Rede von
Dieter
Heistermann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben wahrlich Grund zum Feiern. Aber es gibt auch den Alltag der Bundeswehr, und dem möchte ich mich jetzt zuwenden.
Sie mögen es drehen und wenden, wie Sie wollen, meine Damen und Herren von der Koalition: Die Probleme sind hausgemacht. Dafür müssen Sie die Verantwortung übernehmen, auch dafür, daß die Akzeptanz der Wehrpflicht in der Bevölkerung schwindet und die Attraktivität des Wehrdienstes im Vergleich zum zivilen Ersatzdienst spürbar nachgelassen hat.
Ein Versuch der Bundesregierung, die Probleme der Bundeswehr durch einen parteiübergreifenden Ansatz zu lösen, wäre zu begrüßen gewesen. Er ist unterblieben. Auch das haben Sie zu verantworten.
Das jetzt zu beschließende Gesetz zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften beinhaltet letztendlich nicht nur die Anpassung wehrrechtlicher Bestimmungen an die veränderte sicherheitspolitische Lage, sondern es soll auch der Verstärkung von Anreizen zum Dienst als Soldat in der Bundeswehr dienen. Wird dieses Gesetz diesem Anspruch aber gerecht? Darauf geben wir Sozialdemokraten die klare Antwort: Nein, es wird nicht der große Wurf. Dieses Gesetz bleibt Stückwerk, es löst nicht die entscheidenden Probleme, und es hilft nicht mit, die Attraktivität der Wehrpflicht zu erhöhen.
Der Bundesverteidigungsminister a. D. Georg Leber hat in seiner großen Rede in der Feierstunde des Verteidigungsausschusses zum 40jährigen Bestehen der Bundeswehr in beeindruckender Weise die Bereitschaft beschrieben, dem Volk und seinem Staat zu dienen. Er sagte:
Die Bereitschaft, dem Volk und seinem Staat zu dienen, diese Einsicht muß aus der Überzeugung des ganzen Volkes wachsen. Wir müssen nach Wegen suchen, wie wir, nicht nur bei den jungen Männern, die gerufen werden, sondern in der gesamten Bevölkerung, immer wieder Einsicht wekken und stärken können, daß dieser Dienst
- das gilt, füge ich ein, auch für die allgemeine Wehrpflicht -
sich aus unserer Freiheit ergibt und daß er ein Beweis unserer Staatsgesinnung ist.
Hier wird vom Dienen gesprochen. Unterstützen wir also diejenigen jungen Menschen, die in unserer Republik in vorbildlicher Weise dienen, unterlassen
Dieter Heistermann
wir jene Versuche, zwischen den Diensten moralisch zu differenzieren. Das hilft niemandem.
Wer also die Akzeptanz und die Attraktivität der Wehrpflicht wiederherstellen will, muß verständlich erklären, warum die Wehrpflicht notwendig ist und wie die persönlichen Fähigkeiten und erworbenen Qualifikationen der Grundwehrdienstleistenden angemessen in der Bundeswehr berücksichtigt und gefördert werden können. Er wird auch Auskunft darüber geben müssen, wie die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Soldaten attraktiver gestaltet werden können, damit der Dienst in den bewaffneten Streitkräften gegenüber den Ersatzdiensten konkurrenzfähig bleibt.
Den jungen Menschen ist nicht entgangen, daß in jedem Geburtsjahrgang inzwischen die Grundwehrdienstleistenden eine Minderheit darstellen. Wer die Zahl der Kriegsdienstverweigerer, die Zurückstellungen und sonstigen Ausnahmeregelungen zusammen gewichtet, wird an dieser Tatsache nicht vorbeikommen.
In der jungen Generation und in der Bevölkerung wird anerkannt, daß diejenigen, die einen Dienst an diesem Staat leisten, allen Respekt verdienen.
Kolleginnen und Kollegen, unser Problem liegt bei der Dienstgerechtigkeit; denn über 30 % eines Jahrganges leisten überhaupt keinen Dienst. Hier liegt das eigentliche Grundübel. Junge Menschen akzeptieren nicht, daß einige zum Dienst herangezogen werden, während andere ihren privaten Lebensplanungen nachgehen können. Das verärgert junge Menschen. Hier ist die Politik gefordert. Hier ist die Bundesregierung gefordert, ihre Position einzubringen.
- Ich komme gleich zu dem, was wir bringen, Kollege Breuer.
Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf fällt auf, daß der Wehrsold nicht erhöht wird, daß das Entlassungsgeld von derzeit 1 800 DM auf 1 500 DM reduziert wird
und daß das Weihnachtsgeld von derzeit 450 DM auf 375 DM gekürzt wird.
Die Konsequenz daraus ist: Jeder Wehrpflichtige wird am Ende seines Grundwehrdienstes 375 DM weniger im Portemonnaie haben.
Dieses Geld nehmen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, um den sogenannten Mobilitätszuschlag für Grundwehrdienstleistende und anderes zu finanzieren.
Nicht zu bestreiten ist, daß dieser Mobilitätszuschlag sicherlich bei denen Freude auslösen wird, die davon profitieren. Aber es bleibt die Tatsache, daß alle Wehrpflichtigen, die weniger als 50 km vom Standort entfernt wohnen, keinen Mobilitätszuschlag bekommen und zudem weniger Entlassungs- und Weihnachtsgeld erhalten.
Wie formulierte ein Grundwehrdienstleistender so treffend: „Nicht der Wehrdienst wird entschädigt, sondern die Entfernung." Das ist eine Grundhaltung, die Sie bei vielen Wehrpflichtigen antreffen werden. Wir werden sehen, wie Sie mit diesem Problem nicht nur hier im Bundestag, sondern auch im praktischen Alltag umgehen werden.
Während der Beratungen im Verteidigungsausschuß wurde immer deutlicher, daß dieser Mobilitätszuschlag nur eingeführt wird, um die Grundwehrdienstleistenden und Zivildienstleistenden auseinanderzudividieren. Dazu reichen wir nicht unsere Hand.
Die SPD fordert seit Jahren eine Erhöhung des Wehrsolds um 2 DM pro Tag. Mit welchem Recht verweigern die Bundesregierung und die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. den sozial Schwächsten, die einen „Ehrendienst für unser Land leisten" - wie immer unter dem Beifall aller festgestellt wird -,
die überfällige Wehrsolderhöhung?