Rede von
Angelika
Beer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dr. Kohl, Sie haben sich gestern einen wahrscheinlich lang gehegten Wunsch mit der Inszenierung des Großen Zapfenstreichs anläßlich des 40. Jahrestages der Bundeswehr erfüllt. Im Bonner Hofgarten haben Sie sich im Mittelpunkt des Fackelscheins postiert.
Mit einem Riesenaufgebot an Polizisten und einem faktischen Ausnahmezustand am gestrigen Nachmittag und Abend in der Bonner Innenstadt
haben Sie die Rahmenbedingungen geschaffen, um Ihr Bekenntnis zur Remilitarisierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg
und Ihr Bekenntnis zum Zwangsdienst zu vertreten.
Wir Grünen haben nach ausführlicher Diskussion, in der es einzelne durchaus lesenswerte Stellungnahmen gab, Ihre Einladung zur Teilnahme an diesem Zapfenstreich abgelehnt. Ich freue mich ganz besonders, daß die grüne Oberbürgermeisterin in Bonn
sämtlichen Diffamierungsversuchen im Vorfeld widerstanden hat und ein Grundrecht der freien, demokratischen Grundordnung, das heute so oft schon zitiert worden ist, nämlich das Recht auf Demonstrationsfreiheit und freie Meinungsäußerung, hochgehalten und die Demonstrantinnen und Demonstranten gestern abend begrüßt hat.
Ich möchte aber trotzdem feststellen, daß die Diffamierungen im Vorfeld und das Bedrohungsszenario, das aufgebaut worden ist, weil versucht werden sollte, diesen pompösen Zapfenstreich, der einer ganz schlechten militaristischen preußischen und dann auch deutschen Tradition entstammt, zu verhindern, mich an die Diffamierung der Friedensbewegung damals erinnern. Wir, die wir gestern abend dort gestanden haben - ich rede nicht von denen, die „Mörder" geschrieen haben; ich halte davon überhaupt nichts und weise das zurück-,
waren dort, weil wir zu der Tradition der Friedensbewegung stehen, die von diesem Platz, dem Hofgarten, 1981 und auch danach weltweit Signale gegen die atomare Aufrüstung, gegen die Militarisierung gesendet hat, und sie heute mit einem demokratischen und friedensbewegten Protest verteidigen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute in die Diskussion zum vierzigjährigen Bestehen der Bundeswehr einen Antrag eingebracht, in dem wir die weitere drastische Reduzierung der Bundeswehr fordern und uns dafür einsetzen, die jetzt stattfindende Umrüstung zu einer Armee, die auf mögliche weltweite Kampfeinsätze vorbereitet wird, zu beenden. Wir werden heute gegen den Antrag auf Reduzierung der Wehrdienstzeit auf zehn Monate stimmen, nicht weil wir gegen die Reduzierung sind, sondern weil wir für die Abschaffung der Wehrpflicht sind, weil wir meinen, daß jede Art von Zwangsdienst beendet werden muß.
Wir würdigen die Leistungen der Zivildienstleistenden - die Sie, Herr Scharping, heute nicht einmal mit einem Satz erwähnt haben -,
aber wir meinen, daß dies kein Zwang sein darf. Wir sind für freiwillige zivile Dienstleistungen. Die j gen Leute dürfen nicht unter Zwang - und dann auch noch mit Ungleichberechtigungen - eingezogen werden.
In Richtung von Frau Ministerin Nolte, aber auch der F.D.P., die heute sicherlich noch die Gelegenheit nutzen wird, endlich die Einbeziehung der Frauen in die Bundeswehr hier einzufordern,
sage ich: Dieser fehlverstandene Feminismus und
diese fehlverstandene Emanzipation treffen auf unse-
Angelika Beer
ren massiven Widerstand, aber nicht nur auf unseren, sondern auch auf den der Gesellschaft.
Frau Ministerin Nolte, Sie haben gestern betont, gerade die Frauen hätten einen wesentlichen Anteil am Aufbau der Bundeswehr. Das ist aus meiner Sicht ein Schlag ins Gesicht der Trümmerfrauen, die die Trümmer des Faschismus in Deutschland weggeräumt haben.
Diese Frauen haben einen wichtigen Anteil an einer antimilitaristischen und friedlichen Grundüberzeugung in unserer Gesellschaft.
Nun sind es wahrscheinlich gerade diese Grundüberzeugungen, die durch die Strategien der Bundesregierung scheibchenweise revidiert werden sollen. Das, was uns heute so schön unter „militärischer Handlungsbereitschaft", „Verantwortung der Bundeswehr" , „Souveränität Deutschlands" und „internationalen Verpflichtungen" verkauft wird, ist nichts anderes als das, was im Rahmen dieser Krisenreaktionskräfte konstruiert wird: Sondereinheiten, Führungszentren, die schon in Richtung Generalstab gehen, und weltweite Kampfeinsätze. Unter diesen Voraussetzungen werden rigide Jubelveranstaltungen zum Geburtstag der Bundeswehr durchgezogen.
Wer als Soldat durch Gelöbnis oder Eid bekundet hat, unserer Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht auf Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, der braucht in der Tat die Unterstützung aller gesellschaftlichen und demokratischen Kräfte: um sein Grundrecht auf Verweigerung durchzusetzen, und sei es nachträglich, wenn er für eine Politik der nationalen Interessendurchsetzung mißbraucht wird.
Symptomatisch sind die Verstärkung der militärischen Komponenten der Außenpolitik, die Demontage des Blauhelmkonzeptes der Vereinten Nationen.
Hier sind Sie, Herr Rühe, federführend. Sie haben z. B. im „Spiegel" gesagt: Nie wieder Blauhelme alleine; die Grünhelme müssen immer dabeisein, damit man sich notfalls wirksam schützen und durchsetzen kann. - Sie sind derjenige, der das Konzept einer vernünftigen Peace-keeping-Operation, die wir durchaus für richtig halten, abbaut und zu militarisieren versucht, der alleine der NATO die Entscheidungsbefugnis zu Kampfeinsätzen zugestehen will und der UNO das Mäntelchen der politischen Unfähigkeit umzuhängen versucht. Für diese Unfähigkeit sind Sie verantwortlich, weil unsere finanziellen Ressourcen verschwendet werden, um Riesenprojekte wie den Jäger 90 zu finanzieren und Krisenreaktionskräfte auszurüsten, während der UNO und auch der OSZE nicht genügend Geld zur Verfügung gestellt wird.
Ich möchte das Wort - auch heute oft gebraucht -„Bündnisfähigkeit" erwähnen. Bündnisfähigkeit wird uminterpretiert. Die Möglichkeit der einseitigen Abrüstung - das darf man heute schon gar nicht mehr benennen - wird als Gefahr eines Weges in die Isolierung der deutschen Außenpolitik und als Gefahr eines deutschen Sonderweges diffamiert. Diese Wortwahl ist typisch für den demagogischen Diskussionsmarathon der letzten Wochen. „Sonderweg" ist die Bezeichnung für den preußischen und deutschen Militarismus, der in diesem Jahrhundert zu den zwei Weltkriegen und zum deutschen Nazismus geführt hat. Wenn sich jemand in diese Tradition stellt, dann sind es nicht die Abrüstungsbefürworter, sondern diejenigen, die gestern den Großen Zapfenstreich abgehalten haben.
Wir möchten - auch mit unserem Antrag - darauf hinweisen, daß noch Zeit für eine Kurskorrektur der deutschen Außenpolitik ist. Wir möchten deutlich machen, daß es einen finanziellen, vor allen Dingen aber den politischen Spielraum gibt - wenn der Wille vorhanden ist; ich sage das gerade im Blick auf die jetzigen Konflikte und die sich anbahnenden Konflikte in Europa, aber auch darüber hinaus -, die zivilen Strukturen endlich mit den Mechanismen der frühzeitigen Konfliktlösung zu versehen und diese Mechanismen auch zum Einsatz zu bringen.
Ich spreche von der Stärkung der OSZE, von der Stärkung der Vereinten Nationen, von der Stärkung konfliktschlichtender Blauhelmkonzeptionen und der Verantwortung der Vereinten Nationen und nicht von „peace enforcement" oder „peace implementation" , die zur Zeit dauernd in den Vordergrund gedrängt werden.
Diese zivilen Strukturen sind in unserer Gesellschaft mehrheitlich gewollt. Das zeigen nicht nur die Umfragen; das zeigen auch die Wahlergebnisse. Schauen Sie sich doch an, woher Sie Ihre Wählerstimmen bekommen. Wer von den Jugendlichen unter 20 Jahren teilt denn Ihre Vorstellungen von der Bundeswehr? Diese Jugendlichen haben die Courage, zu verweigern und Zivildienst zu leisten. Für sie treten wir ein, wenn wir die Abschaffung der Wehrpflicht fordern.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt, daß der Große Zapfenstreich dem Ziel einer
Angelika Beer
friedlichen gesellschaftlichen Außenpolitik widersprochen hat. Wer keinen Krieg führen will, wer die Menschen nicht zum Kriegführen motivieren will, braucht diese Rituale nicht. In diesem Sinn: Helm ab zur Abrüstung!