Rede von
Winfried
Nachtwei
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geburtstage sind in der Regel Anlaß für Lobeshymnen, Umarmungen und oft auch Rauschzustände. Hiervon hat es in den letzten Wochen aus Anlaß des 40jährigen Bestehens der Bundeswehr reichlich gegeben. Unsere Aufgabe hier und heute ist, zu einer nüchternen Zwischenbilanz beizutragen. Das will ich aus unserer Perspektive versuchen.
Die Gründung der Bundeswehr wurde gegen den Willen eines Großteils der Bevölkerung durchgesetzt und war keineswegs d e r demokratische Neuanfang, wie es heute verklärend dargestellt wird. Sie wissen, daß damals wegen der Wiederbewaffnung Gustav Heinemann aus der CDU ausgetreten ist.
Winfried Nachtwei
Den Aufbau der Bundeswehr prägten 10 000 ehemalige Wehrmachtsoffiziere, die zur Bedingung ihrer Mitarbeit die „Rehabilitierung des deutschen Soldaten" gemacht haben. So wurde die aktive Beteiligung der Wehrmacht am nationalsozialistischen Vernichtungskrieg systematisch verdrängt und die Legende von der „sauberen Wehrmacht" und ihren sogenannten soldatischen Leistungen zur jahrzehntelangen Lebenslüge und faktisch vorherrschenden Traditionslinie in der Bundeswehr. Das ging einher mit der Achtung derjenigen ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die damals nicht mehr mitgemacht haben, der Deserteure. Das ging einher mit einem Bild von der Sowjetunion, das sich kaum von dem vor 1945 unterschied und das bis Ende der 80er Jahre so fortexistierte.
Eindeutig stellt der Traditionserlaß von 1982 fest: „Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen." Dieser Anspruch ist bis heute längst nicht durchgesetzt. In unserer Debatte zur Benennung von Kasernen nach antidemokratischen - sogenannten - „Helden" der Wehrmacht wurde das überdeutlich. Daß weiterhin, über sieben Jahre lang, Kasernen nach überzeugten nationalsozialistischen Generälen benannt sind, ist ein fortdauernder Skandal.
Kein Wunder, daß es angesichts solcher Un-Vorbilder in der Truppe des öfteren zu einem kritiklosen Rückgriff auf Wehrmachtstraditionen kommt, wie der Wehrbeauftragte selbst bemängeln mußte.
Es ist allen Armeen gemeinsam, daß ihre Soldaten gegebenenfalls für ihren Auftrag zerstören, töten und verstümmeln und dabei selbst Leben und Gesundheit riskieren müssen. Unterhalb dieser Ebene können wir aber nicht verkennen, daß sich die Bundeswehr in wesentlichen Punkten von allen früheren deutschen Armeen und der Nationalen Volksarmee unterscheidet.
Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung mit der Waffe, das verfassungsmäßige Verbot des Angriffskrieges, den Primat der Politik, die Innere Führung mit dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform", die rechtsstaatliche Bindung von Befehl und Gehorsam und vor allem die Institution des Wehrbeauftragten nenne ich als besondere Merkmale.
Die Bundeswehrangehörigen sind so sehr in die Gesellschaft integriert, daß von einem „Staat im Staate" keine Rede sein kann. Wie weit dieser hohe Anspruch der Inneren Führung auch in die Tat umgesetzt wird, muß sich jeden Tag neu erweisen. Das zeigt sich nicht zuletzt am Umgang von Vorgesetzten mit internen Kritikern. Die Männer des „Darmstädter Signals" wissen ein Lied von der oft mangelnden demokratischen Souveränität von Vorgesetzten zu singen.
Mit der Auftragserweiterung der Bundeswehr und der Forderung nach mehr Härte in der Ausbildung gerät die Innere Führung insgesamt wieder stärker unter Druck. Wenn politische Bildung vielfach vernachlässigt wird, wenn laut Bericht des Wehrbeauftragten in der Truppe wiederholt körperliche und Kollektivstrafen angewandt werden, also schikaniert wird, dann sind das beunruhigende Zeichen.
Stolz behaupteten die vorherigen Festredner, die Bundeswehr habe 40 Jahre Frieden und Freiheit garantiert. Als Angehöriger der Nachkriegsgeneration bin ich in der Tat froh, bisher keinen Krieg erlebt haben zu müssen. Aber die Tatsache, daß die Blockkonfrontation glimpflich zu Ende ging, kann das System der atomaren Abschreckung und die Rolle der Bundeswehr dabei nachträglich keineswegs heiligsprechen:
Über Jahrzehnte pflegte man in Ost und West völlig überzogene Bedrohungsbilder, kräftig geschürt von entsprechenden Rüstungsinteressen. Die atomare Abschreckung baute auf der Bereitschaft zum atomaren Völkermord auf. Sie ging schließlich mit einem sich gegenseitig hochschaukelnden Wettrüsten einher, das gigantische Summen fraß. Die Jahrzehnte des ostwestlichen Rüstungswahns waren für die soziale und ökologische Entwicklung der Menschheit verlorene Jahre.