Rede von
Dr.
Uwe-Jens
Rössel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die 1 400 ostdeutschen Kommunen müssen unverzüglich - ich betone: unverzüglich - von den unberechtigten, von den rechtswidrigen Altschuldenforderungen befreit werden. Daher hat die Gruppe der PDS am 28. September dieses Jahres als erste der im Bundestag vertretenen Parteien einen Antrag zur Lösung der kommunalfeindlichen Altschuldenforderung eingebracht.
Unser Antrag hat zwei Eckpunkte: Erstens. Die sogenannten Altschulden auf gesellschaftliche Einrichtungen ostdeutscher Kommunen, die auf Grund von in der DDR getätigten Investitionen entstanden sind, werden nicht den Kommunen übertragen.
Zweitens. Die aus Investitionen für den Bau gesellschaftlicher Einrichtungen resultierenden sogenannten Verbindlichkeiten ostdeutscher Kommunen gegenüber der Gesellschaft für kommunale Altkredite und Sonderaufgaben der Währungsumstellung - GAW - sind Staatsschulden der DDR. Sie sind vollständig als Schulden des Bundes im Rahmen des Erblastentilgungsfonds zu übernehmen.
Das ist unsere klare Position, ohne Wenn und Aber. Bestandteil unseres Antrages ist selbstverständlich eine detaillierte Begründung, die auf der Kenntnis der Situation in Ostdeutschland, in der früheren DDR, basiert. Sie belegt u. a.: Die sogenannten Altschulden - hier möchte ich ausdrücklich Widerspruch zu der Position von Herrn Austermann anmelden - sind keine Schulden im Sinne des bürgerlichen Rechts und damit auch keine Schulden der Kommunen gegenüber dem Bund.
Zweitens. Die Kommunen in der DDR verfügten kaum über nennenswerte eigene Einnahmen. Sie waren bis 1990 lediglich - ich zitiere aus der Verfassung - „Gemeinschaften im Rahmen der zentralen Leitung und Planung". Kommunale Selbstverwaltung stand in der DDR bekanntlich nur in den Sternen; das ist sicherlich aus heutiger und auch aus damaliger Sicht sehr kritisch zu sehen. Es war leider so.
Ausgaben der Städte, Gemeinden und Kreise von Belang und damit auch die Investitionen für gesellschaftliche Einrichtungen wurden in der DDR demzufolge fast vollständig durch Zuschüsse und Zuweisungen aus dem Republikhaushalt an die Kreishaushalte bestritten und eben nicht durch eigene Einnahmen der Städte, Gemeinden und Kreise.
Die Entscheidungen über den Bau und die Finanzierung von Schulen und Kindergärten sowie Altenheimen und ähnlichem lagen eben nicht im Ermessen der Kommunen. Sie wurden von der Volkskammer mit den jährlichen Gesetzen zum Volkswirtschaftsplan und zum Staatshaushaltsplan festgelegt. Diese Positionen - ich habe es verkürzt dargestellt - hat auch das Rechtsgutachten von Professor Harms von der Freien Universität Berlin vor kurzem bekräftigt. Es ist Zeit, daß die Bundesregierung endlich diese Realitäten zur Kenntnis nimmt und sich von ihrem kommunalfeindlichen Wunschdenken verabschiedet.
Dr. Uwe-Jens Rössel
Die unmittelbar von Altschuldenforderungen des Bundes betroffenen 1 400 ostdeutschen Städte und Gemeinden, die ohnehin arge Finanznöte haben, brauchen eine befreiende Entscheidung. Unser Antrag würde die Kommunen aus der Altlastenschuldenfalle herausführen. Ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hingegen, wie es die kommunalen Spitzenverbände anregen, könnte Jahre dauern. Eile tut aber not. Die Gemeinden in Ostdeutschland brauchen dringend Planungssicherheit für ihre Finanzen, hier und heute. Deshalb muß der Bundestag schnell handeln und entsprechende Anträge befördern.
Es tickt nämlich die Zinsuhr. Das jahrelange Tauziehen der Bundesregierung hat die bei der Währungsumstellung bestandene Altschuld von 4,9 Milliarden DM inzwischen dank satter Zinsforderungen auf nahezu 8 Milliarden DM vermehrt, also fast verdoppelt. Mit der vom Kanzler geliebten Methode des Aussitzens kommt man hier nicht weiter. Müßten eines Tages die Kommunen zahlen - die Mahnbescheide flattern ja in die Rathäuser -, wären die meisten von ihnen bankrott. Die Leidtragenden sind die Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland; das darf auf keinen Fall zugelassen werden.
Daran kann auch das Bundeskabinett wohl nicht ernsthaft interessiert sein. Für Theo Waigel zählt wohl ganz offensichtlich nur der Bundeshaushalt. Die dramatisch hohe Bundesverschuldung, die off enen Positionen im Haushaltsentwurf 1996, Steuermindereinnahmen zwingen dazu, Kehraus zu machen, die Finanzlöcher zu stopfen. Nun gibt es offenbar in der Bundesrepublik nichts Schwächeres als die Kommunen, wie jüngst Geras Oberbürgermeister erklärte. Den Letzten beißen die Hunde, und wer hier von den Hunden gebissen wird, sind die finanzschwachen ostdeutschen Kommunen. Gehen Kommunen pleite - es gibt ja bereits Zwangsverwaltungen in einigen Bundesländern -, spüren das gerade Handwerker und Gewerbe, die von öffentlichen Aufträgen leben. Bleiben deren Auftragsbücher leer, fällt die Gewerbesteuer noch kläglicher aus. Sie ist im Osten ohnehin verkümmert und lag 1994 bei gerade einmal 26 % des Westniveaus.
Die heutige Aktuelle Stunde ist, so meinen wir, ein Schritt in die richtige Richtung. Die Kommunen erwarten aber nicht nur Reden und Debatten. Der gordische Knoten muß endlich zerschlagen, die Kommunen müssen von den sogenannten Altschulden befreit werden. Im Interesse von Millionen Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern verlange ich hierzu eine schnelle Entscheidung.
Vielen Dank.