Herr Kollege Breuer, wenn Sie mich im Zusammenhang vortragen lassen wollen. Wir können so oft im Verteidigungsausschuß die Klingen kreuzen. Ich glaube zu wissen, was Sie fragen wollen. Ich komme darauf während meiner Ausführungen sicherlich noch zurück. Ich bitte ausdrücklich, dies nicht als fehlenden Respekt vor dem Kollegen Breuer zu werten, sondern ich möchte in meiner kurzen Redezeit im Zusammenhang vortragen.
Innere Führung, das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform sind Markenzeichen unseres Beitrages. Ich füge die Stichworte Bildungsreform in den Streitkräften, Bundeswehruniversitäten und Militärgeschichtliches Forschungsamt hinzu; Sie haben das auch in Ihren Aussagen zu diesem Tag gewürdigt.
Ich nenne nicht ohne Grund auch das Sozialwissenschaftliche Institut, das im Augenblick unter Ihrer Verantwortung, Herr Bundesminister der Verteidigung, ein Kümmerdasein führt. Ich rege an dieser Stelle auch an zu überlegen, ob man dieses wichtige, auch unabhängige Meinungen fördernde, im Zusammenhang mit wichtigen Fragen unserer Landesverteidigung notwendige Institut nicht der Wehrbeauftragten unterstellt und es damit dem Parlament gibt, damit wir gemeinsam mit den Streitkräften diese Leitideen der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform vertiefen können.
Wir in der parlamentarischen Opposition fühlen uns heute wie in der Gründungszeit für die Bundeswehr mitverantwortlich. Dies wird aus den deutlich bekundeten Übereinstimmungen, aber natürlich auch in den Gegensätzen zur Bundesregierung sichtbar. Ich komme darauf zurück.
Ich will hier für meine Fraktion noch einmal in Unterstreichung dessen, was mein Fraktionsvorsitzender gesagt hat, herausstellen, daß dieser Tag eine hervorragende Bedeutung ebenso deswegen hat, weil wir fünf Jahre Armee der deutschen Einheit begehen können. Auch da gibt es keinen Dissens zwischen den wesentlichen, die Streitkräfte stützenden politischen Kräften in unserem Lande.
Mir ist dabei die Botschaft des damaligen Befehlshabers in den neuen Ländern General Schönbohm im Bewußtsein, der in seinem Buch „Ein Staat, eine Armee" geschrieben und den NVA-Soldaten quasi zugerufen hat:
Wir kommen nicht als Sieger zu Besiegten, sondern als Deutsche zu Deutschen. Wir wollen gemeinsam die Zukunft gestalten, in Kenntnis der Vergangenheit. Nur dies konnte der Weg sein, der auch tragfähig war. Wir müssen eine gemeinsame Perspektive entwickeln, damit es für alle lohnend war, sich einzubringen.
Das war der Maßstab des Erfolgs, den sich die Politik gesetzt hatte. Der Erfolg ist eingetreten.
Deshalb ist nach der Vereinigung zu sagen: Die Loyalität der Bundeswehr als verläßlicher Teil unserer Demokratie steht außer Frage. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind wesentlicher Bestandteil unserer freien Gesellschaft, und sie haben zusammen mit den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen wichtigen Anteil am Aufbau des Staates. Sie stehen für die Sicherheit ein, und tagtäglich bewähren sie sich auch als demokratische Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Deswegen schulden wir ihnen und ihren Familien Dank. Weil dies so ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf man nicht blind auf die Soldatinnen und Soldaten und auf die, die sie stützen, einschlagen, auch nicht im Zusammenhang mit dem Großen Zapfenstreich. Man muß - das kann nicht befohlen werden - in unserem Lande, in unserer Demokratie, den Zapfenstreich nicht mögen - ich mag ihn -, aber man muß, so meine ich - und da richte ich mich an die links von uns stehenden Parteien und Gruppen in diesem Bundestag -, in jedem Fall soviel Gelassenheit aufbringen, ihn zu tolerieren. Das verlangen wir als Demokraten, um Sie als solche zu respektieren, von Ihnen.
Heute, im vierzigsten Jahre des Bestehens, steht die Bundeswehr vor einer weiteren Zäsur. Es ist auf das wichtige Urteil des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen worden, vor dem, Herr Kollege Rühe, nicht die Soldaten standen. Dieses Wort, glaube ich, wollten Sie so, wie es angekommen ist, nicht sagen. Vor dem Gericht stand eine Weiterentwicklung unse-
Walter Kolbow
rer Politik in bezug auf notwendige internationale Entwicklungen, und die Politik selbst stand durch den Klagevertreter Herrn Kinkel, der mit in Ihrem Kabinett sitzt, vor Gericht.
Es ist der Beharrlichkeit der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zu verdanken,
daß dies ein Parlamentsheer auch bei internationalen Einsätzen ist, meine Damen und Herren.
Weil es ein Parlamentsheer ist, bitte ich Sie - bescheiden aus der parlamentarischen Arbeit heraus, wie es dem Sprecher einer Oppositionsfraktion zukommt - zu überlegen, ob nach diesen deutlichen Worten des Verfassungsgerichts bei einem wichtigen Zeremoniell unserer Streitkräfte nicht auch die Bundestagspräsidentin auf das Ehrenpodium gehört.
Denn auch das Parlament repräsentiert unsere Streitkräfte. Sie haben das Recht, Frau Kollegin Dr. Süssmuth - so darf ich in diesem Fall sagen -,
die Ehrungen mit abzunehmen, und brauchen nicht wie wir nur auf der Besuchertribüne zu stehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die neuen Aufgaben fordern notwendigerweise eine Modernisierung der Bundeswehr. Sie muß breit angelegt sein. Sie muß die Konkretisierung des Auftrags, das Konzept der Inneren Führung, die Personalführung, die Ausbildung, die Ausrüstung, die Integration in Staat und Gesellschaft sowie die Integration der Streitkräfte in das westliche Verteidigungs- und Sicherheitsbündnis nicht nur wie bisher umfassen, sondern auch vertiefen. Ich unterstreiche ausdrücklich das zur Verbreiterung im Bündnis Gesagte, was internationale Korps betrifft und was die Grundlage der Bündnisfähigkeit ist.
In diesem Prozeß haben die Soldaten und Soldatinnen einen Anspruch auf besondere Fürsorge. Daher ist eine vorausschauende mittelfristige Bundeswehrplanung notwendig, die alle politischen, militärischen, betriebswirtschaftlichen und sozialen Faktoren sowie die Ergebnisse politischer Erwägungen einbezieht. Wir setzen uns nachdrücklich dafür ein, die Reform der Bundeswehr für alle nachvollziehbar und über einen längeren Zeitraum hinweg zu planen. Ein knapper, inhaltlich auch noch umstrittener Koalitionsvereinbarungsbeschluß von 1994 kann doch nicht die Grundlage dafür sein, meine Damen und Herren von der Koalition, wie die Bundeswehr in der Zukunft aussehen soll. Das ist zu kurz gesprungen. Das erreicht auch nicht unsere ganze Gesellschaft, die dabei mitwirken muß. Deswegen treten
wir dafür ein, in unseren Streitkräften einen Dialog über die große Bundeswehrreform zu führen, die wir nach wie vor nicht haben.
Wir sind bereit, mit unseren Kräften dabei mitzuwirken und einen Beitrag zum Konsens zu leisten.
Meine Damen und Herren, im Verhältnis von Parlament und Bundeswehr - ich habe die Bedeutung des Parlamentsheeres herausgestrichen - hat das Amt des Wehrbeauftragten einen überragenden Stellenwert. Mir ist es persönlich, aber natürlich auch politisch ein wichtiges Anliegen, dem Sozialdemokraten Karl Wilhelm Berkhan, der von 1975 bis 1985 dieses Amt vorbildlich ausübte, im nachhinein Dank zu sagen und an dieser Stelle an sein Wirken zu erinnern. Er war das Auge und das Ohr, und er war das soziale Gewissen. Das ist seither der Maßstab für die Arbeit aller Wehrbeauftragten in unserem Land.
Wir haben heute festzustellen - trotz der richtigen Worte des Herrn Bundeskanzlers und auch des Herrn Bundesministers der Verteidigung: Wehrpflicht ist und bleibt Ausdruck der Bürgerverantwortung -, daß sich die Wehrpflicht heute in einer Krise befindet. Ihre Legitimation in unserer Gesellschaft ist zumindest brüchiger geworden, wenn nicht gar brüchig. Von den jungen Männern wird sie immer weniger akzeptiert. Hier ist die Praxis gefordert, die Sie angemahnt haben. Ich habe den Eindruck, daß niemand frei davon ist, an Sonntagen feierlicher und grundsätzlicher zu sprechen als an Werktagen. Aber bei der Wehrpflicht - das muß ich Ihnen auch nach dem sagen, was Sie wieder vorschlagen - sind Sie den Sonntagsreden näher als wir.
Deswegen mahne ich an, miteinander ins Gespräch zu kommen. Ein „Weiter so!" genügt hier nicht. Die Defizite in der gesellschaftspolitischen Diskussion sind zu groß. Wir haben sie miteinander auszugleichen. Die Feststellungen der Grünen und der Gruppe der PDS hierzu müssen wir aus Überzeugung ablehnen. Die Abschaffung der Wehrpflicht ist nicht die richtige Antwort darauf.
Hier gilt: Nicht alles - und ich kenne viele ernstzunehmende Kolleginnen und Kollegen gerade unter den Verteidigungspolitikerinnen und Verteidigungspolitikern und diskutiere mit ihnen -, was gut gemeint ist, ist auch gut. In diesen Zusammenhang gehört Ihre Position zur Wehrpflicht.
Walter Kolbow
Meine Damen und Herren, die Soldatinnen und Soldaten sind von allen gewürdigt worden.
- Daran müssen Sie sich gewöhnen; denn auch Soldatinnen tragen Uniform. Ich habe mich ebenfalls daran gewöhnen müssen. Dem Anspruch auf Emanzipation werden wir auch dadurch gerecht, daß wir jungen Frauen das Recht geben, Soldatinnen zu werden, auch wenn sie es selber nicht wollen.
Ich will zum Abschluß meiner Rede deutlich machen: Wir haben in den Art. 87a und 87 b des Grundgesetzes die Aufgabenteilung zwischen den Streitkräften und der Bundeswehrverwaltung zur gemeinsamen Aufgabenerfüllung festgeschrieben. Dieses hat sich bewährt. Dabei wollen wir bleiben. Nur müssen dann auch die Bediensteten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im zivilen Bereich, merken, daß Sie, die politische Führung, mit ihnen bei der Reduzierung auf soziale Weise umgehen. Ich mahne die Behandlung der Fragen der Vertiefung des Tarifvertrages und der Sozialfürsorge an. Die Wohnungsfürsorge für unsere Bundeswehr ist eine Katastrophe. Ich will den Bundesverteidigungsminister nicht für etwas in Anspruch nehmen, was er nicht zu vertreten hat. Aber wenn der Bundesfinanzminister, weil er kein Geld mehr hat, jetzt Bundeswohnungen verkauft, müssen wir genau darauf achten, ob es sich dabei nicht auch um bundeswehreigene Wohnungen handelt,
so daß dann im Ergebnis die Bediensteten der Bundeswehr die Benachteiligten sind.
Ich will auch an die Reservisten erinnern, die einen wichtigen Dienst leisten und die auch von dieser Stelle im Deutschen Bundestag aus gesagt bekommen sollen, daß wir anerkennen, welch wichtigen Dienst sie leisten, und daß wir sie weiter brauchen.
Wir grüßen von dieser Stelle aus alle, die heute in den Kasernen sind und uns möglicherweise zuschauen oder sich eine Aufzeichnung anschauen können. Wir grüßen die Familien der Soldaten.
- Das ist ein wichtiger Anspruch, Herr Kollege Rose, den Sie in Ihrer Rede, die folgen wird, einlösen können.
Für uns gilt unverändert der Satz von Willy Brandt, der eine Gesamtwürdigung dessen darstellt, was die Bundeswehr 40 Jahre lang bewirkt hat, und der ein Wunsch in bezug darauf ist, was die nächsten 40 Jahre für unser Land Gutes bringen sollen: „Der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. "
Deswegen wünschen wir den Angehörigen der Bundeswehr Glück auf dem weiteren Weg in eine friedliche Zukunft.
Ich danke für die Geduld.