Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einen entscheidenden Unterschied zu der eben vorgetragenen Position der Kollegin gleich vorweg: Unserem Land wird heute international großes Vertrauen entgegengebracht. Das ist das Verdienst vieler, vieler in der Gesellschaft und vieler Bürger. Aber es ist auch das Verdienst unserer Soldaten, weil sie zum erstenmal in der Geschichte unseres Landes international als Verteidiger einer Demokratie angesehen werden.
Deshalb gehören bei einem solchen Jubiläum unsere Soldaten, auch wenn sie ihren Dienst ansonsten in Kasernen und anderswo versehen, auf die Plätze der Demokratie, wie gestern abend.
Sie brauchen sich dafür nicht zu entschuldigen; sie können sich dort im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen. Denn auch sie haben eine Gewissensentscheidung getroffen: Sie haben sich mit ihrem Gewissen verpflichtet, notfalls mit der Waffe in der Hand Freiheit und Leben von Menschen einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft zu verteidigen, und dafür danken wir ihnen.
Auch sie dienen dem Frieden. Kein Soldat wünscht sich mehr Frieden als der, der sich bewußt entscheidet, seine Pflicht nach der Verfassung zu erfüllen.
Der Aufbau und die Organisation der Bundeswehr vor 40 Jahren haben auf einem ganz anderen Hintergrund begonnen, als wir das in der Geschichte unseres Landes gewohnt waren. Es kam zur demokratischen Einbettung der deutschen Streitkräfte in eine
Dr. Wolfgang Gerhardt
freiheitliche und offene Gesellschaft. Wir sprechen doch deswegen vom Staatsbürger in Uniform. Wir wissen, daß die Bundeswehr zum erstenmal in der Geschichte unseres Landes ihrem Auftrag verpflichtet ist, niemand anderen anzugreifen, sondern uns in den Grenzen unseres Staatswesens zu verteidigen, für das wir uns eine Verfassung gegeben haben.
Wir wissen doch auch, daß heute Befehl, Gehorsam und Disziplin, militärische Führung in Form der inneren Führung, zum erstenmal in der Geschichte unseres Landes nicht mehr einer überhaupt nicht demokratisch legitimierten Führungspersönlichkeit dienen, sondern im Grunde einer demokratischen Wertegemeinschaft verpflichtet sind. Das ist ein gewaltiger Unterschied, den wir jetzt erleben dürfen. Deswegen muß man sich bei solchen Jubiläen dieser entscheidenden Grundlagen immer wieder bewußt werden. Das war die entscheidende Grundlage für die Akzeptanz der Bundeswehr in unserer Gesellschaft. Das war auch die entscheidende Grundlage für ein anderes, ein neues Bild eines deutschen Soldaten, das sich deutlich von dem unterscheidet, das andere vorher abzugeben gezwungen wurden.
Das ist die Chance auch für die Zukunft. Denn die Bundeswehr hat zwei ganz kritische, aber wichtige Aufgaben bewältigt, die man nach 40 Jahren nennen muß: Das war erstens zum erstenmal in der Geschichte unseres Landes die erfolgreiche Einbindung einer deutschen Armee in eine offene, demokratisch verfaßte Gesellschaft, und das war zweitens die Gewährleistung einer glaubwürdigen Landes- und Bündnisverteidigung gemeinsam mit unseren Verbündeten, ohne die der Wiederaufbau und die Wiedervereinigung unseres Landes in Frieden und Freiheit nicht möglich gewesen wären.
Das war die erste deutsche Armee, die nicht auf Sonderwege geführt und nicht in Abenteuer geschickt wurde, sondern die in die Demokratie eingegliedert war. Das ist die gewaltige Leistung von vielen Soldaten. Sie haben für uns international Vertrauen und Ansehen gewonnen. Dafür danken wir alle.
Für die Freie Demokratische Partei sage ich den Soldatinnen und Soldaten, den Beschäftigten der Bundeswehr und auch den Bürgerinnen und Bürgern, die das so wie wir sehen, Dank für ihre Arbeit, für ihre Zustimmung und für die Schaffung der Akzeptanz der Armee.
Wir sind auch durch Soldaten, durch ihren Umgang mit Soldaten anderer Nationen in der Bündnispolitik eigentlich schon viel früher, als der Zwei-plusVier-Vertrag das festgemacht hatte, aus einem Objekt der Geschlagenen zu einem geachteten Bündnispartner geworden. Viel früher haben wir Respekt gehabt, als das ein Zwei-plus-Vier-Vertrag ausdrükken kann. Das ist die ganz deutliche Leistung der Bundeswehr.
Wir haben in diesem Jahr viele Gedenkmomente, die zwischen epochemachenden Ereignissen - dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Vereinigung unseres Landes - der deutschen Nachkriegsgeschichte liegen. Wir müssen aufpassen, daß sie in diesem schnellen Ablauf nicht ein Stück geschichtliche Normalität werden, ohne daß wir uns vergewissern, warum diese Schlüsselentscheidungen und -ereignisse deutscher Geschichte uns das Glück beschert haben, heute hier so leben zu können.
Wir müssen schon ein Stück Vergewisserung betreiben, weil auch auf die neuen Herausforderungen immer ein Fingerzeig aus abgelaufenen Zeiten wichtig ist. Entscheidend ist, daß die Einbindung Deutschlands in die westliche Wertegemeinschaft und das transatlantische Verteidigungsbündnis die große politische Grundentscheidung dieses Landes waren, an der wir festhalten wollen.
Wir wissen heute, daß die Westintegration und die Bündnisfähigkeit der alten Bundesrepublik im geteilten Deutschland Garant für die heutigen Chancen sind. Wir sollten unseren Frieden damit machen. Erhard Eppler hat in einer früheren Feierstunde zum 17. Juni einmal in einem Vortrag zur Versöhnlichkeit zwischen den politischen Grundströmungen dieses Landes aufgerufen.
Es ist wahr, daß die Grundentscheidung Konrad Adenauers, damals von der sozialdemokratischen Partei heftig befehdet, richtig war. Ich sage das als Freier Demokrat sehr gelassen, weil wir diese Entscheidung gestützt haben. Aber ich erinnere eine andere große politische Kraft daran, daß auch die ersten Schritte auf die osteuropäischen Nachbarn zu, für deren Unterstützung die Freien Demokraten fast mit ihrer Existenz eine Bundestagswahl verloren hätten, dazugehören.
Jede politische Grundströmung könnte ihren Beitrag auch anläßlich einer solchen Situation positiv herausstellen. Es ist nicht nötig, darüber zu streiten.
Es gibt Leistungen, die das gemeinsam möglich gemacht haben.
Für die Koalition ist heute wichtig, zu sagen: Ich habe den Eindruck, daß im Kern das Bewußtsein, daß dieses Land das Vertrauen der anderen Länder durch Bündnisfähigkeit braucht und daß wir deshalb international handlungsfähig sein müssen, daß wir mit unseren Partnern zusammen notfalls anderen entgegentreten müssen, nicht überall beheimatet ist. Deshalb erinnere ich daran: Dieses Land muß international in Rechten und Pflichten bündnisfähig und verantwortungsfähig sein.
Das ist der Kern des Lernens aus der Geschichte. Deshalb glaube ich, man kann nicht durch Weg-
Dr. Wolfgang Gerhardt
schauen abtauchen, wenn es auf bestimmte Entscheidungen ankommt. Wer dieses Land regieren will, muß wissen, welche Geschichte dieses Land hat und welche Pflichten der Regierung dieses Landes auferlegt werden.
Wer diese Frage nicht beantworten kann, der kann hier nicht sitzen. Deshalb sitzen der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister für uns zu Recht hier. Denn das ist die positive Grundentscheidung in der Politik Deutschlands.
Ich will für die Freien Demokraten eine Grundentscheidung ausdrücklich befürworten. Die gesellschaftliche Einbettung und die Akzeptanz der Bundeswehr wären ohne die allgemeine Wehrpflicht so nicht denkbar gewesen. Sie ist die entscheidende Klammer zwischen einer Gesellschaft und den Streitkräften; sie ist zugleich Ausdruck des Willens und der Bürgerpflicht, einen eigenen Beitrag zum Schutz von Demokratie und Freiheit zu leisten.
Allein der Verfassungsrang begründet nicht die hohe politische und moralische Qualität der Wehrpflicht. Viele meinen, nach Wegfall der alten Konfrontation könne man über eine Berufsarmee nachdenken. Die Wehrpflicht wird zunehmend durch eine wachsende Zahl von Zivildienstleistenden in Frage gestellt. Nicht wenige diskutieren viele Modelle einer Freiwilligenarmee oder einer allgemeinen Dienstpflicht als Alternative zur Wehrpflicht. Ich meine und sage das für die F.D.P.: Diese Entwicklungen dürfen nicht vom politischen Kern der Wehrpflichtfrage ablenken, wer nämlich in unserem Land die Verantwortung für die Verteidigung trägt. Für mich gibt es eine ganz klare Antwort: Die Verteidigung unserer Freiheit muß auch in Zukunft die Angelegenheit aller bleiben.
Der Schutz von Freiheit und Recht ist nicht ausschließlich als Leistung von Berufssoldaten zu verstehen. Theodor Heuss hat die Wehrpflicht deshalb zu Recht als legitimes Kind einer Demokratie bezeichnet. Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat sie als konstitutives Merkmal unserer Streitkräfte genannt.
Wir sprechen uns für die Beibehaltung der Wehrpflicht aus. Sie ist Ausdruck des Willens einer Demokratie, die Verteidigung der Freiheit als ständige Aufgabe in der gesamten Gesellschaft zu verankern. Wir werden den Gedanken an Wehrpflicht nicht aufgeben, nur weil es schwieriger geworden ist, eine Wehrpflichtarmee zu organisieren.
Wehrpflicht und Wehrgerechtigkeit sind zwei Seiten einer Medaille. Wir müssen Wehrgerechtigkeit gewährleisten. Es ist deshalb Aufgabe der Politik, den Wehrdienst deutlich zu verbessern, immer wieder qualifizierten und motivierten Nachwuchs sicherzustellen.
Es ist wichtige Aufgabe in einer Demokratie, andere Meinungen zu respektieren. Es ist überhaupt keine Frage, daß Zivildienstleistende einen harten
Job versehen, daß sie Wertvolles für unsere Gesellschaft leisten. Wir respektieren ausdrücklich die Gewissensentscheidung eines Zivildienstleistenden.
Wir akzeptieren auch seinen Beitrag für eine freiheitliche Gesellschaft. Wir wehren uns nur in einem: daß über die Gewissensentscheidung so geredet wird, als wären manche das Gewissen selbst. Auch die Soldaten haben Anerkennung verdient, weil sie die gleichen Ziele der Friedenserhaltung wie die Zivildienstleistenden mit anderen Mitteln verfolgen.
Deshalb darf sich eine Gesellschaft in diesen Diskussionen nicht spalten lassen. Auch unsere Soldaten dienen dem Frieden.
Die Bundeswehr hat als Armee der deutschen Einheit in den letzten fünf Jahren die zweite große Aufbauleistung ihrer Geschichte gemeistert. Sie hat mit unglaublichem Engagement, mit viel menschlichem und kameradschaftlichem Einsatz, einen Vereinigungsprozeß ganz konkret vollzogen. Es mag im Bereich der Wirtschaft über Joint-ventures diskutiert werden, über den Kauf eines Betriebes. In der Bundeswehr haben bei dieser gewaltigen Leistung in bezug auf die ehemalige NVA Personen täglich nebeneinander diesen Vereinigungsprozeß leisten müssen. Das ist eine gewaltige Leistung der deutschen Soldaten,
auch in einer massiven Verkleinerung von über 600 000 auf demnächst 340 000 Soldaten, mit vielen Umzügen, mit Belastungen, mit familiären Problemen. Es gibt angesichts vieler Saturiertheiten einer freiheitlichen Gesellschaft in unserem Land kein Berufsbild, das Veränderungen mit diesem Tempo in einem solchen Pflichtgefühl wie die deutschen Soldaten in dieser Zeit auf sich genommen hat.
Dafür müssen wir den gesamten Familien Dank und Anerkennung aussprechen.
Fünf Jahre deutsche Einheit - das bedeutet außen- und sicherheitspolitische Souveränität. In diesen fünf Jahren hat sich Deutschland seiner gewachsenen internationalen Verantwortung für den Frieden erfolgreich gestellt. Dieser Prozeß ist angesichts der Rückkehr von Gewalt, Haß und Nationalismus und eines brutalen Terrors in der Mitte Europas noch nicht am Ende.
Wir wollen eine Kultur der Zurückhaltung üben. Sie beruht auf der historischen Erfahrung zweier Weltkriege. Sie wird auch in Zukunft, wie das der Bundesaußenminister immer ausführt, unser internationales Engagement bestimmen. Aber Zurückhaltung und Gewaltverzicht können nicht am Ende bloß Wegschauen bedeuten.
Deshalb sage ich auch hier: Die Entscheidung in der Bosniendebatte, die wir in diesem Haus geführt
Dr. Wolfgang Gerhardt
haben, eine der neuen Schlüsselentscheidungen der deutschen Politik, die sich, die sie befürwortet haben, gegenüber den Soldaten nicht leichtgemacht haben, war schwierig, aber sie war doch - das wiederhole ich hier - richtig. Sie hat eben nicht, wie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damals behauptet hat, zu einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik geführt. Sie hat auch nicht, wie die Mehrheit der SPD damals behauptet hat, zu einer Eskalation der Gewalt geführt. Die Entscheidung, die wir mit anderen getroffen haben, hat dazu geführt, daß zum erstenmal die Chance eines Friedensprozesses in BosnienHerzegowina eröffnet wird. Das ist die Wahrheit nach diesen Tagen.
Das wird später als eine große Schlüsselentscheidung des deutschen Parlaments bewertet werden; ich sehe das jedenfalls so.
Ich glaube, wir haben Glück gehabt, daß wir in unserem Land wichtige Grundentscheidungen in Kernfragen nach langer und kontroverser Beratung immer einigermaßen richtig getroffen haben. Auch diese Entscheidung, die die Bundeswehr betrifft, ist richtig getroffen worden; denn glaubwürdige Friedenswahrung muß in letzter Konsequenz auch die Bereitschaft zum Kampfeinsatz beinhalten. Das Völkerrecht kann sich nicht selbst schützen. Es muß von denen geschützt werden, die es tragen. Oder es wird nicht geschützt, und es wird nirgends mehr respektiert.
Wir wollen dort möglichst schnell zu einem Friedensschluß kommen. Der Bundesaußenminister, der Bundesverteidigungsminister und der Bundeskanzler müssen wissen: Sie haben die Unterstützung der F.D.P. bei einer deutschen Beteiligung an der vorgesehenen NATO-Friedenstruppe. Ich wünsche mir, daß der dann dafür notwendige Beschluß des Bundestages mit größerer Mehrheit gefaßt wird als der damalige Beschluß. Das wäre für die Soldaten als entscheidendes Signal der Politik in Deutschland wichtig.
Meine Damen und Herren, als dieses Land zusammengebrochen war, war die erste Forderung: Niemals wieder Krieg! Der europäische Aufbau und unser eigener Umgang mit dem Bündnis haben dazu geführt, daß wir in einer Stabilitätsgemeinschaft leben. Wir müssen alles versuchen, um Konfrontation und Renationalisierung in Europa zu verhindern. Das wird auch in Zukunft Ziel der Außenpolitik bleiben müssen. Wir werden das in engerer Abstimmung und in stärkerer gesamteuropäischer Verantwortung und Orientierung in Europa wahrnehmen müssen.
Für diese Aufgabe ist in Zukunft eines unverzichtbar: Man kann Frieden nicht schützen, man kann Menschen nicht helfen, wenn man nicht über Soldaten verfügt.
Die Bundeswehr hat Zukunft. Sie muß wissen, daß sie sich auf die politische Unterstützung der F.D.P. und der Koalition bei ihrem gewachsenen, klaren,
schwieriger gewordenen, aber demokratischen Auftrag verlassen kann.
Wer Freiheit verwirklichen und schützen will, braucht Macht. Niemals wurde das dramatischer erfahren als beim ersten Versuch einer Verfassungsgebung in Deutschland in der Paulskirchenversammlung.
Eine Demokratie braucht Streitkräfte. Unsere Soldaten sind dazu da, uns, unsere Gesellschaft in ihrer freiheitlichen Verfassung in den Grenzen unseres Landes zu verteidigen. Sie werden auch bei der Erfüllung ihrer neuen, internationalen Aufgaben das bleiben, was sie 40 Jahre für uns gewesen sind: Soldaten in der Bundeswehr, eine Armee der Freiheit und der Demokratie. Wir danken ihnen.