Rede von
Andrea
Fischer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach 13 Jahren CDU-F.D.P.-Regierung glaubt man sich gegen Ihre Maßnahmen doch schon ziemlich abgehärtet. Dieses Vorhaben hat mich aber wirklich erschüttert; das muß ich schon sagen.
Sie wollen die originäre Arbeitslosenhilfe abschaffen und sich aus der Finanzierung der Fahrtkosten für Schwerstbehinderte zurückziehen. Damit die ohnehin gebeutelten Kommunen dagegen nicht zu laut protestieren, wollen Sie kompensieren, indem Sie bei den Flüchtlingen sparen. Das, so finde ich, ist schon ausgeklügelte Perfidie: eine Umverteilung zwischen Arbeitslosen, Behinderten und Flüchtlingen. Erzählen Sie uns bitte nie wieder, Sie wollten den Sozialstaat zugunsten der wirklich Bedürftigen umbauen!
SPD, CDU und F.D.P. haben 1993 ein Leistungssystem unterhalb der Sozialhilfe eingeführt. Das ist in meinen Augen noch immer ein Sündenfall wider das Sozialstaatsgebot; denn wenn Menschen auf der Flucht zu uns kommen, dann müssen sie von uns auch anständig behandelt werden.
Begründet wurde diese Schlechterstellung von Flüchtlingen damals damit, daß sie ja nur kurzzeitig hier seien. Abgesehen davon, daß dies schon damals kein akzeptables Argument war, definieren Sie jetzt in Ihrem neuen Gesetzentwurf einen kurzzeitigen Aufenthalt als „bis zu drei Jahren" . Drei Jahre lang also sollen 260 000 Menschen nicht frei über ihre Ernährung entscheiden können, drei Jahre lang sollen sie keine angemessene medizinische Betreuung erfahren.
Ich denke, mit dieser beispiellosen Diskriminierung einer Bevölkerungsgruppe verspielen Sie jede Legitimation als Sozialpolitiker.
Es ist doch gerade der Sinn der Sozialpolitik, die Integration aller in die Gesellschaft zu leisten, gerade auch der Schwachen.
Sie aber machen die Flüchtlinge durch Arbeitsverbote überhaupt erst in dem von Ihnen beklagten
Ausmaß zu Bedürftigen. Dann sprechen Sie einem Teil dieser Flüchtlinge die Bedürftigkeit ab und geben ihnen nur gekürzte Leistungen. Zwei Jahre später reden Sie euphemistisch davon, daß doch alle Flüchtlinge gleich behandelt werden müßten, ja, Sie führen sogar „die Betroffenen" ins Feld, die angeblich kein Verständnis für Ungleichbehandlung hätten. Auf so etwas muß man erst einmal kommen: die Betroffenen dafür in Anspruch zu nehmen, daß alle gleich schlecht behandelt werden wollen. „Gleichbehandlung" ist nicht zwangsläufig ein positiver Begriff. Sie machen das hier sehr deutlich, wenn Sie eine Gleichbehandlung in Unrecht schaffen wollen.
Mit Ihren Maßnahmen treffen Sie Menschen, die nicht aus eigenem Verschulden jahrelang auf eine Entscheidung ihres Asylverfahrens warten müssen. Es sind nämlich gerade die offensichtlich begründeten Anträge, die über Jahre hinweg nicht entschieden werden. Sie können doch nicht die Flüchtlinge dafür bestrafen, daß die Behörden und Gerichte säumig sind.
Aber Ihr Vorhaben ist ja nicht nur moralisch verwerflich. Es ist darüber hinaus auch noch ökonomischer Unfug, wie Sie sicherlich wissen. In der Begründung Ihres Gesetzentwurfes kalkulieren Sie mit 250 Millionen DM Verwaltungskosten, die die ausgeweitete Sachleistungsgewährung zusätzlich verschlingt. Das heißt, Sie nehmen in Kauf, daß ein Fünftel des von Ihnen vorgesehenen Einsparpotentials für sinnlosen Verwaltungsaufwand draufgeht. Herr Seehofer, wenn Ihnen ein Wohlfahrtsverband einen so hohen Verwaltungskostenanteil präsentierte, wären Sie doch der erste, der die Zusammenarbeit kündigen würde.
Angesichts der spiralförmigen Ausweitung der verminderten Leistungsgewährung auf immer mehr Flüchtlinge wird sich der vermeintliche Erfolg, den die F.D.P. hier vorweisen will, bald als Strohfeuer erweisen. Spätestens in einem Jahr wird die Schamfrist vorbei sein, und weitere Menschen werden in die absolute Armut getrieben.
Ihrem weinerlichen Protest, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, trauen wir nicht für fünf Pfennig.
Sie haben sich am Asylbewerberleistungsgesetz beteiligt. Sie waren dabei, als der sozialstaatliche Konsens auf Kosten der Flüchtlinge aufgekündigt wurde. Also werden Sie auch hier wieder einknicken und schließlich mit Herrn Seehofer gemeinsam gemeine Sache machen. Immerhin hat der niedersächsische Innenminister Glogowski - meiner Kenntnis nach ein Parteifreund von Ihnen - Herrn Seehofer bereits schriftlich aufgefordert, doch endlich einmal mit dem Gesetz in die Puschen zu kommen, das auf Kosten der Flüchtlinge sparen soll.
Wir Bündnisgrüne werden uns an dieser Koalition der Ausländerfeindschaft nicht beteiligen und weiterhin dafür kämpfen, daß Flüchtlinge genauso wie
Andrea Fischer
alle anderen Menschen in Deutschland behandelt werden.