Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesordnungs-punkt 1 – fort:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest-stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus-haltsjahr 2001
– Drucksache 14/4000 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungFinanzplan des Bundes 2000 bis 2004– Drucksache 14/4001 –Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussIch erinnere daran, dass wir gestern für die heutigeAussprache insgesamt sieben Stunden beschlossen haben.Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich desBundeskanzleramtes, Einzelplan 04. Das Wort hat derKollege Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.Michael Glos (von der CDU/CSU mitBeifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Herr Weltstaatsmann!
– Es ist schön, wenn Sie sich freuen.
Ich hoffe, dass sich diese Fraktion auch noch am Ende derKanzlerschaft von Gerhard Schröder freuen wird.
Jedenfalls hat Henry Kissinger laut Presseberichtenüber Sie gesagt, Sie würden klug und unbeirrbar regieren.Kissinger muss gemeint haben – er ist ansonsten ein ge-scheiter Mann –: unbeirrbar bei der Durchsetzungfalscher Politik und klug bei der medienwirksamen Ver-packung eigener Fehler.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihr gewaltiges Sün-denregister zweijähriger Regierungszeit nach New Yorkübermittelt worden ist; sonst hätten sie es sich mit derPreisverleihung noch einmal überlegen müssen.Wir reden hier über Ihren Haushalt. Beim Haushalt re-den wir auch über Ihre Politik. Noch nie ist in der Euro-papolitik so viel Porzellan zerschlagen worden wie heute.
Unsere österreichischen Nachbarn wurden gedemütigt.Die Sorgen der Menschen im Zusammenhang mit derOsterweiterung werden glatt ignoriert.Noch nie in den letzten 50 Jahren war in Deutschlandeine Währung so schwindsüchtig wie heute der Euro. Sobewerten jedenfalls die Finanzmärkte Ihre Arbeit. Ich binheute erschrocken, als ich in der angesehenen „FAZ“ ge-lesen habe, der Euro mache eine Entwicklung durch wieder Rubel. Der Rubel hat sich im Verhältnis zum Dollarnoch ein bisschen besser als der Euro in Ihrer Regie-rungszeit entwickelt.Noch nie waren die Preise für Benzin, Diesel und Heiz-öl so hoch wie heute. Auch das ist das Ergebnis Ihrer welt-staatsmännischen Politik, nämlich unbeirrbar an einer fal-schen Steuer, der so genannten Ökosteuer, festzuhalten,auch wenn andere davon Abschied nehmen.
Herr Weltstaatsmann, noch nie sind die Rentner inDeutschland so belogen worden wie in den zwei JahrenIhrer Regierungszeit.
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117. SitzungBerlin, Mittwoch, den 13. September 2000Beginn: 9.00 UhrErst wurden den Rentnern höhere Renten versprochen,dann wurde die Rentenformel willkürlich ausgesetzt undam Ende gibt es nicht einmal den Inflationsausgleich.Noch nie gab es so wenig Investitionen in einem Bun-deshaushalt wie in dem Bundeshaushalt, den wir jetzt dis-kutieren. Schlechte Verkehrswege und immer längereStaus, auch ohne dass die Fernfahrer protestieren, sind dieFolge.
Noch nie hatte eine Berufsgruppe wie die Bauern eineso schlechte Perspektive: 25 Prozent Einkommensein-buße durch die Verhandlungsführung in Ihrer EU-Rats-präsidentschaft bei der Agenda 2000, durch gekürzte För-dermittel und durch höhere Steuerbelastungen.Vor allen Dingen, Herr Bundeskanzler – das ist kurz-sichtig und nicht staatsmännisch; ich komme darauf nochzurück –: Noch nie hat ein deutscher Bundeskanzler dasParlament so missachtet und Entscheidungsprozesse ausden demokratischen Gremien hinausverlagert.
Sie ziehen Kungelrunden wie bei der Kernenergie, bei derZuwanderung und bei der Steuerreform der Auseinander-setzung im Bundestag und im Bundesrat vor. Zu einemwirklichen Weltstaatsmann gehört meiner Ansicht nachmehr.
Ich möchte doch noch einmal, weil es eine besondereFehlleistung war, die nicht nur Deutschland berührt, son-dern die für ganz Europa schädlich ist, die Sache mitÖsterreich ansprechen. Diese europäischen Sanktionenwaren so überflüssig wie ein Kropf.
Wenn Sie statt nach Mallorca nach Österreich in den Ur-laub gefahren wären, hätten Sie das Gleiche beobachtenkönnen wie viele Millionen Ihrer Landsleute:
In diesem Land geht es normal und ganz demokratisch zu.
In Kärnten ist es so schön, dass der Herr Riester ein Hausdort bauen will.Sie können den Schaden nur dadurch gutmachen, dassSie sich entschuldigen, –
– und zwar nicht nur bei der österreichischen Regierung,sondern in allererster Linie bei der österreichischen Be-völkerung,
die eine Regierung in demokratischer Wahl gewählt hat.
Ich möchte nicht Mäuslein sein bei der nächsten Kon-ferenz der europäischen Sozialistischen Internationale –oder was weiß ich, wie das bei Ihnen heißt.
Sie haben nämlich der SPÖ nachhaltig geschadet undSie haben – ob Sie es wollten oder nicht – im Grunde auchein Stück weit Herrn Haider geholfen; der ist nämlich da-durch ganz populär geworden – überflüssigerweise po-pulär geworden.
Es hat niemals, Herr Struck, Sorge um die Einhaltung derMenschenrechte in Österreich gegeben; es gab überhauptkeinen Anlass.Wie gesagt, der deutschen Außenpolitik – das ist dasEigentliche, was sehr schade ist – ist massiver Schadenentstanden. In so genannten kleinen Mitgliedstaaten hatdie Strafaktion gegen Österreich Ängste geweckt. Für dieSchweiz ist der Boykott Hauptgrund für eine sich vertie-fende Distanz zu Europa. Wir könnten in Europa Länderbrauchen, die Zahlerländer und nicht Empfängerländersind.
Herr Bundeskanzler, es ist nicht genug mit dem Öster-reichboykott. Ich komme noch einmal zur angestrebtenEU-Osterweiterung. Auch da ist wertvolles Porzellanzerschlagen worden. Sie erwecken den Eindruck: Wersich in der Europapolitik der Sorgen der Bürger im Zu-sammenhang mit der anstehenden Osterweiterung an-nimmt, der ist ein Europagegner. Damit wollen Sie dieKritiker mundtot machen.Ich glaube, dass die Menschen spüren – die Märkte rea-gieren genauso –: Die finanziellen Lasten im Zusammen-hang mit der Osterweiterung sind bei weitem nichtordnungsgemäß bilanziert und finanziert. Die Osterweite-rung ist drastisch unterfinanziert. Bis 2006 werden denbisherigen Mitgliedern 632 Milliarden Euro zugestanden– eine wahnsinnige Summe. Für die zwölf Beitrittskandi-daten sind dagegen nur 68 Milliarden Euro eingeplant.Das kann jeder nachlesen und nachrechnen. Es ist einhaushaltspolitisches Himmelfahrtskommando, das Sieantreten, Herr Bundeskanzler. Das trägt meiner Ansichtnach auch ein ganzes Stück zur Euro-Schwäche bei.Der von Ihnen entsandte EU-Kommissar Verheugenhat diese Widersprüche in einer schallenden Ohrfeige fürIhre Politik zum Ausdruck gebracht. Er hat vor allenDingen noch einmal betont: Europapolitik darf man nichtan den Menschen vorbei betreiben.
Ich bin dafür, dass die Europapolitik draußen diskutiertwird und dass wir mit den Menschen so reden, als ob wireine Volksbefragung oder einen Volksentscheid hätten.
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Ich plädiere nicht automatisch dafür; nur muss man sohandeln, als ob man einen Volksentscheid hätte.
– Herr Struck, es beginnt damit. Sie sollten sich als Frak-tionsvorsitzender einmal ein wenig darum kümmern. Siesind nicht nur ein Höfling; dafür werden Sie nicht bezahlt.Vielmehr sind Sie der Vorsitzende einer ehemalsselbstbewussten Fraktion.
Der Deutsche Bundestag, unser Parlament, und damitdie Bürgerinnen und Bürger unseres Landes werden in derEuropapolitik mehr und mehr ausgeschaltet. Es müsstenhier mehr Debatten stattfinden. Der Bundeskanzlermüsste vor Gipfeln Rechenschaft ablegen darüber, was erbeabsichtigt, dort zu tun.
Um eines klarzustellen – wir wissen ja, uns wird immersofort das Wort im Mund umgedreht –:
Die Osterweiterung der EU ist wünschenswert und sieliegt im Interesse Deutschlands; insofern gibt es bei unsüberhaupt keine Differenzen. Damit würde vollendet, wasunter Konrad Adenauer mit der Europäischen Wirt-schaftsgemeinschaft begonnen und was unter HelmutKohl mit der Erweiterung nach Süden und nach Nordenfortgesetzt worden ist.Ich sage noch einmal: Es geht darum, die Menschenauf diesem Weg mitzunehmen. Das bedeutet, wir müsseneine große Mehrheit von der Notwendigkeit dieser Ost-erweiterung überzeugen. Es ist daher richtig, über Ver-fahren nachzudenken, wie man die Menschen näher her-anholen kann.Noch wichtiger ist, dass wir eine klare Kompetenzab-grenzung zwischen der europäischen und der nationalenEbene bekommen. Das dient der Transparenz und der Ak-zeptanz der europäischen Instanzen in der Bevölkerung.Auch gilt es, Fehlentscheidungen zu revidieren, die dasVertrauen der Bürger erschüttert haben. Ich bringe dafürein Beispiel: Wer im Schweinsgalopp die Türkei zu ei-nem Beitrittskandidaten erklärt und dies im selben Atem-zuge tut, in dem er von der Osterweiterung spricht,braucht sich nicht zu wundern, wenn sich die deutsche Be-völkerung darüber Gedanken macht und dies ablehnt. In-teressant ist, dass dies auch von einer großen Mehrheitvon Rot- und Grün-Wählern abgelehnt wird. Ihnen tut jaimmer ganz besonders weh, wenn wir die Menschen auchnach Dingen fragen, bei denen sich die Meinungen vonRot- und Grün-Wählern und das, was die Regierung tut,weit auseinander entwickelt haben. Das war seinerzeitauch der Grund, warum Sie nach der Unterschriftenaktiongegen die massenweise Hinnahme doppelter Staatsbür-gerschaften letztendlich eingelenkt haben. Hätten nurCDU/CSU-Wähler unterschrieben, hätten Sie nicht ein-gelenkt. Ich habe am Unterschriftenstand immer wiedergemerkt, dass jede Menge Leute kamen, die gesagt haben,sie hätten immer SPD gewählt und seien nie zu einemCSU-Stand gegangen, aber her mit der Unterschriften-liste!
Wie gesagt, es sind nicht nur die Wähler von CDU/CSU,die sich hier angesprochen fühlen, sondern auch IhreWähler.Herr Bundeskanzler, auch für Ihre Politik hier zuHause hätte Ihnen niemand den Titel „Weltstaatsmann“gegeben.
Sie sehen tatenlos zu, dass durch Ökosteuer, Ölpreis-anstieg und Euro-Schwäche ein hoch explosiver Risiko-faktor für unsere Volkswirtschaft entsteht und dassWachstum, Preisstabilität und Arbeitsplätze gefährdetsind. Jetzt gaukeln Sie den Menschen vor, schuld daranseien nur die Ölmultis, die sich bedienen wollten, und dieÖlförderländer. Das geht nach dem Motto: Das haben wirgleich, sprach der Scheich.
In Wahrheit ist Ihr Finanzminister beim Melken der Au-tofahrer und Energieverbraucher „Melkmeister allerKlassen“.
Ich kann Ihnen die Zahlen nicht ersparen: Zum 1.April1999 und zum 1. April 2000 haben Sie die Mineralöl-steuer inklusive Mehrwertsteuer um zweimal 7 Pfennigerhöht. Ökosteuer nennen Sie das, wohl wissend, dass dasmit Ökologie so viel zu tun hat wie der Klapperstorch mitdem Kinderkriegen.
Es geht munter so weiter: Gesetzeslage ist, dass im Jahr2001 7 Pfennig mehr, im Jahr 2002 7 Pfennig mehr undim Jahr 2003 7 Pfennig mehr erhoben werden.
Wenn Sie jetzt mitgerechnet haben und auch noch das Ab-kassieren unter dem Stichwort Schwefelsteuer hinzuneh-men, dann kommen Sie auf beinahe 40 Pfennig Steuerer-höhung, die hausgemacht sind und nichts mit den Multisund den Scheichs zu tun haben.
Wissen Sie, Herr Bundeskanzler, wenn jemand seinAuto nicht absperrt und dieses Auto gestohlen wird, dannist das strafbar und seine Versicherung zahlt nicht. Esreicht schon, wenn Sie Ihr Auto unabgesperrt stehen las-sen und die Polizei kommt; dann bekommen Sie einTicket. Wenn Sie andere einladen abzukassieren, wobei
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Sie selbst mit dem Abkassieren angefangen haben, dannmachen Sie sich mindestens genau so schuldig wie derAutofahrer, der sein Auto nicht absperrt.
Das ist doch direkt eine Aufforderung zum Tanz. Von1 DM gehen beim Sprit 70 Pfennig an den Staat.
Wenn die OPEC spürt, dass so viel Spielraum drin ist,weil man aus ideologischen Gründen, vielleicht um dieGrünen zufrieden zu stellen – das war wohl noch aus derZeit, bevor Herr Schlauch Porsche gefahren ist; seitdemhat sich viel geändert –, immer wieder oben drauf sattelt,dann muss man sich nicht wundern, wenn auch anderekräftig zulangen.Wir werden deshalb einen Gesetzentwurf einbringen,der Sie veranlassen wird, die Ökosteuer wieder zurückzu-nehmen.
Herr Bundeskanzler, es soll ja, wenn man die Augurenaufmerksam verfolgt, in Ihrem Haus Pläne geben, die Mi-neralölbesteuerung – ich hoffe, möglichst schnell – einStück einzuschränken. Aber wenn dem so ist, dann sollenSie es auf unseren Druck hin tun.
Das muss ordnungsgemäß und sauber und nicht in einerNacht- und Nebel-Werbeaktion wie bei Holzmann erfol-gen. Es wird Ihnen nichts helfen.
Beim Heizöl werden die Deutschen dieses Jahr für eineTankfüllung mehr als drei Mal so viel zahlen wie 1999.Beim Gaspreiswird das dicke Ende nachkommen, selbst-verständlich mit Verzögerung. Die Mieter machen sichheute schon Gedanken, wie sie ihre Mietnebenkosten be-zahlen können. Dazu passt wunderbar: Wir spüren hierunsere gewaltige Abhängigkeit von diesen Energieliefe-rungen. Dies halten Sie justament für den richtigen Au-genblick, um aus der Kernenergie auszusteigen. Das istgeradezu ein Witz, ein Treppenwitz der Weltgeschichte.
Auch das ist eine Ermunterung an die Kartelle, in Zu-kunft woanders ebenfalls kräftig zuzulangen. Wir spürendoch, wie sehr wir auf dem Energiemarkt abhängig sind.Jetzt wollen wir uns noch aus Jux und Tollerei, nur um dieIdeologen zu befriedigen, zusätzlich abhängig machen.Ich finde, das ist eine kaltschnäuzige Politik gegenüberden Arbeitnehmern.
Dies ist auch eine kaltschnäuzige Politik gegenüber den-jenigen, die nicht ausweichen können. Es ist eine Politikgegen die kleinen Leute; denn die sind letztendlich dieGekniffenen.
Zum Wirtschaftsaufschwung. Wir freuen uns, dass esendlich aufwärts geht, wenn auch noch langsamer als inanderen Ländern. Die Wachstumsschwäche ist noch nichtganz überwunden. Es muss aber jedenfalls so gehandeltwerden, dass sich die Auftriebskräfte verstärken. Bis jetztist es so, dass Ihre Politik in jüngster Zeit dazu beiträgt,dass die Auftriebskräfte wieder nachlassen. Das, was sichjetzt auch auf deutschen Straßen tut, die Proteste, HerrBundeskanzler, sind für Sie ein Menetekel an der Wand.Handeln Sie und zeigen Sie, dass Sie Konjunktur undArbeitsplätze auch in der Automobilindustrie in Deutsch-land halten wollen und dass Sie sich über die grünen Ideo-logen, über Herrn Scheich Trittin hinwegsetzen können!
Herr Bundeskanzler, zu Ihren skandalösen Bemerkun-gen über die Kursentwicklung des Euro. Diese Kursent-wicklung des Euro war für viele sehr teuer und kostet dieBundesbürger sehr viel Geld. Die Deutschen werden je-denfalls durch diese Kursentwicklung nicht reicher. Dasist ganz sicher.
Ich kann Ihnen ein Beispiel bringen, wenn Sie es nichtverstehen. An den Rohölmärkten müssen derzeit für einFass Rohöl umgerechnet 75 DM bezahlt werden. Soschwach ist der Schröder-Euro.
– Entschuldigung, jetzt hören Sie doch einmal zu.Beim Euro-Kurs des Jahres 1999, nämlich zu Zeitendes Waigel-Euro, hätten für ein Fass Öl nur 55 DM be-zahlt werden müssen. Das ist ein ständiger gewaltigerWohlstandsexport aus unserem Land.
Wenn Sie das nicht verstanden haben, lesen Sie dieseDinge einmal nach.Ihre Überzeugung, Herr Bundeskanzler, dass die Vor-teile der Euro-Schwäche die Nachteile beim Import auf-wiegen, ist genauso falsch – man wäre fast versucht zu sa-gen: saudumm – wie der Ausspruch von Helmut Schmidt,der gesagt hat, 5 Prozent Inflation seien besser als 5 Pro-zent Arbeitslosigkeit. Er hat letztendlich beides bekom-men. Ich sage Ihnen, das Gespenst Inflation ist leider nachDeutschland zurückgekehrt.
Herr Bundeskanzler, Herr Weltstaatsmann: Eine Regie-rung, die in Deutschland auf Inflation setzt, wird schei-tern.
Um kurzfristig die eigene Bilanz in Sachen Wachstumund Beschäftigung zu frisieren, riskieren Sie die langfris-tigen Stabilitätsgrundlagen in unserer Gesellschaft. Sieverspielen die Dividende, die 16 Jahre konsequente Infla-tionsbekämpfung von Theo Weigel und Helmut Kohl ge-bracht haben. Die Euro-Schwäche zeigt deutlich: Ihre Po-litik wird von den Märkten ebenso schlecht beurteilt wiedie Politik Ihrer sozialistischen Mitregenten in Europa,
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die das Wort Stabilität so wenig buchstabieren können,wie Sie dazu in der Lage sind.
Die Märkte zeigen auch: Ihr so genannter großer Wurfbei der Steuerreform war gar kein großer Wurf. Wenn mandie Zahlen betrachtet, dann muss man feststellen, dass Sieauf das Zusammenwirken von Inflation und Progressionsetzen. Deshalb müssen die Deutschen 2004 – prozentual –noch immer mehr Steuern zahlen als 1998, also als imletzten Amtsjahr von Helmut Kohl und Theo Waigel. DieSteuerquote wird 2004 22,2 Prozent betragen.
1998 hat sie dagegen nur 22 Prozent betragen. Tatsacheist: Sie ziehen den Menschen zwei Drittel der Steuerent-lastungen, die durch die geänderten Einkommen- undKörperschaftsteuersätze entstehen, durch die Ökosteuerwieder aus der Tasche.
Die Kapitalgesellschaften zahlen nach Ihrer Steuer-reform ab 2001 nur noch 25 Prozent Steuern. Aber mittel-ständische Betriebe und Arbeitnehmer sollen danach42 Prozent zahlen – selbstverständlich plus Solidaritäts-zuschlag. Da die allermeisten Menschen in Deutschland– Gott sei Dank – noch Mitglieder einer Kirche sind,kommt die Kirchensteuer noch obendrauf. Ich bin derMeinung, dass Sie die jetzt sprudelnden Steuereinnahmenein Stück weit verwenden müssen, um die geplanten Stu-fen der Steuerreform aus Gerechtigkeitsgründen etwasvorzuziehen, damit auch die Mittelständler und die gutverdienenden Facharbeiter möglichst bald in den Genussvon Steuerentlastungen kommen.
Herr Eichel ist jetzt im wahrsten Sinne des Wortes„Hans im Glück“. 100 Milliarden DM an zusätzlichenEinnahmen sind schon ein Brocken. Er erntet jetzt die Di-vidende dessen, was Wolfgang Bötsch und Theo Waigelgesät haben.
Lesen Sie die Protokolle des Bundesrates nach! Wenn Siedas tun, werden Sie feststellen, dass die Länder Hessenund Niedersachsen gegen die entsprechenden Reformenim Bereich der Telekommunikationsindustrie und gegendie Aufhebung des Postmonopols gestimmt haben. Den-jenigen, die es vergessen haben, rufe ich in Erinnerung:Der Ministerpräsident in Niedersachsen hieß damalsGerhard Schröder und der in Hessen hieß damals HansEichel. Das ist doch richtig so? Wenn es falsch ist, dannstellen Sie es bitte richtig.
Ich möchte an etwas erinnern, was besonders schlimmist und worüber die bisherige Diskussion leider ein Stückweit hinweggegangen ist: Herr Bundeskanzler, Sie undIhre Partei sind dabei, die Koordinaten in unserem Landimmer weiter nach links zu verschieben.
Abgesehen davon, dass Sie sich anmaßen, zu definieren,was die Mitte ist, sind Sie auch dabei, den Parteibuch-staat konsequent durchzusetzen. Aber auch Sie werdennoch auf einen breiteren gesellschaftlichen Konsens an-gewiesen sein. Beide EU-Kommissare kommen ausIhrem Lager, entweder aus dem roten oder aus dem grü-nen. Der Bundespräsident, der Bundestagspräsident, derBundeskanzler – das ist selbstverständlich; Wahlentschei-dungen haben das letztendlich so möglich gemacht; aberes ist übertrieben, wenn auch die Posten der EU-Kom-missare nach Parteibuch besetzt werden –, der Präsidentdes Bundesverfassungsgerichtes, der Präsident des Bun-desnachrichtendienstes – ob er Beitrag an Ihre Parteizahlt, weiß ich nicht; –
– jedenfalls konnte er nicht von uns benannt werden –, derPräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, derPräsident des Bundesamtes für die Anerkennung auslän-discher Flüchtlinge, der Präsident der Bundeszentrale fürpolitische Bildung und auch der Geschäftsführer derneuen GmbH für das Schuldenmanagement – auch hierwird ein verdienter Genosse versorgt – sind alle von IhrerPartei. Sie wollen bei uns einen totalen SPD-Staat durch-setzen.
Viele Beamte, die Ihrem Konzept vom SPD-Staat im Wegstehen, werden rücksichtslos aus dem Amt entfernt.
Es entspricht genau Ihrem Umgang mit der Demokra-tie und dem Parlament, dass nicht um Einigungen gerun-gen wird; vielmehr wird in einer Nacht-und-Nebel-Ak-tion versucht, mit Stimmenkauf etwas ganz raschdurchzusetzen.
– Ich finde, das, was Sie machen, ist sehr „unverschämt“,um das Wort aufzugreifen, das mir gerade zugerufenwurde.Wir hätten in einem geordneten Abstimmungsverfah-ren, in einer zweiten Vermittlungsrunde
eine bessere Steuerreform durchsetzen können.
Hier werden Sie nachbessern müssen. Das wird ein wür-gendes Verfahren. Es wird ein quälendes Hin und Her
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geben, aber Sie wollten einen billigen Triumph vor derSommerpause haben.
Ich möchte noch ein Wort zur Diskussion in der Som-merpause sagen. Wir verabscheuen Gewalt, egal wohersie kommt – ob von rechts oder von links. Ich hätte mirgewünscht, dass die Bekämpfung von Gewalt ohne eineSortiererei von rechts oder von links schon früher dengleichen Konsens gefunden hätte wie heute, dass wir derwiderlichen rechten Gewalt entgegentreten müssen.
Wir haben zu allen Zeiten das Gewaltmonopol desStaates durchgesetzt. In anderen Bereichen ist der Verfas-sungsschutz reduziert worden. Deswegen können Sie dieNPD heute nicht richtig beobachten, weil Sie in vielenLändern nicht mehr das Potenzial haben.
Es ist richtig, dass der bayerische Innenminister einenVerbotsantrag gestellt hat. Herr Bundeskanzler, ich kannSie nur auffordern: Stellen Sie ebenfalls diesen Verbots-antrag! Sie haben die Möglichkeiten dazu. Sie werden un-sere Unterstützung bekommen.Herr Bundeskanzler, der Sommer dieses Jahres mar-kiert die Halbzeit und wahrscheinlich auch gleichzeitigden Höhepunkt Ihrer Regierungszeit.
Sonnen Sie sich noch ein bisschen in dem Glanz des sogenannten Weltstaatsmannes. Die Wirklichkeit wird Siesehr schnell einholen. Ihre Politik ist nicht staatsmän-nisch, sondern sie ist monarchisch, wenn ich dem „Spie-gel“ Glauben schenken darf.
Sie sind eine Art neuer Bürgerkönig. „Burger King“ nenntman das in England und in den USA.
Ihr Handeln ist in Teilen auch biblisch. In der Bibel heißtes bei Matthäus 6:Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht,sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in denScheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie.Herr Bundeskanzler, Sie ernten, was wir gesät haben. Po-litik besteht aus Säen und aus Ernten.
Die ehemals selbstbewusste, traditionsreiche ParteiSPD wird vom Politkommissar Müntefering in Schachgehalten. Herr Struck, Sie sind mutiert zum Gleichschal-tungsbeauftragten der SPD-Fraktion.
Bei Ihnen in der SPD-Fraktion besteht die Politik nurnoch aus Abnickerei und Postenjägerei. Auch das wirdsich bitter rächen.
Denken Sie, Herr Bundeskanzler, immer daran:Hochmut kommt vor dem Fall.
Ich erteile das Wortdem Kollegen Peter Struck, SPD-Fraktion.Dr. Peter Struck (von der SPD mit Beifall be-grüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Kollege Glos hat viel über den Begriff Welt-staatsmann geredet. Sie haben sich darüber mächtig amü-siert. Dazu möchte ich Ihnen ein paar Fakten nennen.Es gibt in New York eine Stiftung, die diesen Preis ver-liehen hat, die Appeal of Conscience Foundation. DieStiftung ist im Jahre 1965 von Rabbi Arthur Schneiergegründet worden. Sie setzt sich – hören Sie bitte genauzu – für Menschenrechte und religiöse Toleranz ein. DassGerhard Schröder diese Ehre zusammen mit Vorgängernwie Juan Carlos, Hans-Dietrich Genscher, Vaclav Havelund Romano Prodi erhalten hat, hat etwas mit dem Enga-gement des Bundeskanzlers für Menschenrechte und reli-giöse Toleranz in unserem Land und im Verhältnis zu Ös-terreich zu tun.
Wir haben überhaupt keinen Grund, dem Bundeskanz-ler zu dieser Ehre nicht zu gratulieren. Wir tun das hiermitund wir sind stolz darauf, dass ein deutscher Bundes-kanzler diesen Preis erhalten hat.
Herr Kollege Glos, es ist Ihnen in einem oder in zweiSätzen – ich muss sagen: glücklicherweise – noch gelun-gen, zu einem Thema zu sprechen, das uns in den Som-mermonaten mehr als vielleicht manches andere bewegthat. Rechtsextremistische Gewalttaten und Pöbeleienhaben in den Sommermonaten zu einer Debatte über ras-sistische und fremdenfeindliche Tendenzen in unsererGesellschaft geführt.
Diese Debatte kommt spät, aber nicht zu spät. Auslän-derfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Intoleranz dür-fen und werden wir in unserem Lande nicht dulden.
Sie verstoßen gegen die Würde des Menschen und schä-digen unser Ansehen in der Welt. Sie müssen mit Nach-druck bekämpft werden. Die Bundesregierung und die
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Landesregierungen haben bei der Bekämpfung desRechtsextremismus unsere volle Unterstützung.
Wir sind bereit, die notwendigen Maßnahmen zu ergrei-fen.Wir werden das Verbot der NPD unterstützen, wenndie entsprechende Prüfung zu einem positiven Ergebniskommt.Ich widerspreche ausdrücklich all jenen, die, wie dersächsische Ministerpräsident Biedenkopf, sagen: Ein Ver-bot der NPD bringt nichts. – Ein Verbot der NPD bringtdann nichts, wenn man glaubt, damit den Rechtsradika-lismus beseitigt zu haben. Das ist wahr. Es bringt aber sehrviel, wenn gleichzeitig deutlich wird, dass rechtsextremis-tische Ideologien nicht gesellschaftsfähig sind und auf al-len Ebenen, auf denen das möglich ist, geächtet werden.
Ich begrüße in diesem Zusammenhang nachdrücklichdie Bereitschaft der deutschen Wirtschaft, sich aktiv ander Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus zubeteiligen. Dazu gehört dann aber auch, dass die Wirt-schaft nun endlich ihren Anteil an der Stiftung für die Ent-schädigung der Zwangsarbeiter vollständig erbringt.
SPD und Grüne haben bereits im Juni einen umfassen-den gemeinsamen Antrag gegen Rechtsextremismus,Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt verab-schiedet, in dem alles Notwendige steht. Er ist in diesemHause diskutiert worden. Er ist zwar nicht überall wirk-lich wahrgenommen worden – vielleicht, weil er sehr frühkam –, aber jetzt wissen wir: Er ist nicht zu früh gekom-men.Wir werden die rechtsradikalen Tendenzen nur danneindämmen und in den Griff bekommen, wenn es unslangfristig gelingt, den jungen Menschen in unseremLand eine berufliche und soziale Zukunftsperspektive mitsinnvollen Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Deshalbbleibt unsere Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik von soeminenter Bedeutung und deshalb werden wir sie fortset-zen und ausbauen.
Ich habe eigentlich erwartet, dass die CDU-Vorsit-zende die Chance nutzt, um dem Parlament und der deut-schen Öffentlichkeit endlich einmal die Alternativen derOpposition offen zu legen. Aber Frau Merkel ist wohlvollauf damit beschäftigt, als Platzanweiserin die zerstrit-tenen Granden ihrer Partei zu platzieren.
Stattdessen hat der Kollege Glos hier sein übliches Kas-perletheater abgezogen. Um das noch einzufügen: WennSie, Herr Glos, von einem „Parteibuchstaat“ sprechen,dann ist das, wie wenn man den Bock zum Gärtner macht.Denn was die CSU von Parteibuch versteht, das wissenwir alle in unserem Land.
Wenn Ihre Rede, Herr Kollege Glos, die groß ange-kündigte Herbstoffensive der Opposition gewesen seinsoll, dann sehe ich dem mit größter Gelassenheit entge-gen.
Denn zur Halbzeit unserer Legislaturperiode – dass wir inder Halbzeit unserer Legislaturperiode sind, war das ein-zig Richtige, was Sie in diesem Zusammenhang gesagthaben – befindet sich unser Land auf einem breit ange-legten Konsolidierungskurs: Die Arbeitslosigkeit sinkt,die Wirtschaft läuft, die Staatsverschuldung wird abge-baut, der Reformstau in Deutschland ist aufgelöst. DerHelmut Kohl’sche Stillstand ist vorbei und darauf sind wirstolz.
Das Jahr 2000 ist trotz der aktuellen Ereignisse, auf dieich noch zu sprechen komme, ein gutes Jahr für Deutsch-land. Wir haben mit dem Haushalt 2001 die Stellschrau-ben gestellt, damit das nächste Jahr ein noch besseres Jahrfür unser Land werden kann.
Dann nämlich tritt die nächste Stufe unserer Steuer-reform in Kraft.
Sie, Herr Kollege Glos, rechnen immer Steuerreformengenau so, wie Sie es haben wollen. Die letzten Stufen ver-gessen Sie, wenn Sie anfangen zu rechnen, was Sie ja oh-nehin nicht können. Diese Steuerreform bringt die größteEntlastung, die es jemals in der Bundesrepublik gegebenhat. Wir haben sie vorgezogen, damit sie ihre Wirkungmöglichst schnell entfaltet, damit Kaufkraft gestärkt, Be-schäftigung gefördert und Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer sowie mittelständische Betriebe entlastet werden.Wir haben sie vorgezogen, damit es Deutschland schon imJahre 2001 besser geht als noch im Jahre 2000.
Interessant ist, was der Kollege Merz vor einem Jahr– damals noch Fraktions-Vize – in der Haushaltsdebattean diesem Ort zu diesem Thema gesagt hat. Ich zitiere:Wir sind sogar bereit, mit Ihnen zusammen einVersprechen einzuhalten, das Sie und nicht wir abge-geben haben, nämlich eine solche Steuerreform miteiner Nettoentlastung zum 1. Januar 2000 kurzfristigin Kraft zu setzen. Das ist möglich. Wenn es gelänge,
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dann ginge ein wirklicher Ruck für mehr Wachstum,für mehr Beschäftigung und für mehr Arbeitsplätzedurch dieses Land.Sie haben Recht gehabt, Herr Merz, es ist ein Ruck fürmehr Arbeitsplätze und mehr Beschäftigung durch unserLand gegangen.
Sie haben da für einen kurzen Augenblick den Durchblickgehabt, der Ihnen dann später bei der Behandlung dieserReformen an allen Ecken und Enden gefehlt hat.
Dieser Durchblick hat Ihnen vor allen Dingen in dramati-scher Weise gefehlt, als Sie die Länder im Bundesrat zurBlockade anstiften wollten.
Dieser Tag im Bundesrat, dieser 14. Juli, war ohne jedenZweifel vorläufiger Höhepunkt des Verlustes von jedwe-der finanzpolitischer Glaubwürdigkeit der CDU/CSU.
Da hat sich gezeigt: Sie können nicht mit Geld umgehenoder – noch genauer – nicht anständig mit Geld umgehen.Auf das Thema komme ich auch noch zu sprechen.
Das haben Sie auch in den letzten Wochen bewiesen,als Sie über die Versteigerungsmilliarden schwadronierthaben. Ich habe mir einmal zusammenstellen lassen, wervon Ihnen was dazu alles gesagt hat. Vollständige Verwen-dung zum Schuldenabbau – sagen Merz und Merkel.Infrastrukturaufbau – CDU-Parteitagsbeschluss. Steuernsenken, Milliarden an die Bundeswehr geben, 30 Milliar-den DM den Postpensionskassen, den Ländern Geld ge-ben, Unternehmen entlasten, den Soli abschaffen, dieInfrastruktur verbessern und die Konjunktur beleben– das hat Ihr haushaltspolitischer Sprecher alles in einerWoche hintereinander zur Verwendung der UMTS-Erlösegesagt. Das zeigt doch Ihre Qualifikation, Herr Kollege.
Forschungsinvestitionen, Geld für die Länder, Geld fürdie Gemeinden, mehr Verkehrsinvestitionen, Steuersen-kungen, mehr Familiengeld, Mittelstandsförderung,Schuldenabbau,
Solisenkung, Investitionshilfen – das hat die CSU gefor-dert. Viele Stimmen, ein heilloses Durcheinander: Beidem Chaos ist völlig klar, wieso Sie uns Schulden in Bil-lionenhöhe hinterlassen haben.
– Ich hatte von Billionen gesprochen, damit das nichtfalsch verstanden wird.Sie können nicht mit Geld umgehen. Deshalb dürfenwir Ihnen das auch nicht anvertrauen. Wir werden auchdafür sorgen, dass Sie nicht die Verantwortung für Geld inunserem Land bekommen.
Solidität, soziale Gerechtigkeit sind die Markenzei-chen unserer Finanz- und Steuerpolitik.
Diese Markenzeichen verbinden inzwischen alle Bevöl-kerungskreise mit unserer Politik. Bei allen Meinungsfor-schungsinstituten liegt die SPD bezüglich ihrer wirt-schafts- und finanzpolitischen Kompetenz weit, weitvor der Union. Das hat Gründe. Ich will nur drei heraus-greifen.Erstens. Jeder in unserem Land weiß inzwischen, dassCDU/CSU und F.D.P. für die höchste Staatsverschul-dung, die höchste Steuerbelastung und die höchsten Sozi-albeiträge verantwortlich waren. Sie haben damit Arbeits-plätze, die Wirtschaft und die Schaffenskraft unseresLandes sowie die Zukunft unserer Kinder leichtfertig aufsSpiel gesetzt.
Das war die Vergangenheit. Aber Sie machen so wei-ter. Sie können nicht umdenken; Sie können ja auch nichtmit Geld umgehen. In der ersten Hälfte dieser Periode ha-ben Sie in diesem Haus Anträge gestellt, deren Finanz-volumen über 50 Milliarden DM umfasst. Für Sie typischist, dass alle Anträge ohne Deckungsvorschläge waren,frei nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, versprechenwir jedem alles völlig ungeniert. – So kann man nicht Po-litik machen und wir wollen das auch nicht.
Zweites Beispiel. Sie haben die Senkung des Spitzen-steuersatzes über das jetzt beschlossene Maß hinaus ge-fordert. Das hätte 33 Milliarden DM mehr gekostet. Län-der, Gemeinden und Bund hätten entsprechend wenigerSteuereinnahmen gehabt. Dafür haben Sie keinenDeckungsvorschlag gemacht. Es war der reine, nackte Po-pulismus, eine unverantwortliche finanzielle Forderung,die Sie in diesem Hause aufgestellt haben.
Sie können eben nicht mit Geld umgehen.
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Dritter Punkt. Ich hatte bis eben das Vergnügen, dassder Kollege Kohl im Plenum war. Nun ist er nicht mehrda.
– Ist er noch da?
Herr Kollege Kohl, Ihre Fraktion hat also die Frage Ih-rer Sitzreihe geklärt.
Das ist aber so ziemlich das Einzige, was Sie derzeit aufdie Reihe kriegen, meine Damen und Herren.
Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Es wäre für die-ses Haus und auch für Ihre eigene Fraktion besser, HerrKollege Kohl, wenn Sie diesen Sitz nicht mehr beanspru-chen würden, wenn Sie diesem Parlament nicht mehr an-gehören würden!
Ihr Verhalten und Ihre Weigerung aufzuklären, Ihre un-verschämten Auftritte nach dem und vor dem Untersu-chungsausschuss, Ihre Weigerung, Namen zu nennen, undIhre nach wie vor bestehende Uneinsichtigkeit, dass SieGesetze gebrochen haben und das nicht akzeptieren wol-len, hat Sie zu einer Belastung für uns alle in diesem Par-lament gemacht. Sie haben in diesem Parlament keinenSitz mehr.
Ihre neue Partei- und Fraktionsführung hat in diesemZusammenhang von einer Rückkehr zur Normalität ge-sprochen. Zu welcher Normalität denn? Zur Normali-tät anonymer Millionenspenden? Zur Normalität vonSchäuble gegen Baumeister? Zur Normalität staats-anwaltschaftlicher Ermittlungen gegen die CDU rund umdie Uhr? Ich sehe noch lange keine Normalität, im Ge-genteil: Die weitere Anwesenheit von Herrn Kohl verhin-dert sie!
Wer wie Sie glaubt, Gesetzesverstöße durch beharrli-ches Schweigen aussitzen zu können, sollte sich eine Sitz-gelegenheit außerhalb des Parlaments suchen,
und dies umso mehr, Herr Kollege Kohl, als sich die Hin-weise verdichten, dass Sie nicht nur Nutznießer, sondernvielleicht sogar der Erfinder schwarzer Kassen waren.
Ähnliches gilt für Herrn Koch in Hessen, der sich im-mer mehr als gelehriger Schüler von Herrn Kohl erweist.Es gibt nur eine saubere politische Lösung in Hessen:Neuwahlen!
Und wenn sich die F.D.P. weiter an Herrn Koch und seineUnion klammert, statt für einen Neubeginn zu sorgen,wird sie ebenfalls schweren Schaden nehmen. Aber daswissen Sie, Herr Kollege Gerhardt, besser als ich.
Niemand von uns hat, als der Kollege Kohl hier imBundestag nur eine Zwischenfrage stellte, geahnt, was da-raus werden würde, dass der Spendenskandal der CDUsolche Ausmaße annehmen könnte. Eines aber hat derSpendenskandal inzwischen überdeutlich bestätigt: DieCDU kann nicht anständig mit Geld umgehen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort zur Arbeit desUntersuchungsausschusses sagen. Durch seine Arbeitsind bereits zahlreiche Sachverhalte aufgedeckt oder An-stöße zur Aufdeckung gegeben worden.
Vor allem aber hat der Ausschuss durch seine Arbeit ver-hindert, die CDU-Skandale in Vergessenheit geraten zulassen. Die Rechnung der Union, die Dinge unter den Tep-pich zu kehren, ist nicht aufgegangen. Das ist gut so.
Allerdings wird die Beweisaufnahme des Ausschussesmassiv behindert.
Statt des verkündeten Prinzips „brutalstmögliche Auf-klärung“ pflegt die CDU das Prinzip der konsequentenAufklärungsverweigerung. Ich nenne hier nur die Ver-nichtung und das Verschwinden wichtiger Akten. Es istein für unser Land undenkbarer Vorgang, dass – dieserPunkt ist unstrittig – in der Verantwortung eines Kanzlersund eines Kanzleramtministers Akten vernichtet wordensind. Undenkbar!
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Der kollektive Gedächtnisverlust zahlreicher Zeugen ausden Reihen der CDU – wenn sie sich überhaupt zur Aus-sage entschließen – ist schon eigenartig.Neben dem Untersuchungsausschuss des DeutschenBundestages sind inzwischen zig Staatsanwaltschaften,Gerichte und Behörden dabei, Licht ins Dunkel der Uni-onsmachenschaften zu bringen. Ich will diese Stellen ein-mal aufzählen, damit man weiß, was in Deutschland allesim Zusammenhang mit der CDU-Spendenaffäre passiert:Staatsanwaltschaften Augsburg, Wiesbaden, Bonn, Düs-seldorf, Saarbrücken, Berlin, Bochum und Genf; Ermitt-lungsbehörde Paris; Steuerfahndung Augsburg, Düssel-dorf, Darmstadt und in Rheinland-Pfalz. Außerdemlaufen wegen des Aktenschwundes und der Datenver-nichtung im Kanzleramt unter Ihrer Verantwortung, HerrKohl, Disziplinarverfahren gegen Mitarbeiterinnen undMitarbeiter.Ich weiß nicht, wie viele Staatsanwaltschaften in dengroßen Mafiaprozessen in Italien involviert waren. Aberviel mehr können es auch nicht gewesen sein.
Ich benutze den Begriff Mafia, weil der ehemalige CDU-Parteivorsitzende und CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende,Wolfgang Schäuble, die Vorgänge in der Union mit Tat-beständen in der organisierten Kriminalität verglichen hat
und weil in seiner Umgebung von Mafia gesprochenwurde. Das ist nicht meine Wortwahl, sondern die vonHerrn Schäuble.Meine Damen und Herren, Sie haben deshalb über-haupt keinen Grund, solche Reden zu halten, wie sie HerrGlos hier gehalten hat. Sie sollten sich schämen ange-sichts der Tatsache, was Ihre Partei zu verantworten hat.
Es wird Sie alles noch einholen. Wenn man sich allein vorAugen hält, dass der ehemalige verantwortliche Mitarbei-ter in der CDU-Zentrale, Herr Lüthje, unwidersprochenerklärt hat: „Weil ich eine Falschaussage gemacht habe,ist Herr Kohl noch im Amt“, dann wird einem klar, mitwelchen Leuten wir es hier zu tun haben. Das will ich Ih-nen deutlich sagen. Sie sollten sich schämen.
Wir legen eine Halbzeitbilanz vor, die sich sehen las-sen kann.
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik wurden soviele Reformprojekte so schnell auf den Weg gebrachtund durchgesetzt.
Ich will nicht alle Punkte dieser Leistungsbilanz auf-zählen.
Das ist gestern in der Debatte schon geschehen. Ich willvielmehr noch etwas zu dem Thema Österreich sagen.Herr Glos hat sich damit und mit dem Thema Euro inten-siv beschäftigt. Es freut mich in diesem Zusammenhang,dass Herr Waigel noch anwesend ist.Ich fange mit dem Thema Euro an. Ich habe Sie sehraufmerksam beobachtet, Herr Kollege Waigel. Sie habenzu keinem dieser lächerlichen Sätze Ihres Fraktionskolle-gen Beifall geklatscht – zu Recht.
– Bleiben Sie ganz ruhig, Herr Kollege Waigel. Ich könnteentsprechende Zitate von Ihnen bringen. Stellen Sie sichdoch einmal hier hin und erklären, dass Sie das, was Glosgesagt hat, unterstreichen können. Sie glauben das dochselbst nicht.
Der gegenwärtige Kurs des Euro ist überhaupt keinGrund zur Panik.
Die Herren Stoiber und Glos sollten sich von Ihnen, HerrWaigel, beraten lassen, bevor sie in unerträglicher Weiseeine antieuropäische Stimmung gegen den Euro machen.Wegen billiger Effekte spielen sie mit dem Feuer.
Selbst Frau Merkel ist klüger als Sie, Herr Glos;
denn sie hat ihre Partei zu Recht davor gewarnt, sich in dieEcke der Euro-Skeptiker stellen zu lassen. Sehr gut, sehrrichtig, Frau Merkel.Das Wachstum in der Euro-Zone ist robust. Das Auf-wertungspotenzial des Euro wird sich nach und nach er-schließen. Es kommt entscheidend darauf an, dass dieWachstumsdynamik im Euro-Raum nachhaltig und aus-dauernd sein wird. Ich fordere die Opposition auf, dieMenschen in unserem Land nicht länger durch sach-fremde Behauptungen zu verunsichern.
Nun zum Thema Österreich. Ich weiß, das ist Ihr Lieb-lingsthema, Herr Kollege Glos, weil Ihre Partei besondereVerbindungen zur FPÖ hat. Es war richtig von der Bun-desregierung, weder bei der Einführung der bilateralenMaßnahmen noch bei deren nun erfolgter Beendigung
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eine Sonderrolle spielen zu wollen. Die Bundesregierunghat gut daran getan, auf Ihre falschen Ratschläge, meineDamen und Herren, nicht zu hören.
Sie werden auch keinen Erfolg damit haben, die Emp-fehlungen der drei Weisen der EU in der Öffentlichkeitverkürzt oder falsch darzustellen. In diesem Berichtwird – Herr Glos, Sie haben ihn nicht gelesen; deshalbkönnen Sie es auch nicht wissen – in Ziffer 155 aus-drücklich auf den bisherigen Erfolg der bilateralen Maß-nahmen hingewiesen und lediglich empfohlen, jetzt eineÄnderung herbeizuführen, was die zuständige französi-sche Ratspräsidentschaft gestern Abend bekannt gegebenhat. Auch werden Sie es nicht schaffen, von der Empfeh-lung der drei Weisen abzulenken, in Europa für solcheFälle wie die der FPÖ-Regierungsbeteiligung in Öster-reich
ein dauerhaftes Präventions- und Überprüfungssystemeinzurichten. Wir unterstützen diesen Vorschlag und se-hen im Übrigen überhaupt keinen Grund zur plötzlichenSorglosigkeit, was die FPÖ in Österreich betrifft.
– So ein Stuss. Halten Sie sich einmal zurück. Schade,dass die Fernsehzuschauer und die Rundfunkhörer IhrenQuatsch nicht hören können.Mit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zu-kunft“ haben wir ehemaligen Zwangsarbeitern endlichEntschädigung zugestehen können. Das ist ein Werk, dasSie lange Jahre überhaupt nicht auf die Reihe bekommenhaben.
Ich wiederhole deshalb hier ganz ausdrücklich: Ich for-dere die bundesdeutsche Wirtschaft auf, endlich ihrenvollständigen Anteil von 5 Milliarden DM zu erbringen.
Herr Kollege Glos, Sie haben am Rande über dieUMTS-Versteigerungserlöse gesprochen. Wir haben99,4 Milliarden DM erzielt. Wir gehen damit nicht wieHans im Glück um. Wir machen auch keine schlechtenTauschgeschäfte. Wir gehen damit um, wie unser Hans ist:nämlich ganz solide.
Wir setzen das Geld zur weiteren Konsolidierung der öf-fentlichen Haushalte ein, um den Schuldenberg abzutra-gen, den Sie uns hinterlassen haben. Das ist unsere Auf-gabe.
Herr Kollege Glos, Sie sind ja stellvertretender Frakti-onsvorsitzender, wenn ich richtig informiert bin.
Sie haben Ihren Fraktionsvorsitzenden dahin gehend kor-rigiert, er habe davon nicht sehr viel Ahnung.
Da haben Sie Recht. Als er nämlich davon gesprochen hat,er wolle die gesamten Erlöse für den Schuldenabbau ver-wenden, da haben Sie gesagt, er müsse noch etwas hinzu-lernen, das sei so nicht richtig. Da haben Sie Recht.
– Ja, da hat auch Herr Merz Recht. Mich freut ja nur, dassHerr Glos öffentlich Herrn Merz kritisiert.
Das kommt in meiner Fraktion nicht vor.
So viel zu dem Thema „selbstbewusste SPD-Fraktion“,das Sie vorhin angesprochen haben.
Die SPD-Fraktion ist sehr selbstbewusst. Manchmal ist esmir schon ein bisschen zu viel. Aber ich bin stolz darauf,dass sie so selbstbewusst ist. Also vergessen Sie einmalIhre dummen Sprüche.
Die Zinsen, die wir einsparen, setzen wir zur Zu-kunftsvorsorge und für Investitionen ein. Wir nutzen sie,um ein Stück der Infrastrukturlücke – dieses Wortmöchte ich betonen – zu schließen, die Sie uns ebenfallshinterlassen haben.
Wir investieren in den Verkehr, in die Schiene. Wir inves-tieren in Bildung und Forschung und in die energetischeSanierung von Häusern. Unser Energieverbrauch ist zuhoch und die ökonomisch sowie ökologisch sinnvolleAntwort auf hohe Energiepreise ist zuallererst, mit Ener-gie effizienter umzugehen und Energie einzusparen. Dasgilt auch für Autofahrer, das will ich deutlich festhalten.
Das gilt nicht nur jetzt, sondern immer.
Wenn Sie Energieeinsparungsmaßnahmen geförderthätten, wäre die heutige Situation anders. Sie haben An-reize abgebaut und das rächt sich jetzt bitter. Wir müssendas in Ordnung bringen.
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Dr. Peter Struck11193
Sie haben eine Infrastrukturlücke entstehen lassen, nichtin den neuen Ländern, da war die SED verantwortlich. Esgibt aber auch Infrastrukturprobleme in den alten Bun-desländern und es wird eine sehr langwierige Aufgabesein, diese Lücke wieder zu schließen. Wir packen das an,wir tun es. Wir beginnen im nächsten Jahr und werden dasin den folgenden Jahren fortsetzen.Da wir gerade beim Stichwort Energie sind, möchte ichIhnen, Herr Glos, sagen: Sie haben sich in der Ihnen ei-genen Art aufgebauscht, als sei die Union beim ThemaBenzinpreis der Retter der Autofahrer. Statt Ihrer Hyste-rie zu folgen, empfehle ich, folgende Fakten zu betrach-ten: Wir haben eine heftige Diskussion über die Benzin-und Heizölkosten. Der Grund: Der Rohölpreis hat sichverdreifacht.Das ist eine Belastung für die Arbeitnehmer und dieWirtschaft und erfordert große Anstrengungen. Wir sehendie Härten und die großen Probleme, die das für Arbeit-nehmer, vor allem für die mit einem langen Weg zur Ar-beit, und für einzelne Teile der Wirtschaft mit sich bringt.Wir übersehen auch nicht, dass die Mineralölkonzernesehr einheitlich agieren und gut verdienen. Ihre Aktien-kurse steigen, auch darauf muss man hinweisen.
Die Experten sagen uns: Die wirtschaftliche Entwick-lung ist nicht gefährdet und ein Vergleich mit den Öl-preiskrisen von 1973 und 1980, mit denen wir fertiggeworden sind, als wir regierten, kann nicht angestelltwerden. Wir müssen alles tun, damit eine solche Situationgar nicht erst entsteht. Der wichtigste Hebel dafür ist undbleibt die Reduzierung der Nachfrage. Übrigens: Ohnedie große Anpassungsleistung nach 1973 und 1980 stün-den wir heute wesentlich schlechter da. Wir müssen aufdem Weg der Reduzierung des Verbrauchs und der Er-höhung der Effizienz des Energieeinsatzes fortfahren. Daswerden wir mit unseren Zukunftsmaßnahmen tun.
Jetzt haben Sie die Ökosteuer entdeckt, jetzt machenSie sie – 6 Pfennig mehr pro Liter plus Mehrwertsteuer beivoller Rückgabe des erzielten Steueraufkommens an Ar-beitnehmer und Wirtschaft über die Senkung der Lohn-nebenkosten – zum Hauptthema. Sie verschweigen aberund wollen vertuschen, dass Sie in der Zeit der RegierungKohl die Mineralölsteuer um 50 Pfennig in vier Jahren er-höht haben. Damals waren Sie nicht an der Seite der Spe-diteure oder wessen auch immer, bei denen Sie sich jetztanbiedern wollen.
Jetzt schreien Sie Zeter und Mordio. Dabei hat HerrMerz noch im November 1998, wobei ich nicht weiß, ober da schon Fraktionsvorsitzender war –
– nein, er war es noch nicht, er war Fraktionsvize –, ge-sagt:Durch die Ökosteuer sollen Steuern erzielt werden,um auf der anderen Seite Sozialabgaben zu reduzie-ren. Über ein solches Konzept kann man reden.Richtig, Herr Merz, darüber kann man nicht nur reden, daskann man machen und das haben wir getan.
Von Frau Merkel konnte man in der „Welt am Sonntag“vom 22. März 1998 lesen: Angela Merkel hält eine Ben-zinpreiserhöhung an sich für eine gute Grundidee, um imRahmen einer großen Steuerreform auch ökologischeKomponenten einzubauen.
Noch früher hieß es: Bundesumweltministerin AngelaMerkel hält eine jährliche Anhebung der Mine-ralölsteuer von etwa 5 Pfennig für angemessen.Erinnern Sie sich an Ihre eigenen Worte, Frau Merkel,wenn Sie solch unanständige Kampagnen machen!
Ich finde es schon etwas verwegen, Frau KolleginMerkel, wenn ausgerechnet die ehemalige Umweltminis-terin zu dieser Kampagne aufruft. Es gibt Leute, die sichnoch ganz genau daran erinnern, dass es die gleiche FrauMerkel war, die weinend aus dem Kabinettsaal gelaufenist, weil ihre Forderung nach einer Ökosteuer vom Tischgewischt wurde.
– Das hören Sie nicht gern; das kann ich verstehen. – Sieschreiben in jüngster Zeit gern über das christliche Men-schenbild. Heuchelei, Frau Merkel, gehört meines Wis-sens nicht dazu.
Gott sei Dank gibt es auch in der CDU Leute, die Ruhebewahren. Ich zitiere Professor Eekhoff, Exstaatssekretärim Bundeswirtschaftsministerium, aus der „Welt“ vom12. September:Ich hielte es für ein völlig falsches Signal, die Steu-ern unter dem gegenwärtigen Vorzeichen steigenderEnergiepreise zu senken. In Frankreich hat der Staatmit seinen Zugeständnissen an die Spediteure seinMachtmonopol aus der Hand gegeben. Das ist mitdas Schlimmste, was passieren kann. Unter demDruck der Straße auf die Forderungen einzugehen, istäußerst gefährlich, weil es sehr schnell Schule ma-chen würde.– Recht hat der Mann.
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Dr. Peter Struck11194
Sie hingegen produzieren Hysterie. Was wir in dieser Si-tuation brauchen, sind ein klarer Kopf und ein kühler Ver-stand.
Meine Damen und Herren, wir betreiben eine Politikder Zukunftsvorsorge. Wir wollen die Altersversorgungin Zeiten demographischen Wandels auf eine neue, stabileund verlässliche Grundlage stellen. Das ist schwer, das er-fordert viel Kraft. Wir wollen dabei im Übrigen dafür sor-gen, dass Zeiten der Kindererziehung für Mütter keineZeiten mehr sind, die Rentenkürzungen bedeuten. Darauflegen wir Wert.
– Stimmt, das ist einen Beifall wert. – Wir wollen, dassdiese Aufgabe, deren Horizont Jahrzehnte umfasst, vonmöglichst vielen Kräften mitgetragen wird: von den Ge-werkschaften, aber auch von Ihnen, meine Damen undHerren aus der Opposition. Ich meine, dass die Bedeutungdieser Aufgabe auch Verantwortung der Opposition ver-langt. Weil wir den Konsens wollen, sind wir auch da ge-sprächsbereit, wo Ihre Zustimmung zur Gesetzgebungnicht erforderlich ist.Wir wollen die Politik der Erneuerung fortsetzen. DerRückgang der Arbeitslosenzahl zeigt, dass wir auf demrichtigen Wege sind. Der Reformstau in Deutschland istaufgelöst und wir werden die Politik der Reformen undInnovationen fortsetzen. Deshalb setzen wir die erspartenZinsen für Investitionen ein und deshalb legen wir wei-terhin Wert auf eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Wirwollen die Teilhaberechte der Menschen ausbauen undstärken. Dazu werden wir zum Beispiel das Betriebsver-fassungsgesetz novellieren.Wir werden ferner einen Vorschlag für eine stärkeredirekte politische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürgervorlegen.
Auch an dieser Stelle herrscht bei Ihnen noch ein ziemli-ches Durcheinander. Ich lese da: Frau Merkel lehnt Volks-abstimmungen ab. Der saarländische Ministerpräsident,Herr Müller, ist dafür. Der rechtspolitische Sprecher derCDU/CSU-Fraktion – ich weiß im Moment nicht, wie erheißt – ist dagegen.
Er hat dafür eine interessante Begründung. Er sagt in ei-ner Pressemitteilung vom 5. September:Erst wenn die Verantwortlichkeiten klar erkennbarsind, kann das Wahlvolk richtig entscheiden. Nur sofunktioniert Demokratie. Das geht aber nicht, wenndas Volk selbst entscheidet. Es wird sich nicht selbstzur Verantwortung rufen.Das ist Ihr Demokratieverständnis: Das Volk ist dasObjekt und kann keine Verantwortung übernehmen. Mankann dem nur hinzufügen: Sie mit diesem Chor auchnicht, meine Damen und Herren!
Sie sind als größte Oppositionsfraktion ein Totalausfall.
„Die Union ohne Plan“ schrieb kürzlich „Die Zeit“.Moralisch sind Sie immer noch im Spendensumpf ver-strickt. Inhaltlich haben Sie nirgendwo ein stringentesKonzept. Kein Wort der Alternative habe ich heute von Ih-nen gehört, Herr Glos, kein Wort dazu, was Sie denn an-ders machen würden.
Kollege Struck, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bosbach?
Ich möchte gern diesen Ge-
danken zu Ende führen, aber danach selbstverständlich,
Herr Präsident.
Finanzpolitisch sind Sie so seriös wie Hütchenspieler.
Ihnen kann man das Land nicht anvertrauen. Was Sie pro-
duzieren, ist Hysterie. Was wir jetzt brauchen, sind ein
klarer Kopf und ein klarer Verstand.
Herzlichen Dank.
Kollege Bosbach, Sie
haben das Wort zu einer Zwischenfrage.
Herr KollegeDr. Struck, ich zitiere aus dem Buch des ehemaligen Bun-deskanzlers und Ihres Parteifreundes, Helmut Schmidt,mit dem Titel „Handeln für Deutschland“ aus dem Kapi-tel „Über die Verfassung von Staat und Gesellschaft“:Je größer eine Massenversammlung, umso mehrhängen ihre Beschlüsse von Augenblicksstimmun-gen ab. Ich habe miterlebt, wie ein ganzer Parteitagbeschlossen hat, alle Maklerberufe abzuschaffen.Mit Recht und selbstverständlich haben sich damalsBundeskanzler Brandt und seine Regierungskoali-tion nicht nach diesem Unfug gerichtet. Je mehr di-rekte Entscheidungen durch das ganze Volk, umsounregierbarer das Land!Meine Frage: Teilen Sie diese Einschätzungen vonHelmut Schmidt?
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Dr. Peter Struck11195
Herr Kollege Bosbach, ich
habe ja nicht vorgeschlagen, dass Parteitage befragt wer-
den, wenn wir irgendetwas entscheiden.
Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich habe mit manchen
Parteitagsbeschlüssen meiner Partei auch Schwierigkei-
ten. Nur so viel: Ich bin dafür, dass wir mehr plebiszitäre
Elemente in unsere Verfassung einbauen, weil das Volk
mehr mitentscheiden soll als bisher.
Ich erteile das Wort zu
einer Kurzintervention der Kollegin Angela Merkel,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Kollege Struck,
nach der Antwort auf die Frage meines Kollegen Bosbach,
in der die gesamte Verachtung für Ihre Partei spürbar
wurde, –
– kann ich nur sagen: Sie sollten bei dieser Einstellung zu
den Menschen von Befragungen der Bevölkerung Ab-
stand nehmen.
In diesem Sinne sage ich Ihnen auch: Das, was Sie hier
heute gesagt haben, hat wieder einmal gezeigt: Sie neh-
men es mit der Wahrheit nicht nur nicht so genau, sondern
Sie sagen schlicht und ergreifend die Unwahrheit.
Jenes in Deutschland inzwischen weithin beschriebene
Ereignis im Zusammenhang mit dem Kabinett handelte
nicht von der Ökosteuer, sondern bekanntermaßen vom
Sommersmog. Damals hatte Frau Griefahn in ausführli-
cher Weise sämtliche Mütter und Väter in Deutschland
wegen der Gefährdung durch den Sommersmog in Hyste-
rie versetzt.
Wir haben eine Verordnung gemacht. Diese hat genau bis
zum letzten Jahr gehalten. Herr Trittin war nicht in der
Lage, eine Nachfolgeverordnung zu beschließen. Und
heute ist es eben nicht mehr schlimm, weil Sie regieren
und weil Sie keine Volksverhetzung mehr betreiben.
Sie haben das damals mit den Kindern in einer Weise ge-
macht, die völlig unverantwortlich war. Das ist Punkt
eins.
Zum zweiten Punkt. Was die ökologischen Elemente
im Steuersystem anbelangt – das habe ich immer gesagt,
selbst in der Debatte, als noch Finanzminister Lafontaine
hier die einführende Rede gehalten hat –, war ich in der
Tat der Meinung, dass solche Steuern europaeinheitlich
eingeführt werden sollten. Damals habe ich mich auch
noch in seltener Übereinstimmung mit Ihrem Herrn Bun-
deskanzler befunden. Auch er war nämlich der Meinung:
erste Stufe national und ab dann nur noch europaeinheit-
lich.
Heute ist es aber so, dass Herr Eichel nach Frankreich
fährt und letztendlich abnicken muss – natürlich unter
Protest nach außen –, dass die französische Regierung die
Steuern senkt und die deutsche Regierung zum 1. Januar
2001 die Steuer erhöhen will. Wir sind dagegen, weil das
von der Europaeinheitlichkeit abweicht.
Herr Struck, da Sie so viel lesen, empfehle ich die Lek-
türe Ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung. Dort steht
schwarz auf weiß geschrieben: Die Ausgestaltung dieser
Reform – gemeint ist die ökologische Steuerreform –
sollte in Abhängigkeit von der Konjunktur – das ist im Au-
genblick kein Thema – und den aktuellen Energiepreisen
erfolgen.
Sie haben selbstherrlich für die gesamte Legislaturperi-
ode festgelegt, wie die nächsten Stufen auszusehen haben.
Jetzt müssen Sie feststellen, dass sich die aktuellen Ener-
giepreise anders entwickelt haben, als Sie es erwartet ha-
ben.
Ich erwarte, dass Sie auf diese Entwicklung Rücksicht
nehmen und deshalb die Steuern zum 1. Januar 2001 nicht
erhöhen. Das ist nur recht und billig gemäß dem, was Sie
in Ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung festgelegt haben.
Herr Struck, Sie ha-
ben die Gelegenheit zur Antwort.
Frau Kollegin Merkel,zunächst einmal, denke ich, wäre es ganz gut für diese De-batte: Ich gebe zu, dass ich scharfe Formulierungen in Be-zug auf Kohl und Ihre Fraktion gebraucht habe.
Das war aber nicht falsch. Der ehemalige Bundeskanzlerist nach wie vor ein Gesetzesbrecher. Das wollen wir hierdoch einmal festhalten.
Frau Kollegin Merkel, ich nehme zur Kenntnis, warumSie weinend aus dem Kabinett gegangen sind.
Ich möchte Ihnen aber auch noch sagen: Sie haben dasWort „Volksverhetzung“ hier im Zusammenhang mit ei-ner Kollegin meiner Fraktion, einer ehemaligen Landes-ministerin, gebraucht. Hüten Sie bitte Ihre Zunge! Volks-
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verhetzung, meine Damen und Herren, hat in diesemHause nicht der Vorwurf einer Fraktion gegenüber eineranderen zu sein. Ich habe Ihnen auch nicht Volksverhet-zung vorgeworfen.
Ich bleibe dabei – das werden Sie, Frau KolleginMerkel und andere, die sich an dieser Hysterie beteiligen,dann auch allen draußen erklären müssen –: Was würdedenn wohl passieren, wenn wir die Ökosteuer jetzt aus-setzten? Was würde da denn wohl passieren?
Glaubt in diesem Hause jemand wirklich ernsthaft, dassdies eine dauerhafte Senkung der Mineralölpreise nachsich ziehen würde? Wir wissen doch ganz genau, wie Mi-neralölkonzerne auf solche Maßnahmen reagieren. Diese6 Pfennig würden innerhalb von einer Woche wiederdraufgeschlagen. Das, was Sie hier vortragen, ist dochlächerlich.
Politik braucht Verlässlichkeit, Stetigkeit
und einen kühlen Kopf. Ich halte die Maßnahmen derfranzösischen Regierung für falsch.
Die Bundesregierung und wir als die sie tragende Fraktionwerden diesen Fehler der französischen Regierung nichtnachmachen. Das kann ich Ihnen hier verbindlich versi-chern.
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Wolfgang Gerhardt, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, ganzernsthaft und ohne Ironie – auch der Kollege Struck hat esja umfassend gewürdigt –: Ich gratuliere Ihnen uneinge-schränkt zu der Auszeichnung als Weltstaatsmann. DieseAuszeichnung wird von einem Gremium verliehen. Wirmögen hier im innerparteilichen Schlagabtausch manchesan Ihrer Politik anders sehen; das besprechen wir jetzt.Aber: Herzlichen Glückwunsch!
Nur, Herr Kollege Struck, Sie haben schon gespürt,dass diese Auszeichnung sehr wenig in Ihre Reihen aus-strahlt.
Das möchte ich Ihnen gleich zu Beginn sagen: Ein Frak-tionsvorsitzender im Deutschen Bundestag darf sich beialler politischen Kontroverse mit anderen niemals zu sol-chen persönlichen Bemerkungen hinreißen lassen, wieSie sie gegenüber dem früheren Bundeskanzler Kohl ge-tan haben.
Wir alle haben – nachdem Sie jetzt Platz genommen ha-ben, wissen Sie das – heute Morgen Souveränität und Stilin Ihren diesbezüglichen Ausführungen schmerzhaft ver-misst. Das muss zu Beginn klar festgestellt werden.
Nun komme ich zu den eigentlichen Themen. HerrBundeskanzler, nachdem Sie diese große Auszeichnungbekommen haben, hoffen wir, die Bundestagsfraktion derF.D.P., dass Ihnen mit dieser Auszeichnung im Rücken ei-niges leichter von der Hand geht, was in diesem Herbstzur Entscheidung kommt. Lassen Sie mich bei einem ganzkleinen Thema anfangen und dieses dazu in Bezug setzen:Ein Weltstaatsmann mit Ladenschluss in Deutschland –das passt so nicht zusammen.
Ändern Sie mit uns im Herbst die Gesetzeslage. DerHauptverband des Deutschen Einzelhandels hat seineMeinung geändert und schlägt nun auch vor, dass die La-deninhaber selbst entscheiden. Herr Bundeskanzler, derWeltstaatsmann und der Fraktionsvorsitzende der F.D.P.könnten gut zusammenfinden,
weil wir doch fragen müssen: Warum um alles in der Weltsind die hier versammelten Abgeordneten verpflichtetund bereit, den Inhabern von Geschäften vorzuschreiben,wann sie öffnen und schließen dürfen? Das kann nichtsein.
Weltstaatsmann und Österreich: Sind nun die Sank-tionen richtig aufgehoben, halb aufgehoben oder zu dreiViertel aufgehoben? Sie müssen das nachher sagen. Ichschlage Ihnen einfach vor: Mit diesem Titel im Rücken la-den Sie als Weltstaatsmann der Bundesrepublik Deutsch-land den benachbarten Kanzler der Republik Österreichnach Berlin ein, um eindeutig vor aller Öffentlichkeitklarzustellen, dass die Sanktionen aufgehoben sind.
Sie wissen es genauso gut wie ich: Die Sanktionen sindin die Hose gegangen. Sie haben in Dänemark Befürch-tungen ausgelöst, die das Referendum in eine falscheRichtung lenken können. Sie haben in der kleinen be-nachbarten Schweiz Befürchtungen ausgelöst, was mit je-nen geschieht, die als kleineres Land vielleicht dazukommen
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möchten. Sie haben weltweit bei den kleinen Ländern denEindruck erweckt, die Großen wollten den Kleinen Moreslehren.Das ist der psychologische Eindruck, den Sie erweckthaben, nicht die Sorge um eine Entwicklung in der Nach-barrepublik Österreich, die gefährlich werden könnte.Nein, die Souveränität des Umgangs mit benachbartenStaaten und mit allen Staaten der Welt gebietet es, Wahl-ergebnisse zu respektieren und Koalitionsvereinbarungenzur Kenntnis zu nehmen; es sei denn, Koalitionsver-einbarungen und die eingeleitete Politik widersprächeneklatant den Verträgen der Europäischen Union. Abernicht die österreichische Politik widerspricht eklatant denVerträgen der Europäischen Union, sondern die Reaktionder 14 Staaten widerspricht eklatant den Verträgen der Eu-ropäischen Union.
Ich kann Ihnen eine Sorge nehmen – Herr KollegeSchlauch spricht nachher noch –: Nehmen Sie die Inter-netseite der österreichischen Grünen; sie denken so wiedie deutsche F.D.P. Ich habe sie ausgedruckt mitgebracht.Auf Ihren Außenminister, der noch gestern einen Eier-tanz der Sonderklasse aufgeführt hat, brauchen Sie keineRücksicht zu nehmen. Der Mann darf uns nicht mehr er-zählen, was er mit Menschenrechtenmeint. Ich habe einZitat von ihm. Er hat noch 1995 von einem barbarischenKrieg und grausamen Morden einer nuklearen Super-macht gegen ein kleines Kaukasusvolk gesprochen. Alsder vorhin beschimpfte Bundeskanzler Kohl noch Verant-wortung hatte, hat er unsere Regierung aufgefordert, end-lich eine westliche Initiative gegen Moskau zu ergreifen.Als der Außenminister Fischer in Moskau beim Kriegs-herrn Putin war, hat er davon nichts mehr erwähnt. Des-halb gilt dies gar nicht mehr.
Wenn wir jetzt schon einiges unter dem großen Schirmverändern, dann schlage ich Ihnen vor: Machen Sie eineKehrtwende bei der Ökosteuer. Als Weltstaatsmann gehtdas, weil Sie galaktisch denken müssen. Sie müssen auchdie anderen sehen.
Aus der innenpolitischen Auseinandersetzung wissenSie doch: Die doppelte Dividende ist nicht möglich. Be-kanntlich sind die Rentenversicherungsbeiträge nicht sostark im Sinken begriffen, wie wir uns das gewünscht hät-ten. Der Stau auf den Autobahnen ist noch da. Die Öko-steuer drangsaliert eher die Autofahrer. Auch belastet sie– das wissen Sie doch – diejenigen, die keine S-Bahnsta-tion vor der Tür haben. Im Übrigen wird in diesem Win-ter, weil es auch die Heizölkosten betrifft, der Satz „Ihrmüsst euch warm anziehen“ eine völlig neue Bedeutunggewinnen.
Es sind eben nicht die bösen Ölscheichs und die Mine-ralölkonzerne, die immer herhalten müssen. Nein, es sinddiesmal die Steuerbelastungen in der BundesrepublikDeutschland. Die Frage von vorhin „Wissen Sie denn ge-nau, ob der Benzinpreis, wenn wir die Ökosteuer ausset-zen, nicht weitersteigt?“ ist so nicht zu beantworten. Abereines wissen wir genau: Wenn Sie sie nicht aussetzen,steigt er auf jeden Fall. Diese Sicherheit hat der Bundes-kanzler der Bundesrepublik Deutschland.
Sie können auch schlecht den OPEC-Staaten anraten,die Produktion zu erhöhen, um weltweit einigermaßenStabilität zu sichern und die großen Gesellschaften unddie hoch technologisierten Gesellschaften nicht in sozialeInstabilitäten zu stürzen. Wenn die OPEC-Staaten die Pro-duktion dauernd steigern, um in einer globalisierten Wirt-schaft einen weltweiten Beitrag zu leisten, der Weltstaats-mann in Deutschland die Ökosteuer aber dauernd erhöht,werden das die Scheichs nicht begreifen. Sie werden Ih-nen dann irgendwann sagen: Wenn Sie so handeln, dannbrauchen wir auch die Produktion nicht zu erhöhen. Alsoaufpassen: Wer so einen Titel bekommt, muss Weitblickzeigen.
Deshalb schlage ich Ihnen vor, noch in diesem Herbst eineentsprechende Erklärung abzugeben. Ich gebe hier sogarmeine Meinung kund: Sie werden das in diesem Herbsttun. Sie werden die Ökosteuer aussetzen. Sie werden dasnicht im Bundestag erklären; das war für Ihre Erklärun-gen auch nie der richtige Ort. Sie werden einen Autogip-fel installieren und dann werden Sie das Ganze erklären.Die Grünen werden es dann mitmachen, weil sie ohnehinkeine Alternative mehr haben. So wird das früher oderspäter ablaufen.
Ich mache Ihnen sogar einen Vorschlag. Ich habe inmeinem Kalender noch einmal vorgreiflich
geprüft: Der Verband der deutschen Automobilindustriehat in absehbarer Zeit zu einem Empfang in Frankfurt ein-geladen. Ich nehme daran teil. Ich schlage vor, Frau Kol-legin Merkel kommt ebenfalls.
– Sie kommen auch hin? – Dann kann der Bundeskanzlereine entsprechende Erklärung abgeben. Wir begrüßendiese Erklärung. Ich lasse vorsorglich eine Pressemittei-lung in der F.D.P.-Bundestagsfraktion anfertigen.
Ich empfehle für die F.D.P.-Fraktion eine weitere Kurs-korrektur in der Gesundheitspolitik. Im Übrigen riecheich die Kurskorrektur schon förmlich.
Denn, Herr Bundeskanzler, Sie haben in der letzten Zeiteinige bemerkenswerte Äußerungen zu diesem Sujet ge-
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macht. Was Frau Fischer in der Gesundheitspolitik ange-fasst hat, ist alles unheilbar krank geworden.
Wir hatten einen schlechten Gesetzentwurf und einschlechtes Gesetz. Es wird budgetiert, reglementiert, kol-lektiv abgebucht, kollektiv zugeteilt; es ist ein Supermarktohne Preisschilder, bei dem niemand mehr Anreize für einverantwortungsbewusstes Verhalten bekommt. Das istdas Ergebnis der Gesundheitspolitik.
Sie geben den Versicherten, die einzahlen, eigentlichüberhaupt keine Rechte. Sie geben einer Schar von Milli-onen Versicherten nicht eine einzige Chance, selbst zuentscheiden: gegen oder für etwas, mit Selbstbehalt, ohneSelbstbehalt, mit Zuzahlung oder ohne Zuzahlung. Wersich in der Woche fünf Tage krankschreiben lässt, bezahltbei Erkältung dasselbe wie jemand, der ins Büro geht undeinen starken Tee mitnimmt, damit er seine Arbeit ver-richten kann. Das ist kein gerechtes System.
Sie werden diesen Marsch in das alte Kollektiv, in diealte Einheitsversicherung stoppen müssen. Sie müssen dieEigenverantwortung der Menschen stärken. Sie könnensoziale Kriterien einbeziehen für diejenigen, die nicht sozahlungsfähig sind, aber Sie können nicht ein Heer vonMillionen Beitragszahlern über einen Kamm scheren.Sie werden bei den Kassen Wettbewerbs- und Ver-handlungslösungen vorschlagen müssen. Sie werden dazubeitragen müssen, dass das Vertrauensverhältnis Arzt/Pa-tient wieder ein echtes Vertrauensverhältnis wird und dassnicht der Patient zum Arzt kommt und der Arzt eine The-rapie untersagen muss, weil Frau Fischer reglementiert.Am Ende werden auch die Grünen das mitmachenmüssen. Sie wissen, Herr Bundeskanzler, dass auf einemder größten Wachstumsmärkte der Welt, der Gesundheits-politik, in Deutschland Dilettantismus herrscht. Die Grü-nen werden das mitmachen, Frau Fischer wird gehen – dassagt ihr nur niemand richtig. Es ist höchste Zeit.
Wenn Sie in diesem Herbst mit uns die Rentenreformweiter verhandeln, müssen dazu heute einige Bemerkun-gen gemacht werden, weil wir ja zu Recht Ihrem Appellgefolgt sind, in überparteiliche Gespräche einzutreten.Eine Bemerkung darf ich auch gegenüber dem Welt-staatsmann machen: Bei der letzten Bundestagswahl ha-ben Sie, Herr Bundeskanzler, all das, über was wir heuteam Tisch mit Ihnen verhandeln und was die Union und wirschon damals in kleinen Schritten für angezeigt hielten,als „soziale Schweinerei“ bezeichnet.
Das muss hier erwähnt werden dürfen, weil sich jeder, derhier ein Mandat hat, merken muss, dass mit diesen grob-schlächtigen Argumenten kein Bundestagswahlkampfmehr geführt werden sollte, wenn man die Bevölkerungs-entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, die wirt-schaftliche Lage, die Lebenserwartung und den Alters-aufbau kennt.
Wir verhandeln mit Ihnen. Wir erleben jetzt kein Dif-famierungspotenzial mehr gegen die Freie DemokratischePartei, weil Sie wissen und ich weiß: Wir beide könnendas kleine Einmaleins nicht beiseite schieben und AdamRiese nicht überwältigen.Die von Ihrem Arbeitsminister vorgeschlagene Grund-richtung war richtig, den Menschen zu sagen, die gesetz-liche Rente wird es allein nicht mehr bringen. Wir brau-chen Aufbau privater Altersvorsorge, die Kombinationmacht ein Altersvorsorgeniveau aus. Das ist richtig. Nur,meine Fraktion hat für diese Erkenntnis von all denen, diemir heute hier im Plenum gegenübersitzen, ohne EndePrügel bezogen. Das muss doch einmal gesagt werden inder Bundesrepublik Deutschland.
Jetzt allerdings – das muss ich Ihnen vorhalten – be-ginnt aufgrund der Gespräche, die Sie mit dem DeutschenGewerkschaftsbund geführt hatten, das Ganze, sich zulas-ten der jungen Generation zu neigen. Der Sachverständi-genrat hat für die sozialen Sicherungssysteme zwei Voka-beln genannt: Fairness und Generationengerechtigkeit.Ihre Verhandlungsergebnisse zur Beruhigung Ihrer ge-werkschaftlichen Milieus in der SPD gehen eindeutig zu-lasten der jungen Generation.
Wenn am Ende noch nicht einmal der zunächst ange-peilte Beitragssatz von 22 Prozent für die Zeit nach 2020,2030 gesichert werden kann, sondern wir schon jetzt le-sen müssen, dass der Beitragssatz sehr wahrscheinlich die23-Prozent-Marke übersteigen wird, und den Hinweis desBundesarbeitsministers hören, man könne dies in denGriff bekommen, weil es ab 2010 noch Stellschrauben beider gesetzlichen Rentenversicherung gebe, dann sage ichIhnen, wie ich hier stehe: Niemand in der zukünftigenjungen Generation wird bereit sein, zulasten seiner Ar-beitsmarktchancen in ein System mit dieser Beitragshöhezu gehen; niemand wird mit dem Bewusstsein in ein Sys-tem einzahlen, dass bei ihm nach 2010 noch an Stell-schrauben gedreht werden kann. Jeder wird sein Geld lie-ber in eine private Kapitaldeckung tragen.
Deshalb sage ich Ihnen für die F.D.P.-Fraktion: Wirwerden an den Gesprächen weiter teilnehmen. Wir wis-sen, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Reform ih-rer sozialen Sicherungssysteme braucht. Aber ich sage Ih-nen vorsorglich auch, dass wir ein Ergebnis mit einemBeitragssatz von 22 plus 4 oder gar einen vorhersehbarenBeitragssatz von über 22 Prozent nicht akzeptieren werden.Wir sind es unendlich leid, immer nur Reparaturbetriebe zu
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haben. Wir wollen jetzt eine funktionsfähige, generatio-nenübergreifende Reform.
Wir haben in diesem Herbst die Abstimmung über dasVermittlungsausschussergebnis zur Steuerreform voruns. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat durch kluge Ver-handlungen und verantwortungsbewusstes Verhaltenauch des Kollegen Rainer Brüderle erkennen lassen, dasswir einen Kompromiss mittragen, um überhaupt einenersten Schritt zu erreichen. Aber dies ist nicht unsere ab-schließende Vorstellung von einer Steuerreform; dies istlediglich ein erster Schritt. Im Übrigen warne ich davor,Herr Kollege Struck, zu sagen, Sie erreichten damit einegroße Beschäftigungsdynamik. Wir haben noch keineausreichende Beschäftigungsdynamik in Deutschland;wir haben eher einen demographischen Abgang in denRuhestand als eine wirkliche Vermehrung von Arbeits-plätzen.
Wir werden also dem Steuerreformgesetz zustimmen.Wir prüfen jetzt, ob im Gesetzentwurf alle Zusagen ein-gehalten worden sind. Für uns war ganz entscheidend, diegröbste Diskriminierung gegenüber dem Mittelstand zubeseitigen: die Besteuerung bei Betriebsveräußerungen.
– Das war prima, Herr Gysi. Die Einzigen, die es nichtrausgehandelt haben, waren die Grünen, die in der Öf-fentlichkeit immer so tun, als seien sie die Sachanwälteder Kleinen. Die Grünen haben sich in dieser Frage völligüber den Tisch ziehen lassen.Wir haben das jetzt korrigiert. Aber, Herr Bundeskanz-ler, Sie wissen es wie ich: Die Spanne der unterschiedli-chen Besteuerung von Kapitalgesellschaften, Personen-gesellschaften, Unternehmen und Unternehmern ist inDeutschland immer noch groß; die Schere muss ge-schlossen werden. Es darf keine Diskriminierung vonEinkommen geben. Das bleibt weiter auf der Tagesord-nung.
Im Übrigen ist auch eine Steuersenkung im Jahr 2005angesichts der Dynamik, die Ihr Kollege Struck hier ver-kündet, zu spät. Wenn die Steuereinnahmen so aussehen,wie Sie es selbst verkünden, sollten Sie früher mehr vondiesen Steuereinnahmen an die Bürgerinnen und Bürgerzurückgeben. Die Freie Demokratische Partei wird aufdiesem Kurs bleiben.
Herr Bundeskanzler, nach Schätzungen der Weltbankverdanken die reichen Länder zwei Drittel ihrer Wert-schöpfung dem Humankapital, also den Menschen. Damitwissen Sie wie ich, dass eine der größten Investitionen inder Bundesrepublik Deutschland in die Bildungs- undQualifikationssysteme gehen muss, weil die Herausforde-rung nur mit der Fähigkeit von Menschen gemeistert wer-den kann, die die explosive Entwicklung begreifen. DieKonsensdemokratie, die Sie über runde Tische und vieleGremien so meisterhaft organisieren – das ist in der Öf-fentlichkeit etwas Beliebtes und von Journalisten Bewun-dertes und überall Beschriebenes –, stößt damit an ihreGrenze. Sie müssen das Instrument Konsensdemokratiemit runden Tischen und großen Gipfeln mit den wirkli-chen Zukunftsaufgaben der Bundesrepublik Deutschlandabgleichen. Sie werden mit nur einem Modell der Kon-sensdemokratie nicht weiterkommen. Sie müssen auchFragen streitig stellen und durch Mehrheiten entscheiden.Sie werden manche Fragen nicht einstimmig entscheidenkönnen.Lassen Sie mich Ihnen eine Frage vorlegen, bei der Siemit dem Modell Konsensdemokratie noch eine Weile ar-beiten können, bei der Sie aber ebenso wie ich wissen,dass wir eine Entscheidung treffen müssen: 40 Prozent derdeutschen Bevölkerung werden in absehbarer Zeit 60Jahre und älter sein. Das liegt auf der Hand. Das Datumkennen wir. 15 Prozent werden 20 Jahre und jünger sein.Heute liegt das viel enger beieinander, nämlich bei 23 und24 Prozent. Die Konsequenzen solcher Daten können Siebei Konsensgesprächen mit den Gewerkschaften über dieRente nicht beiseite schieben. Sie haben es aber anschei-nend getan. Die Kenntnis solcher Daten können Sie beidem Thema Einwanderung nicht mit einer Kommissionbeiseite schieben. Sie wissen wie ich: Die Green-Card-Regelung ist keine ausreichende Antwort auf diese Be-völkerungsentwicklung.
Deshalb sage ich Ihnen: Ihre konsensdemokratischeAntwort der Einrichtung einer Kommission, konsens-demokratisch mit Frau Professor Süssmuth an der Spitze,ist nicht die ausreichende Antwort auf die im Jahre 2000tatsächlich erkennbaren Daten. Sie wissen wie ich, dass esbesser wäre, wenn wir uns sofort über eine klare gesetzli-che Grundlage der Einwanderung nach Deutschland ei-nigten, um national bestimmen zu können, wie viele undwer zu uns kommen kann. Zu den Reihen der Union sageich: Machen Sie sich auf, diesen Weg mitzugehen. Es istbesser, wir gehen diesen Weg frühzeitig, bewältigen dasProblem heute, machen eine klare gesetzliche Grundlageund laden die besten Köpfe der Welt nach Deutschlandein, anstatt nichts zu regeln, trotzdem eine Einwanderungzu bekommen und mehr in das soziale Netz als in denwirtschaftlichen Aufbau unseres Landes investieren zumüssen. Das ist die Herausforderung, die sich uns stellt.
Wir werden aber gleichzeitig vielen unserer Mitbürge-rinnen und Mitbürgern sagen müssen: Eine Gesellschaftwie die deutsche behält nicht Innovationskraft und Stabi-lität, wenn immer mehr und mehr in unserer Gesellschaftglauben, dass wir das Vorhandene behalten können, ohneeigene Kinder aufzuziehen. Das ist die andere logischeSeite der Medaille. Eine Gesellschaft, die in einen solchenAltersaufbau läuft, verliert an Innovationskraft, weil derReibungsdruck und der Fragedruck der jungen Genera-tion gegenüber der älteren nachlässt. Das muss bewältigtwerden, das ist die Aufgabe. Da hilft kein runder Tisch,
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sondern nur ein klarer Kopf. Deshalb müssen wir jetzteine solche Regelung machen.
Die Vorgänge der letzten Monate, die rechtsradikalenAusschreitungen bis hin zur Ermordung ausländischerMitbürger, müssen uns herausfordern. Es wird nicht damitgetan sein, Ausbildungsplätze und Arbeitsplätze zu schaf-fen. Es gibt auch Arbeitsplatzbesitzer, die im Kopf ge-nauso schäbig über Ausländer denken wie Arbeitslose. Esmuss einen großen gesellschaftlichen Anlauf in allendeutschen Schulen und Gemeinden geben: überall wo wirEltern, Familien, Kinder, Ausbilder und Meister in Be-trieben treffen.Sie mögen jetzt schon alle insgeheim verteilt haben,wie der Ertrag und die Zinsersparnis aus den UMTS-Lizenzen ausgegeben werden sollen. Ich mache Ihnen denVorschlag, einen erneuten, gut finanzierten Anlauf zur po-litischen Bildung in Deutschland zu unternehmen, offenüber die erzieherische Qualität von Schulen in Deutsch-land zu diskutieren und uns gemeinsam mit Gewerk-schaftlern, Ausbildungsbetrieben, Meistern und Familienauf den Weg zu machen. Ein Gemeinschaftskundeunter-richt in Deutschland allein bringt es anscheinend nichtmehr. Wir müssen alle aufbrechen, um Mentalitäten zuverändern. Das sollte uns das Geld wert sein. Wir habenes, wir könnten es und müssen es jetzt tun. Ein Verbot derNPD reicht nicht.
Wir brauchen in Deutschland eine wirkliche Offensivein Spitzentechnologien. Das alte Modell der Grünen, derBürokratisierung von Fortschritt, ist zu Ende. JürgenTrittin ist die Personifizierung eines gedanklichen Aus-laufmodells.
Wir müssen eine mentale Veränderung hin zu einer Spit-zenentwicklung bringen und brauchen im Übrigen eineLockerung unserer Wachstumsbremsen beim Alter. Ichhabe neulich mit großer Freude, aber auch etwas mit Iro-nie, eine Bemerkung des Präsidenten des DIHT, HansPeter Stihl, den ich sehr schätze, gelesen, man müssedie Lebensarbeitszeit verlängern. Ich habe gedacht: Jawären wir wenigstens schon bei 65. Momentan scheidetman mit unter 60 Jahren aus dem Erwerbsleben aus. VieleVertreter der deutschen Wirtschaft haben noch vor weni-gen Jahren in Kenntnis all der Daten, die ich hier vortrage,geglaubt, man könne große Frühverrentungsprogrammeauflegen.
Wenn wir über eine Lockerung der Wachstumsbrem-sen im Alter reden, dann sollten wir nicht nur über die Ver-gangenheit, sondern auch über die Zukunft reden. Frühe-rer Berufseintritt, bessere Schullaufbahnen und bessereHochschulstudiengänge wären besser für das volkswirt-schaftliche Produkt der Bundesrepublik Deutschland.
Wir brauchen – um ein weiteres umstrittenes undder Bevölkerung nicht ausreichend vermitteltes Zielanzusprechen – die Osterweiterung der EuropäischenUnion als deutsche Zukunftsinvestition größten Aus-maßes.
Der deutsche Export in die osteuropäischen Länder isthöher als der in die Vereinigten Staaten von Amerika. Dieosteuropäischen Länder suchen europäische Orientie-rung. Wenn wir sie ihnen nicht geben, dann werden wir esin diesen Ländern mit Entwicklungen zu tun haben, dieeinen Rückfall in den Nationalismus bedeuten, dessenTrümmer wir noch überall in Europa sehen können.
Da können Sie sich, Herr Bundeskanzler, einmal austobenund Ihre Blockadepolitik betreiben; denn in den osteuro-päischen Ländern werden Sie dann Kräfte vorfinden, mitdenen verglichen die FPÖ und ihre Gedankenwelt einKinderspiel sind.Alles muss darauf hinauslaufen, die Bedenken vonMenschen ernst zu nehmen, die Risiken aufzuzählen undÜbergangsfristen zu vereinbaren. Die politische Führungmuss den Weg engagiert und couragiert gehen. Das alleswird in der öffentlichen Debatte zu wenig beachtet.Wenn die politische Führungsklasse der BundesrepublikDeutschland nur Bedenken anmeldet und nicht auch dieChancen sieht, dann wird das für uns Stabilitätsverlustebedeuten. Wir werden Stabilität in der BundesrepublikDeutschland nicht erhalten können, wenn es den Ländernin Mittel- und Osteuropa nicht gelingt, eigene ökonomi-sche und politische Stabilität zu gewinnen, wenn wir eineInsel der Stabilität sind. Das ist die eigentliche Heraus-forderung, vor der wir stehen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben den Euro zuerst nichtso recht gewollt, als er eingeführt wurde. Jetzt reden Sieihn gewaltig schön. Der schwache Euro, so haben Sie neu-lich erklärt, sei aufgrund der höheren Auslandsumsätzeeher ein Anlass zur Freude als zur Sorge.
Das stand auch in einem Vermerk meiner Mitarbeiter, abernur im ersten Teil. Wenn man ihn weiterliest, kommt manzu der Stelle, an der meine Mitarbeiter weiter vermerkthaben: „Fatal: Abwertungsbedingte Exportvorteile sindnur von kurzer Dauer, wenn nicht gleichzeitig Struktur-reformen greifen“.
Sie täuschen eine Wettbewerbsfähigkeit vor, die nicht ausinnerer Stärke entsteht. Ich glaube, Ihre Beamten müssenIhnen etwas Ähnliches aufgeschrieben haben. Sie habenes nur nicht vorgetragen. Aber Sie müssten es vortragen.
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Ich möchte noch etwas ergänzen: „Die Euro-Schwäche“, so haben mir meine Mitarbeiter aufgeschrie-ben, „bedeutet Verengung der Verteilungsspielräume“.Das muss doch für Sie ein besonderes Alarmzeichen sein.„Dies erschwert nicht nur die lohnpolitischen Auseinan-dersetzungen, sondern nimmt auch der FinanzpolitikHandlungsraum“, haben meine Mitarbeiter hinzugefügt.„Die Euro-Schwäche“, so denken meine Mitarbeiter, „istauch Ausdruck dafür, dass das Vertrauen der internationa-len Kapitalmärkte schwindet und dass der Euro-Raumökonomisch mit anderen Konkurrenten in der Welt nichtmithalten kann“. Sie begründen das auch mit einem Hin-weis. Fabius – komischerweise tragen alle Finanzmin-ister, die so agieren, einen französisch klingenden Namen;wir hatten ja auch einmal so einen – sagt der EZB ganz ne-benbei, so wie früher Lafontaine der Bundesbank: Eswäre ganz gut, wenn die EU ein Inflationsziel vorgäbeund dem währungspolitischen Pol EZB einen wirtschafts-politischen Pol entgegensetzen würde. Wer so etwasäußert, der redet den Euro in den Keller. Das sollte ganzklar festgestellt werden.
Herr Bundeskanzler, mich interessiert neben der Dis-kussion in der Bundesrepublik Deutschland vor allem dieFrage, wie Sie Ihr Politikmodell der Konsensdemokratieund der großen runden Tische jetzt allmählich auf die Zu-kunftsaufgaben ausrichten wollen. Ihre Äußerungen zumThema „Euro“ waren noch nie das Gelbe vom Ei. Siemüssen in diesem Herbst eine Entscheidung treffen. HerrBundeskanzler, Sie sind sehr elegant als Autokanzler inden Sommer gestartet. Aber Sie müssen, wenn Sie wei-terhin so kurzfristig wie bisher denken, aufpassen, dassSie am Ende des Jahres nicht liegen bleiben, weil Ihnender Sprit ausgegangen ist.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt2001 ist wie sein Vorgänger ein echter Reformhaushalt.Reformhaushalt heißt: Während Sie in der alten Regie-rungszeit von Schwarz-Gelb jährlich durchschnittlich60 Milliarden DM Nettoneuverschuldung aufgehäuft ha-ben, reduzieren wir die Nettoneuverschuldung im lau-fenden Jahr auf 49 Milliarden DM und im jetzt anstehen-den Haushalt auf unter 45 Milliarden DM. Und – das istauch Reformhaushalt –: Mit diesem Sparkurs eröffnen wirGestaltungsräume, in denen wir aufbauen, in denen wirinvestieren, in denen wir soziale und ökologische Refor-men auf den Weg bringen. Meine Damen und Herren, wirsparen real das erste Mal seit langem in der Geschichtedieser Haushalte, indem wir mit den UMTS-Erlösen inHöhe von circa 100 Milliarden DM den von Ihnen aufge-türmten Schuldenberg von 1 500 Milliarden DM auf real1 400 Milliarden DM reduzieren.
Herr Glos, wenn Sie sagen – das sagen aber nicht nurSie –, Rot-Grün habe unverschämtes Glück und der Fi-nanzminister sei der Hans im Glück, dann sage ich: Ja, wirhaben Glück. Es ist aber das Glück der Tüchtigen: dertüchtigen rot-grünen Haushälter, der tüchtigen Fraktionenund des tüchtigen Finanzministers Eichel,
die diesen teilweise sehr schmerzhaften Sparkurs nach jah-relanger Miss- und Schuldenwirtschaft durch Schwarz-Gelb eingeschlagen haben und den wir zusammen konse-quent fortsetzen: zum Wohle der Bürgerinnen und Bürgerund zum Wohle unseres Landes.Sie haben unser Land über Jahre hinweg in den Re-formstau geführt. Anstelle der notwendigen Veränderun-gen, so wie sie nahezu alle Nachbarländer schon langeeingeleitet hatten, haben Sie das Geld unserer Kinder un-besorgt ausgegeben.
Dieses Versäumnis hat unser Land viel Zeit und Geld ge-kostet und uns im internationalen Ranking tief absinkenlassen. Dieses Versäumnis wird uns noch lange begleitenund viele Anstrengungen kosten. Anstatt aber mit einerkonstruktiven Opposition dazu beizutragen, diesen Stauaufzulösen, mit zukunftsfähigen Ideen und Konzepten mituns in einen Wettbewerb zu treten, hadern Sie mit sichselbst und räsonieren über die Regierungskoalition insLeere.Bei der Steuerreform, die Herr Merz – er ist geradenicht da –
für Ihre Partei und für Ihre Fraktion grandios in den Sandgesetzt hat, spielen Sie immer noch die beleidigte Leber-wurst.Bei der Ökosteuer geben Sie den wild gewordenenCorridastier, der mit ein paar Banderillas im Rückenblindlings durch die Arena bockspringt.
– Ich weiß, Sie verstehen das nicht. Es ist Ihnen zu wenigbayerisch, Herr Glos.
Ein bissle international soll es auch hier sein.
Bei der Rentenreform,Herr Glos, schwanken Sie zwi-schen dem bayerischen „niemals nicht“ und der merkel-schen Unentschiedenheit. Aber egal, wie Sie es anstellen,die Koalition zieht ruhig ihre Bahnen.
Trotz aller negativen Prognosen – wir haben sie allenoch deutlich im Ohr, Stichwort „Das schaffen die nie“ –
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haben wir das Sparpaket durch den Bundesrat gebracht.Trotz unverbrüchlicher gegenseitiger Schwüre innerhalbder CDU – „Die schwarze Front steht“ – haben wir auchdie Unternehmensteuerreform durch den Bundesrat ge-bracht, obwohl wir dort bekanntlich keine Mehrheit hat-ten.Herr Repnik, damit haben wir Ihrem jahrelang ge-pflegten Argument, die rot-grüne Bundesratsmehrheithabe die schwarz-gelbe Steuerreform blockiert, endgültigden Zahn gezogen. Wir haben nämlich beide umfangrei-che Reformprojekte ohne eigene Mehrheit durch denBundesrat gebracht, weil wir intelligent vorgegangensind,
weil wir gut verhandelt haben und weil wir nicht, wieSchwarz-Gelb, mit dem Kopf durch die Wand wollten.
Wie war das noch, Herr Merz, Herr Schäuble und HerrRepnik, als Sie die Häme über uns ergossen haben: Diekönnen es nicht? Ob Sie da heute noch so sicher sind,möchte ich Sie gar nicht erst ernsthaft fragen.
3,3 Prozent Wachstum von Januar bis Juni dieses Jah-res. Die Deutsche Bank geht von 3,3 Prozent realemWachstum für das ganze Jahr und von 3,6 Prozent für dasnächste Jahr aus. Das sind die höchsten Zahlen seit 1994.
Das heißt, Sie haben die ganze Legislaturperiode von1994 bis 1998 verschenkt.Das höchste Ziel unserer Regierung – so haben wir dasauch festgeschrieben – ist die Reduzierung der Arbeits-losigkeit. Die Möglichkeit der Beschäftigung – das wis-sen wir alle – ist Voraussetzung für eine individuelle Le-bensgestaltung, für gesellschaftliche Teilhabe und fürmaterielle Sicherheit. Im zweiten Quartal dieses Jahreswaren 731 000 Menschen mehr als im Jahr davor be-schäftigt. Eine drei viertel Million Menschen mehr war ander Erbringung unserer Wirtschaftsleistungen beteiligt.Das ist eine reale Zunahme um nahezu 2 Prozent. Mit demJUMP-Programm haben wir die Jugendlichen erfolgreichvon der Straße geholt. Insgesamt haben wir die geringsteArbeitslosenquote seit vier Jahren.
Wir setzen die größte Steuerreform in der Geschichteder Bundesrepublik um. Herr Repnik, wir tun dies ohneSie, weil Sie und Herr Merz es vorgezogen haben, denKopf trotzig wie der kleine Bub in den Sand zu steckenund die Realität nicht wahrzunehmen.
Sie wollten nicht sehen, dass die ganze Gesellschaft, dassdie Wirtschaft, dass die Bürger und dass sogar von Ihnenregierte Länder auf diese Reform gewartet haben, dass siediese Reform wollten und für richtig gehalten haben. AberHerr Merz, der Verhandlungsführer, wollte nicht. Da warHerr Merz plötzlich allein zu Haus. Lieber Herr Kollege,das ist nicht Politik. Das, was Sie gemacht haben, ist ge-radezu Verweigerung von Politik.
Schon in Erwartung der Steuerreform sind die Investi-tionen im zweiten Quartal dieses Jahres um 8,2 Prozentgestiegen. Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben einzusätzliches halbes Prozent an Wachstum allein durch dieSteuerreform prognostiziert. Rund eine halbe Millionzusätzlicher Arbeitsplätze wird in den nächsten Jahreninfolge der positiven Wirkungen unserer Steuerreform er-wartet. Es geht um ein Entlastungsvolumen von ins-gesamt rund 62 Milliarden DM pro Jahr, die bei den Bür-gern und den Unternehmern im Geldbeutel verbleibenund für Investitionen zur Verfügung stehen.
– Herr Repnik, hören Sie zu. Vielleicht können Sie dochnoch etwas lernen. – Über 50 Prozent des Entlastungsvo-lumens fließen allein den privaten Haushalten zu. Fast40 Prozent, Herr Gerhardt, fließen dem Mittelstand zu.Jetzt können wir uns darüber streiten, wer mehr dafürgetan hat. Wir haben mit durchgesetzt, dass die Gewer-besteuer angerechnet worden ist. Das war ein ganz er-heblicher Batzen für den Mittelstand. Wir haben auch mitdurchgesetzt, dass die Tarife gesenkt werden. Wenn Siezum Schluss noch ein Sahnehäubchen draufbekommenhaben,
dann gönne ich Ihnen das gerne. Nur müssen Sie danndazu sagen, dass die F.D.P. mit dem Herrn Brüderle ausRheinland-Pfalz vorneweg für die Steuerreform und mitBremsern wie Döring und Ihrer Frau Wagner in Hessengegen die Steuerreform war. So kennen wir die F.D.P.
Auch Sie, Herr Gerhardt, haben ja vorhin die Schwie-rigkeiten personifiziert, indem Sie an die Union appellierthaben, sie möge sich doch bei der Frage der Einwande-rung etwas bewegen. Dazu kann ich nur sagen: Wer zu-gleich mit dem profiliertesten Gegner dieser Einwande-rungspolitik, der gegen sie im Wahlkampf eine unsäglicheKampagne aufgezogen hat, koaliert, hat doch offensicht-lich Schwierigkeiten. Dessen Inneres ist doch offensicht-lich geteilt.
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Rezzo Schlauch11203
Herr Kollege Merz, Ihnen rate ich: Machen Sie nichtden gleichen Fehler bei der Rentenreform. Machen Siedabei mit.
Die Beitragssatzstabilität hat höchste Priorität. Auch dagebe ich Ihnen, Herr Gerhardt, gerne Recht. Unsere Poli-tik wird dieser Priorität gerecht werden. Wir werden auchbei Zugeständnissen an die Gewerkschaften an einer ge-rechten Verteilung der Lasten festhalten. Die Reform darfnicht teurer werden, es darf keine weitere Verschiebungder Lasten in die Zukunft und damit auf die junge undmittlere Generation geben.
Aber – das ist der Widerspruch bei Ihnen – mit Ihrer Op-position gegen die Ökosteuer planen Sie, liebe Kollegenvon der F.D.P. und der Union, nichts anderes. Sie wollendie Rente für die jüngere Generation teurer machen.Gegenüber dem letzten Jahr, in dem Sie die Regierungstellten, sind die Beitragssätze im Jahr 2000 um 1 Pro-zentpunkt gesunken. Das ist nur dank der Ökosteuer mög-lich. Im Jahre 2000 fließen 17 Milliarden DM und imJahre 2001 23Milliarden DM an Einnahmen aus der Öko-steuer direkt in die Rentenversicherung. Ich habe nochkeinen Vorschlag von irgendeinem von Ihnen gehört, wieman diese Lücke schließen sollte. Das ist unseriös.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir verstehen etwas von Op-positionsarbeit. Wir waren lange genug in der Opposition.Wir hätten uns aber geschämt, so unseriös Opposition zumachen wie Sie.
Das Prinzip, Arbeit zu verbilligen und Ressourcen-verbrauch zu verteuern, ist ökologisch und sozial richtig.Dr. Schäuble hat dies schon vor Jahren erkannt. Heute ah-nen ja viele von Ihnen, dass er nicht der Schlechteste warfür die Aufgabe, Sie zu führen. Es haut aber fast dem Fassden Boden aus, wenn man liest, dass Herr Lippold, eineraus Ihrer Ökoriege, sofern man überhaupt davon sprechenkann, jetzt eine CO2-Steuer – das ist ja eine Steuer auchauf das Benzin – und eine Maut für Lkw fordert. Das istdoch der Gipfel der Heuchelei: auf der einen Seite dieBrummis gegen die Regierung hetzen, aber selber eineLKW-Maut und eine Ökosteuer fordern. Dazu kann ichnur sagen: Diese Arbeitsteilung, nach vorne eine platteKampagne führen und für ein paar Interessenverbände et-was Differenzierteres vorlegen, lassen wir Ihnen nichtdurchgehen.
Durch die Ökosteuer ist es gelungen, das Umdenkenbei den Herstellern und Verbrauchern zu verstärken bzw.einzuleiten. Geringerer Verbrauch und die Entwicklungalternativer Antriebstechniken sind heute und morgen dasTerrain, auf dem der Wettbewerb der Automobilherstellerentschieden wird. Das ist gut und vernünftig so, weil da-durch CO2-Emissionen reduziert, die Umwelt geschontund die deutschen Hersteller bei weltweit steigenden Ener-giepreisen auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähiger wer-den. Es ist derzeit einfach ein Vergnügen, die Anzeigender Automobilindustrie zu lesen. Diese werben nichtmehr mit mehr Leistung, sondern mit weniger Verbrauch.Zum Beispiel: „TDI-Fahrer ärgern sich über die aktuellenBenzinpreise garantiert nicht“. Offensichtlich fährt bei Ih-nen überhaupt keiner TDI, denn Sie ärgern sich nur. DieLeute aber freuen sich lieber über den geringen Verbrauchund natürlich über weniger Tankquittungen. Das ist genaudas, was wir durch die Ökosteuer erreichen wollten.Energie sparen und Effizienzevolution, das ist bei allenTechnologien, die Energie verbrauchen, der effektivsteWeg, die Umwelt zu entlasten. Es ist auch der effektivsteWeg, sich – Herr Gerhardt, jetzt komme ich noch einmalzu Ihnen – aus der Abhängigkeit des OPEC-Kartells zuentfernen,
und es ist der effektivste Weg, die Umwelt zu entlasten.Die OPEC-Staaten haben die Industriestaaten und da-mit auch uns aufgefordert, die Benzinsteuern zu senken.Da kann ich nur sagen – das hat auch Frau Merkel vorhinin ihrer Intervention gesagt –: Es ist doch abenteuerlich,wenn wir dieser Erpressung nachgeben, damit sie nochmehr Kohle einsacken können. Das ist eine Politik, dieüberhaupt nicht weiterführt.
Herr Merz, es sollte sich bis zu Ihnen herumgespro-chen haben: Wir haben eine Klimakatastrophe, das Po-lareis schmilzt, das Ozonloch wird auf Jahre hinausgrößer, und zwar immer schneller. Sie können zwar täg-lich die zweite Stelle hinter dem Komma des Benzinprei-ses aufsagen, aber Sie haben kein Konzept, wie Sie mitdieser realen Gefahr umgehen. Sie denken an diesemPunkt nicht von 12 Uhr bis Mittag. Das ist die Haltungvon seelenlosen Technokraten, die nur Zahlen wahrneh-men und die sich weltweit häufenden Ökokatastropheneinfach ausblenden oder schönreden.
Sie sind der Frontmann einer Fraktion, die von sichsagt, dass ihr die Bewahrung der Schöpfung ein Anliegensei. Sie kommen daher, als seien 12 Pfennig Benzinpreiswichtiger als die notwendige Umsteuerung im Ressour-cenverbrauch und in der Art zu wirtschaften. Die „Welt“– das ist ja nun eine Zeitung, die eher Ihnen nahe steht alsuns – schrieb:Da will eine Regierung den Tanker Deutschland flottbekommen und der Opposition ist der Sprit zu teuer.
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Rezzo Schlauch11204
Wohl wahr. 12 Pfennig Benzinpreis, nur dafür ist dieÖkosteuer verantwortlich, für mehr nicht. Der Rest sindRohölpreise und Währungskurse.Herr Gerhardt, Sie sagen doch immer, Sie seien einemarktwirtschaftliche Partei. Ich begreife es nicht, dasseine marktwirtschaftliche Partei dann, wenn der Preis ei-ner Ware hochgeht,
mit einer Subventionierung reagiert.
Das ist doch geradezu absurd! Da stellen Sie doch dieMarktwirtschaft auf den Kopf.Herr Gerhardt, lassen Sie mich auch jemanden zitieren,der Ihnen wahrscheinlich ebenfalls politisch näher stehtals mir, nämlich den Chef von Daimler-Chrysler, der sagt:Wir stehen vor einem Dilemma. Die Nachfrage nachEnergie wächst allen Energiesparerfolgen zum Trotz.Das bedeutet, dass die Ölpreise weiter steigen wer-den.In der Zukunft brauchen wir Menschen also neueEnergie. Wir sollten uns dabei nicht abbringen las-sen, querzudenken, Neues auszuprobieren, auchwenn es viele Skeptiker gibt und geben wird. Undwir sollten diese Menschheitsaufgabe „Hand inHand“ leisten, alle, die in der Gesellschaft Verant-wortung tragen.Sie werfen die ausgeleierten Gebetsmühlen gegen dieÖkosteuer an, übrigens jetzt bereits zum dritten Mal,nachdem Rühe und Rüttgers damit schon gescheitert sind.Wir probieren Neues, wir denken quer, wir übernehmendie Verantwortung für die Zukunft.Dazu gehört auch, dass wir übereingekommen sind,und zwar, Herr Glos, in aller Selbstbewusstheit: die bei-den Fraktionen, nicht die Regierung. Das hätte ich einmalbei Ihnen sehen mögen, in Ihrer Zeit.
Die Fraktionen entscheiden darüber, was mit den einge-sparten Zinsen in Höhe von 5 Milliarden DM geschehensoll.
Wir werden sie gemeinsam vornehmlich in die Schienen-wege, in die Straßenwege und – das ist etwas Neues – indie Altbausanierung stecken, für die Sie entsprechendeZuschüsse gestrichen haben. Damit schaffen wir neueArbeitsplätze im Handwerk und reduzieren den CO2-Aus-stoß und die Heizölkosten. Diese Maßnahmen werden wirmit einem ordentlichen Batzen Geld auf den Weg bringen.
Herr Kol-
lege Schlauch, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Westerwelle?
Nein, ich will mit meiner Rede fortfahren.
– Herr Westerwelle, ich komme nachher zu Ihnen.Auch hinsichtlich anderer Zukunftsinvestitionen istIhre Opposition mangelhaft. Herr Gerhardt, Sie haben dieGesundheitspolitik angesprochen. Den wichtigsten Teildieser Gesundheitspolitik haben Sie – das verwundertmich nicht – ausgeblendet. Unsere Gesundheitsministerinhat einen Dialog mit der Wissenschaft, der Wirtschaft undder Gesellschaft zur Gentechnik organisiert. Das ist dasZukunftsthema in der Gesundheitspolitik schlechthin.Von Ihnen hört man zu diesem Thema überhaupt nichts.Man hört nur: Macht hoch die Tür, die Tor’ macht weit!Sie wollen alles zulassen, alles erlauben und fördern, auchauf Gebieten, von denen noch niemand weiß, wohin dieReise geht. Das finde ich grob fahrlässig und verantwor-tungslos.
Die Gesellschaft will diese Entwicklung nicht. Im Be-reich der so genannten grünen Gentechnik hat sie sich ein-deutig verhalten: Sie hat die gentechnisch manipuliertenNahrungsmittel zu über 70 Prozent in den Regalen gelas-sen. Das heißt, die Bevölkerung will diese Produkte ein-fach nicht. Die Politik sollte sich danach richten.Trotzdem müssen wir Folgendes beachten: Die Gesell-schaft will auch kein einfaches und dumpfes Nein. Des-halb gehen die Bundesgesundheitsministerin und dieRegierungsfraktionen kompetent und differenziert an die-ses Thema heran. Wir werden zu verantwortbaren Ent-scheidungen kommen, die von der Gesellschaft getragenwerden. Das Motto für die jetzt beginnenden Olympi-schen Spiele „höher, schneller, weiter“ wird als Leitliniefür das Thema Gentechnik als Zukunftsthema Nummereins nicht reichen. Wir stehen vielleicht vor der größtenRevolution im industriellen Zeitalter. Herr Gerhardt, las-sen Sie uns auf der Höhe der Zeit diskutieren und nicht mitLaisser-faire-Parolen des 19. Jahrhunderts.
Neben diesem Zukunftsthema hinsichtlich der ökolo-gischen Erneuerung werden wir – auch das ist schon an-gesprochen worden – die gesellschaftspolitische, die so-ziale Erneuerung weiter vorantreiben; dazu gehörtinsbesondere das Thema Bildung, das wir im Haushaltbezüglich der Investitionen vorrangig behandeln. Ausbil-dung, Studium, Weiterbildung und Qualifizierung sind dieMittel, durch die die Menschen in die Lage versetzt wer-den, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Heute mehrdenn je führt der Weg zur Teilhabe in der Gesellschaft
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über Bildung. Ohne Bildung und ohne Qualifizierung so-wie ohne Angebote zur eigenen Weiterbildung und Ent-wicklung lassen wir die Menschen alleine.Zu dieser Erneuerung gehört die Dienstrechtsreform anden Hochschulen, die wir angehen werden. Dazu gehörtweiterhin ein vom Staat gefördertes Projekt der Note-book-Universität
– sind die, die so schreien, drin oder nicht drin?
– persönlich! –, damit Studenten während des gesamtenVerlaufs des Studiums mit dem Internet arbeiten könnenund sich für die zukünftigen Arbeitsplätze kompetent ma-chen können.Zu diesem Thema gehört auch der Vorschlag der Grü-nen, den wir diskutieren sollten, nämlich, das InstrumentBildungssparen einzuführen. Das Bausparen hat seit sei-ner Einführung Millionen von Menschen dazu befähigt,ihre soziale Integration zu sichern. Kein Wunder, dass dasjemand aus dem Schwabenland sagt. Die Sparer und ihreFamilien sind unabhängiger geworden. Ihre soziale Teil-habe ist durch das Bausparen und durch das entstandeneEigentum gesichert worden. So muss es auch bei demheutigen und dem zukünftigen gesellschaftspolitischenThema Nummer eins werden: bei Bildung und Weiterbil-dung. Wir halten dies für einen sehr diskussionswürdigenund sehr Erfolg versprechenden Vorschlag.
Aber auch im Bereich der Bildung warten wir gespanntauf alternative Konzepte der Opposition. Die ist natürlichsehr damit beschäftigt, in Wiesbaden die notwendigenAbwehrschlachten zu führen. Die Landesgeschäftsstelleder CDU in Hessen ist seit mindestens zwei Jahrzehntenhochgradig in illegale Machenschaften verwickelt.
Es stellt sich nun Stück für Stück heraus, dass der selbsternannte brutalstmögliche Aufklärer Koch in Wirklichkeitein tragendes Element dieses illegalen Systems ist.
Seit Monaten präsentiert er uns nichts als manipulierteBücher, Vernebelungen und gezielte Desinformationen.Der Unterschied zwischen Helmut Kohl und RolandKoch ist folgender: Helmut Kohl weiß alles und sagtnichts. Roland Koch weiß nichts und sagt alles, was meis-tens nicht stimmt.Dazu kann ich nur sagen: Wenn Sie diese Dinge nichtklären, werden Sie als Opposition nicht wieder auf dieFüße kommen. Sie werden aus diesem Loch nicht heraus-kommen.
Herr Westerwelle, jetzt komme ich zu Ihnen: Ich weiß,dass Sie auf Bundesebene der Kämpfer dafür waren, dassdie Koalition in Hessen durch Frau Wagner beendet wird.Sie als Generalsekretär der Bundespartei und Ihr Partei-vorsitzender haben sich nicht durchgesetzt.
– Ob das falsch oder richtig ist, müssen Sie unter sichklären. Jedenfalls haben Sie beide sich nicht durchgesetzt.
Viele Ihrer Ausführungen sind durchaus erwägenswert.Nur, wenn Sie es dort nicht schaffen, eine Koalition zu be-enden, die Ihrer Position, die Sie hier vertreten haben, dia-metral entgegensteht, dann sind Sie als Dialogpartner, wieich finde, ziemlich problematisch und schwierig. Dennder Riss geht offensichtlich mitten durch Sie selber.
Zum Schluss komme ich noch zum Thema Rechtsra-dikalismus; es ist schon angesprochen worden. Bei die-sem Thema stimme ich mit allem, was bisher dazu gesagtworden ist, durchaus überein. Eines aber möchte ich an-führen: Es ist sehr problematisch, wenn aus der Mitte ins-besondere einer Partei immer wieder bagatellisierendeÄußerungen gemacht und fremdenfeindliche Kampagnenlosgetreten werden.
Dazu gehört die in Hessen durchgeführte Kampagne.Dazu gehört die dümmliche Kampagne „Kinder stattInder“ von Herrn Rüttgers in NRW. Dazu gehört auchdie Verharmlosung rechtsradikaler Gewalttaten durchMinisterpräsident Koch in Hessen. Dies alles passiert zuZeiten, in denen die ganze Republik darüber bewegt ist,wie man Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeitwirkungsvoll begegnen kann. Spätestens nach der Äuße-rung von Herrn Koch zu diesem Thema zeigt sich, wesGeistes Kind die mit illegalen Mitteln finanzierte Kampa-gne während des hessischen Wahlkampfes war.Es reicht nicht aus, nach härteren Strafen und Verbotenzu rufen. Wir brauchen in unserem Land eine politischeKultur, die von einem Klima der zwischenmenschlichenAchtung und Toleranz geprägt ist. Die Geschehnisse inHessen, die durchgeführten Kampagnen und die einzel-nen Äußerungen aus der Mitte der Union sind dafür mitSicherheit kein Vorbild. Wer Ressentiments sät, erntet kei-nen Frieden, sondern Sturm. Wer klammheimlich oder so-gar offen Verständnis für Gesinnungen zeigt, die für an-dere tödlich enden können, der erntet keine Versöhnung,sondern sät und bestärkt Hass. Es ist an der Zeit, dass dieMitglieder der CDU darüber nachdenken und ihre Wortesowie Taktiken sorgfältiger auswählen.Bei der Existenz einer wahrnehmbaren radikalenRechten kann es nicht mehr um Integration gehen – dasstärkt sie nur –, sondern nur um deren politische Bekämp-
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fung. Bagatellisieren und Schönreden haben an diesemPunkt überhaupt keinen Platz mehr.
Meine Damen und Herren, über die Außenpolitik istgestern diskutiert worden. Ich möchte von hier aus demAuswärtigen Amt für seine besonnene Haltung und fürseine besonnene Verhandlungsführung, die internationalabgestimmt war, Dank sagen. Sie haben dazu geführt,dass alle Angehörigen der Familie Wallert freigekommensind. Ich wünsche der Familie einen neuen Anfang inihrem Heimatland.Danke schön.
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Westerwelle
von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Kollege
Schlauch, da Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen
haben, erlaube ich mir, eine Kurzintervention zu machen.
Sie haben die Auffassung vertreten, eine marktwirt-
schaftliche Partei, wie wir Freien Demokraten es in der
Tat sind, könne sich nicht für eine Subvention ausspre-
chen. Sie haben das bezüglich des Themas Ökosteuer
erwähnt. Sie sind genauso wie ich Jurist und haben sicher
Volkswirtschaft für Juristen im zweiten Semester absol-
viert. Da ging es unter anderem um die Definition der
Subvention. Diese möchte ich Ihnen noch einmal kurz
mit auf den Weg geben. Der Verzicht auf eine völlig
unnötige Steuererhöhung ist nach keiner Definition der
Welt eine Subvention. Das, was Sie hier eingeführt haben,
ist wirklich grober Unfug.
Das musste Ihnen einfach noch einmal gesagt werden.
Den Rest schenke ich Ihnen.
Es gibt
keine Erwiderung.
Ich gebe das Wort jetzt dem Fraktionsvorsitzenden der
PDS, Gregor Gysi.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! In den letzten Wochen haben dieThemen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemi-tismus die Öffentlichkeit sehr beschäftigt. Ich will dazunur ganz wenige Bemerkungen machen, weil wir schonjetzt verabredet haben, in der nächsten Sitzungswocheeine ausführliche Debatte zu diesem Thema zu führen.Dann wird die Chance bestehen, stärker auf Ursachen, Er-scheinungen und vielleicht auch Formen der Bekämpfungeinzugehen.Der hier vom Kollegen Gerhardt unterbreitete Vor-schlag einer allgemeinen Aufklärung in bildungspoliti-scher, auch politisch bildender Hinsicht findet meine Un-terstützung und die der PDS. An einer solchen Initiativewürden wir uns immer beteiligen.
Ich will auch den Ausführungen des KollegenSchlauch zustimmen. Dennoch möchte ich darauf hin-weisen: Was auch immer gewesen ist, jetzt müssen wirgemeinsam dafür sorgen, dass eine Atmosphäre der Äch-tung von Rassismus, Antisemitismus und daraus resultie-render Gewalt in dieser Gesellschaft herrscht. Die Hemm-schwelle muss einfach wieder deutlich höher werden.
Herr Glos, ich sage ganz offen: Sie meinen, Sie könn-ten in diesem Zusammenhang Polemik gegen Grüne undSPD ins Feld führen; das geht aber völlig daneben. Ichwill Sie im Kampf gegen den Rechtsextremismus dabei-haben. Wenn wir aber auf dieser Ebene Parteipolemik ma-chen, werden wir das Ziel mit Sicherheit nicht erreichen.Ich sage Ihnen auch: Die CSU hat es gerade nötig; dennwenn es Vorlagen gab, die auch vom Rechtsextremismusgenutzt wurden, weil mit ihnen diesbezügliche Stimmun-gen geschürt wurden,
dann kamen sie relativ häufig von der CSU. Das hilft unsaber nicht weiter.
Wir müssen gemeinsam über alle Ursachen, im Westenund im Osten, nachdenken.
– Hören Sie mir zu. Ich bin ganz offen im Gespräch, Siejedoch haben mit diesbezüglicher Parteipolemik angefan-gen.Ich denke, neben vielen anderen Dingen, über die wirreden müssen, müssen wir auch darüber reden, wie sichbestimmte Dinge in unserer Strafjustiz einordnen. Esstört mich seit langem ungemein, dass Eigentum durch dieStrafjustiz viel deutlicher geschützt wird als die Würdeund die Unversehrtheit von Menschen.Ich will Ihnen kurz zwei Beispiele nennen: Der Vatervon Steffi Graf hat, wenn ich mich recht entsinne, etwaviereinhalb Jahre Freiheitsstrafe ohne Bewährung wegenSteuerhinterziehung bekommen. Was glauben Sie, wieviel Gewalt Sie in dieser Gesellschaft anwenden müssen,bevor Sie eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren be-kommen?
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In den 90er-Jahren habe ich eine Dokumentation imFernsehen gesehen. Mehrere Polizisten hatten in Ham-burg auf der berühmten Reeperbahn einen angetrunkenenObdachlosen festgenommen, ihn mitgenommen und inder Zelle eingeschlossen. Jetzt stand er also unter ihrerObhut. Weil er sie aber beleidigt hat, sind sie noch einmalin die Zelle hineingegangen und haben ihn so lange ge-schlagen, bis er tot war. Alle Beteiligten bekamen ledig-lich eine Bewährungsstrafe und blieben Polizisten.Auch ein Obdachloser, auch ein angetrunkener Obdach-loser ist ein Mensch. Auch ihm stehen die Art. 1 und 2 desGrundgesetzes zur Seite. Hier muss sich unsere Recht-sprechung wirklich ändern.
Als Linker könnte ich natürlich sagen: Es ist typisch fürden Kapitalismus, dass Eigentum mehr als der Menschgeschützt wird. Ich verkneife es mir aber, das zu sagen,
und sage lieber: Lassen Sie es uns gemeinsam ändern!
Zur Außenpolitik möchte ich nur ganz wenige Be-merkungen machen: Die größte Differenz zwischen unsund der Bundesregierung – das wissen Sie, Herr Bundes-kanzler, das muss ich nicht wiederholen; hier gab es eineganz große Auseinandersetzung – bestand über den Krieggegen Jugoslawien.Wir halten ihn nach wie vor für völ-lig falsch. Wir glauben, dass dies mittel- und langfristignicht nur die jugoslawische Bevölkerung, sondern auchuns teuer zu stehen kommt. Die heutige Entwicklung inRussland kann man überhaupt nur verstehen, wenn mansie in Zusammenhang mit diesem Krieg setzt.Was Herr Glos ansonsten angeboten hat – allerdingshat er sich zu dem gerade angesprochenen Thema nichtgeäußert –, fand ich ziemlich abenteuerlich. Ich will Ih-nen auch sagen, welche Sorgen ich mir mache. Wenn wirüber die Osterweiterung der EU so diskutieren, wie dasHerr Glos hier getan hat, befürchte ich, dass dies zumWahlkampfthema 2002 wird. Ich befürchte, dass damitVorbehalte geschürt und auch genutzt werden, dass wirwieder Geister rufen, deren Beherrschung uns hinterherkaum möglich ist. Lassen wir das bleiben! Wir brauchenOsteuropa auch für die europäische Integration;
natürlich mit den Menschen, natürlich sozialverträglich.Genau dafür werden wir uns einsetzen.Sie wissen ganz genau, dass sich der Vorgänger vonGerhard Schröder, Helmut Kohl, der dort sitzt, genausound kein bisschen anders für die Osterweiterung einge-setzt hätte. Das war immer seine Politik. Sie sollten jetztnicht in andere Zeiten zurückfallen.
Ich sage noch etwas in Bezug auf Herrn Haider. Sie sa-gen, der Mann sei durch die Maßnahmen des Bundes-kanzlers und der anderen europäischen Staaten populärgemacht worden. Nein, wenn überhaupt, dann ist er durchHerrn Stoiber populär gemacht worden. Das wollen wirhier einmal festhalten.
Zu den Sanktionen habe ich eine eher differenzierteMeinung. Aber es wäre das Letzte, wenn sich unser Bun-deskanzler auch noch bei Herrn Haider entschuldigenwürde. Dann wäre er nicht mehr meiner. Das will ich ganzdeutlich sagen. Ich glaube, das kommt nicht in Frage.
Ich möchte noch eine Bemerkung zu dem machen, wasSie, Kollege Dr. Struck, gesagt haben! Es geht hier um denEtat des Bundeskanzlers. Dies ist eigentlich nicht derRahmen für eine Debatte über die Spendenaffäre oder dieKrise in der CDU. Sie haben ein bisschen das Thema ver-fehlt.
– Man kann aber das eine oder andere dazu sagen. Dasgeht ja in Ordnung.Ich teile völlig Ihre Kritik daran, dass sich die Verant-wortlichen der CDU so wenig um Aufklärung bemühen,speziell auch Helmut Kohl. Ich teile auch Ihre Auffas-sung, dass die Situation in Hessen unerträglich ist und nurdurch Neuwahlen verbessert werden kann. Alles anderemuss die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Politik- undDemokratiefrust immer weiter bestärken.
Eines sage ich aber ganz deutlich, auch auf die Gefahrhin, dafür aus den eigenen Reihen kritisiert zu werden: Ichfinde es völlig falsch, wenn sich irgendein Abgeordneterund erst recht ein Fraktionsvorsitzender hier im Bundes-tag hinstellt und von einem anderen Abgeordneten dieNiederlegung des Mandats fordert. Das geht wirklichnicht.
Dabei ist es ganz egal, was man ihm vorwirft. Wir habenein freies Mandat.Was die Medien machen, ist das eine. Was aus der ei-genen Partei kommt und was es an Druck von den Wäh-lerinnen und Wählern gibt, ist das andere. Das ist alleslegitim. Aber wir können uns nicht hier im Bundestag ge-genseitig das Mandat streitig machen. Wenn wir einmalanfangen, hier darüber zu diskutieren, wer drin bleibenund wer rausgehen soll, dann negieren wir diesbezüglichdie Wahlsouveränität des Volkes. Das geht nicht und dassollten wir bleiben lassen.
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Dr. Gregor Gysi11208
Nun zur Gesamtleistung der Bundesregierung! Eines
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In die-sen zwei Jahren hat die Regierung deutlich an handwerk-licher Professionalität gewonnen. Ich erinnere michnoch daran, wie hier zu Beginn der Legislaturperiode vonder Regierungskoalition Gesetze eingebracht wurden, dienicht nur dreimal verändert, sondern glatt in ihr Gegenteilverkehrt oder auch wieder zurückgezogen wurden undnoch einmal mit völlig anderen Varianten wiederkamen.All das ist vorbei. Es ist eine handwerkliche Professiona-lität eingekehrt.Es ist auch wahr, dass Reformstaus aufgelöst wordensind.
– Ja, Türen sind geöffnet worden. Es ist vieles in Bewe-gung gebracht worden. In welche Richtung, darüber müs-sen wir allerdings streiten. Das ist dann ein ganz anderesThema. Aber Bewegung gibt es; das kann man überhauptnicht leugnen.Ich finde, dass auch die Ziele der Politik klarer gewor-den sind. Damit hat auch eine Profilgewinnung stattge-funden. Auch das kann man nicht leugnen, wobei mannatürlich auch über das Profil streiten muss.Wenn allerdings Herr Glos meint, dem Bundeskanzlermonarchistische Regierungsweise vorwerfen zu können:
Ja, lieber Herr Glos, aber das kann doch nun wirklich kei-ner sagen, der aus der CSU kommt. Das ist ein ziemlichabsurder Gedankengang.
Eines aber sage ich auch: Ich teile die Kritik von HerrnGlos in einem Punkt, Herr Bundeskanzler. Die Verlage-rung der Gesetzgebungsarbeit nach außerhalb des Bun-destages, in andere Gremien ist verfassungsrechtlichhöchst bedenklich, schränkt die Möglichkeiten des Bun-destages ein und macht die Wahlen in Verbänden wichti-ger als die Bundestagswahl. Das ist nicht hinnehmbar. Ichsage das ganz deutlich: Das ist nicht hinnehmbar und auchnicht ungefährlich.
Gespräche mit den Vertretern aller gesellschaftlichenGruppen, um zu einem Konsens zu kommen – okay, ma-chen Sie das! Aber verabreden Sie mit ihnen keine Ge-setze, sodass Ihre eigene Koalition nur noch Ja sagenkann, wenn sie nicht den Kompromiss als Ganzes gefähr-den will.
Wir sind hier kein Ratifizierungsorgan für innerstaatlicheGesetze. Das gibt es nur bei völkerrechtlichen Verträgen.Ansonsten sind wir Gesetzgeber und diesbezüglich wol-len wir auch gefragt sein.
Nun ist das Hauptziel der Bundesregierung das Spa-ren, der Abbau von Neuverschuldung und überhaupt derAbbau von Schulden. Das ist zunächst einmal ein völligberechtigtes Ziel. Es ist ja nicht nur ökonomisch wichtig,es ist ja nicht nur wichtig, um den Spielraum des Staateszu erweitern, sondern es ist auch eine höchst soziale Maß-nahme
– ja, unstrittig –; denn hohe Verschuldung bedeutet immereine Umverteilung zugunsten der Gläubiger der Schuldendes Staates. Und das sind die Vermögenden und Reichenunserer Gesellschaft und das müssen letztlich anderebezahlen.
Insofern unterstützen wir diesen politischen Ansatz.Ich bedaure dennoch, dass die Bekämpfung der Ar-beitslosigkeit von der ersten Stelle, die sie ursprünglicheinnehmen sollte, verdrängt wurde und die Sparpolitik andie erste Stelle gesetzt worden ist.
Nun sage ich Ihnen noch eines: So richtig ich das finde,kein Prinzip darf zum Selbstzweck verkommen. Dennnicht nur mit hohen Schulden verschöben wir Problemeauf nachfolgende Generationen. Auch wenn wir Dingenicht bezahlten, die heute bezahlbar sind und mit denenwir gesellschaftliche Probleme lösen könnten, verschö-ben wir diese Probleme auf nachfolgende Generationen.Deshalb muss man bei einem Prinzip immer aufpassen,dass es nicht zum Dogma verkommt. Ich habe den Ein-druck, es verkommt zum Teil zum Dogma.
Wenn man denn Neuverschuldung reduzieren will undwenn man Schulden abbauen will, gibt es dafür immerzwei Wege. Man kann Leistungen kürzen, also Ausgabenreduzieren, oder man kann Einnahmen erhöhen. Mankann auch beides tun. Sie wollen aber die Einnahmen sen-ken und die Leistungen kürzen und dabei die Verschul-dung abbauen. Dies geht dann ganz häufig zulasten derArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der sozialSchwächsten in der Gesellschaft. Das muss von einerlinken Opposition klar kritisiert werden.
Deshalb unsere Vorschläge zu den UMTS-Erlösen.Erst einmal ist es richtig, dass sie im Prinzip zum Schul-denabbau eingesetzt werden. Wir schlagen vor, 90 Milli-arden DM zur Schuldentilgung einzusetzen. Wir meinenaber, dass drei Ausgaben unbedingt gemacht werdenmüssten.Die Bundesregierung und Sie persönlich, Herr Bun-deskanzler, hatten den Rentnerinnen und Rentnern auchfür das Jahr 2000 die Nettolohnanpassung versprochen.Sie haben sich dann bei den Rentnerinnen und Rentnernentschuldigt und gesagt: Die Kassenlage gibt das einfachnicht her, deshalb ist es nicht möglich und deshalb nur die
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Dr. Gregor Gysi11209
Inflationsrate. Heute ist aber den Rentnerinnen und Rent-nern nicht zu erklären, dass wir, wenn 100Milliarden DMunerwartet in den Haushalt fließen und die nachträglicheRevision, das heißt die Durchführung der Nettolohnan-passung rückwirkend zum 1. Juli 2000, nur 3,8 Milliar-den DM kosten würde, nicht bereit sind zu sagen: Jetzt hatsich die Situation verändert, jetzt wird das ursprünglicheVersprechen erfüllt und die Nettolohnanpassung imNachhinein realisiert.
Wir sind dafür, dass wir eine kommunale Investitions-pauschale für die neuen Bundesländer und für struktur-schwache Regionen in den alten Bundesländern zur Ver-fügung stellen, um Maßnahmen im soziokulturellenBereich und im Bildungsbereich zu finanzieren. Daswären 3 Milliarden DM.Dann müssen wir unbedingt ein Problem lösen, dassonst verheerende Folgen hätte. Wir müssen die Ent-schuldung der leer stehenden Wohnungen im Osten be-ginnen. Sonst gibt es dort eine Katastrophe. Deshalbschlagen wir vor, 3 Milliarden DM zur Verfügung zu stel-len, um diese Altschulden abzubauen. Dann blieben unsnoch 90 Milliarden DM, die wir zur Schuldentilgung ein-setzen könnten.Nun komme ich auf die Zinseinsparungen zu spre-chen. Was die Verwendung dieser Mittel angeht, stimmenwir mit der Richtung der Vorschläge der SPD-Bundes-tagsfraktion überein, hier insbesondere an Bildung undKultur zu denken. Da die großen Konzerne bereits gezahlthaben und dieses Geld noch nicht zur Schuldentilgungeingesetzt worden ist, sind inzwischen schon über600 Millionen DM an Zinseinnahmen entstanden. Wirmüssen uns auch Gedanken machen, was wir mit diesemGeld machen wollen. Da schlage ich Ihnen in Überein-stimmung mit dem Vorschlag von Herrn Gerhardt vor,damit ein Sofortprogramm zur Bekämpfung des Rechts-extremismus zu finanzieren.
Das wäre eine ausgewogene Lösung. Es wäre keinDogma, trotzdem würde das Prinzip des Abbaus derSchulden aufrechterhalten.Was nun die Steuerpolitik der Bundesregierung be-trifft, so glaube ich, dass sie auf der Einnahmenseite nichtstimmt. Entgegen dem Versprechen von SPD und Grünenim Wahlkampf ist die Vermögensteuer nicht wieder ein-geführt worden. Aber es ist nicht zu erklären, weshalb ge-rade die Vermögenden in unserer Gesellschaft so wenigund immer weniger zur Kasse gebeten werden, währenddie Belastungen für andere ständig zunehmen. Die stärks-te Entlastung durch die Steuerreform trifft nun einmal dieBesserverdienenden und die Vermögenden, die großenKonzerne, Versicherungen und Banken. Nichts Ver-gleichbares aber gibt es für sozial Schwache, für normalverdienende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer undfür kleine und mittelständische Unternehmen – trotz posi-tiver Elemente, zum Beispiel der Erhöhung des Kinder-geldes, der Erhöhung des Existenzminimums und derSenkung des Eingangssteuersatzes.Eines muss ich hier richtig stellen, Herr Schlauch. DasSahnehäubchen, von dem Sie gesprochen haben, hat nichtdie F.D.P. erhandelt – das ist falsch –, auch wenn HerrGerhardt dies hier behauptet. Vor der Gesprächsrunde mitder F.D.P. gab es nämlich eine Gesprächsrunde mit derPDS aus Mecklenburg-Vorpommern. Und Herr Holter hatdurchgesetzt, dass die Handwerker und Gewerbetreiben-den nicht die volle Steuer auf Verkaufserlöse zahlen müs-sen.
So viel Ehrlichkeit muss schon sein. Das müssen wir indiesem Zusammenhang sagen.
Jetzt sage ich Ihnen noch etwas zu der Verteilung inunserer Gesellschaft – ich finde, Sie sollten das nicht aufdie leichte Schulter nehmen –: Seit 1980 sind die realenNettoeinkommen in der Bundesrepublik Deutschlandum 4,3 Prozent gestiegen und seit 1980 sind die realenNettogewinne der Unternehmen in der BundesrepublikDeutschland um 84,4 Prozent gestiegen. Daran hat sich,lieber Herr Schlauch, auch unter Ihrer Regierung nichtsgeändert.
Diese Schieflage bedarf dringend der Korrektur.
Die Steigerung der Nettogewinne bezieht sich über-wiegend auf Aktiengesellschaften; viele kleine und mit-telständische Unternehmen dagegen ringen um ihre Exis-tenz. Heute gibt es eine Kundgebung der Frauen vonHandwerkern und Gewerbetreibenden, die alle in Kon-kurs gehen mussten und sich nun in einer verzweifeltenSituation befinden. Wir müssen uns endlich etwas einfal-len lassen. Wir können nicht immer nur eingreifen, wennes um 2 000 Beschäftigte geht. Wir müssen auch etwastun, wenn zweihundertmal 10 Beschäftigte entlassen wer-den müssen. Es läuft schließlich auf die gleiche Zahlhinaus und die Schicksale sind gleich viel wert.
Sie sagen immer, das Geld sei knapp und man könnemithilfe der Steuer nichts machen. Das Geldvermögen inder Bundesrepublik Deutschland betrug 1990 3 000 Mil-liarden DM, also 3 Billionen DM, 1997 5 000 Milliar-den DM und 1999 6 500 Milliarden DM. Davon haben10 000 der reichsten Haushalte 30 Prozent; das macht proHaushalt im Durchschnitt 195 Millionen DM aus. 10 Pro-zent der Haushalte haben sogar 50 Prozent des Geldver-mögens, während 14 Prozent der Haushalte überhauptkein Geldvermögen haben. Man darf als Partei des De-mokratischen Sozialismus doch wohl noch kritisieren,dass an der Verteilung des Vermögens in dieser Gesell-schaft irgendetwas nicht stimmt und die Bundesregierungdies auch noch befördert, statt wenigstens schrittweiseumzuverteilen.
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Dr. Gregor Gysi11210
Noch, Herr Bundeskanzler, gilt Art. 14 des Grundge-setzes:Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleichdem Wohle der Allgemeinheit dienen.Versetzen Sie sich doch einmal in das Schicksal unserer100 Milliardäre in der Bundesrepublik Deutschland!
Wenn die Milliardäre dies ernst nähmen – sie sind dochalle Verfassungspatrioten –, müssten sie sich den ganzenTag eine Birne machen, wie sie ihre Milliarde für das All-gemeinwohl einsetzen könnten. Wollen wir ihnen nichthelfen und sie ein bisschen von der Verantwortung entlas-ten, indem wir einen Teil gleich dem Allgemeinwohl zu-führen? Das ist es, was wir durch eine Vermögensteuerund ähnliche Maßnahmen erwarten.
Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist zum großenTeil auf den demographischen Faktor zurückzuführen.Dass die Zahlen jetzt besser sind, hat also damit zu tun,dass viel mehr Leute in Rente gehen, als Leute in den Ar-beitsmarkt kommen. Es hat aber auch mit dem Export-anstieg zu tun; das ist wahr. Aber, Herr Bundeskanzler,dieser Exportanstieg hat auch wieder mit der Schwächedes Euro zu tun. Die Schwäche des Euro wird natürlichauch zu einem Problem für unsere Gesellschaft, nicht nurwas die Importe, sondern auch was die Inflation und denSpielraum des Staates betrifft. So sind wir hier ein biss-chen in der Zwickmühle. Ich wünschte mir einen stabile-ren Euro. Aber wenn er stabiler wird, dann wird auch derExportboom möglicherweise wieder zurückgehen. Wasmachen wir dann mit dem Problem der Arbeitslosigkeit?Deshalb sage ich Ihnen: Wenn wir den Binnenmarktnicht dauerhaft strukturell stärken, dann wird der Abbauder Arbeitslosigkeit nicht anhalten, weil man sich hiernicht alleine auf den Exportanstieg verlassen kann. Das istdas eigentliche Problem.Wenn man aber den Binnenmarkt stärken will, dannmüssen wir etwas für die Kaufkraft tun. Die geringenSteigerungen der Löhne, die Reduzierungen bei den Sozi-alleistungen und den Renten sind meines Erachtens derfalsche Weg, nicht nur sozial, sondern auch ökonomisch.
– Herr Bundesfinanzminister, darf ich Ihnen einmal etwassagen? Der Bruttolohnanstieg betrug 1999 in den USA3 Prozent, in Großbritannien beim neoliberalen Blair5 Prozent, in Deutschland 1,8 Prozent. Wenn Sie dannnoch die Inflationsrate abziehen, bleibt nichts übrig. Dasist die Realität. Wenn ich dann noch die Ökosteuer dazu-nehme, entstehen sogar Verluste. Das geht so nicht. Damithelfen Sie uns auch wirtschaftlich nicht, weil die Nach-frage nicht steigt.
Sie wissen doch ganz genau: Bei den Reichen entstehtdoch keine Kaufkraft. Wenn Sie ihnen mehr geben, dannspekulieren und sparen sie mehr. Nur Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer und sozial Schwächere kaufen dannwirklich mehr. Die Kaufkraft stärkt man nur bei dieserGruppe und beim Durchschnitt der Gesellschaft, nie beiden Reichen. Das ist einfach eine ökonomische Binsen-weisheit.
Wenn ich dann sehe, dass die Arbeitsmarktaufwendun-gen im Haushalt um 11,5 Milliarden DM gekürzt werdensollen, dass der Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeitvon 7,8 Milliarden DM in diesem Jahr auf 0 DM reduziertwerden soll, dann frage ich mich: Wissen Sie, welche ka-tastrophalen Auswirkungen dies für Arbeitsbeschaf-fungsmaßnahmen in allen neuen Bundesländern und inden strukturschwachen Regionen des Westens habenwird?
Ich muss natürlich noch eine Bemerkung zur Öko-steuermachen. Bei der CDU/CSU und der F.D.P. habe ichimmer den Verdacht, sie wollen nicht eine andere, sondernsie wollen gar keine Ökosteuer. Dazu will ich deutlich sa-gen: Das sieht die PDS anders. Wir brauchen einen Preisfür den Verbrauch von Natur. Insofern ist die Idee einerÖkosteuer richtig. Nur: Die, die wir haben, taugt nichts– das ist allerdings wahr –,
weil sie keine ökologische Lenkungswirkung hat, weil siesozial unverträglich ist und weil keine Alternativen ange-boten werden.
Bevor man das Auto fast unbezahlbar macht, muss manBus und Bahn, den öffentlichen Personennah- und -fern-verkehr und übrigens auch den Gütertransport so organi-sieren, dass sie überall regelmäßig verkehren und dass siesicher und bezahlbar sind. Aber mit Ihrer Ökosteuer ma-chen Sie Bus und Bahn noch teurer. Das geht einfach zuweit. Hinzu kommen noch die Heizölpreise. Ich sage Ih-nen noch mal: Erst laufen und dann noch frieren, das istvon den Leuten einfach zu viel verlangt. Das müssen Siekorrigieren. Das werden Sie wahrscheinlich auch nochkorrigieren.
Herr Kol-
lege Gysi, kommen Sie bitte zum Schluss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sprach von den Auswir-kungen auf die Bevölkerung, Herr Kollege. Das wissenSie. Das müssen Sie korrigieren. Es hilft nun alles nichts,dass auch andere ihren Anteil daran haben. Das ist dochklar. Aber auch der Staat hat eben seinen Anteil daran. Ermuss das ihm Mögliche tun. Er soll ja nichts Unmöglichestun.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Dr. Gregor Gysi11211
Ich müsste jetzt noch viel zur Rentenreform sagen, zuder ich leider nicht mehr gekommen bin. Lassen Sie michdazu nur bemerken: Ich glaube, dass der begonnene Aus-stieg bzw. der Plan, aus der paritätischen Finanzierungder Rente auszusteigen, ein Jahrhundertfehler der Sozi-aldemokratie wird. Ich bin davon überzeugt, dass spätereRegierungen den Weg fortsetzen werden: Senkung desRentenniveaus und dafür die Anhebung der Beiträge zurprivaten Halbpflichtversicherung, wie ich es einmal nen-nen möchte. Wenn Sie diesen Weg weitergehen, werdenSie ihn prinzipiell nie wieder kritisieren können. MachenSie das nicht. Es gibt andere Lösungen.
Herr Kol-
lege Gysi, würden Sie jetzt bitte wirklich zum Schluss
kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir könnten wirklich andere
Schritte gehen. Ich werde sie Ihnen bei anderer Gelegen-
heit zu erläutern versuchen. Diese Gelegenheit wird es, so
hoffe ich zumindest, noch geben, vielleicht in der nächs-
ten Sitzungswoche.
Also, Herr Bundeskanzler, ich denke, dass Sie nach
vier Jahren Legislaturperiode sicherlich nicht sagen kön-
nen, dass wir eine sozial gerechte Gesellschaft haben.
Aber ich würde mich freuen, wenn Sie nach vier Jahren
wenigstens sagen könnten – dafür bedarf es aber Korrek-
turen in der Politik –, dass wir eine sozial gerechtere Ge-
sellschaft haben. Dazu gehört dann aber auch, dass unsere
ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Frieden
und in Sicherheit leben können. Anders gibt es keine so-
ziale Gerechtigkeit.
Danke schön.
Das Worthat jetzt der Bundeskanzler Gerhard Schröder.
ten Damen und Herren! Herr Gysi, in einem Punkt habenSie Recht. Wir werden am Ende der Legislaturperiodenicht nur sagen können: Wir haben diese Gesellschaft so-zial gerechter gemacht, sondern auch: Wir haben sie öko-nomisch vernünftiger organisiert.
Wir werden sagen können: Es ist uns gelungen, Moder-nität in unserer Gesellschaft mit sozialer Gerechtigkeitzu verbinden. Es ist keineswegs so, dass wir sagen kön-nen: Wir haben alles erreicht, was wir uns vorgenommenhaben, aber allemal so, dass wir sagen können: Wir habenviel erreicht und es hat sich gelohnt, die vier Jahre ge-arbeitet zu haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundes-finanzminister, auf dessen Arbeit ich stolz bin – ich be-nutze dieses Wort ausdrücklich –, hat einen Haushalt vor-gelegt, der in diesem Sinne Solidität auf der einen Seiteund Zukunftsorientierung auf der anderen Seite mitei-nander verbindet. Die unter anderem in diesem Haushaltzum Ausdruck kommende Politik ist eine geglückte Ver-bindung zwischen wirtschaftlicher Vernunft und politi-scher Veränderungswilligkeit und -bereitschaft.
Es ist noch nicht so lange her, da hatte Politik inDeutschland international das Attribut „German disease“,die „deutsche Krankheit“. Es war das Markenzeichen derVorgängerregierung.
– Meine Damen und Herren, damit werden Sie sich wohlabfinden müssen; denn exakt dieser Begriff ist in der in-ternationalen Publizistik verwendet worden, als Sie re-giert haben, niemand anders.
Sie werden sich also damit auseinander zu setzen haben.Es war das Attribut für Ihre Regierungszeit:
„Deutsche Krankheit“ hat es geheißen.
Dieser Begriff der „deutschen Krankheit“, der „Ger-man disease“, ist nicht nur aus der nationalen, sondernauch aus der internationalen Öffentlichkeit verschwun-den. Deutschland ist – das ist ein Erfolg dieser Regie-rung – wirtschaftlich und politisch wieder vorn.
– Ich werde Ihnen das gleich anhand einiger Daten er-klären.Meine Damen und Herren, dies darf niemand gefähr-den; denn das wäre verhängnisvoll für unser Land und fürdie Menschen in unserem Land. Verantwortliche Politikhat vielmehr den Trend, den wir Gott sei Dank haben, zuverstärken. Also: Organisierte Verantwortungslosigkeit,wie sie in Ihren Kampagnen zum Ausdruck kommt, darfihn nicht bremsen.
Ihre kurzsichtigen und kurzatmigen Kampagnen beinhal-ten die Gefahr, dass wirtschaftliches Wachstum und damitVerstärkung von Beschäftigung wieder ausbleiben.
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Dr. Gregor Gysi11212
Sie werden dann dafür verantwortlich gemacht; damitmüssen Sie rechnen.Wenn ich heute in einer großen Berliner Boulevard-Zeitung etwas über regelrechte Aufmarschpläne für Block-aden von Versorgungseinrichtungen lese, dann ist es einErgebnis Ihrer Aufforderung zu organisierter Verantwor-tungslosigkeit.
Sie sollten zumindest darüber nachdenken.
Im Übrigen zeigt das nur, meine sehr verehrten Damenund Herren von der Opposition, dass Sie das Thema be-nutzen, um aus der selbst verschuldeten politischen De-fensive, in der Sie stecken, herauszukommen. Ich will aufdie Einzelheiten nicht eingehen. Aber klar ist, dass das derVersuch ist. Schlimm ist, dass es Ihnen bei diesemVersuch, aus der selbstverschuldeten Defensive heraus-zukommen, gleichgültig ist, wie sich wirtschaftlichesWachstum und Beschäftigung entwickeln.
Das, meine Damen und Herren, ist die Gleichsetzung vonParteiinteressen mit Interessen des Staates und das zeigteindeutig, dass Sie auf absehbare Zeit nicht in der Lagesind, gesamtwirtschaftliche und gesamtstaatliche Verant-wortung zu übernehmen.
Demgegenüber ist es an der Zeit, die Lage so zu be-schreiben, wie sie wirklich ist; das ist auch Aufgabe die-ser Debatte. Wir haben, meine sehr verehrten Damen undHerren, im ersten Halbjahr dieses Jahres ein realesWachstum von 3,3 Prozent gehabt. Wir können damitrechnen, dass wir, wenn bewusst herbeigeführte Störun-gen nicht eintreten, in diesem Jahr ein reales Wachstumvon 3 Prozent – manche halten sogar mehr für möglich –erreichen werden.
Dies wird unmittelbar positive Auswirkungen auf dieBekämpfung der Arbeitslosigkeit haben und hat es be-reits jetzt. Deshalb meine Bitte an alle, die bereit sind,Verantwortung zu übernehmen, ob sie in den Medien, inder Wirtschaft oder in der Politik tätig sind: Lasst das ge-fährliche Spiel mit dieser Kampagne,
denn es könnte dazu führen, dass die Wachstumserwar-tungen und damit die Beschäftigungschancen, die wirGott sei Dank haben, zumindest gefährdet werden.
Für dieses Zündeln werden Sie die volle Verantwor-tung übernehmen müssen,
weil wir Sie aus der Verantwortung nicht herauslassen.Was Sie dort betreiben, ist der Aufruf zur Nötigung, unddies wird der Staat nicht hinnehmen, damit das völlig klarist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben –das trägt erheblich zum wirtschaftlichen Wachstum undzur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bei – ein Export-wachstum, das in diesem Jahr zweistellig sein wird. Dasfreut mich und andere sollte es auch freuen; denn bedau-erlicherweise sind wir immer noch sehr stark von den Ex-portquoten abhängig. Immer noch brauchen wir ungeach-tet der sich bessernden Binnenkonjunktur den Schub ausdem Export, wenn wir Wachstum und Aufbau von Be-schäftigung politisch wirklich wollen.
In diesem Zusammenhang, Herr Gerhardt, zu Ihnenoder, besser gesagt, zu Ihren Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern, die sich ökonomisch betätigt haben, um Ihnenaufzuhelfen.
Ich lese Ihnen einmal etwas vor, was jemand geschriebenhat, der sich sein ganzes Leben lang sehr erfolgreich mitdiesen Fragen beschäftigte und dazu keine Mitarbeiterbrauchte, nämlich Helmut Schmidt.
– In dieser Frage brauchte er sicherlich keine Mitarbeiter.Helmut Schmidt schrieb in der „Zeit“ vom letztenDonnerstag:Sind 2,20 DM etwa eine Katastrophe für uns oder fürden Euro und Wim Duisenberg, den Präsidenten derEuropäischen Zentralbank? Waren denn 3,45 DMeine noch größere Katastrophe für die DeutscheMark oder für Kohl und den damaligen Bundes-bankchef Pöhl? Waren denn 1,38 DM eine Katastro-phe für Clinton und den Dollar?
Dann kommt eine Mahnung, die Sie sich wenigstensanhören sollten:Freunde, hört auf mit dem Gejammer! Den HerrenKoch, Rüttgers und Genossen, leider auch FrauMerkel – –
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Bundeskanzler Gerhard Schröder11213
– Das steht hier. Ich zitiere Helmut Schmidt, den auch Siesonst doch immer ganz gern zitieren.
Ich zitiere weiter:Freunde, hört auf mit dem Gejammer!Ich unterstreiche das dreimal: Hört wirklich auf!Den Herren Koch, Rüttgers und Genossen, leiderauch Frau Merkel, ist zu empfehlen, das Auf und Abder Kurve zu studieren, ehe sie sich das nächste Malals Währungssachverständige aufspielen.
Das ist ein Rat meines verehrten Vorvorgängers, den ichIhnen dringend anempfehle, nicht zuletzt demjenigen, dersicher nach mir reden wird und zu dem Thema sicher auchdas eine oder andere beizutragen hat, ein Rat, den ich,Herr Gerhardt, auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern zur kritischen Durchsicht anempfehle.
Ich sage es noch einmal: Wir brauchen diese Exporte,weil sie in sinnvoller Weise die sich langsam festigendeBinnenkonjunktur ergänzen und weil alles zusammen dieChance enthält, die wir ergreifen werden und müssen,über das wirtschaftliche Wachstum zu einem nachhaltigenAbbau der Arbeitslosigkeit zu kommen.Übrigens: Hochinteressant waren natürlich die Bemer-kungen von Herrn Glos, und zwar nicht nur wegen seinerSprachgewalt, die mir wirklich Freude macht – das mussich einfach mal einräumen –;
das Ganze, verehrter Michael Glos, hatte ja phasenweiseweniger den Anschein einer Parlamentsrede, als einerBüttenrede.
Sie scheinen übersehen zu haben, dass wir noch vor dem11. November dieses Jahres sind. Danach ist noch mehrmöglich. Sie sind gewiss noch steigerungsfähig. AberSpaß macht es jedenfalls, Ihnen zuzuhören.
Das will ich überhaupt nicht bestreiten.Sie haben aber über eine angeblich galoppierende In-flation geredet. Im August lag die Inflationsrate bei1,8 Prozent und war damit niedriger als überall in Europa.
Von einem richtigen Galopp kann man bei diesen Datenwohl kaum reden.
Die Wahrheit ist: Wir haben in diesem Jahr ein wirt-schaftliches Wachstum von 3 Prozent zu erwarten. Wir ha-ben einen Abbau der Arbeitslosigkeit, speziell der Ju-gendarbeitslosigkeit – ich komme noch darauf –, und diesbei einer Inflationsrate von unter 2 Prozent. Das sind –wenn Sie es auch nicht wahrhaben wollen – brillante ge-samtwirtschaftliche Daten, die Sie in Ihrer Regierungszeitnie erreicht haben. So einfach ist das.
Es ist daher kein Wunder, dass angesichts dieser Lagedie Europäische Zentralbank – wahrhaft keine Versamm-lung von Sozialdemokraten – sagt: Seit 20 Jahren – ich be-tone: seit 20 Jahren – war die konjunkturelle Situationin Deutschland nicht so gut wie heute. – Beschäftigen Siesich bitte mit den Fakten, mit den wirklichen Entwick-lungslinien der Politik in Deutschland, mit dem, was unsmittel- und langfristig helfen wird, und lassen Sie diesekurzatmigen Kampagnen, die Ihnen vielleicht einen kurz-fristigen Entsatz bei Ihren Schwierigkeiten bringen kön-nen, mittel- und langfristig fallen Sie aber nur weiter indie politische Defensive. Mir soll es recht sein.
Worin liegen die Ursachen für diese Daten und worinliegt der Erfolg, der in ihnen steckt? Er liegt – das kannman nicht oft genug unterstreichen – nicht zuletzt an ei-ner Konsolidierungspolitik, für die der Name HansEichel steht.
Auf dem Weg, den er mit unser aller Unterstützung be-schrieben hat, stehen wir erst am Anfang. Wir werden ihnkonsequent weiter beschreiten. Ich wiederhole sein Ziel:im Jahre 2006 zu einem möglichst ausgeglichenen Haus-halt, also zu einem Haushalt ohne Neuverschuldung zukommen. Das ist ein Ziel, das unserem Staat, unserer Ge-sellschaft sowie den Menschen in unserem Land nutzenwird und das Hans Eichel mit aller Konsequenz und mitder Unterstützung des gesamten Kabinetts weiter verfol-gen wird.
– Und natürlich mit Unterstützung der Koalitionsfraktio-nen.Warum? Wir machen damit klar, dass solide Finanzendem Prinzip der Nachhaltigkeit folgen und auch folgenmüssen. Nachhaltigkeit heißt hier, dass wir während un-seres Lebensabschnitts nicht das aufessen, wovon unsereKinder und Enkelkinder auch leben wollen und müssen.Die solide eichelsche Finanzpolitik ist nicht zuletzt einGebot der Fairness gegenüber künftigen Generationen.
Deshalb machen wir mit dem Schuldenabbau Ernst.Deshalb setzen wir entgegen lautstarken Forderungen vonder rechten Seite des Hauses die Erlöse aus der Versteige-
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Bundeskanzler Gerhard Schröder11214
rung der UMTS-Lizenzen für den Abbau von Schuldenein, nicht, weil es keine Aufgaben gäbe, Herr Gysi, die wirauch gerne sofort anpacken und finanzieren würden,nicht, weil wir nicht wüssten, dass einige der For-derungen, die Sie gestellt haben, durchaus nachvollzieh-bar sind, und nicht, weil wir diese Aufgaben nicht auchgerne erfüllen würden – das ist doch nicht der Punkt –,sondern deshalb, weil wir uns zwischen der Möglichkeit,mit dem Geld aus der Versteigerung uns, der jetzt leben-den und aktiven Generation, zu helfen, und der Möglich-keit, dieses Geld im Sinne der Nachhaltigkeit für künftigeGenerationen einzusetzen, entscheiden müssen und weilwir wissen, dass wir das Geld nur einmal ausgeben kön-nen und dass wir es im Interesse unserer Kinder und En-kelkinder in den Schuldenabbau stecken müssen, wennwir unserer Verantwortung ihnen gegenüber gerecht wer-den wollen. Das ist der wirkliche Grund.
Deshalb werden schon in diesem Jahr die Schulden sub-stanziell abgebaut, übrigens das erste Mal seit 30 Jahren.Im nächsten Jahr wird der Schuldenstand unter demMaastricht-Kriterium, nämlich bei 58 Prozent des Brut-toinlandsprodukts, liegen. Das ist früher als geplant derFall. Das ist – abgestimmt in Europa – auch vernünftig so.Ein weiterer Punkt ist die Steuerpolitik, für die gleich-falls der Name Eichel steht, die ein wirklich ausgewoge-nes Verhältnis zwischen Nachfrageorientierung auf der ei-nen Seite und Angebotsorientierung auf der anderen Seiteherstellt. Bis zum Jahre 2005 – das ist hier schon erwähntworden; aber man kann es gar nicht oft genug sagen –werden den Bürgerinnen und Bürgern und den Unterneh-men dieses Landes durch die eichelsche Steuerreforminsgesamt 95 Milliarden DM zurückgegeben.
Ein solches Steuerentlastungsprogramm hat es in der Ge-schichte Deutschlands noch nie gegeben. Deshalb ist eswichtig, dass daran festgehalten wird.Es ist auch wichtig, dass wir mit einer SteuerpolitikSchluss gemacht haben, die in Jahresraten vonstattenging. Jene jährlichen Steuergesetze, die Sie gemacht ha-ben, hatten nicht zuletzt unsoziale Wirkungen. Aber daswar nicht alles! Nein, sie haben auch die Planbarkeit despolitischen und damit auch des – soweit das möglich ist –ökonomischen Prozesses sowie die Planbarkeit von In-vestitionen aufs Höchste gefährdet. Die Ergebnisse dieserPolitik haben Sie ja gesehen. Sie haben nicht zuletzt zuIhrer Abwahl geführt. Dass wir jetzt bis zum Jahr 2005eine verlässliche und damit planbare Situation auch fürdie Wirtschaftssubjekte geschaffen haben, ist der eigent-liche, über den Tag hinausgehende Vorteil, der sich mitder eichelschen Steuerreform verbindet.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf etwasanderes hinweisen. Niemand in diesem Hohen Hause– das können Sie der einen wie der anderen Seite abneh-men; ich nehme es Ihnen ja auch ab – ist nicht von derEntwicklung der Energiepreise betroffen. Es gibt nie-manden, der nicht wüsste, dass durch die hohen Benzin-preise und insbesondere durch die hohen Heizölpreise ge-rade Menschen belastet werden, die es nun wahrlich nichtdicke haben. Aber das kann man doch nicht durch einehektisch betriebene Steuerpolitik verändern. Das kannman doch nur verändern, indem man bei einer gesamt-wirtschaftlich vernünftigen Steuerpolitik bleibt und dann,wenn es notwendig und möglich ist versucht, das Übrigemit sozialen Korrekturen abzufangen. Das ist der einzigevernünftige Weg, meine Damen und Herren.Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen – das betrifft dieNachfrageseite der Steuerpolitik –, dass wir im Jahr 2001vor allem in den unteren Bereichen ein Entlastungsvolu-men von 45 Milliarden DM an das Volk zurückgeben.45 Milliarden DM sind doch kein Pappenstiel! Das istkaufkräftige Nachfrage. Das wird der Binnenkonjunkturhelfen.Wenn ich das sage, so will ich die bedrückenden Ener-giepreise gar nicht bagatellisieren. Wahr ist doch auch,dass wir in den letzten 18 Monaten eine Verdreifachungder Rohölpreise hatten. Wenn Sie die Mehrwertsteuer mit-rechnen, haben wir durch die Mineralölsteuer eine Er-höhung von 14 Pfennig politisch verursacht.Sie wissen außerdem, dass das Geld, das dadurch he-reinkommt, direkt in die Rentenkasse geht.
– Versuchen Sie doch nicht immer, den Leuten etwas an-deres zu sagen. Das Geld geht direkt in die Rentenkasseund dient der Reduzierung von Beiträgen,
die sowohl die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer alsauch die Unternehmen aufzubringen haben. In diesemHause hat es eine ellenlange Debatte gegeben. Es hatsich – unbestritten von allen, die sich damit beschäftigthaben – gezeigt, dass es notwendig ist, die Lohnneben-kosten zu senken. Zu den Lohnnebenkosten, die wir imInteresse der aktiv Schaffenden senken wollen, gehörendie Rentenbeiträge. Jetzt machen wir das, und Sie kriti-sieren es vordergründig. Das ist doch keine redliche Poli-tik, meine Damen und Herren, die Sie betreiben.
Mir kommt es darauf an, dass deutlich wird, dass dieÖkosteuer, die alle bezahlen, den aktiven Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmern zugute kommt, weil dadurchihre Beiträge, die ihnen vom Lohn abgezogen werden, re-duziert werden. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis neh-men, meine Damen und Herren. Dann würden Sie IhrePolemik schon aufgeben.
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Die Reduzierung der Lohnnebenkosten verbessert imÜbrigen die ökonomische Position und damit die Wett-bewerbsposition unserer Unternehmen. Es ist doch sehrvernünftig, dass wir das angehen. Meine Damen und Her-ren, Ihre Kritik, die ich ja nachvollziehen kann, weil ichden Ärger, den Sie nutzen wollen, nachvollziehen kann,ist kurzfristig vielleicht von einem gewissen Erfolg ge-prägt. Mittel- und langfristig werden Sie damit aber kräf-tig hereinfallen. Davon bin ich überzeugt.
Im Grunde spekulieren Sie nämlich auf die wirtschaftli-che Unvernunft. Sie werden sehen, dass die in Deutsch-land nicht so entwickelt ist, wie Sie es gerne hätten. Dakönnen Sie sicher sein.Bei der Angebotsseite möchte ich noch einmal klar-stellen: Wir haben die Unternehmen entlastet und werdensie weiter entlasten. Diese Entlastung ist in Höhe von25 Milliarden DM vor allen Dingen eine Entlastung desMittelstandes.
Sie wollen dem Volk eines der größten Märchen weisma-chen. Man glaubt es Ihnen aber nicht. Das sehen Sie anden Kompetenzzuweisungen. Es ist eines der größtenMärchen, dass davon vor allem die großen Konzerneprofitieren. Durch die Verbreiterung der Bemessungs-grundlage auf der einen Seite und die Einrechnung derGewerbeertragsteuer auf der anderen Seite haben wir ins-besondere den Mittelstand entlastet. Ihre Rechnungen mitden 25 Prozent Körperschaftsteuersatz plus – das ver-schweigen Sie immer – 13 oder mehr Prozent Gewerbe-ertragsteuer beziehen sich auf eine Definitivbesteuerung,während es auf der anderen Seite eine Einkommens-besteuerung mit dem höchsten Grenzsteuersatz ist.Es muss doch auch in Ihren Kopf einmal hineingehen,dass wir mit der Abschaffung der Gewerbesteuer ein ural-tes Ziel realisiert haben, dass Sie, jedenfalls gelegentlich,durchaus vor sich hergetragen haben.
Die von uns eingeleitete Politik, die wir unbeirrt fort-setzen, hat dazu geführt, dass sich auf dem Arbeitsmarktendlich Bewegung zeigt.
– Ja, ich komme gleich dazu. – Wir befinden uns bereitsjetzt in einer Situation, in der wir, verglichen mit demHöchststand 1997, eine Arbeitslosenziffer haben, die um800 000 bis 900 000 unter derjenigen liegt – darunter! –,die Ihnen politisch zuzurechnen ist, soweit das überhauptmöglich ist.Ich habe noch die Häme im Ohr, die Sie im letzten Jahrbei der Debatte über den Bundeshaushalt 2000 ausgiebigausgeschüttet haben. Ich weiß noch, wie Sie gesagt haben:Sie wollten doch an der Reduzierung der Arbeitslosigkeitgemessen werden.
Ja, das ist so, gar keine Frage: Wir wollen an der Redu-zierung der Arbeitslosigkeit gemessen werden. Ich sageIhnen: Wir werden es bis zum Ende der Legislaturperiodeschaffen, unter die 3,5-Millionen-Grenze zu kommen.Wenn uns das gelingt, dann haben wir eine Million Ar-beitslose weniger, als Sie zu verantworten hatten. Ist dasetwa nichts?
Ich kann ja verstehen, dass Sie mit Ihren Kampagnenein bisschen dagegen arbeiten wollen. Aber ich sage nocheinmal: Verwechseln Sie nicht ständig Ihre Parteiinteres-sen mit den Interessen der Gesamtgesellschaft. GlaubenSie nicht, dass wir Sie damit durchkommen lassen!
Im Übrigen ist hier – zu Recht – über die Erfolge imOsten geredet worden. Dort haben wir, jedenfalls im ge-werblichen Bereich, zum ersten Mal zweistellige Wachs-tumsraten. Wir haben im Osten Exportzuwächse von biszu 30 Prozent, zwar auf niedrigem Niveau, das gebe ichzu, aber immerhin. Das ist doch etwas. Darüber sollte mansich freuen, Herr Gerhardt, und diese Freude sollte manauch zeigen.
Auch wenn es auf die Politik einer anderen Partei, eineranderen Regierung, einer anderen Koalition zurückzu-führen ist, muss man doch in der Lage sein, sich über das,was unserem Volk nutzt, einmal schlicht zu freuen, anstattimmer miesepetrig dazusitzen.
Wir haben im gewerblichen Bereich im Osten Wachs-tumszahlen, die denen im Westen überlegen sind. Gott seiDank ist das so; denn es ist noch viel aufzuholen, garkeine Frage. Wir haben im Osten ein spezielles Problem:die Situation in der Bauwirtschaft, insbesondere im Bau-hauptgewerbe. Diejenigen, die sich etwas mit ökonomi-schen Fragen beschäftigen, wissen, dass das mit in derVergangenheit geschaffenen Überkapazitäten zu tun hat,die übrigens – ich will das doch gar nicht kritisieren –auch etwas mit einer im Ergebnis zweifelhaften Förde-rungspolitik zu tun hatten. Das steht außer Zweifel. Ichwill gar nicht sagen, dass man das alles am Anfang so ge-nau hätte wissen können; aber wir müssen korrigieren.
Was daraus folgt, ist doch klar: Wir werden auch nachdem Jahr 2004 Solidarität zwischen West und Ost poli-tisch organisieren müssen.
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Natürlich kann man Investitionen und Investitionshilfenintelligenter einsetzen. Das geschieht bereits, etwa mitdem Inno-Regio-Programm. Aber natürlich besteht auchin der Infrastruktur gewaltiger Nachholbedarf, dem Rech-nung getragen werden muss. Aus diesem Grund sage ich,dass der Solidarpakt II auch nach 2004 fortgesetzt wer-den muss. Meine Bitte an Sie in diesem Fall lautet, denernsthaften Versuch zu unternehmen, auch Ihre Freundein den Landesregierungen von Bayern, Baden-Württem-berg und Hessen, die entweder unfähig oder unwillig zurSolidarität sind, davon zu überzeugen, dass das, was wirvorhaben, gesamtstaatlich notwendig ist. Das liegt dochauch in Ihrer Verantwortung.
Wenn ich Ihnen das so sagen darf: Bei diesem Vorhaben,verehrter Herr Merz, können Sie sich wirklich einmal alsStratege erweisen. Bei dem anderen Vorhaben ist das ja,wie wir wissen, im wahrsten Sinne des Wortes, in dieHose gegangen.Meine Damen und Herren, ich hoffe, es ist deutlich ge-worden, dass in diesen für unser Volk so wichtigen Berei-chen Fortschritt wirklich erkennbar und messbar ist. ImÜbrigen hat sich, was mich freut, auch die Stimmung indiesen Bereichen im Osten wie im Westen geändert. Dashat natürlich auch mit den Erfolgen zu tun, die wir für diejungen Leute erreicht haben. Wir haben, nicht zuletzt alsErgebnis der Beratungen im Rahmen des Bündnisses fürArbeit, inzwischen im Westen einen so gut wie ausgegli-chenen Ausbildungsmarkt:Angebot und Nachfrage sindausgeglichen. In einigen Ländern, denen es wirtschaftlichbesonders gut geht – darüber freue ich mich –, zum Bei-spiel in Bayern und Baden-Württemberg,
können wir sogar eine Entwicklung hin zu einer Ange-botsverknappung verzeichnen. Das freut uns. Im Ostenhaben wir dagegen nach wie vor ein Problem. Das hatnicht unbedingt mit der Unwilligkeit der Betriebsinhaberzu tun, auszubilden – das gibt es auch, da muss nachgear-beitet werden –, sondern vor allen Dingen damit, dass esdort nicht genug Betriebe gibt. Im Vergleich mit denStrukturen in den alten Ländern liegt die Anzahl der Be-triebe bei nur etwa zwei Drittel. Da müssen wir ansetzen.Da setzen wir auch an.
Bis hier ein Gleichgewicht hergestellt worden ist, kannman nicht hergehen, wie Sie es bisweilen getan haben,und dieses JUMP-Programm zur Bekämpfung der Ju-gendarbeitslosigkeit diffamieren, sondern man muss esunterstützen. Hierbei handelt es sich um sinnvoll ausge-gebenes Geld.
Ich denke, dass sich die Bilanz sehen lassen kann.Was sind die nächsten Projekte, mit denen wir es zu tunhaben? Die Notwendigkeit, Reformen und Veränderun-gen in unserem Land durchzuführen, besteht nämlichnach wie vor. In einem Moment, wo sich die Ökonomieso dramatisch schnell verändert, kann das politisch-soziale System diesen Veränderungen nicht einfach stand-halten wollen. Das „Weiter so!“ ist keine Perspektive fürdie Entwicklung unserer Gesellschaft. Was packen wiralso im nächsten halben Jahr an? Hier wurde schon vielüber Rente geredet. Ich will jetzt keine Spezialdebatteführen, sondern nur sagen, worum es uns politisch gehenmuss.Es gibt im Moment von zwei Seiten Druck auf das be-stehende Rentensystem. Erstens werden die Menschen– Gott sei Dank – älter, beziehen also natürlich auch län-ger Rente. Zweitens besteht Druck deswegen – da liegtunser Problem –, weil das wachsende Bruttoinlandspro-dukt in Deutschland von immer weniger Vollerwerbstäti-gen erwirtschaftet wird. Das heißt, die Arbeitsbiografienändern sich. Da liegt unser Problem. Das ist der Grund,warum wir – ich denke, da sind wir uns einig – sagen: Esgeht nicht um die Abschaffung des bewährten Umlagesys-tems – darum geht es überhaupt nicht –, sondern um seinesinnvolle Ergänzung. Das heißt, wir müssen eine zweiteSäule aufbauen, um die Alterssicherung zu gewährleisten.An dieser zweiten Säule wird gebaut, und zwar im Wegeder Kapitaldeckung.
– Ich verstehe ja, dass Sie, Herr Glos, über wirkliche Pro-bleme kaum ernsthaft reden können bzw. nicht wollen.Sie sollten es aber wenigstens versuchen.
Um diese Frage, den Aufbau einer zweiten Säule,dreht sich die ganze Auseinandersetzung. Im Kern geht esdarum, die Renten für die älteren Menschen so sicher wiemöglich zu machen, sie aber für die jüngeren bezahlbar zuhalten. Um diesen Kern geht es, über die Details kann manstreiten.
Nun wissen wir, dass es Menschen gibt, die diese Säuleaus eigener Kraft nicht mit errichten können. Denen hel-fen wir: durch ein Zulagensystem für Geringverdienendeund ein steuerliches Präferenzmodell für diejenigen, de-ren Einkommen höher, aber noch unterhalb der Bemes-sungsgrenze liegt. Dafür mobilisieren wir bis zum Jahre2008 19,6 Milliarden DM. Dieses Angebot habe ichIhnen unterbreitet, leider sind Sie darauf noch nicht ein-gegangen.Es ist vernünftig, wenn jemand kommt – wirhaben ja darüber geredet, Herr Seehofer – und sagt: Dannnehmt diese 19,6 Milliarden DM und setzt sie fami-lienorientiert ein. Aber das muss uns doch keiner sagen,das tun wir aus eigenem Antrieb! Das ist völlig klar.
Jetzt zur Kritik an der Haltung der Gewerkschaften.Sie müssten sich doch freuen, wenn möglichst viele Grup-pen in dieser Gesellschaft bereit sind, ihre Skepsis undEinwände zurückzustellen, um das große Ziel erreichen
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zu helfen! Ich freue mich über die Gesprächsbereitschaftder Gewerkschaften. Sie sollten nicht sauer darüber sein.Konsens in diesem Sinne hilft doch, Reformen durchzu-setzen, und ist eben nicht, wie Sie immer unterstellen, dasGegenteil dessen.
– Ich komme jetzt zu Ihnen. Sie sagen, wir bräuchtenBeitragsbemessungsgrenzen, die Sie definieren wollen.Aber die Beiträge zur Rentenversicherung sind in IhrerRegierungszeit explosionsartig gestiegen. Wir konntensie – Sie erinnern sich sicher noch – beim letzten Mal nurunter 22 Prozent halten, weil wir miteinander die Mehr-wertsteuer erhöht haben, anders war das gar nicht drin.Jetzt liegen sie unter 20 Prozent. Wenn wir es wirklichschaffen, sie bis 2020 da zu halten, dann sollten Sie, meineDamen und Herren von der F.D.P., dem zustimmen.Denn es geht doch nicht, dass Sie hergehen und sagen:Dass die Einnahmen aus der Ökosteuer zur Entlastung derRentenkasse dienen, will ich nicht. Das aber würde sichnegativ auf die Einnahmeseite auswirken. Gleichzeitig sa-gen Sie: Der Bundeszuschuss ist viel zu hoch; das will ichauch nicht. Darüber hinaus sagen Sie – jedenfalls habe ichnichts anderes gehört –: Bei den Ausgaben wollen wirnicht kürzen. Und schließlich: Die Beiträge sollen aberstabil bleiben, möglichst sogar sinken.Das ist doch eine Politik, die versucht, den Kreis zuquadrieren! Aber das schaffen selbst Sie nicht, HerrGerhardt,
auch dann nicht, wenn Ihnen Herr Westerwelle oder garIhr Kanzlerkandidat Möllemann dabei assistieren.
Das werden Sie nicht packen, was immer dann auf Sie zu-kommt.
Ich hoffe, dass deutlich geworden ist, welche Kraftan-strengung das bedeutet, was wir vorhaben. Denn das Re-formfenster ist in dieser Frage bis zum Ende der Legis-laturperiode offen. Wenn wir das jetzt nicht schaffen –aber wir werden es schaffen –,
dann wird es ganz schwierig mit dem Aufbau einer kapi-talgedeckten Zusatzversorgung.Noch ein Märchen muss man endlich beenden, näm-lich das Märchen vom Rentenniveau, das angeblichsinkt. Wenn wir sagen, die zukünftigen Renten werdennicht aus einer Quelle, sondern aus zwei Quellen gespeist,dann muss man doch bei der Ermittlung dessen, was manRentenniveau nennt, also was die Rentner in die Kasse be-kommen, das Ergebnis beider Quellen nennen, sowohldas Ergebnis der Umlagefinanzierung als auch das Ergeb-nis der neuen Säule, die wir aufbauen.
– Ich komme jetzt zu Ihnen, Herr Gysi. Wissen Sie, wasSie im Grunde vorschlagen, wenn Sie – im Einklang mitwem auch immer – vor einem so genannten Systembruchwarnen? Sie müssen einmal zur Kenntnis nehmen, dassdiese zweite Säule im Grunde aus privater Vorsorge fürdie Bedürftigeren besteht, der wir politisch aufhelfen.Aber die private Vorsorge ist noch nie paritätisch finan-ziert worden. Deshalb: Den Systembruch wollen imGrunde Sie und nicht diejenigen, die Sie dessen bezichti-gen. So einfach ist die Situation in diesem Bereich.
– Da könnt ihr ruhig ein bisschen mehr klatschen, das istnämlich richtig, was ich gesagt habe, damit das klar ist.
Das zweite große Vorhaben, das wir im nächsten hal-ben Jahr anpacken müssen, ist, ein ausgewogenes Ver-hältnis zwischen der notwendigen Flexibilität auf demArbeitsmarkt und der ebenso notwendigen Sicherheit fürdie Menschen, die Arbeit haben und haben wollen, herzu-stellen.
Wir brauchen die Möglichkeit, in einem bestimmten Zeit-raum, etwa 24 Monate, wie jetzt, auch Zeitverträge abzu-schließen. Diese Möglichkeit brauchen wir aus beschäf-tigungspolitischen Gründen. Davor kann sich keinerdrücken. Wir werden das auch gewährleisten.Meine Damen und Herren, man kann heute ohne wei-tere Gründe – das soll auch so bleiben –, hergehen undVerträge über sechs Monate, wieder sechs Monate, wie-der sechs Monate und dann weitere sechs Monateschließen. Es kann auch so bleiben, dass man dazwischeneinen Zeitarbeitsvertrag mit einer sachlichen Begründungschiebt. Es darf aber nicht sein, dass dann das Spielchenmit den sechs Monaten wieder losgeht. An diesem Punktbitte ich Sie, einmal zu überlegen, was das für die betrof-fenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet.
Deswegen werden wir das Gesetz so fassen, dass die Fle-xibilität in den 24 Monaten gewährleistet bleibt, aber derMissbrauch in Form solcher Kettenarbeitsverträge nichtmöglich ist.
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Das kann man durchaus als ausgewogenes Verhältnis zwi-schen der notwendigen Flexibilität auf den Arbeitsmärk-ten und einem Stück verdammt noch mal verdienter Si-cherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmersehen.
Über den Solidarpakt und dessen Notwendigkeit sowieüber die Rente und die Beschäftigungsförderung habe ichschon geredet. Diese zentralen Aufgaben werden wir an-zupacken haben. Bei der Rente sind Sie nach wie vor auf-gefordert, mitzuarbeiten und mitzuhelfen, dass diese Ent-scheidung in einem gesellschaftlichen Konsens – das istfür mich kein Schimpfwort, sollte es auch für Sie nichtsein – getroffen werden kann.Noch einmal zu Ihnen, Herr Gerhardt, was das ThemaZuwanderung angeht. Ich weiß nicht, was Sie dagegenhaben, gute Fachleute ins Land zu holen. Ich weiß auchnicht, was man dagegen haben kann zu sagen: Macht docheinmal einen Vorschlag, wie man das, was wir hoffentlichalle wollen, verbinden kann, auf der einen Seite eine Ein-wanderung, die für uns wirtschaftlich durchaus interes-sant sein darf, und auf der anderen Seite – etwas, was zuuns gehört, was zur Offenheit und Toleranz, der deutschenGesellschaft gehört, und im Ausland auch als solcheswahrgenommen wird – das Recht für politisch Verfolgte,nach Deutschland zu kommen.
Ich hoffe, dass Sie mithelfen werden, ein vernünftiges Zu-sammenspiel zu finden. Ich bin davon überzeugt, dass dasmöglich sein wird.
Wenn Frau Süssmuth mit ihrer Kommission dafürsorgt, dass diese Debatte, die ja schon Landtagswahl-kämpfe entschieden und für sehr viel böses Blut gesorgthat, etwas sachlicher geführt werden kann, als dies in derVergangenheit der Fall war, dann kann man das nur be-grüßen. Ich freue mich über die Bereitschaft von FrauSüssmuth, in dieser Kommission mitzuarbeiten. Das istdoch nur vernünftig.
Zum Rechtsradikalismus ist das Notwendige schongesagt worden. Ich hoffe, das Gesagte eint uns. Ich hoffeaber auch, dass es Auswirkungen auf den Gebrauch derSprache bei denen hat, die man wirklich nicht in dieselbeEcke stellen sollte. Ich hoffe also, dass demokratische Po-litiker nie mehr von „durchrassten Gesellschaften“ reden.
Das hat der damalige bayerische Innenminister und heu-tige Ministerpräsident getan. Man muss schon sagen:Wenn man diese Entwicklung nicht will, dann muss mansich entsprechend verhalten. Wir und – ich nehme zurKenntnis – auch Sie wollen das.Im Übrigen, Herr Glos, ich hatte nichts dagegen, dassder bayerische Innenminister Beckstein gesagt hat: Lasstuns ein solches Verbot prüfen! – Aber Sie haben ja überVerfassungsschutz und über Verfassungsschutzämter ge-redet.
Von denen wird im Moment das vorhandene Material zu-sammengetragen. Sagen Sie Ihrem Kollegen Becksteineinen schönen Gruß und richten Sie ihm aus, dass er lie-fern muss.
Er wird sich ja wohl nicht dem Vorwurf aussetzen wollen,sein Verfassungsschutzamt würde nicht ganz so intensivarbeiten. Ich will ja nicht, dass ihm Vorwürfe von Ihnengemacht werden, die er gar nicht verdient.
Meine Damen und Herren, es reicht jedenfalls nichtaus, nur Forderungen aufzustellen. Im Übrigen ist es beidiesem Thema sehr ruhig geworden. Herr Koch hat sichsehr skeptisch geäußert. Ich frage mich: Warum eigent-lich?
Es gibt sehr unterschiedliche Motive, die man – wie auchderen Ursprung – noch herausarbeiten muss. Ich sageIhnen sehr deutlich: Wenn wir nur die Spur einer Chancehaben, jene Strukturen zu zerschlagen, die den gewaltbe-reiten Rechtsradikalismus offen fördern oder ihn zumin-dest decken, dann werden wir das tun.
Wir werden dies übrigens nicht nur um unseres Ansehensim Ausland willen – auch das –, sondern auch um unserereigenen Selbstachtung willen tun. Es ist doch sehr vielwichtiger, dass wir es aus diesem Grunde tun.
Niemand von uns hier in diesem Hohen Hause machtsich die Illusion – ich kann die skeptischen Stimmen ausder Publizistik beruhigen; ich kann sie aufgrund ihresernsten Hintergrundes nachvollziehen; ich will dies garnicht bestreiten, auch wenn sie von Ihnen aus der Oppo-sition kommen –, das Stellen eines Verbotsantrages oderdas ausgesprochene Verbot seien das Ende dieses Trei-bens. Worauf wir alle achten müssen, ist, dass das, was
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sich in der Zivilgesellschaft, in unserer Gesellschaft ge-gen den Rechtsradikalismus mobilisiert, kein Ereignis desSommerlochs bleibt, sondern dass dies zu einem dauer-haften Widerstand gegen jede Form des Rechtsradikalis-mus wird.
Es ist gefragt worden, was wir in Bezug auf Europatun werden. Wir werden in Nizza, nachdem wir auf demGipfel in Berlin die finanzielle Vorausschau bis zum Jahre2006 in einer verdammt schwierigen Operation hinbe-kommen haben, das fertig stellen müssen, was man die„leftovers“ von Amsterdam nennt, das also, was vom Gip-fel in Amsterdam übrig geblieben ist. Dies sind keineleichten Brocken; sonst wären sie ja nicht übrig geblieben.Es sind vielmehr verdammt schwierige Brocken. Wirmüssen das hinbekommen, und zwar deshalb, weil die an-stehenden Reformen, das Abarbeiten der drei PunkteGröße der Kommission, Stimmengewichtung und dieFrage des Verhältnisses zwischen Mehrheits- und Ein-stimmigkeitsprinzip, institutionelle Voraussetzungen fürdie anstehende Erweiterung sind. Deswegen müssen wirdiese Reformen packen.Hinzu kommen muss nach unserer festen Überzeu-gung, möglichst im Rahmen des Vertrages – dafür wollenwir kämpfen – die Möglichkeit zu schaffen, dass diejeni-gen, die schneller vorgehen wollen, die mehr Integrationwollen und können, dies auch dürfen, ohne dass dadurchder Klub geschlossen wird. Das muss klar sein. Ich denke,dass zwischen den Parteien dieses Hauses – abgesehenvielleicht von der einen oder anderen Ausnahme – auch indieser Frage keine prinzipielle Auseinandersetzung nötigsein müsste und eigentlich auch nicht sein dürfte.Das führt mich zu folgendem Punkt: Der Vorwurf, denich neulich in einem Interview von Herrn Stoiber –
– im „Spiegel“ gelesen habe, ich hätte in Bezug auf dieBeitrittsländer Daten genannt, ist ziemlich merkwürdig.Wer ist es denn, der hier ständig sagt „Bis dann oder dannmüsst ihr aufnehmen!“? Das bin doch nicht ich. Ich bindoch von Ihnen aus der F.D.P. und aus der Mitte der CDU– nicht aus der CSU; die sind etwas vorsichtiger, was die-sen Punkt angeht – kritisiert worden, weil ich nicht gesagthabe: Zu diesem oder jenem Datum werdet ihr aufge-nommen.
Denn ich habe mich daran gehalten, was die 15 in Hel-sinki beschlossen haben. Das ist die Marschrichtung; dieist auch vernünftig. Sie heißt nämlich: Das Europa der 15will bis Ende des Jahres 2002 dafür sorgen, dass es mate-riell und institutionell für neue Mitglieder aufnahmefähigist. – Das ist unsere Verantwortung. Die müssen wir in denkommenden Jahren packen; das ist schwer genug.Logische Folge dessen ist, was wir in Helsinki gemein-sam gesagt haben: Es ist Aufgabe der Beitrittsländer – wirwollen ihnen dabei ökonomisch und politisch helfen –,aufgrund der eigenen Anstrengungen selber zu entschei-den, ob sie zu diesem Zeitpunkt oder zu welchem Zeit-punkt auch immer nicht nur beitrittsbereit, sondern auchbeitrittsfähig sind. Denn Beitrittsfähigkeit heißt doch, inder Lage zu sein, das gesamte Acquis der EuropäischenUnion mit allen wirtschaftlichen Folgen zu übernehmen,die das für diese Länder hat und haben wird. Diese Ent-scheidung muss in den Beitrittsländern getroffen werden.
Wenn ich sage: „Wir wollen bis zum Ende des Jahres2002 aufnahmefähig sein“, dann meine ich das auch so.Wenn dann die betreffenden Länder beitrittsfähig sind –jedes Land wird nach seinen Verdiensten behandelt wer-den müssen –, kann eine Aufnahme klappen. Ansonstenwerden Konsequenzen daraus zu ziehen sein, dass ihreAnstrengungen noch nicht ausreichen. Ich hoffe aber,dass sie reichen.Wir sollten jetzt keine Debatte über dieFragen „Wer“ und „Wann“ führen, sondern dies in denMittelpunkt vernünftiger Europapolitik stellen und vor al-len Dingen in dieser Frage zusammen bleiben.
Ich glaube schon, dass es lohnen würde, eine Politikweiterzubetreiben – das ist hier ohne Wenn und Aber fest-zustellen –, für die auch mein Vorgänger immer gestandenhat, nämlich Deutschland als Anwalt der Erweiterung zubegreifen, und zwar unserer historischen Verpflichtunggegenüber diesen Völkern, aber auch unserer eigenen In-teressen wegen. Es ist doch nicht schlimm – und die Men-schen verstehen es auch –, wenn man ausspricht: Ja, wirhaben ein wirtschaftliches Interesse an diesen Märkten,und weil wir es haben, müssen wir helfen, diese Märktezu entwickeln. Sie sind in erster Linie unsere Märkte, dasist ganz klar. Das darf man auch sagen, wenn man hinzu-fügt, dass es neben den schnöden wirtschaftlichen Argu-menten auch noch ein paar Argumente mehr für dieseEuropapolitik gibt. Aber auch die wirtschaftlichen Ar-gumente sollte man nennen dürfen. Unsere Leute, vorallem diejenigen in den Grenzgebieten zum Osten, habenetwas davon.
Die letzte Bemerkung, die ich machen möchte, nehmeich vor dem Hintergrund der Diskussionen der vergange-nen Zeit sehr ernst. Wir haben am 3. Oktober – in Dres-den, eingeladen vom sächsischen Ministerpräsidenten –zehn Jahre deutsche Einheit zu feiern.
– Wir wollen das auch. Ich habe nicht gesagt, ich gehe danicht hin, wenn nicht dieser oder jener redet. Das warendoch wohl andere.
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Meine Bitte ist, angesichts der internationalen Gästeund der Bedeutung solcher Institutionen und Vorgängevon einer Diskussion darüber, wer wann nicht kommt undwann wer nicht redet, abzulassen.
Denn hinter dieser Art des Umgangs mit dem 3. Oktoberdurch Sie – leider auch durch Sie, Frau Merkel, und an-dere – steht unausgesprochen die Vorstellung, das, wassich dort vollzogen hat, könne für eine Partei monopoli-siert werden. Das kann es indessen nicht.
Die zehn Jahre, um die es dabei geht, haben wir ange-sichts der Menschen im Osten des Landes, die vor allenDingen dafür gesorgt haben, dass die Wiedervereinigungmöglich geworden ist, respektvoll zu begehen.
Wenn ich das sage, hat das nichts damit zu tun, dass ichnicht auch den persönlichen Beitrag von Menschen zuwürdigen wüsste, die in dieser Zeit an hervorragenderStelle gearbeitet haben – erst recht nicht den Beitrag vonHans-Dietrich Genscher, aber auch nicht den Beitrag vonHelmut Kohl.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Worthat jetzt der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU,Friedrich Merz.Friedrich Merz (von Abgeordneten derCDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wirheute Gelegenheit haben, im Zuge dieser Haushaltsde-batte eine Zwischenbilanz über zwei Jahre rot-grünerBundesregierung zu ziehen.Aber es gibt in diesen Tagen – Herr Bundeskanzler, Siehaben selbst darauf hingewiesen – noch ein wichtigeresDatum als die Halbzeit Ihrer Regierung.Vor ziemlich genau zehn Jahren haben die Menschenin der früheren DDR ihren atemberaubenden Weg in dieFreiheit abschließen können. Da Sie, Herr Bundeskanzler,am Ende Ihrer Rede richtigerweise die Verdienste IhresAmtsvorgängers in diesem Zusammenhang genannt ha-ben, hätten wir auch von Ihnen erwartet, dass Sie wenigs-tens – genauso wie der Fraktionsvorsitzende der PDS –die Ausfälle Ihres Fraktionsvorsitzenden Peter Struck indiesem Zusammenhang zurückgewiesen hätten.
Wir werden in den nächsten Tagen und Wochen beiverschiedenen Gelegenheiten an diese Ereignisse derJahre 1989 und 1990 erinnern. Aber ich möchte heute –ich tue das aus vielen Gründen – eines schon an dieserStelle feststellen: Ohne die kluge und mutige Politik derdamaligen Bundesregierung könnten wir den zehntenJahrestag der deutschen Einheit in diesem Jahr gewissnicht feiern.
Herr Bundeskanzler, ich spreche dies gleich zu Beginnmeiner Rede an, weil in den letzten Tagen und Wochenvon verschiedenen Seiten Ihrer Partei, dieser Koalition,aber insbesondere von Ihrem Generalsekretär Äußerun-gen gemacht worden sind, die erkennbar von dem Wunschgetragen sind, die deutsche Geschichte neu zu schreiben,ja sie zu verfälschen.
Der Gipfel dieser versuchten Geschichtsfälschung wardie Behauptung, die deutsche Einheit wäre vor zehn Jah-ren auch mit jedem anderen Kanzler in Deutschland mög-lich geworden.
Meine Damen und Herren, wenn Deutschland vor zehnJahren das Pech gehabt hätte, eine sozialdemokratischgeführte Bundesregierung zu haben, hätte es die deutscheEinheit nicht gegeben.
Bei allen Beteuerungen, Herr Schröder, die ich Ihnenheute – wenigstens vordergründig – abnehme:
Es gab vor zehn Jahren keinen maßgeblichen Politiker derSozialdemokratischen Partei Deutschlands, der die deut-sche Einheit wirklich gewollt hat, keinen!
– Die Reaktionen beider Fraktionen sprechen eine belebteSprache. Ich hoffe, dass dies auch die Menschen vor denFernsehschirmen wahrnehmen können.
Uns jedenfalls, Herr Bundeskanzler, sind die Redens-arten von Gerhard Schröder von vor zehn Jahren nochgut in Erinnerung: Man könne die DDR doch nicht anPolen abtreten; der Ruf nach der deutschen Einheit sei re-aktionär und hochgradig gefährlich. – Diese und vieleähnliche Äußerungen lassen uns auch heute eines nichtvergessen: Sie haben damals den Freiheitswillen der Men-schen in der früheren DDR nicht verstanden, weil Sie vonIhrer ganzen politischen Herkunft her keine Distanz zu
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dem menschenverachtenden System des Sozialismus undseinen früheren Machthabern hatten.
Es war und bleibt deshalb das unbestreitbare großeVerdienst der Bundesregierung unter Helmut Kohl, in ei-ner wahrhaft grundstürzenden Zeit des Wandels in unse-rem Land gegen den Willen der damaligen Opposition dasRichtige getan zu haben.
Wir in der Union wissen, dass wir, seit die Vorwürfewegen der Verstöße gegen das Parteiengesetz öffentlichwurden, in eine ziemlich schwierige Lage geraten sind.Aber wir werden es trotzdem oder gerade deshalb nichtzulassen, dass die Bundesregierung versucht, die gesamtePolitik, die CDU und CSU in diesem Land und für diesesLand in insgesamt 36 Jahren Regierungsverantwortungerfolgreich gestaltet haben, umzudeuten oder infrage zustellen.
Wir werden uns auch nicht von einem Herrn Ströbele,der wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigungrechtskräftig vorbestraft ist – –
– Das mögen Sie nicht mehr gern hören, meine Damenund Herren. Aber wir haben in dieser Fraktion jemandensitzen, der seinen Beruf als Anwalt dazu missbraucht hat,einsitzende Straftäter mit Informationen zu versorgen,was rechtswidrig war, der deshalb vom Bundesgerichts-hof mit einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteiltworden ist.
Wir werden es nicht zulassen, dass dieser unsäglicheMann uns heute Belehrungen über Moral in der Politikund über den Rechtsstaat in Deutschland erteilt.
Herr Bundeskanzler, Sie selber haben die Branche an-gesprochen, auf die ich mich jetzt beziehe. Ich möchte ei-nen Sachverhalt in Erinnerung rufen, mit dem Sie sich vorzehn Monaten in der Bundesrepublik Deutschland ein-drucksvoll und spektakulär in Szene setzen konnten, alsSie nämlich den Versuch gemacht haben, in Frankfurt dasUnternehmen Philipp Holzmann zu retten.
Sie haben damals auf dem Balkon des Vorstandsge-bäudes gestanden,
kurz vor Weihnachten, und konnten den Menschen dortvom Balkon herab sagen, die Probleme dieses Unterneh-mens seien gelöst und das rettende Ufer sei erreicht.Ich möchte heute einmal die Frage stellen: Was ist da-raus eigentlich geworden? Sie haben damals in den Ge-sprächen – wie Teilnehmer mittlerweile berichten – denHinweis, dass die Subventionen, die Sie geben wollten,möglicherweise von der EU-Kommission nicht geneh-migt werden, mit einer Handbewegung vom Tisch ge-wischt und haben gesagt: Meine Herren, davon verstehenSie nichts, das lassen Sie mich mal machen.Bis zum heutigen Tag ist die Genehmigung der EU-Kommission für diese Beihilfen nicht erteilt. Dort, in denReihen der SPD-Bundestagsfraktion, sitzt ein Kollege,der Vorsitzender der IG BAU ist,
mit dessen Zustimmung vom Unternehmen PhilippHolzmann bis zum heutigen Tage fortlaufend gegen beste-hendes Tarifrecht verstoßen wird, weil die Zustimmungder Arbeitnehmer und der Arbeitgeber zu einer Abwei-chung vom Tarifvertrag bis heute nicht erteilt worden ist.Das Ergebnis für Sie ist: Sie konnten auf Ihrem Partei-tag Anfang Dezember glänzen. Ihnen ist das Unterneh-men Philipp Holzmann bis zum heutigen Tag völliggleichgültig, ist das Schicksal der Arbeitnehmer in diesemUnternehmen völlig egal und in der Zwischenzeit habennicht zuletzt wegen dieser Verstöße gegen Tarifverträge inder Bundesrepublik Deutschland 4 000 Unternehmen imBauhauptgewerbe Pleite gemacht.
Dabei sind über 50 000 Arbeitsplätze verloren gegangen;aber der Herr Bundeskanzler ist bei keinem dieser Unter-nehmen zu sehen gewesen.
In der Rettungsaktion für dieses Unternehmen kommtein ganz besonderer Wesenszug der Politik der Bundesre-gierung und insbesondere des Bundeskanzlers zum Aus-druck, nämlich ihre Grundeinstellung zu unserer Wirt-schaft und zu den Unternehmen unserer Wirtschaft. ImMittelpunkt der wirtschaftspolitischen Betrachtung desBundeskanzlers stehen die großen Kapital- und Konzern-gesellschaften, nicht die eigentümergeführten Unterneh-men des Mittelstandes.
Sie, meine Damen und Herren, haben in dieser Koali-tion eine ganz neue Definition von Mittelstand in derBundesrepublik Deutschland geschaffen. Mittelstand, dassind die Unternehmen, die im Land Pleite gehen können,ohne dass sich in Berlin irgendeiner dafür interessiert.
Diese Haltung, Herr Bundeskanzler, wird auch in IhrerSteuerpolitik deutlich. Sie bevorzugen mit Ihrer Steuer-
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politik unverändert – wir haben es ja hier gerade noch ein-mal bestätigt bekommen – die großen Unternehmen undbenachteiligen fortgesetzt den Mittelstand. Aber das istIhnen, wie so vieles andere auch, ziemlich gleichgültig.Ich will in diesem Zusammenhang ganz offen nocheinmal auf die Schlussphase der Behandlung der Steuer-reform im Vermittlungsausschuss und im Bundesrat zusprechen kommen. Ich will zunächst feststellen: Ohne un-sere harten Verhandlungen mit dieser Bundesregierung
hätte es nie die Bereitschaft gegeben, den Spitzensteuer-satz im Einkommensteuergesetz auf 42 Prozent zu sen-ken.
Dazu wären Sie aus eigener Überzeugung nie bereit ge-wesen. Sie haben uns ja sogar bis in die Schlussphase er-klärt, mehr Geld als das, was der Bundesfinanzministerdafür zur Verfügung stellen wollte, sei nicht vorhanden.Plötzlich aber konnte der Bundeskanzler an einer Reihevon Ländern vorbei 5, 6 oder noch mehr Millionen mobi-lisieren, um das von ihm gewünschte Ergebnis am ge-wünschten Tag zustande zu bringen.
Hätten Sie Ihre Bereitschaft, zusätzliche Steuereinnah-men zur Verfügung zu stellen, um eine Steuerreform be-werkstelligen zu können, schon im Vermittlungsverfahrenzu erkennen gegeben – nicht nur für einige Länder, son-dern für die ganze Republik –, wäre eine bessere Steuer-reform möglich gewesen.
Vor allem hätten Sie, Herr Bundeskanzler, dann nichtmit der PDS verhandeln müssen.
Sie hätten auch nicht die von der CDU bzw. CSU geführ-ten Länder über Ihre wahren Absichten täuschen müssen.An allen Regeln eines geordneten Gesetzgebungsverfah-rens vorbei – unter grober Verletzung des Budgetrechtsdes Parlaments und durch Zusagen über den zukünftigenInhalt des Finanzausgleichs und das so genannte Maßstä-begesetz, die Sie gar nicht hätten geben dürfen – –
– haben Sie das Vermittlungsverfahren so beendet, wieSie es für sich haben wollten.
– Ich spreche das an, weil ich mich mit der Frage ausei-nandergesetzt habe: Was ist da eigentlich geschehen?Ihnen, Herr Bundeskanzler, ging es erkennbar nicht umein gutes steuerpolitisches Ergebnis. Ihnen ging es aus-schließlich um eine schnelle Beendigung des Gesetz-gebungsverfahrens. Der uns allen gut bekannte Verfas-sungsrichter Paul Kirchhof hat dies wenige Tage später inder Zeitung bewertet und die Schlussfolgerung gezogen:„Wenn dieses Beispiel Schule macht, ist dieser Staat re-formunfähig“. Er hat Recht, meine Damen und Herren.
Da Sie aber auch auf ehemalige Verfassungsrichter ge-wiss nichts geben, möchte ich hier wiedergeben, was einBundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland vor vie-len Jahren zum Miteinander von Bundesregierung, Bun-destag und Bundesrat in einer Regierungserklärung zumAusdruck gebracht hat:Die strikte Beachtung der Formen parlamentarischerDemokratie ist selbstverständlich für politische Ge-meinschaften, die seit gut 100 Jahren für die deutscheDemokratie gekämpft, sie unter schweren Opfernverteidigt und unter großen Mühen wieder aufgebauthaben.Es geht weiter:Im sachlichen Gegeneinander und im nationalenMiteinander
von Regierung und Opposition ist es unsere gemein-same Verantwortung und Aufgabe, dieser Bundesre-publik eine gute Zukunft zu sichern. Die Bundes-regierung weiß, dass sie dazu der loyalen Zusam-menarbeit mit den gesetzgebenden Körperschaftenbedarf. Dafür bietet sie dem Deutschen Bundestagund dem Bundesrat ihren guten Willen an.Das hat Willy Brandt in seiner ersten Regierungser-klärung am 28. Oktober 1969 vor dem Deutschen Bun-destag gesagt.
Herr Bundeskanzler Schröder, solche Worte kämen Ihnennie über die Lippen, weil Sie nicht in diesen Kategoriendenken.
Ich möchte aber nicht nur auf aktuelle Fragen in derSteuerpolitik zu sprechen kommen, sondern auch auf IhreFinanz- und Wirtschaftspolitik, die Sie gerade sehr aus-führlich begründet haben.
Sie haben gesagt, die Bundesregierung betreibe eine Po-litik, die die Abgabenbelastung in der Bundesrepublik
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Deutschland Schritt für Schritt senkt, damit wieder mehrArbeitsplätze entstehen können.
Am 1. Januar 2001 soll eine weitere Erhöhung derÖkosteuer um 7 Pfennig in Kraft treten – dann noch eineam 1. Januar 2002 und noch eine am 1. Januar 2003. DiePerspektiven Ihrer Regierung und Ihres Bundesarbeitsmi-nisters in diesem Zeitraum sind, dass der Rentenversiche-rungsbeitrag bestenfalls mit 19,2 Prozent stabil bleibt.
Im Ergebnis wollen Sie uns mit dem, was Sie hier ma-chen, erklären, dass durch eine ständig steigende Steuer-belastung in Deutschland mehr Arbeitsplätze entstehenkönnen. Das ist der erste Bundeskanzler der Bundesre-publik Deutschland, der den Versuch unternimmt, derÖffentlichkeit zu erklären, dass Steuererhöhungen zuArbeitsplätzen führen.
Wenn Sie uns das nicht glauben, dann glauben Sie demBund der Steuerzahler.
Er hat vor wenigen Tagen einmal ausgerechnet, was denndie Konsequenzen Ihrer Politik bis zum Jahr 2005 sind.Bis zum Jahr 2005 werden bei Fortsetzung dieser PolitikSteuererhöhungen und nicht die Absenkung derRentenversicherungsbeiträge, die Sie auch in Ihrer Ko-alitionsvereinbarung festgelegt haben, die Folge sein. DieAbgabenbelastung aus Steuern und Sozialversicherungs-beiträgen wird im Jahr 2005 bei 54,8 Prozent liegen,ganze 0,3 Prozent niedriger als im Jahre 1998.Das zeigt doch, dass Sie von dem von Ihnen für richtiggehaltenen Weg, die Steuer- und Abgabenlast zu senken– Sie haben es in die Koalitionsvereinbarungen geschrie-ben, indem Sie dort vereinbart haben, die Sozialversiche-rungsbeiträge auf unter 40 Prozent abzusenken –, längstabgekommen sind und jetzt nur noch versuchen, zu retten,was zu retten ist. Aber das hat mit Wirtschafts- undArbeitsmarktpolitik in Deutschland nichts mehr zu tun.
Zu Recht empfinden die Menschen das, was sie in die-sen Tagen an den Tankstellen erleben, als eine unver-schämte Abkassiererei.
Aber wenn in diesen Tagen ein Liter bleifreies Benzin2 DM kostet und davon 1,30 DM Steuern sind, dann kön-nen Sie doch nicht behaupten, dass das, was an den Tank-stellen passiert, ausschließlich mit der Verteuerung derEnergiepreise in Deutschland zu tun hat.
Sie, Herr Bundeskanzler, sind der Preistreiber auf denEnergiemärkten der Bundesrepublik Deutschland.
Eine normale Arbeitnehmerfamilie spart im Jahr 2000mit den heruntersubventionierten Sozialbeiträgen allen-falls rund 300 DM. Im selben Zeitraum zahlt ein durch-schnittlicher Arbeitnehmerhaushalt in der Bundesrepu-blik Deutschland wegen der hohen Energiekostenmindestens 1 000 DM mehr.
Das hat doch nun mit einer sozialverantwortlichen Politikfür Arbeitnehmer wirklich nichts mehr zu tun.
Ich muss Ihnen sagen: Wer in diesen Tagen das zwei-felhafte Vergnügen hat, den Bundesumweltminister ein-mal bei seinen Medienauftritten zu beobachten, der fühltsich schon ziemlich stark an den Marie-Antoinette zuge-schriebene Ausspruch erinnert: Wenn das Volk kein Brothat, dann soll es doch Kuchen essen. Genauso benimmtsich Ihr Bundesumweltminister.
Ich habe schon vor einigen Wochen, lange Zeit vor denhohen Ölpreisen, gelesen, Herr Bundeskanzler, was IhrBruder dazu sagt.
Er schreibt seit einigen Monaten eine interessanteKolumne in einer großen Boulevardzeitung in Köln.
Ihr Bruder schreibt:Daran sollte sich Umweltminister Trittin auch malein Beispiel nehmen. Alle halbe Jahre bombardiert eruns mit furchtbaren Dingen. Erst Tempolimit, dannsollen wir neue Heizungen bauen. Langsam flippt deraus. Es wird Zeit, dass ich das dem Gerd mal sage.
Mein Großer ...– damit meint er Sie, Herr Bundeskanzler –der Trittin spinnt. Das sieht mein Bruder bestimmtauch so. Ist ja wirklich nicht mehr zum Aushalten mitdiesem Öko-Minister.
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Recht hat Ihr Bruder, Herr Bundeskanzler, mit dem,was er da zum Besten gegeben hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Stoppen Sieden Unfug mit der Ökosteuer und erklären Sie noch vorWeihnachten, dass weitere Erhöhungsstufen nicht inKraft treten!
Herr Bundeskanzler, obwohl ich das nicht häufig tue,möchte ich Ihnen an dieser Stelle gerne eine Wette anbie-ten. Ich wette, dass Sie bis zum Jahresende – der Druckwird größer werden – die Ökosteuer wieder kassieren unddie dritte Stufe am 1. Januar 2001 nicht in Kraft tritt. Ichbiete Ihnen Folgendes an: Sagen wir, eine kleine KisteCohiba gegen eine gute Kiste pfälzischen Grauburgunder.Am Ende dieses Jahres werden Sie einen Rückzieher ma-chen. Sie werden die dritte Stufe nicht in Kraft treten las-sen, weil Sie genau gemerkt haben, dass Sie mit dem, wasdort beschlossen worden ist, richtigerweise auf großenWiderstand bei den Menschen auf den Straßen treffen.
Wir lassen uns, Herr Bundeskanzler, von Ihnen ganzsicher keine Vorschriften darüber machen, in welcherForm des legitimen Protestes das organisiert wird. Diejeni-gen, die vor drei Jahren – ich habe das gut in Erinnerung –gegen einen vernünftigen Kohlekompromiss innerhalbder Bannmeile noch in Bonn auf die Straße gegangensind,
unter aktiver Beteiligung von Kolleginnen und Kollegenaus der SPD-Bundestagsfraktion das Parlament lahm ge-legt haben,
haben heute nicht das Recht, sich hierher zu stellen unduns zu sagen, es wäre Nötigung, wenn die Menschen mitRecht ihrem Unwillen gegen Sie Ausdruck verleihen.
Herr Struck, Sie haben das Ganze eben wieder so dar-gestellt, als ob das Geld, das abkassiert wird, vollständigin die Rentenversicherung fließt. Herr Bundeskanzler, dasist doch ein fortgesetzter Wortbruch! Die Einnahmen ausder Ökosteuer kommen eben nicht in vollem Umfang derAbsenkung der Rentenversicherungsbeiträge zugute.
Im Jahr 2003 werden es 38 Milliarden DM Ökosteuernsein. Davon könnte man den Rentenversicherungsbeitragum 3 Prozentpunkte absenken. Er wird aber unverändertbei über 19 Prozent liegen. Sie kassieren ab und ein er-heblicher Teil davon fließt in den Bundeshaushalt.
Damit da kein Missverständnis entsteht: Wir habenauch in unserer Fraktion noch in den jüngsten Tagen überdie Frage einer verantwortungsvollen Energiepolitik ge-sprochen.
Ich bin und bleibe persönlich der Auffassung, dass es guteGründe dafür gibt, den Energieverbrauch in der Bundes-republik Deutschland, insbesondere den Schadstoff-ausstoß durch Energieverbrauch, europaweit mit dem In-strument von schadstoffbezogenen Abgaben zu begren-zen. Aber, meine Damen und Herren, dann doch bitte be-zogen auf Schadstoffausstoß und so, dass sich derEnergieverbrauch wirklich verändert, und nicht so, dassSie einen hohen Energieverbrauch benötigen, damit SieIhre Steuereinnahmen erzielen können.
Im Übrigen, Herr Bundeskanzler, die Verpflichtungen,die die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Kli-maschutzes auf der großen Konferenz in Rio eingegan-gen ist, die von der gesamten Europäischen Union über-nommen worden sind und zu denen die BundesrepublikDeutschland einen maßgeblichen eigenen internationalenBeitrag leisten muss, können Sie doch nicht erfüllen,wenn Sie in der Bundesrepublik Deutschland aus der ein-zigen CO2-freien Energiequelle aussteigen, nämlich ausder friedlichen Nutzung der Kernenergie, und gleichzeitigdafür sorgen, dass die fossilen Brennstoffe in Deutschlandimmer weiter und noch stärker verbraucht werden.
Das ist weder vernünftige Steuerpolitik noch hat das et-was mit dem Arbeitsmarkt zu tun, noch entspricht siedem, was wir richtigerweise bezüglich des Klima- undUmweltschutzes in der Bundesrepublik Deutschlandbrauchen.
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierungglänzt im Lichte der Behauptung, in Deutschland sei derReformstau nun endlich aufgelöst.
Was ist denn bis zur Hälfte Ihrer Amtszeit wirklich ge-schehen?
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Sie haben eine Steuerreform durchgebracht, die Sie schonim Jahre 1997 besser hätten haben können und die Siejetzt wieder nachbessern müssen.
Ansonsten aber, Herr Bundeskanzler, wissen Sie in Ih-rer Regierung doch im Wesentlichen nur, was Sie nichtwollen. Sie wollen in dieser Legislaturperiode keine Ge-sundheitsreform mehr, obwohl wir genau wissen, dass dieLeistungseinschränkungen wegen Ihrer Politik der Büro-kratisierung und der Budgetierung in den nächsten Wo-chen und Monaten weiter drastisch zunehmen werden. Siesenken die Lohnnebenkosten nicht, wie in Ihrer Koaliti-onsvereinbarung versprochen, auf unter 40 Prozent. Ja,Sie kneifen sogar bei dem vergleichsweise harmlosenThema des Ladenschlusses, unmittelbar nachdem Sie einGespräch mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund geführthaben. Ich habe die Sorge, meine Damen und Herren, dassda noch mehr Verabredungen getroffen worden sind, vondenen wir erst in den nächsten Wochen und Monaten er-fahren werden. Sie werden gewiss nicht zum weiterenFortschritt in der Bundesrepublik Deutschland beitragen.
Sie kürzen die Mittel auch und insbesondere für dieBundeswehr, Herr Bundeskanzler, obwohl wir geradejetzt – ich konnte mich vor einigen Tagen bei einem Be-such unserer Soldaten im Kosovo selbst davon überzeu-gen – angesichts der internationalen Herausforderungengenauso wie der Notwendigkeit der Umstrukturierungder Streitkräfte einen höheren Beitrag zur Zukunfts-fähigkeit der Bundeswehr brauchten.
– Herr Eichel, wenn Sie mir das jetzt nicht abnehmen
– ich habe damit keine Probleme –, dann möchte ich vor-tragen, was gestern in der „Süddeutschen Zeitung“ stand.Dieser Artikel enthält ein wörtliches Zitat des Bericht-erstatters der grünen Fraktion zum Bundeswehrhaushalt.Zunächst wird von der Hardthöhe berichtet:Außer Kujat– das ist der Generalinspekteur –glaubt hier keiner, dass das Geld reicht.Sodann lässt sich der Kollege Metzger unwiderspro-chen wie folgt zitieren:„In der Gesamtschau ist nicht nachvollziehbar“, wiedas Reformkonzept von Minister Rudolf Scharping„angesichts der rückläufigen Haushaltsansätze undder noch zu belegenden globalen Minderausgabenrealisiert werden soll“.Herr Bundeskanzler, ich hätte erwartet, dass Sie in ei-ner fast einstündigen Rede von diesem Platz aus ein Wortzur Zukunft der Bundeswehr, zu unseren Soldaten undinsbesondere zur Finanzausstattung der Bundeswehr ge-sagt hätten.
Ihr Wahlkampfslogan von 1998 lautete: „Wir sind be-reit“. Heute muss man sich fragen, worauf Sie bei der Re-gierungsübernahme Ende 1998 wirklich vorbereitet ge-wesen sind. Am besten lässt sich Ihre in Wahrheitzögerliche und im Wesentlichen auf Medienwirkung aus-gerichtete Politik –
– in der unendlichen Geschichte der Rentenreform nach-zeichnen. Sie haben die Rentenreform der alten Regie-rung außer Kraft gesetzt, ohne dass Sie gewusst haben,was an deren Stelle treten soll.
– Herr Schlauch, wenn Sie an dieser Stelle Zwischenrufemachen, dann muss ich Ihnen schon sagen:
Ich habe einigermaßen Respekt davor gehabt, dass Sie vorder Bundestagswahl und auch nach der Wahl gesagt ha-ben, bei der Rentenreform sei der Einbau eines demogra-phischen Faktors notwendig. Ich frage Sie: Wo setzen Siesich in dieser Koalition mit einem demographischen Fak-tor eigentlich durch?
Wir hätten eine Rentenreform längst haben müssen,meine Damen und Herren.
Herr Kollege Gerhardt hat auf die Entwicklungstrendsim Aufbau unserer Bevölkerung und auf die Tatsache hin-gewiesen,
dass wir immer weniger junge Menschen und immer mehrältere Menschen haben. Das bedeutet für die älteren Men-schen eine große Lebenschance, aber für unsere sozialenSicherungssysteme eine nicht minder große Herausforde-rung. Wir brauchen eine grundlegende Rentenreform.Herr Bundeskanzler, wir sind unverändert dazu bereit, aneiner solchen Rentenreform in parteiübergreifendemKonsens mitzuwirken, weil eine solche Reform, die aufmindestens eine Generation und damit auf rund 30 Jahre
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angelegt sein muss, nicht in jeder Legislaturperiode er-neut Korrekturen verträgt. Wenn wir zu einem gemeinsa-men Ergebnis kommen sollen, müssen die fünf von unsmehrfach genannten Punkte in dieser Reform im Kernverwirklicht und enthalten sein.Ich nenne sie Ihnen noch einmal:Erstens. In die bestehenden Rentenanwartschaften undRentenansprüche darf nicht eingegriffen werden. Siemüssen garantiert sein. Das müssen die älteren Menschenverlässlich wissen.
Zweitens – dies, Herr Bundeskanzler, ist ein ganz ent-scheidender Punkt. Kommende Generationen dürfen mitBeiträgen aus dem Umlageverfahren nicht dauerhafthöher belastet werden. Wir werden die Hand nicht zueiner Rentenreform reichen, bei der die jüngere Genera-tion in Zukunft durch Beiträge im Umlagesystem nochhöher als gegenwärtig belastet wird. Das müssen Sie wis-sen, wenn Sie mit uns einen Konsens wollen.
Drittens. Wir brauchen – Sie haben das dankenswer-terweise hier angesprochen – die private Altersvorsorgeals zweite Säule der Alterssicherung. Wir brauchen sieund Sie wären in der Koalition noch nicht so weit, wennwir von Anfang an nicht immer wieder gesagt hätten, dassdie Versorgungslücke in der Rentenversicherung nurdurch private und betriebliche Altersversorgung ge-schlossen werden kann.
Ich frage Sie in diesem Zusammenhang – das ist eine ernstgemeinte Frage –: Warum setzen Sie nicht die Arbeitender Vorgängerregierung fort –
– in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Vorbildder Vereinigten Staaten und vieler anderer Länder Pen-sionsfonds einzuführen? Sie werden private und betrieb-liche Vorsorge in der Bundesrepublik Deutschland nuraufbauen können, wenn es einen wesentlichen höherenBestand an Pensionsfonds gibt, mit denen ein wesentlichgrößerer Teil der Arbeitnehmer in Deutschland an denEntwicklungen auf den Kapitalmärkten beteiligt werdenkann. Das erwarten wir von Ihnen, Herr Bundeskanzler.
Ich will den vierten und fünften Punkt nennen, damitSie vollständig wissen, was unsere Forderungen sind undbleiben:Viertens. Für die Alterssicherung muss die nachge-lagerte Besteuerung gelten. Sie haben sich, als ich das imFrühjahr beschrieben habe und dies veröffentlicht wordenist, in hämischer Weise darüber lustig gemacht und dieÖffentlichkeit hinters Licht geführt. Mittlerweile – ich be-danke mich dafür – ist der Bundesfinanzminister so weit,das anzuerkennen. Das Prinzip ist richtig: Nur mit nach-gelagerter Besteuerung haben insbesondere Arbeitneh-merfamilien die notwendigen Freiräume, um aus nichtversteuertem Einkommen zusätzliche Vorsorgebeiträgeaufwenden zu können.Schließlich fünftens. Die Alterssicherungssystememüssen so ausgestaltet sein, dass Altersarmut in der Bun-desrepublik Deutschland nicht entstehen kann.
Das sind unsere Forderungen. Wenn Sie darauf einge-hen, kann es eine gemeinsame Rentenreform geben.
Herr Bundeskanzler, wir brauchen eine Stabilisierungder Sozialversicherungsbeiträge, und zwar nicht nur, umzusätzliche Belastungen der jungen Generation zu be-grenzen. Wir brauchen sie auch, um endlich die Lohnzu-satzkosten in den Griff zu bekommen, und wir brauchensie ferner, um dadurch Impulse auf dem Arbeitsmarktauszulösen.Sie haben mehrfach betont, welche gute Entwicklungauf dem Arbeitsmarkt eingesetzt habe, seitdem Sie inDeutschland die Verantwortung übernommen haben. Siehaben dabei – sicher nicht zufällig – das Jahr 1998 garnicht erwähnt, denn im Jahre 1998 konnten Sie sich aufeine relativ gute Arbeitsmarktkonjunktur stützen. In die-sem Jahr hat es 320 000 neue Arbeitsplätze in Deutsch-land gegeben. Das war aber das letzte Jahr der altenRegierung.
Im ersten Jahr der neuen Regierung, im Jahre 1999, istes auf dem Arbeitsmarkt praktisch zu einem Stillstandgekommen. Im Jahr 2000 zeichnet sich der Arbeitsmarktin der Tat einmal dadurch aus, dass die Arbeitslosenzah-len zurückgehen, und zum anderen dadurch, dass die Zahlder Beschäftigten zunimmt. Bei Licht betrachtet gibt esaber für diese Entwicklung zwei Ursachen: Aus älterenArbeitslosen werden Rentner; nicht etwa aus jüngeren Ar-beitslosen Beschäftigte.
Wenn sich die Beschäftigtenzahl verändert, dann im We-sentlichen deshalb, weil Sie im letzten Jahr aus dengeringfügigen Beschäftigungsverhältnissen sozialver-sicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gemachthaben. Das ist die Ursache.
Ich sage Ihnen: Wenn sich die Bundesregierung ent-schließen sollte, für den Rest ihrer Amtszeit in geschlos-sener Formation in die Toskana zu reisen, würde in derBundesrepublik Deutschland die Arbeitslosenzahl trotz-dem zurückgehen, allein aus demographischen Gründen.Das hat mit Ihnen und Ihrer Politik nichts zu tun. Ich willIhnen auch nachweisen, dass dies im europäischen Kon-text eine Arbeitsmarktentwicklung darstellt, mit der wirnicht zufrieden sein können.
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Hätte sich der Arbeitsmarkt in der BundesrepublikDeutschland im Jahre 1999 genauso wie in den anderenLändern der Europäischen Union entwickelt, dann hättees in Deutschland im Jahre 1999 – bei vergleichbarenWachstumsraten – rund 500 000 Arbeitsplätze mehr ge-ben müssen.
Deutschland steht hinsichtlich der Entwicklung auf demArbeitsmarkt nach wie vor auf einem der hintersten Plätzein der Europäischen Union.Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist insbesondere in denneuen Bundesländern besorgniserregend. Darüber ha-ben Sie, Herr Bundeskanzler, zwar gesprochen, aber IhreReise in die neuen Länder war für Sie eine Reise in ein un-bekanntes Land.
Die Ablehnung der deutschen Wirtschafts- und Wäh-rungsunion und Ihre herabsetzenden Äußerungen über dieMenschen in den neuen Ländern machen jedem deutlich,dass die fünf neuen Länder keine wirkliche Herzenssachefür Sie sind.
Es ist deshalb auch kein Zufall, dass sich diese Bundes-regierung, als es beispielsweise darum ging, den Standortfür die Fertigungsstätte des großen Airbus in der Bundes-republik Deutschland festzulegen, mit keinem Wort fürden Standort Rostock-Laage eingesetzt hat. Der AufbauOst war nie wirklich Chefsache.
Statt den Betrieben, den Arbeitnehmern und den Men-schen in den neuen Bundesländern notwendige Hilfen zugewähren, haben Sie in der vorletzten Woche eine zweiWochen dauernde schöne Reise gemacht: Hände schüt-teln, eine schöne Bootsfahrt, ein frisches Bier und immerwieder winke, winke. So sah das Medienbild des Bundes-kanzlers aus.
Dabei haben die Menschen in den neuen Bundesländernin den letzten zehn Jahren doch wirklich Enormes geleis-tet. Wer heute mit offenen Augen durch Sachsen und Thü-ringen, aber auch durch Brandenburg, Sachsen-Anhaltund Mecklenburg-Vorpommern geht, der müsste eigent-lich feststellen: Die blühenden Landschaften sind in denneuen Bundesländern entstanden.
Wir alle wissen aber, dass die neuen Bundesländernoch einige Jahre die Hilfe und die Solidarität der altenBundesländer und auch der gesamten BundesrepublikDeutschland benötigen.
Aber was machen Sie? Im Haushalt 2001 werden die Mit-tel für die neuen Länder um rund 3 Milliarden DMgekürzt: Straßenbau minus 200 Millionen DM, Nachhol-investitionen für die Bahn – Sie sprechen sich doch immerso sehr für den Ausbau von Schienenwegen und des öf-fentlichen Personennahverkehrs aus – minus 1,5 Milliar-den DM im Vergleich zu 1999. Überall, egal, ob man sichdie Mittel für die Pflegeeinrichtungen, für Forschung undEntwicklung oder zur Verbesserung der regionalenWirtschaftsstruktur Ost ansieht, werden die Mittel fürdie neuen Länder gekürzt. Herr Bundeskanzler, nochnicht einmal die ICE-Strecke Nürnberg–Erfurt–Berlinkonnte gerettet werden. Das ist die Bilanz von zwei Jah-ren Aufbau Ost der Bundesregierung unter GerhardSchröder.
Ich möchte Sie, Herr Bundeskanzler, aus aktuellemAnlass fragen, ob Sie wenigstens bereit sind, sich in denkommenden Tagen und Wochen – die Entscheidungenwerden nämlich dann getroffen werden – dafür einzuset-zen, dass es in den neuen Bundesländern wenigstens eineigenständiges Energieversorgungsunternehmen ge-ben wird, ein Energieversorgungsunternehmen, das überdie modernsten Kohlekraftwerke verfügen kann, die eszurzeit auf der Welt gibt. Es wäre das einzige große Un-ternehmen, das seinen Standort nicht im Westen, sondernin den neuen Bundesländern hätte. Sie wissen genau,worüber ich spreche, jedenfalls vermute ich es.
Es geht um ein Unternehmen, das möglicherweise unterFührung eines großen amerikanischen Unternehmens ausder Berliner Bewag, der Laubag, der Mibrag und der Veag– vielleicht als nordostdeutsche Lösung – entstehenkönnte. Herr Bundeskanzler, wenn Sie es mit dem ernstmeinen, was Sie den Menschen in den neuen Bundeslän-dern vor 14 Tagen versprochen haben, dann erwartendiese Menschen zu Recht, dass Sie sich für eine solcheunternehmerische Entscheidung zugunsten der neuenBundesländer einsetzen und –
– dass die dort vorhandenen stillen Reserven in Höhe vonrund 4 Milliarden DM nicht wieder den westdeutschenUnternehmen zufließen, deren Zentralen in den altenBundesländern liegen. An dem Ergebnis kann man IhreErnsthaftigkeit hinsichtlich dessen, was Sie in den neuenBundesländern machen, messen. Wir werden es tun.
Meine Damen und Herren, wir merken, dass dernächste Bundestagswahlkampf näher rückt. Dies merkenwir nicht nur an der Reise in die neuen Länder, sondernauch an Ihren Aussagen, Herr Bundeskanzler, zum Themader inneren Sicherheit. Ausgelöst wurde das durch eine
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Friedrich Merz11228
ganze Reihe von üblen Gewalttaten mit rechtsextremisti-schem Hintergrund. Plötzlich können Sie gar nicht genugForderungen aufstellen, wie man Gewalttäter schärferbestrafen kann. Sie geben im Urlaub ein Interview imFernsehen und sagen: Da braucht es die Härte der Polizei,da braucht es die Härte der Justiz. – Einige Tage spätersteht in der „Berliner Zeitung“: Die – gemeint sind dieGewalttäter – müssen wissen: Es gibt was auf den Deckel,wenn sie nicht spuren.
Rechtsextremismus ist wahrlich nicht nur ein Themader neuen Länder, aber dort ereignen sich bedauerlicher-weise überproportional häufig Straftaten aus diesem Be-reich. Ich will Sie daran erinnern, dass das SPD-Partei-mitglied Professor Richard Schröder vor gar nicht langerZeit gesagt hat, dass eine wesentliche Ursache für dasErstarken von Neonazis und Skinheads in den neuen Län-dern darin liegt, dass viele Menschen im Osten das Gefühlvermittelt bekommen, sie seien die Verlierer der Einheitund Menschen zweiter Klasse in Deutschland. Die PDShat an dem Gefühl, das die Menschen haben, maßgebli-chen Anteil. Ich sage sogar: Es ist ihre Existenzgrundlage,den Menschen einzureden, dass sie Menschen zweiterKlasse und die Verlierer der Einheit sind.
Wenn Sozialdemokraten zum gleichen Zeitpunkt ge-meinsame Sache mit der PDS machen, dann verwischensie bewusst die Grenzen zwischen den demokratischenParteien der Mitte und den Linksextremen. Ich sage Ih-nen: Wir müssen wehrhaft stehen gegen den linken wieden rechten Extremismus in der Bundesrepublik Deutsch-land.
Wer den Linksradikalismus hoffähig macht, Herr Bun-deskanzler, ruft die Rechten auf den Plan.
Wenn wir gemeinsam dafür etwas tun wollen – wir sinddazu bereit –, dass politischer Extremismus in Deutsch-land rechts wie links keine Chance mehr hat, dann müs-sen wir entschlossen für Freiheit und Rechtsstaat, fürToleranz und Ausländerfreundlichkeit eintreten.
Wir sind dazu uneingeschränkt bereit.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, mit Ihren Zwi-schenrufen auf die Auseinandersetzung hinweisen, diewir vor eineinhalb Jahren in Hessen miteinander ausge-tragen haben,
dann will ich dazu zwei Bemerkungen machen. Im letztenJahr hat die CDU Deutschlands eine Unterschriften-kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ge-macht.
Sie reden jetzt über Volksbefragungen und kritisieren uns,dass wir im letzten Jahr gegen eine falsche politische Ent-scheidung dieser Koalition das Volk befragt haben.
Aber noch schlimmer: Sie haben uns im letzten Jahrden Vorwurf gemacht, dass wir mit dieser Unterschriften-aktion rechtsradikale Straftaten in Deutschland erst mög-lich machen und damit fördern.
Die Kriminalitätsrate mit rechtsextremistischem Hinter-grund im Land Hessen liegt an der zweitletzten Stelle inder gesamten Bundesrepublik Deutschland. Nur noch imSaarland gibt es weniger Straftaten mit rechtsextremisti-schem Hintergrund als in Hessen. Dies zeigt, die Sorgenund Nöte der Menschen ernst zu nehmen und sie aufzu-fordern, an der politischen Willensbildung teilzunehmen,verhindert politischen Extremismus und fördert ihn nicht.
Ich komme auf die innere Sicherheit zurück. Herr Bun-deskanzler, wir würden von Ihnen gerne wissen, welcheInitiativen Sie jetzt angesichts Ihrer Ankündigungen imSommer für richtig halten und inwieweit Sie Ihren Bun-desinnenminister und die Bundesjustizministerin beauf-tragt haben. Wird es, wie es der Bundesinnenministerangekündigt hat, einen verstärkten Einsatz des Bundes-grenzschutzes geben, beispielsweise an öffentlichen undgefährdeten Orten wie Bahnhöfen, wo die Kriminalitäts-schwerpunkte wirklich sind?
Gibt es ein Maßnahmenkonzept gegen die Verwahrlosungunserer Städte? Wir könnten Ihnen dazu wieder unserenVorschlag anbieten, damit zu beginnen, die Graffiti-schmierereien zu verbieten, Herr Bundeskanzler. So kannman damit anfangen, Kriminalität zu bekämpfen.
Sind Sie, Herr Bundeskanzler, für eine bessere Video-überwachung von Kriminalitätsschwerpunkten, so wiedas beispielsweise in der Stadt Leipzig mit großem Erfolgpraktiziert wird?
Wenn Sie das wollen, dann bringen Sie entsprechendeGesetzentwürfe in den Bundestag ein. Wir werden uns de-nen nicht verschließen.
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Ich sage Ihnen noch etwas: Wenn für Sie wie für unsdie Bilder unerträglich sind, die zeigen, dass wenigeMeter von hier entfernt Neonazis, Skinheads in Unifor-men durch das Brandenburger Tor marschieren und dortFahnen schwenken, die in diesem Land keiner mehr sehenwill, dann frage ich Sie: Warum legen Sie keine Vor-schläge zur Erweiterung der Bannmeile und zur Ver-schärfung des Versammlungsrechts auf den Tisch?Warum machen Sie es dann nicht?
Herr Bundeskanzler, wenn Sie wie wir der Meinungsind, dass, wie Sie sich ausgedrückt haben, bei allemRespekt vor der Unabhängigkeit der Justiz mit Be-währungsstrafen in Deutschland nicht so freundlich um-gegangen werden darf – so haben Sie es in einem Inter-view vor 14 Tagen gesagt –, warum lassen Sie es dann zu,dass Ihre Bundesjustizministerin zum selben Zeitpunktden Vorschlag macht, die Strafaussetzung zur Bewährungauf Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren auszudehnen? Andieser Stelle stimmt in Ihrer Innen- und Rechtspolitikdoch nichts mehr, was die Entschlossenheit der Bekämp-fung von Kriminalität in Deutschland betrifft.
Ich komme auf die relativ stabile Konjunktur zurück.Herr Bundeskanzler, lassen wir den Streit außer Betracht,woher es kommt und wer die Verdienste hat: Wir habenin der Bundesrepublik Deutschland, wie in vielen anderenLändern, gegenwärtig eine relativ stabile Konjunktur. Dasmüsste doch eigentlich die Zeit sein, wo Sie einen wirk-lich entscheidenden Impuls – über die Steuerpolitik hi-naus – für die Modernisierung unseres Landes geben.Ihre Halbzeitbilanz, Herr Bundeskanzler, bleibt weit hin-ter dem zurück, was unter den gegenwärtigen ökonomi-schen Rahmenbedingungen in der BundesrepublikDeutschland an Modernisierung möglich wäre. Ich willIhnen drei Beispiele nennen.Warum packen Sie das ganze Thema „Reform des Ar-beitsmarktes in Deutschland“ nicht an? Ich vermute, Siekennen folgenden Fall, den ich kurz schildern will: Voreinem Jahr wurden in einem Zweigwerk der VolkswagenAG in Emden 1 100 Mitarbeiter, die dort in einem befris-teten Arbeitsverhältnis angestellt waren, nicht weiter be-schäftigt, weil die Auftragslage das nicht zuließ. VWwollte diese 1 100 Beschäftigten nicht in die Arbeitslo-sigkeit entlassen, sondern bot ihnen einen so genanntenTransfersozialplan – Weiterbeschäftigung in Arbeitsplät-zen bei Unternehmen in der näheren Umgebung – an. Esgab 1 200 Angebote für eine unbefristete Weiterbeschäf-tigung – und das bei 1 100 zu entlassenden Arbeitnehmernbei VW. Kein einziges der angebotenen Beschäftigungs-verhältnisse beinhaltete ein Entgelt, das nicht mindestensum 500 DM über dem Arbeitslosengeld liegt.Von den 1 100 Beschäftigten bei VW – ich mache da-raus niemandem einen Vorwurf –
haben sich ganze drei entschlossen, das Angebot anzu-nehmen. Alle anderen haben es vorgezogen, vorläufig indie Arbeitslosigkeit zu gehen. Ich sage es noch einmal: Ichmache keinem Beteiligten einen Vorwurf.
– Nein, keinem. – Ich mache allenfalls uns den Vorwurf,dass wir nicht in der Lage sind, den Arbeitsmarkt so zuorganisieren, dass die Anreize zur Fortsetzung einer Be-schäftigung höher als der Gang in die Arbeitslosigkeitsind.
Warum, Herr Bundeskanzler, setzen Sie ungeprüft dieso genannte aktive Arbeitsmarktpolitik mit einem Vo-lumen von rund 40 Milliarden DM fort, obwohl Ihnenmehrere Angebote – auch ein ganz konkretes vom Zen-trum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mann-heim – vorliegen, dieses Instrumentarium – das habennicht Sie erfunden, sondern das gibt es schon lange –, dassich in der Zwischenzeit als in höchstem Maße ineffizientherausgestellt hat – weil noch nicht einmal die Hälfte de-rer, die solche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen besuchthaben, eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt erhal-ten –
kritisch und wissenschaftlich überprüfen zu lassen?Warum, Herr Bundeskanzler, lehnen Sie dieses Angebotab? Wann denn, wenn nicht jetzt, kann eine solche Reformunseres Arbeitsmarktes stattfinden?
Warum greifen Sie nicht unser Angebot auf, die Zu-sammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfeweiter voranzubringen? Nicht in der Form, wie Sie esjetzt machen, dass ein Informationsaustausch zwischenden Behörden stattfindet, sondern in der Form, dass dieLeistungsgesetze einander angepasst werden, sodass die-jenigen, die die Arbeit verweigern, nicht nur bei der So-zialhilfe, sondern auch bei der Arbeitslosenhilfe entspre-chende Kürzungen hinnehmen müssen. Warum machenSie das nicht? Wann denn, wenn nicht jetzt, Herr Bundes-kanzler?
Ich will jetzt aus Zeitgründen nicht auf Ihre Vorschlägezur gesetzlichen Regelung der Gleichstellung von so ge-nannten gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschafteneingehen. Darüber kann man sprechen. Es gibt sicherlichden einen oder anderen Punkt, an dem man etwas verän-dern kann. Das eigentliche zentrale Thema der Familien-politik in Deutschland kann diese Frage doch wohl nichtdarstellen.
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Warum nehmen wir es uns nicht gemeinsam vor, in dennächsten fünf bis zehn Jahren den Familienleistungsaus-gleich für Familien mit Kindern – nicht gleichgeschlecht-liche Lebensgemeinschaften, sondern Familien mit Kin-dern – so zu verbessern, dass in der BundesrepublikDeutschland spätestens in zehn Jahren kein Kind mehrvon Sozialhilfe leben muss? Warum nehmen wir uns dasnicht gemeinsam vor?
Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss nocheinige Sätze zur Entwicklung in der Europäischen Unionsagen. Ich freue mich darüber, dass Sie, Herr Bundes-kanzler, das angesprochen haben. Ich will es kurz ma-chen: –
– Sie werden mit dem, was Sie sich im Rahmen der Re-gierungskonferenz zur Vorbereitung auf die Erweiterungder Europäischen Union vorgenommen haben, zu kurzspringen.
Ich sage Ihnen das ohne jede Häme.Wir wollen den Erfolg der Osterweiterung der Europä-ischen Union. Sie wissen, dass weder mit den Beschlüs-sen des Berliner Gipfels zur Agenda 2000 noch mit dem,was jetzt auf der Tagesordnung der Regierungskonferenzsteht, die Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Unionherbeigeführt wird. Sie wissen es. Deswegen war es einschwerer politischer Fehler, dass Sie die Zahl der mögli-chen Beitrittskandidaten beim Gipfel in Helsinki kritiklosauf 11 angehoben haben, aber gleichzeitig nicht dafürgesorgt haben, dass die notwendigen politischen, institu-tionellen und finanziellen Voraussetzungen dafür in derEuropäischen Union geschaffen werden.
Diese Europäische Union steuert nicht nur auf eine Ak-zeptanzkrise in der Bevölkerung zu, sie steuert auf einetiefe politische Sinn- und Identitätskrise zu, wenn Sie jetztnicht unseren Vorschlag aufnehmen, in der Bundesrepu-blik Deutschland und in der Europäischen Union eineDiskussion über die Kompetenzverteilung im Rahmender Erörterung eines Verfassungsvertrages zu beginnen,so wie Wolfgang Schäuble es schon vor sechs Jahren vor-geschlagen hat.
Ich komme zum Schluss.
Die notwendige Modernisierung unseres Landes, festeingebettet in eine Konzeption der Vertiefung und Erwei-terung der Europäischen Union, lässt sich nur erfolgreichgestalten, wenn ein politisches und ökonomisches Ord-nungskonzept dahinter steckt. Sie, Herr Bundeskanzler,haben vor Jahresfrist in einem nach Ihnen und dem Briti-schen Premierminister Tony Blair benannten Positionspa-pier, in dem viel von Anpassung und Flexibilität die Redewar, zwischen einer Marktwirtschaft, die es geben müsseund die es zu unterstützen gelte, und einer Marktgesell-schaft, die es nicht geben dürfe, unterschieden. Sie habenmit dieser willkürlichen Unterscheidung gezeigt, dass Sietrotz aller Modernisierungsrhetorik das Ordnungskonzeptder sozialen Marktwirtschaft nicht wirklich verstandenhaben.
Die Väter der sozialen Marktwirtschaft weisen zu Rechtdarauf hin, dass diese angeblich getrennten Lebensweltenin Wahrheit eine harmonische Einheit darstellen müssenund dass sie als ganz wesentliche Voraussetzung einewettbewerbsorientierte Ordnung haben.Deswegen sage ich Ihnen: Was jetzt ansteht, ist eineGeneralsanierung unserer Systeme und deren Ausrich-tung auf die Existenzbedingungen Deutschlands und Eu-ropas im 21. Jahrhundert. Davon dürfen Sie nicht Teileisoliert sehen, sondern Sie müssen das Ganze im Zusam-menhang sehen. Verantwortete Freiheit – dieses Leit-bild legen wir einer solchen Ordnung zugrunde, die imZeitalter der Globalisierung einzig zukunftsweisend ist.Eine gute Reformpolitik, Herr Bundeskanzler, mussdas Ganze im Auge haben, um wirklich zukunftsfähig zusein. Dazu bedarf es des Denkens in Grundsätzen und inGrundwerten. Nur dies führt zu einer Politik, die auf denGeist der Freiheit der Bürger setzt und Freiheit, Verant-wortung und soziale Gerechtigkeit zum Ausgleich bringt.Hierfür, meine Damen und Herren, stehen CDU und CSU.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich habe jetzt drei Meldungen zu Kurz-
interventionen vorliegen. Ich erteile zunächst dem Kolle-
gen Peter Struck, SPD, das Wort.
Herr Kollege Merz, ich gehejetzt nicht auf die Teile ein, in denen Sie sich inhaltlich mitunserer Politik auseinander gesetzt haben, –
– sondern ich greife eine Agenturmeldung über den erstenTeil Ihrer Rede auf. Es ist mir, aus formalen Gründen,
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leider nicht gelungen, den stenografischen Auszug diesesTeils Ihrer Rede zu bekommen. Deshalb zitiere ich aus derddp-Meldung. Sie haben, offenbar unter dem großen Ap-plaus Ihrer Fraktion, gesagt:Vielmehr hätte es die deutsche Einheit nicht gegeben,wenn damals ein SPD-Politiker Kanzler gewesenwäre.
Sie werden weiter zitiert:Schließlich habe es vor zehn Jahren keinen maßgeb-lichen Sozialdemokraten gegeben, der die Einheitwirklich gewollt habe.Ich will Ihnen in aller Ruhe sagen, Herr Kollege Merz:Ohne die Entspannungspolitik –
– von Helmut Schmidt, von Willy Brandt, von Hans-Dietrich Genscher, ohne den Einsatz des damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Hans-Jochen Vogel und – auch daswill ich Ihnen sagen, weil es Mitglieder meiner Fraktionsind; da müssen Sie gar nicht so hämisch lächeln, HerrMerz; Sie sollten sich schämen für das, was Sie gesagthaben –
– ohne den Einsatz von solchen mutigen Männern wieMarkus Meckel und Stephan Hilsberg, die zu DDR-Zei-ten eine sozialdemokratische Partei gegründet haben,hätte es die Einheit auf diesem Wege nicht gegeben.
Ich füge hinzu: Ich habe hohen Respekt vor der Leis-tung der damaligen Bundesregierung, was die deutscheEinheit angeht. Ich erwarte von Ihnen aber auch hohenRespekt vor der Leistung von Sozialdemokraten, die ge-gen Kommunisten gekämpft haben, die ihr Leben imKampf gegen den Kommunismus gelassen haben, geradein einer Stadt wie Berlin.
Ich füge noch eines hinzu: Ich könnte ja mit gleicherMünze zurückzahlen. Es war nämlich kein Sozialdemo-krat, der Erich Honecker mit dem roten Teppich empfan-gen hat; es war ein christdemokratischer Bundeskanzler.Aber das will ich nicht tun; ich wollte nur diese Tatsacheerwähnen. Wenn Sie sich aber dazu versteigen, den Stief-bruder des Bundeskanzlers als Instrument für politischeArgumentation zu benutzen, dann ist das nicht nur ni-veaulos, sondern auch geschmacklos und nicht weniger.
Nun erteile ich dem
Kollegen Gregor Gysi, PDS, das Wort zu einer Kurzinter-
vention.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zunächst eine Bemerkung zuder Rede von Herrn Merz und dann eine Bemerkung zuder Rede des Bundeskanzlers.Meine erste Bemerkung: Herr Merz, Sie haben in Ih-rer Rede ernsthaft behauptet, dass die PDS die Verant-wortung dafür trage und davon lebe, dass sich viele Men-schen in den neuen Bundesländern als Deutsche zweiterKlasse fühlen. Darf ich Sie daran erinnern, dass in denacht Jahren von 1990 bis 1998 nicht die PDS, sondern dieCDU/CSU in diesem Lande regiert hat? Wenn es in die-ser Zeit wirklich so gewesen sein sollte, dass sich dieMenschen als Deutsche zweiter Klasse fühlten, dann gehtdas auf Ihr Konto und nicht auf unser Konto.
Wenn es denn wahr wäre – was ich bestreite –, dass wirdavon lebten, dann hieße das: Wir leben von Ihrer Politik.Darüber sollten Sie selbstkritisch nachdenken.
Sie haben sich dann zum Extremismus geäußert undlegten besonders großen Wert darauf, dass er – egal, wo-her er kommt und wie er motiviert ist – zu bekämpfen ist.Dem stimme ich ausdrücklich zu. Aber Sie haben das aufeine Art und Weise getan, dass man fast das Gefühl habenkönnte, dass es Ihnen Leid tut, dass es gegenwärtig keinenLinksextremismus gibt, der zu irgendwelchen Gewaltta-ten neigt. Ich bin froh darüber, dass es ihn nicht gibt. Des-halb sage ich: Führen Sie nicht ein Thema ein, das im Au-genblick nicht relevant ist!
Wenn Sie aber in diesem Zusammenhang ernsthaft ver-suchen, eine Gleichstellung zwischen Menschen, die an-dere Menschen wegen einer anderen Hautfarbe oder ausanderen Gründen totschlagen, und der PDS herzustellen,dann sage ich Ihnen, dass das eine Unverschämtheit ist,die ich hier mit aller Entschiedenheit zurückweise.
Unsere Meinungen mögen Ihnen nicht gefallen. Aber ex-tremistisch, rassistisch, antisemitisch oder gar gewalttätigist die PDS nicht.Meine Kritik an der PDS ist eine ganz andere: Ich kri-tisiere – extremistisch ist sie wirklich nicht –, dass sie zuwenig rebellisch ist. Sie könnte ein bisschen mehr aus derHüfte schießen. Ich habe also andere Kritikpunkte.Ich sage Ihnen: Lassen Sie das bleiben! Zehn Jahrenach der Einheit überzeugen Sie damit niemanden. Been-den Sie den Kalten Krieg! Es muss endlich auch in IhreBirne rein, dass er seit zehn Jahren vorbei ist, sonst kom-men wir nicht weiter in den Fragen der deutschen Einheit.
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Dr. Peter Struck11232
Meine zweite Bemerkung: Herr Bundeskanzler, Siehaben gesagt, ich würde einen Systembruch bei der Rentevorschlagen, während Sie ihn verhindern wollen. Ichfinde, in diesem Punkt widersprechen Sie sich selbst. Siehaben vorhin gesagt, man dürfe nicht von der Senkungdes Rentenniveaus sprechen, weil man beides zusammen-rechnen müsse, nämlich die gesetzliche Rente, die es danngibt, und die Ausschüttung der privaten Rente. Das heißtdoch wohl im Klartext, dass Sie das Rentenniveau der ge-setzlichen Rente senken. Der Ausgleich soll über die pri-vate Versicherung erfolgen. Das bedeutete natürlich denAusstieg aus der paritätischen Finanzierung und damit ei-nen Systembruch, weil nämlich der Teil, der die Senkungdes Rentenniveaus ausgleichen soll, allein von den Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmern gezahlt werden sollund nicht mehr von den Unternehmen. Das ist das Pro-blem.
Deswegen sage ich: Nicht ich schlage den Systembruchvor, sondern Sie.Ich will schon – das ist meine abschließende Bemer-kung –, dass es bei den Unternehmen eine Änderung gibt.Ich will nicht, dass die Unternehmen wie heute einfachimmer die zweite Hälfte dessen überweisen, was die Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Beiträgen zahlen.Ich will vielmehr, dass die Unternehmen entsprechend ih-rer Leistungsfähigkeit – das heißt, nach ihrer Wertschöp-fung und damit erstmalig flexibel – Beiträge zahlen, alsoje nachdem, wie ihre wirtschaftliche Stärke ist. Das be-deutete, dass ein Unternehmen mit weniger Beschäftig-ten, aber hoher Wertschöpfung –
Herr Kollege Gysi,
die drei Minuten sind vorüber.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
– ich bin sofort fertig – mehr
herangezogen würde, jedoch arbeitsintensive Unterneh-
men endlich entlastet würden. Deswegen sage ich: kein
Systembruch. Wir dürfen die Unternehmen nicht aus der
Finanzierung entlassen. Wir müssen nur dafür sorgen,
dass sie gerecht nach ihrer wirtschaftlichen Leistungs-
stärke einzahlen.
Nun erteile ich dem
Kollegen Rezzo Schlauch das Wort zu einer Kurzinter-
vention.
Herr Kollege Merz, Sie legen ja immer großen Wert auf
Stil in der parlamentarischen Auseinandersetzung; das ist
gut so.
– Wann ich meine Hand aus der Tasche nehme, das
überlassen Sie mir. – Diesen Stil haben Sie in der heu-
tigen parlamentarischen Auseinandersetzung absolut
überzogen.
Zudem haben Sie falsche Behauptungen aufgestellt, in-
dem Sie Christian Ströbele, ein Mitglied meiner Fraktion,
im Zusammenhang mit einer Verurteilung als einen
„unsäglichen Mann“ bezeichnet haben.
Ich glaube, dass dies ein rügenswerter Ausdruck ist. Denn
man kann sich zwar unsäglich verhalten – das haben Sie
in einigen Passagen Ihrer Rede getan –; aber jemanden als
einen „unsäglichen Mann“ abzustempeln, das wider-
spricht allen Gepflogenheiten dieses Hauses.
Herr Kollege Merz, ferner glaube ich, dass es ein qua-
litativer Unterschied ist – darüber sollten Sie einmal nach-
denken –, ob jemand vor 20 Jahren als Bürger – und nicht
in Ausübung eines Mandats – wegen eines strafrecht-
lichen Fehlverhaltens verurteilt worden ist oder ob ein
amtierender Bundeskanzler eingestandenermaßen Ge-
setze verletzt hat. Da besteht meiner Meinung nach ein
ganz erheblicher Unterschied. Darüber sollten Sie nach-
denken.
Herr Kollege Merz,
Sie haben Gelegenheit zu antworten.
– Es ist jedem Redner unbenommen, wie er sich verhält.
Damit erteile ich dem Bundesminister der Finanzen,
Hans Eichel, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Prä-sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ehe ichzu dem eigentlichen Grund meiner Wortmeldung, zu dem,was Kollege Merz zur Ökosteuer gesagt hat, komme,kann ich nicht umhin, Herr Kollege Merz, eine sehr per-sönliche Bemerkung zu machen: Was Sie hier heute zumThema „Sozialdemokraten und deutsche Einheit“ ge-sagt haben, macht es mir fast schwer, mit Ihnen zusam-men am 3. Oktober dieses Jahres eine gemeinsame Feierzu begehen.
Nachdem Sie die unsägliche Debatte, wer an der Feier am3. Oktober teilnimmt oder nicht, begonnen hatten, habeich eine Rede, die ich am 3. Oktober in Hessen haltenwollte, abgesagt und mich für Dresden angemeldet. Dennin Dresden sollten am 3. Oktober dieses Jahres alle Spek-tren des politischen Lebens vertreten sein.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Dr. Gregor Gysi11233
Dass Sie gesagt haben, kein maßgeblicher sozialdemo-kratischer Politiker habe die Einheit gewollt, ist ein un-glaublicher Vorgang.
Jetzt lassen Sie uns einmal darüber sprechen, was wirk-lich war: Ich weiß ganz genau, welche Debatten wir imVorstand der SPD unter dem Parteivorsitzenden Hans-Jochen Vogel geführt haben.
– Jetzt hören Sie erst einmal einen Moment zu. – Ich spre-che jetzt für mich und meine Generation: Wir sind in ei-nem Deutschland aufgewachsen, das ein geteiltes Landwar, in einem Deutschland, dessen Nationalismus vielUnglück über das eigene Land und über Europa gebrachthat. Wir sind in dem Geist aufgewachsen, dass ein solcherNationalismus in Deutschland nie wieder auftreten sollund unsere Zukunft in der europäischen Integration liegt.In der Tat, die staatliche Einheit war für uns zunächst nichtdie wichtigste Frage. Vielmehr waren für uns bzw. für un-sere Generation – das ist wahr – die Freiheit der Menschenund die europäische Einheit das Wichtigste.
Ich erinnere mich an die Debatte der älteren Genera-tion, an die von Willy Brandt, Klaus von Dohnanyi,Erhard Eppler, Peter von Oertzen und Egon Bahr. Sie hat-ten ein anderes emotionales Verständnis, und zwar auf-grund ihrer Erfahrungen aus der Weimarer Republik unddem Dritten Reich. Viele hatten unser Land verlassenmüssen. Für sie war es eine Sehnsucht, unser Land wie-der zusammenzuführen. Unsere Debatte hatte nicht zumInhalt, ob wir die deutsche Einheit wollten oder nicht.Vielmehr war die Ausgangslage der Generationen eineandere. Es ist eine Unverschämtheit, Herr Merz, was Siedaraus gemacht haben.
Ich weiß ganz genau, dass ich am 9. November 1989,nachdem wir nachts gehört hatten, die Grenze sei offen,nach Herleshausen gefahren bin. Ich habe gesehen, wiekilometerlange Schlangen von Trabbis und Wartburgs an-kamen und die Menschen sagten: Wir wollen sehen, ob esstimmt, dass wir über die Grenze können.Ich weiß genau, dass wir am 24. Dezember 1989 daserste Mal als Westdeutsche ohne Visum in die DDR durf-ten. Ich bin mit meiner Familie nach Thüringen gefahren.Meine Großeltern kamen daher. Es ist eine Flegelei ohne-gleichen, die Sie sich erlaubt haben.
Ich weiß genau, wie Egon Bahr und ich im Herbst 1989den Grenzübergang bei Treffurt eröffnet haben.
Ich weiß genau, es wurde im Hessischen Landtag mit denStimmen der Opposition ein 250-Millionen-DM-Sonder-programm beschlossen. Glauben Sie, Sie hätten damals– wir waren in der Opposition – nur einen Satz sagen müs-sen, ob Sie dafür oder dagegen sind?Hier im Deutschen Bundestag war es die SPD-Opposi-tion, es waren die deutschen Gewerkschaften und vieleMänner aus der Wirtschaft, die gesagt haben: Verzichtetauf die Steuersenkung, die ihr zum 1. Januar 1990 be-schlossen habt, verzichtet darauf, wir brauchen das Geldfür den Aufbau, für die deutsche Einheit. Das waren dieSozialdemokraten.
Sie hatten damals die Gelegenheit, die Opferbereit-schaft des deutschen Volkes, der parlamentarischen Op-position und der Arbeitnehmer aufzurufen. Wir wusstendoch, dass die Einheit Geld kostet. Sie haben Schuldengemacht, die wir jetzt abtragen müssen. Das war Ihre Po-litik.
Jetzt komme ich zum eigentlichen Grund meiner Wort-meldung: zur Mineralölsteuer. Es ist ja ein billiger Trick,den Sie da versuchen. Ich habe es mir aufgeschrieben, Siesprachen von 1 000 DM Energiekostensteigerung an derTankstelle. Das mag so sein. Wissen Sie, was davon dieÖkosteuer ausmacht? Das wissen Sie ganz genau, das istIhr Taschenspielertrick. Die Stufe, die wir in diesem Jahrdurchgeführt haben, macht 100 DM aus. Für einen vier-köpfigen Haushalt sind das alles inklusive seit 1998 etwasüber 300 DM im Jahr. Das ist der Sachverhalt.Wir haben bisher eine Steuererhöhung von 12 Pfennigpro Liter vorgenommen. Sie haben in fünf Jahren eine Er-höhung von 50 Pfennig vorgenommen und nicht die Ren-tenversicherungsbeiträge gesenkt.
Wir leiten die Ökosteuereinnahmen in die Rentenver-sicherung. Die Ökosteuereinnahmen betragen in der ers-ten Stufe – Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steu-erreform – in 1999 8,4 Milliarden DM und schreiben sichin den folgenden Jahren mit 12,3 Milliarden DM fort.Nach dem Gesetz zur Fortführung der ökologischenSteuerreform betragen die Einnahmen in 2000 5,1 Milli-arden DM, das macht für dieses Jahr 17,4 Milliarden DM.Das entspricht einem Prozentpunkt des Rentenversiche-rungsbeitrags, und um einen Prozentpunkt ist der Beitragvon 20,3 auf 19,3 Prozent gesunken. Der Beitragssatzwird auch weiter sinken.
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Bundesminister Hans Eichel11234
– Das werden Sie in der Gesetzesvorlage von HerrnRiester sehen.
– Nächstes Jahr geht es mit der Senkung weiter.Damit es ganz deutlich wird, will ich noch einmal fest-halten: Die beiden Gesetze – das Gesetz zum Einstieg indie ökologische Steuerreform und das Gesetz zur Fort-führung der ökologischen Steuerreform – führen zu Ein-nahmen in 1999 in Höhe von 8,4 Milliarden DM, in 2000in Höhe von 17,4 Milliarden DM und in 2001 – ich willdas nur bis dahin ausführen, um die Zahlenreihe nicht zuverlängern; das haben Sie auch alles schriftlich – in Höhevon gut 22 Milliarden DM. Im Korrekturgesetz wurde derpauschale Beitrag für Kindererziehungszeiten verab-schiedet. Hier haben wir die versicherungsfremden Leis-tungen herausgenommen. Dies macht für 1999 8,8 Milli-arden DM. Von den Ökosteuereinnahmen werden derRentenversicherung 1999 also nicht nur 8,4 Milliar-den DM, sondern ein bisschen mehr, nämlich 8,8 Milliar-den DM, zugeführt.
Dies geht in den Folgejahren mit durchschnittlich 14 Mil-liarden DM weiter.Nach dem Haushaltssanierungsgesetz – das ist dasZweite, das dem gegenübersteht – erhöht sich der zusätz-liche Bundeszuschuss. Dies sind in diesem Jahr 2,6 Mil-liarden DM, im nächsten Jahr 8,1 Milliarden DM und inden darauf folgenden Jahren 13,3 Milliarden DM,18,6 Milliarden DM und 19,2 Milliarden DM. Ergebnisist: Der Ökosteuereinnahme von 8,4 Milliarden DM in1999 steht eine Zuweisung von 8,8 Milliarden DM ge-genüber. Der Ökosteuereinnahme von 17,4 Milliar-den DM in 2000 steht eine Zuweisung von 16,6 Milliar-den DM gegenüber. Der Ökosteuereinnahme von22,3 Milliarden DM in 2001 steht eine Zuweisung von22,4 Milliarden DM gegenüber. Soweit es geht, werdenalle über die Ökosteuer erzielten Mehreinnahmen aufPunkt und Komma der Rentenversicherung zugeführt.
Dies ist übrigens dasselbe wie das, was Sie mit unsererZustimmung ein Jahr vorher mit der Mehrwertsteuer ge-macht haben, nur dass wir nicht hinterher kehrtgemachtund so polemisiert haben. Sie haben nämlich das Preis-niveau in Deutschland durch die Mehrwertsteuerer-höhung um einen Prozentpunkt in die Höhe getrieben,weil Sie verhindern wollten, dass der Rentenversiche-rungsbeitrag von 20,3 auf über 21 Prozent stieg. Weil Siedamals nicht die Kraft hatten, innerhalb Ihrer Koalitioneine Lösung zu finden, haben Sie den Deutschen Bundes-tag und den Bundesrat, den Sie brauchten, gebeten, dieMehrwertsteuer um einen Prozentpunkt zu erhöhen.
Damit sind der Rentenversicherung rund 16 Milliar-den DM aus allgemeinen Steuermitteln zugeführt worden,damit der Rentenversicherungsbeitrag nicht erhöht wer-den musste. Das war exakt derselbe Vorgang wie dieserjetzt. Nur wurde er über die Mehrwertsteuer abgewickelt,während wir dies über die Mineralölsteuer machen. Diesist der schlichte Sachverhalt.Nun frage ich Sie: Was wollen Sie denn eigentlich? Ichsage den Menschen: „Ich weiß, dass die Debatte im Mo-ment nicht einfach ist, aber sie wird genau geführt.“ WennSie sagen, dass wir doch bitte auf die nächste Stufe derÖkosteuer verzichten sollen, dann müssen Sie den Men-schen auch sagen, dass dann der Rentenversicherungs-beitrag erhöht werden muss.
– Oder Sie müssen sagen, verehrter Herr Austermann,dass Sie sonst auf eine höhere Staatsverschuldung aus-weichen müssen. Dies ist ein Nullsummenspiel und daswissen Sie auch.
Sie mögen glauben, im Moment getragen von einerWoge des Volkszorns – auch von Presseorganen angesta-chelt – Politik machen zu können. Aber an einem Punktunterschätzen Sie die Menschen: Weil wir ihnen haarkleinüber das, was wir mit dem Geld machen, Rechenschaftablegen, haben wir inzwischen das Vertrauen im Landegewonnen.
Die Menschen haben verstanden, dass jeder, der Geldausgeben oder auf Einnahmen verzichten will, sagenmuss, woher das Geld denn kommen soll. Genau dieseFrage wird Ihnen gestellt. Sie wollen die nächste Stufe derÖkosteuer nicht. Wollen Sie stattdessen eine Beitrags-erhöhung oder eine Erhöhung der Staatsschulden? Einesvon beiden werden Sie machen müssen.
Ich verlange von einem demokratisch gewählten Poli-tiker, dass er der Bevölkerung nicht immer nur die halbeWahrheit sagt, sondern die Vorder- und Rückseite der Me-daille zeigt.
Dann erst kann man mit den Menschen ernsthaft disku-tieren. Das haben Sie nicht zuwege gebracht.
Der Bundeskanzler hat auf die soziale Seite hingewie-sen. Diese nehmen wir sehr ernst. Jetzt sage ich einmal,wer betroffen ist: Im Rahmen der Sozialhilfe wird dasGanze automatisch geregelt, weil die Heizkosten abge-rechnet werden. Es handelt sich um Einmalbeträge, diekostendeckend abgerechnet werden.
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Es gibt aber andere Probleme. Gott sei Dank passt esjetzt zusammen, auch wenn wir den Zusammenhang da-mals nicht gesehen haben; das ist wahr: Wir erhöhen jetztdas Wohngeld. Dies haben Sie zehn Jahre lang nicht an-gefasst. Erzählen Sie mir doch nichts über Ihre soziale Po-litik.
Sie sagen, die Familien seien stark betroffen.
Wir haben das Kindergeld bereits zweimal und jetzt um50 DM für das erste und zweite Kind erhöht. Die Familiemit zwei Kindern hat allein aus diesem Sachverhalt1 200 DM mehr in der Tasche. Sie hat aufgrund unsererSteuerreform und der Kindergelderhöhung bereits jetzt, indiesem Jahr – Stufe 1 und Stufe 2 der Steuerreform undKindergeld –, 2 200 DM mehr in der Tasche. Das ist dieVerteilwirkung der Politik dieser Bundesregierung.Im Haushalt 2001 ist die Erhöhung des Erziehungs-geldes enthalten. Im Haushalt 2001 haben wir außerdem– das habe ich bereits gesagt – eine Erhöhung des Wohn-geldes vorgesehen.Das alles sind übrigens Dinge, sehr verehrter HerrMerz,
die Sie im Schnitt zehn Jahre lang nicht angepackt haben.Ich will Ihnen das noch an einem anderen Beispieldeutlich machen: BAföG-Empfänger. Als wir die deut-sche Einheit hatten – ich rede einmal gar nicht von denJahren vorher –, hatten wir noch 605 000 BAföG-Emp-fänger. Durch Ihr Nichtstun, dadurch, dass Sie die Gren-zen festgeschrieben und keine Erhöhungen vorgesehenhaben, sind die Ausgaben dramatisch geschrumpft. Daswar Ihre heimliche Sparkasse. Dadurch haben Sie ein so-ziales Problem, ein Bildungsproblem, angerichtet. Sie ha-ben es fertig gebracht, in den zehn Jahren wiederverei-nigtes Deutschland die Zahl der jungen Leute, die nochBAföG-berechtigt waren, von 605 000 auf 340 000 run-terzudrücken.
Das war Ihre soziale Politik. Das lassen wir Ihnen nichtdurchgehen.Wir haben unseren Anteil an der Benzinpreiserhöhung;das stimmt. Diesen Anteil habe ich Ihnen eben vorge-rechnet. Uns aber das Doppelte und Dreifache oben drauf-zutun, mit dem diese Regierung nichts zu tun hat, unddann, nachdem Sie 15 Jahre lang Sozialabbau betriebenhaben und wir danach trachten, das wieder aufzuholen,noch über die Frage zu reden, ob wir eine soziale Emp-findlichkeit hätten, das lasse ich Ihnen nicht durchgehen.Diese Debatte im Land führen wir. Das Standvermögenkönnen Sie uns schon zutrauen.
Ich erteile das Wort
dem Abgeordneten Günter Nooke, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Prä-sident! Verehrte Damen und Herren! Herr Eichel, Ihrepersönliche Betroffenheit erkenne ich an. Sie kommt aber15 Jahre zu spät.
Ich hätte mir schon ein bisschen gewünscht, dass auch dieSPD die Leute, die im Osten etwas dafür getan haben,dass sich etwas in Richtung Freiheit ändert, manchmal un-terstützt hätte. Selbst als Ministerpräsident in Hessen hät-ten Sie die Chance gehabt, beim Point Alpha, dem heißes-ten Punkt des Kalten Krieges, ein paar 100 000 DM lockerzu machen, um die Gedenkstätte zu erhalten, wie esRoland Koch jetzt getan hat. Dazu aber waren Sie nichtbereit.
Ich glaube schon, dass solches Theater hier nichtdurchgehen darf. Es geht um die Fakten. Die sind schlechtbei Ihnen. Sie haben gestern gesagt, der Aufbau Ost werdeauf hohem Niveau fortgeführt. Wir haben insgesamt3 Milliarden DM Kürzungen ausgerechnet.
Herr Schwanitz müsste seine Liste vorlegen; dann wärenwir weiter.Ich wollte hier – auch für die Presse – auf ein Bild auf-merksam machen, das bei der Sommerreise des Bundes-kanzlers eine große Rolle gespielt hat: Gerhard Schrödervor blühenden Landschaften. Ich glaube, es ist eine Artvon Wahlbetrug, wenn man das, was anderen gelungenist, ständig leugnet und dann für die eigene Fotokulissenutzt.
Die Fakten sehen anders aus. Die Kluft zwischen Ostund West geht auseinander. Seit zwei Jahren stagniert derAufbau Ost. Sie haben in Ihrer Regierungszeit nichts da-gegen getan. Ich finde es auch nicht richtig, dass jetzt allegehen und diese Fakten nicht mehr hören wollen. Ichkönnte Ihnen genau zeigen, wie es mit der Zahl der Ar-beitslosen aussieht, an der wir den Bundeskanzler messensollen.Wenn der Bundeskanzler allerdings das Haus verlässt,zeige ich Ihnen, meine Damen und Herren, das einmal.Ich zeige Ihnen einmal, wie sich die Differenz zwischenOst und West verändert. Wir haben im Osten 17 ProzentArbeitslose und in Westdeutschland 7,5 Prozent. Die Pro-gnose sieht so aus – ich habe es extra für den Bundes-kanzler mitgebracht – über 10 Prozent Differenz in 2001,das ist die Prognose. Das ist das, was uns erwartet, wennso weiter regiert wird, wie es diese Bundesregierung tut.Lassen Sie mich noch kurz auf ein weiteres Problemeingehen. Wir verlieren in den neuen Bundesländern vieleMenschen. Das liegt nicht nur an der Bundesregierung,
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aber eben auch an der Politik, die von der Bundesregie-rung betrieben wird. Es sind die jungen Menschen, die dieneuen Bundesländer verlassen, also die Menschen, diewir am meisten brauchen. Ich glaube, entscheidend ist,dass hier in stärkerem Maße gegengesteuert wird. Es gehtaber nicht so, wie es sich Frau Bulmahn ausgedacht hat;danach wird die Suche von Lehrstellen im Westen auchnoch steuerlich belohnt. Vielmehr muss dafür gesorgtwerden, dass die Arbeitsplätze zu den Menschen kommenund dass die Menschen, wenn sie einen Ausbildungs-platz im Westen angenommen haben, eine Chance habenzurückzukehren. Jetzt aber sieht es so aus, als würden wireiner Vergreisung in den neuen Bundesländern auch nochVorschub leisten.Um noch einen anderen Punkt zu nennen: Aus ostdeut-scher Perspektive sieht auch die Ökosteuer viel schlim-mer aus; im Osten ist die Wirkung viel dramatischer. DerFinanzminister betreibt einen echten Ost-West-Transfer,und zwar wegen der dünneren Besiedlung der neuen Bun-desländer, der höheren Mobilitätsanforderung aufgrundder geringeren Dichte von Arbeitsplätzen und der Tatsa-che, dass es dort mehr Arbeitslose, Rentner und Sozial-hilfeempfänger gibt und damit weniger Leute, die von derEntlastung bei den Lohnnebenkosten profitieren. Das al-les bedeutet: Der Osten wird doppelt abgezockt. Auch dasist kein Beitrag, hier zu einer Veränderung zu kommen.
Und was macht unser Staatsminister? – Er ist der ein-zige Verantwortliche für diesen Bereich, der hier noch an-wesend ist. – Ich dachte immer, er sei im Kanzleramt fürden Aufbau Ost angestellt. Auf den Aufbau Ost bei dieserReise angesprochen, hat er gesagt: „Die Sanierung desHaushalts hat Vorrang.“Auch zu der Verwendung der Erlöse für die UMTS-Li-zenzen sagte Herr Schwanitz: Für den Osten „nichts außerder Reihe“.Dadurch entsteht der Eindruck – vielleicht kann HerrMetzger darauf eingehen –, dass Herr Schwanitz jetzt inerster Linie bei Herrn Eichel als Minenhund angestellt ist.So können wir über den Aufbau Ost nicht reden.
Als Letztes noch zu einem Punkt, der mich wirklich be-wegt; deshalb möchte ich dies hier ernsthaft anmahnen.Herr Präsident, ich habe mich über die Debatte geärgert,die im Sommer durch Sie mit initiiert wurde. Ich finde dieArt und Weise, wie die Debatte über Rechts, die mit ei-nem Attentat in Düsseldorf begonnen hat, von dem bisheute nicht klar ist, ob es einen rechtsextremistischen Hin-tergrund hatte, geführt worden ist, nicht richtig. Denn da-durch wurden auch eine Volkspartei, die hier rechts vonIhnen sitzt, und die Menschen in den neuen Ländern dif-famiert. Selbst die eigenen Parteigenossen mussten wi-dersprechen. Ich glaube, nicht nur ich muss mich an Re-geln halten, zum Beispiel an meine Redezeit. Es istwichtig, dass auch Sie als Präsident dieses Hohen Hausessich an gewisse Regeln halten. Wenn es rechts von Ihnenniemanden mehr gäbe, dann gäbe es auch Sie nicht mehr.Darüber sollten Sie einmal nachdenken.Danke schön.
Ich erteile dem Kolle-
gen Oswald Metzger, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manche De-batten in diesem Hause sind schon peinlich und bodenlos.Heute haben wir einiges in dieser Richtung erlebt. Ichfand es besonders bedauerlich, dass ausgerechnet meinhaushaltspolitischer Kollege Dietrich Austermann beidem emotionalen Beitrag des Finanzministers sich vonseinem Platz aus dermaßen herablassend geäußert hat.
Um meinen Zorn darüber auf eine sachliche Art loszu-werden, lese ich vor, was heute in der „Süddeutschen Zei-tung“ in einem Kommentar über meinen haushaltspoliti-schen Kollegen von der Union über die Rede steht, die ergestern hier gehalten hat:Natürlich ist es das gute Recht der Union, sich aneinem Thema festzubeißen. Natürlich ist die Ver-lockung für CDU und CSU groß, Rot-Grün end-lich erfolgreich anzugreifen. Doch bei allem Ver-ständnis für die Nöte dieser Opposition – was derenHauptredner und Haushaltsexperte DietrichAustermann im Berliner Reichstag bot, war ein Trau-erspiel.
Von alternativen Konzepten keine Spur. Stattdessenbemühte der Christdemokrat aus Schleswig-Holsteinplumpen Populismus. Eine von vielen Peinlichkei-ten: Austermann wirft Finanzminister Hans Eichelvor, zu wenig zu sparen; und im nächsten Atemzugfordert er zusätzliche Milliarden-Ausgaben. Werderart argumentiert, setzt seine Glaubwürdigkeitaufs Spiel.
Was hier in der „Süddeutschen Zeitung“ über denHaushaltssprecher steht, zeichnet aus meiner Sicht die ge-samte Strategie, vor allem der Union, in dieser Haushalts-woche aus, auch die heutige Präsentation des Fraktions-sprechers Friedrich Merz in der Replik auf den Kanzler.Man verdrängt die finanzpolitische und wirtschaftspo-litische Kompetenz dieser Regierung, die anscheinend inunserer Gesellschaft immer mehr Leute, auch aus derWirtschaft, erkennen. Man bemäntelt diese Schwäche,indem man eine Ökosteuerkampagne startet, die absolut
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Günter Nooke11237
unglaubwürdig ist. Ich zitiere nun aus der „FrankfurterAllgemeinen Zeitung“ von heute in aller Ausführlichkeitden Leitkommentar auf der Wirtschaftsseite unter derÜberschrift „Bumerang“:Die Haushälter der Union haben einen schwerenStand. Die Etatpolitik der Koalition bietet mit Aus-nahme der Ökosteuer derzeit keinen einzigen brei-tenwirksamen Angriffspunkt. BundesfinanzministerHans Eichel senkt Steuern und Schulden, reduziertdie neuen Kredite und schichtet zugunsten von In-vestitionen um, ohne die Ausgaben zu erhöhen. Zu-gleich verspricht er, dafür Sorge zu tragen, dass auchdie Einnahmen aus dem Verkauf von Staatsunterneh-men künftig vorrangig in den Abbau von Schuldengesteckt würden. Dass sich die Opposition ange-sichts solcher Tugendhaftigkeit in den großen Liniender Finanzpolitik dankbar dem Thema Ökosteuerzuwendet, ist verständlich, kann sie hier die Regie-rung ob der betriebenen Preistreiberei vorerst mühe-los vor sich hertreiben. Spätestens jedoch– jetzt kommt es –,wenn es bei der Rente zum Schwur kommt, wird dieÖkosteuer zum Bumerang werden. Glaubwürdig istdie Unionskritik an der Steuer nur, wenn ihre Sozial-politiker beizeiten vorschlagen, wie die Renten-beiträge denn ohne die stützenden Ökosteuermilliar-den stabil gehalten werden können. Einerseits einerRentenreform zuzustimmen, die wachsende Öko-steuereinnahmen stillschweigend voraussetzt, ande-rerseits diese Steuer in Wahlkampagnen aufs heftigs-te zu attackieren verträgt sich nicht. Die Union hatnoch manche Widersprüche im Gepäck, die aufzulö-sen die Zeit langsam drängt.
Aus meiner Sicht ist dies genau der Grundtenor, derIhre Ökosteuerkampagne so unglaubwürdig werden lässt.Sie merken doch eines: Inzwischen argumentieren dieKoalitionsabgeordneten bei dieser Steuer ob ihresZusammenhangs mit der Senkung der Sozialversiche-rungsbeiträge. Sie werden es nicht schaffen, die Koalitionhier zu spalten oder gar Finanzminister und Kanzler vomWeg abzubringen.
Kollege Merz hat eine Wette angeboten. Es geht umeine Kiste Cohibas. Anscheinend ist dies das neue Niveau.Friedrich Merz versucht es nun mit solchen Angeboten. Erglaubt, der Kanzler würde die dritte Stufe der Ökosteuer-reform aussetzen. Friedrich Merz hat anderthalb Wochenvor der entscheidenden Bundesratssitzung in einemStreitgespräch mit mir vor der Ludwig-Erhard-Stiftung,frisch gefüttert durch die Entscheidung der CDU-Bun-destagsfraktion, die Behauptung aufgestellt: Wir werdenden Systemwechsel in der Steuerreform zum Scheiternbringen, weil der Bundesrat die Strategie der Unions-fraktion unterstützt.Ich habe damals in diesem Gespräch bereits zu ihm ge-sagt: Sie werden es nicht schaffen, weil diese KoalitionAngebote macht und im Interesse dieser Gesellschaft da-ran interessiert ist, einen fairen Kompromiss zu erreichen.Auch die Einkommensteuerspitzensatzabsenkung auf43,5 Prozent, die dann eine Woche später als Angebot derKoalition kam, wurde dort schon diskutiert. Er hat es be-stritten. Ich habe die Wette abgelehnt.
Ähnlich wie er sich in dieser Situation verschätzt hat,wird er sich auch hinsichtlich der Beharrlichkeit der Re-gierung in dieser Frage täuschen. Strategisch wäre esabsolut bescheuert, uns ohne Not in dieser Situation vonIhnen vor die Alternative stellen zu lassen, den Renten-versicherungsbeitrag ansteigen oder Hans Eichel imnächsten Jahr zusätzliche Schulden machen zu lassen, umdie Ausfälle der Ökosteuer für die Rentenversicherungabzufedern. Deshalb wird hier die Koalition im ureigens-ten Interesse zusammenhalten, weil man das meines Er-achtens gut kommunizieren kann. Die Gesellschaft ist vielweniger aufgeregt, als die Schlagzeilen von bestimmtenTageszeitungen in Deutschland den Eindruck vermitteln.
Es gibt ein paar Indizien, Kollege Austermann, heute indiversen Zeitungen nachzulesen. Selbst der ADAC sagt– zu Recht –, Autofahrer haben bei gleicher Fahrleistungdie Chance, bis zu 20 Prozent Sprit zu sparen. Der ADAChat in einer großen Kampagne ein Ökofahrtraining fürseine Mitglieder angeboten.
Von einer riesigen Menge Mitgliedern gab es eineRückmeldung, einen solchen Kurs absolvieren zu wollen.Audi hat 60 000 Pkw-Kunden für ein Ökofahrtraining für60 DM oder 90 DM angeschrieben. Es gab vier Rück-meldungen.Jetzt frage ich einmal allen Ernstes: Glauben 90 Pro-zent der deutschen Autofahrer, sie fahren praktisch so,dass sie Sprit sparen? Oder liegt der Preis überhaupt nichtan der Schmerzgrenze? Verbirgt sich hinter dieser Auf-lehnung gegen das, was man ohnmächtig an der Zapfsäuleerfährt, vielmehr eine allgemeine Missstimmung derGesellschaft gegen die da oben, auf die jetzt die Unionund die F.D.P. als Trittbrettfahrer draufsteigen? Wäre esfür eine Regierung, die versucht, verantwortungsbewusstund solide mit den öffentlichen Finanzen umzugehen,nicht unsinnig, auf solche emotionalen Reaktionen vor-dergründig zu reagieren?Ist es nicht besser, stattdessen so zu agieren, wie esder Finanzminister tut: darauf hinzuweisen, dass wir bei-spielsweise beim Wohngeld, beim Erziehungsgeld, beimBAföG etwas tun und die Steuerlast im nächsten Jahr fürWirtschaft sowie für Verbraucherinnen und Verbraucherum 45 Milliarden DM senken? Oder ist es unkeusch, da-rauf hinzuweisen, dass die Inflationsrate trotz der extre-men Explosion der Heizkosten unter 2 Prozent liegt? Sieist niedriger als in einem erheblichen Zeitraum Ihrer Re-gierungszeit von 16 Jahren.
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Wir schaffen es, die Staatsschulden zurückzuführenund die Abgaben zu senken. Wenn Sie mitmachen, wer-den wir mit Ihrer Unterstützung noch in diesem Herbsteine Rentenreform beschließen, die tatsächlich – nichtwie es Friedrich Merz behauptet – einen Ausgleichsfaktorbeinhaltet. Durch die Absenkung des Niveaus in Stufenbilden wir natürlich die demographische Entwicklung inunserer Gesellschaft in der neuen Rentenformel ab. Dasist keine Frage. Den Einstieg in die Kapitaldeckung wol-len wir.Friedrich Merz sollte also Konzepte der Regierung,bevor er sie zerreißt, auch tatsächlich anschauen. Wirrechnen immer noch damit, dass Sie nicht Stoibers Strate-gie folgen; denn dann können Sie Stoiber gleich zumKanzlerkandidaten im Jahre 2002 machen.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Mathias Schubert, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Da die Debatte in den letzten andert-halb Stunden so geführt worden ist, will ich hier nicht da-rauf eingehen, was Herr Nooke gesagt hat. Es war wederetwas Neues noch etwas besonders Kreatives. Vor allenDingen, Herr Kollege Nooke, sind Sie nach wie vor nichtbereit, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen.Ich will vor allem zwei Dinge über Herrn Merz sa-gen – zu ihm kann ich es nicht sagen, er ist ja nicht mehr da.
Das kann der Herr Breuer dann gerne tun.Das Erste, was ich gerne sagen möchte, ist eine per-sönliche Bemerkung. Ich habe, solange ich dem Bundes-tag angehöre – zugegeben, ich bin noch nicht so lange imBundestag, erst seit 1994 –,
noch von keiner anderen Fraktion – weder vonseiten derRegierung noch vonseiten der Opposition – eine Rede miteiner derartigen Kulturlosigkeit, was das Kommunika-tionsniveau betrifft, erlebt wie die Ihres Fraktionsvorsit-zenden.
– Sie können nun so lustig sein, wie Sie wollen, das müs-sen Sie mir schon abnehmen; denn es ist eine authentischepersönliche Äußerung.Zweitens. Herrn Merz hat sich ja nicht bloß dahin ge-hend geäußert, dass es mit der SPD an der Regierung 1989nicht die Einheit gegeben hätte. Er hat noch etwas ganzanderes gesagt. Er hat nämlich sinngemäß gesagt, dieSPD habe keine politische Distanz zum damals herr-schenden System gehabt. Wir können uns gerne über Fak-ten streiten. Ich weiß nicht so richtig, was politische Dis-tanz ist, wenn die CDU/CSU 1983 über Herrn Strauß1 Milliarde DM an die DDR vergeben hat.
– Ich gehe gleich auf dieses Papier ein.Ich kann auch keine Distanz beim Empfang von HerrnHonecker durch Herrn Kohl erkennen.
Was aber dieses SED-SPD-Papier betrifft, will ich Ih-nen einmal Folgendes sagen – Sie können es nicht wissen,weil Sie sich nicht mit dem Osten beschäftigt haben; dasGleiche gilt für Herrn Merz –: Sie wissen nicht, was dortlos war, deswegen enthalten Sie sich bitte jeder Äußerung.
Dieses SED-SPD-Papier hat gemeinsam mit dem, wasGorbatschow für eine Politik innerhalb des damaligen so-zialistischen Systems versucht hat, wesentlich dazu bei-getragen, die Mündigkeit und die Bereitschaft derer in derDDR, die dieses System überwinden wollten, zu unter-stützen. Ich will das jetzt nicht näher ausführen, so vielZeit habe ich nicht. Wir können uns gerne darüber unter-halten.Wenn Ihr Fraktionsvorsitzender das in dieser Art undWeise diffamiert, dann hat er erstens keine Ahnung undzweitens muss es um ihn furchtbar schlimm bestellt sein.
Wenn Sie als Fraktion dazu klatschen und jubeln, dannmüssen Sie sich in einer furchtbar schwierigen Situationbefinden, die Sie nach innen kompensieren müssen, in-dem Sie nach außen klatschen.
Was die Wirkungen dieser Zusammenarbeit damalsanbetrifft, diffamieren Sie natürlich auch die Menschenim Osten. Sie tun immer so, als hätten Sie die Einheit ge-schaffen. Ich war im November 1989, nach dem Mauer-fall, noch im Hauptquartier der Ost-CDU. Da war nochnichts von West-CDU zu sehen.
Was Sie gemacht haben, war nichts weiter, als die ange-passten, systemkonformen Blockflöten einzusammeln.Werfen Sie also uns nicht Systemkonformität vor.
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Oswald Metzger11239
Meine letzte Bemerkung ist ebenfalls an Herrn Merzgerichtet, der leider immer noch nicht da ist. Neben demBruder des Kanzlers, der Kolumnen schreibt, gibt es zumBeispiel auch noch meine Mutter. Sie schreibt zwar keineKolumnen, ist aber der Meinung, dass die Ökosteuerrichtig ist.
– Lassen Sie das Gelächter, die Sache geht nämlich tiefer:Ihr Fraktionsvorsitzender versuchte, einen Menschendurch einen anderen zu diffamieren. Nun will ich zwarnicht sagen, dass Ihr Fraktionsvorsitzender die Niveau-losigkeit besessen hat, der Sippenhaft das Wort zu reden
– das unterstelle ich ihm ausdrücklich nicht –, aber wenner hier so agiert, dann unterstreicht das nur Ihre verzwei-felte Situation. Dasselbe gilt für die persönlichen Angriffegegen Herrn Eichel.
– Sie haben keine Inhalte und zumindest Herr Merz hatsich hier in einer Art und Weise disqualifiziert, wie ich esnicht für möglich gehalten hätte.
Weitere Wortmeldun-
gen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes lie-
gen nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14.
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,
Rudolf Scharping.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzel-plan 14 steht wie alle Einzelpläne zu Recht unter demstrikten Primat der Stabilisierung der öffentlichen Finan-zen, auch wenn sich die Bedingungen der äußeren Si-cherheit unseres Landes grundlegend verändert haben.Für die Bundesrepublik Deutschland, für ihre Partner undFreunde in NATO und Europäischer Union bleibt es da-bei, dass mit diesem Haushalt die sich daraus ergebendenVerpflichtungen gemeinsamer Sicherheit und die darineingebundenen internationalen Verpflichtungen der Bun-desrepublik Deutschland zuverlässig erfüllt werden.Die Politik der Bundesregierung will eine Stärkungdes internationalen Rechts, also auch der internationa-len Organisationen. Das betrifft nicht nur NATO und Eu-ropäische Union, sondern auch die Vereinten Nationenoder die OSZE. Die grundlegenden Veränderungen beider Gewährleistung der äußeren Sicherheit unseres Lan-des und seiner Freunde und Partner allerdings erfordernauch grundlegend veränderte Fähigkeiten der Bundes-wehr. Das ist neben dem konstitutionellen Rahmen, der jaunverändert fortgilt, das Beziehungsgeflecht, aus demsich die Notwendigkeit einer Erneuerung der Bundeswehrvon Grund auf ergibt.Der Haushalt 2001 und die mittelfristige Finanzpla-nung tragen dem Erfordernis einer Erneuerung der Bun-deswehr von Grund auf Rechnung.
Ich habe, verehrte Kolleginnen und Kollegen, schonangedeutet, dass im Mittelpunkt einer modernen Politikder Friedenssicherung das Verständnis von gemeinsamerSicherheit – gemeinsam mit Verbündeten und Partnern –,die kooperative Krisenprävention und die Konfliktbe-wältigung stehen. Die Entscheidungen, die innerhalb derNATO und der Europäischen Union auf den Gipfeln inWashington, Köln und Helsinki getroffen worden sindund die die Entwicklung vorhandener und den Erwerbneuer Fähigkeiten insbesondere im Rahmen von Kon-fliktprävention und Konfliktbewältigung betrafen, bildendie Vorgaben für die Erneuerung der Bundeswehr. DieUmsetzung dieser Ziele, auch des europäischen Streit-kräfteziels, deckt sich mit der Gipfelinitiative vomApril 1990 innerhalb der NATO. Dies alles wirkt sich in-nerhalb der Bundeswehr entsprechend aus.Auch in Zukunft wird die Bundeswehr das unverzicht-bare Instrument sicherheitspolitischer Rückversicherungbleiben, fähig zur Regeneration, fähig zum Aufbruchund – wenn erforderlich –, fähig zur Mobilmachung.Dazu muss die Bundeswehr aber, weil Landesverteidi-gung in Zukunft immer auch Bündnisverteidigung seinwird, hoch beweglich werden, überlebensfähig, logistischund sanitätsdienstlich versorgbar über längere Zeit undlängere Distanz. Sie muss auch zur reibungslosen Zusam-menarbeit in multinationalen Einsätzen fähig sein.Über dieses Fähigkeitsprofil verfügt die Bundeswehrzurzeit nicht im erforderlichen Maße. Das ist durch dieBestandsaufnahme deutlich geworden, die im Früh-jahr 1999 abgeschlossen wurde und vor dem Hintergrundder Erfahrungen im Kosovo-Konflikt im Oktober 1999fortgeschrieben wurde. Das ist weiter in den konzeptio-nellen Arbeiten zur Erneuerung der Bundeswehr deutlichgeworden. Diese Grundlagen für die Erneuerung der Bun-deswehr sind – ich bedanke mich im Parlament noch ein-mal ausdrücklich bei der Kommission unter dem Vorsitzdes ehemaligen Bundespräsidenten Richard vonWeizsäcker –
nicht nur systematisch erarbeitet worden, sondern auch ineinem wesentlich kürzeren Zeitraum als ursprünglichbeabsichtigt. Sie haben Entscheidungen der Regierungvor den Sommerferien des Jahres 2000 – und somit einJahr früher als geplant – ermöglicht.Die jetzt eingeleitete Reform der Bundeswehr ent-spricht erstens unseren Interessen und dem Auftrag desGrundgesetzes, dass Deutschland als gleichberechtigtesGlied in einem vereinten Europa dem Frieden in der Weltdiene, zweitens den sicherheitspolitischen Entwicklungenund den genannten Verpflichtungen, die ich jetzt hiernicht im Einzelnen wiederholen muss, drittens den legiti-men internationalen Erwartungen an Deutschland, näm-
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Dr. Mathias Schubert11240
lich zur gemeinsamen Aufgabe der Friedenssicherung ei-nen angemessenen Beitrag zu leisten, schließlich viertensauch dem Ziel der Bundesregierung, mit Hilfe der Bun-deswehr einen Beitrag für ein zukunftsfähiges und mo-dernes Deutschland zu leisten.Dabei setzt die Reform der Bundeswehr bei den Men-schen an. Sie sind – ich zögere ein bisschen bei der Wahldes Wortes – das größte Kapital der Bundeswehr. Wennman dieses Kapital erhalten und mehren will, muss die At-traktivität des Dienstes erhöht werden. Das wollen wirauch konsequent tun.
Dem dient zunächst eine grundlegende Bildungsre-form innerhalb der Bundeswehr. Sie wird vollenden, wasdie Verteidigungsminister Schmidt und Leber begonnenhaben. Die akademische Ausbildung der Offiziere an denUniversitäten der Bundeswehr, die ohnehin weltweit ein-zigartig in Streitkräften ist, wird in Zukunft durch dieMöglichkeit einer qualifizierten Weiterentwicklung jenerzivilberuflichen Qualifikationen, die ein Mann und – inZukunft auch – eine Frau in die Bundeswehr mitbringt, er-gänzt werden.
Hier gibt es – begonnen im Februar 1999 und zunächstvereinbart im Juli 1999 – eine enge Zusammenarbeit mitmittlerweile mehr als 300 Unternehmen in der Bundesre-publik Deutschland und bis Ende des Jahres mit vermut-lich fast allen Industrie- und Handelskammern sowieHandwerkskammern in der Bundesrepublik Deutschland.Wir werden sicherstellen, dass jeder länger dienende Sol-dat die Chance erhält, seine zivilberufliche Qualifika-tion zu verbessern. Der Soldat mit einem Gesellenbriefsoll den Meisterbrief erwerben können und der Soldat miteiner Facharbeiterausbildung die Technikerlaufbahn ein-schlagen können. Auch der Soldat, der mangels Ausbil-dung keine zivile Qualifikation, aber wenigstens einenSchulabschluss besitzt, soll die Möglichkeit haben, eineeinfache zivile Qualifikation zu erwerben, damit er späterin seinem beruflichen Leben und auf den Arbeitsmärktenbessere Chancen vorfindet als zu Beginn seiner Dienstzeitin der Bundeswehr.Nicht nur diesem, aber auch diesem Ziel dient die Neu-ordnung der Unteroffizierslaufbahn. Wir werden eineFeldwebellaufbahn und eine Fachunteroffizierslaufbahneinrichten, um die Attraktivität des Dienstes zu erhöhenund die Zeit zur Ausbildung optimal zu nutzen.Gleichzeitig werden wir den so genannten strukturel-len Überhang bei den Unteroffizieren und bei den Offi-zieren und den damit einhergehenden Verwendungs-und Beförderungsstau innerhalb von zwei Jahren ab-bauen. Mir ist das deshalb wichtig, weil wir einen Zustandvorgefunden haben, der für die Soldaten sowie für derenAngehörigen und Familien auf Dauer unhaltbar gewordenwar. Alleine die Tatsache, dass in der Bundeswehr über8 000 Menschen auf Dienstposten sitzen, ohne die ent-sprechende Bezahlung zu bekommen – darunter sind auchBesoldungsgruppen, die man in anderen Bereichen desöffentlichen Dienstes zum Teil überhaupt nicht mehrkennt, weil sie so niedrig sind –, übt schon einen negati-ven Einfluss auf Motivation und Leistungsfähigkeit nichtnur der betroffenen Soldaten aus.
– Der Kollege Breuer sagt: „Zwei Jahre nichts gemacht!“Verehrter Herr Kollege Breuer, Sie müssen zunächst ein-mal ein systematisches Konzept vorlegen. Von Ihnen lasseich mir nicht sagen, wir hätten zwei Jahre nichts gemacht,
nachdem Sie 16 Jahre fröhlich vor sich hingeschlafen ha-ben. Von Ihnen nicht!
Wir reformieren im Übrigen nicht nur die Besoldungs-und Laufbahnstrukturen. Wir werden auch dafür sor-gen, dass Besoldungen nach A 1 oder A 2, die man sonstim öffentlichen Dienst nicht mehr kennt, auch in der Bun-deswehr abgeschafft werden. Etwas Ähnliches werdenwir auch im Bereich des mittleren und gehobenen Diens-tes tun. Nicht zuletzt werden wir dafür sorgen, dass dieEinheitenführer nach A 12 besoldet werden.Dass wir die Streitkräfte und damit auch alle Laufbah-nen und Verwendungen für Frauen öffnen, erwähne ichhier nur der Vollständigkeit halber.Es ist klar, dass die geplante Reform mit Veränderun-gen der personellen Zusammensetzung und des Umfangsder Bundeswehr verbunden ist. Die Stärke der Streit-kräfte wird sich verändern. Die Zahl der Berufs- undZeitsoldaten wird steigen, während die Zahl der Wehr-pflichtigen sinken wird. Die Zahl der zivilen Dienstpostenin der Bundeswehr wird auf 80 000 bis 90 000 begrenztwerden. Um das zu erreichen, werden tarifliche und ge-setzliche Begleitmaßnahmen notwendig sein; denn un-verändert gilt die Zusage, dass alle diese Maßnahmen mitverbesserten Möglichkeiten für diejenigen verbundensein werden, die in der Bundeswehr Dienst leisten, unddass wir anders als jeder andere Arbeitgeber in der Bun-desrepublik Deutschland – insbesondere mit Blick auf dieZivilbeschäftigten – garantieren, dass es im Zuge perso-neller Anpassungen nicht zu betriebsbedingten Kündi-gungen kommen wird.
Die Bundeswehr wird in Zukunft aus Einsatzkräftenund einer militärischen Grundorganisation bestehen. DieZahl der Einsatzkräfte wird substanziell erhöht, nämlichauf etwa 150 000. Das ist nahezu eine Verdreifachung.Die Trennung zwischen Hauptverteidigungskräften undKrisenreaktionskräften wird aufgegeben. Die Führungs-organisation wird gestrafft und an die Erfordernisse teil-streitkraftgemeinsamer und multinationaler Einsätze an-gepasst.
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Diesem Ziel dient ein Streitkräfteunterstützungskom-mando, ein permanentes Einsatzführungskommando, dasauch zur Führung von EU-Operationen befähigt ist. Die-sem Ziel gelten auch die genannten Maßnahmen bezüg-lich Laufbahn und Besoldung sowie das neue Bildungs-konzept. Damit wird der Personalumfang der Bundeswehrin Friedenszeiten bei etwa 360 000 liegen, einschließlichder genannten 80 000 bis 90 000 Dienstposten für zivileMitarbeiter.Nun reicht eine Betrachtung des personellen Teils derMaßnahmen nicht aus. Der zweite Eckpfeiler für die Mo-dernisierung der Bundeswehr ist die Modernisierung ih-rer Ausrüstung. Wir werden in Zukunft Schlüsselfähig-keiten wie beispielsweise strategischer Transport, strate-gische Aufklärung, Kommunikations- und Führungs-fähigkeit viel stärker als in der Vergangenheit brauchen.Im Sinne einer persönlichen Anmerkung sage ich: Was ichin diesem Teil der Bundeswehr vorgefunden habe, hatmich an Verhältnisse der beginnenden Industrialisierungoder – wenn Sie so wollen – des beginnenden Informati-onszeitalters erinnert:
250 informationstechnische Inseln innerhalb der Bundes-wehr, logistische Systeme in Heer, Luftwaffe und Marine,die kaum zusammen arbeitsfähig waren. Hier hat eine un-glaubliche Geldverschwendung stattgefunden.
Das alles ging zulasten der Leistungsfähigkeit der Streit-kräfte, übrigens auch zulasten der beruflichen Aufstiegs-möglichkeiten der Angehörigen der Streitkräfte. Wennmir Unternehmer, deren Sachkunde und wirtschaftlicherErfolg gleichermaßen nicht bestritten werden kann, sa-gen, dass hier Kostenersparnisse von mindestens 25 bis30 Prozent möglich wären,
wenn man weiß, dass die Bundeswehr in einem Zeitraumvon circa zehn Jahren Finanzaufwendungen von rund12 Milliarden DM hatte, dann kann man sich ungefährvorstellen, was das bedeutet. Ein Viertel von knapp12 Milliarden DM sind knapp 3 Milliarden DM, die sinn-los zum Fenster hinausgeworfen worden sind und dienicht so investiert werden konnten, wie investiert hättewerden müssen.Hinzu kam eine Haushaltspolitik, die sich von der desamtierenden – hoffentlich sehr lange amtierenden – Bun-desfinanzministers Hans Eichel fundamental unterschei-det. 1999 war das erste, 2000 wird das zweite, 2001 wirddas dritte Jahr sein, in dem die Bundeswehr, wie andereEinzelpläne auch, nicht befürchten muss, dass eine illu-sionäre Finanzpolitik im Zuge des Vollzugs von Haushal-ten wieder Mittel herausnimmt, so genannte globaleMinderausgaben. In den 90er-Jahren wurden so derBundeswehr – neben den Fehlinvestitionen – aus laufen-den Haushalten weit über 6 Milliarden DM entzogen.Dies ist auch verantwortlich für den schlechten Zustandder Ausrüstung und die mangelnde Ausprägung solcherFähigkeiten, die moderne und leistungsfähige Streitkräftebrauchen.
Wir werden die Initiativen im Bündnis und die wach-sende europäische Integration nutzen, um Kosten zu spa-ren, um Synergien zu erschließen, um nationale Mittelbesser einzusetzen. Ich erinnere an die von mir verfolgtedeutsch-französische Initiative für ein europäisches Luft-transportkommando. Ich erwähne den deutsch-französi-schen satellitengestützten Aufklärungsverbund oder diegemeinsame Entscheidung der europäischen Staats- undRegierungschefs für die Beschaffung eines gemeinsamenTransportflugzeuges. Nicht zuletzt erwähne ich die Euro-päische Rüstungsagentur. Das alles sind Meilensteine, diezeigen, dass es den Europäern ernst ist, mehr Verantwor-tung für ihre eigene Sicherheit zu übernehmen und auchwirksame Beiträge für internationale Friedenssicherungzu leisten. Im nationalen Rahmen hat vor wenigen Wo-chen eine Rüstungskonferenz alle Vorhaben überprüft undeine entsprechende Priorisierung vorgenommen. Daswerden wir jetzt noch mit der wehrtechnischen Industrieerörtern. Wir werden dann dem Parlament die mit derwehrtechnischen Industrie in Deutschland besprochenenVorschläge vorstellen.Wir haben also eine gesicherte Grundlage für die Aus-planung des Haushaltes 2001 und für die Erarbeitung desBundeswehrplanes 2002. Die notwendigen Voraussetzun-gen für die Reform liegen also vor. Da die Oppositiongerne und viel über Geld redet – auf der Grundlage einerebenso illusionären wie waghalsigen Finanzplanung desdamaligen Finanzministers Waigel –, will ich hinzufügen,dass es gemeinsam mit dem Bundesminister der Finanzengelungen ist, nicht nur Einvernehmen über den Haushalt2001, sondern auch über die mittelfristige Finanzplanungzu erzielen.Mit diesen Entscheidungen wird der jahrelangen Un-terfinanzierung der Bundeswehr ein Ende gesetzt.
Der Abwärtstrend im Investitionsbereich ist gestopptund die Verteidigungsausgaben werden im Jahre 2001substanziell um 3,2 Prozent steigen. Das ist aber nochnicht alles.Es ist nicht nur so, dass die bisher im Einzelplan 60ausgewiesenen Mittel von 2 Milliarden DM in den Ein-zelplan 14 übernommen werden und dass wir damit mehrPlanungssicherheit, mehr Beweglichkeit, übrigens auchmehr eigene Entscheidungskompetenz erwerben. Viel-mehr ist es auch so, dass wir zum ersten Mal überhauptzwischen dem Finanzministerium und einem Ressort – indiesem Fall ist es das Verteidigungsressort – eine Verein-barung getroffen haben, die zusätzliche und dauerhafteInvestitionsspielräume eröffnet.Das bedeutet konkret Folgendes. Erstens. Effizienzge-winne aufgrund höherer Wirtschaftlichkeit aus der Zu-sammenarbeit mit der Wirtschaft oder aus gesenkten Be-
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triebskosten verbleiben künftig zu 100 Prozent im Einzel-plan 14.
Wir gehen davon aus, dass es im Jahr 2001 200 bis300 Millionen DM sein werden.Zweitens. Überall da, wo handelsüblich beschafft undwirtschaftsüblich finanziert werden kann, werden wir dastun. Auf diese Weise gewinnen wir auch neuen Finanzie-rungsspielraum. Wir werden also zum Beispiel durch dieFinanzierungsform des Leasings, durch Betreibermodelleoder auch durch anderes noch einmal 200 bis 300 Milli-onen DM für Investitionen freischaufeln können.
Drittens. Schließlich fließen die Einnahmen aus Ver-mietung, Verpachtung, aus dem Verkauf von Grund-stücken und aus der Veräußerung von beweglichem undunbeweglichem Vermögen nicht mehr, wie in der Vergan-genheit, in den Topf des Finanzministers zurück, sondernsie kommen dem Einzelplan 14 zu 80 Prozent zugute. Da-mit haben wir die Möglichkeit – das ist eine Prognose fürdas Jahr 2001 –, eine Einnahme von weiteren 350 bis400 Millionen DM – hoffentlich etwas mehr – zu erzielenund auf diese Weise die investive Seite des Einzelplans 14um bis zu 1 Milliarde DM zu stärken.Wir gewinnen also zusätzlichen Freiraum. Das istwichtig; denn die höhere Effizienz, die deutliche Senkungvon Betriebskosten werden am Ende nur erreichbar sein,wenn in vielen Bereichen zunächst in modernes und neuesGerät investiert wird. So wie wir auf dem Gebiet der Aus-bildung, der Fortbildung und der Weiterbildung mittler-weile sehr eng mit der unternehmerischen Wirtschaft zu-sammenarbeiten, so tun wir das auch im Bereich vonBetrieb, Beschaffung und Entwicklung.Dem dient der Rahmenvertrag, den Sie kennen undder bereits im Rahmen von 14 Pilotprojekten erprobtwird. Dem dient die Tatsache, dass wir mittlerweile über300 national wie international tätige, vor allen Dingenmittelständische Unternehmen für diese Kooperation ge-wonnen haben. Dem dient auch die Tatsache, dass wirsehr genau zwischen militärischen Kernfähigkeiten, diebei der Bundeswehr verbleiben müssen, und solchenTätigkeiten, die in Kooperation mit der Wirtschaft durch-geführt werden, unterscheiden werden. Ich will sehr deut-lich sagen: Es geht hierbei nicht um irgendeine platte Pri-vatisierung. Es geht vielmehr darum, die jeweils besteLösung, das heißt diejenige Lösung, die dauerhaft, wirt-schaftlich und zuverlässig ist, zu identifizieren und sie in-nerhalb der Bundeswehr einzuführen.
Um Ihnen einmal ganz wenige Beispiele zu nennen,die den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses ver-mutlich vertrauter als den anderen Mitgliedern des Parla-ments sind: Die Bundeswehr verfügt über große Flottenund über große Transportkapazitäten. Wir werden sie ge-meinsam mit der Wirtschaft nutzen, um Kapazitäten bes-ser auslasten und gleichzeitig der Wirtschaft ein Angebotmachen zu können. Wir werden bei solchen Institutionen,die eine einzigartige Leistungsfähigkeit in den BereichenForschung und Entwicklung oder logistische Vollversor-gung zur Verfügung stellen, Insourcing betreiben.Beispielhaft nenne ich nur das entsprechende wehr-wissenschaftliche Institut in Erding, das Marinearsenal inWilhelmshaven und andernorts. Ich erinnere auch an vieleweitere Einrichtungen, die ich jetzt mit Rücksicht auf dieZeit leider nicht nennen kann. Erwähnt seien noch dasFlottenmanagement, das IT-Management und vieles an-dere, das im Rahmen der parlamentarischen Beratungensicherlich noch eine erhebliche Rolle spielen wird.Eine entscheidende Rolle dabei – übrigens auch alsVorbild für eine moderne, nicht allein kameralistisch ori-entierte Finanzierung – wird die Gesellschaft für Ent-wicklung, Beschaffung und Betrieb spielen. Sie ist mitt-lerweile eingerichtet; ihre Geschäftsfelder sind bestimmt.Ihre Tätigkeit soll sich ab Januar 2001 voll entfalten, denndann kommen die Ergebnisse dieser Tätigkeit auch in dembeschriebenen Rahmen der Bundeswehr zugute. Wir be-treten, übrigens auch im NATO-Rahmen und weltweit,mit der Bildung dieser Gesellschaft völliges Neuland. Wirwerden allerdings den Kurs der internen Optimierung, derWirtschaftlichkeit und der Kooperation konsequent in dersozialverträglichen Weise fortsetzen, wie ich es beschrie-ben habe.
Hierbei geht es nicht nur um die Verbesserung der Leis-tungsfähigkeit der Bundeswehr und ihrer Erneuerung vonGrund auf, hier geht es auch um ein Beispiel dafür, dasssich der moderne Staat jene Instrumente schafft, die er alsAntwort auf neue Herausforderungen des 21. Jahrhun-derts braucht, anstatt bürokratisch auf den Instrumentenzu beharren, die im 19. Jahrhundert entstanden sind undkeine geeigneten Antworten mehr auf die Herausforde-rungen von Gegenwart und Zukunft ermöglichen.
Ich könnte Ihnen den vielen Beispielen, die ich schongenannt habe, weitere hinzufügen. Ich möchte mich aufdie Straffung der Entwicklungs- und Beschaffungsab-läufe, auf die Kooperation mit der Wirtschaft und übri-gens auch zwischen dem Bundesamt für Wehrtechnik undBeschaffung und der neu gebildeten Gesellschaft be-schränken. Das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaf-fung orientiert sich ja an militärischen Kernfähigkeiten.Das wird auch so bleiben.Meine Damen und Herren, dieser Teil der Reform derBundeswehr folgt der einfachen Überlegung, dass dieAusweitung der Investitionsmöglichkeiten nicht nur fürdie Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Streitkräfteentscheidend ist, sondern auch dazu beitragen kann, dassdie Betriebskosten sinken, womit ein Beispiel für mo-derne staatliche Tätigkeit gegeben wird. Mit 24,3 Prozenthatten wir schon 1999 die höchste Investitionsquote imVerteidigungshaushalt seit 1991 erreicht. Wir streben an,die Investitionsquote kontinuierlich – in meinen Augendürfte es schneller gehen, aber so sind die Bedingungen –weiter zu erhöhen.
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Die Bundeswehr der Zukunft – lassen Sie mich das ab-schließend sagen – wird nicht alleine ihren Angehörigengute Berufschancen bieten, sondern wird auch durch mo-derne Ausrüstung und Ausstattung geprägt sein sowiedurch gute Managementmethoden, verantwortliches Kos-tenbewusstsein und ein hohes Innovationspotenzial. Vordiesem Hintergrund verfolgen wir einen umfassenden An-satz der Reform für die Erneuerung der Bundeswehr vonGrund auf.Ich hoffe, dass die Opposition einer Versuchung nichterliegt. Das werden wir ja gleich und in den nächsten Wo-chen feststellen können. Im Grunde genommen müsste jadie Opposition völlig damit einverstanden sein, dass manwirtschaftliche und innovative Potenziale nutzt und dieKooperation mit der Wirtschaft vorantreibt.
Das haben Sie doch immer gepredigt. Ich habe aber denEindruck, dass das Ziel, das Ihr früherer GeneralsekretärBiedenkopf einmal verfolgt hat, nämlich die Entbürokra-tisierung staatlichen Handelns, eben doch nur eine imKopf von Herrn Biedenkopf ernst gemeinte Idee gewesenist, die der CDU/CSU-Fraktion insgesamt allenfalls alsoberflächliche Tünche über den poujadistischen Populis-men dient, die jetzt auch eine Rolle spielen.
Hören Sie auf damit, an den Standorten und in den Dienst-stellen der Bundeswehr den Menschen Ängste einzu-jagen!
Entwickeln Sie doch bitte mal eine Idee, die weitergeht, als immer mehr Geld zu fordern, was in alte Struk-turen zu stecken sei. Vielleicht haben Sie ja dann auch dieKraft, das zu tun, was sowohl für die Streitkräfte als auchfür die äußere Sicherheit unseres Landes notwendig ist,nämlich breite Unterstützung in der Bevölkerung – diesehat die Bundeswehr – und breite Unterstützung im Parla-ment. Diese sollte die Opposition, namentlich die CDU/CSU, nicht gefährden.
Ich erteile zu einer
Kurzintervention das Wort dem Kollegen Ulrich Adam,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Herr
Minister, Sie sind auf ein gravierendes Problem – das ist
leider nicht mehr nur eines der neuen Länder – nicht ein-
gegangen; ich nenne das Stichwort: 86,5-Prozent-Solda-
ten. Ich muss mich schon sehr wundern, da ich auch auf
eine Anfrage an Ihre Staatssekretärin mit der ganz kon-
kreten Frage, wie die Ministerien untereinander damit
umgehen, keine Antwort bekommen habe.
Ich frage Sie, wie es angehen kann – und das vor allen
Dingen bei dem Verdienst der Bundeswehr als Armee der
Einheit; dazu stehe ich, dafür habe ich zehn Jahre lang im
Verteidigungsausschuss gearbeitet –,
dass das Innenministerium am 13. Januar dieses Jahres ei-
nen Erlass herausgegeben hat, nach dem der Innenminis-
ter, um Engpässe beim BGS zu umgehen, nichts dagegen
hat – wörtlich heißt es, er habe keinerlei Bedenken –,
wenn diese Bewerber im Tarifgebiet West eingestellt wer-
den und damit nach Westtarif bezahlt werden.
Wir alle kennen die Praxis und wissen, dass die Zahl
derjenigen in der Bundeswehr, die im Augenblick eine
Besoldung in Höhe von 86,5 Prozent bekommen, nicht
kleiner wird, sondern größer, und dass das nicht mehr ein
Problem nur der neuen Länder, sondern ein übergreifen-
des Problem ist. Ich frage Sie vor diesem Hintergrund:
Wie ist es möglich, dass das tarifführende Ministerium
– das ist das Innenministerium – in seinem Bereich keine
Bedenken hinsichtlich Ausnahmefällen hat, Sie dagegen
aber bisher gängige Bestimmungen sogar außer Kraft set-
zen? Wenn jemand zum Beispiel für sechs Monate ver-
setzt war – wir alle kennen das Problem der Auslands-
einsätze –, durfte er ursprünglich die 100 Prozent
behalten. Wer jedoch jetzt für sechs Monate ins Ausland
geht, wird mindestens für acht Monate versetzt, weil die
Ausbildungszeit dazukommt, und bekommt die 100 Pro-
zent nicht. Vielmehr geht man mittlerweile sogar zu der
Praxis über, dass die Zeit der Versetzung 24 Monate be-
tragen muss, wenn man die 100 Prozent Gehalt behalten
soll.
Ich frage Sie: Wollen Sie das anscheinend fehlende
Geld – das werden meine Kollegen in ihren Darlegungen
noch darstellen – auf dem Rücken der Soldaten einsam-
meln? Wollen Sie, dass wir bei der Bundeswehr grund-
sätzlich in Richtung 86,5 Prozent gehen?
– Entschuldigung, das ist die Wahrheit und ich möchte
gerne eine Antwort auf meine Frage haben; das gilt auch
für meine Fraktion.
Herr Minister, Sie ha-
ben die Gelegenheit zur Beantwortung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verehrter Herr Kollege, Sie sprechen ein Thema an, dasich nicht angesprochen hatte, weil viele Themen in derKürze der von den Fraktionen vereinbarten Zeit gar nichtangesprochen werden können. Das heißt aber nicht, dassdas Thema außer Betracht oder unbedeutend wäre. Ganzim Gegenteil.Mir persönlich wäre es durchaus recht, wenn wir in-nerhalb der Bundeswehr sofort eine einheitliche Besol-dung einführen könnten.
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Da das aber eine gesamtstaatliche Lösung sein muss,lässt sich das nicht alleine für die Bundeswehr verwirkli-chen. Ich finde, wir sollten uns da gegenseitig nichts vor-machen.Auf der Ebene des Bundes würde die Einführung der100-Prozent-Besoldung jährlich insgesamt circa 700 Mil-lionen DM erfordern, auf der Ebene der Länder und Ge-meinden über 8 Milliarden DM jährlich. Vor diesem Hin-tergrund will ich hier gar nicht im Einzelnen schildern,wie Vertreter kommunaler Spitzenverbände, einzelneLandräte oder Bürgermeister und insbesondere Minister-präsidenten in den Gesprächen mit der Bundesregierunghänderingend darum bitten, es nur ja bei den Anpassun-gen aus dem Tarifvertrag und der Erhöhung auf 90 Pro-zent zu belassen.
Insofern sollten wir zunächst einmal mit diesem vor-dergründigen Spiel von Schuldzuweisungen aufhören.Die ostdeutschen Länder und Gemeinden sind zurzeitnicht in der Lage, die finanziellen Folgen einer schnelle-ren Anhebung auf 100 Prozent zu verkraften. Daruntersind einige, die zu Ihren besonders engen Freundengehören, wie andere darunter sind, die zu meinen beson-ders engen Freunden gehören.Meine nächste Bemerkung bezieht sich auf das, wasSie in Bezug auf den Herrn Bundesinnenminister gesagthaben. Sie sagten, Sie waren im Verteidigungsausschuss.Das entschuldigt einen gewissen Informationsmangel.Aber ich muss Ihnen sagen, dass wir diese Praxis in derBundeswehr schon länger haben, um zu versuchen, dieZahl derjenigen, deren Besoldung bei 86,5 Prozent liegt,so gering wie möglich zu halten. Insofern weise ich denVorwurf ausdrücklich zurück, dass die Zahl derer inner-halb der Bundeswehr wächst, die nur eine Besoldung von86,5 Prozent beziehen. Das ist schlicht falsch. Ich gebeIhnen gerne alle Zahlen, die Sie benötigen. Ich bin nämlichan einem offenen Gespräch über diese Fragen interessiert.Die Bundeswehr hat zur deutschen Einheit Enormesbeigetragen und verdient dafür Anerkennung und Res-pekt. Dass es wegen der gesamtstaatlichen Bedingungennicht möglich ist, das zu tun, was alle, die damit zu tun ha-ben, und auch ich für richtig halten, ist bedauerlich. Aberich kann sagen, dass wir durch die Tarifverhandlungenund durch die Übertragung der Ergebnisse dieser Ver-handlungen in den Gesamtbereich des öffentlichen Diens-tes einen kleinen Fortschritt erreicht haben.
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Paul Breuer, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Gestern hat Finanzminister Hans Eichelden Bundeshaushalt 2001 als Haushalt der Zukunfts-sicherung bezeichnet.
Obwohl Verteidigung unbestritten eine der wichtigstenAufgaben – und zwar alleinige Aufgabe – des Bundes ist,
hat er der Bundeswehr und dem Verteidigungshaushaltnur wenige Worte gewidmet. Das können Sie nachlesen.Er stellte die Bundeswehr sinngemäß als eine Truppemit vielen Angehörigen und veraltetem Gerät dar.
Kein Wort zu den sicherheitspolitischen Herausforde-rungen, kein Wort von der verantwortungsvollen RolleDeutschlands in der NATO, kein Wort von der verant-wortungsvollen Rolle Deutschlands in Europa,
kein Wort von der fehlenden Europafähigkeit der Bun-deswehr heute – so wie dies der Verteidigungsministerfestgestellt hat –, kein Wort von den vertraglichen Ver-pflichtungen, die Deutschland gegenüber den anderenMitgliedern der Europäischen Union eingegangen ist,kein Wort zu den Sorgen und Nöten der Menschen in derBundeswehr.Wenn ich die Rede von VerteidigungsministerScharping, die er eben gehalten hat, richtig werte,
komme ich zu dem Ergebnis: Er versucht Rudis heile Weltdarzustellen, er kämpft im eigentlichen Sinn überhauptnicht für einen Verteidigungsetat, der mittlerweile völligam Boden angelangt ist.
Unsere deutschen Streitkräfte haben zusätzliche Auf-gaben und sie meistern sie gut. Zur Belohnung dafür ge-ben Sie der Bundeswehr einen ständig sinkenden Vertei-digungshaushalt und wollen das Ganze der deutschenÖffentlichkeit auch noch als Modernisierung verkaufen.
Diese Rechnung wird nicht aufgehen. Anspruch undWirklichkeit klaffen weit auseinander.
Nach zwei Jahren Regierungszeit ist es angebracht,eine Bilanz zu ziehen. Was ist in diesen zwei Jahren ge-schehen Herr Scharping?
Was haben Sie auf den Weg gebracht?
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Ich stelle fest, Sie versuchen der Öffentlichkeit
in einer Art und Weise, die schon bemerkenswert ist, vor-zugaukeln, Sie modernisieren die Bundeswehr.
Sie setzen für Investitionen – so sagen Sie – mehr Fi-nanzmittel ein. Das Ergebnis ist, dass in diesen zwei Jah-ren nur ein einziges ernsthaftes Beschaffungsprojekt aufden Weg gebracht worden ist.Ich will Ihnen mit Blick auf Ihre Beschimpfung derVorgängerregierung eines deutlich machen.
Ich habe hier ein Interview mit dem damaligen SPD-Frak-tionsvorsitzenden Rudolf Scharping in der „Bild amSonntag“ vom 15. Dezember 1996 vorliegen.
– Mir ist klar, dass Sie sich an diese Zeit nicht erinnernwollen. – Er wird von der „Bild am Sonntag“ gefragt:Die SPD ist gegen den Kauf eines neuen Jagdflug-zeugs und will auch sonst immer kürzen. Wie soll dadie Bundeswehr modern ausgerüstet werden?
Antwort von Scharping – hören Sie einmal zu; es ist hoch-interessant –:Die Bundesregierung muss über die Anschaffung des„Eurofighters“ entscheiden. Dem stimmen wir nichtzu. Es gibt Wichtigeres, zum Beispiel die Entwick-lung eines neuen Transportflugzeugs,
auch um international in der modernen Technologiekonkurrenzfähig zu bleiben.
In einer Meldung der Nachrichtenagentur ddp vom7. September 2000 war zu lesen: „Rudolf Scharping: DieBundeswehr braucht dringend neue Jagdflugzeuge.“ HerrMinister Scharping, es ist unsäglich, dass Sie die Vor-gängerregierung ständig dafür verantwortlich machenwollen, was sie damals – Gott sei Dank – getan hat –
was dazu geführt hat, dass Sie heute über einen solchenBestand verfügen können –, und dass Sie sie kritisieren. –Ich werde Sie gleich an die Wirklichkeit, was den Luft-transport angeht, erinnern. – Sie haben damals ständigversucht, der Regierung Knüppel in den Weg zu legen,und Kürzungsvorschläge gemacht. Heute bedauern Sie,dass nichts passiert ist.Was ist denn mit dem Lufttransportflugzeug?Schauen Sie sich doch einmal Ihren Verteidigungshaus-halt, was das Thema Lufttransportflugzeug angeht, an. Inden Tit. 554 06 „Beschaffung des Großraumtransport-flugzeuges“ wurden null Mittel eingestellt.
Herr Scharping, Sie verstehen das Wort Lufttransportfalsch. Lufttransport heißt für Sie, Luft in den Verteidi-gungsetat hineinzupumpen. Das ist eine Luftnummer, dieSie hier fahren. Es ist nicht glaubwürdig, wie Sie in die-sem Zusammenhang in der deutschen Verteidigungspo-litik vorgehen.
Meine Damen und Herren, die Frage der Glaubwür-digkeit – Kollege Ulrich Adam hat dies soeben an einemBeispiel verdeutlicht – ergibt sich auch aus dem, was HerrScharping in vollmundigen Worten in den neuen Bundes-ländern gegenüber den Soldaten und Mitarbeitern derBundeswehr verspricht. Er hat gesagt, er wolle die Situa-tion verändern. Herr Scharping, Sie haben auch gesagt –ich habe es hier schriftlich vorliegen –, dass Sie allein dieMöglichkeiten dafür nicht haben.
Aber das Beispiel, das Kollege Adam soeben gebrachthat, zeigt, dass selbst dort die Möglichkeiten dafür nichtgeschaffen werden, wo Minister Scharping Entschei-dungsgewalt besitzt.
Wenn deutsche Soldaten aus den neuen Bundesländernheute für sechs Monate ins Ausland geschickt werden, siesich also eindeutig sechs Monate außerhalb der neuenBundesländer aufhalten – früher bedeutete das, dass ihrSold auf 100 Prozent angehoben wird –, dann wird ihnennach diesem Auslandseinsatz als Dank dafür, dass sie sicheingesetzt haben, der Sold, den sie mehr bekommen ha-ben – das gilt für Zeit- und Berufssoldaten –, wieder ab-gezogen.
Das sind die vollmündigen Sprüche des Verteidigungsmi-nisters Scharping. Anspruch und Wirklichkeit klaffen aus-einander. Dies gilt nicht nur für diesen Bereich, sondernauch für viele andere. Das gehört zu einer Bilanz nachzwei Jahren; das müssen Sie ertragen.
Zu Beginn der Beratungen des Verteidigungshaus-haltes befinden wir uns in einer Situation, die nach mei-ner Sicht einmalig ist. Der Verteidigungsausschuss desDeutschen Bundestages – seit ich dem Deutschen Bun-
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destag angehöre, erlebe ich das zum allerersten Mal – ver-fügt zum Zeitpunkt des Beginns der Haushaltsdebatteüber keine einzige realistische Unterlage, die eine Bera-tung überhaupt erst ermöglicht.
– Herr Kollege Zumkley, Sie wissen doch ganz genau,was ich meine. Es gibt keinerlei Erläuterung zum Vertei-digungshaushalt.
Auf der anderen Seite gibt es die Ankündigung – dakönnte man Wetten abschließen –, dass eine riesige Plus-Minus-Liste, mit der der Haushalt in seiner Struktur re-gelrecht verändert werden solle, unterwegs sei. Nur, derDeutsche Bundestag kennt diese Liste zum jetzigen Zeit-punkt nicht. In der Vergangenheit haben Sie sich aufge-blasen und von Parlamentsarmee gesprochen. Wissen Sie,was hier stattfindet? Die Bundeswehr wird in einer Artund Weise geführt, die am Parlament vorbeigeht. Daskann dieses Parlament nicht zulassen.
Dass Sie sich mittlerweile – ich habe das heute Morgenbeobachtet, als der Bundeskanzler Sie zum Beifall auffor-derte, weil er ihm nicht genügte – nur noch als Kopfnickerund beifälliges Publikum betätigen, nehme ich zur Kennt-nis.
Es kann aber um des Selbstverständnisses des Parlamentswillen nicht möglich sein, dass Sie es hinnehmen, wie un-sachlich und in welch nicht fundierter Art und Weise heuteim Verteidigungsministerium agiert wird.
Kollege Breuer, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?
Aber gern.
Kollege
Breuer, ist Ihnen eigentlich geläufig, dass wir heute die
erste Lesung des Bundeshaushaltes haben und dass er Ih-
nen nach dieser Lesung überhaupt erst von der Regierung
zur Beratung überwiesen wird? Sind Sie sich auch da-
rüber im Klaren, dass die gesamten Plus-Minus-Listen,
die Sie so vollmundig vor sich hertragen, contra legem
sind, dass Plus-Minus-Listen kein Instrument parlamen-
tarischer Beratung sein können? Ist Ihnen klar, dass Plus-
Minus-Listen eigentlich das sind, was das Ministerium
noch von Ihnen erwartet?
Wir wissen aus Ihrer Regierungszeit, dass Ihre Plus-
Minus-Listen inhaltsreicher waren als die vom Kabinett
beschlossenen Haushalte. So etwas wollen wir nicht. Wir
wollen saubere und ordentliche Verhältnisse. Das geste-
hen Sie mir hoffentlich zu.
Herr Kollege Wieczorek,ich denke, dass ich keiner Nachhilfestunde in der Frageder Haushaltsberatungen bedarf.
Ich möchte Ihnen aber sagen: Erstens. Dieser Verteidi-gungsetat
ist nicht, wie man das auf den ersten Blick feststellt, einEtat, der steigt. Es ist ein Etat, der weiter sinkt. Der Bu-chungstrick ist sichtbar: 2 Milliarden DM aus dem Ein-zelplan 60 sind aufgesattelt worden,
um anschließend um 500 Millionen DM zu kürzen. Ersteigt nämlich nur um 1,5 Milliarden DM.
Zweitens. Ich behaupte – Sie können ja das Gegenteilsagen, die Wirklichkeit wird zeigen, wer Recht hat –,
dass in dem von einem Sozialdemokraten geführtenVerteidigungsministerium eine riesige Plus-Minus-Listevorbereitet wird. Sie meinen, mich darüber aufklären zumüssen, dass diese Plus-Minus-Liste contra legem ist.Sagen Sie das doch Herrn Scharping und nicht mir.
Da sind Sie doch bei mir an der völlig falschen Stelle.
– Was ich gefordert habe, Frau Kollegin Wohlleben, sinddie Erläuterungen, die notwendig sind, um in eine ordent-liche und ernsthafte Haushaltsberatung einzutreten. WennSie nicht nur deshalb an absolutem Gedächtnisschwundleiden würden, weil Sie sich auf der Regierungsbank wohlfühlen wollen, wüssten Sie, dass ein Parlament zu keinemZeitpunkt einen so schlecht vorbereiteten Verteidigungs-haushalt beraten hat. Das muss heute festgestellt werden.
Herr Präsident, ich hoffe, dass die Antwort auf dieseFrage nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
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– Nein, das wäre nicht in Ordnung.Der Minister behauptet heute, die Opposition verunsi-chere die Mitarbeiter der Bundeswehr.
Ich stelle fest, dass die größten Verunsicherer bezüglichder Lage der Soldaten und der zivilen Mitarbeiter in derBundeswehr in der Bundesregierung sitzen, vor allem imVerteidigungsministerium.
Ich will versuchen, Ihnen ein beredtes Beispiel dafür zugeben. Da berichtet das „Wiesbadener Tagblatt“
am 6. Juli 2000, dass die Staatssekretärin Scharpings – dageht es um Frau Schulte – eine von ihrem Chef persönlichautorisierte Presseerklärung dementierte – darin wurdeauf Frau Wieczorek-Zeul Bezug genommen –, was einpeinlicher Vorgang ist. Richtig ist offenbar, dass die künf-tige Organisation der Wehrverwaltung noch offen ist,Scharping jedoch die Sicherheit der Arbeitsplätze inWiesbaden bekräftigt hat.Ich habe mir die Presselandschaft dieses Sommers an-gesehen. Ich habe daher auch gelesen, welche narkotisie-renden Reisen Herr Scharping – wohin auch immer – un-ternommen hat. Dazu muss ich sagen: Er geht von einemStandort zum anderen und versichert dort, dass nichts pas-siert. Das hat er wohl auch Frau Wieczorek-Zeul ver-sichert.
Frau Schulte hat danach gesagt, dass das, was FrauWieczorek-Zeul gesagt habe, nicht stimme und dass eskeine Sicherheit gebe.Bei einem Besuch von Herrn Scharping in Freyung istmir eine Aussage aufgefallen. Dort hat er gesagt, es pas-siere nichts, und wer jedem alles verspreche, der belügealle.
Herr Scharping, das ist richtig. Mit Ihrer Art und Weise,durchs Land zu gehen, die wirklichen Probleme nicht dar-zustellen, überall beruhigend die Hand aufzulegen und zusagen, es passiere nichts, verunsichern Sie und niemandanders die Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundes-wehr.
Er verunsichert sie auch mit anderen Dingen. WennHerr Scharping in seiner Rede zum Haushalt behauptet, erkönne im Laufe des Jahres 2001 durch VeräußerungenEinnahmen in einer Größenordnung von 1 Milliarde DMerzielen – in Wahrheit muss ein noch höherer Betrag er-zielt werden, da seine Einnahmen, wie er eben gesagt hat,nur 80 Prozent dessen betragen –, gleichzeitig aber vonStandort zu Standort zieht und sagt, es passiere nichts,gleichzeitig behauptet, zur Veräußerung identifiziert seienLiegenschaften im Wert von 350 Millionen DM, möchteich fragen: Wie will er etwas veräußern, wenn er gleich-zeitig alles behalten will? Dass dieses Verhalten auf jeden,der in der Bundeswehr seinen Dienst tut, verunsicherndwirkt, ist doch logisch. Dabei stelle ich eines fest: Sienicken zu all dem unkritisch und stellen gar nicht fest, inwelche Widersprüche Sie sich verstricken.Zu diesen Veräußerungen sage ich Ihnen noch etwas:Es soll auch Gerät veräußert werden, das die Bundeswehrnicht mehr benötigt. Ich sage Ihnen voraus – und dafürbraucht man kein Prophet zu sein –, dass an diesem Gerätentweder diejenigen, die das Geld, es zu bezahlen, nichtbesitzen, so zum Beispiel die neuen NATO-Partner, oderdiejenigen Interesse bekunden werden, die Sie auf der Ba-sis der Rüstungsexportbestimmungen, die Sie zusammenmit Ihrem grünen Koalitionspartner verschärft haben,nicht beliefern werden.Ich sehe, was mit den ausgemusterten Alphajets pas-siert. In die müssen wir Geld investieren, damit sie über-haupt irgendjemand in der Welt kauft. Das, was hier anVeräußerungsgewinnen erzielt werden soll – dafür wirdeine neue Gesellschaft, eine Agentur gegründet –, ist nachmeiner Meinung in großen Bereichen nicht mehr als eineLuftnummer.Eines steht allerdings fest: Die Gehälter derer, die dieseAgentur führen werden, sind bereits vereinbart: Einkom-men pro Jahr in Höhe von 400 000DM, 3 500DM am Tag.Aber eine Wehrsolderhöhung für Wehrpflichtige um1 DM pro Tag, die von Ihnen im Bundestagswahlkampf1998 versprochen wurde, haben Sie bisher nicht hin-bekommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Breuer,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Rudolf Scharping?
Gerne, mit ausgesproche-
nem Vergnügen.
Herr Kollege Breuer, daSie auch die Veräußerung von Liegenschaften im Wertvon 350Millionen DM angesprochen haben: Ist Ihnen be-kannt, wie viele dieser Liegenschaften in der Zeit vor demRegierungswechsel als veräußerungsfähig identifiziertworden sind? Ist Ihnen auch bekannt, dass die bisherigeArt der Verwertung durch sich zum Teil über Jahre schlep-pende Verfahren, auch im Blick auf die Interessen derBundeswehr, ausgesprochen problematisch ist, und haltenSie es für ein schlagendes Argument gegen die Überprü-fung der Wirtschaftlichkeit von Standorten, wenn man dieVeräußerung jener auf einen Verkehrswert in Höhe vonrund 350 Millionen DM geschätzten Liegenschaften, dieim Wesentlichen in den Jahren Ihrer Regierungstätigkeitidentifiziert worden sind, jetzt in diese Überprüfung ein-bezieht, so wie Sie das gemacht haben? – Ich hoffe, meineFrage war nicht zu kompliziert.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Paul Breuer11248
Herr Kollege Scharping,
ich bedanke mich ausdrücklich für diese Frage. Ich ge-
stehe Ihnen eines zu: In der Vergangenheit hat es in dieser
Hinsicht schleppende Vorgänge gegeben.
Aber ich frage Sie einmal zurück, da Sie ja so optimis-
tisch sind: Ist Ihnen bekannt, dass das Gutachten der Un-
ternehmensberatung KPMG zur Frage der Veräußerung
von Liegenschaften im Haushaltsjahr 2001, das gegen-
über dem von Ihnen geführten Hause abgegeben worden
ist, Ihnen einen maximalen Veräußerungserlös in Höhe
von 250 Millionen DM einräumt, Sie aber gleichzeitig
von Veräußerungserlösen in einer Größenordnung von
mehr als 1 Milliarde DM ausgehen müssen, da Sie ja nur
80 Prozent davon bekommen?
Ich denke, Sie sollten sich mit der gesamten Realität in
Ihrem Haus etwas intensiver beschäftigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Breuer,
es gibt eine zweite Frage des Abgeordneten Rudolf
Scharping.
Aber gerne.
Herr Kollege Breuer,
könnten Sie zur Kenntnis nehmen, dass in den Planungen
des Bundesministeriums der Verteidigung von „bis zu
1 Milliarde DM“ verstärkter Investitionsmittel gespro-
chen wird und dass ich in der Einbringung diese bis
zu 1 Milliarde DM aufgeschlüsselt habe auf Effizienzge-
winne durch veränderte Finanzierungsformen, auf sin-
kende Betriebskosten und auf Einnahmen aus Vermietung
und Verpachtung beziehungsweise Veräußerungserlösen,
und könnten Sie deshalb für Ihre künftige Argumentation
so freundlich sein, nicht von 1 Milliarde DM Veräuße-
rungserlösen zu sprechen, die auch wir für unrealistisch
halten? Deswegen sprechen wir von bis zu 1 Milliarde
DM, die sich aus den drei genannten Quellen speist.
Herr Kollege Scharping,
ich beschäftige mich mit der Fragestellung, wie realistisch
Ihr Haushalt ist.
Ihr Finanzminister, der für Sie nicht der Hans im Glück
ist, sondern der Blanke Hans, hat Ihnen in diesem Jahr –
das wissen Sie selbst – böse zugesetzt.
Wenn Sie die Milliarde auf dem Weg erzielen, den Sie
eben dargestellt haben,
dann bin ich froh, wenn sie erzielt wird.
Was ich Ihnen ganz persönlich vorwerfe, ist, dass Sie
in der Öffentlichkeit versuchen, den Eindruck zu er-
wecken, der Verteidigungshaushalt sei gesund, und in
Wirklichkeit ist er ganz fürchterlich krank. Darum geht es.
Lenken Sie bitte nicht von dieser Frage ab.
Was ich Ihnen darüber hinaus vorwerfe, ist, dass Sie
versuchen, dafür die Vorgängerregierung in Anspruch zu
nehmen, und davon ablenken wollen, dass Sie sich im
Bundeskabinett nicht durchsetzen können.
Sie haben uns hier im letzten Jahr die Platte vorgeführt:
Wenn alle sparen müssen, müssen wir auch sparen. Haben
Sie eigentlich nicht bemerkt, dass Herr Klimmt, dass Frau
Bulmahn
ihre Haushalte mittlerweile erhöht haben und Sie, obwohl
Sie mehr Bedarf für die Bundeswehr haben, die sich in
Auslandseinsätzen, bei Zukunftsaufgaben befindet, weni-
ger bekommen?
Sie sind doch derjenige, der von Kabinettschef
Schröder in einer Art und Weise degradiert wird, die un-
säglich ist, die die deutsche Öffentlichkeit zur Kenntnis
nimmt. Leider ist es so, dass die Bundeswehr darunter lei-
det.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Breuer,
Sie müssten jetzt aber wirklich zum Schluss kommen.
Sehr gerne! – Ich habe
mich bei der Vorbereitung der Debatte wirklich gefragt,
ob ich Ihnen hier einen ausgefüllten Lottoschein überge-
ben sollte. Die Gewinnchancen bei einem ausgefüllten
Lottoschein sind größer als die Erwartung, dass das, was
Sie mit der Bundeswehr vorhaben, mit diesem Haushalt
gelingt. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Rednerin
in dieser Debatte ist die Kollegin Angelika Beer für die
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
FrauPräsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich binjetzt echt total verunsichert, Kollege Breuer.
Sie haben hier beeindruckend Zeitungsausschnitte prä-sentiert, und haben zu zitieren versucht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000 11249
Ich glaube, Sie haben vergessen, die Presse von mindes-tens zwei Wochen auszuwerten. Deswegen muss ich dasHaus jetzt vielleicht langweilen,
aber ich möchte einmal ganz kurz daran erinnern, dassnicht nur Presseartikel erschienen sind, sondern auch De-batten stattgefunden haben. Herr Kollege Breuer, am14. Juni im Jahr 2000 hat das Kabinett die Reform derBundeswehr im Rahmen der Finanzplanung beschlossen.Ich dachte, dass Sie im Hinblick auf eine bevorstehendeReform zumindest einmal ansatzweise einen Reform-gedanken
und eigene Vorstellungen präsentieren würden. Ich habemir Mühe gegeben, aber ich habe nichts gehört.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist uns dochklar, dass wir einen tief greifenden und lang dauerndenProzess der Reform und derModernisierung der Bun-deswehr eingeleitet haben. Wir werden diese Reformsparsam und effizient umsetzen, da sich die Bundeswehrohne Wenn und Aber solidarisch am Konsolidierungskursder Regierung beteiligt. Aber das wird natürlich keinleichter Weg; das will ich hier klar sagen. Ich bitte des-wegen gerade alle betroffenen Soldaten als Staatsbürgerin Uniform, diese Reform zu unterstützen.Ich bitte die Soldaten um noch eines: Lassen Sie sichnicht durch Unkenrufe seitens der Kollegen von derCDU/CSU verunsichern, die zu jedem Standort gehenund fragen, ob dieser nun geschlossen wird oder nicht!
Herr Breuer, Sie haben eben bewiesen, dass Sie– konzeptionslos und ahnungslos – wirklich der Letztesind, der das Recht hätte, im Moment die Frage nach denStand-orten zu stellen. Die Standortbestimmung erfolgtam Ende. Die Standortbestimmung wird die Sicherheitund die Zukunft der Bundeswehr gewährleisten. Die Sol-daten werden wissen, dass nach zum Teil schmerzhaftenEinschnitten, die es geben muss, eine Sicherheit derStruktur der Bundeswehr gegeben ist, die Sie 16 Jahrelang blockiert und in den Boden gefahren haben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir werden sehrsachlich darüber diskutieren müssen – auch wir Grünen –,was die Bundeswehr braucht, vor allem aber darüber, wassie nicht braucht. Es ist richtig, dass Altlasten vorhandensind. Die Diskussion muss aber etwas niveauvoller ge-führt werden, Herr Breuer. Sie muss nämlich auch unterBerücksichtigung des europäischen Rahmens erfolgen.Gerade die Tatsache, dass wir zukünftig enger mit deneuropäischen Partnern zusammenarbeiten, bietet dochdie Chance, künftig arbeitsteilig Rüstungsgüter zu be-schaffen, arbeitsteilig die Armee zu modernisieren. Einegünstige sicherheitspolitische Lage für die Bundesrepu-blik Deutschland mit entsprechenden finanziellen An-forderungen zu verbinden ist so etwas wie eine moderneSicherheitspolitik. Das ist unsere Regierungspolitik, ob esIhnen passt oder nicht.Ich hoffe trotzdem, dass sich die Opposition irgend-wann konstruktiv an diesem spannenden Prozess beteili-gen wird. Gerade Sie nämlich, die immer nur nach mehrGeld schreien, haben sich der konstruktiven Reformdis-kussion, die hier im Parlament geführt worden ist, ver-weigert. Das ist eben mehr als deutlich geworden.
Auch ich möchte mich ganz kurz, aber herzlich bei derKommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunftder Bundeswehr“ unter Leitung von AltbundespräsidentDr. Richard von Weizsäcker bedanken. Das Ergebnis derArbeit dieser Kommission – auch das ist an Ihnen vorbei-gegangen, Herr Breuer – ist ein fundiertes und perspekti-visch angelegtes Konzept. Dies wird Messlatte sein fürdie Umsetzung der Reform, die unsere Regierung be-schlossen hat.Am Ende dieses Jahrzehnts – das ist allen klar – wer-den wir eine völlig andere Bundeswehr haben: eine mo-derne, eine kleine. Dann muss sie ihre Aufgaben, dieschwieriger werden, besser erfüllen können als heute. Siemuss bündnis- und europafähig sein. Ich fände es schade,wenn sich die CDU/CSU aus diesem Dialog ausklinkte,wie es gerade durch die Rede ihres verteidigungspoliti-schen Sprechers deutlich geworden ist.Ich will darauf hinweisen, dass es nicht nur eine Fragedes Militärhaushaltes ist, nicht nur eine Frage der Tech-nologie und der Struktur. Wir haben einen gesellschaftli-chen Modernisierungsprozess angeschoben. Wir habendurch die Ausweitung aller Laufbahnen auf Fraueneine gesellschaftliche Modernisierung vorgenommen. Eshandelt sich hier um einen Prozess, um etwas, was sichbewegt. Man kann hier nicht einfach etwas abhaken.
Es liegt in unserem besonderen Interesse – da möchteich gerne den Wehrbeauftragten, aber natürlich ebensoVerteidigungsminister Scharping ansprechen –, die Pro-bleme gemeinsam anzugehen, gemeinsam dafür Sorge zutragen, dass es nicht zu Ungleichbehandlung, Diskrimi-nierung oder gar zu sexuellen Übergriffen kommt, wie wires aus anderen Armeen kennen. Wir wollen den Frauenrechtzeitig Sicherheit geben.Ich gebe zu, dass wir im Rahmen der gesellschaftlichenModernisierung die Freiwilligkeit gerne mehr in den Vor-dergrund gestellt hätten. Wir sind noch nicht so weit, kon-kret die Frage nach der Abschaffung der Wehrpflichtdiskutieren zu können. Aber eines will ich Ihnen ganz klarsagen – ich bin schon gespannt auf Ihre folgende Rede,Herr Nolting –:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Angelika Beer11250
Wenn ich an Ihren bevorstehenden F.D.P.-Parteitag denkeund Ihren schiefen Weg, bei dem Sie sagen, wir wollennicht die Abschaffung, sondern die Aussetzung – jederweiß, eine Aussetzung bedeutet die Abschaffung derWehrpflicht –, dann stelle ich fest, dass Sie mit Ihrer Po-sition mit dem Rücken an der Wand stehen und ebenfallsversuchen, diese gesellschaftliche Debatte zu blockieren.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zumSchluss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Beer,
bevor Sie zum Schluss kommen, bitte ich um Ihre Ein-
willigung für eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel.
Ja,
aber natürlich.
Es ist natürlich ein Fehler – das
weiß ich –, aber die Frage muss man trotzdem stellen, lie-
ber Kollege Koppelin.
Liebe Frau Beer, darf ich erstens Ihre Anmerkung zu
dem bevorstehenden Sonderparteitag der F.D.P., der sich
mit der Frage der zukünftigen Wehrform der Bundes-
wehr auseinander setzen wird, so werten, dass Sie diese
Diskussion grundsätzlich als nicht notwendig erachten?
Zweitens. Wenn das so wäre, wie hätte sich dann Ihre
persönliche Meinung zur Wehrform der Bundeswehr in
der Zeit, seit die Grünen der Regierung angehören, ver-
ändert?
Drittens. Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass bei ei-
ner Aussetzung der Wehrpflicht die Wehrerfassung, die
Musterung und Ähnliches weiter bestehen und nur von
der Einberufung Abstand genommen wird, denn die
Wehrpflicht besteht mit der Dauer von null Monaten fort?
Lie-
ber, Kollege Niebel, erstens: Ich halte die Diskussion
nicht für überflüssig. Jede Partei sollte diese Diskussion
offen führen. Ich bedaure nur, dass sie bei Ihnen sehr spät
kommt. Wir hätten diese Diskussion lieber während des
Prozesses der Reformentwicklungen thematisiert, damit
die Ergebnisse der Diskussion noch hätten einfließen kön-
nen.
Das Zweite ist: Ich hätte mir von einer liberalen Partei
gewünscht,
dass ein klarer Weg beschritten wird und nicht über die
Formulierung „Aussetzung der Wehrpflicht“ tatsächlich
aber die Abschaffung der Wehrpflicht gemeint ist. Ich
hätte mir gewünscht, dass sich die Jungen Liberalen ent-
gegen diesem Taktieren von Herrn Gerhardt – ihm geht es
im Moment nur um die Festigung seiner parteiinternen
Stellung – dort hätten durchsetzen können.
Das Dritte: Ich würde es begrüßen und fände es posi-
tiv, wenn der verteidigungspolitische Sprecher der F.D.P.
eine Position der Gesamtpartei hier vertreten würde.
Ich bin davon überzeugt: Wenn ein Land wie Deutsch-
land nach einer durchaus heftigen Diskussion zu dem Er-
gebnis kommen sollte – nicht weil die F.D.P. es be-
schließt, sondern weil es einfach gesellschaftspolitisch
angesagt ist –, auf das Prinzip Freiwilligkeit zu setzen,
dann wird ein Land wie Deutschland nie wieder entschei-
den, die Wehrpflicht einzuführen.
Ich glaube, dass die Lektüre des Berichtes der Wehr-
strukturkommission hierzu gute Argumente liefert. Wenn
ein Land wie Deutschland – wirtschaftlich eine Indus-
triemacht – aufgrund einer Konfliktsituation, die mögli-
cherweise vorhanden ist, beschließt, wieder zu mobilisie-
ren, die Wehrpflicht wieder einzuführen, dann könnten
politisch schwierige Prozesse, die vielleicht noch nicht-
militärisch zu lösen sind, diese Lösung verstellen. Das
möchte ich auf keinen Fall.
Wir bleiben also dabei und sind sicher: Die Wehrpflicht
wird fallen. Wir werden uns weiter für die Freiwilligkeit
und ein Ausstiegskonzept aus Zivil- und Wehrpflicht ein-
setzen. Ich hoffe, dass Sie den Mut haben, sich dann
irgendwann als Partei klar auszudrücken und zu sagen:
Der Zwangsdienst muss weg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Beer,
der Kollege Niebel will eine weitere Zwischenfrage stel-
len, ebenso der Kollege Koppelin. Ich würde aber beide
Seiten bitten, sich kurz zu fassen. Natürlich lasse ich aber
beide Fragen zu.
Okay.
Liebe Kollegin Beer, nur der
guten Klarheit wegen und damit wir nicht aneinander vor-
beireden: Sie stimmen mir doch sicher zu, dass eine Ab-
schaffung der Wehrpflicht eine Grundgesetzänderung
erfordern würde, eine Aussetzung der Wehrpflicht hinge-
gen einfachgesetzlich zu regeln ist? Allein das dürfte doch
schon als Unterschied erkennbar werden.
Nein,
ich stimme Ihnen nicht zu, weil die grundgesetzliche
Regelung, die Wehrpflicht einzuführen, im Wortlaut eine
Kann-Regelung und kein Zwang ist. Deswegen kann man
die Wehrpflicht auch ohne Grundgesetzänderung ab-
schaffen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Koppelin,
bitte Ihre Frage.
Kollegin Beer, da Sie derF.D.P. quasi ein paar Vorhaltungen wegen des langenWeges der Diskussion gemacht haben, was ich zurück-weise, darf ich Sie dann einmal fragen – wir beide kennenuns aus dem gemeinsamen Wahlkreis –, nachdem Siefrüher für die totale Abschaffung der Bundeswehr gewe-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Angelika Beer11251
sen sind, wie Sie zu Ihrer heutigen Auffassung gekommensind?
Herr
Kollege Koppelin, es ist eine Urforderung der Grünen,
und zwar die erste, alle Zwangsdienste in Deutschland ab-
zuschaffen. Das war ein Ergebnis einer Diskussion in der
Partei und hatte nicht in erster Linie mit Militär zu tun.
Vielmehr ist es ein Grundverständnis unseres demo-
kratischen Staates, zu dem Zwangsdienste einfach nicht
mehr passen.
Das andere ist: Meine Partei hat diese Forderung, die
Sie eben zitiert haben, seit zwölf Jahren nicht mehr im
Parteiprogramm. Falls Sie tatsächlich den Weg der Grü-
nen verfolgt haben sollten: Wir setzen uns hier für die
Interessen der Bundeswehr ein.
Es gehört zu diesem Interesse der Bundeswehr, dass
wir hier nicht nur über Militärpolitik diskutieren, sondern
die Reformen der Bundeswehr im Rahmen einer präven-
tiven Außen- und Sicherheitspolitik positionieren.
Die Europäische Union und auch die OSZE haben po-
sitive Anreize aufgenommen, die aus unserer Regierung
gekommen sind. Wir haben die präventiven Elemente ge-
stärkt. Wir wollen sie weiter stärken. Wir wollen auch die
Finanzen dafür aufstocken. Denn unser Ziel ist es nicht,
die Bundeswehr abzuschaffen, Herr Koppelin,
aber die Prävention so zu stärken, dass die Bundeswehr
möglichst wenig eingesetzt werden muss.
Für den Fall, dass es dann doch so sein sollte wie im
Kosovo – auch dieses Wort sollte in einer solchen Debatte
fallen ebenso wie der Dank an die Soldaten für das, was
sie dort in der Friedenskonsolidierung leisten –: Das Ziel
ist mehrdimensional, das heißt, Prävention stärken, Kon-
flikte verhindern bzw. Konflikte, wenn sie dann da sind,
mit einer Bundeswehr, die unser Vertrauen hat und dem-
entsprechend ausgerüstet ist, und mit Mandat der Verein-
ten Nationen lösen.
– Nein, mit Mandat, und im Zweifel, wenn es sein muss,
hat die Bundeswehr das Recht, dafür ausgestattet zu sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Beer,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Da
hilft uns nicht das Schreien nach mehr Geld und das Ver-
weigern von Reformen, sondern man muss beides zusam-
menführen. Genau das hat der Minister vorhin vorgestellt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Günther Nolting.
Frau Präsiden-tin! Frau Kollegin Beer, ich schließe mich der Frage desKollegen Koppelin an. Ich frage mich, ob Sie heute ei-gentlich als staatstragende Behüterin der Bundeswehrauftreten können, wenn ich an Ihre Forderungen der letz-ten Jahre – es ging bis hin zur Auflösung der Bundes-wehr – erinnern darf. Das steht heute noch in Ihrem gülti-gen Programm.
Sie mahnen hier die konstruktive Mitarbeit der Oppo-sition an. Der werden wir uns als Opposition nicht ver-schließen – nicht, weil Sie uns dazu auffordern, sondernweil wir darin auch unseren Auftrag sehen. Aber ich frageSie: Wo waren Sie eigentlich in den letzten Jahren, als Siein der Opposition waren, mit Ihren konstruktiven Vor-schlägen?
Ich will ein Beispiel nennen, das Sie hier gerade er-wähnt haben, nämlich die Öffnung der Bundeswehr fürFrauen – eine Forderung, die die F.D.P. seit 1987 stellt.Sie haben uns in den letzten Jahren immer vorgeworfen,wir wollten mit dieser Forderung und mit ihrem Umset-zen eine Militarisierung der Gesellschaft erreichen. Heutedient dies der Gleichberechtigung.Ich könnte viele, viele andere Beispiele nennen, FrauKollegin Beer, wo Sie Ihre Einstellung von heute auf mor-gen einfach über Bord geworfen haben.
– Ich möchte den Ausdruck „Wendehals“ jetzt nichtübernehmen, aber ich glaube, er könnte zutreffen.Ich frage mich, wo Sie eigentlich Ihre Glaubwürdigkeitin den letzten zwei Jahren hernehmen, wenn Sie alle grü-nen Prinzipien, die Sie einmal vertreten haben – die ichnicht für richtig halte; das will ich auch gleich sagen –,einfach an der Garderobe abgeben.
Herr Minister, Sie haben die Konsolidierung des Haus-haltes angesprochen. Ich sage Ihnen dazu – und zwar fürdie F.D.P.-Fraktion –: Ich darf den Verteidigungshaushaltnicht einfach mit den anderen Haushalten vergleichen;denn in der Sicherheitspolitik geht es um die höchstenWerte, die es zu verteidigen gibt, nämlich um Friedenund Freiheit. Das kostet nun einmal Geld. Dafür müssenwir auch Geld zur Verfügung stellen.Die Bundeswehr bedarf eines verlässlichen, demPostulat der Stetigkeit genügenden, aufgabengerech-ten Haushaltsrahmens für den gesamten Zeitraumder Neuausrichtung. Dieser Rahmen dürfte sich in
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Jürgen Koppelin11252
der Größenordnung der derzeitigen Verteidigungs-ausgaben bewegen. Für den Übergang werden zu-sätzliche Mittel gebraucht – Anschubfinanzierung.Nur so kann die Reform erfolgreich angegangenwerden.Meine Damen und Herren, dies ist ein Zitat aus demBericht derKommission „Gemeinsame Sicherheit undZukunft der Bundeswehr“ unter Leitung des Altbundes-präsidenten von Weizsäcker, einer Kommission, HerrMinister Scharping, die auf Ihre Initiative von der Bun-desregierung eingesetzt wurde, um eine zukunftsfähigeStruktur für die Bundeswehr zu erarbeiten.
Die gerade von mir zitierte Aussage ist richtig, wiegroße Teile des Berichts richtig sind. Nur sind der Vertei-digungsminister und die Bundesregierung – auch wennMinister Scharping sich heute bei den Mitgliedern derKommission bedankt hat – den Vorstellungen dieserKommission in den entscheidenden Punkten nichtgefolgt.Das ist fatal, das ist unverantwortlich. Die Folgenwerden tief greifend sein, und Sie, Herr MinisterScharping, tragen allein die Verantwortung dafür.
Sie werden weder Ihrer sicherheitspolitischen Verantwor-tung gerecht noch kommen Sie Ihrer Fürsorgepflicht ge-genüber den Angehörigen der Bundeswehr nach.Meine Damen und Herren, vor dreieinhalb Jahrenrichtete die SPD-Fraktion unter Führung des heutigenVerteidigungsministers eine Große Anfrage an die Bun-desregierung zum Thema „Lage und Zustand der Bun-deswehr“. In dem einführenden Teil wurde festgestellt,dass Deutschland Streitkräfte benötige, die personell undmateriell effektiv strukturiert, gut ausgebildet und modernausgerüstet sind.
– Diese Feststellung, Herr Kollege Zumkley, ist zweifel-los richtig. Sie gilt für die F.D.P. unverändert; das betoneich hier ausdrücklich.Aber die sich daraus ergebenden Konsequenzen warenoffensichtlich. Gefordert werden mussten erstens eineStreitkräftereform für eine leistungsfähige und attraktiveBundeswehr mit dem Ziel der Gliederung in Einsatz-streitkräfte und Basisorganisation sowie einer weiterenDifferenzierung der Wehrpflicht und Verkürzung ihrerMindestdauer auf das unbedingt notwendige Maß, zwei-tens eine Verringerung des Personalumfangs auf einesicherheitspolitisch vertretbare und staatspolitisch verant-wortbare Größenordnung, drittens eine Anhebung derFinanzmittel für Zeit- und Berufssoldaten, eine Höherdo-tierung der Einstiegsgehälter und eine schnelle Anhebungder Ostgehälter auf Westniveau, viertens eine Anhebungder investiven Ausgaben im Verteidigungshaushalt aufmindestens 30 Prozent und fünftens eine Steigerung derEffizienz der Bundeswehr durch Rationalisierung undPrivatisierung wo immer möglich.
Das, Herr Kollege Zumkley, steht nicht in dem Eck-pfeilerpapier des Verteidigungsministers, sondern ichhabe aus dem Wahlprogramm der F.D.P. von 1998 zi-tiert. Zwei Jahre sind seitdem vergangen, zwei Jahre rot-grüner Regierung, und in Sachen Bundeswehr sind wirleider noch keinen einzigen Schritt weiter.
Herr Minister, Sie haben zuerst die Kommission unterFührung unseres Altbundespräsidenten von Weizsäckereingesetzt. Als Sie erkannten, dass von dort die von Ihnengewünschten Ergebnisse nicht zu erwarten waren, beauf-tragten Sie den Generalinspekteur von Kirchbach mit derErstellung des so genannten Eckwertepapiers. Sie mach-ten dabei Vorgaben und erwarteten die Begründung. Siebenötigten offensichtlich eine krasse Gegenposition zumzu erwartenden Bericht der Kommission, um dann binnenweniger Tage ein eigenes Papier aus dem Hut zu zaubern,das Sie Ihren Planungschef ebenfalls parallel schreibenließen. Taktisch mag das aus Ihrer Sicht klug gewesensein. Ich verkenne auch nicht die Probleme, die Sie mitIhrem grünen Koalitionspartner haben. Aber es handeltesich um eine unverantwortliche Vergeudung von Res-sourcen und Zeit.
Meine Damen und Herren, es handelte sich – auch dasmuss offen angesprochen werden – ferner um eine Miss-achtung von soldatischer Loyalität und menschlicher Ge-fühle.
Der Generalinspekteur wurde vorsätzlich geopfert, umdie Grünen in die Schranken weisen zu können und umeine breite Diskussion über den Bericht der Weizsäcker-Kommission und über die Eckdaten der neuen Bundes-wehrstruktur schon im Keim zu ersticken. Ich halte dieseVorgehensweise für höchst unredlich, Herr Minister.
So geht man nicht mit Soldaten um, auch dann nicht,wenn sie an der Nahtstelle zur Politik eingesetzt sind.Auch dazu hätte ich heute gern etwas von Ihnen gehört.So geht man im Übrigen auch nicht mit den Mitgliedernder so genannten Weizsäcker-Kommission um.Zurück zu Ihrem Haushalt, zurück zu Ihren vermeint-lichen Reformvorstellungen und deren Realisierungs-chancen: Statt einer Verstetigung des Verteidigungshaus-halts bei wenigstens 47 Milliarden DM – ohne diebeschönigenden 2 Milliarden DM aus dem Einzelplan 60für Auslandseinsätze – präsentieren Sie uns einen Finanz-plafond von jetzt 45,3 Milliarden DM, Tendenz weiterabnehmend. Auch das, Herr Minister, ist die Wahrheit.Von Ihren Vorbehalten gegenüber den künftigen Haus-halten – wie das noch im letzten Jahr zum Ausdruckkam – war heute keine Rede mehr. Durch die Übernahmeder Gelder aus dem Einzelplan 60, die Sie heute aus-drücklich angesprochen haben, werden die Risiken größerwerden, nämlich dann, wenn zum Beispiel im Nahen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Günther Friedrich Nolting11253
Osten neue Einsätze geführt werden müssen. Auch dazuhat es von Ihnen – das wissen Sie – heute leider keine Aus-sage gegeben.Ich frage Sie auch: Was ist aus den großen Ankündi-gungen des letzten Jahres geworden? Was ist aus dem öf-fentlichen Versprechen des Kanzlers geworden, vonKürzungen im Verteidigungshaushalt abzusehen? Vonalledem ist nichts mehr übrig! 18,6 Milliarden DM anKürzungen bis zum Jahr 2003 – das ist, Herr Minister, dieWahrheit und auch darauf hätten Sie heute eingehen müs-sen. Angeblich soll es dann aber eine Festschreibung ge-ben. Ich sage dazu: Wer es glaubt!Die niederschmetternde Obergrenze des Verteidi-gungshaushaltes beträgt dann 43,7 Milliarden DM. Dassind die Realitäten, Herr Minister. Sie schmecken mirnicht.
Ich könnte Ihnen sogar abnehmen, dass sie Ihnen eben-falls nicht schmecken. Man konnte dies bei Ihrer Redeheute förmlich spüren. Aber was tun Sie dagegen?– Nichts!
Man sieht und hört Sie nicht angreifen, Sie verteidigennicht und selbst hinhaltend kämpfend sucht man Sie ver-gebens. Herr Minister, Sie ziehen vor dem Finanzministerden Kopf ein. Sie sind ganz offensichtlich auf der Flucht,und zwar auf der Flucht vor Realitäten und auf der Fluchtvor einem Glaubwürdigkeitsverlust.Ich glaube, Sie können auch nicht mehr anders.
Keine Ihrer heutigen Versprechungen werden Sie bei die-sem Haushaltsvolumen einhalten können. Sie haben unsheute nicht erklären können: Mit welchem Geld wollenSie die Bundeswehrausrüstung modernisieren? Mit wel-chem Geld wollen Sie den Beförderungsstau auflösen?Womit wollen Sie die höhere Einstiegsbesoldung finan-zieren, die Sie heute angekündigt haben? Wann könnenSie eine Wehrsolderhöhung bezahlen, die Sie früher all-jährlich angemahnt haben? Auch dazu haben wir heutenichts gehört.Ich frage Sie auch wie der Kollege Adam: Warum ha-ben wir im Osten unseres Landes immer noch eine gerin-gere Besoldung als im Westen? Wir werden in der nächs-ten Sitzung des Verteidigungsausschusses, wenn wir indie Haushaltsplanberatungen gehen, einen entsprechen-den Antrag stellen, der eine Stufenlösung – die aber rea-listisch sein muss – beinhaltet.Herr Minister, wenn Sie ehrlich zu sich selbst und unssind, glauben doch wohl auch Sie nicht ernsthaft daran,dass das neue Transportflugzeug, das Sie heute auch an-gesprochen haben, aus einem anderen als dem Einzel-plan 14 bezahlt werden wird. Wo haben Sie die Finanz-planung für dieses so wichtige Projekt?
Dazu haben wir heute nichts gehört.Herr Minister, Sie sprechen hier von bis zu 1 Mil-liarde DM – Sie haben es ja immer wieder betont: „biszu“! –, die Sie Ihrem Haushalt aus eigenerwirtschaftetenMitteln, also doch wohl, darüber sind wir uns sicher einig,vornehmlich aus Liegenschaftsverkäufen, zuführen dür-fen. Ich vertraue hier auf Fachleute und diese Fachleutehalten offensichtlich einen Betrag von maximal 300 Mil-lionen DM für realistisch.Sie haben hier die Einsparungen bei den Betriebsaus-gaben angesprochen. Sie wissen: Auch hier bleiben nur ei-nige wenige Millionen DM. Die Einnahmeseite IhresHaushaltes, Herr Minister Scharping, ist unseriös.Sie haben die Kooperationen mit derWirtschaft an-gesprochen. Als F.D.P. begrüßen wir das. Warum aberstellen Sie sich beim BWB hin und erklären vor den Mit-arbeitern, es würden keine Arbeitsplätze gestrichen, wennSie gleichzeitig Rahmenverträge mit der Wirtschaftschließen? Somit muss es ja wohl Ungleichgewichte ge-ben. Entweder Sie betreiben gegenüber der WirtschaftSymbolpolitik – das wäre schlimm – oder Sie haben denMitarbeitern des BWB nicht die Wahrheit gesagt. Neh-men Sie Abschied von Wunschträumen, Herr Minister,und handeln Sie realitätsbezogen!
Bauen Sie die neue Streitkräftestruktur auf ein sicheresFundament. Die Angehörigen der Bundeswehr haben esverdient, und zwar nicht erst durch ihren vorbildlichenEinsatz auf dem Balkan, wofür ich mich ausdrücklich be-danke.
Der Verteidigungshaushalt ist zu niedrig. Deutschlandrangiert mit den zukünftigen Verteidigungsausgaben aufeinem Abstiegsplatz in der NATO-Tabelle.
Das ist nicht nur blamabel, Herr Kollege Zumkley, das istauch undankbar gegenüber unseren Freunden, die klaglosüber mehr als vier Jahrzehnte unsere Sicherheit mit ho-hem Aufwand garantiert haben. Welch eine Doppelzün-gigkeit!
In Berlin bringt die Bundesregierung den niedrigstenHaushalt für Verteidigung ein, obwohl sich vor wenigenTagen in New York der Herr Bundeskanzler vor die Ver-einten Nationen gestellt und davon gesprochen hat, dassDeutschland jetzt in der Lage sei, auch außenpolitischmehr Verantwortung zu übernehmen. Wie denn, HerrMinister? Etwa mit der Erhöhung der Zahl der Krisen-reaktionskräfte um 10 000 Soldaten oder etwa mit der Lie-ferung einer Munitionsfabrik in die Türkei – aber keineLieferung der von der Türkei gewünschten Panzer – oderetwa mit der Pendeldiplomatie des Auswärtigen Amtesnach Tripolis, wo sich gestern der grüne Staatsministerund sein Chef die Klinke in die Hand gaben? – Das ist bei
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Günther Friedrich Nolting11254
aller Farbverwandtschaft nicht die außenpolitische Ver-antwortung, die ich mir für die F.D.P. wünsche, die dieWelt von uns erwartet und die unsere Mitbürgerinnen undMitbürger verdient haben.
Sie, Herr Minister, fordern bis heute die Stärkung derinternationalen Organisationen. Wenn man das will,dann muss man sich einbringen, vor allen Dingen auchmit den entsprechenden Finanzmitteln einbringen kön-nen. Aber das können Sie nicht. Verantwortungsüber-nahme besteht nicht aus Worthülsen, Schönrederei oderSymbolpolitik. Sie ist auch nicht zum Nulltarif zu be-kommen. Verantwortungsübernahme erfordert handfesteInvestitionen. Wir werden im Verteidigungsausschuss denEtat noch weiter behandeln. Die F.D.P. wird entspre-chende Anträge stellen.
Zum Abschluss möchte ich herausstellen: Die Bundes-wehrreform ist überfällig. Wir müssen einen wirklichenNeuanfang wagen, Herr Minister. Halbherzige Umstruk-turierungen, wie Sie sie vorhaben, lösen kein Problem.Die F.D.P. hat bereits im März letzten Jahres ein Konzeptvorgelegt, in dem Auftrag und Mittel kompatibel sind.Dies ist allerdings nur durch Reduzierung des Per-sonalumfangs, durch eine umfassende Umstrukturierungund bei einem Haushaltsansatz von 47 Milliarden DMmöglich.
Herr Minister, nur so kann die Bundeswehr auftragsge-recht organisiert, ausgerüstet und ausgebildet werden.Nur so ist die Bundeswehr zukunftsfähig. Das ist Ihre Ver-antwortung, Herr Minister. Kommen Sie ihr nach!Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Heidi Lippmann.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Mit der Einsetzung der Weizsäcker-
Kommission bestand die Chance, eine grundlegende
Reform der Bundeswehr zu vollziehen. Aber mit den na-
hezu zeitgleich vom Verteidigungsminister präsentierten
Eckwerten wurde die längst überfällige gesellschaftliche
Debatte nicht nur über die Zukunft der Bundeswehr, son-
dern vor allem auch über ihren künftigen Auftrag verhin-
dert. Das, was Sie, Herr Scharping, kurz danach dem
Kabinett vorlegten, ist insofern keine Zäsur in der Bun-
deswehrplanung, als Sie krampfhaft an der Wehrpflicht
festhalten und die Personalstärke der Streitkräfte mög-
lichst hoch halten wollen.
Die Zäsur besteht aber darin, dass die Bundeswehr jetzt
auf voller Breite zu einer Interventionsarmee umgebaut
werden soll. Das beginnt mit der Aufhebung der Trennung
von Hauptverteidigungskräften und Krisenreaktionskräf-
ten und dem Aufbau von 150 000 so genannten Einsatz-
kräften. Das setzt sich fort in den neuen Führungsstruktu-
ren der Streitkräfte, zum Beispiel durch Bildung von neuen
Einsatzführungskommandos für künftige Auslandsein-
sätze. Das beinhaltet weit reichende Umrüstungen und
Hochtechnologisierung durch Kommunikations- und
Führungsmittel zur optimalen Steuerung der Einsätze, Sa-
tellitenaufklärung und Verbesserung der Abstands- und
Präzisionsfähigkeit.
Und das endet bei Neubeschaffungen, zum Beispiel
von Kampfhubschraubern, dem immer teurer werdenden
Wahnsinnsprojekt Eurofighter und von neuen Transport-
flugzeugen zur Verbesserung der strategischen Verlege-
fähigkeit. Das heißt im Klartext nichts anderes, als dass
die neue Interventionsarmee künftig schnellstmöglich in
die neuen Krisengebiete transportiert werden sollen, nach
dem Motto: höher, schneller, weiter, schlagkräftiger und
letztendlich – vielleicht – auch tödlicher.
Das, was Ihre „Allparteienkoalition minus PDS“, wie
es das Ministerium immer so schön formuliert, als umfas-
sende Modernisierung der Streitkräfte bezeichnet, bedeu-
tet nichts anderes als den umfassenden Ausbau der
Kriegsführungs- und Interventionsfähigkeit der Bundes-
wehr. Es ist Augenwischerei, wenn die Landes- und
Bündnisverteidigung weiterhin als Kern des Auftrags be-
zeichnet wird, denn die Planungen sind darauf ausgerich-
tet, künftig mindestens zwei Kriegseinsätze parallel be-
wältigen zu können. Damit meine ich nicht Einsätze wie
KFOR und SFOR, sondern neue Einsätze wie zum Bei-
spiel im Nahen Osten oder rund ums Kaspische Meer, wo
ein Kampf um Öl geführt wird.
Natürlich steht die Bundeswehr dabei künftig nicht al-
lein. Sie wird durch die EU mit ihrer neuen Militärunion
unterstützt, die ihre Streitkräfte auf bis zu 200 000 Solda-
ten ausbauen will. Auch die NATO hat mit ihrem neuen
strategischen Konzept ihren neuen Daseinszweck festge-
schrieben: Kriseninterventionismus mit – wie man kürz-
lich lesen konnte – bis zu 450 000 Einsatzkräften.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Lippmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Hildebrecht Braun?
Nein, später.Den Vereinten Nationen als völkerrechtlich einzigemGaranten für den Weltfrieden und die internationale Si-cherheit werden in diesem Rahmen nur noch bestimmteuntergeordnete Dienstleistungsaufgaben zugestanden.Den ordnungspolitischen Rahmen setzt die NATO, wennes sein muss, auch völkerrechtswidrig oder – wie FrauBeer gerade so schön gesagt hat – „nach Möglichkeit“.Statt dagegen Widerstand zu leisten, trägt die Bundesre-gierung ganz aktiv zu dieser Entwicklung bei.Die neuen Wege, die das Verteidigungsministerium da-bei beschreiten will, sind ebenso undurchsichtig wie dieneuen Begriffe, zum Beispiel Outsourcing oder – wie derMinister gerade gesagt hat – Insourcing. Zwar hat Minis-ter Scharping von der Weizsäcker-Kommission den
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Günther Friedrich Nolting11255
Begriff der qualitativen Umrüstung übernommen, dochzugleich hält er an Überkapazitäten der Bundeswehr fest.Wie das unter dem Vorzeichen so genannter Sparhaus-halte zusammengehen soll, ist das Geheimnis des Minis-ters und seines neuen Generalinspekteurs mit ihrer – laut„Süddeutsche Zeitung“ – „rätselhaften Arithmetik“. Nichtnur unter diesen Aspekten ist der Einzelplanentwurf un-solide und unseriös.Mit der Übertragung bestimmter Dienstleistungsauf-gaben auf die Wirtschaft, Rationalisierungen bei den Per-sonal- und Betriebsausgaben und Gewinnen durch dieVeräußerung von bundeswehreigenem Vermögen sollenMittel frei gemacht werden für die geplante umfassendeModernisierung der Ausrüstung der Truppe, quasi als– Herr Breuer sprach es mehrfach an – Nullsummenspiel.Doch selbst das würde bedeuten, dass der Verteidigungs-haushalt auf beachtlicher Höhe bliebe.Gerade bei einem so entscheidenden Beschaffungspro-jekt wie dem Großraumtransportflugzeug Leertitel in denHaushaltsentwurf zu schreiben, zeigt nicht nur die Unse-riosität der Finanzierung des neuen strategischen Groß-raumflugzeuges, sondern ist schlichtweg gesagt – FrauPräsidentin, Sie mögen mir diesen nicht parlamentari-schen Ausdruck verzeihen – eine Verarschung derjenigen,die an diesem Haushalt arbeiten, die sich wie ein roter Fa-den durch den Haushalt zieht.
Finanzplanerische Vorgaben für den nächsten Bundes-wehrplan will Generalinspekteur Kujat zu einem späterenZeitpunkt einfügen. Ich frage Sie, Herr Minister: Soll dieÖffentlichkeit erst langsam an den Gedanken gewöhntwerden, dass der Rüstungshaushalt wieder nach oben ge-hen wird, oder hoffen Sie, auf der Hardthöhe auf Öl zustoßen?Zu befürchten steht auch, dass die in anderen NATO-Ländern zu konstatierende Trendwende auch bei uns Platzgreift. Nach einer Dekade vor allem volkswirtschaftlichbegründeter Rüstungsminderung scheint der Aufschwungbei den Rüstungsausgaben, in der Rüstungsproduktionund auch bei den Rüstungsexporten wieder da zu sein.Dass diese Entwicklung von Rot-Grün exekutiert wird,sollte nach dem Angriffskrieg, in den Sie die Bundesre-publik geführt haben, niemanden erstaunen. Aber als wiegut Rüstungsexporte nun auch von der SPD eingeschätztwerden, verblüfft doch etwas, verehrte Frau KolleginWohlleben. Dass Sie bei Ihrer Philosophie für das21. Jahrhundert allerdings auf Vergetius aus dem 4. Jahr-hundert vor Christus zurückgreifen müssen – „Wenn duden Frieden haben willst, sei kriegsbereit“ –, legt denSchluss nahe, dass Sie zur Praxis des Römischen Reicheszurückkehren wollen. Frau Kollegin, das, was eh und jegalt, hat auch eh und je zu Kriegen, zu Gewalt und zu Zer-störung geführt, im vorigen Jahrhundert zu zwei furcht-baren Weltkriegen.Wir wünschen uns, dass Sie zu Ihrem Berliner Pro-gramm aus dem Jahre 1989 zurückkehren – das ja wohlnoch gültig ist –, in dem es heißt:Das Ziel von Friedenspolitik ist es, Streitkräfte über-flüssig zu machen.Oder auch:Unser Ziel ist es, den Export von Waffen undRüstungsgütern zu verhindern.Die Rückkehr zu diesem Programm, in welchem dem töd-lichen und törichten Bellizismus eine strikte Absage er-teilt wird, ist auch in Regierungsverantwortung allemalerstrebenswerter als der Rückfall in vorchristliche Zeiten.Auch den Grünen empfehle ich einen Blick in ihr nochgültiges Programm, statt Rüstungsexporte aus Rücksichtauf amerikanische Interessen nicht weiter ausweiten zuwollen, wie wir es heute in der Replik von Frau KolleginBeer auf Frau Wohlleben in der „Financial TimesDeutschland“ nachlesen konnten.
Ich bin schon jetzt gespannt, wie die Grünen und auchSie, Frau Beer, reagieren werden, wenn nicht nur die Mu-nitionsfabrik in der Türkei installiert wird, sondern auchdie entsprechende Voranfrage nach Lieferung von500 000 Maschinengewehren positiv beschieden wird.Ich bin gespannt, ob Sie auch dann bereit sind, sich wie-der im Nachhinein, wenn die Entscheidung längst gefal-len ist, mit vollmundigen Wendungen gegen die Lieferungder Hardware zu Wort zu melden.
Dass die PDS diese Rückwärtswendung nicht mitmacht,brauche ich ebenso wenig zu betonen wie die Ablehnungdes vorliegenden Haushaltsentwurfs durch meine Frak-tion.Wir halten daran fest, dass es gerade die Aufgabe derBundesrepublik wäre, sich weltweit für Abrüstung und zi-vile Konfliktlösungen einzusetzen, für die Stärkung derOSZE und der Vereinten Nationen, für eine friedliche Eu-ropäische Union ohne eigene Streitkräfte und, langfristiggesehen, für den Abbau und für die Auflösung der Streit-kräfte weltweit, also auch in der Bundesrepublik Deutsch-land.Ein erster Schritt hierzu könnte die tatsächliche Redu-zierung der Bundeswehr sein und nicht der Umbau zu ei-ner Angriffsarmee. Nicht nur dem internationalen Frie-den, sondern auch dem sozialen Frieden in diesem Landewäre durch eine strikte Reduzierung der Rüstungsausga-ben gedient; denn die frei werdenden Mittel in Milliar-denhöhe könnten dann für die Schaffung von Arbeitsplät-zen, für soziale Aufgaben, für Bildung und auch zurSicherung der Renten genutzt werden. Dafür werden wirstreiten und nicht für die Erhöhung der Krisen- undKriegsfähigkeit, wie Sie sie hier die ganze Zeit exeku-tieren.Danke.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Heidi Lippmann11256
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Lippmann, auch wenn Sie selbst darauf hingewiesen ha-
ben, muss ich meiner Pflicht nachkommen und Ihnen sa-
gen, dass Sie ein Wort benutzt haben, das dem Stil des Ho-
hen Hauses nicht entspricht. Vielleicht hilft das nächste
Mal ein Blick ins Synonymwörterbuch ein Stückchen
weiter.
Allerdings haben Sie die Redezeit unterschritten und das
ist bei einer Debatte in diesem Hause sehr selten.
Nächster Redner ist der Kollege Peter Zumkley, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Die Bundesregierung hat die Eckwertefür die konzeptionelle und planerische Neuausrichtungder Bundeswehr vor der Sommerpause verabschiedet.Damit wurden unseres Erachtens wichtige Weichenstel-lungen vorgenommen, um die Bundeswehr zukunftsfähigzu gestalten.Mit dem Haushaltsentwurf 2001 wird für die Bundes-wehr nun ein erster Schritt hin zu einer sicheren finanzi-ellen Grundlage für die Durchführung der Reformen ge-schaffen, die weit über das Jahr 2001 hinaus umgesetztwerden.
Die Bundeswehr wird damit ihre veränderten Aufgabenerfüllen können. Die Vorschläge der Bundesregierung zurFinanzierung der Bundeswehr sind solide und fundiert.
– Der Opposition ist es erlaubt, eine andere Auffassung zuhaben. Das sage ich ausdrücklich.
Aber Sie müssen auch unsere Auffassung und vor allenDingen die Realität zur Kenntnis nehmen, Herr KollegeBreuer, lieber Paul.
Die notwendige Konsolidierung des Gesamthaushalteswird fortgesetzt. Hierzu leistet auch der Verteidigungsetatweiterhin seinen Beitrag. Durch die von manch einemnicht erwartete Ressortvereinbarung zwischen dem Fi-nanzministerium und dem Verteidigungsministerium er-hält der Verteidigungsminister, der am Zustandekommendieser Vereinbarung einen großen Anteil hat, beachtlichezusätzliche Finanzspielräume innerhalb des vorgegebe-nen Budgets, um auch die Strukturänderung angehen zukönnen. Sein Vorgänger wäre froh gewesen, wenn er dasbei seinem Finanzminister durchbekommen hätte.
Einsparungen, die durch Senkung der Betriebskostenund Straffung bzw. Neugestaltung der Finanzierungsfor-men erzielt werden,
verbleiben im Verteidigungsetat. Gleiches gilt für einenhohen Anteil der Erlöse aus dem Verkauf oder der Ver-mietung von Liegenschaften sowie aus der Veräußerungvon überzähligem Wehrmaterial.
– Werden wir auch.Mit diesen Entscheidungen kann die Bundeswehr imJahr 2001 bis zu 1 Milliarde DM und im Jahr 2002 bis zu1,2 Milliarden DM zusätzliche Mehreinnahmen erzie-len, vorausgesetzt, Herr Kollege Nolting, da stimme ichmit Ihnen überein, dass diese Erlöse auch realisiert wer-den können. Wir wissen, dass das schwierig ist.
– Es ist schwierig, aber, obwohl es nicht leicht ist– wir wissen das –, muss man zumindest energisch daranarbeiten. Wenn ich mich im Lande umschaue, dann seheich, auch in meiner Heimatstadt Hamburg, sehr wohl guteMöglichkeiten, in diesem Sinne voranzukommen, ohnedass die Bundeswehr deshalb beeinträchtigt wird.
Wir begrüßen, dass die für den Balkaneinsatz vorge-sehenen Mittel in Höhe von 2 Milliarden DM ab 2001jährlich im Einzelplan 14 ausgewiesen werden. Durch denso verstärkten Planfond wird eine solide Basis geschaffen,um mit den Reformen beginnen zu können und die Bun-deswehr qualitativ Zug um Zug zu verbessern. Die bis zu47,8 Milliarden DM in 2001 machen, verbunden mit derRessortvereinbarung, eine intelligente Finanzierung derBundeswehr möglich. Diese wurde im Übrigen auch vomNATO-Generalsekretär Robertson bei der internationalensicherheitspolitischen Tagung Anfang des Jahres in Mün-chen für alle Verteidigungshaushalte der NATO angeregt.Kürzungen während des Haushaltsjahres, wie sie von derCDU/CSU während ihrer Regierungszeit häufig prakti-ziert wurden, wird es mit uns nicht geben: besser eineknappe, aber ausreichende Festlegung der Mittel zu Be-ginn des Jahres als Kürzungen während des Haushalts-jahres, um die Löcher – damals hießen sie die waigelschenLöcher – im Haushalt zu stopfen. Die Bundeswehrbraucht verlässliche Planungen und finanzielle Sicher-heit.
Mit diesem Haushaltsentwurf setzen wir ebenfalls un-sere Bemühungen um soziale Verbesserungen für dieMenschen, die in der Bundeswehr dienen und arbeiten,kontinuierlich fort. So sind zum Beispiel
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– warten Sie es ab! – weitere Verbesserungen bei denPlanstellen und bessere Beförderungsmöglichkeiten vor-gesehen.
Unser Ziel bleibt es, den jahrelangen Beförderungsstau,der sich wegen Ihrer Untätigkeit aufgestaut hat, in dennächsten Jahren spürbar abzubauen. Auch die beruflicheFort- und Weiterbildung werden wir ausbauen und so denDienst in den Streitkräften attraktiver gestalten.
Unter dem Verteidigungsminister Helmut Schmidt sinddie Bundeswehruniversitäten geschaffen und somit denOffizieren eine breitere Bildung und ein akademischerAbschluss ermöglicht worden. Dies hat die Qualität unse-rer Offiziere nachhaltig verbessert.Unter dem jetzigen Verteidigungsminister werden dielängst fälligen neuen Laufbahnen Fach-Unteroffizier und-Feldwebel eingeführt.
Diese Laufbahnen sind mit der Facharbeiter- bzw. Meis-terebene vergleichbar. Beide Laufbahnen eröffnen denMannschaften und Unteroffizieren den raschen Einstiegin einen anspruchsvollen militärischen, aber auch zivilbe-ruflichen Werdegang.Auch bei den Investitionen, meine Damen und Her-ren, wird es keinen Stillstand geben. Wichtige Rüstungs-vorhaben werden fortgesetzt bzw. neu definiert.
Die zusätzlich erwirtschafteten Mittel, Herr KollegeRossmanith, aus interner Optimierung und Veräußerungvon Liegenschaften und Wehrmaterial sollten für zusätz-liche Investitionen genutzt werden. Damit wird der Wegzur Konsolidierung der Ausrüstung der Bundeswehr fort-gesetzt. Nationale und internationale Verträge werdeneingehalten. Da helfen auch nicht die Schreckensnach-richten, die Sie immer vor irgendwelchen Vorhaben ver-breiten.Die Reduzierung der Stärke der Bundeswehr ist inder Bevölkerung weitgehend unstrittig und angesichts derveränderten verteidigungspolitischen Lage auch vernünf-tig. Die hierzu notwendigen Maßnahmen werden sozial-verträglich, ohne betriebsbedingte Kündigung und für dieBetroffenen transparent und planbar gestaltet, wie es derMinister heute hier auch ausgeführt hat. Wir unterstützendas.
Die zu treffenden Standortentscheidungen wird meineFraktion mit äußerster Sorgfalt begleiten. In erster Liniegeht es um die Optimierung der Standorte und nicht umderen Schließung.
Strukturelle Gegebenheiten und die gesellschaftliche Ein-bindung der Soldaten und ihrer Familien werden wir be-sonders gewichten.
In dem Zusammenhang: Unterlassen Sie, liebe Kolle-ginnen und Kollegen der Opposition, die konsequentenVerunsicherungskampagnen in den Standorten! Das wirdauf Sie zurückfallen.
Wir beobachten das seit geraumer Zeit; es fällt auf Siezurück. Bleiben Sie sachbezogen. Das ist auch für unsereSoldaten besser.
– Ich brauche nur an gewisse Flugblattaktionen, gerade inBayern, zu erinnern. Da haben Sie ein Beispiel und es gibtauch noch mehr.
Gefragt sind jetzt ideenreiche neue Aktivitäten, die diealten, ausgetretenen Pfade verlassen. Ich bin sicher, dasses hoch motivierte Kräfte in und außerhalb der Bundes-wehr gibt, die für diese neuen Wege aufgeschlossen sindund mithelfen, die Bundeswehr zukunftsfähig zu gestal-ten. Wir werden das jedenfalls parlamentarisch positiv be-gleiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt der
Kollege Dietrich Austermann für die Fraktion der
CDU/CSU.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Nach der bereits länger an-dauernden Debatte ist es, glaube ich, wichtig, dass maneinmal zusammenfasst, über welche Zahlen wir eigentlichreden, insbesondere nach dem Beitrag des KollegenZumkley.Ausgangspunkt sollte der Haushalt des Jahres 1998sein – damit man weiß, worauf sich höhere oder niedri-gere Zahlen beziehen. Der Verteidigungshaushalt 1998hatte ein Ist von 47 Milliarden DM. In dem jetzt vorlie-genden Haushalt wird diese Zahl – ohne den Zuschlag fürdas Kosovo, eine zusätzliche Aufgabe; sonst bräuchteman dafür kein zusätzliches Geld – auf 44,8 Milliar-den DM gesenkt. Das ist ein Faktum. Mit diesen 44,8Mil-liarden DM – das sind ja deutlich weniger als 47 Milliar-den DM – wird der Verteidigungsminister nicht alles, waser verspricht, durchsetzen können.Dass er davon selbst überzeugt ist, ergab die Diskus-sion über das Haushaltssanierungsgesetz, die wir Vertei-digungspolitiker und Haushaltspolitiker vor etwa einem
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Peter Zumkley11258
Jahr gemeinsam geführt haben. Damals sprach der Minis-ter von dem Haushalt für dieses Jahr, der seinerzeit nochgünstiger aussah, als einem Nothaushalt, als einem Über-gangshaushalt, der praktisch das Ende der Fahnenstangemarkiere. Das heißt, der jetzt vorgelegte Haushalt für2001 enthält weniger, als der Verteidigungsminister es voreinem Jahr für die Bundeswehr für erforderlich gehaltenhat.Die Aufgaben sind in der Tat nicht weniger geworden.Wenn man das addiert, was großmundig angekündigtworden ist – es werde eine Planstellenverbesserung vor-genommen, der Beförderungsstau werde beseitigt, zu-sätzliche Beschaffungen würden getätigt –, dann kommtman zu einem noch größeren Fehlbetrag als dem, den wirjetzt tatsächlich haben.Der Kollege Wieczorek hat sich in seiner Frage an denKollegen Breuer vorhin erkundigt, wie er das eigentlichalles wissen könne, die Regierung habe den Haushaltdoch noch gar nicht überwiesen. – Sie als alter Kollegeund ehemaliger Haushaltsausschussvorsitzender solltenwissen, dass es in der Regel so ist, dass das Kabinett denHaushaltsentwurf beschließt, ihn dem Parlament zuleitet,das die erste Lesung durchführt, nachdem es ihn sich an-geschaut hat, und dass das Parlament ihn dann an denHaushaltsausschuss bzw. die anderen Ausschüsse über-weist.Nun haben wir uns angeschaut, was wir überwiesen be-kommen haben und jetzt weiterüberweisen. Wenn ich mirden Haushaltsentwurf anschaue und das mit dem verglei-che, was ich hier und da aus dem Finanzministerium unddem Verteidigungsministerium höre, stelle ich fest: Es istkein Stein mehr auf dem anderen. Finanzministerium undVerteidigungsministerium sind zurzeit in Verhandlungen,um den Haushalt völlig umzustricken, weil er so, wie ervorgelegt worden ist, nicht realisiert werden kann.
– Das Finanzministerium, Frau Kollegin. – Das Finanz-ministerium hat sich sogar ausdrücklich dagegen ge-wandt, dass die Vorschläge, die aus dem Verteidigungs-ministerium kommen, von zu hohen Personalausgabenausgehen. Das heißt, es soll noch mehr Personal abgebautwerden. Dabei pfeifen es die Spatzen von den Dächern,dass Sie entgegen angekündigter Pläne im nächsten Jahr10 000Wehrpflichtige mehr nicht einziehen wollen, als esbisher geplant war, um dadurch Geld zu sparen.
Die Frage, wie das mit der Wehrgerechtigkeit zu verein-baren ist, ist noch nicht beantwortet worden.Dieser Haushalt ist so, wie er vorgelegt worden ist,nicht beratungsfähig. Zu diesem Schluss kommt man ins-besondere dann, wenn man erkennt, dass Sie von dem ge-sellschaftlichen Konsens bezüglich einer landes- undbündnisverteidigungsfähigen Armee weg und hin zu einerisolierten Interventionsarmee wollen.
– Schauen Sie sich doch die Begründung bezüglich derBeschaffungsfrage an! Schauen Sie sich doch an, was Siebei der Rüstungsklausur erreichen wollten! Nachdem derHaushalt aufgestellt war, gab es im August eine Rüstungs-klausur,
um zu sehen: Wie kommen wir mit dem vorhandenenGeld unter dem Strich aus? Was war das Ergebnis dieserPriorisierung, also der Einordnung der Rüstungsprojekte?Alle 41 Projekte sind gleichermaßen wichtig, aber allenicht bezahlbar.
Ich gehe noch über das hinaus, was hier schon zumGroßflugzeug gesagt worden ist. Für die Kosten von rund9,5 Milliarden DM gibt es keinen Etatansatz. Das soll so-lide Haushaltspolitik sein? Ergänzend füge ich die An-schaffung der Korvetten hinzu.
– Es ist klar, dass wir die Anschaffung noch nicht be-schlossen haben. Aber, Herr Kollege Zumkley, Sie wis-sen, dass wir in den Jahren ab 1995 einen steigenden Ver-teidigungsetat hatten. Dies wurde damit begründet, dassbestimmte Großbeschaffungen getätigt werden müssten.
Für die Korvetten gibt es aber keinen einzigen Ansatz imHaushalt.
Ich könnte auch die Satellitenaufklärung erwähnen.Der Minister hat ja davon gesprochen, welche Projekte in-teressant sind. Er hat Tagungen angeführt, auf denen mansich über bestimmte Projekte verständigt hat. Er hat inFarnborough schon die Beschaffung von 73 Flugzeugenunterzeichnet. Bloß die Finanzierungsgrundlage dafürfehlt ihm. Er hat die Mittel für diese Beschaffungen nicht.
Diese Priorisierungskonferenz im August unter Leitungvon Herrn Kujat – ich hätte ihn heute gerne hier gesehen;aber es ist ja wohl kein Inspekteur anwesend –
– nein, ich sehe keinen Inspekteur hier –
sollte ja das Ziel erreichen, dazu beizutragen, dass mandie Beschaffungsvorhaben und die Finanzmittel in Ein-klang bringt. Eine ordentliche Ressortabstimmung istaber nicht erfolgt. Scharping konnte sich mit Eichel erstso spät einigen, dass die Erstellung eines ordentlichen Re-gierungsentwurfs und eine Beschlussfassung im Kabinettnicht mehr möglich waren.
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Dietrich Austermann11259
Es steht deshalb zu erwarten, dass wir in den nächstenWochen – wir mussten den Berichterstattertermin zur Be-ratung ja verschieben – eine umfangreiche Plus-Minus-Liste bekommen, um überhaupt eine parlamentarischeBeratung durchführen zu können. Es ist bezeichnend,dass die Grundlagen für die Finanzausstattung wesentli-cher Teile der Ausrüstung der Bundeswehr, die auf derRüstungsklausur geschaffen werden sollten, bis heute– Monate nach der Beschlussfassung durch das Kabinett –nicht da sind. Eine seriöse Materialplanung des Gene-ralinspekteurs als unverzichtbare Grundlage einer mittel-fristigen Finanzplanung der notwendigen Investitionenliegt bis heute nicht vor.Was es in der Tat allerdings gibt, sind Zwischenent-scheidungen. Wir sehen hier und da Entscheidungen inBezug auf die eine oder andere Kaserne. Nicht wir zün-deln, sondern einzelne Vertreter von der Hardthöhe. Derzuständige General der Heeresflieger erzählte auf einerKonferenz den anwesenden Kommandeuren, welcheStandorte erhalten bleiben. Er sagt aber nicht, welchenicht erhalten bleiben.
Ich frage ganz konkret – ich habe letztes Jahr eine ent-sprechende Frage gestellt, die dann falsch beantwortetwurde; deswegen scheue ich mich ein bisschen, die Frageerneut zu stellen –: Was wird aus dem einzigen Heeres-fliegerstandort in Schleswig-Holstein?
Es gibt eine Aussage des zuständigen Generals, welcheKasernen geschlossen werden sollen. Wir bekommenaber dauernd neue Listen. Ich habe eine Liste vorliegen,nach der 35 Schiffe innerhalb der nächsten drei Jahreaußer Dienst gestellt werden sollen. Davon sind etwa1 000 Soldaten betroffen. Was ist eigentlich mit der Nach-folgeaufgabe für diese Marinesoldaten, die bisher einewichtige Aufgabe wahrgenommen haben?Es gibt also keine konkrete Haushaltsvorlage, auf de-ren Grundlage man berechtigterweise Entscheidungentreffen könnte. Der Haushalt, den Sie uns vorlegen, ist einNothaushalt. Sie können nicht gleichzeitig zwei Problemelösen, also erstens das Problem verringerter Ausgabenin einem chronisch unterveranschlagten Haushalt durchEinsparung im Betrieb und zweitens das Problem zusätz-licher Beschaffungen.Lassen Sie mich etwas zum Thema Privatisierungs-erlöse sagen. Herr Zumkley hat ja versucht, den Eindruckzu erwecken, als könnte man über die Privatisierung in ei-ner bestimmten Größenordnung zusätzliches Kapitalgewinnen.
Dazu will ich folgende Berechnung vortragen: DiePrivatisierungserlöse sind von Jahr zu Jahr zurückgegan-gen. Sie sind deshalb zurückgegangen, weil praktischkein verfügbares Material der NVA mehr vorhanden ist.Angesetzt ist im Haushalt – über den Zufluss hinaus –ein Betrag in der Größenordnung von etwa 450 Milli-onen DM. Das ist weniger als im letzten Jahr. Hinzusollen jetzt Privatisierungen in der Größenordnung von1,2 Milliarden DM kommen. Da es im letzten Jahrnicht gelungen ist, Privatisierungen in dem geplantenUmfang zu realisieren – wie gesagt, 500 Millionen DMkonnten nicht mehr erzielt werden –, addiere ich zu die-ser Summe die neu vorgesehenen Erlöse in Höhe von1,2 Milliarden DM.Sie wollen also Privatisierungen in Höhe von 1,7 Mil-liarden DM realisieren? Wo denn? Man hört allerdings,dass an der einen oder anderen Stelle Beamte beauftragtwerden, noch einmal nachzusehen, welche Grundstückeman verscherbeln kann. Die Bundeswehr besaß 19909 000 Grundstücke. Jetzt hat sie noch 4 000. Das Problemist, dass die meisten dieser Grundstücke heute besetztsind. Dort befinden sich Kasernen, Wehrbereichs- undStandortverwaltungen sowie Kreiswehrersatzämter.
Vielleicht wollen Sie die Grundstücke ja auch in ver-fassungswidriger Weise verkaufen. Auch dafür gibt es ge-wisse Indizien, zum Beispiel seitens der Landesregierungvon Schleswig-Holstein. Man verkauft zum Beispiel dasGebäude der Wehrbereichsverwaltung in Düsseldorf undmietet es dann wieder zurück, und zwar so lange, bis einneues Gebäude zur Verfügung steht. Das haben dieSchleswig-Holsteiner versucht. Das Bundesverfassungs-gericht hat dazu festgestellt, das sei eine unerlaubte Kre-ditaufnahme. Ich warne vor diesem Weg.Wie wollen Sie denn sonst an die geplanten Grund-stückserlöse herankommen? Die genannten 1,7 Milliar-den DM sind mit einem riesigen Fragezeichen versehen.Wenn Sie diese Erlöse nicht erzielen, bricht in Ihrem Etatder gesamte Teil, der die Beschaffungen betrifft, zusam-men. In diesem Punkt sollten Sie den Soldaten und den zi-vilen Mitarbeitern eine klare Auskunft geben. Denn dasEinzige, was noch bleibt, ist, im Personalbereich kräftigeEinschnitte vorzunehmen. Die Zusammenarbeit mit derWirtschaft existiert doch bloß auf dem Papier. Da hat mangroße Verträge gemacht und alle, IHK usw., haben unter-zeichnet. Was ist denn daraus bisher geworden? – Null!Ich nenne zum Beispiel die Wehrtechnischen BetriebeSchleswig-Holstein, weil ich deren Situation am ehes-ten beurteilen kann. Es ist festzustellen, dass die Depot-instandsetzer auf dem Zahnfleisch gehen und pausenlosPersonal entlassen.
Die Systeminstandsetzungszentren der Bundeswehr hin-gegen haben kräftig zu tun, die Depotinstandsetzer abernicht. Die wehrtechnischen Unternehmen warten auf neueAufträge. Sie, Herr Minister, klopfen sich auf die Schul-ter wegen der Korvette, wegen Etrus und wegen desGroßflugzeugs. Aber die Aufträge können doch nicht er-teilt werden, wenn kein Geld vorhanden ist. Eine bessereZusammenarbeit mit der Wirtschaft, was den Haushalt be-trifft, findet nicht einmal auf dem Papier statt, allenfalls inden Köpfen derjenigen, die den Menschen, den Soldatenund den wehrtechnischen Betrieben etwas vorgaukelnwollen.
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Dietrich Austermann11260
Es ist völlig abwegig, anzunehmen, dass sich dadurch,dass man eine neue Behörde schafft – denn nichts anderesist die GEBB –, die bestehenden Probleme von alleine lö-sen. Für die Dame, die an der Spitze dieser Behörde steht,und deren sechsstelliges Gehalt habe ich ja Verständnis.Aber Sie können doch nicht annehmen, dass Sie dadurchdie VOB oder andere Bestimmungen außer Kraft setzenkönnen. Diese zusätzliche Behörde ist genauso überflüs-sig wie die weiteren Truppenteile, die geschaffen werdensollen. Dies alles bedeutet mehr Bürokratie.
Deswegen sind wir für eine behutsame Weiterfüh-rung der von uns eingeleiteten Modernisierung, HerrZumkley.
Sie sollten sich einmal erinnern, wie damals unter Betei-ligung des Parlaments vorgegangen worden ist: Zu Be-ginn gab es eine umfangreiche Liste des Ministeriumsüber Standorte, die möglicherweise geschlossen werdensollen. Im Parlament gab es eine intensive Diskussion undhinterher die Entscheidung des Ministers.
– Selbstverständlich auch unter Einbeziehung der Länder.Denn einige Länder sind aufgrund hoher Standortzahlenbesonders betroffen.Wie läuft es diesmal? Diesmal gibt es Listen, die kei-ner kennt und die keiner gesehen haben will. Es gibtGerüchte sowie hier und da eine Entscheidung. Aber esgibt in keinem Falle Gewissheit für die Beteiligten undkeine klaren Aussagen, was die Zukunft der jeweiligenStandorte bzw. der jeweiligen Einheit betrifft.
Ich habe das, bezogen auf die Heeresflieger bzw. aufSchleswig-Holstein, ziemlich eindeutig dargelegt.Wir haben also im Bereich der Bundeswehr erstens sin-kende Finanzplanzahlen. Wir haben zweitens sinkendeBeschaffungsmittel. Drittens sind Modernisierungsmittelnicht vorhanden. Der Minister selber hat noch vor einigerZeit in Bezug auf die Beschaffungsmaßnahmen dernächsten Jahre von einer Lücke von 15MilliardenDM ge-sprochen. Die so genannte Reform ist nicht finanziert.Haushalt und Konzepte stimmen trotz pausenloser Be-sprechungen, Papiere und Privatisierungstreffen und der-gleichen nicht überein. Die Zusammenarbeit mit derWirtschaft läuft schlechter, sie wird scheitern. DiePersonalplanung und die Konzepte stimmen ebenfallsnicht überein. Ein Beispiel dafür sind noch einmal 10 000Wehrpflichtige weniger im nächsten Jahr. Der Exportwird eingeschränkt, sodass die Unternehmen auch darauskeinen Honig für die weitere Entwicklung werden saugenkönnen. Im Jahre 1999 sah das noch ein wenig anders aus.Deswegen sagen wir: Ohne zusätzliche Mittel kommtdie Bundeswehr nicht zurecht. Wir haben Vorschläge dazuvorbereitet und werden in den Haushaltsberatungen dafürsorgen, dass die Bundeswehr zumindest das Niveau desJahres 1998 wieder erreichen wird. Das heißt, wir brau-chen 47 Milliarden DM; denn ohne dieses Geld könnenSie eine Reform, die zunächst einmal mehr kostet, nichtbewältigen.Wir werden sehen, welche Position Sie bei den Stand-orten haben; wir werden sehen, wie Sie sich bei den Ent-scheidungen über die Anträge, die wir vorlegen, um dieBundeswehr in ein sicheres Fahrwasser zu bringen, ver-halten werden.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt der
Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! GestattenSie zunächst eine Vormerkung. Es ist inzwischen zu ei-nem Ritual der Opposition geworden, den Grünen beiverteidigungspolitischen Debatten Positionen von vorvier Jahren vorzuhalten.
Sie verkennen dabei zweierlei. Sie verkennen erstens,dass wir als Partei und Fraktion gerade im Zusammen-hang mit den Kriegen auf dem Balkan schmerzhafte Er-fahrungs- und Lernprozesse durchgemacht haben. Ichweiß nicht, was daran verwerflich ist. Im Gegenteil: Sol-che Erfahrungsprozesse durchzumachen und darüberauch mit vollem Risiko in der Öffentlichkeit zu dis-kutieren, ist für die Politik in der Demokratie ehrenwert.
Sie verkennen zweitens völlig und haben es offen-sichtlich auch nicht zur Kenntnis genommen, dass dieBundesdelegiertenversammlung der Grünen in Münstervor einigen Monaten eine klare Neubestimmung der grü-nen Partei zur Bundeswehr in der Friedens- und Sicher-heitspolitik vorgenommen hat.Ich komme jetzt zur Sache. Vor kaum vier Monatenlegte die Wehrstrukturkommission unter Richard vonWeizsäcker ihren Bericht vor, der wegen seiner Gründ-lichkeit allseits gelobt wurde. Ich habe allerdings den Ein-druck, dass wir zu sehr beim Lob des Berichts stehen blei-ben und ihn in der realen Diskussion viel zu wenigberücksichtigen. Es bleibt aber dabei, was damals gesagtwurde: dass dieser Bericht weiterhin eine Messlatte füreine gründliche Bundeswehrreform ist.
Vor drei Monaten beschloss das Bundeskabinett dievom Verteidigungsminister vorgelegten Eckpfeiler füreine gründliche Bundeswehrreform. Dieser Kabinetts-beschluss über die Eckpfeiler gilt nun.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Dietrich Austermann11261
In den letzten Monaten war die Exekutive beim An-schieben der Bundeswehrreform eindeutig bestimmend.In den nächsten Wochen und Monaten kommt es ganz ent-scheidend darauf an, dass auch das Parlament seinen soli-den Beitrag zur Bundeswehrreform leistet und dieseChance nicht durch bestimmte Arten von Debatten, wiesie heute zum Teil wieder geführt wurden, kaputt macht.
Die Einhaltung der mittelfristigen Finanzplanung auchdurch den Einzelplan 14 ist unumgänglich. Alles anderewürde eine Bresche in das Konsolidierungsprogrammschlagen und es praktisch zum Einsturz bringen. Aber,meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich erin-nere mich noch sehr deutlich: Ich hatte in der vergange-nen Legislaturperiode als neuer Parlamentarier tatsäch-lich die Erwartung, Konservative würden vernünftig undsolide mit Geld umgehen und könnten solide planen. Eswar für mich eine völlig neue Erkenntnis, welche Halb-wertzeiten, welche Verfallsdaten bei den von Ihnenaufgestellten Bundeswehrplänen bestanden.
Die Kritik, die Sie an der Bundeswehrplanung der neuenRegierung vorbringen, ist reichlich überzogen und aufge-blasen. Die angegebenen Daten spiegeln wider, dass diePlanung für die Bundeswehrreform äußerst ehrgeizig ist.Aus unserer und – so glaube ich – auch aus der Sicht allerist nur zu wünschen, dass dabei die Gründlichkeit nicht zukurz kommt.Wir begrüßen ausdrücklich die Zusammenführung vie-ler bisher bei den Teilstreitkräften angesiedelter Aufgabenbei der neuen Streitkräftebasis. Damit können eine erheb-liche Effektivitätssteigerung und Rationalisierungsef-fekte erzielt werden. Wir begrüßen die Neuordnung derLaufbahngruppen und die geplanten Attraktivitätssteige-rungen. Sie sind notwendig, um eine qualitativ gute Re-krutierung der Bundeswehr zu gewährleisten. Diese istwirklich unverzichtbar.Das Bundeskabinett beschloss im Juni dieses Jahres,an der Wehrpflicht festzuhalten. Der Beschluss der Bun-desregierung steht damit und gilt zumindest für dieseLegislaturperiode.
– So ist das immer. Nichtsdestoweniger bleibt diesesThema natürlich auf der Tagesordnung der öffentlichenDiskussion. Die Verkürzung des Wehrdienstes von zehnauf neun Monate, die Flexibilisierung des Wehrdienstesund schließlich auch die Tatsache, dass nicht alle verfüg-baren Wehrpflichtigen eingezogen werden können,
laufen de facto auf eine gewisse Schrumpfung der Wehr-pflicht hinaus. Wir müssen jedoch sehr darauf aufpassen,dass es bei dieser Neugestaltung der Wehrpflicht nicht zuneuen Wehr- und Dienstungerechtigkeiten oder Ungleich-behandlungen zwischen den Betroffenen kommt.
Die F.D.P. – Sie haben gerade dazwischengerufen; da-her komme ich direkt auf die F.D.P. zu sprechen – wird amkommenden Wochenende das Thema „Wehrpflicht“ be-handeln.
Wir verfolgen – dies kann ich offen sagen – Ihre Diskus-sion natürlich mit großem Interesse. Allerdings drängtsich bei uns der Eindruck auf, dass es den Betreibern die-ser Diskussion, insbesondere Herrn Möllemann,
vor allem darum geht, ihr parteipolitisches Image zuschärfen und diese Diskussion für den innerparteilichenMachtkampf zu nutzen. Für Sie, Kollege Nolting undKollege van Essen, wird sich wahrscheinlich in der nächs-ten Woche die Frage stellen, inwieweit Sie in verteidi-gungspolitischen Fragen für Ihre Fraktion und für IhrePartei noch glaubwürdig sprechen können.
In grundlegenden Fragen – das ist hier bisher noch fastgar nicht angesprochen worden – besteht weitgehendKonsens. Die PDS steht eindeutig dagegen; aber im Übri-gen besteht Konsens hinsichtlich der Forderung, die Zahlder Einsatzkräfte deutlich zu erhöhen. Auch – das wird diePDS möglicherweise überraschen – die Friedensfor-schungsinstitute sagen in ihrem Friedensgutachten: Wirbrauchen eine erhebliche Steigerung der Zahl der Ein-satzkräfte. Mit der besagten Ausnahme besteht auch Kon-sens darüber, dass daraus eine entsprechende Modernisie-rung vor allem der militärischen Fähigkeiten Führung,Aufklärung, Transport usw. resultiert. Dies ergibt sichzwingend aus den Anforderungen des Dauereinsatzes inBosnien und im Kosovo. Die PDS schleicht um dieseKonsequenz ständig und notorisch herum. Dieser Heraus-forderung stellt sie sich nicht. Dies resultiert ferner ausden internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik,einschließlich der in Kap. VII der Charta der VereintenNationen. Auch dies wird von der PDS gerne vergessen.Wir sollten uns dabei nichts vormachen. Mit dieserstrukturellen und ausrüstungsmäßigen Modernisierungschaffen wir zugleich eine umfassende militärischeInterventionsfähigkeit. Im Unterschied zu manchenNATO-Partnern fühlen sich die Fraktionen dieses Hauses,die Bundesregierung und auch die militärische Führung– so habe ich das in der Vergangenheit bis heute erlebt –einer Politik der militärischen Zurückhaltung eindeutigverpflichtet.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Winfried Nachtwei11262
Aber wer kann garantieren, was mit der modernisiertenBundeswehr, mit der objektiv interventionsfähigen Bun-deswehr
in zehn Jahren usw. von anderen politisch Maßgebendengemacht wird? Das ist ein Problem, bei dem wir nichtwegsehen dürfen.
– Kollege Rossmanith, Sie haben es, glaube ich, nochnicht verstanden.Deshalb kommt es ganz entscheidend darauf an, dasswir in Politik und Gesellschaft eine Diskussion und Ver-ständigung über bestimmte Schlüsselfragen erreichen.Erstens – auch das ist heute nur kurz angedeutet wor-den, gestern in der Debatte zum Einzelplan 05 schon et-was mehr –: Welche Rolle will und soll das gewachseneDeutschland in der internationalen Politik spielen? Dagibt es oft eine erhebliche Diskrepanz zwischen äußerenErwartungen und der Binnenwahrnehmung bei uns.Zweitens. An welche Werte und Interessen soll bzw.muss ein auswärtiger Einsatz der Bundeswehr im Rahmender Krisenbewältigung gebunden werden? Da gibt esbisher in der Diskussion noch sehr viel Unklarheit etwaüber die sehr unscharfen Begriffe der humanitären Inter-vention oder der Verteidigung von vitalen Interessen. Dagibt es sehr viel Unklarheit und sehr viel Klärungsbedarf,und zwar nicht nur in den kleinen sicherheitspolitischenZirkeln. Da kann man sich vielleicht noch relativ schnelleinigen – oder auch nicht. Es gibt sehr unterschiedlicheTendenzen. Ich sagte ja: Hier geht es um eine breite Ver-ständigung, die in der Politik und in der Gesellschaft zu-stande gebracht weren muss.Eine dritte Schlüsselfrage: Was kann denn Militär zurKrisenbewältigung konkret beitragen? Wir sehen es ander positiven Antwort jetzt im Kosovo, in Bosnien usw.
Der Kosovo-Luftkrieg aber hat uns zugleich gezeigt, dasses erhebliche Fragen gibt. Wer von Ihnen in der Sommer-pause die BBC-Dokumentation zum Kosovo-Luftkrieggesehen hat, dem haben sich noch sehr viel mehr Fragengestellt. Auch dies müssen wir noch genauer diskutieren,um zu einer breiteren Verständigung zu kommen.Minister Scharping bekräftigte vorhin in seiner Rededie Einbettung der Bundeswehrreform in ein Konzept ge-meinsamer Sicherheit und er betonte den Vorrang despräventiven Einsatzes in der Sicherheitspolitik. Die Ko-alition wird in den nächsten Wochen und Monaten unterBeweis stellen, dass das für uns eben kein Anspruch inSonntagsreden ist, sondern dass wir das in die Tat umset-zen wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner für
die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Kurt Rossmanith.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundes-minister Scharping hat ja heute wieder in gesetzten Wor-ten eine Reform angekündigt oder dargestellt, von der wir,wenn wir das Dokument betrachten, über das wir heutediskutieren, nämlich den Haushaltsentwurf 2001 für denBundesminister der Verteidigung, den Einzelplan 14, fest-stellen müssen, dass es sich in der Tat nur um ein riesen-großes Experiment mit einer Vielzahl von Unbekanntenund auch mit einigen äußerst kühnen Annahmen handelt.Die von Ihnen, Herr Bundesminister Scharping, verord-nete Methode „Hungerkur und Vertrauen auf Selbsthei-lung“ ist nämlich angesichts des Ziels, moderne und leis-tungsfähige Streitkräfte aufzubauen, von vornherein zumScheitern verurteilt. Das hat diese Debatte deutlich ge-macht; insbesondere die Redebeiträge der Vertreter derKoalitionsfraktionen haben dies aufgezeigt.Ich glaube, dass ohne die Bereitschaft zu einer massi-ven Anfangsinvestition die im Grunde guten Schlag-worte „Interne Optimierung“ und „Rationalisierung“ ei-nen sehr zynischen Beigeschmack erhalten. Auch wir vonder CDU/CSU waren immer der Ansicht, dass durch Ra-tionalisierung und betriebsinterne Maßnahmen, durchsinnvolle Privatisierung und auch entsprechende Zusam-menarbeit mit der Wirtschaft durchaus signifikante Ein-sparpotenziale zu gewinnen sind. Dies haben wir durchdie Einführung der Kosten-Leistungs-Verantwortung unddes Market-Testing-Verfahrens in der Bundeswehr auchunter Beweis gestellt. Wir unterstützen Sie, wenn Sie diesentsprechend weiterentwickeln. Aber – ich betone es nocheinmal – ohne Anfangsinvestition ähnelt dieses Unter-nehmen eher einem schlecht eingeschenkten Hefeweizen:viel Schaum, aber nur sehr wenig gegen den Durst.Wie wenig bleibt, zeigt allein der Blick auf einigeGroßvorhaben in der Verteidigungstechnik wie den Eu-rofighter oder den NH 90, die aus heutiger Sicht bereitsden überwiegenden Teil der für Beschaffung vorgesehe-nen Mittel binden. Für die sicherlich unbestritten notwen-dige Anschaffung des Nachfolgemodells des Transport-flugzeuges Transall bleibt keine müde Mark. Da aber sindSie ehrlich; denn dies haben Sie im Haushalt 2001 festge-schrieben. Dafür ist nämlich keine einzige Mark, nochnicht einmal ein Pfennig angesetzt.
Wenn dies aber so ist, können Sie hier nicht sagen: Wirstehen dazu, wir wollen diese Großvorhaben in Zukunftder Bundeswehr zuführen.
Aber wir brauchen gar nicht über Planungen zu reden.Auch für die Dinge, für die die Rechnung bereits auf demTisch liegt, wie die absehbaren finanziellen Auswirkun-gen der Einkommensverbesserungen für Arbeitneh-mer derBundeswehr, ist im Haushalt keine ausreichendeFinanzvorsorge getroffen worden. Auch hier wird dieBundeswehr auf die neue Scharping-Diät – vielleichtsollte man besser sagen: Eichel-Diät – gesetzt.
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Winfried Nachtwei11263
Man muss es einmal sagen: Eichel ist „Hans imGlück“; denn – das hat der Kollege Glos heute Morgenschon dargestellt – diese Regierung fährt nun das ein, waswir gesät haben. Er erweist sich aber nicht als „Hans imGlück“, sondern als „Geizhans“, insbesondere wenn esum den Bereich der Verteidigung geht.
Die Haushaltsrisiken sind enorm, lieber KollegeZumkley; ich will gar nicht näher darauf eingehen. Aberda Ihr haushaltspolitischer Sprecher anwesend ist
– ja, ich respektiere das, lieber Kollege Wagner –, möchteich sagen: Es ist ein einmaliger Vorgang – ich bin jetzt im-merhin 20 Jahre Mitglied des Parlaments und damit auchMitglied des Haushalts- und des Verteidigungsausschus-ses –, dass wir für den Einzelplan 14 einen Haushalt ohneentsprechende Erläuterungen vorgelegt bekommen. Diekonnten wir sonst in der Regel schon abholen, bevor wirden Haushaltsentwurf gedruckt in Händen hatten. Da-durch war eine vernünftige Arbeit möglich; denn sokonnte man vorbereitet in die erste Lesung des Haushaltsgehen und bei den Beratungen im Haushalts- undVerteidigungsausschuss entsprechend agieren. Das istnoch nicht einmal vorgelegt worden.Ich würde die Kolleginnen und Kollegen von den Ko-alitionsfraktionen schon bitten, dass Sie sich nicht nur alsZustimmungsorgan sehen, sondern dass Sie die Aufgabemit wahrnehmen, die auch Sie haben – das ist nicht nurdie Opposition –, nämlich dass Sie die Regierung kon-trollieren und, wo erforderlich, auch korrigieren. Geradebeim Einzelplan 14 ist das bitter notwendig.
Sie haben Besoldungsstrukturverbesserungen an-gekündigt. Ich frage mich nur: Womit? Es gibt bis zu60 000 zivile Mitarbeiter, mehrere zehntausend Soldaten,auf die das zutrifft. Dazu kommt die notwendige Bereini-gung der Überalterung im Personalbestand unserer Sol-daten. Dafür stellen Sie keine Mittel bereit und treffenkeine Vorsorge. Sie sehen dafür im Einzelplan 14 nichtsvor.Wenn die enormen Kosten, die solche Maßnahmenzweifellos mit sich bringen, von Ihnen nicht ernst genom-men werden und wenn die Mittel dafür noch aus dem Ein-zelplan selber erwirtschaftet werden sollen, dann bedeu-tet dies, dass das Geld an anderer Stelle, wo Sie ebenfallsnichts haben, radikal eingespart werden muss.Ich würde dieses System gerne einmal näher kennenlernen; denn es ist interessant, wie man mit nichts alles be-schafft und sogar noch einige Einsparungen vornimmt.Das ist natürlich eine Rechnung, bei der ich sagen muss,dass dafür die Grundrechenarten mit Sicherheit nicht aus-reichen. Adam Riese würde sich im Grabe herumdrehen,wenn er diese Rechenkünste präsentiert bekommenwürde.Also ist Scharping auch ein Zauberkünstler. Vielleichtsind noch einige andere Dinge in dem Paket mit enthalten.Ich glaube, dass ich mich nicht sehr ungebührlich aus-drücke, wenn ich von Mogelpackungen spreche.Ich komme zu den Erlösen aus dem Verkauf von In-frastruktur- und Rüstungsmaterial. Lieber KollegeZumkley, wem wollen Sie denn noch etwas verkaufen,selbst für den Fall, dass wir noch etwas hätten?
– Das ist richtig. Aber wir reden jetzt über den Haushalt.Überzeugen ist die eine Sache, aber Verkaufen eine an-dere. Sie haben davon gesprochen, dass Sie Unmengenvon Geld durch den Verkauf von Material, das die Bun-deswehr nicht mehr benötigt, bekommen und dass Sieauch noch Grundstücke in großer Anzahl zur Verfügunghaben.
Ich hoffe, dass die Grünen ihren Lernprozess, lieberKollege Nachtwei, fortsetzen werden, was den Exportund die Angleichung unserer Bestimmungen an europä-ische Verfahren anbetrifft. Denn im Moment ist es so:Bundesminister Scharping kann gewillt sein, etwas zuverkaufen. Aber der grüne Koalitionspartner lässt sofortdie Sicherheitssperre hochschnellen,
sodass Minister Scharping gestoppt wird. Das ist doch dieRealität. Wir können nicht so tun, als wenn es das nichtgäbe.Also, lieber Kollege Nachtwei, für die Grünen ist einweiterer Lernprozess angesagt. Wir geben Ihnen gerneArgumentationshilfen mit, damit Sie dies in Ihren Partei-gremien entsprechend umsetzen können. Wir freuen unsschon. Darüber steht schon etwas in der Bibel. Nein, ichsage das jetzt nicht. Es ist heute schon so viel aus der Bi-bel zitiert worden, etwa dass ein Sünder, der umkehrt, bes-ser als 1 000 Gerechte ist. Sie kennen das.
Sie, lieber Kollege Nachtwei, und Ihre Fraktion wer-den also diesen Erkenntnisweg weiter beschreiten. Das istnatürlich auch für die Exporte ganz wichtig.Nicht nur Munition, sondern auch Gerät benötigt einbestimmter NATO-Partner, der über ein halbes Jahrhun-dert hinweg gemeinsam mit uns und für uns für Sicherheitund Freiheit in Europa, insbesondere auch in Zentraleu-ropa und in der Bundesrepublik Deutschland, gesorgt undseinen Beitrag dazu geleistet hat, dass die Teilung Euro-pas und insbesondere unseres deutschen Vaterlandesüberwunden werden konnte. Diesen jetzt als zweit- oderdrittrangig hinzustellen, das ist der BundesrepublikDeutschland und der Bundesregierung nicht würdig.
Man muss das Ganze auch unter dem Gesichtspunktsehen – damit komme ich zum Schluss meiner Aus-führungen –, dass alle Ablenkungsmanöver, die gefahren
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Kurt J. Rossmanith11264
wurden und gefahren werden – ich spreche nicht nur dieTürkei an, sondern alle unsere Partner –, natürlich einesehr enttäuschende Tatsache verdeutlichen: dass Deutsch-land seine Verteidigungsaufwendungen jetzt und in denkommenden Jahren drastisch kürzt, obwohl gegenüberden NATO-Partnern und gegenüber der EuropäischenUnion wohlklingende und vollmundige Versprechungengemacht wurden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Rossmanith, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich habe das be-
reits angekündigt, Frau Präsidentin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Ankündigung al-
lein reicht nicht.
Herr Bundesmi-
nister Scharping, mit diesem Haushalt gehen Sie auf
Crashkurs in Bezug auf die Bundeswehr und die sicher-
heitspolitische Zuverlässigkeit Deutschlands. Wir werden
das in den Ausschussberatungen so nicht hinnehmen, son-
dern wir werden Sie mit Anträgen konfrontieren.
Ich darf noch einmal meine eingangs geäußerte Bitte
wiederholen: Kontrollieren auch Sie von den Koalitions-
fraktionen die Regierung.
Korrigieren Sie sie dort, wo im Entwurf der Regierung ein
falsches Haushaltswerk vorgelegt wird. Das gilt insbe-
sondere für den Einzelplan 14.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner die-
ser Debatte ist der Kollege Manfred Opel für die SPD-
Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir de-battieren heute über die Bundeswehr. Die Bundeswehr istder größte Personalkörper des Bundes, weit über 100 000Menschen gehen durch die Bundeswehr jedes Jahr hin-durch. Das heißt, wir haben eine besondere Verantwor-tung für einen großen Teil unseres Volkes, für einen Teil– darin unterscheidet sich die Mehrheit von uns von einemkleinen Teil unseres Hauses –, der Frieden schaffen willin einer unfriedlichen Welt.Ich möchte als Erstes Ihnen, Frau Lippmann, sagen:Wenn Sie UN-Gewalt einfordern, fordern Sie auch mi-litärische UN-Gewalt ein. Dann müssen Sie die Fragenbeantworten: Wie wollen Sie UN-Streitkräfte ausrüsten?Wer soll sie kommandieren? Wie können wir Einflussnehmen? Wie möchten Sie das tun? Diese Fragen habenSie alle nicht beantwortet. Deswegen ist das, was Sie hierso friedliebend sagen, ein Trugbild, das Sie den Menschenvorgaukeln und das in Wirklichkeit nicht besteht.
Unsere Armee ist eine Friedensarmee.Das gilt für allePartner – auch die Russen in Jugoslawien. Dieses bringtmich zu der großen Aufgabe, die wir heute haben. DreiKomponenten sind zu nennen. Die eine ist, dass wir einenneuen Auftrag haben. Die Bundeswehr ist in erster Linieeine Bündnisarmee geworden. Die Landesverteidigungist heute Teil dieser Bündnisverteidigung. Wir sind keinFrontstaat mehr. Wir haben das Glück, dass wir, indemwir die Partner an der Peripherie unterstützen, den Frie-den unseres Landes sichern, ohne Kampfzone zu sein.Hierfür müssen wir dankbar sein. Deswegen müssen wirdie Bundeswehr umstrukturieren.Das Zweite ist, dass wir einen Konsolidierungsbei-trag leisten müssen. Heute ist in der Debatte viel darübergesagt worden. Ich und der Minister sicherlich mehr alsjeder andere würden es sehr gern sehen, wenn wir diesenKonsolidierungsbeitrag nicht leisten müssten. Aber diepolitischen Prioritäten zwingen uns alle dazu und unsereBundeswehr versteht das.Letztlich – da schließt sich der Kreis –: Unsere Bun-deswehr muss mit bis zu 10 000 Soldatinnen und Solda-ten im Kosovo zum Frieden beitragen. Das ist eine Zahl,die wir nie für möglich gehalten haben. Vorgesehen wa-ren von der Vorgängerregierung gerade einmal 3 600 Sol-daten. Es ist eine gewaltige Aufgabe, vor der wir stehen.Wir müssen Sie gemeinsam lösen, und zwar gleichzeitigmit anderen.Dieser neue Auftrag, der die neue Struktur erzwingt,wird im Moment geistig durchdrungen – schneller alsgedacht. Ich erinnere daran, dass wir den Kommissions-bericht Ende dieses Jahres erwartet haben. Es ist derWeizsäcker-Kommission zu danken, dass sie dieses schonvor der Sommerpause gemacht hat. Das ist eine riesigeLeistung. Ich möchte aber an eines erinnern, Herr KollegeBreuer: Wir haben dieses auf der Basis einer umfassen-den, zweiteiligen Bestandsaufnahme des Generalinspek-teurs gemacht. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie die-ser Bestandsaufnahme widersprochen hätten.
– Doch, Sie haben sie in zwei Teilen vom Minister be-kommen; er hat sie jedem zur Verfügung gestellt.
Sie ist auf Anforderung auch in Zehntausenden vonExemplaren vom Verteidigungsminister verschickt wor-den. Das heißt, unsere Bevölkerung und die Bundeswehrkonnten an dieser Bestandsaufnahme Anteil nehmen.Alles, was wir heute diskutieren, ist logischer Ausflussdieser Bestandsaufnahme. Es ist nichts, was der Ministerin internen Klausuren mal eben so gemacht hätte, sonderndie Fakten zwingen dazu.
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Kurt J. Rossmanith11265
Ich möchte den Chefredakteur der Zeitschrift des Bun-deswehr-Verbandes zitieren:...der Zug „Zukunft Bundeswehr“ hat mit atembe-raubendem Tempo Fahrt aufgenommen.Natürlich ist es bei einem solchen Tempo schwierig, jedesDetail umfassend und genau durchzuplanen; da mussnachgesteuert werden. Aber wir haben keine andereChance, da die Zeit abgelaufen ist. Ich erinnere daran,Herr Breuer, dass gerade wir Sozialdemokraten die Vor-gängerregierung mehrfach gebeten haben, eine Wehr-strukturkommission einzurichten. Sie haben es immerabgelehnt. Deswegen ist es ehrlich und redlich, demMinister dafür zu danken, dass er sehr schnell gehandelthat.
– Herr Breuer, das wissen Sie ganz genau.
– Sie haben Recht, Herr Nolting, wir haben von einer par-lamentarischen Kommission gesprochen. Das war unserAnsatz; das ist unbestritten.
Aber wir haben den Minister darin unterstützt, dass er Mi-litär und Politik, auch das Parlament zunächst draußenhielt, um den Streit draußen zu halten. Dieser Ansatz warfür uns tragfähig. Es hat sich erwiesen, dass dies ein soli-der Ansatz war. Deswegen unterstützen wir ihn.Diese riesige Aufgabe der Bundeswehr ist natürlichsehr schwierig zu erfüllen. Herr Kollege Rossmanith, derMinister wollte uns die Erläuterungen Ende Juli zur Ver-fügung stellen. Es ging nicht, weil wir genau zu diesemThema eine Klausur machen mussten und der neue Gene-ralinspekteur diese Klausur vorbereiten musste. Wo habenSie denn je einen Minister gesehen, der das getan hätte?Ich erinnere mich an den letzten Bundeswehrplan, den esvor etlichen Jahren gab. Als wir ihn im Verteidigungsaus-schuss bekamen, war er bereits Makulatur. Das haben Siesogar selbst zugegeben. Deswegen ist es richtig, dass derMinister so handelt, wie er es tut. Er muss von uns das-selbe fordern, was er von sich selbst fordert, nämlich inatemberaubendem Tempo durch diese Beratungen zu ge-hen. Da müssen wir eben konzentriert arbeiten.Sie haben kritisiert, dass die Mittel für das wirklichwichtige mittlere Transportflugzeug der Zukunft nichtim Haushalt stünden.
– Es ist mit einer Leerzeile im Haushalt.
– Verehrter Herr Breuer, vielleicht verstehen Sie nicht soviel vom Haushaltsrecht. Das Problem ist nämlich, dassSie gar nichts in den Haushalt aufnehmen dürfen, wennSie kein konsolidiertes Industrieangebot haben. Da einsolches Angebot nicht vorliegt, können Sie keine Zahlenin den Haushalt schreiben, selbst wenn Sie wollten.
Außerdem ist dies für den Haushalt 2001 völlig irrele-vant. Das erste Geld wird dafür ab 2004 ausgegeben. DerMinister hat noch drei Jahre Zeit, das in den Haushalt ein-zustellen. Das wird er tun. Aber die Leerzeile hat er jetztschon eingebracht, um vorsorglich zum Ausdruck zu brin-gen, dass er dieses Flugzeug will. Wir werden diese An-schaffung auch bewerkstelligen.Ein Weiteres kommt hinzu – ich will nur daran erin-nern –: Gucken Sie einmal in die alten Haushalte, dannwerden Sie in ihnen eine Leerzeile für „EFA“, den Euro-fighter, finden. Wenn wir solche Behauptungen aufstel-len, sollten wir also bitte ehrlich bleiben.Zum Haushalt möchte ich nur noch eine einzige Aus-sage machen, weil hier sehr nebulös vom KollegenAustermann zitiert wurde.
– Er hat es versucht, ist aber leider gescheitert.Wir haben nach dem, was uns die Bundesregierungvorgelegt hat, im Einzelplan 14 Einnahmen in Höhe vonetwa 450 Millionen DM. In diesen Einnahmen ist keineinziger Pfennig für das enthalten, was der Minister alsseine Perspektive dargelegt hat. Herr Kollege Zumkleyhat klar gesagt, dass das zusätzlich ist. Bitte bleiben Siealso bei den Tatsachen. Die Bundeswehr ist solide finan-ziert und wird es auch in Zukunft bleiben.
Ich will nicht so sehr zurückschauen, sondern möchtenach vorne schauen. Der Minister hat schon darauf hin-gewiesen, dass etwa 6 Milliarden DM durch Haushalts-maßnahmen reduziert wurden. Wenn man in Haushalteguckt, tut man gut daran, Ist und Soll zu vergleichen. Icherinnere nochmals daran, dass allein in den 90er-Jahrender Unterschied zwischen dem reduzierten Soll und demIst, also den tatsächlichen Ausgaben, etwa 1,5 Milliar-den DM betrug. Sie haben 1,5 Milliarden DM von demGeld, das Ihnen der Bund bzw. dieses Parlament zur Ver-fügung gestellt hat, gar nicht ausgegeben. Ganz anders derHerr Minister: Im letzten Jahr hat er das Geld bis auf denletzten Pfennig ausgegeben und tatsächlich dafür gesorgt,dass die Bundeswehr das bekam, was sie brauchte.Verehrter Herr Kollege Breuer, wenn Sie einen Mo-ment aufmerksam sind: Sie sagten, Sie würden dazu bei-tragen, dass vor Ort nicht verunsichert werde. Ich will Ih-nen vorhalten, was in der „Schleswig-HolsteinischenLandeszeitung“ über Ihre Aussage auf einer Veranstaltungin Schleswig stand:Paul Breuer machte deutlich, dass man vor dem Hin-tergrund leerer Kassen und eines geänderten sicher-heitspolitischen Umfeldes reagieren müsse. Erwarnte aber davor, den Fall des „Eisernen Vorhangs“
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Manfred Opel11266
mit einer Reduzierung des Bedrohungspotenzialsgleichzusetzen.Sehr bemerkenswert! Dann geht es weiter:Deshalb laute die CDU-Forderung: 300 000 Berufs-bzw. Zeitsoldaten und 100 000 Wehrpflichtige.
– Das steht aber hier. Sie haben nie widersprochen! Daswürde pro Jahr 10 bis 12 Milliarden DM an Mehrausga-ben bedeuten, wenn Sie das hochrechnen. Das kann dochnicht wirklich Ihre Meinung sein.
Wir haben ein Programm und das werden wir an denStandorten auch durchziehen. Ich appelliere an Sie, mit-zumachen. Wenn wir diesen schwierigen Personalum-bau, insbesondere bei den zivilen Mitarbeitern, die denAufbau der Bundeswehr mitgetragen haben, gemeinsamweiterführen wollen, müssen wir sowohl tarifliche wiegesetzliche Regelungen schaffen. Diese werden in derheutigen Finanzsituation möglicherweise draußen nichtverstanden werden können. Dennoch müssen wir es tun,da es billiger, zweckdienlicher und besser ist. Ich appel-liere an das ganze Haus mitzutragen, dass die Bundeswehrmodern wird. Wir haben heute schon erhebliche Über-hänge, die abgebaut werden müssen. Wir brauchen solcheRegelungen, die es uns ermöglichen, schneller eine wirk-lich bessere Bundeswehr hinzubekommen.Wir müssen vor Ort Verständnis wecken. Es ist un-glaublich, was teilweise geschieht: Dem Minister werdenvon betroffenen Bürgermeistern Briefe geschrieben, dieBundeswehr solle vor Ort bleiben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, würden
Sie bitte zum Schluss kommen.
Hinter vorgehaltener Hand wird
das Grundstück, auf welchem die Kaserne gebaut ist, zi-
vilen Investoren angeboten. Ich appelliere an die Bürger-
meister und Gemeinderäte: Wenn Sie die Bundeswehr ha-
ben wollen, sagen Sie das offen und ehrlich; sagen Sie es
aber auch ehrlich, wenn Sie Grundstücke veräußern wol-
len, damit der Herr Minister so reagieren kann, dass wir
bei der Ehrlichkeit bleiben können.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldun-gen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums derVerteidigung liegen nicht vor.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung, das heißt zum Einzelplan 23.Zur Einführung in den Einzelplan 23 erteile ich derBundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, das Wort.Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit die Debatteschnell anlaufen kann, bitte ich die Kolleginnen und Kol-legen, die den Raum verlassen wollen, dies recht schnellzu tun, damit wir in der Debatte fortfahren können und dieMinisterin die entsprechende Aufmerksamkeit bekommt.Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: LiebeKolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen ist derMillenniumsgipfel der Vereinten Nationen mit einerSchlusserklärung von 150 Staats- und Regierungschefs zuEnde gegangen, in der diese ihre Verpflichtungen für dasneue Jahrhundert verankert haben.Ich möchte an dieser Stelle dem UN-GeneralsekretärKofi Annan herzlich für das danken, was an Vorbereitunggeleistet worden ist. Auf dieser Konferenz ist deutlich ge-worden, dass die Vereinten Nationen für die gleichbe-rechtigte Gestaltung der Welt mit Blick auf die Entwick-lungsländer eine hohe Bedeutung haben. Ein herzlichesDankeschön an ihn, dass er diese Arbeit geleistet hat.
Auf dieser Konferenz haben sich mehr als 150 Staats-und Regierungschefs auf die wichtigsten entwicklungs-politischen Zielsetzungen festgelegt: Sie wollen dazu bei-tragen, die seit 1996 gefassten Beschlüsse der internatio-nalen Gremien umzusetzen, nämlich den Anteil derWeltbevölkerung, der täglich mit weniger als 1 US-Dollarauskommen muss, bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Dasbetrifft 1,2 Milliarden Menschen.Ich erinnere daran: Noch immer lebt jeder fünfteMensch in extremer Armut. 800 Millionen Menschen lei-den an Unterernährung. Weltweit sterben jedes Jahr mehrMenschen an verschmutztem Trinkwasser, als eine Stadtwie Berlin Einwohnerinnen und Einwohner hat. DieseZahlen muss man sich immer wieder vor Augen halten.Zu den Zielen – ich greife jetzt nur diese zwei heraus –gehören: Alle Kinder dieser Welt sollen bis zum 14. Le-bensjahr in die Schule gehen können. Ich möchte an die-ser Stelle darauf hinweisen: Bundeskanzler Schröder hatam Rande des Millenniumsgipfels zwei Zusatzprotokollezur UN-Kinderkonvention unterzeichnet. Das ist einwichtiger Fortschritt für die Kinder dieser Welt, die nichtmehr als Kindersoldaten missbraucht werden dürfen unddenen die internationale Gemeinschaft mit dieser Kon-vention entsprechenden Schutz zusagt.
Wichtiger aber ist die Frage: Wie geht es weiter? JedesLand und alle internationalen Institutionen sollten ausmeiner Sicht bis zum Jahre 2015 einen Aktionsplan zurUmsetzung der genannten Ziele vorlegen. Dieser mussauch Richtschnur für die Konferenzen im nächsten Jahrsein.Aus aktuellen Gründen möchte ich mich an dieserStelle – wir haben heute immer wieder die erhöhten Erd-ölpreise diskutiert – an die OPEC-Staaten wenden. DerErdölpreis hat sich seit 1998 verdreifacht. Damit verfügen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Manfred Opel11267
die OPEC-Staaten heute über tägliche Einnahmen von900 Millionen US-Dollar. Ich fordere deshalb die OPEC-Staaten auf, sich im Sinne der Beschlüsse des Millenni-umsgipfels finanziell für die Bekämpfung der Armut inden Entwicklungsländern zu engagieren, sodass ein Teilihres zusätzlichen Einkommens den ärmsten Erdöl im-portierenden Entwicklungsländern zugute kommt.
Manche Entwicklungsländer – das hatte ich bereits inder Afrikadebatte ausgeführt; ich werde das auch auf derkommenden Weltbankkonferenz in Prag zum Thema ma-chen – sind in eine teuflische Klemme geraten. Sie sindeinerseits mit sinkenden eigenen Rohstofferlösen undandererseits mit steigenden Erdölpreisen konfrontiert.Das heißt für manche Entwicklungsländer, dass sie etwaein Drittel ihrer gesamten Devisen verlieren. Das mussKonsequenzen haben. Zwei dieser Konsequenzen habeich eben angesprochen. Ich werde mich in diesem Sinneengagieren.Ich möchte des Weiteren den vielen Tausenden vonMenschen in unserem Land danken, die sich zum Teil seitJahrzehnten für die „Eine Welt“ engagieren; denn sie zei-gen uns seit Jahren, dass das friedliche Zusammenlebenvon Menschen, Völkern und Kulturen für unser gemein-sames Überleben notwendig ist. Ihre Arbeit wirkt präven-tiv. Sie ist wie eine dauerhafte Lichterkette gegen Rassis-mus und Ausländerhass und für die Würde allerMenschen. Ich danke den kirchlichen und allen anderenInitiativen. Sie leisten eine wichtige Arbeit, die Auswir-kungen haben muss.
Wir haben das beachtliche Förderniveau des laufen-den Jahres von 600 Millionen DM für Kirchen, Nichtre-gierungsorganisationen und Stiftungen beibehalten kön-nen. Aber ich sage Ihnen ganz offen: Wenn ich mehrFinanzmittel zur Verfügung hätte, dann würde ich siegerne in diesen Bereich investieren, weil die Arbeit sowichtig ist, auch für das Bewusstsein der Menschen in un-serem eigenen Land.In den vergangenen zwei Jahren haben wir wichtigeentwicklungspolitische Reforminitiativen umgesetzt. Icherinnere nur noch einmal stichwortartig daran: die Ent-schuldungsinitiative mit dem Ziel, den ärmsten Entwick-lungsländern 140 Millionen DM Schulden zu erlassen;die Neuausrichtung der Politik von IWF und Weltbank aufArmutsbekämpfung und Beteiligung der Zivilgesell-schaft; das in Cotonou unterzeichnete neue Partner-schaftsabkommen zwischen der EU und den AKP-Län-dern.Wir haben die Menschenrechtsdimension in unsererArbeit gestärkt. Wir beteiligen uns an der Einrichtung,Trägerschaft und Finanzierung des deutschen Menschen-rechtsinstituts. Wir haben die Friedensentwicklung undKrisenprävention in den Vordergrund gestellt. Im Rahmendes zivilen Friedensdienstes sind bereits 45 Vorhaben be-willigt worden. Die Zahl der eingesetzten Friedensfach-kräfte wird in kurzer Zeit auf 70 bis 80 steigen. Das isteine hervorragende Leistung im Sinne von Krisenverhin-derung und Konfliktverhinderung vor Ort.
Wir haben die Qualität, die Signifikanz und die Nach-haltigkeit der deutschen Entwicklungspolitik durch Kon-zentration auf 70 Kooperationsländer erhöht.Ich stelle also fest: Die wichtigsten Reformvorhabenunserer Koalitionsvereinbarung sind umgesetzt. Die um-fassende Trendumkehr in der Finanzausstattung unseresHaushaltes, die wir uns selbst zum Ziel gemacht haben, istnoch nicht umgesetzt. Auch das sage ich deutlich. Zu dra-matisch war die Finanzlage, die die alte Bundesregierunguns hinterlassen hat. Aber wir arbeiten im Sinne der Aus-weitung dieser Finanzmittel. Denn Zukunftsaufgabenbrauchen mehr Mittel, auch die Entwicklungszusammen-arbeit.
Ich hoffe, Sie unterstützen das alle.Im Regierungsentwurf wächst der Plafond unseresHaushalts gegenüber dem Vorjahr um 1,7 Prozent.
Die Gründe sind: Erstens erhalten wir zusätzliche Mittelfür den deutschen Beitrag zur Entschuldigungsinitiative,für den Treuhandfonds. Zweitens werden die Mittel fürden Stabilitätspakt Südosteuropa und Mittel aus dem sogenannten Transform-Programm aus dem Einzelplan 60in unseren Entwicklungshaushalt überführt. Das habenSie vonseiten der Opposition doch immer gefordert. Jetztist es durchgesetzt. Dann loben Sie es doch endlich ein-mal, statt andauernd herumzumäkeln.
Welche Herausforderungen stehen vor uns? Alle Part-ner zusammen wollen dazu beitragen, bis zum Jahr 2015die Armut in der Welt zu halbieren.
52 Prozent unserer bilateralen Entwicklungszusammenar-beit sind nach den Kriterien der OECD armutsorientiert.Wir wollen dies aber ausweiten.In ihrem gestern veröffentlichten Weltentwicklungsbe-richt hat die Weltbank nicht nur die Rolle des Wirt-schaftswachstums betont. Wirtschaftswachstum istwichtig, aber es reicht nicht aus. Vielmehr gilt es zu errei-chen, dass dieses Wachstum der armen Bevölkerung zu-gute kommt. Der „trickle down“-Effekt wird es alleinnicht bringen. Das wissen wir nach all den Jahren.
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul11268
Die Weltbank hat einen neuen, umfassenden Armuts-begriff. Zur Armutsbekämpfung zählt sie die Stärkungder politischen Mitwirkungschancen der Menschen in denEntwicklungsländern, was man mit dem etwas schwieri-gen Begriff „empowerment“ bezeichnet. Dazu haben wirmit Lomé und der Entschuldungsinitiative beigetragen;das tun wir mit unserer bilateralen Entwicklungszusam-menarbeit.Ferner zählt sie die Ausweitung der wirtschaftlichenMöglichkeiten dazu. Was tun wir dafür? Wir unterstützendie Mikrofinanzierung in der bilateralen Entwicklungszu-sammenarbeit, insbesondere für die Beschäftigung vonFrauen. Wir nutzen – das ist das Neue – die internationa-len Organisationen – Weltbank, IWF, WTO – im Sinnevon Reformen auf der Makroebene. Was in früheren Jah-ren gelaufen ist, hat die Armut häufig verschärft. Deshalbist eine Umorientierung notwendig. In diesem Sinne en-gagieren wir uns in der Weltbank, im IWF und auch in-nerhalb der WTO.
Zuletzt nennt die Weltbank ausreichende Sicherungs-systeme für die Armen. Auch das ist ein wichtiger Teil derArmutsbekämpfung. Dazu verweise ich auf die Änderungder Strukturanpassungsprogramme, die wir bei IWF undWeltbank erreicht haben.Bei der Armutsbekämpfung können wir auf der Ent-schuldungsinitiative aufbauen. Denn es liegen bereits fürviele Länder von den Ländern selbst bestimmte Armuts-bekämpfungskonzepte vor. Die wenigsten wissen, dassfür die 70 ärmsten Entwicklungsländer, nicht nur für die,die von der HIPC-Initiative profitieren können, diese Ar-mutskonzepte entsprechend verpflichtend sind.Ich formuliere an dieser Stelle folgenden Appell – daswird ein weiterer Punkt der Beratungen bei der Weltbankin 14 Tagen in Prag sein –: In den Schwellenländern le-ben 400 Millionen arme Menschen, das heißt ein Drittelaller Armen weltweit. Auch die Schwellenländer selbstmüssen dafür Sorge tragen, dass die Armut bekämpft wirdund die Ärmsten unter ihren Bewohnern erreicht werden.Das ist ein weiteres Element.
Wir werden Ende dieses Jahres einen eigenen Akti-onsplan vorlegen, der zur Erreichung der Ziele bis zumJahr 2015 alle Ressorts, auch die bilaterale und multilate-rale Entwicklungszusammenarbeit, entsprechend einbe-zieht. Wir werden ihn mit den NGOs und mit der Wirt-schaft diskutieren. Ich bin der festen Überzeugung: Wirbrauchen solche verbindlichen Aktionspläne von allenBeteiligten, damit das Ziel, im Jahr 2015 das Ausmaß derArmut halbiert zu haben, tatsächlich erreicht werdenkann.Was die weiteren Aufgaben angeht, werden wir auch inZukunft den Schwerpunkt auf die Unterstützung und aufdie Hilfe für Afrika setzen.
Vor allen Dingen bei der Armutsbekämpfung werden wirdiejenigen Länder unterstützen, die verantwortliche Re-gierungsführung gezielt praktizieren. Wir sind dabei, aufdem Gebiet der Aidsbekämpfung eine Entwicklungspart-nerschaft mit der Wirtschaft aufzubauen. Ich habe mit derFirma Boehringer vereinbart, dass sie ihre Produkte zurBekämpfung der Übertragung von Aids von der Mutterauf das Kind in Entwicklungsländern kostenlos abgibt.Wir werden gemeinsam mit der Firma Boehringer eineStrategie entwickeln, wie wir dazu beitragen können, dassdiese Produkte im Sinne der Menschen in Afrika einge-setzt werden können.
Es handelt sich um ein wichtiges Zeichen dafür, wie wirpraktisch tätig sind.Ich komme zur Umsetzung des Stabilitätspakts Süd-osteuropa. Insgesamt sind ermutigende Entwicklungenin der Region festzustellen, abgesehen von der Situationin Jugoslawien. Es gibt vielfältige Kooperationsbezie-hungen. Es gibt vielfältige, von den Ländern in der Re-gion gemeinsam vorgelegte Projekte. Wir finanzieren imInfrastruktursektor. Wir nehmen länderübergreifende Pro-jekte wie den Stromverbund zwischen Albanien und Mon-tenegro in die Konzepte mit auf. Wir finanzieren Versöh-nungskonzepte, die die Gesamtheit der Länder umfassen.Die Umsetzung des Stabilitätspakts und die Friedenszu-sammenarbeit in Südosteuropa sind ein ganz wichtigerBereich.
Ich komme zu den – von mir angesprochenen – vor unsliegenden Aufgaben im Zusammenhang mit der Ent-wicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft. Was wirgeleistet haben, ist, dass mindestens die Hälfte der 2 Mil-liarden DM, die wir in diesem Bereich vorsehen, von Un-ternehmen finanziert werden. Wir arbeiten mit über200 Unternehmen in diesem Sinn zusammen. Das heißt,wir haben mit den verschiedenen Förderinstrumentenetwa 1 Milliarde DM privates Kapital mobilisiert. Ichmöchte an dieser Stelle den Firmen danken, aber auch derDEG, der KfW und der GTZ, die sich in diese Arbeit miteinbringen.
Es ist wichtig, dass wir mehr Geld haben; aber es ist auchwichtig, dass wir das Geld klug und intelligent zum Vor-teil der Entwicklungsländer einsetzen.Für alle diese Aufgaben – das sage ich auch mit Hin-weis auf die Voraussetzungen, die für ein Regierungsmit-glied gelten – können und dürfen wir den Personal-bestand unseres Hauses nicht weiter reduzieren. Perso-nalreduzierungen einerseits und ein Aufgabenzuwachs,den ich Ihnen geschildert habe, andererseits belasten dieMitarbeiter und Mitarbeiterinnen unseres Hauses und derso genannten Vorfeldorganisationen. Ich möchte an dieserStelle auch sagen: Ohne den wirklich engagierten und un-ermüdlichen Einsatz dieser Mitarbeiter und Mitarbeite-rinnen wären die entwicklungspolitischen Erfolge, die ich
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hier genannt habe, nicht möglich gewesen. Das sollten wirgemeinsam anerkennen und auch unterstützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die internationaleVerantwortung fängt vor der eigenen Haustür an. Setzenwir also gemeinsam ein klares Signal gegen Rassismusund Intoleranz und tragen wir dazu bei, dass die früherenZeiten überwunden werden, als Entwicklungszusammen-arbeit ein Nischendasein fristete.
Tragen wir vielmehr dazu bei, dass die Entwicklungspo-litik den Rang einnimmt, der ihr zusteht und den sie zu-nehmend national, europäisch und international gewinnt.Ich bedanke mich sehr herzlich.
Für die CDU/CSU-
Fraktion gebe ich nunmehr das Wort dem Kollegen
Michael von Schmude.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, die Zeit derSchönfärberei sollte endlich vorbei sein.
Der BMZ-Etat entwickelt sich im Jahr 2001 erneut ne-gativ. Der zahlenmäßige Zuwachs um 121 Millionen DMführt optisch zu einem Anstieg auf 7,2 Milliarden DM.Wer in diesem Zusammenhang aber von einem erfreuli-chen Ergebnis spricht, täuscht bewusst die Öffentlichkeit.Fachleute im BMZ haben selbst festgestellt, dass in Wahr-heit eine Kürzung in Höhe von 149 Millionen DM gleich2,1 Prozent vorliegt. Tatsache ist nämlich, dass dieMittel für den Stabilitätspakt Südosteuropa im Einzelplan60 gestreckt werden. So werden aus 300 Millionen DM,die in der Vergangenheit im Wesentlichen schon vonIhrem Hause bewirtschaftet wurden, nur noch 200 Milli-onen DM. Auch wir begrüßen die sachliche Zuordnung zuIhrem Einzelplan, nur bedeutet das nicht, dass Sie zusätz-liche Mittel erhalten, sondern Sie müssen im Gegenteildem Außenministerium von diesen 200 Millionen DMerst einmal noch 100 Millionen DM abgeben.Beim Transform-Programm sieht es ähnlich aus. DieBundesregierung kürzt die Mittel von 110 Millionen DMauf 90 Millionen DM, belässt davon 30 Millionen DM imEinzelplan 60, setzt 50 Millionen DM auf Ihr Haus um,während 10 Millionen DM auf dem Weg verdunstet sind.Der bereinigte Regierungsentwurf liegt um 149 Milli-onen DM niedriger als der laufende Plafond 2000 und umrund 1Milliarde DM unter dem Ansatz im letzten, von derCDU-geführten Regierung aufgestellten Bundeshaushaltvon 1998. Das ist die traurige Wahrheit, insbesondere an-gesichts rot-grüner Wahlversprechen, die Entwicklungs-hilfe massiv aufzustocken.Wie sieht denn nun eigentlich der innere Wert desHaushalts aus? Ich sagte schon: 100 Millionen DM gehenan das Auswärtige Amt, 150 Millionen DM an zweckge-bundenen Mitteln für Transform und Südosteuropa mussjetzt Ihr Haus finanzieren, zusätzlich entfallen 20 Milli-onen DM auf die Schuldeninitiative. Damit verbleiben Ih-nen ganze 6,954 Milliarden DM, wobei man von einemDollarkurs von 1,8828 DM ausgegangen ist. Das bedeu-tet, weitere 60 bis 70 Millionen DM müssen aufgrund desKursverfalls aufgebracht werden. Hinzu kommen dieWährungsbelastungen bei DSE, DED, CDG und allenübrigen Zuwendungsempfängern. Lesen Sie einmal dieBriefe! Das heißt, die Euroschwäche mindert den realenWert des geschrumpften Entwicklungshilfehaushaltesnoch einmal ganz erheblich.Ihr Haus stellt in einer Vorlage vom 7. September die-ses Jahres an die Haushälter selbst fest, dass der Plafondfür die entwicklungspolitischen Kernaufgaben abgesun-ken ist – man höre – und deshalb Kürzungen bei ver-schiedenen Positionen vorgenommen werden müssen.Dabei steckt der Haushalt voller Widersprüche: DieAusgaben für die Dienstreisen steigen, die Bezüge derMinisterin und der Parlamentarischen Staatssekretärinsteigen, der Verfügungsfonds steigt an, die Unterhaltungs-kosten für die neuen Dienstwagen steigen an. Für denWasserkopf ist also reichlich Geld vorhanden, bei denentwicklungspolitischen Titeln aber tut sich ein huma-nitäres Defizit auf.Um den an Magersucht leidenden Entwicklungshil-feetat nun als einen Schritt nach vorn zu verkaufen, willdie Regierung die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit er-neut kräftig anheben. Wir werden uns also darauf einstel-len können, zusätzliche Propagandabroschüren zu erhal-ten. Nur, die Betroffenen haben längst erkannt, dass großeSprüche keinen Ersatz für fehlende Finanzmittel darstel-len.
Der Ansatz „Öffentlichkeitsarbeit“ kann deshalb drastischgekürzt werden. Das Geld wäre bei vielen anderen Titelnin Ihrem Hause besser aufgehoben.Das Gleiche gilt für die 70 000 DM mehr zur Betreu-ung von Delegationen und internationalen Besuchern.Vielleicht ist dieser Aufwuchs ja durch Besucher ausKuba oder anderen neuen Partnerländern bedingt.
In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich auch dieFrage, was eigentlich mit dem Bau des abhörsicherenRaumes für 181 000 DM bezweckt wird. Was wollen Sie,Frau Ministerin – Sie reden ja immer von Transparenz undOffenheit –, eigentlich verbergen? Wollen Sie sich dortmit Fidel Castro treffen?
Wollen Sie dort Ihre umstrittenen Personalentscheidun-gen erörtern? Oder wollen Sie dort Dinge aus dem Bun-dessicherheitsrat besprechen, die wir sowieso alle immerin der Zeitung lesen können?
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Was soll eigentlich die Aufstockung Ihrer Sachver-ständigen- und Beraterkosten? Wollen Sie damit Ab-stimmungsniederlagen im Bundessicherheitsrat vermei-den? Diese Frage muss einmal gestellt werden. Sie sollteneigentlich wissen, dass jeder Pfennig in Ihrem Haus fürandere, wichtige Dinge gebraucht wird.Sie kürzen unter anderem bei der beruflichen Aus- undFortbildung von Angehörigen der Entwicklungsländer9,5 Millionen DM. Sie kürzen bei der Förderung der Ent-wicklungsländer durch Zuschüsse an integrierte und rück-kehrende Fachkräfte 12 Millionen DM. Sie kürzen dieFörderung von Ernährungssicherungsprogrammen um3 Millionen DM. Die Förderung entwicklungswichtigerBeiträge der deutschen Wirtschaft braucht dringend10 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen zusätz-lich – nichts davon in Ihrem Haushalt.
Außerdem streichen Sie den Stiftungen – entgegenIhren Worten – 30 Millionen DM bei den MOE-Mitteln.Das hat der Finanzminister gemacht, aber Sie haften dafürals Regierung mit. Außerdem brauchen die Stiftungen zu-sätzliche Verpflichtungsermächtigungen; da geht es umweitere 30 Millionen DM.Bei der Mittelbewirtschaftung für MOE sollten wir ge-meinsam versuchen, die 100 Millionen DM für das Aus-wärtige Amt auf vier Jahre zu strecken, wie auch die an-deren MOE-Mittel auf vier Jahre gestreckt werden. Dannhaben wir Luft für das Haus und auch für die politischenStiftungen.Die wichtige Vorbereitung und Ausbildung von Fach-kräften für eine Tätigkeit auf dem Gebiet der ent-wicklungspolitischen Zusammenarbeit soll um 2,5 Milli-onen DM gekürzt werden. Diese Haushaltsstelle mussdringend wieder angehoben werden, unter anderem damitDiskussionen darüber überflüssig werden, weshalb un-qualifizierte Bewerber von dieser Regierung in internatio-nale Spitzenpositionen geschickt werden.Die Nahrungsmittel-, Not- und Flüchtlingshilfe be-trug 1999 noch 180 Millionen DM. Sie haben sie in 2000drastisch abgesenkt und in 2001 geht es weiter bergab,nämlich noch einmal um 3,5 Millionen DM auf 140 Mil-lionen DM. Dies wird der Situation in der Dritten Weltnicht gerecht. Die Kürzung bei der Ernährungssicherungund der niedrige Ansatz für die internationale Agrarfor-schung lassen ein humanitäres Defizit erkennen.
Die FZ wird durch Vorhaben aus dem Stabilitätspakt,durch Rechtsverpflichtungen und Verpflichtungsermäch-tigungen stark eingeengt. Deswegen sollte man die Ver-bundfinanzierung als flankierendes Instrument ausbauen.Auch die Arbeit der Kirchen muss wieder nach vorn ge-bracht werden. Das Niveau des Jahres 2000 zu unterbie-ten halten wir nicht für angemessen.Völlig überrascht wurden die Haushälter durch IhreMitteilung, dass die Sanierung des künftigen BMZ-Dienstgebäudes im alten Kanzleramt in Bonn jetzt nicht14,6 Millionen DM, sondern 79,6 Millionen DM kostensoll. Diese Merkwürdigkeit ist noch eingehend zu prüfen,ebenfalls, wer die politische Verantwortung dafür zu tra-gen hat.
Zusammenfassend muss festgestellt werden: Der Ge-samthaushalt des Bundes bleibt nahezu unverändert. DasBMZ hat sich vom Bundesfinanzminister damit abspeisenlassen, dass der Einzelplan 23 im Kernbereich um149 Millionen DM reduziert wird. Für die zusätzlichenAufgaben haben Sie Geld bekommen, aber nicht in demMaße, in dem diese Aufgaben zu finanzieren sind.Die mittelfristige Finanzplanung, Frau Ministerin,sieht ab 2002 ein Wachstum des Bundeshaushalts vor,aber mit der Entwicklungshilfe geht es weiter bergab – alswolle man das BMZ wegrationalisieren. Das ist einArmutszeugnis für diese Regierung. Mit derartigen Ein-schnitten verliert unsere Entwicklungspolitik Glaubwür-digkeit und Wirkung.
Ich gebe das Wort derKollegin Dr. Angelika Köster-Loßack für die FraktionBündnis 90/Die Grünen.
und Kollegen! Entwicklungszusammenarbeit ist undbleibt ein Schwerpunkt der rot-grünen Politik. Das zeigtsich an der Entschuldungsinitiative, an der Einführungdes zivilen Friedensdienstes und an den wichtigen Wei-chen, die auf dem Milleniumsgipfel letzte Woche – FrauMinisterin hat dies eben schon angesprochen – für dieHalbierung der Armut bis 2015 gestellt wurden.Die Mittel für den Einzelplan 23 steigen im Haus-halt 2001 auf 7,2 Milliarden DM. Dadurch steigt der An-teil dieses Einzelplans am Gesamthaushalt auf 1,51 Pro-zent. Das ist gut so. Aber es muss gesagt werden, dassdiese Steigerung dadurch erreicht wird, dass Mittel, diebisher im Einzelplan 60 vor allem für den StabilitätspaktSüdosteuropa eingestellt waren, auf den BMZ-Haushaltübergehen. Allerdings werden die Mittel für die Kernauf-gaben der EZ, wie in der mittelfristigen Finanzplanungdes Finanzministers vorgesehen, für 2001 sinken. In die-sem Punkt müssen wir nachbessern.Der Versuch, die Zinslasten, die uns 16 Jahre Kohl hin-terlassen haben,
schrittweise zu reduzieren, ist ein notwendiges und ambi-tiöses Programm. Gleichzeitig hinterlässt es in dem so-wieso schon kleinen Etat des BMZ gravierende Spuren.Wir laufen damit Gefahr, einen Bereich zu vernachlässi-gen, der mit der nachhaltigen Lösung von zentralen glo-balen Problemen betraut ist. Eine solche Kurzsichtigkeitdürfen wir uns insbesondere in Zeiten der Globalisierungnicht erlauben.
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Michael von Schmude11271
Wir empören uns zu Hause über Rassismus und Aus-länderfeindlichkeit. Aufklärung und mehr Toleranz tunNot; Solidarität ist gefragt. Auf der anderen Seite abermüssen wir für die Bevölkerungen der Entwicklungslän-der auch Lebensbedingungen schaffen – dazu bedarf esunserer Unterstützung –, die ihnen den Verbleib im eige-nen Land erlauben. Es sind ökologische Katastrophen,Kriege, Bürgerkriege und wirtschaftliche Not, die Men-schen zu Migranten und Flüchtlingen machen und inRichtung Norden treiben. Hier gilt es, präventiv tätig zuwerden und vor allem den Dialog über Menschenrechteund zivile Konfliktlösungen vorausschauend voranzu-bringen.
Gleichzeitig müssen wir die Reintegration von auslän-dischen Fachkräften in ihren Herkunftsländern weiter un-terstützen und durch begleitende Aus- und Fortbildungs-maßnahmen ausreichend flankieren. Die diesbezüglichenProgramme müssen ausgebaut werden.Ich komme zu einem anderen Punkt. Die globalen Um-weltprobleme bereiten uns große Sorgen. Ohne breitgefächerte Maßnahmen zum Klimaschutz, die zumBeispiel einen konsequenten Schutz der tropischen Re-genwälder und anderer natürlicher Ressourcen in den Ent-wicklungsländern beinhalten, können wir hier kaum nochetwas ausrichten. Ich komme gleich noch ausführlicherdarauf zu sprechen.Wir sind stolz darauf, eine Exportnation zu sein. Einebedeutende Anschubkraft für das derzeitige wirtschaftli-che Wachstum beziehen wir aus dem Export. Die deut-schen Exporte in die Entwicklungsländer waren 1999 mit114 Milliarden DM nicht unerheblich. Deutsche Direkt-investitionen in diesen Ländern betragen immerhin100 Milliarden DM. Die Erschließung von neuen Märk-ten stellt sich schwierig dar. Das Ganze ist ein komplexerProzess.Die Entwicklungszusammenarbeit ist, wie wir in einerStudie des Ifo-Instituts nachlesen konnten, am Anwach-sen der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen wesentlichbeteiligt. Von jeder in die EZ investierten Mark haben sichin der Vergangenheit 2,79 DM als Ertrag für die deutscheVolkswirtschaft niedergeschlagen. Grundlegend dafürsind natürlich politische Beziehungen, die durch einenlangfristigen EZ-Politikdialog eröffnet wurden und die zueinem langsamen Aufbau von gegenseitigem Vertrauenführten. Diese Beziehungen müssen in der Zukunft abge-sichert werden.Die Gefühlsregungen Empörung, Sorge und Stolzzeigen, dass uns die in der EZ angesprochenen Problemeunter die Haut gehen. Deshalb ist Geld, das in die Ent-wicklungszusammenarbeit investiert wird, weder rausge-schmissenes Geld, noch handelt es sich um einen selbst-losen humanitären Akt.
Es ist vielmehr eine gute Zukunftsinvestition für Deutsch-land.Als Exportweltmeister müssen wir entsprechend glo-bale Verantwortung hinsichtlich der globalen Problemeübernehmen. Der Kanzler hat dies erkannt. Auf dem Mil-leniumsgipfel letzte Woche in New York wurde mit seinerUnterstützung, wie die Ministerin schon erwähnt hat, einehrgeiziges Ziel ins Auge gefasst, nämlich die Armut bis2015 zu halbieren. Deutschland wird daran mit einem spe-ziellen Aktionsplan teilnehmen. Das ist sehr zu begrüßenund das wird sich zukünftig sicher auch im Einzelplan 23niederschlagen.
Lassen Sie mich am Beispiel der internationalen Um-weltpolitik erläutern, welchen zentralen Beitrag die EZzur Lösung globaler Probleme leisten kann. Welch bes-sere Zukunftsinvestition als Klimaschutz ist denn fürzukünftige Generationen vorstellbar!
Die 1999 von der Bundesregierung ins Leben gerufeneInitiative „Zukunftssicherung durch Klimaschutz“ mussgestärkt werden. Das bedeutet, eine Verbindung zwischenden nationalen und den internationalen umweltpolitischenZielen und Umsetzungsschritten herzustellen.Dazu müssen wir folgende Maßnahmen ergreifen: dieFörderung erneuerbarer Energien, insbesondere die För-derung von Solarenergie, Windkraft und Photovoltaik, inden Entwicklungsländern zur Elektrifizierung ländlicherRegionen, die Unterstützung bei einer rationellen Ener-gieverwendung zur Minderung von CO2-Emissionen, undzwar unter anderem durch die Nach- und Umrüstung be-stehender Kraftwerke, und die Förderung von zukunfts-fähiger Mobilität in Entwicklungs- und Schwellenländern– und nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland – un-ter anderem durch die Unterstützung umweltfreundlicherMassenverkehrsmittel und die Minderung von Schadstoff-emissionen in urbanen Ballungsgebieten.Darüber hinaus müssen wir die Anstrengungen zurRettung des Tropenwaldes intensivieren. Dies kann zumBeispiel über eine Ausweitung des schon sehr erfolgrei-chen internationalen Pilotprogramms zur Bewahrung dertropischen Regenwälder in Brasilien geschehen. In die-sem Falle müsste eine länderübergreifende Ausdehnungauf den gesamten Amazonasraum einschließlich allerNachbarländer angestrebt werden. Darüber hinaus regeich an, diese regionale Ausweitung des Tropenwaldpro-gramms durch eine Ausweitung auf Südostasien zu er-gänzen,
wo bereits wichtige Programme des Tropenwald- undRessourcenschutzes vonseiten der Bundesregierung lau-fend unterstützt werden, wo aber bisher der Gesamtansatzdes PPG-7-Programms nicht realisiert wird. Denn die dor-tige dramatisch ansteigende Ressourcenvernichtung kannauf andere Art und Weise nicht abgewendet werden.
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Dr. Angelika Köster-Loßack11272
Die Kapazitäten der Entwicklungsländer in den Berei-chen Klimaschutz, Umweltmonitoring und Erhalt derbiologischen Vielfalt gilt es zu verbessern, um die Fähig-keiten der Entwicklungsländer sowohl auf der Ebene derinternationalen Verhandlungen über Umwelt- und Ent-wicklungsfragen als auch bei der Umsetzung der Ergeb-nisse dieser Verhandlungen zu stärken. Dazu ist eineVielzahl von Maßnahmen notwendig. Die rot-grüne Bun-desregierung hat bereits eine Initiative zur Unterstützungbei der Umsetzung des Cartagena-Protokolls zum Erhaltder biologischen Vielfalt angekündigt.Auch bei der Umsetzung des Kioto-Protokolls sowieweiterer internationaler klima- und umweltrelevanter Ver-einbarungen ist eine Unterstützung der Entwicklungslän-der beim Aufbau der dafür erforderlichen Kapazitätennotwendig. Hier müssen politische Prioritäten gesetzt undmehr Geld zur Verfügung gestellt werden. Das Zukunfts-programm Klimaschutz ist ein Beispiel dafür, wie unsereKinder und wir durch die Stärkung internationaler Um-welt- und Entwicklungspolitik vor größerem Schaden be-wahrt werden können.
Deswegen werden wir uns in den Haushaltsberatungendafür einsetzen, im Etat die Mittel für die internationaleUmwelt- und Entwicklungspolitik zu erhöhen. Das zen-trale Planungsinstrument der EZ, die Verpflichtungs-ermächtigungen, gilt es ebenfalls zu erhöhen. Es kannnicht angehen, dass der Abfluss der Barmittel aufgrundeingeschränkter VEs in Zukunft nicht mehr gewährleistetist.Folgende qualitative Anstrengungen hat die jetzigeRegierung unternommen: eine verstärkte Ausrichtung derEZ auf zivile Krisenprävention, Übernahme einer Kataly-satorfunktion bei den Entschuldungsbemühungen und mi-nisteriumsinterne Prioritätensetzungen in regionaler undinhaltlicher Hinsicht. All dies war dringend notwendig.Die alte Regierung hat diese Herausforderungen nicht an-genommen.Institutionelle Reformen, eine stärkere deutsche Prä-senz beim internationalen „agenda setting“, eine verbes-serte Arbeitsteilung zwischen NROs und Vorfeldorgani-sationen, all diese Themen gilt es anzugehen, um die EZmit mehr Durchschlagskraft auszustatten. Manche dieserVeränderungen – das sollten wir nicht vergessen – habeneinen qualitativen Charakter und kosten kein zusätzlichesGeld. Andere Aufgaben aber können ohne zusätzlicheMittel nicht angegangen werden.Heute stehen wir ein Jahr vor der UN-Weltkonferenzzur Entwicklungsfinanzierung. Diese Konferenz findetvor dem Hintergrund sinkender Mittel für die Entwick-lungszusammenarbeit statt. Weit entfernt vom noch inKopenhagen angestrebten 0,7-Prozent-Ziel liegt die Offi-cial Development Aid der OECD-Mitglieder heute bei0,24 Prozent des Sozialprodukts. Das gilt für alle OECD-Mitglieder. Zwischen 1994 und 1998 fiel der für öffentli-che EZ zur Verfügung gestellte Betrag von 59,6 Milliar-den Dollar auf 49,7 Milliarden Dollar.Wir können es uns nicht leisten, nur von den Entwick-lungsländern Good Governance und Eigenanstrengungenzu fordern, wenn wir auf der anderen Seite nicht auchkonkrete Hilfsangebote machen. Dafür brauchen wirGeld, und zwar sowohl um kurzfristig Signale zu setzenals auch um mittelfristig in der EZ handlungsfähig zu blei-ben. Das ist leider noch nicht allen klar geworden.Wir leben nicht auf einer Insel. Zukunftsinvestitionensind heute mehr denn je grenzüberschreitende Investitio-nen, und Entwicklungspolitik ist Weltinnenpolitik.Ich danke Ihnen.
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht nun der Kollege Joachim Günther.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der letzten Haus-haltsdebatte im November vergangenen Jahres habe ichmit den Worten geendet: Der Haushalt 2000 ist keinZukunftsprogramm 2000, er ist eine glatte Rolle rück-wärts und fügt dem Ansehen Deutschlands in den Ent-wicklungsländern schweren Schaden zu.
Ich habe mir den Entwurf des Einzelplans 23 für 2001angesehen und ich habe den Eindruck, dass auch die Mi-nisterin zu zweifeln beginnt. Hier steht nur: Der Regie-rungsentwurf zum Haushalt 2001 ist geprägt durch denfesten Willen der Bundesregierung, an den Zielen ihresZukunftsprogramms 2000 festzuhalten. – Dabei bleibt dieGrundfrage, wie man bei einer Senkung der Mittel im Ein-zelplan 23 auf einen Anteil am Bundeshaushalt von1,39 Prozent bis 2004 noch von einem Zukunftspro-gramm sprechen kann.
Nein, Frau Ministerin, der Wille allein reicht nicht, wirmüssen endlich Taten sehen.Auch der anscheinend einmalige Anstieg des Etats istnichts als Effekthascherei, aber immerhin brachte er am21. Juni die tolle Pressemeldung hervor: Erhöhung desEntwicklungsetats um 1,7 Prozent auf 7,224 Milliar-den DM.Warum das Effekthascherei ist, will ich erläutern: ImEinzelplan 23 sind die Mittel für den Stabilitätspakt Süd-osteuropa und das Transformprogramm zur Förderungvon Demokratie und Marktwirtschaft in Mittel-, Ost- undSüdosteuropa enthalten. Diese hat das BMZ auch im lau-fenden Haushaltsjahr schon bewirtschaftet. Bis jetzt wa-ren sie im Einzelplan 60 verbucht – das wurde bereits ge-sagt –, und es handelt sich für 2001 um rund250 Millionen DM.Über diese Viertelmilliarde hätte das Entwicklungsmi-nisterium auch dann verfügen können, wenn sie nicht in
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Dr. Angelika Köster-Loßack11273
den Einzelplan 23 eingestellt worden wäre. Wenn mandiesen Betrag abzieht, dann beträgt der bereinigteHaushaltsansatz eindeutig 6,97 Milliarden DM. Das istein weiterer Rückgang – man muss das deutlich sagen,weil das vorhin in Ihrer Rede wieder einmal falsch darge-stellt wurde – von 2,1 Prozent des BMZ-Etats.Ich bitte Sie, Frau Ministerin, unterlassen Sie dieseVermischungen und die Augenwischerei, als würde derEtat ständig steigen.
Auch die mit viel Pomp inszenierte deutsche Beteili-gung an der HIPC-Entschuldungsinitative für die ärms-ten Entwicklungsländer entpuppt sich als Augenwische-rei. Von mehrstelligen Milliardenbeträgen ist da die Rede,sodass der Eindruck entstehen könnte, Deutschland ließesich an entwicklungspolitischer Großzügigkeit von nie-mandem übertreffen. Tatsächlich aber werden gerade ein-mal 100 Millionen DM in den HIPC-Treuhandfonds infünf Jahresraten zu 20 Millionen DM in den Haushalt ein-gestellt. Im Fernsehen, Frau Ministerin, kann man Sie indiesem Zusammenhang immer über Milliardenbeträgesprechen hören. Das ist einfach nicht die Realität.Immerhin kommt das BMZ in seiner eigenen Analysedes Plafonds für 2001 zu dem ernüchternden Ergebnis,dass sich mit diesem Haushalt der Spielraum für die ent-wicklungspolitischen Kernaufgaben weiter verringert.Für eine Bundesregierung, die in ihrem Regierungspro-gramm erklärt hat, das Engagement für die Dritte Welthabe oberste Priorität, ist das eine schwache Leistung. Ichwürde sagen, sie leistet damit den Offenbarungseid. Es of-fenbart den eklatanten Widerspruch zwischen dem mora-lischen Anspruch auf der einen und der Bereitschaft zumHandeln auf der anderen Seite. Noch nie war Deutschlandso weit von dem von den Vereinten Nationen festgelegten0,7-Prozent-Ziel entfernt, wie es gegenwärtig unter derrot-grünen Regierung der Fall ist.Aber auch in entwicklungsnahen Bereichen wie derhumanitären Hilfewird der Unterschied zwischen Sonn-tagsreden und Handeln deutlich. Wenn das UNO-Flücht-lingswerk bekannt gibt, dass es seine Nahrungsmittelhilfefür afrikanische Flüchtlinge drastisch reduzieren muss, sohat das sicherlich nicht zuletzt auch damit zu tun, dass diedeutschen Beiträge um circa 10 Prozent gekürzt wurden.Ähnliches gilt für das Kinderhilfswerk UNICEF und an-dere wichtige humanitäre Organisationen.Unsere Fraktion fordert daher, dass diese schlimmeEntwicklung in diesem Bereich revidiert und der Haus-haltsansatz für diese Organisationen mindestens auf dasNiveau von 1999 zurückgeführt wird.
Dass Sparzwänge auch heilsame Aspekte haben kön-nen, zeigt die weise Erkenntnis der Ministerin, dass mitständig rückläufigen Mitteln der Anspruch auf eine Ent-wicklungspolitik als weltweit umfassende Strukturpolitiknicht mehr aufrechterhalten werden kann.Mehr Kohärenz, mehr Arbeitsteilung und Schwer-punktsetzung nicht nur in der nationalen, sondern vor al-lem in der multilateralen Entwicklungspolitik sind Forde-rungen, die wir bereits seit vielen Jahren erheben. Es istbedauerlich, dass sich hier im Endeffekt erst im Rahmender Haushaltskonsolidierung etwas getan hat.Lassen Sie mich schließlich noch ein paar Worte zurEinnahmeseite sagen. Für die 2001 zu erwartenden Ein-nahmen, die nicht aus Zinsen und Tilgungen stammen,wird der bescheidene Betrag von 130 Millionen DM an-gesetzt. Auch dies bedeutet im Endeffekt einen Rückgangum rund 15 Prozent. Hier müssen wir fragen: Warum ei-gentlich so bescheiden? Denn auch Sie als rot-grüne Ko-alition haben sich inzwischen dazu durchgerungen,marktwirtschaftliche Elemente in die Entwicklungsarbeitzu integrieren und Entwicklungspartnerschaften mitder Wirtschaft zu suchen. Wäre dies kein Anlass, stärkerals bisher das zur Verfügung stehende technische Know-how der vielen kompetenten deutschen Trägerorganisa-tionen marktgerecht zu nutzen, darüber die Einnahme-seite über den gegenwärtigen Stand von lächerlichen0,2 Prozent hinaus zu erhöhen und so einen Teil der Strei-chungen zu vermeiden, die den guten Ruf der deutschenEntwicklungspolitik gegenwärtig weltweit beschädigen?Sicher gibt es noch zu vielen Punkten des Haushalts et-was zu sagen. Aber, Frau Ministerin, noch ein Satz zumSchluss: Es wäre schade, wenn zusätzlich zu diesemHaushalt auch noch die in letzter Zeit in Ihrem Haus ge-troffenen Personalentscheidungen dazu beitragen wür-den, dass der gute Ruf der Entwicklungspolitik unseresLandes geschädigt wird. Kommen Sie hier auf einen nor-malen Weg zurück. Ich glaube, dazu wird mein KollegeHedrich noch einiges darlegen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der
Kollege Carsten Hübner für die Fraktion der PDS.
Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Es ist bereits angesprochen worden, ich stelle esdennoch meiner Rede voran: Wir reden über einen Haus-halt, der eigentlich 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktsausmachen sollte. Dies beruht auf einer internationalenVereinbarung. Dieser Bezugsrahmen ist die Grundlage fürunsere Haushaltsdiskussion. Ich denke, die Einhaltungdieser Vereinbarung sollte gerade für eine rot-grüne Bun-desregierung Grundlage des Haushalts sein. Dann wäreder Betrag das Dreifache dessen, worüber wir heute re-den.Frau Ministerin, der Haushalt 2001 ist – gelinde gesagt –ein Trauerspiel. Sie wissen, dass ich viele Ihrer Ansätze inden letzten zwei Jahren unterstützt und mitgetragen habe.Sie wissen, dass ich vor allem eines geschätzt habe, näm-lich Ihren offenen Umgang mit der Problematik, IhremHaushalt die entsprechende Rolle im Gesamtgefüge bun-desdeutscher Politik zu verschaffen. Umso enttäuschterbin ich gewesen, als ich im Juni Ihre Presseerklärung ge-lesen habe, deren Überschrift lautete:Entwicklungsetat steigt im Jahr 2001.
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Zu dem Zeitpunkt, zu dem das herausgegangen ist,wussten Sie, dass der eigentliche Entwicklungshilfeetat,über den wir reden, sinkt. Das halte ich für keine lautereMethode im Umgang – sowohl mit Zahlen als auch mitder Öffentlichkeit.
Der Haushalt sinkt um 148 Millionen DM. Nur die Um-buchung von 270 Millionen DM sorgt für das verkündetePlus von 1,7 Prozent –
Mittel, die im Übrigen aber auch schon vorher dem BMZzur Verfügung standen. Der reale Etat – so würde ich ihnbezeichnen – beziffert sich damit auf 6,954 Milliar-den DM.
Damit wird ein Trend fortgesetzt, lieber Kollege vonSchmude, der schon unter der Vorgängerregierung ange-fangen hat. Das muss man hier auch sagen. In den letzten10 Jahren ist der Etat nach Soll von 8,110 Milliarden DM1991 auf 7,224 beziehungsweise 6,954Milliarden DM fürdas nächste Jahr gesunken.
Der Anteil am Bruttosozialprodukt hat sich in dieserZeit auf jetzt 0,23 Prozent nahezu halbiert. Der Anteil amHaushalt ist in diesen 10 Jahren von 1,98 auf 1,51 Prozentgesunken. In den letzten zwei Jahren ist der Etat de factoum rund 10 Prozent gesunken. Das muss man hier einfacheinmal so sagen.Was dazu im Koalitionsvertrag steht, liebe Kollegin-nen und Kollegen, spottet an diesem Punkt jeder Be-schreibung. Das muss man einfach mal so deutlich sagen.Was die Mittel für private Träger anbetrifft, ist hierauch schon einiges gesagt worden. Auch da haben wireine ganz unbefriedigende Ausgangssituation zu ver-zeichnen gehabt. Ich denke, alle Kollegen im Entwick-lungshilfeausschuss sind da mit mir einer Meinung. Ichwundere mich, warum in derselben Presseerklärung vonJuni steht, Sie stabilisierten auf hohem Niveau. Das istkein hohes Niveau gewesen. Ich weiß das aus den Haus-haltsberatungen der letzten Jahre. Das ist ein ganz niedri-ges Niveau. Das ist die Schmerzgrenze gewesen. Ich weißnicht, warum wir an diesem Punkt Augenwischerei be-treiben müssen.
Was die UNO anbetrifft, muss ich nur ganz kurz sagen:Wichtig ist die internationale Entwicklungspolitik. Wich-tig sind die internationalen Strukturmaßnahmen. Ich findees umso bedauerlicher, dass nicht mehr erkennbar ist, wieim Einzelnen die jeweiligen internationalen Programme,die UNO-Programme, gefördert werden. Dadurch, dasswir jetzt einen Gesamthaushalt haben, ist das sehr un-übersichtlich geworden. Es gibt Zahlen dazu. Überprüfenlassen sie sich jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunktrelativ schlecht.Im Koalitionsvertrag steht – wir sind ja bei so etwaswie einer Art Halbzeitbilanz –: Reform und Stärkung derUNO-Entwicklungsprogramme. Das jedenfalls, kannman konstatieren, hat bisher so nicht stattgefunden.Noch etwas aus der Koalitionsvereinbarung: derSchuldenerlass.Aus unserer Sicht ungenügend, aus IhrerSicht einer der Glanzpunkte Ihrer bisherigen Arbeit. Wenndas so ist, dann finde ich das bedauerlich. Man hätte mehrerreichen können. Man hätte mehr erreichen müssen.Aber gut, das ist ein Punkt, bei dem ich sage: Ein ersterSchritt ist getan.Ich frage mich aber: Was ist mit der speziellen ver-stärkten Förderung von Frauen? Frauen sind internatio-nal nicht nur ein wichtiger Träger der Entwicklungspoli-tik, sondern sie sind – wenn Sie mich fragen – fast derwichtigste Träger.
Trotzdem erkennen wir keine neuen Ansätze, keine neuenTitel in diesem Haushalt, der dem Rechnung tragenwürde.
Was ist mit den Hermes-Reformen? Ich frage Sie: Woist die Umgestaltung nach sozialen, ökologischen und ent-wicklungsverträglichen Kriterien?Ich frage mich das bei Ilisu.Wir werden in den nächs-ten Wochen erleben, dass Ilisu – wenn auch konditio-niert – hier in diesem Haus beraten und beschlossen wer-den wird. Das ist eine ganz krasse Fehlentscheidunggenau nach diesen Kriterien. Das wissen alle, die sich mitder Thematik befassen.
Genauso frage ich mich: Wie konnte es passieren, dasses nach dem Chatami-Besuch, der in allen Fraktionenumstritten war, keinen Tag dauerte, bis verkündet wurde,dass für den Iran – so, wie er jetzt ist, da die Wirtschaft imWesentlichen von den Mullahs kontrolliert wird, von denreaktionären Kräften, nicht etwa von den Reformern –plötzlich 1 Milliarde DM Hermes-Kredite für die Expan-sion der Wirtschaftsbeziehungen bewilligt werden? Wobleiben da die Kriterien, die Sie formuliert haben?Zu Waffenlieferungen brauche ich nichts hinzuzu-fügen.
– Ich komme zum Schluss. – Das ist gestern und auchnoch heute ausargumentiert worden.Bei Lomé sind ähnliche Defizite zu verzeichnen. Hierlaufen die Prozesse aus meiner Sicht in eine ganz falschenRichtung.Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund alldieser Defizite, die nach der Hälfte der Legislaturperiode
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auf den Tisch kommen, sage ich: Diese Haushaltsbera-tungen werden spannend. Ich sage auch: Wir werdennicht darauf verzichten, den außerparlamentarischenBereich in diese Verhandlungen einzubeziehen. Hiermuss an verschiedenen Ecken und Enden Druck gemachtwerden.
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Detlef Dzembritzki für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wahr und über-
haupt nicht zu bestreiten, Kollege Hedrich, dass die Stei-
gerung des Haushaltsansatzes um 1,7 Prozent darauf
zurückzuführen ist, dass dem Einzelplan 23 Mittel des
Haushaltsansatzes für den Einzelplan 60 zugeführt wor-
den sind. Das ist nicht, Herr von Schmude, Schönfärberei
oder, Herr Günther, Effekthascherei; das ist vielmehr die
Realisierung von Haushaltswahrheit und Haushalts-
klarheit.
Die Überführung der Mittel des Stabilitätspakts Südost-
europa und das Transformprogramm wollten wir alle;
dies unterstreicht die wirtschaftliche, soziale und politi-
sche Entwicklungskompetenz des Ministeriums.
Ich darf in diesem Zusammenhang sagen, dass es der
Bundesregierung und natürlich auch der Ministerin ge-
lungen ist, sich im Bereich der Entwicklungszusam-
menarbeit die gebührende politische Anerkennung zu
verschaffen. Die Entwicklungspolitik erfährt in den Indu-
strienationen, zum Beispiel durch die G7 repräsentiert,
eine weitaus stärke Einbindung, mehr als je zuvor.
Im Interesse der gemeinsamen Arbeit sollten wir uns über
diesen Erfolg freuen und ihn der Regierung nicht neiden,
wie es hier einige Redner der Opposition getan haben.
Der Weltwährungsfonds, die Weltbank, der Europä-
ische Entwicklungsfonds und die Europäische Kommis-
sion selbst haben wesentliche Strukturveränderungen
erfahren.
Herr Kollege
Dzembritzki, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
ordneten Weiß?
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kol-
lege Dzembritzki, nachdem Sie den Erfolg so sehr he-
rausgestellt haben, möchte ich Sie zu Ihrer Eingangs-
bemerkung über den Haushalt etwas fragen: Ist es aus Ih-
rer Sicht ein Erfolg des BMZ, wenn der Kernetat erneut,
wie es im Haushaltsvermerk des Ministeriums zu lesen
ist, um 2,1 Prozent gesenkt wird und im Rahmen einer
Umorganisation des Haushaltes Mittel vom Einzel-
plan 60 in den Einzelplan 23 überführt werden und dies
damit einhergeht, dass Frau Wieczorek-Zeul in 2000
noch 184,3 Millionen DM aus dem Stabilitätspakt Süd-
osteuropa zu bewirtschaften hat und dieser Betrag künf-
tig, im Jahr 2001, auf 100 Millionen DM sinkt? Sind zwei
Minuszahlen ein Erfolg für den Haushalt 2001?
Herr Kollege Weiß, ichempfinde es schon als Erfolg, dass wir unter den Bedin-gungen, die Sie uns hinterlassen haben,
eine Politik betreiben können, die die Möglichkeit eröff-net, im Rahmen des Einzelplans 23 in den Bereichen, wonotwendigerweise etwas geschehen muss, tatsächlich ef-fektiv vorzugehen.
Gerade im Zusammenhang mit dem Stabilitätspakt undder HIPC-Initiative haben wir Entwicklungspolitikerimmer deutlich gemacht, dass die Mittel in das Ressort„Wirtschaftliche Zusammenarbeit“ gehören. Wir habenimmer gesagt, dass die 100 Millionen DM für die HIPC-Initiative nicht aus dem bestehenden Plafond genommenwerden können, sondern zusätzlich aufgebracht werdenmüssen. Und darin sehe ich einen Erfolg der Ministerinund auch der Bundesregierung und der Koalition.
– Herr Weiß, nun provozieren Sie mich doch nicht undbleiben Sie bitte stehen. Sie wissen, dass dies sonst vonmeiner Redezeit abgeht.
Bei Ihnen, meine Damen und Herren, heißt es immer:Mehr Geld ist mehr Politik. Diese Art und Weise der Ar-gumentation muss hier ein Stückchen in Frage gestelltwerden. Die Entschuldung etwa, angelegt als internatio-nale Strukturpolitik, hat für die Zielländer in der Regeleine höhere Bedeutung und bringt eine größere Verände-rung als mancher Titel im Haushalt des Einzelplans 23.
Deswegen werden wir diesen Weg weitergehen und des-wegen wird die Entschuldung an eine Politik gekoppeltsein, die die Einhaltung der Menschenrechte und die Prin-zipien guter Regierungsführung berücksichtigt. Wir wer-den immer wieder signalisieren: Wer nicht bereit ist, dieMenschenrechte einzuhalten und eine gute Regierungs-führung zu pflegen, kann nicht davon ausgehen, an derEntschuldung beteiligt zu werden.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung legtdiese Prinzipien auch ihren eigenen Maßstäben des Han-delns zugrunde. Dies können Sie zum Beispiel an der ver-besserten rechtlichen Grundlage zur Bekämpfung der
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Korruption und, entgegen dem, was mein Kollege Vor-redner eben gesagt hat, an unseren neuen Richtlinien fürden Waffenexport feststellen.Die Einführung dieser Regeln – es wurde hart um siegerungen – dokumentiert, dass diese Bundesregierung be-reit ist, notfalls auch in schwierigen Situationen den Kursneu zu bestimmen und sich nach den Prinzipien auszu-richten, deren Einhaltung sie von anderen einfordert.Das haben Sie, meine Damen und Herren, in Ihrer Re-gierungszeit vermissen lassen. Mich verwundert das we-niger, weil man immer wieder daran erinnert wird, welcheRolle das Geld für Sie in der Erhaltung Ihrer eigenenMacht gehabt hat und dass Sie diese Diskussion umTransparenz damals eben nicht führen wollten.
Im Bereich der bilateralen Zusammenarbeit zeigt unsinsbesondere die EXPO die herausragende Leistung derBundesrepublik. Die EXPO ist ein großartiges Unterneh-men der Aufklärung über die Probleme und Chancen un-serer einen Welt. Selten konnte man sich so komprimiertüber Entwicklungsländer informieren. Sie spielen auf die-ser Ausstellung eine ganz besondere Rolle. Wer die EXPObesucht, wird feststellen, dass die dargestellten Projekte,die von den Ländern stolz und zu Recht als Zeichen derHoffnung präsentiert werden, insbesondere solche sind,die von der Bundesregierung Förderung und partner-schaftliche Zusammenarbeit erfahren.Ich finde es gut, Kollege Hedrich, dass Sie sich zu Ih-rer Zeit gerade auch für diese Möglichkeiten auf derEXPO eingesetzt haben, und mache Ihnen deswegen eindeutliches Kompliment.
Auf die Projektebene hinunterdividiert, ist es eineStärkung der Zivilgesellschaft, die von dieser Bundes-regierung als ganz klares Zeichen gesetzt wird und diesich auch in den Einzelansätzen der entsprechenden Titelwiderspiegelt. Die Zivilgesellschaft ist gleichzeitig dasStichwort für etwas anderes, was wir mit wirtschaftlicherZusammenarbeit herbeiführen wollen, nämlich eine Be-wusstseinsbildung in der Bevölkerung unseres eigenenLandes.Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Recht wurdenRechtsextremismus und ausländerfeindliche Übergriffevon den Medien und auch während dieser Haushaltsde-batte thematisiert. Mörderbanden gefährden in Deutsch-land lebende Ausländer und damit die Grundlagen zivili-sierten Zusammenlebens.
Es ist ein Albtraum, dass afrikanische oder andere aus-ländische Freunde zu Besuch in unserem Land die Be-troffenen sein könnten. Das Thema muss auch weiterhinim Blickfeld der Öffentlichkeit bleiben. Aber wir müssendafür sorgen, dass die Nachrichten besser werden.Entwicklungszusammenarbeit ist auch konkrete politi-sche Bildung und Erfahrung.
Ich habe es schon einmal in diesem Haus gesagt: Keindeutscher Jugendlicher, der mit jungen Menschen in ei-nem anderen Land zusammengelebt und gearbeitet hat,der trotz aller Armut Gastfreundschaft erlebt hat, wird jeeinem anderen Menschen die Menschenwürde oder dasMenschenrecht absprechen.
Wir sollten vor demselben Hintergrund darüber nach-denken, wie wir Entwicklungszusammenarbeit gerade inden neuen Bundesländern stärken können, wo sie auf-grund der politischen Realitäten nicht die Chance hatte,sich so zu entwickeln, wie es in Westdeutschland der Fallwar.
In der ehemaligen DDR waren es kleine Oppositions-gruppen und besonders die Kirchen, die jenseits sozialis-tischer Jubelpropaganda das Verständnis, das Mitgefühlund, soweit sie sich dort realisieren ließ, die tätige Mit-hilfe für Menschen außerhalb des eigenen Kulturkreiseswach gehalten haben. Den oft noch bis heute engagiertenMenschen möchte ich an dieser Stelle auch im Namenmeiner Fraktion Dank aussprechen.
Zum Thema Entsendeorganisationen und Stiftungen.Ich denke, gerade zum Thema Stiftungen, das hier ange-sprochen worden ist, sollte man noch mal in der Detail-diskussion zum Haushalt überlegen, wie man hier Hilfe-stellungen organisieren kann. Entsendeorganisationenund Stiftungen leisten wichtige Arbeit, aber erlauben Siemir, dass ich besonders die Kirchen erwähne, die mit ihrenKampagnen von „Misereor“ und „Brot für die Welt“ nichtnur viel Geld einsammeln und staatliche Zuwendungenvermehren, sondern vor allen Dingen ein Bewusstseindafür bilden, dass Entwicklungspolitik auch Umsetzungvon Menschenwürde und Toleranz bedeutet. Das ist ge-rade auch für ein zivilisiertes Zusammenleben hier in un-serer Gesellschaft von großer Bedeutung.Dasselbe gilt für die Arbeit von VENRO und vielen an-deren Nichtregierungsorganisationen. Sie sind das Salzin der Suppe. Sie sind unverzichtbare Mitstreiter für Men-schenwürde und sozialen Fortschritt in der Welt. Sie sindunsere stärksten Verbündeten im Kampf gegen Rassismusund Intoleranz, auch bei uns zu Hause.
Herr Kol-lege Dzembritzki, gestatten Sie eine Zwischenfrage desAbgeordneten Günther?
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Detlef Dzembritzki11277
Bitte.
Herr Kollege,
Sie haben eben über die Bedeutung der Stiftungen und
der kirchlichen Organisationen gesprochen. Ist Ihnen be-
kannt, dass aufgrund der Kürzungen im Transformpro-
gramm zum Beispiel die Stiftungen in Mittel- und Ost-
europa über 50 Prozent Einbußen innerhalb eines Jahres
haben und wir uns im Wesentlichen aus den Demokratie-
gebieten zurückziehen müssen?
Herr Kollege, ich habe
eben in meinem Beitrag gesagt, dass wir uns in den Haus-
haltsberatungen noch einmal diese besondere Situation
anschauen müssen, die ja auch damit zusammenhängt,
dass das Programm gestreckt worden ist. Sie müssen un-
terscheiden, dass die Kernarbeit der Stiftungen in der glei-
chen Weise fortgesetzt werden kann wie im Jahre 2000.
Es geht hier in besonderer Weise um diese Projektarbeit,
die Sie offensichtlich im Kopf haben und die ich ebenfalls
als sehr wichtig ansehe. Aber ich glaube, dass die Grund-
satzdebatte heute hier im Haus diese Detailarbeit nicht
möglich macht. Sie haben von meiner Seite aus die Zu-
sage, dass wir da noch einmal weitere Diskussionen
führen werden.
Meine Damen und Herren, den Nichtregierungsorgani-
sationen gilt unser Dank und auch unsere Unterstützung.
Ich freue mich, dass dieser Etat trotz der Konsolidierung
nicht gekürzt wird. Er sollte vielmehr gerade in der poli-
tischen Bildung Verstärkung erfahren.
Trotz aller Erfolge, die wir zu verzeichnen haben, ste-
hen wir weltweit vor großen Herausforderungen. Die
Bekämpfung von Aids, die Verstärkung der Armuts-
bekämpfung, die Förderung von regenerativen Energien,
die Ausstattung mit neuen Informationstechnologien in
den Entwicklungsländern: Das sind Aufgaben, die bewäl-
tigt werden müssen und wo auch zusätzliche Ressourcen
erarbeitet werden müssen. Die SPD-Fraktion wird sich
hier für positive Perspektiven einsetzen.
Tony Blair, Göran Persson, Wim Kok und Gerhard
Schröder haben am Rande des Millenium-Gipfels in New
York zu den nationalen und internationalen Aufgaben ein
Manifest vorgelegt. Die Regierungschefs fordern einen
neuen internationalen Sozialpakt und sprechen von Wer-
ten, die unserer Politik zugrunde liegen müssen – Werte
einer offenen, niemanden ausgrenzenden Gesellschaft,
die ebenso auf Verantwortung, auf Pflichten und auf
Rechten beruht. Das gilt weltweit und es gilt für jede Ge-
sellschaft einzeln.
Meine Damen und Herren, all das kann zusammenge-
fasst werden mit der Aussage: Es gibt keine Zukunft für
die reichen Länder, wenn es keine Hoffnung und Verbes-
serung für die armen Länder gibt.
Wir sind uns der Verpflichtung bewusst, für diese Werte
nach außen und im Innern einzustehen. Wir werden die-
ser Verpflichtung nachkommen.
Die Wiederherstellung ordentlicher Finanzen im eige-
nen Hause – ich hoffe, jetzt kommen auch Ihre Zwi-
schenrufe: Wie wahr, wie wahr! – gehört zu den Prinzi-
pien von „good governance“. Das ist eine Voraussetzung,
um auch künftig helfen zu können.
Zur Halbzeit dieser Legislaturperiode zeigt sich, dass
die Entwicklungspolitik trotz Haushaltskonsolidierung
eine deutliche Aufwertung erfahren hat. Für diese erfolg-
reiche Politik sage ich der Ministerin und ihren Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern ein herzliches Dankeschön.
Ich freue mich auf die nächsten zwei Jahre, wo wir das al-
les noch steigern werden.
Vielen Dank.
Sie wissen ja noch
gar nicht, ob ich Sie aufrufe.
Ich gebe jetzt dem
Kollegen Klaus-Jürgen Hedrich für die CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.
Herr Präsident,ich darf mich für Ihre Großzügigkeit hier ganz herzlichbedanken.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal einpersönliches Wort: Lieber Kollege Dzembritzki, lieberDetlef, ich darf mich natürlich für das Lob bedanken.Wenn du das schon korrekt ausdrückst, dann ist das auchin Ordnung. Herzlichen Dank dafür.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne Berücksichti-gung zweckgebundener Erhöhungen bleibt der Einzel-plan 23 allerdings gegenüber der Finanzplanung unverän-dert und sinkt gegenüber dem Vorjahr 2000 um rund149 Millionen DM: ein Minus von 2,1 Prozent.
„Der Finanzierungsspielraum für die entwicklungspoliti-schen Kernaufgaben wird zusätzlich durch wechselkurs-
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bedingte Mehrbedarfe verringert.“ Die Quelle für diesesZitat ist nicht ein CDU/CSU-Positionspapier, sondern dieaktuelle BMZ-Mitteilung zum Einzelplan 23. Verantwort-lich unterschrieben hat der beamtete Staatssekretär, HerrStather. Diese Aussage ist schonungslos korrekt. Ihr ge-bührt dementsprechend Anerkennung. Demgegenübersteht die Aussage: „Entwicklungsetat steigt im Jahr2001.“ Dieses Zitat stammt von der Bundesministerin;diese Aussage ist falsch. Einigen Sie sich bitte in der Lei-tung des Hauses, was richtig und was falsch ist.
Zumindest hat der Staatssekretär Recht. Es ist ungewöhn-lich, wenn er der eigenen Ministerin widersprechen muss.Daran wird übrigens deutlich, dass hier auch mit Haus-haltstricks darauf hingearbeitet wird, den Eindruck zu er-wecken, als steige der Etat tatsächlich. Ich wiederhole dieZahlen, die in der Zwischenfrage des Kollegen Weiß nocheinmal deutlich geworden sind: Bisher standen für denStabilitätspakt 300 Millionen DM zur Verfügung. Daswird jetzt auf 200 Millionen DM abgesenkt. Die Lastdafür trägt ausschließlich das BMZ; denn es hat in Zu-kunft 84 Millionen DM weniger. 100 Millionen DM blei-ben beim Auswärtigen Amt. Diese Vereinbarung ist fürden Aufgabenbereich, für den das BMZ verantwortlichzeichnet, überhaupt nicht angemessen.
Deshalb kann man einfach nur feststellen: Der Gesamt-etat sinkt, die Mittel für den Stabilitätspakt sinken. Diessind die Fakten. Man kann sich durchaus darüber unter-halten, ob der Stabilitätspakt nicht überfinanziert war.Aber dann soll man die Dinge beim Namen nennen undnicht den Eindruck erwecken, als würden dort Haushalts-mittel erhöht.
Frau Ministerin, in diesem Zusammenhang hätte ichgern einmal von Ihnen ein deutliches Wort zum Verhält-nis zum Auswärtigen Amt gehört. Glauben Sie allenErnstes, dass der von mir sehr geschätzte beamteteStaatssekretär Pleuger die Integration des BMZ ins Aus-wärtige Amt ohne die Rückendeckung seines Ministersfordert? Ich würde Ihnen also empfehlen, sich in der Bun-desregierung Klarheit darüber zu verschaffen, welcheAufgabenteilung es in Zukunft geben wird. Es ist eineVerunsicherung unserer Partner hier in Deutschland, inden internationalen Organisationen und in den Entwick-lungsländern, wenn keine Klarheit darüber besteht, dassdas BMZ auch für die Zukunft als ein eigenständiger Po-litikbereich angesehen wird.
– Ich habe bei der letzte Debatte ja die durchaus einmalangedachten Überlegungen angesprochen, ob nicht dasAuswärtige Amt in das BMZ integriert werden sollte.
– Unter der Voraussetzung, lieber Hans Georg Wagner,dass ich ab 2002 wieder Verantwortung trage, wäre ichdurchaus mit diesem Vorschlag einverstanden.Eine weitere Bemerkung zur HIPC-Initiative: Sehrverehrte Frau Ministerin, Sie haben auf der Weltbankkon-ferenz des letzten Jahres in Washington ausdrücklich zumAusdruck gebracht, dass Sie eine Vereinbarung mit demFinanzminister getroffen hätten, die Mittel für die HIPC-Initiative würden nicht aus dem Einzelplan 23, sondernplafondsteigernd zur Verfügung gestellt. Das Gegenteil istder Fall. Ich kann nur feststellen: Der BMZ-Haushaltmuss die Entschuldung für die Entwicklungsländer tra-gen, nicht der Bundeshaushalt insgesamt. Wenn Sie diesvon Anfang an erklärt hätten, hätte man sagen können, nagut, das kann man nicht ändern. Aber Sie haben damalsgroß angekündigt, dass das extra bezahlt und nicht zulas-ten des BMZ-Haushalts gehen werde. Die Fakten sind wiein vielen anderen Bereichen andere.Sie haben übrigens auch keine Vorsorge im Hinblickauf die Dollarparität getroffen. Nun gebe ich Ihnen hierinsofern Recht, als wir das Spielchen seit Jahrhundertenkennen.
– Ihr Haushälter habt es gerade nötig, auch noch mitdem Kopf zu nicken. Das Spielchen ist immer das gleiche:Ist der Dollarkurs günstig und die Ministerien, die mitDollarparitäten arbeiten müssen, erzielen Überschüsse,kassiert es der Finanzminister ein. Ist die Dollarparitätungünstig, müssen es die Ministerien erwirtschaften. Ichhalte das für eine unseriöse Vorgehensweise.
Das war bei Waigel und bei Lafontaine so und das ist beiEichel so. Trotzdem mein Appell an die Haushälter: Siekönnen es letzten Endes entscheiden, eine solche Vorge-hensweise des Finanzministeriums nicht mitzumachen.
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der mir amHerzen liegt. Ich zitiere:Mittlerweile ist die positive Grundstimmung im Mi-nisterium einer deutlichen Ernüchterung gewichen.Ein ständig wachsender Aufgabenkatalog bei gleich-zeitigem Personalabbau, mangelnder Transparenzvon Informationsflüssen und häufigen Entscheidun-gen im kleinen Kreis ohne die Einbindung des imHause vorhandenen Sachverstandes beeinträchtigendie Motivation der Belegschaft.Das ist ein Zitat aus einem Schreiben der Gewerkschafts-vertreter an die Leitung des Hauses.Hier wird die gesamte Problematik deutlich: ein ab-grundtiefes Misstrauen, insbesondere der Ministerin, ge-genüber den Mitarbeitern des BMZ. Dies spiegelt sichauch in einer Fülle von Personalentscheidungen wider.
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Klaus-Jürgen Hedrich11279
Der Personalrat hat darauf hingewiesen, er behalte sichdie Einberufung einer außerordentlichen Personalver-sammlung vor, wenn die Ministerin nichts korrigiere.Dies ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte desBMZ. Man kann nur sagen: Die Ministerin sorgt für einabsolutes Chaos im Ministerium und schadet damit demAnsehen der Entwicklungspolitik zu Hause und auchweltweit.
Ich gehöre nicht zu denjenigen, die Mitarbeiter übermehrere Gehaltsstufen hinweg ad hoc befördern. Das istein unüblicher Vorgang, zumindest im BMZ im Laufe dervergangenen 20 bis 25 Jahre. Ich gehöre auch nicht zudenjenigen – das ist nicht mein Vorschlag –, die einen ver-dienten Mitarbeiter Ihrer Partei von außerhalb des Hausesvorbei an qualifizierten Mitarbeitern dieses Hauses füreine der wichtigsten Positionen, die das BMZ zu vergebenhat, nämlich für den Exekutivdirektor bei der Weltbank,vorsehen.
Man kann den Namen ruhig nennen. Der Mann heißtDeutscher und ist persönlich sehr sympathisch.Der Punkt ist: Wir haben hoch qualifizierte Mitarbeiterim BMZ, zum Beispiel den Unterabteilungsleiter – dieje-nigen, die sich mit der Materie beschäftigen, kennen ihn –,Herrn Hinrichs, einen ausgewiesenen Experten für dieFragen von Entwicklungsbanken, besonders der Welt-bank. Er ist – in Klammern – Mitglied der Sozialdemo-kratischen Partei Deutschlands und hätte es verdient, fürdiese Position vorgesehen zu werden. Es ist nicht in Ord-nung, dass aus Kleinkariertheit Leute an den qualifizier-ten Mitarbeitern des BMZ vorbei in solche wichtigen Po-sitionen berufen werden. Das schadet der Motivation unddem Ansehen unserer Politik.
– Das gehört sehr wohl ins Plenum. Ich kann mir vorstel-len, was Sie für ein Theater aus einem solchen Vorganggemacht hätten, wenn sich so etwas unter einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung im BMZ ereignet hätte.Da hätte ich Sie einmal sehen wollen.
Eine letzte Bemerkung: Bei allen Gegensätzen gibt esaber auch manchmal Anlässe, bei denen wir innehaltensollten und uns darüber Rechenschaft ablegen sollten, oballes das, worüber wir uns streiten, so wahnsinnig wichtigist und im Interesse der Menschen in Deutschland, insbe-sondere der Menschen in unseren Partnerländern liegt.Der Herr Kollege Dzembritzki hat bereits darauf hinge-wiesen.Wir sollten am Schluss unserer Debatte darauf hinwei-sen, dass die Leitung unseres Hauses heute nicht voll-ständig auf der Regierungsbank vertreten ist. Sie werdenfestgestellt haben, dass die Kollegin Uschi Eid fehlt. Sieist erkrankt. Ich glaube, es ist angemessen, wenn wir ihrvon dieser Stelle aus alles Gute wünschen. Wir hoffen,dass sie möglichst wieder in diesem Plenum sitzen wird.Herzlichen Dank.
Ich gebe das Wort der
Kollegin Wieczorek-Zeul zu einer Kurzintervention.
Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Ich möchte auf ein paar angespro-chene Punkte eingehen, und zwar zunächst auf die, wieich meine, völlig unverständliche Trennung in angeblicheKernaufgaben von Entwicklungszusammenarbeit undneue Aufgaben. Wer ein Verständnis davon hat, welcheGestaltungsnotwendigkeiten sich ergeben, wird es nichttrennen, sondern wird es gerade integriert sehen. Tatsacheist, dass der größte Teil der südosteuropäischen LänderEntwicklungsländer sind und wir infolgedessen unsereArbeit dort konzentrieren.Zweiter Punkt. Ich habe die gesamte Debatte verfolgtund wiederhole: Man kann der Bundesregierung nicht ei-nerseits sagen, sie spare nicht genug, und ihr andererseitsjeden konkreten Fall, in dem gespart werden muss, vor-werfen. Wir müssen die Finanzmisere ausbaden – das istder Sachverhalt –, die Sie uns hinterlassen haben. Das istdie lautere Wahrheit.
Dritter Punkt. Zur Frage der HIPC-Mittel möchte ichFolgendes sagen – das geht an den Kollegen Günther ge-nauso wie an den Kollegen Hedrich –: Wir finanzieren ins-gesamt bilaterale Mittel in Höhe von 10 Milliarden DM,die nicht zurückfließen – ich bitte, das nicht einfach klein-zureden –, und leisten einen Beitrag zur entsprechendenTreuhandinitiative der Weltbank in Höhe von 150 Milli-onen DM. Diese Mittel müssen in den Haushalten zusätz-lich ausgewiesen werden.Vierter Punkt. Ich möchte ausdrücklich feststellen,dass die Arbeit der Stiftungen im Rahmen des Stabilitäts-paktes durch die Streckung der Mittel auf fünf Jahre nichtbehindert werden wird. Ich sage ausdrücklich zu, dass wirdie Arbeit der Stiftungen weiter unterstützen und mit ih-nen zusammen die entsprechenden Fragen klären werden.Der letzte Punkt betrifft das, was Herr Hedrich ange-sprochen hat. Herr Hedrich, es hat immer ein hohes Maßan Peinlichkeit, wenn sich jemand, der über Jahre hinwegdie Möglichkeit hatte, etwas zu gestalten, hier zu Perso-naldiskussionen äußert.
Es wäre in Ordnung gewesen, wenn Sie dafür gesorgt hät-ten, dass wenigstens eine Frau eine Funktion auf Abtei-lungsleiterebene unseres Ministeriums ausgeübt hätte.Als ich das Ministerium übernahm, war die Situation so,dass sich unter 13 Funktionsträgern – Abteilungsleiterund Unterabteilungsleiter – nur eine einzige Frau befand.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. September 2000
Klaus-Jürgen Hedrich11280
Nach meiner Meinung muss ein Ministerium, das sichdas „empowerment“ von Frauen in der Entwicklungszu-sammenarbeit weltweit zur Aufgabe gemacht hat, auchFrauen im eigenen Hause in Führungspositionen bringen.
Deshalb bekommt nun eine Frau eine Abteilungsleiter-stelle. Ich bitte derartige Unterstellungen, wie sie vorhingemacht wurden, zu unterlassen. Hätten Sie im eigenenHause etwas für die Frauenförderung getan, dann müss-ten wir jetzt nicht über solche Fragen diskutieren.
Zu einer Erwiderung
erteile ich das Wort dem Kollegen Hedrich.
Herr Präsident!
Sehr geehrte Frau Ministerin! Den letzten Punkt habe ich
gar nicht angesprochen. Ich habe lediglich kritisiert, dass
Sie Leute von außen geholt haben, die die entsprechende
Qualifikation, die sie für die Funktion haben sollten, nicht
haben, und an Dutzenden von qualifizierten Mitarbeitern
vorbei befördert haben. Ich frage in diesem Zusammen-
hang sehr deutlich: Wie können wir unsere Partnerländer,
mit denen wir im Dialog sind, auffordern: „Hört mit der
Postenschacherei und der Klüngelwirtschaft auf!“, wenn
wir das Gleiche in unserem eigenen Ministerium prakti-
zieren?
– Das ist der Sachverhalt. Es muss Sie ja wahnsinnig irri-
tieren, wenn Sie sich darüber so aufregen.
Der zweite Punkt. Sie haben definitiv Unrecht, Frau
Ministerin, wenn Sie auf die Stiftungen und die Kirchen
verweisen. Die jetzt im Rahmen der mittelfristigen Fi-
nanzplanung vorgesehenen Mittel für den Stabilitätspakt
in Südosteuropa ermöglichen den Stiftungen, den Kirchen
und den Nichtregierungsorganisationen nicht die Fortset-
zung angefangener Projekte im nächsten und übernächs-
ten Jahr.
Wir verlassen uns hier – wahrscheinlich wissen Sie
das, aber Sie müssen es hier bestreiten; das gehört zum
Geschäft – auf die Zusage – die fand ich sehr wohltuend –
des haushaltspolitischen Experten Ihrer Fraktion, Herrn
Dzembritzki, die er im zuständigen Fachausschuss ge-
geben hat, nämlich dass wir diese Frage noch einmal sorg-
fältig unter die Lupe nehmen werden. Nach dem, was er
angedeutet hat, werden wir entgegen Ihrer Aussage, die
Sie hier gemacht haben, eine Lösung finden, die den Stif-
tungen, den Kirchen und den Nichtregierungsorganisatio-
nen helfen wird.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen für die heu-
tige Sitzung nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 14. September 2000,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.