nicht ganz so kraß ausfallen, wie das sonst der Fall gewesen wäre.
Wir sind der Meinung, daß diejenigen, deren Einkommen jenseits der Grenzen liegen, selbst für Wohneigentum sorgen müssen. Sie können das aber auch, weil sie ein ausreichendes Einkommen haben.
Ich möchte die Gelegenheit nehmen, dem Kollegen Faltlhauser ausdrücklich für seinen Einsatz in diesem Zusammenhang zu danken.
Das wird eines der letzten großen Gesetzeswerke sein, die Herr Faltlhauser in diesem Haus erlebt, bevor er seinen Tätigkeitsort nach München verlegt. Aber ich hoffe, daß er in Zukunft in ähnlicher Weise zum Wohl der Bayern beitragen wird.
Ich bin zuversichtlich, daß dieses Gesetz sehr positive Auswirkungen haben wird, daß viele neue Eigentümer gewonnen werden. Und ich bin auch zuversichtlich, daß sich die Skepsis, die bei einigen Fachleuten sehr wohl noch vorhanden ist - nämlich daß die Umstellung der Förderung zu stark ausgefallen ist -, nicht bestätigen wird. Wir haben uns viele Monate - es war nicht ein so kurzer Zeitraum, wie das hier dargestellt wurde - intensiv mit der Thematik beschäftigt. Wir sind davon überzeugt, daß wir insgesamt die richtigen Entscheidungen getroffen haben.
Ich bedanke mich bei allen Beteiligten, auch und gerade bei der SPD, daß sie diese Reform in toto mitträgt.
Das Wort hat der Kollege Warnick, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Anfang für meine liebe Kollegin Frau Rönsch eine kleine Lektion im DDR-Sprachgebrauch: Plattenbauwohnungen in der DDR nannte man allgemein „Arbeiterschließfächer". Man wird sie wahrscheinlich deswegen Arbeiterschließfächer genannt haben, weil da nur Beamte und Stasi-Leute gewohnt haben; dies nehme ich einmal an. Dies jedenfalls wollte Frau Rönsch in ihrer wirklichkeitsfremden Äußerung vorhin so darstellen.
Zum Gesetz. Wir alle waren uns einig darüber, daß das Gesetz zum 1. Januar kommen soll. Es ist völlig falsch, zu behaupten, wir wollten verhindern, daß dieses Gesetz zum 1. Januar in Kraft tritt. Wir hatten einfach zuwenig Zeit. Wir hätten uns mehr Zeit nehmen müssen - die notwendige Zeit -, um dieses Gesetz entsprechend sauber auszuarbeiten.
Klaus-Jürgen Warnick
Dieses Gesetz ist in den Ausschüssen auf Zuruf zusammengebastelt worden. Jede neue Idee wurde kurzfristig schriftlich niedergelegt. Auf diese Weise hat man am Mittwoch 14 Stunden an diesem Gesetz herumgebastelt.
Herr Thiele hat die Sitzung zweifelsfrei hervorragend geleitet; das muß man anerkennen. Trotzdem ist nicht auszuschließen, daß sich - wie beim Mietenüberleitungsgesetz - Fehler eingeschlichen haben, die in den Ausschüssen keiner der Abgeordneten erkannt hat.
Mir ist noch sehr gut im Ohr, wie Leute in den neuen Bundesländern uns hinsichtlich der schlampigen Art und Weise beschimpft haben, mit der das Mietenüberleitungsgesetz verabschiedet wurde. Hunderttausende, nein, Millionen Bürger mußten unter dieser Art und Weise leiden.
- Das ist so. Fragen Sie die Bürger dort, welche Probleme sie damit hatten.
Man kann den Bürgern draußen kaum erzählen, in welchem Hauruckverfahren hier im Bundestag Gesetze gemacht werden. Sie würden es uns nicht glauben. Wir haben heute früh um 0.30 Uhr die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses bekommen. Also konnte man erst heute morgen diese Beschlußempfehlung einsehen.
Es stimmt auch nicht - wie heute morgen in der Geschäftsordnungsdebatte gesagt wurde -, daß wir nicht schon vorher auf die Art und Weise hingewiesen hätten, mit der dieser Gesetzentwurf hier verabschiedet werden soll. Ich habe das im Ausschuß eindeutig kritisiert und gesagt, ich sei nicht damit einverstanden, daß das Gesetz in diesem Eilverfahren durchgepeitscht werden soll.
Es stimmt auch nicht, daß dieses Gesetz, wenn wir es vierzehn Tage später verabschieden würden, nicht zum 1. Januar in Kraft treten könnte.
- Nein.
Das hat aber eine völlig andere Ursache. Die Gefahr, den Vermittlungsausschuß des Bundesrates anzurufen, hat zu keiner Zeit bestanden, weil sich die SPD schön brav in allem gefügt und angepaßt hat.
Es gibt hier ja nur noch wenige Unterschiede. Bei den Wahlen in Berlin hat man es gesehen: Die Berliner wählen lieber gleich das Original und nicht die Kopie oder uns als Alternative.
In einigen Punkten können wir diesen Gesetzentwurf mittragen bzw. haben nur geringe Differenzen.
Erwähnen und begrüßen möchte ich vor allem die Einbeziehung der Genossenschaften in die Wohneigentumsförderung und auch die Aufnahme der ökologischen Komponenten.
Es gibt aber auch grundlegende Unterschiede. Es stimmt: Das Gesetz ist einfacher; aber es ist nicht einfach. Es ist gerechter, aber noch lange nicht so gerecht, wie es hätte sein können. Es ist familienfreundlicher, aber nicht so familienfreundlich, wie wir es gebraucht hätten. Das liegt daran, daß Sie nicht die wohnungspolitischen, sondern die vermögenspolitischen Aspekte in den Vordergrund gestellt haben.
Der gravierende Unterschied zu unserer Vorstellung besteht darin, daß wir grundsätzlich gegen den Erwerb aus dem Bestand waren, daß wir für eine Kumulierung waren, die leider nicht erreicht werden konnte, daß wir eine weitere Erhöhung des Baukindergeldes beantragt hatten und daß wir auch diejenigen, die unter das Sachenrecht fallen, mit einbezogen haben wollten. Mit dem Hinweis, die Zeit reiche nicht aus, das entsprechend einzuarbeiten, wurden diese Forderungen nicht mit aufgenommen. Auch das haben wir der kurzen und knappen Arbeit zu verdanken.
Deswegen haben wir noch einen Entschließungsantrag eingebracht und bitten um Unterstützung, um wenigstens das, was im Ausschuß dazu gesagt wurde, klar und deutlich zu machen.
Warum haben wir noch Änderungsanträge gebracht?
Die Redezeit, Herr Kollege!
Es ist klar: Wir haben keine Chance, daß sie durchkommen. Aber wir wollen der Öffentlichkeit dokumentieren, wie hier abgestimmt wird. Die nächsten Wahlen kommen bestimmt. Wir sammeln schon einmal Material. Sie werden uns dabei unterstützen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Gerhard Schulz, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte eigentlich vor, weite Teile meines Manuskripts wegzulassen, weil ein paar Vorredner das schon gesagt haben. Aber ich halte es doch für notwendig, einiges noch einmal zu sagen, damit wir wissen, worüber wir eigentlich reden. Ich bitte also um Entschuldigung, wenn ich manches wiederhole.
Im November 1994 kündigten die Regierungsparteien in ihrer Koalitionsvereinbarung eine Reform der steuerlichen Wohneigentumsförderung an. Die Ansprüche an diese Reform waren: Die Steuerausfälle des neuen Fördersystems sollten im Vergleich zur bestehenden Regelung nicht höher sein, es sollte eine vorrangige Förderung von Familien mit Kindern
Gerhard Schulz
erfolgen, und es sollte eine sozialere Ausgestaltung erreicht werden, damit mehr Familien als bisher Wohnungseigentümer werden können.
Heute, nach rund einem Jahr, ist das neue Eigenheimzulagengesetz fertig. Die Koalition dokumentiert damit erneut ihre Verläßlichkeit und Kontinuität in ihrem politischen Handeln.
In dieses Lob beziehe ich ausdrücklich - da bin ich
nach der Debatte mit Frau Rönsch vorsichtiger geworden - den gutwilligen Teil der Opposition mit ein.
Durch Konzentration auf die Sachprobleme ist dieses Parlament in der Lage, innerhalb kurzer Zeit wichtige und notwendige Reformen zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger zu verabschieden. Wenn jetzt noch der Bundesrat diesem Gesetz zustimmt, ist das ein tolles Ergebnis.
Mit diesem Gesetz vollziehen wir eine grundlegende Umstellung der steuerlichen Wohneigentumsförderung. Das wurde bereits gesagt; ich lasse es weg. Diese Umstellung ist ein wichtiger Schritt zur Erzielung einer höheren Effizienz der Eigentumsförderung. Wir leisten damit einen Beitrag zur Steuervereinfachung, und wir leisten einen notwendigen Beitrag zur Abgrenzung von Steuer- und Transferrecht. Zudem werden vor allem die mittleren Einkommensschichten, die sogenannten Schwellenhaushalte, in die Lage versetzt, Wohneigentum zu erwerben und damit die Eigentümerquote in ganz Deutschland zu erhöhen.
Insgesamt ist die Neuregelung der Wohnungsförderung zwar aufkommensneutral. In den neuen Ländern ergeben sich aber überwiegend Verbesserungen. Von dem gesamten Volumen von über 17 Milliarden DM steuerlicher Förderung entfällt auf die neuen Länder ein Anteil von über 4 Milliarden DM. Mit dieser Eigenheimzulage wird in den neuen Bundesländern eine ganz neue Förderdimension erreicht. Darauf möchte ich mich jetzt konzentrieren.
Erstens. Bisher konnten nach § 10e des Steuergesetzes nur äußerst wenige Haushalte in den neuen Ländern am bestehenden Fördersystem partizipieren, weil Einkommen und Steuerlast im Durchschnitt niedriger liegen als in den alten Bundesländern. So können die Steuervergünstigungen bei einer ostdeutschen Familie mit zwei Kindern erst ab einem jährlichen Bruttoeinkommen von 47 000 DM vollständig in Anspruch genommen werden. Der durchschnittliche Bruttojahresverdienst eines ostdeutschen Industriearbeiters betrug 1994 jedoch lediglich rund 39 000 DM, also 8 000 DM weniger.
Die Steuerersparnis nach § 10e beträgt für diese Familie rund 27 200 DM. Mit der neuen Eigenheimzulage erhöht sich diese Förderung auf 64 000 DM, also um rund 135 %.
Das ist auch notwendig; denn in Ostdeutschland beträgt die Wohneigentumsquote - das wurde erwähnt - nur 22 %. Wir belegen damit im westeuropäischen Vergleich den letzten Platz. Hier ist also wirklich Abhilfe notwendig.
Zweitens. Im Gesetzgebungsverfahren konnte erreicht werden, daß die Zulage für Erwerb aus dem Bestand, also Altbau, von 2 200 DM auf 2 500 DM erhöht wurde. Das ist für die alten Länder, wenn man so will, so etwas ähnliches wie eine Ballungsraumzulage. Für die Ostländer ist das aber eine Zusatzförderung. Warum sage ich das? In Leipzig wird geschätzt, daß dort allein durch das Sanieren des gesamten sanierungsfähigen Wohnraums die Wohnungsprobleme zu lösen seien. Man bräuchte quasi keinen Neubau.
Durch das jetzt vorhandene Instrumentarium, welches sich zusammensetzt aus erstens der Förderung für den Erwerb von Altbau über acht Jahre mit jeweils 2 500 DM plus 1 500 DM für jedes Kind, zweitens progressionsabhängiger Vorkostenabzug von maximal 22 500 DM für Renovierung und Sanierung am gekauften Altbauobjekt und drittens 40 000 DM für Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen nach § 7 des Fördergebietsgesetzes - das Gesetz existiert ja noch immer -, die zusätzlich wie Sonderausgaben abgesetzt werden können, besteht für die Menschen in den neuen Bundesländern ein attraktives Fördersystem für den Erwerb von Wohneigentum.
Drittens. In Ostdeutschland konnte in den vergangenen Jahren - darüber wurde an dieser Stelle oft genug berichtet - keine Vermögensbildung stattfinden.
Die Haushalte verfügen über wenig Eigenmittel und müssen beim Erwerb von Wohneigentum hohe Kredite aufnehmen. Hier besteht die Gefahr, daß ihnen diese Kredite wegen fehlender Sicherheiten verweigert werden. Um diesem Problem Rechnung zu tragen, wird ein nur für die neuen Bundesländer gültiges Bürgschaftssonderprogramm für den Erwerb von Altbauten aufgelegt. Die Höhe der Bürgschaft beträgt 20 % des Kostenaufwands für den Erwerb, jedoch maximal 30 000 DM. Aber dieses Sonderprogramm ergänzt das bereits bundesweit existierende Bürgschaftsprogramm für Neubauten. Es rundet damit das Bürgschaftsinstrumentarium des Bundes ab und erleichtert die Kreditfinanzierung für den Kauf von billigen Wohnungen.
Das vorliegende Eigenheimzulagengesetz ist die Grundlage für eine effektive soziale und familienfreundliche Wohneigentumsförderung. Wir legen damit in den neuen Bundesländern den Grundstein für mehr selbstgenutztes Wohneigentum, vor allem in den mittleren Einkommensschichten. Darum halte ich es für ein gutes Gesetz.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Kollege Großmann, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schön, daß wir viele Gemeinsamkeiten festgestellt haben. Das werde auch ich in meinem Redebeitrag tun. Aber es ist natürlich ebenso wichtig, daß man den Unterschied zwischen Regierung und Opposition nicht verwischt. Deshalb will ich versuchen, auch diesen Teil nicht zu kurz kommen zu lassen.
Mehr als ein Jahrzehnt hat die SPD dafür gekämpft, die sozial ungerechte, familienfeindliche und nicht treffsichere Wohneigentumsförderung durch eine wirklich neue Reform zu ersetzen.
Wenn die Hälfte einer staatlichen Förderung 20 % der Haushalte, die das höchste Einkommen haben, bekommen und wenn Familien mit mittlerem Einkommen mangels Masse nicht bauen können, dann muß ein solches Gesetz weg.
Wenn die Menschen in den neuen Bundesländern kein Eigentum schaffen können, weil sie auf Grund niedrigerer Einkommen § 10e EStG nicht nutzen können, dann muß ein solcher Paragraph weg. Immer und immer wieder haben wir Ihnen das gesagt - das ist heute schon angeklungen -, und wir haben viele Jahre gebraucht, ehe Sie in der Lage waren, diesen Weg mitzugehen und das Gesetz zu reformieren.
In der Zwischenzeit hätten Hunderttausende von Menschen Eigentum schaffen können. Das sollte man an einem solchen Tag einmal festhalten.
Ich habe eine Reihe von Zitaten vorliegen, die ich nicht vortragen will, die aber belegen, mit welchen teilweise abenteuerlichen Argumenten Sie eine Reform der Wohneigentumsförderung verhindern. Das beginnt mit Herrn Solms im März 1985 und reicht bis in die letzten Monate hinein. Ich will nicht zitieren, denn das ist Vergangenheit. Es sollte hier nur noch einmal festgehalten werden: Jahrelang hat sich die Koalition geweigert, § 10e EStG zu ändern, der zu einer krassen Fehlförderung in der Wohneigentumsförderung geführt hat.
Heute erleben wir ein kleines Wunder: Die, die uns jahrelang wegen unserer Idee der einkommensunabhängigen Förderung beschimpft haben, preisen mit wortreichen Redebeiträgen an die eigene und damit an die falsche Adresse die Vorzüge, die Effizienz und die Gerechtigkeit der neuen Paragraphen.
Wenigstens einer, Bauminister Töpfer, hat in der Diskussion der vergangenen Wochen gesagt: Okay, das war eine gute Idee der SPD. Er hat sich dafür bedankt und bestreitet nicht die Urheberschaft der Idee.
Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, entspricht in weiten Teilen - nicht in allen - den Forderungen der SPD. Er ist sozial gerecht, weil die Fehlförderung aufhört, daß jemand, der sehr viel
verdient, das Doppelte derjenigen Förderung bekommt, die eine Familie mit mittlerem Einkommen bezieht. Er ist familien- und kinderfreundlich; denn das Baukindergeld, auch wenn es bis jetzt als Abzug von der Steuerschuld gezahlt wurde, hat dennoch dazu geführt, daß viele Familien auf Grund ihrer Steuersituation das Baukindergeld nicht nutzen konnten.
Er ist ökonomisch sinnvoll, weil die Mittel, die der Staat zur Verfügung stellt, stärker auf die Menschen, die sonst nicht bauen könnten, konzentriert sind. Er ist einfacher zu verstehen und schafft Klarheit, weil jeder Bauherr beim ersten Spatenstich bis auf die letzte Stelle hinterm Komma genau weiß, was er an Förderung bekommen wird.
Der neue Gesetzentwurf hat innovative Elemente, nämlich den Ökobonus und die Förderung von Genossenschaftsanteilen.
Dazu möchte ich ein paar Bemerkungen machen.
Die Ökokomponente finden Sie im SPD-Antrag vom Mai dieses Jahres. Dort heißt es:
Die neue Wärmeschutzverordnung erreicht nicht den Standard des Niedrigenergiehauses. Dramatische Änderungen der klimatischen Bedingungen erfordern aber weitere Anstrengungen. Familien, die selbstgenutztes Wohneigentum auf Niedrigenergiestandard schaffen, sollten zusätzlich gefördert werden.
Wir haben diesen Antrag eingebracht. Ich bin in einigen Landeshauptstädten gewesen und habe für die Idee geworben; denn wir brauchen ja nicht nur die Bundestagsmehrheit, sondern auch die Bundesratsmehrheit. Ich bin froh, daß der Bundesrat die Forderungen der SPD übernommen, eingespeist und auch vorgeschlagen hat, die Ökokomponente in das Gesetz hineinzunehmen.
Ich bin ebenfalls dankbar, daß aus dem Bundesbauministerium ein zusätzlicher Vorschlag kam - das sollte man hier der Wahrheit halber sagen -, eine zweite Ökokomponente mit hineinzunehmen.
Wir haben das sehr gerne unterstützt und tragen es heute mit.
Natürlich - das sage ich auch wegen der Wahrheitsfindung, Frau Eichstädt-Bohlig - haben auch die Grünen in ihrem Antrag, der im August etwas später als unserer kam, Vorschläge für Ökoboni gemacht. Ich hoffe, daß wir Sie mit unserem Antrag in Ihrem Anliegen ein wenig befruchtet haben.
Der zweite Punkt, auf den ich etwas näher eingehen will, ist die Förderung von Genossenschaftsanteilen. Die Förderung von Genossenschaftsanteilen, die jetzt ermöglicht wird, kann man, glaube ich, nicht
Achim Großmann
hoch genug werten. Es ist ein historischer Durchbruch in der Geschichte der Genossenschaftsbewegung.
Erstmals wird es möglich, daß ein Mitglied, das Genossenschaftsanteile erwirbt, mit einer Zulage des Staates gefördert wird. Diese Förderungsmöglichkeit betrifft Genossenschaften, die nach dem 1. Januar 1995 gegründet werden. Das bedeutet: Es ist im Moment noch eine auf die ostdeutschen Bundesländer zugeschnittene Förderung. Das begrüßen wir ausdrücklich; denn in den neuen Bundesländern läuft die Privatisierung. Aber sehr viele Leute, sehr viele Mieterinnen und Mieter, auch in Genossenschaften, haben vor dieser Privatisierung Angst, weil sie sich entscheiden mußten, eine Wohnung unter Umständen als Volleigentum zu kaufen, dafür jedoch nicht das Geld hatten.
Mit dem Weg, den wir jetzt beschreiten, gibt es die Entscheidung nicht, auf der einen Seite Mieter oder Mieterin zu bleiben und auf der anderen Seite Volleigentum zu erwerben, was man sich finanziell vielleicht gar nicht leisten kann oder sich nur aus Angst leistet, wobei man nachher feststellt: Ich muß es wieder abgeben, ich muß das zwangsversteigern lassen oder verkaufen.
Nein, es gibt einen dritten Weg. Es gibt einen Weg des mittelbaren Eigentums, der steuerlich oder per Zulage über das genossenschaftliche Eigentum gefördert wird. Das ist ein guter Weg. Dafür haben wir im Gesetzgebungsverfahren lange fechten müssen.
Aber auch die Baugenossenschaften im Westen, Norden und Süden unseres Landes werden diesen Weg aufgreifen. Es werden sich Bauträgergenossenschaften bilden. Ich bin sicher, daß das innovative Angebot Flügel bekommen wird und daß es sehr kreative Leute geben wird, die dieses Angebot ausfüllen und eine neue Form der Eigentumsbeteiligung schaffen werden.
Ich sage aber auch ganz deutlich: Dies kann nur ein erster Schritt sein. Wir haben einvernehmlich beschlossen, daß weitere Schritte folgen. Wenn wir also heute unseren eigenen Antrag zum Genossenschaftsweg formal für erledigt erklären, dann muß ich das begründen, damit es nicht falsch verstanden wird.
Wir machen diesen Schritt deshalb, weil wir auf der einen Seite einen ersten Schritt geschafft haben, nämlich den Einstieg in die Förderung der Genossenschaftsanteile, und der Bauausschuß gleichzeitig einvernehmlich folgendes beschlossen hat. In der gutachterlichen Stellungnahme für den Finanzausschuß, die auch im Bericht auftaucht, heißt es:
Es besteht Einvernehmen darüber, daß die Förderung des Erwerbs von Genossenschaftsanteilen in die steuerliche Wohneigentumsförderung einbezogen werden soll. Eine umfassende Regelung sollte noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden können. Dabei ist eine sachenrechtliche Ausrichtung der genossenschaftlichen Mitgliedsrechte an Wohnungsgenossenschaften zu untersuchen. Außerdem ist dabei der Frage nachzugehen, wie die genossenschaftlichen generellen Mitwirkungsbefugnisse auf unternehmenspolitische Entscheidungen einschließlich der Gestaltung der Nutzungsentgelte gestärkt werden müssen.
Das ist ein Weg, den wir gerne mitgehen wollen; denn das bedeutet nichts anderes, als daß wir an unserer Forderung weiterhin festhalten, auch Mitgliedern bestehender Genossenschaften eine steuerliche Förderung ihrer Geschäftsanteile zu gewähren. Daran werden wir in den nächsten drei Jahren arbeiten.
Ein Großteil dieses Gesetzes - es ist schon gesagt worden - führt zu großem Nutzen in den neuen Bundesländern. Wir haben bei den vielen Versuchen zur Reform des § 10e immer wieder darauf hingewiesen, daß die Menschen in den neuen Bundesländern diese Bestimmung nicht nutzen konnten. Ich habe eben schon darauf hingewiesen.
In einer Presseerklärung von Februar 1992 hatte ich gesagt:
Die Bauministerin hängt den Speck staatlicher Förderung so hoch, daß selbst vergleichsweise gut verdienende Familien in den östlichen Ländern leer ausgehen. Hunderttausende Arbeitnehmerfamilien können kein Eigenheim erwerben und werden von der Vermögensbildung ausgeschlossen.
Die starke Benachteiligung der Menschen in den neuen Bundesländern ist ab heute beendet; denn die einkommensunabhängige Förderung wird dazu führen, daß viele Menschen, die von Eigentum bisher nur träumen konnten, diesen Traum verwirklichen können.
Auch die Genossenschaftsregelung als Einstieg ist typisch für die neuen Bundesländer; das habe ich bereits dargestellt. Aber auch die Erhöhung der Förderung der Bestandskäufe von 2 200 auf 2 500 DM und der Tatbestand, daß wir in dem Gesetz die Möglichkeit belassen, Erhaltungsaufwendungen bis zu 22 500 DM geltend zu machen, wenn man aus dem Bestand erwirbt, werden von den Menschen in den neuen Bundesländern sehr gut genutzt werden können. Ich denke, das ist gut und richtig so.
Fazit: Wir haben nach wirklich langem Kampf - das muß ich für die SPD sagen - ein Gesetz geschaffen, das eine derartig deutliche SPD-Handschrift trägt, daß wir heute sehr froh und glücklich sind, dieses Gesetz verabschieden zu können. Herr Reschke hat aufgezeigt, daß wir weitere Aufgaben zu erledigen haben, daß einige unserer Wünsche nicht erfüllt worden sind. Deshalb werden wir nicht die Hände in den Schoß legen, sondern wollen an weiteren Reformen für den Wohnungsbau arbeiten.
Ein Dank gilt - das ist schon gesagt worden - Herrn Faltlhauser, aber auch Herrn Töpfer. Wir wis-
Achim Großmann
sen: Eine gute Idee der SPD aufzugreifen und dies öffentlich zuzugeben, dazu gehört Mut. Diese SPD- Idee dann auch noch in der Koalition durchzusetzen, dazu gehört noch mehr Mut. Dafür unseren herzlichen Dank, Herr Bauminister.
Aber Achtung! Zu Ihrer bisherigen Bilanz gehören nicht nur Erfolge - die Sie übrigens fast immer zusammen mit der SPD erstritten haben, z. B. das Mietenüberleitungsgesetz -, sondern es gibt auch schlimme wohnungspolitische Entwicklungen.
In den letzten Tagen konnten wir lesen, daß die Bestände der Post- und Bahnwohnungen verkauft werden sollen, daß die Deutschbau ihre Wohnungen abgeben soll. Wenn der Bund die Aushöhlung der Wohnungsfürsorge mitmacht und die Wohnungsfürsorge schleifen läßt, wenn in der Bevölkerung der Eindruck entsteht, daß die kleinen Beamten in den Großstädten, die für Post und Bahn arbeiten, demnächst große Sorgen haben müssen, während gleichzeitig in Berlin Wohnungen für Ministerialdirigenten gebaut werden, dann ist das ein falsches Signal. Wohnungspolitisch bliebt viel zu tun.
Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Bundesminister Töpfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Herrn Kollegen Großmann für seine letzte Bemerkung sehr dankbar. Er hat zunächst auf das hingewiesen, was wir angeblich falsch gemacht haben. Hätte mich die Opposition nur gelobt, hätte ich an anderer Stelle Ärger bekommen. Deswegen herzlichen Dank für die Kritik, Herr Kollege Großmann.
Zum Ernst zurück: Es ist sicherlich gute Arbeit geleistet worden, für die ich mich insgesamt bedanken möchte. Dieses Gesetz hat immerhin ein Volumen von 17,3 Milliarden DM pro Jahr. Mit ihm können wir Wohneigentum gezielter fördern, damit die Wohneigentumsquote steigt.
Das Gesetz ist ein Kompromiß, der über die Koalition und die Opposition hinweggreift; das finde ich besonders gut. Wenn wir demnächst auch bei der Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig noch die letzten Vorbehalte beseitigen können, bekommen wir hier insgesamt einen Schulterschluß zustande. Das wäre doch etwas ganz Interessantes, Frau Eichstädt-Bohlig. Bei Ihren Darstellungen habe ich manchmal den Eindruck gehabt, Sie hätten ganz gern mitgestimmt, aber so ganz gedurft haben Sie noch nicht. Aber auch das bekommen wir noch hin.
Mit Kompromissen ist das in Deutschland so eine Sache. Wenn du einen Kompromiß eingehst, wird dir meistens zunächst einmal vorgeworfen: Du bist gar
nicht konfliktfähig. Kompromiß hat so etwas an sich wie Mauschelei, den anderen über den Tisch ziehen, dem anderen irgend etwas reindrücken. Das Wort „Kompromiß" ist also nicht von vornherein positiv belegt. Viele Bürgerinnen und Bürger bei uns sind der Meinung: Da haben sie wieder einmal gemauschelt; man hat verwässert und nicht verbessert. Deswegen will ich das aufgreifen.
Meine Damen und Herren, richtig ist - ich habe das schon mehr als einmal zitiert -, was der große Münchener Philosoph Robert Spaemann im Rahmen der Laudatio für Hans Jonas in der Paulskirche gesagt hat. Er hat darauf hingewiesen: Wenn man sich zu schnell auf das Falsche einigt, bleibt es immer noch das Falsche.
Die Frage ist also berechtigt: Haben wir uns auf etwas Falsches geeinigt? Ich meine, einen Kompromiß zu schließen heißt auch, die Kraft zu haben, darüber nachzudenken, welche Positionen bei dem jeweils anderen richtig sein können, und sie dann auf zunehmen. Diese Kraft sollten wir wechselseitig haben.
Mich erinnert das an ein Bild, das ich Norbert Blüm verdanke. Als ein Gesetzgebungsvorhaben, das sein Ressort betraf, parteiübergreifend möglich geworden war, hat man gefragt: Wer ist der Urheber dieses Gesetzes? Ist das eher die SPD, ist das eher die CDU/ CSU, oder ist das die Koalition? Dazu hat er gesagt: Das ist so, als wenn ein Kind geboren wird; dann streitet man sich auch, ob es eher dem Vater oder eher der Mutter ähnlich sieht. Ich, so hat Norbert Blüm gesagt, verweise darauf: Hauptsache, das Kind ist gesund. - So würde auch ich heute sagen: Hauptsache, das Kind ist gesund.
Wenn wir uns streiten, ob es eher der Mutter oder dem Vater ähnlich sieht, möchte ich nur auf eines hinweisen: Manche Kinder sehen über die Jahre etwas anders aus, als sie bei der Geburt ausgesehen haben. Hoffentlich finden wir uns in unserem Gesetzesvorhaben am Ende auch wieder und sagen: Es ist unser gemeinsames Kind; dieser Kompromiß ist vernünftig. Ich möchte, daß man bis nach Buxtehude hinein sagen kann: Das ist etwas Vernünftiges geworden. Das wollte ich doch schon immer einmal gesagt haben.
Meine Damen und Herren, Hauptsache, es ist ein sinnvoller Kompromiß. Ich glaube, das ist der Fall. Mit diesem Gesetzentwurf können wir wichtige familienpolitische und gesellschaftspolitische Ziele erreichen. Wir können wirklich nicht gescholten werden, wir hätten wieder einmal verwässert. Es kann vielmehr gesagt werden: Wir haben verbessert.
Deswegen habe ich in besonderer Weise dem Kollegen Faltlhauser und dem gesamten Finanzministerium zu danken. Sie sehen, welche Kontinuität wir haben: von Faltlhauser zu Hauser. Ein Namensbestandteil stimmt bereits; es bleibt alles beim alten. Herr Kollege Hauser, herzlich willkommen in dieser
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Arbeit. Dem Kollegen Faltlhauser vielen Dank für das, was er gemacht hat.
Ich habe mit ihm darüber gesprochen: Er wird uns in die Bayerische Staatskanzlei zu einem Weißbier mit Weißwürsten einladen. Wir müßten aber vor 12 Uhr mittags kommen, sonst wäre das nicht möglich.
Ich bitte darum, das Präsidium in die Einladung einzuschließen.
Ich werde mich bemühen, das Präsidium einzuschließen, Herr Präsident.
Lassen Sie mich eines hinzufügen: Wenn ich den Kollegen Faltlhauser nenne, dann meine ich auch die vielen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Finanzministeriums und - mit aller Bescheidenheit - auch meines eigenen Ministeriums.
Das ist eine hervorragende Arbeit gewesen, die nur mit viel Sachverstand bewältigt werden konnte. Sie war erforderlich, damit wir uns nicht etwas in die Taschen rechnen, was uns andere hinterher vorwerfen. Das Ganze ist sicherlich eine vernünftige und gute Sache gewesen.
Das zu konservieren sollten wir uns auf jeden Fall vornehmen. Denn das, was vor uns liegt, ist nicht weniger schwierig. Wir haben die Probleme des Wohngelds zu bewältigen, wir haben das dritte Wohnungsbaugesetz zu erarbeiten, wir müssen uns um den sozialen Wohnungsbau kümmern. Wir haben das Baugesetzbuch zu novellieren, wir haben die Baunutzungsverordnung zu novellieren. Es ist also nicht so, als hätten wir in dem Bereich, in dem wir auch einmal über die Grenzen blicken müssen, schon alles ausgearbeitet. Insofern wäre ich sehr dankbar, wenn man diese Art der Zusammenarbeit - ich habe das schon an anderer Stelle gesagt - ein Stück konservieren könnte.
Lassen Sie mich, Herr Kollege Großmann, abschließend auf Ihren Hinweis, was wir mit der Privatisierung von Wohnungsgesellschaften so Böses machen, mit zwei, drei Sätzen eingehen. Bereits am 5. Juli dieses Jahres habe ich als Bauminister dem Kollegen Finanzminister, Theo Waigel, geschrieben und habe ihm erklärt: Es gibt eigentlich kein hinreichendes Bundesinteresse, Wohnungsgesellschaften zu haben.
Sie müssen mir endlich einmal sagen, warum wir das brauchen. Wir wollen doch, Frau Kollegin Matthäus-Maier, nichts verscherbeln, sondern wir wollen uns überlegen, ob nicht andere Unternehmen diese Dinge genauso gut, vielleicht sogar noch besser machen können als wir.
Wir wollen den Postbediensteten oder den Bahnbediensteten in seinen Mieterrechten nicht auch nur im entferntesten andersstellen. Nebenbei gesagt könnten wir dies bei den Postbediensteten gar nicht, denn an der Deutschbau ist die Post unmittelbar beteiligt. Was sie mit ihren Anteilen macht, ist doch ihre eigene Sache. Ich wäre Ihnen auch im Sinne einer verminderten Emotionalisierung und damit Verängstigung von Mieterinnen und Mietern sehr herzlich dankbar: Lassen Sie diese Argumentation sein!
Gehen wir sachlich an die Frage heran, ob wir auf Dauer bundeseigene Wohnungen haben müssen oder ob wir nicht mit seriösen Erwerbern dieser Unternehmen und klarer Kennzeichnung des Mieterschutzes arbeiten können!
Wenn ich mich hier umsehe, sehe ich viele Anwesende, die wissen, welche Aufgaben des Wohnungsbaus in Berlin bestehen. Ich habe unter dem Beifall des Bundestages gesagt: Wir wollen diese Wohnungen nicht nur mit bundeseigenen Gesellschaften bauen, sondern wir wollen sie auch im Investorenwettbewerb bauen. Wenn es dort richtig ist, ist es nicht falsch, wenn wir uns hier darüber Gedanken machen, ob solche Unternehmen privat nicht genausogut geführt werden können und wir die dadurch frei werdenden Mittel für wichtige Aufgaben einsetzen können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reschke?
Bitte.
Bitte.
Herr Bauminister, sind Sie nicht der Auffassung, daß der Finanzminister und sein Haus mit den Informationen ziemlich tölpelhaft an die Öffentlichkeit gegangen sind, und sind Sie nicht der Meinung, daß diese beiden Gesellschaften, nämlich die Frankfurter Siedlungsgesellschaft und die Deutschbau, die Funktion des Wohnungsbaus für Bundesbedienstete nach wie vor übernehmen sollten?
Ich kann nur eines noch einmal unterstreichen: Mein Angebot auch an die Opposition in diesem Hause, über diese Gesellschaften zu sprechen, besteht. Wir wollen Ihnen gern sagen, was dort sinnvollerweise gemacht werden kann und - ich füge das hinzu - welche hilfreiche Möglichkeit damit für den Finanzminister verbunden ist. Wer könnte das anders sagen? Wir haben eine schwierige Situation, und diese kann dadurch verbessert und erleichtert werden. Mein Angebot besteht; seien Sie mir wirklich herzlich willkommen. Wir werden Sie mit allen Informationen weiter auf dem laufenden halten, damit Sie sehen, daß hier nichts verscherbelt wird, daß hier nichts zu Lasten von Mietern gemacht wird, sondern an einer ver-
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
nünftigen Perspektive für Bundeseigentum gearbeitet wird.
Herr Minister, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?
Aber gerne.
Bitte, Frau Eichstädt-Bohlig.
Herr Minister, können Sie dafür Sorge tragen, daß ausschließlich an Gesellschaften mit an der Gemeinnützigkeit orientierter Satzung verkauft wird, wenn wir schon keine Wohnungsgemeinnützigkeit mehr haben, und nicht an verwertungsorientierte Gesellschaften?
Wir können auf jeden Fall sicherstellen, daß in dem Vertrag - jedem solchen Kauf muß ja ein Vertrag zugrunde liegen - vom Grundsatz her diese Anforderung fixiert wird. Frau Eichstädt-Bohlig, auch wir stehen in der öffentlichen Diskussion. Keiner wird es anders bewerten können. Es ist das originäre Interesse des Finanzministers und des Bauministers, hier einen Beleg dafür zu erbringen, daß Privatisierung nicht etwas ist, was man besser nicht macht, sondern daß Privatisierung etwas ist, was wir alle - wo immer möglich - mittragen sollten, damit sich der Staat wirklich auf seine Aufgaben beschränkt. Das, was Sie gefordert haben, werden wir grundsätzlich tun.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Ich habe vielen in diesem Hohen Hause und weit darüber hinaus zu danken. Wir bekommen ein wichtiges Gesetz, das die Bildung von Wohneigentum, auch in Genossenschaften, ermöglicht und einen Ökobonus und viele andere Ergänzungen enthält. Es war ein gutes Verhandeln; herzlichen Dank dafür. Ich hoffe, wir können in dieser Weise weiterarbeiten.
Ich schließe die Aussprache und gebe das Wort für eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung der Kollegin Matthäus-Maier.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, es ist spät, aber ich möchte kurz erklären, warum ich dem Gesetz zustimme.
Politik ist das Bohren von dicken Brettern, und manchmal sind sie besonders dick. Das heutige Reformpaket gehört dazu. Seit 25 Jahren kämpfe ich auf verschiedenen Ebenen für eine Änderung - ich
freue mich, daß sie heute kommt -: als einfache Abgeordnete, als Vorsitzende des Finanzausschusses, als Mitglied der Opposition. Ich finde, darüber können wir alle zufrieden sein.
Ich möchte den wichtigsten Punkt hervorheben. Über Jahrzehnte war es so: Je mehr der Bauherr verdiente, desto höher war und ist bis heute für ihn die Entlastung. Das ändern wir heute gemeinsam. Das ist so ähnlich wie beim Kindergeld: Wir ersetzen den Kinderfreibetrag für etwa 95 % der Eltern durch das Kindergeld. Das ist ein enormer Fortschritt.
Ich danke meinen Kollegen in der SPD, daß sie das in mühevoller Kleinarbeit durchgesetzt haben. Ich danke Ihnen von den Koalitionsfraktionen, daß das nach langem Widerstand heute durchkommt. Da ich sehr milde gestimmt bin, will ich nicht zitieren, was Sie über all die Jahrzehnte dagegengehalten haben.
- Nicht Sie, Herr Kansy, aber viele von Ihnen.
- Ich habe es doch miterlebt! Nun freuen Sie sich doch, daß wir das heute machen!
Ich stimme dem Gesetz zu und freue mich, daß wir dafür heute endlich eine Mehrheit haben.
Danke schön.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der steuerrechtlichen Wohneigentumsförderung auf den Drucksachen 13/2235, 13/2476 und 13/2784 Nr. 1 a. Dazu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zwei Änderungsanträge des Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/ 2795? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abgeordneten Warnick auf Drucksache 13/2798? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der vier Fraktionen gegen die Stimmen der Gruppe PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abgeordneten Warnick auf Drucksache 13/2799? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor abgelehnt.
Wir kommen zum Gesetzentwurf. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
wurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Gruppe PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der PDS angenommen.
Der Finanzausschuß empfiehlt unter Nr. 1 b seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?
- 1 b. - Ist das Haus einig, worüber wir abstimmen?
- Können wir über diese beiden Texte unter den Buchstaben aa und bb gemeinsam abstimmen?
- Dann frage ich noch einmal: Wer stimmt der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses unter Nr. 1 b zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/2786. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung der PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe PDS auf Drucksache 13/ 2794. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.
Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Eckwerten für ein grünes Wohnungs-Selbsthilfe-Gesetz, Drucksache 13/2784 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf der Drucksache 13/ 2304 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Stimmenthaltung der PDS gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN angenommen.
Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Reformierung der Wohneigentumsförderung, Drucksache 13/2784 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf der Drucksache 13/2357 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu den Anträgen der Fraktion der SPD zur Neugestaltung der Wohneigentumsförderung und zur Stärkung der Wohnungsbaugenossenschaften, Drucksache 13/2771. Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge auf den Drucksachen 13/1501 und 13/1644 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf den Zusatzpunkt 15: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur Altschuldenregelung für ostdeutsche Kommunen angesichts erster Bewertungsergebnisse eines Rechtsgutachtens zur Auferlegung von Rückzahlungsverpflichtungen
Diese Aktuelle Stunde ist von der SPD-Fraktion beantragt worden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Christine Lucyga, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über die sogenannten Altschulden der ostdeutschen Kommunen kommt spät, obwohl das Thema seit langem auf der politischen Tagesordnung steht.
Wie dringlich diese Debatte ist, belegen der noch nicht allgemein zugängliche Bundesrechnungshofbericht über die Abwicklung der Altkredite der DDR, der der Bundesregierung in der Altschuldenfrage schwere Fehler und Unterlassungen bescheinigt, sowie Expertengutachten zur Verfassungswidrigkeit der Altschuldenforderungen des Bundes an die ostdeutschen Kommunen.
Die Erklärungsnot von Bundesfinanzminister und Bundeskanzleramt wird größer. Wie anders kann die Tatsache gedeutet werden, daß sich die Bundesregierung nach einem kurzen und enttäuschenden Lebenszeichen in der Altschuldenfrage jetzt wieder einigelt und vereinbarte Verhandlungsrunden absetzt?
Das Altschuldenproblem ist aber weit mehr als ein Schildbürgerstreich des Hauses Waigel; es ist auch ein Präzedenzfall politischer Unmoral. Bis jetzt hat es die Bundesregierung nämlich nicht vermocht, einen im Einigungsvertrag angelegten Fehler zuzugeben. Nein, sie versucht, den entstandenen und täglich
Dr. Christine Lucyga
wachsenden Schaden aus ihrer Fehlentscheidung den Betroffenen aufzuladen.
Die Drohung der Bundesregierung, ihre Forderungen auf gerichtlichem Wege durchsetzen zu wollen, sollten sich die Gemeinden länger renitent zeigen, ist ein mittelalterlicher Willkürakt. Besser wäre es, die Bundesregierung würde den betroffenen Kommunen eine akzeptable politische Lösung anbieten; denn hier hat sie eindeutig eine Bringepflicht.
Weiteres Aussetzen und Liegenlassen machen nichts besser, im Gegenteil.
Auch sollte es sich für einen Rechtsstaat verbieten, willkürliche Entscheidungen des DDR-Staatsapparates nachträglich zu Rechtsakten umzuinterpretieren, die der Realität in den neuen Ländern so nicht standhalten können.
Es ist ein Stück aus dem politischen Tollhaus, wenn in glatter Umkehr der Beweispflicht ostdeutsche Städte und Gemeinden für Altkredite, die oft gar nicht zuzuordnen sind ,und denen oft kein konkreter Vermögenswert gegenübersteht, zur Kasse gebeten werden und sie den Nachweis selbst liefern sollen. Hier hat der Bund die Verpflichtung, einen konkreten, objektbezogenen Nachweis und gegebenenfalls Wertberichtigungen vorzulegen. Das ist bis jetzt nicht geschehen.
Wie ruinös die Durchsetzung der Altschuldenforderungen des Bundes für die Betroffenen ist, soll das Beispiel der Hansestadt Rostock zeigen. Diese Stadt müßte bei der jetzt bestehenden Altschuldenforderung von 270 Millionen DM, davon 90 Millionen DM Zinsen, ungefähr 10 % ihres Haushaltes für Altschulden binden. Allein der Kapitaldienst würde das, was die Stadt aus eigener Kraft - einschließlich Kreditaufnahme - aufbringen könnte, verschlingen. Zitat des Stadtkämmerers: Dann bewegen sich in der Stadt keine Kelle und kein Kran mehr.
Im Klartext: Die Stadt muß lebensnotwendige Investitionen zurückstellen, vor dem Hintergrund eines allgemeinen kommunalen Finanzdefizits durch die anhaltend schlechte Arbeitsmarktsituation, wachsende Sozialleistungen und einen gewaltigen Infrastrukturnachholbedarf. Hier ist dem Berliner Gutachter Harms zuzustimmen, der die Auferlegung einer ruinösen Geldleistungspflicht durch den Bund feststellt.
So wie der Stadt Rostock geht es 16 % der ostdeutschen Kommunen, in Zahlen: 1 400 Städten und Gemeinden. Die übrigen 84 % wurden so willkürlich, wie sie belastet wurden, auch wieder entschuldet, was von der Bundesregierung in einer Fragestunde dieses Jahres salopp mit „irgendwann in den 80er
Jahren irgendwie entschuldet" zu Protokoll gegeben wurde. Dann muß aber auch die Frage erlaubt sein, ob nicht die Schulden der übrigen Kommunen ebenfalls auf den Prüfstand gehören.
Andernfalls erhalten willkürliche Zufallsentscheidungen - oder auch zufällige Willkürentscheidungen; wie man es formulieren will - nachträglich eine rechtliche Anerkennung. Zudem werden regionale Disparitäten festgeschrieben.
Die eigentlichen lachenden Erben dieser zweifelhaften Erbschaft sind die Banken, denen die Übernahme der dubiosen Altkredite durch absurd hohe Zinsen bisher einen wahren Goldregen beschert hat.
Dieses vom BMF zu verantwortende Mißmanagement zu Lasten der Kreditgeschädigten und der Steuerzahler kommentiert der Bundesrechnungshof so: Eine direkte Übernahme der Altschulden in den Bundeshaushalt wäre um Milliarden günstiger gewesen als der Umweg über das teure Schuldenkarussell privater Banken.
Wenn der Bundesfinanzminister mit einem Haushaltsdefizit in Milliardenhöhe im Nacken Altschulden bei den Kommunen geltend macht, die wirklich keine Mark zuviel haben, dann sollte doch eher darüber nachgedacht werden, ob man diese Milliardenbeträge nicht gerechterweise aus den Taschen zurückholen sollte, die die Klientelpolitik der Bundesregierung laut Bundesrechnungshofbericht so überreich gefüllt hat.
Die Kommunen können in ihrer Haltung angesichts der Forderungen des BMF nicht nachgeben. Der angedrohte Rechtsstreit kann jedoch nicht der richtige Weg sein; denn er würde auf Jahre hinaus Kräfte binden, die wir dringend benötigen.
Daher das Fazit: Es ist die politische und moralische Pflicht der Bundesregierung, sich endlich zu bewegen und ein verhandlungsfähiges Konzept für eine einvernehmliche Lösung vorzulegen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dietrich Austermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist auch bei der Kürze einer Aktuellen Stunde wichtig, daß man sich wieder einmal deutlich macht: Was verbirgt sich eigentlich hinter dem Gedanken der Altschulden der DDR-Gemeinden? Dies scheint mir auch deshalb nötig zu sein, weil die Nostalgie in
Dietrich Austermann
manchen Bereichen, insbesondere bei den immer dreister werdenden SED-Nachfolgern, so manches mit verklärtem Blick darstellt, und zwar nach dem Motto: Seht mal, wie schön dieses und jenes in der DDR gelaufen ist, was heute nicht mehr läuft.
Wir sollen jetzt - das ist die Erwartung der SPD, der Kollegin Lucyga - die Schulden bezahlen, die gemacht worden sind, weil Kindertagesstätten, Kindergärten, Turnhallen, Schulen und Rathäuser gebaut worden sind. Dies ist eine Aufgabe, die natürlich in erster Linie die Gemeinden haben, denen diese Einrichtungen zugute kommen.
Ich sage noch einmal: Es würde kein Mensch auf den Gedanken kommen, wenn sich die Gemeinde XY - vorhin wurde Buxtehude genannt; ich weiß nicht, warum - ein neues Schwimmbad baut, zu sagen: Jetzt muß der Bund die Kosten dafür übernehmen. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Schulden, die damals zu 80 % bei der Staatsbank der DDR oder - in den 70er Jahren - bei den Sparkassen gemacht wurden, gemacht worden sind, um Projekte zu finanzieren.
Es gibt einen Punkt, der in der Tat streitig ist, über den man sich unterhalten kann, bei dem man die Frage stellen muß, wer für die Regulierung eigentlich zuständig ist. Das ist der Fall, daß eine sehr kleine Gemeinde - wie es vielfach vorkommt - ein Projekt finanzieren mußte, das zugleich vielen anderen Gemeinden zugute kam. Man fragt sich ja, warum 16 % unter dieser Belastung stöhnen müssen, wenn an anderer Stelle 84 % angeblich entlastet worden sind. Es war ja falsch, was die Kollegin gesagt hat. Die 84 % sind ja nicht entschuldet worden. Man fragt sich dann: Ist es in der Tat eine Aufgabe, diesen kleinen Gemeinden zu helfen? Bloß, wer hat diese Aufgabe zu leisten? Nach unserem Verständnis, nach der Finanzregelung, nach dem Einigungsvertrag ist es Aufgabe der Bundesländer - für uns ganz klar eine Aufgabe der neuen Bundesländer -, den Finanzausgleich in der Weise vorzunehmen, daß den Gemeinden in ihrer sicher sehr schwierigen Situation geholfen wird.
Es kann - ich möchte dies wegen der vorgerückten Zeit kurz zusammenfassen - keinen Zweifel an dem rechtlichen Bestand der Altkredite geben. Der Rechnungshof sagt nicht, daß die Forderung unberechtigt ist, er sagt, es wäre möglicherweise günstiger gewesen. Noch einmal: Es gibt keinen Zweifel an dem rechtlichen Bestand der Altkredite.
Zweitens muß die Frage gestellt werden: Wer hat eigentlich davon profitiert? Wie ist es denn: Wenn der Bund jetzt die Schulden zahlt, kriegt er dann auch das Eigentum, ist er dann auch gleichzeitig Eigentümer? Wer verfügt künftig über das Vermögen? Wer hat die Vorteile, wenn alte Rathäuser möglicherweise nicht mehr als solche genutzt werden und von den Gemeinden verkauft werden? Es ist, glaube ich, unbestreitbar, daß der wirtschaftliche Zuwachs den Gemeinden zufließt.
Drittens. Die Kredite sind in der Regel auch tragbar. Ich sage, es gibt Ausnahmefälle. Die Stadt Rostock ist mit Blick auf die Größe und die Finanzkraft der Gemeinden ein denkbar ungünstiges Beispiel.
Viertens. Finanzierung kommunaler Aufgaben ist keine Bundesaufgabe.
Fünftens. Der notwendige Ausgleich kann bei den Gemeinden selber vorgenommen werden.
- Ich glaube, daß sich unsere Positionen da nicht unterscheiden, Frau Kollegin. Sie bzw. Frau Lucyga hätte ja die Frage beantworten können, wo die 7,5 Milliarden DM zusätzlich herkommen sollen. Sich in dieser Woche über angeblich nicht zu stopfende Haushaltslöcher zu beklagen, die Haushaltsberatungen zu verweigern, hier ein neues Faß aufzumachen und zu sagen, das muß der Bund übernehmen - das ist politisch und argumentativ nicht redlich, Frau Matthäus-Maier.
Wir als Bund wollen den Gemeinden ein Angebot machen, indem wir sagen: Wir wollen dabei helfen, diese Kredite in zinsgünstige Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau umzuschulden. Dieses Angebot steht.
Was haben denn die neuen Bundesländer mit dem Geld gemacht, das sie seit dem 1. Januar nach dem Föderalen Konsolidierungskonzept bekommen? Das sind 35 Milliarden DM zusätzlich. Wieviel haben die neuen Bundesländer davon eingesetzt, um in einzelnen Fällen in Bedrängnis gekommenen Gemeinden tatsächlich zu helfen? Nach einer pauschalen Übersicht der Schuldensituation der Gemeinden entsteht durch Übernahme dieser Verpflichtungen aus der Vergangenheit, für die ja Vermögenswerte geschaffen worden sind, nach unserer Einschätzung in der Regel kein höherer Schuldenstand für einzelne Gemeinden. Wir sagen deshalb: Wir machen das Angebot der Umschuldung. Eine Übernahme durch den Bund ist weder rechtlich noch politisch noch finanziell vertretbar.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner hat ein beredtes Beispiel geliefert, das deutlich macht, daß Sie selbst nach fünf Jahren deutscher Einheit immer noch nicht die Verhältnisse in der DDR durchschauen.
Werner Schulz
Darin liegt die eigentliche Ursache dafür, daß Sie dieses verschleppte Problem heute immer noch vor sich herschieben, warum Sie das Problem der Altschulden heute noch nicht verstehen, warum Sie an dieser Stelle solche entscheidenden Fehler machen, obwohl Sie an anderer Stelle, z. B. in der Präambel des Einigungsvertrages, von einer friedlichen Revolution sprechen, auf die Sie immerzu Bezug nehmen.
Nach dieser Revolution, in der es zu einer Umwälzung der Verhältnisse gekommen ist, bei der nicht ein Stein auf dem anderen geblieben ist, nicht ein Aktenordner mehr neben dem anderen steht, übernehmen Sie ausgerechnet die Altschulden in den Rechtsstaat. Sie haben somit dazu beigetragen, daß aus diesen fragwürdigen Verrechnungseinheiten - denn nichts anderes ist das -
regelrechte Altschulden geworden sind, die heutzutage die Kommunen, aber auch landwirtschaftliche Betriebe und, wie wir das bei der Privatisierung der Treuhand erlebt haben, Gewerbebetriebe in den Ruin treiben.
Heute haben wir die absurde Situation - meine Vorrednerin hat das bereits gesagt -, daß 16 % der ostdeutschen Kommunen exorbitant verschuldet sind. In einer Situation, in der sie das kommunale Selbstbestimmungsrecht eigentlich als einen Segen dieser Demokratie erleben könnten, weil es ihnen die Möglichkeit der freien Gestaltung gibt, wird ihnen diese Garrotte aus der Vergangenheit zum Verhängnis.
Nun ist es nicht etwa so, daß die anderen Städte gut gewirtschaftet hätten; die haben nur Glück gehabt. Die sind in die Vorgaben, Auflagen, die von der Staatlichen Plankommission bei von dieser verordneten Bauvorhaben gemacht worden sind, nicht einbezogen worden. Manche haben sogar doppelt Glück gehabt: Denen ist nämlich sogar etwas gebaut worden, was sie gar nicht bezahlen mußten. Wenn Sie sich z. B. die ehemalige Hauptstadt Ost-Berlin anschauen, dann stellen Sie fest, daß die schuldenfrei ist.
Andere Städte haben darunter gelitten, daß ihnen materiell-technische Kapazitäten, Baukapazitäten entzogen worden sind, die dann - durch Plan und Gegenplan, Jugendinitiativen und dergleichen mehr; vielleicht haben Sie mal etwas davon gehört, Herr Austermann - für Bauten in Ost-Berlin genutzt worden sind.
Ich befürchte - darüber sollten wir uns einmal ganz offen und ehrlich verständigen -, daß der Bundesfinanzminister im Moment äußerst angeschlagen und bereit ist, zum äußersten Mittel zu greifen. Er befindet sich in einer Situation, in der offenbar jeder Groschen benötigt wird. Offenbar möchte man über Mahnbescheide selbst die Zinsen auf die Altschulden eintreiben, um die Milliardenlöcher im Haushalt
zu stopfen. Man möchte die Postbank AG möglichst lukrativ veräußern,
obwohl gerade bei der Veräußerung der DDR-Staatsbank, der Deutschen Kreditbank, deutlich geworden ist, daß man sich dabei keineswegs mit Ruhm beklekkert, sondern - im Geenteil - ein Milliardenverlustgeschäft für diesen Staat gemacht und auf die Steuerbürger abgewälzt hat. Ich glaube, das ist ein Kapitel, über das wir uns hier noch etwas intensiver unterhalten müssen; denn das, was hier passiert ist, ist ein Finanzskandal, gegenüber dem die Affären Graf und Zwick - und wie sie alle heißen mögen - fast Peanuts sind.
Ich meine, wer die Sache richtig versteht, der wird begreifen: Hier liegen, wenn überhaupt, Schulden des Bundes vor, zu denen man stehen sollte. Ein wirkliches Zeichen des guten Willens wäre zunächst der Verzicht der Bundesregierung auf die verlangten Zinsen, wäre auch der definitive Verzicht auf die angedrohten Mahnbescheide. Der beste Weg wird meiner Meinung nach der sein, daß sich Bund, Länder und Kommunen zusammensetzen und hier eine politische Lösung finden. Alles spricht meines Erachtens dafür, daß es zu einer völligen Entschuldung der Kommunen kommen muß.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Jürgen Türk.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute soll es nicht nur um die Haltung der Bundesregierung zur Altschuldenregelung der Kommunen gehen. Das Problem ist vielmehr so ernst, daß sich auch Länder und Kommunen umgehend mit einer fairen Lösung befassen sollten, bevor sich wieder das Verfassungsgericht damit beschäftigen muß.
Grundlage für die Lösung sollten meines Erachtens folgende Fakten sein: Nach der bis 1986 gültigen DDR-Gesetzgebung wurden Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Turnhallen zu 90 % über aufgezwungene Staatskredite und zu 10 % aus dem kommunalen Haushalt finanziert. Ab 1987 wurden die Kredite dann zu 100 % aus dem Staatshaushalt bezahlt. Das heißt, es waren willkürliche Auflagen der DDR-Regierung.
Das wird auch dadurch belegt - Herr Schulz hat das schon gesagt -, daß Ost-Berlin als Hauptstadt der DDR zu 100 % von Schulden befreit wurde und somit keine Altschulden aufweist. Städte wie Dresden oder Chemnitz - früher Karl-Marx-Stadt - wurden ebenfalls auf 100 DM pro Einwohner entlastet. Der Parteispitze in Berlin und Karl Marx sollte eben keine Schuld zugeschoben werden.
Jürgen Türk
Dagegen hat ein Teil der mit Altschulden belasteten Gemeinden Schuldenlasten von bis zu 1 000 DM pro Kopf, teilweise auch darüber. Das ist untragbar; das müssen wir hier klar feststellen. Die 16 % Kommunen, die mit Altschulden belastet sind, müssen davon befreit werden. Denn Verursacher der unsoliden Finanzierung war die DDR-Regierung. Es darf nicht sein, gerade die Kommunen mit dieser Hypothek zu belasten, da Kommunen sowieso den schwierigsten Neuanfang haben. Außerdem waren die Kommunen zu DDR-Zeiten sehr vernachlässigte Körperschaften. Sie würden mit den Altschulden ein zweites Mal bestraft werden.
Wie könnte also die Lösung - wir brauchen sie - aussehen?
Erstens. Die Kommunen sollten einer Bereinigung zustimmen. Das würde bedeuten: Stehen die Objekte in der langfristigen Planung zum Verkauf, so ist dieser Betrag gegenzurechnen - so sehe ich das jedenfalls -, und Objekte, die den Kommunen nicht gehören bzw. bei denen eine Zuordnung der Schulden nicht möglich ist, sind zugunsten der Kommunen zu bereinigen.
Zweitens. Die Länder müssen die im Rahmen des Länderfinanzausgleichs zur Verfügung gestellten Mittel endlich den Kommunen ungekürzt und in voller Höhe weitergeben. Denn zur ganzen Wahrheit gehört auch, daß die Länder ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind, den Kommunen Tilgungshilfe zu leisten. Ich darf Ihnen sagen: Wenn wir noch in den Landtagen und in den Landesregierungen wären, wäre das, glaube ich, so nicht passiert, jedenfalls nicht in diesem Umfang.
Drittens. Sind die durch Länderfinanzausgleich und Zuweisungsverzicht westdeutscher Kommunen bereitzustellenden Mittel nicht ausreichend, muß der Bund als Rechtsnachfolger der DDR die restlichen Altschulden der Kommunen decken. Ich glaube, der Wille zu dieser politischen Lösung muß da sein. Es darf keinesfalls zugelassen werden, daß eine Reihe von Kommunen zahlungsunfähig wird und nach Haushaltssperre - das wäre dann die Folge - und Einsatz eines Staatskommissars nur noch gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen kann, aber keine freiwilligen Leistungen mehr möglich sind.
Ich fordere also Bund, Länder und Kommunen auf, sich sofort an einen Tisch zu setzen und unter Beachtung der aufgeführten Fakten einen vernünftigen Kompromiß zu finden. Der Umweg über das Verfassungsgericht ist zu lang und zu teuer.
Vielen Dank.
Es spricht jetzt der Kollege Uwe-Jens Rössel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die 1 400 ostdeutschen Kommunen müssen unverzüglich - ich betone: unverzüglich - von den unberechtigten, von den rechtswidrigen Altschuldenforderungen befreit werden. Daher hat die Gruppe der PDS am 28. September dieses Jahres als erste der im Bundestag vertretenen Parteien einen Antrag zur Lösung der kommunalfeindlichen Altschuldenforderung eingebracht.
Unser Antrag hat zwei Eckpunkte: Erstens. Die sogenannten Altschulden auf gesellschaftliche Einrichtungen ostdeutscher Kommunen, die auf Grund von in der DDR getätigten Investitionen entstanden sind, werden nicht den Kommunen übertragen.
Zweitens. Die aus Investitionen für den Bau gesellschaftlicher Einrichtungen resultierenden sogenannten Verbindlichkeiten ostdeutscher Kommunen gegenüber der Gesellschaft für kommunale Altkredite und Sonderaufgaben der Währungsumstellung - GAW - sind Staatsschulden der DDR. Sie sind vollständig als Schulden des Bundes im Rahmen des Erblastentilgungsfonds zu übernehmen.
Das ist unsere klare Position, ohne Wenn und Aber. Bestandteil unseres Antrages ist selbstverständlich eine detaillierte Begründung, die auf der Kenntnis der Situation in Ostdeutschland, in der früheren DDR, basiert. Sie belegt u. a.: Die sogenannten Altschulden - hier möchte ich ausdrücklich Widerspruch zu der Position von Herrn Austermann anmelden - sind keine Schulden im Sinne des bürgerlichen Rechts und damit auch keine Schulden der Kommunen gegenüber dem Bund.
Zweitens. Die Kommunen in der DDR verfügten kaum über nennenswerte eigene Einnahmen. Sie waren bis 1990 lediglich - ich zitiere aus der Verfassung - „Gemeinschaften im Rahmen der zentralen Leitung und Planung". Kommunale Selbstverwaltung stand in der DDR bekanntlich nur in den Sternen; das ist sicherlich aus heutiger und auch aus damaliger Sicht sehr kritisch zu sehen. Es war leider so.
Ausgaben der Städte, Gemeinden und Kreise von Belang und damit auch die Investitionen für gesellschaftliche Einrichtungen wurden in der DDR demzufolge fast vollständig durch Zuschüsse und Zuweisungen aus dem Republikhaushalt an die Kreishaushalte bestritten und eben nicht durch eigene Einnahmen der Städte, Gemeinden und Kreise.
Die Entscheidungen über den Bau und die Finanzierung von Schulen und Kindergärten sowie Altenheimen und ähnlichem lagen eben nicht im Ermessen der Kommunen. Sie wurden von der Volkskammer mit den jährlichen Gesetzen zum Volkswirtschaftsplan und zum Staatshaushaltsplan festgelegt. Diese Positionen - ich habe es verkürzt dargestellt - hat auch das Rechtsgutachten von Professor Harms von der Freien Universität Berlin vor kurzem bekräftigt. Es ist Zeit, daß die Bundesregierung endlich diese Realitäten zur Kenntnis nimmt und sich von ihrem kommunalfeindlichen Wunschdenken verabschiedet.
Dr. Uwe-Jens Rössel
Die unmittelbar von Altschuldenforderungen des Bundes betroffenen 1 400 ostdeutschen Städte und Gemeinden, die ohnehin arge Finanznöte haben, brauchen eine befreiende Entscheidung. Unser Antrag würde die Kommunen aus der Altlastenschuldenfalle herausführen. Ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hingegen, wie es die kommunalen Spitzenverbände anregen, könnte Jahre dauern. Eile tut aber not. Die Gemeinden in Ostdeutschland brauchen dringend Planungssicherheit für ihre Finanzen, hier und heute. Deshalb muß der Bundestag schnell handeln und entsprechende Anträge befördern.
Es tickt nämlich die Zinsuhr. Das jahrelange Tauziehen der Bundesregierung hat die bei der Währungsumstellung bestandene Altschuld von 4,9 Milliarden DM inzwischen dank satter Zinsforderungen auf nahezu 8 Milliarden DM vermehrt, also fast verdoppelt. Mit der vom Kanzler geliebten Methode des Aussitzens kommt man hier nicht weiter. Müßten eines Tages die Kommunen zahlen - die Mahnbescheide flattern ja in die Rathäuser -, wären die meisten von ihnen bankrott. Die Leidtragenden sind die Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland; das darf auf keinen Fall zugelassen werden.
Daran kann auch das Bundeskabinett wohl nicht ernsthaft interessiert sein. Für Theo Waigel zählt wohl ganz offensichtlich nur der Bundeshaushalt. Die dramatisch hohe Bundesverschuldung, die off enen Positionen im Haushaltsentwurf 1996, Steuermindereinnahmen zwingen dazu, Kehraus zu machen, die Finanzlöcher zu stopfen. Nun gibt es offenbar in der Bundesrepublik nichts Schwächeres als die Kommunen, wie jüngst Geras Oberbürgermeister erklärte. Den Letzten beißen die Hunde, und wer hier von den Hunden gebissen wird, sind die finanzschwachen ostdeutschen Kommunen. Gehen Kommunen pleite - es gibt ja bereits Zwangsverwaltungen in einigen Bundesländern -, spüren das gerade Handwerker und Gewerbe, die von öffentlichen Aufträgen leben. Bleiben deren Auftragsbücher leer, fällt die Gewerbesteuer noch kläglicher aus. Sie ist im Osten ohnehin verkümmert und lag 1994 bei gerade einmal 26 % des Westniveaus.
Die heutige Aktuelle Stunde ist, so meinen wir, ein Schritt in die richtige Richtung. Die Kommunen erwarten aber nicht nur Reden und Debatten. Der gordische Knoten muß endlich zerschlagen, die Kommunen müssen von den sogenannten Altschulden befreit werden. Im Interesse von Millionen Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern verlange ich hierzu eine schnelle Entscheidung.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin, Frau Karwatzki.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch den Einigungsvertrag - darauf mache ich aufmerksam - und
nicht durch irgendwelches Aussitzen oder irgendeine Moralität sind Schulen, Kindergärten, Turnhallen oder Rathäuser, also die sogenannten gesellschaftlichen Einrichtungen, denjenigen Körperschaften übertragen worden, die sie für ihre Aufgaben nutzen. Das sind zum Teil beachtliche Vermögenswerte. Mit diesen Vermögenswerten sind aber auch die darauf ruhenden Verbindlichkeiten, d. h. die Kredite, die zum Bau dieser Einrichtungen aufgenommen wurden, auf die Kommunen übergegangen. Durch die mittlerweile aufgelaufenen Zinsen sind dies knapp 8 Milliarden DM. Der Schuldenstand war am 1. Juli 1990 rund 5 Milliarden DM. Per saldo haben die Gemeinden von der Übertragung der Einrichtungen profitiert; denn die Vermögenswerte übersteigen in den meisten Fällen die auf ihnen ruhenden Schulden. Die Kommunen erkennen die Rechtmäßigkeit der Altkredite aber leider nicht an - das haben wir eben schon gehört -, obwohl sie auf Grund einer Reihe von Gerichtsurteilen wissen, daß zu dem nach dem Einigungsvertrag übergegangenen Vermögen auch die darauf lastenden Verbindlichkeiten gehören. Aber für die Rechtsprechung ist Finanzminister Waigel nicht verantwortlich zu machen.
Auch wirtschaftlich sind die Kredite für die meisten Kommunen tragbar. Nur 16 % der Gemeinden sind mit Altschulden belastet; 4 % mit mehr als 1 000 DM pro Einwohner. Auch sind die Gemeinden mit gesellschaftlichen Einrichtungen bessergestellt gegenüber anderen Gemeinden, die diese Einrichtungen - ich sage noch einmal: Schulen, Rathäuser, Turnhallen - erst schaffen und zu Marktpreisen finanzieren müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht zu bestreiten, daß es insbesondere in kleinen Gemeinden Härtefälle gibt, wenn der Schuldendienst für ein größeres, überregional genutztes Objekt die finanzielle Leistungsfähigkeit einer Kommune überfordert. Zu einer ungleichen Verteilung von Vermögenswerten und Belastungen haben aber auch Entscheidungen in der ehemaligen DDR über Sondertilgungen Mitte der 80er Jahre beigetragen.
Eine Regelung des Altschuldenproblems muß in erster Linie - das ist schon gesagt worden - auf Länderebene erfolgen. Nur die Länder verfügen mit dem kommunalen Finanzausgleich über ein Instrument, das geeignet ist, unterschiedliche Belastungen der Gemeinden durch die Altschulden auszugleichen.
Der Bund ist seit längerem bereit, seinen Beitrag zu einer Lösung zu leisten. Er hat dazu ein zinsgünstiges KfW-Programm zur Umschuldung der Altverbindlichkeiten angeboten, das die Zinslast der Gemeinden deutlich verringern würde. Zusätzliche Leistungen des Bundes wären angesichts der angespannten Haushaltslage nicht vertretbar. Und es kann keinen Zweifel geben: Wenn dem Bund weitere Lasten aufgebürdet werden, müßten dafür an anderer Stelle kompensatorische Kürzungen vorgenommen werden. Das wäre im Ergebnis kontraproduktiv; denn es macht keinen Sinn, die begrenzten Bundesmittel für die neuen Länder noch stärker auf den Konsum zu konzentrieren. Nein, Priorität müs-
Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki
sen wir beim Ausbau der Infrastrukturinvestitionen setzen. Konsumtive Mittelverwendungen sollten nicht weiter verstärkt, sondern zugunsten der Investitionen zurückgeführt werden.
Ich möchte abschließend betonen, daß gerichtliche Auseinandersetzungen nicht der Weg sind, den wir uns wünschen, um eine angemessene Lösung zu erreichen. Die Bundesregierung führt deshalb seit längerem Gespräche mit den Ländern und Gemeindevertretern. Bei den derzeitigen Beratungen sind Fortschritte erkennbar. Es liegen jedoch leider immer noch keine Ergebnisse vor. Die Bundesregierung ist bereit, die Versendung von Mahnbescheiden an die Kommunen für einen begrenzten Zeitraum zu verschieben, solange in den Gesprächen zielgerichtet an einer Lösung des Altschuldenproblems gearbeitet wird. Sie kommt damit den Kommunen weiter entgegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, Länder und Gemeinden nehmen dieses Angebot der Bundesregierung auf und leisten ihren Beitrag zu einer gemeinsamen Lösung des Altschuldenproblems.
Die Staatssekretärin hat sich vorbildlicher Kürze befleißigt.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe Küster.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Austermann, Frau Staatssekretärin Karwatzki, wie schön wäre es gewesen, wenn wir in der DDR bürgerliches Recht gehabt hätten, wenn wir ein Verwaltungsrecht gehabt hätten. Das unterstellen Sie immer wieder. Also: Alles das, was Sie auf diese Hypothese bauen, ist falsch. Das halten wir erst einmal fest.
Zur Sache: Diese 60 Minuten der Aktuellen Stunde kosten exakt 60 000 DM.
Das ist die stündlich fällige Rate für die 8 000 Millionen DM Altschulden der Kommunen in Ostdeutschland. Die Höhe der sogenannten Altkredite auf kommunale Einrichtungen steigt also täglich um 1,3 Millionen DM. Man muß sich vor Augen halten, welches Risiko sich dahinter versteckt. Angesichts dieser Tatsache kann ich nur sagen: Die Verweigerungshaltung der Bundesregierung ist grob fahrlässig und muß aufgegeben werden.
Die gesamte Diskussion hat in den letzten Wochen eine ganz groteske Form angenommen. Am 4. Oktober waren die Vertreter der Landesregierungen im Kanzleramt bei Minister Bohl zu Gast. Nach dem Kanzlermotto „Chefsache" sollte dort eine einvernehmliche Lösung gefunden werden. Aber: Nur drei Tage später droht die GAW wieder mit Mahnbescheiden für die Kommunen, die nicht bezahlen wollen.
Das ist die Regierungspolitik in Sachen Altschulden: Die einen wollen verhandeln, die anderen wollen abkassieren. Da weiß doch die eine linke Hand nicht, was die andere linke Hand tut. Eine Bundesregierung mit linken Händen und dann auch nur Daumen - das ist schon schlimm genug.
Die Situation ist aber noch viel verfahrener. Nach dem Gutachten von Professor Harms steht endgültig folgendes fest: Juristisch gesehen sind die sogenannten Altschulden keine kommunalen Kredite, sondern buchungstechnische staatliche Maßnahmen des DDR-Zentralstaats. Herr Schulz hat vorhin eindrücklich darauf hingewiesen. Nehmen Sie also zur Kenntnis, daß die sogenannte DDR diese sogenannten Verschuldungen als Instrument zur Disziplinierung von unbotmäßigen Kommunen ausgespielt hat. Die Unterstellungen „Hier gilt bürgerliches Recht; hier gilt Verwaltungsrecht" sind nicht exakt.
Jeder sollte mittlerweile wissen, daß allein die Banken ein Riesengeschäft mit diesen sogenannten Altschulden machen - unabhängig, wer sie zahlt: Null Risiko für die Banken. Das können Sie entweder im „Spiegel" oder- besser noch - in dem Sonderbericht des Bundesrechnungshofs zu diesem Thema genauer nachlesen. In diesem Bericht wird dem Bundesfinanzminister die Verschleuderung von Steuergeldern in Milliardenhöhe nachgewiesen; denn durch die Zwischenschaltung privater Banken zur Abwicklung der Altschulden wurden die Zinsen „erheblich verteuert" . Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden. Das sind katastrophale Versäumnisse der Bundesregierung. Dafür können und dürfen die Kommunen in Ostdeutschland nicht in Haftung genommen werden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bei den sogenannten Altschulden handelt es sich um Luftbuchungen. Insofern wundert es kaum, daß Herr Waigel als einziger etwas mit Luftbuchungen anfangen kann. Schließlich ist er der Schöpfer dieses Haushaltsinstruments. Das ist das tägliche Geschäft unseres „Luftbuchungsministers" .
- Es ist leider richtig, ich muß das so sagen. Luftbuchungen sind sein tägliches Geschäft geworden. Während der Haushaltsberatungen hat der Finanzminister wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie man Milliarden kurzerhand hin und her schiebt, um damit den Haushalt scheinbar zu sanieren.
Aber kommen wir zum eigentlichen Thema zurück. Ich zitiere aus dem Gutachten von Professor Harms. Erstens.
Aus den geltend gemachten „Altkrediten" sind - selbst nach DDR-Recht - keine Rückzahlungspflichten entstanden.
Dr. Uwe Küster
Wie wollen Sie das also bitte rückwirkend geltend machen?
Zinsen und Rückzahlungen waren aus dem zentralen Staatshaushalt zu erbringen.
Machen Sie das mal, wenn der Staat nicht mehr da ist!
Zweitens.
Eine Auferlegung von Rückzahlungsverpflichtungen wäre verfassungswidrig.
Das sind zwei zentrale Feststellungen, mit denen wir . uns in der Zukunft auseinandersetzen müssen.
Angesichts dieser Tatsache enttäuscht es mich ganz besonders, daß 65 ostdeutsche Kollegen der CDU ganz lapidar von einem „Konstruktionsfehler im Einigungsvertrag reden. Keiner spricht davon, wie man den Konstruktionsfehler belieben kann, wie man versuchen sollte, das zu sanieren und damit umzugehen.
Wenn der Bund diese Altschulden tatsächlich über den Cerichtsvollzieher eintreiben läßt, wird der gesamte West-Ost-Transfer ad absurdum geführt. Ein paar Milliarden hin - ein paar Milliarden her: Der Aufbau Ost wird zu einem finanzpolitischen Verschiebebahnhof. Und nicht nur das: Die jüngsten Pläne des Finanzministers offenbaren, daß der Abschwung in den neuen Ländern weitergehen soll. 22 Milliarden - das sind 22 000 Millionen; damit man sich einigermaßen vorstellen kann, worum es geht - will Herr Waigel beim Aufbau Ost zukünftig einsparen. Dabei werden Haushaltslöcher vor allem auf Kosten Ostdeutschlands gestopft. Man müßte schlichtweg mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn man das nicht erkennt.
Herr Waigel hat 1990 fahrlässig die sogenannten Altschulden als Forderungen übernommen. Jetzt muß er zur Kenntnis nehmen, daß er ein Haushaltsrisiko von 8 000 Millionen DM hat.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Luther.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Haltung der Bundesregierung zur Altschuldenregelung für ostdeutsche Kommunen angesichts erster Bewertungsergebnisse eines Rechtsgutachtens zur Auferlegung von Rückzahlungsverpflichtungen" . Herr Küster, Sie haben freundlicherweise aus dem Gutachten zitiert. Leider konnte ich mir dieses Gutachten nicht beschaffen und deswegen auch nicht lesen. Deshalb kann ich nur auf die Zitate eingehen, die Sie heute hier gebracht haben.
Es ist natürlich wahr, was das Gutachten an vielen Stellen ausweist, nämlich daß die DDR-Finanzwirtschaft ein . sehr merkwürdiges Gebaren hatte. Ich
glaube, das ist auch einer der wesentlichen Gründe dafür, warum die DDR 1989 dort war, wo sie war: Sie war intern pleite. Dann kam Gott sei Dank der Einigungsprozeß. In diesem Einigungsprozeß wurde überlegt, wie wir die Vereinigung letztendlich gestalten können, wie wir mit dem vorgefundenen Zustand der DDR umgehen können und wie für die Menschen eine erträgliche Situation erreicht werden kann.
Begonnen hat das mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Ich bin dankbar für das, was mit ihr geregelt worden ist; denn das war eine sehr soziale Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion für die Menschen. In diesem Zusammenhang - das muß ich deutlich sagen, auch wenn wir uns heute über die Form und die Merkwürdigkeiten der Altschulden unterhalten müssen - sind diese Schulden tatsächliche Schulden geworden. Diese - das bestreitet niemand - müssen beglichen werden.
Um auf das Argument einzugehen, diese Schulden seien nur durch den Staatshaushalt der DDR verursacht und nur durch den Staatshaushalt getilgt worden: Im Rahmen des Einigungsvertrags wurde es als eine wesentliche und wichtige Aufgabe angesehen, das Volksvermögen der DDR auf die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland aufzuteilen. Es wurde zwischen den Kommunen, den Ländern und dem Bund aufgeteilt. Das war eine Aufgabe des Einigungsvertrages.
Die Überlegung, die an dieser Stelle immer wieder unterstellt wird, nämlich daß die Aufteilung so erfolgen sollte, daß die Kommunen mit Grundvermögen ausgestattet werden, während der Bund die andere Seite, die Passiva, übernehmen möge, ist natürlich aberwitzig. Diese Form der Aufgabenteilung geht nicht. Deswegen halte ich es auch grundsätzlich nicht für richtig, sich heute hinzustellen und aus dem Problem, das uns die DDR durch ihr Finanzgebaren hinterlassen hat, den Schluß zu ziehen, daß der Bund alle Schulden übernehmen und die Probleme lösen möge. Ich denke, das ist genau der falsche Weg.
Wir haben diesen Weg auch in vielen anderen Fällen nicht beschritten, sondern sind einen anderen Weg gegangen. Dazu gehört - das war in der letzten Legislaturperiode ein wichtiges Thema - der Gedanke des Solidarpaktes. Beim Solidarpakt wurde nicht danach gefragt, wem man welche Schulden zuordnen müsse. Ich denke hierbei an die große Diskussion um die Schulden der Wohnungsbaugesellschaften. Statt dessen wurde überlegt: Wie kann ich mit dem, was an Schulden tatsächlich vorhanden ist, umgehen? Wie kann ich sie im Sinne eines Solidarpaktes zwischen den verschiedenen Gebietskörperschaften aufteilen? Wie kann ich die neuen Bundesländer in die Lage versetzen, daß sie ihre Finanzaufgaben lösen können?
Zu den kommunalen Altschulden sagt der Solidarpakt nichts. Vielleicht ist das nur vergessen worden; aber auf jeden Fall wurde darin nichts erwähnt. Man könnte natürlich auf den Gedanken kommen, zu sagen, das sei so gewollt gewesen, und zwar von allen Beteiligten. Das müßte dann im Rahmen der Möglichkeiten, die die neuen Bundesländer durch ihre
Dr. Michael Luther
Finanzausstattung haben, geregelt werden. Die Kommunen werden das nicht alleine regeln können; denn die Ungleichbehandlung, die ungleiche Verteilung der Schulden auf die Kommunen gebietet eine andere Denkweise. Hier sind ganz besonders die Bundesländer gefordert, mit einzusteigen.
Trotzdem glaube ich, daß man die Länder und die Kommunen hier nicht alleine lassen sollte, sondern daß auch der Bund mit einsteigen sollte. Die Angebote liegen auf dem Tisch. Sicherlich kann man sich in dieser Richtung auch Weiteres vorstellen. Aber ich bin traurig, daß ich von den Kommunen und von den Ländern bisher keine Signale bekommen habe, daß man bereit ist, sich an diesem Schuldenausgleich zu beteiligen.
Ich hoffe und wünsche, daß sich alle an den Tisch setzen und über diesen Ausgleich miteinander reden.
Recht herzlichen Dank.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Gunter Weißgerber.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, es hat etwas von einer Gespensterdebatte, die wir führen. Wir reden über Dinge, die so nicht existierten, wie sie von seiten der Bundesregierung und der Koalitionsparteien gesehen werden.
In den letzten Jahren ist einiges Verwunderliches geschehen: Dinge, die 30, 40 Jahre eindeutig feststanden und einer Diskussion standhielten, werden heute generell entgegengesetzt bewertet. Dazu gehören die Mauergrundstücke. Das Unrechtsregime wurde verteufelt - natürlich zu Recht -, die Wirtschaftsbeziehungen waren total unlogisch und wurden auch als solche bezeichnet. Heute ist es so, daß die Mauergrundstücke plötzlich rechtens enteignet worden sind, der Fiskus und nicht die Leute, denen das gehört hat, darauf Anspruch hat, und die Wirtschaftsbeziehungen sind plötzlich auch in Ordnung gewesen.
Herr Schulz hat das bereits deutlich angesprochen - ich brauche das nicht zu wiederholen -: Das, was als Altschulden bezeichnet wird, waren keine. Aber uns wird vorgemacht, es soll so sein. Das waren und sind keine Altschulden.
Ich nenne als Beispiel die Stadt Leipzig. Die Stadt Leipzig gilt als größter Schuldner der neuen Bundesländer. 420 Millionen DM sogenannte Altschulden beinhalten 280 Millionen DM direkte Schulden und 140 Millionen DM an Zinsen. Das Gewandhaus steht mit 72 Millionen DM und das Affenhaus im Zoo mit 1,4 Millionen DM angeblich in der Kreide.
Welche Folgen hat das für Leipzig? Leipzig hat jetzt eine Pro-Kopf-Verschuldung von knapp 1 350 DM. Wenn ungefähr 1 000 DM pro Kopf Altschulden hinzukommen, erreichen wir eine Verschuldung, die der Belastung der Kommunen im Westen in etwa entspricht. Wir haben dazu aber nur fünf Jahre gebraucht. 40 Jahre sind aufzuholen. Dazu wollen wir keine weiteren 40 Jahre brauchen, aber wir müssen doch sehen, wo wir uns jetzt schon befinden. Wir haben noch viel aufzuholen. Wer soll denn diese Verschuldung abbauen? Kann sich das jemand vorstellen?
Uns Sozialdemokraten wird immer Erfindungsreichtum bei den Steuern und Abgaben vorgeworfen. Was hier passiert, ist nichts anderes als eine Sonderabgabe der ostdeutschen Kommunen. Das ist ein Abkassierungsmodell, bei dem Finanzen in die Bundeskasse zurückgegeben werden.
Dabei ist es doch so einfach: Es handelt sich um Phantomzahlen. Hier sind Bilanzen von den Banken aufgebläht worden. Lassen wir doch die Luft wieder raus! Das muß doch gehen. Die Banken müssen doch auch ein Interesse an realistischen Zahlen haben. In dem Fall muß der Bund nichts übernehmen, und die Kommunen hätten nichts zu bezahlen; denn es handelt sich nur um Phantomzahlen.
Mir ist natürlich klar, daß der Finanzminister riesige Haushaltslöcher stopfen muß. In dieser Woche war viel davon die Rede. Aber daß er dafür realsozialistische Staats- und Kommunalfinanzierung in Kredite bürgerlichen Rechts ummünzt, kann es doch wohl nicht gewesen sein.
Meinem Oberbürgermeister, Hinrich LehmannGrube, kann ich nur raten, bei seinem Standpunkt zu bleiben und nichts zu bezahlen. Recht so, Hinrich! Ich kann der Bundesregierung nur sagen: Wer den Aufbau Ost wirklich ernst meint, kann nicht auf sogenannten Altschulden bestehen.
Frau Karwatzki, an Sie habe ich eine Frage, die Sie natürlich jetzt auf Grund der Geschäftsordnung nicht beantworten können. Was geschieht mit den Gemeinden, die Altschulden haben und deren Objekte nicht aufzufinden sind? Die Antwort darauf interessiert mich.
Danke schön.
Es spricht jetzt die Abgeordnete Susanne Jaffke.
Tau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe dem Kollegen Weißgerber recht: Es ist schon ein wenig gespenstisch. Über dieses Thema am Freitag nachmittag zu reden ist auch nicht gerade schön.
Ich hoffe, daß wir die Kollegin Matthäus-Maier in ausreichendem Maße zufriedenstellen konnten;
Susanne Jaffke
denn überwiegend stehen hier Kollegen aus den neuen Bundesländern am Rednerpult, d. h. solche, die in der DDR gelebt haben. Das finde ich alles in Ordnung.
Ich finde es weniger in Ordnung, daß viele Leute jetzt nicht mehr da sind. Wir aus den neuen Bundesländern haben aber einen unendlich längeren Heimweg. Die Verkehrsverhältnisse sind noch nicht so gut, daß wir nur ein Stückchen länger brauchen, um nach Hause zu kommen und die Heimat Freitag abends noch zu erreichen, was mir jetzt nicht mehr vergönnt ist. Ich kann erst morgen früh fahren. Ich komme heute nicht mehr nach Hause. Aber ich nehme das trotzdem gerne auf mich.
Ich möchte zwei Bemerkungen machen: Es ist heute aus einem Gutachten von Herrn Harms, das ich nicht kenne, sehr viel zitiert worden. Mir liegt aber der Rechnungshofbericht vor. In dem Gutachten werden all die Dinge, die im Rechnungshofbericht sehr sachlich beschrieben wurden, nicht gewürdigt. Der Rechnungshof hat in seinem nichtöffentlichen Gutachten - es enthält vertrauliche Daten; man kann es nur unter Einhaltung besonderer Vorschriften einsehen - sehr sachlich und nüchtern festgestellt, daß die Schulden doch echte Schulden sind.
Es ist alles richtig gesagt worden: Das Finanzgebaren in der ehemaligen DDR war schon ein bißchen merkwürdig. Aber eines hat es nicht gegeben. Es gab eine ordentliche Buchung, das muß man den Genossen lassen. Sie haben alle Sparguthaben der Bevölkerung für das Geld, das sie gedruckt haben, gegengerechnet, in welchem Wertverhältnis es auch immer stand. Es gab eine ordentliche Kostenstellenrechnung. Die war gegeben und ist natürlich im Zuge des Einigungsprozesses zur Grundlage genommen worden, um das vorhandene Geld in stabiles Geld umzuwandeln.
Die Grundlagen dazu - das ist im Rechnungshofbericht auch gesagt worden - sind nicht unbedingt im Zuge der Währungsunion gelegt worden. Sie sind schon unter der Modrow-gegierung ausgearbeitet worden. Die Modrow-Regierung hat die Beschlüsse gefaßt, daß das Bankensystem der ehemaligen DDR umgestellt wird, und zwar nach rechtsstaatlichen Prinzipien, wie sie hier im bürgerlichen Recht vorhanden waren. Das geschah vor der Volkskammerwahl im März 1990. Das haben wir heute ein Stückchen nachzuvollziehen.
Ich denke, in der insgesamt öffentlichen Diskussion hat es bereits einen Erkenntniswandel gegeben. Es gab zuerst eine emotionale Darstellung des Gesamtverhaltes, daß die Schulden überhaupt keine echten Schulden sein können. Heutzutage wird das seitens des Gemeindebundes und des Städtetages schon ein bißchen moderater gesehen und anerkannt, daß die Schulden echte Schulden sind.
- Doch, das können Sie im Protokoll nachlesen.
Die Frage ist zu klären: Wie wollen wir diese Schulden behandeln? In dem Punkt, denke ich, ist
die Bundesregierung mit den Ländern auf einem guten Wege. Sie unterhalten sich. Das Angebot der Umschuldung, das die Bundesregierung an die Kommunen und Länder gemacht hat, ist, finde ich, ein sehr gutes Angebot.
- Nein, es ist auch für die Kommunen ein sehr gutes Angebot.
Ich kann Ihnen dazu sagen: Ich bin nebenbei Abgeordnete eines Kreistages in den neuen Bundesländern. Wir haben ein Objekt, das mit Altschulden belastet ist und irgendwo in unserem Kreishaushalt zu Buche schlägt. Aber auch wir in unserem Kreis müssen uns an eine gewisse Haushaltsdisziplin halten.
Die Kreiskämmerin und alle anderen, die dort in Verantwortung stehen, können bei der Veräußerung dieser Immobilie, die mit den Altschulden belastet ist, den Gesamterlös nicht zur Sanierung der Kreisfinanzen in den Kreishaushalt einstellen. Das wird natürlich auch versucht. Das muß man auch ansprechen dürfen.
Ich denke, das, was die Kollegin Karwatzki bezüglich des Pokers gesagt hat, der immer veranstaltet wird - sind es echte Schulden, oder sind sie es nicht? -, ist vollends richtig: Mit der Übertragung der Liegenschaften an die Kommunen ist auch ein großes Stück Vermögen an diese übertragen worden.
- Nein, das wollte er nicht.
Danke.
Das Wort hat jetzt Kollege Mathias Schubert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte vor allem ein paar kommunalpolitische Anmerkungen machen.
In meiner Heimat Brandenburg gibt es einen 200-
Einwohner-Ort namens Bernsdorf. Weil diesem Ort zu DDR-Zeiten von oben der Bau eines Kulturhauses verordnet worden war, und zwar ohne die Gemeinde zu fragen, sind die Einwohner jetzt mit 12 000 DM pro Kopf verschuldet. Wenn es nach dem Bundesfinanzministerium geht, soll die Gemeinde - jedenfalls nach dem jetzigen Stand der Dinge - die auch bezahlen.
An diesem zugegebenermaßen extremen Beispiel wird die ganze Brisanz der Auseinandersetzung um die kommunalen Altschulden klar. Es handelt sich hierbei natürlich auch um ein juristisches und ein finanztechnisches Problem, vor allem aber um ein politisches.
Die politische Behandlung der Altschulden wird wieder einmal erweisen, ob es der Bundesregierung mit ihrer so inbrünstig beschworenen Gestaltung der Einheit ernst ist oder ob sie bereit ist, die schwäch-
Dr. Mathias Schubert
sten Glieder in der Kette politischer Gestaltungsmöglichkeiten mit einem Schuldenberg allein zu lassen, der für die Betroffenen die kommunale Selbstverwaltung bis zur Unfähigkeit verstümmelt.
Das Elend dieser Dramatik besteht nicht in ihrer oppositionellen Polemik, sondern in ihrer tatsächlichen Wahrheit. Denn in der Regel haben ostdeutsche Kommunen weit weniger als 20 % ihrer ohnehin schwindsüchtigen Finanzvolumina als Gestaltungspotential ihres öffentlichen Lebens zur Verfügung. Würde der Bund also den betroffenen Gemeinden die Schulden überhelfen, wären die Auswirkungen verheerend. Investitionsmöglichkeiten würden vielfach auf Null sinken. Finanzielle Unterstützungen für Sport, Kultur, Bildung, soziale Aufgaben, Wirtschaft und Arbeitsmarkt stünden auf dem Spiel.
Nun gibt es im Bundesfinanzministerium folgende smarte Überlegung: Da die Pro-Kopf-Verschuldung ostdeutscher Gemeinden in der Regel unter der westdeutscher liege, sei noch Verschuldungsmasse frei und die Übernahme der Altschulden kein besonderes Problem. Wer so - Entschuldigung - daherschwätzt, weiß nichts über unsere Situation.
Im Unterschied zu dem finanz- und haushaltspolitischen Trauerspiel, das der Finanzminister in dieser Woche hier geboten hat, wissen die ostdeutschen Kommunen außerdem sehr wohl, was Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit bedeutet. Genau die kommunalen Haushaltsprinzipien verbieten weitere Verschuldung.
Der Schuldenkonflikt darf also weder ganz noch teilweise auf dem Rücken der Kommunen oder der Länder ausgetragen werden. Diese Verbindlichkeiten sind wie alle ehemaligen DDR-Verbindlichkeiten zu behandeln. In diesem Zusammenhang gilt es zu überlegen, ob die Schulden samt anfallender Zinsen nicht in den Erblastentilgungsfonds aufgenommen werden können.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Arnulf Kriedner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte, zumal ich lange Kommunalpolitiker war, bei einem kommunalpolitischen Thema ein bißchen davon Abstand nehmen, eine Haushaltsrede zu halten, wie wir es, Herr Küster, in Teilen hier schon gehört haben. Vielmehr möchte ich zum eigentlichen Thema kommen.
Man kann hier jede Akrobatik dieser Welt vorführen. Aber wenn - das wollen wir nicht - Frau Matthäus-Maier Finanzministerin wäre, wäre ihre Stellungnahme zu diesem Thema wahrscheinlich etwas anders ausgefallen als die des Kollegen Waigel, der zur Zeit Finanzminister ist.
- Da war er noch nicht Finanzminister, wie Sie alle wissen.
- Als der Einigungsvertrag geschlossen wurde, war es meines Erachtens Herr - -
- Es ist ja auch egal. Es sind beides gute Leute, auch der andere war gut.
- Nun lassen Sie mich einmal ausreden. Sonst überziehe ich, wenn Sie dauernd Zwischenrufe machen, meine fünf Minuten Redezeit ganz brutal.
- Doch, denn von uns redet sonst keiner mehr. Insofern habe ich noch ein bißchen Zeit.
Ich will folgendes sagen: Es ist doch unstrittig, meine Damen und Herren von der SPD, daß auch Sie dem Einigungsvertrag, so, wie er ausgehandelt worden ist, zugestimmt haben.
- Nein. Ich habe ja im Sinne meiner Partei gesagt: Gott sei Dank.
Sie tun so - das kommt immer wieder durch -, als ob alle Kommunen betroffen wären. Ich stelle erst einmal fest, daß 86 % der Kommunen nicht betroffen sind, sondern nur 14 %. In meinem Wahlkreis sind auch von diesen 14 % nicht alle betroffen. Es gibt nämlich einige, die mir unter der Hand sagen: Etwas Besseres ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert, als diese Altschulden zu übernehmen, weil die Vermögenswerte, die teilweise schon versilbert worden sind, die Schulden bei weitem übersteigen. Auch solche dürfen wir aus der Berechnung herausnehmen,
Wir können auch bei aller Verbalakrobatik nicht so tun, als ob es keine neuen Bundesländer gäbe. Sie sind in der Verpflichtung, weil sie die kommunale Lenkungsbehörde sind.
Arnulf Kriedner
- Er ist durchaus meiner Meinung.
- Man muß nicht alles, was man verhandelt, auf dem freien Markt verkaufen.
Lieber Herr Kollege Küster, machen Sie mich bitte nicht nervös, sonst erzähle ich Ihnen einmal, wie Ihr Antrag lautet. In Ihrem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, mit den ostdeutschen Ländern und Gemeinden Verhandlungen aufzunehmen; Schwanitz und Genossen. Wieso sollte, wenn Ihre Argumentation, die Sie soeben vorgetragen haben, stimmen würde, der Bund mit den Ländern eigentlich reden? Dann hat der Bund zu blechen, und die Gemeinden kassieren. So, wie Sie das hier darstellen möchten, kann es ja wohl nicht sein.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns einmal einen Versuch machen; dann kommen wir schnell auf eine Linie. Ich bin mit Ihnen - das wird Sie jetzt vielleicht verblüffen - der Meinung: Der Bund muß ein bißchen mehr tun, als nur, was die Kreditfinanzierung angeht, freundlich zu sein. Ich bin der Meinung - da haben wir einen kleinen Dissens, Frau Kollegin Karwatzki -: Der Bund muß auch bei den Schulden, die nicht ohne Schuld des Bundes so hoch sind, etwas tun.
Aber das bedingt doch geradezu, daß die Länder nun endlich einmal das Schwarzer-Peter-Spiel sein lassen und sagen: Auch wir haben eine Mitverantwortung. Wenn sie das sagen, dann gibt es nämlich überhaupt erst einmal eine Verhandlungsposition zwischen beiden.
Ich will nicht, daß die Gemeinden als in der Tat das schwächste Glied in der Kette, die betroffenen 14 % unserer Gemeinden, die Hunde beißen oder daß sie sich durchklagen müssen. Das will ich mit Ihnen gemeinsam nicht. Ich will Bund und Länder gemeinsam am Tisch haben. Dann sollen sie einen fairen Kompromiß aushandeln. Dazu sollten wir unsere Unterstützung, wo wir können, geben. Das ist die Linie, die ich gerne hätte. Darauf können wir uns sicher sehr schnell verständigen, damit wir an einem so freundlichen Freitagnachmittag nicht zu viele Nebelkerzen werfen, an dem alle im Grunde genommen wissen, wann ihr Zug fährt oder ihr Flugzeug fliegt.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als erstes möchte ich für diejenigen, die nicht mehr hier sind, eine Lanze brechen. Denn es ist der klassische Fall, daß wahrscheinlich viele Zuschauer oder andere, die die Debatte verfolgen, sich fragen: Was machen die Abgeordneten schon wieder? Sind sie beim Kaffeetrinken, oder liegen sie auf der faulen Haut? EineMenge Kollegen müssen nach Passau, nach Klingenthal in Sachsen, nach Plön oder nach Rostock. Sie haben dort heute abend Veranstaltungen. Sie mußten weg, um rechtzeitig dort zu sein. Das betrifft alle Fraktionen.
Meine Damen und Herren, das Thema „Altschulden ostdeutscher Städte und Gemeinden" ist wirklich ein langes Trauerspiel. Es ist ja nicht neu. Seit mehr als fünf Jahren ist doch bekannt, daß nach der Währungsumstellung Forderungen an eine Vielzahl von Gemeinden und Städten in Höhe von über 5 Milliarden DM bestehen. Seit übrigens mehr als fünf Jahren ist umstritten, ob es sich dabei um Kredite im klassischen Sinne handelt. Das ist sicher nicht der Fall.Frau Jaffke, als ich nach der Rede von Herrn Austermann gesagt habe, daß Ihre ostdeutschen Abgeordneten das genauso sehen, habe ich das nicht gemacht, um Sie zu spalten. Wer sich mit diesem Thema beschäftigt - ich bin gerade zu diesem Thema sehr viel durch Ostdeutschland gefahren -, der weiß: Solch eine schneidige Rede wie die von Herrn Austermann wird den Problemen, wie sie damals existierten, überhaupt nicht gerecht.
Natürlich kann man theoretisch sagen: Die Gemeinde bekam eine Einrichtung, und folglich hängt an der Einrichtung eine Schuld. Das ist eigentlich ganz logisch. Aber es war so: Die Städte haben die Einrichtungen bekommen. Aber da zu DDR-Zeiten völlig willkürlich der einen Kommune die Schulden erlassen wurden, der anderen Kommune aber nicht, hat die eine Kommune heute aus reiner politischer Willkür eine Altschuld und die andere nicht. Das können wir doch nicht einfach so akzeptieren. Das wissen ostdeutsche Abgeordnete besser als Herr Austermann.
Deswegen kann man auch nicht einfach sagen, im Einigungsvertrag - dem wir zugestimmt haben; das ist völlig richtig - sei das so vereinbart worden. Ich darf Sie daran erinnern - ich nenne ein anderes Altschuldenproblem -, daß das Thema Altschulden der Betriebe eines war, bei dem die SPD angesichts der Lösungen, die Sie vorgeschlagen haben, Sturm gelaufen ist. Ich darf Sie daran erinnern: Wenn sie die Altschulden der Betriebe mit der Umstellung 2:1 nicht bei den Betrieben belassen hätten, sondern gleich übernommen hätten, was faktisch sowieso der Fall ist - fast 100 Milliarden DM werden sowieso von Waigels Kasse übernommen -, wäre damals ein großes Investitionshindernis weggeräumt gewesen.
Deswegen ist es auch nicht in Ordnung gewesen, daß sich die Bundesregierung das so lange anschaut. Sie hat zugelassen, daß die angeblichen Kredite von der Deutschen Kreditbank „banküblich" bewirtschaftet wurden. Im Klartext: Wurde zu DDR-Zeiten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5635
Ingrid Matthäus-Maiernur ein symbolischer Zins verlangt - von dem keiner weiß, ob er überhaupt jemals hätte bezahlt werden müssen schlugen die Zinsen im Jahre 1991 plötzlich mit über 10 % zu Buche. Weil die Städte und Gemeinden nicht zahlen konnten oder wegen der ungeklärten Rechtslage nicht zahlen wollten - überwiegend war das erste der Fall -, sind aus den 5 Milliarden DM mittlerweile 8 Milliarden DM geworden. Uwe Küster hat eindrucksvoll gezeigt: Jeder Tag, den wir weiter warten, löst das Problem nicht, sondern erhöht die Schulden und erschwert eine Lösung.
Weil Sie noch gefragt haben, was ich, wenn ich dafür zuständig gewesen wäre, gemacht hätte: Eines hätte ich sicher nicht gemacht: das Ganze schönzureden. Noch in der Haushaltswoche im September 1995 habe ich gesagt: Herr Waigel, Ihre Zahlen sind wieder einmal alle falsch, Sie haben große Risiken nicht beachtet. In dieser Rede habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die ungeklärte Altschuldenfrage ein entscheidendes finanzielles Risiko ist. Deswegen darf Herr Waigel heute nicht so tun, als habe er damit nichts zu tun.Wir fordern die Bundesregierung auf: Erstens. Verzichten Sie auf Ihren Rechtsanspruch! Wir haben doch alle nichts davon, wenn die Sache in vier Jahren in Karlsruhe entschieden wird. Wir schieben sowieso zuviel nach Karlsruhe.Zweitens. Verzichten Sie auf Mahnbescheide! Die Vorstellung, der Bund geht jetzt gegen Städte und Gemeinden in Ostdeutschland mit Mahnbescheiden vor, ist doch aberwitzig.
Drittens. Verzichten Sie darauf, über diesen Weg die Gemeinden in den Ruin zu treiben!Viertens. Lassen Sie uns gemeinsam nach einer Lösung suchen! Sie haben einen Antrag von uns zitiert.Jedenfalls müssen Sie sich bewegen. Nach den Worten von Herrn Kriedner habe ich das Gefühl, das wäre möglich. Nach den Worten von Frau Karwatzki habe ich allerdings noch nicht den Eindruck, daß der Bund verstanden hat, um was es geht.Danke schön.
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Ich rufe Zusatzpunkt 16 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs
eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksache 13/2746 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstes hat der Abgeordnete Ulf Fink das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktionen der Regierungskoalition bringen heute den Entwurf zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes ein. Zugleich werden in diesem Gesetzentwurf der Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe geregelt und die Konsequenzen aus der Übertragung der Zuständigkeit des öffentlichen Nahverkehrs bezüglich der Beförderung von Schwerbehinderten gezogen.
Es sind natürlich höchst unterschiedliche Bereiche, die hier geregelt werden. Der Zusammenhang ist im Finanziellen zu sehen. Anläßlich der Beratungen der Sozialhilfereform haben der zuständige Bundesminister und ich namens der CDU/CSU- Bundestagsfraktion erklärt, daß wir sehr genau darauf achten wollen, daß die Gemeinden finanziell entlastet werden. Der Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe ist aber eine Belastung der Gemeinden. Wir haben damals erklärt, daß wir dafür Sorge tragen wollen, daß diese zusätzliche Belastung voll kompensiert wird.
Durch die Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes werden die Belastungen durch Wegfall der Arbeitslosenhilfe mehr als ausgeglichen. Das heißt also, den Gemeinden entsteht dadurch keine einzige zusätzliche Mark an Belastung. Ich freue mich, hier sagen zu können: Wir haben Wort gehalten.
Die Änderungen beim Asylbewerberleistungsgesetz sind sachlich vertretbar. Den Betroffenen waren die bisherigen höchst unterschiedlichen Regelungen nur sehr schwer verständlich zu machen. Mit den jetzt vorgesehenen Änderungen wird erreicht, daß mit Ausnahme der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge alle Asylbewerber und Ausländer, die sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, gleiche Leistungen erhalten.
Die Regelung sieht im Kern vor, daß die Ausländer, die sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten und sich nicht aus eigener Kraft unterhalten können, Sachleistungen erhalten. Die Sachleistungen decken den Bedarf an Nahrung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege sowie an den Verbrauchsgütern des Haushalts ab. Zur Sachleistung kommt ein monatlicher Geldbetrag von 80 DM für Erwachsene und von 40 DM für Kinder hinzu. Dies dient der Deckung der persönlichen Be-
Ulf Fink
dürfnisse des täglichen Lebens. Hinzu kommt die ärztliche und zahnärztliche Versorgung bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen. Nur dann, wenn Sachleistungen nicht möglich sind, wird ein um die Integrationskosten abgesenkter Regelsatz gezahlt.
Das bedeutet: Menschen, die ihr Heimatland aus religiösen, politischen oder ethnischen Gründen verlassen müssen, können auch in Zukunft in Deutschland menschenwürdig leben.
Nun zur Arbeitslosenhilfe: Die Arbeitslosenhilfe ist eine besondere staatliche Fürsorgeleistung für Arbeitnehmer. Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben gegenwärtig aber auch solche Arbeitslosen, die vor der Arbeitslosenmeldung nicht oder nur kurze Zeit Arbeitnehmer waren. Sie sollen künftig nicht mehr die besondere staatliche Fürsorgeleistung für Arbeitnehmer erhalten, sondern in dem System gesichert werden, dem sie vor der Arbeitslosigkeit angehört haben.
Die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe wird zu erheblichen Minderausgaben des Bundes führen und damit einen wichtigen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten.
Nun zum dritten Komplex: Durch das Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs geht zum 1. Januar 1996 die Verantwortung für den öffentlichen Personennahverkehr auf die Länder über. Sie erhalten zur Finanzierung dieser Aufgabe finanzielle Zuweisungen aus dem Mineralölsteueraufkommen. Zu diesen finanziellen Lasten gehören natürlich auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter entstehen. Die ausschließliche Verantwortung der Länder muß auch im Schwerbehindertengesetz nachvollzogen werden.
Ich denke, es ist gut, daß diese drei Komplexe in einem Gesetzentwurf behandelt werden; denn das zeigt, daß der Bund sich der finanziellen Zusammenhänge sehr wohl bewußt ist. Verantwortungsbewußte Politik heißt, die Verantwortung gerecht zu verteilen, aber auch dafür zu sorgen, daß diese Lasten auch getragen werden können.
Es wird mit Sicherheit eine Debatte darüber geben, ob die Neuregelung für Asylbewerber und andere Ausländer gerechtfertigt ist.
Zu dieser Debatte gehört dann aber auch der Hinweis, daß diese Neuregelung von der Mehrzahl der Bundesländer und den Flüchtlingsverwaltungen selbst gefordert worden ist.
Der Grundsatz, daß alle Menschen, die zu uns kommen, eine gesicherte Existenz haben sollen, wenn sie in ihren Heimatländern aus politischen, religiösen und ethnischen Gründen verfolgt werden, bleibt für uns unantastbar. Dies ist nicht überall in der Welt selbstverständlich. In vielen Ländern leben Flüchtlinge in einem unbeschreiblichen Elend. Trotz der notwendigen Veränderungen werden wir auch in Zukunft in Deutschland sagen können, daß wir be-
drohten Menschen bei uns ein menschenwürdiges Leben bieten.
Es spricht jetzt die Kollegin Brigitte Lange.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gäbe es einen Preis für Schönfärberei bei der Begründung von Gesetzestexten und einen für Rücksichtslosigkeit gegenüber sozial benachteiligten Gruppen in unserer Gesellschaft, die Bundesregierung bekäme beide.
Dieser Gesetzentwurf heute ist dafür wieder ein schönes Beispiel. So sprechen Sie in Ihrer Zielsetzung für die Änderung von drei Gesetzen von einer „Weiterentwicklung" des Asylbewerberleistungsgesetzes und verbergen hinter dieser Begrifflichkeit die dreifach verlängerte zeitliche Ausgrenzung von mehr Flüchtlingen als bisher aus dem untersten sozialen Netz, dem BSHG. Sie äußern sich besorgt um die „Funktion" der Arbeitslosenhilfe als einer besonderen staatlichen Fürsorgeleistung für Arbeitnehmer und kaschieren damit schlicht die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe, die Verschiebung von arbeitslosen Menschen in die Sozialhilfe und die erneute zusätzliche Belastung kommunaler Haushalte.
Sie weisen zur Änderung des Schwerbehindertengesetzes auf die „Aufgabe der Daseinsvorsorge" der Länder hin und meinen nichts anderes als die Kostenverlagerung vom Bund auf die Kommunen. Die Zielsetzung dieses Gesetzentwurfes läßt sich aber mit einem einfachen Satz zusammenfassen: Der Bund will eine Milliarde DM sparen, und zwar zu Lasten von Arbeitslosen und Flüchtlingen, womit er sich wieder einmal besonders „privilegierte" Gruppen heraussucht, und zu Lasten der Kommunen und Länder. Das Schicksal von Menschen machen Sie zur Verhandlungsmasse: Flüchtlinge gegen Arbeitslose.
Der skandalöse Deal lautet: Wir, der Bund, kürzen die Ausgaben für Flüchtlinge um den Betrag, den die Kommunen und die Länder für die Mehrausgaben für Arbeitslose und für die Übernahme der Erstattung von Fahrgeldausfällen für Schwerbehinderte im Nahverkehr brauchen. Diese Art Kompensationsgeschäft war es also, die Minister Seehofer einen „angemessenen Ausgleich" für die Kommunen nannte, als wir in der ersten Lesung zur Änderung des BSHG vor weiteren Verschärfungen und Kürzungen im AFG warnten. Die Streichung der originären Arbeitslosethilfe betrifft ca. 38 000 Arbeitslose, vor allem junge Leute, die nach ihrer Schul-, Hochschul- und Berufsausbildung keine Stelle finden. Auf sie wartet als deprimierender Start ins Berufsleben eine steile Rutschbahn in die Sozialhilfe.
Sozialpolitisch völlig unverantwortlich ist die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe für diejeni-
Brigitte Lange
gen, die fünf Monate und mehr, aber noch keine zwölf Monate Beiträge gezahlt haben.
Gerade angesichts der zunehmenden Zahl befristeter und ungesicherter Arbeitsverhältnisse dürfen diese Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht vom Bezug von Lohnersatzleistungen ausgeschlossen werden.
Mit dieser Salamitaktik - erst die Begrenzung der originären Arbeitslosenhilfe auf ein Jahr, jetzt die völlige Streichung - entzieht sich die Bundesregierung der Verantwortung für ihre eigene Politik und schiebt sie an die Kommunen weiter. Das bedeutet für die kommunalen Haushalte 600 Millionen DM Mehrausgaben und für die Betroffenen schlechtere Konditionen als im AFG: zum Teil bei der Höhe der Leistungen, weil die Bemessungsgrundlage eine unterschiedliche ist - einmal der Bedarf, einmal das letzte Nettoentgelt -, aber immer bei der Anrechnung von Vermögen, bevor Anspruch auf Sozialhilfe besteht. Das bedeutet auch immer im Vergleich zum AFG verschärfte Zumutbarkeitsanforderungen bei Beschäftigungen, die weder tarifgerecht entlohnt noch sozialversicherungspflichtig sein müssen, verknüpft mit Leistungskürzungen bei Ablehnung. Es bedeutet für die Betroffenen weniger Fördermöglichkeiten nach dem AFG, als wenn sie Arbeitslosenhilfe bekämen.
Diesen massiven Angriff auf das Selbstwertgefühl der Menschen, die arbeiten wollen, aber auch auf die kommunale Selbstverwaltung mit der „fehlenden Bezugsnähe zum Arbeitsmarkt" zu rechtfertigen ist eine unredliche Zumutung für uns und für die Betroffenen ein Hohn.
Der Vorschlag, die originäre Arbeitslosenhilfe zu streichen, ist nicht akzeptabel.
Mit der Ausweitung des Personenkreises um die Gruppe der geduldeten Ausländer und die Ausdehnung der Befristung auf 36 Monate abgesenkten Leistungsbezugs aus dem Asylbewerberleistungsgesetz verletzen und gefährden Sie den mühsam gefundenen und für uns bis an die Schmerzgrenze gehenden Asylkompromiß. Sie revidieren mit Ihrem Gesetz genau die Verhandlungsergebnisse, die für uns unverzichtbare Bedingungen waren und sind.
- Ja, das merken wir langsam.
Sie setzten sich damals mit dem Argument der Abschreckung und des Mißbrauches durch. Wir scheiterten an Ihnen mit dem Argument der ungeteilten Menschenwürde, die wir durch Art und Höhe der Leistung gefährdet sahen und sehen. Praktische Erfahrungen mit diesem Gesetz - eine zum Teil sehr problematische Handhabung - haben diese Bedenken eher bestätigt.
In sehr zähen Verhandlungen mit Ihnen konnten wir durchsetzen, daß ausschließlich Asylbewerber und abgelehnte Asylsuchende, deren Ausreise sich aus eigenem Verschulden verzögerte, unter dieses Leistungsgesetz fielen. Die Befristung auf zwölf Monate „abgesenkten Leistungsbezugs" war für uns schon ein harter Kompromiß, verbunden mit der Hoffnung, daß zügigere Verfahren diese Frist unterschreiten würden. Diese Unterschreitung trifft für viele offensichtlich unbegründete Asylbegehren zu, für alle anderen, d. h. in der Regel für diejenigen, die schließlich nach einem Verfahren anerkannt werden, nicht.
Die hohe Belastung der Verwaltungsgerichte mit unbearbeiteten Rechtsschutzbegehren aus vergangenen Jahren verzögert noch immer eine zügige Bearbeitung neu eingehender Rechtsschutzanträge. Das ist aber nicht den Asylbewerbern anzulasten.
Den Bezieherkreis zu erweitern und den eingeschränkten Leistungsbezug zu verlängern ist der schlechteste Weg, um Kosten zu mindern. Er schadet extrem den Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, und gefährdet den gerade in dieser Frage sehr brüchigen Frieden.
Wenn es Ihnen ausschließlich um die Senkung der Ausgaben geht, die noch immer Länder und Kommunen allein zu tragen haben, dann überlegen Sie mit uns, ob das Beharren auf Sachleistungen fast um jeden Preis vernünftig ist. Wie jeder Kundige weiß, ist die Gewährung von Sachleistungen um etliches teurer als Geldleistungen.
Hier könnte die Stärkung der Autonomie der Menschen, die zur Menschenwürde gehört, mit Einsparungen verbunden werden.
Wenn es Ihnen tatsächlich nur um die Kosten geht, dann stimmen Sie unserem Antrag zur Altfallregelung zu, der Gerichte entlastet, die Verfahrensdauer neuer Anträge verkürzt, Kosten spart und für die auf Entscheidung harrenden Menschen humaner ist.
Wenn es Ihnen um die Entlastung der Kommunen und Länder geht, dann regeln Sie endlich den bisher nicht umgesetzten Teil des Asylkompromisses, der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge betrifft. Ermöglichen Sie die Anwendung des § 32 a des Ausländergesetzes,
der diesen Menschen einen besonderen Aufenthaltsstatus zusichert! Übernehmen Sie wenigstens einen Teil der Kosten! Darauf warten Länder und Kommunen bis heute vergebens.
Art. 1 unseres Grundgesetzes ist Verpflichtung und Auftrag. In allem, was wir von hier aus beschließen, muß er für alle Menschen in unserem Land real erfahrbar sein. Die vielzitierte Standortfrage kann nicht
Brigitte Lange
an diesem Artikel vorbei beantwortet werden. Das gilt auch für den Umgang mit Flüchtlingen.
Danke.
Jetzt hat die Kollegin Andrea Fischer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach 13 Jahren CDU-F.D.P.-Regierung glaubt man sich gegen Ihre Maßnahmen doch schon ziemlich abgehärtet. Dieses Vorhaben hat mich aber wirklich erschüttert; das muß ich schon sagen.
Sie wollen die originäre Arbeitslosenhilfe abschaffen und sich aus der Finanzierung der Fahrtkosten für Schwerstbehinderte zurückziehen. Damit die ohnehin gebeutelten Kommunen dagegen nicht zu laut protestieren, wollen Sie kompensieren, indem Sie bei den Flüchtlingen sparen. Das, so finde ich, ist schon ausgeklügelte Perfidie: eine Umverteilung zwischen Arbeitslosen, Behinderten und Flüchtlingen. Erzählen Sie uns bitte nie wieder, Sie wollten den Sozialstaat zugunsten der wirklich Bedürftigen umbauen!
SPD, CDU und F.D.P. haben 1993 ein Leistungssystem unterhalb der Sozialhilfe eingeführt. Das ist in meinen Augen noch immer ein Sündenfall wider das Sozialstaatsgebot; denn wenn Menschen auf der Flucht zu uns kommen, dann müssen sie von uns auch anständig behandelt werden.
Begründet wurde diese Schlechterstellung von Flüchtlingen damals damit, daß sie ja nur kurzzeitig hier seien. Abgesehen davon, daß dies schon damals kein akzeptables Argument war, definieren Sie jetzt in Ihrem neuen Gesetzentwurf einen kurzzeitigen Aufenthalt als „bis zu drei Jahren" . Drei Jahre lang also sollen 260 000 Menschen nicht frei über ihre Ernährung entscheiden können, drei Jahre lang sollen sie keine angemessene medizinische Betreuung erfahren.
Ich denke, mit dieser beispiellosen Diskriminierung einer Bevölkerungsgruppe verspielen Sie jede Legitimation als Sozialpolitiker.
Es ist doch gerade der Sinn der Sozialpolitik, die Integration aller in die Gesellschaft zu leisten, gerade auch der Schwachen.
Sie aber machen die Flüchtlinge durch Arbeitsverbote überhaupt erst in dem von Ihnen beklagten
Ausmaß zu Bedürftigen. Dann sprechen Sie einem Teil dieser Flüchtlinge die Bedürftigkeit ab und geben ihnen nur gekürzte Leistungen. Zwei Jahre später reden Sie euphemistisch davon, daß doch alle Flüchtlinge gleich behandelt werden müßten, ja, Sie führen sogar „die Betroffenen" ins Feld, die angeblich kein Verständnis für Ungleichbehandlung hätten. Auf so etwas muß man erst einmal kommen: die Betroffenen dafür in Anspruch zu nehmen, daß alle gleich schlecht behandelt werden wollen. „Gleichbehandlung" ist nicht zwangsläufig ein positiver Begriff. Sie machen das hier sehr deutlich, wenn Sie eine Gleichbehandlung in Unrecht schaffen wollen.
Mit Ihren Maßnahmen treffen Sie Menschen, die nicht aus eigenem Verschulden jahrelang auf eine Entscheidung ihres Asylverfahrens warten müssen. Es sind nämlich gerade die offensichtlich begründeten Anträge, die über Jahre hinweg nicht entschieden werden. Sie können doch nicht die Flüchtlinge dafür bestrafen, daß die Behörden und Gerichte säumig sind.
Aber Ihr Vorhaben ist ja nicht nur moralisch verwerflich. Es ist darüber hinaus auch noch ökonomischer Unfug, wie Sie sicherlich wissen. In der Begründung Ihres Gesetzentwurfes kalkulieren Sie mit 250 Millionen DM Verwaltungskosten, die die ausgeweitete Sachleistungsgewährung zusätzlich verschlingt. Das heißt, Sie nehmen in Kauf, daß ein Fünftel des von Ihnen vorgesehenen Einsparpotentials für sinnlosen Verwaltungsaufwand draufgeht. Herr Seehofer, wenn Ihnen ein Wohlfahrtsverband einen so hohen Verwaltungskostenanteil präsentierte, wären Sie doch der erste, der die Zusammenarbeit kündigen würde.
Angesichts der spiralförmigen Ausweitung der verminderten Leistungsgewährung auf immer mehr Flüchtlinge wird sich der vermeintliche Erfolg, den die F.D.P. hier vorweisen will, bald als Strohfeuer erweisen. Spätestens in einem Jahr wird die Schamfrist vorbei sein, und weitere Menschen werden in die absolute Armut getrieben.
Ihrem weinerlichen Protest, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, trauen wir nicht für fünf Pfennig.
Sie haben sich am Asylbewerberleistungsgesetz beteiligt. Sie waren dabei, als der sozialstaatliche Konsens auf Kosten der Flüchtlinge aufgekündigt wurde. Also werden Sie auch hier wieder einknicken und schließlich mit Herrn Seehofer gemeinsam gemeine Sache machen. Immerhin hat der niedersächsische Innenminister Glogowski - meiner Kenntnis nach ein Parteifreund von Ihnen - Herrn Seehofer bereits schriftlich aufgefordert, doch endlich einmal mit dem Gesetz in die Puschen zu kommen, das auf Kosten der Flüchtlinge sparen soll.
Wir Bündnisgrüne werden uns an dieser Koalition der Ausländerfeindschaft nicht beteiligen und weiterhin dafür kämpfen, daß Flüchtlinge genauso wie
Andrea Fischer
alle anderen Menschen in Deutschland behandelt werden.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Schmalz-Jacobsen.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier vor dem Hintergrund großer finanzieller Engpässe bei Bund, Ländern und Gemeinden. Die Sparzwänge machen es notwendig, alle sozialen Leistungen auf den Prüfstand zu stellen. Auch wenn Sie es vielleicht mühsam finden, mir dies abzunehmen: Es fällt besonders schwer, dies am unteren Ende der Leiter zu tun, denn wir können nicht nur von Zahlen reden, wir reden auch von Menschen. Mit Verlaub, es sind Menschen, denen ich öfter begegne als manche andere, die hier im Hause sitzen. Dennoch muß man abwägen, und man muß schließlich einen Kompromiß finden, denn es sind sehr unterschiedliche Interessen zu wahren. Es sind die Interessen der verschiedenen politischen Ebenen zu wahren. Es sind die Interessen der verschiedenen Menschen, die in diesem Land leben, zu berücksichtigen.
Bitte erlauben Sie mir, daß ich eine Bemerkung in eigener Sache mache. Ich persönlich werde sehr stark angegangen von christlichen und anderen Verbänden und Vereinigungen. Das war nicht anders zu erwarten. Aber ich will Ihnen hier sagen: Ich habe mir sehr gründlich überlegt, ob ich mich aus diesem schwierigen Thema heraushalten soll, ob ich abwarten soll, um mich hinterher enttäuscht zu zeigen und meine Hände in Unschuld zu waschen. Das wäre medienwirksam und bequem; ehrlich wäre es nicht.
Ich habe den etwas unbequemeren Weg gewählt und meinen Standpunkt sehr deutlich in die Verhandlungen eingebracht.
Mir ging es darum, den Kreis derjenigen, die abgesenkte Leistungen erhalten, so klein wie irgend möglich zu halten. Das ist mir und meiner Fraktion gelungen, übrigens auch gegen die Signale, die im Vorfeld gerade auch SPD-regierte Länder und Städte einstimmig, wie ich gehört habe, ins Feld geführt haben.
Darum, wenn Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, dann tun Sie das bitte nur mit ganz leisem Geklapper, denn es ist nicht ganz ehrlich.
Das ist doch alles nicht leicht, und zwar für niemanden. Das braucht doch keiner zu denken.
Am Ende haben wir einen Kompromiß erzielt, der die Bürgerkriegsflüchtlinge nicht einbezieht,
und das halte ich wirklich für wichtig, denn erinnern wir uns doch: Wir wollten für sie einen Sonderstatus haben, der nicht ausgefüllt worden ist, und das liegt doch nicht allein beim Bund, Frau Kollegin Matthäus-Maier.
Das liegt an der mangelnden Verhandlungsbereitschaft und Starrheit beider Seiten, aber da kann man nicht die Bürgerkriegsflüchtlinge sozusagen bestrafen und sagen: Ihr bekommt keinen Sonderstatus, der ausgefüllt ist, aber dafür geringere Leistungen. - Außerdem war die „Philosophie" eine ganz andere. Meine Redezeit reicht nicht aus, das zu erklären.
Es sind die Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis nicht betroffen - das sind auch Menschen, die vorübergehend hier sind -, und eine weitere Kumulierung mit abgesenkten Leistungen ist ausgeschlossen worden.
Ich will eines sagen. Bei der Frage der Sachleistungen, wo ja „im Regelfall" steht, werden die Länder und Gemeinden, die das heute schon tun, interessante und kreative Lösungen weiter verfolgen können. Ich möchte das nicht vertiefen. Wer Interesse hat, der weiß, wie das geht.
Ich möchte Sie aber bitten, eines zur Kenntnis zu nehmen. Das will ich hier in aller Deutlichkeit sagen. Wir verfahren künftig ganz ähnlich und zum Teil sogar immer noch großzügiger, als unsere europäischen Nachbarländer das tun. Selbstverständlich orientiert sich die Hilfe für Bedürftige an der Wirtschaftskraft eines Landes, und ich habe zu Beginn von den Sparzwängen gesprochen.
Es muß doch auch noch einmal gesagt werden, daß die Bundesrepublik einfach die weitaus größte Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern aufgenommen hat und aufnimmt. Ich will Ihnen das nur sagen: Im März 1995 waren es bei uns 350 000 Flüchtlinge; bei den Asylbewerbern haben wir im vergangenen Jahr - und das waren weniger als vorher - 127 000 aufgenommen, in den letzten fünf Jahren 1 337 000. Die nächsten in dieser Reihenfolge sind dann die Schweden, deren Land natürlich viel kleiner ist, aber sie haben nicht einmal 200 000 Asylbewerber aufgenommen. Ich denke, es ist schon wichtig, diese Zahlen zur Kenntnis zu nehmen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, es wird auch in Zukunft kein Ausländerleistungsgesetz geben, das für alle, die hier nur vorübergehend leben, Gültigkeit hat, und dies, mit Verlaub, weiß auch Herr Minister Seehofer sehr genau.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Heidi Knake-Werner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Fink hat sich ja zu Beginn seiner Rede darüber gefreut, daß er mit dieser Gesetzesvorlage den Kommunen gegenüber sein Sparversprechen einhalten konnte. Ich frage mich manchmal, lieber Kollege, ob Sie eigentlich auch im Blick haben, daß es dabei um Menschen geht, um Menschen mit Schwerstbehinderungen, um Flüchtlinge, um Arbeitslose. Hoffentlich gerät Ihnen das nicht immer aus Ihren Zusammenhängen.
Ich jedenfalls kann für die PDS erklären, daß für uns der vorgelegte Gesetzentwurf absolut unakzeptabel ist. Wir wissen uns mit vielen Menschen einig, die sich über die permanente Aushöhlung des Sozialstaates Sorgen machen und tief empört sind.
In dankenswerter Offenheit bietet die Koalition den Ländern und Gemeinden einen, wie ich finde, ziemlich unappetitlichen Deal an. Laßt uns bei den ungelittenen Flüchtlingen, Migranten und Migrantinnen noch mehr streichen, dann könnt ihr auch unsere Abschiebung von Arbeitslosen in die Sozialhilfe finanziell verkraften.
Scheinbar werden hier nur finanzielle Größen hin- und hergeschoben, doch tatsächlich findet ein Schacher mit dem Schicksal und den Lebensmöglichkeiten von Hunderttausenden von Menschen in diesem Lande statt.
Allein schon die Ausführungen in der Begründung des Gesetzentwurfes sind ein sozial- und gesellschaftspolitischer Skandal. Aber ich sage auch: Diese Entwicklung war vorauszusehen. Jeder, der die Politik dieser Regierung über längere Zeit beobachtet, weiß, daß eines ihrer zentralen Politikkonzepte lautet: die soziale Spaltung vertiefen, schon dadurch, daß die sozial Schwächsten allein die Misere der Staatsfinanzen ausbaden sollen.
Als Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD - auch ich möchte Ihnen das nicht ersparen -, sich 1993 im Rahmen des großen Asylkompromisses auf das Asylbewerberleistungsgesetz einließen, hätten Sie eigentlich wissen können, daß es nicht bei den Leistungskürzungen und Sachleistungen für
Asylbewerber im ersten Aufenthaltsjahr bleiben würde.
Es mußte Ihnen klar sein, daß die seinerzeitige Formulierung des Familienausschusses, daß bei einem längeren Aufenthalt „nicht mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden kann", bei dieser Regierung nicht Bestand haben würde. Auch Ihre Landesminister haben da keine besonders rühmliche Rolle gespielt.
Ich hoffe, daß wir gemeinsam zu dem Grundsatz zurückkehren können, daß die Menschenwürde in diesem Lande unteilbar ist. Ich finde, Sie sollten sich nicht länger an dem Spiel der Regierung beteiligen, die Integrationskosten - wie sich der Minister ausdrückt - für die eine Gruppe gegen die der anderen aufzurechnen. Dieses Politikkonzept spielt eine schwache Bevölkerungsgruppe gegen die andere aus. Es handelt sich - das sage ich mit allem Nachdruck - um einen bürokratisch durchgestylten staatlichen Rassismus, der Neid, Haß und Gewalt in die Gesellschaft trägt und schürt.
Die Bundesregierung kürzt nicht nur, sie meißelt an den Fundamenten dieser Gesellschaft. An dieser Politik will sich die PDS nicht beteiligen.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/2746 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit - sehr spät - am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, 7. November 1995, 14 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.