Rede von
Dr.
Christine
Lucyga
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über die sogenannten Altschulden der ostdeutschen Kommunen kommt spät, obwohl das Thema seit langem auf der politischen Tagesordnung steht.
Wie dringlich diese Debatte ist, belegen der noch nicht allgemein zugängliche Bundesrechnungshofbericht über die Abwicklung der Altkredite der DDR, der der Bundesregierung in der Altschuldenfrage schwere Fehler und Unterlassungen bescheinigt, sowie Expertengutachten zur Verfassungswidrigkeit der Altschuldenforderungen des Bundes an die ostdeutschen Kommunen.
Die Erklärungsnot von Bundesfinanzminister und Bundeskanzleramt wird größer. Wie anders kann die Tatsache gedeutet werden, daß sich die Bundesregierung nach einem kurzen und enttäuschenden Lebenszeichen in der Altschuldenfrage jetzt wieder einigelt und vereinbarte Verhandlungsrunden absetzt?
Das Altschuldenproblem ist aber weit mehr als ein Schildbürgerstreich des Hauses Waigel; es ist auch ein Präzedenzfall politischer Unmoral. Bis jetzt hat es die Bundesregierung nämlich nicht vermocht, einen im Einigungsvertrag angelegten Fehler zuzugeben. Nein, sie versucht, den entstandenen und täglich
Dr. Christine Lucyga
wachsenden Schaden aus ihrer Fehlentscheidung den Betroffenen aufzuladen.
Die Drohung der Bundesregierung, ihre Forderungen auf gerichtlichem Wege durchsetzen zu wollen, sollten sich die Gemeinden länger renitent zeigen, ist ein mittelalterlicher Willkürakt. Besser wäre es, die Bundesregierung würde den betroffenen Kommunen eine akzeptable politische Lösung anbieten; denn hier hat sie eindeutig eine Bringepflicht.
Weiteres Aussetzen und Liegenlassen machen nichts besser, im Gegenteil.
Auch sollte es sich für einen Rechtsstaat verbieten, willkürliche Entscheidungen des DDR-Staatsapparates nachträglich zu Rechtsakten umzuinterpretieren, die der Realität in den neuen Ländern so nicht standhalten können.
Es ist ein Stück aus dem politischen Tollhaus, wenn in glatter Umkehr der Beweispflicht ostdeutsche Städte und Gemeinden für Altkredite, die oft gar nicht zuzuordnen sind ,und denen oft kein konkreter Vermögenswert gegenübersteht, zur Kasse gebeten werden und sie den Nachweis selbst liefern sollen. Hier hat der Bund die Verpflichtung, einen konkreten, objektbezogenen Nachweis und gegebenenfalls Wertberichtigungen vorzulegen. Das ist bis jetzt nicht geschehen.
Wie ruinös die Durchsetzung der Altschuldenforderungen des Bundes für die Betroffenen ist, soll das Beispiel der Hansestadt Rostock zeigen. Diese Stadt müßte bei der jetzt bestehenden Altschuldenforderung von 270 Millionen DM, davon 90 Millionen DM Zinsen, ungefähr 10 % ihres Haushaltes für Altschulden binden. Allein der Kapitaldienst würde das, was die Stadt aus eigener Kraft - einschließlich Kreditaufnahme - aufbringen könnte, verschlingen. Zitat des Stadtkämmerers: Dann bewegen sich in der Stadt keine Kelle und kein Kran mehr.
Im Klartext: Die Stadt muß lebensnotwendige Investitionen zurückstellen, vor dem Hintergrund eines allgemeinen kommunalen Finanzdefizits durch die anhaltend schlechte Arbeitsmarktsituation, wachsende Sozialleistungen und einen gewaltigen Infrastrukturnachholbedarf. Hier ist dem Berliner Gutachter Harms zuzustimmen, der die Auferlegung einer ruinösen Geldleistungspflicht durch den Bund feststellt.
So wie der Stadt Rostock geht es 16 % der ostdeutschen Kommunen, in Zahlen: 1 400 Städten und Gemeinden. Die übrigen 84 % wurden so willkürlich, wie sie belastet wurden, auch wieder entschuldet, was von der Bundesregierung in einer Fragestunde dieses Jahres salopp mit „irgendwann in den 80er
Jahren irgendwie entschuldet" zu Protokoll gegeben wurde. Dann muß aber auch die Frage erlaubt sein, ob nicht die Schulden der übrigen Kommunen ebenfalls auf den Prüfstand gehören.
Andernfalls erhalten willkürliche Zufallsentscheidungen - oder auch zufällige Willkürentscheidungen; wie man es formulieren will - nachträglich eine rechtliche Anerkennung. Zudem werden regionale Disparitäten festgeschrieben.
Die eigentlichen lachenden Erben dieser zweifelhaften Erbschaft sind die Banken, denen die Übernahme der dubiosen Altkredite durch absurd hohe Zinsen bisher einen wahren Goldregen beschert hat.
Dieses vom BMF zu verantwortende Mißmanagement zu Lasten der Kreditgeschädigten und der Steuerzahler kommentiert der Bundesrechnungshof so: Eine direkte Übernahme der Altschulden in den Bundeshaushalt wäre um Milliarden günstiger gewesen als der Umweg über das teure Schuldenkarussell privater Banken.
Wenn der Bundesfinanzminister mit einem Haushaltsdefizit in Milliardenhöhe im Nacken Altschulden bei den Kommunen geltend macht, die wirklich keine Mark zuviel haben, dann sollte doch eher darüber nachgedacht werden, ob man diese Milliardenbeträge nicht gerechterweise aus den Taschen zurückholen sollte, die die Klientelpolitik der Bundesregierung laut Bundesrechnungshofbericht so überreich gefüllt hat.
Die Kommunen können in ihrer Haltung angesichts der Forderungen des BMF nicht nachgeben. Der angedrohte Rechtsstreit kann jedoch nicht der richtige Weg sein; denn er würde auf Jahre hinaus Kräfte binden, die wir dringend benötigen.
Daher das Fazit: Es ist die politische und moralische Pflicht der Bundesregierung, sich endlich zu bewegen und ein verhandlungsfähiges Konzept für eine einvernehmliche Lösung vorzulegen.
Ich danke Ihnen.