Rede von
Günther Friedrich
Nolting
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundeswehr und alle die, die ihr als Grundwehrdienstleistende, als Freiwillige, als Reservisten oder als Zivilangestellte dienen und gedient haben, sicherten zusammen mit unseren Freunden und Partnern Deutschland und Europa vier Jahrzehnte den Frieden. Sie tun dies bis heute. Der Dienst der Bundeswehrangehörigen war und ist somit Friedensdienst und verdient als solcher Anerkennung.
Herr Kollege Kolbow, der Platz für den Zapfenstreich gestern abend war richtig. Die Bundeswehr ist eine, ist die Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland.
Herr Kollege Nachtwei, auch Sie sollten dies zur Kenntnis nehmen. Sie sollten ebenfalls die Erfolge in der Abrüstung, in der Abrüstungskontrolle anerkennen. Wenn Sie hier den Anstieg der Mittel für den Verteidigungshaushalt ansprechen, so vergewissern Sie sich bitte noch einmal: Das waren Mittel für Personalstärkung, also Gelder für tarifliche Gehaltserhöhungen. Ich denke, daß unsere Soldaten hierauf auch einen Anspruch haben.
Meine Damen und Herren, die vor 40 Jahren gegründete deutsche Bundeswehr hat ihren Auftrag zur Verteidigung Deutschlands und Mitteleuropas erfüllt. Ihre bisherige Organisationsstruktur war überwiegend auf die Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichtet. Heute dagegen müssen unsere Streitkräfte an die neuen politischen Verhältnisse angepaßt werden. Dieser Prozeß ist in Gang gesetzt worden. Dabei bleibt die feste Bindung in das Nordatlantische Bündnis die grundsätzliche Voraussetzung für eine erfolgversprechende europäische Entwicklung.
Parallel zum Umstrukturierungsprozeß der NATO hat die Bundeswehr eine bewundernswerte Leistung für die deutsche Einheit erbracht, die sich zahlreiche gesellschaftliche Institutionen und Organisationen zum Vorbild nehmen sollten. Meine Damen und Herren, die Armee der Einheit hat sich bewährt.
Ich bin zuversichtlich, daß unsere Streitkräfte in gleicher Weise Hervorragendes leisten werden, wenn es darum geht, mit ehemaligen Gegnern und
Günther Friedrich Nolting
heutigen Freunden im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden zusammenzuarbeiten. Herr Minister Rühe, Sie haben auf diesen Bereich schon hingewiesen. Das Vertrauenskapital, das hier aufgebaut wird, reicht weit über die Sicherheitspolitik hinaus in andere Politikbereiche hinüber. Darüber sind sich, glaube ich, viele nicht im klaren, die eine Armee bestenfalls als notwendiges Übel betrachten.
Die Wehrpflicht bleibt aus ideellen Gründen wie praktischen Überlegungen weiterhin ein legitimes Kind der bundesdeutschen Demokratie. Der Kollege Gerhardt hat dies schon angesprochen. Ich will aber eins dazusagen: Es muß dem in der jüngeren Vergangenheit entstandenen Eindruck entgegengewirkt werden, es handele sich hier um ein Stiefkind.
Die historisch gewachsene sehr kritische Einstellung großer Teile der Gesellschaft bzw. auch der meinungsbildenden gesellschaftlichen Gruppen würde sich bei einer Aufgabe der Wehrpflicht - wie von vielen hier im Hause gefordert - in Gleichgültigkeit wandeln. Diese Gleichgültigkeit wäre aus meiner Sicht weitaus gefährlicher für unser Gemeinwesen als jede noch so distanzierte Kritik, die immerhin noch ein gewisses Interesse deutlich macht. Dies gilt auch für öffentliche Veranstaltungen der Bundeswehr, wie z. B. gestern für den Zapfenstreich.
Meine Damen und Herren, die Meinungsfreiheit gehört zu den Grundrechten der Bundesrepublik Deutschland. Ich sage an dieser Stelle aber ganz offen: Ich schäme mich für das, was wir gestern abend von einigen sogenannten Demonstranten hören mußten.
Die Soldaten der Bundeswehr verteidigen das Recht und die Freiheit, auch das Recht und die Freiheit dieser Demonstranten. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich für die F.D.P.-Bundestagsfraktion bei der Bundeswehr, der Polizei, dem Bundesgrenzschutz und allen anderen bedanken, daß dieser Zapfenstreich gestern abend stattfinden konnte. Ich hoffe, Herr Minister, daß ähnliche öffentliche Zapfenstreiche auch in Zukunft noch stattfinden werden.
Ich halte es für mehr als bedenklich, wenn ein Kollege der traditionsreichen - ich betone ausdrücklich: traditionsreichen! - SPD den gestrigen Großen Zapfenstreich als - ich zitiere - „mieses Geburtstagsgeschenk" für die Bundeswehr bezeichnet hat. Herr Kollege Kolbow, ich hätte heute zumindest erwartet, daß Sie sich von dieser Aussage eindeutig distanzieren.
- Sie haben von Sonntagsreden gesprochen. Dann müssen Sie hier auch zeigen, wie Sie zu solchen Aussagen stehen.
Graf Einsiedel - er ist jetzt nicht mehr hier -, ich weise die Diffamierungen gegenüber den Soldaten
der Bundeswehr zurück, die Sie in diesem Zusammenhang hier vorgenommen haben. Die Bundeswehr ist demokratisch legitimiert. Aber dies werden Sie als Vertreter der SED-Nachfolgeorganisation wahrscheinlich nie verstehen. Ich habe den Eindruck, daß einige von ihnen immer noch dem alten System nachtrauern.
Meine Damen und Herren, ich denke, solch eine Geburtstagsfeier bietet auch die Möglichkeit zu einem Ausblick in die Zukunft. Ich will hier einige wenige Punkte nennen:
Erstens. Es muß eine umfassende gesamtgesellschaftliche Diskussion über die zukünftige Rolle deutscher Streitkräfte geführt werden, die die neue außenpolitische Situation Deutschlands berücksichtigt. Ausgangspunkt dafür sollte die heutige Diskussion sein, die aber auf allen Ebenen fortgesetzt werden muß. Es genügt eben nicht, hier eine Feierstunde abzuhalten und ab morgen wieder zur Tagesordnung überzugehen. Ich denke, Herr Kollege Kolbow, wir werden Sie beim Wort nehmen, auch wenn es um die Frage des Konsenses geht.
Zweitens. Es muß erreicht werden, daß zukünftig schneller klare politische Vorgaben für die Streitkräfte erlassen werden, die nicht auf Knopfdruck einen Auftrag erfüllen können, sondern die sich entsprechend vorbereiten müssen. Auch hier, denke ich, ist eine verantwortungsbewußte Opposition gefordert.
Drittens. Das Recht auf Wehrdienstverweigerung bleibt ein wichtiges Grundrecht. Wehr- und Zivildienst müssen aber im Bewußtsein der Bevölkerung, besonders der jungen Menschen, wieder in das Verhältnis zueinander gerückt werden, das das Grundgesetz ihnen zumißt.
Viertens. Der Deutsche Bundestag sollte noch in dieser Legislaturperiode die gesetzlichen Möglichkeiten schaffen, die Bundeswehr für Frauen in allen Bereichen gleichberechtigt zu öffnen, wenn diese auf freiwilliger Basis Dienst in der Bundeswehr leisten wollen.
Fünftens. Die jetzt geschaffene Bundeswehrstruktur muß sich festigen und die Streitkräfte ins nächste Jahrhundert führen. Hierzu ist es unabdingbar, daß für den Haushalt der Bundeswehr weiterhin Planungssicherheit besteht. Wenn man den Streitkräften Aufträge erteilt, bei denen sie gegebenenfalls auch ihr Leben einsetzen müssen, dann haben auch ihre Familien Anspruch auf unsere Unterstützung. Herr Kollege Nachtwei, die Soldaten haben aus dieser Frage heraus einen Anspruch auf ausreichend gutes Gerät und Ausstattung. Ich denke, das gebietet die Fürsorge, die wir gerade als Mitglieder des Verteidigungsausschusses gegenüber diesen Soldaten haben.
Sechstens. Der Grundwehrdienst muß materiell, aber auch ideell attraktiver gemacht werden. Ein erster Schritt im materiellen Bereich wird durch das
Günther Friedrich Nolting
heute hier zu verabschiedende Wehrrechtsänderungsgesetz getan. Insbesondere die Mobilitätszulage und das doppelte Verpflegungsgeld sowie das Vorziehen des Dienstzeitausgleichs auf den vierten Dienstmonat sind erste Maßnahmen, die wir begrüßen. Als weitere Schritte werden wir uns als F.D.P. dafür einsetzen, den Dienstzeitausgleich in finanzieller Form vom ersten Tag an zu gewähren. Ich denke, wir werden uns im kommenden Jahr auch über eine Wehrsolderhöhung unterhalten müssen.
Siebtens. Ein ganz wichtiger Bereich - ebenso wichtig wie die materielle Besserstellung - ist die ideelle Akzeptanz der Bundeswehr und besonders auch der Wehrpflichtigen. Hier ist die Politik gefordert, aber nicht nur sie, sondern darüber hinaus auch alle anderen gesellschaftlich relevanten Gruppen: die Kirchen, die Gewerkschaften, die Verbände und insbesondere auch die Medien.
Meine Damen und Herren, ich will auf einige wenige Vorredner kurz eingehen. Herr Kollege Nachtwei, die Grünen „gratulieren der Bundeswehr nicht". Dies habe ich einer Pressemeldung entnommen. Es heißt weiter:
Erst dann, nach der Abschaffung der Bundeswehr, haben wir einen wirklichen Grund zum Feiern.
Aber es heißt hierin auch:
40 Jahre nach der Gründung der Bundeswehr üben deutsche Soldaten für den Einsatz auf dem Balkan. Wir können Verteidigungsminister Volker Rühe für diesen unrühmlichen Schritt nicht gratulieren.
Haben Sie von den Grünen eigentlich vergessen, welche Greuel - Mord, Vergewaltigung, Verschleppung und Vertreibung - sich in diesen Gebieten abspielen bzw. abgespielt haben? Ich denke, das, was Sie hier aufgezeigt haben, ist an Menschenverachtung nicht mehr zu überbieten.
Eine Waffe ist nicht ein Übel, nur weil es eine Waffe ist. Sie wird vielmehr zum Übel in der Hand des Gangsters, der damit Geiseln bedroht oder tötet; in der Hand des Polizisten, der die Geiseln vor ihrem Schicksal rettet, ist diese Waffe etwas Positives. Genauso verhält es sich mit Streitkräften, die demokratisch kontrolliert und legitimiert zur Wahrung von Recht und menschlichen Werten eingesetzt werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Abschluß sagen: Die F.D.P. steht zu dieser Wehrpflichtarmee. Wir stehen zu dieser Armee, die in den letzten 40 Jahren Großartiges geleistet hat. Ich weiß, daß die deutsche Außenpolitik Verantwortung für 40 Jahre Frieden in diesem Vaterland trägt - wie sollte ich gerade als Liberaler das vergessen? -, aber all das, was wir erreicht haben, wäre ohne diese Bundeswehr nicht möglich gewesen.
Entschuldigen Sie bitte meine Stimme. Da weiß man eine Zweitstimme erst einmal zu schätzen.
Vielen Dank.