Rede von
Werner
Schulz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner hat ein beredtes Beispiel geliefert, das deutlich macht, daß Sie selbst nach fünf Jahren deutscher Einheit immer noch nicht die Verhältnisse in der DDR durchschauen.
Werner Schulz
Darin liegt die eigentliche Ursache dafür, daß Sie dieses verschleppte Problem heute immer noch vor sich herschieben, warum Sie das Problem der Altschulden heute noch nicht verstehen, warum Sie an dieser Stelle solche entscheidenden Fehler machen, obwohl Sie an anderer Stelle, z. B. in der Präambel des Einigungsvertrages, von einer friedlichen Revolution sprechen, auf die Sie immerzu Bezug nehmen.
Nach dieser Revolution, in der es zu einer Umwälzung der Verhältnisse gekommen ist, bei der nicht ein Stein auf dem anderen geblieben ist, nicht ein Aktenordner mehr neben dem anderen steht, übernehmen Sie ausgerechnet die Altschulden in den Rechtsstaat. Sie haben somit dazu beigetragen, daß aus diesen fragwürdigen Verrechnungseinheiten - denn nichts anderes ist das -
regelrechte Altschulden geworden sind, die heutzutage die Kommunen, aber auch landwirtschaftliche Betriebe und, wie wir das bei der Privatisierung der Treuhand erlebt haben, Gewerbebetriebe in den Ruin treiben.
Heute haben wir die absurde Situation - meine Vorrednerin hat das bereits gesagt -, daß 16 % der ostdeutschen Kommunen exorbitant verschuldet sind. In einer Situation, in der sie das kommunale Selbstbestimmungsrecht eigentlich als einen Segen dieser Demokratie erleben könnten, weil es ihnen die Möglichkeit der freien Gestaltung gibt, wird ihnen diese Garrotte aus der Vergangenheit zum Verhängnis.
Nun ist es nicht etwa so, daß die anderen Städte gut gewirtschaftet hätten; die haben nur Glück gehabt. Die sind in die Vorgaben, Auflagen, die von der Staatlichen Plankommission bei von dieser verordneten Bauvorhaben gemacht worden sind, nicht einbezogen worden. Manche haben sogar doppelt Glück gehabt: Denen ist nämlich sogar etwas gebaut worden, was sie gar nicht bezahlen mußten. Wenn Sie sich z. B. die ehemalige Hauptstadt Ost-Berlin anschauen, dann stellen Sie fest, daß die schuldenfrei ist.
Andere Städte haben darunter gelitten, daß ihnen materiell-technische Kapazitäten, Baukapazitäten entzogen worden sind, die dann - durch Plan und Gegenplan, Jugendinitiativen und dergleichen mehr; vielleicht haben Sie mal etwas davon gehört, Herr Austermann - für Bauten in Ost-Berlin genutzt worden sind.
Ich befürchte - darüber sollten wir uns einmal ganz offen und ehrlich verständigen -, daß der Bundesfinanzminister im Moment äußerst angeschlagen und bereit ist, zum äußersten Mittel zu greifen. Er befindet sich in einer Situation, in der offenbar jeder Groschen benötigt wird. Offenbar möchte man über Mahnbescheide selbst die Zinsen auf die Altschulden eintreiben, um die Milliardenlöcher im Haushalt
zu stopfen. Man möchte die Postbank AG möglichst lukrativ veräußern,
obwohl gerade bei der Veräußerung der DDR-Staatsbank, der Deutschen Kreditbank, deutlich geworden ist, daß man sich dabei keineswegs mit Ruhm beklekkert, sondern - im Geenteil - ein Milliardenverlustgeschäft für diesen Staat gemacht und auf die Steuerbürger abgewälzt hat. Ich glaube, das ist ein Kapitel, über das wir uns hier noch etwas intensiver unterhalten müssen; denn das, was hier passiert ist, ist ein Finanzskandal, gegenüber dem die Affären Graf und Zwick - und wie sie alle heißen mögen - fast Peanuts sind.
Ich meine, wer die Sache richtig versteht, der wird begreifen: Hier liegen, wenn überhaupt, Schulden des Bundes vor, zu denen man stehen sollte. Ein wirkliches Zeichen des guten Willens wäre zunächst der Verzicht der Bundesregierung auf die verlangten Zinsen, wäre auch der definitive Verzicht auf die angedrohten Mahnbescheide. Der beste Weg wird meiner Meinung nach der sein, daß sich Bund, Länder und Kommunen zusammensetzen und hier eine politische Lösung finden. Alles spricht meines Erachtens dafür, daß es zu einer völligen Entschuldung der Kommunen kommen muß.