Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gäbe es einen Preis für Schönfärberei bei der Begründung von Gesetzestexten und einen für Rücksichtslosigkeit gegenüber sozial benachteiligten Gruppen in unserer Gesellschaft, die Bundesregierung bekäme beide.
Dieser Gesetzentwurf heute ist dafür wieder ein schönes Beispiel. So sprechen Sie in Ihrer Zielsetzung für die Änderung von drei Gesetzen von einer „Weiterentwicklung" des Asylbewerberleistungsgesetzes und verbergen hinter dieser Begrifflichkeit die dreifach verlängerte zeitliche Ausgrenzung von mehr Flüchtlingen als bisher aus dem untersten sozialen Netz, dem BSHG. Sie äußern sich besorgt um die „Funktion" der Arbeitslosenhilfe als einer besonderen staatlichen Fürsorgeleistung für Arbeitnehmer und kaschieren damit schlicht die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe, die Verschiebung von arbeitslosen Menschen in die Sozialhilfe und die erneute zusätzliche Belastung kommunaler Haushalte.
Sie weisen zur Änderung des Schwerbehindertengesetzes auf die „Aufgabe der Daseinsvorsorge" der Länder hin und meinen nichts anderes als die Kostenverlagerung vom Bund auf die Kommunen. Die Zielsetzung dieses Gesetzentwurfes läßt sich aber mit einem einfachen Satz zusammenfassen: Der Bund will eine Milliarde DM sparen, und zwar zu Lasten von Arbeitslosen und Flüchtlingen, womit er sich wieder einmal besonders „privilegierte" Gruppen heraussucht, und zu Lasten der Kommunen und Länder. Das Schicksal von Menschen machen Sie zur Verhandlungsmasse: Flüchtlinge gegen Arbeitslose.
Der skandalöse Deal lautet: Wir, der Bund, kürzen die Ausgaben für Flüchtlinge um den Betrag, den die Kommunen und die Länder für die Mehrausgaben für Arbeitslose und für die Übernahme der Erstattung von Fahrgeldausfällen für Schwerbehinderte im Nahverkehr brauchen. Diese Art Kompensationsgeschäft war es also, die Minister Seehofer einen „angemessenen Ausgleich" für die Kommunen nannte, als wir in der ersten Lesung zur Änderung des BSHG vor weiteren Verschärfungen und Kürzungen im AFG warnten. Die Streichung der originären Arbeitslosethilfe betrifft ca. 38 000 Arbeitslose, vor allem junge Leute, die nach ihrer Schul-, Hochschul- und Berufsausbildung keine Stelle finden. Auf sie wartet als deprimierender Start ins Berufsleben eine steile Rutschbahn in die Sozialhilfe.
Sozialpolitisch völlig unverantwortlich ist die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe für diejeni-
Brigitte Lange
gen, die fünf Monate und mehr, aber noch keine zwölf Monate Beiträge gezahlt haben.
Gerade angesichts der zunehmenden Zahl befristeter und ungesicherter Arbeitsverhältnisse dürfen diese Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht vom Bezug von Lohnersatzleistungen ausgeschlossen werden.
Mit dieser Salamitaktik - erst die Begrenzung der originären Arbeitslosenhilfe auf ein Jahr, jetzt die völlige Streichung - entzieht sich die Bundesregierung der Verantwortung für ihre eigene Politik und schiebt sie an die Kommunen weiter. Das bedeutet für die kommunalen Haushalte 600 Millionen DM Mehrausgaben und für die Betroffenen schlechtere Konditionen als im AFG: zum Teil bei der Höhe der Leistungen, weil die Bemessungsgrundlage eine unterschiedliche ist - einmal der Bedarf, einmal das letzte Nettoentgelt -, aber immer bei der Anrechnung von Vermögen, bevor Anspruch auf Sozialhilfe besteht. Das bedeutet auch immer im Vergleich zum AFG verschärfte Zumutbarkeitsanforderungen bei Beschäftigungen, die weder tarifgerecht entlohnt noch sozialversicherungspflichtig sein müssen, verknüpft mit Leistungskürzungen bei Ablehnung. Es bedeutet für die Betroffenen weniger Fördermöglichkeiten nach dem AFG, als wenn sie Arbeitslosenhilfe bekämen.
Diesen massiven Angriff auf das Selbstwertgefühl der Menschen, die arbeiten wollen, aber auch auf die kommunale Selbstverwaltung mit der „fehlenden Bezugsnähe zum Arbeitsmarkt" zu rechtfertigen ist eine unredliche Zumutung für uns und für die Betroffenen ein Hohn.
Der Vorschlag, die originäre Arbeitslosenhilfe zu streichen, ist nicht akzeptabel.
Mit der Ausweitung des Personenkreises um die Gruppe der geduldeten Ausländer und die Ausdehnung der Befristung auf 36 Monate abgesenkten Leistungsbezugs aus dem Asylbewerberleistungsgesetz verletzen und gefährden Sie den mühsam gefundenen und für uns bis an die Schmerzgrenze gehenden Asylkompromiß. Sie revidieren mit Ihrem Gesetz genau die Verhandlungsergebnisse, die für uns unverzichtbare Bedingungen waren und sind.
- Ja, das merken wir langsam.
Sie setzten sich damals mit dem Argument der Abschreckung und des Mißbrauches durch. Wir scheiterten an Ihnen mit dem Argument der ungeteilten Menschenwürde, die wir durch Art und Höhe der Leistung gefährdet sahen und sehen. Praktische Erfahrungen mit diesem Gesetz - eine zum Teil sehr problematische Handhabung - haben diese Bedenken eher bestätigt.
In sehr zähen Verhandlungen mit Ihnen konnten wir durchsetzen, daß ausschließlich Asylbewerber und abgelehnte Asylsuchende, deren Ausreise sich aus eigenem Verschulden verzögerte, unter dieses Leistungsgesetz fielen. Die Befristung auf zwölf Monate „abgesenkten Leistungsbezugs" war für uns schon ein harter Kompromiß, verbunden mit der Hoffnung, daß zügigere Verfahren diese Frist unterschreiten würden. Diese Unterschreitung trifft für viele offensichtlich unbegründete Asylbegehren zu, für alle anderen, d. h. in der Regel für diejenigen, die schließlich nach einem Verfahren anerkannt werden, nicht.
Die hohe Belastung der Verwaltungsgerichte mit unbearbeiteten Rechtsschutzbegehren aus vergangenen Jahren verzögert noch immer eine zügige Bearbeitung neu eingehender Rechtsschutzanträge. Das ist aber nicht den Asylbewerbern anzulasten.
Den Bezieherkreis zu erweitern und den eingeschränkten Leistungsbezug zu verlängern ist der schlechteste Weg, um Kosten zu mindern. Er schadet extrem den Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, und gefährdet den gerade in dieser Frage sehr brüchigen Frieden.
Wenn es Ihnen ausschließlich um die Senkung der Ausgaben geht, die noch immer Länder und Kommunen allein zu tragen haben, dann überlegen Sie mit uns, ob das Beharren auf Sachleistungen fast um jeden Preis vernünftig ist. Wie jeder Kundige weiß, ist die Gewährung von Sachleistungen um etliches teurer als Geldleistungen.
Hier könnte die Stärkung der Autonomie der Menschen, die zur Menschenwürde gehört, mit Einsparungen verbunden werden.
Wenn es Ihnen tatsächlich nur um die Kosten geht, dann stimmen Sie unserem Antrag zur Altfallregelung zu, der Gerichte entlastet, die Verfahrensdauer neuer Anträge verkürzt, Kosten spart und für die auf Entscheidung harrenden Menschen humaner ist.
Wenn es Ihnen um die Entlastung der Kommunen und Länder geht, dann regeln Sie endlich den bisher nicht umgesetzten Teil des Asylkompromisses, der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge betrifft. Ermöglichen Sie die Anwendung des § 32 a des Ausländergesetzes,
der diesen Menschen einen besonderen Aufenthaltsstatus zusichert! Übernehmen Sie wenigstens einen Teil der Kosten! Darauf warten Länder und Kommunen bis heute vergebens.
Art. 1 unseres Grundgesetzes ist Verpflichtung und Auftrag. In allem, was wir von hier aus beschließen, muß er für alle Menschen in unserem Land real erfahrbar sein. Die vielzitierte Standortfrage kann nicht
Brigitte Lange
an diesem Artikel vorbei beantwortet werden. Das gilt auch für den Umgang mit Flüchtlingen.
Danke.