Rede von
Andrea
Lederer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten in dieser Woche zwei Jubiläen. Das eine war der 50. Jahrestag der Gründung der UNO, das andere war der 40. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr. Was mir eigentlich Sorge bereitet, ist, daß sich der Kanzler weigert, zur UNO zu fahren, weil seine Redezeit begrenzt ist - ich bin auch für nur fünf Minuten hierhergekommen -, und daß er auch in der Bundestagsdebatte dazu nicht spricht,
während er heute zum 40jährigen Jubiläum der Bundeswehr spricht.
- Zu Beginn hat Herr Kinkel gesprochen.
Das hatte auch seine Gründe. Damit haben Sie den unterschiedlichen Stellenwert deutlich gemacht, den UNO und Bundeswehr in Ihrer Politik haben. Das darf man wohl noch kritisch und zugleich auch besorgt feststellen.
Die Bundeswehr ist im kalten Krieg entstanden. Das ist wahr. Nun vertreten alle die These, daß aus dem kalten kein heißer Krieg wurde, weil es die Bundeswehr gegeben hat. Ich halte diese These zumindest für sehr leichtfertig; denn in der Zeit, in der es keine Bundeswehr gab, ist aus dem kalten auch kein heißer Krieg geworden. Das heißt, ich glaube, daß diese zwangsläufige Feststellung abenteuerlich ist.
Wenn sie denn zutreffen sollte, müßten Sie allerdings hinzufügen, daß es dann auch berechtigt wäre, zu sagen, daß die NVA mit dafür gesorgt hat, daß aus dem kalten Krieg kein heißer wurde. Damit stünden Sie vor einer komplizierten Frage.
- Wissen Sie, mich wundert eines. An dem 3. Oktober
1990 wird vieles gewürdigt, nur eines nicht, und das
halte ich für das Entscheidende: Seit dem 3. Oktober
1990 ist endlich die Gefahr vorbei, daß es einen Krieg zwischen den beiden deutschen Staaten gibt.
Das ist, wenn Sie so wollen, das positivste Ergebnis der deutschen Einheit.
Wenn wir schon über die NVA sprechen - über die ich viel Kritisches sagen könnte -, muß ich Ihnen eines vorhalten: Es ist eine historische Leistung, daß eine Armee, die für einen Staat da ist, bei der Auflösung dieses Staates genau nicht zur Waffe greift
und daß es auch keinen solchen Befehl gab, sondern daß sie sich friedlich auflöst und mit dem Staat zusammen untergeht. Das hat es in der Geschichte noch nie gegeben. Das will ich an dieser Stelle ausdrücklich würdigen.
Sie sprechen in diesem Zusammenhang immer von der Armee der Einheit. Das ist allerdings mehr eine Illusion als eine Tatsache. Von 50 000 Berufssoldaten haben Sie 11 000 übernommen. Davon sind heute noch 2 575 in der Bundeswehr. Da kann man natürlich leicht von einer „Armee der Einheit" reden.
Sie haben dort ganz unterschiedliche Besoldungsgruppen. Wenn jetzt jemand mit 53 Jahren aus der Bundeswehr entlassen wird und er aus dem Osten kommt, bekommt er 1 844 DM und muß davon noch Sozialversicherung bezahlen. Anschließend muß er Sozialhilfe beantragen. Jemand, der von Anfang an im Westen gedient hat, bekommt 3 465 DM brutto. Das heißt: Es gibt eine klare soziale Spaltung innerhalb der Bundeswehr, übrigens zum Teil in bezug auf völlig idiotische Dinge, nämlich beispielsweise in Abhängigkeit davon, wo man den Dienstvertrag unterschreibt. Unterschreibt man ihn in Westberlin, bekommt man Westbezüge; unterschreibt man ihn zufällig in Ostberlin, bekommt man Ostbezüge. Rational ist das Ganze nicht zu erklären. Vielmehr dient es auch nur der Demütigung.
Herr Eppelmann hat erklärt, daß er umdenken mußte, daß er Pazifist war, daß er den Wehrdienst verweigert hat, daß er Abrüstungsminister werden wollte und auch wurde, daß er heute ein tiefes Bekenntnis zur Bundeswehr, zur NATO und zu internationalen Einsätzen der Bundeswehr ablegt und daß das eben daran liegt, daß die Armeen nicht gleich sind, die Bündnisse nicht gleich sind und auch offensichtlich die Kriege nicht gleich sind. Ich denke, Sie, Herr Eppelmann, hätten nur noch hinzufügen müssen, daß dieses Ihr Bekenntnis auch damit zu tun hat, daß Sie natürlich andernfalls nicht hätten CDU-Abgeordneter im Bundestag werden können und auch nicht Mitglied im Präsidium der CDU.
Dr. Gregor Gysi
Dann wären wir der Wahrheit schon etwas näher gekommen.
Ich glaube eben, daß es eine Fehlentwicklung ist, daß die Hoffnungen, die am 3. Oktober 1990 bestanden, nämlich die einer Demilitarisierung der Gesellschaft, sich völlig zerschlagen haben und wir eine permanente Militarisierung erleben.
Ich habe es doch noch erlebt: Als ich ein Kind war, war schon der Besitz einer Wasserpistole verpönt. Dann habe ich erlebt, wie sich auch unser Leben gesellschaftlich sozusagen militarisiert hat, was ich unerträglich fand. Mein Bedarf an Großen und Kleinen Zapfenstreichen und Militärparaden ist in der DDR ein für allemal gedeckt worden. Meine schwache Hoffnung, daß das wenigstens hier nicht stattfindet, haben Sie gestern zerstört. Jetzt stelle ich fest: Das gleiche Säbelgerassel, dasselbe Getue
- ja -, nur um der Bevölkerung klarzumachen, wie wichtig Ihnen das Militär ist. Deshalb veranstalten Sie doch diesen Großen Zapfenstreich, um uns an die Militarisierung der Außen- und der Innenpolitik zu gewöhnen. Genau dagegen richtet sich unser Widerstand.
Sie sind dann gestern noch weiter gegangen. Sie haben gestern das erste Mal über das Brandenburger Tor Tornados, Phantom-Flugzeuge und MiGs geschickt.
Was wollten Sie denn eigentlich der Berliner Bevölkerung zu verstehen geben? frage ich Sie. Dazu haben Sie nicht Stellung genommen.
Wir bleiben ganz entschieden dabei, daß wir die internationalen Konflikte mit nichtmilitärischen Mitteln lösen müssen. Für uns kommt ein Bundeswehreinsatz unter Blauhelmen oder anderen Helmen nicht in Frage. Deshalb wenden wir uns dagegen.
Sie wissen, daß wir gegen die Wehrpflicht sind. Ich habe jetzt keine Zeit, das hier näher auszuführen. Für uns geht es um das Signal der Entmilitarisierung, das sich damit verbinden würde, auch mit der Abschaffung der anderen Zwangsdienste.
- Eines muß ich zu dem Zwischenruf sagen: Den Pazifismus haben Sie vorhin verurteilt. Wenn überhaupt, dann hat er seinen Ursprung in der Bergpredigt. Sie nennen sich christlich; also sollten Sie einmal darüber nachdenken.
Aber wenn es schon eine Wehrpflicht gibt, dann ist es ein Skandal, daß beim Sozialabbau in erster Linie die Wehrpflichtigen herhalten müssen und natürlich nicht die Offiziere und die Berufssoldaten. Das ist Ihre Art.